Beim Lesen kamen mir einige Beispiele in den Sinn. Wenn man zum Beispiel feststellt,
dass sein Herz schneller schlägt, könnten man sich in seiner Umgebung umsehen, um
zu sehen, was die Ursache dafür ist. Wenn man auf einer Party mit Freunden ist, würde
man dieses Gefühl eher als Freude interpretieren, aber wenn man gerade von
jemandem beleidigt wurde, würde man dieses Gefühl eher als Wut interpretieren.
Natürlich läuft dieser Prozess oft schnell ab (meistens im Unterbewusstsein), aber er
kann uns bewusst werden – vor allem, wenn es keinen unmittelbar offensichtlichen
situativen Faktor gibt, der für unsere Gefühle verantwortlich ist.
Mein zweites Beispiel ist das folgende. Angenommen, man hört ein Kratzen an der Tür
und öffnet die Tür, nur um einen großen knurrenden Pitbull zu sehen. Daraufhin
beginnt das Herz zu rasen und man fängt an zu schwitzen. Herzrasen und
Schweißausbrüche können aber auch in anderen Zusammenhängen auftreten.
Denken wir nur an die Freude, die man bei einem Konzert oder vielleicht nach einem
gewonnenen Fußballspiel empfinden kann. In beiden Fällen können wir dieselbe
physiologische Reaktion in Form von Herzrasen und Schwitzen haben, aber sie
entsprechen völlig unterschiedlichen Gefühlen. Durch kognitives Labelling weiß man,
dass Herzrasen vor dem knurrenden Hund in Wirklichkeit Angst ist und nicht etwa
Freude oder Aufregung. Das Gehirn sucht in unserer Umgebung nach Hinweisen, die
ihm helfen zu entscheiden, warum die physiologische Erregung auftritt. Wenn es den
Pitbull sieht, stuft das Gehirn die Situation als etwas ein, das Angst auslösen sollte.
Die kognitive Kennzeichnung ist also dafür verantwortlich, dass wir die richtige
Emotion empfinden.
Einige Schwächen des Experiments, über die ich beim Lesen nachgedacht habe, sind
die folgenden. Das Experiment wurde in einer künstlichen Umgebung durchgeführt,
und die Forscher lösten Emotionen aus, was irgendwie nach einem Mangel an Validität
klingt. Normalerweise sind sich Menschen eines Ereignisses bewusst, bevor sie eine
emotionale Erregung erleben. Hier wurden die Teilnehmer künstlich in einen Zustand
der Erregung versetzt.
Außerdem bestand die Stichprobe ausschließlich aus männlichen Studenten der
gleichen Universität. Das bedeutet, dass die Ergebnisse nicht auf Frauen oder
Personen aus anderen Bereichen verallgemeinert werden sollten. Die Stichprobe ist
nicht repräsentativ, vor allem wenn man bedenkt, dass einige der Meinung sind, dass
Frauen Emotionen anders erleben als Männer.
Schließlich fand ich es aus ethischer Sicht bedenklich, dass die Teilnehmer über das
Adrenalin getäuscht wurden (sie dachten, es sei Suproxin).