Sie sind auf Seite 1von 14

Schreiben als Kulturtechnik

Grundlagentexte
Herausgegeben
von Sandro Zanetti

Suhrkamp
Martin Stingelin
»UNSER SCHREIBZEUG ARBEITET MIT
AN UNSEREN GEDANKEN«
Die poetologische Reflexion
der Schreibwerkzeuge bei Georg Christoph Lichtenberg
und Friedrich Nietzsche1

zu den Stiefkindern der Schreibprozeßforschung, die methodisch 2

weitgehend in der kognitionspsychologischen Introspektion be-


fangen ist, die sie mit dem »Problemlösemodell« aus der Schul-
aufsatzforschung importiert hat, 3 und die Ereignishaftigkeit des

1 Dieser Artikel ist aus einem Vortrag hervorgegangen, der auf Einladung des Gra-
duiertenkollegs »Textkritik« im Rahmen des »Schreibprnzesse«-Kolloquiums »Ge-
nese und Genealogie. Nietzsches Schreibweise{n) und ihre Lektüre« am 13.'14.
Januar 2000 an der Universität München zur Diskussion gestellt worden ist, um
diese anzuregen. Die Vergegenwärtigungen dieses Kontexts, in dem der erste Ent-
wurf einer Genealogie des Schreibens auf ein doppelt.es Interesse hoffen durfte,
sind beibehalten worden.--I)ieser EntwUrf lehnt sich methodisch zwar an Fried-
rich Nietzsches·Streitschrift Zur Geneawgie der Moral an, er hat aber in gleichem
Maße die verwandten poetologischen Reflexionen von Georg Christoph Lich:.
tenberg zum Gegenstand. Im Rahmen eines Forschungsprojektes zur Genealogie
des Schreibens seit der Frühen Neuzeit sollen unter anderem die poetologischen
Reflexionen der Schreibwerkzeuge im Werk und in den Briefen von Georg Chri-
stoph Lichtenberg und Friedrich Nietzsche vollständig aufgearbeitet werden.
2 Zur Schreibprozeßforschung allgemein vgl. etwa Hans P. Krings, »Schwarze Spu-

ren auf weißem Grund - Fragen, Methoden und Ergebnisse der Schreibprozeß~
forschung im Überblick«, in: ders., Gerd Antos (Hg.), Textproduktion. Neue Wege
der Forschung, Trier 1992 (=FOKUS. Linguistisch-Phi/,o/,ogische Studien 7), S.45-110,
und Jürgen Baurmann, Rüdiger Weingarten, »Prozesse, Prozeduren und Produk-
te des Schreibens«, in: dies. (Hg.), Schreiben. Prozesse, Prozeduren und Produkte,
Opladen 1995, S. 7-i5.
3 Zeugnis dieser Erblast ist etwa der interdisziplinäre Versuch von Manfred Beetz
und Gerd Antos, .»Die nachgespielte Partie. Vorschläge zu einer Theorie der li-
te~arischen Produktion«, in: Peter Finke, Siegfried J. Schmidt (Hg.), Analytische
Literaturwissenschaft, Braunschweig, Wiesbaden 1984 (= Wissenschaftstheorie, Wis-
senschaft und Philosophie 22), s. 90 _141 , vgl. insbes. S. 108: »Literarisches Texther-
stellen
. ist · als Lösen

von Formulierungsproblemen zu charakter1S1eren.« " Zum·
Problemlösungsparadigma vgl. Sylvie Moliror-Lübbert, >iSchreiben als mentaler
uu d sprachlicher Prozeß«, in: Hartmut Günther, Otto Ludwig (Hg.), Schrift und
. i'ner Materialität, Positivität und Konr· . zusammenhange zu sein brauchen, vielmehr Unt u ..
'bak elbst m se
Schrei ts 5 .
. 1nge
ählen die Schreibwerkzeuge und ihr E· nz t11lh blass zufällig hinter einander folgen und abl „er mstanden
sie d' d' U" b .. . osen«, sondern
gerne vernachläs_sigt:; gelegentlich dem poetischen Produk '.gen. et auch 1e gegen 1ese erwälugungsprozes . d
. mit dem sie s1 . B . . 1fü d' L' t1ons- rec hn · , W'd „ d s h' se »Je es Mal
smn, . Um gleichem e1sp1e r 1e 1st anzufi"h _c,.,...«endeten 1 erstan e« mzu. Der Schaupl d'
!1\ll'I,~,.. . • • d' h' . h .. atz Leser Ge-
prozeß widersetzen.. Umgang mit . 1'h rem Sch re1'bwerkzeug gen"
u ren. ' _1.,;-; -i;,ceiist für 1e 1stonsc e Krmk der Genealogie d M th
der Autoren 1m „ b . d otigt S~"Cß ul . An hl ' eren e o-
,. 'ichel Fouca t 1m
zu ll
sind wo en sie
. den Widerstand u erwm en, den diese ih
b 1 w ·11 rern de 1~.i Al Analsc uß an Friedrich Nietzsche umrissen .
..' c . eh wenn auch somnam u en 1 en entgegenset der· Körper: » s yse der Herkunft steht die G al .
schoprens en, z . al d h zen, hat,. . h K" d G . ene ogie
. . ·eh . Anekdote aus der elt, s eutsc en Dichtern 1'h dort, wo s1c orper un esch1chte verschränken s· ß
zmere 1 eme d d . r also d v·· d G h
. en wie er n.orper von er esc ichte durchdrung • un d
. 1e mu
H d k noch wie im Schlaf von er Han gmg, vergriffen si zeig , . .. en 1st
wie. di'e· Geschichte
. am. Korper nagt«, 6 so Michel Foucault m · sei-
.
si: 0: , zwischen Feder und Ble~stift. ~achdem Goethe dazu ge~
langt war, das ihm »inwohnende d1chtensche Talent ~anz als Natur nem Artikel über »Nietzsche, die Genealogie, die Historie«, der
betrachten«, wollten Vorkehrungen getroffen sem, um »beim ganz ~em Fo~sch~ngsprogramm »for Arbei~sam_~« _verpflichtet ist,
~~chtlichen Erwachen« die Inspiration nicht zu stören: »Ich war so das Nietzsche 1m siebten Paragraphen von Die frohlzche Wissenschaft
gewohnt«, wie Goethe in Dichtung und Wahrheit schreibt, entwirft:
Bisher hat alles Das, was dem Dasein Farbe gegeben hat, noch keine Ge-
mir ein Liedchen vorzusagen, ohne es wieder zusammen finden zu kön- schichte: oder wo gäbe es eine Geschichte· der Liebe, der Habsucht, des
nen, daß ich einigemal an den Pult rannte und mir nicht die Zeit nahm, Neides, des Gewissens, der Pietät, der Grausamkeit? Selbst eine verglei-
einen quer liegenden Bogen zurecht zu rücken, sondern das Gedicht von chende Geschichte des Rechtes, oder auch nur der Strafe, fehlt bisher
Anfang bis zu Ende, ohne mich von der Stelle zu rühren, in der Diagonale vollständig. Hat man schon die verschiedene Eintheilung des Tages, die
herunterschrieb. In eben diesem Sinne griff ich weit lieber zu dem Bleistift, Folgen ein~r regelmässigen Festsetzung von Arbeit, Fest und Ruhe zum Ge-
welcher williger die Züge hergab: denn es war mir einigemal begegnet, daß genstand der Forschung-gemacht? Kennt man die moralischen Wirkungen
das Schnarreff und Spritzen der Feder mich aus meinem nachtwandleri- der Nahrungsmittel? Giebt es eine Philosophie der Ernährung? [... ] Sind
schen Dichten aufweckte, mich zerstreute und ein kleines Produkt in der die Erfahrungen über das Zusammenleben, zum Beispiel die Erfahrungen
Geburt erstickte. 4 der Klöster, schon gesammelt? Ist die Dialektik der Ehe und Freundschaft
Widerstand aber - wie hier im Falle des unwilligen Schreibwerk- 5 Nietzsches Schriften werden zitien nach Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke.
zeugs - zeichnet nach Friedrich Nietzsches Streitschrift Zur Genea- Kritische Studienausgabe in IJ Bänden, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Mon-
logie. der Moral, die sich vornehmlich für Listen , Taktiken und Sera- tinari, München, Berlin u. a. 1980 (= KSA, Band und Seitenzahl, gegebenenfalls
tegien in~eressiert, eine eigenständige Kraft aus, interpretiert die Fragmentgruppe und -nummer), hier: Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der
~enealogie doch nicht nur »die ganze Geschichte eines Moral Eine Stmtschrift (1887). Zweite Abhandlung: »Schuld«, »schlechtes Gewis-
emes Organs, eines Brauchs«, etwa des Schreibens, als »eine fort- sen«, Verwandtes 12, KSA 5, S. 313-316, hier S. 314.
6 Michel Foucault, »Nietzsche, die Genealogie, die Historie« (1971).' i~: ders.'.. Vim
gesetzte Zeichen K - ette von ·
immer neuen ·
lnterpretanonen und dtr Subversion tks Wissens, hg. und aus dem Französischen und_ Ital1emsch_en uber-
Zurechtmachungen [· ••], deren Ursachen selbst unter sie · h nie
· ht setzt van Walter Seiner Frankfurt am Main 1987, S. 69-9o, hier S. 75; leicht mo-
~ifizicr~e Übc,:setzung, ~gl. Michel Foucault, ~Nietzsche, la genealogie, ~'hi5toire«,
Schrifilichkeit/Writin d bb nd
· ommageaJeanHyppolitt, Paris 1971, S.145-172, S,i54: »La gen ' ealog1e comme
. . in· R
Berlin, New Yi k ,g an Its Use. Em interdisziplinäres Handbuch, 2. Hai _a ' , . '.
schat;. S or 1996 (=Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissen- an~yse de la provenancc, est donc aI'articulation du corps et de I histoue. Elle
s
)
'J' 10 · 2 , .1005-1027 · b
. 4 Johann Wolfi ' ins es. •1005-roro. do1t montrcr lc corps t~ut imprime d'histoire, et l'histoire ruinant le corps_.~ V?I.
Hamburuer A b .
gang von Goethe, »0 1.chtung
· und Wahrheit« in: Goethes Wtrke. dazu methodologisch Manin Stingclin, »Der Körper als Schauplatz der HtS tone.
.,.. usga e m 14 B"" de h ' h 4196 6,
S. 80-81, zit. nach M c d an n, g. von Erich Trunz, Bd. ro, Münc en A.IS bc1.1t liermann Post Friedrich Niensche, Michel Foucault«, in: FRA~~~
. an1re S h "d . b·ogra- eh ift ' 11_ Ki" Vmucm .,....,.
phzsche Text im 20 r h h c nei er, Dte erkaltete Herzensschrift. Der auto 1 Psy rt tnrrihuur- Psychoanalyse 31 (Okt. 1989), SchnittsttlK orper-
-1a r undert M·· h
' unc en, Wien 1986, S. 34. cht und Soma, S. u9-131.
2 84
185
·-~
D' S'tten der Gelehrten, der Kaufleute, Künstler 1--1 _,., ,Llioh steht in der literaturwissenschaftlich · S h .
schon dargestellr?_ iech i 'hre Denker gefunden?7 ' and. faeav1u . . h glau b e, d as Problem auf dern
· b' ut1g, .w ie 1c
en c reibpro ß
S . . ze -
k haben sie s on i 1' wie me
wer er'.- . ches Forschungsprogramm also_ nur die Geschic forsc . d B •ff d er »Sch rei"bweise« und des pie
hodsch. , er egn »Sehr . -
Fehlt m ~ierzs A s eblendet wurde daraus m der Literatur ~te cap randen' werden darf oder verstanden werden soll ·1eidbens«
des Schreib_enls. ueftgehend die Körperlichkeit des Schreib Wkts- vers . , L k .. bh·· D , wei avon
hafr bis ang w d a ts . Form ihrer e eure a angt. er Metaphorisierun d S h .
. .
sense d' G hichte des Schreibens vorwiegen als Geschi h ' die der,' Ro1and Barth es lange Ze1t. erlegen ist k g esd' c rei-
weshalb ie esc d d n "k h . b c te bens, . . Ph·· , ornrnt ie von
V1•t.t.m
. d Rhetorik un er roetI , gesc ne en worde . Flusser m semer anomenologie der Schreibg bl
der Literatur, er dd "h .. n tst. c: • •• d S h 'b k este pro e-
arthes verstan en von i m gepragten Begriff d rnadsierte Heterogemtat es c rei a ts entgegen:
Selbst Roland B . . haftl• h er
, .
emture, der noch immer die ltteraturwissensc
z. . .ic e Schreibp ro- schreiben zu können, benötigen wir - unter anderen _ d' c
Urn , . Ob ff•• h (Bl . . ie ro1gen-
zeßcrorschung mi'tbestimmt, lange e1t nur m . emem metapho n-. den Faktoren: eme b ) . v
er ac e att Papier), em Werkzeug (F"llc d )
. ( u 1e er ,
. das heißt - im Gegensatz zur sozialen Konvention der
schen Smn, Zeichen (Buchsta. en , _eme 1'.0nvention Be~eutung der Buchstaben), Re-
Sprache, der Jangue, und z~ idiosynkratischen Korsett des Stils, geln (Orthographie), em System (Gr~mmattk), ein durch das System der
die beide dem Schriftsteller m den Augen von Barthes unhinter- Sprache bezeichnetes System (semantische Ke?ntnis ~er Sprache), eine zu
gehbar vorgegeben sind und ~on ihm nicht abgeworfen werden schreibende ~otsch~ (Ideen) und d~ ~chre1ben. Die Komplexität liegt
könnens _ als Orc der »Wahl emes Tones, oder wenn man so will: nicht so selu m der Vielzahl der unerläßlichen Faktoren als in deren Hete-
eines Ethos, und hier individualisiert sich ein Schriftsteller ein- rogenität. Die Füllfeder liegt auf einer anderen Wirklichkeitsebene als etwa
deutig, denn hier engagiere er sich«. 9 Erst zwanzig Jahre nachdem die Grammatik, die Ideen oder das Motiv zum Schreiben;11
Barthes diesen Begriff in seinem Traktat Am Nullpunkt der Literatur Abhängig davon, welches Element aus diesem heterogenen En-
geprägt harre, ging er, »in einer Art von Wiederaufstieg zum Kör- semble man als >eigentliches< Moment des Schreibens privilegiert,
per«, dazu über, den Begriff der ecriture »im manuellen Sinn des dem alle anderen Elemente als bloße Hilfsfunktionen untergeord-
Wones« zu verstehen: net werden, ergeben sich verschiedene Begriffe des Schreibens, die
Es ist die ,Skription< (der muskuläre Akt des Schreibens, des Buchstaben- aus der Perspektive der jeweils anderen Begriffe mehr oder weniger
ziehens), die mich interessiert: diese Geste, mit der die Hand ein Schreib- metaphorisch anmuten. Um nur zwei sich in der deutschsprachigen
werkzeug ergreift (Stichel, Schilfrohr, Feder), es auf eine Oberfläche drückt, Literaturwissenschaft widerstreitende Extreme zu nennen: Wäh-
darauf vorrückt, indem sie es bedrängt oder umschmeichelt und regelmä- . rend die Hermeneutik als substantiellen Inbegriff des Schreibens
ßige, wiederkehrende, rhythmisierte Formen zieht [.. .]. Im folgenden wird l
1
die nach Ausdruck ringenden Ideen versteht, in deren Dienst die
also von der Geste die Rede sein und nicht von den metaphorischen Be-
deutungen des Begriffs >ecriture<: wir sprechen nur vom Schreiben mit der Paris 1994, S.1535-1574, S. 1535: »Aujourd'hui, vingt ans plus tard, par une s~rte
Hand, dem Schreiben, welches das Führen der Hand beinhaltet. 10 de remontee vers le corps, c' est au sens manuel du ·mot que je voudrais aller, c eS t
7 la >scription< (l'acte musculaire d'ecrire, de tracer des lettres) qui m'inreresse: ce
~~iedri~ Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft (1882, 1887), Erstes Buch 7 {»Etwas gcste pac l~quel la main prend un outil (poin~on, roseau, plume), l'a~pui~, sur
8 ~ 1Arbeitsame«), KSA 3, S. 378-380, ·hier S. 378 f. ... une surface, y avance en pcsanc ou en caressant et crace des for~es _r~gulieres,
„i. Roland Barrhes, Am Nullpunkt der Literatur (1953), aus dem Franzos1schen rccurrentcs, rhythmees [...]. C'est donc du geste qu'il sera quesuon 1c1:,et_non
u erserit von Helmut Scheffel, Frankfurt am Main 1982 S 15-25, Was versteht de5 acc;cpt1ons
• metaphoriques du mot ,ecncure<:. on ne par1era que de Iecncure
man unter Schreibweise?; vgl. dazu im all . d , Roland Barthes' ei-
genwilligem Stil B . . gemeinen un zu Eine tnanuscrite, celle qui jmplique Je crace de la main.« . p,,_ ..
intellek,.,-l''- B' - egnff im besonderen auch Ottmar Ecce, Roland Barthes. b II Vilc m Fl· usser, »Die Geste des Schreibens«,
. . d G, ten Versuch einer na-
m: ers., es · . . B d
ie zogranhze F kfu . . 1 8· \¼s a er no lo h' S , m diesem an ,
ist icriture?). r ' ran rt am Mam 1999, S. 62-66 (Kap1te 1 · meno 6ait Düsseldorc Bensheim 1991 S. 39-49, ier ·40'
•KC
S 261 N chsatz zu
1
' ' r, ' · ·
9 Barthes, Am Null k · •2.68, hier S. 2.61 f. - »und das Schreiben«: In diesem wimgen a faßb
IO Roland B th rpun t der Literatur (Anm. 8), S. 20. Fi • b •fß'ich nur schwer ares
ar es, »Variation
CEuvres com,,,,.. ,,..
I'' .
s sur ecncure {1973, texte non pub
1· 1.) 1 'n• ders,,
' , ·M ru
Musscrs Bestimmung der Schreibgeste kommt ihr • hegri • ieder der Konzep-
rie"s.1omefJ·r66 - ,
lc 'E
·c ar.,, oment,der Körperlichkeit zum Ausdruck, das sic immer w
· 9 -r973, Edition etablie et presencee par n tualisierung entziehe.
286 -
287
1ä --
r.....-1w-1.-.
--~
und rc:d,niw:brn Voratmttz~oen des Schreibe .
- - die ...J:
hll& Abäorirn sttbm. mttrprttio_t
Spidan d a ~ das
OsaJ.,
-mcuientechnotogi.schc
lDl Gegentti} =:15· in~
:~e--~
. kriusch wie die Srudienausgabe von Nietzsches Werken oder
von_Li~~ ~riefwechsel-vermögen,
durdi di~ bu~~che _>TYJ?tsierung• des Druckbildes,
für daa lkD Sand der ~- auch die f~ ni(;ht. die kötperliche des Schreibakts wiederzu-
besrimmc .Riidiga Campe Im dagegen gaade für das &.~f>Zt gchcll, pindcr &gd sehen sie~- rncht einmal ein Problem. 14
diaa- htnrogeom. nborm in seiner UnauHösbarkcir den hn- folgenden beanspruche ich rnd1t, aus der Perspektive von
der 3)Scluribsrimo« gqrigt: •Auch und gaade wenn >die Sckem- oda Niemches poetologischer Reflexion der Schreib-
Szme. .~ selbsteridrnu: Rahm11og der Szene, sondern ein ein Modell für den Schreibprozeß zu entwerfen, der alle
rumc-sabiles Eosnnh~ von Sprache, lnstrumentalität und Gesre fabotcn des Schreihens in ihrer Heterogenität integriert. Wer sich
ba.eidmet, kann sie dennoch das Unternehmen der Literarur als für solche Modelle inreressiert, den verweise ich auf die einschlägi-
dieses problemarische
12
Ensemble, diese schwierige Rahmung genau gen Studien der sprachwissenschaftlich geprägten Schreibprozeß.
kennzcichnen.« Zwei dieser Schreibszenen, wie sie sich nur auf der fonmung von Manfred Beetz und Gerd Antos, Otto Ludwig und
Bühne der 11Literaturt< abspielen und dieser einen emphatischen, lbnsperer Ormer, der critiqw g ~ von Louis Hay, Almuth
bislang allerdings kaum wahrgenommenen und untersuchten Gresillon "u nd Cacherine Viollet, die Sondernummer der hitschrift
Wortsinn verleihen, möchte ich im folgenden zum Ausgangspunkt
for Literaturwissenschaft und Linguistik über »Literarische Schreib-
für den ersten Entwurf einer Genealogie des Schreibens machen. 13
prozc:sse« und den literarurwissenschaftlichen Versuch von Klaus
Diese Genealogie des Schreibens als körperliche Überwältigung
Hurlebusch. 15 Ich möchte im Gegenteil aus der Schreibszene einen
der Schteibwerlcr.euge wird nicht von den poetologischen Reflexio-
nen absehen können, in denen Schriftsteller selbst ihr Ringen mit 14 Dies gilt allerdings gerade nicht filr die Nieczsche-E.dicion - vgl. Michad Koh-
den technologischen Möglichkeitsbedingungen des schöpferischen lenbach, Wolfram Groddeck, .zwischcnüberlcgungcn zur E.dicion von Nietz-
sches Nachlaß«, in: Text. Kritische lkitriigt 1 (1995), S. 21-39, insbes. S. 30 f.,
Produktionsprozesses thematisieren. Dieser Umweg ist methodisch
und Wolfram Groddeck, •Tengenesc und Schriftverlauf. E.dicionsthcorccische
bedinge, nicht nur weil wir uns den Schreibakt von Lichtenberg Überlegungen zum Manuskript von Niewches Dithyramben-Entwurf ,Die
oder Nietzsche in seiner Körperlichkeit historisch nicht mehr un- Wenerwolkc,«, in: Nomen Haas u.a. (Hg.), Li«htmstnnn- Ex/t,,rs~ L Im Z"g
mittelbar vergegenwärtigen können; auch die Editionen - und sei- drr Schrift, München 1994, S. 37-58; in diesem Band, S. 214-236 - und für die
Llchtenberg-Edicion, vgl. Ulrich Joosr, Lichtmbn-g- drr Britfichreibn-, Göttin-
12 Rüdiger Campe, •Die Sducibszene_ Sdu-cibcn«, in: Hans Ulrich Gumbrechr, • gen 1993 (= LJchttnbtTK-Snuiim V), S. 63-87 (Kapitel III: ,Das Posthorn bliißt,.
Karl Ludwig Pfcüfo- (Hg.), pllTiZlklxini. Disstmanr.m, Zrmzmmmbrüche. Situa- AMffenpTt1Chliche VonillSSetZllngtn bruflichtr Kommllniltation im 18.jahrhundert
1J81'Jm oJlDJn- Fankfiut am Main 1991, S. 759-772, hier S. 76o; in und ilm Winhmgtn a11f Brirftchrribm "Ni Briefitil, insbes. S. 63-65). Über den
WOitm Band, S.~2, hier S. 2.71; Campe ruft glcicmciag dazu auf, in cinem Zusammenhang von Schreiben und E.dicion allgemein vgl. Gerhard Neumann,
a-.. Sduin: An der Bea b,ciJuug zu cmwic1dn, -die mit den Insrarmn
•Sducibcn und Edieren•, in: Heinrich Bosse, Ursula Renner (Hg.), Literatllrwis-
IIDli~zagläd, adidaaa nocmd,inflicbe rheorclischc Zugr:hörigkcic auf-
smsc""ft. Einfoi,rMng in ein Spn,d,spiel Freiburg im Breisgau 1999 (= Romba.h
aad ias Ytdäbis saa. ohne sie einer (da •Sdurib-57.CDC< äu&,m)
<n-Mndhm 3), S. 401--426; in diesem Band, S. 187-213.
~ - ~:IUPtssnzcn.. (S. 76-J bzw. in diesem Band S. 278).
IJ Ecae di.t: ~ d e s ~ kann sich aufVorarbcirm zur allganei-
IS, Bcctz/Antos. Die NICi,gapielu Ptutie (Anm. 3); Otto Ludwig. »Einige Vorschlä-
ge zur Bcgriffiichkcit und Terminologie von Untersuchungen im Bereich der
._ ~ d e s ~ Miiacu. etwa 0m, Ludwig. •Aspekte eina Sduifdichkcit•, in: Klaus B. Günther, Hartmuc Günther (Hg.), Schrift, Schm-
dts ~ . in: Johannes Jmoa (Hg.), lWnndJn W,mdd 11Ni ""'!-
•~•da Vntr• da ~ n
6m, SchriftJichltrit. M,nmt Slrllktll~ ~nktio~ ~ntwiclt/ung schriftlicher
Spn,d,e, rubingCD 1.,S3 (=Rn«~m.stuc~ ün~/r-49),_S.1-15; ders., •Ei-
r,p. Bcl. 1. ~ J a ~ SJ,tn,.r ,n,JStile, •ubingm 1993, s. ll.4-90. und nige Gedanken zur e~cr Thcone des Schreibens«, m: Siegfried Grosse (Hg.),
dts ~ . in: Hamn111 Gümha, Ono Ludwig (Hg.), ~ / t a t , [>üs,ddorf 1?33 {= S ~ drr Gef_mu:zn 5?)• S. 37-73; ders.,
~ - ' ~ ~ r i t i n g ll1U/ Ja (k_ E.in inlndisuplinms &ndln«~. -Spnchc oder 5p~nn'. Zu_ ~er lhcone der Schriftlichkcit«, in: ZGL Znt-
~Berlin.New York 1994 (=Hmu/bwJ,a _,. SJmKb- , a u / ~ , -
10.1). s. ~ _ sdlrift for Linpistik_19 (1991), ~- 274-292; ~rs., •Integriertes und
5 nicht-intcgnatcs 5chrciben. Zu emer lbcone des Schreibens: eine Skizzcc, in:
288
289
===-==-
. seiner ganzen Heterogenität herausst . . n der Feder« und vom Hämmern der s h .
11 •fi h n Zug in · d reich sp·ri~ b . . C re1 6maschine b
spez1 sc : 1 . hthin übersehenen Be eutung für den sch „ en . :wird~Um _a . erh wemgstens
„1d,tet . G
em Beispiel fü• d' p
r 1e roblem
e-
d in semer e1c bl .. d opfe. ir,L .,, i:r,rit denen sic eme enealogie des Schreib . . e zu
un d k . sprozeß pro ematmeren - en unmittelb
. chen Pro u non G . d c. aren ae1i1C:•'•I s· k fi . .
o· d ·•,eitesten mn on rontiert sehen wird mo·· h . h d'
ens 1m Weite
ren
:1 ns. Sch 'b erät und die este, mit er es gerührt wird I
Griff zum . re1E1nschränkung in der Körperlichkeit des S h. c~
un YY ' • • •
·ndest m den Raum stellen, wie sich die Fortb
' C te lC Je Fra
_ge
ache also eme h d' S . l . c rei- zurrll . 11 f d Ar ewegungswe1se
m d' . 'teren Sinne auc ie timu anzien zur Förde . es Schriftste ers au en gumentationsgang seines S h 'b
bens 1e 1m we1 . d' . rung ein . F •d d h d „ c re1 ens
' . . 16 im weitesten Smne ie ganze Diätetik der L
der Jnspiranon, . . h. e- ausWirkt. Die rage d wu . z urc . en geubten Marsch·1erer N·ietz- ·
'' bensfüh rung umfaß t' und konzentnere mic im engeren Sinne auf sche nahegelegt,
· S er im . ugal semer
.. .Diätetik auch di'e Forderung
t . . he Moment des Skripturalen, das vom »Schnarren und figestellt hat: » o w.emg s moghch sitzen; keinem G d k
das e1gent11c au h k d .h . e an en
Glauben sc en en, er .mc t 1m _Freien geboren worden ist und
B rmann/Weingarten (Hg.), Schreiben (Anm. 2), S. 273-287; Hanspeter Ürtne bei freier Bewegung: - m dem mcht auch die Muskeln ein Fest
.~~f dem Weg zu einer realistischen Theorie des Schreibens«, in: Philip Herdin: feiern. Alle Vorurtheile kommen aus den Eingeweiden.«17 Was aber
(Hg.), Methodenfragen der Geisteswissenschaften, _Innsbruck. 1992 (= fnnsbrucker könnte-dies für Georg Christoph Lichtenberg bedeuten, der seit
Beiträge zur Kulturwissenschaft 28), S.15-65; Lou'.s H~y, »Die dritte Dimension
dem Kindesalter an einer schweren Kyphoskoliose, das heißt der
der Literatur«, in: Poetica 16 (1984), S. 307~323; m diesem Band, S. 132-151 ; AI-
murh Gresillon, Eliments de critique genetique. Lire les manuscrits modernes, Paris mir.Buckelbildung einhergehenden Seitausbiegung der Wirbelsäu-
19 94: dies., .was ist Textgenetik?«, in: Baurmann/Weingarten (Hg.), Schreiben le; litt;•in--seiner Atemnot in 15 Minuten gerade einmal 410 Meter
(Anm. 2), S. 288-319; dies., »Über die allmähliche Verfertigung von Texten beim zurücklegen konnte und nach jeder Vorlesung seinem Diener im
'
Schreiben«, in: Wolfgang Raible (Hg.), Kulturelle Perspektiven auf Schrift und Nebenzimmer vor Erschöpfung ohnmächtig in die Arme fiel? 18
Schrribprousse. Elf Aufsätze zum Thema >Mündlichkeit und Schriftlichkeit,, Tü- Vergegenwärtigt man sich die vorurteilsfreie Experimentierfreude,
bingen 1995 (=ScriptOralia 72), S. 1-36; in diesem B'and, S.152-186; dies., >»Cri-
1 tique genetique,. Gedanken zu ihrer Entstehung, Methode und Theorie«, in:
Lebendigkeit und Sprunghaftigkeit, mit der Lichtenberg sich in
i
QUARTO. Zeitschrift des Schweizerischen Literaturarchivs (SLA) 7 (Oktober 1996), den Sudelbüchern gleichzeitig auf die entlegensten Gedankengänge
S. 14-24; dies., »Literarische Schreibprozesse«, in: Kirsten Adamzik u. a. (Hg.), begibt,. muß man wohl einräumen, daß Nietzsche zu umstandslos
Domänenc und kulturspezifisches Schreiben, Frankfurt am Main u. a. 1997 (= Text- von der körperlichen auf die intellektuelle Behendigkeit schließt
produktion und Medium 3), S. 239-253: dies., '»Critique Genetique«, in: Wilhelm (dasselbe wie -für Lichtenberg gilt dabei, nebenbei gesagt, für den
Hemecker (Hg.), Handschrift, Wien 1999 (='Profile. Magazin des österreichischen
lungenkranken Philosophen und Nietzsche-Interpreten Gilles De-
Literaturarchivs 4), S.115-124; Catherine Viollet, »Schriftlichkeit und Literatur«,
·in: Günther/Ludwig (Hg.), Schrift und Schriftlichkeit/Writing and lts Use. J.
leuze19).
Halbband (Anm. 13), S. 658-672; Brigitte Schlieben-Lange, Almuth Gresillon Die Zusammenschau von Friedrich Nietzsche und Georg Chri-
(Hg.~, Literarische Schreibprozesse, Göttingen 1988 (= LiLi. Zeitschrift for fiter~- s~oph Lichtenberg ist keineswegs zufällig, bildet Lichtenberg do~h
turwissenschaft und Linguistik 68), und Klaus Hurlebusch, »Deutungen hceran- einen wkhtigen Teil der Genealogie von Nietzsches _Gen~alogie:
sch_e~ Arbeitsweise«, in: Zeitschrift for Deutsche Philologie 105 (1986), So nd erheft In.sbesondere die sprachkritischen Vorbehalte, unter die Nietzsche
Edzttonsnrobleme der Lzteraturwzssenschaft,
• . . h , h konnte
seit der _B ~ler Rhetorik-Vorlesung vom WintersemeSter 18 72173
.h . r S. 4•42 , Noch mc t emse en
ic bIS zum Abschl ß d M
u es .
anusknpts Klaus Hurlebusch, »Den A r besser
uto
verstehen· aus s · Arb . 'k teJ(t• 17 1908
. h. emer eitsweise. Prologomenon zu einer Hermeneutl h Friedrich Nic~che, Ecce homo. Wzt man wird, was man ist (188 9, poSmum ),
282
~:~:c ~:~chreibens«, in: Hans Zeller, Gunter Martens (Hg.), Textgenetisc e Warum ich SQ. ltlug bin, 1, KSA 6, S. 278-281, hier S. 281; vgL auch S. .= ·hk»D~
tcm d " häl · zur Beweg11c eit
l 6 Vgl. d~u mge~ 1998 (=Beihefte zu editio 10). , ·eh po es Stoffwechsels steht in einem genauen ver miss . Art d
od Lah lb · · nur eme · es
zum Schreibgembe_m Ulrich Ütt (Hg.), Wim Schreiben 3 (Stimulanzien oder Wie s195 er mheit der Füsst des Geistes; der ,Geist< se st 1st Ja
en rmuen?) b b • N ckar 19 Stoffwcch l
(=Marb h u O . • ' . ear ettet von Petra Plättner, Marbach am e 1 t8 y · $Cs.« . b . ls Patient
ac er iviagazm 72)· h' b 'b I-~•uge vg .
auch Ui · h O 'zur ter ehandelten Frage der Schrei wer1UA- ,1 G~l.-~OJS t Gravcnkamp, Geschichte eines elenden Körpers. Lichten erg a '
nc tt (H ) Vt: h ·ben'1•
F
bearbeitet von S b' g. om Schreiben 2 (Der Gänsekiel oder \%mit sc;:;. ;;n 19
V:OttiJ.}geq 1989 (= Lit;htenbtrg-Studim II), insbes. S. 52· 57 · nenz im Internet
69). a me ischer, Marbach am Neckar 1994 (=Marbacher aga gl. Mar-tin Stingclin Das Netzwerk von Gilks Deltuze. fmma
und ,/:' . '
a~J ½dto, Berlin 2000.
290
291
---II»
.('h:luntOO~ ..,.- - '"'11C11Ull '- ,p :
ublizierten Programmschrift »Ueber Wahrheit un ,Sdireiben22 lenkt vorab eine Sude/buch-Notiz D
beig5 · v _rr h vom ezemb
und der unp ralischen Sinne« vom Sommer 1873 alle Erk d ,..,_(-, »Diesen mit 1'.aIIee gesc riebenen Brief wird Ih d er
L„ e im aussermo 'h . h L. h b , ennt- t7„e, b
.. h überge ~n. c
I h h··atte BI ut genommen wenn . h knen. er Jo-
·ug stellt verdan ken Georg C rzstop tc ten ergs Verrnis h
c ten haJl . h" 23 o· K" 1· hk . ' IC emen Kaf-
c gehabt arte.«
mshse_ .' der achtbändigen Ausgabe von 1867 wichtige Ansr··
Sc riften. m . Schriftstellern, deren ,v,_ LI d h ft o- . die orper ic . eu dieser Notiz, d·re~ hl .
wa.11 verwan tsc a darin zu sammenhang mit em ersten satirisch-poetologisch R
Zu 1· h b h dd
ße 20 Be1 zwei . aß hkr" .
· d k k mt daß sie gle1cherm en sprac msch dafür s
rn
pro,iekt von ic ten erg ste ht ..un en Schreiber nur emen •en Soman-
chnct
.
Aus ruc om , . . kr . .. .. en-
si'b'l' . sm
11S1ert • d, wie Begnffe die kon.. dete,'hsmgu1are Anstoßigken. vorn Teufelspakt trennt, ent ullc erst der lakonische Kommemar
der von ihnen bezeichneten G~ge~stan e i rer y~rallgemeinerbar- ihres ersten ~erausgeb~rs ~~ert Leitz~ann, der gleichzeitig das
keit opfern _ bestes Beispiel fü~ dieses sprachkrmsche Bewußtsein Problem aufwICft, ~b sie edmonstechnisch überhaupt darstellbar
. Lichtenbergs Sudelbuch-Nonz »Ich kann es wohl begreifen aber ist oder n~t b~schn~be~ werden kann: »Diese Bemerkung ist im
ist h 21 • d 1· h b Original w1~kl1ch mit dunnem ~ee geschrieben.« 24 Lichtenbergs
nicht anfassen und um~eke „ rc«,. m . er . ic ten erg den Begriff
des Begriffs in seiner Emdruckhchkeit wi~derzubeleben versucht, Experirnent1erf~eude erstr~c~t-~ si~h also auch auf seine Schreib-
indem er ihm dasjenige Synonym zur Seue stellt, das die hapti- werkzeuge und ihre Matenaluat, die er ausdrücklich als Grundvor-
sche Empfindung bewahrt hat -, bei zwei Schriftstellern mit dieser aussetzung seines Schreibens thematisiert hat: »Es klingt lächerlich,
sprachkritischen Sensibilität darf ich hoffen, daß sie auch eine er- aber es ist wahr: wenn man etwas Gutes schreiben will, so muß
höhte Wachsamkeit und Aufmerksamkeit für Widerstände mitein- man eine gute Feder haben, hauptsächlich eine, die, ohne daß man
ander verbindet, die der Äußerlichkeit des schöpferischen Produk- viel drückt, leichcweg schreibt.«25 Eine »gute Feder« gewährleistet,
tionsprozesses entspringen. daß der Gedankenfluß mit dem Schreibfluß nicht ins Stockenge-
Ich möchte die Schreibszenen von Lichtenberg und Nietzsche rät, -weil der Schreibende sich nicht lange körperlich beim Drük-
im Hinblick auf ihren historischen Vergleich, den ich abschließend ken aufhalten muß, sondern seinen Einfällen freien Lauf lassen
wagen möchte, unter drei einheitlichen Aspekten darstellen und kann. Damit ist aber ein Teil der poetischen Autonomie an das
untersuche jeweils: das Verhältnis zu den Schreibwerkzeugen, allen Schreibwerkzeug abgetreten, und zwar ausdrücklich derjenige Teil,
voran Feder.und Tinte, Bleistift, Schreibmaschine und Papier, und der über das Gelingen und die ästhetische Qualität entscheidet;
ihre Auswirkungen auf die Schreibökonomie, wie sie ihsbesonde- ex negativo thematisiert Lichtenberg in dieser Notiz also die Ab-
re an der Schreibgeschwindigkeit, aber auch am Aufwand bei der hängigkeit des Schreibenden von der Materialität, der Willigkeit
späteren Relektüre des Geschriebenen ablesbar-sind; das Verhältnis oder dem Eigensinn seines Schreibgeräts, das ihn von der anstren-
zur Schrift, das sich aus dem Verhältnis zu den Schreibwerkzeu-
gen ergibt,_ und zwar unmittelbar zur Handschrift, mittelbar zur 22 Zu Lichtenbergs Schreiben in einem allgemeinen, die Materialität der ~chreib-
Drucksch~ift; und die poetologischen Selbstreflexionen des Schreibens. werkzeuge und die Körperlichkeit der Schreibgeste rranszendierend~n Smn _vgl.
Wolfgang Müller-Funk, »Gegen das Schreiben schreiben. Georg_Chn5toph ~ich-
Um mu_ Georg Christoph Lichtenberg zu beginnen: Die Auf-
tenberg~, in: ders., Erfahrung und Experiment. Studien zu lheorze und Gesch'.chte
merksamkeu auf die Materialität von Georg Christoph Lichten- des c._ · • d S r. G Jd ann »Lesen, Schreiben
Vgl. Martin St" 1· h =say,smus, Berlm 1995, S. 104-135, un teran . o m ' . . I Goetsch
se;m:~
20
b h _ mge m, »Unsere ganze Philosot>hie ist Berichtigung des S ~ und das topische Denken bei Georg Christoph Lichtenberg«, m. Pau
raue s«. Friedrich Ni h , r ld · hen
Snrachk - 'k 10 ,_ , tetzsc es Lichtenberg-Rezeption im Spannungsfe zwrsc . ~Hg.), Lesm und Schreiben im IJ. und 18. Jahrhundert. Stud_ien zu ~hrer
r rttt \IV1etorzk) u d h, . h 6 (- Fi- 111 Deutschland, En -land. Frankreich, Tübingen 1994 (= SmptOra/,a G5), •
79 9
gu ren 3) dd n rstorrsc er Kritik (Genea/ouie), München 199 - . h
• un ers »>M · · 0
• p · drtc 1 3 sar · p . h E hungskontextvgl.Joost,
Nietzsche Si ·•d emungen und Fische,. Arthur Schopenhauer, ne h ' 1 82., S. 501; zum satirisch-poetolog1sc en ntSCe
.
L1chtenberg«' gmun Freud und L d .
in· L, h
w· .
u w1g mgenstem lesen eorg
G Christop
. Lichte11berg-der Briefi<.hmber (Anm. 14), S. 71-7 2 · h •ft h . von Al-
' · tc tenberu-' h b h 1
4 ~eorg Christoph Lichtenberg, Aphorismen, nach den Handsc 7-te!turdmk-
21 Georg Christoph L' h b r uc 1998, S. 136-154. .s
Munchen

Bdic ten erg' Sh ;1+
c r1_J,en und Briefe, hg. von Wo lfigang Promie
- B 1, rt leitzmann, Drittes Heft: 1775-1779, Berlin 1906 (=Deutsc e z
1998
;a/e
6
bzw. II, Heftnu~ . l usn·d 2 (., Sudelbücher l und 2, im folgenden zitiert als S des I8. und I9. Jahrhunderts 136), S. 457·
mer, e1tenzah)) S 15
• B 1, C277, S. 210. il
1, II, H 129, S. 194.
292
293
:re- 1 · 11 ..... ..
111
. hk 't des Schreibakts weitgehend entbind ob ich gleich meine Feder schon dreymal gewechselt h
„ perlte e1 . d E' . et od sol~,ch mir die Regel abstrahirt, daß ich künfftig an k . abe. Daraus ha-
genden Kfor ruc „ kw' ft >Willigkeit« o er» 1gensinn« möge d er
1r · > d n ab · be 1 • • h . h . emen Mensche h
ihn darau z~. d Widerstand sein, den as Schreibgerät in . ei . 'ben will, wenn ic mc t weiß was ich schreib II w, n me r
schrel 11 b en so . wahrhaffti
n fur en d k . ß seiner
schla"gt ¼ auf 8. Nun so s a er auch gehen oder brech en.3o g es
Meta~h~r„ höpferischen Pro u t1onsproze entgege
Matenahtat ddem sGc ad der Metaphorizität möchte ich hier _nset~t Eine »gute Feder<~ war also für. Lichtenberg, i~sbesondere beim
d gerade en r .k • II Ja, Wie
- un I . ·eren und zur Dis . uss10n
rob emans1 d .
ste en -, Lichte b
n erg Sch
reiben von Bnefen, vorab eme Frage der Ok
h 'b .
. .
onom1e, msbe-
gesagt, P b . er Feder immer wie er emen erstaunlich h h sondere des. Sc re1 tempos: . »Mem Gott
. , was woJte 1c • h Ih nen
lbst hat a er sem .. d' k . . o en
se " lb tan" digung 1·a Selbstan 1g elt eingeräumt 26 . nicht schre1?en, wenn ich so geschwmd schreiben könte, als ich
Grad an verse s ' . . . . , so 1n
. S h •b n an Johann Chnsuan D1etench vom 8. Juli 1 . eche«,3 1 heß er Joel Paul Kaltenhofer am 17 August 1772 .
einem c re1 e . . . B. c 773. sPr . c I d · wissen.
,, h •r daß ich so vieles m memem nere durchstrich
»verzey e m1, d . . . en Briefe werden 1m ro gen en sowohl bei Georg Christoph L' h _
. d . h N' h 1c ten
habe. Ich reite heute eine infa~e Fe er, sie w1 11 Im~er hinaus wo berg wie bei Fne nc 1etzsc e vor allem deshalb im Vorder d
ich nicht hinwill.«27 Franz Ferdmand Wolff s_ah er beinahe auf den stehen, weil Schriftsteller im vertrauten Verkehr mit Fre!~~~n
Ta genau zehn Jahre später den orthographischen Irrtum >> Hypo- freimütiger die pragmatischen Voraussetzungen ihres Schreibens
th!nuse« mit der Begründung nach: »es ist dieses ein Fehler zu dem thematisieren als im We_rk, und zwar gerade dort, wo Störungen
einen so gar die Feder leicht verleiten kan wenn man auch die Sache auftreten und Probleme m der Kommunikation aufwerfen. Ulrich
weiß, weil man Hypothese und Hypotheck schreibt«. Genaueres
28 Joost unterscheidet dabei »zwei extreme Typen von Briefschrei-
wäre umgekehrt der Klage über schlechte Federn zu entnehmen, bern«: »Die einen suchen möglichst von den pragmatischen Be-
die ich bislang aber - außer im metaphorischen Sinn der Klage dingungen zu abstrahieren und fassen ihre Briefe als >rein< sprach-
über ihr Versiegen 29 - nicht gefunden habe, wohl nicht zuletzt des- liche_Produkte auf, als Texte also, deren Erscheinungsform ganz
halb, weil Lichtenberg folgerichtig ihre Verführungskraft und ihren unerheblich sein soll [ ... ]. Das andere Extrem«, und dazu zäh-
Widerstand überlistete, indem er schlechte oder unwillige Federn len ganz entschieden sowohl Lichtenberg wie Nietzsche, »bilden
wechselte, im Brief an Johann Christian Dieterich vom 30. April die unentwegt das Äußere ihres Briefschreibens thematisierenden
1795, der gleichzeitig die Zeitlichkeit des Schreibens thematisiert, Verfasser«. 32 Lichtenberg hat in einem Brief an Georg Heinrich
nicht weniger als dreimal in eindreiviertel Stunden: Hollenberg vom 31. Oktober 1779 ausdrücklich von seiner »episto-
larischen Oekonomie« 33 gesprochen, und Briefschulden drückten
So eben schlägt es 6 Uhr Donnerstags Morgens den letzten April und ich
habe mir vorgenommen an Dich zu schreiben, weiß aber jezt - um halb sie- ihn spätestens seit dem 25. Mai 1783 schwer, als er an denselben
ben - um ¾ - ja wahrlich um sieben Uhr noch nicht was ich Dir schreiben Empfänger schrieb:
26 Zu den Konsequenzen für das Konzept der Autorschaft vgl. Anm. 57· Sie haben wohl recht, ich der ich sonst ein Cäsar im Briefschreiben war,
27 Georg Christoph Lichtenberg, Briefwechsel, im Auftrag der Akademie der Wis- ~enn, wenn ich gleich nicht 3 zugleich dicktiren konte wie dieser, _so konte
senschaften tch doch 10 hinter einander schreiben, die PPs und PMs, gekneipte und
.. zu G..ottmgen
· hg. von Ulrich Joost und Albrecht Schöne, 5- Bde.,
~chen 1983·2004 (im folgenden zitiert als Bw, Bd., Briefnummer, Seiren- geknüpfte nicht einmal gerechnet. Jezt weiß es der liebe Himmel kan ich
han),:; I, Nr. 177, S. 314-316, hier S. 316 (Georg Christoph Lichtenberg an Jo-
. n dreas Schemhagen am 8.Juli1773) 21
28 Lichtenberg p F . · 30 S
L'tc htenberg an Johann Christian Dieterich am 30. April 1795, Bw IV, Nr. 5 5,
hier S. 644. an ranz erdmand Wolff am 7. Juli 1783, Bw II, Nr. uo3, S. 642-644,
29 Vgl. etwa Lichcenber · 437-438, hier S. 437 .
Jh IV Lichte nberg an Joel Paul Kaltenhofer, Hannover am 17. August 1772, Bw I,
Nr. 24u s 306 hg· an ° ann Gotrwerth Müller am 16. Juli 1794, Bw n·' 31 N
, . -309, ler s 307· o· F d
meine Freund fl ß b · · » ie e er, aus der sonst mancher c e
s h rz ur r. 77, S. x38.140, hier S.139.
. e o , ge ahr J·etzt fast . h h ._, , U , d Sichte, 32 Lich' L''· htm berg- der Britfichrtiber (Anm. 14), S. 65.
33 Joost
wemgstens wei'ß ic· h das was . h .nie ts me r als Vaiutas, sos un1 . die- . 62
sen Worten, die w hl .' h ~ie sc rieb, nicht kürzer auszudrücken a s mit S tenbcrg an Georg Heinrich Hallenberg am 3r. Oktober 1779, Bw I, Nr. 9,
0
mc t leicht unaS
·· thensc
. her seyn können.« · lOI4-1ox5, hier S. 1015.
2 94 . 295
,,r
ll'
1
'1
weder daran
kommen na
eh [sie] daran bleiben. Uebrigens sind Fede .
r, D10 _ ··ber die unmittelbare Thematisierung ihrer Mat ·a1· .. h'
.... u dd f d h . fi en !tat maus -
v f wie sonst.
34
.h l 1· h ·tgehen arau ' urc eme gurale, -meist meto . h
wet d all . h .. .. nym1sc e, meta-
te un d 1'.~p Lichtenberg, der s1c ge egent 1c »epistolari
Tatsächhch erwog n wollte35 und schon am 25. Oktobe sch phorische o her egonsc .e Uberhohung . der Schre1"bszene eme . sa-
klären« Iasse .. b . r 178 •rische Brec ung zu gewmnen, mit der Lichtenberg vorn h 1· h
tl · .. h ·k d S ·· d
insolvent er
.
. I rischen Concurs« u er sich ausgebr h 4
ahren ep1sto a . I . h B oc en . Genieast etl er turmer un Dränger kriti· · Alle m
d"1c
»emen w . »meinen ep1sto ansc en anckrot öffc die halb h h. . . s1erre. er mgs
36 am 16 Ju01 179 4, . 37 D h al d ent- gt
'lt gerade des
aka . auc 1er m vielen Fällen das
Ar h" .
ß G h
gro e oet e-
sah , ·. z "tung zu dedanren«. oc s er Schreibfl ß ~v,ort »Aus M nens c 1v« m der zweiten Fassung v Wi'l'h l
l1·ch 10· der L1t. · ei b d . u w• tvl'. derj h L· h b ' on t e m
. kte mußte Lichten erg, er einen Brief "b ifeisters wan a ren: » 1c ten erg s Schriften können • al
noch we01ger sroc ' . N b u er 1ri 1 b ,vr.·· hl b w1r uns s
. . d Marquis de Sade vom 9. ovem er 1796 mit d der wunder ~rsten_ wunsc e rute edienen; wo Lichtenberg einen
die justme es
o rapidissimo«,3s also >mit · e1•1·1gster Feder< er
Spaß ma~ht ~1egt em Proble~ ver~orgen.« 40 Sei es das Problem der
Bernerkung »calam II un-
terze1'ch nete, I'hren Lauf sogar bremsen, r_wo I}
te er dem Empfänger Verselbstand1gung von Schre1bgeraten, dem Lichtenberg nicht nur
nicht durch Weitschweifigkeit zur Last rai ~n, und sei es auch nur in der animistischert Verfremdung Ausdruck gibt: »Man könnte
. . h wi·e 1·m offenbar im Streit formulierten Brief an Johann
JrOOISC ,
auch leblose Dinge unter sich korrespondieren lassen. [...] Ge-
Christian Dieterich vom 3. Januar 1773= heime Unterredung eines Dintenfasses mit einer Sandbüchse, ihre
Philosophie über die benachbarten Gegenstände.«41 Die Redewen-
Aus besonderer Hochachtung gegen Dich hatte ich mir vorgenommen gar dung, daß die Feder mit einem Autor durchgehen und in die Irre
nicht mehr an Dich zu schreiben, und heute, da es nicht zu vermeiden ist, reiten kann, führt ihn zu dem - allerdings etwas schwachbrüstigen
habe ich Dir zu lieb einen so kurtzen Spalt in meine Feder gemacht, daß -Kala1,1er: »Wenn England eine vorzügliche Stärke in Rennpferden
ich alle Augenblick nach dem Dintenfaß fahren muß, und da habe ich
hat, so haben wir die unsrige in Rennfedern. Ich habe welche ge-
gefunden daß ich so wenig einen derben schriffrlichen Verweiß geben kan,
als einen mündlichen auf hebräisch; ich komme nicht fort damit. 39 kannt, 4ie_mit einem einzigen Satz über die höchsten Hecken und
breitesten Gräben der Kritik und gesunden Vernunft hinüberset-
Die poetologische Reflexion des Verhältnisses zu den Schreib- zen, als wären es Strohhalmen.« 42 Sei es das Problem der Schreib-
werkzeugen und zur Schrift beschränkt sich in Lichtenbergs Werk ökonomie, das Lichtenberg in die satirische Erwägung einer Dis-
kursordnung kleidet, die herrscht, »wenn uns die Polizei-Bedienten
34 Lichtenberg an Georg Heinrich Hollenberg am 25. Mai 1783, Bw II, Nr.1085,
S. 620-621, hier S. 620. ins Haus kommen und die Dime mit Fingerhüten wöchentlich
35 Lichtenberg an Johann Gottwenh Müller am 1. Januar 1784: Bw II, Nr. 1227, zumessen werden«; 43 eine Erwägung, die Lichtenberg nicht nur
S. 809·81_~• hier S. 809; vgl. auch Lichtenberg an Gottfried Hieronymus Amelung zur kritischen Maßregelung der Genieästhetik dient; er wiederho!t
5. ~arz 1784, Bw II, Nr. 1250, S. 832-834, hier S. 832-833, und Lichtenberg an ~ie nach einer ungewöhnlich langen und gleichnisreichen Nouz
_octfned Hieronymus Amelung am 28. April 1788, Bw III, Nr. 1601, S. 518·5 20 • In Form der Selbstanweisung: »Den obigen Gedanke~ so a~~ge-
h 1er S. 518.
36 Lichtenberg an Ch ·st0 h B II druckt, wenn uns die Polizei-Bedienten die Dinte mit Fmgerhuten
N . n P Wilhelm Hufeland am 25. Oktober 1784, w '
zumessen, und Gleichnisse von Löwen und Donnerwettern passie-
r. l3IO, S. 925-927, hier S 925
37 Lichtenberg an JOh ·. · IV ren lassen werden pp.«44
Nr. 2399 S ~n Wilhelm von Archenholtz am 16. Juni 1794, Bw_ h,
' · 291-294
tenberg am J .' hier S· 292; vgl • auch Lichtenberg an Friedrich AuguS t L1c ·
38 Lichtenberg an J
27 • Unt 1788 B III N
. ' w • r. 1608, S. 531-536, hier S. 532. 40 Johann Wolfgang Goethe, Wilhelm Mtistm Wanderjahre (1821, 1829), hg._ v~n
erem1as D ·d Re ß N 2694, Gerhard Neumann und Hans-Georg Dcw1rz, . Frankfu Main 1989 (= B,bJ,o-
S. 643-644, hier S. 6 av1 u am 9. November 1796, Bw IV, r. rt am
39 Lichtenber J h44· th,k deutscher K/assilttr 50), S. 761.
S 217-218, hier
·
°
g an ann Ch · ·
s . . I Nr u8,
flSt1an 0 ieterich am 3. Januar 1773, Bw ' · . h 41 SB I, C 85, S. J70.
D. . 217, vgl au h d' F h h ffentl1c 42 SB II, G 31, S. 138.
eine Briefe auch m· G:. c ie ortsetzung: »Du schreibst doc O _n . h
hi er so olft ins o· lt anse Federki eIen. Geh er und dancke er Gott, d.w ic)
c
43 SB I, 0 653, S. 334-335, hier S. 335.
lfitenraß ta h ' (S 218 .
44 SB I, E 502, S. 449.
~ uc en muß, sonst wolt ich ihm zeigen - - - " ·
96
297
..,..
. d' Schreibszene nun bei Friedrich Nietzs h
dabei aufhören«,5o sieben Jahre später, wohl auch im Hi bI·
Wi~ stell~ s:chthatte zeitlebens n:it einer_ star~en Kur~i;hd~r? ·ne .Editoren: »Wenn Du diesen Brief herausc .. . n ick auf
Friednch Nie Ih Zunahme skandierte er m seinem Br" c tig. sei 1· h Ph'l onJic1erst so b·st
,.::..,pfen re . Iet wech u ein ordent 1c er i ologe.« 51 Tatsächlich hiel N· 'h _1
keit zu Keil" ·1 · der Blindheit: Am 6. Mai i879 bezeich - D . fü• d' b t Ietzsc e seine
. B uchtei en E d Jul" nete e 'anusknpte r >»une u ar«<: »Das kommt von d p . .
sel m r Halb-blinde«, 45 schon n e i und im Septernb r 1v1 .b . p l R'
niihi ipse scn o<«, wie er au ee gegenüber am 29 M . d
em nnctp des
sich als ~-der h d als »Sieben-Achtel-Blinder«, 46 ehe er in h~r >,.. b kan 52 h · ai un am
8 9 voruberge en . h . h d sc o- 10 _Juni 1882 e nte, wes alb er sie zur Abschrift nach M·· 1. h
1 7 ·eh . k i·t weiterfuhr, von sic zwisc en em 4 Ok b kr „ H emnc · · h K" .ogß icwie
ose1itz alias Peter Gast u·· ber1Ie .-
Folgen ng e halbbl" d . to er keit seinem Se. etard -,. A'
' ner d Anfan August 1886 als » m es 1hier«47 zu ••
das Manuskript er_ 1Y1orgenr~!he am 25. Januar i88i: »Nun heißt
1881 un g c Ok b spre-
uletzt in zwei Brieren vom 2 6 • to er 1886 und v es wieder: >F~eund, m Ih~e Hande ?efehle ich meinen Geist!< und
chen, um z . y· 1 BI' dh . 4s om
2• Dezem ber 1 7
88 seine »Drei- ierte s- m e1t« anzufiu"h ren.
. . noch mehr: >In Ihren Geist befehle 1eh meine Hände!< Ich schreibe
. Kurzsi"chtigkeit bedmgte,.. daß Nietzsche
D1ese . den Kopf beim Le- zu schlecht und sehe alles krumm. Wenn Sie nicht errathen, was
sen und Schreiben ganz nahe uber das Papier halten mußte,49 was ich denke, so ist das Manuscript unentzifferbar.« 53 Eine ähnliche
früh einen fatalen Effekt auf seine Handschrift hatte: Schon am Formulierung findet sich noch am 26. Februar 1888: »Eben merke
25 . Mai 1865, also im Alter von zwanzig Jahren, schrieb er an Carl ich, daß die Finger blau sind: meine Schrift wird nur dem erräth-
von Gersdorff, außer sich »über Feder und Tinte«: »Verzeihe mir lich sein, der die Gedanken erräth ... «54 Daran ließen sich nicht
meine unausstehliche Schrift und meinen Mißmuth darüber, Du nur weitreichende editionswissenschaftliche Reflexionen über den
weißt, wie sehr ich mich darüber ärgere, und wie meine Gedanken Zusammenhang zwischen Konjekturalphilologie, Abduktionslo-
gik und Hermeneutik knüpfen; 55 Nietzsche selbst hat die durch
45 Briefe von Nietzsche werden zitiert nach Friedrich Nietzsche, Sämtliche Briefe.
seine Kurzsichtigkeit bedingte, anachronistische Arbeitsteilung
Kritische Studienausgabe in 8 Bänden, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Mon-
tinari, München, Berlin, New York 1986 (= KSB Band, Briefnummer, Seiten- zwischen dem Autor (der sich gelegentlich gänzlich aufs Diktieren
zahl), hier: Nietzsche an Paul Widemann am 6. Mai 1879, KSB 5, Nr. 847, S. 412. beschränkte) und dem Schreiber - die im 14. Jahrhundert durch
46 Nietzsche an Paul Ree, Ende Juli 1879, KSB 5, Nr. 869, S. 430-431, hier S. 431, und die Entwicklung der gotischen Kursive und eines Systems von Ab-
Nietzsche an Paul Ree im September 1879, KSB 5, Nr. 879, S. 440-441, hier S.44o. kürzungen aufgehoben worden ist, womit zuletzt alle Arbeitsgänge
47 Nietzsche an Franz Overbeck am 28. Dezember 1881, KSB 6, Nr. 184, S. i53; vgl. von der Konzeption bis zur Niederschrift des Druckmanuskripts in
Nietzsche an Heinrich Köselitz am 4. Oktober 1881, KSB 6, Nr. 156, S. 133; Nietz· einer Person zusammengefallen sind56 - zum Schauplatz einer hi-
sehe an Lou von Salome am 18. Juni 1882, KSB 6, Nr. 243, S. 206-207, hier S. 207;
Nietzsche an August Sulger am 7. November 1882, KSB 6, Nr. 324, S. 273; Nietz·
s~e an Malwida von Meysenbug am 1. Januar 1883, KSB 6, Nr. 367, S. 3l4·316' 50 Nietzsche an Carl von Gersdorff am 25. Mai 1865, KSB 2, Nr. 467, S. 54-57, hier
5
hier ·316; Nietzsche an Franz Overbeck am 28. März 1884, KSB 6, Nr. 497 , S.57.
S. 488-489, hier S 48 . N· h . r D mber 1885, 5I Nietzsche an Carl von Gersdorff am 5. Oktober 1872, KSB 4, Nr. 258, S. 56•59 •
KS · 9, tetzsc e an Franz Overbeck, Anrang eze f)
An~?, Nr. 649 • S.n5-u8, hier S. 116, und Nietzsche an Paul Lanzky (Enrwur ' hier S. 57. ·
ang August 1886, KSB N . 52 Nietzsche an Paul Ree am 29. Mai 1882, KSB 6, Nr. 235, S. 198· 199, hier 5· 199 • ·
48 Nietzsche an R . 7, r. 727, S. 220-221, hier S. 220. Nr 68 , 201
und Nietzsche an Paul Rce, vermutlich am 10. Juni 1882, KSB 6, Nr. 238• S. ·
S. 270-271 h· Setnhan von Seydlitz am 26. Oktober 1886, KSB 7, . 7887
2~2, hier .S; 202.
KSB 8 N ' ter · 271 ' und N·tetzsche an Georg Brandes am 2. D eze mber I , 8
, r. 960, S. 205- 20 h· . h an Franz 53 Nietzsche an Heinrich Köselitz am 25. Januar 1881, KSB 6, Nr. 77, S. 5 ·
Overbeckvom 1 / 7, ter S. 207. Schon im Brief von N1etzsc e_ hNietz· 26 65
54 Nietzsche an Heinrich Köselitz am 26. Februar 1888, KSB 8, Nr. 1000• S. 2-2 '
sehe vorüberget ~4~Nov_ember 1884, KSB 6, Nr. 554, S. 554-555, hatte sie
hier S. 263; di
49 Vgl. Johannes F~nh sF»~tne~ Drei-Viertels-Blinden« (S. 555) bezeichnet.'"editi· 55 W· . ral h'l hie korresPon eren
.h c s, » nedn h N· h ,,r, .. chnerir11 te der. Konjekturalphilologie eine Koniekru_ P '. osop Studien. lnternatio-
nisc e 'Wochensch ift c ietzsc es Augenleiden«, in: mun . D niela
Vi0 I2 rt 120 (1978) S h Pta a solltc, hat Stefan Brotbeck »Nierzsche erraten«, m: /'lzetzScht- h
, Nietzsche · L . ' · 631-634, hier S. 6J3; vgl. dazu auc . h Un· ,_ ' ) S untersuc t.
h tm abyrmth · v: b · ,,,htst'. e naies Jahr.buch for dit Nitn:scht-Forschung l9 (199° ' · i 43 -175· 'K . die lntegra-
ersuc ung, Würzb
t
seiner ./\rankheit. Eine medizinisch- 1ogrt1r . . rcel·
Bli d urg 1990 S . Dre1vte 56 Vgl. Ludwig, >!Geschichte des Schreibens« (Anm. i 3), 5: 5~:h• unk~ntinuierlich
n en«,) und s 6 ' · 90-u8 (»Die Augenkrankheiten emes > tion der verschiedenen
. . bettcn
. · r einhett11c en,
• eme
· H · 355 (»Dokumente zu Nietzsches Augenleiden<<).
Schreibar m
29 g 299
l' l"'" -
:f
62
. n des Konzepts »Autorschaft« gemach . ~ldfeder. Roeder's
d B 1 t. »Im b"' Kl d B«.. und
d »B.John
. Mitchells class1c
• al 68 9«63 be-
stons. ehen Reeval uat10
n .~ r r.,,,t damals an er as er Universita··t d {tttt. Die . age aru6er, aß seme Schrift für ih lb '
h Herr 1.··1:.t u..., ' stu · n . N" h B . fw n se st unlesbar
Grun dedat ir sehr zugethan ' das Buch . [Menschliches, Allzu= ,,,ensc _
ht- ar ist m 1etzsc es ne echsel topisch Schon
W ' F O b k . ·
J .
am 13- u1u881
rend un frnd G WI·ssen Ich diknrte, den Kopf verbunden d schrieb er an , ranz ver ec : »J~ die Barbarei meiner Handschrift
ltc. hes] auaftern chrieb
e · . . h
ab, er corngute auc , - er war im Gru d
un die niemand mehr lesen kann, ich auch nicht! (Weshalb l . h'
schmerzh . d k d k ;> D . . asse 1c
. t1· 'her Schriftsteller,
s w äh· ren d ic
. h bloss d er Autor warn s7e
m
eine Ge an . en ruc en. amu die für mich lesbar d , , -
. ) • wer en. ver-
der eigen ic e
.
. M kr. . .
he einmal selbst em anus 1pt emre1chen wie 2

zeihung auch dafür! «64 Die Lesbarkeit für sich selber war h
Muß te N1etzSC . : u- . h. B d auc
nuskript von Der Fall W"llgner, konnte es sein, »daß Ni~rzsches w1c ngster eweggrun für die Mechanisierun sei-
Ma
lerzt das. •sehen Buchstaben ebenso gut als gnec . h.1sch e verstanden nes Schreibens, 65 versprach die ursprünglich für Blinde besti~mte
di e latem1 . k b b • • d ) 5s • s<Bhreibkngel des dänischen Taubstummenlehrers Hans Rasmus
wurden (- eine kleme Druc pro e ewt~s m1~ «. Zeitlebens
versuchte Nieczsche deshalb, der ~nleserhchk~u ~em~r Schrift ent- Joh':fii Mallin.~ Hansen doch nicht nur, daß »die Augen nach ei-
gegenzuwirken, wenn er gelegentlich auch, wie m emem Brief an ner-JWoche Ubung gar nicht mehr thätig zu sein brauchen«,66
die Schwester vorn 5. Juli 1885, die »Weisheit meiner Augen« lobte, sondern auch die unmittelbare Wiedergabe des Geschriebenen in
»welche rnich irnrner mehr aus einem Schreibethier in ein Schwei- einem Druckbild. Nietzsches Stil selbst wurde durch das langsame
gethier verwandelt«. 59 Aber noch am 14. September 1888 schreibt Schreiben auf der Schreibmaschine allerdings noch lapidarer und
er an die Mutter: »Sehr erbaut bin ich nun doch noch die Federn dichter, -als er es als Auswirkung seiner Handschrift auf den Stil
bekommen zu haben: denn es ist in meinem Leben, einem rechten ohndiin auf seiner Postkarte an Heinrich Köselitz alias Peter Gast
Schreibthier-leben, eine Sache ersten Ranges, für sich selber lesbar vom:,5. November 1879 schon festgestellt hatte: »Fahren Sie fort,
bei :der Corr<ektur> zu winken und zu warnen. Der Boden des
zu schreiben. Dies hatte im Frühling vollkommen aufgehört.« 60 Es
Mißverständnisses ist bei dieser Schrift so oft in der Nähe; die Kür-
handelte sich um >»Soennecken's Rundschriftfedern< [Nr. 5], wel-
61 ze, der .verwünschte Telegrammstil, zu dem mich Kopf und Auge
che der hiesige Lehrer für meine zitternden Hände anempfahl«,
wie aus dem Silser Brief von Nietzsche an Carl Fuchs vom 24. Juli
1888 hervorgeht; <lavor hatte Nietzsche unter anderem die »Hum- : 2 N~e-~ che an Eli~abeth Ni~~che am 2. Juli 1882, KSB 6, Nr. 255, S. 216.
3 ~letzsche an Elisabeth N1etLSche am 5. Juli 1882, KSB 6, Nr. 260, S. 219-220,
1 sich entwickelnden Schreibhandlung führte .. .
zu emer lnterakuon. un ter diesen hier S.220.
64 N~etzsche an Franz Overbeck am 13. Juli 1881, KSB 6, Nr.127, S.105. Vgl. auch
und veränderte so den Schreibprozeß grundlegen~.« A S. . Der »ei- Nietzsche an Constantin Georg Naumann am 12. Juli 1888, KSB 8, Nr. 1059,
57 Nietzsche, Ecce homo, Menschliches, Alizumenschftches 5, KS. 6• 327 i·e zu sehen, S. 35.0 : />~ war mir erwünscht, daß Sie mir das Manuscdpt wieder zurücksand-
gentliche Schriftsteller«, »bloss der Autor«: Darm . 1ed'igrich eme 1ronh se der ,ret-. ~en, 'Ich hatte es in einem solchen Zustand von Schwäche abgeschrieben, daß
. umgekehrt verstanden werden will
die . und >eigen
. t1·ich < die•
Apot eo
• hen Vorausset- zch selbst es unleserlich finde«, und Nieczsche an Franziska Nieczsche am 17· Juli
nen,, von ihren körperlichen, technischen und diskurshiSconsc . ierung ih-
1888 , I<SB 8, Nr. 1063, S. 356-358, hier S. 358: »Findest Du, daß ich wieder leserlich
zungen unabhängigen Autorschaft meint, hieße gerade die Problen:i~:i:eller« über s~lucibe? Ich war auf dem Punkte, meine eignen Manuscripte nicht mehr ent-
dres Status
A
verkennen, die Nietzsche hier leistet, indem er den »Sehn tellt. Zu
6 ziffcrn zu können. - «
en » utor« stelle und damit die Frage nach ihrem Jewei. •1·
igen »Wert«•ds Autor- Vgl.,, daiu Friedrich A. Kitder, »Nieczsche, der mechanisierte Philosoph«, m:
.
d'•eser Pro blemat1s1erung
·· • h KI ems
· chmi t, agnon, 5
und ihrer Geschichte vgl. Enc · ltu~tuRR,vo/ution Uuni 8 ), S. 25 _29 ; ders., Aufschreibesy~tnne 1~oo/J9o:,
18
9 19 5
schaft. Knnupte einer Theorie, Tübingen, Basel 1998, und Antoine Cori~uteur), Muncllen 1985, S. 197-205; ders., Grammophon - Film - Tjpewnter, B~rlm 9 '
58 Le_ demon de la theorie. Litterature et sens commun, Paris 1998, S. 4 -99 hier S. 368•
7 ~- 93-3IO, und Martin Stingelin, »Kugeläußerungen. Nierzsch~s Spiel auf der
2
~'.etzsche an C~I Fuchs am 24. Juli 1888, KSB 8, Nr. 1070, S. 368-3 69 hier S. 5· Schreibmaschine«, in: Hans Ulrich Gumbreclit, Karl Ludwig Pfeiffer (Hg.), Ma-
60 Nietzsche an F · ka N· B 8 Nr. 1II4,
6
59 '.etzsche an Elisabeth Förster am 5. Juli 1885, KSB 7, Nr. 6n, S. 64-6 ' 5,429-
6
6
26
1"'!"lität dn Kommunikation, Frankfurt am Main 1988, S. 3 -W·
. · ranzis tetzsche am 14. September 1888, KS ' . 6 Nictisch~ an Franz Overbeck am 20./21. August 1881, KSB 6, Nr. 139, S. u6-u8,
432, hier S. 431. S 68,
61 Nie h hier · 3 hier S.u7 .
tzsc e an Car! Fuchs am 24. Juli 1888, KSB 8, Nr.1070, S. 368 -369 ' 301
300
::,dS \'•W•"
(Stefan George o~erierte später aus d~mselben Beweggrund wie
67 Dieser bedankte sich am 19. Februar 8 Nietzsche, als er d1~ Ober- un_d Unterlangen der typographischen
. d'e Ursac he.« .. . "b d Sh r 82
nöthigt 1st 1 . Nieczsche »guttg u ersan te c riftpr b Stefan-George-Sc?.nft be~_c hnm, um die Schwierigkeiten beim
für die von o e«
denn auch Entziffern zu erhohen, während der Lyriker Arno Holz die Lek-
der Schreibkugel: . hkeit der Lettern, noch mehr aber von der Ker . türe irn Zeichen der allgemeinen Geschwindigkeitszunahme des
Sowoh1von der Deu tl. ICh hr· überrascht. [ . . .l v·ie II etc
. h t gewöhnen Sie s·
n1g-h modernen Großstadtlebens durch die Mittelzentrierung seiner Ge-
„ ehe warte SC . IC
keic der Spru gar eine neue Ausdrucksweise an; - mir wenigst dichte gerade b~schleunigen wollte, weil er irrtümlich glaubte, dem
mn. d',esemInstrument
h . 'eh leugne nicht, dass meme . >Ged an ken, in der Mens Auge dadurch den halben Leseweg zu ersparen, was aber nur für die
sso erge en, t d dd . u- 72
konnte e eh ft n der Qualität der Fe er un es Papiers abhängen 6s

sik und Spra eo vo . erste und letzte Zeile zutrifft. )
Die poetologische Reflexion des Schreibens ist bei Nietzsche im
. ches berühmte Verdichtung dieser poetologischen Reße- Umkreis seiner Schreibmaschinenexperimente besonders ausge-
. f N1eczs Heinrich Köselitz a1·1as peter G ast, d'1e s1c
Au . h ebenfalls der prägt zu beobachten, fallen in diese Zeit doch eine Reihe von Ge~
X1onen von . . h „
Schreibkugel verdankt, werde ich gle1c zuruckkommen. Zuvor dichtentwiirfen, die nicht nur das Schreiben an sich, sondern auch
möchte ich aber kurz darauf aufmerksam machen, welche Kon- konkrete Schreibwerkzeuge zum Gegenstand haben und zum Teil
sequenzen Nierzsche aus der S~hwierigkeit beim Entziffern seiner in >»Scherz, List und Rache<«, das »Vorspiel in deutschen Reimen«
3
Handschrift im Hinblick auf seme Leser gezogen hat. zu Die fröhliche Wissenschaft, eingegangen sind,7 allen voran aber
Nieczsche, der sich in der V9rrede zur Morgenröthe als »Lehrer das dort nicht aufgenommene Gedicht: »SCHREIBKUGEL IST
74
des langsamen Lesens« zu erkennen gab, »endlich schreibt man EIN DING GLEICH MIR: VON EISEN«. Doch das »Schreibthier«
auch langsam«, 69 wollte seinen Lesern einen Teil der Schwierigkei- NietzSche identifizierte sich in seiner Körperlichkeit und Materia-
ten beim Entziffern aufbürden, indem er sich typographisch für die lität nicht nur mit seiner Schreibmaschine; er sah sich in seinen
ungewohnte Antiqua, statt für die Fraktur entschied; so schrieb er Büchern, wenn auch nicht ohne Widerwillen, selbst gänzlich in
am 3. September 1878 an seinen Verleger Ernst Schmeitzner: »Für
Schrift aufgehen:
gewisse Bücher sind latein [ische] Lettern .gut, weil sie dem allzu- An diesen [Nieczsches eignen Werken] ist etwas, das immer und immer
schnellen Lesen entgegen sind.« 70 Lichtenberg argumentierte übri- meine Scham beleidigt: sie sind Abbilder eines leidenden unvollständigen,
gens genau umgekehrt, wenn er sich befremdet von »den deutschen der nöthigsten Organe kaum mächtigen Geschöpfes - ich selber als Ganzes
Büchern mit lateinischen Lettern« zeigte: komme mir so oft wie der Krikelkrakel vor, den eine unbekannte Macht
75
Für .mich sind sie
d · ·immer eme · Art von Uebersetzung. Der Augen bl'1ck, über's Papier zieht, um eine neue Feder zu probiren.
~Bn eich an~enden muß, mir diese Zeichen in mein altes darmstädtisches
7 Vgl. Friedrich A. Kittler, »Ein Höhlengleichnis der Modeme. Lesen unter hoch-
· · .. zu
di ubersetzen ' ist dem E·mdruck nachtheilig. Ein Singed'1cht wur
„ de 2
bgekehrcem
e1 mir eB ganze Kraft des Erstenmals verlieren, wenn ich es z.B. bei. um- t~chnischen Bedingungen«, in: Brigitte Schlieben-Lange (Hg.), Lesen - histo-
risch, Göttingen 1985 (= Lili. Zeitschrift far Literaturwissemchaft und Linguistik
uch heraus buchstabiren müste.71
57/58), S. 204-220, insbes. S. 217-219. 1 1
73 Nachweise im einzelnen bei Stingdin, »Kugeläußerungen«(Anm. 65), S. 3 6-34 ,
S 461.
67 Nietzsche an Heinrich Köselicz am 5. November 1879, KSB 5: Nr'teo;riefu;tfhsel S.332f. und S.338f.
68 Heinrich Köselitz an Nietzsche am 19. Februar 1882, in: ~'e':'oncinari, Dricce 7
4 ~ietzsche-Archiv Weimar, Mp XVIII 3, 19a; zit. nach Martin Stingelin, »Kugel-
Kritische Gesamtausgabe, hg. von Giorgio Colli und Mazzmo ber 334 , Ber- äußerungen« (Anm. 6 ), S. 332: »SCHREIBKUGEL IST EIN DING GLEICH MIR:
5
Abteilung, Bd.1: Briefe an Friedrich Nietzsche, Januar 188o-Deum 1 VON EISEN/UND DOCH LEICHT ZU VERDREHN ZUMAL AUF REISEN.IGE-
lin, New York 1981, Nr.107, S. 219. DULD UND TAKT MUSS REICHLICH MAN BESITZEN/UND FEINE FJNGER-
69 Nietzsche,
N1 Morgenröthe (1881, 1887) Vorrede 5, KSA 3, S. 17· S. 35o. CHEN, UNS ZU ßENUETZEN.« Die Schreibkugel von Malling Hansen kannre,
7° _.enschean Ernst Schmciczner am' 3. September 1878, KSB 5, Nr. Bw751 •J, Nr. 9 ,
~ -e hier augenfällig wird, nur Majuskeln. 1 21
71 Lichtenberg an Heinrich Christian Boie am 30. November 1775, 2 4
S. 582-602, hier S. 5s . 75
letzsche an Heinrich Köselirz Ende August 1881, KSB 6, Nr. 43, S, 1 -nJ,
3
302
hier S. 121 f. ' 303
b,l'l l \1 "- , .• .
!
67 Dieser bedankte sich am 19. Februar
188 (Stefan George o~erierte später aus demselben Beweggrund wie
"thigt ist die Ursache.«N . ... ,ehe »gütig übersandte Schriftprob 2
nO eh für die von ie.,., e« NietzSche, als er dt~ Ober- un_d Unterlängen der typographischen
denn au
der Schreibkugel: Stefan-George-Sc?,nft be~chnm, um die Schwierigkeiten beim
1. hkCl[. der Lettern, noch mehr aber von der Kerni Entziffern zu erhohen, während der Lyriker Arno Holz die Lek-
Sowohl von der Deut. ICh h. überrascht.[ ... ] v·ieIIe1c
.h "h g-
S "ehe war ic se r ks . t gewo . nen Sie Sich türe im Zeichen der allgemeinen Geschwindigkeitszunahme des
kcit der pru str reine neue Ausdruc weise an; - mir wenigstens modernen Großstadtlebens durch die Mittelzentrierung seiner Ge-
mit diesem In ~e~~:leugne nicht, dass meine >Gedanken< in der Mu- dichte gerade b.eschleunigen wollte, weil er irrtümlich glaubte, dem
könntc
sik es so ergc ::~ der Qualität der Feder und des Papiers abhängen.Gs
und Sprache o Auge dadurch den halben Leseweg zu ersparen, was aber nur für die
. erste und letzte Zeile zutrifft. 72)
. eh berühmte Verdichtung dieser poetologischen Refle-
Auf NtetzS es . al' p G d' · h b c ,Die poetologische Reflexion des Schreibens ist bei Nietzsche im
.
x10nen von Heinrich Kösehcz tas eh eter
l . h ast, „ tekkstc e enralls der Umkreis seiner Schreibmaschinenexperimente besonders ausge-
Schreibkugel verdankt, werde i g etc zuruc ommen. Zuvor
prägt zu beobachten, fallen in diese Zeit doch eine Reihe von Ge~
öchte ich aber kurz darauf aufmerksam machen, welche Kon-
dichtentwürfen, die nicht nur das Schreiben an sich, sondern auch
:~uenzen Nietzsche ~us der S~hwierigkeit beim Entziffern seiner
konkrete Schreibwerkzeuge zum Gegenstand haben und zum Teil
Handschrift im Hinblick auf seme Leser gezogen hat.
in »rScherz, List und Rache«<, das »Vorspiel in deutschen Reimen«
Nietzsche, der sich in der V9rrede zur Morgenröthe als »Lehrer
zu Die ftiihliche Wissenschaft, eingegangen sind,73 allen voran aber
des langsamen Lesens« zu erkennen gab, »endlich schreibt man
69 das dort nicht aufgenommene Gedicht: »SCHREIBKUGEL IST
auch Iangsam«, wollte seinen Lesern einen Teil der Schwierigkei-
EIN DING GLEICH MIR: VON EISEN«.74 Doch das »Schreibthier«
ten beim Entziffern aufbürden, indem er sich typographisch für die
Nietzsche. identifizierte sich in seiner Körperlichkeit und Materia-
ungewohnte Antiqua, statt für die Fraktur entschied; so schrieb er
lität ,n icht nur mit seiner Schreibmaschine; er sah sich in seinen
am 3. September 1878 an seinen Verleger Ernst Schmeitzner: »Für
gewisse Bücher sind latein[ische] Lettern gut, weil sie dem allzu- Bü~hhi:,., wenn auch nicht ohne Widerwillen, selbst gänzlich in
Schrift aufgehen:
schnellen Lesen entgegen sind.«70 Lichtenberg argumentierte übri-
gens genau umgekehrt, wenn er sich befremdet von »den deutschen An t iesen [Nietzsches eignen Werken] ist etwas, das immer und immer
Büchern mit lateinischen Lettern« zeigte: mei9e Scliam beleidige: sie sind Abbilder eines leidenden unvollständigen,
Für mich sind sie unm· · Ar bl' k der r öthigster,i Organe kaum mächtigen Geschöpfes - ich selber als Ganzes
d . er eme t von Uebersetzung. Der Augen 1c , komme mir so oft wie der Krikelkrakel vor, den eine unbekannte Macht
en ich anwenden muß • mu· d'1ese 2e·1chen m • mem • altes darmsca"d usc
· hes
A.B C ..
· · zu uberseezen ist d E· d k h d h „ d übeC:S Papier zieht, um eine neue Feder zu probiren. 75
be1•mir. di,egani.e Kraft
' d em In ruc nac theilig· Ein Singe ic t wur . e
gekehrtem B h h es Erste~mals verlieren, wenn ich es z. B. bei um- 2
7 Yigl. Friedrich A. Kitcler, »Ein Höhlengleichnis der Modeme. Lesen unter hoch-
uc eraus buchstabuen müsce.71
technischen Bedingungen«, in: Brigitte Schlieben-Lange (Hg.}, Lesen - histo-
67 Nietzsche an Heinrich Kö 1·
ris_ch, Göttingen 1985 (= Lili. Zeitschrift for Litmzturwissenschaft und Linguistik
112
68 Heinrich Köselitz N·1 se am 5- Novemberi879, KSB 5, Nr. 900, S. 46i.
57/58), S. 204-220, insbes. S. 217-219 .
Kritisch, Geramta an b :tzsche am 19, Februar 1882, in: Nietzsche BriefwechSel 73 Nachweise im einzelnen bei Stingelin, »Kugeläußerungencc (Anm. 65), S. 326-341,
Abteilung, Bd· 2·· "'B· ~1•
:::.•ang.Frivond Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Dritte S.332f. undS.338f.
7

in, New York 1931 N
·h B
e rtc Nietzsche, Januar 1880-Dezember 1884, er- 4 Nie~che-Archiv Weimar, Mp XVIII 3, 19a; zit. nach Martin Stingelin, »Kugel-
69 Nietzsche, Mo, ' .. r. 107, S. 229. äußerungen« (Anm. 65), S. 332: »SCHREIBKUGEL IST EIN DING GLEICH MIR:
70 Nie eh xrnro th , (1881 188 ) " VON EISEN/UND DOCH LEICHT ZU VERDREHN ZUMAL AUF REISEN./GE-
. tzs e an Ernsr Sclun . , 7 , vorretk 5, KSA 3, S. 17.
71 Liehe b citzner am S DULO UND TAKT MUSS REICHLICH MAN BESITZEN/UND FEINE FINGER-
S 8 en erg an Heinrich Ch . . 3, eptcmber 1878, KSB 5, Nr. 751, S. 35°·
· 5 2-60 2 h· nsuan Boie· am 30. November 1775, Bw I, Nr. 294' CHijN, UNS ZU ßENUETZEN.« Die Schreibkugel von Malling Hansen kannte,
• •er S. 583.
302 'Yi!! hier augenfällig wird, nur Majuskeln.
75
Njq~che an Heinrich Köselirz, Ende August 1881, KSB 6, Nr. i43, S. u1-1i3,
hJcr S.121f.
303
~ --"-,
. noch einen Schritt von Franz Kafka n
. ·nd wirhälcnis
.Hier si
nur S h 'ft s l\.eß
von Schreiben, c n und Existenz fi exio.
n~n zumh er t logische Reflexionen münden in jene :ntdernt.7ri
Nieczsc es poe o . An fd . l\.e ew
. N' ehe in seiner twort au en Bnef von 1-r . en.
d g die ietzS rie1n ·
~n i'· al' Peter Gast Ende Februar 1882 auf der Schreib fleh
Kose itz ias hl ß F.d .h niasch·
.. h t und die im Anse u an ne nc A. Kittl 1-
ne gepragt a d . ers A ,r
schrez'besyst,eme sprichwörtlich gewor en ist: »SIE HABEN REcu111~-
UNSER SCHREIBZEUG ARBEITET MIT AN UNSEREN GEDAN~
KEN.« 77
Gesetzt den Fall, Geor~ ~hristoph Lichtenberg und Friedrich
Nieczsche hätten recht mit ihrer Behauptung, daß die Schreib-
werkzet1ge einen selbständigen Anteil am schöpferischen Produk-
tionsprozeß behaupten - andernfalls müßte man doch wenigstens
begründen, weshalb man ihren poetologischen Reflexionen, in
denen sie ausdrücklich und übereinstimmend zu diesem Schluß
kommen, mißtraut-, so stellt sich eine Reihe von Fragen, die nicht
von der Hand zu weisen sind, allen voran die beiden wichtigsten:
Wie könnte man den Grad dieses Anteils ermitteln? Und: Wie
könnte er editionsphilologisch vermittelt werden? Im Hinblick auf
eine Genealogie des Schreibens, von der ich hier, wie gesagt, einen
ersten Problementwurf zur Diskussion stellen wollte, fragt sich, wie
sich die poetologischen Reflexionen von Georg Christoph Lichten-
berg und Friedrich Nietzsche zueinander verhalten. Man könnte
immerhin die literaturhistorische These wagen, daß die abneh-
mende Metaphorisierung in den poetologischen Reflexionen des
Schre_ibens, ~ie im Vergleich von Georg Christoph Licht~nbe_rg,
der die Schreibszene in satirischer Absicht überhöht, mit Fnednch
Nietzsche, der sich körperlich und materialiter mit seinen Schre!b·
werkzeugen und ihrem Produkt identifiziert zu beobachten 1st'
„ w·i h ·
ta tsac ' .. l· hun g
c em Zeugnis· für
.. •
die zunehmende Vergegenstand ic
des Schreibens i·n . Skr· . .. . . b hauptet,
. . semer 1pturahtat ist die zwar gerne e
Phi1alogisch ab er selten dokument1ert
. wird.
'

~Vgl .
. etwa Walter Müll . d die fllO
ne Literatur«, in· S h ~r-Se1del, »Kafkas Begriff des Schreibens un hreibprotJsse
(Anm. 15) s 10 · c heben-Lange/Gresillon (Hg.), Literarische Sc
' · 4 -121
77 Nietzsche an H . . · z.
e1nnch l(" 1· 5. I7
ose itz, Ende Februar 1882 KSB 6, Nr. 20 2'
304 '

Das könnte Ihnen auch gefallen