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. Herausgegeben von
Wolfgang Preisendanz
und Rainer Waming
1976
VORWORT 7
I. VORLAGEN 9
HANS BLUMENBERG: Der Sturz des Protophilosophen - Zur Komik der rei-
nen Theorie, an hand einer Rezeptionsgeschichte der Thales-Andekdote. 11
MANFREO FUHRMANN: Lizenzen und Tabus des Lachens - Zur sozialen
Grammatik der hellenistisch-römischen Komödie . 65
HANs ROBERT JAUSS: Ober den Grund des Vergnügens am komischen Helden 103
000 MARQUARO: Exile der Heiterkeit 133
WOLFGANG PREISENOANZ: Zum Vorrang des Komischen bei der Darstellung
von Geschichtserfahrung in deutschen Romanen unserer Zeit. 153
SIEGFRIEO J. SCHMIDT: Komik im Beschreibungsmodell kommunikativer
Handlungsspiele . . . . 165
JEAN STAROBINSKI: Le diner chez Bertin . 191
WOLF-DIETER STEMPEL: Ironie als Sprechhandlung 205
KARLHEINz STIERLE: Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung,
Komik der Komödie ... 237
DMITRIJ TscHlzEwsKIJ: Satire oder Groteske . · 269
RAINER WARNING: Elemente einer Pragmasemiotik der Komödie.. 279
DIETER WELLERSHOFF: Infantilismus als Revolte oder das ausgeschlagene
Erbe - Zur Theorie des Blödelns . . .. 335
SACHIlEGISTEIl 457
PEIlSONENREGISTER . 461
VORWORT
Das Komische erscheint auf den ersten Blick als ein interdisziplinäres Thema par
excellence. Philosophie, Asthetik, Psychologie, Anthropologie, Soziologie und
natürlich die Literaturwissenschaft haben es früher oder später in ihre Obhut ge-
nommen. Indessen ist eine wirklich interdisziplinäre Konstitution des Gegenstands
kaum einmal zu bemerken; vielmehr haben die einzelnen Disziplinen die Theorie
bzw. die Geschichte des Komischen als ihren je eigenen Zuständigkeitsbereich, als
ihr je eigenes Teilgebiet vereinnahmt und sich von den anderweitigen Kompetenz-
bereichen her höchstens Zubringerdienste leisten lassen. Daß die Frage nach dem
'Wesen', den Bedingunge"n, den Funktionen, dem Sinn des Komischen unter diesen
Umständen immer wieder eine Anämie der Problemstellung erkennen ließ, hat
bereits vor drei Jahrzehnten o. Rommel mit Recht festgestellt.
Dem VII. Kolloquium der Forschungsgruppe "Poetik und Hermeneutik", das
vom 2. bis 7. September 1974 in Bad Homburg stattfand, erschien eine Beschäfti-
gung mit den Problemen des Komischen nur mit der Maßgabe sinnvoll, daß die
überlegungen unter den Leitgedanken 'Komik als Modell' zu stellen seien. Gefragt
werden sollte nach dem Generalisierungspotential des Komischen und seiner Theo-
rie, nicht nach den Möglichkeiten einer besseren Theorie oder triftigerer Definitio-
nen der Komik und ihrer Kategorien, auch nicht nach den historischen Manifesta-
tionen von Komischem als solchen. Erprobt werden sollte vielmehr, wie sich von
den unterschiedlichen Erkenntnisinteressen, Theoriebildungen und Fragerichtungen
her ein Zugang zu den Problemen der Komik finden läßt, und zwar im Interesse
des Gegenstands selber wie auch der Selbstreflexion derjenigen Disziplinen, Theo-
rien und Forschungsmethoden, die den Gegenstand von Haus aus eher als peripher
ansehen könnten.
Daß die Felder und Ränder des Komischen nicht systematisch und einigermaßen
vollständig in Betracht gezogen werden konnten, versteht sich von selbst. Die Er-
wartungen, die sich mit dem Thema verbinden, waren im gegebenen Rahmen nur
sehr lückenhaft zu erfüllen; auch führten Ausfälle und Verhinderungen dazu, daß
Perspektiven und Kompetenzen unrepräsentiert blieben, die nach der ursprüng-
lichen Konzeption hätten zur Geltung kommen sollen. Daß der im weitesten Sinn
hermeneutische Status, den jede Beschäftigung mit den Problemen des Komischen
hat, die Ergebnisse zueinander in Beziehung treten läßt, wagen wir gleichwohl zu
hoffen.
Wie alle seine Vorgänger wurde auch dieses Kolloquium nicht durch den Vor-
trag von Referaten gespeist, sondern durch schriftliche Vorlagen, die den Teilneh-
mern vor Beginn der Verhandlungen bekannt waren. Sie nehmen den ersten Teil
des Bandes ein; Fragen, Einwände und Anregungen, die sich in der Diskussion
ergaben, sind mehrfach in der Druckfassung verarbeitet worden. Den zweiten Teil
8 VORWORT
des Bandes bildet, gegliedert nach thematischen Schwerpunkten, eine Reihe von
Diskussionsbeiträgen, die geeignet erschienen, nachträglich zu relativ selbständigen,
aus dem Kontext der Diskussion herausgelösten 'statements' verarbeitet zu wer-
den. Den Vorzug solcher verselbständigter Voten mag man darin sehen, daß sich
in ihnen die ursprüngliche Extemporienheit mit einer gewissen Elaborienheit ver-
bindet und daß sie überlegungen beisteuern, die im Gang der Diskussion nicht ent-
faltet bzw. eingebracht worden sind.
Das Kolloquium wurde ein weiteres Mal von der Werner-Reimers-Stiftung,
Bad Homburg, großzügig und umfassend - von der Vorbereitung bis zum Druc:k-
kostenzuschuß für diesen Band - organisatorisch unterstützt und finanziell geför-
den. Im Namen aller Teilnehmer sei dafür der Stiftung, ihrem Direktor, Herrn
Staatssekretär a.D. Prof. Dr. Konrad Müller, und seinen Mitarbeiterinnen herzlich
gedankt. Der Dank der Herausgeber gilt ferner allen, die bei der Publikation mit-
gewirkt haben: Ingrid Fink, Dr. Helmut Klocke und Werner Kügler für die Hilfe
bei der Redaktion; Sigrid Bormann-Heischkeil und Dr. Adelheid Schramm für die
Arbeit an den Registern; Eve-Maria Biene für die Betreuung des Manuskripts.
Gedankt sei schließlich dem Verleger, Herrn Wilhelm Fink, für die engagierte Sorg-
falt, die er dem Band angedeihen ließ.
I. VORLAGEN
HANS BLUMENBER.G
Als die Philosophie bereits eine, wenn auch noch kurze Geschichte (von gerade zwei
Jahrhunderten) hatte und es sich zu lohnen begann, auf die Ursprünge zurückzu-
gehen und sich an den Prototypen zu messen, konfrontierte Plato das Schicksal
seines Lehrers Sokrates mit der Gestalt des Protophilosophen Thales von Milet.
Im Corpus der äsopischen Fabeln, die jedem Griechen von Kindheit an vertraut
waren und zu denen Sokrates im Kerker vor seinem Tode gegriffen hatte, fand sich
ein passendes Stückchen von einem Astronomen, der in der Selbstvergessenheit sei-
ner theoretischen Tätigkeit zu Fall kommt. Plato ließ diese anonyme Anekdote in
dem Dialog Theaetet aus dem Munde des Sokrates auf Thales von Milet über-
tragen. "So erzählt man sich von Thales, er sei, während er sich mit dem Himmels-
gewölbe beschäftigte und nach oben blickte, in einen Brunnen gefallen. Darüber
habe ihn eine witzige und hübsche thrakische Dienstmagd ausgelacht und gesagt,
er wolle da mit aller Leidenschaft die Dinge am Himmel zu wissen bekommen,
während ihm doch schon das, was ihm vor der Nase und den Füßen läge, verborgen
bleibe. n I Plato läßt, wie es sich für den Fabeltyp gehört, sogleich die Moral der Ge-
schichte anfügen: "Derselbe Spott aber paßt auf alle diejenigen, die sich mit der
Philosophie einlassen. n
Plato läßt auf dem Umweg über den milesischen Philosophen seinen Sokrates
sich ü~er sich selbst und die eigentümliche Art seines 'Realismus' lustig machen. Es
ist die reine Theorie als Schicksal, was er als Gemeinsamkeit mit dem Prototyp
entdeckt; zwar steht die ganze Schärfe dieses Schicksals dem Sokrates der fiktiven
Dialogszene noch bevor, aber dem Publikum des Plato ist bekannt, was Sokrates
geschah. Das Komische ist der Zusammenstoß von Wirklichkeitsbegriffen, deren
Unverständigkeit gegeneinander lächerlich, in der Konsequenz aber auch tödlich
sein kann. Sokrates akzeptien das Gelächter, so wie er den Giftbecher akzeptieren
wird. Aristophanes hatte ihn, als er noch der naturphilosophischen Tradition des
I Plato, Thtaetet 174 AB, in der Obersetzung Manin Heideggers (Die Fragt nach dem Ding,
Tübingen 1962, S. 2).
12 HANS BLUMENBERG
Thales folgte und als Schüler des Anaxagoras die Himmelserscheinungen erforschte,
in den Wolken verspottet: "Socrates, der sonst die Schauspiele wenig besuchte,
fand sich diesesmahl mit Fleiß dabey mit ein. Er sagte zu denen die bey ihm saßen:
Es käm ihm vor, als ob er auf einem lustigen Gastmahl sich befänd, wo man mit
ihm einen anigen Schertz trieb: Als auch einige Unbekannte gern wissen wolten,
wer doch dieser Socrates wär, stund er auf und lies sein Original gegen seine Copey,
die auf der Schaubühne vorgestellet wurde, sehen."! Wenn am Schluß des plato-
nischen Dialogs Protagoras die ironische Ratlosigkeit als dialektisches Resultat her-
austritt, ist es wieder Sokrates, der das Gelächter hört: "Dieser Ausgang unserer
Unterredung scheint mir wie ein Mensch uns Vorhaltungen zu machen und uns aus-
zulachen und, wenn er reden könnte, sagen zu wollen: ihr beide, Sokrates und Pro-
tagoras, seid doch abwegige Leute." 3 Im Gorgias erzählt Sokrates dem Polos, er
habe einmal, als das Los auf seinen Bezirk gefallen sei, in der Volksversammlung
die Stimmen zu zählen gehabt und das allgemeine Gelächter auf sich gezogen, weil
er sich darauf nicht verstand. Das Gelächter verfolgt ihn, es ist keine zufällige
Panne. Kierkegaard stellte in seiner Dissertation die These zur Disputation, Aristo-
phanes sei der Wahrheit nahegekommen, als er Sokrates zur Figur der Komödie
machte."
In den zwei Jahrhunderten zwischen Thales und Sokrates ist deutlicher gewor-
den, was das Lachhafte an der reinen Theorie ist. Gerade dadurch, daß Sokrates sich
von den Interessen seiner Jugend an der Natur abgewendet und den Fragen des
menschlichen Lebens und Handeins zugewendet hatte, tritt heraus, daß die räum-
liche Distanz und Unerreichbarkeit der stellaren Gegenstände im Vergleich zur
Nähe der praktischen Fallgruben die Differenz nicht ausmachte, sondern sie nur
metaphorisch darstellte. Was Sokrates nach seiner Abwendung von der Natur-
philosophie entdeckt hatte, ist die Sphäre der Begrifflichkeit der menschlichen
Dinge, von der aus erneut die Realität des Nächstliegenden verfehlt und dadurch
zur Fallgrube wird. "Denn in der Tat weiß ein solcher Mensch nichts von seinem
Nächsten und Nachbarn - nicht nur von dem, was er treibt, nein auch kaum davon,
ob er überhaupt ein Mensch ist oder nicht vielmehr ein anderes Geschöpf."
Und das gerade dadurch, daß der Philosoph nicht mehr nach dem forscht, was sich
am Himmel abspielt, sondern "was der Mensch sei und was einem von Natur so
beschaffenen Wesen vor anderen zu tun und zu leiden zukomme". Komik liegt
nicht im philosophischen Gegenstand, sondern an der Art des philosophischen An-
spruches: der Philosoph erkennt im Nachbarn das menschliche Wesen nicht, wäh-
rend er sich und weil er sich mit dem Wesen des Menschen beschäftigt. Das Lachen
! Fenelon, Abrtgt des 'flies des anciens Phi/osophes (dt. J. F. Fleischer, Kurze Lebensbeschreibun-
gen und Lehrsätu der alten Weltweisen. Frankfurt 1762, S. 204).
3 Plato, Prolagoras 361 A.
4 Aristophanes in Socrate depingendo proxime ad verum accessit (Kierkegaard, Ober den Be-
grilJ der Ironie mit ständiger RiicJrsicht auf Sokrates (1841), Theses VII, hg. H. H. Schaeder,
München 1929, S. XI).
DER STURZ DES PROTOPHILOSOPHEN 13
der anderen ist zum Indiz der Konzentration auf den philosophischen Gegenstand
geworden, die Unbehilflichkeit im praktischen Leben zur Probe auf den Erfolg der
neuen Gegenstandsbeziehung. Der Erfolg ist identisch mit dem Mißerfolg der
Theorie in der Realität der Polis: "Der geborene Philosoph weiß seit seiner Jugend
nicht, welcher Weg zur Agora führt, wo der Gerichtshof oder das Stadtparlament
oder sonst ein Kollegium tagt; von Gesetzen und Beschlüssen, deren Einbringung
oder schrifl:licher Fixierung sieht und hört er nichts; teilzunehmen am .iünterkrieg
der politischen Klubs, an öffentlichen Versammlungen, an Banketten und an nächt-
lichen Bacchanalen mit Flötenspielerinnen würde ihm nicht einmal im Traume
einfallen." Nur sein physischer Körper gehört der Realität der Polis an - der plato-
nische Chorismos als Lebensform. Vor allem aber: daß er all das nicht weiß, was
zu den Realitäten des Lebens gehört, weiß er als solches wiederum nicht I. Die
Astronomie, mit der Thales begonnen hatte, ist jetzt nur noch ein Spezialfall sol-
cher Fremdheit durch Befassung mit dem Wesentlichen: der Philosoph "beobachtet
die Bahnen der Gestirne hoch am Himmel und erforscht allerorten jegliche Natur
eines jeden Wesens aus dem Reiche des Seins in seiner Ganzheit, ohne sich in die
Niederungen des Handgreiflich-Nahen herabzulassen".
Die Komik des zerstreuten Professors ist von all diesem nur noch eine späte und
schwache Variante. Denn jene frühe Lächerlichkeit ist ganz und gar nicht lustig, sie
ist ein Leiden, ein Versagen, aber kein zufälliges und deshalb ein unvermeidliches,
das die gelungene Vergegenwärtigung des Gegenstandes versichert. Es bleibt ein
schreckliches Gelächter, wenn der Philosoph vor Gericht oder sonstwo über Dinge
sprechen soll, die "dicht vor seinen Füßen, vor seinen Augen liegen", und dann
"nicht nur bei Thrakerinnen Gelächter erntet, sondern auch bei dem ganzen
übrigen Pöbel, da er von einem Brunnen in den anderen stürzt, von einer Ver-
legenheit in die andere". Es ist das Martyrium der reinen Idealität, bei dem das
Blut des Wahrheitszeugen zwar nicht fließt, aber ihm als Schamröte ins Gesicht
steigt.
Freilich ist für Sokrates das Publikum, welches lacht, ein anderes geworden als
das des milesischen Philosophen. Es ist ein Publikum, dessen Lachen durch Bildung
verschärft ist. Plato läßt Sokrates das ausdrücklich bemerken: "So wird er zum
Gespött - zwar nicht bei Thrakerinnen oder anderem ungebildeten Volk (denn die
merken's ja nicht!) -, wohl aber all denen, die das Gegenteil einer Sklavenerziehung
genossen haben." Deshalb ist die Situation des Philosophen auch gefährlicher ge-
worden. Die thrakische Sklavin mag an ihre heimischen und heimlichen Götter
gedacht haben, als sie den Philosophen in die Erde stürzen sah, die athen ische Polis
denkt an den Staatskult der Götter und daran, ob Sokrates nicht die im mehr-
fachen Sinne schützende Macht dieser Götter mit seiner Philosophie gefährden
könnte. Es ist einer, der die öffentlichen Relevanzen nicht mitmacht. Deshalb ist es
vom Gelächter bis zum Todesurteil nicht weit, dessen man den Plato, der diese
Dialoge geschrieben hat, immer als ansidltig vorstellen muß. Für sein Publikum
tritt der tragische Zug an der komischen Figur des Philosophen nahtlos heraus; ihm
konnte nicht entgehen, daß der Konflikt der Wirklichkeitsbegriffe seine Qualität
dabei gar nicht ändert, daß das Lachen und das Todesurteil nur seine Symptome
sind.
Die Rezeptionsgeschichte der Thales-Anekdote hält diesen Zusammenhang von
Komik und Tragik als eine Doppeldeutigkeit fest, die nicht ausschließlich der Tran-
szendenz des platonischen Idealismus anhaflet, sondern an der Transzendenz des
Theoretikers innerhalb der 'politisch' noch vertretbaren Realität hängt, auch ohne
jeden Zugriff der Staatsgewalt wie bei Sokrates.
Der Einbau der Thales-Anekdote in den platonischen Dialog Theaetet ist nicht
zufällig, nicht nur illustrativ. Sokrates revidiert seine eigene Wendung; er stößt
auf den Sachverhalt, daß die theoretische Naturbetrachtung seiner Jugend und das
Interesse an der menschlichen Ethik seiner reifen Jahre keine Alternative für eine
'Bekehrung' darstellen. Der Grund dafür liegt in der Formel des Ethikers Sokrates,
daß die moralische Verfassung des Menschen, die er Tugend nennt, nichts anderes
sei als Wissen. Die Gedankenfolge, die sich in den platonischen Dialogen abbildet,
führt zu der Einschränkung, daß zumindest nicht alle Tugenden auf Wissen be-
ruhen können, wie etwa die der Tapferkeit. Aber die Ausnahmslosigkeit des Zu-
treffens der Gleichung von Tugend und Wissen ist nun nicht mehr das Hauptpro-
blem des platonischen Sokrates; dieses ist vielmehr, daß sich die Schwierigkeit der
Begründung von Ethik durch jene frühe Antwort nur noch gesteigert hat. Denn
wenn Tugend möglich sein soll, muß Wissen möglich sein. Und genau dies erweist
sich als die schwierigere Frage: Ist Wissen möglich und wie ist es möglich? Sie treibt
den Philosophen aus seiner Nähe zu den menschlichen Dingen, die er durch die
Abwendung von den Naturerscheinungen gesucht hatte, wieder fort. Nach dem
Wort des Cicero' hatte Sokrates die Philosophie vom Himmel heruntergeholt und
in die Häuser der Menschen eingeführt, um nach ihrem Leben, den Regeln und
Normen ihres Verhaltens zu fragen. Aber gerade diese Frage selbst, unter die Prä-
misse von Tugend als Wissen gestellt, hatte ihn aus den Häusern der Menschen
wieder herausgetrieben und seinen Blick zu einem noch ferneren und höheren Him-
mel als dem der Gestirne gelenkt, nämlich zum Himmel der Ideen als der Erklä-
rungsmöglichkeit für die strikte Verbindlichkeit jener Normen des tugendhaflen
Verhaltens. Nähe und Feme - Kriterien, an denen sich der Spott der thrakischen
Magd orientiert hatte - lassen sich so alternativ nicht auf das Werk des Philoso-
phen beziehen.
Sobald gefragt wird, wie zuverlässig die Fundamente seien, auf denen die an-
erkannten Verhaltensweisen des Menschen beruhen, muß der Blick vom Menschen
als einem konkreten Faktum der alltäglichen Realität abgewandt werden. Das ist
• Cicero, T"sc"ltUUI~ D;sp"tilt;on~s V 10. - Lactantius, D;t/;nilt Inst;t"t;on~s 111 20, 10: Celebre
hoc proverbium Socrates habuit: quod supra nos, nihil ad nos.
DER. STUR.Z DES PR.OTOPHILOSOPHEN 15
keine Marotte der Sokrates und Plato, das wird noch Kant zu tun gezwungen sein,
um der Verbindlichkeit des moralischen Gesetzes eine von den Beliebigkeiten der
menschlichen Geschichte und Vergesellschaftung unabhängige Geltung zu verschaf-
fen. Und natürlich: es gibt eine Komik auch des kategorischen Imperativs. Es ist das
Schicksal der Philosophie, dessen Grundmuster sich eindrucksvoll noch einmal in
der Phänomenologie Husserls wiederholt, in ihrer Ablehnung jeder anthropologi-
schen Spezifikation, in ihrem Bestehen auf Evidenzen, die noch den Ansprüchen
eines Gottes standzuhalten hätten. Da blitzt eine Komik auf, eine übertreibung
des aufrechten Ganges, auch wenn zufällig keine Mägde da sind, die lachen könnten.
Das Herabholen der Philosophie vom Himmel und ihre Ansiedlung unter den
Menschen hatten sich als ein zu schlichter Traum des jungen Sokrates erwiesen.
Vielleicht wollte er auch sich dem Gelächter des Aristophanes schließlich entziehen,
wie sich Thales dem Gelächter der Magd entzogen haben mochte, als er den Mit-
bürgern von Milet bewies, daß man mit der Kenntnis der Himmelserscheinungen
ein besserer Geschäftsmann sein konnte als die anderen. Es ist überaus bezeichnend,
daß Aristoteles in seiner Politik eine Gegenanekdote zur platonischen über den
Thales mitteilt, welche zu einem guten Teil auch die Differenz der eigenen Philoso-
phie zum Typus der platonischen impliziert. Sie lautet: "Man beschimpfte Thales
wegen seiner Armut, die zeige, wie unnütz die Philosophie sei. Da sah Thales, so
erzählt man, aufgrund seiner Astronomie eine reiche Olernte voraus, und noch im
Winter, als er gerade ein wenig Geld hatte, sicherte er sich durch eine Anzahlung
die gesamten ölpressen in Milet und Chios; er konnte sie billig mieten, da niemand
ihn überbot. Als die Zeit kam, war plötzlich eine starke Nachfrage; da vermietete
er sie nach seinen Bedingungen weiter, verdiente viel Geld und bewies, daß Philo-
sophen leicht reich sein können, falls sie wollen, aber daß dies nicht ihr Ziel ist." 7
Von hier bis zu der Versicherung, Thales habe nicht nur das Wetter vorhersagen
können - wie es zur griechischen Wortbedeutung von 'Astronomie betreiben' ge-
hört, was auch 'nach den Wolken sehen' heißt -, sondern auch wegen seiner poli-
tischen Voraussicht der Stadt Milet ausgezeichnete Ratschläge geben können, ist es
nicht weit. 8 Heimlich hat sich die Philosophie nach solcher Tüchtigkeit im Realis-
mus immer verzehrt. Die von Plato dargestellte Bahn des sokratischen Denkganges
hat nicht endgültig überzeugt. Ludwig Börne schreibt: "Sokrates wurde gepriesen,
weil er die Philosophie vom Himmel herabgeholt, und so ward er ein Lehrer der
Menschheit. Wenn wir beglücken wollen, müssen wir die Politik aus den Wolken
erdwärts ziehen." 11
An der Thales-Anekdote, wie Plato sie erzählen läßt, fehlt etwas, es wird über
etwas hinweggegangen, um das Lachen nicht zu stören. Der platonische Sokrates
ist der, der seinen eigenen Tod als Konsequenz des Gelächters der Realisten vor
Augen hat. Plötzlich fällt einem auf, daß er den Ausgang des milesischen Unfalls
offen läßt: die Magd lacht, aber würde sie nicht sofort betroffen verstummen, wenn
sie sehen müßte, daß der Philosoph sich bei dem Sturz in die Zisterne den Hals ge-
brochen hat? Offenbar, um solchen Ernst nicht erst aufkommen zu lassen, haben
spätere Tradenten der Anekdote den Brunnen durch eine Grube oder einen Graben
ersetzt, um das überleben des Philosophen nicht in Zweifel zu ziehen, wie es die
Tiefe eines Brunnens nahelegt. Selbst Sokrates wird ja nicht das Opfer seiner theo-
retischen Aufgabe, sondern das seiner didaktischen und rhetorischen Umtriebe.
Erst die neuzeitliche Neugierde gestattet es, daß der Theoretiker ernstlich zum
Opfer seines Antriebs wird, denn Theorie hat nun die Sanktion eines die Interessen
der Individuen übersteigenden Menschheitsziels. Es ist nicht selbstverständlich, daß
in der Konfiguration der Thales-Anekdote immer gelacht werden darf.
Die Komik des milesischen Philosophen für den Blick der thrakischen Magd ist
uns verdeckt durch mehr als zwei Jahrtausende der Gewöhnung an den Vorrang
der reinen Theorie und durch Jahrhunderte des Rechtes der unbeschränkten Neu-
gierde. Es für undenkbar zu halten, wir selbst könnten noch unter denen sein, die
lachen, würde die Konfiguration unerheblich machen, wenn nicht wenigstens denk-
bar bliebe, wir könnten wieder unter den Lachenden sein: in einer neuen Barbarei
der Relevanz, wenn Tugendausschüsse jeden Schritt der reinen Theorie daraufhin
überprüfen, daß er vor sich keinen Stein des Anstoßes für den Purismus der Ge-
meinnützigkeit hat, wenn man die Theoretiker vor Abstürzen am ehesten dadurch
bewahren zu können glaubt, daß man sie gar nicht erst vorangehen läßt, schon gar
nicht bei Nacht, schon gar nicht in der Nacht der noch nicht vollzogenen Recht-
fertigung ihrer Interessen. Die Komik des milesischen Philosophen hat also gerade
in ihrer schwer gewordenen Zugänglichkeit ihre Aktualität. Deshalb erfordert sie,
intensiver zu verstehen, weshalb gelacht wird, wie das Lachen verlorenging, und
zugleich damit, unter welchen Bedingungen es wiederkehren könnte, sowenig auch
dies eine Wiederkehr des Gleichen wäre.
Worüber die Magd lacht, ist doch der ganz simple Sachverhalt, daß sie den
Philosophen sich an etwas hängen und verlieren sieht, was er schlechthin niemals
für sich haben kann. Die Komik der Szene ist begründet in der schlechthinnigen
Distanz des Gegenstandes, in der unüberwindbaren Unzuhandenheit der Gestirne,
im offenbaren lebensweltlichen Unsinn des Nur-sehen-Wollens. Man darf die
Anekdote nicht als ein frühes Stück der Wissenschaftsgeschichte lesen, man muß sie
von der Lebenswelt her sehen, um zu bemerken, in welchem Maße der nächtlich Aus-
häusige die Gewöhnlichkeit zum Ungemeinen hin verlassen hat. Die aristotelische
Geschichte vom großen ölgeschäft ist wie eine sekundäre Antwort auf Platos Ein-
führung des Lachens: indem sie dem reinen Theoretiker schließlich doch die Recht-
fertigung mittels seiner 'Anwendungen' verschafft, gibt sie der thrakischen Magd
recht, die das im Augenblick noch nicht wissen kann. Die rück haltlose, unhinter-
hältige Theorie muß sich als List der Pragmatik ausweisen, um das Lachen doch
noch ins Unrecht zu setzen. Welcher Vorgriff auf die europäische Geschichte der
DER STURZ DES PROTOPHILOSOPHEN 17
den Unwissenheit zu der wissensstolzen Sophistik, aus der er selbst kam und der
er seine Gegner entnahm, in der Gestalt jenes weisen Sklaven Ksop präfiguriert ge-
sehen haben, als er sich im Kerker an ihn erinnene: i\sop würde aus seiner gegen-
wärtigen Situation, da er vor der Vollstreckung des Todesuneils von den Fesseln
befreit und trotz des noch Bevorstehenden aufatmen könne, eine Fabel gemacht
haben. Mehr noch, Sokrates macht die äsopische Fabel zum Gegenstand seiner
Kerkerpoesie, indem er auf den Traumbefehl seines Dämons hin Gedichte zu ver-
fenigen beginnt.
Hier wird greifbar, weshalb Plato die Gegenfigur zum Philosophen in der
Anekdote nach Sokrates und für Sokrates 'stärker' besetzen und deutlicher charak-
terisieren mußte, als es die alte Fabel getan hatte. Sokrates im Kerker tritt auf
eine neue Position, sich selbst äußerlich, nachphilosophisch, dem eigenen Leben
und Denken nun als Zuschauer nachsehend. Der Nachfolger des Protophilosophen
Thales rückt in seiner letzten Phase noch einmal ab von der Himmelsbetrachtung
aber auch von ihrer Negation in der Philosophie der menschlichen Wohnungen,
und bezieht die Position des Vorübergehenden, der spottenden Magd. In der voll-
endeten Weisheit werden die beiden Gestalten der Konfiguration identisch, der
Gestürzte und die Lachende.
Das bekundet sich in der Zweideutigkeit des Traumes, von dem Sokrates be-
richtet, er habe ihn dazu veranlaßt, sich auf die Kunst der Musen zu verlegen: hatte
er geglaubt, die Philosophie sei schon die Erfüllung dieses Befehls gewesen, so habe
ihn das Todesuneil mit der Gnadenfrist durch das Fest des Gottes die andere
Deutbarkeit des Traumbefehls begreifen lassen, etwas zu tun, was er nie zuvor
getan hatte, nämlich Verse zu machen. War die Philosophie, die er sein Leben lang
betrieben hatte, wirklich die höchste der musischen Künste gewesen, wie er immer
geglaubt hatte? Jetzt meint er, ihm sei eine demotische Musenkunst befohlen und
er könne dem Traum nur dadurch gehorchen, daß er zum ersten und letzten Mal
Gedichte mache, eines auf den Gott Apollo, dessen Opferfest er den Aufschub der
Urteilsvollstreckung verdanke, und die anderen auf die Fabeln des lisop, da er
doch selbst solche nicht zu erfinden vermöchte 11.
Die Vertiefung, die die äsopische Fabel durch Plato erfahren hat, beruht auf
der Vieldeutigkeit, mit der sie im Kontext seiner Philosophie steht und auf die
Sokrates-Gestalt bezogen ist. Die Lächerlichkeit des Himmelsbetrachters besteht
zwar innerhalb der Anekdote für die thrakische Magd darin, daß sie den seinen
fernen und erhabenen Gegenständen Zugewandten über die niederen Realitäten
vor seinen Füßen fallen sieht, und sie wird innerhalb des platonischen Dialogs als
die von den Realisten verlachte Weltfremdheit des sokratischen Philosophen zum
Indiz der Vertrautheit mit den Wahrheiten, auf die es schließlich ankommt; aber
sie bekommt nochmals einen Bedeutungszuwachs im Gesamtzusammenhang der
platonischen Philosophie dadurch, daß die Astronomie des milesischen Philosophen
den Einsatz seines leiblichen Wohlbefindens nicht mehr wert zu bleiben vermag,
weil seine empirischen Gegenstände mit der Idealität einer cwahren' Astronomie
nicht mehr ernstlich konkurrieren können. Platos Begriff von Wissenschaft konnte
der sinnlich faßbare Sternenhimmel nicht genügen; er mußte seine Entsprechung
in einer strenger faßbaren Gegenständlichkeit des Denkens haben. Der Zweifel
der thrakischen Magd erweist sich als nicht radikal genug, denn nicht diesseits
der astronomischen Gegenstände in der größeren Nähe dessen, worüber und
wohinein man fallen kann, liegt die wahrhafte Realität, sondern in der größeren
Feme jenseits aller anschaulich erreichbaren Lichtpunkte. Das Sichtbare kann
nicht das Vernünftige sein. Plato bereitet Hegels abschätzige Bewertung des Him-
melsanblicks vor. Und in diesem Zusammenhang gibt er der Komik der Sokrates-
Figur in den Walken des Aristophanes nochmals einen neuen Bezug.
Im siebten Buch des Dialogs über den Idealstaat läßt Plato Sokrates mit·
Glaukon darüber streiten, ob die Astronomie zu den Bildungsinhalten unter dem
Regiment des gerade entworfenen Staates gehören soll. Glaukon meint, Land-
wirtschaft, Seefahrt und Kriegführung erforderten dies. Sokrates antwortet mit
einem Satz, der in jede Studienreformdiskussion paßt: "Du bist köstlich, wie du
offensichtlich vor den Leuten Angst hast und nicht den Anschein erwecken willst,
du schriebest unnützen Lehrstoff vor." Darauf lenkt Glaukon ein, er wolle die
Astronomie durchaus nach der Art des Sokrates befürworten und dann könne ihr
Vorzug nur darin liegen, daß sie die Seele nötigt, nach oben zu blicken, fort von
den Gegenständen hier zu jenen dort. Sokrates ist wiederum anderer Meinung:
wie Astronomie gegenwärtig von denen betrieben werde, die zur Philosophie
emporführen wollten, bewirke sie das gerade Gegenteil, den Blick abwärts zu
lenken. Die Blickrichtung der Augen sei nicht die der Vernunft. Gegenstand der
Vernunft könne nur das Unsichtbare sein.
An dieser Stelle nun läßt Plato seinen Sokrates auf die eigene Karikatur in
der Komödie des Aristophanes anspielen, deren Lächerlichkeit der platonisch
Eingeweihte potenziert wahrnimmt: in einer Hängematte liegend, mit offenem
Mund zum Himmel gaffend und dabei einem auf dem Rücken liegenden Schwim-
mer gleichend. Wenn jemand derart mit offenem Mund nach oben oder mit ge-
schlossenem Mund nach unten blicke, um etwas Wahrnehmbares zu erfassen, so
habe das mit Wissenschaft nichts zu tun und es sei daraus keine Lehre zu gewin-
nen, denn "seine Seele schaue nicht nach oben, sondern nach unten, und wenn er
dabei auch zu Lande oder zu Wasser auf dem Rücken schwimme" ".
Freilich, von der CAstronomie im eigentlichen Sinne', die Sokrates fordert und
deren Möglichkeit Glaukon wie durch Zauberspruch vor sich zu sehen scheint
und zugesteht, erfahren wir nichts. Die Besitzer des Idealen und Eigentlichen
haben es sich immer leichter gemacht, diejenigen zu verspotten, die mit eigenen
Augen sehen wollten, als ihnen vorzuweisen, was sie gewinnen könnten, wenn
sie auf solche Unmittelbarkeit verzichteten. Ein Astronom, der nicht mehr nach
oben sieht - das ist der Gegentyp zu dem in der Komödie verspotteten Sokrates
ebenso wie zu dem von der thrakischen Magd ausgelachten Thales, aber auch zu
allem, was die Verspottenden und Lachenden an ihrem 'Realismus' jemals ernst
genommen hätten. Dennoch ist es, in einem unerwarteten Sinne, eine Figur mit
Zukunft.
Die Entfernung der 'wahren Astronomie' Platos vom Realismus der Astrono-
mie seiner Zeit stellt in nochmaliger Steigerung die Konfiguration der Thales-
Anekdote wieder her. Wenn schon der Philosoph, der es sich an der Anschauung
des sichtbaren Sternenhimmels genug sein läßt, das Gelächter des handgemeinen
Verstandes wegen solcher Weltentfremdung erregt, dann muß dies mit noch
größerer Vehemenz und realistischer Plausibilität dem Platoniker widerfahren,
der nicht nur einen anderen Sternenhimmel postuliert, sondern sogar eine 'wahre
Erde', auf der er so offenkundig nicht stehen und in deren Abgründe er nicht ein-
mal fallen kann. Für Plato freilich rechtfertigt das Wahrheitsversprechen der
idealen Wissenschaft jede Weltentfremdung und das Risiko des Gelächters derer,
die nur zugestehen müßten, sie könnten von der Art überhaupt nichts sehen.
Jetzt gibt es keinen 'höheren Standpunkt' der Vermittlung mehr, von dem aus
das unverständige Gelächter nochmals begreiflich werden könnte. Aber, was die
Magd gegenüber dem 'wahren Astronomen' endgültig ins Unrecht gesetzt hätte,
diese vermeintliche Unanfechtbarkeit der Wahrheit, die nicht mehr alle sehen
können, ist zugleich eine Sackgasse der Wissenschaftsgeschichte.
Denn in ironischer Weise sollte die thrakische Magd nicht nur mit ihrem Ge-
lächter, sondern auch mit ihrem Vorwurf recht bekommen, dem Philosophen, der
die Phänomene des Himmels zu ergründen trachte, bleibe dabei verborgen, was in
seiner Nähe und vor seinen Füßen liegt. Die Philosophenschelte der Magd wieder-
holt sich bei dem astronomischen Reformator Kopernikus, wenn er dem geozen-
trischen System der Tradition vorwerfen wird, es lasse im Blick auf das Entfernte
das Nächstliegende übersehen, nämlich im Blick auf die Himmelskörper die Erde,
insofern auch sie Himmelskörper ist. Das Verhalten (habitudo) der Erde zum
Sternenhimmel müsse vor allem anderen beachtet werden, weil die Erde unser Be-
obachtungsstandort ist (nobis a terra speetantibus) und sich daraus all das ergebe,
was in der Optik gelehrt wird (ut in Optieis est demonstratum). Die Fesselung
durch das Erhabene (exeelsissima) lenke ab vom Nächstliegenden (nobis pro-
xima) und verleite zu dem Irrtum, den Himmelskörpern beizulegen, was Eigen-
schaft der Erde ist (nee ( ...) quae telluris sint, attribuamus caelestibusp·. Das
liest sich wie eine Reminiszenz des Humanisten Kopernikus an die Phrase der
thrakischen Magd. Die kopernikanische Wendung ist zuerst eine des Blickes; sie
hat ihr Stück Komik darin, daß der Wirklichkeitsbegriff der traditionellen Astro-
nomie und ihres Platonismus - die Richtung dorthin, wo sich ihre Phänomene
I. Kopcrnikus. De reflolut;on;bus I 4.
DER STURZ DES PROTOPHILOSOPHEN 21
halten, weil die vor ihren Augen sich aus dem Mythos erhebende Theorie so über-
aus erfolgreich war, sondern weil sie nicht einmal das ihr Nächstliegende, die
listige Praxis, verstanden hatte? Die Schadenfrohe wäre die Geprellte gewesen,
wenn ihr Spott über den in den Brunnen gefallenen Protophilosophen ein dum-
mes und voreiliges Mißverständnis gewesen wäre, dann nämlich, wenn der Mann
im Brunnen nur den günstigsten Standort für seine theoretische Absicht gewählt
gehabt hätte und nicht beim ohnehin unzweckmäßigen astronomischen Rund-
gang in den Brunnen gefallen, sondern in ihn hinabgestiegen wäre, um hier seine
Beobachtungen zu betreiben. Die Magd hätte ihn dann nicht bei Nacht stürzen,son-
dem am Tage sitzen gesehen. Die optischen Vorteile der engen öffnung des Zister-
nenschachtes bei Ortsbestimmungen heller Sterne am Mittagshimmel waren im
Altertum durchaus bekannti'. Es ist diese unverhoffte Wendung der Realismen,
diese Vertauschung der Superiorität im Wirklichkeitsbegriff, was das Attribut des
Komischen zu einem unstetigen, umschlagenden, ablösungsfähigen macht - und
die 'komische Figur' als professionelle Trägerin des Attributs zur schwächsten
Ausprägung seiner Qualität.
Die Zisterne (phrear) allerdings kann am archaischen Bestand der Anekdote
nicht beseitigt oder abgeschwächt werden; sie ist dem äsopischen und dem plato-
nischen Text gemeinsam, während in der sonstigen überlieferung bei Diogenes
Laertius mit bothros und bei Stobaeus mit barathron durchaus unspezifische Ver-
tiefungen vorkommen. Man fällt dortzulande nicht so leicht in eine Zisterne, mag
man auch noch so unverwandt den Himmel betrachten. Auch das mag die späte-
ren Tradenten zu vageren Bezeichnungen des Unfallortes bewogen haben. Um so
solider ist der Verdacht, es könnte im historischen Kern der Geschichte eben jenes
Unverständnis gegenüber dem auf dem Grunde des Schachtes die Gunst der
Position ausnutzenden Beobachter im Spiele gewesen sein.
Wie lange noch, nach Platos Vollendung der äsopischen Fabel, lacht die thra-
kische Magd? Vergessen wir nicht, daß Plato einen noch unkonsolidierten Status
der reinen Theorie vor Augen hatte. Erst er selbst - längst weit entfernt von sei-
nem Lehrer Sokrates und dessen Abwendung von allem, was über uns ist - sollte
doch zur anerkannten Ernsthaftigkeit der reinen Theorie beitragen wie kein
anderer. Sokrates hatte noch in seiner Person das Recht beider verteidigt, das
der lachenden Magd und das des verlachten Theoretikers. Zwar lachen Simmias
und Kebes in der Todeszelle des Sokrates nicht, nicht einmal Xanthippe. Aber
der Sache nach könnten, ja müßten sie ihren Begriff von Wirklichkeit und ihren
demgemäßen 'Realismus' so äußern. Denn was sie sehen, ist nichts anderes als was
die thrakische Magd sah: daß da einer mit dem Blick zum Himmel, diesmal zu
dem der Begriffe und Tugendnormen, und dennoch sehenden Auges in den Ab-
grund stürzt, um niemals wiederzukehren. Wenn einmal die Geltung der reinen
I' M. Landmann u. J. O. Fleckenstein, Tagesbeobac:htungen von Sternen im Altenum - EiDe
philosophisch-astronomiegesc:hic:hdic:he Rekonstruktion der Thalesanekdote, Plato Thrllrttt
t 74 A, in Virrtrljahresschri!l der Nllt"r/orsch. Ges. 88 (Zürich 1943) 98-tt 2.
DER. STUllZ DES PR.OTOPHILOSOPHEN 23
Theorie und ihrer Gegenstände konsolidiert ist, ist einiges nicht weiter zu-
lässig: aus der Rezeption der Anekdote verschwindet das Lachen, der Brunnen
verschwindet, die junge hübsche Magd wird zur alten Vettel, Sorge breitet sich
aus, der Abgrund wird zum Sündenpfuhl, das Interesse am Gestirn muß indirekt
das der astrologischen Neugierde auf die ZukunA: werden. Die reine Theorie kann
nicht mehr komisch sein, sobald sie professionell geworden ist, lange bevor sie
Scharen von Beamten ernähn und Potentiale für den Wettbewerb der Völker
und Systeme bereitstellt. Erst wenn einer beansprucht, außerhalb der sanktio-
nierten Disziplinen von dem 'ganz anderen' zu sprechen, wie vom 'Sein', beruA:
er sich wieder auf das Lachen der Magd als Symptom eines nur ihm gewissen,
aber erst kommenden Rechtes. Die Lächerlichkeit des reinen Theoretikers beruht
nicht so sehr darauf, daß er es nicht mit 'der Realität' zu tun hätte, sondern daß
er die Konkurrenz der Realitäten nicht wahrnimmt oder nicht wahrhaben will.
Komik entsteht in der Interferenz einer Lebenswelt mit einer anderen und ihrer
'Rücksichtslosigkeit' gegeneinander.
Diogenes Laenius, der Philosophenbiograph des dritten nachchristlichen Jahr-
hunderts, erzählt die Anekdote schon so, daß sie der aktuellen Diskussion über
die Welt fremdheit des Philosophen entrückt zu sein scheint. Nicht während er
die Sterne beobachtet, fällt Thales in einen Brunnen, sondern als er das Haus
verläßt, um zur Sternbeobachtung auszugehen, stürzt er in eine Grube. Eine
alte Frau, die ihn begleitet und die keinerlei nähere Charakteristik erfähn, ruf\:
dem Aufschreienden zu: "Thales, du kannst nicht sehen, was vor deinen Füßen
liegt, glaubst aber, du könntest die Dinge am Himmel erkennen?- Nimmt man
ein Epigramm hinzu, das Diogenes als eigenes in die Vita des Thales eingerückt
hat und in dem er der Gottheit für den Tod des Philosophen dankt, weil sie ihn
dadurch in die Nähe der Gegenstände entrückt habe, die er von der Erde her
nicht mehr habe erblicken können, so evozien diese Konfiguration weniger den
stolzen Himmelsbetrachter als den nahezu erblindeten; besessen von seinem theo-
retischen Drang, findet er nur noch das Mitleid, kaum den Hohn, einer alten
Frau 17.
Demgegenüber ist die noch spätere Fassung im Florilegium des Stobaeus aus
dem fünA:en Jahrhunden eher konservativ. Sie hat zwar die thrakische Magd,
aber nicht mehr ihr Gelächter, sondern nur den sich hier eher pedantisch anhören-
den Ausspruch, es geschehe dem so nur recht, der keine Ahnung von den Dingen
vor seinen Füßen habe und die Dinge am Himmel betrachte 18. In solcher Beleh-
rung ist sowohl die Komik der frühen als auch die Tragik der späten Fassung zur
Unkenntlichkeit nivelliert. Das macht im Reflex die Eigenart der Version bei
Diogenes Laertius noch spürbarer, ihren tragischen Zug, der jeden Spott einer
Umwelt bedeutungslos erscheinen ließe.
Nun haben wir die Anekdote in dem Werk des Diogenes Laertius noch in einer
17 Diogenes Laenius I 34: I 39.
18 Stobaeus. FloriJ~g;"m. hg. C. Gesner. S. 420.
24 HANS BLUMENBERG
11
Es ist schwer vorstellbar, daß die Autoren der christlichen Epoche die Thales-
Anekdote aufnehmen, um den Betrachter des Himmels durch seinen Sturz an die
Wichtigkeit dessen erinnert werden zu lassen, was vor seinen Füßen liegt - also
die Konkurrenz des Himmlischen und des Irdischen unsanft zugunsten der hiesigen
Angelegenheiten ausgehen zu lassen. Ihnen muß der Himmelsbetrachter eher zu
vordergründig verfahren sein, ans sichtbare Gestirn verfallen statt der Gottheit
dahinter ergeben, aber doch in der Richtung vom Nächstliegenden fort zur Tran-
szendenz hin auf dem rechten Wege. Der Sturz wäre dann der dessen, der nicht
hoch genug hinaus gewollt hatte, der am paganen Vordergrund der kosmischen
Innenfläche zum Stillstand gekommen wäre und die Transzendenz verfehlt hätte.
Aber der Himmelsbetrachter ist auch verdächtig geworden, sich selbst zum Inbe-
griff seiner Absichten erheben zu wollen, so wie die Mystik der anschauenden
Adäquation den seligen Beschauer der Gottheit dieser ähnlich werden läßt. Der
Himmelsbetrachter stürzt, weil er sich unrechtmäßigen Zugang zur Sphäre seines
Verlangens zu verschaffen scheint. Statt den Gnadenweg zu gehen, betreibt er
Transpositionsmagie.
Philo von Alexandria ermahnt alle, die mit der Astronomie Chaldäas sich
eingelassen haben oder einlassen wollen, vom Himmel wieder herabzukommen 11.
Das ist nicht nur ein rhetorisches Element, sondern Ausdruck des Verdachts auf
die im Rücken der Theorie lebendige und lauernde Gefahr der Magie. Augustin
sollte diesen Verdacht für die mittelalterliche Tradition formulieren, wenn er den
Astronomen, als den ihrer Disziplin innewohnenden Anspruch, unterstellt, daß
sie theoretisch schon erreicht zu haben vermeinen, was doch nur durch die neue
Heilspraxis gewonnen werden kann, ut in ipso coelo, de quo saepe disputant,
sibimet habitare videantur l l • Der Vorwurf der Transpositionsmagie nimmt vor-
weg, daß der irdische Beobachter des Sternenhimmels seinen Standort nicht mehr
als den natürlichen hinzunehmen vermag, daß er sich auf den systematisch aus-
gezeichneten Blickpunkt im Zentrum der Bewegungen versetzen muß. Der ima-
ginäre Standort ist das gedankenexperimentelle Mittel der Astronomie, ihre per-
spektivischen Illusionen zu durchdringen. Für die Aufklärung wird es das Schema
zur Erforschung der Menschenwelt, wie es Voltaire in der Einleitung zum Traite
de Metaphysique gefordert hat: man müsse die Sphäre der Interessen und Vor-
urteile des Menschen verlassen, um den Menschen zu sehen, als betrachte man ihn
aus der Perspektive des Mars oder des Jupiter, wie er als Kopernikaner die
Phänomene des Planetensystems sehen müsse, comme si j'etais dans le soleil.
Von den patristischen Autoren hat nur Eusebius die Thales-Anekdote voll-
ständig in der Fassung überliefert, in der sie sich im Theaetet Platos findet, und
auch die Auslegung auf die Welt fremdheit des Philosophen übernommenu. Der
angestrengte Nachweis literarischer Kennerschaft hindert den Apologeten daran,
die geringste Verformung am überlieferten Textbestand vorzunehmen; das ist
gute alexandrinische Schule des gelehrten vierten Jahrhunderts. Ganz anders ein
Jahrhundert zuvor am Beginn der lateinischen Apologetik die Gewaltsamkeit
Tenullians: ihm erscheinen die griechischen Philosophen als Patriarchen der
Häretikeri•. Am Protophilosophen Thales wird mit dem Brunnensturz ein an die
Wurzel des übels gehendes Exempel statuiert. Tertullian schlägt nicht den Weg
der literarisch gebildeten Apologie ein; jedenfalls möchte er sich nicht das Ansehen
geben, den Wahrheitsbeweis für das Christentum aus den heidnischen Quellen
führen zu wollen. Er braucht den Philosophen nicht, und es hätte ganz auf seiner
Linie gelegen, die philosophische WelteinsteIlung gleichsam vom Standpunkt der
thrakischen Magd aus zu verspotten. Die Thrakerin nimmt Tenullians 'schlidtte
Seele' vorweg, seine anima idiotiea, die er mit dem Testimonium animae in
die apologetische Rhetorik eingeführt hat. Er hat diese Gelegenheit nicht wahr-
genommen. Vielleicht lag es daran, daß Tenullian gegen seinen juristischen Be-
rufsgenossen und apologetischen Rivalen Minucius Felix so etwas wie ein Kon-
trastbild der antiken Philosophie aufzubauen suchte. So hatte Minucius Felix
über Thales von Milet in beabsichtigter Doppeldeutigkeit geschrieben, er sei als
erster zu nennen, weil er als erster von allen die himmlischen Gegenstände erörtert
habeU. Genau diese weiche Unbestimmtheit des Gegenstandes, dem sich der erste
Philosoph zugewandt hatte, läßt Tenullian nicht zu. Für ihn liegt eine der Wur-
zeln des paganen Polytheismus in der Vergötterung der Gestirne. Man müsse
hinausgehen über das Sichtbare auf den artifex et arbiter motus, denn es sei
keineswegs etwas deshalb nicht vorhanden, weil wir es als das uns Unsichtbare
nicht für vorhanden halten. Im Gegenteil müsse um so höher hinauf erforscht
werden, was unsichtbar ist, damit wir wissen können, was das Sichtbare ist:
Immo, eo altius in'Vestigandum est quod non 'Videatur, ut quod 'Videatur, quale
sit, seire possimus. Das ist die entscheidende These: nicht nur das Sichtbare
leistet Dienste zur Hinführung auf die Transzendenz, sondern die dahinter-
stehende Größe, der motator eaelestium re rum, ist auch eine Bedingung für
die Möglichkeit der Erkenntnis der sichtbaren Welt". Nur so wird die Agitation
gegen den Protophilosophen als ein adäquater Vorwurf erfaßbar.
Tenullian hat als einziger in der überlieferung der Thales-Anekdote die
exotische Variante, daß es ein Kgypter war, der den in die Zisterne gestürzten
Philosophen kräftig ausgelacht habe. Mit Recht sei Thales von Milet, als er den
ganzen Himmel mit den Augen durchprüfte und durchwanderte, schmählich in
einen Brunnen gestürzt und von jenem Kgypter reichlich ausgelacht worden, der
ZU ihm gesagt habe: glaubst du noch, daß der Himmel dir zur Anschauung gege-
ben ist, da du doch auf der Erde nichts zu sehen vermagst? So kennzeichne der
Sturz des Thales im Bilde die Philosophen als diejenigen, die ihre stumpfsinnige
Neugierde auf die Gegenstände der Natur richten, anstatt zuerst auf deren Ur-
heber und Lenker, und die daher ins Leere greifen werden 17. Wie kommt der
Ägypter in die Konfiguration? Bei Tertullian tauchen die Ägypter kurz zuvor im
Text auf als diejenigen, die den Fehler der Vergötterung der Gestirne wegen ihrer
Selbstbeweglichkeit (per se mobilia) in noch plumperer Form als die Vergötterung
der Tiere verübt hätten. Aber in der von Tenullian gegebenen Variante der
Thales-Anekdote steht der Xgypter als der traditionelle Typus der uralten Weis-
heit dem Griechen als dem Typus des Vorwitzes gegenüber. Aus ltgypten sollte
Thales seine geometrischen und astronomischen Lehren bezogen haben, und Ter-
tullian mochte beabsichtigen, die Autorität des Lehrers gegen die Unreife des
Schülers auszuspielen. Die obligatorischen Reisen der griechischen Philosophen
nach Ägypten sind den christlichen Apologeten schon deshalb venraut und an-
genehm, weil sie Bestätigungen für die Behauptung bieten, die griechische Ver-
nunft: sei Impongut und in wesentlichen Punkten aus den Schriften des Moses
durch ägyptische Kenner vermittelt. Wenn Tertullian aus der thrakischen Magd
einen Ägypter machte, so wohl deshalb, weil er keine Figur brauchen konnte, die
den Astronomen vom niederen Stand punkt des Realismus her betrachtete und
verlachte, sondern eine solche benötigte, die den Beginn der Philosophie 'vom
höheren Standpunkt aus' zu kritisieren vermochte. Der weise ltgypter nämlich,
das ist stehende Typik, ist ein Priester, welches auch immer seine Götter gewesen
sein mögen und was gerade eben über diese gesagt sein mochte. Lachte die Magd
der antiken Fabel, weil Thales zu hoch gegriffen hatte, so lacht Tertullians ltgyp-
ter, weil Thales nicht hoch genug gegriffen hatte. Nach oben hätte der Geist sich
wenden müssen von seiner Stellung in der Welt her, nicht hinab ins Ungewisse:
Sursum mens ascenJere debuit de statu mundi, non in incerta descendere.
Lachhaft: ist in der Spätzeit der griechischen Philosophie, die Thales begründet
hatte, noch Epikur, der trotz seines Ausspruches, es sei das, was über uns ist, nichts
für uns, den Himmel einer Untersuchung zu unterziehen wünschte und dabei die
Größe der Sonne als die eines Fußes bestimmte. Dem fügt Tertullian nur hinzu,
es sei eben Anspruchslosigkeit auch am Himmel ljrugalitas et in caelis) geübt
worden!8.
17 Atltl~'s"s ""tion~s 11",18-19: Mento ergo Milesius Tbales. dum totum aelum examinat et
ambulat oculis. in puteum cecidit turpiter, multum inrisus Aegyptio illi: 'in terra', inquit, 'nihil
perspicicns aelum tibi spcculandum existimas?' Itaque casus cius per 6guram philosophos
notat, scilicct cos, qui stupidam excrccant curiositatem, in res naturae quam priu, in ani6cem
eius ct pracsidem, in vacuum laborandum habituros.
18 Atltl~'s"s 1UIt;on~s 11 .., 13; 15. - Bei Origenes, Contra CtlsNm 111 19, wird zu lesen sein, Cel-
sus habe den Christen vorgeworfen, sie laenten zu Unrecht über die 1Ilgypter und ihre Tierver-
göuerung, weil sie die Geheimlehre nicht kennten, daß dies in Wahrheit der Kult der ewigCD
Ideen sei.
28 HANS BLUMENBEIlG
Anekdote unversehens selbst die Rolle der thrakischen Magd übernommen hat.
Die Anspielung auf ihre Verspottung des Thales wirkt wie eine selbstverständliche
Assoziation innerhalb dieses Rahmens einer barbarischen Griechenbeschimpfung,
die von der Sprache und Dichtung bis zur Philosophie reicht. Dabei gibt es La-
chen, Lachen über die, die noch immer der Lehre des Aristoteles anhängen, daß es
für die Dinge unterhalb der Mondsphäre keine Vorsehung gebe. Diese selben
Leute, der Erde näher als dem Mond und tiefer als seine Bahn, spielten ihrerseits
don die Vorsehung, wo sie die Vorsehung leugnen, wie Aristoteles selbst es ge-
tan habe, wenn er sagt, daß es für den kein Glück gibt, dem Schönheit, Reichtum,
Körperkraft und Adel versagt sind. Tatians polemische Antithese lautet, daß der
auf die Bewegung der Himmelssphären eingeschränkte kosmische Gott der alten
Philosophie die Willkür der natürlichen Glücksbedingungen für den Menschen
zur Folge hatte. Die Unbekümmertheit des Philosophen um das mögliche Glück
aller nicht gelten zu lassen, ist der Sinn der Anspielung auf die Thales-Anekdote.
Das geht überraschend so weit, daß noch die Frage nach Gott in die Beschimpfung
der Philosophen einbezogen wird als Inbegriff ihrer Abwendung vom Mensch-
lichen. Der Sturz in die Grube ist aus dem Aspekt der cbarbarischen Philosophie'
radikalisiert: -Ihr forscht danach, wer der Gott sei; dessen, was in euch selbst ist,
seid ihr unkundig. Ihr begafft mit offenem Munde den Himmel und fallt dabei
in die Gruben.· 11 Tatian gehön zu den wenigen patristischen Autoren, bei denen
ein Lachen, wenn auch ein grimmiges, gelegentlich mitzuhören ist. Sonst galt wohl
als exemplarisch, was Johannes Chrysostomus von Jesus behauptet hatte, er habe
nie gelacht. Aber hatte Thales das getan? Oder war es das Privileg der Magd?
Anspielung auf die Thales-Anekdote ist auch don zu vermuten, wo von der
Selbsterhöhung durch Theorie und dem ihr folgenden Sturz in die Tiefe gespro-
chen wird. So ist bei Irenaeus von jenen Suchenden die Rede, die immer noch etwas
mehr als die Wahrheit finden zu können glauben und schließlich bei solchem Su-
chen in die verborgene Grube der Unwissenheit stürzen: ... juste cadent in sub-
latentem ignorantiae /O'lJeam, semper quaerentes, et nunquam verum invenien-
tes (... ) 11. Bei Augustin gibt es in den Bekenntnissen die Stelle, an der er von den
Wißbegierigen spricht, die sich unter die Sterne versetzt und erleuchtet glauben
und gerade deshalb auf die Erde herab stürzen: ... putant se excelsos esse cum
sideribus et lueidos; et ecce ruerunt in te"am (... ) aa.
Mit der Erneuerung antiker Philosophie im 11.Jahrhunden ist der Konflikt
um das theoretische Wissensinteresse wieder da und mit ihm die Figur des ge-
stürzten Himmelsbetrachters, diesmal auf der Seite der theologischen Reaktion
gegen die neue Dialektik. Bei dem Zusammenstoß zwischen dem antik-philoso-
phischen und dem biblisch-theologischen Element der sich formierenden Scholastik
kann, gehört in den Bereich dessen, was nur mit den Mitteln der Sprache hervor-
gebracht wird und in die Gesetzmäßigkeit der Sprache eingeschlossen bleibt, weil
es der darin enthaltenen Zeitbedingung der Gleichzeitigkeit bedarf. Das ist wohl
die Verbindung, die auf die Figur des Sternkunde treibenden Philosophen hin-
führt, der die menschliche Anmaßung repräsentiert und dessen Sturz in den
schlammigen Brunnen (in limosum repente lapsus est puteum) jenseits der Gro-
teske des Weltfremden die Züge der Niederwerfung des Dämonischen annimmt.
Merkwürdig und zu eigentümlicher Würde herausgehoben ist die Gestalt der
Magd, die hier nicht mehr spottet und lacht, sondern den Sturz ihres Herrn und
die Lehre daraus dichterisch ausspricht (poetata est). Wenn ihr Name lambi
ausdrücklich genannt und von ihm das Versmaß hergeleitet wird, so daß dem
ersten Philosophen die Erfinderin eines poetischen Stilmittels zugeordnet ist, wird
man dies zwar einer unbekannten antiken Tradition zuschreiben müssen, aber
auch als Aufwertung der gegenüber der Philosophie nicht mehr als töricht erschei-
nenden Frau begreifen können, die auf diese Weise das Unheil ihres Herrn ein-
dringlich und eingängig bekannt macht, um die zu warnen, die das Maß ihrer
Fassungskraft überschreiten: Dominus meus ignorabat id quod sub pedibus eius
iacebat vile lutum, et investigare tentabat arcana coelorum."
Der Verfasser des Allmachtstraktates hat noch in anderem Zusammenhang die
Thales-Anekdote eingeführt. Der Kardinal Petrus Damiani beklagt sich in einem
Sendschreiben an den Erzbischof Andreas und andere über die grobschlächtige
und verleumderische Verwendung eigener Predigtaussprüche. Hier müsse man
mit groben Mitteln (rustice) auffahren. Um diese Situation zu illustrieren, führt
der Briefschreiber eine ausgeschmückte Version des Philosophensturzes ein: Als ein
Philosoph nachts die Bahnen der Planeten und den Lauf der Sterne sorgfältig
beobachtete, stürzte er unversehens in eine Grube, die, wie es heißt, ungeheuer
~ief klaffte und von ekelhaftem Schmutz starrte. Dieser Philosoph nun hatte eine
Hausmagd namens lambe, die ihren Herrn freimütig und gescheit (libere ac
prudenter) mit jambischem Versmaß (das später nach ihr so genannt wurde)
angriff und über ihn, was Beifall verdient (plausibiliter), sagte: Dominus,
inquit, meus ignorabat stereora, quae sub eius pedibus erant, et nosse tentabat
5idera. Die Anwendung, die der Kardinal Petrus Damiani aus der mit dem
Gegensatz von Kot und Sternen drastisch übersteigerten Szene zieht, ist befremd-
lich und eigentümlich doppeldeutig, so daß man auf die Oberleitung hin, solches
geschehe "auch in unseren Tagen·, zunächst das Unverständnis der Magd gegenüber
dem hohen Anspruch des Philosophen getroffen glaubt, obwohl sie eben noch
gelobt worden war. Aber was der Kardinal in einer rüden Wendung angreift,
ist die Theologie der Unwissenden, jener rustici, die fast nur gelernt haben, das
Land zu pflügen, die Schweine und die Pferche weidender Tiere zu bewachen,
" D~ Ji"iruJ omnipotmtÜl 12: AnimadveRant boc, qui modum suae capacitatis excedunt. ee ad
ea, quae super se 1UDt. superbe tenuoda prorumpuot (•••). Zum FolIenden: Epist. 5,1; PL
144,337 A.
32 HANS BLUMENBERG
und doch nimt davor zurücksmeuen, an Wegkreuzungen und auf den Straßen
vor Weibern und Mitknedtten über den Sinn der Heiligen Schriften zu disputie-
ren, ja, so schim.pflim es zu sagen ist, die ganze Namt zwisdten Weibersmen-
keln verbringen und sim tags nimt smeuen, von den Gesprämen der Engel
zu handeln und auf diese Weise über die Worte der heiligen Lehrer zu entsmei-
den. In der Erregung smöner Nämstenliebe gegenüber den mißbräumlimen Be-
nutzern seiner Worte hat der Kardinal das Muster der Anekdote so aus dem
Auge verloren, daß er seinen Adressaten smuldig bleibt, wie er den Sturz des
Philosophen nam der Himmelsbetramtung vergleimen will mit der umgekehrten
Reihenfolge bei denen, die nam ihrem niederen Tage- und Namtwerk sim zu den
Gesprämen der Engel erheben wollen.
In beiden Fällen des Gebraums, den Petrus Damiani von der Anekdote mamt,
ist ihre Verformung deutlim erkennbar, indem den unbestimmten Geheimnissen
des Himmels, für die der Lauf der Gestirne nur nom metaphorisch zu stehen
smeint, nimt das Irdisme als die nächstliegende und verbindlime, zur Lebenstüm-
tigkeit gehörende Realität konfrontiert wird, sondern der gemeine Smmutz, in
den derjenige gestürzt wird, der sim mit dem Offenbarungsangebot in unmittel-
barer oder mittelbarer Zugänglidtkeit nimt zufrieden gibt. Realismus genügt hier
nimt, und gerade dieser Umstand läßt die Figur der Magd angesichts des beson-
ders abstoßend dargestellten Sturzes des Philosophen eigentümlich überflüssig
werden, so daß sie eine ganz heterogene Funktion zusätzlich übernehmen muß,
um überhaupt nom eine Rolle zu behalten. Der zu den Sternen aufblickende Philo-
soph endet im Sdtmutz der Erde - es ist kein Stern, auf dessen Boden er steht.
Aum diese Implikation der vorkopernikanischen Kosmologie, die die Erde zum
Bodensatz des Weltalls gemamt hatte, bringt sich in dieser Oberzeichnung der
Anekdote zur Geltung.
Die wimtigste Variante der Thales-Anekdote in der mittelalterlimen Rezep-
tion ist die Einführung des astrologischen Zukunflsbezuges. Auf die Bezeimnung
der Profession kommt es dabei nimt an; das Mittelalter hat trotz der von Petrus
Hispanus vorgenommenen Unterscheidung Astrologie weitgehend synonym mit
Astronomie verwendet. übrigens verständlicherweise, denn die Ausübung dieser
Kunst war nur die Voraussetzung für die mögliche Nutzung jener Fertigkeit.
Aber nun wird der Astronom, dem die Gegenstände der räumlichen Feme das
Verhältnis zu denen der irdismen Nähe verwirren, in einem spezifischen Sinne
zum Astrologen, sobald es das Interesse an der zeitlichen Feme der Zukunft ist,
das den Umgang mit den Realitäten der zeitlichen Nähe der Gegenwart verstört.
Man sollte denken, die Ersetzung der Richtung auf räumliche Feme durch die
auf zeitliche sei im Zusammenhang des christlimen Systems eine Verschärfung des
auf die Thales-Figur gesetzten Tadels. Das mag für das einzelne literarische
Dokument zutreffen, aber kaum für die weitergreifende Charakteristik der Epo-
che. Die Toleranz gegenüber der Astrologie als einer in der triebhaften Unter-
gründigkeit fundierten Befriedigung unausrottbarer Bedürfnisse war größer als
DER STURZ DES PROTOPHILOSOPHEN 33
die gegenüber dem eher als anmaßend empfundenen und den elementaren Da-
seinsbesorgnissen fremden theoretischen Anspruch. Der übergang vom astrono-
mischen Raumbezug zum astrologischen Zeitbezug ist noch dort erkennbar, wo
erst in der angehängten 'Moral' der Geschichte die Anwendung auf die Astrologie
gemacht wird.
So in der 1520 in Venedig gedruckten Fabelsammlung des Gaspar Schober,
in der der namenlose Astronom auf sein Hilfegeschrei von einem ebenso namen-
losen Wanderer (die Magd ist verschwunden, wie bei Stobaeus) im Brunnen ge-
funden und mit den Worten beklagt wird: Heus inquit, tu qllae in caelo sunt
conspicari conatus quae in terra et prope pedibus sunt non cemis. Das ist noch
ganz der antike Tenor. Aber dann folgt die Lehre aus der Fabel, die bedeute,
daß die meisten sich der Erkenntnis der Zukunft gerade dann rühmten, wenn sie
über das Gegenwärtige nicht Bescheid wissen: Fabula innuit quod plerique, quom
praesentia nesciant, futura cognoscere gloriantur. S6
Chaucer hat die Anekdote in ihrer anonymen Fabelform aus dem .ruop
schon im 14.Jahrhundert in seinen Canterbury Tales unter Wahrung ihrer pole-
mischen Stoßrichtung verwendet. Auf die hochgestochene, aus antiken und höfi-
schen Elementen anachronistisch gemischte Erzählung des Ritters folgt in der
Stellenfunktion des burlesken Kontrastes die Geschichte des der Pilgergesellschafl
betrunken folgenden Müllers. Sie handelt von einem Oxforder Zimmermann
und seiner sehr jungen Frau, die in ihrem Hause eine Kammer an einen Studenten
vermietet haben - mit den unausbleiblichen Folgen. Dieser arme Student, genannt
der 'feine Nicolas', zeichnet sich aber nicht nur durch seine Schwäche für heimliche
Liebesabenteuer aus, sondern auch durch die Leidenschaft für die Astrologie, die
ihm auf alle nur möglichen Fragen eine Antwort vermittelt und deren Instrumen-
tarium, Almagest, Rechengerät und Astrolabium, er in seiner Dachstube verwahrt.
Das amouröse und das astrologische Element der Novelle werden kunstvoll nach
dem Motto des Prologs miteinander verflochten: -Ein Mann sollte seine Nase
nicht zu tief in Gottes Geheimnisse stecken und auch nicht in die Geheimnisse sei-
ner Frau, denn wer viel fragt, kriegt viele Antworten." Es ist das Motiv der
curiositas, das hier Astrologie und Erotik parallelisiert. Insofern ist der Astrolog
der Doppelgänger des erotischen Helden. Sein astrologischer Nimbus verhilft dem
Studenten dazu, dem Zimmermann die Vorhersage einer neuen Sintflut aufzu-
schwatzen. Als er diese Irreführung mit der geschickten Inszenierung eines erstarrt
auf die Unheilszeichen am Himmel blickenden Astrologen einleitet, erweckt das
Bild in dem schlichten Gemüt des Zimmermanns Befürchtungen, die sich an der
Konfiguration des antiken Astronomen und seines Sturzes artikulieren: -Das
mußte ja einmal kommen! Man soll eben nicht versuchen, dem lieben Gott über
die Schulter zu schauen. Da lob ich mir den schlichten Mann, der fromm in seinem
16 Atsop; Phr"is Fu"lat CCVl11 t Grlluo in uti""m CO"fJtrSllt, Venetiis 1520. Fab. XIII:
Dt Astrologo tt tlÜltort. Consuevit quispiam siderum corporumque sublimium contempl:uor
singulis diebus prima nocte sidera et caelum suspicere et meatus eius diligeDter explorare C•••).
34 HANS BLUMENBERG
Glauben lebt. Jetzt geht's ihm wie dem anderen Astrologen: Der ging einst über
das Feld und starrte in die Sterne, um die Zukunft vorauszusehen. Da fiel er in
eine Mistgrube - die hatte er leider nicht vorausgesehen." H
Betrachtet man den Gang der Geschichte des betrunkenen Müllers, so behält
die an die Thales-Konfiguration gebundene Vorhersage des Zimmermanns recht
gegen die astrologischen Schliche des Nicolas. Es ist noch einmal der Reflex des
Gelächters der thrakischen Magd, die nicht erwähnt wird, weil der Zimmermann
selbst gegenüber dem am Ende geprellten Astrologen ihre Stelle eingenommen hat.
Bei aller Leichtgläubigkeit gegenüber dem, was ihm zugemutet wird, ist der Zim-
mermann hier wie die Magd dort der Vertreter eines von illusionären Blidtrich-
tungen freien Realismus: Die Erde ist, entgegen dem Dogma der Tradition vom
höheren Rang der Gestirne, die höhere Realität. Denn Realität ist das, was zwar
übersehen werden kann, sich dann aber um so schmerzlicher als unübergehbar
meldet und zur Geltung bringt. Die Bedingung dessen, daß wir den Himmel be-
trachten können, ist die Erde unter unseren Füßen. Kopernikus wird finden, daß
sie auch Bedingung für das ist, was uns bei der Betrachtung des Himmels zur Er-
scheinung wird.
Die Figuration des Astronomen, der bei der Erforschung der Sterne in den
Brunnen stürzt, scheint zur Verbildlichung der Anmaßung des Astrologen, der in
die Zukunft sehen will, gelegentlich zu kleinräumig, zu idyllisch geworden zu sein.
Man begreift das, wenn in den Emblemen des Andre Alciat der Sturz des Astro-
logen in der Imago des Ikarus vorgestellt wird: "Ikarus fällt hinab ins Meer, weil
er sich zu hoch erhoben hat. Wer den Himmel angehen will, hat zuviel Vermes-
senheit. Nach dieser Fabel sollten sich die Astrologen hüten, daß ihre überhebliche
Untersuchung sie nicht dahin bringt, wo Gott alle Anmaßenden enden läßt. 11 17
Der Tödlichkeit dieses Sturzes ist kein spottender Zuschauer, keine Alltagsklug-
heit einer Magd kommensurabel. Der Griff nach dem größeren Bild entspricht der
Dämonisierung der astronomischen und astrologischen Neugierde, die das Mittelal-
ter vollzogen hatte. Es geht um Sünde, nicht um Torheit. Darauf zielt auch die
Wendung, die Alciat einer anderen äsopischen Fabel vom Vogelfänger und der
H Canterbllr1 Tales, bg. W. W. Skeat, London 1951, 5.462. vv.3453-3461 (dt. Detlef Droese.
Zürich 1971): I thogbte ay wel bow tbat it sbolde bel
Men sbolde not knowe of goddes privetee.
Ye. blessed be alwey a lewed man.
Tbat nogbt but only bis bileve ean!
50 ferde anotber clerk witb astromye.
He walked in the feeldes for to prye
Up-on the sterres, what ther sbolde bifalle,
Ti! be was in a marle-pit y-falle.
He saugh nat that.
:17 Les Emblemes Je Maistre Andre Ale;'t, Paris 1542. S.116f.: LUI Contre Astrolog.es:
Icarus meut dedans la mer I Par trOP grande exaltation: I Cil qui ueult le dei entamer. I Est
trap plain de presumtion: I Doncques sur ceste fiction.1 Doibuent garder les astrologues,l Que
leur baulte discußion,l Les mette ou dieu reduit tOUS rogues.
DER STURZ DES PROTOPHILOSOPHEN 35
Viper gegeben hat, die er gleichfalls auf den Astrologen deutet, der bei der Aus-
forschung der himmlischen Gegenstände und ihrer Zukunftsbedeutung die gegen-
wärtige Gefahr auf der Erde übersieht.
Die Aufspaltung der Tradition der Anekdote in einen metaphysisch-überstei-
gerten und einen moralisch-realistischen Zug ist deutlich. Die Sünde der curiositas
vollzieht sich in einer anderen Dimension als der Verstoß gegen die Regeln der
alltäglichen Praxis. Die Wiederkehr der Magd aus der philosophischen oder des
Zuschauers aus der äsopischen Tradition deutet am ehesten darauf hin, daß die
theologische Verwerflichkeit auf die moralistische Abratbarkeit zurückgeführt
wird. So wenn etwa Guicciardini der Geschichte die Moral voranstellt, daß die
Erforscher der Zukunft fast nie etwas von der Gegenwart verstehenl l• Der Verlust
an Prägnanz scheint bei der Anekdote in der Anwendung zu liegen, die zuneh-
mend auf so etwas wie die guten Lehren der Menschenkenntnis tendiert SI. In
einigen Sammlungen findet sich auch der Name des Thales wieder 40. Dabei fällt
auf, daß sich von den Elementen der Anekdote am wenigsten das der Kennzeich-
nung der Magd und ihres Spottes erhalten konnte. Das liegt sicher daran, daß
der platonische Text später Einfluß bekommen hat als der des Diogenes Laertius.
Dessen Philosophenbiographien lagen schon in einer lateinischen übersetzung des
12. oder 13. Jahrhunderts vor. Walter Burleigh hat vor der Mitte des 14. Jahr-
hunderts in seiner erstmals 1472 in Köln und danach in vielen Ausgaben gedruck-
ten Philosophiegeschichte die Fassung der Thales-Anekdote weitergegeben, die die
Tragik der Erblindung des von einer alten Frau aus dem Hause geführten Philo-
sophen andeutet 4'. Wenn es nicht eine Sache der Aufmerksamkeit und des Realis-
mus, sondern eine des Alters und der Schwäche der Sehkraft ist, daß der Himmels-
betrachter in die Grube fällt, dann ist für das Gelächter kein Raum. Die eher
überredende als spöttische Mahnung einer gleichfalls alten Frau, aus dem Miß-
11 Guieeiardini. Detti et flltti piacnJO/i et grllvi di divtrs; principi, /ilosofi, et cort;giani, Venedig
1566. S.27: I professori dei futuro. ignorar quasi sempre i1 presente. Vn'utrologo eontem-
plando. et squadrando jJ Cielo, eadde in vna fossa: jJ ehe veduto la moglie: disse: egli ti sta
e
moho bene. poi ehe tu vuoi uedere et sapere quel ehe in Cielo. et non vedi. et non sai quel
ehe tu bai innanzi a'piedi •
• 1 I. N. Neveletus. M,thologia .Aesopica, Frankfurt 1610, S.226, bat den doppelspradligen Text
ohne den Namen des Tbala: Asuologus mons id babebat, vt singulis vesperis egressus stellas
eontemplaretur. aliquando autem in suburbium cum iuisset totoque esset in eoelum animo
intentus. ignorans in puteum decidit. gementis vero et c1amantis ilIae praeteriens aliquis audita
voce. Et quod accidisset eognito ait, 6 tu, intro eoelum videre qui eonabaris, quae in terra sunt
non videbu. Die 'Moral' (adfabulatio) ist sehr unspezifiscb: In eos qui absurde gloriabundi.
ne quidem ea quae hominibus sunt obuia, praestare possunt•
• C. Banh. FIIb,""r"", .Atsopianlm libri V. Frankfun 1623. S.49: XIII. Thales. In utra dum
supema tOtus excubat I Viasque siderum exigit. I Laeu patente pon~ decidit. Thales, I Ibique
pen~ perditus, I Inepte dixit. et polos dein studes I Videre. non potens humum. Die Moral
kommt auf die Formel: Supema sae~ cogitatio eatos I ScientiA exigit sui.
41 Dt "ita et moribIU phüosophonun. bl. Hermann Knust. Tübinlen 1886. S.6: Ferturque de
ipso quod. eum nocte dueeretur extra domum a VeNIa ut aura eonsideraret, incidit in foveam.
eoque lugente. dixit vetula: 'Tu quidem. 0 Thales, que ante pedes sunt videre nequis. quo modo
que in eelis sunt passes agnoscere?·
36 HANS BLUMENBEllG
geschick die einsichtige Folgerung zu ziehen, daß die Grenzen des unternehmen-
den Willens erreicht seien, mag am ehesten als Erinnerung an die Unverträglich-
keit des theoretischen Anspruches mit der Endlichkeit des Lebens verstanden
worden sein.
Montaigne hat die Thales-Anekdote aus der atomistischen überlieferung der
Fabeln und Embleme herausgenommen und sie fest in die Konsistenz seines mora-
listischen Gefüges eingebaut. Dabei hat er eine einzigartige Variante der Anek-
dote geschaffen. Bei ihm verspottet die Magd nicht den Philosophen nach seinem
Sturz, sondern sie bringt selbst den wandelnden Beobachter des Himmels zu
Fall- und Montaigne stimmt ihrer Hinterlist zu. "Ich bin ganz einverstanden mit
der milesischen Magd, die den Philosophen Thales dabei beobachtete, wie er unab-
lässig mit der Betrachtung des Himmels beschäfl:igt war und die Augen nur nach
oben gerichtet hane, und ihm schließlich irgend etwas in den Weg warf, um ihn
zum Stolpern zu bringen und dadurch daran zu erinnern, es sei noch Zeit, seine
Gedanken mit den Gegenständen in den Wolken zu befassen, wenn er erst über
das bescheid wisse, was vor seinen Füßen liegt. Es war ein guter Rat, den sie ihm
gab, mehr auf sich selbst die Aufmerksamkeit zu richten als auf den Himmel." ~I
Der Skeptiker Montaigne will hier keine Alternative aufkommen lassen zwi-
schen Himmelsbetrachtung und Selbsterkenntnis, als sei dies eine Frage der bes-
seren Aussichten auf die Ergründung des Unbekannten, auf Erkenntnis und
Wahrheit. Für ihn ist vielmehr die Vergeblichkeit der astronomischen Anstren-
gung ein Paradigma der skeptischen Resignation. "Dennoch bringt es unsere Be-
schaffenheit mit sich, daß die Erkenntnis dessen, was wir in Händen halten, ebenso
außerhalb unserer Reichweite und ebenso über den Wolken liegt wie die der Ge-
stirne." ca Die Astronomie ist nicht der Inbegriff einer überschießenden Neugierde,
die man nur preiszugeben braucht, um sich dem zuzuwenden, was mehr als Hypo-
thesen und Vermutungen verspricht, dem Nächstliegenden also. Diese ursprüng-
liche Pointe der Thales-Anekdote ist hier verformt. Das Attentat der Magd ist
wohlgemeint, aber ihr Realismus ist nicht der des Moralisten, der in der Gestalt
des Astronomen die Prä6guration der Aussichtslosigkeit auch der Selbsterkennt-
nis sieht. Die Astronomie ist nicht der Ausnahmefall der menschlichen Erkenntnis-
situation, sondern nur das Präparat ihrer Normalität. Deshalb ist es für Montaigne
unmittelbar einleuchtend, Astronomie und Medizin - als die Disziplinen vom
Femstliegenden und Nächstliegenden - in Analogie zu setzen: für beide ist der
Gegenstand ihrer Bemühung unerreichbar, einmal nach außen, einmal nach innen.
CI Essais 1112, hg. Didot 274AB: Ie scay bon gr~ lla gane milesienne qui voyant le philosophe
Thales s'amuser continuellement 1 la eontemplation de la voulte eeleste, et tenir tousioun les
yeulx eslevez eontremont, lui meit en son passage quelque chose lle faire bruncher, pour I'ad-
vertir qu'il seroit temps d'amuser son pensement aux choses qui estoient dans les nucs, quand iI
auroit prouveu 1 eelles qui estoient 1 ses pieds: elle lui eonseilloit eertes bien de rcgarder
plustost 1 soy qu'au eie! C••• ).
~a Essais 1112,274 B: Mais nostre eondition porte que la eognoissanee de ee que nous avons entre
mains est aussi esloignee de nous, et aussi bien au dessus des nues, que celIes des astres C•••).
DER. STURZ DES PR.OTOPHILOSOPHEN 37
Diese Parallelität der Behandlung von Astronomie und Medizin muß man
beachten, um Montaignes Einverständnis mit dem Verfahren der Magd des Tha-
les nicht falsch einzuschätzen. Für beide Disziplinen gilt die Charakteristik der
im weitesten Begriff genommenen Philosophie als der Bereitstellung von Fiktio-
nen für unlösbare Probleme: ... La philosophie n'est qu'une poesie sophistique.
Die Philosophie biete uns nicht das an, was ist oder was sie dafür hält, sondern
das, was sie sich nach Anschein und Gefälligkeit zurechtmacht. Er müsse sich schon
sehr täuschen, wenn diese Wissenschaft nur einen einzigen Gegenstand richtig und
seinem Wesen nach erfaßt hätte; und er werde, wenn er von hinnen scheide, einen
Zustand noch größerer Unwissenheit zurücklassen als seine eigene es gewesen war.
Aber eben dieser Befund gilt auch für das Wissen des Menschen von dem, was ihm
am nächsten liegt, von seinem eigenen Körper. "Nicht nur zum Himmel hinauf al-
lein sendet die Philosophie ihre Seile, Haspel und Winden. Laß uns nur ein wenig
bei dem weilen, was sie von uns und unserm Körperbau sagt. Bei den Sternen und
himmlischen Körpern gibt es keine größeren Abweichungen, Annäherungen, Ent-
fernungen, Sprünge und Verfinsterungen, als sie dem armen menschlichen Körper
angedichtet hat. " U
Es ist dies nicht die Wendung, in die Kopernikus das Gelächter der thrakischen
Magd, ihren der Erde zugewandten Realismus übersetzt hat; es ist, trotz Mon-
taignes ausdrücklicher Berufung, auch nicht die sokratische Wende auf den Men-
schen: "Sokrates beim Plato sagt, man könne jedem, der sich mit der Philosophie
abgibt, eben den Vorwurf machen wie diese milesische Dime dem Thales: er sehe
nichts von dem, was ihm vor den Füßen liege; denn jeder Philosoph wisse nichts
von dem, was sein Nachbar macht, oder was in seinem eigenen Hause vorgeht,
und wäre unwissend in allem was sie beide sind, sei es Tier oder Mensch!" Es
geht nicht um den Wechsel des Themas, der gegenständlichen Richtung, sondern
um den theoretischen Anspruch als solchen, die Einstellung auf einen Gewinn von
Wissen.
Montaigne zitiert an anderer Stelle aus dem Diogenes Laertius, daß Thales auf
die Frage, was schwer sei, geantwortet habe, sich selbst zu erkennen. Dem Astro-
nomen könnte und müßte unterstellt werden, er wolle damit sagen, Selbsterkennt-
nis sei schwerer als Naturerkenntnis und demgemäß weniger zu empfehlen. Der
Skeptiker empfiehlt die umgekehrte Folgerung aus diesem Spruch, nämlich die,
Thales habe sagen wollen, die Erkenntnis des Menschen sei sehr schwer, die Er-
kenntnis von allem übrigen aber sei ihm schlechthin unmöglich". Montaigne fol-
gert seinerseits, daß die Erkenntnis der Welt, insbesondere die Kosmologie, ein
für den Menschen ganz unmögliches und aussichtsloses Unternehmen sei, er sich
selbst aber ein nicht weniger unerreichbarer Gegenstand als der Sternenhimmel.
Dafür sei die medizinische Ratlosigkeit gegenüber seinem Leib das sicherste Indiz.
U EmUs 11 12 (dt. J. J. Bode, Wien 1797, Bd. 3, S. 418).
" Ess.is 1112,285 B: Quaod Tbales mime la cognoissance de I'bomme tres dif6cile. il luy
apprend la cognoissance de toute aultre chose luy estre impossible.
38 HANS BLUMENBElG
dieser Komet steht noch nicht unter dem theoretischen Verdacht, eine gesetzliche
Bahn um die Sonne zu ziehen und daher jeder besonderen Zuordnung zum Gang
der Geschichte zu ermangeln. Von dieser Neutralisierung der Anfälligkeit für Zei-
chen konnte La Fontaine noch nichts wissen; aber seine Moral der Astrologenfabel
steht schon ganz im Dienst dieser Entschärfung des vermeintlichen Zeichens. Der
Erfolg dieser Bemühung kann trotz der weiten Verbreitung der Sammlung La
Fontaines nicht den Erwartungen entsprochen haben, denn beim nächsten Kome-
ten, dem von 1682, wurde es offenbar nötig, durch königliches Edikt allen Perso-
nen, die sich mit Astrologie und Zukunftsvorhersage beschäftigten, das Aufent-
haltsrecht in Frankreich zu verweigern. Die Statuten der Akademie der Wissen-
schafl:en müssen ausdrücklich die Aufnahme der Astrologie unter die Gegenstände
der akademischen Tätigkeit untersagen.
La Fontaines Vierzeiler, der die Anekdote lakonisch und namenlos präsentiert,
liest sich wie die Anspielung auf ein Emblem. Noch einmal fällt der Sternbetrach-
ter, ohne daß man erfährt wie, in einen Brunnen, und man sagt zu ihm - gesichts-
los und geschlechtslos, wer da spricht: • Armer Hund, kannst nicht einmal sehen,
was vor deinen Füßen ist, und denkst zu lesen, was über deinem Kopfe steht?-"
Die Anwendung dieses kargen Bildes wird nicht auf den Mann im Brunnen und
sein Metier gemacht - der erfolgreiche Scharlatan, der bis an die Höfe vorgedrun-
gen war, eignete sich wohl nicht mehr als Figur des mangelnden irdischen Realis-
mus -, sondern gilt der Mehrzahl der Menschen, die sich ihres Schicksals versichern
zu können glauben und doch in den Brunnenschacht des Zufalls oder ihrer Be-
stimmung stürzen. Die Vorsehung hat die Zukunfl nicht auf die Stirnseite des
Himmels geschrieben, denn dies würde dem Menschen keinen Nutzen bringen,
da es die unvermeidlichen übel doch nicht zu vermeiden helfen könnte und sogar
den Geschmack an künfligen Freuden verderben müßte. Man muß nicht einmal
Kopernikaner sein oder kopernikanisch sprechen, um die Gleichgültigkeit des
Himmels für das menschliche Leben zu begreifen: Le firmament se meut, les
astres font leur cours, / Le soleil nous luit tous les jours (...). Das irdische Leben
ist vielfältig und bunt, die Bewegungen des Weltalls sind gleichförmig und ein-
tönig - wie sollte dieses für jenes abbildlich und vorbedeutend sein können: Du
reste, en quoi repond au sort toujours divers / Ce train toujoHrs egal dont marche
I' Univers?
Als Leser La Fontaines hat sich Voltaire mit Unmut zu dem Astrologenstück
geäußert. Er nimmt Anstoß an der schimpflichen Anrede, die dem Gestürzten
zuteil wird. Es ist eigentümlich, daß Voltaire die Stoßrichtung der Auslegung
gegen die Astrologie gar nicht mehr ernst nimmt, sondern in dem Gestürzten wie-
der den Astronomen der antiken Anekdote sieht. Die Astronomen könnten sehr
wohl verstehen, was über ihren Köpfen steht; zum Beweis nennt Voltaire die
Namen von Kopernikus, Galilei, Cassini und Halley - den letzten vielleicht schon
deshalb, weil Voltaire in ihm denjenigen sah, der den Anlaß für die Aktualität
der Fabel La Fontaines entzauben hatte. Der beste Astronom könne einmal stür-
zen und werde dadurch noch nicht ein armer Hund. Die Astrologie sei zwar eine
höchst lächerliche Scharlatanerie, aber nicht deshalb, weil sie den Himmel zu
ihrem Gegenstand gemamt hat, sondern weil sie glaubt oder glauben machen will,
man könne don ablesen, was man eben nicht don findet 11.
Hat sich Voltaire, als er diesen Zusatz zu seinem Dictionnaire-Artikel schrieb,
daran erinnen, daß er selbst einmal in den Jahren der Freundschaft mit Emilie
Du Chatelet in der Situation des gestürzten Sternbetrachters gewesen war, aller-
dings einen Zuschauer von feinerer Aufgeklänheit dabei besaß als der milesisme
Philosoph in seiner thrakischen Magd? Dieser Zeuge selbst hat in seinen Erinnerun-
gen eine Szene von einer Reise nach Cirey 1747 überliefert, bei derVoltairesWagen
zu Bruch ging und die Reisenden herausgeschleuden wurden. Während in das näm-
ste Dorf um Hilfe geschickt wurde, sieht der Sekretär eine Szene von lächerlichem
Mangel an Realismus, von Verachtung der drastischen irdischen Realitäten:
Voltaire und Madame Du Chatelet sitzen Seite an Seite auf den Polstern des Wa-
gens, die man herausgenommen und in den Smnee gelegt hatte, und betrachten
die Schönheiten des gestirnten Himmels. Man weiß, schreibt Longchamp, daß die
Astronomie immer eine der bevorzugten Interessen unserer beiden Philosophen
gewesen war. Aber nun sind sie hingerissen von der Großanigkeit des Schauspiels
über ihnen und um sie und unterhalten sich, trotz ihrer Pelze vor Kälte zitternd,
über die Natur und die Bahnen der Sterne, über die Bestimmung der zahllosen
Weltkörper in der Weite des Raums. Verständig fügt der Sekretär hinzu, es habe
ihnen nur an der instrumentellen Ausrüstung zu ihrem vollen Glück gefehlt: 11
ne leur manquait que des telescopes pour etre parfaitement heureu". Leur esprit
egare dans La profondeur des cieu", ils ne s'apercetJaient plus de leur triste posi-
tion sur La terre, ou plutot sur La neige et au milieu des gLacons.11 Erst die ein-
treffende Hilfe unterbricht die kosmische Kontemplation und das Weltengespräch.
Voltaire muß ein Vieneljahrhunden später an diese Szene gedacht haben, als er in
dem gestürzten Astrologen ohne weiteres den legitimen Himmelsbetrachter aner-
kannte und ihn gegen den barbarischen Schimpf seines Zuschauers in Schutz nahm.
11 Artikel F.bl~s des Dictionnai,~ Philosophiqtu (1764)• .A.JJition von 1771 (hg. R.. Naves.
S. 531 f.): C'etait I'astrologue qui se laissa choir. ec 1 qui on dit: 'Pauvre bke. penses-ru lire
au-dessus de ta tete?' En effet, Copemie, Galilee. Cassini, Halley ont tres-bien lu au-dessus de
leur t~te; et le meilleur des astronomes peut se laisser tomber sans ~tre une pauvre Mtre.
L'astrologie judiciaire est 1 la verite une charlatanerie tres-ridieule; mais se ridieule ne eon-
sistait pas ~ regarder le eiel: il eonsistait 1 eroire ou ~ vouloir faire eroire qu'on y Ht ee qu'on
n'y lit point.
I! S. G. Longchamp, Mbnoi,~s SIIr Volt';,~ (1746-1754) Bd. 2, Paris 1826, Mon p,~mi~, floy.g~
a Ci,ty 1747, S. 166-169. Hierzu: David Friedrich Strauß. Vol",;,~, IBonn 1878, S. 78.
DER. STUR.Z DES PR.OTOPHILOSOPHEN 41
111
Wenn der kopernikanische Grundgedanke, die Wahrheit über den Himmel werde
nur erreichbar durch eine wahre Theorie über die Erde, das Fernstliegende nur am
Nächstliegenden erkannt, in Anlehnung an die 'Moral' der Thales-Anekdote for-
muliert sein könnte, dann war Francis Bacon trotz seiner entschiedenen Ableh-
nung des Kopemikanismus einer jener Kopernikaner wider Willen, die sich dem
Prinzip nicht entziehen konnten, dessen Folgerungen sie verwarfen. Die in der
Thales-Anekdote geschaffene Konfiguration hat ihm keine Ruhe gelassen. Ein
prägnantes Emblem von solcher Sparsamkeit vermag zu immer neuen Auslegun-
gen zu verhelfen. Bacon, der oft im Zitat an das Bewährte appelliert, diktiert im
Herbst 1624 während der Rekonvaleszenz von einer schweren Erkrankung aus
dem Gedächtnis eine Sammlung von Apophthegmata, unter denen sich auch eine
Variante der Thales-Anekdote findet.
Thales fiel, während er die Sterne beobachtete, ins Wasser. Daraufhin wurde
ihm nachgesagt, er hätte die Sterne betrachten können, indem er auf das Wasser
geblickt hätte, aber umgekehrt hätte er das Wasser nicht sehen können, indem er
nur zu den Sternen hinauf blickteU. Bacon hat die Nützlichkeit seiner Sammlung
von Apophthegmata nicht nur in rhetorischer Bestimmung gesehen, sondern an die
alltäglich-bürgerliche Praxis gedacht (ad res gerendas etiam et IUIIS civiles),
indem er einen Kanon menschlicher Situationen vor sich sah, die Wiederkehr von
Standardlagen (occasiones alltem redellnt in orbem), auf die man sich mit einer
bewährten Auswahl von Lösungen immer wieder einstellen kann, so wie der Jurist
Bacon auf die gerichtliche Spruchpraxis zurückzugreifen gewohnt war. Die Anek-
dote, wie er sie behandelt, nähert sich denn auch einer praktischen Lebensregel,
nämlich der, den indirekten Weg zu bevorzugen, wenn der direkte unbekannte
Nebenrisiken enthält. Der auf allegorische Interpretation eingestellte Bacon läßt
Thales auch deshalb ins Wasser fallen (von dem in der Tradition nicht die Rede
ist), weil er den Beginn des spekulativen Weges der Philosophie damit treffen
kann: Thales ließ nach der Doxographie nicht nur die Erde auf dem Ozean
schwimmen, sondern alles aus dem Wasser entstehen.
Da es für Bacon auf den schlagenden Ausspruch, auf den guten Rat ankommt,
ist die figurative Situation vernachlässigt. Es handelt sich bei dieser 'Moral' nicht
um den Zuruf des Augenzeugen, nicht um den Spott der Magd, sondern um das,
was über den Vorfall von klugen Leuten hinterher an Verallgemeinerung auf-
geboten worden ist.
Dabei kannte Bacon die Anekdote genau und seit langem. Schon zwanzig Jahre
vor der Apophthegmen-Sammlung hat er sie in seiner Schrift Ober die Würde
lind den Fortgang der Wissenschaft verwendet, um zum Studium der mechani-
schen Künste (artes mechanicae) aufzurufen. Es scheine den Stolz gelehrter Leute
zu verletzen, wenn sie sich der Erforschung und Beobachtung mechanischer Phäno-
mene unterziehen sollen, es sei denn, dabei handle es sich um geheimnisvolle Kün-
ste oder um abseitige und spitzfindige Gegenstände. Von den großen Vorbildern
(granJia exempla) sei hier nicht die beste und sicherste Anweisung zu gewärtigen;
eben das werde in der verbreiteten Philosophen fabel nicht ohne Schärfe (non
insulse) zum Ausdruck gebracht. Bacon nennt den Namen des Philosophen hier
nicht, der ins Wasser fällt, als er mit zum Himmel gewandtem Gesicht die Sterne
betrachtet. An dieser Stelle ist als Bacons eigene Meinung formuliert, daß der
Himmelsbetrachter, wenn er die Augen nach unten gerichtet hätte, die Sterne dort
im Wasserspiegel hätte betrachten können, während er beim direkten Anschauen des
Himmels in den Sternen das Wasser nicht wahrnehmen konnte 64 • In diesem Zu-
sammenhang ist das zunächst eine Polemik gegen die Astronomie als eine der
artes liberales zugunsten der artes memanicae, mit denen man Spiegel und andere
optische Geräte herstellen kann. In der Astronomie gilt am wenigsten die baco-
nische Gleichsetzung von utilissimum und verissimum. Sie überschreitet den
Bereich der ins Wissenschaftliche transformierten Magie, dem Bacon noch weithin
angehört. Auf die Gestirne hat der Mensch keinen Zugriff, sie sind das Negativ
des theoretischen Ideals der Einheit von Wissenschaft und Macht, das Bacon vor-
schwebt: neque enim ceditur homini operari in caelestia, aut ea immutare aut
trans/oTmare 55• Diese Einsicht enthält keine Resignation; sie ist nicht mehr die
bloße Abgrenzung einer Transzendenz, sondern die Begründung des Prinzips der
indirekten Erkenntnis. Kleine und naheliegende Dinge tragen oft mehr zur Er-
kenntnis der großen und femen bei als umgekehrt. Das ist die Auslegung, die
Bacon selbst der Thales-Szene gibt. Er glaubt, sich auf Aristoteles berufen zu
können, der, um das Wesen des Staates zu erkennen, von dem der Familie aus-
zugehen empfohlen habe. Bacon verstellt sich die Tragweite des Prinzips, das er
entwickelt hat, obwohl er auf dem Sprunge dazu zu sein scheint, es zu formulieren:
man muß die Erde als Stern betrachten, um die Probleme der Sterne lösen zu kön-
nen. Wenn er den Kompaß als eine der großen Erfindungen rühmt, die seine Leit-
metapher der überschreitung der Säulen des Herkules möglich gemacht hatte,
wird ihm das magnetische Instrument zur Bestätigung für die indirekte Methode:
hätte jemand vor der Erfindung des Kompasses von einem Instrument gesprochen,
mit welchem man die Himmelspole und andere Himmelspunkte genau bestimmen
könne, so hätten die Leute die Verfertigung höchst ausgefallener astronomischer
Instrumente vermutet und hätten viel und mancherlei darüber spekuliert, ohne es
auch nur für möglich zu halten, daß ein Etwas gefunden werden könnte, dessen
M Dt Ji,nit.tt tt ."gmmtis satntÜl'''''' 11 2 (Wo,ks Bel. 1. S. 499): (...) nam si oculos demisis-
sec. sWlas illico in aqua videre potuisset; verum suspiciens in coelum. aquam in steIDs videre
non potuit. Dazu die englische Fassung: Wo,ks Bd.4. S.297: (.•.) for if he had looked down
he might an seen the stan in the water. but looking aloft be could not see the water in tbe
starI.
11 No""". 0".,."".11 5; Wo,ks Bd. 1. S. 232.
DER STURZ DES PROTOPHILOSOPHEN 43
ter des Pan. In seiner Allegorese Pan si'lJe Natura sagt Bacon, der sterbliche Gott
habe mit dem EdJo als seiner Gemahlin eine Tochter namens Iambe gehabt. Sie
soll die Fremden mit ihrem lädJerlichen Geschwätz vergnügt haben ". Das gibt
einen merkwürdigen Hinweis auf den mythischen Hintergrund der Philosophen-
Legende: wenn die thrakische Magd die Tochter des Gottes Pan sein sollte, wäre
der Konflikt zwischen der Sphäre des Himmelsbetrachters einerseits und den vor-
olympischen Gottheiten der Erde, der Höhlen, der arkadischen Landschafl: und
der trägen, himmelsabgewandten Muße in dieser Szene noch hinterhältiger prä-
sent, als es die überlieferung bei Plato, Diogenes Laertius und Stobaeus durch-
scheinen läßt.
Bacon jedenfalls identifiziert in seiner Allegorese diese Tochter des Pan mit
einer Philosophie, die in ihrer Schwatzhafligkeit unendliche unfruchtbare Theo-
rien über das Wesen der Dinge erzeugt". Aber die Tochter ist hier nur von Be-
deutung im Kontrast zur Mutter; denn unter dem Namen des Echo nimmt Bacon
die Idee einer empirischen Philosophie wahr, die sich zum Widerhall der Natur
macht. Wenn Pan die Figuration des Universums selbst ist, dann ist das Echo
allein zur Vermählung mit der Welt (ad conjugium mundi) geeignet und stellt
die wahre Philosophie dar, welche die Stimmen des Weltalls selbst aufs getreueste
wiedergibt (quae mundi ipsius 'lJoces fidelissime reddit) und die wie nach dem
'Diktat' der Welt niedergeschrieben ist ('lJe/uti dictante mundo conscripta est).
Diese Philosophie ist freilich nicht die des Menschen in seinem nachparadiesischen
oder wieder vorparadiesischen Zustande. Sie ist vielmehr das Gegenbild dieser
verlorenen Philosophie, das ihr vorgehaltene Ideal, Darstellung und Widerschein
(simulacrum et reflexio) der Welt zu sein, ihr nichts aus Eigenem hinzuzufügen,
sondern nur wie das Echo zu wiederholen und zurücksdJallen zu lassen (tantum
iterat et resonat). Es ist der Mensm, der diese Philosophie braucht, nicht die
Welt; sie genügt sidJ selbst wie Pan, von dem die meisten überlieferungen be-
haupten, er habe überhaupt keine amores gehabt. Die Vermählung des Alls mit
dem EdJo seiner selbst als Philosophie ist deren schwächste Form eigener Realität;
zu ihr kann die Philosophie erst amEnde zurückkehren, wenn sie ihren interimisti-
schen Dienst getan hat, dem Menschen den Verlust des Paradieses erträglich und
seine Wiedergewinnung möglich zu madJen. Aus dieser Reduktion ergibt sich die
Form ihres geschidJtlichen Verlaufs als Selbstaufhebung in den Zustand, in wel-
chem die Welt unter Einschluß des MensdJen sidJ selbst genügt und genießt:
mundus enim seipso, atque in se rebus omnibus /ruitur. Die Tochter Iambe des
It Dt s.p;mt;' Otttrtun VI (Wo,'s Bd.6, S.636): muliercu1a quaedam &Deilla Iambe nomine,
quae ridiculis narratiuncu1is obleetare bospita solebat (.••). So ebenfalls: Dt J;gnit.tt tt
."gmtnt;s sc;tnti.",m 11 13 (Wo,'s Bd. t, S. 522).
10 Dt s.p;tntitJ wtt,,,m VI (Wo,is Bd.6, S. MO f.): (•••) per illam enim repraesentantur eae
quae perpetuis temporibus passim vagantur, atque omnia implent, vaniloquae de rerum natura
docuinae, re ipsa infructuosae, genere quasi subdititiae, garrulitate vero interdum jucundae,
interdum molestae et imponunae.
DER STURZ DES PROTOPHnOSOPHEN 45
Pan als das hypostasierte Geschwätz bleibt das allegorisiene Mißverständnis der
geschichtlichen Funktion der Philosophie.
In dem Anikel aThales" seines Dictionnaire historique et critique hat Pierre
Bayle der Anekdote vom Sturz des Philosophen den approbienen Rang der histo-
rischen Tatsache gegeben. Was derart als Tatsache gelten darf, wird dadurch
verifiziert, daß der überlieferung kein Widerspruch nachgewiesen werden kann.
Wenn die historische Wahrheit der Rest dessen ist, was an der überlieferung
nicht ausschließbar ist, so gilt dies in den Augen Bayles für die Anekdote in der
Fassung des Diogenes Laertius: Une vieille femme se moqua de Lui assez pLaisam-
ment, sur ce qu'etant sorti de son logis avec elle pour contempler Les astres, il
tomba dans un fosse. An dem dünnen, häufig nur zweizeiligen Band des Textes
gesicherter Fakten hängt der gewaltige, vielbewunderte kritische Apparat. Für
den frühen Stand der historischen Kritik, der hier repräsentien ist, ist charakte-
ristisch, daß das optisch beobachtbare Ereignis des Philosophenunfalls in den Be-
stand des Zuverlässigen eingeht, nicht aber der Ausspruch der Magd. Die Einheit
der Anekdote ist auseinandergerissen. Die begleitende Sentenz, die nicht im phy-
sisch-phänomenalen Sinne 'Ereignis' zu sein scheint, gilt als Zutat, weil ihr Won-
laut nicht einheitlich überliefert ist und sich dies nicht aus der perspektivischen
Verschiedenheit von Beobachterpositionen erklären läßt. Hier sind daher die
Dichter und Allegoriker in ihrem guten Recht, weil ihnen kein historisches Sub-
strat im Wege steht.
Bei dem Ausspruch der Magd handelt es sich um einen Gedanken, der die Phan-
tasie der überlieferung bewegt hat, ohne ihr authentisch zur Verfügung zu stehen:
On a toume en bien des manieres la pensee de cette femme. Bayle verweist auf
die EmbLemata des Andreas Alciatus, das 1531 in Augsburg erschienene Urbuch
der Emblematik, und findet dort ein Epigramm des Thomas Morus gegen einen
·gehörnten' Astrologen (contre un Astrologue cocu). Dieses Epigramm nimmt
insofern die Tradition Chaucers wieder auf, als es die Anekdote in den der An-
tike ganz fremden Zusammenhang von Astrologie und Erotik rückt. Man kann
dies auch die orientalische Fassung nennen, denn schon 1258 hatte Sadi in seinem
Gulistan den heimkehrenden Astrologen die Ehefrau mit einem Fremden antref-
fen lassen, wobei die Pointe der überraschung auf der Seite des Astrologen ge-
sehen werden muß, dem die Zukunft nichts Unbekanntes enthalten dürfte. Tho-
mas Morus verspottet die professionellen Zukunftsdeuter, weil sie zwar am Him-
mel der mythischen Sternbilder erotische Konstellationen in Fülle vor sich haben,
aber die Zeichen am Himmel auf die eigene eheliche Situation nicht zu deuten
wissen. Auch dies ist für Bayle vom Kern der historischen Information als Variable
ein für allemal abgetrennt und zur weiteren Variation freigegeben.
Es scheint, daß die Anekdote nicht nur eine Implikation hat hinsichtlich dessen,
was als das dem Menschen Femsdiegende gewertet wird, sondern auch hinsichtlich
dessen, was denn nun eigentlich das ihm Nächstliegende sein soll. Dabei geht die
Schärfe der Differenz zwischen dem stellaren und dem tellurischen Interesse ver-
46 HANS BLUMENBEI.G
loren. Wichtiger noch ist, daß sich der Ausdruck anbahnt für eine andere An der
Wahrnehmung, die am Himmelsprospekt vor allem das Moment der Gleichgül-
tigkeit der Natur gegenüber dem Menschen und seinem Schicksal manifestiert
sieht. Nirgendwo in der antiken Kosmosemphase und nirgendwo im Bereich der
Schöpfungsgläubigkeit ist ausgesprochen worden, daß der gestirnte Himmel kalt,
teilnahmslos, bösanig funkelnd, in verächtlicher Ungerühnheit über den Ge-
schicken der Menschen steht, wie es zum Gemeinplatz der neuzeitlichen Literatur
werden wird. Das deutet sich in den Versen an, die den für den Astrologen sonst
so aufschlußbereiten Himmel in den eigenen nächstliegenden Angelegenheiten
schweigen lassen, wie im Epigramm des Thomas Morus, das Bayles Fußnote
zitien: Hinc factum, Astrologe, est, tua cum capit uxor amantes, I Sidera signifi-
cent ut nihil inde tibi.
Bayle hätte eine Wirkungsgeschichte jener spöttischen Worte der Magd zum
Sturz des Thales geben können, gerade weil er auf dieser Seite der Tradition die
unhistorische Beliebigkeit mit Lust zu demonstrieren vermag, die den hanen
Kern der Tatsachen umspielt. Aber es geht ihm eben nicht um den Zusammenhang
dieser Produkte der freien Variation, sondern um sie als beliebig austauschbare
Belege der mangelnden Zuverlässigkeit der Tradition. Wir lesen das als Material
zu einer Wirkungsgeschichte, die das Potential einer unerreichbaren Uremndung
entfaltet und in immer neuen Wendungen aktualisien. Dabei wird nochmals ein
Motiv deutlich, das in den Verformungen dieserWirkungsgeschichte präsent bleibt,
nämlich die derbe Gegenposition gegen den hohen Stand und Anspruch von
Astronomie und Astrologie zu formieren. Dabei ist es nützlich, auf den Text-
befund des Ausspruches der Magd, wie Bayle ihn wiedergibt, einen Blick zu wer-
fen, um sein Vorzugsverfahren deutlicher zu machen. In Platos Fassung hatte die
Magd dem Philosophen vorgehalten, er begehre die Dinge am Himmel zu wissen,
während ihm verborgen bleibe, was unmittelbar vor ihm und zu seinen Füßen
liegt. Es wird kein Zusammenhang hergestellt zwischen dem Erfolg des astrono-
mischen Willens und irgendeiner Bemühung um das Irdische; es scheint keine
Skepsis zu bestehen hinsichtlich der Möglichkeit der höheren Erkenntnis, sondern
nur hinsichtlich ihres Ausschließlichkeitsanspruches oder ihres Vorranges. Bei Dio-
genes Laenius ist die Reihenfolge der beiden Erkenntnissphären venauscht, und
zwar im Zusammenhang einer skeptischen Wendung des Mißerfolgs der einen zum
Argument für die illusorische Annahme der anderen. -Du kannst nicht sehen, Tha-
les, was dir vor den Füßen liegt, und wähnst zu erkennen, was am Himmel ist?-
Die Leidenschaft für astronomische Theorie ist hier nicht die Ursache für den ir-
dischen Unfall, sondern der irdische Unfall das Indiz für eine Erkenntnisschwäche,
die sich erst recht bei höheren Ansprüchen auswirken müsse und den Glauben an
solche Erkennmis illusionär erscheinen läßt. Der einzige, der in dieser Hinsicht die
Anekdote völlig neutral formuliert hat, ist Stobaeus in seinem Florilegium, der
die thrakische Magd nur sagen läßt, mit dem Sturz geschehe demjenigen recht, der
die Dinge am Himmel betrachte und dabei das übersehe, was ihm vor den Füßen
DER STURZ DES PROTOPHILOSOPHEN 47
liegt. Nun ist es charakteristisch, wie Bayle aus diesem Angebot möglicher Fassun-
gen des Ausspruches der ·Frau reiferen Alters' (so Bayles bonne femme) aus-
wählt. Es ist naheliegend, daß er sich mit der am meisten skeptismen Formulierung
befreundet und sie noch so verschärft, daß durch den Vorwurf der Wahrnehmungs-
unfähigkeit für das Nämstliegende die Irrealität der Fähigkeit zur Erkennmis
der stellaren Gegenstände begründet ersmeint: "Wie könntet Ihr erkennen, was
am Himmel vor sim geht, da Ihr nicht einmal das seht, was vor Euren Füßen
liegt." 11
Ein Blick ist auf die nümterne Gebrauchsliteratur der Enzyklopädien und
Lehrbümer zu werfen. Eine der frühen Enzyklopädien, die des Johann Heinrim
Alsted von 1620, hat die Thales-Anekdote in den Rahmen des Stichwortes
Curiositas eingebaut. Das Aufgebot der Sentenzen spiegelt einerseits den mittel-
alterlimen Bestand, andererseits den der seit der Renaissance wieder bekannt gewor-
denen antiken Texte. Die Essenz ist nom immer, daß natürlime Verborgenheit und
Unzugänglimkeit eines Gegenstandes auf den göttlichen Willen deuten, ihn der
Forschung zu entziehen, daß andererseits manifeste Deutlichkeit von Sachverhalten
mahnt, sie nimt zu übergehen: quae Deus occulta esse 'lJoluit, non sunt scrutanJa;
quae autem manifesta fecit, non sunt negligenda. Unter diesem Tenor wirkt die
Thales-Andekdote hier, am Beginn des 17.Jahrhunderts, durmaus mittelalterlim,
obwohl der Text, der nam den Facetiae et exempla des Bruson gegeben wird und
der Knappheit des Stobaeus am nämsten kommt, nur eine winzige Spur von Ver-
formung erkennen läßt'l. Zwar wird nun aum von der Magd gesagt, dem Him-
melsbetrachter sei recht gesmehen, aber nicht deshalb, weil er angesimts alter-
nativer Möglimkeiten der Zuwendung die falsche Wahl getroffen habe, sondern
weil er sim bei der Betramtung des Himmels nimt vorher um die Lage der Dinge
vor seinen Füßen gekümmert habe. Es ist fast ein methodismer Fehler, für den
der Philosoph mit Recht zu büßen hat, kein metaphysismes Vergehen mehr. Was
die Magd sprimt, ist beginnende Moralistik, eher guter Rat als smadenfrohes Ge-
lämter über einen Abgrund des Unverständnisses hinweg. Vom Hiatus der Göt-
ter ist nimts mehr zu spüren.
Unausweimlich findet sim die Thales-Anekdote bei dem ersten großen Histo-
riker der Philosophie, den selbst der philosophie-unfreundlime Goethe fleißig
gelesen zu haben angibt und von dem für fast ein Jahrhundert alle Kenntnisse der
Philosophiegeschimte - meistens uneingestandenermaßen - abhängig bleiben, der
großen ·zweiten Hand', bei Jacob Brucker". Die Typisierung des Protophiloso-
11 Dict;O""';Tt h;storiq", tt CT;tiq.t. Den Haag 11720. Bd.4. 5.1713: Comment pourriez-vOUI
conofere ce qui se fait dans le eiel. lui dit cene bonne femme. puis que vous ne voiez pas ce qui
est proche de vos pieds?
a Jobann Heinrich Alsted. C.TS., philosophie; mcyclOPtltJÜI. Herbom 1620. 5.2005 f.: Thales
in coelum suspiciens inciderat in barathrum. Id ancilla conspicata, merito id illi accidisse
dicebat, quod coelum contemplanti ea quae ante pedes sunt. non euent prius penpecta .
.. Jakob Brucker. K.TtZt FTtlgm ..s JtT Philosophischm Histom. Bd.l. UIm 1731. 5.350.
S. 354 (I 3 Kap. 1 q. 3).
48 HANS BLUMENBER.G
phen steht in engem Zwammenhang mit Bruckers Frage, wie der Anfang der
Philosophie bei den Griechen gewesen sei, und seiner generalisierenden Antwon:
·Zimlich geringe, und noch darzu sehr dunckel. - Die Frage ist nicht mehr beant-
wonet mit dem Hinweis auf griechische Anleihen im Orient. Für Brucker funktio-
nien diese These schon deshalb nicht, weil er in der Philosophie der Barbaren ein
ganz anderes Prinzip des Denkens am Werk sieht: das einer Philosophia traditiva,
die in der gelehrsamen Weitergabe von Antwonen auf feststehende Fragen besteht.
In der Auseinandersetzung mit diesem dogmatischen Typus des Denkens haben
die Griechen ihren neuen Anfang gesetzt. Das orientalische Erbe der Philosophie
wird nicht geleugnet, aber die Spezifität seiner Wirkung ist eme andere als im
Traditionszusammenhang seiner Herkunfl; es ist Anregung zu eigenem Nach-
denken.
Dabei weicht Brucker von der Selbstinterpretation der griechischen Philoso-
phie ab, nach der sie ihren Ursprung im Erstaunen gegenüber dem Kosmos und
in der Entdec:kung des allegorischen Hintersinns der Mythologie genommen habe.
Brucker berufl sich einerseits auf eine besondere Disposition der Griechen, auf das,
was er "die Neugierigkeit der Griechischen Nation- nennt, andererseits auf die
Begünstigung dieser Anlage durch die politischen Zustände. Unter einer ·Regie-
rungs-Form in welcher ein jeder dencken, sagen und lehren durffte, was er wollte·,
vollstrec:kt sich der Antrieb der Neugierde zur Theorie, zur Wissenschafl". In den
·Zusätzen und Verbesserungen-, die Brucker dem zweiten Band seines Werkes
beigegeben hat, wird dieser Zusammenhang noch verdeutlicht; mit dem Beginn
eigenen Nachdenkens und der Konstitution einer Theorie, die nicht nur aus Sät-
zen, sondern aw der begründeten Verbindung von Sätzen besteht, sei bei den
Griechen die Untersuchung der Wahrheit ·von den Priestern weg- gekommen,
"und Politici legten sich beyzeiten darauf C•• •) .... Die Tradition hat die Anfänge
der theoretischen Einstellung unter der Bedingung der Muße gesehen; dabei
brauchte die theoretische Neugierde keine anderen öffentlichen Bedingungen als
die negative der Freiheit vom Zwang der Bedürfnisse, nicht die der möglichen
Befriedigung von Wissensinteresse krafl einer politischen Zuständlichkeit, die für
alle das Fragen nach allem freigab. An der Thales-Anekdote muß mehr diese
Energie des authentischen Anfangs, als der Erfolg der astronomischen und geo-
metrischen Erfindungen gesehen werden, denn diese seien ·nach dem Maaß unserer
Zeiten zimlich mager und elend" gewesen.
Das Unverständnis der Magd bezieht sich auf diese Fremdheit der originären
Anstrengung. "Er war auf das Studiren so erpicht, daß er nicht nur seiner Schwe-
ster-Sohn die Verwaltung seiner Güter überließ, sondern sich auch so venieffte,
daß er einsmals über der emsigen Betrachtung des Himmels in eine Grube fiel, und
darüber von seiner Magd ausgelacht wurde.· In einer Anmerkung wird dann, ganz
cheln' sogar eine feinere und vornehmere Ausdrucksbewegung als 'lachen'l. Der
dadurch freigewordene Platz einer subkulturellen Variante des Verbs 'lachen' wird
u. a. durch das Verb 'blödeln' eingenommen, das durch die feste Verbindung 'er
lacht (lächelt) blöde' als Trabantenwon zur Verfügung stand '.
Es läßt sich denken, daß die Schriftsteller sich die Chancen dieser Ausdrucks-
nuancen nicht haben entgehen lassen. So finden wir bei Paul Celan das Verb
'köpfeln', bei Manin Walser mit ironischer Nuance das Verb 'vernichteln'
und bei Peter Handke schließlich das ihm aus der österreich ischen Mundan
bekannte Verb 'fremdeln', das er wie folgt erläuten: "Man wurde scheu und
redete kaum mehr, oder wurde ein bißchen verdreht und schrie in den Häusern
herum" 7. Besonders gern bedient sich die Sprache der Polemik solcher Nuancen,
und wir finden in der Sprache der Kritik solche Verben wie 'kritteln', 'tifteln',
'frömmeln', 'vernünftein', 'geistreicheln', 'witzeln', 'fachsimpeln', und nach dem
Muster von 'deuteln' will ich zum Abschluß nicht zögern, die Neubildung 'her-
meneuteln' zu wagen, die eine subszientifische Tätigkeit bezeichnen soll, welche
gleichzeitig Blödeln, Bummeln und Gammeln ist, aber auf feine Art.
Blödeln 335, 338, 340, 342-345, 348, 351, 353, Handlung, komische 66-68, 71-76, 78, 80 f., 84,
355,445--<455 94, 100, 187, 260, 283, 285, 287-292, 294 f.,
Bloßstellung, ironische 297-300, 304, 323, 329, 331, 376-378, 389 f.,
- Ironie 396
Handlungswelt 238, 244 f., 250, 252-254, 260,
Commedia dell'arte 288 f., 292, 295 f., 312, 262,266 f., 283, 315-317, 372, 377, 379
323 f., 329, 376 f. Heiterkeit 109, 122, 127, 133-137, 139-142,
144 f., 147 f., 151,219,304,325,382
DistanzIDistanzierung 266-268, 309, 311, 316, Held
331, 363, 376, 380, 402, 405, 419, 421, 423, grotesker - 107, 109
430,447 humoristischer - 10U., 125-130,369
komischer - 10l-110, 112, 11H., 122, 126,
Einstellung, ästhetische 109, 361 f., 364, 366- 129, 174, 188,251,266,375, 379
372 unheroischer - 108, 115
Enthebbarkeit Humor 108, 127, 146, 156-160, 163, 221, 229,
- Komik I 249, 326, 368, 374--376, 401, 407 f., 412,
Entlastung 415
- Komik 11
Enttäuschung Identifikation (s. auch Held) 93, 100, 104, 106 f.,
- Erwartungsdurchbrechung 109, 126, 130, 246, 248, 250 f., 253 f., 265-
Epos, komisches 110-116, 129 268, 292, 309, 314, 321, 363, 375, 388, 405,
Erfahrung, ästhetische 105,268,361, 364 f. 423,432
Erwartung/-sdurchbrechung (5. auch Komik I) Identität
105,107,109,111,117,148,15I,159,172f., - Komik I
180, 184, 187f., 215, 217, 224f., 227, 250, Illokution 187,210,232,234,257,282
280, 292, 30l-305, 326, 331, 336-339, 341, Imagination/das Imaginäre 237, 241, 268, 309,
343, 353, 36Jf., 378, 385-387, 39Jf., 417, 388f., 431 f., 448
421 f. Indifferenz 173,219,251 f., 305 f.
458 SACHREGISTER
Ironie/ironisch 149,204 f., 208,212 f., 216-218, -er Konflikt 68, 93, 249, 287 f., 290, 295, 303,
220, 222-226, 230, 232-234, 318, 401, 414, 306 f., 315, 366-369, 429
417-425 -er Kontextwedasei 172-174, 186, 338, 387 f.
Fiktions- 311-313,421 f. -e Nachahmung 104-106, 212, 21H., 217,
222,227-231,234,285,289,365,423
Gedanken- 212
Sclbst- 213,218,221,229,302,395,424 Entbebbarkeit des - 251-253, 255, 259-262,
Wort- 212 264, 266-268, 3n f., 380, 383
-signal 214,226,416,418-423 Erwartung des - 250, 304 f., 307, 326, 331,
373,447
-e Antizipation 224, 226 f.
Isolierung des - 262,304-307, 314 f., 372, 379
-e Bloßstellung 217-223, 225, 228-230, 233 f.,
lebensweltliches vs. fiktionales - 167, 169,
318,321-325,416,418,420,422 f., 425
266, 279 f., 326, 361-366, 369-373, 375f.,
-e Negativität 213, 217 f., 220 f., 226, 230-
380,382 f.
23~ 234, 324, 414 f., 422
-e Solidarisierung 105-107, 109, 115 f., 219, 11 Funktionen
221,227,229,321 f., 368, 416 f., 422-425 ästhetische - 167 f.
Isolierung kognitive - 105 f., 157, 161, 163
-Komik I kommunikative - 157 f., 161, 245 f., 279-281,
290,303 f., 315, 326, 361,375,378 f.
Karikatur 92, 106, 123,222,230,405 soziale - 167,219
Katharsis Affirmation 86,88 f., 105, 161,333
- Komik II Aggression 93, 196,219,223,228 f., 307, 342,
Kipp-Phänomen 352,355,414,416
-KomikI Entlastung 80, 84, 93, 96, 100, 105-107,
Komik I Komisch (es) 23, 83, 85, 99-101, 103, 109 f., 112f., 11 9, 136, 138f., 253, 294,
108, 131, 134, 142, 144, 147-149, 154, 156, 304,315,337,351,357,369,380,441,445,
158-160, 163 f., 166-168, 365,388,430 447
I Strukturen Katharsis 104, 107, 109, 129,250 L, 286, 289,
Bewegungs- 103, 148, 170, 173 361 f., 375
Cbarakter- 67f., 173, 261, 289-291, 293f., Positivierung von Negativität 110, 136,
299f., 388 141 f., 144, 151, 162,325-329, 332f., 361,
Situations- 100, 106, 242 f., 247, 262-264, 363,374,411 f.
293 f., 305,321 Protest 105-107, 109
Sprach- 100, 207, 254, 256, 260, 262, 296, Vernidatung 68, 86, 91,252, 291 f., 378
341,386 Wunscherfüllung 94, 101
Komisierung 154-156, 159-161,305,315
- der Identität 161 kommunikatives Handlungsspiel 165 f., 168 f.,
- des Kontrasts 111, ISS, 159-162, 168, 188, 172-176,183,187,374
205,259 f., 325, 398f., 412 Komödie 65f., 69f., 76-78, 85, 95, 97, 101, 108,
- der Wiederholung 242,250,257,285,289 f., 123, 147, 174, 237f., 251, 260-264, 266-268,
293,298 279-281, 284, 286, 29Of., 293, 296, 298f.,
- als Kipp-Phänomen 172,385,398-402 301 f., 304-306, 308, 311-316, 321 f., 327f.,
-e Ambiguität 247, 253, 265, 294, 321, 330, 373, 378 f., 404-406
379 Boulevard- 294, 305, 329
-e Ambivalenz 160,231 f., 288, 291, 299, 303, Gesellschafts- 324
308, 31H., 321, 324, 329, 33lf., 356, 378, Intrigen- 100,242,293
411,413,419,437 Kompensation 135, 141,144,147,328
-e Fremdbestimmtheit 238-244, 246-248, 250 Komponenten, generisdle
bis 258, 260-265, 267 f., 378 f., 385 f., 389, - Gattungstheorie
392 f., 398, 429 f. Konflikt, komischer
-e Gegenbildlichkeit lOH., 107-110, 117, - Komik I
119, 130,413-415 Kontextwedasei
-e Gegensinnigkeit 160, 242 f., 246 f., 249 f., - Komik I
254 f., 257-259, 262-265, 287, 289, 291, Kontrast
293, 296, 298f., 316, 324, 326, 33lf., 364, - Komik I
366-369, 378, 398 f., 411, 413 Konversationsmaximen 210 f., 223f., 232, 418
SACHREGISTER 459
Kooperationsprinzip 210 fo, 224-227,418 Perspektive 231, 244, 251, 256, 260, 268, 292,
303,332,363,373,419,432
Lachen 12-16, 22-24, 29, 52, 54 fo, 60-64, 76, P05itivierung von Negativität
78, 80 fo, 86 f., 108. 120, 122, 134, 141-145, - Komik 11
147-151, 154, 163. 171, 249, 325f., 335, Pragmatik 208-210, 282, 308, 310, 316, 321,
361 f., 374, 388 362,377
ausschließendcs vs. integrierendes - 87, 89, Prägnanz 35, 243, 257 fo, 386 f., 418, "29, 446
92, 103. 106 fo, 109.322.363.368,371 Präsupposition 172, 174, 176fo, 180, 184fo, 420
distanzierendes- 87,100.117,130,144 Protest
grotcskes - 107 f., 117-122 - Komik 11
strafendes - 86, t 71
Realismus 18, 20 fo, 27 fo, 32, 34-37, 39 fo, 51 fo,
- als Antwort 165,168, 170fo, 173, 177, 186, 54-56,59-61,63
249, 288, 303, 308, 316, 326, 331 f., 336, Rcalitätsprinzip 340,352,355,369,444
362-364,369,373-376,398,400 Reduktion 158, 30.. fo, 325, 445, 452
- als Grenzreaktion 237,288, 331, 336, 351, Reßexion I Rc:ßexivität 146, 175, 305 fo, 310,
362 f., 369. 378. 403. 411 f ° 315,331 fo, 361,374,431
kognitive Funktion des -5 331 Regression 145,211,338-341,346, 34sEo, 351 fo,
Lizenzen des -s 70.76, 78,93, 100 354-357,444
Lächerliches vs. Komisches 238. 280 fo. 286. 288, Rezeption 1", 23, 32, 63, 104f., 109, 116, 119,
361. 363, 365 fo, 369, 372 fo, 375 f. 156 f., 172, 176. 179,221,297, 310, 317,331,
l.ebenswelt 340,370, 400fo, 409, 413-415, "21,431,440
-Komik I RollelRollenspiel 309, 311-315, 321 fo, 363, 375
Lizenz
- Lachen Satire 56 f., 78, 104, 113, 147, 201-204, 269-
Lustgewinn 107 fo, 127, 157 fo, 161, 219 fo, 222, 273,278, 291 f., 294, 320 fo, 32", 343 f., 370 fo,
408,416 389,401,411-415,425-427..... 5
Lustprinzip 107-109, 122, 128,340,444 Semantik 165, 172, 206, 257 f., 399
Situation 304,307 fo, 314,317,328,421
marivaudage 265,295-297,312 Spiel- 309, 315fo, 321 f., 324
Metapher 237, 258 komische - 106, 294, 308, 312, 315,378, 389,
Mctasprache 169,314 f., 330-332 400,402
Möglichkeit 237 f., 242 fo, 247, 255, 28Ho, 291, Sitz im Leben 28lfo. 316 fo, 319, 32~329, 332
298 fo, 315,323 fo, 329 Spiel 104, 173, 2llfo, 215, 285, 30sEo, 311,
Mythos, komischer 65, 100, 261, 285, 298 fo, 301 315 fo, 321-326, 328-330, 332, 347 f., 353,
362-364,373-375,380,389,391
Nachahmung Sprechakt/Sprechhandlung 177, 205, 209-211,
- Komik I 218, 224fo, 228, 232-235, 237, 254, 256 fo,
NarrationlNarrativität 242,267,302,313,321, 259 fo, 28lfo, 295,308,310,316 fo, 319 fo, 3n-
330,376,429-431 379, 390, 416 f., 420, 423 fo, 451
Negation 284, 291, 399 f. direkt vs. indirekt 210f.• 218, 224-226, 232-234
Negativität, ironische Sündenbock 84, 91-93, 100, 291, 322, 332, 381
- Ironie
Norm / -verletzung 84, 86, 89 fo, 93, 96, 101, Tabu/Tabui5ierung 78, 9Ho, 96, 101, 119,326,
104-107, 109 fo, 113, 115-117, 119, 159-161, 336 f., 370
164, 174, 187f.• 218, 226, 241, 244,247,249, Tiefenstruktur I Oberflächenstruktur 281, 285,
253, 255 fo, 265, 284 f., 287, 292, 295, 300 fo, 298,302,308,314,316,319
303, 306, 308, 316, 324 fo, 329-333. 335 fo. Tragödie 11, 14, 23, 251, 256, 261, 263, 285-
338, 340. 356, 362, 364, 366 f .• 370, 378 fo, 287,289 fo, 291, 296, 302.308, 311-315, 361,
386, 388 f., 398 fo, "11, "50, .. 52 363, 379, 381 fo, 391, 404 fo, 433-435, 437
Travestie 104, 106, 109 fo, 11Ho
Paradigmatik I Syntagmatik 257, 287-296,
298 f., 302-30", 313-315, 328, 332 Vaudeville 262-264
Parodie 104-106, 109 f., 116 fo, 119 fo, 122 fo, Verdrängung 105 f., 145 fo, 148, 150, 156 fo, 164,
216,221-223,270,312,314 188, 219 fo, 249, 252 f., 264 fo, 305, 325-327,
Perlokution 228, 232-234, "16, .. 22 336 fo, 340, 352
460 SACHR.EGISTER
Verfremdung 206, 307, 311, 313-315, 328, 330, 2"5, 2"7, 250, 252-254, 256, 259 f., 304 f.,
332,"19 307, 331, 335-340, 342f., 377. 388, 401.
Vernichtung, komische 407 f., .. 16 f., .... 5. 447,449
- Komik 11 Wunscherfüllung
- Komik 11
Wahrheitsmaxime 211. 224 f .• 227. 232... 18
Wahrnehmung 53,175.244,2"7,252.261,306 f. Zufall, komischer 81, 89-91, 94, 96, 99, 242f.•
Wiederholung 257,262-264,294
- KO!1\ilr I Zuschauer (5. aucb Perspektive) 35, 40, 8;. 93.
Wirklichkeitsbegriff 11, 1", 20. 22, 2", 59. 61, 95 f., 104, 107. 109. 17", 213. 216, 226, 245.
136.408.439..... 3 247.251 f .• 256. 260. 266. 30", 306-311, 314,
Witz 60, 108, 127. 1.. 8. 160. 167, 172. 181. 187. 316,322,328.331, 335.341. 363f.• 366. 372-
205 f., 208, 213-217, 219, 222 f., 226. 228, 377,380,396,404 f., 412, 415 f., 452
PERSONENREGISTER
Schneider, K. 99 35.36, 37, 38, 40, 41, 42, 43, 45. 46. 47, 48.
Schnitzler, A. 415 49, 50. 51, 52, 53, 54. 55. 56, 58, 59. 60, 61,
Schober, G. 33 62,63, 149, 370. 429, 430. 431, 432, 433, 434,
Schopenhauer 433 435,437,439,440,442
Schreiber, H. 60 Theodoros 430
Schumacher, H. A. 58 Theophrast 289, 294, 300
Schütz, A. 245 Tiedt 312
Schwiners, K. 353, 354, 449 Todorov, T. 208,213
Scipio d. A. 77 Tolstoi, L. N. 271
Scipio d. Jg. 78 Trembedti, J. 276
Searle, J. R. 282, 320, 331 Trenker, S. 291
Segal, E. 99, 327 Tsara, T. 352
Shadwell, Th. 301 Tschiiewskij, D. 371
Shakespeare 187,297,327,332,380,382,418,426
Shaw 187, 188 Valerius Maximus 92
Simmel, G. 11 Valery 431
Simmias 22 Vamhagen von Ense K. A. 57
Sokrates 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, Veblen, Th. 137
22,37,63, 149,430,436,438,439,440 Vergil 110,111,112,113,114,122
Sophokles 435 Verweyn, Th. 104, 105, 216, 221, 222
Souriau, E. 280, 300, 305, 307, 308, 315, 325, Vischer, Fr. Th. 148, 242, 244, 325
331, 361, 362, 366, 369, 370, 372, 373, 375, Voltaire 21,25, 39, 40, 116. 118. 119, 151, 269,
376, 377,378 271,415,419,420
Stadtelberg, J. v. 110, 115, 116, 118, 119
Staedt, L. 227 Wagner, B. 231,232
Stalnaker, R. C. 177 Wagner, M. 58
Starobinski, J. 371,427 Walser, M. 455
Steele 330 Waltz, M. 317,328
Stegmüller, W. 167 Waming, R. 131, 143, 165, 167. 170, 173, 285,
Steinbedt, D. 309 296, 301, 302, 305, 325, 327, 362, 363, 364,
Stein wachs, B. 113 372,373.375,379
Stempel. W.-D. 281, 302, 318, 319. 414. 415, Wanburg, W. v. 455
416,417,418,423 Wartenberg, G. 77
Sterne. L. 301,302,417 Watzlawidt, P. 309
Stern heim 415 Weberling, F. 146
Stierle, K. H. 237, 242, 260. 268, 377, 378, 379. Wegener, Ph. 173
385,389.390,392,395,396,397,398,431 Weinreich, o. 274
Stobaeus 22,23,33,44,46,47,433,434 Weinrich, H. 135,210,213.218,283.311. 316,
Strauß, D. Fr. 40 376.416,417,441
Strawson 211 Wellershoff, D. 403,449.450,451,452
Strehler, G. 313 Wemer. R. M. 396
Striedter, J. 158,395 Wieland 105
Sueton 364 Wilperr. G. v. 186
Swift 269, 270, 271 V1ittgenstein, L. 212
Szondi, P. 141 VIlosok. A. 146
Wolfe, T. 137
Talma, Fr. J. 409 Wolff, E. 43
Tanaka,R.213,216,225,228,230 Wolff. M. J. 323
Tatian 28,29 Wunderlich, D. 210, 211, 226, 234. 282, 308,
Tave, St. M. 301 417
Terenz 65,69,74,76,82,95,97,100,291,364
Tenullian 26,27,28,440 Zach, F. v. 58
Tesniere, L. 453 Zaehner, R. C. 349,350.351
Thales von Milet 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, Zenon von Kition 21
20, 21, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 31, 32, 34, Zielinski, Th. 274
POETIK UND HERMENEUTIK
"Von einem Gremium von Gelehrten, zu denen einige der besten Köpfe gehören,
die man in der Philologie aufzuweisen hat."' FAZ
In Vorbereitung:
8. Odo Marquard/Karlheinz Stierle, Hrsg.: Identität
Gr. 8°. Ca. 720 S. Ln. mit farbigem Schutzumschlag ca. DM 60,-; Ln. DM 58,-;
kan.DM28,-
Wolfgang Preisendanz
Humor als dichterische Einbildungskraft
Studien zur Erzählkunst des poetischen Realismus (Theorie und Geschichte der Literatur und der
Schönen Künste 1). 357 s. Studienausgabe DM 28,-
-Das Buch, das man zu den wichtigsten Leistungen der dt. Literaturwissensc:haft der letzten Jahre
zählen muß, bringt die Erönerung des Realismusproblems um einen entscheidenden Schrin voran.·
(Literarisc:her Ratgeber)
-... 15 erster Vorzug der Preisendanzschen Arbeit fällt somit die philosophische Weite des Blidu auf:
Der Horizont spannt sich von Friedrich Schlegel über Solger und Hegel bis zu Claude Bemard um
das Panorama der vier Dichter, die sich Preisendanz ausgewählt hat: um E. T. A. Hofmann, Keller,
Fontane, Raabe. Es wird bei diesem Buch etwas schwieriger sein, auf den Gemeinplatz von der
Enge der Germanistik zurückzugreifen, um so mehr, als Preisendanz auch die ganze romanistische
Fachliteratur (Auerbach, Onega, Hugo Friedrich) überblickt, ja sich sogar erlaubt, hie und da
einen spanischen Autor - von englischen und französisc:hen gar nicht zu redenl - original zu zitie-
ren. Noch einem anderen Einwand: daß nämlich Venf'idiger der deutaen Erzähler des 19. Jahr-
hunderts heute nur noch aus der Geistigkeit der 'Ganenlaube' entehen könnten, bricht Preisendanz
solcherweise die Spitze.· (Die Welt)
"Wohl der wichtigste 'dichtungsgeschichdiche' Deutungsversuch des 'epischen Humon'. der seit
langem erschienen ist.· (Prof. Dr. JOSt Hermand in: Monauhefte)
- Preisendanz durchbricht die Schranken. welche literarhistorische und p~osophiegesc:hichtliche For-
schung sonst voneinander trennen. Das macht sein Buch auch für den Philosophen ungemein wichtig.
Das Hegel-Kapitel bringt dabei sicher am besten unter allem mir Bekannten zur Geltung. was
Hegel sachlich als die Struktur der in Subjektivität und Objektivität auseinander tretenden Wirk-
lichkeit begreift, welche Dichtung als ihre Manifestation verlangt.·
(Prof. Dr. Joachim Ritter. Münster)
WoUgang Preisendanz
Wege des Realismus
Zur Poetik und Erzählkunst im 19. Jahrhunden (Kritische Information .9). 260 S. kart. DM 16,80
Inhaltsverzeichnis: Zur Poetik der Romantik I ·Eines matt geschliffnen Spiegels dunkler Wider-
schein· - E. T. A. Hofmanns Erzählkunst I Voraussetzungen des poetisc:hen Realismus in der deut-
schen Erzählkunst des 19. Jahrhundens I Die Erzählfunktion der Narurdantellung bei Stifter I
Gottfried Keller I Gottfried Keller: Der grüne Heinrich I Gonfried Kellen ·Sinngedicht- I Ge-
dichtete Perspektiven in Storms Erzählkunst I Das Problem der Realität in der Dichtung.
WoUgang Preisendanz
Heinrich HeiDe
Werkstrukturen und Epochenbezüge CUTB Uni-Taschenbücher 206).130 S. kan. DM 5,80
·Eine Aufsatzsammlung, die Heines dichterische Existenz aus ihren historischen Voraussetzungen
heraus analysien. Zweifellos einer der wichtigsten Beiträge zur Heine-Literatur in den letzten
Jahren und schon für Büchereien mitderer Größe geeignet.· (EKZ-Informationsdienst)
·Was diesen Band mit seinen originellen Heine-Untenuchungen fundamental von der immer üp-
piger sprießenden Heine-Literatur unterscheidet. ist die nicht nur wohltuende, sondern auch der
Fonchung eminent förderliche Abstinenz von Weltanschauung und Ideologie. Die Sicherheit der
dem Werk und seinem Dichter angemessenen Methode, welche überzeugend 'Werkstrukturen und
Epomenbezug' analysiert, gibt dem Buch Profil und Rang weit über das hinaus, was andere. häufig
in der Sache verhinderte Heine-Interpreten leisten.· (Dr. Gustav Konrad)
Rainer Waming, Hrsg.: Rezeptionsästhetik
Theorie und Praxis (UTB Uni-Taschenbücher 303).500 S. urt. DM 19.80
·Der von R. Waming herausgegebene Reader sollte als Pfliebtlektüre des Literaturwissenschaftiers
gelten. .. (Deutsche Bücher)
·Den vielleicht wichtigsten Informationsgewinn des Buches beschen das konzentrierte und scharf-
sinnige Einleitungsreferat des Hrsgs.: Rezeptionsästhetik als literaturwissenschaftliche Pragmatik.
w. versucht. die dt. Forschung historisch zu fundieren. indem er sie kritisch gegen den klassischen
Kun~tbf.griff Benjaminscher und Adomoscber PräFUn~, ebenso auch ge~en den 'massiven Sub-
stantialismus' Ingardens und Gadamers absetzt und sie wissenschaftsgeschichtlich als einen der 'Im-
pulse des Prager Strukturalismus' deutet." (Hanspeter Brode in: Germanistik)
·Warnings Studie bleibt ein wichtiger und ungemein anregender Beitrag." (Anglia)
·Warnings Buch veranschaulicht deutlich, worin der vielleicht größte Vorzug deutscher Gelehrsam-
keit besteht: Mit aller Gründlichkeit ist der gesamte philosophische Hintergrund einbezogen. Mit
Konsequenz gelingt es dem Verfasser. beide Romane in die Perspektive des Bruchs mit der tradi-
tionellen Xsthetik zu bringen. Verdienstvoll sind vor allem auch Kürze und Bündigkeit dieser
scharfsinnigen und brillanten Studie. Es steht fest. daß die weitere Forschung über die Dichtung
des 18. Jahrhunderts und besonders die beiden behandelten Romane an den Ergebnissen dieser
Arbeit nicht vorbeikommen wird." (Diderot Studies)
·Im Gegensatz zu den zahl- und uferlosen Vergleichen, die ein falsch verstandener Komparatismus
zwischen im Raum und in der Zeit unzusammenhängenden Phänomenen zu bescheren pflegt. ist die
UntersuchunJ des Verhältnisses von Sternes Tristramroman zu Diderou 'Jacques le fataliste' eine
wissenschaftlich legitime und, wie sich zeigt, eine fruchtbare Fragestellung."
(Archiv für das Studium der neueren Sprachen)
·Warnings Kenntnisreichtum und die überzeugende strukturale Analyse. die er hier bietet, geben
den Diderot- und Sternefachleuten einen neuen Anstoß, stellen eine willkommene Herausforderung
dar." (Modern Philology)
Hans Robert Jauß
Alterität und Modernität der mittelalterlichen Literatur
Ca. 520 S. Studienausgabe DM 28,-; Ln. DM 58,-
Karlheinz Stierle
Text als Handlung
Zur systematischen Literaturwissenschaft (UTB Uni-Taschenbücher 423). Ca. 180 S. kart.
ca. DM 16,80
.. Ausgehend von der Einsicht, daß die gegen systematische Bezugsrahmen sich sträubende
historische Literaturwissenschaft in eine Krise geraten ist, andererseits die vielfach als neue
Heilslehre begrüßte Textlinguistik den Text als eine translinguistische Einheit nicht ad-
äquat zu beschreiben vermag, legt St. ein Taschenbuch vor, das er als Vorarbeit zu einer
umfassenden semiotisch-pragmatischen "Theorie des Kontexts' sieht. Der Band - termino-
logisch notwendig anspruchsvoll - fordert vom Leser ständig wames Mitdenken. In der
literaturtheoretischen Diskussion der kommenden Jahre wird er zweifellos einen sehr wim-
tigen Platz einnehmen.· (Prof. Dr. Fritz Nies)
Karlheinz Stierle
Dunkelheit und Form in Nervals "Chimeres"
(Theorie und Geschichte der Literatur und der Schönen Künste 5). 123 S. Ln. DM 28,-
• Jeder rein logische Explikationsversuch der "Chimeres' ist zum Scheitern verurteilt. Wer
die wirkliche Größe Nervals als Wegweiser für die Lyrik der Moderne erfassen will, muß
die Einheit von Form und Dunkelheit zum Schlüsselbegriff machen, wie dieses hochinter-
essante Buch nachweist. Die "Nervalianer' müssen Stierle für eine Fülle wertvoller EinzeI-
interpretationen dankbar sein. Sein Beitrag verdient den Respekt und die volle Aufmerk-
samkeit aller Forscher wie der an Nerval interessierten Liebhaber - eine Fundgrube neuer
Zugänge zum Werk des Dichters.· (Revue d'Histoire Litteraire de la France)
Wolfgang Iser
Der implizite Leser
Kommunikationsformen des englischen Romans von Bunyan bis Becken (Theorie
und Geschichte der Literatur und der Schönen Künste 31). 420S. Ln. DM 68,-
"Dies ist ein willkommenes Buch, äußerst nützlich für die Verfeinerung unseres
a'laJyt1scheo Ha~d."erks1.el1gs bei der augenbJicklidlen Disl(ulision über Dichtung.
Und es leidet glücklicherweise nicht unter jenem Extrem-Tiefsinn, der so viele
Debatten über die Rolle des Lesers zu einem selbstzerstörerischen Anefakt macht.
Ein Werk, das man vorbehaltlos Studenten empfehlen kann, im Venrauen darauf,
daß sie daraus lernen - und später nicht mehr umlernen müssen. Von Anfang bis
Ende ist Isers Darstellung gesund, sensibel und klar auf seine theoretische Position
bezogen, die wiederum - auf sorgfältig gewählter Basis - durch Beispiele über-
zeugend anwendbar gemacht wird.· (Prof. Roben Scholes in: Diacritica)
"Ein überzeugendes und wichtiges Buch. Wenn die gegenwärtige überflutung mit
Theoriebüchern zu einem Ende kommt, wird dieses Werk eines der überlebenden
sein." (Prof. Frank Kermode in: The Times Literary Supplement)
"Die zehn Aufsätze aus den Jahren 1960 bis 1971, die in diesem Band entweder
neu oder gegenüber früheren Einzelpublikationen mehr oder weniger stark ver-
änden abgedruckt sind, behandeln in eindringlichen Interpretationen das Rollen-
bild des Lesers, wie es in einigen großen Romanen der englischen Literatur vom
ausgehenden 17. Jahrhunden bis zu unserer Epoche eingeschrieben ist.·
(Frankfurter Allgemeine Zeitung)
Wolfgang Iser
Der Akt des Lesens
Theorie ästhetischer Wirkung (UTB Uni-Taschenbücher 636). 358 S.
kan. DM 19,80
Ein literarischer Text entfaltet seine Wirkung erst dadurch, daß er gelesen wird.
Er ist ein Wirkungspotential, das nur durch eine im Lesevorgang stattfindende
Interaktion zwischen Text und Leser entfaltet wird. Iser geht von diesem neuen
Modell aus und entwickelt eine systematische und didaktische Theorie ästhetischer
Wirkung, die nicht nur Verarbeitungsprozesse erklän, die Literatur im Leser auslöst,
sondern auch individuelle Sinnvollzüge des Lesens sowie solche der Interpretation
fundien.
Herbert Dieckmann: Studien zur Europäischen Aufklärung
Mit einer Einleitung des Verfassers (Theorie und Geschichte der Literatur und der Schönen Künste 22).
492 S. Ln. DM 58,-; kart. DM 36,-
-Mit diesem Sammelband sind die wichtigsten Aufsätze des Verfassers zugänglich geworden. deren
Bedeutung für das Studium der deutSchen Literatur weit ü~r dem liegt. was sie an europäischen
Einflüssen oder Beziehungen sehen lehren, und selbst ü~r dem, was sie an Themen und Strukturen
herausarbeiten. die dem t 8. Jahrhundert generell gemeinsam sind. Hier wird, frei von den modi-
schen Diktaten, was gerade Gegenstand der Literaturwissenschaft zu sein habe. und ohne Prätention
einer neuen Methode eine Arbeitsweise vorgeführt, die ausgeht von der Beschäftigung mit Diderot
und zu dessen sachgerechter Interpretation das ästhetische, naturwisscnschaftlidle und metaphy-
sische Denken seiner Zeit enzyklopädisch erarbeitet. Die Nötigung. universal zu werden, um text-
bezogen zu bleiben. wird geleitet und belebt von begrifflicher Genauigkeit, die es ermödicht, die
Wechselwirkung von theoretischem Problem und künstlerischer Form sidltbar zu machen. Dies
erlaubt ebenso, in eingehender Begriffsanalyse die intellektuellen Voraussetzungen und die gegen-
sätzlichen Tendenzen im Denken der Aufklärung darzustellen und doch wieder die Grenzen
transparent werden zu lassen. wo ästhetisches und physikalisches Denken, Begrifsgescbichte und
spontaner Ausdruck eines einzelnen. Struktur eines Zeitalters und individuelle Konstellation inein-
inder übergehen. Bewunderungswürdig die Sachtreue. ständige kritische Präsenz und Folgerichtig-
keit einer gelehnen Arbeit durch Jahrzehnte, die in den drei Sprachen der europäischen Aufklärung
gedacht und geschrie~n philologische Erkenntnis zu lehren vermag.· (Germanistik)
MDaß eine Festschrift, thematisch gesehen, etwas Ganzes, Geschlossenes repräsentien. gehön zu den
Ausnahmen. Alle Beiträge spiegeln zugleich Geist und Stand der modernen Aufklärungsforschung,
so daß die vorliegende Festschrift ein wesentliches Zeugnis philosophischer und philologischer Be-
mühungen zur Aufklärung darstellt. - (Welt und Wort)
MZU den bedeutendsten Philologen der Gegenwart zählt Herben Diedtmann. Ihm zu Ehren ist das
Werk 'Europäische Aufklärung' erschienen, hrsg. von Hugo Friedrich und Fritz Schalk. Unter den
Autoren sind neben den Herausgebern gewichtige Gelehnen-Namen wie Hans Blumenberg, Wolf-
gang lser, Hans Robert JauB, Erich Loos, Georges May, Hans Sckommodau und Jean Starobinski.·
(Welt der Literatur)
-Das eindrucksvolle Buch ist methodisch exemplarisch und von seinen Perspektiven und Ergeb-
nissen her grundlegend, so daß Nutzen und Gewinn dieser souveränen Untersuchungen nicht hoch
genug gewertet werden können." (Dr. Gustav Konrad in: Welt und Wort)
-Ein völlig neuer Ansatz, der geeignet ist, die Perspektiven des Literaturhistorikers grundlegend
zu ändern. Hier wird eine Richtung für die weitere Forschung gewiesen, von deren Fruchtbarkeit
ich fest ü~rzeugt bin. Es ist zu hoffen, daß andere dem Beispiel von Nies folgen: Resultat wäre ein
neuer Begriff von 'Literaturgeschichte' - sehr zum Nutzen dieser Disziplin.·
(Prof. Dr. Ro~rt Mandrou)
MOas Verdienst von Nies besteht darin, detailliert und klar die Rezeption der Briefe in den ver-
schiedenen Epochen zu dokumentieren. Es wäre wünschenswert, wenn dies Beispiel Schule machte.
Die Ergebnisse des klar konzipierten, hervorragenden Buches sind mehr als ü~rzeugend. Die all-
gemeine und spezielle Bibliographie sowie die linguistische Dokumentation sind wertvolle Hilfs-
mittel für alle, die sich mit der Literatur des XVII. Jhs. beschäftigen.·
(Prof. Dr. R. Pasch in: Studi francesi)
MEine ausgezeichnet dokumentiene. von profunder Sachkenntnis zeulende und in ihrer Detail-
akribie im besten Sinne positivistische Monographie zu Mme. de sevigne, die auf Jahre hinaus be-
deutsam für jede weitere Beschäftigung mit dieser Autorin wie mit der Briefliteratur des 17. Jahr-
hundens insgesamt bleiben wird.· (Romanische Forschungen)
Hans-Jörg Neusdtäfer: Populärromane im 19. Jahrhundert
Von Dumas bis Zola (UTB Uni-Taschenbücher 524). 208 S. kart. DM 16,80
-Schon der Umstand, daß Neuschäfer vergleimend und kontrastierend den aum in Deutschland
untersmätzten Zola einbezieht in diese Gruppe, zeigt an: Hier geht's nimt nur um soziale Wieder-
gutmac:hung an der breiten zeitgenössischen Leserschaft, der zuliebe, zur Verblendung, zum Träu-
men, aber auch zum Weiterkommen diese Bücher einst geschrieben wurden. Es geht auch darum, den
heute noc:h davon faszinierten Lesern, zu denen im gehöre, klar zu mamen, wodurm sie fasziniert
werden. Zur genaueren Einsimt, aber ohne Spielverderberei. .. (Prof. Dr. Volker Klotz)
-Im halte Neuschiifers Such über Populärromane im 19. Jahrhundert fur eine der interessantesten
literaturwissenschaftlimen Publikationen der letzten Zeit, weil darin Ernst gemamt wird mit dem
Gedanken, Literatur nimt um ihrer ästhetisc:hen Qualität willen zum Gegenstand der Forsmung zu
mamen, sondern wegen der Wirkung, die sie auf ihre Leser gehabt hat.-
(Prof. Dr. Jürgen Frhr. v. Stackelberg)
- Abgesehen von glücklichen Einzelbeobamtungen geht Gumbremts Arbeit einen deudimen Smritt
über das engere Gesimtsfeld hinaus und endet eher in einer allgemeinen und historischen Phäno-
menologie der Literaturwissenschaft: einer Literaturwissenschaft unter dem Gesimtspunkt hyper-
bolischer Ausdrucksweisen. einer frumtbaren Methode. die bereits von Auerbam angeraten und
hier von einem Philologen angewandt wurde, der mit Energie und weitem Blick nam vorn
smreitet.· (Heinrim Lausberg in: Hispanic Review)
-Die Arbeit des Verfassers zeugt im einzelnen von soviel Scharfsinn, Samkenntnis und Einfüh-
lungsvermögen, daß der Gefahr einer der Methode immanenten Memanisierung hinlänglim vor-
gebeugt zu sein sc:heint.· (Prof. Dr. Alfred Adler in: Romanisme Forsmungen)
Inhaltsverzt'imnis: Vorwort: Zola - ein zeitgenössischer Autor? - I: Der historisme Rahmen von
Möglimkeiten der Romanproduktion. - 11: Die Konzeption des Rougon-Macquart-Zyklus. Ihre
Entwicklung und die ihr impliziten Probleme. - 111: Versum einer historisc:hen Gesamtinterpreta-
tion des llougon-Macquan-Zyklus. - IV: Zur zeitgenössisc:hen Feuilletonrezeption des Rougon-
Macqart-Zyklus. Ansätze zur llekonstruktion seiner historischen Funktion. - Namwort: Das Inter-
esse einer historismen Lektüre des Rougon-Macquart-Zyklus.
Miroslav Cervenka
Der Bedeutungsaufbau des literarischen Werkes
übersetzung aus dem Tschechischen. Mit einer ausführlichen Einleitung von Wolf-Dieter
Stempel (Theorie und Geschichte der Literatur und der Schönen Künste 36). Ca. 240 S.
karte ca. DM 36,-
Aus dem Inhalt: Die Stellung des literarischen Werkes - Das literarische Werk als Äuße-
rung - Die wissenschaftliche Analyse des literarischen Werkes - Bedeutung und Bedeu-
tungsträger im literarischen Werk - Das literarische Werk als Zeichen.
Ju. N. Tynjanov
Das Problem der Verssprache
Aus dem Russischen übersetzt, eingeleitet und mit Registern versehen von Inge Paulmann
(Theorie und Geschichte der Literatur und der Schönen Künste 25). 178 S. karte DM 28,-
Der klassische Text der formalistischen Verstheorie, der die spezifischen Sinn- und Bedeu-
tungsveränderungen des Wortes in Abhängigkeit von der Verskonstruktion analysiert.
Felix Vodi~ka
Die Struktur der literarischen Entwicklung
Mit einer einleitenden Abhandlung von Jurij Striedter (Theorie und Geschichte der Lite-
ratur und der Schönen Künste 34). 319 S. karte DM 48,-
Inhalt: Die Literaturgeschichte. Ihre Probleme und Aufgaben - Die Genese literarischer
Werke und deren Bezug zur historischen Wirklichkeit - Die Rezeptionsgeschichte - Lite-
raturhistorische Kategorien - Die Rekonstruktion der literarischen Bewegung - Nationale
Individualität und Kosmopolitismus - Künstlerische Realisationen proletarischer Poesie -
Modernität in der Literatur - Kontinuität - Romantik und Realismus - Die Konkretisa-
tion des literarischen Werks.
M.H.Abrams
Der Spiegel und die Lampe
Romantische Theorie und die Tradition der Kritik. übersetzt von Lore Iser
(Theorie und Geschichte der Literatur und der Schönen Künste 42). Ca. 460 S.
Ln. DM 58,-; kan. DM 36,-
"Eines der fünf in den letzten dreißig Jahren veröffentlichten Werke, die nach
Meinung maßgeblicher Literaturwissenschaftier und Kritiker am meisten das Ver-
ständnis für Literatur gefördert haben. •
(Prof. Lewis Leary in: Contempory Literary Scholarship)
"Abrams hat ein bemerkenswenes Buch zur Geschichte der Literaturkritik ge-
schrieben, den besten Beitrag, der in Amerika seit dem Werk von J. E. Spingarn
auf diesem Gebiet erschien."
(Prof. Rene Wellek in: Comparative Literature)
"Das Buch ist so reichhaltig, daß es für Studenten, die sich mit der Romantik oder
auch allgemeiner Literaturkritik beschäftigen, unschätzbaren Wen hat. Ich halte es
für eines der größten Ereignisse amerikanischer Literaturwissenschaft der Stunde...
(Thomas M. Raysor in: Modem Philology)
"Mit diesem Buch hat Abrams ein ungewöhnliches, in Konzeption und Darstellung
bewundernswenes Werk geschaffen, ein Buch von außergewöhnlicher und jenseits
allen Zweifels bleibender Bedeutung für eine Reihe von Fächern für die Geistes-
geschichte und die Vergleichende Literaturwissenschaft sowohl wie für die englische
Literaturgeschichte, die Geschichte der Kritik und die der Schönen Künste.·
(Prof. Barry Bergholz in: Modem Language Journal)
"Es hat in den letzten vierzig Jahren viele Versuche gegeben, unsere Vorstellungen
von Literatur neu zu bestimmen: Dieses Buch nimmt mit seiner profunden histo-
rischen Gelehrsamkeit und seiner konsequenten Gedankenklarheit eine Sonder-
stellung ein. •
(The Times Literary Supplement)
Siegfried J. Schmidt, Hrsg.: Pragmatik I
Interdisziplinäre Beiträge zur Erforschung der sprachlichen Kommunikation (Kritische Informa-
tion 11). 211 S. kart. DM 24,-
PragmatikD
Zur Grundlegung einer expliziten Pragmatik (Kritische Infonnation 25). 229 S. kart. DM 36,-
-Die Texte sind glänzend ausgewählt, dazu klar präsentiert und kommentiert."
(Etudes Germaniques)
-Dieses Bum stellt keine bloß akademism-wissensmaftsinteme Umwandlung dar, sondern
ist Ausdruc::k einer grundsätzlim neuen Auffassung vom Menschen als gesellschaftlim inter-
agierendem Wesen, hat deshalb erheblime Konsequenzen für die Spramideologie, die Ziele
und Methodik des Spramunterrimts. Der Band ist jedem Lehrer zur Oberdenkung seiner
eigenen spramideologismen Position zu empfehlen." (Deutsche Bümer)
Siegfried J. Schmidt
Literaturwissenschaft als argumentierende Wissenschaft
Zur Grundlegung einer rationalen Literaturwissenschaft (Kritische Information 38). 274 s. kart.
DM 28,-
• Jede Wissenschaft muß rational argumentieren. Schmidt schafft mit seinem Buch Abhilfe
für die Literaturwissensmaft. Er stellt dar, welme Anforderungen an ein rationales Argu-
mentieren sim ergeben, wenn sim die Literaturwissensmaft als Kommunikationswissen-
smaft versteht, die es mit Texten zu tun hat. Die Anwendung der 'Kritischen Theorie' auf
die Literaturwissenschaft ist überzeugend.· (Bum-Informationsdienst)
-Der Verfasser stellt dar. zeigt Verbindungen auf. ordnet ein, verweist auf Traditionen,
wägt sprachliches Vermögen ab - und er tut das alles aus Textkenntnis erster Hand, mit
abgewogenem Urteil. fast unauffällig immer wieder auch neue Perspektiven öffnend, ver-
trauenswürdig und mit dem für den rechten Historiker langen Atem. der sich auch für das
seit je Bekannte Zeit nimmt.· (Wissenschaftlicher Literaturanzeiger)
-überall erkennt man die unmittelbare. aus den Werken selbst gewonnene Kenntnis des
Verfassers, der auch über oA: Behandeltes immer wieder neue Einsichten vermittelt und
manches zurechtrüdu. Die Literaturangaben sind abgesehen von den Fällen unmittelbarer
Auseinandersetzung knapp gehalten. führen aber immer auf die maßgebenden Ausgaben
und die jüngste Forschung. die dem Leser Zugang zu weiteren Arbeiten eröffnet."
(Das Historisch-Politische Buch)
Reinhard Herzog
Die Bibelepik der lateinischen Spätantike I
Formgeschichte einer erbaulichen Gattung (Theorie und Geschichte der Literatur und der
Schönen Künste 37). 233 S. kart. DM 68.-
-Die Behandlung des Themas geschieht zugleich unter methodischen Voraussetzungen, die
im Verein mit der großen hermeneutischen Begabung des Verfassers und seiner literatur-
wissenschaA:lichen Beschlagenheit zu Einsichten und Positionen führt. die weit hinter sich
lassen. was zur Frage der spätantiken Bibeldichtung gesagt worden ist.-
(Prof. Dr. W.-D. Stempel, Hamburg)
-Herzogs Arbeit ist in zweifacher Hinsicht grundlegend: sie untersucht die früheste Phase
einer über tausendjährigen Dichtungstradition; sie verschafft sich ohne unmittelbares Vor-
bild die hierfür erforderlichen Kriterien und Methoden. Besondere Hervorhebung verdient
außerdem seine Offenheit für die Gegenstände und Methoden benachbarter Disziplinen.
der Theologie und der neueren Philologien.- (Prof. Dr. M. Fuhrmann, Konstanz)
UmbertoEco
Einführung in die Semiotik
Autorisierte deutsche Ausgabe von jürgen Trabant (Theorie und Geschichte der Literatur und der
Schönen Künste 32). 474 S. und 4 Kunstdrucktafeln. Ln. DM 78,-
"Zweifellos wird die 'Synthese von Ecos umfassender semiotischer Erfahrung', wie der übersetzer
J. Trabant in seinem informativen Vorwort das vorliegende Buch charakterisiert, die semiotische
Forschung in Deutschland nachhaltig beeinflussen. - (Die Neueren Sprachen)
W Die Erforschung der Kultur als Kommunik:uion, wie Eco sie in seiner ungemein reichen 'Einfüh-
rung' entwirft, bleibt glücklicherweise im Bereich des Methodologischen unter Ausschluß jeglicher
metaphysischen Fragen oder Zielsetzungen. Die übersetzung der autorisierten deutschen Ausgabe
'·on jürgen Trabant ist sehr zuverl:issig und gut lesbar. Die Bibliographie mit fast 500 Titeln ist
ein hervorragendes und nützliches Instrumentarium.· (Frankfurter Allgemeine Zeitung)
Jurij M. Lotman
Die Struktur literarischer Texte
(UTB Uni-Taschenbücher 103). 430 S. kart. DM 12,80
"Das Buch ist mit Gewinn zu lesen, da die hermeneutischen Probleme auf überzeugende Weise
systematisiert werden.· (Praxis des neusprachlichen Unterrichts)
"Ein lesenswertes und zudem noch gut lesbares Buch, das auch J~m Gewinn bringt und neue Ein-
sic:hten vermittelt, dem neue Sprachwissenschaft noch wenig vertraut ist.·
(Blätter für den Deutschlehrer)
·Diese übersetzung aus dem Russischen bietet dem Literatur- und Sprachwissenschaftler aller Dis-
ziplinen interessantes Neuland. Lotman, das Haupt des Dorpater Strukturalistenkreises, entwickelt
aus der kritischen Revision des russischen Formalismus, strukturalistischer Methodik und den The-
sen der Informationstheorie eine neue Literaturtheorie, die als bisher im Westen unbekannt ge-
bliebene Variante des französischen und tschechischen Strukturalismus Interesse verdient.·
(Schwarz auf Weiß)
• Ein bemerkenswert gescheites Buch. Es sucht sich dem zentralen Trend des linguistischen Anganges
zu nähern, nämlich der Unterscheidung von künstlerischer und alltäglicher Verwendung der
Sprache.· (Frankfurter Allgemeine Zeitung)
·Zuweilen wird der Band durch die Härte der Kritik geradezu spannend. Das kommt auch da-
durch, daß hier glücklicherweise Vertreter sehr verschiedener Richtungen der Linguistik miteinander
diskutieren. Man sollte bedenken, daß das Xußem und Vertragen von harter Kritik in Deutschland
derzeit keineswegs selbstverständlich ist. So ist der Band. in dem mit der monologischen Präsenta-
tion von Wissenschaft gebrochen wird. nicht nur ein wertvoller Beitrag zur Textlinguistik, sondern
auch ein vielversprechender Anfang in bezug auf die Darstellung, Selbstdarstellung. eines Bereichs
der Linguistik.- (Linguistics)
Wemer Krauss
FonteneUe und die Aufklärung
(Theorie und Geschichte der Literatur und der Schönen Künste 9). 299 S. Ln. DM 68,-
-Die einzelnen Analysen verdanken ihre Oberzeugungskraft nicht zuletzt der sachlichen Methode
und der prägnanten Diktion von Werner Krauss. Die repräsentative Auswahl seiner Texte und die
'einleitende Abhandlung', die sidl zusammen zu einem äußent instruktiven und lebendigen Bild
Fontenelles und seiner Zeit runden, machen den hohen Wert dieses Bandes aus.·
(Zei:sa.rift für fran::ösisch.: Sj)ra.:be unJ L;teratur)
Werner Krauss
Die Aufklärung in Spanien, Portugal und Lateinamerika
(Aufklärung und Literatur 4).251 S. Ln. DM 58,-
-Eine schätzenswerte Einführung in die besonderen Themen und Motive der Aufklärungsbewegung
in der spanisch und portugiesisch sprechenden Welt.· (Das Historisch-Politische Buch)
-KraulS vermittelt einen tiefen Einblick in die spanische Aufklärung. Dabei ist er vor allem be-
strebt, durch Befragung der Texte des 18. Jahrhunderu selbst ein umfassendes Bild vom geistig-
literarischen Leben und seinen Problemen und Widersprüchen zu vermitteln. Die Stoffanordnung
und Dantellung erfolgt so, daß dadurch die gesellsdlaftlichen Kämpfe auf ideologischem Gebiet
in ihrer ganzen Komplexität umrissen werden und die Auseinandersetzung mit den verschiedensten
Formen der Feudalstruktur steU sichtbar als Bezugspunkt hervortritt. Ein wesentlicher Beitrag zur
Erforschung der spanischen Aufklärung.· (Referatedienst zur Literaturwissenschaft)
·Wie bei jedem großen wissenschaftlichen Wurf, ergaben sidt audt bei Krauss zusätzliche Einsidtten
für bestimmte Wissenschaftsdisziplinen und Fachbereiche.· (Deutsdte Literaturzeitung)
Wemer Krauss
Spanien 1900-1965
Beitrag zu einer modemen Ideologiegeschidne. 317 S. kare. DM 19,80
-Eine Wirklidtkeitsdeutung der spanischen Ideologiegeschichte aus marxistischer Sicht. Die Mit-
autormschaft von Wemer KraulS sichert dem Entwurf eines spanischen Geschidltsbildes Gesdtl05-
senheit und Authentizität. Besonden wertvoll sind die Kapitel von Krauss über das geistige Leben
und literarische Schaffen in Spanien vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart.·
(Das Historisdt-Politische Buch)
Erleb Köhler
Der literarische ZufaU, das Mögliche und die Notwendigkeit
134 S. kur. DM 16,80
-In der übenichdich gegliederten, klar formulierten und durch überzeugende Beispiele belegten
'Literaturgesdlichte des Zufalls' wird durch den untersdliedlichen Aussage- und Stellenwert, der
dem Zufall vom einzelnen Schriftsteller beigemessen wird, ein zusätzlidl möglidtes Periodisierungs-
und ganungsbesdtreibendes Kriterium dargestellt.· (Germanistik)
-Köhler erprobt die Kacesorie Zufall konkret am literarischen Material, und es gelingen ibm
überzeugende Interpretationen.· (Das Argument)
P. M. Aleksejew I W. M. Kalinin I R. C. Piotrowski, Mng.
Sprachstatistik
Mit zahlreichen Skizzen, Tabellen und Schemata im Text. Obersetzt von einem Kollektiv
unter Leitung von Lothar Hoffmann. 298 S. kart. DM 48,-
"Enthält überzeugende statistische und informationstheoretische Darstellungen der rus-
sischen, englischen, deutschen und französischen sowie anderer europäischer Sprachen auf
Buchstaben-, lexikalischer und phraseologischer Ebene - alles sehr sauber durchgeführt. •
(Germanistik)
B. A. Serebrennikov, Hrsg.
Allgemeine Sprachwissenschaft I
Existenzformen, Funktionen und Geschichte der Sprache. Von einem Autorenkollektiv.
Ins Deutsche übertragen und hrsg. von Hans Zikmund und Günter Feudel. 533 S. Ln. nlit
farbigem Schutzumschlag DM 68,-; kart. DM 48,-
Allgemeine Sprachwissenschaft n
Die innere Struktur der Sprache. Ins Deutsche übertragen und hrsg. von Hans Zikmund
und Günter Feudel. 521 S. Ln. mit farbigem Schutzumschlag DM 68,-; kart. DM 48,-
Allgemeine Sprachwissenschaft m
Methoden sprachwissenschaftlicher Forschung. Ins Deutsche übertragen und hrsg. von
Hans Zikmund und Günter Feudel. 296 S. Ln. mit farbigem Schutzumschlag DM 38,-;
kart. DM 28,-
.. Das Versprechen, die Sprache in ihrer ganzen 'Vielfalt' zu Worte kommen zu lassen, ist
eingelöst. Auf Grund der gebotenen Vielseitigkeit und des ausgewogenen Urteils in der
Bestimmung des Verhältnisses von Sprache und Denken ein Glücksfall unserer Wissen-
schaftsgeschichte. .. (Deutsche Bücher)
"Systematisch aufgebautes Kollektivwerk von hohem Informationswert und außerordent-
licher Bedeutsamkeit. mit ausführlichen Diskussionen zu wesentlichen Problemen. Gegen-
über der russischen Originalausgabe in den Beispielen aktualisiert und dem neuen Leser-
kreis angepaßt.· (Wissenschaftlicher Literaturanzeiger)
Peter Hinst
Logische Propädeutik
Eine Einführung in die deduktive Methode und logische Sprachanalyse (Kritische Infor-
mation 29). 469 S. kart. DM 28,-
-Durch die Behandlung allgemeiner, nicht fachspezi6scher Themen, die sowohl für den
Linguisten und Philosophen als auch für den Logiker und Wissenschaftstheoretiker von
Interesse sind, erhält der Leser eine fundierte Einführung in logisch-methodische Denk-
weisen und wi»enschaftJict.e Begriffs- unJ The"ri~nbildung.· ~N~uc:r BüdlerJiellst)
Georg Klaus
Rationalität, Integration, Information
Entwicklungsgesetze der Wissenschaft in unserer Zeit (Kritische Information 33). 304 S.
kart. DM 28,-
-Der kürzlich verstorbene Verfasser, führender Philosoph und Wissenschaftstheoretiker
der DDR, ist auch bei uns durch zahlreiche Veröffentlichungen bestens bekannt. Kyber-
netik, Systemtheorie und Dialektik sind die zentralen Themen. Die Darstellung ist - wo-
für Klaus immer bürgt - als Ganzes wiederum ein überragender Wurf und enthält im
einzelnen eine Fülle wertvoller Einsichten und Anregungen."
(Buchanzeiger für öffentliche Büchereien)
GeorgKlaus
Semiotik und Erkenntnistheorie
182 S. kart. DM 12,80
-Dieses Buch, das 1972 erst die dritte und jetzt bereits die 4. Auflage erlebte, ist längst
zu einem Standardwerk semiotischer Literatur geworden, und sollte in jeder vertieften
Auseinandersetzung mit zeichentheoretischen Problemen Berücksichtigung finden ...
(Beiträge zur Namenforschung)
o. F. Serebrjannikov
Heuristische Prinzipien und logische Kalküle
288 S. Ln. mit Schutzumschlag DM 28,-
- Im Gegensatz zur weitverbreiteten Ansicht, Logik und Heuristik seien unabhängig von-
einander, zeigt der Verfasser überzeugend, daß die verschiedenen logischen Kalküle heu-
ristische Prinzipien abbilden und beschreiben können. Der Anteil der Logik besteht vor
allem in der Erarbeitung heuristischer Prinzipien für die Lösung logischer Aufgaben.·
(Zentral blatt für Didaktik der Mathematik)
A.Sinowjew/H. Wessei
Logische Sprachregeln
Eine Einführung in die Logik. Aus dem Russischen. 592 S. Ln. DM 48,-
-Der Band ist eine vorzügliche Einführung in die moderne Logik, die beim Leser keine
besonderen Kenntnisse voraussetzt. Behandelt werden- die klassische Aussagen- und
Quantorenlogik, die mehrwertigen Logiken, die Theorie konditionaler Aussagen, die
Termintheorie, die Wissenschaftslogik. • (Wissenschaftlicher Literaturanzeiger)