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SPRACHE DER GEGENWART

Schriften des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim

Gemeinsam mit
Hans Eggers, Johannes Erben, Hans Neumann und Hugo Steger
herausgegeben von Hugo Moser

BAND VII
JEAN FOURQUET

PROLEGOMENA
ZU EINER
DEUTSCHEN GRAMMATIK

P Ä D A G O G I S C H E R V E R L A G SC H W A N N
DÜSSELDORF
© 1970 Pädagogischer Verlag Schwann Düsseldorf
Alle Rechte Vorbehalten • 5. Auflage 1977 (Nachdruck der revid. 4. Aufl.)
Umschlagentwurf Paul Effert
Gesamtherstellung Schwann Düsseldorf
ISBN 3-590-15607-4
VORBEM ERKUNG

P ro fe ss o r Jean Fourquet hat während m e h r e re r J a h r ­


zehnte das Fach G erm anistik an fran zösisch en U niver­
sitäten, zuletzt an der Sorbonne, v e rtre te n . E r hat in
d ieser Zeit, beso n d ers auch auf linguistischem Gebiet,
als un erm üdlicher A n reg er für eine große Anzahl von
Fachkollegen und Schülern gewirkt. Die in d iesem Band
vereinigten Studien stellen in gew isser Weise die Summe
sein er Gedanken zur Sprachtheorie dar, wobei fast im ­
m er eine u nm ittelbare Beziehung zur deutschen Sprache
besteht.
Fourquets h ier niedergelegte Gedanken scheinen uns so
originell und so wichtig für die Entwicklung der L in­
guistik zu sein, daß wir seine Untersuchungen seh r gern
in der S chriftenreihe "Sprache der G egenw art" des In­
stituts für deutsche Sprache herausbringen.

Die H erausg eber


INHALT

PROLEGOMENA
ZU EINER DEUTSCHEN GRAMMATIK............................... 9
V o r w o r t .................................................................................... 9
Abgrenzung des Gegenstandes:
W a s i s t G r a m m a t i k ? .................................................. 11
Trennung zusammengehöriger
E l e m e n t e ................................................................................... 18
Z u m B e g r i f f ' W o r t ' ....................................................... 24
Grammatische Struktur
u n d A u f b a u d e r K e t t e .................................................. 29
Zum Begriff 'Spezifische E in h e it' 34
S t e l l u n g n a h m e z u T e s n i i r e ..................................44
Innere Struktur
d e r s p e z i f i s c h e n E i n h e i t ...................................... 50
W o r t k l a s s e n und
s p e z i f i s c h e E i n h e i t e n ............................................... 56
Die s p e z i f i s c h e n E i n h e i t e n
d e s D e u t s c h e n ..................................................................... 60
T r a n s l a t i o n v e r b a l e r K o m p l e x e ..................... 65
Z u m B e g r i f f ' S a t z ' ....................................................... 69
Probleme der gram m atischen
S e m a n t i k .................................................................................. 73
S e m a n t i k d e r ' D e c k t e i l e ' ...................................... 76
Z u s a m m e n f a s s u n g ........................................................... 81
A n m e r k u n g e n ......................................................................... 84

7
STRUKTURELLE SYNTAX UND
INHALTBEZOGENE GRAM M ATIK.................................... 88
A n m e r k u n g e n ..................................................................... 103

AUFBAU DER MITTEILUNG UND GLIEDERUNG


DER GESPROCHENEN K E T T E ..............................................106

DIE STRUKTURANALYSE DES DEUTSCHEN SATZES.


SPRACHWISSENSCHAFTLICHE ANALYSE
UND SPRACHUNTERRICHT.....................................................117
A n m e r k u n g e n ..................................................................... 135

8
PR O L E G O M E N A ZU E IN E R D E U TSC H E N GRAM M ATIK

Aus dem Vorwort zur e rste n Auflage


An der schrittw eisen Ausgestaltung der h ier vo rg e­
brachten T hesen w aren zwei K reise junger F o rsc h e r b e ­
teiligt, vor denen sie, in P a ris und in Nancy, vorgetragen
wurden.
E s handelte sich dabei für m ich nicht nur um das, was
H einrich von Kleist "die allm ähliche V erfertigung der
Gedanken beim Reden" n en n t: es war für dieses Werk
förderlich, daß in beiden K reisen Einwände vorgebracht,
Hinweise auf eigene F orsch u n g serg eb n isse ins G espräch
geworfen, neue V orschläge gem acht,überprüft und m anch­
m al einbezogen wurden.
Bei einer so engen Z usam m enarbeit ist eine Scheidung
dessen, was jedem Einzelnen eignet, nicht m ehr m ög­
lich. Alle Namen zu nennen, jedem T eilnehm er zu dan­
ken, würde zu weit führen. Erw ähnt seien wenigstens F o r ­
scher, von denen eigene A rbeiten vorliegen oder d em ­
nächst fertig werden: in P a ris F ra u B.Grunig, P. Valentin,
J. M. Zemb, in Nancy J. David, E. F aucher, V, Schenker,

V orw ort zur vierten Auflage


Seit das M anuskript zu diesen P rolegom ena abgeschlos­
sen w ar, sind vier Ja h re verflossen. Schon als das e rste
gedruckte E xem plar m ir vorlag, schaute ich mit einem
gew issen Abstand auf den Text zurück. Nicht, daß der
zentrale Bestandteil, das Modell des syntaktischen Auf­
baus nach 'sp ezifischen E inheiten', inzwischen ins Wan­
ken geraten w äre : im Gegenteil; neue Beweise seiner
B rauchbarkeit w aren hinzugekommen. Was ab er noch der
th eoretisch en Klärung bedurft hatte, war das Wesen jener
Ebene, die ich der Ebene der phonischen Kette entgegen­

9
setzte, das Wesen dessen, was ich 'ab strak te Struktur'
nannte.
Daß die B estandteile der Kette signantia waren, signifiants
in der Sprache F . de S aussu res, stand schon fest. Ein
letzter Schritt ist in diesem W erk noch nicht ü b e rs c h rit­
ten : die Anerkennung der Grundeinheiten der abstrakten
Struktur als signata, signifiés bei F, de S aussure, Mini­
m aleinheiten der Mitteilung, sem antische Einheiten (Se­
mem e), denen ein phonisches Signal zugeordnet ist. Lat.
signatum , franz. signifié ist ja eine Lehnübersetzung von
griech. sem ainom enon, das Angedeutete, M itgeteilte.
Auf S. 81, unter l)steh t : "die Ebene der abstrakten Struk­
tu r, d .h. der geordneten Folge von Verbindungen sp ra c h ­
licher Zeichen, die den Inhalt ein er Mitteilung bestim m t".
Hier steht Z e i c h e n nach einem alten, aber bedenk­
lichen Brauch für das durch die phonische Gestalt
(signifiant) Angedeutete, die inhaltliche Seite des Z e i­
chens, und n u r d i e s e .
Zum Glück erw ies sich schon der E rk läru n g sw ert von
Modellen als ziem lich unabhängig von der E rkenntnis des
tieferen W esens des so Beleuchteten (das heliozentrische
System war schon v o r der Entdeckung des G ravita­
tionsprinzips einleuchtend).
In diesem Sinne m ag un ser Werk noch einm al in un verän­
d e rte r G estalt erscheinen, und die A ufm erksam keit auf
das Modell der spezifischen Einheit gezogen werden, so ­
wie auf die K ritik des Chom skyschen Modells S =^NP + VP,
und des T esn ièresch en Stem m as, das alle Glieder direkt
mit dem rég issan t verbindet: wenn wir auch der Ansicht
sind, daß eine neue T heorie der Beziehungen zwischen
signifiant und signifié förd erlich w äre, und das hier V or­
gebrachte sich in diese T heorie mit Gewinn einbauen
ließe.
In d ieser Sicht bestätigt uns die auffallend p arallele E n t­
wicklung, die G enerativisten dahin führt, die Semantik in
die A bleitungsverfahren einfließen zu lassen.

Januar 1973 Jean Fourquet

10
Abgrenzung des Gegenstandes:
Was ist G r a m m a t i k ?
Wenn wir vom landläufigen G ebrauch ausgehen, stellen
wir z u e rst fest: d er G ram m atik fällt das zu, was von
einem Text bleibt, wenn man die ausgesprochen lexika­
lischen E lem ente abzieht. Grob gesagt: was nicht in ein
alphabetisches W örterbuch eingehen kann, ist Sache des
G ram m atik e rs und der G ram m atik.
Man weiß jedoch, daß P räpositionen, Konjunktionen,
Pronom ina und andere 'F o rm w ö rte r' ebenso in der G ra m ­
m atik wie in den W örterbüchern Aufnahme finden. Wegen
d ieser Überlappung läßt sich keine feste G renze zwischen
G ram m atik und W örterbuch ziehen.
E s gibt einen anderen Weg, L exikalisches und Nicht-
L exikalisches zu scheiden: es^sind solche Texte, wo alle
lexikalischen E lem ente, and ers gesagt, alle Vollw örter
durch sinnlose Phonem folgen, durch 'n o n -sen se' e rse tzt
sind. Das bekannteste B eispiel ist die Ballade vom
Jabberw ocky bei Lewis Caroll:
T 1 was brillig , and the slithy toves
Did gyre and gim ble in the wabe. . . .
Autoren von N onsense-T exten, die intuitiv Vorgehen,
stim m en, was die Abgrenzung des R ein-L exikalischen
gegen a lles andere betrifft, auffallend gut überein.
In diesen T exten bleibt nicht nur das syntaktische Gefüge
erkennbar; es bleiben sem antische E lem ente, die durch
Endungen (to v e -s), P räfix e, P räp ositio nen (m) und andere
F o rm w ö rter ü b erm ittelt sind. Wenn wir auch slithy und
tove nicht versteh en, erkennen wir einen P lu ra l. Wir
sind bei weitem nicht so befrem det, wie von einem Text
in einer unbekannten Sprache. Wenn wir die Ballade
lesen, v ersteh en wir: auf eine B eschreibung folgt eine
Handlung mit verschiedenen Episoden; wir folgen dem
Abrollen eines G eschehens, mit verschiedenen T e il­
nehm ern usw.

11
Sehen wir näher zu, so kom m en wir zu dem Schluß: die
Elem ente, die h ier m itteilungtragend sind, gehören k le i­
nen geschlossenen System en an: z. B. dem System des
N um erus (S ingular-P lural), des Tem pus ( P r ä s e n s - P r ä -
teritum ), d er P erso n , der R aum präpositionen, usw. Von
d ieser Beobachtung läßt sich schon eine brauch bare Defi­
nition ableiten: d er G ram m atik gehören die kleinen, g e­
schlossenen System e an, die eine geringe Zahl von G lie­
dern aufweisen (zwei beim N um erus). Die G ram m atik
hat dagegen nicht die Elem ente des großen, o f f e n e n
System s zu e rfa sse n , das wir das lexikalische nennen.
Nur diese Elem ente sind es, die durch Nonsense e rse tz t
werden.
Wir sagten: das Gebiet d er G ram m atik um faßt, was bleibt,
wenn man das ausgesprochen L exikalische ausläßt. Doch
stellt sich die F rag e: was bleibt w o v o n ?
Von allem , was Gegenstand d er Sprachlehre is t? dann
schließt die G ram m atik auch die L autlehre ein. Und das
ist auch ein häufiger Brauch. In m ein er eigenen Schul-
gram m atik des D eutschen habe ich die lautliche Seite der
Sprache behandelt D.
Es scheint m ir jedoch an g em essen er, die phonologische
Analyse von d er g ram m a tisch en zu trenn en und die P ho­
nologie (oder Phonik) als ein U ntersuchungsobjekt für
sich zu behandeln. Der Einschnitt zw ischen L autlehre
und G ram m atik scheint m ir tie fe r als d er zw ischen G ra m ­
m atik und Lexikographie.
Ich habe einm al die Begriffe 'analyse phonologique1 und
'analyse linguistique' entgegengesetzt^). Der Ausdruck
'analyse linguistique' war nicht ohne Absicht gewählt:
eine sprachliche E rscheinung im streng en Sinne gibt es
nur da, wo eine w echselseitige Beziehung zwischen ein er
phonischen G estalt (signans)und ein er Mitteilungsfunktion
(signatum) nachgew iesen w erden kann, wo die Analyse
z w e i s e i t i g e Einheiten ergibt.
Das P ro blem der Phonologie ist: wie sind Tausende von
leicht erkenn baren S challgestalten zu schaffen, die als
B edeutungsträger dienen sollen? E s bekom m t eine gute

12
Lösung dadurch, daß Schallsignale in b esch rän k ter Zahl
(Phonem e)m iteinander kom biniert werden;die bedeutung­
tragenden Schallgestalten w erden a ls solche Kom bi­
nationen erzeugt und identifiziert. Dies ist letzten Endes
eine kom m unikationstechnische Angelegenheit (wie etwa
das M orsealphabet), die nur das Signans, den physischen
B edeutungsträger, angeht.
L. H jelm slev un terscheid et die zw eiseitige Einheit als
'P le r e m 1, mit einem Inhalt versehen , von dem Phonem
als 'C en em 1, als in haltlo ser Einheit.
A. M artinet nennt bekanntlich e r s te G liederung die, die
auf der Kombination z w e i s e i t i g e r M inim aleinheiten
(Moneme) beruht, zweite Gliederung dagegen die, die auf
der Kombination von Phonem en beruht^). Diese N am en­
gebung hebt vielleicht nicht sch arf genug h ervo r, wie
w esen sverschied en die zwei E rscheinungen sind.
W ir definieren also den Gegenstand d er G ram m atik als
einen T eil d e r'a n a ly se linguistique'(die mit zw eiseitigen
Einheiten umgeht). D ieser T eil definiert sich a ls der
Rest, der nach Abzug des ausgesprochen Lexikalischen
bleibt.
Die so abgegrenzte G ram m atik ist dem nach p e r defini-
tionem i n h a l t b e z o g e n (wenn auch nicht aussch ließ ­
lich inhaltbezogen). Bei jedem Schritt ist d er Bezug auf
beide Seiten, die Seite des Signans und die Seite des Sig­
natum, selb stverstän dlich.
Die G ram m atik verzich tet, wie oben gesagt, auf die U nter­
suchung der B estandteile des großen offenen System s,
das wir in e r s t e r Annäherung das lexikalische nannten.
Sie hat von diesen E lem enten Kenntnis zu nehm en, um
sie von denen zu unterscheiden, die ih r zufallen.
E s w ird der G ram m atik gewiß zugute kom m en, daß die
Struktur des großen offenen System s jetzt Gegenstand
neuer U ntersuchungen geworden ist, und daß von da aus
allgem eine P ro blem e der Semantik aufgeworfen werden,
z. B. die Analyse d er Inhalte in klein ere Bestandteile
(Seme) l

13
Die Untersuchung d e r kleinen geschlossenen System e,
wie Tem pus, Modus, N um erus usw., schließt eine Cha^
ra k te ristik des M itteilungsinhalts d er entsprechenden
Zeichen ein und gehört also der Sem antik an.
Dadurch ist das F eld der Semantik od er an d ers gesagt
d er P arad ig m atik im S aussureschen Sinne entzw eige­
risse n : ein T eil fällt d er G ram m atik, ein T eil der Lexe-
m atik zu. Die Abgrenzung ist nicht im m er leicht: definiert
m an z. B. die P räp ositio nen durch die Verbindung mit
ein er und nur e in er nom inalen Gruppe, so kom m t man
von den a lte re rb te n E lem enten wie in, an, bei zu Bildungen
'lex ik alisch er' Abkunft wie kraft, d ie sse its, unbeschadet,
aufgrund, usw. Deshalb gibt es nicht zwei G ram m atiken,
die dasselbe Inventar d er deutschen P räpositionen geben.
Was ungeteilt bleibt, ist jedenfalls die Untersuchung der
Zusam m enfügung sp rach lic h e r Einheiten, die Syntag-
m a tik im S aussu reschen Sinne, die von den M inim alein­
einheiten (Monemen) zu höheren Einheiten geht, schließ­
lich zum 'Satzganzen'.
F a sse n wir zusam m en: die G ram m atik im bisherigen
Sinne umfaßt die Syntagmatik ganz und nur einen Teil der
P arad ig m atik, näm lich den, der m it kleinen g esch lo s­
senen System en zu tun hat.
Welchem d ie se r beiden Elem ente ist in d er G ram m atik
der V orrang zuzuerkennen? Nach u n s e re r Auffassung
gewiß der S y n t a g m a t i k . P rin zip iell gehen wir in je ­
dem F all von ein er Untersuchung des Aufbaus aus, von
ein er s t r u k t u r e 11 e n Analyse. Sem antische B etrach ­
tungen in Bezug auf den Inhalt bei den B estandteilen k le i­
ner g esch lo ssen er Systeme folgen jew eils nach.
Ausgesprochen lexikalische Elem ente kann das W ö rter­
buch noch so behandeln, als ob sie iso liert werden könn­
ten: iso liert von dem Bedeutungsfeld, innerhalb dessen
sie an andere grenzen, iso liert von Verbindungen, von
Kontexten, die ihren M itteilungseffekt beeinflussen. E s
ist zw ar unmöglich, davon ganz abzusehen: das W ö rter­
buch r e g is trie r t z. B. eine andere 'Bedeutung' für Absatz

14
in T reppenabsatz und Absatz in Schuhabsatz, in W aren­
absatz usw. Das wird b ish er ab er nicht system atisch,
sondern nur gelegentlich getan.
A nders im F alle gesch lo ssen er System e: die A ufm erk­
sam keit w ird notwendig gleich darauf gerichtet, daß eine
bestim m te g ram m a tisch e 'K ateg orie', z .B . N um erus
im Spiele ist, d .h . daß ein b estim m tes Sinnfeld auf wenige
Zeichen (zwei beim N um erus) v erteilt ist.
Als B eispiel diene noch das dreig lied rige deiktische
System des L ateinischen (hic. iste. ille). verglichen mit
dem zweiteiligen der germ anisch en Sprachen (dieser,
jener, engl, this, th at).
In vielen F ällen kann die sem antische Untersuchung nicht
von der spezifischen Verbindung getrennt werden, die
ein b estim m tes Zeichen innerhalb ein er Gruppe eingeht:
z. B. kann die Semantik des A rtikels nicht ohne Bezug
auf das Substantiv, ric h tig e r auf die nom inale Gruppe
C noun-phrase') behandelt werden.
Die Aufstellung eines paradigm atischen Inventars fängt
mit ein er K o m m u t a t i o n s p r o b e an. Diese hat aber
e r s t Sinn, wenn die m iteinander ausgetauschten Elem ente
d e r s e l b e n S t r u k t u r angehören. Es wäre falsch,
schönes und se h r als G lieder eines P arad ig m a s anzu­
sehen, weil ein schönes kleines Haus und ein seh r kleines
Haus sprachg erech te Bildungen sind, und weil schönes
und seh r an gleich er Stelle in der Kette stehen.
Die E rk lärun g ist: schönes und seh r gehören nicht d e r ­
selben S t r u k t u r an; die S truktur der Gruppe schönes
kleines Haus ist vom Typus a (bc), die Struktur der
Gruppe seh r kleines Haus vom Typus (ab)c.
Die Berichtigung des Begriffs Kommutation, die die
Gleichheit d er Struktur m iteinbezieht, ist im F all der
E lem ente k lein er gesch lo ssen er System e ganz besonders
wichtig.
In diesem Z usam m enhang sei ein P ro b lem erwähnt, das
im F alle eines o f f e n e n System s naturgem äß ausg e­
schlossen ist, das P ro b lem des N u 11 z e i c h e n s . V e r­
gleichen w ir du lachst und du la c h -te -s t. so erkennen

15
wir, daß d er Gegepsatz 'N ullW te T rä g e r des sem an ­
tischen G egensatzes 'G e g e n w a rt'^ 'V e rg a n g e n h e it' sein
kann.
Ein Nullzeichen setzt ab er die Kenntnis des ganzen P a r a ­
d ig m asv o rau s, und die Aufstellung des P a rad ig m as muß
der F orderun g der g 1 e i c h e n S t r u k t u r genügen.
Ein and eres P ro blem , das für die g ram m atisch e Sem an­
tik c h a ra k te ristis c h ist, ist das P ro b lem der A u f h e b u n g
g ra m m a tisc h e r Oppositionen. In den Sätzen: e r geht in
den Wald, e r geht in dem Wald ist d er Gegensatz zwischen
Akkusativ und Dativ T rä g e r eines Bedeutungsunterschieds:
es sind zwei verschiedene Mitteilungen. Im e rste n F all
ist das Innere des Waldes (in+Wald) Ziel der Bewegung,
im zweiten O rt d e r Bewegung. In den Sätzen : e r geht
durch den Wald, e r geht aus dem Wald ist die F o rm des
Akkusativs, bzw. des Dativs ohne jede M itteilungsfunktion,
denn sie ist die einzig m ögliche, eine Kom mutation ist
unmöglich.
Bevor wir einem K asusanzeiger eine Mitteilungsfunktion
zuerkennen, sind wir den Beweis schuldig, daß d ie se r
Kasus in g l e i c h e r s y n t a k t i s c h e r F ü g u n g mit
einem anderen austausch bar ist. Im F all tra n s itiv e r V e r­
ba, die den Akkusativ ford ern , ist das natürlich nicht der
Fall, und dam it fällt die These d er "A kkusativierung"
weg.
Ein k la s s is c h e r F all ist der des fran zösisch en Konjunk­
tivsm ach konzessiven Konjunktionen wie quoique, bien que
ist der Konjunktiv "fest", nicht mit dem Indikativ a u s ­
tauschbar. Sein M itteilungsinhalt ist auf das beschränkt,
was dem Konjunktiv und dem Indikativ gem einsam ist
(inähnlicher W eise ist die distinktive Funktion des V e r­
schlußlauts am Ende d er deutschen W örter Rat und Rad
auf das beschränkt, was den Phonem en / t / und / d / g e­
m einsam ist: V erschluß + Dental). S y n c h r o n b e tr a c h ­
tet ist es unberechtigt, im Konjunktiv nach quoique eine
Variante der "G rundbedeutung"des Modus zu erkennen.
Die unzulängliche stru k tu re lle Analyse w ar noch bis vor
ku rzem der Engpaß, d e r den F o rts c h ritt der b e s c h re i­
benden G ram m atik hem m te. Diesen Engpaß zu beseitigen
16
scheint uns die dringendste Aufgabe, zu der wir hier
einen B eitrag liefern möchten.
Daß der G ram m atik ein T eil der Semantik zugeschlagen
wird, ist eine K om prom ißlösung, die logisch nicht sehr
befriedigend ist. Dies entspricht letzten Endes der T a t­
sache, daß aus verschiedenen Gründen, auf die wir hier
nicht eingehen können, die lexikalische Semantik sich
früh zu einem selbständigen T eil d er S prachlehre en t­
wickelt hat. Am th eo retisch en Ende der jetzigen E nt­
wicklung, die eine allgem eine Sem antik zu begründen v e r ­
sucht, stünde eine Teilung d er S prachlehre in einen s tru k ­
tu rellen (syntagm atischen) und einen sem antischen (p ara ­
digm atischen) Teil.
Der stru k tu relle T eil müßte natürlich vorausgehen und
von der Semantik zunächst nur soviel a ls gegeben hin­
nehm en, daß die in der Struktur im p lizierten Einheiten
sprachliche, d. h. zw eiseitige Einheiten sind. E s kommt
darauf an, daß sie e i n e n Inhalt haben, nicht darauf,
w e l c h e n Inhalt sie haben.
Der zweite T eil, die Sem antik, hätte ebenso die kleinen
geschlossenen System e wie das große offene System zu
behandeln. Damit w äre die E inheit der jetzt au sein an d er­
g erissen en Sem antik w ied erh erg estellt und die M öglich­
keit gegeben, allgem eine P rinzip ien der Sem antik a u s­
zuarbeiten. Das hindert jedoch nicht, daß für die kleinen
geschlossenen System e eine Methode zu erw ägen wäre,
die der Sonderstellung d ie se r System e Rechnung trüge.
Diese saub ere Trennung scheint uns jedoch beim gegen­
w ärtigen Stand der Forschung noch nicht durchführbar.
Wir bleiben also in der von uns geplanten deutschen G ram ­
m atik bei d er oben besprochenen Abgrenzung des g r a m ­
m atischen Gebiets; jedoch mit dem W issen, daß es sich
um eine Ü bergangsstufe handelt, die einm al überwunden
wird.

17
Trennung zusammengehöriger Elemente
(Di s co nt inuou s ICs.)

Das Deutsche ist b eso nd ers geeignet, auf eine bish er zu


wenig beachtete E rscheinung hinzuweisen: näm lich d a r ­
auf, daß ein er sprachlichen Einheit (Syntagma) nicht no t­
wendig ein kontinuierliches Segment der 'gesprochenen
Kette' entspricht.
A nalysieren wir den deutschen 'Satz':
Die Sonne geht im W esten unter.
/ d i : z^na ge : t Im vestan U ntar /
Die Phonem -folge / Im vestan / bringt eine Mitteilung
über den O rt des Sonnenuntergangs. In der gedachten
Situation besteht eine Beziehung zw ischen dem , was durch
/ Im vestan / und dem , was durch / ge : t. . . . Untar /
'zum A usdruck geb rach t' wird. Der Folge / g e : t . . .
U ntar / entspricht eine sprachliche Einheit in einem
doppelten Sinne: e rste n s bildet diese Einheit das eine
Glied ein er syntaktischen Konnexion, näm lich der Kon­
nexion zw ischen ein er U m standsbestim m ung und einem
verbalen Komplex (untergehen): zweitens deutet die d is ­
kontinuierliche Folge / ge : t Untar / auf eine ein heit­
liche V orstellung, die des (Sonnen)untergangs. T a tsä c h ­
lich w ird in den deutschen W örterbüchern untergehen als
eine lexikalische Einheit für sich behandelt.
In der phonischen Kette entspricht also ein er Bedeutungs­
einheit ein diskontinuierlicher B edeutungsträger, der aus
zwei getrennten Segm enten besteht; und diese Segmente
sind durch die U m standsbestim m ung getrennt, die das
andere Glied der syntaktischen Konnexion mit untergehen
bildet.
Es ist ein einfacher F all der sogenannten K l a m m e r ­
b i l d u n g . D ieser bildliche A usdruck ist u. E .irrefüh ren d:
e r scheint darauf zu deuten, daß ein sprac h lich e r Kom ­
plex (Verb und Bestim m ung) durch die K lam m er zu ­

18
sam m engehalten wird. Aber die K lam m er fehlt ü b e r­
haupt, wenn d er verbale Satzkern aus e i n e m Wort b e­
steht: die Sonne sinkt im W esten. Sie fehlt im konjunk-
tionellen N ebensatz:. . .. daß die Sonne im W esten u n te r-
geht. Die K lam m er umfaßt nicht dieselbe Anzahl von
S atzgliedern, je nachdem der bewegliche V erbteil an
e r s te r oder zw eiter Stelle steht: geht / die Sonne im We­
sten / u n t e r ? F ü r uns ist die "K lam m er" eine (historisch
bedingte) Z ufallserscheinung.
E s liegt im Wesen d er ab strak ten Sprache, daß konkrete
Vorgänge den Ausgangspunkt ih res W ortschatzes abge­
ben. H inter der Angabe, daß sprachliche Einheiten z u ­
s a m m e n gehören, steht die V orstellung ein er Konti-
guität im Raum. Wir sind deshalb geneigt, wo zwei s p ra c h ­
liche Einheiten syntaktisch verbunden sind, eine unge­
trennte Folge d er entsprechenden Signantia in der Kette
zu erw arten: und das ist tatsächlich in der M ehrzahl der
F älle so: der Hund bellt, der blaue H im m el, oder v iel­
m ehr scheint es so auf den e rste n Blick^). Um gekehrt
deuten wir ein K ettensegm ent, das m e h re re Sprachzei-
chen enthält, als eine komplexe sprachliche Einheit,
deren E lem ente g ram m a tisch verbunden sind.
Das ist doch kein notwendiges G esetz der Sprache: die
A u s n a h m e n , wenn es solche sind, sind zahlreich,
zah lreich er, a ls man bei den herköm m lichen g ra m m a ­
tikalischen Analysen annehm en sollte.
Das Bemühen der am erikan ischen Sprachforschung um
eine genaue Analyse der Satzkomplexe in sog. 'im m ediate
constituents' (ICs) mußte auf die N icht-Isom orphie des
syntaktischen Aufbaus und der Abfolge in d er Kette stoßen.
Hockett z .B . gibt zu: e s bestehen 'discontinuous ICs'
Das B eispiel ist der F ra g e -s a tz ; z. B. :
Is John sick?
Das P räd ik at is sick ist geteilt, und das andere Glied
der syntaktischen Konnexion S ubjekt-P rädikat, näm lich

19
John, ist dazw ischen geschoben.
V. Yngve nennt ch ara k te ristisc h e rw e ise "well behaved",
gut gestaltet, eine Sprache, wo es keine 'discontinuous
ICs' gäbe . Wo es solche gibt, kreuzen sich auf dem
baum artigen D iagram m ('t r e e ') die Linien, welche die
Elem ente der Kette (term inal string) mit den Knoten
(nodes) des A bleitungsdiagram m s verbinden, z. B. :

Y. L ecerf verbindet die vertikalen P rojektionen der


K ettensegm ente durch horizontale Linien8^, die auf g r a m ­
m atische Konnexion deuten, z . B. :
John is sick P ie r r e habite une m aison blanche

Läßt sich dies ohne Kreuzung durchführen, so nennt L ecerf


den Satz p r o j e k t i v . Die F ra g e is John sick? ist
nicht-projektiv.
Die Disjunktion od er N icht-P ro jek tiv ität ist viel häufiger,
als m an aus den B eispielen der Handbücher schließen
sollte: denn in vielen F ällen ist die Analyse nicht bis zu
den letzten Einheiten, den M inim aleinheiten, getrieben
worden.
C. F. Hockett gibt als Beispiel e in er Analyse in ICs den
Satz:
she lik e-s fre sh milk

20
Wir haben einzuwenden, daß in lik e -s nicht dem Verb
angehört, sondern dem Subjekt, es bringt eine Angabe
üb er die P erso n , der d ie 'L ie b e zur frisch en Milch' eigen
ist, näm lich, daß sie nicht zu den T eilnehm ern der M it­
teilung (1. und 2. P erso n) gehört, und daß es sich nur um
eine P e rso n (Singular) handelt. Dieselbe Mitteilung ist
auch in she im plizit, das noch eine Inform ation (weib­
liches Wesen) bringt.
K la re r noch ist das französische Beispiel bei A. M a r­
tinet 9) :
nous courons, phonem atisch/nu kuro / ; / nu /und / o /
haben genau denselben M itteilungsinhalt (1. P e r s . P lu r. );
die Folge /nu. . o /v e r h ä lt sich a ls ein diskontinuierliches
Signans für den Inhalt: 'P lu ra litä t, die den Sprechenden
e in sch lie ß t'.
Das Deutsche bietet eine Gegenprobe für diese Auffassung
der Personalendung als T eil des Subjekts: es gibt h ier
Sätze ohne g ra m m a tisch es Subjekt: m ir graut davor, m ir
ist kalt, heute wird nicht g e a rb e ite t. Den entsprechenden
V erben fehlt die K ategorie d er P erso n , sie sind 'u n p er­
sönlich'. Der F o rm nach stim m en sie zw ar mit der
3. P e rs . Sing. 'p e rsö n lic h e r' V erba überein; doch da diese
F o rm nicht zu ein er anderen im Gegensatz steht, ist sie
funktionslos; die F o rm d er 3. P e rs . Sing. ist eine A u f ­
hebungsform.
E s gibt sozusagen noch S chlim m eres; und h ie r w ieder
bietet das Deutsche beso nd ers klare Beispiele.
Der alte Baum und die alten Bäume stehen in ein er Opposi­
tion des N um erus: Singular~Plural. Die A nzeiger sind die
Folgen von Endungen - e r, -e. Null, Null, ein e rse its,
-ie. -en, ", e a n d e re rse its. D .h. die Signantia für Sin­
gular bzw. P lu ra l sind diskontinuierlich, und ihre Teile
sind auf drei Stellen, das Ende des A rtikels, des epithe-
tischen Adjektivs, des Substantivs v erteilt (hinzukommt
beim Substantiv der Umlaut des Stam m vokals).
Bei der m aschinellen Analyse deu tsch er Texte bieten
diese Folgen (suites c o h e re n te s)* ^ ein Mittel, nominale
S atzglieder (NPs) zu erkennen und abzugrenzen; die Zahl

21
der zulässigen Folgen ist gering gegenüber denen, die
entstehen könnten, wenn die Endungen des A rtikels, des
Adjektivs, des Substantivs, selbständig wären: z .B . sind
d er alten Baum, die alte Bäumen usw. keine zulässigen
Folgen.
Wir haben h ie r ein diskontinuierliches Signans für eine
M inim aleinheit d er Sprache (Monem).
Die V ersuchung lag nahe, solche F älle d e r N icht-Iso-
m orphie von Kette und g ram m a tisch e m Bau aus dem Wege
zu räum en. Zwei tatsächlich b etretene Wege dazu seien
h ier erwähnt.
1) Is John s ic k ? w ird durch T ran sfo rm atio n von ein er
nichtanstößigen (projektiven) Kette abgeleitet: der A us­
sagesatz JohnJjBjäicjc ist das Grundm odell ('kernel'), von
dem der F ra g e sa tz abgeleitet w ird^D .
Im Deutschen würde d ie se r Weg dahin führen, den kon­
junktioneilen N ebensatz, der projektiv ist, als 'k ern el'
hinzustellen, und den V ollsatz, die unabhängige Äußerung,
davon abzuleiten:
Kernel: (Wie) die Sonne im W esten untergeht

Davon, durch V ersetzung von geht in die Zweitstellung


abgeleitet:
Die Sonne geht im W esten unter
Daß ein Satzganzes von einem untergeordneten Satz abge­
leitetw ird , e rsc h ein t uns als eine reductio ad absurdum
dieses e rste n Weges zur Beseitigung n icht-projektiver
Syntagmen.
2) Von der ä lteren G ram m atik übernehm en auch en tsch ie­
dene N eu erer den Begriff 'K ongruenz'. E s hieße z.B .
von likes im B eispielsatz she likes fre s h m ilk : das Verb
nim m t die F o rm likes statt like, wenn das Subjekt ein
Singular ist, und keiner der T eilnehm er der Mitteilung;
d .h. likes w äre eine k o n t e x t b e d i n g t e V ariante von

22
like. Wir hätten dem nach m archons als eine kontextbe­
dingte V ariante von m arche , / m a rs / , aufzufassen, die
da aufträte, wo das Subjekt das P ronom en der l . P e r s .
P lu r. ist. Aber ein T eleg ram m a rriv o n s dem ain ist für
einen F ra n zo sen eine sinnvolle Mitteilung: /o / genügt,
weil / n u / und / o / dieselbe M itteilung bringen.
Hinter d er Analyse in ICs und der d arau s hervorgegangenen
dichotom ischen Ableitung der Kette (term inal string),
wie sie die Graphen (trees) veranschaulichen, stand das
nicht k la r erkannte und nicht fo rm u lierte Postulat der
Isom orphie: Isom orphie d er Gliederung d er Signantia auf
d er Kette und der syntaktischen Gliederung; das Postulat
der P ro jektivität im Sinne von L ecerf, dem wir eine klare
P roblem stellung verdanken.
D ieses Postulat ist unhaltbar; die Umwege, auf denen die
N ich t-P ro jektivität w iederein geführt worden ist, sind un­
nötig und eine Quelle von Unklarheit. Wir haben uns vor
die T atsache d er N icht-Isom orphie zu stellen und die F o l­
gerung d arau s zu ziehen.

23
Zum Begri ff 'Wort'
Wir haben im Obigen gezeigt, daß m anches, was funk­
tionell zusam m engehörte, in der Kette getrennt war. U m ­
gekehrt gehören E lem ente, die in d er Kette eng z u sa m ­
mengefügt, ja v erschm o lzen sind, nicht zusam m en, und
das führt zu ein er K ritik des B egriffs ' W o r t ' der b is ­
herigen G ra m m a tik l2).
Als Beispiel diene ein Satz aus W iechert, Das einfache
Leben: Sie lachten im m e r zu Hause, auch dann vielleicht,
wenn es nicht recht war, und du lachtest so wenig. Wir
haben h ier eine V erbform la c h te st, die als e i n Wort g e­
schrieben, und auch a ls ein Wort angesehen wird; sie läßt
sich analysieren in: ein Lexem , lach-: einen T em pusan­
zeiger, -te -; und einen P erso n en an zeig er, -st.
Die Angabe 'V erg ang enes', die mit -te - verbunden ist,
betrifft nach u n s e re r Auffassung den Inhalt des Satzes
du lachtest so wenig als ein Ganzes, näm lich die V or­
stellung des wenig lachenden G e sp rä c h sp a rtn e rs, wie sie
in der E rinnerung des Sprechenden geblieben ist. Die E n­
dung -st bringt, wie schon bem erkt wurde, eine Angabe
über das Subjekt, welche ebenfalls in du enthalten ist.
Die drei Mitteilungen, die je an la c h - , -te - und -st g e­
bunden sind, gehören funktionell nicht zusam m en. In der
Verbindung S ubjekt-P rädikat gehört -s t nicht dem P r ä ­
dikat, sondern dem entgegengesetzten Glied der Kon­
nexion, dem Subjekt, an. Die T em pusangabe betrifft den
ganzen Satz, d er h ier aus d er Verbindung von Subjekt und
Präd ik at entsteht.
Diese Konnexionen lassen sich durch folgendes D iagram m
darstellen:
~te~ du - s t so wenig lach-

Diese Analyse gilt ebensogut für den F all, wo die A nzeiger

24
für Tem pus, Modus, P e rso n mit dem Lexem so eng v e r ­
schm olzen sind, daß die Abgrenzung der Signantia schw ie­
rig wird. Beim stark e n P rä te ritu m beruht die T em pus­
angabe auf einem Vokalwechsel innerhalb des Lexem s:
du trin k st ~ d u tran k st. Die Analyse gilt auch für Null­
zeichen, die e r s t innerhalb eines P a rad ig m as als solche
erkenn bar sind, z .B . in la c h -0 -st ~ la c h -te -s t oder
tra n k -0 'v- tra n k -st.
E s fällt uns schw er, das K ettensegm ent lachtest nicht als
eine E i n h e i t zu empfinden: weil die Signantia / l a x / ,
/ \3 / und /st / im m e r in d ie se r Reihenfolge Vorkommen;
weil sie sich in d e r Kette nicht trenn en lassen; weil das
Segment unter e i n e m Akzentgipfel steht; weil Anfang
und Ende durch G r e n z s i g n a l e im Sinne Trübetzkoys
kenntlich gem acht sind. E s geht ab er h ie r ausschließlich
um eine A usgliederung der Kette a ls e in er Schallgestalt;
eine Folge wie / laxta st / ist vom Standpunkt d er H erv o r­
bringung der phonischen Kette eine untere H erv o rb rin ­
gungseinheit.
Wir hätten ebensogut ein Substantiv od er Adjektiv als B ei­
spiel nehm en können: mit dem U nterschied jedoch, daß
dem Lexem nur T e i l e der N u m e ru s-u n d K asusanzeiger
angehängt sind, wie oben angedeutet wurde: z. B. d -es
a lt-en B au m es.
Z usam m enfassend: das Wort ist keine sprachliche E in­
heit (zweiseitige Einheit, Einheit d er e rste n Gliederung);
es besteht aus ein er Folge von B edeutungsträgern (Sig­
nantia), oder von T eilen davon, deren Inhalt sich nicht
mit dem Inhalt des Lexem s zu ein er M itteilungseinheit
verbinden läßt, die selbständig wäre.
Wir m üssen gegen die naive Annahme ankäm pfen, das un­
getrennte N acheinander, ja das Z usam m enschm elzen der
Signantia deute auf eine funktionelle Z usam m eng ehörig­
keit der entsprechenden Signata (Inhalte); wie um gekehrt
gegen die Annahme, die funktionelle Z usam m eng ehörig­
keit komme notwendig in einem N ebeneinander der Sig­
nantia zum Ausdruck. In ein er h isto risc h gewordenen
Sprache sind diese zwei Gegebenheiten kom plem entär.

25
Lösen wir das Wort in seine heterogenen B estandteile auf,
so stellt sich die F rag e: was findet man in einem W ö r ­
t e r b u c h ? Die Antwort ist: ein W örterbuch hat es nicht
mit W örtern, sondern mit Lexem en zutun, d .h. mit dem,
was bleibt, wenn die Anzeiger für T em pus, N um erus u.
dgl. abgezogen und ih rem richtigen P latz im Aufbaudia­
gram m zugeführt sind. Unter der W örterbucheingabe
lachen w erden zw ar L em m ata angeführt, wo K ettenseg­
mente wie lacht, lachte, lachten, gelacht Vorkommen, die
wir in einem Text unter der Bezeichnung W ö r t e r ab ­
grenzen; was das W örterbuch ab er an Hand d ieser B ei­
spiele zu v erm itteln sucht, eventuell mit Hilfe von U m ­
schreibungen und K om m entaren,ist der gem einsam e B e­
deutungsinhalt, der m it der Phonemfolge / lax / v e r ­
bundenist. Die Verbindungen dieses L exem s / lax / mit
A nzeigern für Tem pus, Modus, P e rso n , gelten als F o r ­
m e n d e s W o r t e s , als w äre dieses ein P ro teu s, der
in w echselnder G estalt im m er derselb e ist.
Der B ezeichn ung 'W ort'h aftet also eine verhängnisvolle
Doppeldeutigkeit an. Bald bezieht sie sich auf ein K etten­
segm ent innerhalb eines Texts: in diesem F alle sind
lacht, lachte, lachten ebensoviele verschieden e W örter;
bald auf eine W örterbucheingabe, die alle das Lexem
/ lax / enthaltenden T e x t w ö r t e r zusam m enfaßt, w el­
che dann als F o rm en desselben W orts gelten.
Die e rste n V ersuche, mit Hilfe von E lek tronen rech nern
eine m aschinelle Ü bersetzung zustande zu brin g en ,ste ll­
ten die T echniker vor eine Entscheidung: was liefert man
in das 'G edächtnis' der M aschine e in ? W ortform en, Text -
Wörter wie lachst, lachtest ? Das ist ab er wegen der
enorm en Zahl der Kombinationen tech nisch unmöglich;
W örterbucheingaben wie lach- oder lachen (Infinitiv a ls
Symbol für alle 'F o rm e n ')? Im zweiten F all bekommt die
Maschine Anweisungen, wie sie ein Textw ort in seine Be­
stan dteileau flösen, und das L e x e m auf eine Einheit des
Lexikons beziehen soll.
Das 'W orten der Welt' im W eisgerberschen Sinne bezieht
sich offenbar auf das Wort als W örterbucheinheit, letzten
Endes auf das L e x e m .
26
Wenn G ram m atik er dagegen von der Leistung des W orts,
etwa eines V erbs, sprechen, handelt es sich um die
Leistung der im Textw ort enthaltenen Anzeiger : nicht
la c h te st, als 'V erb ', gibt dem Satz ein T em pus (V er­
gangenheit), sondern der T em pusan zeig er - te - und nur
dieser.
Wenn sprachliche Einheiten eine sprachliche Konnexion
eingehen, ist der M itteilungsw ert der so gebildeten E in ­
heit größ er als der der verbundenen T eile. Das ist bei
einem Wort wie lachtest nicht d er F all, da diese E in ­
heiten, wie schon oben ausgeführt, nicht m iteinander,
sondern je für sich mit einem nicht im Wort enthaltenen
Konnexionsglied verbunden sind. In du lachtest so wenig
z. B. ist lach- mit so wenig verbunden, -te - mit dem
ganzen Satzinhalt, und ^_st ist ein T eil des Subjekts.
B eiden 'B äum en' (trees) kom m t m an im m e r m ehr dazu,
die A nzeiger für g ram m atisch e K ategorien wie Tem pus,
Modus, N um erus vom Textw ort abzutrennen und durch
eine Linie mit dem Knoten (node) zu verbinden, der der
betroffenen (gedeckten) Einheit entspricht. E s ist aber
nochnicht so weit gekom m en, daß Nullzeichen (die G lie­
der eines g ram m a tisch en P a ra d ig m a s sind) einen Platz
bekom m en. In Hans trin kt W asser ist das L e x e m /v a s a r /
von einem Nullzeichen für 'ungegliedert + unbestim m t'
begleitet, und e r s t diese Verbindung schafft eine nominale
Einheit (NP).
Der Schluß d ie se r B etrachtung ist: es gibt zwei m itein­
ander unvereinbare Verwendungen der Bezeichnung
"W ort": Textw ort und W örterbucheingabe. Das W ö rter­
buch hat aber nur m it einem T eil dessen zu tun, was wir
im Text a ls Wort finden, näm lich m it dem Lexem . E s
scheint uns also folgerichtig, die zweite Verwendung fal­
len zu lasse n und dafür die schon bestehende Bezeichnung
L e x e m vorzuziehen.
Das T extw ort aber ist kein Syntagma, da seine Teile
(Lexem und A nzeiger) nicht funktionell verbunden sind.

27
E s ist eine U ntereinheit der Kette als Schallgestalt; keine
zw eiseitige Einheit, da dies die Einheit beider Seiten,
signans und signatum , e rfo rd e rn würde.
Nach der Abgrenzung u n se re s G egenstands, wie wir sie
anfangs dargelegt haben, liegt das Wort a ls K ettensegm ent
(Textwort) außerhalb u n se re s Gebiets. Im Folgenden wird
sich das bestätigen.

28
G r a m m a t i s c h e S t r u k t u r und Aufbau
der Kette
Die 'B äum e' haben uns mit d er V orstellung v e rtra u t g e­
macht: sprachliche Einheiten verbinden sich zu ein er E in­
heit der nächsthöheren Ordnung, die w iederum zum Glied
ein er höheren Einheit wird, usw.
Wir verw enden die Begriffe 'sp rach lich e Einheit' und
'sp rach lich e Konnexion' (wie T esn iere) und nennen 'a b ­
strak te S truktur' die Anordnung der Konnexionen, die ein
b e stim m tes sp rach lich es Gefüge (Syntagma) c h a ra k te ri­
sie rt.
Die Verbindung von (ab) mit c , gesch rieben (a b )c , ist
eine andere Struktur als etwa die Verbindung von a mit
(bc). Es sind zwei verschieden e sprachliche Bildungen,
wie das k ra s s e B eispiel M ädchen-handelsschule gegen­
über Mädchenhande ls - schule zeigt.
Eine sprachliche Konnexion i s t n i c h t - g e r i c h t e t : die
Verbindung von a mit b ist zugleich eine Verbindung von
b mit a. Nur eine w illkürliche Setzung (hier die alp ha­
betische Folge) erlaubt uns, das Symbol 'ab' für diese
Verbindung zu verwenden.
Nun ford ert die physische R ealisierun g des Signans, die
g e r i c h t e t ist, eine Entscheidung: / a b / od er / b a / ;
für (ab)c hätten wir in ein er 'gut gebauten' Sprache ohne
discontinuous ICs schon die M öglichkeiten / a b c / , /b a c /,
/ c a b / , / c b a / . In e in er natürlichen Sprache, die Disjunk­
tionen zuläßt, noch / a c b / und / b c a / , usw. 13)
Selten ist die Abfolge auf der Kette indifferent oder durch
Eigenschaften des Signans allein (etwa die Länge) g e r e ­
gelt. M eistens hängen die Stellungsnorm en von g ra m m a ­
tischen E igenschaften ab: z. B. steht im Deutschen das
adjektivische A ttribut vor, das nom inale nach dem Sub­
stantiv : die ausländischen Studenten d er M edizin.
Die Möglichkeit, ja die Notwendigkeit der Wahl zwischen
den Folgen / a b / und / b a / für die Konnexion 'ab' schließt
ein, daß die Stellung als Z e i c h e n benutzt w erden kann.

29
Die Stellung dient im Kom positum zur U nterscheidung
von B estim m ungsglied und Grundglied, z .B . in L ustspiel
gegenüber S piellust. Sie dient als (redundantes) Zeichen
der F rag e gegenüber der Aussage: z .B . in Ist Hans d a ?
gegenüber Hans ist d a.
Die generative G ram m atik verkennt o d er v e rsc h le ie rt
u. E. diese wichtige F rag e der Stellung a ls eines G rund­
gesetzes d er Kette. Wenn sie vom Symbol S (sentence)
eine Kette (term inal string) ableitet, bringt jed er Knoten
(node), von dem zwei Linien im D iagram m ausgehen,
eine Entscheidung über die Abfolge in d er Kette, z. B. :

Das schließt ein, daß die Verbindung eines Subjekts mit


einem P räd ik at die Folge S ubjekt-P rädikat mit sich
bringt, die wir als Folge d er Signantia in der Kette
wiederfinden.
Die Regeln für das W iederschreiben (rew riting) vom
Typus Subst. =£ Adj. + Subst. (cat =*black cat) enthalten
nicht nur eine Angabe über den g ram m a tisch en Status der
Bestandteile, sondern über die Reihenfolge d er phonischen
T rä g e r in d er Kette.
Das mag für das Englische b rauch bar sein. Aber die Regel
Subst. =#-Adj. + Subst. hat im F ra n zö sisch en nur für die
g ram m atisch e Z usam m ensetzung einen Sinn, nicht für die
Reihenfolge in der Kette: une m aison blanche, neben
une grande m aiso n .
Stellungsregeln w erden auf diese Weise stillschw eigend
eingeführt - wir sind v ersuch t, zu sagen: eingeschm uggelt.
Im Deutschen stößt man bei einem solchen V erfahren auf
a lle rle i Schw ierigkeiten: die Regel S ^> N P + V P kann für

30
das Deutsche nicht bedeuten, daß das Subjekt dem P rä d i­
kat notwendig vorangeht. Die sog. Inversion: m orgen
kom m en Gäste ist eben h ier ein Stein des Anstoßes!
Die generative G ram m atik muß da zur T r a n s f o r m a ­
t i o n Ausflucht nehmen, und m orgen kom m en Gäste als
T ra n sfo rm ein es Satzes Gäste kom m en m o rg e n hinstel-
len.
Es geht ab er nicht an, einen Satz wie jeden Tag geht die
Sonne früh er un ter a ls eine V ariante (Transform ) des
Satzes die Sonne (NP) geht jeden Tag frü h er unter (VP)
zu betrachten. Denn diese Ketten entsprechen zwei v e r ­
schiedenen Strukturen, zwei Konnexionsbildern.

a) jeden Tag die Sonne(t) frü h er unter-geh-


1

b) die Sonne (t) jeden Tag frü h er u n ter-g eh -

Jede Struktur entspricht e in er anderen Situation und zielt


auf einen anderen M itteilungseffekt.
T e sn ie re s B eispielsatz les petits ru issea u x font les
grandes r iv i e r e s ^ ) läßt sich in idiom atisches Deutsch
etwa übersetzen:
Aus kleinen Bächen werden große F lü sse

Der angebliche K ernsatz Große F lü sse w erden aus k le i­


nen Bächen entspricht offenbar h ier nicht d er Absicht des
Sprechenden.
31
V ersuchen w ir, von einem a b strak ten Aufbaubild wie a)
die Stellungsregeln abzuleiten, die zu e in e r sprachg e-
rechten Kette führen.
1) Die Reihenfolge der Konnexionen, wie sie oben durch
N um erierung angedeutet ist, bestim m t die Reihenfolge
der S atzglieder (jeden Tag, die Sonne, frü h e r) in der
Kette. Wir können also schon ansetzen:
.jeden Tag die Sonne früh er
3 2 1
2) Die nicht-bew eglichen (der Kettenbildung nach 'u n v e r­
änderlichen') Teile des verbalen K erns, h ier die P artik el
u n te r, folgen den Satzgliedern nach, das ergibt:
jeden Tag die Sonne frü h er unter
3) Die T em pus- und M odusanzeiger, dann die P e rs o n e n ­
anzeiger w erden dem beweglichen T eil des verbalen
K erns, g e h -, angehängt; die Angaben 'P r ä s e n s ' und 'In­
dikativ' ergeben sich aus den Oppositionen gelvvging(Tem­
pus), und geh--vgehe-, ^ g in g e - (Modus). Der A nzeiger für
3. P e rs . Sing. ist h ier ^ t; das ergibt das Kettensegm ent
geht / ge : t /.
4) Im A ussagesatz folgt dieses Segment un m ittelbar auf
das e rste Satzglied (jeden T ag ), das ergibt die Kette:
Jeden Tag geht die Sonne frü h er u n te r.
Das sind die Anweisungen, die eine M aschine erhalten
sollte, um ein ab stra k te s Konnexionsbild wie a) in eine
sprachrich tig e deutsche Kette umzuwandeln.
Wir nehm en uns vor, z u erst ab strak te S trukturen (gra m ­
m atische Aufbaumodelle) als solche zu b esch reiben und
zu c h a ra k te risie re n und e r s t dann die entsprechende Kette
'abzuleiten' auf Grund b estim m te r Regeln der 'K etten­
bildung'.

32
Das heißt: wir wollen das sy stem atisch trennen, was in
den 'B äum en' der generativen G ram m atik d u rch ein ander­
geworfen ist (mit einem nicht zu bewältigenden Rest, der
der T ran sfo rm atio n zugeschlagen wird).
Daß diese saub ere Trennung möglich ist, w ar am Anfang
nur eine A rbeitshypothese. Sie hat sich als fruchtb ar e r ­
w iesen und zu neuen E insichten geführt: das erm u tig t uns,
den V ersuch bis zum Ende zu treib en , d .h . eine g a n z e
G ram m atik der deutschen Sprache nach d iesem P rinzip
aufzubauen.

33
Zum B e g r i f f 'S p e z i f i s c h e E i n h e i t 1
Die generative G ram m atik hat den Begriff 'p h ra se ' / f r e i z /
geprägt: v e rb -p h ra se (VP), noun-phrase (NP). Damit
wird in die Stufenfolge der Knoten (nodes) vom Satz bis
zur Kette (term inal string) eine wichtige D ifferenzierung
eingeführt.
Dahinter steht die F eststellun g, daß Gefüge seh r v e r ­
schiedenen Umfangs m iteinander in gleicher Funktion
austauschbar sind: sie w erden von dem selben 'P -M a rk e r'
abgeleitet. D arauf beruhen die Regeln des 're w ritin g ',
z.B . N P^A dj.-I-Subst.; Adj.=* Adv.-t-Adj.
Hans trin k t Wein.
Hans trin kt guten Wein.
Hans trin kt se h r guten Wein.
Damit ist der Weg gebahnt zu ein er folgerichtigen stru k ­
tu relle n G ram m atik. Wir sind der Meinung, daß noch
einige Schritte zu tun sind, bis die eingeschlagene Linie
bis zum Ende geführt w ird. Dazu gehört die genaue Schei­
dung zwischen g ram m a tisch em Bau und Erzeugung der
Kette, und, entsprechend der S aussu reschen F orderung,
eine genaue Abgrenzung und C h arak terisieru n g der r e le ­
vanten E i n h e i t e n .
Wir schlagen in diesem Sinne folgende m ethodologischen
P rinzip ien vor:
1) Das W o r t , als syntaktisch nich t-relev an te Einheit,
soll syste m atisch aufgelöst werden: die Teile des W ortes,
die m it dem lexikalischen K ern nicht syntaktisch v e r ­
bunden sind (Anzeiger für T em pus, N um erus z. B. ),
werden ih re r funktionellen Stelle im g ram m a tisch en Bau
(Struktur) zugewiesen. D er Begriff Kongruenz w ird auf
diese W eise p rob lem atisch gem acht, wo nicht ganz b e ­
seitigt.
Wir stehen dann vor einer viel größ eren Zahl von D is­
junktionen a ls u n sere V orgänger, und vor ein er größ eren

34
Zahl von sich kreuzenden Linien auf dem 'B aum '. Selbst
ein einfacher Satz wie Hans lacht ist nicht-projektiv,
wenn wir die Stellung der A nzeiger für Tem pus und P e r ­
son berücksichtigen.

Die praktische B rauchbarkeit der baum ähnlichen G ra ­


phen, die unübersichtlich werden, wird dadurch in F rag e
gestellt. W ir sind dadurch im Vorhaben b estärk t, das
verstohlene Ü bergehen vom ab strak ten Bau zur V e rte i­
lung (distribution) der Teile der Kette und die sich d a­
raus ergebende U nklarheit zu verm eiden.
2) Was vom Wort bleibt, wenn man die A nzeiger für g ra m ­
m atische K ategorien abgetrennt hat, ist ein nacktes lexika­
lisches E lem ent. D ieses kann einfach (ein Monem) oder zu­
sam m engesetzt sein: z. B .la c h - .aber v e r la c h - .u n te r-g e h -;
Baum, aber O bstbaum . Die Zusam m enfügung der h ier in
F rage kom m enden M inim aleinheiten gehorcht besonderen
Normen, die b ish er unter dem B egriff W o r t b i l d u n g
gehen. Es handelt sich ric h tig er um die Bildung von
L e x e m e n (gegebenenfalls von L e x i e n im Sinne
P o ttie r s ^ ) : festgew ordenen syntaktischen Bildungen,
z. B. stand-halten. R ed e-steh en ).
Die G esetze, welche die E rw eiterung (expansion) einer
syntaktischen Einheit regeln, sind grundverschieden von
denen, die die Bildung kom plexer Lexem e regeln.
Es ist z. B. gelegentlich bem erkt worden, daß im Kom ­
positum A r iy jje r je k a s e r^ der B estandteil A rtillerie nicht
durch ein epith etisch es Adjektiv e rw e ite rt w erden kann:

35
die Inschrift ' Reitende A rtille rie k a s e rn e ' ist eine s p ra c h ­
liche Entgleisung, die zu Witzen Anlaß gibt, neben m ö­
b lie rte r Z im m e r h e r r , usw. Dagegen ist K aserne d er r e i ­
tenden A rtille rie sprachrich tig , da A rtille rie h ier d er
Kern e in er nom inalen Einheit (NP) ist. Diese Einheit
untersteht dem Gegensatz 'b e stim m t-u n b estim m t', wie
d er bestim m te A rtikel zeigt, was für A rtille rie als Kom ­
positionsglied au sg eschlossen ist.
Von solchen B etrachtungen ausgehend gelangen w ir zum
Begriff ' s p e z i f i s c h e E i n h e i t '1®), den wir z u erst
am Beispiel d er verbalen Einheit und der nom inalen E in ­
heit, die ungefähr den Begriffen VP und NP der g e n e ra ­
tiven G ram m atik entsprechen, d e m o n strieren wollen.
Die Bestandteile e in e r spezifischen Einheit (SE) sind nach
u n s e re r Ansicht:
a) ein, und nur ein lexikalisches E lem ent, einfach oder
zusam m engesetzt, z. B. geh-, un ter-g eh - . E s ist ein
n a c k t e s lex ikalisches E lem ent, ohne die ihm auf der
Kette angehängten, oder m it ihm verschm o lzenen An­
z e ig e rn ^ .
Wir nennen diesen B estandteil K ernteil (K).
b) G lieder, od er Expansionen, die selbst den Status ein er
syntaktisch selbständigen Einheit, ein er spezifischen
Einheit haben; ihre Zahl ist nicht beschränkt; sie können
auch ganz fehlen.
In der Regel geht nur e i n e s d er G lieder mit dem lex i­
kalischen K ern eine Konnexion ein: ein zw eites Glied v e r ­
bindet sich dann mit dem Komplex, d er sich aus der V e r ­
bindung des e rste n Glieds mit dem K ernteil ergibt, usw.
Z. B. : der König v e rsp ra c h dem Sieger die Hälfte seines
Reichs. Das S tru k tu rd iag ram m wäre:
(P rät. In d .)
der König dem Sieger die Hälfte sein es R eichs v e rsp re c h -

36
(nominale Einheit): begabte ausländische Studenten

(Unbestim m t, P lu ral) begabt- ausländ isch- Student-

Jede spezifische Einheit ist durch ein beso n d eres System


von Konnexionen zwischen den G liedern und dem Kern,
beziehungsw eise dem den Kern enthaltenden Komplex
c h a ra k te risie rt. Z. B. ist die Konnexion S ubjekt-Prädikat
für die verbale Einheit, das A ttributverhältnis für die
nominale Einheit ch a ra k te ristisc h .
c) A nzeiger, die sich auf kleine geschlossene Systeme
(die g ram m atisch en 'K ategorien' des T em pus, Modus,
N um erus usw. ) beziehen. Die Angaben, die sie bringen,
wie 'vergangen', 'b estim m t', betreffen den Inhalt des
g a n z e n Kom plexes, d er aus der Verbindung des K ern­
teils und d er G lieder (spezifische Einheiten) entsteht,
(den Inhalt des K ernteils, wenn die Zahl d er G lieder
gleich Null ist).
Z. B. : die ausländischen Studenten der M edizin.
B estim m t (d-)
P lu ra l
(~ie. -en. -e n ) ausländisch- d er Medizin Student-

Zahl der G lieder gleich Null: die Studenten.


B estim m t (d - )
P lu ral (-ie, -en) Student-
I____________ I

37
Wir nennen diesen T eil p ro v iso risc h Deckteil (D), als
Hinweis darauf, daß seine Bestandteile den ganzen K om ­
plex betreffen, d. h. eine Konnexion b eso n d erer A rt mit
ihm eingehen.
Aus pädagogischen Gründen könnte m an auch an folgende
graphische D arstellung denken:

b estim m t, P lu ra l (Deckteil)

ausländisch- d e r Medizin Student-


S. E. S. E. (Kernteil)

P rä s e n s , Indikativ (Deckteil)

aus kleinen Bächen große F lü sse w erd-


S. E. S. E. (Kernteil)

W esentlich ist, daß die h ier aufgezählten d rei B estand­


teile grun dv ersch ieden er A rt sind, und zw ar in m e h r­
facher Hinsicht. Die A nzeiger gehören kleinen g esch lo s­
senen O ppositionssystem en an, deren h o ch ab strak ter In­
halt sich schw er definieren läßt. D er K ernteil gehört d a­
gegen dem lexikalischen System , d .h . dem großen offenen
System a n l8 )#
Die G lieder, wenn es solche gibt, un terscheiden sich von
den E lem enten d er zwei anderen Teile (Deckteil und K ern ­
teil) dadurch, daß sie selbst den Status ein er spezifischen
Einheit haben, die selb er prin zipiell expansionsfähig ist.

38
Die G lieder unterscheiden sich a n d e re rs e its dadurch,
daß sie fehlen können, wogegen zum B estand einer v e r ­
balen bzw. nom inalen Einheit Deckteil und K ernteil no t­
wendig gehören, als ein Minimum.
W eitere B eispiele für die D reiteiligkeit d er verbalen,
bzw. der nom inalen Einheit:
.. . du lachtest so wenig.
Deckteil S. E. (Glied) S. E. (Glied) K ernteil
P rä t. (-te) du -st so wenig lach-
Indik. ( 0 )

. . . . das Land, wo die Z itronen blühn . . .


Deckteil S. E. (Glied) K ernteil
B estim m t (d-)
Sing. -as. 0) wo die Zitronen blühn Land-

Wir gebrauchen im Folgenden für den K ernteil (lexika­


lisch es Elem ent) das Symbol K, eventuell in k^, k 2 usw.
aufgelöst. F ü r den D eckteil D, eventuell in d^, 62 usw.
aufgelöst. F ü r die G lieder das Symbol G ( = S. E. );die
G lieder sind in der Reihenfolge der Konnexionen num e­
r ie rt, G}, G 2 usw. und zw ar weist G^ auf die e rste Kon­
nexion, diejenige, die ein Glied unm ittelbar m it dem K ern-

39
teil verbindet, G 2 auf die nächste, die den Komplex Gj+K
als zw eites Konnexionsglied hat.
Z. B. :
der König dem Sieger die Hälfte seines R eichs v e rs p re c h -
(D) G3 G2 G1 K

Das Symbol für eine spezifische Gruppe w äre demnach:

D K

Der senkrechte T re n n stric h weist auf die H eterogenität


d e r drei T eile, Deckteil, S. E. -teil, K ernteil.
Es sei ausdrücklich daran e rin n e rt, daß diese Anordnung,
von rech ts nach links, wenn m an vom K ernteil ausgeht,
willkürlich, reine Konvention ist. W ir hätten ebensogut
die um gekehrte Folge, K, G^ G 2 . . . D wählen können.
Wir haben diejenige gewählt, die für einen D eutsch­
sprechenden w eniger befrem dend ist, da auf der Kette
die Folge d e r entsprechenden T rä g e r e h e r (statistisch
häufiger) so gerich tet ist:
Z. B. : d er hohe Baum: d^ (bestim m t) hoh- Baum
-e r. -e. 0 (Sing.)
D Gx K
Ob Hans Wein tr in k t? -i- (P rä s.) Hans Wein trin k-
0 (Indik.)
D G2 G x K
40
Nam entlich die Nebensatzfolge (konjunktioneller Neben­
satz; 'S p an n satz'19) bei Glinz) hat eine nahe Ähnlichkeit
mit der konventionellen Folge, die wir vorschlagen.
Da die 'G lieder' selbst spezifische Einheiten sind, geben
sie Anlaß zu e in e r Analyse zw eiter Stufe, usw. Als B ei­
spiel diene der V ers:
Kennst du das Land, wo die Z itronen blühn?
In d iese r verbalen Einheit finden wir ein Glied (Kon­
n ex io nsglied einer Verbindung O bjekt-V erb), näm lich die
nom inale Einheit das Land, wo die Z itronen blühn. Der
K ernteil ist L an d -, das einzige Glied ist die verbale E in­
heit wo die Z itronen blühn. D iese verbale Einheit en t­
hält, in Subjektfunktion, ein nom inales Glied, die Z itro ­
nen, gekoppelt mit dem P erso n en an zeig er -en (3. P I . ).
Die nom inale Einheit enthält kein Glied, sondern ist auf
das Minimum beschränkt: Deckteil (bestim m t, P lural)
und K ernteil (Z itro n e -). Eine Analyse wie diese, die Stufe
für Stufe in die Tiefe geht, endet notwendig im m er so;
denn gäbe es h ie r ein 'G lied', so würde dieses zu ein er
neuen Analyse Anlaß geben.
Man denkt dabei an jene A rt ru s s is c h e r Puppe (m atrioska),
die eine Puppe enthält, und diese w ieder e in e ... Der
Deckteil entspricht dem oberen T eil der Puppe, der K ern ­
teil dem unteren T eil, der sozusagen d er T rä g e r des
G anzenist; die zwischen beiden Hälften der e rste n Puppe
enthaltene zweite Puppe entspricht einem Glied, das s e l­
b er dieselbe S truktur aufweist, usw. Nur daß jede Puppe
jed esm al nur eine klein ere enthalten kann, wogegen die
Zahl der G lieder nächsten Ranges in ein er spezifischen
Einheit nicht beschränkt ist.
Unabhängig von uns war der niederländische F o rs c h e r
P a a r d e k o o p e r 2 0 ) m it dem A usdruck "nestedoosje" (Ein­
schachtelungsbüchse) auf diesen Gedanken gekom m en.
Im Sinne d ie se r Ausführungen können wir ein er gegebenen

41
Kette ein S truk turdiagram m zuordnen, das diese Stufen
der Analyse d a rste llt.
Z. B. : der König des Landes rief die K rieg er zusam m en.
D iagram m : D G2 Gj K

D' G[ K1
I------- A------ > I
D' A
K 11

D: P rä t. In d ., G2: d er König des L an d es.


G j: die K rie g e r. K: z u s a m m e n -ru f-.
G2: D ':bestim m t, Sing.; G'^: des L andes; K':König.
G^: D ':bestim m t, P lu r .; K ':K rieger~ .
G' j : D"'.bestim m t, Sing.; K ":L and -,
(Das Zeichen für 'G enitiv' in des Landes (-es-t—es) ist
auf die K o n n e x i o n zwischen König und d- L a n d z u b e-
ziehen, also weder auf das eine, noch auf das andere
Glied der Konnexion. E s ist ein Stellungsgesetz der deut­
schen Kette, daß dieses Zeichen eben diesem Konne­
xionsglied, und nicht dem ändern, angehängt ist. )21)
Der Begriff 'spezifische Einheit' scheint uns deshalb
wichtig, weil e r nach zwei Seiten weist:
1) e r läßt sich durch eine i n n e r e Analyse c h a ra k te ri­
sieren, die eben d e m o n strierte dreiteilige Analyse.
2) e r c h a ra k te ris ie rt sich n a c h a u ß e n dadurch, daß
nur eine S. E. eine syntaktische Konnexion eingehen kann,
und zw ar innerhalb e in er S. E. d er nächsthöheren Stufe.
Die nom inale Einheit das Land, wo die Z itronen blühn

42
läßt sich aufgrund e in e r Analyse in D+G1+K als S. E.
ch ara k te risie re n ; zugleich läßt sie sich dadurch als E in­
heit c h a ra k te risie re n , daß sie a l s G a n z e s eine Ob­
jektfunktion in Bezug auf den K ernteil kenn- träg t. Auf
d ieser doppelten E igenschaft beruht in den m eisten e u ro ­
päischen Sprachen der Gegenwart die Möglichkeit der
R ekursivität in der Erzeugung sp ra ch lich e r Gefüge.

43
S t e l l u n g n a h m e zu T e s n i d r e
E s ist kein g erin g es V erdienst L. T esn id res, daß e r früh
(gegen 1930) die oben besch rieben en Stufen der Analyse
und ihren Z usam m enhang mit spezifischen Einheiten e r ­
k a n n te ^ ). Seine stem m aähnlichen D iagram m e versuchen,
diese Stufen der Analyse graphisch darzustellen; und
seine T ran slatio n sle h re hängt mit dem Begriff spezifische
Einheit (verbale, nom inale usw. ) zusam m en.
Wir tun jetzt nichts an d eres, als m it neuen E insichten, die
wir z. T. eigener F orschung, z. T. der w eiteren E n t­
wicklung der Sprachw issenschaft verdanken, L eitg e­
danken, die T e sn id re s Stem m a zugrunde liegen, w ied er­
aufzunehmen.
Jedoch scheinen uns beträchtliche Berichtigungen und
Vorbehalte nötig, wenn wir auf d ieser Grundlage neu auf­
bauen wollen.
1) T esn ie re behielt die Begriffe W ort und W o rtart (W ort­
klasse) bei, wie e r sie von der herköm m lichen G ra m ­
m atikbekom m en hatte. E r blieb bei ein er i n h a l t l i c h e n
Definition der W ortarten, ohne viel darauf einzu­
gehen.
Nun ist das Wort keine Einheit der syntaktischen Struk­
tur, und der inhaltlichen Definition der W ortarten liegt
eine V erw echslung mit den K lassen spezifischer E in ­
heiten zugrunde: das Substantiv, heißt es, weist auf
'G rößen', nun sind ausländische Studenten der Medizin
ebensogut 'G rößen', wie Studenten (W ortart Substantiv).
Je d er durch Definitio und N um erus gedeckte Komplex
entspricht der inhaltlichen Definition des Substantivs.
Die generative G ram m atik führt diese E rkenntnis auf dem
Umweg der rew riting ru le s (Subst.=^A dj.+Subst.) wieder
ein; das ist ein nach u n s e re r Ansicht um ständlicher U m ­
weg.
N achdem , was oben ausgeführt worden ist, kom m en wir
m it d rei relevan ten Einheiten aus, deren keine das Wort
ist, nämlich:
a) die M inim aleinheit aus Signans und Signatum (Monem

44
bei M artinet, M orphem nach am erik an isch em Brauch).
Auch der Deckteil besteht aus solchen Einheiten, die sich
als T eile eines kleinen P arad ig m as definieren lassen.
b) die kom plexe lexikalische Einheit (verlach-, ü n ter-
geh-), die auch einen K ernteil abgibt; ih r Aufbau g e­
horcht besonderen G esetzen, die Sache d er sog. W ort­
bildungslehre sind.
c) die spezifische Einheit, wie wir sie am Beispiel der
verbalen und der nom inalen Einheit, m it ih ren drei T e i­
len, zu c h a ra k te risie re n versuchten.
Das 'W ort' fehlt hier. Die obigen D iagram m e zeigen, daß
schließlich auf e in er oder der anderen Stufe d er Analyse
jede W o r t f o r m in M inim aleinheiten aufgespalten wird.
Z. B. w ird auf d er letzten Stufe in die Z itronen das P lu ­
ralzeich en ^n m it -ie vereinigt, und es bleibt das nackte
Lexem Z itro n e- a ls K ernteil.
Bekanntlich erkennt T e sn ie re in je d er spezifischen E in­
h eitein Knotenwort (noeud), stellt e s oben hin und v e r ­
bindet es durch K onnexionsstriche m it den von diesem
Knotenwort 'abhängigen' Elem enten.
Der Textteil D er König des Landes rie f die K rieg er zu­
sam m en ließe sich zum B eispiel nach T e sn iö res Methode
durch folgendes Stem m a darstellen:
rie f

der L andes die


/
des

Der A rtikel w ird als vom 'noeud' abhängig betrachtet,

45
und etwa auf dieselbe Höhe gestellt wie ein echtes Attribut
(des L and es). Wir sind v erstän d lich erw eise nicht damit
einverstanden.
Der lexikalische K ern z u sam m en -ru f- ist h ier in zwei
W örter aufgespalten, und die P a rtik e l zusam m en anderen
G liedern (Subjekt, Objekt) gleichgestellt. T esn iö re sah
jedoch ein, daß h ie r ein lex ik alisch er K ern vorlag (die
K rieg er ist Objekt von z u s a m m e n -ru f-, nicht von r u f - ).
E r prägte den Begriff nucleu§23) und verband die Teile
des nucleus durch eine geschlossene Linie (cercle de
nucleus), z. B. :

werden

gerufen

Mit dem bildlichen A usdruck 'noeud' gab T esn i^re zu


verstehen, daß das Knotenwort die Bestandteile der sp e­
zifischen Einheit zusam m enhält.
Dahinter stecken, im Sinne d e r obigen Ausführungen,
zw eierlei richtige, wenn auch nicht k la r fo rm u lierte E r ­
kenntnisse:
1) der K ernteil ist die Grundlage des ganzen Baus, in ­
sofern e r zu ein er e r s te n Konnexion Anlaß gibt, wodurch
ein Komplex entsteht, der w iederum zu ein er Konnexion
Anlaß gibt, usw.
2) im Knotenwort sind Elem ente des D eckteils enthalten,
die sich auf den Inhalt der g a n z e n Einheit beziehen,
nam entlich im F alle des V erbs, die T em pus- und M odus­
anzeiger.
Man könnte zur Not D und K durch zwei K lam m ern sy m ­
b o lisieren, welche die G lieder von oben und von unten

46
umfaßten, z. B.

P rä t. Indik. (rief)
_______ A__________ 1
d er König die K rieg er
1 V------------------'
zu sam m en -ru f-

T esn id res D arstellung läuft darauf hinaus, D und K im


Knotenwort vereinigt zu lassen; die zwei K lam m ern fal­
len gleichsam zusam m en. Das versteh t sich noch für die
verbale Einheit, paßt aber nicht m ehr für die nom inale. In
der deutschen Nom inaleinheit ist der Anzeiger für
'b estim m t' kein T eil des Knotenworts, und dem Substantiv
als Knotenwort ist nur ein T e i l des N um eruszeichens
angehängt (nicht im m er der deutlichste).
Die Striche, die vom Knotenwort zu den anderen B estand­
teilen der S. E. (oder ih rem Knotenwort) gehen, sind
nach T e sn i^ re s B rauch 'K onnexionsstriche'. Wir sind
der Ansicht, daß nur ein Glied mit dem K ernteil direkt
verbunden ist. Wir können den Strichen im Stem m a nur
den W ert eines Z u g e h ö r i g k e i t s Zeichens zuerkennen:
die G lieder gehören ein er H ierarchie von Konnexionen
an, die letzten E ndes vom K ernteil ausgeht.

47
Ich habe früh er den deutschen V erbalsatz mit einem
Schlüsselbund verglichen, wobei der Ring dem Verb, die
Schlüssel den S atzgliedern e n ts p ra c h e n ^ ). E s hat sich
als pädagogischer T rick bew ährt, um französischen
Schülern die Zw eitstellung des V erbs im deutschen A us­
sagesatz beizubringen: m an wählt einen S chlüssel aus,
darun ter hängt d e r Ring, dann kom m en die anderen
Schlüssel. Der V ergleich ist irrefüh ren d, da e r nah e­
legt, daß alle S atzglieder mit dem verbalen Kern un­
m ittelbar verbunden sind. T e s n iè re hat ihn ohne Be­
denken in seine Syntax aufgenommen.
T esn ière nahm an, daß alle B estandteile ein er syntak­
tischen Einheit sich zum Knotenwort verhielten, wie r e ­
gierte B estim m ungen zum reg ieren d en Wort (régissant).
E r begründete dam it - gleichzeitig m it Hays, doch ohne
ihn zu kennen - eine sog. A bhängigkeitsgram m atik.
Diese V erallgem einerung des Begriffs Rektion scheint
uns bedenklich. T e sn iè re mußte dann für 'notwendige'
Satzglieder eine U n terart der Rektion, die W ertigkeit
(valence), erkennen.
Was allgem ein gegeben ist, ist u .E . nur, daß zwei E le ­
m ente als G lieder ein er (nicht-gerichteten) Konnexion
fungieren. Das V erhältnis S ub jekt-P rädikat nam entlich
ist das einer gegenseitigen V oraussetzung, wie H jelm slev
hervorgehoben hat^S).
In einem gegebenen Typ spezifischer Einheit können G lie­
der versch ied e n er Art gefunden werden: in einer v e rb a ­
len Einheit kann m an nom inale, verbale, adverbiale E in ­
heiten finden; in einer nom inalen Einheit kann m an adjek-
tivale, nom inale, verbale A ttribute finden. Das ersc h w ert
die Sprachbeschreibung, denn mit w elcher spezifischen
Einheit m an auch anfängt, muß m an alle Typen als b e­
kannt v o rau ssetzen .
T e sn ière hat diesem Ä rg ern is dadurch zu entgehen v e r ­
sucht, daß e r annahm , die G lieder ein er verbalen E in ­
heit seien no rm ale rw e ise nom inale oder adverbiale E in ­

48
heiten: ein O bjektsatz wurde dann als N o m i n a l i -
s i e r u n g einer verbalen Einheit, als T ran slation , hin­
gestellt; e r nahm an, daß die G lieder ein er nom inalen
Einheit Adjektiva w aren, und besch rieb den adnom inalen
Genitiv als T ran slatio n eines Substantivs in die Adjektiv­
klasse.
Schließlich kom m t das auf eine Tautologie hinaus: setzt
man 'Glied ein er Nom inaleinheit = Adjektiv', so ist per
definitionem jedes Glied ein er Nom inalgruppe adjekti­
visch.
Ein T eil der T ra n slatio n sle h re T esn iö re s ist deshalb ein
zu unrecht abg espaltener T eil e in er L eh re von der Z u­
sam m en setzu n g sp ezifisch er Einheiten: b e s s e r w äre es,
ohne diesen Umweg die S. E .en aufzuzählen, die in einem
Typ spezifischer Einheit als 'G lied er' Vorkommen kön­
nen.
Was T esnidre v erhind ert hat, den mit dem Stem m a ein ­
geschlagenen Weg bis zum Ende, d .h . bis zur Klarheit
und F olgerichtigkeit zu gehen, ist der D ruck ein er T r a ­
dition, die die Begriffe Wort und W ortklasse der G ra m ­
m atik seit zwei Jahrtau senden zugrunde legt. So konnte
e r nur auf Umwegen und um den P r e is in n e re r W ider­
sprüche den Weg b e re ite n für eine G ram m atik, die die
'spezifische E inheit', die syntaktisch relevante Einheit,
als Leitbegriff für die Analyse der m odernen eu ro p ä ­
ischen Sprachen benutzt.

49
Innere Struktur der spezifischen Einheit

Die Analyse des inneren Aufbaus der spezifischen E in­


heiten, beso n d ers die H ierarchie der Konnexionen, auf die
T esn i^re eben nicht eingeht, stellt uns vor neue P ro blem e,
auch P ro b lem e der Benennung,
Bei ein er Struktur (D ( Gn . . .. (G 1 K ))) sind (Gj K) , dann
(G2 (Gl K)) jew eils G lieder e in er Konnexion mit dem näch­
sten Glied (etwa G 3 ), das im m er eine S. E. ist.
D iese Z w ischenstufen des Aufbaus, deren 're c h ts ' g e le ­
gener B estandteil im m e r der lexikalische K ern ist, sind
keine spezifischen Einheiten, denn ihnen fehlt dazu der
Deckteil, d er die letzte Stufe des Aufbaus 'd eckt'. Diese
Zw ischenstufen (G^ K) , (G 2 (Gj K)) usw. nennen wir
K o m p l e x e . D er D eckteil 'deckt' den Endkomplex, das
E rgebnis der letzten Konnexion, zw ischen Gn und dem K om ­
plex, der mit Gn _i beginnt. Z .B .:
Im Schl* fallen einem die gebratenen Tauben in den Mund

D (Im Schlf(einem^iie gebratenen Tauben(in den Mund(fall-)))),

D( G4 (G 3 (G, (Gx K))))

* Schlaraffenland

Die Komplexe haben einen M itteilungsinhalt, der Gegen­


stand ein er E xegese w erden kann, sind ab er nicht im stande,
als G lieder e in e r nächsthöheren S. E. zu fungieren, da
ihnen der D eckteil fehlt. Z. B. kann ' in den Mund fall - 1
keine syntaktische Funktion bekom m en.

50
In d iesem Sinne ist der mit einem Nebensatz verbundene
Hauptsatz . . . . kein Satz, sondern nur ein Komplex.
Z. B. : Wenn es regnet, nehm e ich einen R eg en sch irm .
D ( wenn es regnet (ich (einen R eg ensch irm (nehm - ))))
D (G 3 (G 2 (G1 K)))

sog. Hauptsatz

D er Satz Ich nehm e einen R egenschirm (D G 2 G^ K) ist


ein a n d e r e r Satz, dem Gg fehlt.
Das zweite Glied e in e r Konnexion, deren e r s te s Glied ein
g ram m a tisch es Subjekt ist ( in den Mund fall- mit dem
Subjekt die gebratenen Tauben ) , ist ein Komplex, dessen
G liederzahl von Null bis n gehen kann.
Wegen der besonderen Stellung d er Subjektfunktion, der
besonderen F o rm des Subjekts (das die Personenendungen
einschließt), scheint uns der mit dem Subjekt verbundene
Komplex eine besondere Benennung zu verdienen; dafür
bietet sich d e r T erm in u s P r ä d i k a t .
Wir m üssen aber ausdrücklich den landläufigen Gebrauch
der Benennung P räd ik at f ü r d e n v e r b a l e n K e r n
a l l e i n ( also fall(en ) im obigen Beispiel) mit Bann b e ­
legen. Das P räd ik at umfaßt alles, was in einem konjunk­
tioneilen Nebensatz 'r e c h ts 1 vom Subjekt steht:
Wie H a n s/d e r K atze/einen B lechtopf/an den Schwanz/band.

P rädikat

(Wir sehen h ier von den Elem enten des D eckteils ab).

51
Die alte Auffassung, der Satz entstehe aus der Verbindung
von Subjekt u n d 'V e rb 'u n d die anderen G lieder seien 'E r ­
gänzungen' dazu, braucht nicht ausdrücklich w iderlegt zu
werden.
H ier sei noch ausdrücklich bem erkt: syntaktische Kon­
nexionen, wie sie innerhalb ein er S. E. Vorkommen, v e r ­
binden zwei grundsätzlich verschieden e Elem ente: das
eine ist eine vollw ertige S. E . , das andere ist entw eder
der lexikalische K ernteil oder ein Komplex, der diesen
enthält, K od er (Gj K), (G 2 (G^ K)), u s w .; der o b erste
Komplex geht dann eine Verbindung mit den E lem enten
des D eckteils ein.
Diese grundsätzliche A n dersartigkeit der beiden Teile
einer syntaktischen Konnexion ist u. E. noch nicht genug
berücksichtigt worden. Sie könnte dem B egriff 'Abhängig­
keit' einen anderen, genaueren Inhalt geben als der un­
k lare Bezug auf das V erhältnis r e g is s a n t-re g i bei
T esn iere.
Die graphische D arstellung der g ra m m a tisch en Struktur,
die wir im Obigen den fertigen Sätzen zugeordnet haben,
macht letzten Endes den 'B aum ' entbehrlich.
Denn wenn w ir die Bestandteile der S. E. in der R eihen­
folge der Konnexionen ordnen, bekom m en wir im m er d a s ­
selbe Bild:
D G3 G2 Gi K

Je d er T eil verbindet sich mit einem Komplex, der alle


're c h ts' von ihm stehenden E lem ente, d a ru n ter im m er
den K ernteil, enthält. Wir ziehen aus p rak tisch en Gründen
diese graphische D arstellung vor, wo die horizontalen

52
Linien als Symbol für 'syntaktische Konnexion' zu v e r ­
stehensind. Wir können nötigenfalls d iesem horizontalen
Strich ein Symbol für die A rt der Konnexion beigeben
(z. B. Konnexion S ubjekt-Prädikat).
In der D arstellungsw eise der generativen G ram m atik e r ­
scheint ebenso kla r, daß wir im m er denselben Baum b e ­
kom men, wo alle Knoten auf der rech ten Linie liegen:
S .E .

Das 'W ied erschreib en' der Elem ente e in e r S. E. n a c h


d e r R e i h e n f o l g e d e r K o n n e x i o n e n kom m t auf
eine Ü bertragung in eine p o s i t i o n e i l e M e t a s p r a c h e
hinaus.
Ist der g ram m atisch e Bau, die S truktur, auf diese Weise
klar gem acht, so kann das P ro b lem der Anordnung d ieser
Elem ente in der Kette m ethodologisch abgetrennt und in
re in e r F o rm angefaßt werden. E s ist zunächst ein P r o ­
blem der Um stellung (Translokation). Z. B. :

B estim m t P lu ra l ausländisch der M edizin Student


D G, K

d-ie a u s lä n d is c h e n Studenf-en der Medizin


Dazu kom mt die A usgliederung der phonischen Kette in
U ntereinheiten, P h ra se n (im Sinne I s a 6 e n k o s ) 2 6 ) > W örter

53
(mit G renzsignalen), W ortteile. Die Regeln für die E r ­
zeugung der Kette würden h ier etwa lauten:
1) Dem K ernteil (Student-) w ird das adjektivische Attribut
(au slän d isch ) v o ran gestellt, das nom inale Attribut (der
M edizin) nachgestellt.
2) Das Zeichen für 'b e stim m t', näm lich / d - / wird dem
so entstandenen Komplex vorangestellt.
3) Das diskontinuierliche Zeichen für P lu ral, -ie. -e n ,
-e n ,verteilt sich auf den K ernteil und die 'links' von ihm
stehenden E lem ente, A rtikel und Adjektiv, also: d-ie aus-
ländisch-en Student-en.
Wir trennen dam it zwei K lassen von O perationen, die bei
der Ableitung der Kette vom Symbol S verm engt sind.
A llerdings drehen sich jetzt Distinktionen wie deep g ram -
m arA /surface g ra m m a r, g ram m a tical encodingo-phono-
logical encoding um dieses Problem 27).
Wir haben h ie r bish er von ein er u. E. weniger wichtigen
F rag e abgesehen, näm lich der der V arianten des Signans
bei gleichem Signatum: die Opposition P rä s e n s 'v P r ä -
te ritu m beruht bei den schwachen V erben auf einem
Gegensatz 0 ^ - t e - , bei den stark en V erben ab er auf
Gegensätzen des Stam m vokalism us (trin k - 'v tr a n k - ,
bleib- -■vblieb. g rab - g r u b - , . . ). Diese V arianten sind
bald lexikalisch bedingt, wie h ie r, bald g ram m atisch :
d e r U nterschied S in g u la r/P lu ra l z. B. bedingt eine andere
F o rm der K asusanzeiger. Daher ein k o m p liziertes Netz
fo rm aler Regeln, das sich aber m it einiger Geduld en t­
w irren läßt; die E inlieferung d ie se r m orphologischen
Regeln in das P ro g ra m m ein er Ü bersetzungsm aschine
bietet keine prinzipielle Schw ierigkeit.
Wir stehen vo r ein er Wahl: wir können schon in der D a r­
stellung des ab strak ten Baus die V arianten des Signans
berücksichtigen: das Zeichen für P rä te ritu m schreiben
wir - t e - , wenn das verbale L exem d e r 'schw achen K lasse'
angehört, - a - für ein Verb wie trinken, binden, usw.
54
r

U nsere G ram m atik ist dann eine M orphosyntax, Syntax


plus Morphologie, diese aufgefaßt als eine L ehre von den
willkürlichen, nicht-bedeutungtragenden V arianten des
Signans.
Wir können aber die Wahl der kontextbedingten Varianten
als eine Angelegenheit der A usdrucksebene im Sinne
H jelm slevs betrachten. Auf dem S trukturdiagram m
schreiben wir dann nur "Zeichen für P rä te ritu m " oder
wählen durch Konvention -te - als Symbol für jeden An­
zeiger dieses Tem pus: z.B . trin k - + te> tr a n k - . Die Va­
rianten des Signans fallen dann der Erzeugung der pho-
nischen Kette zu; sie geben Anlaß zu ein er L ehre, die
den Namen Morphonologie für sich in A nspruch nehm en
kann.
Wir wählen die e r s te Lösung, da u n sere A ufm erksam keit
eher auf die Analyse von gegebenen Ketten als auf die
Erzeugung des Signans g erichtet ist. Bei der D arstellung
des abstrak ten Baus sind wir darauf angewiesen, als
Symbol für die Lexem e ihr Signans zu gebrauchen, z .B .
lach- oder / lax- /; wir tun dasselbe für die Anzeiger,
wenn' wir die jew eilige F o rm ih re s Signans als Symbol
wählen. In d iesem F alle beschränkt sich die Kettenbildung
auf die Stellungsregeln und auf die G liederung der Kette
in untere Einheiten der H ervorbringung (von denen das
phonologische Wort eine der wichtigsten ist).

55
W o r t k l a s s e n und s p e z i f i s c h e E i n h e i t e n
Der Begriff W ortklasse ist eine Quelle von Irrtü m e rn ,
denn e r beruht auf einem D urcheinander m e h r e re r Ge­
sichtspunkte.
Der H au ptirrtu m besteht u. E. darin, daß m an dem Wort
E igenschaften zuschreibt, die in W irklichkeit der sp e ­
zifischen Einheit eigen sind.
Das Verb ist eine Art M ikrokosm os, da h ier in e i n e m
Segment der Kette neben dem Lexem ein Teil des Sub­
jekts und die A nzeiger für T em pus und Modus (der Deck­
teil der verbalen Einheit) enthalten sind. T atsächlich
kann in den k lassisch en Sprachen ein solches Gebilde
allein einem Satz, ein er Ä ußerungseinheit gleichkom m en,
z. B. trek h ei " e r läuft"; der ab strak te Aufbau d ie se r Kette
läßt sich wie folgt darstellen:
(D (Gi K))
Indik. Subjekt Lexem
P rä s . (3.P.Sing.)
D ieses einzige Wort v erhält sich also a ls eine dreiteilige
S. E. Der U m stand, daß in den m odernen Sprachen W est­
europas das Subjekt durch ein selbständiges Wort, ein
Pronom en v e rtre te n ist (z. B. e r läuft), hat, im Bunde
mit logischen Theorien, eine Analyse begünstigt, die
V e r b und P r ä d i k a t gleichstellte. In Beispielen wie
ich laufe, Hans lach t, besteht tatsäch lich das P rädikat
aus dem V erb ( wenn man von den im 'V erb' e n t­
haltenen A nzeigern absieht).
D araus entstand eine andere V erw irrung: Tem pus und
Modus erschien en, da sie vom 'V erb' angegeben wurden,
als Eigenschaften des 'P rä d ik a ts ', nicht der Verbindung
Subjekt-Prädikat als eines Ganzen, ric h tig e r der V. E.
als solcher. Daher Bäume wie dieser:
S
NP V P (P rät.)
Hans lachte

56
Wir haben längst (seit 1950) die T hese verfochten, daß
Tem pus und Modus E igenschaften des Satzes sind, nicht
des V erbs^8); wir können jetzt hinzufügen: auch nicht
des P räd ik ats VP im A bleitungsdiagram m :
S^CPrät.)
NP VP.
Seitdem hat H arald W einrich die A ufm erksam keit darauf
gelenkt, daß dem P rä te ritu m eine 'E rzählhaltung' e n t­
spricht, die eine ganze Rede hindurch eingehalten werden
kann^9). Das Z eichen für diese Haltung w ird Satz für Satz
wiederholt. Wenn das Tem pus für eine Folge von Sätzen
gilt, gilt es um so eher für den Satz.
Ähnliche Bem erkungen können für die nom inale Einheit
gem acht werden: nicht das Substantiv hat eine Zahl,
sondern jed er nom inale K om plex;das B eispiel zwei Katzen
ist willkürlich gewählt; in zwei schw arze Katzen ist die
schw arze Katze die gezählte Einheit; wir können als s ta ­
tistisch e Einheit die ausländischen Studenten der Medizin
a n d e r U niversität H eidelberg wählen. E rs t der Deckteil
aus Definitio und N um erus schafft die Eigenschaften, die
die Schulgram m atik dem Substantiv zusch reibt. D um m ­
heit ist die Benennung ein er Eigenschaft, keiner "Größe";
wenn ich ab er sage: " ich habe mich zu ein er D um m heit.
zu ein er Reihe von Dummheiten v erleiten la s s e n ", e n t­
steht durch das Spiel des Deckteils eine zählbare Größe.
Im m er wieder haben die G ram m atik er den Irrtu m b e­
gangen, die E igenschaften einer W ortart von ein er S. E.
abzuleiten, die zufällig aus einem Wort bestand.
Das Segment / t r e k h e i / ist im G riechischen ein Wort
(eine W ortform ). A ber auf Grund ein es B eispiels wie
ho hippos trek h ei erkennt man ihm die Eigenschaften eines
P räd ik ats zu. Auf Grund des B eispiels trek h ei 'e r läuft'
schreibt m an dem Verb E igenschaften zu, die dem Satz
eigen sind. Ja, da eine Rede aus nur einem Satz b e­
stehenkann, ersc h ein t das Verb als der Redeakt an sich.
Die griech ische Bezeichnung für das Verb, rhem a, b e­
deutet auch 'A usspruch '.
57
Hinter ein er F o rm e l (rew riting rule) wie S u b s t . A d j . +
Subst. steckt noch etw as von d ie se r Unklarheit. Damit
sagt man aus, daß ein Komplex 'Adj.-|- Subst. ' dieselben
syntaktischen E igenschaften besitzt wie ein Substantiv:
do you see //th e cat ? do you se e //th e black c a t ? Aber
diese Eigenschaften sind in W irklichkeit die jed e r nom i­
nalen Einheit: sie werden un berechtigterw eise a ls im
Substantiv enthalten hingestellt. Im zweiten Glied der
F o rm el bezieht sich 'Subst. ' auf die lexikalische E in­
heit (cat), im e rste n ab er auf die S. E. und ihre syn­
taktischen Eigenschaften.
In u n sere Sym bolsprache übertragen: wenn D=Definitio/
N um erus, sind (DK), (D (Gj K)), (D (G 2 (Gi K))) usw. syn­
taktisch gleichw ertige, austausch bare Einheiten, nom i­
nale Einheiten (NP). Der F all, wo die Zahl der 'G lied er'
gleich Null ist, e rsch ein t dann als ein Sonderfall.
Wenn m an den Status eines 'L an des' vom Sonderfall der
Stadtrepublik H am burg ableitete, käm e man dazu, das
Land Bayern a ls eine 'E rw eiteru ng ' der Stadt München
zu beschreiben!
Die K lassifikation der W örter läuft auf eine K lassifikation
der S. E. en hinaus. Handelt es sich um 'v erän d erlic h e'
W örter, so beruht die K lassifikation auf ih re r M orpho­
logie, d .h. auf den E lem enten des D e c k t e i l s , die sie
enthalten: arb eitete ist gewiß ein 'V erb ', weil mit dem
Lexem ein T em pusanzeiger -te - innerhalb der G renzen
des K ettensegm ents Wort enthalten ist. Dagegen ist a r-
zweideutig, da es ebenso in ein er nom i-
nalen wie in ein er verbalen Einheit gefunden w erden kann
(die A rbeiten, sie a rb e ite n ).
Fehlen E lem ente des D eckteils überhaupt, so ist die Z u­
ordnung zu ein er 'W o rtart' nur von e in er S. E. aus m ög­
lich: in the fire ist fire ein 'Substantiv'; in I fire ein
'V erb'.

58
Das noch un erforschte P ro b lem ist das des V erhältn isses
zwischen Lexem und S. E. : / a r b a i t - / kann als K ernteil
(nacktes Lexem) im S truk turdiagram m e in er verbalen
wie ein er nom inalen Einheit Vorkommen (sie arbeiten,
die A rbeiten), /h u n d / dagegen nicht. Die V erteilung ist
in hohem Maße w illkürlich, weil sie h isto risc h bedingt
ist: hinter fisch(en) und F isch stehen die 'S täm m e' fisko-
und *fiska- . E s entstehen d arau s für die m aschinelle
Ü bersetzung P ro b lem e d er Homonymie, die im Englischen
besonders störend sind.
Ein a n d eres, noch nicht sy stem atisch e rfo rsc h te s P r o ­
blem ist das P ro b lem d e r W echselbeziehungen zwischen
Inhalt des D eckteils und Inhalt des K ernteils: da die v e r ­
bale Einheit der K ategorie des T e m p u s un tersteht, muß
der damit verbundene Komplex auf etw as w eisen, das eine
Strecke der Zeitlinie ausfüllen kann: z .B . arbeiten, gute
Romane lesen, den K indern bei der A rbeit helfen. Daher
die inhaltliche Definition: le verbe est l'e x p re ssio n d'un
p r o c è s , das Verb drückt einen Vorgang aus. R ichtiger
wäre: die verbale Einheit schließt, auf Grund ih re s Deck­
te ils, die V orstellung e in er T eilnahm e am F o rtsc h re ite n
der Zeit ein (auch wenn es sich um die D auer ein es Z u­
stands handelt, was in'V organg kaum enthalten ist).
Kurz, wir m üssen uns gewöhnen, die K lassen sp e z i­
fisch er Einheiten als das P rim ä r e , die W o rtarten als
einen indirekten Bezug auf diese einzig relevanten E in ­
heiten der Struktur (T iefenstruktur) zu betrachten. Die
Erzeugung der 'W ortform en' ersc h ein t dann als ein P r o ­
blem der Kettenbildung (O berflächenstruktur).

59
D ie s p e z i f i s c h e n E i n h e i t e n d e s D e u t s c h e n

Wir haben b ish er den B egriff 'sp ezifische Einheit' (S. E. )


an den zwei vollständigen R ealisationen des Typus, der
v erbalen (V, E . ) und der nom inalen (N. E . ), d e m o n striert.
Sie bilden zusam m en eine U n terklasse gegenüber den
anderen Typen, die ä r m e r sind.
Die M erkm ale, die V. E. und N. E. voneinander u n te r­
scheiden, sind v ersch ied e n er Art:
An e r s t e r Stelle kom m t die N atur des D eckteils: Modus
und Tem pus auf e in e r Seite, Definit io und N um erus auf
der anderen.
Ein zw eiter U nterschied, der noch, wie der e r s te , die
abstrak te Struktur (vor der Kettenbildung) angeht, betrifft
das System d er Konnexionen, die den inneren Bau der
Einheit kennzeichnen: die Subjekt- und die Objektfunktion
sind typisch für die V. E . , die Attributfunktion für die
N. E.
Ein d ritte r U nterschied besteht in der Art der Bildung
des K ernteils, wenn d ie se r nicht aus einem einfachen
Lexem (Monem) besteht. P e rip h ra stisc h e Bildungen, wie
getan hab- , getan w e rd -, die T esn iere mit Recht als
Nucleus behandelt, sind typisch für die V. E. , Z u sam ­
m ensetzungen wie K indergarten. L ustspiel typisch für
die N. E.
A ndere U nterschiede betreffen die N orm en des K etten­
baus:
Der K ernteil der V. E. läßt Disjunktionen zu, die unter
d er Bezeichnung 'K lam m erbildung' gehen. Der K ernteil
d er N. E. läßt solche Disjunktionen nicht zu.
Die A nzeiger für Tem pus und Modus (Deckteil der V. E. )
werden nur E lem en ten d es K ernteils angegliedert. In der
N. E. dagegen sind die Elem ente des D eckteils (Definitio,
N um erus z. B. ) entw eder selbständig wie der 'A rtik el',
oder zum Teil diskontinuierlich und verschiedenen W ör­
te rn (Artikel, Adjektiv, Substantiv) angegliedert (d-ie
ausländ isch-en Student-en).
60
In der V. E. des Deutschen besteht eine eigentüm liche
I s o m o r p h i e zwischen der Reihenfolge der Konnexionen
im abstrak ten Bau und der Reihenfolge der G lieder in
der Kette, z. B. :
Dann werfen die Studenten H errn P ro fe ss o r die F e n ste r ein.
4 3 2 1
p)(Dann (die Studenten (H errn P ro fe s s o r (die F e n ste r (e in -w e rf-)
D) G4 Gg G2 Gi K

In der N. E. dagegen hat der g ram m a tisch e Status der


G lieder (adjektivische, nom inale, verbale Einheit) den
Vorrang vor der Reihenfolge der Konnexionen: die Stellung
in der Kette entspricht der Formel^O)-
QE K NE VE, z. B. :
die ausländischen Studenten der Medizin, die deutsch können.
QE K NE VE
E rst innerhalb d erselb en K lasse von S. E .en finden wir
wieder die Beziehung zwischen Anordnung der Konnexionen
und Stellung in der Kette, z. B. :
(d ieser (g en erelle (th eoretisch e A sp e k t)))
QE 2 QEi K

61
Bei den anderen spezifischen Einheiten sind der Deck­
teil und die G lieder nur mit Einschränkungen vorhanden.
Wir finden eine K lasse m iteinander a u stau sch b arer E in­
heiten, deren Deckteil = Null ist. Da N. E. und V. E. einen
Deckteil haben, kom m t dies einem Nullzeichen gleich.
Wir nennen diese Einheiten adverbiale Einheiten (A. E. );
es e rin n e rt an die herköm m liche W ortart Adverb, und an
den B egriff A dverbialbestim m ung. Gleich sei gesagt, daß
diese K lasse nicht nur als Glied e in er V. E . , sondern als
Glied a n d e re r Einheiten Vorkommen kann: die H äuser
d o rt, dort a n s ä s s ig .
Von d ie se r K lasse schließen wir die steigerungsfähigen
'A dverbien' aus und vereinigen sie mit den entsprechenden
Adjektiven (s. unten).
Die K lasse der A. E. zerfällt in d rei m iteinander a u s ­
tauschbare Typen:
a) Einheiten, die nur aus einem lexikalischen Elem ent
be stehen:
z. B. g estern , ring s, rittlin gs, g lück lich erw eise. . .
b) Einheiten, die neben dem K ernteil nur e i n Glied zu ­
lassen, und zw ar eine nom inale Einheit:
z. B. in den Wald, aus dem Wald, jen seits des W aldes. .. .
Was wir h ier a ls K e r n t e i l w erten, entspricht dem,
was gewöhnlich P räposition, P ostposition (ja auch Z ir-
kum position, z. B. vom F e n s te r a u s ) genannt wird.
c) Einheiten, die nur ein Glied, und zw ar eine V. E. zu ­
lassen; es sind die konjunktionellen N ebensätze, welche
mit a) und b) austausch bar sind. Als K ernteil betrachten
wir die Konjunktionen (oder Subjunktionen) wie b e v o r.
nachdem, ohne daß, weil; sie sind zum Teil mit den P r ä ­
positionen (vor, nach, ohne) verwandt.
Diese Einheiten sind von bestim m ten Funktionen, z. B.
der Subjektfunktion und Objektfunktion innerhalb ein er
V. E. ausgeschlossen.
Die v ierte K lasse w äre die der steigerungsfähigen (gra-

62
duierbaren) Einheiten: schön, schöner, am schönsten;
seh r schön, zu schön, schöner als die an d eren , usw.
Wir nennen diese S. E. qualitative Einheit (Q. E. ). Wir
greifen h ier ausnahm sw eise bei der Benennung zu ein er
inhaltlichen C h arak teristik . Das entspricht der Sonder­
stellung d ie se r S. E. gegenüber den d rei vorhergehenden,
die uns vor noch ungeklärte F rag en stellt.
Eine Lösung w äre, schön-, sch ö n er-, schönst- als drei
verschiedene K ernteile zu betrachten (also die drei Stei­
gerungsstufen dem Gebiet d er Lexembildung zuzuweisen),
um dann auf die Konnexionen einzugehen, die jede Stufe
ch ara k te risie re n :
auffallend schön- , als die anderen schöner-

Wir finden die Q. E. :


a) In der H auptm asse der V. E.en, wo sie den Inhalt des
K ernteils c h a ra k te ris ie rt: e r arb eitet langsam (langsam e
A rbeit).
b) In den V. E .en m it se in /w e r d en /b leib en , wo die Qua­
lität auf das Subjekt zu beziehen ist: Hans ist trä g e (der
träg e H ans).
c) In den N. E.en, wo die Qualität auf den K ernteil, oder
einen diesen enthaltenden Komplex zu beziehen i s t : ein
(schöner Ausdruck), ein (schöner (bildlicher A usdruck)).
Die F ra g e , ob a) und c) von b) durch 'T ran sfo rm atio n '
abzuleiten w ären, lassen wir noch unentschieden.
Eine besondere K lasse bilden u. E. n ic h t-ste ig e ru n g s­
fähige Bildungen, die nur epithetisch (nur in N. E.en) v e r ­
wendet werden, z. B. in:
die hiesigen Behörden, die g estrig e Sitzung, die belgische
Regierung, das sprachw issenschaftliche Institut, das o r-
gan isch -ch em ische Institut.
Sie kom m en nur in e in er N. E. vor, wo sie 'links' vom
63
K ernteil stehen, und nehm en an der Flexion teil, d.h. an
der Verteilung von T eilen diskontinuierlicher Anzeiger.
Sie lasse n keine S. E. als 'G lied' zu; eine Expansion ist
nur in der F o rm der Komposition (Lexembildung) m ög­
lich: das chem ische Institut, das organ isch -ch em ische
Institut.
Sie haben zu dem nom inalen Glied der Konnexion ein an ­
d e res V erhältnis, als eine Q. E .; sie sind "bestim m end",
nicht qualifizierend.
Diese K lassifikation hat eine gew isse Ähnlichkeit m it den
v ier G rundklassen T e sn ie re s (Verb, Substantiv, Adjektiv,
Adverb). Doch nicht ohne wichtige U nterschiede: e rste n s
erhebt sie keinen A nspruch auf allgem eine Gültigkeit; sie
ist nach u n s e re r Auffassung nur für das Deutsche gültig.
Typisch ist, daß die steigerungsfähigen A dverbia von den
U m standsadverbien abgetrennt, und im Typus Q. E. mit
den steigerungsfähigen Adjektiven vereinigt sind.
P ro b lem atisch ist die fünfte K lasse. Ein Suffix wie -isch
könnte a ls ein 'O p erato r' angesehen werden, der einen
Komplex wie organ isch - Chemie fähig m acht, Glied einer
N. E. zu werden. Es w äre eine T ran slatio n in einer der
Bedeutungen, die d ie s e r T erm inus bei T esn iere besitzt.
Es ist nicht ausg eschlossen, ja vo rauszusehen, daß eine
eingehende Analyse andere, se lten ere Typen entdecken
läßt, die auf keinen der h ie r c h a ra k te risie rte n zurückzu­
führen sind.

64
Translation verbaler Komplexe

Der Ausdruck 'T ran slatio n ' geht auf T esn i^re zurück,
bekommt a b e r hier einen z. T. neuen Inhalt: es handelt
sich nicht um die Überführung ein es W o r t s (Verb) in
eine andere W ortklasse (Substantiv im F a ll des Infinitivs,
Adjektiv im F all des P a rtizip s), sondern um die Bildung
ein er verbindungsfähigen S. E. aus einem Komplex, dem
P räd ik at nach u n s e re r Definition.

I
Als e r s te s Beispiel diene der sog. Infinitivsatz. E r ist,
wie bekannt, dadurch c h a ra k te ris ie rt, daß die inneren
Konnexionen dem selben System angehören, das wir im
Satz mit verbu m finitum finden.
Die A usgangsbasis ist keine V. E . , sondern ein aus d ieser
herausg eno m m en er Komplex, das P räd ik at. Wenn wir
vom S tru k tu rd iag ram m ausgehen, e rsch ein t uns klar:
es fehlen h ie r w esensgem äß
a) die Personenendungen (sie gehören dem Subjekt, nicht
dem P rädikat an),
b) der Deckteil, d. h. die K ategorien des Tem pus und
und Modus.
Gegenüber diesen kleinen gesch lo ssen en O ppositions­
system en verhält sich d er Komplex neutral.
Das Zeichen für die V erselbständigung eines solchen
Komplexes, d er dann als Glied in e in e r S. E. fungieren
kann, ist allgem ein -en (sog. Infinitivendung), in b e ­
stim m ten F ällen -en + zu.
Z. B. Hans band der Katze einen Blechtopf an den Schwanz.
Struktur (Konnexionsfolge):
P rät. H ans//der Katze einen Blechtopf an den Schwanz bind-

P rädikat

65
Infinitiveinheit (I. E. ):
(Hans wollte) der Katze einen Blechtopf an den
Schwanz bind-en.
(Hans versuchte) der Katze einen Blechtopf an den
Schwanz zu bind-en.
Die Reihenfolge der Konnexionen und die Anordnung der
Teile in der Kette sind isom orph wie im konjunktionellen
"N ebensatz".
Das gebundene M orphem -en w ird dem jenigen Elem ent
des K ernteils angehängt, dessen Stellung in der Kette
variab el ist (E rststellu ng, Z w eitstellung, Endstellung),
und tritt an die Stelle der fehlenden Anzeiger; bei p e ri-
ph rastisch en F o rm en ist d ieses Elem ent der 'Stam m ' des
H ilfsverbs, z. B. :
Hans wurde beschuldigt, der Katze einen Blechtopf an
den Schwanz gebunden zu h ab -e n .
Das M orphem zu w ird dem selben E lem ent vorangestellt,
doch bleibt es von ihm durch eine phonologische W ort­
grenze getrennt.
Die O peration ist grundverschieden von der soe. W ort­
bildung: diese ergib t ein L e x e m , das als K ernteil in
einer S. E. Vorkommen kann; jene ergibt eine S. E.
Einem auf den K ernteil besch rän kten P räd ik at entspricht
eine infinitivale Einheit, die nur diesen K ernteil enthält:
e r flieht, e r will fliehen, e r versuch t zu fliehen.
Die infinitivale Einheit kann nicht ein er N. E. gleichge­
setzt werden, und zw ar aus m e h re re n Gründen:
a) es fehlen hier die für eine N. E. ch ara k te ristisc h e n
Deckeigenschaften Definitio und N um erus.
b) die erzeugte S. E. ist nicht nur mit nom inalen, sondern
auch mit adverbialen Einheiten austauschbar:
zu Bett gehen, schlafen gehen.
c) die Verbindung mit P räpositionen ist beschränkt (u m .
anstatt, ohne), sonst nur über eine H ilfskonstruktion m ög­
lich, z. B. : e r streb t danach, sich unabhängig zu m achen.

66
II
Von einem P räd ik at (Komplex, wie oben) kann eine E in­
heit abgeleitet w erden, die nu r-ep ith etisch , nur als Glied
ein er N. E. vorkom m t:
Die Gäste, d ie /a m Ausflug teiln eh m / -en . ..
Gx K
D ie/am Ausflug teilneh m end / -en G äste . . .
Als T ra n sla tio n sz e ic h e n dient h ier - e n d .

III
a) Die A usdrücke des 'P e rfe k ts' vom Typus: e r is t/m it
dem Zug angekom m en/ geben Anlaß zur Bildung einer
nur-epithetisch en Einheit:
Die Gäste sind g estern mit dem Zug angekom m en.
D ie /g e ste rn mit dem Zug angekom m en/ -en G äste.
Was in der V. E. der K ernteil des Subjekts war, erschein t
hier als Kern e in er N. E . , wo die p artizip iale Einheit als
Attribut vorkom m t.
b) Bei t r a n s i t i v e n V erben haben wir von dem au szu ­
gehen, was zu dem Objekt in Verbindung steht:
Hans hat d er Katze einen Blechtopf an den Schwanz gebunden.

p ) Hans der Katze einen Blechtopf//an den Schwanz gebunden//hab-

Die Katze läuft mit e in e m // an den Schwanz gebunden -en Topf.

67
Die Perfektbildungen mit haben aus in transitiven Verben
lassen diese T ran slation nicht zu:
die G äste, die im Hotel geschlafen haben.
*die im Hotel geschlafenen G äste.
Die Opposition zwischen einfachen und p erip h rastisc h en
F o rm en vom Typus: e r kom m t -v e r ist gekom m en, dem
Inhalt nach eine Opposition infectum 'v p e rfe c tu m , findet
sich h ie r zw ischen II und III w ieder.
Wir verzich ten nicht darauf, w ertvolle Hinweise der
T ran sfo rm atio n sg ram m atik auf das Deutsche anzuwen­
den. Jedoch deckt der A usdruck T ran sfo rm atio n u n se re r
Ansicht nach seh r verschiedene E rscheinungen, die g e ­
trennt und verschieden genannt w erden müßten.
Es gibt eine N om inalisierung v e rb a le r Komplexe als eines
G a n z e n ^ l ) ; m an vergleiche:
Wir v erschicken diese W aren ins A usland.
(D) Wir diese W aren ins Ausland v ersch ick -
-en
I.E.(Wir w ollen) diese W aren ins Ausland v ersch ick -en

Nom inalisierung: die V erschickung d ieser W aren ins Auslanc


H ier haben wir eine U m f o r m u n g ; das Konnexions-
system ist nicht m ehr das ein er V. E. (dem Objekt im
Akk. entspricht ein A ttribut im Gen. ); die Stellung der
G lieder entspricht nicht d e r H ierarch ie der Konnexionen.
Es handelt sich nicht um Wortbildung (Bildung eines
Lexem s wie V erschickung aus v e rs c h ic k -), sondern um
die U m gestaltung eines verbalen Kom plexes (Prädikat)
in einen nom inalen Komplex, m it e in er inneren Struktur,
die nur annähernd der des verbalen Kom plexes entspricht
(das D ativverhältnis läßt sich z. B. nicht überführen).
Diese T ran sfo rm atio n ergibt p rin zip iell keine neue,
selbständige syntaktische Einheit.
68
Zum B eg ri ff 'Satz'

Nichts ist so m ehrdeutig wie d er deutsche T erm inus


Satz.
I) M anteilt eine längere Rede in Einheiten, die graphisch
durch Punkte getrennt werden. Die bekannte F ra g e "Was
ist ein S atz?" bezieht sich auf diese Einheit, über die
hinaus die G ram m atiken p rak tisch nicht gehen.
Was in der traditio nellen G ram m atik ab er a ls B eispiel­
satz dient, ist, näh er besehen, eine R e d e , die nur aus
einem Satz b e s te h t^ ) . E s besteht daher die Gefahr, daß
dem Satz die Eigenschaften des Redeakts (Reaktion auf
eine Situation) zugeschrieben werden.
II) Wenn man einen Satz im obigen Sinne in einen Haupt­
satz und N ebensätze analy sie rt, handelt es sich offenbar
um eine andere Einheit. Dem Vollsatz (unabhängigem
Satz), dem Hauptsatz und dem Nebensatz ist gem einsam ,
daß es sich um syntaktische Gefüge m it einem verbalen
Kern handelt.
Der Vollsatz und d er Nebensatz entsprechen dem , was
wir verbale Einheit nennen, eine S. E. m it allen drei
Teilen.
Der Hauptsatz ist, wie oben ausgeführt wurde, ein v e r ­
baler Komplex in ein er Konnexion mit dem Nebensatz,
die den nächsthöheren Komplex ergibt:
(G 3 (V .E .) . . (G 2 Gi K)))).
Nennt man Satz jedes Gefüge nach den N orm en des v e r ­
balen K onnexionssystem s, so kann m an auch von Infinitiv­
sätzen und P a rtizip ialsätzen reden.
Wir können ab er nicht zwei unvereinbare Definitionen
nebeneinander behalten. N äher besehen haben wir es so ­
gar m it fünf verschieden en Größen zu tun, die unter der
Benennung 'Satz' gehen.

69
1) Satz als Redeakt (un énoncé qui se suffit à lu i-m e m e ).
2) Satz als A bschnitt in ein er Rede (Vollsatz, Satzganzes).
3) D reiteilige verbale Einheit, gleich ob sie unabhängig
oder abhängig (Nebensatz, G liedsatz) ist.
4) Komplex nach verbalen Konnexionsnorm en (Haupt­
satz).
5) Konnexionsfähig g em ach ter v e rb a le r Komplex (In­
finitivsatz).
Die Verkennung des unüberwindlichen U nterschieds zw i­
schen zwei Hauptbedeutungen: selb ständ ig er Abschnitt
der Rede und verbale Einheit, rü h rt von d er lateinischen
G ram m atik h er, die auf lite ra risc h e n Texten beruhte,
wo der Text in Einheiten zerfällt, die p rak tisch alle v e r ­
b a l e Einheiten sind. E s war leicht, die wenigen A us­
n ah m en ais 'u n g ram m atisch ' (d.h. in der Schulgram m atik
fehlend) zu stem peln.
In der gesprochenen Sprache gibt es eine Menge s e lb ­
ständiger Abschnitte d er Rede (die auch allein eine Rede
ausm achen können), etwa: Schön! Achtung! B esten Dank!
Die Damen links, die H erren r e c h t s ! Sie sind ein Stein
des A nstoßes, und alles ist getan worden, um sie e n t­
w eder in das P ro k ru ste sb e tt des verbalen 'S atzes' zu
zwängen od er ein er 'u ng ram m atisch en S prache', bzw.
einer 'A ffektsprache' zuzuweisen.
Wir erkennen jedes sprachrich tig e Gebilde, das nicht
Glied ein er w eiteren Konnexion nach den N orm en der b e ­
treffenden Sprache ist, als ’Satz’ im e rste n Sinne, wenn
wir es in ein er R e d e finden.
U nsere U ntersuchungen w aren auf die A rt gerich tet, wie
e lem en tare sprachliche Einheiten zu höheren Einheiten
zusam m engefügt w erden, die sich w ieder zu höheren E in­
heiten verbinden; dieses Spiel könnte th eo retisch im m er
w eitergehen (R ekurrenz), und deshalb ist die Zahl der
sprachrich tig en Sätze th e o retisc h unbegrenzt.
Es kom m t ab er im m e r ein Punkt, wo d ie ses Aufbauspiel
aufhört und das erzeugte Gebilde zu einem bestim m ten

70
M itteilungszweck, in einer b estim m ten Situation, v e r ­
wendet, 'a k tu a lisie rt' wird: als Inform ation, F ra g e , Auf­
forderung, usw.
Der Satz in diesem Sinne hängt auf e in er Seite m it der
R e d e (discours)i dem aktuellen Sprechakt, auf der an ­
deren mit dem S prachsy stem (langue) zusam m en; an
d ie se r Ü b ergangsstelle hört sozusagen die Aufgabe der
G ram m atik auf, insofern sie mit dem S prachsy stem und
seinem Funktionieren zu tun hat. Die F ra g e , die Chomsky
im m er w ieder stellt, ist: wie erzeugt ein Automat g r a m ­
m atisch richtige S ätze? (nicht 'Texte').
F ü r den Satz im Sinne ein er Einheit der R e d e schlagen
wir die schon gebräuchliche Bezeichnung Ä u ß e r u n g
oder Ä u ß e r u n g s e i n h e i t vor. Sie enthält einen Hin­
weis auf die Wendung nach außen, die aus ein er n o rm ­
gerechten Kombination von Zeichen einen konkreten
Sprechakt m acht.
F ü r den Satz im Sinne e in er verbalen Einheit oder eines
verbalen Kom plexes (H aupt"satz") benutzten wir jew eils
die genaue Bezeichnung, die sich aus u n seren Analysen
ergibt (V. E. , bzw. Komplex). So können w ir 'Satz' als
die Hauptquelle von U nklarheit der herköm m lichen G ra m ­
m atik ganz beiseite lassen.
Nach u n s e re r Auffassung ist ein "Satz" wie Hans trinkt
Wein innerhalb ein er konkreten Rede zugleich eine Äu­
ßer ungseinheit (vom Standpunkt der A usgliederung der
Rede) und eine verbale Einheit vom Standpunkt der S prach­
analyse, verdient also auf einem 'B aum ' die b e i d e n
Symbole S (sentence) und VP (verb-p hrase).
B etrachten wir das bekannte A bleitungsdiagram m :

NP VP
NP und VP sind nicht gleiche Einheiten. NP ist eine
nominale Einheit, eine ganze spezifische Einheit, VP ist,
was wir einen Komplex genannt haben: es fehlt noch ein
Glied (das Subjekt), und dazu der Deckteil (Tem pus und

71
Modus). E rs t was h ie r S genannt wird, ist eine ganze
verbale Einheit (in der Funktion ein er Ä ußerungseinheit).
Unser A bleitungsdiagram m für die Äußerungseinheit
Hans trinkt Wein wäre:

P rä s . Hans Wein trin k -


Ind. (N.E.) (N .E .)
-t
Die Kette läßt sich davon nach ein er Reihe von U m stel­
lungsregeln ableiten, m it der ihr eigenen Gliederung:
W örter, W ortgruppen (Phrasen); und die Intonation (fra­
gende, aussagende usw. ) deckt als 'su p raseg m en tale s
M orphem ' die Ä ußerungseinheit und grenzt sie innerhalb
der Rede ab.

72
Probleme der gram m atischen Semantik
Die vorhergehenden Ausführungen betrafen die A u sar­
beitung e in er folgerichtigen Syntagmatik (wobei d er Blick
auf die deut sehe H ochsprache gerichtet war). Nach dem,
was wir anfangs dargelegt haben, sollte eine g ra m m a ­
tische Sem antik folgen.
Über diesen T eil läßt sich ebensogut behaupten, daß die
Arbeit h ie r weit v o rg esch ritten ist, wie das Gegenteil,
näm lich, daß die Arbeit noch nicht begonnen hat. Beides
trifft zu: über die 'Inhalte' der Zeichen für P rä te ritu m ,
Konjunktiv, B estim m t, Superlativ sind schon b eachten s­
w erte, oft tiefgehende Beobachtungen gem acht worden;
es fehlte jedoch das stru k tu relle E lem ent in seinen zwei
Bedeutungen:
1 ) Die syntagm atische S truktur, die, wie schon anfangs
gesagt, die Aufstellung ein es richtigen P ara d ig m a s (bei
gleicher syn tag m atischer Struktur) bedingt.
2) Die Struktur des System s se m an tisch er Oppositionen,
innerhalb dessen ein is o lie rte s Zeichen (für P rä te ritu m
z. B. )ein b e stim m te s, gegen die F e ld e r a n d e re r Zeichen
abgegrenztes F eld einnim m t.
H ier können w ir nur Ausblicke über eine sich vortastende
F orschung geben.

E inheiten mit n icht-lex ik alisch em Kern


E s handelt sich um Gefüge, deren K e r n t e i l nicht dem
großen offenen System , sondern kleinen geschlossenen
System en angehört. D iese Gefüge sind mit den oben b e­
sprochenen G rundeinheiten (V. E . , N. E . , usw. ) a u s ­
tauschbar: die 'pronom inalen' Einheiten sind z. B. mit
nom inalen Einheiten austausch bar.
Diese Gefüge haben nicht notwendig dieselben E rw e ite­
rungsm öglichkeiten: m an vergleiche d er a rm e Mann,
ich A rm er (aber nicht *e r A r m e r ).
73
D er Deckteil ist auch verschieden: der Gegensatz B e­
stim m t-U n bestim m t ist für ich, du. w ir, ihr aufgehoben.
Beim F rag epron om en wer, w a s ? haben wir einen Gegen­
satz 'p ersö nlich •'vunpersönlich', der bei d er N. E. fehlt.
M ehrere Berührungen geben Anlaß dazu, den Begriff
'pronom inal' auf adverbiale E inheiten auszudehnen: da. so
sind in einem gew issen Sinne Anaphorika wie e r, sie, es.
Dazu kommt die U nsicherheit der Wahl zwischen darauf
und auf ihm (z. B. als Entsprechung von: die F lasch e
steht auf dem T isch ).
Eine U nterscheidung scheint möglich zwischen Elem enten
mit rein fo rm a le r Leistung (die Anaphorika, die bloß den
Platz eines nicht w iederholten vollen A usdrucks füllen,
die Interrogativa, die die Ausfüllung eines P latzes durch
einen vollen A usdruck fordern) und anderen, die s e ­
m antische Gegensätze vo rau ssetzen , z. B. P aa re wie
viel 'V wenig, d ie se r o/ je n e r, schon noch.
E s gibt m anchm al einen K erngegensatz wie d ie s e r-je n e r
bei der Deixis, um geben von p erip h eren E lem enten, die
zusätzliche Spezifizierungen enthalten, z. B. besag ter,
folgender.
Bei P a a re n wie d ie se r jen er ist m eisten s eines der
E lem ente 'ex ten siv', d .h. es w ird da verw endet, wo der
Gegensatz nicht vorhanden ist: d ie ser spielt diese Rolle,
wo die Situation einen Gegensatz d ie s e r /y jen er a u s ­
schließt.
Das P ro b lem des geschlossenen S ystem s, eventuell mit
perip heren Elem enten, stellt sich auch für den K ernteil
v erb aler Einheiten.
Als B eispiele mögen folgende System e dienen:
I a sein -w erd en -b leib en . z .B . in:
e r war, e r wurde, e r blieb k ran k .
Ib se in -b le ib e n .z. B. in:
e r war, e r blieb im Z im m er.

74
Ein w e ite re r Ring um Ib ist durch die Stellungsverba
(stehen, sit zen. liegen, stecken, hängen) gebildet; sie e n t­
h alteneine Spezifizierung gegenüber sein; die Verbindung
mit dem 'intensiven' Glied der Opposition sein ^ bleiben
geschieht in d er F o rm : e r blieb im Z im m er sitz e n .
Die m odalen V erba bilden zwei s y n t a g m a t i s c h v e r ­
schiedene System e, die nicht dasselbe Inventar, auch
nicht dieselbe S truktur haben.
II a: e r muß, kann, soll, darf, will (mag nicht) w eiterfahren.
II b: die N achricht muß, wird, dürfte, kann, m a g .
soll falsch sein.
In II b betrifft das m odale Verb die Glaubwürdigkeit der
Konnexion Subjekt - P räd ik at (die N achricht - falsch
s e i- ), d .h . der Behauptung: die N achricht ist fa ls c h .
In II b hat w erden die Funktion eines modalen V erbs, was
in II a ausg eschlossen ist. In II b hat sollen einen anderen
Inhalt als in II a. In IIb ist die Bildung eines P erfek ts
( *die N achricht hat falsch sein m üssen, mögen. . . ) a u s ­
geschlossen. ..
Die Abspaltung solcher S ondersystem e dürfte genauere
Aussagen über den Haupttypus v e rb a le r Einheiten m ög­
lich m achen, näm lich den Typus, dessen K ernteil dem
offenen (lexikalischen) System angehört, z. B. geh-,
schlag-, s e h - 33).
Wir haben einen Typus ad v erb ialer Einheiten definiert,
die eine und nur eine nom inale Einheit als Glied enthalten.
Die sog. P räp ositio n verhält sich h ier als K ernteil. Die
gebräuchlichsten P räpositionen gehören aber besch rän k ­
ten P arad ig m en (kleinen geschlossenen Systemen) an:
z. B. aus 'Xj von (die P ferde kom m en aus der T ränke, von
der T rän ke); v o n ü b e r (e r spricht von Goethe, über
Goethe).

75
Semantik der 'Deckteile'
Es handelt sich h ie r um kleine System e, die ein Feld- in
zwei, d rei Teile gliedern, selten m ehr. Von d ie se r A rt
sind z .B . die Opposition S in g u lar-P lu ra l, das dreiteilige
System des T em pus (P rä s e n s -P rä te ritu m -F u tu ru m ).
Neben dem Gegensatz S in g u lar-P lu ral besteht ab er die
Reihe der ganzen Zahlen, eins, zwei, drei, usw. In der
N. E. drei schw arze K atzen, ist auf die Einheit: sch w ar­
ze Katze 1) das System Singular'■v P lu ral, 2)das System
der K ardinalzahlen bezogen.
Ist h ie r die Zahl drei eine Spezifizierung der Angabe
'P lu ra l' ?O der beziehen sich beide System e nebeneinander
auf dieselbe G röße? W ir haben die Wahl zwischen zwei
graphischen D arstellungen.
a) P lu ral ----> (schw arz- K a tz e -)
(^e, zen)

drei

b) P lu ral
( z e ,r e n ) ^
^ (sch w arz- K atze-)
drei
Ein ähnliches P ro b le m stellt die Teilung der Zeit (in
Vergangenheit und Zukunft durch den Augenblick des
Sprechakts), wie sie im T em p u ssy stem zum Ausdruck
kommt: daneben besteht das schon re ic h e re System der
Z eitadverbia, und das noch re ic h e re der Skala der Z e it­
rechnung. Ist g e ste rn eine Spezifizierung des Zeichens
für 'P r ä te r itu m ', o d er beziehen sich das System des
Tem pus und das der Z eitadverbien nebeneinander auf
denselben Komplex? Jedenfalls ist das eingehende Studium
der Beziehungen beider Systeme zueinander le h r r e ic h ^ )
(ein A usspruch wieder kam m orgen ist ausgeschlossen).

76
Solche P ro blem e enthalten einen Hinweis darauf, daß die
Sem antik g ra m m a tisc h e r K ategorien wie N um erus, T em ­
pus durch keine absolute G renze von der Semantik g rö ­
ß e re r System e getrennt ist.

Homonymie unter nicht-lexikalischen Elem enten


W ir haben gesehen, daß es zwei System e der modalen
V erba g ib t; das Inventar ist nur zum T eil verschieden;
e s gibt daher V erba, die gleich lauten und a ls d a s s e l b e
V e r b gebucht w erden, und die innerhalb der zwei Sy­
stem e sich zu den anderen E lem enten sem antisch ganz
an d ers verhalten; soll in die N achricht soll falsch sein
steht zu kann und mag in einem ganz and eren V erhältnis
als in: e r soll das tu n.
Sollen E lem ente, die zwei verschiedenen geschlossenen
System en angehören, aber gleichlautend sind, als d a s ­
selbe Elem ent angesehen w erden?
Die P räp ositio n über gehört T eilsy stem en an, die s e ­
m antisch wenig m iteinander zu tun haben:
über 1 : über dem T isch b u n te r dem T isch (Raum),
über 2 : der Weg geht über den B erg^vdurch den B erg,
über 3 : e r sprich t über Goethe o/von Goethe.
Pädagogisch ersc h ein t das Ordnen nach System en r ic h ­
tig e r als die Aufzählung der 'Bedeutungen' jed er e in ­
zelnen P räposition.
Dies gilt auch für die Semantik der 'D eckteile': G lied­
sätze, die in eine verbale Einheit im P rä te ritu m einge­
bettet sind, bekom m en den A nzeiger für P rä te ritu m als
Zeichen für ihre Abhängigkeit, e r m eldete: "es regnet"; er
m eldete, daß es re g n e te . Steht die direkte Rede im P r ä ­
teritu m , so stehen wir vor dem P ro b lem der Addierung
zw eier A nzeiger, die nicht dieselbe Funktion tragen , die
wir etwa durch ^ te j und zl^.2 sym b o lisieren könnten:

77
er m eldete: "es regnete g estern "; e r m eldete, daß es
g estern regnete (geregnet habe?), daß es am vorigen
Tage geregnet hatte(?)
Das Zeichen für F uturum (w e rd -) ist m it p er defi-
nitionem unverein bar, jedoch nicht mit zl^2 * e r prophe­
zeite: "es wird geschehen"; e r prophezeite, daß es g e ­
schehen w ürde; diese Verbindung 'F u tu ru m i t e 2 ' ist
gleichlautend m it dem II. Konjunktiv als A usdruck des
Irre a lis: "E s würde geschehen, wenn alle es w ollten".
Sem antisch sind sie a ls zwei getrennte Einheiten zu w e r­
ten.
Der A nzeiger für den I. Konjunktiv spielt in d er direkten
Rede eine bescheidene Rolle in injunktiver oder finaler
Bedeutung; eine bedeutende Rolle dagegen in der indi­
rekten Rede. Diese Funktionen, die wir als K^ und K 2
sym bolisieren, sind so verschieden, daß es F älle gibt,
wo sie kom biniert w erden m üßten, z. B . :
Im Kochbuch stand: "m an schneide den Speck in W ürfel".
Im Kochbuch stand, m an solle den Speck in W ürfel schn ei­
den (K^ Kg). (Die U m schreibung von Kj m it sollen e r ­
möglicht das Anbringen des A nzeigers für K2. )
Eine syn stem atisch e U ntersuchung d ie se r P ro blem e der
g ram m atisch en Sem antik steht noch aus.

78
Konnexionen, K asus
Das P ro b lem d er Zuordnung ein es in ein er konkreten Si­
tuation gegebenen 'G egenstands' zu einem Lexem zu
Z w eckender Mitteilung ist wohlbekannt. W eniger u n te r­
sucht ist das P ro b lem der Zuordnung ein er erkannten
Beziehung zwischen E rfahrungsdaten in e in e r bestim m ten
Situation zu e in er g ram m a tisch en K o n n e x i o n , etwa in:
eine Glocke läutet, das Läuten ein er Glocke. Glocken­
geläute.
Schon die Stellung d er Signantia auf der Kette setzt v o r­
aus, daß sinnvolle (in der Situation gegebene) Beziehungen
zwischen den Signata bestehen;w er die Sprache b eh errsch t,
leitet von der Kette die Konnexionsordnung ab, wie wir
sie durch D iagram m e darzustellen versuchten.
Aber die Konnexion kann w eiter durch besondere Zeichen
spezifiziert werden.
Typisch ist für das Deutsche ein Gegensatz wie: e r geht
im W alde'ue r geht in den Wald; die Verbindung der P r ä ­
position mit ein er nom inalen Einheit (der Wald) definiert
einen Punkt im Raum durch den Bezug auf einen b e ­
stim m ten Gegenstand (in, v o r, h i n t e r .. . dem Wald).
Das Zeichen für Akkusativ gibt an, daß das V erhältnis
zwischen dem verbalen Kern (oder Komplex) und der
präpositionellen Einheit einem V erhältnis zw ischen Be­
wegung und Z iel d e r Bewegung entspricht; das Zeichen
für Dativ gibt an, daß das V erhältnis ein an d eres ist
(jedes andere, h ier das V erhältnis zw ischen Tätigkeit
und Ort der Tätigkeit). Bei d ieser Opposition Dativ'V Ak­
kusativ ist der Dativ das 'extensive' Oppositionsglied.
Der Kasus ist, wie schon erw ähnt, keine Eigenschaft der
nom inalen Einheit, sondern der Konnexion, die diese
Einheit m it einem anderen Elem ent eingeht. Daß die Ka­
susanzeiger der N. E. angegliedert sind, ist eine Ange­
legenheit der Kettenbildung.
E s gibt h ier V arianten des Signans, bei gleichem Signa­
tum: man vergleiche: e r kam zu uns: e r blieb bei uns; e r
wohnt oben, e r schaut nach oben (Null o/nach).

79
Wenn es sich dagegen um Konnexionen handelt, die eine
adverbiale B estim m ung nicht eingehen kann, wie das Ob­
jektverhältnis gegenüber dem Inhalt eines verbalen K erns
oder Kom plexes, besteht keine Möglichkeit ein er Kom-
mutation zw ischen Dat. und Akk. c e te ris paribus. H ier
dienen die K asuszeichen zur D ifferenzierung zw eier Ob­
jekte: z. B. : der König gab seine T ochter dem P rinzen
zur F rau ; d e r König gab sein er T ochter den P rin zen zum
Gemahl. D ieser sem antische U nterschied stim m t nicht
überein mit d er Konnexionsordnung: es kann auch heißen
der König gab dem P rin ze n seine T ochter zur F r a u .
Ist nur ein O bjektverhältnis möglich, so bleibt das Ka­
suszeichen ohne Funktion: die Wahl ist lexikalisch b e ­
stim m t, z. B. e r trifft m ich , ab er e r begegnet m ir .
E s gibt im gegenw ärtigen Deutsch strenggenom m en zwei
K asussystem e: das e rs te ist v ierg lied rig und spezifiziert
Konnexionen, die eine nom inale Einheit eingehen kann
(als Subjekt, a ls Objekt); das zweite ist zw eigliedrig und
spezifiziert Konnexionen, die bestim m te adverbiale E in­
heiten eingehen können. In beiden F ällen w ären die Be­
dingungen, un ter denen die Oppositionen a u f g e h ö b e n
sind, genau zu untersuchen; z. B. bedingt die Kopplung
mit einem P erso n en an zeig er die F o rm des Nom inativs
(Aufhebungsform), die Einbeziehung a ls A ttribut in eine
nom inale Einheit die F o rm des Genitivs.
Ist die Syntagmatik einm al geklärt, so kann eine Sem an­
tik der Konnexionen in Angriff genom m en werden.

80
Zusammenfassung

Die phonischen T rä g e r (Signantia) offenbar gram m a tisch


zusam m engehöriger Einheiten können in der phonischen
Kette getrennt sein; um gekehrt können die Signantia nicht
zusam m eng ehö riger Einheiten in der Kette in einer zu­
sam m enhängenden Folge vereinigt sein.
D arauf gründet sich eine Reihe m ethodologischer F o r ­
derungen:
1) Zwei Ebenen sind stren g auseinanderzuhalten: die E b e­
ne der ab strak ten Struktur, d.h. der geordneten Folge von
Verbindungen sprach lich e r Zeichen, die den Inhalt ein e r
Mitteilung bestim m t; und die Ebene der phonischen Kette,
d.h. der konkreten R ealisierung der M itteilung, als ein er
Abfolge von B edeutungsträgern.
2) Zwei N orm ensystem e sind entsprechend au sein an d er­
zuhalten: das eine re g ie rt die Bildung e in er 'offenen'
Menge a b stra k te r Strukturen; das andere re g ie rt die
Bildung der jew eils entsprechenden Kette nach nicht eben
einfachen Regeln, die h isto risch bedingt sind.
3) Eine "generative" G ram m atik sollte z u erst die a b ­
strakte S truktur "ableiten", dann e r s t die Kette davon ab ­
leiten. Eine analytische G ram m atik sollte z u e rst jed er
Kette eine abstrak te S truktur (ein S truk turdiagram m ) zu ­
ordnen und von da aus das tiefere 'S p rach sy stem ' u n te r­
suchen.
4) Je d e r Ebene entspricht eine andere relevante E in­
heit: das Wort gehört der Ebene d er Kette an; die r e le ­
vante Einheit für die Ebene der ab strak ten Struktur ist
das, was wir a ls 'spezifische Einheit' bezeichnen.
In Bezug auf diese Einheit seien d rei Punkte beso nd ers
hervorgehoben:
1) der dreiteilige Aufbau d er Haupttypen (verbale und
nom inale Einheit); sie b e ste h e n aus einem 'K ern teil',
funktionellen 'G liedern' und einem 'D eckteil'. Die
Zahl der G lieder kann gleich Null sein; d er M indest­
bestand ein er S. E. ist dem nach Deckteil plus K ernteil.
81
2) das P rinzip , daß die 'G lieder' e in er S. E. selbst den
Status ein er S. E. haben und haben m üssen; sie geben
Anlaß zu ein er neuen Analyse, usw. Darauf besteht
der r e k u r s i v e Aufbau der M itteilung in den m o­
dernen europäischen Sprachen.
D ieses P rin zip war in L. T e sn i^ re s 's te m m a tisc h e r'
D arstellung des gram m atisch en Baus vorgebildet; je ­
doch hinderten herköm m liche V orstellungen, b e ­
sonders in Bezug auf Wort und W ortarten, diesen
B ahnbrecher daran, die letzten Konsequenzen zu
ziehen.
3) das P rin zip der A sym m etrie syn taktischer Konne­
xionen, insofern nur eines d er K onnexionsglieder eine
S. E. ist und sein kann; das andere ist p er definitionem
eine unvollständige S.E. ("Komplex" oder K ernteil).
Die Begriffe T ran slation (Tesnidre) und T ran sfo rm ation
(H arris) bekom m en, auf die a b s t r a k t e S t r u k t u r b e ­
zogen, einen neuen Inhalt. P ro blem e, die die Erzeugung
der Kette betreffen, sollten davon abgetrennt werden.
Auch die P arad ig m atik bekom m t eine neue Bedeutung d a­
durch, daß die ihr zugrundeliegende Kommutation a u s ­
drücklich auf die Stellung innerhalb der abstrak ten S truk­
tu r, nicht der Kette, bezogen wird.
D er "Satz" (in ein er der Bedeutungen, der von engl,
sentence) definiert sich nun als "jedes g ram m a tisch e G e­
füge, das nicht Glied ein er höheren gram m a tisch en E in ­
heit ist und in d ieser F o rm als k o n k reter M itteilungsakt
(Äußerungseinheit) verw endet w ird". Der so definierte
Satz hängt auf ein er Seite m it dem S prachsy stem zu sa m ­
men, das seinen Aufbau bestim m t; auf der anderen Seite
hängt e r m it der R e d e zusam m en, d er sprachlichen
Reaktion auf eine Situation, die aus ein er oder m e h reren
solcher Einheiten besteht. Der v e r b a l e Satz ist eine
verbale spezifische Einheit in der Funktion einer Äuße­
rungseinheit; S = VE.
Die E rkenntnisse, auf die sich diese Skizze stützt, sind.

82
einzeln genom m en, in den verschieden sten W erken der
m odernen Sprachw issenschaft in dem oder jenem Z u sa m ­
menhang fo rm u liert worden, und A nsätze zu den Ge­
dankengängen, die w ir h ier Vorbringen, tauchten in letzter
Zeit im m er häufiger auf.
Wie anfangs angedeutet, e rstre b te n wir vor allem eine
grö ß ere F olgerichtigkeit in der V e r k n ü p f u n g d ieser
E rkenntnisse, und zw ar unter dem ständigen Druck der
Anwendung auf das Deutsche.
Was wir vorschlagen, ist letzten Endes ein Weg, letzte
R este der ä lte re n G ram m atik zu überw inden, die in den
V ersuchen, auf Grund neuer s c h a rfe r Analysen eine neue
beschreibende oder generative G ram m atik aufzubauen,
im m er noch geistern.

83
Anmerkungen

1) G ra m m a ire de l'allem and, P a ris (H achette), 1952.


2) In: T ravaux du C ercle linguistique de Copenhague,
Vol. V, R echerches s tru c tu ra le s , Copenhague, 1949,
S. 38 - 47.
In dem selben Band ersc h ien von A. M artinet : La
double articu lation linguistique.
3) Siehe A . M artin e t, Grundzüge der allgem einen
S prachw issenschaft (U rb an -B ü ch er 69) , Stuttgart
1963, S. 21 - 29.
4) Vgl. A. J. G reim as, Sémantique stru c tu ra le . P a ris ,
1966, sowie B. P o ttie r , R ech erch es s u r l'analyse
sém antique en linguistique et en tradu ctio n m écanique.
Nancy.
5) In bell - t ist _^t_ nach u n s e re r Ansicht ein T eil des
Subjekts, s. unten.
6 ) S. Ch. F . Hockett, A C ourse in M odern L inguistics,
N e w -Y o rk , 1958, s. 154 (sub 17. 6 'discontinuous
ICs').
7) S. V. Yngve, A Model and a H ypothesis for Language
S tru c tu re , (Technical Report 369) , M. I. T . , C am ­
bridge, M ass., 1960.
8 ) S. Y. L e c e rf in La tradu ctio n autom atique, no 5
(1960), S. 17 - 36. P ro g ra m m e des conflits, modèle
des conflits.
9) op. c i t . S. 93: unterbrochene Signifikanten.
10) D er A usdruck 'su ite s c o h é re n te s ' stam m t von der
T hese B. Grunigs : L es dém a rcatifs en allem and
m oderne, P a ris , 1963.

84
11) Nach u n s e re r Ansicht ist d er V ersuch, eine Kette
von ein er anderen Kette abzuleiten, m ethodologisch
ein Irrtu m . Es kom m t auf die Ableitung beider K et­
ten von e in er 'ab strak ten S tru k tu r' an, die ihnen
zugrunde liegt; s. unten 'G ram m atisch e Struktur
und Aufbau der K ette'.
12) S. J. Fourquet, le Mot, in: Un dialogue des Nations.
M élanges F uchs, München, P a ris , 1967.
13) S. J. F ourquet, P roblém atique du syntagm e, in:
Symbolae Linguisticae in honorem G eorgii Kur.yto-
w icz. 1965, sowie: Aufbau der M itteilung und G lie­
derung d er gesprochenen Kette, in: Z eitsc hrift für
Phonetik, Sprachw issenschaft und Kom m unikations-
forschung, 18 (1965).
14) L. T e sn iè re , E lem ents de syntaxe s tru c tu ra le , 2.
Ausg. , P a ris , 1966, S. 19.
15) S. B. P o ttie r, Introduction à l'étude des stru c tu re s
g ra m m a tic a le s fond am entales, 2. Ausg., Nancy,
1964.
16) Mit d ie se r Bezeichnung wollen wir darauf hinwei-
sen, daß die spezifischen Eigenschaften 'v erb al',
'nom inal' sich auf diese Einheit (und nicht auf das
Wort) beziehen.
17) S. M artinet, op. cit. S. 90 - 91 (der französische
A usdruck ist am algam é (verquickt).
18) Über Einheiten mit nicht-lex ik alisch em Kern, s.
unten.
19) H. Glinz, Die innere F o rm des D eutschen. 2. Ausg.
B ern, München, 1961, S. 96 - 97.
20) P. C. P aard eko op er, Inleiding tot de ABN -Syntaxis,
den Bosch, 1960. S. 16, sub 0. 4. 4. Het syntagm a
a ls nestedoosje.

85
21) In anderen, nicht indo-germ anischen Sprachen wird
das Konnexionszeichen dem a n d e r e n Glied ange­
hängt. So beim casu s con structu s se m itisc h er S pra­
chen.
22) Nach dem persönlichen Zeugnis T e s n iè r e s ; seit
1933 w ar ich sein Kollege in Straßburg. Der Aufsatz
Com m ent co n stru ire une syntaxe ? ersch ien 1934
im Bulletin de la F aculté des L e ttr e s .
23) L. T e s n iè r e , E lém ents de syntaxe s tr u c tu r a le .
S. 45.
24) G ram m aire de l'allem an d . S. 155.
25) L. H jelm slev, Om kring S progteoriens Grundlaeg-
g e lse . Kopenhagen, 1943 (interdependens, so lid ari-
tet, kom plem entaritet).
26) S. Studia G ra m m a tic a . VII, Untersuchungen über
Akzent und Intonation im Deutschen, S. 56.
27) S. z. B. W. G. Moulton, A Linguistic Guide to Lan-
guage L earn in g. Ch. 3 : sem antic, gram m atical,
phonological encoding, S. 23 - 48. Der Begriff deep
stru c tu re hatte die T ran sfo rm atio n als A usgangs­
punkt und schließt m anches ein, was wir in u n se re r
"a b strak te n S truk tur" nicht haben.
28) In: Jou rn al de psychologie. 43 (1950), S. 74 - 98,
La notion de verbe.
29) H. W einrich, Tem pus, B esprochene und erzählte
Welt, München, 1960.
30) Q. E. für qualitative Einheit, s. unten.
31) Vgl. Chr. M ilner, Les groupes nominaux en rappo rt
exclusif avec des groupes v erb au x . P a ris , 1967
(ungedruckte These).
32) z. B. V alidior m anuum dextra e s t. Solche Sätze e n t­
halten keine Anaphorika; sie sind m eisten s zeitlos.
Schließlich gibt diese G ram m atik ein falsches Bild
des w irklichen Sprachgebrauchs.
86
33) Viele A ussagen über den verbalen 'Satz' betreffen
nur diesen Typus und lasse n sich durch Beispiele
m it sein, werden, bleiben, oder modalen Verben
widerlegen.
34) Arne Klum hat diese Beziehungen für das F ra n z ö ­
sische eingehend untersucht (Verbe et A dverbe.
Uppsala, 1961).

87
STRUKTURELLE SYNTAX UND INHALTBEZOGENE
GRAMMATIK*

Die F orderun g e in er i n h a l t b e z o g e n e n G r a m m a ­
t i k , die P rof. W eisgerber und seinem K reis am H erzen
liegt, e rin n e rt den S truk turalisten daran, daß e r bei
seinem V ersuch, eine s y n t a x e s t r u c t u r a l e 1) auf­
zubauen, doch irgendw ie als G renze eine s y n t a x e
s é m a n t i q u e anerkennen muß. E s drängen sich ihm
erneut F rag en auf wie: e rfa ss e n stru k tu relle Syntax und
inhaltbezogene G ram m atik denselben Gegenstand, nur daß
sie von entgegengesetzten Enden ausgehen und die E r ­
scheinungen in entgegengesetzter Ordnung besch reiben ?
O der erfaßt jede nur eine Hälfte des Gegenstands, so daß
sie einander ergänzen ? Oder schließen sie einander aus,
so daß die eine richtig, die andere falsch is t?
Statt sehr a b s tra k te r, sehr allg em ein er Betrachtungen,
die b ish er viele für g ram m a tisch e F ra g en lebendig in­
te r e s s ie r te G eister absch reck ten , soll h ie r eh er, en t­
sprechend dem von P ro f. W eisgerber gegebenen B eispiel,
an einem ausgesuchten F a ll d em o n strie rt werden, was
stru k tu relle Syntax sein kann. E r s t am Ende versuchen
wir, zu ein er allgem ein eren P ro blem stellu ng zu gelangen.
Der O rdinarius fragt den Dozenten: "Was geschieht, wenn
ich diese hochpolitische E rk lärun g ab g eb e?". D er Dozent
antwortet:
Dann schlagen die Studenten
H e rrn P ro fe s s o r die F e n s te r e in .
Den sprachlichen Aufbau d ie s e r Äußerung kom m entieren
^ E rstm a ls veröffentlicht in 'Sprache - Schlüssel zur W elt',
F e stsch rift für Leo W eisgerber, hsg. von Helmut Gipper,
D üsseldorf 1959, S. 134-145.

88
wir m it Hilfe folgender Analyse.
a) Der Sprechende verbindet eine Hypothese (auf die e r
mit dem W ort "dann" hinweist) mit der sich daraus e r ­
gebenden Folge (worauf e r mit dem Rest des Satzes hin­
weist).
b) Z ur Angabe d iese r Folge verbindet der Sprechende die
V orstellung handelnder P erso nen (die Studenten) mit der
V orstellung ih re r Handlung.
c) Z ur C h arak teristik d ie se r Handlung verbindet e r das
Satzglied "H e rrn P ro fe s s o r" , das auf das Opfer der
Handlung hinw eist, mit einem W ortkomplex, der auf die
erlittene Behandlung hinweist.
d) D er Sprechende verbindet dann das Satzglied "die F en­
s te r" , das die V orstellung eines G egenstandes verm ittelt,
mit einem W ortkomplex, der eine auf diesen Gegenstand
gerich tete Tätigkeit angibt.
e) Schließlich verbindet e r eine Richtungsangabe (ein) mit
dem V erb "schlagen", das auf eine Handlung hinweist.
Was wir h ier vorgenom m en haben, ist die sogenannte
p rim ä re Analyse (p rim ary analysis), und liefert E in­
h e ite n e rs te r Ordnung (im m ediate constituents), die gege­
benenfalls in Einheiten zw eiter, d ritte r . . . Ordnung auf­
gelöst w erden könnten, denn ein "Satzglied" kann auch
ein m e h rstu fig er Komplex sein.
Damit gelangen wir zu diesem F o rm sch e m a des obigen
Satzes: Durch Verbindung ein er e r s te n Einheit (1) m it
dem verbum finitum schlagen erh alten wir einen Kom ­
plex e rste n Ranges: schlagen . . . ein; durch Verbindung
dieses Kom plexes m it ein er zweiten Einheit, dem Akku­
sativobjekt (2),erhalten wir einen Komplex zweiten Ranges
u s w .; und dies ergibt:
Dann / schlagen / die Studenten /
5 4
H errn P ro fe s s o r / die F e n s te r / ein.
3 2 1

89
Wobei die N um m er jed es Satzglieds auch die N um m er
des Kom plexes ist, d er durch A ntreten d iese s Satzglieds
an den nächstunteren Komplex entsteht.
Wir haben dam it die sprachliche i n n e r e F o r m der
Äußerung (auf der oberen Stufe) zu c h a ra k te ris ie re n v e r ­
sucht; u n sere Tätigkeit bestand darin, daß wir nach der
S aussu reschen F orderun g E i n h e i t e n , G rundeinheiten
undaus solchen zusam m eng esetzte Einheiten (Komplexe),
erkannten und abgrenzten.
D erselbe Inhalt bekäm e im F ran zö sisch en eine andere
F o r m 2), m it ein er anderen Zahl von Einheiten e r s te r
Ordnung:
Dans ce c a s . / les étudiants / enfonceront /
3 2
les fen ê tres de M onsieur le P ro fe s s e u r .
1

Oder b e s se r noch:
Dans ce cas / les étudiants / enfonceront /
vos fe n être s / M onsieur le P ro fe s s e u r .
U nser V erfahren e rin n e rt an das des A rith m etik ers, der
mit den abstrak ten, inhaltlosen B egriffen Einheit und
A ddieren schrittw eise seine ganze W issenschaft en t­
wickelt; aber es sei d a ra n e rin n e rt, daßauch in der A rith­
m etik die Anwendung, der praktische G ebrauch, den In­
halt wieder ein setzt, indem die Einheiten auf konkrete
Gegenstände bezogen werden, und daß auch das Addieren
einer konkreten Bezogenheit der gezählten Dinge auf den­
selben Raum, dieselbe Verwendung usw. entspricht: das
war auch bei u n s e re r Analyse der F all, indem die E r ­
kenntnis der Einheiten auf der Beziehung auf konkrete
Größen (Personen, Gegenstände) beruhte, und die V e r­
bindungen auf Grund eines konkreten Inhalts(T äter + Hand­
lung, Opfer + Behandlung) gesetzt wurden.
Auf der g ram m a tisch en Ebene enthält die Analyse schon

90
m ehr als die ab strak ten Begriffe Einheit und Addieren,
denn sie beruft sich auf den Begriff V e r b (Verbum fini-
tum) und N icht-V erb (Satzglied). E s sei noch bem erkt,
daß der Um stand, daß das Verb s c h 1 a g e n ein Tun a u s ­
drückt, (nicht etwa einen Zustand) einen T eil des Aufbaus
bedingt.
Die Analyse, die wir h ie r vorgenom m en haben, führt
gleich zu E rkenntnissen, die für die deutsche Syntax von
hoher Wichtigkeit sind.
1 . Im obigen Satz entspricht die Reihenfolge der Satz­
glieder der abnehm enden Größe des Kom plexes, an den
ein Satzglied a n tritt, um einen Komplex des nächsthöheren
Ranges zu ergeben: d a n n . das sich mit dem ganzen Rest
des Satzes verbindet, kom mt an e r s t e r Stelle in der "Kette"
usw. N u m eriert man die G lieder vom verbum finitum aus,
wie wir getan haben, so bieten sich die N um m ern in der
um gekehrten Zahlenfolge.
Das ist ein G rundgesetz des Satzbaus des m odernen
Deutsch, das m it wenigen Einschränkungen gilt (Stellung
d er tonlosen Pronom ina, der schw eren Gruppen von No­
m in alfo rm en des V erbs, nam entlich des "doppelten Infi­
nitivs"). Es ist in vielen sog. s y n t h e t i s c h e n Sprachen
z. B. im T ürkischen, s o ^ \
Aber in diesen Sprachen kom m t das, was dem deutschen
verbum finitum en tsp rich t, ans Ende der Kette im unab­
hängigen Satz; im Deutschen ist das nur in Sätzen der
Fall, die durch eine Konjunktion oder ein Relativ einge­
leitet sind. Was das Deutsche kennzeichnet, ist, daß es
für das v. f. m e h re re Stellungen gibt, d eren jede einer
bestim m ten syntaktischen Funktion entspricht.
Die Endstellung dient dazu, das einleitende Glied als
Konjunktion oder Relativ hinzustellen: in da e r kom mt
kann da nur Konjunktion sein, in da kom m t e r nur De-
m onstrat iv.
Die A nfangsstellung dient dazu, den Satz als nicht einfach
aussagend (d.h. a ls fragend, befehlend, bedauernd, b e­
kräftigend) zu kennzeichnen:

91
Geben Sie heute eine E rk lä ru n g ?
Geben Sie heute eine E rk lä ru n g !
Gäben Sie eine andere E rk lä ru n g !
Geben Sie doch heute eine E rk lärun g . . .
Sie steht im unabhängigen Satz im Gegensatz zur Zweit -
Stellung, d. h. zur Stellung unm ittelbar nach dem erste n
Satzglied; die Z w eitstellung ist die n eu trale, m e rk m a l­
lose Stellung.
Diese Verwendung der Stellung des v. f. zu syntaktischen
Zwecken, die mit der Funktion des Satzes als Ganzes,
aber nicht mit seinem inneren Aufbau zu tun haben, ist
eine m erkw ürdige Erscheinung: sie hängt offenbar dam it
zusam m en, daß die Reihenfolge der S a t z g l i e d e r an
sich genügt, um den Aufbau des Satzes im Sinne der obigen
Analyse kenntlich zu m achen. Das v. f . , das stets der
Kern des Kom plexes Nr. 1 ist, braucht nicht durch seine
Stellung in d ie s e r Eigenschaft bestätigt zu werden -
v o rau sgesetzt, daß das v. f. durch seine F o rm im m er
als solches kenntlich ist, was im Deutschen der F all i s t ^ \
H ier sei ausdrücklich vor zwei Auffassungen gew arnt,
die im Bunde m iteinander in der deutschen G ram m atik
eine unselige V erw irrung angerichtet haben: die land­
läufige S u b jek t-P räd ik at-L eh re und die L ehre von der
Inversion.
Nach der S u b jek t-P räd ik at-L eh re w äre der Kern der oben
untersuchten Äußerung die Verbindung des Subjekts
"die Studenten" m it dem verbalen Kern " schlagen . . . ein",
der das v. f. enthält; die anderen G lieder w ären "E rg ä n ­
zungen", ob zum P räd ik at oder zum Kern aus Subjekt und
P rädikat, ist nicht klar. Die Verbindung zwischen Sub­
jekt und "P räd ik at" w äre der Entstehungsakt des Satzes,
der dadurch Zeit und Modus bekäm e, und "ak tu alisiert"
würde.
Darauf antw orten w ir: Im oben besprochenen B eispiel en t­
steht der Satz, der Komplex höchsten Ranges, aus der

92
Verbindung des A dverbs dann mit dem Rest des Satzes.
Was dem Sprechenden angelegen ist, die Absicht seines
Sprechakts, ist die Verbindung ein er Hypothese mit den
Folgen d arau s, was in der Verbindung von dann mit der
Angabe d er Folge zum Ausdruck kom m t. Auf diese letzte
Verbindung sind die Satzm orphem e, d .h . die aussagende
Intonation sowie die Z eit- und Modusangaben, die in der
F o rm des v. f. enthalten sind, gerich tet. E rs t an zw eiter
Stelle kom m t in u n se re m B eispiel die Verbindung des
g ram m atisch en Subjekts ("die Studenten") mit der An­
gabe e in er Handlung. Aber nicht diese Verbindung ist es,
die durch den G ebrauch des Indikativs a k t u a l i s i e r t
wird, das entspricht gar nicht der Absicht des S prechen­
den; und zur D arstellung der Folgen verbindet sich das
Subjekt "die Studenten" nicht e r s t mit dem aus Komplex 3
herausgegriffenen v. f. oder v. f. + P artik el, sondern mit
dem ganzen Komplex, der die Tat der Studenten angibt
( E in s c h la g e n -d e r-F e n ste r-d e s - P ro fe ss o rs).
N atürlich k a n n die Verbindung des Subjekts (Satzglied
im Nominativ) mit einem Komplex, der das v. f. enthält,
den Komplex höchsten Ranges abgeben, den aktualisierten
Satz. S tatistisch ist das im lite ra risc h e n Deutsch für 50
bis 70% der Sätze der F all. Aber nicht jed er Satz soll so
um gedeutet werden, daß das Glied im Nominativ stets
tro tz se in er Stellung in der Folge und der Analyse des
T atbestands die höchste N um m er bekom m t^).
Es kann zweckm äßig sein, daß die G ram m atik ein Wort
hat für den Komplex, womit sich das Subjekt (Glied im
Nominativ) verbindet: Man nenne es P räd ik at oder A us­
sage, aber ja nicht S a t z a u s s a g e,und v erste h e dam it den
ganzen Komplex, "E rgänzungen" einbegriffen.
Mit der Auffassung, die Verbindung von Subjekt und V er­
bum sei der Kern des Satzes, hängt die Lehre von der
I n v e r s i o n zusam m en. Die deutschen Sätze werden in
zwei Gruppen geteilt: solche, wo das Subjekt dem Verbum
vorangeht (gerade Stellung), solche, wo das Subjekt dem
V erbum nachgestellt ist (Inversion).

93
Dazu ist zu bem erken:
1. Diese B eschreibung läßt solche Sätze aus, die kein
Glied im Nominativ enthalten: m ich f r i e r t , m ir g ra u t.
heute w ird getanzt . . .
2. Die relativ e Stellung des Subjekts zum verbum finitum
läßt sich m it keinem g ram m atisch en Gegensatz verbinden:
ein Teil der A ussagesätze hat g erade, ein T eil in v ertierte
Stellung: es regnet heute / heute regnet e s . Ebenso in den
F rag esätzen : Wo ist e r . Wer ist d a ? Daß in den Sätzen
m it Endstellung des V erbs das Subjekt vorangeht, besagt
nichts Neues, da dies ebensogut für jedes andere Satz­
glied gilt; es ist eine Tautologie.
3. Das Kennzeichen der Satzfrage (im Gegensatz zur
Gliedfrage) ist die Anfangsstellung des V erbs, nicht die
Folge V erb-Subjekt. Sätze wie frie rt d ic h ? w ird heute g e­
tanzt ? sind ebenso als Satzfragen kenntlich wie f rie r s t
du? tanzen wir heute ? Ist die Anfangsstellung des V erbs
das Zeichen der Satzfrage, so hat die Nachstellung des
Subjekts keine andere Bedeutung als die Nachstellung
alle r anderen Satzglieder; das ist w ieder eine Tautologie.
Nur die Stellung des v. f. ist relevant, d .h . läßt sich
regelm äßig mit einem U nterschied d er g ram m a tisch en
Funktion (Aussage : F ra g e , Aussage : Befehl; Hauptsatz :
Nebensatz) verbinden^).
Die Beseitigung d ie ser H indernisse war notwendig, bevor
wir einen w eiteren Schritt tun in der "p rim ä re n A nalyse",
der Analyse des V erhältn isses zw ischen verbum finitum
und Satzgliedern im verbalen Satz. Welche Rolle spielen
die K a s u s angaben, die wir an d rei G liedern des schon
besprochenen Satzes ("die Studenten" , "H e rrn P ro fesso r",
"die F e n ste r" ) finden? Die e rste Analyse hat festgestellt,
daß diese S atzglieder eine Verbindung eingingen, und mit
welchem Komplex sie sich verbanden.
In u n serem Satz ist die Reihenfolge d er Kasus: Nom inativ-
Dativ-Akkusativ; das ist bei w eitem die häufigste: ein
Akkusativ der Sache verbindet sich mit einem (transitiven)
Verb; an diesen Komplex tritt ein Glied mit Dativ der

94
P erson; und m it dem Ganzen verbindet sich ein Subjekt
im Nominativ. W äre die Reihenfolge der K asus fest, so
gäbe sie nichts a n d eres an a ls die H ierarch ie der Kom­
plexe, d. h. das, was im Deutschen schon durch die
Reihenfolge der G lieder angegeben ist. Das ist ab er im
Deutschen nicht der F all: die Folge Akkusativ-D ativ ist
z. B. auch möglich:
In Köln hängt man u n seren Wagen dem D-Zug an .
5 4 3 2 1
Du kannst das F le isc h den Säuen geben.
Die F ra g e ist: innerhalb w elcher durch die Z usam m en­
setzung und den Aufbau des Satzes gezogenen Grenzen
bekom m t der K asus eine differenzierende Funktion?
Ein beso n d erer F a ll ist der des Nom inativs. Ein Glied
im Nominativ fo rd ern die V erbalkerne, wo das v. f. an
G egensätzen der P e r s o n (1., 2 ., 3. P e rs o n Sg. und P I.)
teilnim m t. Im besprochenen B eispiel ist die Studenten
mit wir oder ihr austausch bar. A usgeschlossen sind
dem nach die K erne, d eren v. f. "unpersönlich" ist, d.h.
nur eine F o rm hat (die der 3. Sg. ): z .B . m ich f r ie r t.
m ir ist k a lt, heute w ird getanzt. Auch ist c h a ra k teristisc h ,
daß ein "Subjekt" im Im perativ fehlt, denn d er Em pfänger
des Befehls ist notwendig "zweite P e rso n " , und ein
Gegensatz der P e rso n fällt a u s 7).
Der Nominativ ist h ie r in einem gew issen Sinne funktions­
los: e r fungiert wie eine Wiederholung der Verbindung,
die schon zwischen der "P e rso n " und dem Bedeutungs­
inhalt des V erbs (Handlung , Zustand) besteht und in den
Personenendungendes v. f. zum A usdruck kom m t. E r ist
es e r s t recht, wenn der Inhalt des V erbs so ist, daß nur
e i n e daran beteiligte Größe denkbar ist ("intransitive"
V erba wie laufen, schlafen).
E s gibt ab e r V erbalkerne, die außer dem Glied im Nom i­
n ativ ein Glied in einem anderen K asus fordern: e r sieht
m ich , e r folgt m i r , e r bedarf m e in e r. Im jetzigen Z u­
stand der Sprache ist bis auf seh r seltene F älle der Kasus
ein für allem al bestim m t (servitude gram m aticale), und

95
hat deshalb nur die Funktion, einen N i c h t - N o m i n a t i v
anzugeben. Deshalb leistet die Sprache solchen V e r­
schiebungen wie e r ruft m ir / e r ruft m ich, e r vergißt
m e in / e r vergißt m ich wenig W iderstand.
F älle wie m ich f r i e r t , m ir graut, e r dankt, ruft m ir ,
e r vergißt m ein deuten auf einen frü h eren Zustand, wo
der Dualität des V erh ältn isses, das zwischen dem In­
halt des V erbs und dem eines Nom ens bestand, je ein b e ­
stim m ter K asus entsprach: das "ergativ e" V erhältnis
(T äter : Tat), das dem Nominativ (und den P e rs o n m o r­
phemen des V erbs) entsprach, paßte nicht zur Situation,
die in "m ich f r i e r t " zum Ausdruck gelangt; und zwischen
Akkusativ und Dativ m ag der U nterschied darin bestanden
haben, daß d er Dativ ein Zuwenden, kein volles E rfassen
und U m gestalten ausdrückte. Diese qualitativen U n ter­
schiede sind noch zum T eil aus der festgew ordenen
Rektion h erau szu lesen und mögen noch in u n serem
Sprachgefühl dem Dativ oder Akkusativ eine gew isse
Färbung verleihen. Da ab er heute der Übergang vom
Akkusativ zum Dativ die Wahl ein es anderen Verbs e r ­
ford ert, w ird es der Stilistik seh r schw er festzustellen,
inwiefern der K asus, inwiefern der Bedeutungsinhalt des
V erbalkerns der Absicht des Sprechenden oder S ch rei­
benden en tsp ric h t8^.
C h a rak teristisch ist, daß im Deutschen der Typus mich
f r ie r t, m ich hu n g ert, m ir graut im A bsterben begriffen
ist9), ebenso der Typus e r gedenkt m e in e r.
Es gibt schließlich V erbalkerne, die außer dem "Subjekt",
zwei "Objekte" m it einem bestim m ten Kasus fordern.
H ier lassen sich leicht zwei K reise unterscheiden:
a) V erba des Gebens und Nehm ens und V erba der M it­
teilung; die Doppelbindung ist durch den eigentüm lichen
Inhalt d ie se r V erba bestim m t, d .h . der Em pfangende im
F all des Gebens und der Mitteilung, der V erlieren de im
F all des Nehm ens ist im Dativ genannt und dam it eine
D ifferenzierung zwischen den an der Handlung beteiligten
"Größen" e rre ic h t. Da fast im m er dem Dativ eine P erso n,
dem Akkusativ eine Sache entspricht, führt dies zu ein er

96
U m d e u t u n g des Dativs als T rä g e r m ensch lich er B e­
ziehungen, auf die H. Brinkm ann m it Recht hingewiesen
hat; zugleich weist diese Umdeutung auf die relative In­
haltlosigkeit des Kasus im m odernen Deutsch hinlO),
b) V erbalkerne aus P a rtik e l und Verb. In diesem Fall
geht eine d er Verbindungsm öglichkeiten des Komplexes
von der P a rtik e l aus. Der häufigste F all ist der von
Kernen mit einem Akkusativobjekt und e in er D ativver­
bindung, die von d er P a rtik e l ausgeht: einem etwas
a b sprechen, v o r m achen, z u schreiben, einen Wagen
einem Zug a n hängen . . . H ).
Wir sind nun von e in er anscheinend se h r f o r m a l i s t i ­
s c h e n Haltung in das Gebiet des I n h a l t s geraten.
Wir wollen h ier haltm achen und die R ektionslehre nicht
w eiter ausbauen. Was w ir h ier ausgeführt haben, genügt
als Ausgangspunkt für eine prin zipielle E rö rteru n g . Wir
haben gesehen, wie s y n t a x e s t r u c t u r a l e und s y n ­
t a x e s é m a n t i q u e ineinandergreifen. D er Schlüssel
zur E ntw irrung des Knäuels scheint uns eine P rä z isie ru n g
des S aussu reschen Begriffs des S p r a c h z e i c h e n s zu
sein. Als B eispiel des Sprachzeichens gibt m an m eistens
V o l l w ö r t e r wie P fe rd , B aum , Nam en von Spezies.
Die stru k tu relle Analyse führt zur Entdeckung von Sprach-
zeichen, die als Verbindungen eines s i g n a n s m it einem
s i g n a t u m d er Definition entsprechen, a b e r nicht so
leicht faßbar sind.
Einm al besteht ihr s i g n a n s nicht in e in e r Folge von
Phonemen: auch das Nebeneinander von Einheiten, das
Gefaßtsein unter dem selben Intonationsbogen, auch der
Rang in ein er Reihenfolge kann ein Sprachzeichen sein,
eine "Angabe", die bei d er R ekonstruierung des "M itge­
teilten" aus dem G esprochenen eine Rolle spielt. Ande­
re r s e its läßt sich das s i g n a t u m nicht leicht ch a ra k te ­
ris ie re n , wenn es sich um G egensätze innerhalb sehr
allgem einer K ategorien handelt; m an weiß, wie schw er
es ist, m it einem M orphem des Modus einen "Inhalt" zu
verbinden; dazu kom mt, daß solche Zeichen auf Einheiten
bezogen sind, die selb er nicht leicht faßbar sind. Zum

97
Beispiel w äre der Kasus nach u n s e re r Analyse ein Hin­
weis auf die Qualität der Verbindung eines Satzglieds mit
einem Komplex, d e r ein b e stim m tes V erb oder einen b e ­
stim m ten V erbalkern enthält, wenn der Inhalt des V erbs
oder K erns eine M ehrzahl von Verbindungen zuläßt. Die
struk turelle Analyse liefert s u p r a s e g m e n t a l e M o r­
pheme, die auf ganze Zeichenkom plexe zu beziehen sind:
z.B . beziehen sich die M orphem e der Zeit und des Modus
nicht auf das V erb, dem sie angehängt sind, sondern auf
den Satz, der d ieses Verb als Kern hat* 2).
Die stru k tu relle Analyse hat für die Entdeckung und Cha­
ra k te ristik d ie se r eigentüm lichen Sprachzeichen einen
hohen h e u r i s t i s c h e n W ert: E rst die Abgrenzung der
Einheiten und die Aufzählung der Beziehungen macht uns
auf die Zeichen aufm erk sam . Am anderen Ende der Kette,
bei den Gattungsnam en wie P ferd und Baum , gehen wir
von den Sprachzeichen aus und beobachten, wie sie sich
m iteinander verbinden; das war die alte schulm äßige Auf­
fassung der Syntax: wie setzt m an "W örter" zu sam m en ?
Bekannt e r weise läßt sich eine G renze zwischen "S em an­
tem en" und "M orphem en", "lexikalischen" und " g ra m ­
m atischen" Inhalten nicht ziehen. Befriedigend w äre e rs t
eine Aufzählung, die nicht W örter, sondern a l l e
S p r a c h z e i c h e n e in er Sprache enthielte - auch solche
wie die V erbstellung oder die fragende Intonation - und
die den Inhalt jed es d ieser Zeichen angäbe.
Ein g ew isser am erik a n isc h e r F o rm a lism u s faßt Sem an­
tem e und M orphem e unter dem einzigen Nam en M orphem e
zusam m en und m acht sich anheischig, jedes M orphem zu
identifizieren durch die Summe der Kombinationen mit
anderen, in die es tre te n kann. Es ist unpraktisch und
schafft den Inhalt (meaning) nicht aus der Welt, da d ieser
eben die V erbindbarkeit bzw. N icht-V erbindbarkeit zw ei­
e r Sprachzeichen bedingt. Aber es enthält einen richtigen
Hinweis auf das P ro b le m ein er inhaltbezogenen Sprach-
betrachtung, die a l l e Sprachzeichen enthielte und ihren
Inhalt zu besch reiben (oder sollen wir sagen: zu u m ­
sch reib en ? ) v ersu ch te. Die i n h a l t b e z o g e n e G ram -

98
m atik w äre dann eine Semantik der nicht vom W örterbuch
erfaß b aren S p r a c h z e i c h e n . D a s W o r t e n d e r
W e l t ist letzten Endes das Netz d er Beziehungen
zwischen dem E rlebn is der Welt, das den M itgliedern
ein er G em einschaft gem ein ist, und den S p r a c h z e i ­
c h e n , die d er gem einsam e Besitz d e r M itglieder dieser
G em einschaft sind.
Je allgem ein er a b e r d er Inhalt eines Sprachzeichens ist,
desto schw ankender w ird die E rfassun g d ieses Inhalts.
In gew issen Verbindungen kann ein Zeichen weniger
"bedeuten" als e s nach seinem potentiellen Inhalt könnte:
In K onzessivsätzen mit "quoique" ist im F ran zösisch en
d er W ert (valeur) des Konjunktivs gleich null; der Gegen­
satz Konjunktiv : Indikativ ist h ie r "aufgehoben" 13)#
Um gekehrt ist es so, daß durch den Kontext (Redekon­
text und Situationskontext) ein Zeichen einen Inhalt b e ­
kom mt, der eigentlich e r s t durch die Zusam m enw irkung
des Kontexts und des Inhalts des Z eichens im strengsten
Sinne entsteht. G eßler sagt zu Teil:
Man sagte m ir, daß du ein T rä u m e r s e is t.
Der Konjunktiv scheint hier, wie in vielen Fällen, den
Inhalt des N ebensatzes (Teil ein T rä u m er) m it d er B e­
m erkung "zweifelhaft, kaum d er W ahrheit entsprechend"
zu versehen . Doch kann man sich einen Satz denken wie:
Du hattest vollkom m en recht, wenn du sagtest, daß Teil
kein T rä u m e r s e i, womit eben d er Inhalt des N ebensatzes
als vollkom m en d er W irklichkeit entsprechend hinge­
stellt wird.
Der gem einsam e Nenner ist, daß der Inhalt des Neben­
satzes abgehoben w ird von der M itteilungstätigkeit des
Sprechenden (am erikanische G ram m atik er nennen diese
Funktion "quotative", von "quote", Anführungszeichen).
E rst durch die Situation gewinnt der Hinweis darauf, daß
der Inhalt vom Sprechenden als die Meinung ein es anderen
hingestellt wird, den W ert e in er Anzweiflung. "E r sagt
es, nicht ich", bedeutet in den m eisten Situationen: "ich
glaube kein Wort davon", m an könnte sich ab er diesen

99
Satz denken als Berufung auf eine A utorität, die glaub­
hafter w äre als d er Sprechende selbst, mit der um ge­
kehrten Absicht.
Die E rm ittlung des "gem einsam en N enners" ist eine kom ­
p lizierte Angelegenheit, und der G ram m atik er begnügt
sich oft mit ein er Aufzählung d er "Inhalte", die e r in oft
w iederkehrenden Situationen beobachtet und die eigentlich
e r s t aus d e r Zusam m enw irkung des Kontexts und des
Zeichens entstehen; wenn e r nicht, wie im F all des
"quotativen" Konjunktivs, den häufigeren F all zum R egel­
fall m acht.
Der F all ist auch wohl möglich, daß einem Zeichen zwei
Inhalte eignen, die je nach d e r Verbindung zu r Geltung
kom men. Im Satz:
Der p rä h isto risc h e M ensch zähm te das P ferd
weist d a s auf die Spezies; in einem Satz wie "sattle das
P ferd", handelt es sich um den einzigen in F rag e kom ­
m enden V e rtre te r d er Spezies. Ein gem ein sa m e r Nenner
läßt sich kaum finden1'*).
Selbst bei den Einheiten mit konkretem Inhalt, die im
W örterbuch stehen, spielt die Aufzählung d er Kontexte,
die einen bestim m ten "W ert" des Z eichens bedingen, eine
bedeutende Rolle: man vergleiche den W ert des Zeichens
"W erk" in Stahlwerk, S am m elw erk, L aubw erk. Bei syn­
taktischen Zeichen fängt die Schw ierigkeit e r s t an. Dazu
kom m t, daß die Beschränkungen in der V erbindbarkeit
d e r Zeichen oder in d er vollen Benutzung ih re s Inhalts
nicht glatt d er "N atur der Dinge" entsprechen. Der
"N atur der Dinge" entspricht, daß im Deutschen der Kon­
junktiv nicht in einem Satz wie "ich glaube, du bist
v e rrü c k t" vorkom m t; denn der Inhalt des N ebensatzes fällt
mit der Meinung des Sprechenden im Augenblick des
Sprechens zusam m en nnd kann nicht vom M itteilungsakt
abgehoben werden; dagegen ist das Ausbleiben oder
W eiterbestehen d er consecutio tem p o ru m im deutschen
Konjunktiv nicht auf ähnliche Weise zu begründen.
Da die Sprache ein "h isto risc h G ew ordenes" ist, bietet

100
sie B eschränkungen in d er V erbindbarkeit der Sprach-
zeichen, die auf der jetzigen Stufe sich nicht rechtfertig en
lassen: z. B, kann sich die P räp ositio n nach nur mit dem
Dativ, nicht m it Dativ und Akkusativ verbinden, obwohl
sie auch "in Richtung auf . . . . " bedeuten kann; darin
scheint noch die alte Bedeutung "nahe, benachbart"
d u rch ^ ).
Die L eistung an "M itteilung" eines S prachzeichens geht
von Null im F a ll d er "Aufhebung" bis zu reichen augen­
blicklichen "Inhalten" in gegebenen Kontexten und Situ­
ationen; der Inhalt ein es Z eichens ist ein Potential, das
s i c h je nach dem F all "ausw irkt"; die S y n t a g m a t i k
ein er gegebenen Sprache leitet dieses "Sich-A usw irken"
auf eigentüm liche Weise in ihre Kanäle.
Die enge Z usam m enarbeit der inhaltbezogenen G ra m m a­
tik mit d er stru k tu relle n Analyse ist in zwei entgegenge­
setzten Richtungen unentbehrlich: e rste n s , um den r ic h ­
tigen Inhalt d er allgem ein eren M orphem e aus den v e r ­
schiedenen Syntagmen zu erschließen ; um das zu finden,
was wir oben als "gem einsam en N enner" bezeichneten,
auch um das aus ä lteren Stufen F o rt lebende (survivances)
vom gegenw ärtigen System zu trennen; zweitens um eine
Stilistik zu gründen, eine Lehre von den Bedingungen,
unter denen der Inhalt eines Z eichens sich ausw irkt. Die
großen U nterschiede in der L e i s t u n g eines Zeichens
sind - bis auf okkasionelle Rezepte d er Rhetorik - noch
nicht Gegenstand ein er U ntersuchung gewesen; diese
U ntersuchung w issenschaftlich auszubauen, dürfte der
"inhaltbezogenen G ram m atik " zufallen.
Die stru k tu relle Analyse steht insofern auf fe ste re m
Boden, als sie vom Text, vom e r s t a r r te n E rgebnis der
Sprechtätigkeit ausgeht; die inhaltbezogene G ram m atik
erw eist sich jedoch überlegen, wenn es sich d arum han­
delt, die M öglichkeiten der L a n g u e zu e rfasse n .
Die p ro v iso risch e Antwort auf die anfangs gestellten
F rag en darf lauten: E s ist nicht ausg eschlossen, daß am
Ende eine s unendlichen Wege s die t h e o r e t i s c h e Mög­
lichkeit e rre ic h t ist, die G esam theit der S p rach ersch ei-
nungen ebenso von d er Struktur aus als vom Inhalt der

101
Sprachzeichen aus zu e rfassen , von ein er gegebenen
Sprache eine erschöpfende C h arak teristik zu geben.
P r a k t i s c h ab er dürfte, solange wir dem Ziel noch so
fern sind, jede Richtung d er U ntersuchung von der a n ­
deren Anregungen und Warnungen bekom m en, die für sie
fö rd erlich sind; deshalb ist es w ünschensw ert, daß F o r ­
sch er der beiden Richtungen Z usam m entreffen und das
"A neinandervorbeireden" aufhört, wie e s b ish e r die Regel
gew esen ist. Mögen die obigen B etrachtungen nicht als
Einwände gegen eine inhaltbezogene G ram m atik v e r ­
standen werden, sondern a ls in d irek ter B eitrag zur E r ­
kenntnis ih re s Objekts in seinem vollen Umfang und zur
Steigerung ih re r m ethodischen Schärfe.

102
A n me r k u n g e n

1) E s s a i d e s y n t a x e s t r u c t u r a l e ist der Titel


eines nachgelassenen W erks des franz. Linguisten
Lucien T e sn iè re , das nun in P a ris (Klincksieck) e r ­
scheinen soll. Vom Inhalt d ieses L ebensw erks von
etwa 900 Seiten hatte T. eine kleine P robe (25 S. )
unter dem T itel "E sq u isse d'une syntaxe stru ctu rale"
gegeben (P a ris 1953). Ich verdanke T ., der mein
Kollege in Straßburg w ar, die w ichtigsten Anregungen
auf diesem Gebiet, bin jedoch mit se in er "stem m a-
tischen" D arstellung des Satzes, die den Eindruck
erw eckt, alle S atzglieder seien direkt m it dem Verb
als Satzkern verbunden, nicht einverstanden, wie aus
dem Folgenden erhellt.
2) W irtreib en h ier vergleichende form bezogene G ra m ­
m atik, wenn m an die P a a re "syntaxe stru ctu rale :
syntaxe sém antique" und "form bezogene : inhaltbe­
zogene G ram m atik" gleichsetzen darf.
3) Dies ist von H. Anstock in e in e r D e u t s c h e n S y n ­
t a x für tü rk isch e Studenten (Istanbul, 1954) ü b e r­
sehenw orden, ch ara k te ristisc h e rw e ise , da es bisher
eine L ehre von d er Stellung d er Satzglieder im
Deutschen nicht gibt, sondern nur von d e r V erb ste l­
lung.
4) In nicht-indogerm anischen "endgerichteten" Sprachen
ist das am Ende stehende "V erb" m anchm al voneinem
Nomen nicht zu unterscheiden.
5) In: "g estern w ar das W etter schön (aber heute ist ein
trü b e r Tag)", würde man, nach d er üblichen L ehre
das W etter, als Subjekt, m it dem P räd ik at war schön
+ g estern verbinden. D ieser Intention entspräche aber
ein a n d erer Satz, näm lich "das W etter w ar g estern
schön".
Einige F o rs c h e r versuchen, dem indirekt Rechnung
zu tragen, indem sie g este rn als "psychologisches

103
Subjekt" auffassen; dam it kann m an jede "letzte V e r­
bind ung en das S ubjekt-P rädikat-S chem a einzwängen,
das ab er nun nichts m ehr enthält, als was wir in der
obigen Analyse gefunden haben.
6) Die Regel, daß das Subjekt dem V erb nachgestellt ist,
wenn das e rste Satzglied, auf das das v. f. folgt, nicht
das Subjekt ist, hat ebensoviel W ert wie die F e s ts te l­
lung, daß in F ra n k re ic h ein M o to rrad fah rer keinen
D eutschen aufnim m t, wenn e r einen N icht-D eutschen
auf dem Soziussitz hat: gesetzlich darf e r nicht zwei
P erso n en auf den Soziussitz nehm en, das ist alles.
7) Dies m acht dem, d er von dem S ub jekt-P rädik at-S che­
ma für jeden Satz ausgeht, viel zu schaffen
(S. H. Anstock a. a. O. , S. 57); m an behilft sich dam it,
daß das Subjekt im Verb (d. h. im Prädikat) "enthalten"
sei, was eigentlich die L ehre zu Boden wirft.
8) Das heißt, ob die Wahl p rim ä r um des Kasus oder
des V erbs oder verbalen A usdrucks willen getroffen
wurde.
9) Man könnte die Zahl d e r G lieder m it einem bestim m ten
Kasus, die von einem V erbalkern infolge seines In­
halts g efo rd ert werden, mit der W ertigkeit (Valenz)
eines chem ischen E lem ents vergleichen; der V e r­
gleich ist um so treffend er, als auch chem ische K om ­
plexe (Radikale) eine Valenz haben können.
Das Deutsche näh ert sich e in er Stufe, wo die Valenz
eines einw ertigen V erbs im m er durch einen Nominativ
"gesättigt w ird", also ich hu n g ere, ich frie re , statt
m ich hu n g ert, m ich frie rt. In d iesem F all ist der In­
halt des Nom inativs e r s t rech t gleich Null.
10) Der Vollständigkeit halber w äre noch d er F all p riv a ­
tiv er V erba zu erwähnen, bei denen das Entzogene im
Genitiv genannt wird, den ein Akkusativ der P e rso n
begleitet: einen M inister sein es A m tes entheben, ein
Volk se in er Rechte berauben.
11) Im anfangs besprochenen B eispiel hat m an noch einen
anderen Dativ, d er dam it zusam m enhängt, daß
zwischen d er im Dativ genannten P e rso n und einem
Gegenstand, d er im m it dem Dativ verbundenen
Komplex genannt ist, ein P o sse ssiv v erh ältn is b e ­
steht: es handelt sich um die F e n s te r des P ro fe sso rs,
seine F e n ste r. Man vergleiche: d er B räutigam tritt
d er Braut auf den Fuß; dem König wurde ein P ferd
unter dem Leibe e rsc h o sse n . D araus haben die Mund­
arten eben einen E rsatz für den aussterb enden Geni­
tiv geschaffen: dem G roßvater sein Stuhl.
12) Ich habe vorgeschlagen, das Verb zu definieren als
ein Wort, innerhalb dessen ein Sem antem (des Tuns
oder Seins) mit M orphem en zusam m entrifft, die
dem Inhalt nach auf den Satz als Ganzes (Zeit, Mo­
dus des Satzes) zu beziehen sind (Journal de Psycho­
logie, 1950). Die M orphem e d er P e rs o n beziehen
sich nicht notwendig auf den Satz, sondern auf die
Verbindung S ubjekt-P rädikat, die nicht im m er s a tz ­
bildend ist, s. oben.
13) Die L ehre von d er Aufhebung von inhaltlichen Gegen­
sätzen, die eine gew isse Ähnlichkeit hat m it der Auf­
hebung phonetischer G egensätze, ist eine der wich­
tigsten E rrungenschaften d er neuen Richtung in der
Syntax. E ines d e r G lieder des G egensatzes fungiert
als "Null": im g riech ische n "gnom ischen" A orist
sind infolge des allgem einen W ertes des Gesagten
Zeit und A ktionsart "aufgehoben". Im Deutschen
fungiert h ie r das P rä s e n s a ls "Null".
14) Es ist möglich, daß im Falle, wo die Spezies g e­
meint ist, d er Gegensatz ein : d er aufgehoben ist,
und daß der "b estim m te" A rtikel h ier als "Null"
fungiert, wie im F all, wo Individuum und Spezies
der N atur des Dinges nach zusam m enfallen (Der
Mond).
15) Auf lex ik alisch er Ebene e n tsp rich t ein F all wie
Lügen stra fe n , wo die alte Bedeutung 'sch elten ', die
sonst nicht w eiterlebt, die Verbindung bestim m t hat.
105
AUFBAU DER MITTEILUNG UND GLIEDERUNG DER
GESPROCHENEN KETTE*

In ein er Einführung in die m oderne Sprachw issenschaft


(A C ourse in M odern L inguistics, 1958) gibt C. F .H o ckett
folgendes B eispiel der Analyse in i m m e d i a t e c o n ­
stituents:

she lik e-s fre sh milk

D ieses Schem a verbindet Segmente der gesprochenen


Kette (in sch riftlich er W iedergabe) zu höheren Einheiten,
diese w iederum zu Einheiten der nächsten Ordnung, bis
zum V ollsatz (Äußerungseinheit). Eine Einheit ist daran
zu erkennen, daß sie eine Funktion träg t (z.B . fre s h milk
die Objektsfunktion) und in d ie se r Eigenschaft mit anderen
Einheiten austausch bar ist (z.B . fre s h m ilk mit hot milk,
pale a le . it usw.).
Gegen Hocketts D arstellung in diesem bestim m ten F all
habe ich zwei Einwände:
1. Das Segment ^ s in lik e -s enthält eine Angabe über die
P erso n , der die Liebe zur frisch en Milch zugeschrieben
ist, näm lich, daß e s sich nicht um einen T eilnehm er des
K om m unikationsaktes handelt (3. P erso n), und daß es
sich um eine einzige P e rso n handelt (Singular). Es ist
eine M itteilung über das Subjekt. Der Funktion nach g e­
hören m. E. she und j^s zusam m en, und bilden vereint
das Signans des Subjekts. Das Schema der Verbindung
* E rstm a ls veröffentlicht in ZPSK Band 18, Heft 2,
B erlin 1965, S. 173-179.

106
Subjekt-P rädikat w äre also, stren g genommen: (she, -s)
(like- fre s h milk).
2. Dadurch, daß like zu liked sich wie das eine Glied
ein er Opposition N icht-V ergangen : Vergangen verhält,
findet sich zw ischen like und ^s noch ein N ull-Zeichen,
ein Zeichen des " P rä s e n s " . Was ab er als für die Gegen­
wart gültig hingestellt ist, ist die gesam te Mitteilung
über die Liebe e in er weiblichen P e rso n zur frischen
Milch. Die Kette:
she lik e -0 -s fre sh m ilk
entspricht m. E. einem V erbindungsschem a:
(0) (she like- . .. - s fre sh milk)
(Andere verbinden die Angabe des Tem pus mit dem P r ä ­
dikat, das als ein V erbalkom plex (VP = v erb al phrase)
definiert w ird, der sich m it einem Nominalkomplex (NP),
dem Subjekt, verbindet. Wir lassen h ier die F rag e un­
entschieden, da es für u n sere Darlegung nicht wesentlich
ist).
Wir stehen vor folgender T atsache: um den Aufbau der
M itteilung auf ein er Linie richtig darzustellen , m üssen
wir Teile der gesprochenen Kette um stellen, und zwar
so, daß die D arstellung eines jeden Glieds ein er V erbin­
dung (Konnexion) alle Teile d ieses Glieds enthält: bei der
D arstellung der Konnexion Subjekt-P rädikat enthält z .B .
die D arstellung des Subjekts she und - s . die in der Kette
getrennt sind. In dem deutschen B eispiel m ach die T ür
zu müßten wir für die Verbindung O bjekt-V erb folgende
D arstellung vorsehen: die T ü r (m ach . . . zu).
Daß es diskontinuierliche Einheiten gibt (discontinuous
IC s). erkennt auch Hockett an, jedoch eh er beiläufig.
Andere haben das P ro b lem sy stem atisch er behandelt, so
z.B . V. Yngve, d e r den Ausdruck well behaved 'gut g e­
baut' für eine Sprache verw endet, in der es keine d is ­
kontinuierlichen Einheiten gibt; oder L ecerf, der einen
Satz projektiv nennt, wenn eine D arstellung der Kon-

107
nexionen ohne Überschneidung der Linien m öglich ist.

ferm e la porte m ach die T ür zu

Ly yy
V Obj. V O Abb. 2

Die "P rojektivität" scheint doch der häufigste F all zu


sein, und m an konnte hoffen, mit verhältnism äßig wenigen
zusätzlichen Regeln für die Um stellung auszukom m en,
um eine richtige sprachliche Kette zu erzeugen. Dies ist
aber nur solange möglich, wie m an das Wort als G rund­
einheit nim m t.
Die Sicht ändert sich, wenn m an so v erfäh rt, wie wir es
getan haben, wenn wir in likes drei Zeichen ansetzen,
näm lich V erbstam m , T em puszeichen und Zeichen der
P erso n, und dabei feststellen, daß sie funktionell nicht
zusam m engehören, sondern G lieder v ersc h ied en er V e r­
bindungen sind.
Die traditionelle G ram m atik o p e rie rt h ier oft mit dem
Begriff der Kongruenz; es ist dann, als ob die 3. P e rs .
Sing. eine kontextbedingte V ariante des Zeichens Verb
w äre, die da ersch ein t, wo das Subjekt aus ein er N om i­
nalgruppe im Singular besteht.
Dem w idersprechen die k lassisch en und die slaw ischen
Sprachen, wo die Personalendung oft d er einzige V e r­
tr e te r des Subjekts ist. Die G ram m atiken m od ern er
Sprachen stehen ziem lich ratlo s vor der T atsache, daß
im Im perativ das Subjekt auf irgendeine Weise "im Verb
enthalten ist". "Im V erb enthalten sein" bedeutet "T eil
eines K ettensegm ents ohne innere G renze zu sein","in dem
auch das Grundglied e in e r verbalen Gruppe (Verblexem )
und zwei Satzm orphem e (Tem pus, Modus) zu finden sind".
Die auf die Erzeugung ein er sprachlich richtigen Kette
gerichtete generative G ram m atik ringt mit diesen P r o ­

108

J
blem en; es handelt sich darum , Zeichen, die in sta m m ­
baum ähnlichen D arstellungen (trees) dem richtigen V e r­
bindungsknoten (node) zugeordnet sind, einem in der End­
kette stehenden Wort zuzuführen. Das T em pus, in der
F o rm des P rä te rita lz e ic h e n s -e d . w ird d er Spitze ein er
ganzen V erbalgruppe (VP) zugeordnet, schließlich wird
dann dieses Zeichen dem V erbstam m zugeleitet.
VP. (-ed, P rät.)

Anstatt sich m it Notbehelfen zu begnügen, müßte man


sich bewußt w erden, daß der Aufbau der M itteilung und
die G liederung der Kette nicht iso m o rp h sind.
Es ist z. B. eine typische E rscheinung, daß die Zeichen
für Modus und Tem pus, die sich m. E. mit der ganzen
V erbalgruppe verbinden, in e in er Kette dem V erblexem
(dem Grundglied der Gruppe) angegliedert werden, wo
sich dieses auch befindet. Sie m üßten dem Satz voran-
oder nachgestellt werden, wenn die Kette ein g etreu es
Bild der syntaktischen Verbindungen sein würde. Die
K asus- und N um eruszeichen der Nom inalgruppe bestehen
aus Folgen von Endungen, z .B . jms, -e n . -e in die großen
B äum e; es sind diskontinuierliche M orphem e, deren
Teile verschiedenen T eilen der Nom inalgruppe (Artikel,
Adjektiv, Substantiv) angegliedert sind.
Eine D arstellung, die den Aufbau e in er M itteilung w ider­
spiegelt, ist eine A bstraktion, die sich ab er auf objektive
Beobachtungen stützt, wie die Möglichkeit der Kommu-
tation, die Verbindung ein er Änderung in der Mitteilung
109
m it ein er Änderung in der Kette usw. Auf d ie ses Schema,
nicht auf die Kette, paßt die D arstellung der Konnexionen
durch stem m aähnliche Abbildungen. E s ist eine andere
graphische D arstellung zu finden, um das V erhältnis
zwischen den T eilen des A ufbauschem as und den T eilen
der Kette zu zeigen.
Wir schlagen vo r, das Aufbauschem a in v ertik a le r Folge
und die Konnexionen links davon stem m aähnlich anzu­
geben; die Kette aber wie gewöhnlich in e in er ho rizo n ­
talen Linie anzubringen, und ih re Teile mit den e n ts p re ­
chenden T eilen des Aufbauschem as zu verbinden, z. B. :
d- (bestim m t) <----------- ) die großen Bäume
e,-en , -e (Plur.) <-----------!----- !-----i------ i-----!
I •
I— groß-<--------------------------------------i ;
LJ ! Abb. 4
'— Baum - <-----------—-----------------------------------1
Das Aufbauschem a ist nicht gerichtet (orientiert); um zu
zeigen, daß A mit B eine höhere Einheit bildet, kann m an
A+ B oder B+ A schreiben. Eine Konvention ist notwendig
(z. B. die alphabetische Folge in A+ B).
H ier besteht die Konvention darin, daß m an vom G rund­
glied ausgeht, das die F o rm der Gruppe (verbal, no m i­
nal) bestim m t und durch eine Reihe von Konnexionen die
Gruppe aufbaut. Was die verbale Gruppe betrifft, so e n t­
spricht sie im Deutschen ungefähr d er Nebensatzfolge:
• wo
• P rä s e n s
•ein sanfter Wind (-t)
—vom blauen H im m el
—weh-
Wir haben h ie r nur die Konnexionen verzeichnet, die für
eine verbale Gruppe c h a ra k te ristisc h sind. Eine N om i­

110
nalgruppe wie "ein sanfter Wind" sollte w iederum vom
Grundglied Wind ausgehend "aufgebaut" werden.
L. T e sn iere hat seh r früh (um 1935) darauf hingewiesen,
daß in m odernen Sprachen der Satz aus ein er spezifischen
Gruppe besteht, die w iederum andere spezifische Gruppen
enthält, u s w .; e r nennt das Grundglied "noeud" und seine
Analyse sch reitet von "noeud" zu "noeud"; alles, was
unterhalb ein es jeden G rundgliedes steht, gehört zur e n t­
sprechenden Gruppe.

Wenn wir diesen Gedanken w eiterführen, kom m en wir zu


folgendem Bild: eine spezifische Gruppe besteht aus drei
Teilen:
1. einem Grundglied, einem M itteilungskern, der in der
verbalen Gruppe im "V erb", in der nom inalen im "Nomen"
enthalten ist (k e n n -, aber ohne -0 - und st);
2. bestim m ende G lieder, die w ieder aus ein er sp ezi­
fischen Gruppe bestehen (z. B. "das Land, wo die Zitronen
blühn" in der oben zitierten Verbalgruppe);
3. K ategorienzeichen (Tem pus, N um erus usw. ), die den
Komplex aus 1. und 2. betreffen, z.B . die Zeichen für
F rag e, Modus, Tem pus im oben zitierten F all, die den
Komplex aus k en n -, Objekt und Subjekt betreffen.
Man könnte die spezifische Gruppe mit ein er Büchse v e r ­
gleichen, die andere Büchsen enthält (der niederländische
S prachforscher P aardekooper gebraucht das Wort
nestedo osje). Das Grundglied entspricht dem Boden, die
K ategorienzeichen dem Deckel.
Es ist bekannt, daß die deutsche Schreibw eise die W örter
nicht trenn t, wie es die phonologischen G renzsignale

111
tun: Zusam m enhalten w ird in "einem W ort" geschrieben,
obwohl h in halten einen Wortanfang ankündet, und zu­
sam m en in anderen Stellungen ein Wort dar stellt (sie
halten zusam m en).
Es läßt sich nachw eisen, daß diese graphische A bgren­
zung nicht die phonologische G liederung der Kette, son­
dern das Aufbauschem a w iderspiegelt: die L eerstellen
zeigen entw eder die G renze e in er spezifischen Gruppe
oder die Stelle an, wo eine w eitere Expansion durch eine
spezifische Gruppe m öglich w äre.

/ das Land, wo die Z itronen blühn /


/w o die Z itronen b lü h n /
/ die Z itronen /
(die / gelben / Zitronen)

A rtillerie in A rtille rie k a se rn e w ird nicht abgetrennt,


weil h ier A rtille rie zwar durch ein Kom positionsglied
(F e ld a rtille rie ), doch durch keine spezifische Gruppe e r ­
w eitert w erden kann. Die scherzhafte Bildung reitende
A rtilleriek asern e deutet darauf hin. Die tre n n b are P a r ­
tikel, die nicht G rundglied einer spezifischen Gruppe sein
kann, w ird entsprechen d behandelt. In " sie halten zu­
sam m en" kann die L eerstelle etw as aufnehm en (sie halten
fest zusam m en), in "Z usam m enhalten" ist das nicht der
F a ll (fest Zusam m enhalten).
Das Grundglied kann sprachlich einfach (b lü h -) oder zu­
sam m engesetzt sein: dazu gehört die Verbindung eines
verbalen L exem s mit ein er tren n b are n P a rtik e l (Lexie):
z u sa m m e n -h a lt-. und der p erip h ra stisc h e A usdruck des
Aspekts: e r / hat geschlafen / (bei T esn iere "nucleus").
Innerhalb jed er "B üchse" steht das P ro b lem der Reihen­
folge der Aufschichtung kleiner Büchsen, d. h. der
Reihenfolge d e r Konnexionen; ein P ro blem , das T esniere
kaum b erü h rt hat (er läßt die G lieder in der Ordnung,
in der sie sich in der Kette befinden); das aber.

112
a n d e re rse its, die " tre e s " in den V ordergrund rückt,
z. B, :

TESNIERE: Schema: P rä s . Indik.


pater, -t
p a ter filio librum — filio Abb. 6
librum

Geht m an statt von d er Reihenfolge in d er Kette vom


A u f b a u s c h e m a aus, so w ird e s leicht sein, die G ra ­
phen so zu gestalten, daß die H ierarch ie der spezifischen
Gruppen k lar herauskom m t.
Das Wort "K lam m erbildung" ist leid er schon in einem
anderen Sinn benutzt, sonst würde e s trefflich auf die
Einrahm ung der G lieder durch Grundglied und Katego­
rienzeichen (s. oben V erb stam m (d a - ) und T em pus/M odus
(P rä s . /Ind ik.))passen.
E s sei uns gestattet, einen Einblick in die p ro v iso risch en
E rgebnisse e in e r W iederaufnahme der gram m a tisch en
P roblem e m o d ern er Sprachen (deutsch, fran zösisch ,
englisch) in diesem Sinne zu geben. Die Beispiele werden
hier zum eist aus dem Deutschen genom m en.

V e r b a l g r u p p e (mit v e r b u m finitum)
Die M oduszeichen gehören ein er Opposition an, die g e­
wiß den Satz als Ganzes betrifft: die durch den Satz zum
Ausdruck gebrachte M itteilung w ird als Inform ation oder
Aufforderung hingestellt (Indikativ: Im perativ), a ls der
W irklichkeit entsprechend, oder als "n ur-g edach t" (Glinz)
angesehen (Indikativ: Konjunktiv II): e s ist rieh tig ;es w äre
rich tig .
Ob das Tem pus auch den Satz oder nur den V erbalkom ­
plex (VP), der sich mit dem Subjekt verbindet, das P rä -

113
dikat im eng eren Sinne des W ortes betrifft, ist weniger
klar. Vielleicht hängt es von der Situation ab, d .h . nichts
deutet in der Kette darauf hin, w elches von beiden zu ­
trifft, und e r s t der Bezug auf eine b estim m te Situation
entscheidet.
D er Aspekt, z. B. der Gegensatz zw ischen abg eschlos­
senem und nicht abgeschlossenem Vorgang (Perfekt : P r ä ­
sens), scheint eh er das P räd ik at zu betreffen: Hans / ist
nach Hause gekom m en : H a n s /k o m m t nach H ause. Das
Signans des P erfe k ts besteht, wie bekannt, aus dem
Stam m des H ilfsverbs und den Kennzeichen des P a r tiz i­
pium s II (ge .. . en), ein "diskontinuierliches M orphem ".
Die P ersonenzeichen gehören, wie wir oben gesagt haben,
dem Subjekt an. Ein V erbalsatz ist nicht notw endiger­
weise das E rg ebn is der Verbindung ein er Nominalgruppe
mit ein er V erbalgruppe; die d arau s entstandene Einheit
kann noch durch U m standsangaben bestim m t werden:
dans la nuit du 3 au 4 m ai. / l'a rm é e de Meade p a ssa le
Rapidan(Datum eines E re ig n isse s des S ezession skrieg es,
auf das die Verbindung Subjekt / V erbalkom plex hinweist).
Das hat unter anderen Togeby k lar erkannt.
Wir haben es mit der einfachen T atsache zu tun: eine
"V erbform " (Kettensegm ent), die Personenendungen auf­
weist, läßt eine Konnexion V erb/Subjekt erw arten , es
sei denn, daß das Subjekt nur durch diese Endung ange­
geben ist, oder daß eine w eitere Spezifizierung (z. B.
eine Nom inalgruppe) in der Kette zu finden ist; Verba
ohne Oppositionen der P e rso n (unpersönliche Verba) la s ­
sen kein "Subjekt" zu: m ir g ra u t, heute wird g etanzt.

N o m i n a 1g r u p p e ( S u b s t a n t i v a l s G r u n d g l i e d )
Das Grundglied ist einfach oder komplex (Ableitung, Z u­
sam m ensetzung). Der "Deckel" besteht aus zwei K ate­
gorien; wir haben h ier eine Opposition b e s t i m m t :
u n b e s t i m m t und eine Opposition S i n g u l a r . P l u ­
r a l (N um erus).
Der e rste n entspricht eine Gegenüberstellung: d-: N u l l

114
die großen Bäume : große Bäume (die e r s te Gruppe um ­
faßt alles, was in der gegebenen Situation unter die B e­
zeichnung "g ro ß er B aum 1' fällt, die zweite läßt dies un­
bestim m t). Der zweiten liegt eine G egenüberstellung
"ein"-Singularendungen (ein; - e r . Null in ein großer
B aum ): Pluralendungen (e, e) zugrunde. Die Opposition
des N um erus kann sich nur auf disk rete Größen beziehen.
Sonst ist sie aufgehoben: Zeichen für die Aufhebung ist
die S ingularform ohne ein:
Sing. : P lu r. ein h a rte r S tein : harte Steine
Aufhebung. h a rte r Stein
Im Deutschen gibt es dem nach keinen "unbestim m ten
A rtikel"; das Zeichen für U nbestim m t ist Null (Fehlen des
Zeichens d- für "b estim m t"). Wir analysieren der harte
Stein und ein h a rte r Stein wie folgt:
1. (Bestim m theit) d- Null
2. (Numerus) - r , -e. Null ein; Null, - r . Null
3. Kern h a r t- , Stein h a r t- , Stein
Verbindet sich eine P räp ositio n mit einer Nom inalgruppe,
so gibt es die Möglichkeit ein er Opposition Dativ: Akku­
sativ (S tand ort: Ziel); die Nom inalgruppe ist zwar T rä g e r
der K asusm orphem e, aber diese betreffen die adverbiale
Gruppe aus P räp ositio n - N om inalgruppe. E s gibt also
im gegenw ärtigen D eutsch zwei K asussystem e: ein v i e r ­
gliedriges, das die Funktion der Nom inalgruppe betrifft,
ein zw eigliedriges, das die Funktion gew isser Gruppen
P räposition-N om inalgruppe betrifft. Nach Präpositionen,
die nur einen K asus " re g ie re n ", ist diese zw eigliedrige
Opposition aufgehoben oder hat einen anderen T rä g e r
(Form der P räp ositio n in: kom m zu m ir , bleib bei m ir ).
Abschließend können wir folgendes festhalten: V ersuche,
die Gliederung einer Kette mit Hilfe von Baum - und
G raphendarstellungen sowie P aren th ese n unter Bezug­
nahme auf syntaktische Funktionen vorzunehm en, beruhen
auf einem M ißverständnis: es ist die O rganisation und
H ierarchie des "Aufbaus der M itteilung", die so d a rg e ­
stellt wird.
115
Die jetzigen G raphen sind verkappte D arstellungen des
A ufbauschem as, wie es aus der syntaktischen Analyse,
ja E xegese d e r Kette gewonnen w erden könnte.
N icht-Isom orphie bedeutet jedoch nicht, daß kein e in ­
deutiges V erhältnis zwischen Aufbauschem a und Kette
besteht; das besagt nu r, daß d ieses V erhältnis nicht e in ­
fa c h ist (keine P ro je k tiv itä t!), und sy ste m a tisc h e r u n te r­
sucht w erden müßte. Wer als Mitglied ein er Sprachge­
m einschaft m it d ie se n N o rm e n v e rtra u t ist, deutet (oder
versteh t richtig) die durch die Kette v erm ittelte M it­
teilung, e r v ernim m t z. B. das M oduszeichen als Teil
des "V erb s", bezieht die Angabe ab e r richtig auf das
Satzganze. Und um gekehrt erm öglicht die V ertrautheit
mit diesen N orm en die Erzeugung ein er sprachrich tig en
Kette (generative G ram m atik).
Wir erheben nur A nspruch darauf, d er Lehre der ICs und
d er generativen G ram m atik, die sich als fruchtbar e r ­
w iesenhaben, zur K larheit über das Wesen der von ihnen
ausgeführten O perationen zu verhelfen; in der P ra x is e r ­
weist sich diese Klärung als ein F o rts c h ritt, insofern
sie zu neuen E insichten in die G ram m atik einzelner
Sprachen führt.

116
DIE STRUKTURANALYSE DES DEUTSCHEN SATZES.
SPRACHWISSENSCHAFTLICHE ANALYSE
UND SPRACHUNTERRICHT*

Die Sprachw issenschaft hat sich seit einem halben J a h r ­


hundert allm ählich von falschen Begriffen üb er das Wesen
d e r Sprachgegebenheiten, von Verw echslungen zwischen
logischen und syntaktischen Beziehungen und von Modellen
befreit, die an den klassischen Sprachen gewonnen und
zu Unrecht auf die m odernen angewandt w aren. M ehrere
große K ultursprachen, zum al das Englische und das
F ran z ö sisch e, haben als V ersuchsfeld für die Anwendung
stre n g e re r Methoden gedient. Die Bewegung wurde durch
die Verwendung von E lek tro n en rech n ern zum Zweck der
autom atischen Ü bersetzung beschleunigt: Die M aschinen
benötigen vollständige und feh lerfreie Angaben, sonst
stoppen sie vor einem unvorhergesehenen F a ll oder e r ­
zeugen eine A bsurdität.
Was das Deutsche, das T hem a u n s e re r Untersuchung,
betrifft, setzte die Bewegung langsam ein. Deutschland
verfügte üb er eine reiche T radition auf dem Gebiet der
h isto risch en G ram m atik, die sein Ansehen begründet hat
und der es sich verpflichtet weiß. Dennoch zeigen sich
Ansätze, und die Bewegung beschleunigt sich. Im Osten
hat die Akadem ie d er W issenschaften zu B erlin eine A r­
* E rs tm a ls veröffentlicht unter dem T itel L 'A nalyse s tr u c ­
tu rale de la p h ra se allem ande. Analyse linguistique et
enseignem ent des langues, in: Langage et com portem ent 1,
1965, S. 49-60.Die deutsche Ü bersetzung von Uwe Mönnich
erschein t 1969 in: V orschläge für eine stru k tu rale G ra m ­
m atik des Deutschen (Wege der F orschung, Bd. CXLVI).
H rsg. von Hugo Steger. Abdruck d er Ü bersetzung mit
freundlicher Genehmigung d er W issenschaftlichen Buch­
gesellschaft, D arm stadt.

117
beitsstelle gegründet, deren Ziel eine "stru k tu relle G ra m ­
matik der deutschen G eg enw artssprache" ist. Im Westen
ist mit U nterstützung der Deutschen F orschu ngsg em ein­
schaft eine Gruppe von S prachw issenschaftlern en tstan ­
den, wo m an die Struktur des Deutschen e r ö r te rt. Die­
selbe Institution hat auch die A rbeit des Schw eizer S prach­
w issen sch aftlers Hans Glinz gefördert, von dem der e rste
V ersuch ein er neuen Analyse des Deutschen stam m t: Die
innere F o rm des Deutschen, B ern 1952 (4. Auflage 1965).
In den kü rzlich erschienenen G ram m atiken der deutschen
Sprache, der neuen Dudengram m atik (1959) und derjenigen
von Brinkm ann (Die deutsche Sprache, 1962), haben neue
Ideen praktischen N iederschlag gefunden. Hans Glinz ist
mit der Leitung ein er pädagogischen Hochschule 1) b e ­
traut und bildet dort zukünftige L e h re r im Sinne der neuen
G ram m atik aus.
Wir möchten an d ie se r Stelle an Hand von ausgewählten
B eispielen eine V orstellung von diesen Analysen geben,
die uns zwingen werden, die Handbücher um zuarbeiten
und die Methoden zu überdenken, nach denen dem Schüler
die Strukturen ein er F re m d sp ra c h e verm ittelt werden
sollen. Man ist sich im P rinzip einig, daß der alte E m ­
p irism u s, der auf d iesem Gebiet h e rrsc h te , überwunden
werden muß und die Verbindung von G rundlagenw issen­
schaft und Anwendung wie ü b erall zum dringenden Gebot
wird.
Der T erm inus S t r u k t u r , der im V o rdergrund der ak ­
tuellen Bewegung steht, w ird in zwei Hauptbedeutungen
gebraucht2);
1) E r bezieht sich auf den Aufbau kom plexer Einheiten
aus elem en taren Einheiten. E s ist nicht gleichgültig, ob
sich eine Einheit aus drei E lem enten abc d arstellt als
Verbindung von a mit einer e rste n Einheit bc oder als
Verbindung ein er Einheit ab m it c. Ein a lte r deutscher
Witz besteht darin, M ädchenhandelsschule, wo H andels­
schule durch Mädchen bestim m t ist, so zu deuten, als ob
Schule durch Mädchenhandel bestim m t sei.
2) E r bezieht sich auf das G liederungsprinzip ein er Menge
g ra m m a tisc h e r Oppositionen wie z. B. der T em pora des

118
Satzes mit V erbum finitum , der im A rtikel enthaltenen
Angaben usw. Die Wahl einer F o rm stellt sich dar als
eine Folge von W eichenstellungen. Man wählt zunächst
einen A usdruck des B edauerns, danach legt man fest, ob
es sich um eine vergangene (Hätte ich dam als geschw ie­
gen !) oder gegenw ärtige Situation handelt (Könnte ich
E n g lisch !).

Analyse der Gruppen


Die traditionelle G ram m atik ging aus von den W örtern,
die in W ortklassen eingeteilt sind, Verb, Subst'antiv usw.
Es zeigt sich nun ab er bei der Analyse der m odernen
Sprachen, daß die Eigenschaften, die dem W o r t ein er
gegebenen W ortklasse zugeschrieben werden, in W irk­
lichkeit mit s p e z i f i s c h e n G r u p p e n verbunden
sind, zu deren Bildung dieses Wort den Anlaß gab: Das
T e m p u s ist ein C harak teristikum des V erbalsatzes,
dessen Inhalt dem entsprechend z. B. in die Gegenwart
od er die Vergangenheit verleg t ist; d er M o d u s zeigt die
Funktion des Satzes an (Aussage oder Befehl u s w .). Nicht
das Substantiv, sondern die Substantivgruppe hat die
Funktion des Subjekts oder Objekts: Die ausländischen
Studenten der Medizin (versam m eln sich ).
Die beiden b em erk en sw ertesten spezifischen Gruppen
sind die vom verbalen und nom inalen Typ. Das komplexe
(abgeleitete oder zusam m engesetzte) Wort stellt eben­
falls P ro blem e bei der Analyse.

Die V erbalgruppe
Die alte G ram m atik glaubte, daß der Entstehungsakt des
Satzes die Verbindung eines "Subjekts" und eines Verbs
sei, das als "P räd ik a t" angesehen wurde, welches etwas
über das Subjekt aussage. Alles Übrige wurde als neben­
sächlich, als einfache "E rgänzung" betrach tet.
Man suchte folglich die K onstruktion des deutschen Satzes

119
zu beschreiben, indem man von den beiden möglichen
Anordnungen d er "w esentlichen" E lem ente, Subjekt und
Verb, ausging, näm lich den Folgen "Subjekt-V erb" und
"V erb-Subjekt"(Inversion). M an trifft dam it keine sp ra c h ­
liche Gegebenheit, denn d ie se r U nterschied kann mit
keiner g ram m a tisch en Unterscheidung verbunden werden.
Der U nterschied zwischen Aussage und F rag e findet sich
auch in subjektlosen Sätzen: Heute w ird getanzt. / Wird
heute getanzt ? Und die Inversion kom m t ebenso im Aus­
sage- wie im F ra g e s a tz vor: Heute kam e r . Wann kam
e r ? Kam e r g e s te r n ?
Von Bedeutung für die G ram m atik ist die Stellung der
P e rso n alfo rm des V erbs (verbum finitum). Sie befindet
sich am Anfang des Satzes im F a ll der S a t z f r a g e :
Kommt e r h e u te ?, des Befehls im Im perativ: Kommen
Sie g le ic h !, des A usrufs des B edauerns: W äre nur ein
Z auberm antel m e in !, der ausdrücklichen Begründung:
Bin ich doch kein Kind m e h r ! Sie folgt un m ittelbar dem
e rste n Satzglied in den anderen unabhängigen Sätzen. Sie
steht am Schluß in den R elativ- und Konjunktionalsätzen.
Was man üb er die Stellung des Subjekts leh rte, gilt für
jedes Satzglied: es steht nach dem Verb, wenn der Satz
mit dem V erb beginnt, und es steht sonst auch nach dem
Verb, wenn es nicht das einzige Glied bildet, das diesem
vorhergeht.
Die deutschen G ram m atiken, die in Deutschland in den
letzten Jah ren ersc h ie n en sind, sprechen nicht m ehr von
Inversion, sondern von "V erbstellung".
Die Anleitung d er Schüler w ird darin bestehen m üssen,
sich den Zusam m enhang von Funktionsw echsel und Stel­
lungsw echsel des V erbs einzuprägen: Kommt e r m it? /
E r kom m t m it. , und zu verhindern, daß der Schüler un­
te r dem Einfluß des F ran zö sisch e n m ehr als ein Satzglied
vor das Verb bringt: 1Heute der ^Inspektor ist da.
Die G ram m atiken enthalten em p irisch e Bem erkungen
über die Stellung d er S atzglieder, die sich bald auf deren
F o rm , bald auf deren Inhalt beziehen: "Im allgem einen"
geht das Dativobjekt dem Akkusativobjekt voran (einem
B ettler Geld geben), die Ergänzung ohne P räp ositio n der
120
P räpositionalergänzung (einen Stein ins W asser w erfen),
die Z eit- und O rtsbestim m ungen den anderen. Diese letzte
Regel ist unvereinbar mit der vorletzten, wenn die Z e it­
oder O rtsbestim m ung eine P räp o sitio n alp h rase ist: E r
fand im Wald ein B lüm chen.
Das wesentliche Phänom en liegt w oanders. Es handelt
sich dabei um eine F ra g e der Struktur: Von zwei S atz­
gliedern nim m t dasjenige die e rste Stelle ein, das die
Gruppe bestim m t, die von dem anderen zusam m en mit
dem verbalen K ern gebildet wird: Man verbindet einem
B ettler m it Brot geben: Der B ettler ist das Ziel des
Brotgebens. Aber es heißt: " Du so llst d ieses Heu den
Kühen geben" (Was soll mit dem Heu gem acht w erden?
den Kühen geben).
Die Folge d er S atzglieder ist unabhängig von der Stellung
d er P e rso n alfo rm des V erbs (bewegliche F o rm ). Das
letzte Satzelem ent ist dasjenige, das m it dem V erb die
1. Einheit bildet; diese Einheit verbindet sich mit dem
vorhergehenden E lem ent, um die 2. Einheit zu bilden,
usf. : Hans setzte scherzend d er Statue seinen Hut auf
(Verbindung setzte . .. auf. N r. 1 - Verbindung d ieser
Einheit m it dem Objekt seinen Hut. Nr. 2, u s w .). Man
kann diese sukzessiven Verbindungen durch folgendes
Schema darstellen:
r ...........................................................................................
Hans setzte scherzend d e r Statue seinen Hut auf (Verb)
3 -2 1 1 II1
5 4
Weder die F o rm des Satzglieds (Kasus, P räposition) noch
sein Inhalt (Zeit, Ort) bildet also den w esentlichen F a k ­
to r, von dem seine Stellung abhängt. Es ist vielm ehr die
Einheit, m it d er es als bestim m endes Glied verbunden ist.
Das betrifft ebenfalls das Subjekt: Hans steht vor der An­
gabe der Handlung, die ihm zugeschrieben ist.
Die früheren Bem erkungen betreffen die h ä u f i g zu b e ­
obachtenden Anordnungen, die ab er nicht vom sp ra c h ­
lichen System h er obligatorisch sind^l Sie tragen häu­
figen A usdrucksbedürfnissen Rechnung; wenn m an z. B.

121
ein Datum oder eine O rtsangabe m it einem E reign is v e r ­
bindet:
* f.............................................................................................
Im Schl.fallen einem die gebratenen Tauben in den Mund(V)i

* Schlaraffenland
Man wird durch Übungen (Erw eiterung des Satzes durch
neue G lieder, Angabe der Stellungen in einem Schema
u s w .) Gewohnheiten schaffen m üssen, die d ie ser N orm
des deutschen Satzes entsprechen.
Die Reduktion des Satzes auf Konnexionsschem ata
("trees") im Hinblick auf die autom atische Ü bersetzung
hat zur Entdeckung dieses Stellungsgesetzes geführt.

Die Nominalgruppe
Im m odernen Deutsch gibt es eine Einheit, die v e rs c h ie ­
dene Kasus annehm en kann, d .h. deren F o rm sich en t­
sprechend ih re r Funktion ändert; es ist dies die N o m i ­
n a l g r u p p e , d eren K ern ein Substantiv oder ein "su b­
stan tiv iertes" Adjektiv ist. Man sagt ein a lte r Wagen,
wenn die P h ra se Subjekt, einen alten Wagen, wenn sie
Objekt eines tran sitiv e n V erbs ist. Der A nzeiger des
Kasus ist die Folge von Suffixen, die von dem A rtikel,
dem attributiven Adjektiv und dem Substantiv getragen
werden, im F a ll einen alten Wagen also n - n - 0 .
Streng genom m en gibt es keine Deklination des A rtikels,
des bestim m enden oder attributiven Adjektivs oder des
Substantivs, sondern nur eine Mitwirkung d ie se r E le ­
mente an der Deklination der Gruppe. W a sm a n a ls P a r a ­
digma der Deklination des Adjektivs hinstellt, ist in W irk­
lichkeit die d er Gruppe: der alte Wagen, den alten Wagen
usw. Man lernt, sich der Gruppe A rtikel (oder P rono-
m inaladjektiv-Substantiv)-Substantiv, sp äter der Gruppe
A rtik el-attrib u tiv es A djektiv-Substantiv zu bedienen, in­
dem man von der Deklination der W örter spricht. Die

122
richtige P ra x is ist von einer ungenauen Term inologie
umgeben.
Die K asusanzeiger, die die Gruppe betreffen, sind b e ­
w eglichgew orden: Sie gehen auf das A ttribut über, wenn
das vorangehende Wort fehlt oder wenn es kein Suffix an ­
nim m t: so im F a ll des r in der alte Wagen im Gegensatz
zu ein a lte r Wagen, a lte r Wein. Wenn m an in der T e rm i­
nologie der Gruppe spricht, w ird die B eschreibung e in ­
facher. E s ist dann nicht m ehr nötig, d r e i "Deklinationen
des Adjektivs"zu lehren, sondern eine einzige (schwache),
die im F a ll der V erschiebung des anderen Suffixes auf
das Attribut verschw indet. Man versteh t auf diese Weise
unm ittelbar die Wahl zwischen m ancher junge Mann und
m anch junger M ann. Ein B egriffsapparat, der von der
lateinischen G ram m atik e re rb t ist, trä g t in diesem F all
dazu bei, den lebendigen U nterricht des Deutschen un­
nötig zu v e rw irren .

Die P räpositionalgruppe
Die P räpositionalgruppen gliedern sich in zwei Klassen:
die u n v e r ä n d e r l i c h e n , wo der K asus d er N om inal­
gruppe durch die P räp ositio n festgelegt ist: aus der
T asc h e , mit dem H a m m e r, und diejenigen, die eine f o r ­
m ale Opposition (Dativ-Akkusativ) in Verbindung mit
einem U nterschied des Inhalts ("O rt-Z iel") einschließen.
Die Verbindung Präposition-N om inalgruppe definiert im
zweiten F all einen Ausschnitt des R aum es: unter dem
T isch. D er so definierte A usschnitt des R aum es kann mit
einem o rie n tie rte n Vorgang gem äß dem V erhältnis zw i­
schen Richtung und "Richtpunkt" verbunden werden: ein
Blick in die W elt, e r geht in den Wald; in diesem F all
tritt die N om inalgruppe in den Akkusativ. Wenn das V e r­
hältnis in d er Kennzeichnung ein er Lage (in der Einfügung
in einen Raum) besteht, ersc h ein t der Dativ. Eine große
Zahl von E lem enten kann nur in ein V erhältnis der Loka­
lisation treten , z. B. die H äuser am M ark t, e r arbeitet
im Wald; die Wahl ist nur im F all des o rie n tie rte n V or­
gangs möglich: Ich ging im W alde; ich ging in den Wald.
123
Die Verwendung des Akkusativs kann einem an sich neu­
tra le n K ern die Bedeutung eines "o rie n tie rte n Vorgangs"
hinzufügen: E r po lterte ins Z im m er, ich muß in die Stadt.
H ier geht es um die R e l a t i o n , von der P räp o sitio n al-
gruppe h e r gesehen. Die üblichen F o rm eln , die sich (ohne
daß die fragliche Einheit einm al abgegrenzt wird) auf den
Inhalt des b estim m ten K erns beziehen: "E s liegt eine Be­
wegung, eine O rtsv erän derung v o r", geben nur einen
groben N äherungsw ert. Es liegt eine "Bewegung" in Ich
ging im Walde vo r, in ein Blick in die Welt findet keine
O rts Veränderung statt.
Man w ird bem erken, daß sich die Opposition auf den In­
halt der "P räpo sitionalgrup pe" bezieht. Wenn ein B e­
trun ken er unter den T isch rollt, ist nicht "d er T isch " der
Richtpunkt d er Bewegung, sondern der T eil des F u ß ­
bodens, der sich u n ter dem T isch befindet; m an zieht ihn
unter dem T isch h e r v o r .
Abschließend gibt es also eine Deklination der N om inal­
gruppe allein, die v ie r K asus um faßt, und eine D ekli­
nation der "räum lichen " P räp ositionalgruppe, die zwei
Kasus um faßt. Die beiden System e un terscheiden sich
durch die Beschaffenheit der in B etracht kom m enden E in­
heiten, das W esen der inhaltlichen U nterschiede und die
Zahl der in Opposition stehenden G lieder.

Ableitung und Z usam m ensetzung


Sobald die W örter m ehr als zwei E lem ente um fassen,
ist ihre Bildung eine Quelle von V erw irrungen, die in der
T atsache begründet sind, daß der Typ a(bc) nicht a u s ­
drücklich vom Typ (ab)c un terschied en ist. Zu dem Wort
K indergarten, ein er wohldefinierten Bedeutungseinheit,
bildet m an durch Anfügung des Suffixes - e rin nach dem
M uster von S chäf-erin aus Schaf eine Ableitung K inder­
g ä rtn e rin . Man bezeichnet auf diese W eise keine Spiel­
a rt von " G ä rtn e rin ", sondern einen B eruf unter anderen
(L eh r-erin . W ä rt-e rin ).
Zu trag en bildet m an das Wort T rä g e r ; eine U n terart
lautet K a ste n trä g e r. B rie fträ g e r hingegen bezeichnet

124
einen M enschen, dessen B eruf es ist, B riefe auszutragen;
das Wort ana ly sie rt sich folgenderm aßen (B r ie f -tra g )- e r .
Wir haben h ie r eine Ableitung auf der Grundlage ein er
Gruppe von W ortstäm m en^); die Elem ente B rief- und
-tra g - sind zu d ie se r Grundlage verbunden. Ebenso b e ­
zeichnet D ezim albruch eine besondere A rt Bruch, aber
E inbruch ist eine Ableitung des Kom positum s e in -b re -
chen. A usbruch von au s-b re c h e n usw.
Eine w issenschaftliche G ram m atik w ird die folgenden
S truk turschem ata benutzen:
K a s te n - tr a g - -e r B r ie f - tr a g - - e r

In den H andbüchern w ird m an genau unterschiedene


Ü bungsreihen vorsehen m üssen. Die Ableitung auf der
Grundlage ein er Gruppe von Wort Stäm m en w ird nicht
unter dem T i t e l : "Z u sam m en gesetzte W ö rter" erscheinen.

Systeme sem antischer Oppositionen


Die traditio nelle Syntax gibt v erw irren d e Andeutungen
über "Bedeutung" und "G ebrauch" einzelner E lem en­
t e ^ , der g ram m atisch en Zeichen (K asus- und T em pus­
anzeiger) od er P a rtik eln wie P räp ositio nen und Konjunk­
tionen. D .h ., sie gibt lexikalische Entsprechungen für
den "Inhalt " d ie se r Zeichen, die von Bem erkungen über
die Bedingungen begleitet sind, wo ih r G ebrauch obliga­
to risc h ist (oder scheint).
Man verkennt auf diese W eise, daß es sich um "g esch lo s­
sene System e" m it e in e r kleinen Anzahl von Elem enten
handelt. Der sprachliche A usdruck gebraucht, so gut es
geht, diese begrenzte Anzahl von m öglichen U n tersch ei­
dungen, um e in er unbegrenzten Anzahl von Situationen
zu begegnen. Die em p irisch e Beobachtung versucht v e r ­
geblich, die "M itteilungsleistungen", die sich dabei e r ­
geben, aufzuzählen.

125
Man müßte zunächst genau un terscheid en zwischen den
Fällen, wo die Sprache die "U nterscheidungsfähigkeit"
eines Z eichens ausschöpft, und denjenigen, wo sie es
nicht tut: Nach bei, aus, zu. von erfüllen die von der No­
m inalgruppe getragenen Dativindizes keine Funktion, da
es unmöglich w äre, einen anderen K asus zu gebrauchen;
nach in. an. auf, vor hingegen steht der Dativ des "O rtes"
im Gegensatz zum Akkusativ des "Z iels".
In jedem F all m üssen die Elem ente aufgezählt werden,
unter denen eine Wahl getroffen w erden kann. In bezug
auf die zu treffenden Entscheidungen stehen nicht not­
wendig alle Elem ente des System s auf d erselb en Stufe.
Das System hat eine O rganisation, die Wahl wird zwischen
Gruppen, dann U ntergruppen getroffen; die E lem ente
stehen paarw eise in Opposition zueinander usw. Man hat
seit langem erkannt, daß eine V erbalphrase in M odus­
oppositionen tre te n kann und daß es im Rahm en eines g e ­
wählten Modus Zeitoppositionen gibt. Im folgenden seien
einige B eispiele des F o rts c h ritts in der Analyse von
System en angeführt, die sich auf den U nterricht a u s­
wirken können.
Die T em pora in der V erbalgruppe
Die G ram m atiken m achen einige unbestim m te Angaben
über den U nterschied zwischen dem P rä te ritu m (e r k a m )
und dem P erfekt (e r ist gekom m en), wobei beide als
F o rm en der "V ergangenheit" angesehen werden. Das
P erfekt soll ein vergangenes E reig n is bezeichnen, von
dem einige Folgen in d er Gegenwart fortbestehen.
Ein V ersuch, d ieses k lassisch e P ro b lem durch A u sw er­
tungen lite r a ris c h e r Texte zu klären, hat zu einem b e ­
m erk ensw erten M ißerfolg geführt. In einem Roman in der
"erzählenden Z eitform der V ergangenheit", den Je ro m in ­
kindern (W iechert), fa n d sic h n u r das P rä te ritu m und das
P lusquam perfekt; in e in er G esellschaftskom ödie, dem
>Schw ierigen<^(H ofm annsthal), fand sich nur das P r ä ­
sens und das P erfekt. Abgesehen von den Abschnitten
d ire k ter Rede in Anführungszeichen kom m en die beiden

126
Tem pusgruppen nicht in dem selben Text vor, wobei die
übrigen Aspekte sonst gleich sein mögen.
Offensichtlich findet zunächst eine e rste Wahl statt: Man
entscheidet sich entw eder für das B ezugssystem der Ge­
genwart oder der Vergangenheit. Wenn m an im B ezugs­
system der Gegenwart spricht (das ist der F all von P e r ­
sonen, die an ein er gegenw ärtigen Handlung beteiligt
sind), hat m an das P rä s e n s (ich tu e ) für die mit dem
S prechereignis gleichzeitigen Begebenheiten zur V erfü­
gung, das P erfekt (ich habe getan) für die vorzeitigen
Begebenheiten (es handelt sich in der Tat um ein " P r ä ­
sens der Vollzugsstufe") und eine U m schreibung mit
soll oder will für die zu erw artenden ( a u s s t e h e n d bei
Glinz), dem S prechereignis nachzeitigen Begebenheiten.
In dem B ezugssystem der V ergangenheit kehren dieselben
Positionen im V erhältnis zu einem durch den Kontext an ­
gedeuteten Zeitpunkt d er V ergangenheit w ieder (ein h isto ­
ris c h e s E reign is z .B .): Was gleichzeitig m it diesem Z e it­
punkt ist, w ird durch die einfache F o rm (e r ta t ) w ieder­
gegeben, was vorzeitig ist, durch das Plusquam perfekt
(er hatte getan), und eine nachzeitige Begebenheit durch
eine Um schreibung mit sollte oder w ollte. Das Deutsche
hat sich auch ein B ezugssystem der Zukunft geschaffen;
der Bezugspunkt ist h ie r ausdrücklich in die Folgezeit
verlegt, so daß m an diese F o rm hauptsächlich in den
V oraussagen findet: Es w ird geschehen. Was vorzeitig
zu dem ins Auge gefaßten Zeitpunkt der Zukunft ist, v e r ­
langt den G ebrauch eines "F u tu rs der Vollzugsstufe":
Es w ird geschehen se in . Die Handbücher stellen gegen­
wärtig z u erst die Konjugation des P rä s e n s , dann des
P rä te ritu m s dar.
E s w äre vernünftiger, zunächst den G ebrauch des ge­
sam ten B ezu gssystem s der Gegenw art zu lehren, n äm ­
lich e r hat getan unm ittelbar nach e r tu t. (Das Bezugs­
system der Gegenwart nim m t eine besondére Stellung ein:
Sein Bezugspunkt ist der Kom m unikationsakt in seinem
aktualen Verlauf. Das P rä te ritu m im p liziert einen durch
den Kontext angedeuteten Bezugspunkt).
Danach sollten die d rei F orm en des B ezu gssystem s der

127
Vergangenheit zusam m en aufgeführt werden.
Das hat eine neue D arstellung d er T abellen des T em p u s­
sy stem s im Indikativ zur Folge:

vorzeitig gleichzeitig nachzeitig


F utur e r w ird getan e r wird
haben tun
B ezugs­ Gegenwart e r hat getan e r tut e r will,
system soll tun
V ergangen­ e r hatte getan e r tat e r wollte,
heit sollte tun

Die Modi
Die m eisten der in F ra n k re ic h gebräuchlichen G ra m ­
matiken un terscheid en im m er noch e r sei, e r habe als
Konjunktiv P r ä s e n s von e r w äre, e r hätte a ls Konjunk­
tiv P r ä t e r i t u m . Gewiß bildet sich der e r s te Typ zum
selben Stam m wie das P rä s e n s Indikativ, der zweite zum
selben Stam m wie das P rä te ritu m Indikativ. Aber man
verm ittelt auf diese W eise den Schülern den falschen E in­
druck, daß diese beiden F o rm re ih e n in dem selben V e r­
hältnis ständen wie das P rä s e n s und P rä te ritu m Indika­
tiv, einem Z eitverhältnis "G egenw art-V ergangenheit".
Nun sind ab er diese beiden F o rm re ih e n im m odernen
Deutsch einzig m it einem modalen U nterschied verbun­
den. E s handelt sich um die Gegenwart zw eier v e rs c h ie ­
dener Modi. Wenn F au st sagt: Ach, w äre nur ein Z au b er­
m antel m e in !, geht es um ein überw ältigendes E rlebn is
der Gegenw art, e r sprich t über sein g e g e n w ä r t i g e s
Unvermögen. Bei der Beschwörung eines vergangenen
E reig n isses würde e r sagen: Ach, w äre nur ein Z au b er­
m antel m ein g ew ese n ! Je d er der beiden Modi hat in der
Tat seine V ergangenheitsform , die durch eine U m sc h re i­
bung ausgedrückt wird: E r habe getan, e r hätte getan.

128
Eine wachsende Zahl deu tsch er G ram m atiken hat die
T erm ini 1. und 2. Konjunktiv übernom m en, um dadurch
anzuzeigen, daß es sich um zwei m odale Funktionen han­
delt, die im G egensatz zu denen des Indikativs stehen.
Da es unmöglich ist, B eispiele zu finden, wo e r se i/ e r wäre
in dem V erhältnis von G egenw art-V ergangenheit zuein­
ander stehen, tre ib t d er irrefü h ren d e B egriff "Konjunk­
tiv P rä te ritu m " sein Wesen nur in den Konjugations­
tabellen. E r taucht glücklicherw eise nicht in den Aufgaben
zur Anwendung auf.
Aber das M ißverhältnis zw ischen e in er irrefüh ren den
od er zusam m enhanglosen th eo retisch en D arstellung und
d e r intuitiven Schulung durch L ektüre od er Aufenthalte
in Deutschland träg t dazu bei, eine wohlbekannte E in stel­
lung zu begünstigen: "Man sollte den G ebrauch des Kon­
junktivs nicht zu v erste h e n (auchnicht zu lehren) suchen."

Die K asus d er Nom inalgruppe


Die verschieden en K asus ein er nicht-präpo sition alen No­
m inalgruppe ( s . o. ) dienen hauptsächlich dazu, die Be­
teiligten eines von einem verbalen K ern bezeichneten
Vorgangs, die "actants" in d er T erm inologie T e sn iè re s,
voneinander zu unterscheiden. In dem Satz Hans gab dem
B ettler sein B rötchen entsprechen die d rei Kasus(N.D.A.)
d rei m öglichen Relationen zum "Geben" : G eber, E m ­
pfänger, Gabe.
Wenn nur ein actant vorhanden ist, ist fast im m er der
Nominativ die neutrale F o rm (Fehlen ein er U n tersch ei­
dung): Hans schläft, handelt, leidet . . . . Sind zwei v o r ­
handen, dom iniert in s ta tis tisc h e r Hinsicht das P a a r N. A.
E s erlaubt die Bildung eines P a ssiv s; das Objekt im
Akkusativ w ird Subjekt im P assiv : Der Feind erschoß ihn;
e r wurde vom Feind e r s c h o s s e n . Das P a a r N. D. ist
selten er, noch selten er ist N. G. Sind d re i actants (Maxi­
mum) vorhanden, dom iniert N. A. D. , wobei N. dem Sub­
jekt im Aktiv, A. dem Subjekt im P a ssiv , D. jed er an ­
deren Relation en tsp rich t. Die S truktur ist [N. [D. (A.
Verb)]] oder [n . [a . (D. Verb)]] ( s .o .) . Man findet auch
129
N. A. G ., wo die Gruppe (G. Verb) sich wie eine t r a n s i­
tive feste Verbindung verhält : D er König hat den M inister
sein es-A m tes-en tho ben (e r hat ihn enthoben ergibt keinen
Sinn).
Wenn eine Nom inalgruppe einen substantivischen K ern
bestim m t (a ls "N om inalgruppenglied"), tritt sie obliga­
to risc h in den Genitiv. Der Kasus steht in diesem F all
keinem anderen gegenüber; die K asusoppositionen sind
aufgehoben. D er Empfang des R ektors kann ebensogut
den vom R ektor gegebenen Empfang bezeichnen wie den,
der ihm zuteil wurde.
In e in er p ro g re ssiv e n Methode w ird der Genitiv auf der
Stufe der E rw eiterung der Nom inalgruppe, der Dativ auf
der Stufe d er E rw eiterung der V erbalgruppe d argestellt
werden, wobei die Ordnung der Folge "N. über N. A. zu
N. A. D. " entspricht.
Man kom m t auf diese Weise für die V erbalgruppe zu fol­
gendem Schema:
N. A. N.
---------------- --------------- A — —
! '* »
1
1
I
1

G. '''D . g; D
• t /

(zwei actants) (drei actants)


Nach dem G rad der W ichtigkeit ordnen sich die F älle
offenbar in d er Reihenfolge N. A. D. G. V ernachlässigt
man die Rolle des G. in der V erbalgruppe im V ergleich
zu sein e r Rolle a ls ein zig er F o rm in der Nom inalgruppe,
w ird man schreiben: N. A. D. //G .

130
D as s e m a n t i s c h e S y s te m der " r ä u m l i c h e n "
Präpositionen
Die Dinge, mit denen wir es in der P ra x is zu tun haben,
liegen im Raum; e s sind von ein er O berfläche begrenzte
K örper. Die Gruppen, die zwei Kasus annehm en können,
werden durch die P räpositionen in. an. auf, über, u n te r.
vor, hinter, neben, zw ischen eingeleitet. In dient zur Be­
zeichnung dessen, was innerhalb des von der Oberfläche
um grenzten Raum es liegt, an und auf, was einen (äußeren)
Kontakt mit der O berfläche hat, wobei sich auf von an
durch den Druck der Schw erkraft unterscheid et. F ü r den
Rest des außerhalb liegenden R aum es (ohne Kontakt mit
der Oberfläche) w ird der U nterschied entsprechend der
Richtung der Schw erkraft (ü b e r:u n te r) und der der Oppo­
sition auf h o rizo n taler Ebene gem acht (v o r:h in te r). Es
bleibt die Lage an der Seite übrig (neben), die nur nach
links neben und re c h ts neben sp ezifiziert wird, wenn es
die Um stände e rfo rd e rn . (Es ist schw ierig, die Linke
von der Rechten zu unterscheiden. ) Zw ischen setzt zu ­
m indest zwei K örper voraus.
Im V ergleich zu dem des F ran zö sisch en und dem des
E nglischen ist d ieses System bem erk en sw ert "rational".
E s ist b eso nd ers angezeigt, es ausgehend von konkreten
Situationen (Gegenständen, Bildern, Gesten) zu v e r ­
m itteln, ohne daß dabei die M u ttersprache in te rfe rie rt
(französisch: das Plakat ist an d er Wand (au m u r ). auf
der Wand (su r le m u r ). gegen die Wand (contre le m u r ):
deutsch: an der Wand).
Abschließend lassen sich in bezug auf den U nterricht der
lebenden Sprachen im Anfangsstadium zwei A rten von
P roblem en unterscheiden:
1) Der F o rts c h ritt d er sprachw issenschaftlichen Analyse
und ebenfalls der sprachw issenschaftlichen Statistik
sollten dazu beitragen, die W irksam keit e in er "direkten"
Methode zu steigern, die im w esentlichen darin besteht,
ausgehend von situationsgebundenen G r u n d m o d e l l e n

131
den Schüler im deutschen A usdruck zu üben. Eine solche
Methode verbindet sich naturgem äß mit "audio-visuellen"
Hilfsmitteln®^.
In der Wahl des Vorgehens und d er Erfindung von B ei­
spielen haben die Handbücher unter dem Druck der T a t­
sachen schon m ehr den w irklichen S trukturen Rechnung
getragen als die (Deklinations- und Konjugations-) T a ­
bellen und die abstra k t fo rm u lierten Regeln. Aber es
müßten noch w eitere F o rtsc h ritte gem acht w erden - wir
haben einige B eispiele gegeben - , und üb er die k o rrek te
sprachw issenschaftliche Analyse hinaus gibt es das Feld
der psychologischen F orschung über die P erzep tion und
Reproduktion von Klangfiguren, den Rhythmus und die
Entstehung des Sprechakts.
Zum indest sehen wir, wie sich h ier ein Bemühen ab ­
zeichnet, die Reflexion über sprachw issenschaftliche
Grundproblem e mit der P ra x is zu verbinden, indem m an
neue Methoden ersin n t und erp ro b t, ein Bemühen, diese
Bewegung bekannt zu m achen und jenen, die daran te il­
nehmen, die Möglichkeit zu geben, ihre E rfahrungen zu
vergleichen. Das ist ein entscheidender Schritt, den m an
w ahrscheinlich nicht w ieder w ird rückgängig m achen
können.
2) D er andere Aspekt ist heikler: E s genügt nicht, die
P aradigm entabellen und die Regeln zu k ritis ie re n , die
allein die g ram m a tisc h en Notwendigkeiten ausdrücken,
und in der F o rm nicht zur Bildung des A usdrucks a n ­
leiten, sondern dazu dienen, F eh ler anzustreichen; es ist
nicht mit d er F eststellu n g getan, daß in u n seren Hand­
büchern der "d irekten" Methode in gew issem Maße noch
ein Rest des "g ram m atisch en " U n terrich ts nach dem
Vorbild des L ateins vorhanden ist. Man muß das P r o ­
blem stellen: Abschaffung od er E rs a tz ?
Die Schule stellt es sich zur Aufgabe, den jungen F r a n ­
zosen von der G rundschule an in die "g ra m m a tisc h e"
Analyse sein er Sprache einzuführen, was schon der "ideo­
graphische" C h arak ter der fran zösisch en O rthographie
unerläßlich m acht. Die g ram m atisch e Denkweise ist
ebenso wie die m athem atische eine wichtige F o rm des

132
intellektuellen T rainings. Wir m öchten wünschen, daß
der U n terricht in den lebenden Sprachen nicht auf diesen
Bildungsfaktor v erzich tet, daß e r der Übung in neuen
A usdrucksform en eine Analyse der Gegebenheiten auf
einem bescheidenen Niveau folgen (eher a ls voraufgehen)
läßt. Aber es ist notwendig, daß diese Analyse von Be­
ginn an richtig ist. H ier stellt sich das seh r heikle P r o ­
blem ein er gleichzeitigen G esam trefo rm der g ra m m a ­
tischen Analyse des F ran z ö sisch en und dann auch der
un terrich teten Sprachen.
Bei dem Satz
Der Hund der B äuerin / spielt / m it den kleinen Kindern

w ird sich eine Methode für das Deutsche von der Struk­
tu r des d aru n ter gezeichneten "G raphen" leiten lassen,
während in e in er F ran zö sisch stu n d e der Satz
le chien de la fe rm iè re joue avec les petits enfants
Anlaß zu folgender Analyse geben würde: chien. Substan­
tiv m a s c ., Subjekt des V erbs joue. Eine Koordination ist
notwendig, und es gehört zur Aufgabe der S prachw issen­
schaftler, das P ro b lem in Angriff zu nehm en?).
Im Rahmen der Ausbildung neuer Generationen von L eh­
r e rn der lebenden Sprachen müßte in der Tat etw as an ­
d e res geschehen, als den Studenten zu raten: "Gehen Sie
nach Deutschland, bis Sie geläufig sprechen; lesen Sie,
um ein Sprachgefühl im Deutschen zu erw erben; solange
Sie das nicht geschafft haben, w erden Sie bei der Ü b er­
setzung schlechte R esultate e rz ie le n und in der sc h rift­
lichen Prüfung sch eitern ". Die E rfahrung zeigt, daß
d ie se r Weg lang un du nsich er und von g erin g er W irk sam ­
keit ist (80% M ißerfolge). Wir sind überzeugt, daß eine
wohlgeleitete und k o n tro llierte Einführung in den Umgang
mit der Sprache in Verbindung m it e in er angem essenen
E rk lärun g der sprachlichen Gegebenheiten einen deut­
lichen F o rts c h ritt e rz ie le n würde sowohl im Hinblick auf

133
eine Begrenzung d e r Zahl der M ißerfolge als auch auf
eine Steigerung der Sicherheit in der Sprache bei den zu­
künftigen L e h rm e iste rn . A n d e re rse its ergibt das auch
ein w echselseitig es V erhältnis zw ischen der Einführung
sprachw issensch aftlich er Methoden in den G ym nasial­
u n terrich t und d er sinnvollen Schulung d er künftigen
L e h re r an den U niversitäten. Diese sinnvolle Schulung
zum E rle rn e n d er Sprache w ird sich, um ein prak tisch es
E rgebnis zu erzielen , auf die analytischen Fähigkeiten
stützen.
Das w esentliche P ro b lem besteht in der Ausbildung von
A ssistenten, die über eine solide sprachw issenschaftliche
Grundlage verfügen, und von P ro fe sso re n der Linguistik.
Die augenblicklichen S trukturen des U n iv ersitätsb etrieb s
an den fran zösisch en U niversitäten e rsc h w eren h ier sehr
den Beginn. Die Ja h re nach der Lizenz, in denen eine
w issenschaftliche Ausbildung in S em inaren erfolgen
sollte, w erden aufgezehrt durch die V orbereitung auf die
(wesentlich "lite ra risc h e n ") concours, und danach sind
keine w eiteren M öglichkeiten vorgesehen. D ieses Fehlen
der P yram iden spitze w ird tro tz a lle r guten Absichten
schw er auf der E rneuerung lasten, die dadurch au sg e­
löst wurde, daß die Sprachw issenschaft den Status einer
W issenschaft e rre ic h t hat. A ndere L änder, die sp äter
begonnen haben, wieDeutschland, w erden uns v erm utlich
überholen. Das ist jedoch weder ein Grund zur V erzw eif­
lung, noch eine Entschuldigung fü rs Nichtstun.

134
Anmerkungen

1) [ Hans Glinz ist inzw ischen auf den L ehrstu hl für G e r­


m anistik an d er TH Aachen berufen worden. Anm.
d. H erausgebers.]
2) In der T erm inologie de S aussures: E s gibt eine Struk­
tur des Syntagm as und eine Struktur des P arad ig m as.
3) In d er A ussage "Die Kraftwagen führen die Buch­
stabenkom bination der Z ulassu ng sstelle, in deren B e­
reich sie fahren" wird eine H äufigkeitsfeststellung
zur Regel erhoben. Die w esentliche (gesetzliche) T at­
sach eb esteh t darin, daß sie die Kombination der Zu­
lassu n g sstelle führen, in deren B ereich ihr B esitzer
wohnt. E s ist w ahrscheinlicher, daß d ie se r h ier als
andersw o fährt. Die gegenw ärtige Syntax des Deut­
schen enthält noch viele Regeln d er e rste n Art.
4) [d é riv é à base com plexe im fran zösisch en Text en t­
sprechend der D U D EN -G ram m atik 4075 üb ersetzt.
Cf. auch 4485. Anm. d. H erausgebers.]
5) [im V erlauf des T extes w ird deutlich, daß es sich bei
diesen élém en ts iso lés um M orphem e als Elem ente
g e sch lo ssen er K lassen im Gegensatz zu den Lexem en
handelt. Anm. d. H erausgebers.]
6) Die E rfahrungen mit dem "fran çais fondam ental"
können h ier ein nützliches Modell für den U nterricht
des Englischen, Deutschen usw. bieten.
7) Der U n terricht üb er die G ram m atik d er M u ttersprache
ist für den S prachw issensch aftler oft weniger b e frie ­
digend als derjenige, der sich m it ein er F re m d sp ra c h e
befaßt. Im e rste n F all haben schlechte Analysen kaum
Einfluß auf den gesicherten G ebrauch der Sprache;
d e r Nutzen d ieses B ildungsfaktors ist nur verm ind ert,
und das F ach läuft Gefahr, in M ißkredit zu geraten.
Im zweiten F all kom plizieren und v e rw irre n falsche
Regeln den E rw e rb der Sprache.

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