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Monika Lüth

Einführung in das mündliche Sprachspiel

1.
Wenn die Annahme stimmt, dass ein normal begabter Lerner einen zu speichernden
Ausdruck einige Tage lang mindestens acht Mal gesprochen haben sollte, müssen
wir uns Gedanken darüber machen, wie wir diese Sprechhäufigkeit bei den Lernern
erzielen können, ohne dass ermüdendes Herbeten daraus wird.
Es hat sich bewährt, sogenannte chunks in Sprachspiele einzubetten.

„Der Strukturalismus behauptete, dass der Lerner die Regeln des Sprachsystems
beherrsche und deswegen im Stande sei, korrekte Sätze zu erzeugen. Mittlerweile
scheint es aber plausibel, dass ein wichtiger Teil des Spracherwerbs in der Fähigkeit
besteht, lexikalische Phrasen als unzerteilte Einheiten oder „chunks“ hervorzubringen
und dass diese chunks zu den Rohdaten werden, durch welche der Lerner beginnt,
Sprachmuster und Sprachformen wahrzunehmen, und all die anderen Merkmale der
Sprache, die man normalerweise als Grammatik bezeichnet.“
(Übersetzt aus: Michael Lewis „The Lexical Approach“, London 2002 (Erstausgabe
1993), S. 95)

2.
Beispiele für solche chunks (dt. etwa: Brocken, große Stücke):

Arm in Arm
Ich war zu Hause.
im Kreis herum

im Park spielen
gestern Nachmittag
morgen früh
auf den Hof gehen
die Treppe herunter usw.

Es geht also um Mehrwortausdrücke, die eine leidlich geschlossene semantische


Einheit bilden und günstigstenfalls sogar als eigenständige Äußerungen verwendbar
sind, etwa als Anweisung oder als Kurzantwort in einem Dialog. Im Einzelfall eignen
sich diejenigen Fügungen am besten, die zum unmittelbaren Lebensbereich der
Lerngruppe gehören.
Manchmal ist als zu lernender chunk auch ein kurzer Satz sinnvoll (Wir gehen in die
Schule.), dann wieder eine reduzierte (elliptische) Wendung (mit dem Bleistift). Im
Laufe eines Schulvormittages kommt es wohl eher vor, dass unterschiedliche Verben
(z.B. unterstreichen, schreiben, einkreisen), in infiniter oder finiter Form, an den
Ausdruck mit dem Bleistift gekoppelt werden. Deshalb mag es günstiger sein, nur
den präpositionalen Ausdruck als chunk zu verwenden. Dagegen kommt der
Kurzsatz Wir gehen in die Schule. häufig in dieser Form vor und ist insofern als
chunk geeignet.

Ein weiteres Beispiel:


Ich möchte, dass meine Schüler den Ausdruck auf den Hof (gehen, laufen ...)
trainieren, um ihn dann bei gegebenem Anlass problemlos abrufen zu können.
Entscheide ich mich bei meinem Sprachspiel und evtl. später bei der Lernkarte für
auf den Hof gehen oder Ich gehe auf den Hof ?
Für den Infinitiv spricht, dass die Lerner den chunk unverändert in eine Äußerung
übernehmen können, sofern diese mit einem Hilfs- oder Modalverb gebildet wird
(Werden/Sollen, Dürfen wir auf den Hof gehen?).
Wenn allerdings Äußerungen häufiger ohne Modal- oder Hilfsverben üblich sind,
sollte man sich für die finite Form entscheiden, wobei der Schüler dann die Verbform
an das gewünschte Subjekt anpassen muss.

Es ist interessant und wäre sicher sinnvoll, die eigenen Äußerungen einmal unter
diesem chunk - Finde - Blickwinkel zu betrachten.

Wenn mit einem chunk gespielt wird, hat dies den Vorteil, dass in emotional positiver
Atmosphäre eine zu lernende Wendung in immer neue Sinnzusammenhänge gestellt
wird, wobei eine Differenzierung darin besteht, dass das Austauschen von Wortarten
oder Satzteilen sehr individuell und mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad
geschehen kann.

3.
Die Überlegungen zu den chunks reihen sich ein in die Gedanken über das implizite
Lernen.
Dazu das folgende Zitat aus: Manfred Spitzer, Lernen, Gehirnforschung und die
Schule des Lebens, Hamburg / Berlin 2002:
„Unser Gehirn ist – abgesehen vom Hippokampus, der auf Einzelheiten spezialisiert
ist – auf das Lernen von Allgemeinem aus. Dieses Allgemeine wird aber nicht
dadurch gelernt, dass wir allgemeine Regeln lernen. – Nein! Es wird dadurch gelernt,
dass wir Beispiele verarbeiten (...) und aus diesen Beispielen die Regeln selbst
produzieren.“ (S.76)
„Was Kinder brauchen, sind Beispiele, und wenn möglich die richtigen und guten
Beispiele. Auf die Regeln kommen sie dann schon selbst.“ (S. 78)

4.
Das Lernen in chunks hat 2 Varianten:
 es lädt ein zur Substitution, um durch kreatives Verändern grammatikalische
Strukturen zu üben;
 eine bestimmte grammatische Struktur bleibt invariant und wird unverändert
immer wieder genutzt. Dazu passen chunks, die in unterschiedlichen
Kontexten immer wieder eingesetzt werden (etwa: beim sozialen Lernen „Ich
finde dich nett, weil...“; der Nebensatz wird dann unterschiedlich gefüllt) oder
aber Kinderreime, Abzählverse etc.

Beispiele

Beispiel 1
Was machen wir mit müden Kindern?

Nach der Melodie „What shall we do with the drunken sailor?“ wird dieses Lied
gesungen.
Was machen wir mit müden Kindern morgens in der Schule?
Klatscht in die Hände, dann seid ihr munter, morgens in der Schule.
Bald fallen den Kindern Varianten ein, z.B.:
Was machen wir mit lauten Kindern ...
Flüstert doch alle, dann seid ihr leiser ...

Was machen wir mit albernen Kindern ...


Setzt euch ruhig hin, dann seid ihr schon ernster ...
Wichtig ist hier: die Adjektivendung -(e)n darf nicht verschluckt werden.

Beispiel 2
(Amseln, Kohlmeisen, ... sitzen, hocken, zwitschern, ...) auf dem Ast.

Wenn im Rahmen des Sachunterrichts z.B. „Vögel im Frühling“ als Thema ansteht,
lassen sich gegen Ende noch einmal alle Vogelnamen benutzen und werden reihum
mit dem entsprechenden Satz genannt.
Leistungsstärkere Schüler steuern ganz von selbst Variationen bei.
Alle Lehrer sitzen auf dem Ast.
100 Elefanten hocken auf dem Ast.

Aber Achtung: Verben der Bewegung mit Ziel dürfen nicht verwandt werden, denn
sie erfordern den Akkusativ (klettern auf den Ast).

Beispiel 3
im Kreis herum

Irgendwo in der Klasse wird ein Stuhl o.ä. so hingestellt, dass ein Kind um ihn herum
laufen kann. Die Lehrerin zeigt - ohne dass das Kind es sieht – wie oft seine
Mitschüler im Kreis herum singen :
„Du läufst jetzt im Kreis herum,
im Kreis herum, ...
und bleibst stehen!“
Das mag simpel erscheinen, ist aber sehr beliebt.

Ähnlich umgehen können wir mit Ausdrücken wie


mit (d)einem Freund
mit (d)einer Freundin:

Zwei Kinder gehen Arm in Arm, Hand in Hand oder mit dem Arm um die Schulter
des/der anderen in der Klasse umher, in ihrer Nähe steht eine „Bank“.
Die Mitschüler singen:
„Du gehst mit (d)einer Freundin spazieren,
du gehst ...
und ihr setzt euch auf die Bank!“

Beispiel 4
gestern Nachmittag / heute Morgen / am Abend / morgen früh

Einzelne Schüler stellen einem Klassenkameraden je eine Frage. Der Gefragte muss
immer mit „Gestern Nachmittag.“ antworten.
(z.B.: Wann hast du einen Marsmenschen gesehen? „Gestern Nachmittag.“
Wann hast du ... geküsst? „Gestern Nachmittag.“
usw.)

Interessanterweise achten die Kinder bei der Frage oft automatisch auf den richtigen
Tempusgebrauch.
Das Futur kommt so gut wie nie vor, wenn die Antwort heißen soll „Am Abend.“ oder
„Morgen früh.“, da es umgangssprachlich auch nicht notwendig ist
(Wann isst du Pudding mit Tomatensoße? „Am Abend.“).

Beispiel 5
ohne mich und ohne meinen ... ( ‚blaue’ Bildkarte; d.h. maskulines Substantiv)
mein ... ( ‚grüne’ Bildkarte; d.h. Neutrum - Substantiv)
meine ... ( ‚rote’ Bildkarte; d.h. feminines Substantiv)

Ein Schüler wird z.B. gefragt „Kommst du mit uns ins Kino?“ und er antwortet :
„Ohne mich und ohne meinen ... (dabei nimmt er wahllos eine Bildkarte aus der
blauen Kiste) ... Tiger.“
usw.

Natürlich lässt sich dies auch ohne die Bildkarten durchführen. Mit den Karten wird
jedoch für die Schüler deutlicher, dass dieses meinen in Zusammenhang mit der
blauen Kiste steht, d.h., dass die Veränderung des possessiven Artikelwortes mit
dem Genus des benutzten Substantivs zu tun hat.

Beispiel 6
Fingerspiele

In der Gruppe werden gemeinsam gesprochen und dazu geklatscht oder mit den
Zeigefingern auf den Tisch getrommelt:

1.
„1 2 3 4 5 6 7 (!)
wo ist denn mein Freund geblieben (Freundin, Tante, Opa etc., meine Freunde, ...)
Er ist nicht hier,
er ist nicht da,
er ist wohl in Amerika.“
(Nomen mit Personalpronomen)

2.
ebenso:

„1 2 3 4 5 6 7
in der Schule wird geschrieben,
in der Schule wird gelacht,
so dass die ganze Schule kracht.“
(Präposition mit Dativ)
3.
„Denkt euch nur der Frosch ist krank, (die Katze, der Hund,
da liegt er auf der Ofenbank. das Kind, ...)
Er quakt nicht mehr, wer weiß wie lang.
Denkt euch nur, der Frosch ist krank.“
(Nomen mit Personalpronomen)

Beispiel 7
Wechselgesang

Im Wechselgesang wird in der Klasse gesprochen:

Wer hat den Keks aus der Dose gestohlen? (das Bonbon, den Lolli, die Brause,...)
Emina! (Emina und Maria)
Emina hat den Keks aus der Dose gestohlen!
Wer? Ich?
Ja! Du!
Ich war es nicht!
Wer war es denn?
Robert!
Robert hat den ... (aus der Tasche, ... dem Beutel, ...
dem Korb, ... dem Fach etc.)

Die Schüler sammeln eigene Wörter, setzen sie ein, ein S schreibt sie an, beim
Sortieren erkennen sie die Regel Nominativ-Akkusativ, Präposition aus).

Beispiel 8
Artikulationsübung (-ch)

10 Fische im Teich
versteckten sich nicht gleich.
Da kam der Storch gegangen
und wollte einen fangen.

9 Fische im Teich
(alle möglichen Tiere, Personen)

Ein Fisch im Teich


versteckte sich nicht gleich.
Da kam ... gegangen
und hat den letzten gefangen.

Beispiel 9
Wer kann reimen?

Lehrer/in spricht den Satz vor, die Schüler/innen ergänzen den Reim („glatt“, „satt„...)

Was nicht rau ist, das ist glatt.


Wer nicht hungrig ist, ist satt.
Was nicht groß ist, das ist klein.
Was nicht schmutzig ist, ist rein.
Was nicht hart ist, das ist weich.
Wer nicht arm ist, der ist reich.
Was nicht warm ist, das ist kalt.
Wer nicht jung ist, der ist alt.
Was nicht schmal ist, das ist breit.
Was nicht eng ist, das ist weit.
Wer nicht schlau ist, der ist dumm.
Was nicht gerade ist, ist krumm.
Was nicht dunkel ist, ist hell.
Wer nicht langsam geht, geht schnell.
Was nicht unwichtig ist, ist wichtig. (Versuch einer doppelten Verneinung )
Was nicht falsch ist, das ist richtig.
Was nicht grob ist, das ist fein.
wer sich nicht wäscht, der ist ein Schwein.
(oder: Wer es nicht raten will, lässt’s sein.)

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