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Fall 4

64-jähriger Mann mit Gewichtsverlust und Ikterus


Ein 64-jähriger Mann wird von seinen Kindern bei Ihnen vorgestellt. Es war ihnen aufgefallen, dass in
den Tagen zuvor die Gesichtsfarbe des Patienten zunehmend gelblich geworden war. Dem Patienten
selbst ist dies nicht aufgefallen, er klagt lediglich über einen zunehmenden Juckreiz. Schmerzen habe er

Fragen
auch nicht bemerkt. Auf erneutes Nachfragen gibt er jedoch an, in den Wochen zuvor Gewicht abge-
nommen zu haben. Er führt dies jedoch darauf zurück, dass er einfach wenig Appetit gehabt habe. Bei
der klinischen Untersuchung finden Sie eine prallelastische Raumforderung im rechten Oberbauch,
knapp unterhalb der Leber. Die Laboruntersuchung erbringt folgende Werte: Gesamt-Bilirubin 8,4 mg/dl,
direktes Bilirubin 6,2 mg/dl, alkalische Phosphatase 300 IE/l, γ-GT 100 IE/l.

4.1 Welche Untersuchungen veranlassen Sie, um zu einer Diagnose zu kommen? Welche


Möglichkeiten bieten die einzelnen Methoden?

Sie veranlassen ein CT Abdomen (Abb. 4.1).


4.2 Welche Diagnose stellen Sie aufgrund der Anamnese und des CT-Bildes (Abb. 4.1)?

Abb. 4.1 CT Abdomen des Patienten


(aus Reiser, Kuhn, Debus, Duale Reihe,
Radiologie, Thieme, 2017).

4.3 Welche Operation würden Sie daraufhin durchführen?

4.4 Welche Strukturen werden bei einer partiellen Duodenopankreatektomie nach Kausch-
Whipple entfernt? Wie wird die Rekonstruktion durchgeführt? Zeichnen Sie den postoperativen
abdominellen Situs!

Antworten und Kommentar auf Seite 170 17


Fall 3 von S. 16
Fall 3 Pilonidalsinus
3.1 Stellen Sie eine Verdachtsdiagnose und eine Entzündung der Tasche auslösen. Die Entste-
nennen Sie mögliche Differenzialdiagnosen! Be- hung dieser Hauttasche ist noch nicht geklärt: Eine
gründen Sie Ihre Vermutungen! Theorie geht von einer Einspießung von Haaren und
Epidermis in die Subkutis mit nachfolgender Ent-
▪Verdachtsdiagnose: Pilonidalsinus (Schwellung
zündung aus, eine andere vermutet das Vorliegen
im Bereich der Rima ani, eitrige Sekretion, Berufs-
eines persistierenden embryonalen Neuroporus
anamnese)
(s. Antwort zu Frage 3.2).
▪Analfistel (eitrige Sekretion im Bereich des Anus)
▪Steißbeinteratom (Schwellung)
Klinik: Betroffen sind v. a. adipöse, stark behaarte
Männer um das 20. Lebensjahr, die sitzende Be-
3.2 Nennen Sie mögliche Ursachen für die von
rufe ausüben. Klinisch findet sich bei Infektion des
Lösungen

Ihnen vermutete Erkrankung!
Pilonidalsinus eine schmerzhafte Schwellung und
▪Eindringen von Haaren und Epidermis in die Rötung im Bereich der Rima ani. Es kann sich Eiter
Subkutis bei starker Behaarung; adipöses aus der Fistelöffnung entleeren.
Gesäß, mangelnde Analhygiene oder verstärktes
Schwitzen → Infektion im Bereich der subkutan Diagnostik: Anamnese und klinische Untersuchung
eingetriebenen Haare –insbesondere die Inspektion – sind richtungswei-
▪persistierender embryonaler Neuroporus zwi- send. Eine Analfistel sollte durch eine genaue prok-
schen Steißbeinspitze und Analfalte (sehr selten) tologische Untersuchung ausgeschlossen werden
(s. Fall 60).
3.3 Welche Therapie schlagen Sie dem Patienten
vor? Therapie: Eine konservative Therapie mit Sitzbä-
dern ist meist erfolglos. Die Therapie in der akuten
komplette Exzision aller Fistelgänge (Anfärbung
Situation besteht in einer Spaltung des Abszesses.
intraoperativ mit Methylenblau) mit primärer oder
Anschließend, nach Abheilung der akuten Entzün-
sekundärer Wundheilung und evtl. plastischer De-
dung, sollte das komplette Fistelsystem exzidiert
ckung mittels Verschiebe- oder Schwenklappen bei
werden. Die Wunde wird entweder primär ver-
großen Defekten.
schlossen oder granuliert sekundär. Bei großen De-
fekten wird sie mittels Verschiebe- oder Schwenk-
Kommentar lappen gedeckt. Postoperativ ist auf sorgfältige
Hygiene zu achten.
Synonyme: Sinus pilonidalis, Steißbeinfistel, Re-
krutenabszess, „Jeep Disease“, Haarnestgrübchen,
Steißbeinzyste
Zusatzthemen für Lerngruppen
Definition und Ätiopathogenese: Der Pilonidalsi-
▪ Abgrenzung des Sinus pilonidalis zur Acne in-
nus ist eine im Bereich der Rima ani lokalisierte
versa und den Analfisteln
Hauttasche, in der Epithel, Haare oder Talg ein-
geschlossen sind. Verschiedene Ursachen können

Fall 4 Pankreaskarzinom
▪CT Abdomen: bessere Beurteilbarkeit insbeson-
4.1 Welche Untersuchungen veranlassen Sie, um
dere der Pankreasschwanzregion; ggf. Nachweis
zu einer Diagnose zu kommen? Welche Möglich-
von organüberschreitendem Wachstum und
keiten bieten die einzelnen Methoden?
Lymphknotenvergrößerungen
▪Sonografie: primäre Screeningmethode bei ▪ERCP: wichtige Untersuchung in der Diagnostik
unklaren Oberbauchbeschwerden; ggf. Nachweis von Pankreastumoren; ggf. Darstellung von Un-
eines Aufstaus der Gallenwege regelmäßigkeiten, Stenosen des Pankreas-Gang-

170
Lösungen
Abb. 4.2 CT Abdomen des Patienten
linker (aus Reiser, Kuhn, Debus, Duale
Leberlappen Reihe, Radiologie, Thieme, 2017).
Pankreastumor

Duodenum Aorta
Nierenzyste
Milz

rechte Niere

Vena cava inferior Zwerchfellschenkel linke Niere

Lösungen
systems und des Ductus choledochus; Möglichkeit
zur Intervention mit Stenteinlage
▪bei entsprechendem Verdacht Endosonografie
(Darstellung des Pankreas über die Magenhin-
terwand): direkte Darstellung des Pankreas; ggf.
Nachweis von organüberschreitendem Wachstum,
Lymphknotenvergrößerungen, oder einer Infil-
tration der Pfortader und V. splenica
▪MRT mit Cholangio-MRT (MRCP): Goldstandard;
Möglichkeit der kombinierten Darstellung von
Gefäßstatus, Gallengängen und parenchymatösen
Organen

4.2 Welche Diagnose stellen Sie aufgrund der


Anamnese und des CT-Bildes (Abb. 4.1)?
Pankreaskopfkarzinom:
▪Klinik: Ikterus, Gewichtsverlust mit Inappetenz,
Courvoisier-Zeichen, Alter des Patienten Abb. 4.3 Rekonstruktion nach partieller
▪CT-Befund: hypodense Raumforderung im Pan- Duodenopankreatektomie nach Kausch-Whipple:
Die 1. Jejunalschlinge drainiert die Gallenwege und
kreaskopfbereich
das Pankreas, die 2. Schlinge den Magen. Mittels
End-zu-Seit-Jejunojejunostomie werden die beiden
4.3 Welche Operation würden Sie daraufhin Schlingen miteinander verbunden (aus Riemann et
durchführen? al., Gastroenterologie in Klinik und Praxis, Thieme,
Bei einem resektablen Pankreaskopfkarzinom sind 2007).
eine pyloruserhaltende Pankreatoduodenekto-
mie (PPPD) nach Traverso und Longmire oder eine
und der Gallenblase mit Teilen des Ductus
partielle Duodenopankreatektomie nach Kausch-
choledochus, Magenteilresektion (Verhinderung
Whipple möglich.
eines Ulcus pepticum jejunum), Entfernung der
regionären Lymphknoten
4.4 Welche Strukturen werden bei einer par-
▪Rekonstruktion (Abb. 4.3): Verbindung des
tiellen Duodenopankreatektomie nach Kausch-
Magens, des Pankreas und der Leber mit dem
Whipple entfernt? Wie wird die Rekonstruktion
Dünndarm (Gastrojejunostomie, Pankreatikojeju-
durchgeführt? Zeichnen Sie den postoperativen
nostomie und Hepatikojejunostomie)
abdominellen Situs!
▪entfernte Strukturen: Rechtsresektion des
Pankreas, Entfernung des gesamten Duodenums

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Fall 4 von S. 17
Kommentar
Definition: Die meisten malignen Tumoren der
Bauchspeicheldrüse sind Adenokarzinome, die in
der Regel vom Gangepithel ausgehen. Unterschieden
werden Pankreaskopf- und Pankreasschwanzkarzi-
nome.

Ätiologie: Prädisponierende Faktoren sind bis heute


unbekannt, es werden jedoch Ernährungsgewohn-
heiten (Adipositas), Nikotin- und Alkoholabusus,
chronische Pankreatitis und zystische Pankreas-
tumoren als Ursache diskutiert. Einige hereditäre
Lösungen

Syndrome (z. B. Peutz-Jeghers-Syndrom) erhöhen


das Risiko.

Klinik: Das Pankreaskarzinom verursacht keine


Frühsymptome! Beim Pankreaskopfkarzinom ent-
wickeln sich aufgrund der engen topografischen
Lage zu den Gallenwegen früher als beim Pankre-
asschwanzkarzinom Symptome wie Inappetenz,
Gewichtsabnahme, evtl. abdominelle Schmerzen Abb. 4.4 Rekonstruktion bei PPPD (aus Keymling,
und ein schmerzloser, progredienter Ikterus bei Kohler, Lübke, Das ERCP-Buch, Thieme, 2012).
tastbarer prallelastischer Gallenblase (Courvoisier-
Zeichen). Beim Pankreasschwanzkarzinom treten
aufgrund der retroperitonealen Lage meist nur tomie nach Kausch-Whipple und die pyloruserhal-
Schmerzen auf, die vom Patienten in den Rückenbe- tende Pankreatoduodenektomie (PPPD) nach Tra-
reich projiziert werden. Pankreaskarzinome gelten verso und Longmire. Bei der Kausch-Whipple-OP
auch als Ursache von rezidivierenden Thrombosen wird der Pankreaskopf mitsamt Duodenum, Gallen-
und sollten daher in solchen Fällen ausgeschlossen blase und Magenantrum entfernt (s. Antworten zu
werden. den Fragen 4.3 und 4.4) und anschließend die Kon-
tinuität durch Verbindung des Magens, des Pankreas
Diagnostik: Siehe Antwort zu Frage 4.1. und der Leber mit dem Dünndarm (Gastrojejunos-
In der Labordiagnostik sprechen erhöhte Werte tomie, Pankreatikojejunostomie und Hepatikojeju-
von Bilirubin, alkalischer Phosphatase und γ-GT für nostomie) wiederhergestellt. Bei der PPPD wird das
einen Aufstau im Bereich der ableitenden Gallen- Magenantrum belassen und das Duodenum post-
wege. Zur Abklärung der Cholestaseursache bieten pylorisch abgesetzt (Abb. 4.4). Alternativ zur Pan-
sich Sonografie, Endosonografie, CT und ERCP an, kreatikojejunostomie kann auch eine Pankreatiko-
wobei letztere auch therapeutische Möglichkeiten gastrotomie durchgeführt werden. Hierbei wird das
(Stenteinlage) erlaubt. Sofern eine MRT mit MRCP Pankreas mit dem Magen anastomosiert. Da durch
verfügbar ist, ist dies zurzeit die beste Unter- den Erhalt des Pylorus die Physiologie des oberen
suchungsmethode, da eine kombinierte Aussage Gastrointestinaltrakts weniger verändert wird,
über Gefäßstatus, Gallengänge und parenchymatöse wird dieses Verfahren zunehmend eingesetzt. Die
Organe, und somit über Fernmetastasen möglich onkologische Radikalität der beiden Operations-
ist. Zur Verlaufskontrolle sollten die Tumormarker verfahren wird bei kleineren Pankreaskopftumoren
CA19–9 und CEA bestimmt werden. Evtl. ist bei ma- als gleichwertig angesehen. Bei grober Infiltration
lignomverdächtigen Befunden auch eine Probelapa- des Duodenums muss jedoch eine Kausch-Whipple-
roskopie bzw. -laparotomie sinnvoll. Operation erfolgen. Bei Karzinomen im Schwanz-
bereich erfolgt eine Pankreaslinksresektion mit
Therapie: Bei resektablen Pankreaskopfkarzino- Splenektomie. Bei entsprechender Expertise werden
men stehen grundsätzlich zwei Operationsverfahren diese Operationen in einigen Kliniken auch zu-
zur Verfügung: die partielle Duodenopankreatek- nehmend laparoskopisch durchgeführt. Nach R0-

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Lösungen
Resektion erhalten die Patienten eine adjuvante 5-Jahres-Überlebensrate nach Radikaloperation mit
Chemotherapie mit Gemcitabine oder 5-FU (→ Ver- kurativem Ansatz beträgt aktuell bei ca. 20 %. Die
längerung der Überlebenszeit). Pankreaskarzinome 5-Jahres-Überlebensrate aller Patienten, unabhängig
gelten als inoperabel bei diffuser Metastasierung in vom Behandlungsmodus, liegt bei 0,5 %.
Mesenterium, Omentum majus/minus oder Leber
sowie bei Infiltration des Retroperitoneums oder der
Mesenterialwurzel. In dieser Situation sind eine pal-
Zusatzthemen für Lerngruppen
liative Chemotherapie sowie ggf. symptomatische
Maßnahmen (z. B. Stenteinlage zum Offenhalten ▪ Differenzialdiagnosen mit Abgrenzungskrite-
des Ductus choledochus) indiziert. rien zum Pankreaskarzinom
▪ Stadieneinteilung des Pankreaskarzinoms nach
Prognose: Da das Pankreaskarzinom sehr früh Hemreck
lymphogen und hämatogen metastasiert und keine ▪ neuroendokrine Tumoren des Pankreas

Lösungen
Frühsymptome hat, sind bei Diagnosestellung nur
sehr wenige Patienten kurativ behandelbar. Die

Fall 5 Phlegmasia coerulea dolens


5.1   An welche Differenzialdiagnosen denken Sie? 5.4 Wie gehen Sie therapeutisch vor?
▪tiefe Beinvenenthrombose: teilweiser oder ▪strikte Immobilisation (hohes Lungenembolie-
kompletter thrombotischer Verschluss des tiefen risiko!), ggf. Schockbehandlung
Venensystems; livide Schwellung der betroffenen ▪operativ: umgehend venöse Thrombektomie
Extremität, Haut warm, periphere Pulse tastbar, mit Fogarty-Katheter (s. Kommentar Fall 83); als
Druckschmerz an Fußsohle/Wade ultima Ratio bei ausgedehnten Nekrosen auch
▪Phlegmasia coerulea dolens: Maximalvariante Amputation der Extremität; keine Kontraindika-
einer akuten, tiefen Beinvenenthrombose mit Stö- tionen, da vitale Indikation!
rung der venösen und arteriellen Durchblutung; ▪konservativ: Fibrinolysetherapie bei Fehlschlagen
livide Schwellung der betroffenen Extremität, der operativen Therapie
Haut kühl, fehlende Fußpulse; evtl. hypovolä-
mischer Schock, Trias: Ödem, Zyanose, Schmerz 5.5 Welche Komplikationen können sich im
▪akuter arterieller Verschluss: meist embolischer Rahmen dieser Erkrankung entwickeln?
Verschluss einer Arterie; Haut kühl und blass,
▪Nekrosen bis Gangrän der Extremität
fehlende periphere Pulse, Schmerz, neurologische
▪Lungenembolie
Ausfälle, keine Schwellung, evtl. Schock
▪Kompartmentsyndrom, Myoglobinolyse mit
akutem Nierenversagen (Crush-Niere)
5.2   Welche dieser Differenzialdiagnosen ist am 
▪hypovolämischer Schock mit Verbrauchskoagulo-
wahrscheinlichsten?
pathie
Phlegmasia coerulea dolens: venöse Stauung mit ▪Tod (Mortalitätsrate: ca. 40 %)
Schwellung + fehlende Pulse, livide Verfärbung
Kommentar
5.3 Erläutern Sie die Pathophysiologie dieser
Erkrankung! Definition: Die Phlegmasia coerulea dolens stellt
die Maximalvariante einer tiefen Beinvenen-
Maximalvariante der tiefen Beinvenenthrombose
thrombose dar.
mit Verschluss des gesamten venösen Querschnitts
einer Extremität. Der fehlende Abfluss führt kon-
Ätiopathogenese: Der gesamte venöse Abfluss
sekutiv zur Aufhebung der kapillären Perfusion und
einer Extremität ist unterbrochen, das Blut staut
zur Beeinträchtigung des arteriellen Zustroms.
sich in die Kapillaren zurück, letztlich ist auch der
arterielle Zufluss gestört. Die Ätiologie entspricht
jener der Phlebothrombose (s. Fall 83).

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