Eingegangen: 30. April 2021 / Angenommen: 24. Januar 2022 / Online publiziert: 22. März 2022
© Der/die Autor(en) 2022
Zusammenfassung Mit dem Auftreten des neuartigen case report it is discussed if validated scores can sup-
SARS-CoV-2-Virus im Februar 2020 und der damit as- port the decision between intubating patients or pro-
soziierten COVID-19-Viruspneumonie kam es zu einer viding best supportive care.
Vielzahl schwer erkrankter Patienten auf den Inten-
sivstationen. Gerade zu Beginn der Pandemie zeigte Keywords COVID-19 · Geriatric intensive care ·
sich eine hohe Mortalität insbesondere der intubier- Intubation · Best supportive care scores
ten Patienten. Auch wenn sich durch gewonnene Er-
fahrungswerte in der Beatmung der schwer kranken
Patienten die Mortalitätsrate senken ließ, beträgt sie Das Auftreten des neuartigen SARS-CoV-2-RNA-Virus
in der Patientengruppe der über 80-Jährigen weiter- zu Beginn des Jahres 2020 hat auch die Intensiv-
hin 80 %. Anhand des vorgestellten Patientenbeispiels medizin vor neue Herausforderungen gestellt. Die
wird erörtert, inwieweit validierte Scores unterstützen, intensivmedizinisch zu betreuenden Patienten, 3 %
eine Entscheidung bezüglich einer möglichen Intuba- der an COVID-19 Erkrankten, zeichnen sich durch re-
tion vs. Best Supportive Care zu finden. spiratorische Insuffizienz mit bilateraler Pneumonie
im Sinne eines Acute-Respiratory-Distress-Syndroms
Schlüsselwörter COVID-19 · Geriatrische (ARDS) aus [1]. Beim Großteil dieser Patienten be-
Intensivmedizin · Intubation · Best Supportive Care steht bereits früh Sauerstoffbedarf. Um den zehnten
Scores Tag nach Symptombeginn kommt es meist zu einer
nochmaligen deutlichen respiratorischen Verschlech-
Palliative care for patients over 80 years old with terung.
COVID-19 pneumonia on the intensive care Charakteristisch bei dieser Viruspneumonie ist ei-
unit—Is invasive ventilation effective? ne in den Blutgasen deutlich sichtbar gemessene
Hypoxämie bei oft fehlender Dyspnoesymptomatik
Summary In February 2020 a new virus named-SARS- [1]. Bei insuffizienter Beatmung durch eine „high
CoV-2 emerged. As a result many patients suffered flow nasal cannula“ (HFNC) oder eine non-invasive
from COVID-19-associated pneumonia and were in Ventilation(NIV)-Maske ist eine Intubation notwen-
need of hospitalization in an intensive care unit (ICU). dig. Im Vergleich zu Krankheitsverläufen bei bak-
Especially at the beginning of this pandemic the mor- teriellen Pneumonien ist die COVID-19-Pneumonie
tality among intubated patients was very high. With durch eine lange Intubationsdauer mit hohem Be-
ongoing experience in how to handle COVID-19-asso- atmungsaufwand gekennzeichnet [1]. Dies stellt bei
ciated respiratory insufficiency the mortality rate was bereits verminderten körperlichen Ressourcen wie
reduced but is still high among older patients. In this hohem Alter und Vorerkrankungen ein entscheiden-
des Problem dar. Ein positives Outcome ist durch
D. Vohla () diese Faktoren deutlich reduziert.
3. Medizinische Abteilung, Krankenhaus Hietzing, Wien, Auffällig zeigt sich nach unserer Erfahrung die Not-
Österreich wendigkeit hoher Sedierungsdosen. Um die Bauchla-
Paracelsus Medical University, Salzburg, Österreich gerung, welche zu einer besseren Oxygenierung führt,
dagmar.vohla@stud.pmu.ac.at zu gewährleisten, werden die Patienten zusätzlich re-
K Palliative Care bei über 80-jährigen Patienten mit COVID-19-Pneumonie auf der Intensivstation – invasive. . . 189
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laxiert. Das Sedierungsregime kann wiederum beson- bation kam es zu einer Besserungstendenz bezüglich
ders bei älteren Patienten vermehrt zum Auftreten ei- der Beatmungseinstellungen, sodass mit dem Wea-
nes Delirs, einer verzögerten Aufwachreaktion und ei- ning begonnen wurde. Allerdings zeigte sich nach Be-
ner Critical-Illness-Neuropathie führen [2]. In einer endigung der Sedierung keine adäquate Aufwachre-
hohen Zahl der Fälle ist aufgrund der langen Intu- aktion des Patienten. Es erfolgte eine Computertomo-
bationsdauer und des oftmals schwierigen Weanings graphie des Schädels mit Angiographie der Hirnge-
eine Tracheotomie notwendig. fäße, in dem sich kein Hinweis auf eine Ischämie oder
Bei ausreichendem Vorhandensein intensivmedizi- Blutung zeigte. Auch in dem in weiterer Folge durch-
nischer Betten auf unserer internistischen Intensivsta- geführten Elektroenzephalogramm und einer krania-
tion, die seit Beginn der Pandemie im März 2020 mit len Magnetresonanztomographie wurde kein ursäch-
ca. 170 Patienten fast ausschließlich COVID-19-Pati- lich fassbares Korrelat für die verminderte Vigilanz ge-
enten betreut hat, bestand bisher keine Notwendigkeit funden.
einer aktiven Triage von Patienten. Folglich wurde von Da sowohl aufgrund der bestehenden Beatmungs-
einer Intubation nur bei ausdrücklichem Wunsch des einstellung und der neurologischen Situation eine Ex-
Patienten und ausgeprägter Multimorbidität Abstand tubation nicht möglich war, erfolgte eine Tracheoto-
genommen. mie.
Infektionen mit COVID-19 führen bei Patienten im Medikamentös wurde die Behandlung sowohl ei-
hohen Alter auch bei wenigen Vorerkrankungen zu ei- nes hypoaktiven Delirs als auch einer Critical-Illness-
nem oft tödlichen Verlauf. Hinzu kommt, dass sich Myopathie/Polyneuropathie initiiert.
in Studien zeigt, dass bereits ein Alter von > 75 Jah- Im weiteren Verlauf kam es undulierend zu ei-
ren bei invasiv beatmeten Patienten einen unabhän- ner minimalen Vigilanzbesserung mit Augenöffnung
gigen Risikofaktor für ein schlechtes Outcome dar- und Blickfolge. Intermittierend konnte für ein paar
stellt [3]. Somit stellt sich die Frage, ob eine Intubati- Stunden die Beatmung auf HFNC umgestellt wer-
on bei nahezu 100 % Mortalität bei über 80-Jährigen den, jedoch musste der Patient nach respiratorischer
mit COVID-19-Pneumonie und vorbestehenden Ko- Erschöpfung wieder an die Beatmungsmaschine ge-
morbiditäten eine zielführende Therapie darstellt. In nommen werden. Da sich in den 2 darauffolgenden
diesem Zusammenhang gibt es die Überlegung des Wochen bei protrahiertem Verlauf und beginnendem
Einsatzes von Scores, die eine Aussagekraft bezüglich Multiorganversagen unter Ausschöpfung der intensiv-
des Outcomes dieser Patienten haben und die bei der medizinischen Maßnahmen keine Besserung zeigte,
Entscheidungsfindung unterstützen können. wurde schließlich nach Beschluss im intensivmedi-
zinischen Team eine palliative Behandlungsstrategie
Patientenbeispiel eingeschlagen. Der Patient verstarb am 41. Tag nach
Aufnahme auf der Intensivstation und 57 Tage nach
Zur Aufnahme auf die Normalstation kam Herr M., 79- Infektionsbeginn.
jährig, zu Hause mit der Ehefrau selbstständig lebend.
Als Vorerkrankung bestand ein nicht insulinpflichtiger COVID-19 und Intubation
Diabetes mellitus Typ 2.
Herr M. wurde mittels PCR-Test positiv auf SARS- Den Erfahrungen nach und auf Basis zahlreicher Stu-
CoV-2 getestet mit initialen Symptomen einer Diarrhö dien, die in der Zeit der ersten Welle erfolgten, wird in
und Müdigkeit. Aufgrund einer Erhöhung des D-Di- der Zwischenzeit versucht, die respiratorische Insuf-
mer wurde bereits auf der Notfallabteilung zum Aus- fizienz möglichst lange mittels HFNC und NIV-Beat-
schluss einer Pulmonalembolie eine Computertomo- mung zu behandeln und eine Intubation, wenn mög-
graphie des Thorax durchgeführt, in der sich Verän- lich, zu vermeiden [1]. Als Leitlinie zur sofortigen Intu-
derungen im Sinne einer Viruspneumonie zeigten. bation gelten eine schwere Hypoxämie bei paO2/FiO2
Bei steigendem Sauerstoffbedarf kam es nach 5 Ta- < 100 mm Hg, in Erwägung sollte eine Intubation ge-
gen zur Transferierung auf die Lungenabteilung (In- zogen werden bei paO2/FiO2 < 150 mm Hg und Atem-
termediale Care) zur weiteren Therapie mit HFNC frequenzen > 30/min [4].
und in weiterer Folge mit „continuous positive airway Verschiedene Studien zeigten unterschiedliche
pressure“ (CPAP). Im Verlauf-Thoraxröntgen zeigte Empfehlungen bezüglich einer frühzeitigen oder ei-
sich eine Dichtezunahme der pneumonischen Infil- ner verzögerten Intubation [4, 5]. Die Determinante
trate. Sechs Tage später kam es zu einer weiteren für das Outcome scheinen die Schwere und der Fort-
Verschlechterung, und eine ausreichende Oxygenie- schritt der Erkrankung zu sein. In Bezug auf Letzteres
rung mittels HFNC/CPAP konnte nicht mehr erreicht ist es wichtig, nicht außer Acht zu lassen, dass es durch
werden, sodass Herr M. am 15. Tag nach COVID-Sym- eine bereits mehrere Tage bestehende nichtinvasive
ptombeginn auf die Intensivstation verlegt wurde. Es Beatmung zu einer respiratorischen Erschöpfung v. a.
erfolgte nach Aufnahme die rasche Intubation mit der Atemmuskulatur kommen kann. Seitens man-
Bauchlagerung. cher Patienten besteht allerdings eine erstaunliche
Bei steigendem Procalcitonin wurde eine antimi- Symptomlosigkeit („happy Hypoxia“). Die Erschöp-
krobielle Therapie initiiert. Ab dem 8. Tag nach Intu- fung macht sich nach erfolgter Intubation durch eine
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deutlich verlängerte Rekompensationszeit der respi- Tab. 1 4C Mortality Score für COVID-19
ratorischen Situation bemerkbar. Variablen 4C Mortality Score for
Eine Reduktion der Beatmungseinstellungen ist COVID-19
langwierig, sodass nach einer ca. 14-tägigen Intubati- Alter
on eine Tracheotomie erfolgt [4]. < 50 –
Unabhängig von der Pandemie zeigt sich in den 50–59 +2
letzten Jahren ein Anstieg der über 80-jährigen Patien- 60–69 +4
ten auf den Intensivstationen mit einem Prozentsatz 70–79 +6
zwischen 15 und 30 % weltweit [6]. Auch bei ande- > 80 +7
ren intensivpflichtigen Krankheitsbildern besteht die Geschlecht
Überlegung, wie sinnvoll eine intensivmedizinische
weiblich –
Behandlung in diesem Alter noch ist. Es kann fest-
männlich +1
gehalten werden, dass unabhängig vom Alter für die
Anzahl an Komorbiditäten 0, +1, +2
Entscheidung zur Aufnahme oder Ablehnung einer in- Komorbiditäten inkludieren chronische Herzer-
tensivmedizinischen Maßnahme weitere Faktoren wie krankungen, chronische Lungenerkrankungen
der funktionale Aktivitätszustand, der Schweregrad (Asthma bronchiale nicht inkludiert), chronisch
der Organdysfunktion, die Prognose der Erkrankung renale Insuffizienz (GFR ≤ 30), leichte bis schwere
Lebererkrankungen, chronisch neurologische Er-
und der Grad an Komorbiditäten mit berücksichtigt krankungen, Bindegewbserkrankungen, Diabetes
werden sollten [6]. mellitus (Diät, OAD oder Insulin), HIV oder AIDS,
Physiologisch zeigt sich mit zunehmendem Alter und maligne Erkrankungen
aufgrund der Abnahme der kognitiven Funktionsre- Atemfrequenz/min < 20 0
serven mit Reduktion der Hirnmasse und der zere- 20–29 +1
bralen Perfusion die Gefahr einer beschleunigten Ent- ≥ 30 +2
wicklung eines Delirs. Periphere Sauerstoffsättigung bei ≥ 92 % 0
In Bezug auf die Lunge besteht eine verminderte Raumluft < 92 % +2
physiologische Reserve, ebenso der Atempumpe und Glasgow Coma Scale 15 0
der Atemwegsabwehr mit einem erhöhten Risiko für
< 15 +1
Atemwegskomplikationen.
BUN < 19,6 mg/dL 0
Auch bei den restlichen Organsystemen (kardiovas-
≥ 19,6 to +1
kulär, renal, gastrointestinal, endokrin) besteht eine ≤ 39,2 mg/dL
altersbedingte Verringerung der Funktionsreserve mit
erhöhter Gefahr eines Organversagens [6]. > 39,2 mg/dL +2
C-reaktives Protein < 50 mg/L 0
Scores 50–99 mg/L +1
≥ 100 mg/L +2
Eine Unterscheidung in Scores, die eine allgemeine
GFR Glomeruläre Filtrationsrate, OAD orale Antidiabetika, BUN Blut-Harnstoff-
Aussage über das Outcome der Patienten nach inten- Stickstoff
sivmedizinischen Behandlungen voraussagen, und in
Scores, die sich spezifisch auf eine Erkrankung be-
ziehen, ist gegeben. In Bezug auf COVID-19 vermehrt gig von der Grunderkrankung bestehen und es zu Ver-
Anwendung findet der CURB-65-Score, spezifiziert als änderungen in der Blutgerinnung kommt, wodurch
A-DROP, für COVID-19, der APACHE II-Score als Vor- sich eine erhöhte Mortalität bei intensivmedizinischer
hersage der Spitalsmortalität und der 4C-Mortality- Behandlung vorhersagen lässt [6].
Score (Tab. 1; [7]). Auf Intensivstationen in Öster- Die bereits für COVID-19 erwähnten Scores erfas-
reich wird der SAP III-Score verwendet, ähnlich zum sen wie folgt:
APACHE II-Score. CURB-65: Zur klinischen Einschätzung des Schwe-
Bei älteren Patienten macht es Sinn unabhän- regrades einer ambulant erworbenen Pneumonie mit
gig vom chronologischen Alter mittels Scores eine den Parametern: Verwirrtheit („confusion“), Harn-
Einschätzung bezüglich der Funktionalität zu be- stoff-Stickstoff (Urea-N), Atemfrequenz („respiratory
kommen, da eine erhöhte Einschränkung mit der rate“), Blutdruck und Alter > 65 Jahre.
Mortalitätsrate korreliert [6]. Zur Verwendung kann APACHE II: Ist ein auf der Intensivstation verwen-
die Instrumental Activities of Daily Living(IADL)-Skala deter Score, um eine Aussage über die Schwere einer
(Tab. 2) herangezogen werden, welche 8 zentrale Ak- Erkrankung zu machen. Es werden 3 verschiedene An-
tivitäten des täglichen Lebens erfasst, und die Clinical teile, der „acute physiology score“, die „age points“
Frailty Scale (Tab. 3), bei der durch entsprechende und die „chronic health points“ berücksichtigt. In Stu-
Fragen eine bestehende Hilfsbedürftigkeit in alltäg- dien zeigte er sich im Vergleich zum CURB-65 und
lichen Situationen beurteilt wird. Dies ist insofern dem Sepsis-related Organ Failure Assessment(SOFA)-
relevant, da im Rahmen des Frailty-Syndroms bereits Score, der zur Beurteilung des Zustandes und des Aus-
kontinuierliche inflammatorische Prozesse unabhän- maßes der Organschädigung bei Sepsis auf der Inten-
K Palliative Care bei über 80-jährigen Patienten mit COVID-19-Pneumonie auf der Intensivstation – invasive. . . 191
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192 Palliative Care bei über 80-jährigen Patienten mit COVID-19-Pneumonie auf der Intensivstation – invasive. . . K
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2 Gut Ohne aktive Erkrankungen, aber weniger fit als Menschen der
Kategorie 1
3 Gut mit behandelten Komorbi- Krankheitssymptome sind im Vergleich zur Kategorie 4 gut kon-
ditäten trolliert
5 Leicht gebrechlich („frail“) Mit begrenzter Abhängigkeit von anderen in den instrumentellen
Aktivitäten des täglichen Lebens
7 Sehr gebrechlich Komplett abhängig von anderen Menschen in den Aktivitäten des
täglichen Lebens oder im Endstadium krank
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