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Fachthemen

Fabian Schmid DOI: 10.1002/bapi.201410006


Walter Haase
Werner Sobek
Eva Veres
Schew-Ram Mehra
Klaus Sedlbauer

Schallschutz und akustische Wirkweise


bei mehrlagigen textilen Fassadensystemen

Das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung ist inzwischen auch 1 Einleitung


im Bauwesen von großer Bedeutung. Die Bautechnik und die
Baukonstruktion entwickeln sich entsprechend diesem Trend Das Bauwesen wird wie inzwischen alle Bereiche der Wirt-
weiter. Lösungen, die energie-, ressourcen- und massesparend schaft und Gesellschaft von dem Leitbild einer nachhalti-
sind, müssen sich in dichten, lärmbelasteten urbanen Räumen gen Entwicklung geprägt [1]. Durch die Tendenz zur Bevöl-
bewähren. An den Gebäudehüllen als Schnittstelle zwischen In- kerungskonzentration in Megastädten und Metropolen
nen- und Außenräumen entstehen so in besonderer Weise Span- zeichnet sich in der Bautechnik und Baukonstruktion der
nungsfelder. Fassaden- und Dachsysteme müssen dabei unter- Trend hin zu energie-, ressourcen- sowie masse­sparenden
schiedlichsten Anforderungen gerecht werden. und damit auch langfristig wirtschaftlichen Lösungen ab
Das Konzept der adaptiven mehrlagigen textilen Gebäudehüllen [2]. Es entstehen dichte urbane Räume, die unausweichlich
als Fassadensystemlösung, welches am Institut für Leichtbau von lärmemittierender Infrastruktur durchzogen sind. Al-
Entwerfen und Konstruieren (ILEK) entwickelt wurde, versucht lein diese beiden Tendenzen ergeben für die Entwicklung
diese vielfältigen Anforderungen durch eine äußerst masse- und der nächsten Generation von Bausystemen ein Spannungs-
ressourcensparende Lösung zu erfüllen. Die nun in Kooperation feld zwischen Innen- und Außen­räumen, Stadtgesellschaft
mit dem Lehrstuhl für Bauphysik (LBP) durchgeführte Untersu- und individueller Entfaltung, massereicher und leichter
chung konzentrierte sich auf eine Bewertung der akustischen sowie unflexibler und anpassungsfähiger Konstruktions-
Wirkweise dieser textilen Fassadensysteme und auf eine mögli- weise [3], [4].
che Weiterentwicklung des Gesamtkonzeptes. Insbesondere die Gebäudehüllen, also die Gesamtheit außenliegender
Aspekte des Schallschutzes und der Raumakustik sind aufgrund Wände und das Dach, bilden die Schnittstelle zwischen
der fehlenden Masse bei textilen Gebäudehüllen, der kognitiven Innen- und Außenräumen. Sie sind damit, als Teilsystem
Relevanz der akustischen Wahrnehmung und der sich abzeich- von Gebäuden, den beschriebenen Spannungsfeldern in
nenden städtebaulichen Entwicklungstendenzen für die Weiter- besonderer Weise ausgesetzt. Gleichzeitig müssen sie un-
entwicklung und Anwendung solcher leichten Fassadensysteme terschiedliche Funktionen in qualitativ guter und hochwer-
relevant.
tiger Ausführung gewährleisten [5], [6]. Der Schutz vor
Umwelteinflüssen sowie Sicherheitsaspekte, Schall- und
Noise protection and acoustic behaviour of multi-layer textile Wärmedämmung, Ästhetik wie auch die Beachtung kon­
­façade systems. The guiding principle of a sustainable develop- struktiver Gegebenheiten und geringe Aufwendungen für
ment is nowadays also in the building industry of great impor- die Instandhaltung während der Nutzungsdauer sind essen­
tance. Building technology and construction continue to evolve tielle Forderungen, die gleichzeitig zu erfüllen sind [6]. Der
according to this trend. Solutions that are energy, resource and
Einfluss des Fassadensystems auf ambitioniertere Ziel-
mass saving must prove themselves in dense, noise-polluted
werte für Innenraumkomfort mit entsprechenden Ansprü-
­urban areas. Contradictions result especially at the building
chen an das Wohlbefinden, eine gesundheitsverträgliche
­envelopes, as they are the interface between interior and
Ausführung und eine hochwertige Ausgestaltung erweitern
exterior spaces. Thereby façade and roof systems have to
die genannten Anforderungen. Darüber hinaus müssen
satisfy varying needs.
The concept of an adaptive multi-layer textile building envelope Anforderungen aus der Produktion, dem Transport und
as a façade solution was developed at the Institute for Light- dem Rückbau zur Trennung der Komponenten am Ende
weight Structures and Conceptual Design (ILEK) in order to sat- des Lebenszyklus betrachtet werden [1].
isfy these diverse requirements with a highly mass and resource Das Bauwesen reagiert auf diese Vielzahl von Anfor-
saving solution. The study conducted together with the Dept. of derungen bisher mit komplexen Systemen, deren Kompo-
Building Physics (LBP) focused on the investigation of the acous- nenten typischerweise in Differentialbauweise gestaltet
tic behaviour of these textile façade systems and on potentials to sind [7]. Modulfassaden sind eine der am weitesten entwi-
further improve the over-all concept. The aspects of sound insu- ckelten Systemlösungen [6]. In der Forschung und Praxis
lation and room acoustics are relevant in particular for the ad- gibt es seit mehreren Jahren ergänzend die Bemühungen,
vancement and application of such lightweight façade systems Gebäudehüllen als ein ultraleichtes, adaptives System zu
due to the missing mass, the cognitive relevance of acoustic per- gestalten [5], [8]-[10] (vgl. Bild 1). Das Konzept der adapti-
ception and the emerging trends in the urban development. ven mehrlagigen textilen Gebäudehüllen als Fassadensys-

© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Bauphysik 36 (2014), Heft 1 1
F. Schmid/W. Haase/W. Sobek/E. Veres/S.-R. Mehra/K. Sedlbauer · Schallschutz und akustische Wirkweise bei mehrlagigen textilen Fassadensystemen

Die Beziehungen zwischen Material, Konstruktion und


Raum sowie die daraus resultierenden Konsequenzen für
Kon­struktion und Akustik werden für Designer und Planer
immer wichtiger zur Gestaltung von qualitativ hochwerti-
gen Räumen [12].
Für die Untersuchungen und Entwicklungen des For-
schungsprojektes „Adaptive Raumakustik und akustische
Konditionierung im Bauwesen“ (ARAKO) [13] war es des-
halb wichtig, anhand von exemplarischen Systemaufbau-
ten die akustische Wirkweise zu untersuchen und vorhan-
dene Entwicklungsergebnisse sowie einen wirtschaftlichen
Herstellprozess mit einzubeziehen. Dies konnte durch die
Erfahrungen am Institut für Leichtbau Entwerfen und
Bild 1.  Mehrlagige textile Elementfassade (G. Metzger in [10])
Konstruieren (ILEK) mit den konstruktiven Anforderun-
Fig. 1.  Unitised multi-layer textile façade (G. Metzger in [10])
gen, dem Anwendungsbezug und einer bisher stringenten
Konzeptentwicklung sowie durch die systematischen Vor-
untersuchungen am Lehrstuhl für Bauphysik (LBP) mit
temlösung kann dabei die konsequente Reduktion der ein- dem theoretischen Hintergrund und der messtechnischen
zusetzenden Ressourcen, die Austauschbarkeit aller Ele- Expertise erfolgen. Ergänzt wurde diese Zusammenarbeit
mente des Systems und die anwendungsspezifische durch eine enge und frühzeitige Einbindung von Herstel-
Adaptivität an wechselnde Umweltbedingungen und Nut- lern aus der Textilindustrie, um so eine inte­grierte Syste-
zeranforderungen in die Fassade integrieren. Bisher wur- mentwicklung mit frühzeitiger Aufdeckung von Einschrän-
den die konstruktiven Prinzipien sowie das wärme- und kungen durch die Materialwahl und das Herstellungsver-
feuchtetechnische Verhalten untersucht [5]. Das methodi- fahren sicherzustellen.
sche Vorgehen bei der Entwicklung der Systemaufbauten
erfolgte jeweils durch die Erarbeitung der wirkenden Fak- 2.1  Untersuchte Werkstoffe und deren Einsatzbereich
toren, das Prüfen von Variantenstudien für sinnhafte Sys-
temaufbauten, die exemplarische messtechnische Untersu- Zunächst wurden die im textilen Bauen bisher verwendeten
chung und schließlich die iterative Verbesserung des Ge- Werkstoffe und Systemaufbauten untersucht. Dabei handelt
samtkonzeptes im Design- und Gestaltungsprozess. es sich um vorgespannte Gewebelagen, die aus einem
Die an der Universität Stuttgart durchgeführte Unter- Polyvinylchlorid(PVC)-beschichteten Polyestergewebe oder
suchung konzentrierte sich auf eine Bewertung der akusti- aus einem Polytetrafluorethylen(PTFE)-beschichteten Glas-
schen Wirkweise textiler Fassadensysteme und auf eine fasergewebe bestehen. Diese sollten, wie im Bauwesen üb-
mögliche Weiterentwicklung des Gesamtkonzeptes. Diese lich, als äußere Membranlage für den Witterungsschutz und
Aspekte sind aufgrund der fehlenden Masse von textilen für die Sicherstellung der Tragfähigkeit gegenüber Wind-
Gebäudehüllen, der kognitiven Relevanz der akustischen und Schneelasten eingesetzt werden [14], [15].
Wahrnehmung und der sich abzeichnenden städtebauli- Für den Aufbau der Zwischenlagen konnte, auf­bauend
chen Entwicklungstendenzen von großer Bedeutung für auf den Erfahrungen vorangegangener Projekte, ein erfor-
die Frage, ob und wie textile Fassadensysteme weiterentwi- derliches Maß an Wärmedämmung definiert werden [5],
ckelt und angewendet werden können [3], [4]. Die eben- [16]. Zudem war die Durchlüftung der einzelnen Lagen
falls durch den Forschungsansatz gewonnenen Erkennt- sicherzustellen, da gegebenenfalls ausfallendes Tauwasser
nisse über den Einsatz von ultraleichten Werkstoffen und abgeführt werden muss, um Schäden an der Kon­struktion
Technologien in Elementfassaden werden darüber hinaus zu verhindern [5], [16] (vgl. Bild 2).
einen differenzierteren Umgang mit vergleichbar komple-
xen Systemen im Bauwesen ermöglichen und durch die
Berücksichtigung unterschiedlicher Einflussfaktoren zur
Systemoptimierung beitragen.

2  Schallschutz bei leichten, mehrlagigen Fassadenlösungen

Lärm stellt eine der größten Umweltbelastungen dar. Da


sich die auditive Wahrnehmung des Menschen nicht „ab-
schalten“ lässt, rücken die Schalldämmwirkung von Fassa-
den und die raumakustische Gestaltung von Räumen zu-
nehmend ins Bewusstsein der Planer und Nutzer. Die
akustische Qualität von Räumen wird bei steigendem An-
spruch an nachhaltige, ökologische und gesundheitsför-
dernde Gebäude zukünftig immer bedeutsamer werden
[11]. Laute Hintergrundgeräusche aus der Umgebung und
akustische Mängel an Gebäuden heben oftmals eine
schlechte Sprachverständlichkeit hervor und führen zu we- Bild 2.  Textiler Mehrlagenaufbau (G. Metzger in [10])
sentlichen Defiziten bei der Raum- und Lebensqualität. Fig. 2.  Multi-layer textile configuration (G. Metzger in [10])

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Die Beschreibungen zu Bauwerken mit mehrlagigen


Membrankonstruktionen [8] verwenden dabei als entkop-
pelte Kernlage mit entlüftbaren Zwischenräumen häufig
Vliesstoffe, um Wärmedämmung und Entfeuchtung zu rea-
lisieren. Eine Weiterentwicklung dieses Bauteils war somit
die erste zu untersuchende Variante. Damit wurde auch die
Möglichkeit einer akustischen Optimierung der existieren-
den Systemaufbauten abschätzbar. Die zusätzliche Beschwe-
rung der äußeren und inneren Schichten erweiterte die Va-
rianz der zu untersuchenden Systemaufbauten. Im weiteren Bild 3.  Schematische Darstellung von verschiedenen Reso-
Entwicklungsprozess wurde die Integration einer Wärme- nanzsystemen [13]
dämmschicht aus Aerogel untersucht, da diese bei Haase et Fig. 3.  Closed, perforated and combined shell cavity systems
[13]
al. [9] und bei Cremers et al. [17] als sinnhaft für transluzente
und hochdämmende Aufbauten resümiert wurden.
Aufbauend auf vorliegenden Forschungsergebnissen
[3], [4], [18] konnte das bauakustische Verhalten mehrlagi-
ger leichter Aufbauten aus der Theorie der mehrschalig
schwingenden Systeme abgeleitet werden. Basis für den in
Variantenstudien ausgewählten Systemaufbau waren des-
halb akustisch zweischalig wirkende Konstruktionen [18], Bild 4.  PVC-beschichtetes Polyestergewebe und Polyester­
[19] (vgl. Bild 3). vliesstoff (F. Schmidt in [10])
Fig. 4.  PVC-coated polyester fabric and polyester non-woven
Wichtigstes akustisches Charakteristikum vieler texti-
(F. Schmidt in [10])
ler Werkstoffe, die bisher in mehrlagigen Aufbauten als
Wärmedämmung eingesetzt werden, ist ein hoher Strö-
mungswiderstand [3], [19]. Damit sind diese Werkstoffe für
den Einsatz zur Schalldämpfung in den entstehenden Luft- gel als leistungsfähige Wärmedämmung. Hinzu kam, dass
zwischenräumen prinzipiell geeignet. Ebenfalls gute Wirk- die akustische Wirkweise dieser Komponenten bislang
samkeit ist bei der Verwendung von Aerogelen zu erwar- noch nicht untersucht wurde [9], [16], [17].
ten, da sie ein hohes akustisches Absorptionsvermögen
aufweisen [20], [21]. Eine Aussage über die akustische 2.2 Gestaltung und Optimierung der mehrschaligen System-
Wirkweise unterschiedlicher Materialien allein genügte für aufbauten
die Untersuchung im Forschungsprojekt jedoch nicht. Um
eine Einschätzung zur Wirksamkeit der mehrschichtigen Aus systemtheoretischen Überlegungen zu schwingenden
Systemaufbauten zu geben, waren die Materialien als Teil Systemen resultierte die Erkenntnis für eine erste Weiter-
eines Bauelementes und als gesamtheitlicher Systemauf- entwicklung von Vliesstoffen, nämlich dass die zwei be-
bau zu untersuchen. grenzenden äußeren Flächen der Vliesstofflage als masse-
Aus produktionstechnischer Sicht war es für die Vlies- konzentrierte „Platten“ mit möglichst hohem Flächenge-
stoffentwicklung sinnvoll, auf das feuerhemmende Polyes- wicht auszuführen sind. Aus produktionstechnischer Sicht
terfasermaterial Trevira CSTM als günstiges und auf den zur wurde ein Flächengewicht von 2,0 kg/m2 bei einer Dicke
Verfügung stehenden Maschinen standardisiert verarbeit- von 10 mm als realisierbar eingeschätzt. Ähnlich schwere
bares Material zurückzugreifen. Die Verwendung von Po- Vliesstoffe werden für die Papierindustrie bereits hergestellt
lyesterwerkstoffen ermöglicht zudem die Entwicklung sor- [22], [23]. Bisherige Vliesstoffdämmungen, die in mehrlagi-
tenreiner Schichtaufbauten mit besserer Rezyklierbarkeit gen textilen Systemaufbauten verwendet werden, weisen
[22], [23] (vgl. Bild 4). Die Produktionsweise des Verna- Bauteildicken von 100 bis 200 mm mit einer flächenbezo-
delns ermöglichte es, einen im Querschnitt zweischichti- genen Masse von 2,5 bis 5,0 kg/m2 auf [8]. Mit der dichte-
gen Aufbau herzustellen, der als ein Bauelement in den ren Ausführung der beiden begrenzenden Flächen erhöht
Systemrahmen eingebaut werden kann. sich zwar die flächenbezogene Masse des neuen Bauele-
Silicat-Aerogel stand als Materialalternative mit besse- mentes, die Verwendung von zusätzlichem Material erfolgt
ren Wärmedämmeigenschaften für die Anwendung als jedoch an den aus akustischer Sicht optimalen Stellen. Die
Kernlage zur Verfügung. Die konstruktive Einbindung in Anpassung des Vliesstoffquerschnitts hat, wie durch die Si-
den Systemaufbau konnte entweder mittels Vernadelungs- mulation von Klaus et al. [26] aufgezeigt werden konnte,
technik in einem Vliesstoff als Trägermaterial erfolgen oder keinen relevanten negativen Einfluss auf das Wärmedämm-
alternativ durch die Befüllung eines Abstandsgewirkes verhalten. Das fortgeführte Bauelement besteht im inneren
oder einer Faltstruktur. Untersuchungen zum akustischen Aufbau (Deckgewebe nicht berücksichtigt) aus drei Schich-
Verhalten von Aerogelen als Additive in Vliesstoffen sind ten – zwei massekonzentrierten Randschichten und einer
in [24] bereits gegeben. Untersuchungen zur Befüllung von offenporigen Füllung. Diese Füllung wirkt dabei durch die
Faltstrukturen wurden ebenfalls am ILEK durchgeführt Reduktion der dynamischen Steifigkeit und den Ausschluss
[25]. Entschieden wurde schließlich, die Variante der Befül- von stehenden Wellen akustisch dämpfend sowie durch die
lung des Abstandsgewirkes weiterzuverfolgen. Ausschlag- niedrige spezifische Wärmeleitfähigkeit wärmedämmend.
gebend hierfür waren die mit dieser Variante verbundene Die Produktion eines solchen geschichteten Verbund­
höhere Transluzenz, die bessere Trennbarkeit der verwen- vliesstoffaufbaus wird dabei durch zwei gleiche Bauteile
deten Materialien und der höhere Volumenanteil an Aero- erreicht (vgl. Bild 6). Durch mehrfache, schichtweise Verna-

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delung lässt sich die Kombination aus dämpfendem, offen-


porigem Füllstoff und der massekonzentrierten Träger-
schicht in einem Bauteil herstellen (Bild 5). Die Anwendung
als Bauelement erfolgt schließlich durch die gespiegelte
Anordnung zweier Bauteillagen im Systemaufbau. Die Un-
tersuchungen und Entwicklungen zur Herstellbarkeit wur-
den in Zusammenarbeit mit dem Technologie- und Entwick-
lungszentrum (TEZ) der Groz-Beckert KG durchgeführt.
Für den ersten prinzipiellen Systemaufbau (Bild 6) re-
sultiert hieraus, dass als äußerste, wetterzugewandte Lage
(Deckgewebe) ein PVC-beschichtetes Polyestergewebe der
Verseidag-Indutex GmbH bis verwendet wird. Diese Lage
wird mit der im Bauwesen üblichen Vorspannkraft von 0,4
bis 0,8 kN/m in den Kon­struktionsrahmen eingebaut [10].
Im Abstand von 250 mm verläuft die innere raumabschlie-
Bild 6.  Systemaufbauten mit zwei Kernlagen aus Polyester-
ßende Gewebelage. Der Abstand wurde aufgrund der Ent- Verbundvliesstoff [27]
wicklungsergebnisse aus dem Forschungsprojekt zur Ent- Fig. 6.  System configuration with two core layers made of
wicklung von Systemprofilen für mehrlagige textile Gebäude­ polyester non-woven fabric
hüllen [10] gewählt. Als Kernlage werden zwei Bauteillagen
des entwickelten Verbundvliesstoffes spiegelsymmetrisch
im Systemprofil eingebaut. Die massekonzentrierten Trä- Die zusätzliche Vernadelung, beispielsweise von Silikat-
gerschichten liegen dabei von der Spiegelachse entfernt Aerogel als Additiv im Vliesstoff, erweitert die wärmetechni-
und direkt unter den entkoppelten Deckgewebelagen. Eine sche Leistungsfähigkeit des geschichteten Vliesstoffaufbaus
flächige Verbindung des Verbundvliesstoffes mit den Deck- und führt zu einem höheren akustischen Absorptionsvermö-
geweben wurde als alternative Anbindungsmöglichkeit gen [21], [24]. Ebenfalls Einfluss auf die raum­akustische
ebenfalls geprüft. Gewählt wurde schließlich die entkop- Wirkweise haben mögliche perforierte Gewebe, die auf der
pelte Variante. Ausschlaggebend hierfür war zum einen die Innenraumseite als alternatives Deckgewebe vor dem be-
Notwendigkeit, auch während des Betriebs die Lagen aus- schriebenen Systemaufbau angebracht werden können. Das
tauschen zu können. Zum anderen ergab sich aus Vorgän- System kann so zu einem Breitband-Resonator erweitert
gerprojekten des LBP, dass eine Kopplung keine Unter- werden. Durch solche Erweiterungen bieten transluzente
schiede in der Schalldämmung und -dämpfung zur Folge Fassadenpaneele ausdifferenzierte Möglichkeiten für die
hat [18]. Aus konstruktiver Sicht hat dies den weiteren Einstellung der Raumakustik und für die Planung und Ge-
Vorteil, dass die Anbindung an die Unterkonstruktion ein- staltung von Räumen.
facher wird und dass im gesamten Kernlagenaufbau klei-
nere Vorspannungen realisiert werden, die wiederum eine 2.3  Anpassungsfähigkeit der Systemaufbauten
längere geometrische Stabilität und damit auch eine bes-
sere Haltbarkeit des Materials ermöglichen [3], [4], [10]. Im iterativen Entwicklungsprozess zwischen dem ILEK,
Die sich ergebenden luftdurchströmten Abstände zwischen den Industriepartnern und dem LBP wurde als aussichts-
Deckgewebe und Verbundvliesstoff sowie zwischen den reichste Erweiterung des prinzipiellen Systemaufbaus eine
beiden Verbundvliesstofflagen können zur Ablüftung und weitere, flächige Beschwerung der äußeren und inneren
damit zur Vermeidung von Kondensatbildung verwendet Lagen herausgearbeitet. Um neben der Wirksamkeit der
werden. Bild 6 zeigt die daraus resultierende Weiterent- zusätzlichen flächigen Beschwerung auch die akustische
wicklung der bisherigen Vliesstoffdämmung hin zum prin- Anpassungsfähigkeit [27] eines solchen Systemaufbaus zu
zipiellen Systemaufbau mit zwei Verbundvliesstoffen. demonstrieren, wurde in Zusammenarbeit mit der Global
Das grundlegende Prinzip eines mehrschalig schwin- Safety Textiles GmbH (GST) ein ergänzendes Bauelement
genden Systems ermöglicht zudem die Variation der be- entwickelt und getestet. Dieses Bauelement ist ein zweila-
schwerten Lagen, um die Schalldämmung des Lagenaufbaus giges, abgestepptes Taschensystem, das durch eine variable
zu erhöhen. So könnte durch das Vernadeln schwerer Fa- Fluidfüllung zur Einstellung der flächenbezogenen Masse
sern oder durch die zusätzliche Integration von Kunststoff, vor dem Verbundvliesstoff wirkt. Es wird zwischen dem
Metall- oder Glasteilen eine weitere Steigerung des Flächen- Deckgewebe und dem Verbundvliesstoff eingebaut. Füll-
gewichtes der außenliegenden Lagen erreicht werden. menge und Fülldruck können variiert werden, um das

Bild 5.  Konfektionierter, zweischichtiger Polyester-Verbundvliesstoff [13]


Fig. 5.  Assembled, dual-layer polyester non-woven fabric

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Schwingungsverhalten und das Reflexionsverhalten des


Elements zu beeinflussen [28] bis [30].
Bild 7 zeigt den Querschnitt des gesteppten zweilagigen
Gewebes. Die sich abzeichnende Rillenstruktur des befüll-
ten Gewebes ist in Bild 8 dargestellt. Das Bauelement kann
auf beiden Seiten des Verbundvliesstoffs montiert werden.
Durch den beidseitigen Einsatz von fluidgefüllten Taschen-
geweben ist eine weitreichende Beeinflussung von Innen-
raum- und Stadtraumakustik möglich [27], [28] (vgl. Bild 9).
Bild 7.  Querschnitt des Taschengewebes (F. Schmid in [13]) Die Veränderbarkeit der Befüllung des Taschengewe-
Fig. 7.  Section of the fluid filled tube system (F. Schmid in [13]) bes und damit die Beeinflussung der akustischen Verhal-
tensweisen von Lagenaufbauten ist insbesondere bei sehr
leichten Konstruktionen sinnvoll. So kann durch die zeit-
lichen und räumlichen Veränderungen und mittels der Sys-
temgestaltung auf das städtische oder innenräumliche Um-
feld situationsbedingt eingegangen werden. Diese Anpas-
sung erfolgt durch die Variation der befüllbaren Schichten.
Die Schallenergie in einem städtischen Umfeld wird redu-
ziert, wenn die zum Innenraum gerichtete Schicht reflek-
tierend wirkt und die dem Außenraum zugewandte Schicht
entleert ist (Bild 10). Das System kann aber auch umge-
kehrt eingestellt werden, um den raumakustisch ausschlag-
Bild 8.  Taschengewebe: Außenansicht in gefülltem Zustand gebenden, absorbierenden Flächenanteil des Innenraumes
(F. Schmid in [13]) zu erhöhen. In diesem Fall wäre die Schicht zum Außen-
Fig. 8.  Fluid filled tube system: exterior view (F. Schmid in [13]) raum hin befüllt und beschwert, die Schicht in Richtung
Innenraum wäre entleert. In Verbindung mit einem auto-
matischen Steuerungs- und Regelungssystem kann so die
Raumakustik des Innenraums je nach Nutzung und die
Akustik des Stadtraums je nach Lärmpegel durch eine An-
passung des Reflexions- bzw. Absorptionsverhalten des
Systemaufbaus beeinflusst werden [27].
Die Fluidfüllung des beschriebenen Bauelementes
kann auch als Medium einer solarthermischen Anlage die-
nen. Das Taschengewebe wirkt hierbei nicht nur als akus-
tischer Reflektor, sondern auch als thermischer Kollektor
[27]. Das Kreislaufsystem und der Fluidspeicher müssen in
diesem Fall so ausgelegt werden, dass im Innenraum die
thermische Behaglichkeit und im Systemaufbau die Ein-
haltung der Grenzwerte zur Vermeidung von Oberflächen-
kondensation gewährleistet werden [28].

2.4  Ergänzende Maßnahme


Bild 9.  Systemaufbauten mit integrierten, fluidgefüllten Ta-
schengeweben [28] Um den oben beschriebenen Vorteil des Silicat-Aerogels
Fig. 9.  System configuration with integrated, fluid filled tube als wärmedämmende und transparente Schicht nutzen zu
system [28] können, wurde in der letzten Iteration der Systementwick-

Bild 10.  Systemverhalten eines leichten Lagenaufbaus mit schaltbarer, beschwerender, fluidbefüllter Lage [27]
Fig. 10.  System behaviour of a light layer configuration with switchable, ballastable, fluid filled layers [27]

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Bild 13.  Vorspanneinrich-
tung (rückseitig zu Bild 12)
(F. Schmid in [13])
Fig. 13.  Pre-stressing set-
up (rear view to Fig. 12)  
(F. Schmid in [13])
Bild 11.  Systemaufbau mit fluidgefülltem Taschengewebe
und Aerogel-Dämmschicht [28]
Fig. 11.  System configuration with the fluid filled tube sys-
tem and the aerogel insulation layer [28] elemente (17,5 %) und der Membranfläche (82,5 %) bei
den Messungen aus [13].
Die exemplarische Messreihe für mehrlagige adaptive
lung der Verbundvliesstoff durch eine Aerogel-Lage ersetzt. textile Gebäudehüllen wurde zur Untersuchung der oben
Der prinzipielle Aufbau blieb dabei durch zwei eingesetzte gezeigten Entwicklungsschritte mit den im folgenden Ab-
Taschengewebe erhalten. Die Halterung des als Granulat schnitt beschriebenen Lagenaufbauten systematisch abge-
vorliegenden Aerogels erfolgte in einem 120 mm dicken deckt. Die Anordnungen sind in den Systemskizzen in
Abstandsgewebe, welches von PVC/Polyestergeweben um- Bild 14 dargestellt. Die detaillierte Beschreibung der Bau-
mantelt ist. Bild 11 zeigt den daraus resultierenden dreila- teile mit Angaben zu flächenspezifischer Masse, Volumen
gigen Aufbau. und Materialaufbau ist in den Tabellen 2 bis 5 aufgeführt.
Das akustische Verhalten von ein- und zweilagigen
3 Prototypischer Systemaufbau und messtechnische Unter- Folienaufbauten ist aus Ergebnissen von Mehra et al. [18]
suchung und Maysenhölder [31] bekannt. Eine erneute Untersu-
chung erfolgte daher nicht. Der erste Systemaufbau [A]
Im Rahmen des Forschungsprojektes ARAKO ist die akus- bestand aus zwei PVC-beschichteten Polyestergeweben
tische Leistungsfähigkeit der beschriebenen prototypi- sowie einer Verbundvliesstofflage. Er bildete somit den
schen Systemaufbauten mit dem Schalldämmmaß quanti- Systemaufbau von bereits gebauten Membranbauwerken
fiziert worden. Die Bestimmung der entsprechenden Kenn- ab. Der zweite Systemaufbau [B] wurde durch einen weite-
größe wurde im Türprüfstand am Fraunhofer-Institut für ren gradierten Verbundvliesstoff ergänzt, um das Schwin-
Bauphysik (IBP) in Stuttgart durchgeführt (Bild 12). Der
Einbau in den Türprüfstand erfolgte durch die am ILEK
entwickelte Vorspanneinrichtung. Sie ermöglicht die Be- Tabelle 1.  Flächenverteilung der Konstruktionselemente  
festigung der Gewebelagen im Prüfstand mit biaxialer Vor- bei der Messung im Türprüfstand [13]
Table 1.  Areas of the construction elements in the door  
spannung von bis zu 2,5 kN/m [13] (vgl. Bild 13). Tabelle 1
test bed [13]
weist die wirksamen Flächenanteile der Konstruktions­
Membranaufbau 1,626 m2
Hydraulikzylinder 0,062 m2
Unterkonstruktion 0,282 m2
gesamt 1,97 m2

Tabelle 2.  Aufbau des Deckgewebes [13]


Table 2.  Configuration of the cover fabric [13]
Typ Verseidag-Indutex B1015
Material Polyester
Beschichtung PVC
Flächengewicht 630 g/m2
Höchstzugkraft 2800/2500 (N/5 cm)
Bild 12.  Eingebaute Ge- (Kette/Schuss) Kettrichtung: vertikal
webeprobe im Türprüf- Schussrichtung: horizontal
stand (F. Schmid in [13])
Vorspannkraft ≥ 480 N/m bzw. ≥ 980 N/m
Fig. 12.  Equipped door test
bei erhöhtem Vorspannniveau
bed (F. Schmid in [13])

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Tabelle 3.  Aufbau des gradierten Verbundvliesstoffs [13] Tabelle 5.  Aufbau des Abstandsgewirks mit Aerogelfüllung [13]
Table 3.  Configuration of the graded compound non-woven Table 5.  Configuration of the aerogel filled spacer fabric [13]
fabric [13]
Typ des Abstandsgewirks Hightex; Zellner GmbH
Typ gradierter Verbundvliesstoff Material des Abstandsgewirks Polyester
(Projektentwicklung im TEZ Hersteller des Aerogels Cabot AG
der Groz-Beckert KG)
Material des Aerogel Silikat-Aerogel
Material Polyester
Flächenbezogene Masse 11.800 g/m2
Herstellung Nadelvliesstoff
Masse Silicat-Aerogel 3.300 g/m2
Flächenbezogene Masse 4500 g/m2
Masse Polyester-Gewirk 7.600 g/m2
Masse PVC-Folien 900 g/m2
Tabelle 4.  Aufbau des gefüllten Taschengewebes [13] Schichtdicke gesamt 120 mm (Toleranz ±10 mm)
Table 4.  Configuration of the fluid filled tube system [13] Schichtdicke Abstandsgewirk 2 × 30 mm, 2 × 20 mm, 2 × 10 mm
Typ Jaquard-Gewebe (GST GmbH)
Material Polyester
Beschichtung Folienkaschierung gungsverhalten biegeweicher Konstruktionen und die Ver-
Innere Abdichtung Acrylharz-Titandioxid-Emulsion wendung textiler Werkstoffe in typischen Elementfassaden
Befüllung Wasser einschätzen zu können. Für den dritten Systemaufbau [C]
Sonstiges Einbau auf Metallgewebe zur wurde Aufbau [B] um ein fluidgefülltes Taschengewebe an
Stabilisierung einer Membranlage ergänzt, um so die Rolle von zusätzli-
Schutztasche aus PVC-Folie cher flächenbezogener Masse in die Untersuchung einzu-
Flächenbezogene Masse 18.000 g/m2
beziehen. Der vierte Systemaufbau [D] ersetzt den in Vari-
ante [C] verwendeten Verbundvliesstoff durch ein mit Sili-
Masse Taschengewebe 1.280 g/m2
cat-Aerogel gefülltes Abstandsgewirk. Damit wurde das
Masse Fluid 15.070 g/m2
akustische Absorptionsvermögen eines Systemaufbaus mit
Masse Metallgewebe 650 g/m2
alternativem Wärmedämmstoff untersucht.
Masse Schutztasche 1.100 g/m2
In Bild 15 werden die Ergebnisse aus der Messung des
Schichtdicke gesamt 18 mm Schalldämmmaßes für die Systemaufbauten [A] bis [D] ver-
Schichtdicke Taschengewebe 15 mm glichen. Ergänzend sind Messergebnisse zu ein- und zwei-

a) b)

c) d)

Bild 14.  Systemskizzen der Lagenaufbauten [13]: jeweils Prinzipschnitt und Horizontalschnitt mit Abmessungen und Kon­
struktionsdetails; a) mit einfacher Vliesstofflage, b) mit zwei gespiegelt angebrachten Vliesstofflagen, c) mit zusätz­lichem
­gefüllten Taschengewebe, d) mit Aerogel-gefülltem Abstandsgewirk
Fig. 14.  System configurations [13] with schematic cross section, dimensioned horizontal section and details

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Die Verwendung des mit Silicat-Aerogel gefüllten Ab-


standsgewirks in Systemaufbau [D] zeigt wiederum eine
deutliche Verbesserung des Schalldämmmaßes über alle Fre-
quenzen hinweg. Sehr auffällig ist dabei der gleichmäßige
Verlauf der Messwerte über dem untersuchten Frequenzbe-
reich. Der Aufbau erreicht somit ein bewertetes Schall-
dämmmaß von RW = 39 dB.
Die Erweiterung des Abstands der beiden konstruk­
tionsbegrenzenden Flächen zur Beeinflussung des Schall-
dämmmaßes insbesondere bei den tiefen Frequenzen ist
von Mehra et al. [18] bekannt. Die Variation der Konstruk-
tionstiefe wurde deshalb nicht näher betrachtet. Die ge-
naue Einstellung des Abstandes und der Masse der Kon­
struktion wird somit bei der anwendungsspezifischen Pla-
nung entschieden und damit relevant [13], [28].

4 Fazit

Die Ergebnisse bekräftigen die Intention der Autoren, Fas-


sadensysteme für mehrlagige textile Gebäudehüllen zu ei-
nem anpassungsfähigen System auszubauen. Dies kann
über den prinzipiellen Systemaufbau, die Materialwahl der
akustischen Dämpfung und der thermischen Dämmung
sowie durch die zielgerichtete Erhöhung der flächenbezo-
gen Massen erfolgen. Durch eine einfache Erweiterung des
Herstellungsprozesses von Nadelvliesstoffen kann ein üb-
liches Bauteil von mehrlagigen textilen Gebäudehüllen
erweitert und in der akustischen Wirkweise verbessert wer-
den. Zudem wurde ersichtlich, dass die Erhöhung der flä-
chenbezogenen Masse der beiden systemabschließenden
Flächen eine weitere Erhöhung der Schalldämmung zur
Folge hat. Dies bestätigt die bei Mehra et al. [18] ausge-
führte Übertragbarkeit der Theorie der mehrschalig
schwingenden Systeme auf leichte Flächenelemente. Die
Entwicklung des Taschengewebes für einen anpassungsfä-
higen Systemaufbau zeigt auch, dass Synergien zwischen
bauakustischer Wirkweise, raumakustischer Einstellbar-
keit sowie wärme- und feuchtetechnischen Anforderungen
Bild 15.  Gemessenes Schalldämmmaß in Abhängigkeit von erreicht werden können [27]. Für die Entwicklung des Ge-
der Frequenz [13]; Messergebnisse für die untersuchten Lagen- samtkonzeptes von leichten Gebäudehüllen kann daraus
aufbauten [A] – [D] und vergleichend I.–III. gemäß [31], [32] die allgemeine Tendenz zur Verwendung der minimal not-
Fig. 15.  Measured Sound Reduction Indices plotted as a wendigen Masse und der minimal notwendigen Energie
function of the frequency [13]; test results for system config- am sinnvollsten Wirkort und damit am sinnvollsten Bau-
urations [A] – [D] compared to I.–III. according to [31], [32] teil einer Leichtbaukonstruktion gegeben werden.
Der dafür notwendige Planungs- und Entwicklungs-
prozess wird mit wachsenden Anforderungen und Wech-
lagigen Folienaufbauten von Maysenhölder [31] und Mess­ selwirkungen immer komplexer und lässt sich nur im inter-
ergebnisse zu einem Mauerwerk aus Lutz et al. [32] aufge- und multidisziplinären Austausch bearbeiten [33]. Dies
tragen. wird von der Notwendigkeit begleitet, die Zielkonflikte
Das bewertete Schalldämmmaß des Systemaufbaus kenntlich und die Wechselwirkungen verständlich zu ma-
[A] ist mit RW = 25 dB allein durch die Einbringung einer chen, um sinnfällige und zielgerichtete Lösungen erarbei-
Verbundvliesstofflage um 8 dB höher als das des zweilagi- ten zu können [34]. Im Forschungsprojekt konnte dies im
gen PVC/Polyester-Membranaufbaus nach Maysenhölder Zusammenwirken der Forschungsinstitute und der Indust-
(RW = 17 dB). Die Spiegelung und damit der prinzipielle riepartner umgesetzt werden.
Systemaufbau [B] erhöht die Schalldämmung um weitere Auf Basis der Recherche- und der Messergebnisse
5 dB auf RW = 30 dB (vgl. [A] zu [B]). wurden zuerst drei konzeptionelle Varianten für multi-
Die Ergänzung der flächenbezogenen Masse um rund funktional ausgerichtete Systemlösungen entworfen.
18 kg/m2 durch das mit Flüssigkeit gefüllte Taschengewebe Grundlegend hierfür waren Handbücher, Planungsatlan-
im Systemaufbau [C] führt zu einer weiteren Steigerung ten und Ergebnisse von vorangegangenen Projekten. Bei
des Schalldämmvermögens, insbesondere im Frequenzbe- jeder dieser Varianten wurde anhand vergleichbarer be-
reich über 500 Hz. Das bewertete Schalldämmmaß er- kannter Aufbauten das mögliche Leistungsspektrum bei
reicht RW = 34 dB. jeder definierten Funktion abgeschätzt.

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Mit dem Fokus auf der akustischen Wirkweise wurde gart, Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren
in einem interdisziplinären Workshop die Sinnhaftigkeit, ILEK; FH Dortmund, Fachbereich Architektur. Stuttgart
Wirksamkeit und die Entwicklungsmöglichkeit der Varian- 2012.
ten diskutiert. Daraus resultierte eine Empfehlung, die für [11]  Mommertz, E.: Akustik und Schallschutz: Grundlagen, Pla-
nung, Beispiele. München: Institut f. intern. Architektur-Dok.
den weiteren iterativen Entwicklungsprozess zwischen
2008.
den Instituten und den Industriepartnern richtungswei-
[12]  Blesser, B., Salter, L.: Spaces Speak, Are You Listening?
send war. In einzelnen Bauteilen werden mehrere Funk­ Experiencing Aural Architecture. The MIT Press: Boston
tionen angereichert. Dies ist notwendig, um ein Erfüllen 2009.
der gesetzten Anforderungen hinsichtlich Funktionalität, [13] Schmid, F. et al.: Adaptive Raumakustik und akustische
struktureller Effizienz und Erscheinungsbild bei gleichzei- Konditionierung – ARAKO. Forschungsbericht in Vorbe­
tiger Reduktion der eingesetzten Masse und Energie zu reitung. Universität Stuttgart, Institut für Leichtbau Entwer-
gewährleisten. Im Entwicklungsprozess wurde ersichtlich, fen und Konstruieren, Lehrstuhl für Bauphysik. Stuttgart
dass zur Erfüllung der Anforderungen bei ultraleichten 2011.
Systemen die Potentiale eines gesamtheitlichen Designpro- [14]  Koch, K.-M.: Bauen mit Membranen: Der innovative Werk-
zesses genutzt werden müssen. Das heißt, dass eine Zieler- stoff in der Architektur. München: Prestel Verlag 2004.
[15]  Seidel, M.: Textile Hüllen - Bauen mit biegeweichen Tragele-
füllung nur durch die angemessene Verwendung von Ma-
menten. Materialien, Konstruktion, Montage. Berlin: Ernst &
terialien, die zielgerichtete Nutzung von Werkstoffeigen-
Sohn 2007.
schaften und das gezielte Zusammenspiel von relevanten [16]  Kaufmann, A., et al.: Wärmetechnische Besonderheiten
physikalischen, chemischen und biologischen Wirkungen von Membrankissenkonstruktionen. Bautechnik 90 (2013),
gewährleistet werden kann [22], [33]. H. 7, S. 395-401.
[17]  Cremers, J., Lausch, F.: Transluzente Hochleistungsdäm-
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Die Erkenntnisse und Ergebnisse konnten durch die För- [18]  Mehra, S.-R., et al.: Akustisches Verhalten von Hüllenkon-
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(BBR) in einem Forschungsprojekt der Forschungsinitia- sität Stuttgart, Lehrstuhl für Bauphysik. Stuttgart 2003.
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Bauphysik 36 (2014), Heft 1 9


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[32]  Lutz, P., et al.: Lehrbuch der Bauphysik. Schall, Wärme, und
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2002. 3360 S. State St., Chicago, IL, USA
[33]  Ropohl, G.: Allgemeine Systemtheorie: Einführung in Werner Sobek Group GmbH
transdisziplinäres Denken. Berlin: Edition Sigma 2012. Albstraße 14, 70597 Stuttgart
[34]  Maeda, J.: The Laws of Simplicity. Boston: The MIT Press
2006. Dipl.-Ing. Eva Veres
Prof. Dr.-Ing. Schew-Ram Mehra
Autoren dieses Beitrages: Prof. Dr.-Ing. Klaus Sedlbauer
Dipl.-Ing. Fabian Schmid Universität Stuttgart
Dr.-Ing. Walter Haase Lehrstuhl für Bauphysik (LBP)
Universität Stuttgart Pfaffenwaldring 7, 70569 Stuttgart
Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) Fraunhofer Institut für Bauphysik (IBP)
Pfaffenwaldring 7 & 14, 70569 Stuttgart Nobelstraße 12, 70569 Stuttgart

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