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Thema 1.

Grundbegriffe und Fragen der IKK


Definition des Begriffs „Kommunikation“ – Enger Begriff von interkulturellen
Kommunikation – IKK und Sprache – Relevanz der Kenntnisse zu IKK für den
Übersetzer – Ziel und Aufgaben der Lerndisziplin „Soziokulturelle Aspekte des
Übersetzens“

 Definition des Begriffs Kommunikation


Um das Phänomen der interkulturellen Kommunikation (IKK) und die dabei
auftretenden Probleme differenziert besprechen zu können, ist es zunächst
erforderlich, sich bewusst zu machen, was eigentlich unter Kommunikation zu
verstehen ist bzw. was im Prozess der Kommunikation geschieht.
Kommunikation (lat. communicatio, ‚Mitteilung‘, „Übertragung“) ist der
Austausch oder die Übertragung von Informationen zwischen den Subjekten einer
sozialen Gesellschaft.
Die drei grundliegenden Bestandteile menschlicher Kommunikation sind: der
Sender, der Empfänger und die Nachricht, die verbal oder nonverbal codiert ist. Die
Rollen von Sender und Empfänger wechseln in der Regel im Verlauf der
Kommunikation.
Das klassische „Transportmodell“ der Kommunikation geht davon aus, dass in
der Kommunikation eine Nachricht vom Sender zum Empfänger übermittelt wird.
Dieses Model erklärt aber nicht, was im Prozess der Kommunikation abläuft.
Das ermöglicht ein anderes Modell und zwar: das konstruktivistische Modell
von Kommunikation. Dieses Modell verdeutlicht Folgendes: Bei der Kommunikation
geht es nicht von einem einfachen Informationstransfer, sondern sowohl der Prozess
des Sendens als auch der des Empfangs einer Nachricht sollen als
Konstruktionsprozesse aufgefasst werden. Das bedeutet: der Sender baut seine
Nachricht auf (konstruiert sie), der Empfänger nimmt diese Nachricht wahr und dabei
deutet (rekonstruiert) er sie seinerseits. Beim Rekonstruieren einer Nachricht durch
den Empfänger kann der Inhalt der Nachricht v om Empfänger ungewollt verändert
werden.
Eine solche konstruktivistische Auffassung von Kommunikation erklärt auch,
weshalb es bei der Kommunikation zu Missverständnissen kommen kann. Das
Missverstehen resultiert vor allem daraus, dass die Gesprächspartner bei der
Konstruktion der Nachricht ihr eigenes kulturelles Wissen zugrunde legen. In dem
Maße, in dem die Gesprächspartner jedoch interkulturelle Kompetenz erwerben, sinkt
die Gefahr von Missverständnissen oder zumindest wird es unwahrscheinlicher, dass
Missverständnisse unentdeckt bleiben und zu einem Konflikt führen.
Mit der konstruktivistischen Auffassung von Kommunikation ist das Vier-
Seiten-Modell (auch Nachrichtenquadrat, Kommunikationsquadrat oder Vier-Ohren-
Modell) von Friedemann Schulz von Thun verbunden. Das ist ein Modell mit dem
eine Nachricht unter vier Aspekten oder Ebenen gedeutet wird: Sachinhalt,
Selbstoffenbarung, Beziehung und Appell. Diese Ebenen werden auch als „vier Seiten
einer Nachricht“ bezeichnet:
1. Sachaspekt: die beschriebene Sache („Sachinhalt“, „Worüber ich informiere“)
2. Selbstaussage: dasjenige, was anhand der Nachricht über den Sprecher deutlich
wird („Selbstoffenbarung“, „Was ich von mir selbst kundgebe“)
3. Beziehungsaspekt: was an der Art der Nachricht über die Beziehung offenbart
wird („Beziehung“, „Was ich von dir halte oder wie wir zueinanderstehen“)
4. Appell: dasjenige, zu dem der Empfänger veranlasst werden soll („Appell“,
„Wozu ich dich veranlassen möchte“)
Das Vier-Seiten-Modell dient zur Beschreibung von Kommunikation, die durch
Missverständnisse gestört ist. Das Modell zeigt: Störungen und Konflikte kommen
zustande, wenn Sender und Empfänger die vier Ebenen unterschiedlich deuten und
gewichten. Das führt zu Missverständnissen und in der Folge zu Konflikten.
Kommunikation ist ein Prozess, der eine verbale und eine nonverbale Ebene
umfasst. Die Nachricht, die in einem Kommunikationsprozess übermittelt wird, kann
vom Sender sowohl mittels Sprache als auch durch Gestik, Mimik sowie die
Körpersprache zum Ausdruck gebracht werden.
Obwohl für komplexere Nachrichten in der Regel verbale Mittel erforderlich
sind, hat der nonverbale Code keineswegs eine untergeordnete Bedeutung in der
Kommunikation, denn die nonverbale Kommunikation ist oft entscheidend dafür, wie
die verbale Nachricht vom Empfänger interpretiert wird, z.B.: ein trauriges Gesicht
zeugt uns davon, dass die Mitteilung nicht positiv sein wird.
Obwohl verbale und nonverbale Kommunikation grundsätzlich unabhängig
voneinander sein können, wirken sie doch in den meisten
Kommunikationssituationen eng zusammen.

 enger Begriff der interkulturellen Kommunikation


Wenn man sich mit der Forschung der interkulturellen Kommunikation (IKK)
beschäftigt, dann fällt rasch auf, dass unterschiedlich weit gefasste Definitionen des
Begriffs existieren.
Gemäß einer engen Definition von IKK lässt sie sich auf solche Situationen
beschränken, in denen zwei oder mehr Individuen mit unterschiedlichem kulturellem
Hintergrund mittels Sprache oder nonverbalen Ausdrucksmitteln unmittelbar (= Face-
to-Face) miteinander kommunizieren.
Die Forschung der IKK im engeren Sinne beschäftigt sich mit den
Kommunikationsmustern, Strategien zur Verständnissicherung und interkulturellen
Missverständnissen, die bei der Face-to-Face Kommunikation zwischen Angehörigen
verschiedenen Kulturen auftreten können. Durch die Analyse der
Kommunikationsmuster und der Gründe für ein Missverstehen wird die
Voraussetzung für die Entwicklung von Strategien zur Bewältigung von
Kommunikationsproblemen geschaffen.
Manche Wissenschaftler im Bereich der Fremdsprachendidaktik stellen fest,
dass in einem Fremdsprachenunterricht interkulturelle Kommunikationsprozesse
stattfinden, wenn Lernende mit dem authentischen Lernmaterial der Kultur der
Zielsprache zu tun haben. Das ist sogenannte „vermittelte“ IKK.
Wie ist der Begriff „intercultural communication“ entstanden? Er erschien in
den 1960er Jahren und wurde seit einiger Zeit zum Gegenstand eines eigenständigen
Forschungszweiges. Dieser Forschungsbereich wurde auf Druck der Praxis, vor allem
seitens der international operierenden Wirtschaftsunternehmen eingerichtet. Sie
berichteten, dass ihre MitarbeiterInnen zwar gute Fremdsprachenkenntnisse hätten,
doch wichtige Interaktionen an dem Kulturellen scheiterten. Dann wurde die Idee
geäußert „Fremdsprachen sind nicht genug“ und im Anschluss an die klassische
Fremdsprachenvermittlung wird ein zusätzlicher Bedarf an interkulturelle Kompetenz
gefordert.

 IKK und Sprachen: Zusammenhänge zwischen Sprache und Kultur


Das Konzept über die Zusammenhänge zwischen Sprache und Kultur wurde in
der Linguistik als Theorie der sprachlichen Relativität bezeichnet.
Diese Theorie wurde von Linguisten Esward Sapir und Behjamin Lee Whorf
entwickelt und wird noch als Sapir-Whorf-Hypothese genannt. Dabei geht es um die
Frage, wie sich eine bestimmte Sprache mit ihren grammatischen und lexikalischen
Strukturen auf die Welterfahrung der betreffenden Sprachgemeinschaft auswirkt.
Die Grundannahme der Theorie der sprachlichen Relativität besteht darin, dass
die Sprache einen erheblichen Einfluss auf der Wahrnehmung und Kategorisierung
der Welt durch das Individuum ausübt.
Die Sprache kategorisiert die Welt, das bedeutet die Sprache liefert
Wörter/Benennungen, gemäß derer wir unsere Wahrnehmung der Welt strukturieren.
Kategorien, die für eine Kultur besonders relevant sind, sollen auch durch ein Wort
benannt werden können. Für Phänomene, die in einer Kultur keine Bedeutung haben,
existieren hingegen oft keine sprachlichen Benennungen.
Das könnte am folgenden Beispiel illustriert werden: es gibt in der Esskimo-Sprache enorm
großen Anzahl von Wörtern für Schnee, dafür in vielen anderen Sprachen existiert nur ein Wort
dafür. Ein anderes ähnliches Beispiel sind Lexeme für den Reis im Japanischen
Wenn ein Esskimo-Kind zum ersten Mal die Wörter für Schnee hört, dann muss es
gleichzeitig lernen, verschiedene Arten von Schnee voneinander zu unterscheiden. Das heißt; durch
seine Muttersprache lernt es (das Esskimo-Kind) Objekte (Schnee-Arten) zu differenzieren.
Folglich erschließt jede Sprache dem Individuum spezifische Zugänge zur Erfahrung
und Kategorisierung der Welt.
Damit begründet Sapir Existenz kulturspezifischer
Bedeutungsunterscheidungen: das heißt dass zwischen den durch sprachliche Zeichen
begründeten Kategorien oft keine 1:1 Entsprechungen in zwei Sprachen bestehen.
Das Wort „Schnee“ im Deutschen und seine Übersetzung in der Esskimo-Sprache
bezeichnen verschiedene Kategorien/ Objekte. Das Wort „Tisch“ im Deutschen und
das Wort „Tisch“ im Japanischen bezeichnen auch verschiedene Kategorien.
Die Theorie der sprachlichen Relativität wird heutzutage als sehr kontrovers
angesehen und hat nur wenige Anhänger unter den renommierten Linguisten.
Trotzdem kann sie relevant für die IKK sein, weil sie indirekt auf Ursachen von
interkulturellen Missverständnissen deutet: Denn die Menschen selbst sind nicht
bewusst, dass die (Mutter)Sprache die Wahrnehmung der Welt durch das Individuum
in ganz erheblichem Maße strukturiert, ist es nicht auszuschließen, dass die Tatsache,
dass die gleichen Wortbenennungen in verschiedener Sprachen sich hinsichtlich der
bereitgestellten Kategorien unterschieden, manchmal zur Ursache von
interkulturellen Missverständnissen wird.

 IKK und Sprachen: Verbindung IKK und Fremdsprachen


Die Verwendung von Fremdsprachen ist charakteristisch für die IKK, d.h. bei
IKK werden sehr häufig Fremdsprachen verwendet. Doch bei IKK kommen nicht
immer Fremdsprachen zum Einsatz. So handelt sich bei der Kommunikation
zwischen einem Australier und einem Amerikaner, die beide Englisch als
Muttersprache sprechen oder einem Portugiesen und einem Brasilianer, die beide
Portugiesisch sprechen, ohne Zweifel um IKK.
Manchmal bedient sich nur einer der Kommunikanten einer Fremdsprache,
während andere Gesprächspartner ihre Muttersprache sprechen. Jene
Gesprächspartner, die von ihrer Muttersprache Gebrauch machen, verfügen aufgrund
ihrer größeren sprachlichen Kompetenz über eine vorteilhafte Position in der
Kommunnikationssituation.

 IKK und Sprachen: Spracherwerb und Kultur


Der Prozess des Erstsprachenerwerbs (des Erlernens der Muttersprache), ist mit
dem Prozess der Enkulturation verknüpft. Unter Enkulturation versteht man den Teil
des Sozialisationsprozesses, während dessen der zunächst neutrale und kulturfreie
Neugeborene unmerklich in die jeweilige eigene Kultur hereinwächst und bis er zum
kulturell integrierten Erwachsenen wird. Enkulturation beinhaltet die automatische,
nicht durch die Erziehung gesteuerte Verinnerlichung einer Kultur und das bewusste
geplante Hineinwachsen in Form der Erziehung.
Beide Prozesse verlaufen gleichzeitig, greifen ineinander und sind nicht
unabhängig voneinander denkbar. Im Erstsprachenerwerb eignen sich Individuen
aber auch, größtenteils unbewusst, die Kommunikationsstile an, die für diejenige
Kultur, in der sie aufwachsen, charakteristisch sind. So lernt man z.B. je nach
kulturellen Normen, eigene Wünsche oder Kritik eher direkt oder indirekt zum
Ausdruck zu bringen und eignet sich die in der Kultur üblichen Begrüßungsrituale an.

 IKK und Sprachen: Interkulturelle Pragmatik


Interkulturelle Pragmatik ist eine Lehre vom Gebrauch von Sprache in
unterschiedlichen Situationen. Pragmalinguistik versteht Sprache als eine besondere
Form menschlichen Handelns.
Der Grundgedanke der Sprechakttheorie besagt, dass beim Sprechen
Handlungen ausgeführt werden. Es werden etwa Befehle erteilt, Fragen gestellt oder
Wünsche geäußert, und zwar nach bestimmten Regeln. Zwei der wichtigen Vertreter
der linguistischen Sprechakttheorie sind J.L. Austin und J.Searle.
Zum Beispiel: Eine Äußerung wie „Feuer!“ kann je nach Situation, in der sie gemacht wird,
Unterschiedliches bedeuten: eine Warnung vor einer Gefahr; eine Bitte eines Rauchers, ein Angebot
an einen Raucher usw.

Probleme bei der Kommunikation zwischen Angehörigen unterschiedlichen


Kulturen können aus der mangelnden Beherrschung einer Sprache im Hinblick auf
Aussprache, Wortschatz und Grammatik (bei einem oder allen
Kommunikationspartnern) resultieren. Zumindest ebenso häufig jedoch sind
interkulturelle Verständigungsprobleme und Missverständnisse die Folge eines
kulturspezifischen Umgangs mit Sprache als Handlungsinstrument. Sie sind also im
Bereich der Pragmatik angesiedelt.
Zum Beispiel: Verwendet man etwa beim Formulieren einer Bitte unabsichtlich - d.h.
aufgrund von mangelnder pragmatisch-kommunikativen Kompetenz – eine Konstruktion, die vom
Gegenüber als unhöflich aufgefasst wird, so kann dies manchmal Folgen haben, die sehr viel
weitreichender sind als fehlerhafte Aussprache eines Wortes.
Während eine falsche Aussprache tendenziell (korrekt) als Folge mangelnder
sprachlicher Kompetenz interpretiert wird, kann ein (vermeintlich) unhöfliches
Verhalten als Beleidigung gewertet werden.
„Fehler im Pragmatischen Bereich stellen im Alltag der IKK eine größere
Bedrohung des kommunikativen Gleichgewichts dar, als phonetische,
morphologische, syntaktische oder Lexikalische Fehler.“ (Ehrhard 2003:156).

 Relevanz der Kenntnisse zu IKK für den Übersetzer


Das Übersetzen hat mit einer fremden Kultur zu tun. Zwei oder mehrere
Kulturen kommen miteinander (mündlich oder schriftlich) in Kontakt und der
Übersetzer ist ein Kulturmittler, der Sachverhalte, die für die Mitglieder einer Kultur
zum Alltag gehören, für Mitglieder einer anderen Kultur vermitteln muss.
Da sich ein Übersetzer stets zwischen Kulturen bewegt, benötigt er kulturelle
und interkulturelle Kompetenzen.
Kulturelle Kompetenz bedeutet, dass ein Übersetzer sich in den Kulturen seiner
Arbeitssprachen auskennt. Dazu gehört das Wissen um kulturspezifische
Gegebenheiten, Regeln, Werte und Verhaltensweisen in der Kultur der
Arbeitssprachen des Übersetzers und in seiner Muttersprache.
Unter interkultureller Kompetenz versteh man die Fähigkeit eines Übersetzers,
Gesprächspartner verschiedener Kulturkreise erfolgreich zusammenzuführen. Dafür
muss er Einsichten in die Mechanismen der Wahrnehmung und Interpretation von
Realität sowie Mechanismen der IKK gewinnen und seine Fähigkeit zur Reflektion
des eigenen und fremden Verhaltens zu entwickeln.

 Ziel und Aufgaben der Lerndisziplin „Soziokulturelle Aspekte des


Übersetzens“
Das Ziel der Disziplin „Soziokulturelle Aspekte des Übersetzens“ ist: die
Studierenden auf die IKK und auf die Vermittlung (z.B.: auf das Übersetzen) bei der
IKK vorzubereiten.
Im Laufe des Semesters werden folgende Themen behandelt:
1 Kulturbegriff
2 Unterschiede zwischen Kulturen
3 Wie die Wahrnehmung funktioniert
4 Der Umgang mit Fremden und Fremdheit
5 Identität und Interkulturalität. Verlaufsformen des Kulturkontakts
6 Gleiches Wort –unterschiedliche Bedeutungen. Bedeutungserschließung
7 Kulturvergleich. Funktionale Äquivalenz
8 Voraussetzungen für erfolgreiche Kommunikation
Gleiche Absicht – unterschiedliche Realisierungen. Gleicher
9
Gesprächstyp – unterschiedliche Abläufe und Themen
Gleiche Gesprächssituation – unterschiedliche Register. Gleiche
10
Gesprächssituation – unterschiedliche Etikette
Gleiche Sprechweise, gleiche Zeichen – unterschiedliche Bedeutungen.
11
Unterschiedliche Werte, unterschiedliche Einstellungen
Interkulturelle Wirtschaftskommunikation. Wege zur erfolgreichen
12
Zusammenarbeit
13 Interkulturelle Kommunikation und Übersetzung
14 Interkulturelles Lernen
 Fragen zum Thema 1 „Grundbegriffe der IKK“
Finden Sie in der Vorlesung Antworten auf diese Fragen. Beantworten Sie die
Fragen auf Deutsch oder Ukrainisch.
1. Was ist die Kommunikation? Welche sind drei Bestandteile der
Kommunikation?
2. Warum ist die Kommunikation keine einfache Übertragung der Information
vom Sender zum Empfänger?
3. Was ist wichtiger verbale oder nonverbale Kommunikation?
4. Was ist die IKK?
5. Was heißt „vermittelte interkulturelle Kommunikation“ beim
Fremdsprachenlernen?
6. Was bedeutet die Aussage: Die Sprache kategorisiert die Welt (Theorie der
sprachlichen Relativität)?
7. Werden bei der IKK immer Fremdsprachen verwendet?
8. Was macht einen pragmatischen Sprachfehler aus?
9. Welche Fehler sind oft schlimmer grammatische oder pragmatische? Warum?
10.Wie/warum entstand die IKK als Wissenschaft?
Thema 2. Kulturbegriff Vorlesung
Enger und erweiterter Kulturbegriff – Kultur als kollektive mentale Programmierung
– Kultur als Orientierungssystem – Beobachtbare und unbeobachtbare Kultur –
Verfahren für das Verstehen der fremden Kultur: Beschreibung, Erklärung,
Kontextualisierung – Zwiebelmodell der Kultur– Kulturen in Kulturen – ein offener
Kulturbegriff

 Enger und erweiterter Kulturbegriff


Für alle, die sich mit dem Thema IKK beschäftigen, ist „Kultur“ ohne Zweifel
ein Schlüsselbegriff. Wer interkulturelle Kommunikationssituationen erfolgreich
meistern will, muss zunächst einmal wissen, was denn überhaupt unter „Kultur“ zu
verstehen ist.
Das Wort Kultur hat mehrere Bedeutungen; sie sind alle aus seinem lateinischen
Ursprung abgeleitet, der das Pflege des Bodens bezeichnet.
Später wurde die Kultur lange Zeit mit der Bildung, Literatur und Kunst
gleichgesetzt, d.h. zur Kultur gehörten Bereiche wie Literatur, Malerei, klassische
Musik, Gebäude der repräsentativen Architektur, Ballett. Bereiche des Alltags – wie
etwa Arbeit und Technik, Wirtschaft, Gesellschaft oder Politik wurden nicht zur
Kultur gezählt. Wenn man also die Kultur als Bildung, Literatur und Kunst versteht,
ist vom engen oder traditionellen Kulturbegriff die Rede.
Etwa seit Beginn der Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts begann sich jedoch der
so genannte erweiterte Kulturbegriff durchzusetzen, der den engen Kulturbegriff
nicht ausgrenzt, sondern integriert. Er stammt ursprünglich aus der
Sozialanthropologie1 und umfasst nicht nur die Werke der „hohen“ Kunst, sondern
die gesamte Lebenswelt 2, der in einem bestimmten Sprach-und territorialen Raum
1
Антропологія –наука, яка вивчає поведінку людей у межах соціальних груп. Соціоантропологи
вивчають структуру соціальних зв'язків людини, включаючи: традиції, економічну та політичну
активність, законодавство, звичаєве право, усталені шаблони споживання, структуру сім'ї,
міжстатеві стосунки, релігію тощо.
Sozialanthropologie (Sozial- und Kulturanthropologie oder Ethnologie) ist eine Sozial und
Kulturwissenschaft, die den Menschen als soziales Wesen in Gesellschaften untersucht, 

2
Культура – це створений багатьма поколіннями людей протягом тривалого часу
життєвий простір в якому живуть і діють люди, які, пов’язані спільною мовою і традиціями.
lebenden Menschen, d.h. alle Produkte und Tätigkeiten ihren Denkens und Handelns.
Hierzu zählen materielle und immaterielle Produkte: Technik, Bildungssysteme,
Religion, Ethik, Recht; Umgangsformen, und Regeln, die das menschliche
Zusammenleben bestimmen:
Zwischenschlüsse:
Es werden zwei grundlegende Kulturbegriffe unterschieden:
(1) Der ästhetische Kulturbegriff, der mit Begriffen wie Bildung, Literatur und
Kunst eng verknüpft ist.
(2) Der anthropologische Kulturbegriff. Er beschreibt die Kultur als „die Art und
Weise, wie Menschen ihr Leben gestalten zusammen den Produkten ihres Denkens
und Handelns“

 Kultur als mentale kollektive Programmierung

In seinem Ansatz beschreibt der niederländische Kulturwissenschaftler Geert


Hofstede Kultur als mentale Software oder mentale Programmierung. Dabei fasst
er den Kulturbegriff sehr weit:
Jeder Mensch trägt in seinem Innern Muster des Denkens, Fühlens und potentiellen
Handelns, die er ein Leben lang erlernt hat. Ein Großteil davon wurde in der frühen Kindheit
erworben, denn in dieser Zeit ist der Mensch am empfänglichsten für Lern- und
Assimilationsprozesse (Hofstede 1997: S. 2).

Diese Denk-, Fühl- und Handlungsmuster bezeichnet der Forscher als „mentale
Programme“. Das bedeutet natürlich nicht, dass Menschen wie Computer
programmiert sind. Das Verhalten eines Menschen ist nur zum Teil durch seine
mentalen Programme vorbestimmt: er hat grundsätzlich die Möglichkeit, von ihnen
abzuweichen und auf eine neue, Weise zu reagieren. Die Quellen unserer mentalen
Programme liegen im sozialen Umfeld, in dem wir aufgewachsen sind und unsere
Lebenserfahrungen gesammelt haben.

„Kultur ist erlernt, und nicht vererbt. Sie leitet sich aus unserem sozialen Umfeld ab, nicht
Сюди входять також всі результати будь-якого виду діяльності цієї групи людей , а також
досвід і правила/закони, за якими живуть люди, ставлення людей до нового і не
рідного/чужого, до ідей, цінностей та способів життя.
aus den Genen“ (Hofstede 1997: S. 4).

Kultur ist „die kollektive Programmierung des Geistes, die die Mitglieder einer Gruppe oder
Kategorie von Menschen von einer anderen unterscheidet“ (Hofstede 1997: S. 4). Die
Programmierung beginnt in der Familie und setzt sich fort in der Nachbarschaft, in der Schule, in
Jugendgruppen, am Arbeitsplatz, in der Partnerschaft (Hofstede 1997: S. 3).

“Kultur“ ist stets „ein kollektives Phänomen, das man mit Menschen teilt, die im selben
sozialen Umfeld leben oder lebten. Bei diesen Kollektiven kann es sich ebenso um die

Gruppen innerhalb eines Landes, z.B.: die Einwohner eines Landes, Angehörige
einer bestimmten Nation, wie um internationale Kulturgruppen, z.B.: Kultur der IT-
Fachleute oder um die Studentenkultur weltweit handeln.

Die mentale Programmierung des Menschen kann nach Hofstede in drei Ebenen
unterteilt werden: Natur, Kultur und Persönlichkeit.
Natur, das, was allen Menschen gemeinsam ist. „Natur stellt die universelle Ebene in
unserer mentalen Software dar“ (Hofstede 2005: S. 5). Diese Ebene ist ererbt und
zeigt sich in den menschlichen Fähigkeiten zur Empfindung von beispielsweise
Angst, Zorn, Liebe, Freude, Traurigkeit oder Scham. Die Art und Weise aber, wie
man seine Angst, Freude usw. zum Ausdruck bringt, ist kulturbedingt.
Die zweite Ebene Kultur ist erlernt und nicht ererbt. Kultur leitet sich aus unserem
sozialen Umfeld ab, nicht aus unseren Genen.
Die Persönlichkeit hingegen ist eines jeden Individuums „einzigartige persönliche
Kombination mentaler Programme, die es mit keinem anderen Menschen teilt“
(Hofstede 2005: S. 5). Sie begründet sich auf Charakterzüge, die teilweise ererbt und
teilweise erlernt sind.
Abbildung 1: Drei Ebenen in der mentalen Programmierung des Menschen (Hofstede 2005: S. 4)

 Kultur als Orientierungssystem


Eine andere, auch sehr bekannte Definition der Kultur stammt vom berühmten
Kulturanthropologen A. Thomas. Die Kultur wird von ihm als
ein universelles, für eine Gesellschaft, Organisation und Gruppe sehr typisches
Orientierungssystem bezeichnet. Dieses Orientierungssystem wird aus spezifischen
Symbolen gebildet und in der jeweiligen Gesellschaft tradiert. Es beeinflusst das
Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln aller ihrer Mitglieder und definiert somit
deren Zugehörigkeit zur Gesellschaft. Kultur als Orientierungssystem strukturiert ein
für die sich der Gesellschaft zugehörig fühlenden Individuen spezifisches
Handlungsfeld und schafft damit die Voraussetzung zur Entwicklung eigenständiger
Formen der Umweltbewältigung (Thomas 1993: 380 – 381).
"Kultur"...
 ...ist ein Orientierungssystem für eine Gruppe/Gesellschaft
 ...ist etwas "typisches" für diese Gruppe
 ... wird aus spezifischen Symbolen gebildet.
 ...wird in jeweiliger Gruppe tradiert (= weitergegeben)
 ...beeinflusst das Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln aller ihrer
Mitglieder
 ...definiert (durch diesen Einfluss) deren Zugehörigkeit zur Gruppe
 strukturiert (für seine Mitglieder) ein spezifisches Handlungsfeld (= was ist
gesellschaftlich "richtig/falsch"

 Beobachtbare und unbeobachtbare Kultur – Verfahren für das Verstehen


der fremden Kultur: Beschreibung, Erklärung, Kontextualisierung

Das Eisbergmodell von Edward T. Hall dient in der Kulturwissenschaft dazu,


um zu verdeutlichen, dass einige Bereiche von Kultur „über der Wasseroberfläche“
liegen (ca. 1/10), also leicht sichtbar und hörbar sind (z.B. Sprache, Bräuche,
Kleidung, Essen), während der überwiegende Teil „unter der Wasseroberfläche“
verborgen bleibt (z.B. Normen, Werte, Glaube, Philosophie).
Die Bereiche, die unterhalb der Wasseroberfläche liegen, sind nicht direkt
sichtbar für Menschen, die mit der Kultur nicht vertraut sind. Sie beeinflussen jedoch
die sichtbaren Bereiche der Kultur sehr stark. Erst durch das Wissen um diese
verborgenen Einheiten kann man eine fremde Kultur verstehen. (aus
Bolten_IKK_Handout)
Beispiel: So geschieht es häufig, dass bestimmte Handlungen aus deutscher Sicht unter
„Korruption“ verbucht werden, die aus der Perspektive anderer Kulturangehöriger vollkommen
selbstverständlich und moralisch erscheinen.
(Sieh noch kurz in Bolten S.21 und in Materialien zur Vorlesung 2)
Daraus folgt: Ebenso wichtig wie die Beschreibung von Kulturen ist die
Erklärung ihrer historisch gewachsenen Systemzusammenhänge. Reiseberichte,
Reiseführer oder Kulturinformationen widmen sich zumeist nur der
Beschreibungsebene. Dies kann leicht zur Folge haben, dass man aus Unkenntnis der
Hintergründe bestimmte Sachverhalte nicht als Resultate der fremdkulturellen
Entwicklung versteht, sondern dass man sie aus der eigenen Perspektive interpretiert.
Zusammengefasst: Das Modell zeigt die Bedeutung der verborgenen Teile der
Kultur deutlich auf und weist darauf hin, wie wichtig es ist, in interkulturellen
Begegnungen sensibel für das Unsichtbare zu bleiben – dem Eigenen und dem
Fremden gegenüber. Denn ein Verständnis von Kulturen lässt sich nicht mit
Beschreibungen von Oberflächenphänomenen erzielen, sondern erst im Dreischritt
von Beschreibung, Erklärung und Kontextualisierung.
 Kulturmodell von G.Hofstede (Zwiebeldiagramm)
Ein anderes Model der Kultur im anthropologischen Sinn wurde vom Geert Hofstede
erarbeitet. Das sogenannte „Zwiebelmodell“ der Kultur unterscheidet vier
Tiefebenen, auf denen sich kulturelle Unterschiede zwischen Kulturen manifestieren:
Werte, Rituale, Helden und Symbole.

Symbole, Helden, Rituale und Werte werden als Schale einer Zwiebel dargestellt,
womit angedeutet werden soll, dass Symbole die oberflächlichsten und Werte die
tiefgehendsten Manifestationen von Kultur sind und Helden sowie Rituale
dazwischen liegen.

In der Abbildung werden Symbole, Helden und Rituale unter dem Begriff Praktiken
zusammengefasst. Als solche sind sie für einen außenstehenden Beobachter sichtbar,
aber ihre kulturelle Bedeutung ist nicht sichtbar; sie liegt genau und ausschließlich in
der Art und Weise, wie diese Praktiken von Insidern interpretiert werden.

Symbole sind Worte, Gesten, Bilder oder Objekte, die eine bestimmte Bedeutung
haben, welche nur von denjenigen als solche erkannt wird, die der gleichen Kultur
angehören.
Die Wörter einer Sprache oder Fachsprache gehören zu dieser Kategorie, ebenso wie
Kleidung, Haartracht, Coca-Cola, Flaggen und Statussymbole. Zu Symbolen werden
gezählt:
 Wörter, idiomatische Wendungen, Jargon, Akzent (sprachliche Symbole)
 Markennamen, Kleidung, Frisur, Schmuck, Farben (Modesymbole)
 Flaggen, Statussymbole;
 Monumente und Wahrzeichen;
 kulturelle Artefakte, d.h. alles von Menschen in dieser Kultur künstlich
Hergestellte.
Neue Symbole entwickeln sich rasch, und alte verschwinden; Symbole einer
kulturellen Gruppe werden regelmäßig von anderen nachgeahmt. Deshalb wurden die
Symbole in der äußeren, oberflächlichsten Schicht in Abbildung platziert. [Hofstede
1997: 8]

Helden sind Personen, tot oder lebend, echt oder fiktiv, die Eigenschaften besitzen,
welche in einer Kultur hoch angesehen sind; sie dienen daher als Verhaltensvorbilder.
Beispiele für Helden können gefunden werden bei:
 Figuren aus der Werbung
 Sport-, Musik- und Filmstars, Schriftsteller, Politiker, Militär
 historische oder erfundenen Personen.
Rituale sind kollektive Tätigkeiten, die für das Erreichen der angestrebten Ziele
eigentlich überflüssig sind, innerhalb einer Kultur aber als sozial notwendig gelten:
sie werden daher um ihrer selbst willen ausgeübt. Formen des Grüßens und der
Ehrerbietung anderen gegenüber, Smalltalk, Verhalten, das den Ausdruck von
Zustimmung oder Ablehnung begleitet, soziale und religiöse Zeremonien sind
Beispiele hierfür. Geschäftliche und politische Zusammenkünfte, die aus scheinbar
rationalen Gründen organisiert werden, dienen häufig vor allem rituellen Zwecken,
beispielsweise um den führenden Persönlichkeiten Gelegenheit zur Selbstbehauptung
zu geben.

Werte bilden die innere Schicht von Hofstedes Zwiebeldiagramm. Sie bilden für eine
Gemeinschaft oder eine Gruppe, den roten Faden der Lebensorientierung. Werte sind
gleichzusetzen mit Prioritäten: eine bestimmte Wertvorstellung annehmen bedeutet,
dass man dazu neigt, den gegebenen Zustand vor anderen zu wählen.
Werte sind vor allem Gefühle mit einer Orientierung zum Plus- oder zum Minuspol
hin, wie das Verständnis von Gut und Böse oder die Unterscheidungen böse/gut,
hässlich/schön, unnatürlich/natürlich, anomal/normal, paradox/logisch, und
irrational/rational. Unter den sozialen Werten sind, z.B. „Selbstverwirklichung“,
„Sinn für Eigentum“, „Sicherheit“, „Selbstrespekt“, „Spaß im Leben haben“.

Werte werden in einer gegebenen Gemeinschaft respektiert, was nicht heißt, dass
allgemein und ständig an ihnen festgehalten wird. Man hält sie für bedeutsam, aber es
kann auch Kompromisse geben.

Werte gehören zu den ersten Dingen, die ein Kind lernt. Viele der eigenen Werte sind
dem betreffenden Menschen nicht bewusst, weil er sie so früh im Leben erworben
hat. Man kann daher nicht über sie diskutieren, und für Außenstehende sind sie nicht
direkt wahrnehmbar. Man kann lediglich aus der Art und Weise, wie Menschen unter
verschiedenen Umständen handeln, auf sie schließen.

Das Zwiebeldiagramm verdeutlicht die Unterschiedliche Zugänglichkeit und


Dauerhaftigkeit der entsprechenden Schichten. Die Symbolschicht ist leicht entdeckt
und wird ebenso leicht beherrscht oder imitiert. Das liegt auch daran, weil sie
vielfachen Änderungen unterworfen ist. Was heute als trendsetzend betrachtet wird
und nur einer kleinen Gruppe bekannt ist, kann morgen ein populärer Trend und nach
ein paar Monaten bereits wieder vergessen sein.

Werte bilden das gegensätzliche Ende des Diagramms: Sie sind nicht zugänglich und
sie sind die dauerhaftesten Bestandteile eines kulturellen Systems.
„Entwicklungspsychologen glauben, dass die meisten Kinder in einem Alter von 10
Jahren bereits ihr grundlegendes Wertesystem angeeignet haben und dass nach
diesem Alter Veränderungen schwierig sind. Weil wie sie so zeitig im Leben
erworben haben, bleiben viele Werte ihren Besitzern unbewusst“ (Hofstede 1991) das
ist der Grund, warum Werte nicht leicht zu beobachten oder in Sprache zu fassen
sind. Normaler weise kann auf Werte nur zurückgeschlossen werden.

 Kulturen in Kulturen. Kultur und Individuum.

Der anthropologische Kulturbegriff führt zur Unterscheidung kulturellen


Einheiten, die sehr unterschiedliche soziale, religiöse und territoriale Dimensionen
aufweisen können.
Die am häufigsten verwendete Bezugsgröße in Untersuchungen zur IKK ist die
Nationalkultur, die seit dem 19. Jahrhundert auf allen Ebenen eine deutliche
Trennschärfe aufweist, auch wenn diese im Kontext der zeitgenössischen
Globalisierung durch die transkulturelle Verbreitung etwa von Kleidungsstilen (vor
allem in der Jugendkultur), Konsummustern (I-Phons; Autos) und teilweise auch
Kollektivsymbolen (vor allem der Musik- und Sportszene) zweifelsohne etwas
zurückgegangen ist.

Nach einem herkömmlichen Verständnis umfasst die Begrifflichkeit nationale Kultur


das Kollektiv der Bewohner eines Landes. Innerhalb einer nationalen Kultur gibt es
viele Aspekte, die zu einer gemeinsamen kulturellen Prägung bringen, das sind zum
Beispiel: ein nationales politisches System, ein gemeinsames Bildungssystem, eine
nationale Landessprache, ein nationaler Markt für bestimmte Fertigkeiten und
Leistungen, eine nationalen Vertretung bei Sportveranstaltungen mit hoher
symbolischer und emotionaler Bedeutung, eine gemeinsame Geschichte .
Kultur bildet sich aber nicht nur innerhalb von staatlichen Gebilden heraus - die
so genannte „Nationalkultur“ - sondern ist auch auf Ebenen oberhalb und unterhalb
nationaler Kollektive zu finden, so dass wir es tatsächlich mit komplexen
Verschachtelungen von „Kulturen in Kulturen“ zu tun haben.

Kultur entsteht in geographischen Großräumen („europäische Kultur), und


Regionen („bayerische Kultur“), in Religionsgemeinschaften (christliche Kultur), in
Generationen (Kultur der „68er Generation“), in Gruppen von Jugendlichen (Sub-
Kulturen wie „Punk“), in politischen Gruppierungen („christdemokratische Kultur“),
und in sozialen Klassen („Arbeiterkultur“), indem die jeweiligen – teils sehr großen,
teils eher kleinen Kollektive bestimmte Standardisierungen erzeugen.
Wenn man den Blick auf das Individuum lenkt, lässt sich feststellen, dass so gut
wie jeder Mensch gleichzeitig mehreren verschiedenen kulturellen Formationen
angehört. Daraus ergibt sich, dass man „verschiedene Ebenen mentaler
Programmierung in sich“ trägt. (Hofstede 1997: S. 11)
Die Zahl dieser Ebenen kann sehr groß werden, z.B.
- eine nationale Ebene
- eine Ebene regionaler und/oder ethnischer und/oder religiöser und/oder sprachlicher
Zugehörigkeit
- eine Ebene des Geschlechts
- eine Ebene der Generation
- eine Ebene der sozialen Klasse
- im Falle von Beschäftigten eine Ebene der Organisation oder Firma
(vgl. Hofstede 1997: S. 11 f.):
So kann man etwa zugleich Ukrainer und Christ, allerdings russischsprachig
sein, zur Technoszene gehören und zur Gruppe der Fußballfans, zur Berufsgruppe der
Studierenden.

 Problem der Abgrenzung der Kulturen. / Ein offener Kulturbegriff


Kulturen können uns als stabile und homogene, nach außen
abgeschottete/відмежовані „Container“ erscheinen. Tatsächlich gleichen Kulturen
aber mehr einem heterogenen, nach außen hin offenen und sich stets verändernden
Netzwerk.
Vor dem Hintergrund der verstärkten Etablierung transnationaler Organisationen
wird gegenwärtig vielfach ein offener Kulturbegriff favorisiert. "Kulturen" werden in
diesem Verständnis durch beliebige, mehr oder minder große Kollektive
repräsentiert, die nach außen durch offene Netzwerkverbindungen charakterisiert
sind.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der erweiterte Kulturbegriff der


IKK zugrunde liegt.
Folgende vier Aspekte sind die Kennzeichen des erweitertem Kulturbegriff:
 Kulturen umfassen den gesamten Lebensraum des Menschen, d.h. alle
Produkte und Tätigkeiten menschlichen Denkens und Handelns außerdem
Erfahrungen, Gesetze und Regel, die das menschliche Zusammenleben
bestimmen
 Kulturen sind nicht homogen, sondern vielgestaltig
 Kulturen sind nicht statisch, sondern historisch gewachsen und Veränderungen
unterworfen
 Kulturen sind prinzipiell gleichwertig
(Götze, 1992)

Fragen zur Vorlesung:


1. Was macht einen engen und einen weiten Kulturbegriff aus?
2. Was liegt der Definition „Kultur ist „die kollektive Programmierung des
Geistes“ zugrunde?
3. Wie unterscheiden sich Natur-Kultur- Persönlichkeit nach G. Hofstede
voneinander?
4. Was demonstriert das Eisberg-Modell von Kultur (nach E. Hall)?
5. Auf welchen vier Ebenen manifestieren sich kulturelle Unterschiede zwischen
Kulturen (Zwiebeldiagramm von G.Hofstede)?
6. Wie versteht man den Ausdruck „Kulturen in Kulturen“?
7. In welchen Zusammenhang sind die Kulturen und das Individuum?
8. Was heißt ein „offener“ Kulturbegriff?
Thema 3. Unterschiede zwischen Kulturen (1)
Kulturelle Differenzen – Kulturdimensionen von Hofstede – Umgang mit Macht –
Individuum und Gruppe -– Maskulinität vs. Feminität -– (In)Toleranz gegenüber der
Unsicherheit – Der Umgang mit Zeit – High und Low Context –
Regel/Beziehungsorientierung – weitere Kulturdimensionen – Kritik an
Kulturdimensionen

 Kulturelle Differenzen
Wie unterscheiden sich verschiedene Kulturen voneinander? Um Informationen über
Kulturunterschiede zu bekommen, fokussierten sich die Wissenschaftler auf einzelne
Aspekte, die in polaren Skalen angeordnet werden, z.B.:
Verlauf (Weg als Ziel) Ziel (Ziel als Ziel)
Harmonie (Harmonie mit Natur, Dominanz (Ausbeutung der Natur,
Schönheit) Nützlichkeit)
Individualismus (Selbstbestimmtheit, Kollektivismus (Integration in
Ich-Erfahrung, Eigenverantwortung) Netzwerke, Wir-Gefühl, Schutz)
Öffentlich (öffentliche Anerkennung, Privat (Intimität, Grenzziehung)
Konformität)
Vergangenheit (nostalgisch, Zukunft (innovativ, efolgsorientiert)
pessimistisch, geduldig)
Monochron (Zeit ist linear, Handlungen Polychron (mehrere Handlungen
nach einander) gleichzeitig)
High Context (Hintergrundwissen Low Context (Hintergrundwissen
explizit, Inhalte im Vordergrund) implizit, Beziehungen im Vordergrund)
Demokratisch (Partizipation) Hierarchisch (Unterordnung)
Abb. Polare Differenzen, nach Abb. Hering, S. 144-145.

Diese Aspekte werden als Kriterien/Dimensionen betrachtet, mit denen eine


Kultur beschrieben und mit anderen Kulturen verglichen werden kann.
Es gibt verschiedene Ansätze, die sich mit der Klassifizierung kultureller
Differenzen beschäftigen. Die wichtigsten und meist gebrauchten sind: die
Kulturdimensionen von Geert Hofstede und die Kulturstandards von Alexander
Thomas.
 Kulturdimensionen von Hofstede
Der niederländische Psychologe Geert Hofstede bot sein Modell zur Erfassung
kultureller Unterschiede an.
Hofstede wollte eine Hilfe im Umgang mit Unterschieden im Denken, Fühlen
und Handeln von Menschen bieten. Es sollte gezeigt werden, dass trotz der enormen
Vielfalt von Denkweisen eine Struktur in dieser Vielfalt existiert, mithilfe deren
Unterschiede zwischen (nationalen) Kulturen festgestellt und eingeschätzt werden
können.
Aus umfangreichen empirischen Untersuchungen, die er in den Jahren 1968 und 1972
bei über 116.000 Mitarbeitern/innen des IBM-Konzerns in über 50 Ländern
durchführte, hat Hofstede vier zentrale Werte, die er als „Kulturdimensionen“
bezeichnet, abgeleitet.
Kulturdimensionen sind Aspekte einer Kultur, die sich im Verhältnis mit anderen
Kulturen messen lassen und mithilfe deren Unterschiede zwischen Kulturen
eingeschätzt werden können. (Hofstede 1997 S.17) Sie (Kulturdimensionen) dienen
dazu, um eine Kultur zu beschreiben und mit anderen Kulturen zu vergleichen.
Die vier Dimensionen von Kulturen nach Hofstede sind:
1. Machtdistanz,
2. Kollektivismus/ Individualismus,
3. Maskulinität/ Feminität,
4. Unsicherheitsvermeidung.
Zusammen bilden die Kulturdimensionen ein Model von Unterschieden
zwischen nationalen Kulturen. Sie (Kulturdimensionen) werden per Index gemessen.
Jedes Land kann mit einer erreichten Punktzahl gekennzeichnet und mit anderen
Ländern verglichen werden.
Später wurden die Kulturdimensionen von Hofstede von den Forschern Edward
T. Hall und Fons Trompenaars weiterentwickelt und vertieft. Als Folge wurden
weitere Dimension ausgemacht/entdeckt.
Im Folgenden werden einige Kulturdimensionen von Hofstede und anderen
Wissenschaftlern detaillierter behandelt und an Beispielen veranschaulicht.

 Machtdistanz (Umgang mit Macht) (G. Hofstede)


Die Variable „Macht“ bestimmt das Maß, in dem die weniger mächtigen Individuen
einer Gesellschaft akzeptieren, dass Macht ungleich verteilt ist. Der
Machtdistanzindex gibt an, welche Toleranz/Akzeptanz es in einer Kultur für Macht-
und Autoritätsunterschiede gibt.
In einigen Gesellschaften oder Organisationen ist Ungleichheit vorgegeben und wird
mehrheitlich akzeptiert, da dies das Bedürfnis nach Geborgenheit befriedigt und den
Mächtigen wie den Nicht-Mächtigen ein Gefühl der Sicherheit gibt. In anderen
Gesellschaften oder Organisationen betrachtet man Ungleichheit überwiegend als
einen unbefriedigenden Zustand. Soweit sie unvermeidbar ist, wird es als richtig
angesehen, sie durch gesetzliche, ökonomische und politische Maßnahmen
einzuschränken.
Folgendes Verhalten weist Kulturen mit geringen/großen Machtdistanz aus:
Geringe Machtdistanz Große Machtdistanz
- Ungleichheit unter den Menschen - Ungleichheit unter den Menschen
sollte so gering wie möglich sein wird erwartet und ist erwünscht
- Eltern behandeln ihre Kinder wie - Eltern erziehen ihre Kinder zu
Ihresgleichen Gehorsam
- Kinder behandeln ihre Eltern wie - Kinder behandeln ihre Eltern mit
Ihresgleichen Respekt
- Lehrer erwarten von ihren Schülern - Jede Initiative geht vom Lehrer aus
Eigeninitiative
- Lehrer sind Experten, die losgelostes - Lehrer sind Gurus, die ihr eigenes
Wissen vermitteln Wissen vermitteln
- Schüler behandeln ihre Lehrer wie - Schüler behandeln ihre Lehrer mit
Ihresgleichen Respekt
- Menschen mit höherer Bildung neigen - Sowohl jene mit mehr als auch jene
zu weniger Autorität als Menschen mit mit weniger Bildung haben die gleiche
weniger Bildung Einstellung zur Autorität
- Hierarchische Struktur in einer - Hierarchische Strukturen in
Organisation bedeutet eine ungleiche Organisationen sind ein Spiegelbild
Rollenverteilung aus praktischen einer Ungleichheit von Natur aus
Gründen zwischen oberer und unterer
Schicht
- Tendenz zu Dezentralisation - Tendenz zu Zentralisation
- Geringe Gehaltsunterschiede - Große Unterschiede im Gehalt
zwischen oberen und unteren innerhalb der Hierarchie
Hierarchiestufen
- Mitarbeiter erwarten, in
Entscheidungen miteinbezogen zu - Mitarbeiter erwarten, Anweisungen zu
werden erhalten

- Der ideale Vorgesetzte ist der


einfallsreiche Demokrat - Der ideale Vorgesetzte ist der
wohlwollende Autokrat oder gütiger
Vater
- Privilegien und Statussymbole stoßen
auf Missbilligung - Privilegien und Statussymbole für
Manager werden erwartet und sind
populär

Hofstede, S. 46

Laut Befragungen von Hofstede existieren sehr hohe Machdistanzwerte in den


asiatischen, osteuropäischen, lateinamerikanischen und arabischen Ländern und sehr
niedrige Machtdistanzwerte für Israel, Skandinavien, die deutschsprachigen Ländern,
Großbritannien und die USA
Ein Beispiel: Das Kastensystem ist eines der Hauptmerkmale der indischen Gesellschaft und
damit ein Beispiel für eine große Machtdistanz. In Indien wird jeder Mensch aufgrund seines
Karmas in eine bestimmte Kaste hineingeboren. Diese Kastenzugehörigkeit ist vererbbar und die
Regeln der Kaste bestimmen den späteren Ehepartner sowie das ganze spätere Leben.

 Kollektivismus /Individualismus (G. Hofstede)


Eine der Kulturdimensionen nach Hofstede ist das Verhältnis von Individualismus
und Kollektivismus. Sie wird folgendermaßen definiert: „Individualismus beschreibt
Gesellschaften, in denen die Bindungen zwischen den Individuen locker sind: man
erwartet von jedem, dass er für sich selbst und für seine unmittelbare Familie sorgt.
Sein Gegenstück, der Kollektivismus, beschreibt Gesellschaften, in denen Mensch
von Geburt an in starke, geschlossene Wir-Gruppen integriert ist, die ihn ein Leben
lang schützen und dafür bedingungslose Loyalität verlangen“. (Hofstede, 102)
Kulturen werden in mehr individualistisch und mehr kollektivistisch orientierte
eingeteilt. In individualistischen Kulturen stehen eher individuelle Interessen im
Vordergrund, in kollektivistischen Kulturen geht es stärker ums Wohlergehen der
Gemeinschaft.
Hauptunterschiede zwischen kollektivistischen und individualistischen
Gesellschaften sind im Folgenden dargestellt:
Individualistisch Kollektivistisch
- Jeder Mensch wachst heran, um - Die Menschen werden in
ausschließlich für sich selbst und seine Großfamilien oder andere Wir-Gruppen
direkte (Kern-)Familie zu sorgen hineingeboren
- Die Identität ist im Individuum - Die Identität ist im sozialen Netzwerk
begründet begründet, dem man angehört
- Kinder lernen in „Ich“-Begriffen zu - Kinder lernen in „Wir-Begriffen“ zu
denken
denken
- Seine Meinung zu äußern ist
Kennzeichen eines aufrichtigen - Man sollte immer Harmonie bewahren
Menschen und direkte Auseinandersetzungen
vermeiden
- Beziehung Arbeitgeber-Arbeitnehmer - Beziehung Arbeitgeber-Arbeitnehmer
ist ein Vertrag, der sich auf wird an moralischen Maßstäben
gegenseitigen Nutzen gründen soll gemessen, ähnlich einer familiären
Bindung
- Management bedeutet Management - Management bedeutet Management
von Individuen von Gruppen
- Aufgabe hat Vorrang vor Beziehung - Beziehung hat Vorrang vor Aufgabe
Hofstede, S. 90

Kaum überraschend haben die USA die höchsten Individualismus-Indexwerte,


gefolgt von Australien, Großbritannien und Kanada. Die niedrigeren Werte finden
sich in asiatischen Ländern, z.B. in China, Japan, Thailand und die niedrigsten
Guatemala, Ecuador, Panama, Venezuela, Kolumbien und Pakistan.
Приклад на колективізм Сходу і індивідуалізм Заходу. із студенткою з південної Кореї. Під час
перебування у волонтерському таборі і спілкування із студентами із різних країн у неї з лиця не сходила
привітна посмішка. Вона дивувалась, чому волонтери з Європи (особливо німці) так довго дискутують з
приводу того, як і де разом провести вільний час, чому кожен наполягає саме на своїй пропозиції і їм так важко
домовитись. Кореянка позитивно реагувала на кожну пропозицію і казала, що все їй подобається. Вийшло так,
що, вирішивши разом зробити екскурсію у одне місто, волонтери не змогли домовитись, як разом провести час,
і розійшлися групками по-двоє або по-троє. “Який індивідуалізм! “ дивувалась кореянка.
Beispiel: Ein (Produktionsteam)Team im Deutschen ist eine Gruppe von Individuen und in
China eine Gemeinschaft: die Gesamtheit der Gruppenmitglieder steht im Vordergrund und ist
wichtiger als die Selbstverwirklichung der Einzelnen. Harmonie und Kooperation herrschen
innerhalb der Gruppe, wobei man sich jedoch von Personen außerhalb der Gruppe deutlich
abgrenzen möchte.
Ein konkretes Beispiel für diese Dimension das Versagen von gewissen Bonusprogrammen in
asiatischen Ländern. Bonusprogramme, die ein Individuum z.B. finanziell für Ihre Leistung
belohnen, sind grundsätzlich individualistisch in ihrer kulturellen Prägung, und sie sind in eher
individualistischen Gesellschaften auch durchaus erfolgreich. In kollektivistischen Gesellschaften
können diese Bonusprogramme sogar kontraproduktiv wirken. Die Erklärung dafür ist relativ
simple: In einer kollektivistischen Gesellschaft will kein Gruppenmitglied als besonders
herausgestellt werden, da die Gruppe Vorrang hat.

 Maskulinität vs. Feminität (G. Hofstede)


Die Kulturdimension Maskulinität/ Feminität beschreibt, inwieweit man in einer
Kultur an maskulinen Werten und einer traditionellen Rollenverteilung zwischen
Mann und Frau festhält. „Eine Gesellschaft bezeichnet man als maskulin, wenn die
gesellschaftlichen Geschlechtsrollen klar festgelegt sind: Männer sollen
durchsetzungsfähig, hart und materiell orientiert sein, Frauen dagegen müssen
bescheidener, sensibler sein und Wert auf Lebensqualität legen. Als feminin
bezeichnet man eine Gesellschaft, wenn sich die Rollen der Geschlechter emotional
überschneiden: sowohl Frauen als auch Männer sollen bescheiden und feinfühlig sein
und Wert auf Lebensqualität legen“. Typische Merkmale in femininen Kulturkreisen
sind eine Ausgewogenheit zwischen Arbeits- und Privatleben,
Kooperationsbereitschaft.
Ermittelt wurde der Maskulinitäts-Index anhand von Fragen nach der Bedeutung, die der
Einkommen, der Anerkennung oder der Möglichkeit zur Beförderung zugemessen wird (maskuline
Werte), im Gegensatz zur Bedeutung eines guten Arbeitsklimas, einer angenehmen Umgebung und
der Sicherheit des Arbeitsplatzes (feminine Werte). Japan hat demnächst einen Maskulinitätsindex
von 95, Deutschland und China einen Wert von 66, die USA von 62, Frankreich und der Iran von
43 und Schweden (Niederlanden, skandinavische Länder) von 5. (Erl/Gymnich S.47)
Maskulines bzw. feminines Rollenverhalten ist von entscheidendem Einfluss auf
Führungsstile und Kommunikationsverhalten in einer Gesellschaft. „Während in
maskulin geprägten Kulturen in Unternehmen und Institutionen ein eher
bestimmender, anordnender und aggressiver Führungsstil vorherrscht und Leistung,
Erfolgsstreben, Anerkennung sowie eine deutliche Trennung der Geschlechterrollen
zu beobachten ist, dominierte in femininen Kulturen ein konsens- und
kooperationsorientierter Kommunikationsstil“ (Hofstede)
Maskulinität Femininität
Geld und Dinge sind wichtig. Menschen und intakte
zwischenmenschliche Beziehungen
sind wichtig.
In der Familie ist der Vater für die In der Familie sind sowohl der Vater
Fakten, die Mutter für die Gefühle als auch die Mutter für Fakten und
zuständig. Gefühle zuständig.
Sympathie mit den Starken. Sympathie mit den Schwachen.
Leben, um zu arbeiten. Arbeiten um zu leben.

http://www.ibim.de/ikult/2-3.htm
 Hohe/Niedrige Unsicherheitsvermeidung
(In-)Toleranz gegenüber der Unsicherheit (G. Hofstede)
Die nächste Kulturdimension Unsicherheitsvermeidung wird von Hofstede
folgendermaßen beschrieben: „Unsicherheitsvermeidung lässt sich definieren als der
Grad, bis zu dem die Mitglieder einer Kultur sich durch uneindeutige oder
unbekannte Situationen bedroht fühlen. Dieses Gefühl drückt sich u.a. in nervösem
Stress und einem Bedürfnis nach Vorhersehbarkeit aus: ein Bedürfnis nach
geschriebenen und ungeschriebenen Regeln.“ (Hofstede 233)
Unsicherheit kann akzeptiert und locker genommen werden (Toleranz gegen die
Unsicherheit). Oder man kann sich durch Unsicherheit bedroht fühlen (Bedürfnis
nach der Unsicherheitsvermeidung).
Die zentrale Frage ist, wie eine Gesellschaft mit unvorhersehbaren Situationen
umgeht. Kulturen mit einer hohen Unsicherheitsvermeidung versuchen mittels
Regeln und Vorgaben Unsicherheiten entgegen zu wirken, wobei in Nationen mit
einer weniger starken Ausprägung mehr die Leistung, als das Befolgen bestimmter
Prinzipien, zählt.
Japan, Frankreich und Deutschland sind Nationen mit hoher
Unsicherheitsvermeidung, während China und Schweden eine eher niedrigere
Ausprägung der Unsicherheitsvermeidung aufweisen.

Beispiel: Eine Deutsche kann es nicht begreifen, wie man unversichert leben kann
Beispiel: Ein österreichischer Lektor an einer ukrainischen Universität empörte sich, dass der
Ruhetag sehr kurzfristig von der ukrainischen Regierung auf einen anderen Tag verschoben
wurde und nicht schon am Anfang des Jahres in der Öffentlichkeit mitgeteilt wurde.
Beispiel: Unsicherheitsvermeidung ist in der chinesischen Kultur von nachrangiger
Bedeutung (30 Punkte auf einer Skala von 0-100). Eine unternehmerische Denkweise und
eine flexible Anpassung von Regeln an die jeweilige Situation sind typische Wesenszüge der
Kultur. Häufige Änderungen in Geschäftsprozessen werden akzeptiert und die Bedeutung
einer langfristigen Entwicklung ist von Wichtigkeit.

Der US-amerikanische Anthropologe Edward.T. Hall unterscheidet in erster


Linie zwei grundlegende Kulturdimensionen, Zu einem trifft er die Unterscheidung
von monochronen und polychronen Kulturen Zum anderen unterscheidet Hall
zwischen kontextgebundenen und kontextungebundenen Kulturen.
Der Umgang mit Zeit (E. Hall)
„Jede Kultur hat ihre eigene Zeitsprache. Sie sollte wie eine Fremdsprache erlernt
werden. Aber wie selbstverständlich gehen wir davon aus, dass unser Zeitsystem
allgemeingültig ist und übertragen es auf andere Länder und Kulturen. Dabei
übersehen wir dann die Botschaften, die sich hinter fremden Zeitsystemen
verbergen.“ (Hall 1984)
Es gibt grundsätzlich zwei Arten, wie Menschen mit der Zeit umgehen. Die
einen teilen sie ein, die anderen zerteilen sie. Menschen, die Zeit einteilen, verrichten
jeweils nur eine Tätigkeit; Menschen, die Zeit nicht einteilen, sondern im Gegenteil
zerteilen, können viele Dinge gleichzeitig tun.
Menschen, die Zeit einteilen (розподіляють час) weisen Monochrones Verhalten
auf:
Die Zeit wird in einzelne Handlungsketten aufgeteilt. Jede Handlungskette muss erst
abgeschlossen sein, bevor die nächste begonnen werden kann. „Erst kommt die
Arbeit, dann das Vergnügen“, diesen Satz lernen Kinder in monochrom agierenden
Kulturen schon sehr früh. Ein typisches Beispiel für das monochrome Vorgehen ist
eine Tagesordnung: erst machen wir dies, dann das, dann ist Pause, dann geht es
weiter mit Punkt Y, etc.
Menschen, die Zeit zerteilen weisen polychrones Verhalten auf («подрібнюють»
час):
Die Zeit wird mehrfach genutzt, auf verschiedene Handlungsketten zerteilt, die
parallel neben einander laufen, sich überschneiden, ein konkreter Anfang und ein
Ende sind nicht definiert.
Die folgenden Beispiele veranschaulichen Verhaltensweisen, die mit diesen
beiden Grundeinstellungen zurzeit zusammenhängen.
Menschen, die Zeit einteilen Menschen, die Zeit zerteilen
Monochrones Verhalten Polychrones Verhalten
- tun immer eins nach dem anderen - tun viele Dinge gleichzeitig
- konzentrieren sich auf ihre Arbeit - lassen sich leicht ablenken
- nehmen zeitliche Verpflichtungen - messen zeitlichen Verpflichtungen
ernst (Termine, Zeitpläne) keine große Bedeutung zu
- halten sich an Plane - stoßen Plane um
- sind bemüht, andere nicht zu stören;
- legen großen Wert auf Pünktlichkeit - kommen fast immer zu spät
- betrachten zeitliche Verpflichtungen - betrachten Verpflichtungen gegenüber
beinahe als etwas Heiliges Verwandten und engen Freunden als
- arbeiten methodisch heilig
-sind tüchtig, aber verlieren leicht die
Geduld
Abb. nach Hall, E.: Verborgene Signale.

In vielen Kulturen Nord-und Westeuropa herrscht rigide Zeiteinteilung, bei der


äußerste Pünktlichkeit erwartet wird. Sie sind „monochron“. Als „polychrone“
Kulturen hingegen gelten die romanischen Kulturen Europas und Amerikas. Sie
zeichnen sich durch eine flexiblere Zeiteinteilung, einen geringeren Grad der
Strukturierung von Zeit aus.
Beispiel: Untersuchungen zum interkulturellen Management haben gezeigt, dass interkulturelle
Spannungen häufig auf der zeitlichen Organisation von Arbeitsvorgängen beruhen. 70% der im
Rahmen einer Studie zum deutsch-französischen Management befragten Mitarbeiter deutscher und
französischen Firmen gaben an, dass die ein Grund für Irritationen und Konflikte gewesen sei.
(Lüsebrink 2005:26) Deutsche sind es eher gewohnt, in der Regel nur einen Arbeitsvorgang auf
einmal zu verrichten und beginnen selten etwas, bevor sie die vorgehende Aufgabe abgeschlossen
haben. Die Franzosen hingegen neigen eher dazu, mehrere Vorgänge gleichzeitig abzuwickeln.
Diese Fähigkeit führt zu Verwirrung und Beunruhigung auf deutscher Seite, da diese Arbeitsweise
oft als unseriös interpretiert wird.
Beispiel: Was für den einen „rechtzeitig“ ist, ist für den anderen „unpünktlich“ - das ist in weltweit
oft verschieden. In Deutschland heißt „pünktlich zu einer Einladung kommen“ spätestens 5 bis 10
Minuten nach der angegebeneт Zeit da sein. In Schweden darf man nicht vor oder nach der
angegebene zeit erscheinen. Man kommt etwas früher, wartet draußen und klingelt „Punkt“ sieben
oder acht an der Haustür. In Spanien ist die Hausfrau eher irritiert. Wenn man zu pünktlich
erscheint; die Gäste werden 15 bis 25 Minuten nach der angegebenen Zeit erwartet. In Argentinien
ist der Begriff „Pünktlichkeit“ noch dehnbarer. Dort kann es einem Deutschen passieren, dass er als
Einziger „pünktlich“ zur angegebenen Zeit, die anderen Gäste bis zu zwei Stunden später kommen.
Der kulturspezifische Umgang mit Zeit (und Raum) wirkt sich in fast allen Lebensbereichen aus.
Beispiel: Missverständnis zwischen einem Bulgaren und einem Deutschen (викладач з Болгарії,
стажуючись в у-ті в Німеччині, дізнається, що тут працює його німецький колега, з яким
вони заприятелювали на міжн. конференціях. Він, постукавши, заходить в його кабінет. Вони
привітно зустрілись і привітались, та коли болгарин спробував розпочати розмову, німець
відразу вибачився, що не має часу і має працювати і вони можуть вже після роботи
домовитись про зустріч. Болгарин був трохи ображеним, що німець не готовий був
присвятити йому під час цієї зустрічі трохи часу. Він не вважав, що їх спілкування перервало
б роботу чи нашкодило їй.

 High und Low Context (E. Hall)


Dichte des Informationsnetzes
High bzw. low context bezeichnen Konzepte zur Informationsgewinnung bzw.
Informationsverarbeitung und dazu notwendiger Vernetzung. Dabei geht es um
starken oder schwachen Kontextbezug bei der Kommunikation.
In „high context“-Kulturen (stark) ist es weniger üblich, die Dinge direkt beim
Namen zu nennen. Ihre Bekanntheit wird implizit vorausgesetzt und das Erwähnen
zahlreicher Details kann als negativ empfunden werden. Der Gesichtsausdruck der
Gesprächspartner, Anspielungen, die Umstände der Begegnung und viele weitere
Kontextfaktoren sind wichtige Informationsträger.
Kulturen mit starkem Kontextbezug finden sich in Ländern Südeuropas (Spanien,
Frankreich, Italien), vielen asiatischen (China, Japan) und afrikanischen Ländern
sowie in Lateinamerika.
In Kulturen mit schwachem Kontextbezug erwartet man nicht, dass der Großteil
der Informationen bereits bekannt oder ohne sprachlichen Ausdruck erkennbar ist.
Hier wird alles beim Namen genannt, man wirkt direkter und fühlt sich verpflichtet,
dem Gegenüber möglichst präzise Angaben zu machen.
So genannte „low-context“-Kulturen sind etwa die USA, Kanada,
skandinavische Länder, Deutschland, die Beneluxländer und Großbritannien.

Hoher Kontextbezug Schwacher Kontextbezug


- Kommunikationsstil ist durch - Es sind mehr Informationen explizit
Indirektheit und implizite in den direkten Äußerungen enthalten.
Bedeutungen charakteristisch
- Diese werden verstärkt durch
Kontextualisierungshinweise
(Intonation, Mimik, Gestik).
- Es wird von einem gemeinsamen
Hintergrundwissen ausgegangen.
- Bedeutungskonstitution erfolgt daher - Bedeutungskonstitution erfolgt
über eine Orientierung am stärker über die Orientierung an der
Gesamtzusammenhang. Menge der Einzelinformationen als am
Gesetzzusammenhang.
- Lässt mehr Deutungsspielraum, muss - Lässt geringeren Deutungsspielraum,
sich also auf Kombinationsgabe des der Anspruch an den Gesprächspartner
Gesprächspartners verlassen. zum Füllen der „Lücke“ ist geringer.
- Der Kommunikationspartner ist
gezwungen die hinterlassenen
„Lücken“ zu füllen.

Beispiel: „Lassen Sie uns die Details später besprechen – zunächst wollten wir uns auf ein
paar allgemeine Prinzipien einigen.“ Dies ist eine typische Aussage in einem „high-context“-
Ansatz. Die allgemeinen Ideen sind wichtiger als die Details, um die man sich später kümmern
kann.
Beispiel: Vergleich in der Geschäftskommunikation in deutschen und ukrainischen
Unternehmen. Deutsche z.B. haben eher wenig informelle Informationsnetze, deshalb brauchen sie
zum Verständnis zusätzliche Detailinformationen: sie haben schwachen „Kontext“ (low context).
Ukrainer dagegen benötigen wenig zusätzliche Informationen, weil sie aufgrund der großen Dichte
ihrer informellen Informationsnetze ständig umfassend informiert sind. Sie haben starken „Kontext“
(high context).
Der niederländische Forscher Fons Trompenaars (1993) unterscheidet weitere
Kulturdimensionen, die er durch die in den !980 und 1990er Jahren durchgeführte
Befragung von 46.000 Managern in verschiedenen Unternehmen und
unterschiedlichen Kulturen empirisch untersuchte:
 Regelorientierung (Universalismus) – Beziehungsorientierung
(Partikularismus) (F. Trompenaars)
Die Kulturdimension Universalismus/Partikularismus betrifft die Bewertung und
Gültigkeit allgemeiner Regeln. So werden Verkehrsregeln (wie das Verbot, bei Rot
die Straße zu überqueren) in verschiedenen Kulturen unterschiedlich streng befolgt,
die Umgehung von Geschäftsregeln durch Korruption verschieden akzeptiert und
toleriert. Den geringsten Universalismusgrad weisen nach Trompenaars Serbien,
Kroatien, Bulgarien, Rumänien, Russland, Venezuela und China auf, während die am
deutlichsten universalistisch ausgerichteten Länder (Norwegen, Schweiz, Finnland
und Australien) westliche Demokratien darstellen.
Eine universalistische Gesellschaft hat ein geringeres Vertrauen in die
Menschlichkeit. Je universalistischer das Land, desto größer die Notwendigkeit einer
Institution, die die Wahrheit schützt. (Fons Trompenaars)
Die folgenden Beispiele veranschaulichen Verhaltensweisen, die mit dem
regelorientierten oder beziehungsorientierten Verhalten zusammenhängen.
Regelorientiertes Verhalten Beziehungsorientiertes Verhalten
1. Regeln sind wichtiger als 1. Beziehungen sind wichtiger als
Beziehungen. Regeln.
2. Verträge müssen eingehalten werden. 2. Verträge müssen modifizierbar sein.
3. Vertrauen genießt, wer das gegebene
Wort oder den Vertrag akzeptiert. 3. Vertrauen genießt, wer auch
4. Es gibt nur eine Wahrheit oder Veränderungen akzeptiert.
Realität, auf die man sich geeinigt hat. 4. Es gibt verschiedene Sichtweisen der
Realität, entsprechend der jedes
5. Geschäft ist Geschäft. Partners.
5. Beziehungen entwickeln sich weiter.
(nach F. Trompenaars)

 Schlüsse und Kritik an den Kulturdimensionen


In verschiedenen Theorienansätzen von Hofstede, Hall und Trompenaars
werden Werte in kulturvergleichender Perspektive analysiert und daraus werden
Dimensionen (Kriterien) für den Vergleich der Kulturen abgeleitet. Aus ihnen werden
kulturelle Unterschiede deutlich. Diese betreffen die für eine Kultur typischen Muster
der Wahrnehmung, des Denkens, Wertens und Handelns.
Insofern sind Kulturdimensionen, ebenso wie unterschiedliche Sprachen und
Kommunikationsstile, grundlegende Voraussetzung für IKK. Aus ihnen können
potentielle problemlose oder konfliktuelle Verlaufsformen IKK abgeleitet werden. Es
ergeben sich Konflikte, Missverständnisse und Probleme, wenn handlungsleitende
Werte (wie z.B. Zeitverständnis oder Einstellung zu Autoritäten) zwischen den
Kommunikationspartnern grundlegend verschieden sind. Umgekehrt ist anzunehmen,
dass die IKK zwischen Angehörigen von Kulturen, deren Wertsysteme ähnlich sind,
problemloser verlaufen wird.
Die Ergebnisse insbesondere von Hofstede und Hall belegen zugleich, dass
benachbarte Kulturen ― wie etwas Frankreich und Deutschland oder die Schweiz
und Italien ― durchaus ebenso markante Wertunterschiede aufweisen können wie
geographisch weit auseinanderliegende Kulturen.
Heutzutage wird auch viel Kritik an die Kulturdimensionen geübt.
Besonders diskutiert werden die Einschätzungen der Nationen entlang dieser
Dimensionen, da eine ausgewählte Population (IBM-Mitarbeiter/innen mit
Englischkenntnissen) nicht als eine repräsentative Gruppe angesehen wird.
Außerdem sind die Kulturdimensionen zu abstrakt und zu allgemein. Sie
beachten die Komplexität des kulturellen Wissens und Differenziertheit der Wirkung
von kulturellen Faktoren nicht, darum ist es schwer, diese Kenntnisse über kulturelle
Differenzen in der realen IKK praktisch anzuwenden. Insofern können diese
Einteilungen bestenfalls als grobe Hinweise Verwendung finden.
Auch wenn die Kulturdimensionen nicht die ganze Bandbreite menschlichen
Handelns abdecken, sondern sie nur ein Rahmen darstellen, um eine bestimmte
Kultur einschätzen zu können. Sie erleichtern das Verständnis von kulturellen
Unterschieden, bieten ein wissenschaftliches (neutrales) Vokabular zur Beschreibung
einer Kultur. Auf solche Weise tragen sie dem besseren Verständnis bei IKK bei.

Fragen zum Seminar „Kulturunterschiede“


1. Was ermöglicht uns das Model von Kulturdimensionen von G. Hofstede?
2. Erklären Sie sehr kurz die 4 Dimensionen von G. Hofstede.
3. Erklären Sie sehr kurz die Dimensionen von E. Haal (Umgang mit Zeit,
Schwacher/starker Kontext) und von F.Tropenaar (Regel- oder
Beziehungsorientierung).
4. Wofür werden die Kulturdimensionen kritisiert?
Thema 4. Unterschiede zwischen Kulturen (2)
Kulturstandards (A. Thomas) – Ermittlung von Kulturstandards – chinesische
Kulturstandards – Beschreibung der deutschen Kulturstandard – Interkulturelles
Orientierungstraining anhand der Kulturstandards – Kritik an Kulturstandards

 Kulturstandards (A. Thomas) – Definition


In der letzten Vorlesung beschäftigten wir und mit den Kulturdimensionen, d.h.
ausgewählten Kriterien, mit denen eine Kultur beschrieben und mit anderen Kulturen
verglichen werden kann. Es gibt aber andere Konzepte für die Beschreibung der
Kulturunterschieden. Darunter das Konzept der „Kulturstandards“ von Alexander
Thomas (1991, 1996).
Dieses Konzept stammt aus dem Bereich der kulturvergleichenden und
interkulturellen Psychologie und ist differenzierter als das Modell von Hofstede, weil
zur Bestimmung von Kulturstandards eine Fülle verschiedener Faktoren einbezogen
wird. Dabei greift Thomas auch auf die Ergebnisse kulturvergleichender Forschung –
etwa von Hofstede, Hall, Trompenaars zurück.
Kultur ist für Thomas ein Orientierungssystem; Kulturstandards sind zentrale
Orientierungsmerkmale in diesem System.
Zentrale Merkmale des kulturspezifischen Orientierungssystems lassen sich als
sogenannte Kulturstandards definieren. Unter Kulturstandards werden alle
Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns verstanden, die von
der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich persönlich und
andere als normal, selbstverständlich, typisch und verbindlich angesehen
werden. Eigenes und fremdes Verhalten wird auf der Grundlage dieser
Kulturstandards beurteilt und reguliert.
(Aus: A. Thomas Psychologie interkulturellen Lernens und Handelns, 1993, 2005:45)

Kulturstandards können in einer anderen Kultur völlig fehlen oder von


peripherer Bedeutung sein. Außerdem können in verschiedenen Kulturen auch
unterschiedliche und zum Teil sogar gegensätzliche Kulturstandards wirksam werden,
je nachdem, welche Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns sich
bei deren Mitgliedern eingeschliffen haben. Verhaltensweisen, die in der einen Kultur
als wünschenswert, normal, akzeptabel usw. gelten, können in einer anderen durchaus
als Fehlverhalten wahrgenommen werden.
Beispielsweise im Verhalten den fremden Menschen gegenüber können sich in
verschiedenen Kulturen unterschiedliche Verhaltensweisen zeigen. In einer Kultur
kann es schon als aufdringlich gelten, mit fremden Personen unbefangen ein
Gespräch zu beginnen, während in einer anderen betonte Zurückhaltung und
Distanziertheit als unfreundlich wahrgenommen werden.
Kulturstandards und ihre handlungsregulierende Funktion werden nach
erfolgreicher Sozialisation vom Individuum innerhalb der eigenen Kultur nicht mehr
bewusst erfahren.

 Ermittlung von Kulturstandards


Wie werden solche Kulturstandards ermittelt? Thomas und seine Kollegen
führten Interviews mit Menschen durch, die über langjährige Erfahrung in der
interkulturellen Interaktion und Kommunikation verfügten. Besonders wurden die
Interaktionen beachtet, die problematisch verlaufen sind. Die Materialbasis ist damit
also konkretes Erfahrungswissen.
Im Anschluss wurden diese Materialien angereichert mit Erkenntnissen anderer
kulturwissenschaftlicher Forschungen und kulturvergleichend analysiert.
Auf diese Weise wurden zentrale Kulturstandards für Deutschland, China und
die USA identifiziert. Heutzutage gibt es auch Untersuchungen zu österreichischen,
tschechischen und anderen Standards, die im Vergleich zu den deutschen festgestellt
wurden.

 Chinesische und US-amerikanische Kulturstandards


Folgende chinesische Kulturstandards wurden herausgefunden und
behandelt:
- Gesicht wahren
- List und taktieren
- Soziale Harmonie
- Danwei (Einheit von Familie, Arbeitseinheit)
- Guanxi (Beziehungsnetz)
Im Weiteren werden diese Kulturstandards kurz erläutert.

Gesicht wahren
Auch wir Ukrainer wissen, dass man sein Gesicht nicht verlieren sollte, und damit
auch, dass man das Gesicht des anderen fast wie sein eigenes wahren sollte. Dies ist
aber nicht identisch mit dem chinesischen „Das Gesicht zu wahren“. Für Chinesen ist
Gesichtserhalt tief verwurzelt in ihrer Kultur.
Beispiel: Wer sich nicht unter Kontrolle hat und ausfallend reagiert, kann keine
zuverlässige und vertraute Person sein. Und so führt jeder Gesichtsverlust zum
Verlust von Anerkennung, Macht und Autorität.
Beispiel: Durch abschwächende Partikel ausgedrückte Kritik wird für chinesische
Hörer durchaus nicht als abgeschwächt aufgefasst. Auch eine höfliche Kritik in
offener Form ist bei Chinesen einfach unmöglich.

Mit dem Kulturstandard „Gesicht wahren“ ist der Kulturstandard „List und
Taktieren“ direkt verbunden. Bei Gesprächen kommen Chinesen nicht direkt zur
Sache. Sie entwickeln verschieden Strategien, eine Disharmonie zu vermeiden.
Ein Beispiel das die beiden Standards verdeutlicht.
Ein britischer Journalist schwankte zwischen dem Eindruck, besonders sarkastisch
oder besonders freundlich behandelt worden zu sein, als er von einer Pekinger
Zeitung das folgende Absageschreiben erhielt: „Wir haben Ihr Manuskript mit
grenzenlosem Genuss gelesen. Wenn wir Ihren Beitrag veröffentlichen würden,
wäre uns in Zukunft unmöglich, eine Arbeit von geringerem Standard zu publizieren.
Und da es undenkbar ist, das wir in den nächsten tausend Jahren etwas
Gleichwertiges zu sehen bekommen werden, sind wir zu unserem Bedauern
gezwungen, Ihren göttlichen Aufsatz zurückzusenden. Wir bitten tausendfach um
Entschuldigung. (Heringer, 185)

Harmonie im sozialen Umgang ist für Chinesen von großer Bedeutung. Fragt
zum Beispiel ein Lehrer seine chinesischen Schüler, ob sie alles verstanden haben,
antworten alle meistens mit „Ja“, auch wenn sie nicht alles begriffen haben. Durch
dieses „Ja“ wird die gewünschte, konfliktfreie Atmosphäre geschaffen. Zudem
wollen die Schüler dadurch die unangenehme Situation vermeiden, dem Lehrer das
Gefühl zu vermitteln, sie haben den Stoff auf Grund seiner mangelnden Lehrqualität
nicht verstanden, was indirekt eine Kritik, sogar eine Beleidigung wäre.

Die Danwei (Einheit von Familie, Arbeitseinheit usw.) bedeutet die Einbindung
des Einzelnen in die Familien und Arbeitskollektive und ist ein Ausdruck der
kollektivistischen Lebensphilosophie. Die Rechte der Gruppe haben in China
gegenüber den Rechten des Individuums immer noch klare Priorität.

Guanxi (Beziehungsnetz): Chinesen leben privat und beruflich in große


Beziehungsnetze eingebunden. Ein Beziehungsnetzt hält oft ein Leben lang und
verpflichtet die Mitglieder einander zu unterstützen und zu einander zu helfen.
Beispiel: A verkauft Autos. Er fährt gerne zum Restaurator B zu essen, weil B
sein Schulfreund ist. Der Restaurator B hat eine Kellnerin, sie ist mit einem Mann C
verheiratet, der im Moment eine Arbeitsstelle als Verkäufer sucht. So wird der
arbeitslose Mann C im Autohaus von A angestellt, weil er auch zum Guanxi gehört.

Zu den amerikanischen Standards gehören nach Thomas:


- Patriotismus
- Gelassenheit (невимушена/ неофіційна /розкута/ вільна поведінка)
- Gleichheitsdenken
- Handlungsorientierung
- Leistungsorientierung
- Individualismus
- Bedürfnis nach sozialer Anerkennung
- Interpersonale Distanz
- Zwischengeschlechtliches Beziehungsmuster

Es gibt auch Untersuchungen zu österreichischen, tschechischen Standards


festgestellt im Vergleich zu den deutschen.

 Beschreibung der deutschen Kulturstandards


Weiter werden wir deutsche Kulturstandards erläutern, die von Alexander Thomas
und seine Schüler erforscht, erklärt und historisch begründet wurden.
Beispiele für einige deutsche Kulturstandards nach A. Thomas:
1. Interpersonale Distanzdifferenzierung (Verschlossenheit und Scheu
gegenüber fremden Personen; Verschlossenheit weicht erst nach längerer
Kennenlernenphase, dann aber überraschende Offenheit bezüglich zentraler
Persönlichkeitsbereiche);
2. Direktheit interpersonaler Kommunikation (Inhaltsaspekt hat in der
Kommunikation Priorität vor Beziehungsaspekt; Kritik wird direkt und ohne
positive Einleitung ausgesprochen);
3. Regelorientierung (Es gibt für alles eine Regel; Das Einhalten bestehender
Regeln wird als selbstverständlich erachtet);
4. Organisationsbedürfnis (Alles wird genau geplant; Langfristige Planung bei
der Erledigung von Aufgaben)
5. Pflichtbewusstsein (Übernommene Aufgaben werden sehr ernst genommen;
Hohe Selbstdisziplin und Eigenverantwortung werden erwartet).
6. Abgegrenzter Privatbereich (Privatbereich ist stark abgegrenzt/“My home is
my castle”, Privaträume dürfen nicht ohne Erlaubnis betreten werden);
7. Persönliches Eigentum (Verleihen von Dingen ist unüblich;
Geldangelegenheiten werden auch bei kleinen Summen sehr ernst genommen).
(Aus R. Markowski, Studienhalber in Deutschland, 1995).

1. Interpersonale Distanz
Die anfängliche Distanziertheit und Verschlossenheit der Deutschen selbst in
Bezug auf periphere Persönlichkeitsbereiche weicht nach einer längeren
Phase des Kennenlernens einer überraschenden Offenheit und Zugänglichkeit
selbst in Bezug auf zentrale Persönlichkeitsbereiche. (Markowsky / Thomas
1995: 33)

Deutsche sind eben gegenüber Leuten, die sie kaum kennen, zunächst eher
zurückhaltend. Für sie ist ausgeprägte Zurückhaltung höflicher als Distanzlosigkeit
und Aufdringlichkeit - vor allem bei der Begegnung mit fremden Personen. Deutsche
brauchen meistens mehr Zeit als in anderen Kulturen, um die Distanz zwischen sich
und einer anderen Person endgültig abzubauen. Haben sie dich aber erst einmal
akzeptiert, dann können sie eine große Offenheit und Vertrautheit an den Tag legen,
die Amerikaner nicht selten erstaunt. A. Thomas schreibt dazu folgendes:
„Wie entwickeln sich nun aber Freundschaften in Deutschland? Zunächst einmal dauert es in
der Regel eine ganze Weile, bis man durch Gespräche, gemeinsame Unternehmungen und
Erlebnisse ein Klima des gegenseitigen Vertrauens geschaffen und die Einstellungen und den
Charakter des anderen ein wenig näher kennengelernt hat. Wenn dann aber die Wandlung
vom Fremden zum Bekannten und vom Bekannten zum Freund vollzogen ist, öffnen sich
Deutsche voreinander in einer Art und Weise, dass selbst intimste Gedanken, Sorgen, Ängste
und Probleme offen ausgesprochen werden können. Dann hat man einen Freund und zwar
einen, auf den man zählen kann. Amerikaner, die solche Freundschaften erleben, sind oft
regelrecht erstaunt darüber, wie herzlich, warm und mitfühlend die Deutschen plötzlich sein
können.“

Dieses distanzierte Verhalten der Deutschen gegenüber den Fremden ist vor allem aus
amerikanischer Perspektive sehr deutlich zu sehen. Während es für Amerikaner sehr
wichtig ist, immer neue Leute kennenzulernen und entsprechend offen und unbefangen
aufeinander zuzugehen, kommt es den Deutschen in der Regel stärker darauf an, eine
kleinere Anzahl von festen Freundschaften zu pflegen, die dafür aber ausgesprochen
intensiv und langlebig sind.

2. Direktheit interpersonaler Kommunikation


Der Inhaltsaspekt der Kommunikation hat Priorität vor dem Beziehungs-
aspekt. (Markowsky / Thomas 1 995: 53)

In ihrem Kommunikationsstil betonen Deutsche vor allem die Sachebene- oft zu


Ungunsten der Beziehungsebene und ohne es zu bemerken. Darum reden Deutsche
ziemlich direkt und undiplomatisch, dafür aber ehrlich und aufrichtig, ganz so, wie
sie etwas sehen. Ihre Kommunikation ist explizit, eindeutig und ohne Konfliktscheu.
Das kann verletzend sein, obwohl es nicht so gemeint ist.
In Gesprächen und Diskussionen - die Deutschen werden übrigens als sehr
diskutierfreudig gesehen - herrscht ein sehr direkter und offener Ton, der auf
Amerikaner beleidigend wirken kann. Was man sagen will, ob Kritik oder einfach
nur die eigene Meinung, äußert man ohne groß um den heißen Brei herumzureden.
Bei der Beschäftigung mit den Kulturstandards, die in einer Kultur gelten, ist es
wichtig anzugeben aus welcher Perspektive sie ermittelt werden. Es kann sein, dass
der Kulturstandard, der aus einer Perspektive stark ausgeprägt ist, aus anderer
Perspektive nicht so/ gar nicht auffallend ist, z.B.: Während Japaner und Amerikaner
Direktheit in der Kommunikation unter den Deutschen für auffällig halten, sehen
Griechen die deutsche Art zu diskutieren als harmlos und wenig temperamentvoll.
Das bestätigt eben, dass der eigene kulturelle Hintergrund entscheidend die Aussage
über eine Fremdkultur beeinflusst.
3. Regelorientiertheit
Es gibt für alles eine Regel, deren Einhaltung als selbstverständlich erachtet
wird. (Markowsky / Thomas 1995: 68)

Das bedeutet auch, dass man bestehende Regeln kaum in Frage stellt und
Regelverletzungen schnell kritisiert.
Als Beispiele kann man hier die berühmte deutsche Pünktlichkeit anführen oder
Disziplin im Straßenverkehr, wenn man in Deutschland bei Rot eine freie Straße
überquert, wird man von Fußgängern, die stehen bleiben, missbilligend gemustert.
Historisch wird die Regelorientierung der Deutschen folgenderweise begründet:
„In einem so dicht besiedelten Land wie Deutschland besteht auch eine starke
Notwendigkeit, dass sich alle an bestimmte Regeln halten. Es herrschte eine feste
Überzeugung: der Erhalt der sozialen Ordnung hänge vom unverrückbaren Gehorsam
gegenüber der bestehenden Obrigkeit ab. Der „moralisch integre Bürger" sah es als
seine Pflicht an, bestehende Regeln einzuhalten und darüber zu wachen, dass auch
andere sie einhielten. Dies diene wiederum (в свою чергу) der Sicherung des
Gemeinwohls. (Markowsky / Thomas 1995: 69)

4. Organisationsbedürfnis
Alles muss organisiert werden, um Unsicherheitsfaktoren zu eliminieren.
(Markowsky / Thomas 1 995: 85)

Die deutschen sind Meister im Planen und Organisieren. Die Arbeit und die
Freizeit (z.B. Privatbesuche) werden oft kleinschrittig geplant. Üblich ist es einen
Terminkalender zu führen, wo alle Termine möglichst frühzeitig eingetragen werden.
Man kann sich nur selten spontan zur gemeinsamen Zeitverbringung verabreden.
Es herrscht bei vielen Kulturen eine Einigkeit darüber, dass die Deutschen nach einem
Stundenplan leben, wie es ein Amerikaner beschreibt. Ob es nun den Tagesablauf oder
das Leben selbst betrifft, alles wird geplant. Ein Grieche dazu: „Etwas Spontanes in
Deutschland gibt es nicht. Es muss alles vorher organisiert sein" (Ludwig-Uhland-
Institut 1986: 30.
Man möchte alles aktiv planen und organisieren sowie möglichst störungsfrei
handeln können und bemüht seine Pläne „in den Griff“ zu bekommen.
Beispiel-Missverständnis: Ein Russe hat nach der Mittelung von Resultaten seiner
Prüfung am Goethe-Institut beim Prüfer verlangt, ihm seine schriftliche Arbeit mit
Prüferkorrekturen zu zeigen. Der Prüfer versuchte zu erklären, dass dafür ein anderer
Kollege zuständig ist, an dem man sich wenden soll. Der Russe konnte nicht
begreifen, dass der Prozess so „kompliziert“ ist.
Noch ein Beispiel dazu aus dem Jugendcamp, wo Deutsche, Osteuropäer
(Ukrainer, Russen, Polen, Tschechen) und Asiaten (eine Südkoreanerin)
zusammengearbeitet haben. Für das Ende erster gemeinsamer Woche im Camp stand
es im Plan „Gemeinsame Besprechung der Beziehungen und des Sachbestands in der
Gruppe.“ Alle waren an diesem Abend sehr müde und die Volontäre aus slawischen
Ländern haben vorgeschlagen, auf Besprechung zu verzichten und sofort schlafen zu
gehen, umsomehr dass das gemeinsame Leben im Camp gut funktioniert. Die
Volontäre aus Deutschland haben trotzdem auf die Besprechung bestanden, weil sie
im Plan war und haben immer wieder „faule“ Slawen zur Meinungsäußerung
gebeten.

5. Abgegrenzter Privatbereich
Die Privatsphäre ist heilig und wird vor der Außenwelt geschützt.
(Markowsky/Thomas 1995: 107)

Das bedeutet, dass Türen meist geschlossen sind, dass Anklopfen üblich ist.
„Die Türe grenzt den eigenen Bereich gegen die Außenwelt ab und schützt vor Lärm
und Lauschangriffen" (Markowsky / Thomas 1995: 107).
Ein Amerikaner erklärt: „Die Deutschen schließen die Türe, wenn sie in ein
Zimmer reingehen, um sich einen Privatraum zu schaffen" (Ludwig-Uhland-Institut
1986: 54).
Markowsky und A.Thomas erklären diese Lebensweise aus den vielen Normen
und Verhaltensvorschriften, die das öffentliche Leben in Deutschland prägen. Im
Privatbereich entfällt dagegen die Kontrolle von außen, man kann sich entspannen.
6. Persönliches Eigentum
Materieller Besitz ist Teil der Privatsphäre und verdient entsprechenden Respekt.
(Markowsky / Thomas 1 995: 1 13)

Deutsche schätzen langfristige materielle Werte (z.B. Auto, Haus, größere


Anschaffungen) und ziehen die Verwendung ihres Geldes für derartige Dinge
kurzfristigeren Lebensgenüssen (z.B. Essen, Kleidung, Luxus für Stunden) vor. Sie
reden offen über Preise und freuen sich über „Schnäppchen“.
Während Amerikanern in erster Linie der Gebrauchswert von Gütern wichtig ist,
stellt für die Deutschen Besitz „einen zusätzlichen immanenten Wert" dar. Er
„bedeutet Permanenz in einer schnelllebigen Zeit" (Markowsky / Thomas 1995: 113).
Vor fremdem Eigentum hat man Respekt, den eigenen Besitz pflegt man
sorgfältig (Markowsky / Thomas 1995: 113).

7. Pflichtbewusstsein
Bei der Erledigung übernommener Aufgaben werden Selbstkontrolle und
Disziplin in hohem Maße erwartet.

Deutsche lernen von klein an, „gewissenhaft“ und sich zunehmend


selbstregulierend an Normen zu halten. Es wird erwartet, dass sich ein Individuum
weitgehend selbst kontrolliert. Es hält sich dabei an vorgegebene Normen oder an
selbsterstellte Pläne, z.B.: Berufliche oder studentische Anforderungen werden
gewissenhaft erfüllt, Zusagen oder Versprechen werden gehalten, es wird
Pünktlichkeit von sich und den anderen verlangt.
Großes Pflichtbewusstsein der Deutschen gegenüber den Ukrainern fällt z.B. im
universitären Bereich auf. Das Studium an Universitäten in der Ukraine wird sehr
schulähnlich organisiert, so dass man als Student über sein Studium (Wahlfächer,
Termine etc) selbst nicht entscheiden kann. Die Studierenden an deutschen Unis
müssen viel mehr ihren Unialltag planen und ihr Studium nach dem
Veranstaltungskalender selbst organisieren, dafür müssen sie mehr
Selbstverantwortung für ihr Studium übernehmen.

 Interkulturelles Orientierungstraining anhand der Kulturstandards


Effektives handeln in kulturellen Überschneidungssituationen beruht Thomas
zufolge auf der Kenntnis der fremden Kulturstandards. Durch interkulturelles Lernen
werden diese Standards vermittelt. Thomas und seine Kollegen haben daher ein
Trainigsprogramm Culture Assimilator entwickelt.
Beim Culture-Assimilator-Training wird von der Tatsache ausgegangen, dass
man bei der Beobachtung des Verhaltens seiner Mitmenschen nicht nur einfach
registriert, was vor sich geht, sondern zugleich eine Antwort auf die Frage sucht,
warum sich eine Person in einer bestimmten Situation genau so und nicht anders
verhält. „Warum schaut sie so ernst?" - „Wollte er nur einen Scherz machen oder mich
etwa beleidigen?" - „Warum ist dieser Typ so freundlich zu mir?" - „Warum hatte sie
jetzt plötzlich keine Zeit mehr?" - „Warum hat er jetzt das Thema gewechselt?" -
„Warum sagt sie nichts?"... - derartige Fragen stellen und beantworten wir uns ständig,
auch wenn wir uns dessen nicht immer bewusst sind.
Im Culture-Assimilator-Training kann die Fertigkeit erlernt werden,
Attributionen vorzunehmen, die der fremden Kultur entsprechen. Dem
Trainingsteilnehmer werden verschiedene kritische Interaktionen vorgelegt, d.h.
Episoden, die typische, alltägliche und häufig vorkommende Begegnungssituationen
zwischen Besuchern und Angehörigen der Gastkultur beschreiben, die für den
Besucher unerwartet, verwirrend oder konflikthaft verlaufen sind.
Zu jeder Episode werden vier Erklärungen für das Verhalten der beteiligten
Gastlandbewohner vorgegeben, von denen eine die aus der Sicht der Gastkultur
richtige darstellt. Die anderen Antwortalternativen sind Fehlinterpretationen, die auf
Unkenntnis kultureller Einflussfaktoren, Vorurteilen oder falschen Vorstellungen von
der fremden Kultur beruhen. Der Lernende soll dann diejenige Alternative auswählen,
die seiner Meinung nach, die Situation aus der Perspektive der Gastkultur am
treffendsten erklärt. Anschließend erhält er Informationen darüber, warum die
gewählte Erklärung zutrifft bzw. nicht zutrifft.
Kurz gesagt: Ein Culture-Assimilator-Training ist ein psychologischer Adapter
zwischen zwei festgelegten Kulturen.

 Kritik an Kulturstandards
Viele Erklärungen in den Kulturstandards klingen global und stark vereinfacht,
manchmal naiv gedeutet. Historische Tatsachen werden wahllos zur Erklärung
herangezogen.
Besonders durch die Homogenitätsannahme, die in vielen Formulierungen zum
Ausdruck kommt, können die Standards an der Realität vorbeigehen. Ein
Kulturstandard ist so etwas wie ein Wahlergebnis von 99,5%.
Ein Kulturstandard basiert letztlich auf der Vereinfachung einer komplexer
Interaktionssituation, darum ist der Weg vom Kulturstandard zum reinen Stereotyp ist
nicht weit.
Kulturstandards verschiedener Länder werden in der Ratgeberliteratur
behandelt. Diese Bücher versuchen Antworten auf die Frage, wie soll ich mich in
einer bestimmten Kultur verhalten, zu geben. Zwar enthalten solche Ratgeber eine
Vielzahl interessanter Informationen, aber nicht selten werden die tatsächliche
Vielfalt und die Unterschiede innerhalb von Kulturen überdeckt, und – schlimmer
noch – die Stereotypenbildung wird provoziert. Oft dienen solche Bücher daher mehr
der Festschreibung von Vorurteilen als der Sensibilisierung für die interkulturelle
Kontaktsituation.
Und nicht zuletzt ist es natürlich problematisch, dass die meisten Modelle von
Kulturunterschieden von einem westlichen Standpunkt aus entwickelt wurden. Damit
kommen vor allem Unterschiede in den Blick, die für Westler als wichtig oder
existent erscheinen.

Fragen zum Seminar:


Fragen zur Vorlesung „Kulturstandards“:
1. Was sind die Kulturstandards?
2. Wie werden die Kulturstandards ermittelt?
3. Wie funktioniert das Cultur-Assimilator-Training?
Thema 5. Wie die Wahrnehmung funktioniert. Struktur und Funktion des
kollektiven Gedächtnisses

Wie die Wahrnehmung funktioniert – Warum wir auf eine ganz bestimmte Weise
wahrnehmen – Kulturspezifische Schemata –– Struktur und Funktion des kollektiven
Gedächtnisses

 Wie die Wahrnehmung funktioniert. Wahrnehmung ist selektiv und subjektiv.


Es ist wichtig, zu verstehen, wie die Wahrnehmung funktioniert: die Realität wird
nicht wie von einer Kamera fotografiert, sondern in unserem Gehirn konstruiert.
Eingehende Signale werden mit schon vorhandenen Schemata verglichen und
zugeordnet. Diese Zuordnungspraxis ist immer subjektiv.
Das nachfolgende Bild kann man als eine Vase oder als zwei Gesichter sehen.
Man kann aber nur entweder das eine oder das andere sehen. Beides zugleich zu
sehen, funktioniert nicht. Das bedeutet: die Wahrnehmung ist selektiv.

Dieses „Umspringen“ der Wahrnehmung macht uns die Mehrdeutigkeit der


Realität bewusst: Ein einziges Bild kann zu mehreren Interpretationen führen. Der
gleiche Gegenstand kann auf verschiedene Weise wahrgenommen werden, je
nachdem, auf welche Bildelemente wir uns konzentrieren (Auswahl) und welche
Schemata wir bei der Betrachtung zugrunde legen (Organisation).
Das angeführte Beispiel bezeugt die Selektivität der Wahrnehmung und die
Mehrdeutigkeit der Realität (verschieden Interpretationen sind möglich, weil
verschiedene Schemata zugrunde gelegt werden).

 Wie die Wahrnehmung funktioniert. Wahrnehmung ist kein passiver Vorgang.


Beim Wahrnehmen wird interpretiert
Gerade die Tatsache, dass wir aus der unendlichen Anzahl möglicher
Sinneseindrücke individuell sehr unterschiedliche Filterungen vornehmen, zeigt, dass
es sich bei Wahrnehmungsprozessen nicht, wie man annehmen könnte, um passive
Vorgänge handelt. Die Wahrnehmung funktioniert also im Sinne eines aktiven
Orientierungsprozesses, der von dem Grundsatz geleitet ist: „Es soll eine Ordnung
geben. Bzw. „Es soll einen Sinn geben“.
Dass der zugeordnete Sinn unterschiedlich sein kann bzw. vom
Erfahrungshintergrund des Betrachters abhängt, ist von der
Wahrnehmungspsychologie verschiedentlich nachgewiesen worden. Ein klassisches
Beispiel ist die Möglichkeiten der Bedeutungskonstruktion bei Fantasiefiguren. Diese
Figur (das Oval) kann aufgrund unterschiedlicher individueller Interpretationen
verschieden „konstruiert“ werden, z.B. als eine Malerpalette, in Spiegelei, eine Insel,
eine Amöbe.

Warum nimmt ein Betrachter eine Malerpalette, ein anderer aber ein Spiegelei
und ein dritter eine Amöbe wahr? Das erfolgt in Zusammenhang mit eigenen Hobbys,
mit Befindlichkeiten wie z.B. Hungergefühlen oder auf der Grundlage bestimmter
Wissensvorräte. Entscheidend ist, dass man auf entsprechende Erfahrungen
zurückgreifen kann: So wird derjenige, der noch nie eine Amöbe gesehen hat, sie in
unserem Beispiel auch nicht wahrnehmen.
Wir konstruieren einen Sinn, indem wir von Bekanntem auf Ähnliches schließen.
So wird ein kleines Kind, das den Begriff „Zebra“ nicht kennt, ein entsprechendes
Tier als „Pferd“ bezeichnen, wohl wissend, dass ein Unterschied besteht.
Die Selektion von Wahrnehmungen und deren Überführung in Wissensvorräte
wird zu einem Teil durch unsere Sozialisation gesteuert. Unsere Wahrnehmungen
wie auch unser Wissen sind in diesem Sinne kulturspezifisch, weil sie sich auf
diejenigen Erfahrungen beziehen, die für eine bestimmte Lebenswelt von Bedeutung
sind. Aus diesem Grunde verfügen z.B. Eskimos in ihren Sprachen über weitaus mehr
und differenziertere Benennungen für „Schnee“ als dies in arabischen sprachen der
Fall ist.
Wenn man Eindrücke erhält, zu denen in unserem Wissensvorrat keine
Entsprechungen existieren, werden wir versuchen, diese Eindrücke bereits
vorhandenem Wissen und vorhandenen Begriffen zuzuordnen. (Weil wir nach dem
Grundsatz handeln „Es soll einen Sinn geben“)
Offenkundig ist in diesem Zusammenhang, dass die Wahrnehmungen dabei
Erfahrungs-und Begriffssystemen zugeordnet werden, die in vollkommen anderen
Zusammenhängen entstanden sind. Auf diese Weise werden eingehende Erfahrungen
so manipuliert/interpretiert, dass sie „irgendwie“ dem eigenen Denksystem
angepasst werden.
Ось приклад, який ілюструє нам, що сприймання є активним процесом
інтерпретації сприйнятого, тобто ми стараємось класифікувати те, що ми
сприймаємо за допомогою певних зразків, які нам є відомі:
На фірму у Німеччині прийшов лист із Тайланду. Читаючи лист, співробітники
секретаріату не могли зрозуміти, яка його мета. Вони намагались його віднести
до певного виду листів у німецькій культурі ділового спілкування, порівнюючи
його напр.: з листом-резюме чи листом, який презентує фірму, у якій працює
автор листа, проте лист не відповідав повністю жодному з видів ділової
кореспонденції. Все ж співробітники секретаріату змушені були віднести цей
лист до якогось виду ділової комунікації, щоб могти певним чином
прореагувати на нього. При цьому за основу інтерпретації вони брали
відповідні зразки ділової кореспонденції у німецькій культурі. Якщо їхня
інтерпретація виду листа виявиться вірною, то і реакція на лист буде
адекватною, тобто, напр.: на лист резюме вони зреагують як резюме. Але може
трапитись так, що кліше для ідентифікації листа, яке взято з рідної культури, не
відповідає формі листа у тайванській культурі, і цей лист буде помилково
сприйнятий за резюме. Тоді неадекватна реакція на лист може спричинити
міжкультурне непорозуміння.
Als Fazit können wir festhalten: Wahrnehmung vollzieht sich auf der Grundlage
von Erfahrung und Erwartung als Suchvorgang, in dessen Verlauf die Realität nicht
wie von einer Kamera fotografiert, sondern vielmehr konstruiert wird. Eingehende
Daten werden mit schon vorhandenen Schemata verglichen und zugeordnet. Diese
Zuordnungspraxis bleibt sie also immer interpretatorisch und damit subjektiv.

 Warum wir auf eine ganz bestimmte Weise wahrnehmen – „Kulturspezifische


Schemas“ und „Kollektives Gedächtnis“.
Wie wir es schon gezeigt wurde, ist unsere Wahrnehmung subjektiv. Aber neben
individuell höchst unterschiedlichen Erfahrungen, Vorlieben und Wissensvorräten
gibt es auch kollektiv-kulturelle Wissensstrukturen (інформаційні структури): dazu
gehören kulturspezifische Wahrnehmungsweisen (etwa Leserichtungen), Konzepte
von Dingen und Phänomenen (wie etwa einer Vase oder auch einer gut erzählten
Geschichte), von Verhaltensweisen und Vorgängen (wie etwa einem Besuch im
Restaurant und dem Bestellen eines Menüs).
Solche mentalen Wissensstrukturen (інформаційні структури), die
bestimmten Aspekte der Realität in abstrakter und generalisierter Form
repräsentieren, werden in der Psychologie als „Schemas“ (схеми) bezeichnet.
Schemas reduzieren Komplexität und leiten unsere Wahrnehmung in bestimmte
Bahnen. Sie werden durch Erfahrung im Rahmen der Sozialisation erworben.
Mit Hilfe der Schematheorie lässt sich erklären, warum wir auf eine ganz
spezifische Art und Weise wahrnehmen. Die Schemas können sich von Kultur zu
Kultur unterscheiden, weil die Leute in verschiedenen Kulturen unterschiedliche
Lebenserfahrungen gemacht haben und machen.
Alle Wahrnehmungsschemas einer Kultur bilden ein sogenanntes „kollektiven
Gedächtnisses“ oder des „kollektiven Wissensvorrates“ dieser Kultur. Vorstellbar ist
ein solches kollektives Gedächtnis am ehesten als eine Art Archiv, in dem über
Tausende von Jahren hinweg unzählige Erfahrungen abgespeichert sind.
Das bedeutet: es steht jeder Kultur ein Reservoir an Erfahrungen bereit, auf das
die nachfolgenden „Benutzer“-Generationen zurückgreifen müssen, um das
Wahrgenommene zu klassifizieren und zu interpretieren und eigene neue
Erfahrungen machen zu können. Die neuen Erfahrungen werden an den
bereitstehenden Wissensvorrat „angebunden“, womit sie ihn erweitern und
diversifizieren. Für das „Nutzerkollektiv“ einer Kultur bildet sich auf diese Weise ein
Traditionszusammenhang heraus. Das kollektive Gedächtnis einer Kultur dient also
als Interpretationsvorrat für die Vertreter dieser Kultur bei ihrem Wahrnehmen der
Welt. Auf diese Weise wird die eine Grundlage dafür geschaffen, dass Alltagshandeln
routinegemäß, plausibel und in diesem Sinn „normal“ ablaufen kann.
Darauf, dass Schemata stets kulturspezifisch sind, hat zuerst Frederic Bartlett
hingewiesen – und zwar am folgenden Beispiel:
Er gab seinen Versuchspersonen eine fremdartige Geschichte, die den westlichen
Vorstellungen von einer „gelungener Erzählung“ widersprach. In dieser Indianergeschichte fanden
sich viele magische Elemente, und die Erzählstruktur musste den an europäischen Erzähltradition
geschulten Probanden unzusammenhängend und unlogisch erscheinen. Die Versuchspersonen
wurden dann dazu aufgefordert, die Geschichte schriftlich nachzuerzählen, und tatsächlich fanden
sich in den Nacherzählungen zahlreiche Fehler: Die magischen Elemente und unplausibel
erscheinende Details wurden einfach ausgelassen, während nach westlichen Maßstäben „plausible“
Details zusätzlich eingefügt wurden. Das, was in vorhandene kulturspezifische Schemata nicht
passen wollte, wurde also „passend gemacht“. Bartlett sprach in diesem Zusammenhang von dem
Versuch, Sinn zu konstruieren, auch und insbesondere angesichts „sinnloser“ Erfahrung mit
kulturell Fremdartigem.
Noch ein Beispiel für die Kulturspezifik der Wahrnehmung von Jürgen Bolten.
Bei dieser Abbildung handelt sich um eine Werbung für Kopfschmerztablette. In
Europa muss der Weg vom Schmerz zur Erleichterung von links nach rechts
beschrieben werden. In den arabischen Ländern (in denen von rechts nach links
geschrieben und gelesen wird) hingegen muss die Abfolge der Smileys umgekehrt
werden.
 Wie genau hängen nun kulturspezifische Schemas und interkulturelle
Kompetenz zusammen?
Jürgen Bolten weist auf zwei Richtungen hin, die die Entwicklung unserer
Denkstrukturen nehmen kann:
Variant/Richtung 1: Unsere Schemas schleifen sich im Laufe eines Lebens ein
und die immer wiederkehrenden Erfahrungen führen dazu, dass unsere
Interpretationsmöglichkeiten geringer werden, sodass wir eher dazu neigen,
Unbekanntes entweder gar nicht zu tolerieren oder es „stereotyp“ bzw. „falsch“
einzuordnen.
Variant/Richtung 2: Wenn wir aber eine Möglichkeit haben, vielfältige
Erfahrungen zu sammeln, können sich diese Schemas zu mehr oder minder stark
verzweigten Netzwerken herausbilden. Je vielfältiger unsere Erfahrungen sind, desto
weniger „verhärtet“ sind die Schemas, mit denen wir Wirklichkeit interpretieren.
(Bolten 2003, 31)
Nehmen wir als Beispiel das Schema für ein Begrüßungsritual: Wer das Schema
„Hände schütteln – „Guten Tag“-Äußern“ kennen gelernt hat, wird andere
Begrüßungsrituale viel schwerer „einordnen“, verstehen oder akzeptieren können als
jemand, der eine Reihe unterschiedlicher Begrüßungsrituale erfahren hat und
demzufolge in der Lage ist, ein sehr differenziertes Schemaset aufzurufen.
Interkulturelle Kompetenz hängt folglich auch mit der Vielfalt der eigenen
Fremdheitserfahrungen zusammen: wer häufig Erfahrungen mit dem Fremden
sammeln konnte, wird in interkulturellen Situationen erheblich flexibler reagieren als
jemand, der über derartige Erfahrungen nicht verfügt. In einem solchen
Erfahrungsmangel liegt nicht zuletzt auch eine Ursache für Intoleranz oder gar
Feindseligkeit gegenüber Ausländern.
SCHLÜSSE
Es ist wichtig, zu verstehen, wie die Wahrnehmung funktioniert:
 die Realität wird nicht wie von einer Kamera fotografiert, sondern vielmehr
konstruiert. Eingehende Daten werden mit schon vorhandenen Schemata
verglichen und zugeordnet. Diese Zuordnungspraxis bleibt immer subjektiv.
 Bei dem Wahrnehmen wird also mit vorhandenen Schemata verglichen. Diese
Schemata sind die mentalen Wissensstrukturen, die bestimmte Aspekte der
Realität in abstrakter und generalisierter Form repräsentieren.
 Die Schemata sind kulturspezifisch, weil sich in den einzelnen Kulturen über
Jahrhunderte hinweg sehr unterschiedliche Erfahrungs-und
Wahrnehmungswelten herausgebildet haben. Daraus folgt, dass unsere
Wahrnehmung kulturgeprägt ist.
 Viele interkulturelle Missverständnisse und Probleme ergeben sich daraus,
dass man sich der Kulturgebundenheit der eigenen und der Wahrnehmung
seines fremdkulturellen Partners nicht bewusst ist: es werden Dinge und
Sachverhalte als „normal“ gesehen, die für die Wahrnehmungsgewohnheiten
des anderen keineswegs plausibel sind.
 Wenn man bewusst ist, dass Wahrnehmung subjektiv und kulturspezifisch ist,
kann man seine Wahrnehmung kontrollieren und Fehlerinterpretationen
vermeiden. Der allererste Schritt ist dabei, bei der Wahrnehmung die drei
Aktivitäten Beschreiben, Interpretieren und Bewerten zu trennen.
Thema 6. Umgang mit Fremden und Fremdheit
Wahrnehmung vom Eigenen und Fremdem – Fremdbilder als Spiegel des
Selbstverständnisses – Über die Entstehung von Stereotypen – Was sind Stereotypen?
– Neutraler Stereotypen-Begriff – Was Stereotypen über diejenigen verraten, die sie
äußern – Negative und positive Funktionen der Stereotypen

 Wahrnehmung vom Eigenen und Fremdem


fremd,
1. zu einem anderen Land oder Volk als dem eigenen gehörend <Sitten, eine Sprache>: Der Autor
erzählt in seinem Buch von fremden Ländern und Völkern

2. (jemandem) fremd (jemandem) von früher her nicht bekannt: Die meisten Gäste auf der Party
waren ihm fremd; fremde Städte bereisen

© Langenscheidt KG, Berlin und München

Das Fremde bezeichnet etwas, das als abweichend von Vertrauten


wahrgenommen wird. Menschen, die als fremd wahrgenommen werden, werden als
Fremde bezeichnet, im Gegensatz zu Bekannten und Vertrauten. Fremd
wahrgenommene Regionen werden als fremde, im Gegensatz zu Heimat, bezeichnet.
Fremdheit kann positive Assoziationen (im Sinne von Exotik) oder negative
Assoziationen hervorrufen.
Bei Definition des Fremden kommen nicht tatsächliche oder „objektive“
Kriterien zur Geltung, sondern letztlich unsere Beziehung zu diesem Fremden
entscheidet darüber, wie „fern“ oder fremd es für uns ist.

Beispiel So sind zahlreiche Untersuchungen mit Managern durchgeführt worden, in


denen die Entfernung zu bestimmten Städten der Welt angegeben werden musste.
Das Ergebnis war verblüffend: Städte, die aus eigener Erfahrung oder aus
Sekundärerfahrungen (Medien, Kollegen etc.) bekannt waren, wurden
kilometerbezogen viel „näher“ eingeschätzt als eher unbekannte Städte, die
dementsprechend erheblich „ferner“ angesiedelt wurden.

 Fremdbilder als Spiegel des Selbstverständnisses


Fest steht, dass ein Selbstverständnis (розуміння себе самого) nicht möglich
wäre, wenn es nicht den „Anderen“, „Fremden“ gäbe, mit dem ich mich vergleichen
könnte. Umgekehrt ist auch mein Verständnis des Fremden in erster Linie davon
abhängig, wie ich mich selbst in dieser Beziehung sehe. Also: Definitionen des selbst
sind immer zugleich Abgrenzungen gegen Fremdes.
Ein Beispiel: Wie definiert sich ein kollektives gesellschaftliches
Selbstverständnis in Hinblick auf die weltpolitische Geltung (авторитет) aus
ukrainischer Perspektive einerseits in Bezug auf die USA/Deutschland, andererseits
in Bezug auf Mali?
Deutlich wird an diesem Beispiel, dass Wirklichkeit nicht objektiv gegeben ist,
sondern, dass sie gerade durch Selbst-und Fremdheitsbildverhältnisse konstruiert
wird.

 Über die Entstehung von Stereotypen


Beim Wahrnehmen des Fremden benutzen wir relativ undifferenzierte
Schemata. Wenn sich unsere wenigen Erfahrungen mit dem Fremden immer
wiederholen führt das zu einer Erstarrung unserer Wahrnehmung: es werden nur
diese bestimmten und keine anderen Gegenstände/Handlungen/Verläufe und keine
anderen wahrgenommen. So verfestigen sich diese Bilder bzw. Vorstellungen von
etwas Fremden zu Stereotypen (griech. στερεός stereós ‚fest, haltbar).

Beispiel: wenn jemand nach Kyiw, z.B. beruflich kommt hat er wenig Zeit, um die
Stadt kennen zu lernen, aber er fährt immer mit der U-Bahn zum Chreschtschatyk
und geht dort spazieren. Dabei ist sein Bild von Kyiw sehr undifferenziert.

Beispiel: so denkt jemand, der noch nie in Deutschland war, auf Grund von
Medienberichten, Postkarten, Filmen etc., in erster Linie an ein reiches Land, kurze
Hosen, Bier, Wurst, Oktoberfest, Autos. > Wenn er dann einmal nach Deutschland
kommt, glaubt er, den Zweck seiner Reise erst dann erfüllt zu haben, wenn er in
einem Biergarten ein Bier trinkt, eine Wurst isst. Er schaut sich nach dicken Männern
in kurzen Lederhosen um, bemerkt gute Autos, gibt sich Mühe, pünktlich zu sein.
Das heißt, man will unbewusst sich aller seinen (Gen) Klischees vergewissern.> Erst
später nach einiger Zeit merkt man, wie nicht eindeutig und differenziert

 Was sind Stereotypen?


Dazu ein Witz: Eine Zeitschrift hat Wissenschaftler verschiedener Nationen um
Beiträge für eine Sondernummer „Elefanten“ gebeten. Dies waren die Titel der
Beiträge. (Erkennen Sie Stereotypen in jedem Titel und die jeweiligen Nationalitäten
der Verfasser.):
 „Das Liebesleben der Elefanten“ (Franzosen interessieren sich besonders für
die Liebe.)
 „Eine Geschichte des Londoner Elefantenclubs“ (Für Engländer ist das
Clubleben sehr wichtig.)
 „Wie züchten wir größere und bessere Elefanten?“ (Amerikaner sind praktisch
eingestellt. Sie haben oder wollen immer das Grüßte und das Beste.)
 „Der Elefant in philosophischer, ethischer und kultureller Hinsicht“-
Vorabdruck eines auf 77 Bände berechneten Werkes. (Deutschland ist die
Heimat der berühmtesten Philosophen, Deutsche neigen zum Philosophieren,
sie arbeiten sich immer gründlich in ein Thema ein. (77 Bände))
 „Technik des Elefantenkampfes.“ (Für Spanier ist der Stierkampf sehr
wichtig.)

Ein Stereotyp ist der verbale Ausdruck einer auf soziale Gruppen gerichteten
Überzeugung. Es hat die logische Form einer Aussage, die in ungerechtfertigt
vereinfachender und generalisierender Weise, mit emotional-wertender Tendenz,
einer Klasse von Personen bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen zu-
oder abspricht. (Quathoff 1973:31)

Beispiel: Manche Amerikaner finden, dass Deutsche distanziert sind. Diesen


Eindruck haben sie, weil der Prozess des Kennenlernens und der Entwicklung der
Beziehungen bei Deutschen anders verläuft. Dieser Unterschied im Verhalten wird
aber oft als typische Charaktereigenschaft der Deutschen interpretiert, so werden die
Deutschen von Amerikanern für unfreundlich und arrogant gehalten.

 Unvermeidbarkeit von Stereotypen. Neutraler Stereotypen-Begriff


Der Begriff „Stereotyp“ hat eine negative Konnotation, wenn man etwas als
Stereotyp identifiziert, verurteilt man es gewöhnlich als ungehörige Rede- und
Denkweise. Einen neutraleren Stereotypen-Begriff proklamierte aber schon in den
20er Jahren W. Lippmann. Er versteht das Stereotyp als ein rationelles Verfahren des
Individuums zur Reduktion der Komplexität seiner realen Umwelt. Die
psychologische und physiologische Beschaffenheit des Menschen ist bestrebt,
Wahrnehmungen und Vorstellungen in standardisierte Raster einzuordnen, ohne die
eine Orientierung unmöglich wäre. Dies führt zur selektiven Wahrnehmung
bestätigender Eindrücke – Stereotypisierungsprozess. (Це призводить до
вибіркового сприймання тих вражень, які повторюються – процес
стереотипізації.)
Nach Lippmann ist also Stereotypisierung als grundlegender Wahrnehmungs-
und Kategorisierungsprozess zu verstehen, ohne den eine erfolgreiche Aufarbeitung
und Bewältigung der uns umgebenden Welt (пізнання і освоєння навколишнього
світу) nicht möglich ist. Ohne Stereotype wäre eine Orientierung in der Welt
unmöglich.

Die Stereotypensysteme sind ein geordnetes, mehr oder minder beständiges


Weltbild. Sie bieten vielleicht kein vollständiges Weltbild, aber sie sind das Bild
einer möglichen Welt, auf das wir uns eingestellt haben. In dieser Welt habe
Menschen und Dinge ihren wohlbekannten Platz und verhalten sich so, wie man
es erwartet. (Lippmann)

 Was Stereotype über diejenigen verraten, die sie äußern


Man erklärt das Fremde immer aus der Perspektive des Eigenen. Da man nur die
Schemata einordnen kann, über die man auch verfügt, sagen Stereotype und
Vorurteile auch sehr viel über das gedankliche Spektrum bzw. den Wissensvorrat
derer aus, die diese Stereotype und Vorurteile verwenden.
Beispiel: Amerikaner finden, dass Deutsche distanziert sind. Diesen Eindruck
haben sie, weil der Prozess des Kennenlernens und der Entwicklung der Beziehungen
bei Deutschen anders verläuft. Aufgrund der Meinung der Amerikaner über
Deutsche, können wir schließen, dass unter den Amerikanern Prozesse des
Kennenlernens anders verlaufen.

 Negative und positive Funktionen der Stereotypen


Einerseits sind Stereotypen negativ zu sehen als Produkte des Hörensagens und
übertriebener Generalisierung. Andererseits sind sie notwendige und normale mentale
Muster/Schemata, die uns bei der Wahrnehmung und der Orientierung helfen.
Werden diese Meinungen nicht ständig überdacht und revidiert, so entstehen

Vorurteile. Vorurteile sind im Gegensatz zu Stereotypen von meistens negativen

Emotionen begleitet und haben eine wertende Komponente.

 Schlüsse
Stereotype...
1) sind generalisierenden Meinungen über soziale Gruppen, die in
ungerechtfertigt vereinfachender und generalisierender Weise, mit emotional-
wertender Tendenz, den Gruppen bestimmte Eigenschaften oder
Verhaltensweisen zu- oder absprechen (приписують)
2) sind die erstarrt sind und werden nicht mehr angezweifelt.
3) erleichtern und ermöglichen den Umgang mit Fremden, indem sie
Orientierungsfunktionen bieten;
4) sind ein Spiegel der Erfahrungen und des Wissensvorrates derjenigen, die sie
äußern;
5) müssen bewusst gemacht werden;
6) bilden ein Skelett, das angereichert werden kann, mit einer Fülle
differenzierender Erfahrungen, die der Realität näher sind.
Und wenn man sich bewusst ist, dass Stereotype nur einen vorläufigen, zur
Orientierung dienenden Behelf darstellen, sind sie auch nicht negativ, sondern als
erster Schritt zum Positiven zu bewerten.
Interkulturelle Kompetenz heißt, sich um die fortschreitende Differenzierung
seiner eigenen Stereotype zu bemühen.
Thema 7. Vom Kulturschock zur Akkulturation: Verlaufsformen des
Kulturkontakts
Wie lebt man sich in eine fremde Kultur ein? Prozesse Primär- und
Sekundärsozialisation – Über die Grenzen der Integration: vier Formen der
Akkulturation – Kulturschock

 Wie lebt man sich in eine fremde Kultur ein? Prozesse Primär- und
Sekundärsozialisation
Wenn man erfolgreich kommunizieren will, muss man lernen, mit den fremden
Kulturen umzugehen. Das heißt, man muss lernen, die anderen fremden
Lebenswelten verstehen. Dieses Verstehen bedeutet aber nicht, dass man die Denk-
und Verhaltensweisen der Menschen aus anderen Kulturen zu übernehmen muss,
sondern dass man lernen muss, das Anderssein als solches zu akzeptieren.
Diese Akzeptanz des Anderen, des Fremden, fällt vor allem leicht, wenn die
Beziehungen dazu sporadisch sind, wenn man sich nur oberflächlich (Urlaubsreisen,
kurzfristigere Schüler- und Studentenaustausch oder auch kürzere
Arbeitsaufenthalten im Ausland) damit auseinandersetzen muss. Ganz anders sieht es
hingegen aus, wenn man in ein anderes Land übersiedelt. In solchen Fällen vollzieht
sich ein Bruch in der eigenen Sozialisationsgeschichte. Diese Prozesse lassen sich mit
den Begriffen Enkulturation und Akkulturation erklären.
Jeder Mensch wird in eine bestimmte Kultur hineingeboren und übernimmt –
größtenteils unbewusst – die Sprache, die Kommunikationsstrategien, die
Verhaltensweisen und die Weltanschauung, die für betreffende Kultur kennzeichnend
sind. Dies ist der Prozess der „Enkulturation“ (Primärsozialisation).
Mit dem Begriff der „Akkulturation“ wird der Prozess des Hineinwachsens in
eine fremde Kultur bezeichnet. Längere Auslandsaufenthalte – im Studium oder
beruflich bedingt – sowie Migration sind die häufigsten Faktoren, durch die ein
Akkulturationsprozess in Gang gesetzt wird. Im Unterschied zu Enkulturation,
beziehen sich Akkulturationsprozesse auf die Sekundärsozialisation.
Bei den Akkulturationsprozessen verändern sich nach und nach die
ursprünglichen Kulturnormen. Dies kann allerdings auf sehr verschiedene Weisen
geschehen, wie der Psychologe R.W. Berry (2001) gezeigt hat, der vier Formen der
Akkulturation unterscheidet.

 Über die Grenzen der Integration: vier Formen der Akkulturation


1. Integration meint die Beibehaltung der ursprünglichen kulturellen Identität
bei gelichzeitiger Herstellung positiver Beziehungen zur dominanten Gruppe. Bei der
Integration erfolgt also eine Synthese der beiden Kulturen in der Identität des
Individuums. Integration ist gekennzeichnet durch das Streben nach „einer Balance
zwischen dem Bewahren eigener Kulturstandards und der Offenheit für
Veränderung“ (Kollermann 2006: 86).
2. Unter Assimilation versteht man die Verdrängung der ursprünglichen
kulturellen Identität zugunsten einer Identifikation mit der neuen kulturellen
Umgebung. Im Fall einer Assimilation wird die Kultur des fremden Landes, in dem
das Individuum lebt, zur Norm für Wertvorstellungen und Verhaltensweisen, zur
„Leitkultur“, während die Kultur des Herkunftslandes an Bedeutung verliert. D.h.
Assimilation „bezeichnet einen Anpassungsstil, bei dem ein Individuum seine eigene
kulturelle Identität ablegt und sich an die Aufnahmegesellschaft anpasst“
(Kollermann 2006: 86)
3. Unter Separation sind eine Ablehnung der Kultur der neuen Umgebung und
ein Festhalten an der Kultur des Ursprungslandes zu verstehen. Damit einher geht oft
eine Weigerung, die Sprache der neuen Umgebung zu lernen und Kontakte außerhalb
der eigenen Kultur zu knüpfen. Dazu gehört. die Bildung von kulturellen Enklaven,
in denen Menschen aus einem gemeinsamen Herkunftsland zusammenleben, wie z. B
in den „Cinatowns“ in nordamerikanischen Städten wie New York, San Francisco.
4. Der Begriff Marginalität wird verwendet, um jene Form der Akkulturation zu
bezeichnen, bei der der Verlust der eigenen kulturellen Identität ohne einen Zugang
zu der Kultur der neuen Umgebung erfolgt. Marginalisierung (Abschiebung ins
Abseits) ist ein sozialer Vorgang, bei dem Bevölkerungsgruppen an den „Rand der
Gesellschaft“ gedrängt werden und dadurch nur wenig am wirtschaftlichen,
kulturellen und politischen Leben teilnehmen können. Ein klassisches Beispiel sind
die Elendsviertel (Slums) von Städten in Entwicklungsländern, beispielsweise im
indischen Mumbai oder im peruanischen Lima.
Während Integration also allgemein als die erfolgreichste Variante der
Akkulturation begriffen wird, handelt es sich bei Marginalität um die erfolgloseste
Form des Kontakts mit einer fremden Kultur.

 Kulturschock
Welche psychischen Zustände kann der Mensch erleben, der sich in eine fremde
Kultur einlebt, lässt sich gut anhand des Begriffs „Kulturschock“ erklären.
Ein sogenannter „Kulturschock“ kann auftreten, wenn man für einen längeren
Zeitraum im Ausland lebt. Ausgelöst wird der Kulturschock häufig durch
Fehlinterpretationen aufgrund kulturspezifischer Wahrnehmungen (von Zeit, Distanz,
Raum, etc.), Denkweisen (logisch, abstrakt, induktiv,…) und Sprache als Mittel der
Kategorisierung der Erfahrungswelt.
Der „Erfinder“ dieses Begriffs, der kanadische Anthropologe Kalvero Oberg hat
bereits 1960 verschiedene Phasen des Kulturschocks beschrieben, die sich
idealtypisch in einem U-förmigen Verlauf anordnen lassen:
1. Euphorie: Man schaut sich die neue Kultur erstmal an und findet alles aufregend
und interessant. Man freut sich auf das Neue und reagiert anfangs überschwänglich,
weil man nur das (positiv) erwartete wahrnimmt.

2. Missverständnisse: Allerdings kann sich die Situation auch schnell wenden.


Die Andersartigkeit des Landes, die man zuerst als positiv, aufregend und
inspirierend empfindet, kann nach der anfänglichen Begeisterung in negative Gefühle
wie Verunsicherung und Unwohlsein umschlagen. Man merkt, dass doch nicht alles
so ist, wie er es erwartet hatte, und bekannte Orientierungsmuster nicht mehr
vorhanden sind.
Während der zweiten Phase eines Kulturschocks treten erste Kontaktschwierigkeiten
auf. Man erkennt die Normalitätsregeln der Zielkultur teilweise nicht und erzeugt
Missverständnisse. Man fühlt aber sich selbst schuldig deswegen.

3. Krise: Steckt man in dieser Phase, dann hat man den Tiefpunkt des Kulturschocks
erreicht. Man gibt der fremden Kultur die Schuld für das eigene Unwohlsein und
verherrlicht seine eigene Kultur. Die wahren Ursachen der Missverständnisse
(kulturspezifische Wahrnehmung, Denkweisen) bleiben einem verborgen.
In der Krisenphase treten folgende Symptome auf:
 Stress aufgrund der Belastung, die notwendigen psychischen
Anpassungsleistungen zu erbringen;
 Verwirrung über die eigene Rolle, über die Rollenerwartungen anderer, über
Werte, über die eigenen Gefühle und die eigene Identität;
 ein Gefühl des Verlustes in Bezug auf Freunde, Status, Beruf und Besitztümer;
starkes Heimweh
 ein Gefühl der Ablehnung, weil man sich von Mitgliedern der neuen Kultur
abgelehnt fühlt oder diese selbst ablehnt; Einsamkeit
 Angst und Empörung, nachdem man sich des vollen Ausmaßes der kulturellen
Unterschiede bewusst wird;
 Gefühle der Hilflosigkeit bezüglich des Umgangs mit der neuen Umgebung
http://de.wikiversity.org/wiki/Benutzer:Sabinegoldschmid

4. Akzeptanz der Unterschiede:


Diese Phase ist gekennzeichnet durch einen Aufschwung: der Betroffene fängt an zu
akzeptieren, dass er ein Problem hat, mit dem er sich auseinandersetzen muss, fängt
an, Kompromisse zu machen und seine übertriebenen Erwartungen an die Realität
anzupassen.
Man nimmt die bestehenden Konflikte mit der anderen Kultur als Missverständnisse,
die durch die kulturellen Unterschiede entstehen, wahr. Unterschiede werden
akzeptiert und Widersprüche ausgehalten. Man bemüht sich um ein Verstehen.

5. Akkulturation:
Die letzte Phase ist beschreibt eine erfolgreiche Integration in eine fremde
Kultur. Die unterschiedlichen Spielregeln und Verhaltensweisen werden verstanden,
geduldet, erlernt und geschätzt. Man lernt, trotz eines fremden Umfeldes effektiv zu
arbeiten, mit Einschränkungen zurechtzukommen, Dinge anders als gewohnt zu
behandeln und somit flexibler mit Ungewohntem umzugehen. Man versteht die
Unterschiede weitgehend und tendiert zur Übernahme fremdkulturspezifischer
Verhaltensmerkmale. Mit Vollendung dieser Phase ist der Kulturschock überwunden
und es wurde kulturelle Kompetenz erworben.
Im Durchschnitt dauert der Kulturschock zwischen fünf und zehn Wochen.
Ein Kulturschock muss nicht notwendigerweise alle fünf Phasen durchlaufen:
bei einem kürzeren Aufenthalt kann man in Phase 1 oder Phase 2 steckenbleiben. Es
ist ebenso möglich, dass jemand gar kein Kulturschock erlebt und mit der neuen
Kultur sehr glücklich ist, aber seine Heimatkultur ablehnt (Assimilationstyp). Auch
ein Verharren in Phase 3. Krisis ist möglich. In dem Fall können die kulturellen
Konflikte, aus welchen Gründen auch immer, nicht beigelegt werden. Andererseits
können interkulturelle Begegnungen auch so konfliktfrei verlaufen, dass eine U-
Kurve kaum festzustellen ist. Menschen mit einem hohen Maß an interkultureller
Vorerfahrung erleben den Kontakt zu einer neuen Kultur häufig ganz ohne Anzeichen
eines Kulturschocks.
Der erste Schritt aber für alle, die sich auf einen längeren Aufenthalt im Ausland
vorbereiten, sich erstmal den Kulturschock bewusst zu machen. Jeder muss seine
möglichen Kulturschockauswirkungen erkennen, durchleben, zu analysieren und
überwinden können. Wenn man aber diesen Zustand doch erlebt, können folgende
Strategien zur Überwindung eines Kulturschocks entwickelt werden:
 neue Bekanntschaften (unter der einheimischen und den ausländischen
Ansprechpartnern) schließen;
 neue Dinge (Kleidung, Essen etc.) einfach ausprobieren, aktiv die Fremdkultur
kennen lernen;
 die Sprache des Aufenthaltslandes /Fremdsprache lernen
 für genügend Ruhephasen sorgen;
 Geduld haben gezielt positiv denken.
Vorlesung Thema 8. Gleiches Wort –unterschiedliche Bedeutungen.
Bedeutungserschließung
Denotative und konnotative Wortbedeutungen – Wortbedeutung und Kultur:
Wortassoziationen und Prototypen – Unterschiede in Wortbedeutungen als Ursachen
der interkulturellen Missverständnisse – Strategien zur Erschließung der
Bedeutungsunterschiede
Der Wortschatz einer Sprache ist der Hauptträger der soziokulturellen
Information über bestimmte Sprachgesellschaft. Mit den Wörtern (Wortbedeutungen)
wird die Lebensumwelt des Menschen strukturiert, bezeichnet und erlernt.
Um zu verstehen, warum gleiche Wörter in verschiedenen Sprachen/Kulturen
verschiedene Bedeutung haben können und welche Folgen das für die IKK hat, sollte
man verschiedene Ebenen von Bedeutungen zu unterscheiden: Wortbedeutung im
engeren Sinn und Bedeutung im weiteren Sinn.

 Denotative Wortbedeutungen – Bedeutung im engeren Sinn


Unter der denotativen Wortbedeutung verstehen wir die Bedeutung, die sich auf
ein Denotat, d.h. einen Gegenstand/ ein Objekt/unserer Wirklichkeit bezieht. Sie
erfasst dessen konkrete Merkmale und ist relativ kulturneutral. Nehmen wir als
Beispiel das Wort Tisch. Im Deutschen Wörterbuch von Wahring (1986, S. 1279)
lesen wir dazu:
Tisch – 1. Möbelstück aus waagerechter Platte auf einem oder mehreren Beinen
(Esstisch, Schreibtisch).
Eine solche Wortdefinition ist aber nur ein Verweis auf einen Gegenstand, in
unserem Fall, auf eine Platte mit Beinen.
Ähnliche Aussagen finden sich meistens in Wörterbüchern auch zu anderen
Begriffen. So verweist das Wort Familie auf „Eltern und Kinder“ (Wahring, 1986,
455) oder das Wort Sonntag auf einen bestimmten Wochentag, auf den „letzten Tag
der Woche“ (Wahring 1986) oder auf den „siebten Tag der mit Montag beginnenden
Woche“ (Duden 1989).
Denotative Wortbedeutungen haben einen definitorischen, d.h. auf ein Objekt
verweisenden Charakter. Diese Wortbedeutungen sind für Vertreter aus anderen
Kulturen nur in einem Punkt informativ: Sie können an ihnen erkennen, um welches
Ding, um welchen Gegenstand es sich handelt. Anders gesagt: solche
Wortbedeutungen helfen, Gegenstände mit äußeren Merkmalen zu identifizieren.
Was an Sonntag, Familie oder auch Tisch jedoch landeskundlich spezifisch, also
anders als im Heimatland ist, wird nicht gesagt.

 Konnotative Wortbedeutung – Bedeutung in weiteren Sinn


Auf dem Bild sind die Assoziationen der Deutsche mit dem Begriff „sich
erholen“ gesammelt. Vergleichen Sie Ihre Assoziationen mit dem Begriff
„відпочивати“mit den Assoziationen von Deutschen. Sehen Sie irgendwelche
Unterschiede?
Assoziоgramm

sich erholen

Ruhe, entspannen,
schlafen (6)

Freizeit, Stressabbau
(5)
Lesen, Urlaub (4)
frische Luft, gammeln, Gesundheit,
nicht an den Job denken, Sport machen (3)
Erschöpfung/Anstrengung,
fernsehen, Meer, Sauna (2)
sich aktiv erholen, baden, Familie, Freunde, gutes Essen, Lachen,
Musik (machen), Pause, Sonne, Spaß, Vergnügen, Wochenende (1)

Ergebnisse psycholinguistischer Untersuchungen zeigen, dass Wörter mit


Vorstellungen und Begriffen verbunden werden, die in vielfältiger Weise die
Gesellschaft und Kultur eines Landes widerspiegeln. Kommunikationspartner
verbinden mit gleichen Wörtern nicht immer gleiche Inhalte, sondern manchmal nur
ähnliche oder auch sehr verschiedene.
Beispiel aus dem Text „Entscheidung am Strand“:
Der Begriff „Ausflug in die Natur“ hat in deutschen und spanischen Kulturen
unterschiedliche soziokulturelle Bedeutungen. Beide Paare wollten einen Ausflug ans
Meer machen, haben aber sich diesen Ausflug verschieden vorgestellt. Für Deutsche
war es wichtig: im Freien zu sein, aktiv zu sein, am Strand zu wandern (auch beim
schlechten Wetter). Für Spanier: nicht unbedingt aktiv zu sein/zu wandern, beim
schlechten Wetter nicht draußen bleiben, sondern es sich gemütlich in einem
Restaurant machen.
Diese Unterschiedene in Wortbedeutungen haben die Kommunikation zwischen
den Paaren negativ beeinflusst und Missverständnisse verursacht und zu negativen
Interpretationen geführt: die Spanier haben auf die Deutschen als unpünktlich,
unseriös, unsportlich/faul, merkwürdig; die Deutschen auf die Spanier als)
merkwürdig gewirkt.
Die Wörter bringen kulturspezifische Verhältnisse, kulturspezifische
Verbindungen/ Assoziation zum Ausdruck. Diese Verbindungen entstehen durch die
Erfahrungen, die die Personen in einer Kultur mit einem Begriff machen. Wenn
beispielweise eine Deutsche oder ein Deutscher auf das Wort Frühstück mit der
Assoziation Zeitung reagiert, liegt das sicherlich daran, dass viele Deutsche morgens
eine Zeitung zugestellt bekommen und das Zeitungslesen einen großen Stellenwert
beim Frühstück hat.
Solche unterschiedlichen Assoziationen weisen darauf hin, dass Begriffe einer
Gesellschaft mit ganz spezifischen anderen Begriffen strukturell verbunden sind, dass
also in dieser Gesellschaft spezifische Zusammenhänge bestehen, bewirkt durch
spezifische kulturelle Prozesse, die ablaufen oder abgelaufen sind. Reagieren die
Menschen in anderen Kulturen mit anderen Assoziationen, so ist dies ein Ausdruck
der Tatsache, dass Menschen in verschiedenen Kulturen mit gleichen Dingen
systematisch Verschiedenes verbinden.
Zusammenfassung: An dieser Stelle möchten wir feststellen, dass
Wortassoziationen kulturspezifisch sind. Sie spiegeln historische und soziale
Prozesse wieder und enthalten landeskundliche Informationen, die man
berücksichtigen muss, wenn man eine fremde Sprache erlernt. Daraus folgt, dass mit
der neuen Sprache auch eine neue Wirklichkeit, ein neues System von Begriffen und
Zusammenhängen erlernt werden muss.

 Realien und kulturneutrale Lexik


In jeder Sprache existieren die Wörter, die besondere Begriffe bezeichnen, die
es nur in der bestimmten Sprachgesellschaft/Kultur gibt, z.B. Wende,
Karneval/Fasching, Adventszeit, Ossi und Wessi. Sie werden als Realien (слова-
реалії) bezeichnet und sie bringen viele soziokulturelle Informationen zum
Ausdruck.
Aber auch Begriffe, die auf den ersten Blick kulturneutral bzw. in allen Kulturen
identisch erscheinen, zeigen unter bestimmten Bedingungen kulturspezifische
Assoziationen.
Das kann man an konkreten Beispielen zeigen: So wird der Begriff
„святкувати” bei vielen Ukrainern mit einem üppig gedecktem Tisch assoziiert, mit
dem Begriff „Familie“ werden oft nicht nur Eltern und ihre minderjährige Kinder ,
sondern auch Großeltern bezeichnet, in einem Café kann man in der Ukraine nicht
nur Desserts sondern auch etwas Warmes essen und auch manchmal alkoholische
Getränke bekommen.
Zusammenfassend zu diesem Punkt lässt sich schließen: Die Wörter in unserem
Kopf sind vernetzt sind. Diese Vernetzung kommt in Wortassoziationen zustande und
hat mit landeskundlichen Faktoren zu tun: mit ökonomischen, historischen,
ideologischen, sozialen oder auch alltäglichen, gewohnheitsmäßigen Gegebenheiten
in einer Gesellschaft.

 Wortbedeutung und Kultur: Wortassoziationen und Prototypen3


Forschungsergebnisse lassen vermuten, dass Vorstellungen von einem Begriff –
z. B. der Vogel –nicht unbedingt unkonkrete, abstrahierte Vorstellungen sein müssen.
Das heißt, diese müssen keine neutralen Gebilde sein, etwa solche, die die
wichtigsten Eigenschaften aller Vogelarten zusammenfassen. Experimente von Rosch
(1975) zeigen beispielweise, dass US-Amerikaner als Abstraktum, als Prototyp für
alle Vogelarten den Spatz benutzen.
Weitere Experimente können sicherlich leicht bestätigen, dass nicht nur ganz
bestimmte Vögel oder Hunderassen, sondern auch bestimmte Arten des Essens, des
Grüßens wie auch bestimmte Arten des Nettseins, der Freiheit, der Eleganz, der
Aggressivität als „typischer“ angesehen werden als andere. Es ist zu vermuten, dass
3
ein typisches Beispiel für etwas
beispielweise das Huhn ein weniger typischer Vogel als der Spatz ist, dass ein
Kühlschrank ein weniger typisches Möbel als Tisch, Bücher schreiben eine weniger
typische Arbeit als ein Haus bauen ist.
Die wichtigste Konsequenz ist die, dass verschiedene Kulturen verschiedene
Prototypen als Maßstab des Erkennens und Bewertens von Dingen heranziehen. So
wird in einem afrikanischen Land sicherlich nicht ein Vogel wie ein Spatz die
„Vogelhaftigkeit“ am besten repräsentieren, sondern ein anderer Vogel.
Wenn jemand nicht weiß, dass es so etwas wie Prototypen für Begriffe in
verschiedenen Kulturen gibt, wenn man nicht bewusst ist, wie die eigenen Prototypen
in einem konkreten Fall aussehen und wie sehr sie die Vorstellungen von dem, was
„normal“ und „richtig“ ist, prägen, kann das ein Grund für „Missverstehen durch
falsches Einordnen fremder Phänomene“ sein.

 Unterschiede in Wortbedeutungen als Ursachen der interkulturellen


Wortassoziationen und Prototypen gründen sich auf unterschiedliche
gesellschaftliche Erfahrungen, Gewohnheiten und Bewertungen. In alltäglichen
Interaktionen können solche unterschiedlichen Begriffsbildungen zu
Kommunikationsproblemen führen, wenn die Kommunikationspartner aus
verschiedenen Kulturen stammen.
Was passiert, wenn man mit einem neuen unbekannten Wort in der Fremdsprache
konfrontiert wird. Man übersetzt in der Regel das Wort in die Muttersprache und
setzt dabei ständig die mutter- und zielsprachigen Bedeutungen gleich. Das das nicht
genug ist und zu interkulturellen Missverständnissen führen kann, zeigt das folgende
Beispiel 1:
Ein französischer Schüler, der im Rahmen eines Schüleraustauschs in einer deutschen
Familie gewohnt hat, hat sich über ein „komisches“ Abendessen in seiner Familie
beschwert: „Dann kam das Abendessen, eine einzige Katastrophe: Ich sollte
gelichzeitig Vorspeisen essen wie Leberwurst, Salami und dazu Käse. Ich habe nur
ein bisschen von der Leberwurst probiert. Dann aber wurde alles weggeräumt, und
ich bin mit hungrigem Magen ins Bett gegangen. Wie kann man nur kalte Sachen
essen am Abend! Und besonders, wenn Besuch kommt, sollte man nicht am Essen
sparen“.
Das Beispiel zeigt, wie jemand eine fremde Situation in Unkenntnis der
landeskundlichen Bedeutung falsch interpretiert. Dieser französische Schüler ist bei
der Wortbedeutung Abendessen völlig von seinen eigenkulturellen Erfahrungen
ausgegangen und hat die Hauptmahlzeit als Vorspeise angesehen und deshalb
angenommen, dass er sich nicht satt essen müsse.

Das nächste Beispiel für ein Missverständnis, dem zugrunde Unterschiede in


Wortbedeutungen liegen, bezieht auf die interkulturelle Geschäftskommunikation:
Beispiel 2
Eine deutsche Firma lud die Delegation eines französischen Unternehmens ein,
zu einem Besuch nach Deutschland zu kommen, um die Voraussetzungen einer
möglichen Kooperation zu prüfen. Beide Seiten verabredeten, je ein Konzept
zu erarbeiten und dann zu vergleichen, welche Seite welche Schwerpunkte
setzt. So wurde es auch gemacht, doch am Ende beschwerten sich die
Deutschen:
Die französische Seite verspätete sich ein wenig, erklärte dann langatmig, wie
sie uns gefunden haben, welches Wetter, welcher Verkehr in Paris geherrscht
hätte, und dann stellte sich heraus, dass sie nur ganz allgemeine Überlegungen
angestellt hatten, wie unsere Zusammenarbeit funktionieren könnte. Sehr
interessiert waren sie auch nicht an unseren konkreten, breit dokumentierten
Vorarbeiten.
Anstatt zu prüfen, ob grundlegende Begriff wie Konzept, im
Deutschen/Französischen gleiche Bedeutung haben, wurde das als „abweichend“
interpretierte Verhalten mit (eigenen) psychologischen Wertmaßstäben gemessen. In
Wirklichkeit hatte sich die französische Delegation völlig regelkonform verhalten:
wenn man sich verabredet, ein französisches Concept vorzubereiten, sind erste
Überlegungen, „des idées“ angebracht und nicht etwa sehr weitgehende Recherchen,
Hintergrundinformationen und ausgearbeitete Pläne, die in der Anfangsphase viele
Franzosen auch misstrauisch machen können):
Gerade solche alltäglichen, fast gleichklingenden „internationalen“ Wörter
müssen genau geprüft werden, ob sie begrifflich in verschiedenen Kulturen
übereinstimmen. Daher müssen die Interagierenden in interkulturellen Situationen –
insbesondere beim Gebrauch einer Verkehrssprache (Englisch als lingua franca) –
sehr genau mögliche unterschiedliche Repräsentationen von Wortbedeutungen
beachten und versuchen, diese aus den Äußerungen der Interaktionspartner zu
erschließen.

 Strategien zur Erschließung der Bedeutungsunterschiede


Wir haben festgestellt, dass Begriffe mit anderen Begriffen zu einem Netz eng
verbunden sind. Für alle, die Fremdsprachen lernen, heißt es, dass man sich vor allem
mit den landeskundlich relevanten Aspekten dieser Bedeutungen, beschäftigen muss.
Im Gegensatz zu einem Kind, das diese Kenntnisse intuitiv und durch vielseitige
Erfahrungen im Laufe seiner Entwicklung über einen relativ langen Zeitraum erwirbt,
steht dem Fremdsprachenlernenden dafür wenig Zeit zur Verfügung. Dazu kommt,
dass er auch nicht ständig mit dem fremden sozialen Umfeld konfrontiert wird, wenn
er nicht gerade im Zielspracheland lebt und dort die neue Sprache erlernt.
Daraus kann man schließen, dass eine Sensibilisierung für das Erkennen der
landeskundlich fremden Bedeutungen über bestimmte Strategien geschehen kann, die
sich auf 1) die Erschließung der Bedeutung aus dem Kontext 2) das Hinterfragen der
Bedeutung (Suchfragen), 3) gezieltes Klären der Bedeutung im Gespräch
(Metakommunikation) beziehen.
Im Folgenden werden diese Strategien ausführlicher betrachtet:
1) Erschließung der Bedeutung aus dem Kontext. Das Übersetzen beim
Fremdsprachenlernen nur die Ausdrucksformen von Bedeutungen (Wörter) ist nicht
genug. Wenn man eine Vorstellung von der denotativen Bedeutung eines Wortes hat,
d.h. wenn man der Erklärungsgegenstand identifiziert hat, muss diese Bedeutung
durch Einbettung in fremdkulturelle Kontexte kulturspezifisch erweitert werden.
Beispiel: aufgrund der Geschichte „Entscheidung am Strand“ kann man aus dem
Kontext erschließen, dass „ein Ausflug in die Natur“ in deutscher Kultur auf eine
aktive Zeitverbrauch hinweist.
2) Hinterfragen der Bedeutung (Suchfragen).
Mit Hilfe von Suchfragen kann man die Funktion des Objekts im gesellschaftlichen
Kontext der Zielkultur klären und Hinweise auf ein situationsgemessenes Verhalten
erhalten (Шлях розкриття соціокультурного потенціалу значень передбачає
висунення студентами гіпотез щодо можливих соціокультурних відтінків
значення лексеми ІМ і перевірку цих гіпотез.):
Beispiel: um die soziale Bedeutung des Begriffs Café zu hinterfragen,
könnten, z.B. folgende Fragen gestellt werden:
 Welchen sozialen Schichten gehören die Menschen an, die ins
Café gehen?
 Gehen eher junge oder ältere Menschen dorthin?
 Ist man dort allein oder in der Gruppe?
 Wann, zu welcher Tageszeit geht man dorthin?
 Was isst/trinkt man?
 Wie lange hält man sich dort auf?
 Welche sekundären Ziele haben die Personen, die sich im Café
aufhalten?
 Wie grenzt sich das Café von anderen Lokalen ab?

3) gezieltes Klären der Bedeutung im Gespräch (Metakommunikation)


Wenn die Kommunikation nicht klappt, liegt das häufig daran, dass jeder unter
einem Begriff etwas anderes versteht, man redet also aneinander vorbei. Da hilft dann
oft nur das „Reden über das Reden“ oder Metakommunikation.
Metakommunikation ist sprachliches Verhalten innerhalb eines
Kommunikationsaktes, während dessen über einzelne Ausdrücke, Aussagen oder
andere Teile desselben Kommunikationsaktes gesprochen wird, d.h. Kommunikation
über einen Kommunikationsakt, in dem man gleichzeitig selbst steht In
interkulturellen Begegnungssituationen dient sie der Verständigung über
missverständliche Äußerungen oder Verhaltensweisen.
Als Beispiel ein Dialogausschnitt:
A: In Ihrem Land gibt es keine Gastfreundschaft.
B: Wieso?
A: Man bieten oft den Gästen nur etwas zu trinken an.
B: Moment mal. Ich glaube, du verstehst etwas anderes unter
Gastfreundschaft als ich. Für mich bedeutet Gastfreundschaft“ sich die Zeit
für Gäste nehmen.

Zusammenfassung: Aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen, die mit


Wörtern, Situationen oder Verhaltensweisen in verschiedenen Kulturen verknüpft
sind, zeigen Begriffe, die auf den ersten Blick kulturneutral bzw. in allen Kulturen
identisch erscheinen, in bestimmten Kontexten kulturspezifische Bedeutungen. Diese
Bedeutungsunterschiede, die sich daraus ergeben, sollten bewusst gemacht werden,
um unnötige Missverständnisse zu vermeiden. Sich den kulturellen Hintergrund von
Wörtern oder Dingen in einer fremden Kultur zu erschließen, ist eine Strategie für
erfolgreiche IKK
Thema 9. Kulturvergleich
Mechanismus der Wahrnehmung und Kulturvergleich – Der oberflächliche, nicht
objektive Kulturvergleich und Wertung – Mechanismus des objektiven
Kulturvergleichs: nach funktionalen Äquivalenzen suchen – Sprachliche Indikatoren
für den Vergleich – Voraussetzungen für einen gelungenen Kulturvergleich
 Mechanismus der Wahrnehmung und der Kulturvergleich (jede
Wahrnehmung in der IKK gerät zum Kulturvergleich)
Fremdes nehmen wir auf dem Hintergrund unserer Erfahrung wahr. Unsere
eigene Begriffe dienen dabei als Raster, um die fremden Erscheinungen einzuordnen
und als Maßstab, um sie zu beurteilen. Da unser Bedeutungssystem aber
kulturspezifisch ausgeprägt ist, gerät praktisch jede Fremdwahrnehmung zum
Kulturvergleich. Dabei erfahren wir mindestens ebenso viel, oft sogar mehr über den
Sprecher und seine Wirklichkeit als über das, was er eigentlich beschreiben will.
Dazu ein Beispiel: bei einem Fortbildungsseminar in Deutschland machten drei
Seminarteilnehmer/innen gemeinsam einen Waldspaziergang. Als sie zurückkamen,
erzählten sie von ihren Eindrücken. ”Der deutsche Wald ist gewaltig”, sagte die
polnische Kollegin. Die Russin: “Der deutsche Wald ist so zivilisiert”, wobei nicht
ganz klar war, ob sie das nun positiv oder negativ meinte. Und der Norweger befand:
“Der deutsche Wald ist mickrig”.
Die zufällige Gegenüberstellung so verschiedener Fremdwahrnehmungen
desselben Gegenstandes machte die Relativität von Aussagen über Fremdes deutlich:
nur im Vergleich zur eigenen Wirklichkeit (Walderfahrungen in Polen, Russland,
Norwegen) ergeben sie Sinn.
Der Vergleich (auch: Komparation) bezeichnet eine grundlegende, auf
Wahrnehmung basierende Methode, die zur Erkenntnis von Gemeinsamkeiten oder
Unterschieden zwischen Objekten der Realität führen soll. Beim Vergleich von
Begriffen dürfen nur gleichartige Begriffe, die gleichartige Objekte der Realität
repräsentieren, in die Untersuchungen einbezogen werden.
Vergleichen ist also eine komplizierte sprachliche und kognitive Tätigkeit, die
*ein Identifizieren (Gleichheit feststellen), *ein Differenzieren
(Unterschiede/Nichtgleichheit feststellen) und *eine Komparation (Verschiedenheit
in der Gleichheit messen) einschließt.
Wie es schon früher im Beispiel der Wald erwähnt wurde: In allen interkulturellen
Situationen werden unbewusst und bewusst Vergleiche angestellt; ohne
Vergleichshandlungen kann sich kein Sprecher in die Perspektive des anderen
hineinversetzen.

 Der oberflächliche, nicht objektive Kulturvergleich und Wertung


Ein solches Vergleichen verläuft meist oberflächlich-kontrastiv: Dinge,
Verhältnisse oder Verhaltensweisen werden kulturkontrastiv gegenübergestellt, ohne
zu hinterfragen, ob man Gleiches mit Gleichem vergleicht.
Hier ein Beispiel für einen solchen oberflächlichen Vergleich:
Eine Ukrainerin, die einen kurzen Aufenthalt in Deutschland hatte und bei
einer alleinstehenden Frau untergebracht wurde, behauptete, dass Deutsche wirklich
sparsam und nicht gastfreundlich sind, weil ihre Gastgeberin, die morgens früh los
musste, den Tisch zum Frühstück nicht deckte, sondern sagte, dass der Gast sich im
Kühlschrank bedienen soll.
Hier wurden von der Ukrainerin unbewusst zwei Begriffe гостинність und die
Gastfreundschaf verglichen Dem Begriff гостинність entspricht die Handlung „das
Essen für den Gast auf den Tisch stellen“. Nach diesem Kriterium analysiert/beurteilt
die Ukrainerin das Verhalten der Deutsche. Wenn dieses Kriterium fehlt, wird das
Verhalten der deutschen Gastgeberin als unfreundlich bewertet.
Ein solches Zusammenstellen von zwei Begriffen гостинність und die
Gastfreundschaf, ohne gleichwertige Kriterien in beiden Kulturen für diesen Vergleich
zu finden, führt in diesem Fall zur falschen Interpretation und der nicht objektiven
Wertung: „Die Gastgeberin ist sparsam und unfreundlich“ und weiter zur Verfestigung
von Stereotypen: „Es stimmt also, dass Deutsche sparsam und unfreundlich sind.“
Hauptproblem des interkulturellen Vergleichens ist, dass man einen Begriff aus
einer fremden Kultur und einen Begriff aus der eigenen Kultur zueinander setzt und
nach Kriterien aus der eigenen Kultur vergleicht
 Mechanismus des objektiven Kulturvergleichs: nach funktionalen
Äquivalenzen suchen
Dieses Beispiel mit der deutschen Gastfreundschaft bestätigt, dass es nicht
ausreichend ist, etwa gleiche Begriffe in verschiedenen Kulturen zu vergleichen.
Wesentlicher ist der Vergleich der Funktionen, d.h. der sozialen Bedeutungen in
jeweiligen kulturellen Kontext.
Wenn man die Funktionen (soziale Bedeutungen) des Begriffs
Gastfreundschaft betrachtet, kommt man leicht auf eine Formulierung „Bedien dich
bitte in meinem Kühlschrank!“, die bei Deutschen ein besonderes Zeichen von
Vertrauen und Offenheit ist, wie auch "Fühl dich wie zu Hause." Wer das sagt, meint
es auch so: „Du darfst alles nehmen, essen und benutzen. Ich teile meine Wohnung
mit dir, als gehörtest du zu meiner Familie. Es gibt also keine Vorschriften, was man
nehmen darf.“
Um beide Begriffe гостинність und die Gastfreundschaf objektiv zu
vergleichen, sollte man sich erstmal einen Gedanken machen: Welche Realisierung
kann die Aussage „Bedien dich bitte in meinem Kühlschrank“ (in ihrer Funktion als
Ausdruck von Gastfreundschaft) in der ukrainischen Kultur haben? Dann gelangt man
nach und nach zu der Erkenntnis, dass diesem Verhaltensmodel in der deutschen
Kultur ein anderes Verhaltensmodel ukrainischen entspricht: zwar „das Essen auf den
Tisch stellen,
Висновок: Дві різних моделі поведінки мають у різних культурах однакову
функцію, тому логічним буде порівнювати функції „вияв гостинності“ в укр.
та нім культурах, а не однакові моделі поведінки, які означають у різних
культурах різне (мають різні функції). Тобто еквівалентом порівняння буде
абстрактна функція „вияв гостинності“.
Нім. культура –– модель поведінки: запрошення гостю користуватись
холодильником  функція: вияв гостинності
Укр. культура –– модель поведінки: запрошення гостю користуватись
холодильником  функція: немає
Укр. культура –– функція: вияв гостинності  модель поведінки:
залишити їжу для гостя на столі
Нім. культура Укр. культура

модель поведінки: функція: вияв модель поведінки:


запрошення гостю гостинності залишити їжу для гостя
користуватись на столі
холодильником

Verhaltensmodel in Verhaltensmodel in der


Deutschland: Ukraine:
Funktion: Realisierung der
Aufforderung „Bedien dich Gastfreundschaft den Tisch decken und das
bitte in meinem Kühlschrank! Essen für den Gast darauf
stehen lassen

Diese Gedankenfolge ist die Grundlage für adäquate Vergleiche. Sie ermöglicht,
sich sowohl von denotativen Bedeutungen als auch von den manchmal
oberflächlichen ersten Eindrücken vom Erklärungsgegenstand selbst zu lösen.
Diese Gedankenfolge ist auch die Grundlage für das Verstehen des Fremden,
indem nicht mehr intuitiv gefragt wird, warum man denn komischerweise in
Deutschland beispielweise Hunde „wie Kinder und sogar noch besser“ (Meinung
einer Koreanerin) behandelt. Denn dabei setzt der ausländische Beobachter
möglicherweise seinen eigenkulturellen Begriff von Hund als Arbeitstier voraus.
Angemessener wäre es, beispielweise von „Hunden in ihrer Funktion als
Kommunikationspartner von sich einsam fühlenden Menschen“ zu sprechen. Dabei
müssen sich Lernende dann überlegen, welche äquivalenten
Beschäftigungsmöglichkeiten es in ihrer Kultur für solche „sich einsam fühlende
Menschen“ gibt. Möglicherweise wird der Hund dann funktionsäquivalent mit
ukrainischer Familie gesetzt (in der Ukraine, besonders auf dem Lande, bleiben die
Älteren weiter im Arbeitsprozess der Großfamilie und sind nur selten auf
„Unterhaltung“ angewiesen).
Aus diesem Beispiel kann man folgende Schlüsse ziehen: Es ist nicht das Ziel,
ähnliche Gegenstände aus verschiedenen Kulturen zu vergleichen und sich über den
unterschiedlichen Gebrauch zu amüsieren, sondern das Ziel ist, aktiv nach
Funktionen der fremden Erklärungsgegenstände zu forschen und diese dann in
Beziehung zu setzen. Anders formuliert: man sollte beim Vergleich funktionale
Äquivalenzen, also Dinge, die die gleiche Funktion den eigenen und der fremden
Kultur erfüllen, erkennen
Zum Vergleichen wird also eine von den konkreten kulturellen Erscheinungen
abgehobene abstraktere Vergleichsebene, ein tertium comparationis benötigt. (In den
oben angeführten Beispielen sind diese Vergleichsebenen „Realisierung der
Gastfreundschaft“ in der ukrainischen und der deutschen Kulturen. (Beispiel 1) und
soziale Funktionen des Hundes in der deutschen und koreanischen Kultur. (Beispiel
2).
Ein weiteres Beispiel dafür, wie man bei Vergleichen nach einer abstrakten
Vergleichsebene suchen sollte:
Liest man eine Statistik darüber, dass Spanien so viele Kneipen hat wie die übrigen Länder der
europäischen Gemeinschaft zusammen, Schweden hingegen fast keine Kneipen hat, so könnte
daraus der falsche Schluss gezogen werden, dass die Spanier sehr gesellig und die Schweden
ungesellig sind. Das Vergleichskriterium sollte in diesem Fall soziale Kontakte. Und die finden bei
Schweden nicht in der Kneipe statt (vgl. Bachmann u.a. 1995, 14).

Ein Ergebnis eines solchen reflektierten (und nicht vorschnellen)


Vergleichsprozesses wird dann auch die Erkenntnis sein, dass viele Erscheinungen in
anderen Kulturen / Gesellschaften eben ... nicht vergleichbar, sondern anders sind“
(Pauldrach 1992, 13).
Z.B. beklagte sich eine Amerikanerin bei dem Punkt Gastfreundschaft über die
Distanzlosigkeit ihrer Landsleute: „ In Amerika wird jeder gleich mit seinem
Vornamen angeredet, egal ob bekannt oder unbekannt, Respektperson oder nicht.
Mir gefällt das nicht.“ Im Gespräch kam sie dann darauf, dass der Gebrauch des
Vornamens im amerikanischen keine besondere Nähe ausdrückt, der Gebrauch des
Nachnamens aber zur ausdrücklichen Distanzierung dient, während im deutschen
die Anrede „Sie+ Familienname“ keine besondere Distanzierung beinhaltet, „du +
Vorname“ dagegen große Nähe signalisiert. Das eine ist nicht besser oder
schlechter als das andere, es ist einfach nur anders: Ein gelungener Kulturvergleich!
 sich differenzierеnd ausdrücken oder sprachliche Indikatoren für den
Vergleich
Wie es schon früher erwähnt wurde: In allen interkulturellen Situationen werden
unbewusst und bewusst Vergleiche angestellt; ohne Vergleichshandlungen kann sich
kein Sprecher in die Perspektive des anderen hineinversetzen.
Für die Spracharbeit besonders interessant sind sprachliche Indikatoren für den
Vergleich der Kulturen. Gemeint sind kulturlogische Beziehungen, die sich in den
Konnektoren ausdrücken. Das bedeutet: der Gebrauch Konnektoren weißt in einer
Fremdsituation oft direkt auf den unbewussten Kulturvergleich hin
Beispiel 1
„Deutsche Kinder ziehen schon zwischen 18 und 20 von zu Hause aus“, so weist
das Wort „schon“ auf den Vergleich hin – der Sprecher ist erstaunt, dass deutsche
Kinder so früh (also früher als in der eigenen Kultur) ausziehen.
Beispiel 2
„Gestern war ich bei Bekannten. Obwohl sie mich eingeladen hatten, gab es kein
richtiges Essen, sondern nur Brot und Wurst. Sie waren trotzdem sehr nett zu mir.
(Sichtwechsel 2, S. 63) Der Eingeladene hat offensichtlich ein warmes

Essen erwartet. In Deutschland ist es aber durchaus nicht ungewöhnlich,


Gästen abends kalten Käse-und Wurstaufschnitt, dazu frisch zubereitete
Salate anzubieten.
Wie wir in den oben angeführten Beispielen gesehen haben, diese kleinen Wörter
geben uns Aufschluss über den gesellschaftlichen Hintergrund. Darum sollte man
sich die hinter den sprachlichen Verknüpfungen stehenden inhaltlichen Beziehungen
bewusst machen und reflektieren, welche Art der Beziehung zwischen den
Sachverhalten besteht.
Man sollte also in der IKK bewusst mit diesen logischen Verbindungen, die oft auf
den Kulturvergleich deuten, umgehen. Daraus folgt auch: man sollte sich selbst bei
Kulturvergleichen sprachlich bewusst und vorsichtig äußern und Verallgemeinerung
vermeiden, wie z.B., wie in der Formulierung: “Menschen aus südlichen Ländern meinen, die
Deutschen seien kalt, weil sie sich zur Begrüßung nicht küssen”. In diesem Fall wäre es besser, so
zu formulieren: “Manche/viele Menschen aus südlichen Ländern haben zunächst den Eindruck,
Deutsche seien kalt, weil sie von zu Haus her gewöhnt sind, dass Freunde und Bekannte sich zur
Begrüßung küssen. In Deutschland ist das weniger üblich”.
Solche Bemühungen, sprachlich zu differenzieren und zu perspektivieren (d.h.
die eigene kulturelle Perspektive aufzugeben, unter der man zu Aussagen über
Fremdes gelangt), führen dazu, sich der anderen Kultur eher fragend und nuancierend
als (ab)urteilend zu nähern.

 Voraussetzungen für einen gelungenen Kulturvergleich


Die Befähigung zum Kulturvergleich beinhaltet:
 Das Bewusstsein der Relativität der eigenen Wahrnehmung. Angestrebt wird
also die Fähigkeit, sich von der eigenen Perspektive als der allein gültigen
distanzieren. Erst von diesem distanzierten Standpunkt aus findet ein wirklicher
interkultureller Vergleich statt.
 Die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme, d.h. der Fähigkeit, sich in die
Position des anderen versetzen zu können, um seine Perspektive von dieser Situation
oder von einer bestimmten Sache zu erkennen
 Das Wissen um die soziokulturelle Bedeutung. Insbesondere die konkreten
Objekte der fremden Realität (z.B. Autos, Fahrräder) werden wegen ihres gleichen
Aussehens oder ihrer gleichen Beschaffenheit leicht auch in ihrer sozialen Bedeutung
für identisch gehalten, obwohl sie in anderen Gesellschaften eine andere Funktion
und Bedeutung haben. Vergleiche dürfen sich nicht auf die Betrachtung äußerlicher
Gleichheiten oder Unterschiede beschränken, sondern müssen versuchen, die
soziokulturellen Bedeutungsdimensionen zu erfassen.
 Es ist wichtig, den richtigen/relevanten Vergleichspunkt zu bestimmen: d.h.
funktional äquivalente Aspekte zu vergleichen.
 Das Bewusstsein des Kulturvergleichs als einer Verallgemeinerung. Dabei
verlieren wir aber sehr leicht die auch innerhalb einer Kultur existierenden
intrakulturellen Unterschiede aus dem Blick, d.h. wir produzieren Stereotype. Es
muss also immer klar werden, dass die Verallgemeinerung nur zur Orientierung dient
und dass sie keinesfalls die Wirklichkeit in ihrer ganzen Komplexität erfasst.
Angestrebt wird also die Fähigkeit, den Kulturvergleich als einen ständigen
Balanceakt zwischen Verallgemeinerung und Differenzierung zu begreifen.
 Die Fähigkeit zur sprachlichen Differenzierung. Es besteht die Gefahr, beim
Kulturvergleich Einzelbeobachtungen zu verallgemeinern. Darum erfordert der
Kulturvergleich ein hohes Maß an sprachlicher Bewusstheit, eine Fähigkeit sich
sprachlich differenzierend zu äußern und dabei eigene kulturelle Perspektive
anzugeben.

Schlüsse
• Jede Wahrnehmung in der fremden Kultur wird zum Kulturvergleich
• Hauptproblem des interkulturellen Vergleichens ist der oberflächliche, nicht
objektive Kulturvergleich und Wertung
• Mechanismus des objektiven Kulturvergleichs: nach funktionalen
Äquivalenzen suchen
• Voraussetzungen für einen gelungenen Kulturvergleich:
 sich den Mechanismus des interkulturellen Vergleichs bewusst machen,
 beim Vergleich nach funktionalen Äquivalenzen suchen
 sich über die andere Kultur sprachlich vorsichtig und differenzierend äußern.
Thema 10. Voraussetzungen für erfolgreiche Kommunikation

Voraussetzungen für erfolgreiche Kommunikation – Ablauf nicht erfolgreicher IKK.


Psychologische Begründungen der interkulturellen Kommunikationsprobleme –
Ursachen von kulturellen Missverständnissen oder Konventionen bei der
nonverbalen und verbalen Kommunikation

Kommunikative Absicht und sprachliche Realisierung – Kulturspezifische


Gesprächsorganisation – Kulturspezifische Gesprächsthemen –
Direktheit/Indirektheit von Äußerungen – Direktheitsunterschiede im Englischen und
Deutschen

 Voraussetzungen für erfolgreiche Kommunikation


Was braucht man, damit die Kommunikation überhaupt und die IKK
insbesondere funktioniert? Die linguistischen Forschungen zeigten, dass die
Kommunikation „funktioniert“, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind:
Die Voraussetzungen für erfolgreiche Kommunikation werden erfüllt, wenn
beide Kommunikationspartner:

1. eine gleiche Einschätzung der sozialen Situation (Kontext, Rollen,

Beziehung zwischen den Partnern) haben;


2. eine gemeinsame Sprache sprechen, in der sie sich verständigen können;

3. über gemeinsame Konventionen/Regeln verfügen,

a) wie bestimmte Mitteilungsabsichten sprachlich realisiert werden können;

b) wie und was begleitende Signale (Tonfall, Stimme, Mimik; Gestik;


Handlungen) zur Realisierung der Mitteilungsabsicht beitragen.

(in Erfolgreich für IKK S.10)


Wenn eine oder mehrere der Voraussetzungen für die IKK nicht erfüllt werden, kann
das zu Missverständnissen führen.

Beispiel für eine nicht erfolgreiche Kommunikation:

Situation: Bei der morgendlichen Routinebesprechung eines indonesisch-


niederländischen Unternehmens fehlte es an Sitzgelegenheiten. Einer der
indonesischen Mitarbeiter betrat das Büro eines niederländischen Kollegen und entlieh
sich dort ohne weiteren Kommentar einen Stuhl. Der Niederländer reagierte mit einem
„Na, bist du auf einer kleinen Diebestour?“

Der Indonesier war zutiefst beleidigt und es dauerte anschließend 45 Minuten um den
Konflikt zu bereinigen. (in Erfolgreich für IKK S.11)

Wollen wir diese Situation unter dem Blickwinkel der Voraussetzungen für
erfolgreiche Kommunikation betrachten. Der niederländische Mitarbeiter wollte den
indonesischen Kollegen nicht beleidigen. Der Indonesier hat zwar verstanden, was
der niederländische Kollege gesagt hat (1), er hat aber falsch verstanden, was der
andere mit seiner Äußerung beabsichtigte (2). Außerdem fallen die Umgangsformen
(3), d.h. Regeln, was man in bestimmten Situationen tun oder nicht tun muss, in
beruflichen niederländischen und indonesischen Alltag bestimmt nicht zusammen.
Weil in diesem Beispiel die Voraussetzungen 1 und 3 nicht erfüllt worden waren,
„funktionierte“ die Kommunikation nicht.

 Ablauf nicht erfolgreicher IKK. Psychologische Begründungen der


interkulturellen Kommunikationsprobleme
Befragungen von Menschen, die viele Erfahrungen im Ausland/mit Ausländern
hatten, bezüglich der Missverständnisse in interkulturellen Situationen, ergaben, dass
über 90% spontan Gründe für die Irritation bzw. die Unzufriedenheit nannten, die
ausschließlich psychologischer Natur waren: Überheblichkeit, Unhöflichkeit,
Respektlosigkeit etc.

Diese Tendenz illustriert er anhand einer Fallstudie:

Britische Untersuchungspersonen hatten in einer ersten Befragung ihre


deutschen Arbeitskollegen als „sehr unfreundlich-direkt“ und „aggressiv“
beschrieben. Nach einer Reihe von Recherchen wurde festgestellt, ihr Eindruck
resultierte daher, dass ihre deutschen Kooperationspartner Höflichkeitssprachform
„please“ nach Bitten/Aufforderungen nicht so häufig gebrauchen wie sie selbst. In
der deutschen Sprache werden aber solche Handlungen mit anderen
Höflichkeitsformen realisiert (Konjunktivformen, Intonation) und dass die
Höflichkeitssprachform „bitte“ wird weniger häufig nutzen.

Auf diese linguistische Erklärungshypothese reagierten die britischen


Versuchspersonen folgendermaßen: „…statt anzuerkennen, dass ihr Eindruck der
Unhöflichkeit aus den anderen Kommunikationskonventionen in Deutschland
erwächst, gingen die britischen Untersuchungspersonen davon aus, dass die
Deutschen die im Vergleich zu Briten direkteren Sprechaktrealisierungen deshalb
machen, weil sie unhöflicher sind.“

An diesem Beispiel ist zu sehen, dass unterschiedliche linguistisch


definierbare Regeln systematisch als Ausdruck psychologischer
Eigenheiten des Gegenübers interpretiert werden.

Auch andere Arbeiten bestätigen die Erfahrung, dass kritische


Kommunikationssituationen regelmäßig dazu führen, dass die Mehrzahl auftretender
Verständnisprobleme nicht der Anwendung verschiedener Kommunikationsregeln,
sondern den kulturtypischen Wertorientierungen bzw. individuellen Vorlieben oder
Eigenheiten der Kommunikationspartner zugeschrieben wird.

In der „Kühlschrankgeschichte“ aus der Vorlesung zum Kulturvergleich lag die


Ursache des Missverständnisses daran, dass die Ukrainerin das deutsche
Verhaltensmodell zum Ausdruck der Gastfreundschaft missverstanden hat. Sie griff
aber unbewusst zur psychologischen Interpretation und der nicht objektiven Wertung:
„Die Gastgeberin ist sparsam und unfreundlich.“

 Ursachen von kulturellen Missverständnissen oder unterschiedliche


Konventionen/Regeln bei der nonverbalen und verbalen
Kommunikation
Wie schon oben erläutert wurde, sind die Ursachen von kulturellen
Missverständnissen meistens nicht im Bereich persönlicher Eigenschaften und
Absichten des Kommunikationspartners, sondern im Bereich der Linguistik zu
suchen. So sind diese Ursachen gleichzeitig die Konventionen/Regeln nach denen die
verbale und nonverbale interkulturelle Kommunikation funktioniert.

Die unten angeführte Liste stellt einen Versuch vom Bernd Müller-Jacquier dar,
die vielfältigen Gründe für die Probleme IKK zu systematisieren.

Linguistische und kulturelle Ursachen von Missverständnissen bei der IKK

1. Soziale Bedeutung. Die Bedeutungen der gleichen Wörter in verschiedenen

Kulturen fallen nicht zusammen, besonders assoziative/konnotative


Bedeutungen, z.B.: sich erholen und відпочивати.

2. Realisierungen von Absichten. Eine bestimmte Absicht wird in


verschiedenen Kulturen mit unterschiedlichen sprachlichen Formen
ausgedrückt. Z.B. Die Absicht eine Bitte ablehnen kann mit „Nein.“ oder
„Vielleicht morgen.“ ausgedrückt werden.

3. Gesprächsorganisation. Gleiche Gesprächsabläufe sind in verschiedenen

Kulturen verschieden organisiert und strukturiert. Es gibt verschiedene Regeln


und Konventionen für bestimmte Gesprächstypen. Z.B.: Telefongespräche,
Verhandlungen können unterschiedlich strukturiert werden oder gleiche
Gesprächsphasen können in verschieden Kulturen unterschiedlich lang sein.

4. Kulturspezifische Gesprächsthemen/Tabus. Kulturelle Regeln und


Konventionen beeinflussen das, worüber man an einem bestimmten Ort, zu
bestimmter Zeit, mit bestimmten Personen gesprochen wird, d.h. welche
Gesprächsthemen angesprochen oder vermieden werden (sollten), z.B.: ein
Tabu auf Privatleben-Themen bei Small-talks.

5. Direktheit/Indirektheit der Kommunikation. Eine bestimmte Absicht wird

unterschiedlich direkt ausdrückt. Sprachliche Direktheit/Indirektheit drückt in


einer Kultur vorherrschende Werte und Umgangsformen aus, z.B. Deutsche
Kritik ist für Ukrainer oft zu direkt und kann zum Gesichtsverlust führen.

6. Register. In einer bestimmten Gesprächssituation können die


Kommunikationspartner unterschiedliche sprachliche Register (z.B. eher
formelles oder eher informelles Register) für angemessen halten, z.B.: Bei
Begrüßung von neuen Gästen zeigt man sich besonders freundlich oder
besonders förmlich.

7. Paraverbale Faktoren: umfassen sprachliche Komponenten wie Lautstärke,

Intonation, Sprechmelodie, Pausen. Damit werden in verschiedenen Kulturen


oft unterschiedliche Bedeutungen verbunden. Z.B.: längere Pausen gelten
längere Pausen als Zeichen von Ratlosigkeit oder man leitet damit wichtige
Beträge ein.

8. Nonverbale Faktoren. Nonverbale Signale (Gestik, Körperdistanz,


Blickkontakt, Kleidung etc.) unterscheiden sich in verschiedenen Kulturen
darüber, welche Bedeutung mit einem bestimmten Signal verbunden wird bzw.
welche Signale in einer bestimmten Situation als passend oder unpassend
empfunden werden, z.B.: Das Klopfen auf dem Tisch kann ein Ausdruck der
Anerkennung sein oder „Du bist dumm!“ bedeuten.

9. Werte/Einstellungen. In jeder Gesellschaft gibt es Werte, an denen sich die

Menschen in ihrem Handeln und Verhalten orientieren und mit denen sie das
Handeln/Verhalten anderer bewerten, die sich kulturell unterscheiden, z.B.
verschiedener Umgang mit der Zeit.

10. Etikette. Regeln, was man in bestimmten Situationen tut oder unterlassen

muss (Umgangsformen) sind kulturell unterschiedlich. Z.B.: bei Begrüßung


küsst man sich oder man schüttelt sich den Arm.

(Aus: B. Müller-Jacquier: Interkulturelle Kommunikation und Fremdsprachendidaktik, 1999)

In den nächsten Kapiteln werden die Konventionen bei der IKK konkretisiert.

 Kommunikative Absicht und sprachliche Realisierung. Gleiche Absicht –


unterschiedliche Realisierungen.
Wer mit anderen Menschen spricht, handelt immer in einer bestimmten Absicht
– er möchte z.B. jemanden begrüßen, jemandem etwas versprechen, jemandem
zustimmen oder widersprechen, sich bei jemandem bedanken, etwas von jemandem
erfahren usw.

In jeder Sprache gibt es vielfältige sprachliche Realisierungsmöglichkeiten für


bestimmte Absichten, aus denen die Sprecher je nach Kontext, Gesprächssituation,
Gesprächspartnern usw. die ihnen angemessenen erscheinende Form auswählen.

Oft fallen sprachliche Realisierungen von gleichen kommunikativen Absichten


in verschiedenen Kulturen nicht zusammen. Bei IKK kommt hinzu, dass man
fremdsprachliche Äußerungen eines fremdkulturellen Partners häufig nach dem
eigenen kulturellen und muttersprachlichen Schema interpretiert, so dass es zu
Missverständnissen kommt. Z.B.:

Die Äußerung „Wollen wir zusammen einen Kaffee trinken“, die in der deutschen Kultur
lediglich einen Vorschlag mitzukommen und eine Aufforderung zum Miteinander-Sprechen
bedeutet, kann in der ukrainischen Kultur als eine Einladung missverstanden werden, wobei man
erwartet, dass man seinen Kaffee auch nicht bezahlen muss.

Dazu noch ein Beispiel aus dem Bereich der interkulturellen


Geschäftskommunikation, das illustriert, wie eine falsche Interpretation von der
kommunikativen Absicht des Gegenübers das Verständnis zwischen Partnern
erschwert.

Herr Schmidt (Sch) trifft Herrn Tranka (T), einen kürzlich eingestellten ausländischen
Kollegen, im Gang und spricht ihn an.

Sch: Ach, Herr Tranka, freut mich, Sie zu sehen.

T: Hi, guten Tag Herr Schmidt. Ich freue mich auch sehr, Sie zu treffen.

Sch: Und? ... Wie geht es Ihnen?

T: Ja… also in der letzten Zeit nicht so besonders gut, weil ich ja Probleme mit meiner
Wohnung habe… Außerdem war ich ziemlich erkältet. Aber hier in der Firma ist es alles o.k.
und die Arbeit macht mir Spaß. Allerdings habe ich noch etwas Problem ….

Sch: Hmm … Herr Tranka, wissen Sie zufällig etwas über den Ausgang der Verhandlung mit
diesem Kunden aus Honkong?

T: Ja, Frau Hellweg hat mir davon erzählt.

Sch: Und? Ist das ein Geheimnis?


T: Nein, nein … davon hat Frau Hellweg nichts gesagt.

Sch: Sie verstehen sicher, dass mir diese Frage interessiert.

T: Ja, das verstehe ich gut, das ist auch eine wichtige Angelegenheit.

in Erfolgreich in IKK S.45

Das Gespräch läuft schief, denn Herr Tranka nimmt alle Fragen/Kommentare
seines Gesprächspartners „wörtlich“ und reagiert entsprechend darauf. Er versteht
nicht die eigentlichen Mitteilungsabsichten seines Gesprächspartners. z.B.:

-Die Frage „Wie geht es Ihnen?“ ist keine Frage nach Einzelheiten des Befindens des
Partners. Das ist ein Beziehungssignal und sagt „Sie sind mir nicht gleichgültig.“

- Die Frage „Wissen Sie zufällig etwas über den Ausgang der Verhandlung …?“ steht
für die Aufforderung „Sagen Sie mir, wie die Verhandlung ausgegangen ist.“ usw.

Insbesondere bei ritualisierten Wendungen haben wörtliche Bedeutung und die


kommunikative Absicht, oft wenig miteinander zu tun, z.B.:

„Wie geht’s?“ ist eine Floskel zur Kontaktnahme,

andere Floskeln „Komm doch mal vorbei!“, „Wir sehen uns!“ (beim Abschied) sind nur
Signale, dass man mit dem Gesprächspartner auch weiterhin im Kontakt bleiben möchte.

Es können Missverständnisse entstehen, wenn ritualisierte Sprechhandlungen


wortwörtlich verstanden werden. Dies passiert aber öfter in interkulturellen
Gesprächssituationen.

 Gesprächsorganisation: Kulturspezifische Gesprächsabläufe,


kulturspezifische Textsortenmerkmale
Jeder Gesprächstyp ist durch eine ihm eigene Strukturierung gekennzeichnet, in
der festgelegt ist, welche Phasen in welcher Reihenfolge und mit welcher Dauer er
normalerweise beinhaltet, welche Themen in den verschiedenen Phasen
angesprochen oder eher vermieden werden, wer das Gespräch eröffnet oder wer wann
das Rederecht hat.

Gleiche Gesprächsabläufe sind in verschiedenen Kulturen oft unterschiedlich


organisiert und strukturiert. Es gibt unterschiedliche Regeln und Konventionen für
bestimmte Gesprächstypen, z.B.: Telefongespräche, Verhandlungen,
Vorstellungsbespreche etc.) Ist dies den Gesprächspartnern nicht bewusst, kommt es
unweigerlich zu Missverständnissen und Kommunikationsproblemen

Im Deutschen und Französischen sind die Gesprächseröffnungen am Telefon


unterschiedlich strukturiert, z.B.:

Madame X: Allo?

Herr Müller: Bonjour Madame, spreche ich mit Frau Mouloud?

Madame X: Nein, nicht mit Frau Mouloud, sie ist nicht da. Wer ist am Apparat?

Herr Müller: Hier ist Müller. Aber wer sind Sie eigentlich?

Die letzte Frage vom Herrn Müller „Aber wer sind Sie eigentlich?“ erklärt sich
dadurch, dass es für Deutsche unangenehm ist, mit Personen zu telefonieren, deren
Namen/Funktion man nicht kennt. Es ist in Deutschland üblich sich am Telefon mit
dem Familiennamen oder Vornamen und Familiennamen zu melden.

Möglicherweise merkt aber Herr Müller nicht, dass das Missverstehen an


unterschiedlichen Gesprächskonventionen in Telefongesprächen in Deutschland und
Frankreich liegt, sondern er wird das Verhalten von Frau X, als unfreundlich
interpretieren und denken, dass Frau X sich nicht identifizieren will. Durch
Psychologisierung der Interpretation kann man auch folgende Begründungen von
manchen Deutschen erklären, wie: „Franzosen melden sich nicht mit Namen, um
gegebenenfalls einfach wieder aufzulegen.“

Für die Gesprächsorganisation ist es wichtig, wie man mit der Hauptinformation
umgeht: wird sie eher am Anfang oder eher am Ende des Sprechaktes mitgeteilt. Dis
kann auch zu Missverständnissen in der IKK führen.

Beispiel: Wichtige Informationen kommen bei Deutschen oft schon am Anfang des
Gesprächs/Vortrags und dann werden sie erklärt und begründet und bei Ukrainern (sowie bei
manchen anderen Kulturen, z.B. bei Chinesen) kommen wichtige Informationen oft später nach
einer ziemlich langen Einführung ins Thema. Das führt oft dazu, dass die Ukrainer wichtige
Informationen am Anfang eines deutschen Gesprächs/Vortrages überhören und Deutsche dagegen
sich über eine unklare Redensart ukrainischer Gesprächspartner mit zu vielen unwichtigen Details
aufregen.

Nicht nur Gesprächsabläufe sind in verschiedenen Kulturen unterschiedlich. Das


gilt auch für verschiedene schriftliche Textsorten. Es gibt je nach
Kommunikationsabsicht und Adressat verschiedene Textsortenkonventionen, z.B. für
einen Lebenslauf, einen Vertrag, ein Bewerbungsschreiben, einen Dankbrief, eine
Glückwunschkarte. In verschiedenen Kulturen können diese Konventionen
unterschiedlich sein. Oft sind die Menschen aber dafür nicht bewusst, dass die
sprachlichen und inhaltlichen Textsortenmerkmale kulturspezifisch sind.

Im Kapitel zur Wahrnehmung wurde ein Beispiel mit einem thailändischen


Geschäftsbrief angeführt. Die deutschen Adressaten konnten diesen Brief nicht
eindeutig einer bestimmten Textsorte zuordnen und schwankten zwischen
verschiedenen Wahlmöglichkeiten: so weckte die Personenbeschreibung des
Verfassers bei deutschen Lesern eine Erwartung, dass das ein Bewerbungsschreiben
ist, andere Passagen hingegen, dass es um eine Firmenpräsentation geht.

Hier noch einige Beispiele dazu, dass alle Textsorten in Form und Inhalt mehr
oder weniger kulturspezifisch sind. So wirken deutsche formelle Briefe wegen
mangelnder Floskel in Spanien unhöflich, spanische Formbriefe dagegen bringen
Deutsche zum Lachen („Gott erhalte Ihnen ein langes Leben!“).

Jeder Text kann, wenn die textsortenspezifischen Merkmale der Zielsprache


nicht stimmen, Heiterkeit, Ablehnung oder Unverständnis hervorrufen, also alles
andere als die geplante Wirkung.

 Kulturspezifische Gesprächsthemen. Tabuthemen


Gesprächsthemen, d.h. worüber an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten
Zeit mit wem man thematisch gesprochen wird, sind auch kulturspezifisch. Es gibt in
jeder Kultur Themen, zu denen man nicht gerne spricht, sogenannte Tabus. Dazu
gehören oft Verdienst, Alkohol, Sex, Körperliches (z.B. Toilettengewohnheiten),
aktuelle Politik/politische Meinungen und Landesgeschichte, Hetero-und
Autostereotype und vieles andere. Es ist aber nicht selbstverständlich, dass die
Tabuthemen in verschiedenen Kulturen zusammenfallen, gerade in diesem Bereich
können öfter interkulturelle Peinlichkeiten entstehen.

Z.B. In manchen Kulturen spricht man auch in der geschäftlichen Kommunikation


selbstverständlich und ausführlich über Fragen, die den Privatbereich betreffen, in anderen dagegen
wird der Privatbereich im geschäftlichen Kontext nicht angesprochen.

oder

Man vermeidet ironische Aussagen, die den Geschäftspartner verletzen könnten und genau
umgekehrt: man belebt die etwas trockenen Gesprächsthemen gern mit ironischen Bemerkungen
oder einem Witz.

Es gibt auch kulturelle Unterschiede, welche Themen sich als Small talk eignen.
Auch solche Topiks sind sehr kulturspezifisch.

Z.B. Ein englischer Deutschlandexperte ermahnt seine Landsleute: „Vergessen Sie nicht, dass
nur Engländer gern übers Wetter reden. Die Deutschen sprechen dagegen lieber über ihre
Gesundheit. Schauen Sie also nicht gelangweilt, wenn Ihnen jemand sagt, dass er so viel arbeiten
muss und warum er urlaubsreif sei.“(David Marsh. Ein Knigge für den Besuch bei den Germanen.
Die Zeit, 25.12.1991)

Dass solche Klischees über nationalen Lieblingsgesprächsthemen nicht immer


stimmen, zeigt die Aussage einer Inderin, die meint dass Deutsche ständig ans Wetter
denken. “Sie können sich lang und breit über alle Facetten des Wetters beklagen oder
freuen - über Temperaturänderungen, Luftfeuchtigkeit, Hitze, Kälte, Regenmengen
und Schneehöhen, Luftdruck, sich verändernde Quecksilbersäulen...“

 Direktheit/Indirektheit von Äußerungen

Eine bestimmte kommunikative Absicht kann in verschiedenen Kulturen in


unterschiedlichen sprachlichen Formen ausgedrückt werden. Außerdem kann sie oft
unterschiedlich direkt ausgedrückt werden. Das bedeutet, dass bei Äußerung von
Meinungen, Wünschen, Gefühlen, Lob oder Kritik – eher direkte Formen oder eher
indirekte Formen bevorzugt werden. „Direkt“ bezeichnet eine Form der Äußerung,
bei der kommunikative Absichten offen und unmissverständlich ausgedrückt werden.

Die Gepflogenheiten sich direkt oder indirekt zu äußern sind in verschiedenen


Kulturen unterschiedlich. Es gilt z.B. in verschiedenen Kulturen als unfein, direkt zu
widersprechen, Behauptungen aufzustellen oder auch Aussagen mit einer bestimmten
Präzision zu machen.

Beispiel: Deutsche gelten in vielen Kulturen als „hart“, weil sie schnell zur Sache kommen
und ohne Umschweife Entscheidungen treffen, mit eindeutigem Ja oder Nein antworten. Statt
„hart“ sollte man aber lieber „direkt“ sagen.

Franzosen äußern sich schon aber weniger direkt. So kritisieren französische Geschäftsleute,
dass deutsche Geschäftspartner sich weniger als sie bemühen, Sprechhandlungen des
Widersprechens in eine für Franzosen akzeptable Form zu bringen, z.B. in Form von
Konjunktivgebrauch. Sätze wie: „Ihr Vorschlag bringt uns nicht weiter!“, „Bei einem solchen
Preis brauchen wir gar nicht mehr weiter zu diskutieren!“ oder „Das ist völlig unakzeptabel!“
würden in französischen Verhandlungskontexten eine sehr starke Störung der Beziehung zur
Konsequenz haben.

Auch in Japan herrscht ein eher indirekter Kommunikationsstil vor. In Japan werden die
Meinungen vorsichtig geäußert und wenn Widerspruch gespürt wird, wird das dann immer
in eine Frageform gekleidet: „Meinen Sie nicht auch…? Es gibt keine direkte Kritik, sie ist
immer etwas Negatives. Wenn ein Buchhalter einen Fehler in Zahlen begangen hat, wird
ihm dann so in etwa gesagt: „Meinen Sie nicht, dass wir diese Zahl nicht berücksichtigt
haben?“ Und die im Deutschen unproblematische Aussage „Der Zug fährt um 12.13 Uhr
ab“ wird im Japanischen meistens folgenderweise ausgedrückt: „Der Zug fährt vielleicht
um 12.13 Uhr ab“.

Bei solchen beträchtlichen Unterschieden in sprachlicher


Direktheit/Indirektheit unter den Kulturen können in der IKK leicht
Missverständnisse entstehen, z.B.: die deutsche Aussage „Das ist völlig
unakzeptabel!“ kann von Japanern als eine persönliche Beleidigung empfunden
werden und die japanische Aussage „Der Zug fährt vielleicht um 12.13 Uhr ab“
wird im Deutschen nicht als sichere Feststellung interpretiert.

Warum werden in einigen Kulturen eher direkte und in anderen eher


indirekten Ausdrucksformen bevorzugt, hat oft mit in einer Kultur
vorherrschenden Werte und Umgangsformen zu tun.
 Direktheitsunterschiede im Englischen und Deutschen. Englisch als
lingua franca.

Unterschiede in der Direktheit der Äußerungen sind besonders deutlich


beim Vergleich entfernterer Kulturen (z.B. deutscher und japanischer) zu
sehen. Es gibt sie aber auch innerhalb der europäischen Kulturen. So hatten
Juliane House und andere Wissenschaftler Untersuchungen zu Unterschieden
im Gesprächsverhalten englischer und deutscher Muttersprachler durchgeführt,
die sie zu folgenden Erkenntnissen führten: Die Mittel zur Abschwächung
(«послаблення») der Äußerungen unterscheiden sich in den beiden Sprachen.
Darüber hinaus werden auch unterschiedliche Grade von Abschwächungen
bevorzugt.

Direkte Aufforderungen (Ich bitte dich, das mal durchzulesen. Kommen


Sie doch einfach mal vorbei!) sind bei deutschen Sprechern häufiger
repräsentiert. Im Englischen werden sie mit mehr Abschwächungen realisiert.
Typischerweise finden sich hier Formeln wie: „Would you mind signing it,
Sir?“ „I’m just wondering if I could possibly back down?“, “I wonder if we
shouldn’t take a taxi?“, “So why don’t you come along some day”.
Entsprechende Abschwächungen werden im Deutschen vor allem durch
Abtönungspartikel: vielleicht, doch, mal, einfach oder Konjunktivformen
ausgedrückt, z.B.: „Könnten Sie es vielleicht noch unterschreiben, Herr
Seidel?“, „Ginge das vielleicht, dass wir das noch mal rückgängig machen?“,
„Sollten wir nicht ein Taxi nehmen?“, „Kommen Sie doch einfach mal mit!“.

Der deutsche Gesprächsstil wird damit (im Vergleich mit dem englischen)
in Bezug auf die Formulierung von Aufforderungen als direkter charakterisiert.

Dies fällt z.B. in hierarchischen Beziehungen in der Geschäftskommunikation auf. Eine


Äußerung in Frageform „Would you mind seeing to this letter?“ ist im Englischen eine
unzweideutige Anweisung und überlässt dem Status-Niederen keinesfalls die Möglichkeit,
dankend abzulehnen. Allerdings würde die Formulierung einer direkten Anweisung (Sehen
Sie sich doch bitte diesen Brief an!“), wie sie in deutscher Kultur als akzeptabel gilt, vom
Status-Niederen in England als ziemlich grob betrachtet und berufliche Beziehungen
eventuell ernsthaft belasten. (nach Rudolf Camerer)
Daraus kann man jedoch nicht schließen, dass englische Sprecher
höflicher sind als deutsche. Direkte deutsche Formulierungen gelten im
Deutschen gar nicht unhöflich und sind funktional (nach ihrer
Höflichkeitsebene) mit indirekten englischen Formulierungen vergleichbar.
Was also in den Augen eines englischen Sprechers vielleicht als unhöflich,
weil zu direkt gilt, kann aus deutscher Sicht durchaus im Bereich des Normalen
liegen. Demnach treffen Klischeevorstellungen wie z.B. „die Deutschen sind
unhöflicher als Engländer“ nicht zu.

Aus dem oben angeführten Beispiel lassen sich noch weitere Schlüsse in
Bezug auf Englisch als internationale Sprache ziehen. Immer öfter wird in
internationalen Kontakten Englisch von Sprechern als lingua franca benutzt.
Dabei wird oft International English als Sprachvariante ohne kulturelle
Prägung betrachtet. Daraus wird die Annahme abgeleitet, man könnte sich
verlässlich verstehen, wenn alle Englisch sprechen würden. Das ist aber nicht
so. Denn obwohl man eine gemeinsame Fremdsprache spricht, kommuniziert
man aufgrund eigenkultureller Kommunikationsregeln. Darüber sollte man sich
bewusst sein.

Alle in diesem Kapitel behandelten Konventionen der IKK: *kommunikative


Absicht und sprachliche Realisierung, *Gesprächsorganisation, *Gesprächsthemen,
*Direktheit/Indirektheit der Äußerungen wirken in realer Kommunikation oft
zusammen.
Thema 11. Konventionen der IKK (Teil 2)

Unterschiedliche Konventionen bei der Wahl des passenden Registers –– Kulturunterschiede bei
Anredeformen – Unterschiedliche Etikette und Umgangsformen – Unterschiedliche Auffassungen
von Höflichkeit Paralinguistische Signale – Nonverbale Signale bei der Kommunikation –
Unterschiedliche Wertvorstellungen in verschiedenen Kulturen

In der letzten Vorlesung wurde eine Liste mit linguistischen und kulturellen Faktoren
vorgestellt, nach denen IKK funktioniert – die sogenannten Konventionen/Regeln bei der IKK.
Aufgrund kultureller Unterschiede in diesen Konventionen kann es oft zu Missverständnissen in der
IKK kommen.

Es wurden schon folgende Faktoren behandelt, wie *Gleiche Absicht und unterschiedliche
Realisierungen, *unterschiedliche Gesprächsorganisation, *kultuspezifische Gesprächsthemen,
*Direktheit/Indirektheit von Äußerungen.

In dieser Vorlesung geht es um weitere Faktoren, die den Verlauf der IKK
beeinflussen können. (der Faktor)

 Formelles und informelles Register. Unterschiedliche Konventionen


bei der Wahl des passenden Registers
Sprecher drücken ständig auch indirekt die Beziehung aus, in der sie
zueinanderstehen. Dazu benutzen sie unterschiedliche sprachliche Register.
Mit Registern sind Formulierungsalternativen gemeint, die Kommunikanten in
Abhängigkeit von bestimmten Faktoren situativ auswählen, um bestimmte
Beziehung zu Gesprächspartnern zum Ausdruck zu bringen.
Wenn eine Situation sehr formal und ritualisiert ist, so gebraucht man ein sehr
formelles Register, z.B.: „Es freut mich, Sie kennen zu lernen, Herr Dr. Wehrmann.“ Wenn
die Situation neutral ist, benutzt man alltagsprachliche Wendungen, z.B.: „Tag, Herr
Schulze! (neutrales Register) Wenn die Beziehungen zwischen den Kommunikanten
freundschaftlich sind, wird ein informelles Register benutzt (Hallo, Paul! Wie geht’s?)
Die folgenden Faktoren nehmen auf die Wahl des Registers Einfluss:
1) Situation (z.B. beruflich oder unter Freunden),
2) Alter der Kommunikanten,
3) Machtposition der Kommunikanten (z.B.: übergeordnet, untergeordnet) 4)
Geschlecht der Kommunikanten.
Situativ können einzelne Faktoren die Wahl eines bestimmten Registers
stärker determinieren als andere. Wie dies geschieht, ist stark kulturell
determiniert.
Beispiel: So haben das Alter oder das Geschlecht beispielweise in Deutschland im
Vergleich zu anderen Kulturen (Japan, China) einen geringen Einfluss auf die Registerwahl
der Kommunikanten.

In jeder Sprache gibt es bestimmte Sprachmittel und Konventionen, die


für ein bestimmtes Register charakteristisch sind.
Merkmale des formellen Registers im Deutschen sind:
 Verwendung des Konjunktivs bei Bitten, Aufforderungen („Würden Sie
das bitte unterschreiben?“)
 Ersatz des Ich-Subjekts durch man, es oder die Sache („Die Sache ist
heute noch zu erledigen.“)
 Explizite Bitte um Erlaubnis, eine Frage, Einladung, Bitte, Aufforderung
usw. aussprechen zu dürfen. („Ich würde Sie gerne fragen, ob ….“)

Merkmale des informellen Registers im Deutschen sind:


 Verwendung umgangssprachlichen Wörter und Wendungen
(„Na so was! Da bin ich wirklich platt!“)
 Verwendung von Wörtern und Bildern, die Tabubereiche
berühren (z.B. Körperfunktionen) („Scheißwetter!“, „Mist!“)
 Verkürzungen und Zusammenziehung von Silben und Wörtern
(„Ich hol’ mir grad’ einen Kaffee, soll ich dir einen
mitbringen?“)
Durch die Wahl des Registers geben Gesprächspartner zu erkennen, in
welcher Beziehung sie zum Partner stehen (wollen) bzw. in welcher Position
sie sich selbst gegenüber dem Partner sehen (wollen). So werden
Regelverletzungen im Register nicht nur als unpassend wahrgenommen,
sondern möglicherweise als überhebliche oder unterwürfige Einstellung des
jeweiligen Partners gewertet.
Beispiel Herr D (deutscher Mitarbeiter) hat gerade Herrn A, einen
Kollegen aus einer ausländischen Niederlassung der Firma kennen
gelernt. Sie sind auf dem Weg zu einer Besprechung und kommen
dabei an einem Kaffeautomaten vorbei. Herr D bleibt stehen.
D: Ach, ich glaube, ich brauch’nen Kaffee. Möchten Sie auch
einen?
A: Ja, sehr gern, vielen Dank.
D: Mit Zucker?
A: Ja, danke. Wenn Sie so freundlich wären.
D: Vorsicht…ist heiß!
A: Vielen Dank. Darf ich Ihnen das zurückerstatten?
D: Ach was! Nein, nein, lassen Sie nur.
A: Ich danke Ihnen für die Einladung. Ich würde mich freuen,
Gelegenheit zu haben…
D: Na klar, beim nächsten Mal schmeißen Sie dann ’ne Runde!
In Erfolgreich in der IKK S.96

Wie erscheint jedem von Gesprächspartnern wohl das Register des


Gesprächspartners, wenn er es an dem Register misst, das er selbst verwendet? Dazu
kann man folgende Erklärungen geben:
 Erklärung für die Registerwahl von Herrn D: D findet das Register von A
sehr zu formell. Er selbst wählt ein Register, das für ihn das „normale“
Register beim Umgang mit Arbeitskollegen (in gleicher Position) ist.
Damit möchte deutlich signalisieren, dass er mit Herrn A eine kollegiale
Beziehung herstellen möchte.
 Erklärung für die Registerwahl von Herrn A: A findet das Register von D
sehr informell. Die Formulierungen, die er selbst verwendet, klingen in
seiner Sprache weniger formell als im Deutschen und sind beim Umgang
mit Kollegen, mit denen er nicht persönlich befreundet ist, normal.
Außerdem spricht er noch nicht gut Deutsch und verwendet deshalb die
formellen Formulierungen, die ihm aus dem Unterricht vertraut sind. Er
will auch keine Taktlosigkeit begehen, er weiß nicht genau, „wie
informell“ man in dieser Situation sein darf.

Wie an diesem Beispiel zu sehen ist, sowohl das informelle als auch das
formelle Register können, wenn man es im falschen Kontext verwendet den Sprecher
disqualifizieren.
Abschließend ist zu betonen, dass Fehler in der Wahl eines angemessenen
Registers bei der IKK oft nicht als Unterschiede in kulturellen Registerkonventionen
sondern als Unhöflichkeit des Gesprächspartners interpretiert werden
(Psychologisierung der Interpretation) Um sie erkennen zu können, muss man
kulturellen Kontexten und gesellschaftlicher Konventionen bewusst sein.

 Kulturunterschiede bei Anredeformen


Der Gebrauch von entsprechenden Anredeformen gehört fest zur Wahl
eines Registers. Es zeigen sich verschiedene Kulturunterschiede bei
Anredeformen, die sensible Punkte bei der IKK sein können.
Auch bei sich so nahen Sprachen, wie Deutsch und Englisch entstehen bei
Anredeformen mehrere Komplikationen. Schwierige Situationen ergeben sich
oft für Deutsche beim Duzen/Siezen in englischsprachigen interkulturellen
Situationen der Geschäftskommunikation.
Z.B. Wenn ein deutsches Unternehmen geschäftliche Telefonkonferenzen mit
ausländischen Tochterunternehmen führt, werden alle deutschen und englischsprachigen
Mitarbeiter ungeachtet der Position im Betrieb mit du +Vorname angesprochen, innerhalb
der deutschen Firma selbst ist dabei eine traditionelle für deutsches Berufsleben Anrede
mit Herr/Frau…(Familienname) +Sie üblich.
Es gibt in deutschen Unternehmen (entsprechend Branche, Größe,
Tradition) unterschiedliche Konventionen im Hinblick auf Anredeformen
zwischen Mitarbeitern. Es ist heutzutage im Trend, das englische Du zu
übernehmen und sich wie in den USA mit dem Vornamen anzureden.
Sogenannte „kreative“ Branchen wie Werbe-und PR-Agenturen, Presse,
Radio, Fernsehen und Softwarenfirmen praktizieren das schon längst. In vielen
Firmen wird das Du sogar offiziell angeordnet, z.B. bei großen internationalen
Unternehmen wie Nokia, H&M oder Ikea.
Bei kleinen, mittleren aber auch mehreren großen Unternehmen in
Deutschland wie BMW, TÜV und T-Mobile wird die Anredeform
Herr/Frau…(Familienname) +Sie weiterhin gepflegt.

 Unterschiedliche Etikette /Umgangsformen


Etikette, d. h. Regeln, was man in bestimmten Situationen bzw. in Anwesenheit
bestimmter Personen tut oder unterlassen soll und welche Umgangsformen
angemessen sind, unterscheiden sich häufig in verschiedenen Kulturen.
Sie sollen das menschliche Zusammenleben möglichst reibungslos und
angenehm machen. Bei Etikette und Umgangsformen gibt es sowohl intrakulturell, je
nach Herkunft, sozialem und beruflichem Status der Betroffenen, als auch
interkulturell deutliche Unterschiede.
In folgenden Beispielen, werden unterschiedliche Umgangsformen in zwei
verschiedenen Kulturen (A und B) werden.
Kultur A Kultur B
Visitenkarten werden nach der der Visitenkarten werden am Ende eines
gegenseitigen Vorstellung mit einer Gesprächs, vor der Verabschiedung, ohne
formellen Geste und Verbeugung überreicht besonderes Zeremoniell ausgetauscht
Vor dem Eintritt in einen Raum, in dem man Betritt man einen Raum, in dem man eine
eine andere Person vermutet, klopft man andre Person vermutet, so klopft man und
und wartet ein Herein., Ja bitte. oder tritt danach ein.
Ähnliches ab.
Männer zeigen sich gegenüber Damen Höflichkeitsgesten, die geschlechtspezifische
„ritterlich“, z.B. sie helfen ihnen in den Unterschiede in den Vordergrund stellen,
Mantel, oder bieten ihnen den eigenen sind – besonders bei beruflichen Kontakten –
Sitzplatz an, wenn kein anderer frei ist. zu vermeiden.
Strikte Kleidung (Herren: Anzug und Die Kleidung wird dem jeweiligen
Krawatte; Damen: Kostüm) ist auch bei Arbeitskontext angepasst. Sie ist strikter bei
warmen Temperaturen im mittleren und Kontakten mit Außenstehenden und
höheren Führungsbereich die Regel. bequemer, sportlicher bei Bürotätigkeiten.
Wird man eingeladen, kleidet man sich Wird man privat eingeladen, kleidet man sich
feierlich. zwanglos.
Am Ende der Mahlzeit achtet der Gast Am Ende der Mahlzeit achtet der Gast
darauf, dass sein Teller völlig geleert ist. darauf, dass ein wenig Speise auf seinem
Teller bleibt.
Bei so unterschiedlichen Umgangsformen in verschiedenen Kulturen kann es in
interkulturellen Begegnungssituationen leicht zu Missverständnissen kommen.
z.B. In Kultur A verbeugt man sich bei der Begrüßung, in Kultur B nickt man leicht
mit dem Kopf.
Welcher Eindruck kann bei Partner A entstehen, wenn B bei der Begrüßung nur
leicht mit dem Kopf nickt? Das Verhalten von B erscheint ihm vielleicht als
beleidigend und respektlos.
Welcher Eindruck kann bei Partner B entstehen, wenn A sich bei der Begrüßung tief
verbeugt? Das Verhalten von A kann ihm vielleicht übertrieben galant oder
sonderbar erscheinen. Oder aber er hat möglicherweise den Eindruck, dass der
andere unterwürfig ist.

An diesem Beispiel ist es deutlich zu sehen, dass/wie nicht erwartete


Verhaltensweisen/Umgangsformen des Partners nicht nur als „anders“ oder „nicht
richtig“ wahrgenommen, sondern sofort gewertet werden. Dazu noch können diese
nicht objektiven Wertungen in „typische Eigenschaften“ uminterpretiert werden. z.B.
Die Deutschen sind arrogant und die Vietnamesen unterwürfig.
Wenn man dessen bewusst ist, dass unterschiedliche Umgangsformen oft zu
Missverständnissen führen können, verhält man sich vorsichtiger und versucht,
mögliche Missverständnisse aufgrund Umgangsformen zu vermeiden.

 Unterschiedliche Auffassungen von Höflichkeit


Die Etikette und die Verhaltensregeln werden oft mit dem Begriff Höflichkeit
verbunden.
Die Höflichkeit stark durch gesellschaftliche Normen und Umgangsformen
geprägt. Je nach Kultur finden sich sehr unterschiedliche Ausprägungen dessen, was
als höflich gilt. Allgemein gültige Höflichkeitsregeln, die für alle Kulturen gelten,
lassen sich daher nicht finden.
Unterschiedliche Auffassungen von Höflichkeit treffen in interkulturellen
Situationen häufig aufeinander. Eine Deutsche berichtet beispielweise Folgendes von
der Auffassung von Höflichkeit in China.
„In China gehört zum guten Ton, beim Kennenlernen eine fremde Person über ihre
Privatangelegenheiten nachzufragen („Sind Sie verheiratet?“ oder „Wie viel verdienen Sie?“).
Damit wird Aufmerksamkeit gezeigt und Vertrautheit hergestellt. (Über Privates zu fragen, gilt es
aber in Westeuropa als unhöflich.)
Wenn man aber einen chinesischen Gesprächspartner nach der persönlichen Meinung zu
einem Problem fragt, wird eine solche Frage häufig als peinlich oder zu direkt und damit nicht
höflich eingestuft.“
“Höflichkeitsfloskeln wie ‘bitte’, ’danke’ oder ‘Entschuldigung’ werden in China äußerst
selten verwendet, und es kann durchaus passieren, dass einem jemand im Bus mit voller Wucht
auf den Fuß tritt, ohne sich dabei zu entschuldigen.
Berichteten mir Chinesen von ‘Unhöflichkeiten’ ihrer deutschen Bekannten, so erfuhr ich von
Situationen, in denen Deutsche ihren Gesprächspartner offen widersprechen. Offene Kritik an
einer anderen Person stellt eine enorme Gefahr des Gesichtsverlustes dar. Um das Gesicht des
Gegenübers zu bewahren, verstummt man, statt zu widersprechen, oder aber man beauftragt eine
dritte Person als Kritikübermittler.“ (Nach Günthner 1988, 5) (aus Zeuner).

Was in der deutschen Kultur also ganz „normal“ ist (z.B. offene Kritik an einer
anderen Person), wird in der chinesischen Kultur als grobe Unhöflichkeit
interpretiert. (Umgekehrt kann ein solches Missverständnis auch passieren - siehe das
Beispiel mit dem Fragen über das Private.) Oder z.B.: direkt formulierte
Anweisungen im Deutschen, die ins Englische wörtlich übersetzt werden, klingen in
englischer Kultur oft ziemlich unhöflich.
Missverständnisse, die in interkulturellen Begegnungen aufgrund verschiedener
Höflichkeitsauffassungen passieren, kommen oft vor. „Fehler auf der interkulturellen
Ebene, sind umso schwerwiegender, als sie die Persönlichkeit des Gesprächspartners
angreifen: Ein grammatischer Fehler oder eine falsche Vokabel wird leichter
verziehen als eine grobe Unhöflichkeit - auch wenn diese gar nicht so gemeint war.“
(Zeuner S 19)

Entscheidend für die erfolgreiche IKK ist die Fähigkeit zur


Perspektivenübernahme und zum Verstehen fremder Verhaltensformen.
Klischeevorstellungen wie z.B. „Die Vertreter der Kultur A sind höflicher als die
Vertreter der Kultur B“ treffen nicht zu, denn „jede Sprache (Kultur) erlaubt,
insgesamt betrachtet, ein etwas gleichwertes Höflichkeitsverhalten. (Weinrich, 1986,
S- 23)

 Paralinguistische Signale. Unterschiedliche Konventionen im Hinblick auf


Sprechweise und Sprechtempo
Paraverbale Faktoren umfassen sprachliche Komponente wie Lautstärke, Intonation,
Tonhöhe, Sprechmelodie, Sprechrhythmus und Sprechtempo, Pausen und Schweigen.
Mehr noch als linguistische Faktoren geben sie oft Aufschluss darüber, welche
Gefühle, welche Absichten und welche Bedeutungen die Sprecher mit ihren
Äußerungen verbinden.
Paralinguistische Signale sind oft sehr individuell, d.h. sie gelten häufig als
typisch für einen bestimmten Sprecher. Dennoch ist der Einsatz dieser Signale bzw.
Bedeutungen, die mit ihnen verbunden werden, in verschiedenen Sprachen und
Kulturen sehr unterschiedlich.

Beispiel: Lautstärke. Eine leicht über dem Durchschnitt liegende Lautstärke wird in Europa positiv
gewertet, und zwar als Signal für Überzeugung, und Willenskraft. Entsprechend eine
vergleichsweise leise Stimme wird oft als Ausdruck von Bescheidenheit, Hemmung,
Schuldeingeständnis, als Trägerin von wenig wichtigen Information oder als Ausdruck geringer
Kooperationsbereitschaft aufgefasst. (M-J, S.80) Im asiatischen Kulturkreis dagegen sind die
Mächtigen diejenigen in einer Gesprächsrunde, die die nach westlichen Normen unauffälligsten
Redebeiträge äußern, d.h. leise, ohne deutliche Akzentuierung und Tonhöhen.

Paralinguistische Signale werden meistens unbewusst und unkontrolliert


wahrgenommen und werden ausgehend von den Konventionen der eigenen Kultur
interpretiert, darum sind interkulturelle Missverständnisse in diesem Bereich
vorprogrammiert.

Beispiel: In einer Studie wurde festgestellt, dass asiatische Bewerber/innen in


Bewerbungsgesprächen in den USA systematisch schlechter abschneiden als weiße
Amerikaner/innen, weil sie aufgrund ihrer sprach-kulturellen Situation leiser sprechen, keine
extremen Tonhöhen zur Markierung wichtiger Rede-Passagen benutzen und sowohl während
des Sprechens als auch nach Fragen oder Redeübergaben längere Pausen machen, als ihre
Gegenüber dies erwarten. (M-J, S.81)

Diese Studie illustriert, dass jemand, der um die kulturgeprägten


Interpretationen solcher „Redequalitäten“ nicht weiß, kann leicht den Eindruck
mangelnder Kompetenz der asiatischen Bewerber/innen bekommen.
Auch die anderen paraverbalen Faktoren werden gern mit psychologischen
Attributen/Merkmalen versehen, z.B. Sprechmelodie (Intonationsmuster).
Hierzu noch ein Beispiel: Deutsche meinen oft, Spanier oder Italiener streiten,
wenn sie sich einfach nur lebhaft unterhalten. Lautstärke, Sprechmelodie der
Äußerungen und Gestik und Heftigkeit (гострота, напруженість) würden in
Deutschland tatsächlich eher zu einem Streit passen.
Ich bin relativ oft in Italien. Bei meinem ersten Aufenthalt war ich bei einer
sizilianischen Familie. Da habe ich mich gewundert, warum die sich
fortwährend anschreien. Ich habe ständig Streiten gehört. Und als ich mich
reingehört habe, was sie reden, wurde mir klar, dass sie sich ganz normal
unterhalten haben. Aber für mich mit einer Stimme, in einer Lautstärke und in
einem Tonfall/einer Sprechmelodie, ab ob sie streiten. (in Heringer S.99)

Auch Schweigen kann in der Kommunikation in verschiedenen Kulturen


unterschiedliche Bedeutungen haben. Z.B. Japaner sehen das Schweigen weitaus
mehr als Kommunikationsinstrument an als Europäer und Amerikaner: vor wichtigen
Mitteilungen in Japan wird eine kurze Weile geschwiegen. Außerdem können
Japaner miteinander oft und lange schweigen und sich dabei sehr behaglich fühlen,
während in Europa und Nordamerika ein etwas längeres Nichtssagen bald zu
Unsicherheit und Verlegenheit führt. Europäern ist das Schweigen der Japaner
unheimlich, während die Japaner ihre europäischen und nordamerikanischen Partner
häufig als allzu redselig kritisieren. (Maletzke 1996:148) (in Gymnich S.97)

Beispiel: Während einer Geschäftsverhandlung zwischen Japanern und


Nordamerikanern hatten letztere gerade einige Preisvorschläge für ihre Produkte
gemacht, als sich auf der Seite der Japaner eine größere Stille breit machte. Den
Nordamerikanern war diese Situation und das Schweigen sehr unangenehm. Sie
meinten, dass die Japaner mit den angebotenen Preisen nicht einverstanden seien
und machten sofort Zugeständnisse (уступки). Aus dem Erstaunen der Japaner
wurde ein Lächeln, da ihnen die Preise in keinem Moment zu hoch erschienen waren.
Sie hatten sich nur Zeit genommen, bevor sie Antwort geben. (SW 3, S 19)

In der paraverbalen Kommunikation sind die Pausen von großer Bedeutung. Sie
können in verschiedenen Kulturen nicht nur länger oder kürzer sein, sondern auch als
unangenehm oder als normal empfunden werden. Für Deutsche wird angenommen,
dass die Grenze, ab der Gesprächspausen als unangenehm empfunden werden, in der
Regel zwischen 20 und 30 Sekunden liegt. Ähnliches gilt auch für den
angloamerikanischen Kulturkreis und Frankreich, wo längere Gesprächspausen als
„kommunikative Störung empfunden und dementsprechend interpretiert werden,
etwa als fehlende Anteilnahme am Gespräch oder aber als Wortkargheit,
Schüchternheit oder Verlegenheit des Kommunikationspartners. (Lüsebrink 2005.
51). In Schweden oder Finnland hingegen werden beispielweise durchaus auch
längere Pausen toleriert, ohne als unangenehm wahrgenommen zu werden. (in
Gymnich S.97)

Beispiel: Pausen: Herr Walther reist für seine Firma nach Helsinki. Obwohl
seine finnischen Partner hervorragend Deutsch sprechen, ist Herr Walther nicht immer
sicher, ob sie ihn verstehen. Er muss alles doppelt sagen. Immer, wenn er meint er
habe sich klar und deutlich ausgedrückt, folgt keine Reaktion. Doch die Kommentare
der finnischen Kollegen zeugen von Sachverstand.

Herr Walther kann das nicht verstehen. Er scheint den größten Teil der Zeit
zu reden, seine finnischen Kollegen hören ihm nur zu. Er weiß nicht, was er falsch
macht. (in Heringer S.98)

Auch die Intonation ist ein wichtiger Bedeutungsträger in der Kommunikation.


Die Regeln der Intonation variieren nicht nur in verschiedenen Sprachen, sondern
manchmal auch zwischen Varietäten einer Sprache. So dient etwa im britischen
Englisch – ebenso wie im Deutschen – eine steigende Intonation als Indikator für eine
Frage. Im indischen Englisch hingegen fehlt die steigende Intonation bei Fragen, was
leicht zu Missverständnissen führt, kann doch eine als Aussage missverstandene
Frage als unhöflich empfunden werden, ebenso wie das Ausbleiben der erwarteten
Antwort unhöflich wirken wird.

Beispiel: Eine pakistanische Bedienung im Schnellrestaurant vom Flughafen Heathrow fragt


bei manchen Speisen nach, ob die Gäste noch Soße dabei haben wollen. Dazu stellt sie nur die
einfache kleine Frage: „Soße?“ („gravy?“) Aber sie sagt es in der Intonation ihrer Muttersprache
und da geht bei einer Frage nicht die Stimme nach oben, wie es im Englischen oder Deutschen der
Fall ist, sondern leicht nach unten. Daraus schließen die Kunden anstelle des wohlgemeinten
„Möchten Sie noch Soße dazu?“ etwa so was wie „Nun nehmen Sie schon Soße!“ (Hall, zit. Nach
Gymnich, 119).

Solche Missverständnisse sind natürlich kaum zu erkennen.


Ein Beleg dafür, dass paraverbale Faktoren ein typisches Klangbild einer
Sprache bilden, ist das Phänomen, dass man oftmals in der Lage ist, anhand des
Paraverbalen zu identifizieren, welche Sprache gerade gesprochen wird, ohne aber
einzelne Äußerungen wörtlich identifizieren zu können.
 Nonverbale Signale bei der Kommunikation (Gestik und Mimik, Blickkontakt,
Proxemik und Haptik). Probleme auf der Ebene der nonverbalen
Kommunikation
Auch nonverbale Signale, die die sprachliche Kommunikation begleiten,
unterscheiden sich in verschiedenen Kulturen darüber, welche Bedeutung mit einem
bestimmten Signal verbunden wird bzw. welche Signale in einer bestimmten
Situation als passend oder unpassend empfunden werden.
Die nonverbale Kommunikation umfasst verschiedene Bereiche, das sind:
 Gestik
 Mimik
 Blickverhalten/Blickkontakt
 Körperhaltung
 Proxemik (Körperdistanz, der körperliche Abstand zwischen den
Gesprächspartnern)
 Haptik (das Berührungsverhalten)
 Kleidung und Erscheinungsbild (einschließlich Schmuck, Parfüm, gefärbte
Haare etc.)
Häufig wird nonverbale Kommunikation für universell gehalten. Sie ist es aber
nicht. Obwohl ein Teil des nonverbalen Ausdrucksrepertoires angeboren – und damit
auch unabhängig von kulturellen Differenzen ist, sind zahlreiche Komponenten der
nonverbalen Kommunikation hochgradig kulturspezifisch und werden im Prozess der
Enkulturation erworben. (Gymnich 110-111).
Das durch die eigene Kultur geprägte Zusammenspiel zwischen verbaler und
nonverbaler Kommunikation bleibt in der Interaktion mit Angehörigen anderer
Kulturen oftmals unbewusst, was zu Fehlinterpretationen hinsichtlich der Einstellung
des Sprechers zur Verbalen Nachricht und der Intention bei der Äußerung führen
kann. (in Gymnich S.85). Z.B. ein Gesichtsausdruck, der in einer Kultur als
ungemessen für eine bestimmte verbale Nachricht empfunden wird, in einer
anderen Kultur bei derselben Nachricht als völlig adäquat wahrgenommen wird.
So gilt es etwa in Japan als höflich, das Überbringen einer traurigen Nachricht mit einem
Lächeln zu kombinieren, was bei Gesprächspartnern aus dem westlichen Kulturkreis zu
Fehlinterpretationen führen kann. (In Gymnich S.85) Negative Gefühle wie etwa Wut und Trauer
werden von Japanern nicht gezeigt, sondern hinter einem Lächeln verborgen.

Diese Unterschiede hinsichtlich der Bedeutung von Lächeln und Lachen können
folglich auch dazu führen, dass ein Problem in der IKK nicht einmal entdeckt wird:
Der asiatische Gesprächspartner glaubt ja, durch sein Lächeln sein
Unbehagen/Unwohlsein zum Ausdruck gebracht zu haben, aber der westliche
Gesprächspartner reagiert darauf nicht angemessen, weil er diese Mimik diametral
entgegengesetzt deutet.
Ähnlich wie die Mimik prägt auch der Blickkontakt die Atmosphäre während
eines Gesprächs ganz stark. Häufigkeit, Dauer und Intensität weisen in
verschiedenen Kulturen unterschiedliche Bedeutungen auf.

Beispiel: Ein Blickkontakt zwischen den Gesprächspartnern im westlichen Kulturkreis gilt als
Indikator von Aufrichtigkeit. Viele asiatische Kulturen hingegen, z.B. die japanische Kultur, fassen
einen Blickkontakt als unhöflich, als Verletzung der Privatsphäre auf.

Die Kulturen unterscheiden sich darüber, wie häufig in der Kommunikation


Gestik zum Einsatz kommt. So spielen Gestik und Mimik beispielweise in
lateinamerikanischen Kulturen, aber auch in der französischen und italienischen
Kultur eine größere Rolle in der interpersonalen Kommunikation als in der deutschen
Kultur. (Lüsebrink, 2005; S 43)
Die Unterschiede hinsichtlich des Einsatzes an Gestik führen in der IKK leicht zu
negativen Reaktionen und Fehlschätzungen. Dadurch können auch
Nationalstereotype abgerufen werden. So mag ein Italiener in einer Kommunikation mit
einem Deutschen oder Schweden durch einen vergleichsweise starken Einsatz von Gestik und
Mimik das Stereotyp vom temperamentvollen Südeuropäer evozieren, während der Nordeuropäer
durch die geringere Gestik leicht als distanziert und kalt erscheinen wird.

In jeder Kultur gibt es Gesten, die von jedem Mitglied problemlos identifiziert
und gedeutet werden, z.B. „Bejahungsgeste“ (mit dem Kopf nicken) oder
„Verneinungsgeste“ (den Kopf schütteln) oder „jemandem einen Vogel zeigen“ (mit
dem Zeigefinger an die Schläfe oder die Stirn tippen). Solche Gesten werden
unbewusst im Rahmen der Enkulturation erworben und werden oft auch oft
sprachunabhängig (ohne zu sprechen) eingesetzt. Diese eindeutig
konventionalisierten Zeichen sind von Land zu Land und von Kultur zu Kultur
unterschiedlich und können das Verständnis in der IKK stören.

Ein Beispiel So werden Zustimmung und Ablehnung in verschiedenen Kulturen durch


unterschiedliche Gesten ausgedrückt. Das Kopfschütteln bedeutet im Bulgarischen, teilweise im
Griechischen, Türkischen „ja“ und das Kopfnicken „nein“. In manchen Kulturen heißt das
Hochziehen der Augenbrauen kann „Ja“. Eine ruckartige Abwärtsbewegung des Kopfes bedeutet
bei Filipinos „nein“.
Beispiel: Wenn wir Daumen und Zeigefinger zu einem Kreis formen und ihn anderen
entgegenstrecken, meinen deutsche in der Regel, dass sie etwas als gelungen, top, sehr gut
gemacht etc. ansehen. Schon in Frankreich kann diese Geste als Null (zero) angesehen werden und
als konventionalisierte Form, etwas Missratenes anzuzeigen oder auch einen Menschen als Null zu
titulieren. ( in M-J S.87)
Ein wichtiger nonverbaler Faktor ist die Proxemik. Darunter versteht man den
als normal empfundenen Körperabstand. In diesem Bereich ist kulturelle
Unterschiede Regeln weniger bewusst. So ist festzustellen, dass der Körperabstand in
den Ländern Lateinamerikas, Afrikas, arabischen Ländern und in Indien wesentlich
geringer ist als in der USA, Deutschland und Japan. Bei Verletzungen des
Raumempfindens sind Menschen erfahrungsgemäß eher geneigt, psychologische
Interpretationen zu vollziehen.

Beispiel: Setzt sich beispielsweise ein Student aus Indonesien – aus deutscher Perspektive –
sehr nah an einen der wenigen Studenten im Seminarraum, werden Deutsche dies als aufdringlich
interpretieren, nicht jedoch neutral als kulturell konventionalisiertes, „normales“ Verhalten und
kaum positiv als höfliche Herstellung von Nähe.
Beispiel: Bei Empfängen in Italien haben manche Deutsche das Gefühl, ständig „im
Rückwärtsgang“ ihren jeweiligen Gesprächspartnern weichen zu müssen. Diese reagieren natürlich
meist damit, durch ein weiteres Heranrücken den für sie im Vergleich zu deutschen kürzeren,
„normalen“ Abstand wiederherzustellen. (in M-J, S.89)
Ebenso wie Proxemik ist auch die Haptik, das Berührungsverhalten, durch eine
beträchtliche Zahl von Varianten beeinflusst. Eine ganze Reihe Faktoren kann
Auswirkungen darauf haben, ob eine Berührung als akzeptabel betrachtet wird. In
diesem Bereich gelten auch kulturabhängig unterschiedliche Regeln. So sind etwa in
Deutschland im öffentlichen Raum viel mehr Berührungen zwischen Männern und
Frauen erlaubt als in andren Ländern, z.B. in Japan.

Auch was Kleidung und Erscheinungsbild anbetrifft gibt es in verschiedenen


Kulturen unterschiedliche gesellschaftliche Erwartungshaltungen bezüglich
angemessener äußerer Erscheinung. Das Erfüllen dieser Rollenerwartungen wird als
Bestandteil guter Umgangsformen angesehen. Diese Regeln gelten zumeist als
ungeschriebene Gesetze und sind regional und kulturell.

Beispiel: Es kann in verschiedenen Kulturen in verschiedenen Kontexten „normal“ oder


„nicht normal“ gelten, wenn man kurze Hose im Büro trägt, ins Theater in Jeans geht, Blusen oder
Kleider mit attraktivem Dekolleté (Frauen) trägt, sehr sichtbar schminkt ist (Frauen), große Ringe
oder auch goldene Armketten (Männer und Frauen) trägt.

Schlüsse Aufgrund des früher Gesagtem lässt sich schließen, dass IKK ein
wechselhaftes Zusammenspiel zwischen verbalen, paraverbalen und nonverbalern
Faktoren ist, das kulturspezifischen Regeln unterliegt.

 Unterschiedliche Wertvorstellungen in verschiedenen Kulturen


In jeder Kultur haben die Menschen gemeinsame Vorstellungen darüber, was als
normal, als selbstverständlich, typisch und verbindlich anzusehen ist, wie sie sich zu
verhalten haben, wie bestimmte Dinge, Personen und Ereignisabläufe zu sehen und
zu behandeln sind. Gemeinsame Werte und Einstellungen regeln das öffentliche und
private Leben und geben den Mitgliedern einer Kultur Sicherheit und ein Gefühl von
Zusammengehörigkeit. Anhand gemeinsamer Werte und Einstellungen wird das
eigene und fremde Handeln wahrgenommen, interpretiert und bewertet.
In den Vorlesungen zu Kulturunterschieden werden Kategorien/Kriterien präsentiert, mit
deren Hilfe Werte in bestimmten Kulturen verglichen werden können. Es wurden zwei Ansätze zu
Kulturunterschieden vorgestellt: Kulturdimensionen: von Hofstede 4 und Kulturstandards von A.
Thomas 5
Anhand der Kulturuntedimensionen und der Kulturstandards lassen sich Werte
bestimmen, die für verschiedene Kulturen relevant sind. Z.B. in einigen Kulturen hat
Individualismus und in anderen Kollektivismus einen hohen Wert.
Kulturspezifische Werte wirken sich auf alle linguistische Kategorien aus, die in der IKK
relevant sind, seien es kulturspezifische Wortbedeutungen, kommunikative Absicht und ihre
sprachliche Realisierungen, kulturspezifische Gesprächsabläufe und Themen,
Direktheit/Indirektheit, Etikette, Register, paraverbale und nonverbale Faktoren. Warum im Fall des
interkulturellen Missverständnisses in einer konkreten interkulturellen Kommunikationssituation
einer oder ein anderer linguistischer Faktor ins Spiel kommt, ist oft auf kulturelle Werte, die in einer
bestimmten Kultur vorherrschen, zurückzuführen. Dazu lässt sich folgendes Beispiel anführen:
Franzosen berichten, dass die berufliche Kommunikation in Deutschland sehr formell sei und
sich auch dann wenig verändere, wenn man sich privat näher kennen gelernt hat. Beispielweise
hätten sich Franzosen mit Deutschen abends beim Kegeln sehr informell unterhalten; danach
hätten die Deutschen am nächsten Morgen im Büro jedoch wieder einen kühlen und sachlichen
Ton bevorzugt, der die Franzosen irritierte. Manche Franzosen fragten sich auf Grund dieses für sie
distanzierten Registergebrauchs, ob sie die durch den Abend hergestellte persönliche Beziehung
nicht überinterpretiert (перебільшувати вагу/значення) haben. (in M-J, 94)

Für dieses Missverständnis ist der richtige Registergebrauch in Privat- und


Berufskommunikation relevant, und zwar: Die Deutschen haben ein formelles Register in
beruflicher Kommunikation auch nach einem gemeinsam verbrachten Feierabend nicht verändert,
was für Franzosen eine Überraschung wurde. Wenn wir diese Situation mit Rückgriff auf
unterschiedliche Wertorientierungen interpretieren würden, könnte dieses Verhalten mit dem
deutschen Kulturstandard „Trennung zwischen Arbeits-und Privatbereich“/Trennung von beruflich
und privat erklärt werden. Solche Bezüge zwischen sprachlichem Handeln (hier: Registergebrauch)
und Wertorientierungen sind in der IKK oft anzutreffen.

Schlüsse:
In den Vorlesungen 10 und 11 wurden kulturelle und linguistische
Faktoren/Konventionen behandelt, die auf den Verlauf der IKK wirken. Die

4
Kulturdimensionen: Individualismus/Kollektivismus, starke/schwache Machdistanz,
starke /schwache Unsicherheitsvermeidung, langfristige/kurze Lebensplanung
5
Deutsche Kulturstandards: Sachorientierung, Regelorientierung, Zeitplanung, Trennung von
Beruflich und privat, Direktheit der Kommunikation u.a.
Unterschiedene in den Auswirkungen dieser Faktoren in unterschiedlichen Kulturen
versuchen oft Missverständnisse in der IKK.
Es lässt sich also schließen:
• IKK ist ein wechselhaftes Zusammenspiel zwischen linguistischen, paraverbalen
und nonverbalen Faktoren ist, das kulturspezifischen Regeln unterliegt.
• Kulturspezifische Werte wirken sich oft indirekt auf die linguistischen,
paraverbalen und nonverbalen Faktoren aus.

Thema 12. Interkulturelle Wirtschaftskommunikation. Wege zur erfolgreichen


Zusammenarbeit. Strategien der IKK
Interkulturelle Kommunikation im beruflichen Alltag. Kulturbedingte Missverständnisse in der
beruflichen Kommunikation – Synergieeffekt als Potential bei der internationalen Kommunikation
und Zusammenarbeit – Strategien der IKK

 Interkulturelle Kommunikation im beruflichen Alltag. Kulturbedingte


Missverständnisse in der beruflichen Kommunikation
Die interkulturelle Wirtschaftskommunikation hat sich in den letzten zwanzig
Jahren von einem Spezialgebiet der Kommunikationswissenschaft zu einem
interdisziplinären Thema entwickelt. Sie befasst sie sich mit wichtigen Themen aus
Kultur- und Wirtschaftswissenschaften, Psychologie sowie Sozial- und
Verhaltenswissenschaften. Insbesondere auf dem Welt-Wirtschaftsmarkt, der durch
Konkurrenz, Leistungsdruck und internationale Verflechtungen gekennzeichnet ist,
gewinnt interkulturelle Wirtschaftskommunikation immer mehr an Bedeutung. Im
Vordergrund der Aufgaben steht nun, zu analysieren, welche Auswirkungen
Unterschiedlichkeiten zwischen Kulturen in die Geschäftskommunikation mit sich
bringen und wie sie erkannt werden können, um entsprechende Verhaltensmuster und
Kommunikationsbedürfnisse abzuleiten.
Die Probleme, die im Rahmen der Interkulturellen Wirtschaftskommunikation
aufgegriffen werden, fallen teilweise mit denen zusammen, die im
Wissenschaftsbereich „Interkulturelle Kommunikation“ behandelt werden. Dazu
gehört auch die Analyse der interkulturellen Kommunikationsprobleme und
Missverständnisse im wirtschaftlichen Kontext.
Beispiel
Um die Mitarbeiter der Verkaufsabteilung seiner Firma in Japan zu höheren Leistung zu
motivieren, kündigte ein US-Manager an, den erfolgreichen Verkäufer mit einer Auslandsreise für
die gesamte Familie zu belohnen. Zu seiner Überraschung waren die Mitarbeiter nicht daran
interessiert. (aus Bolten S.79)
Dem Verhalten der japanischen Mitarbeiter könnten ein Konzept des
japanischen „Verhältnis von Individuum und Gruppe“ zu Grunde liegen: „In Japan
gewinnt das Individuum erst durch die Gruppe seine Identität…das Interesse der
Gruppe steht über den Interessen des einzelnen, dessen Motivation darin liegt, sich
voll für das Erreichen der Gruppenziele einzusetzen.“ (E. Ulich „Arbeitspsychologie“
Zürich : Schäffer-Poeschel, 2011, 308.)
Eine weitere Anwendung der interkulturellen Wirtschaftskommunikation findet
im Bereich des interkulturellen Managements, Marketings und Vertriebs statt, unter
der Zielsetzung: aus beiden Kulturen und den dort vorhandenen Abläufen eine neue
Lösung zu generieren, die beiden Kulturanforderungen entspricht. Ein Beispiel mit
dem Reinigungsmittels Pril verdeutlicht diese Herausforderung.
Bis in die 1990er Jahre vertrieb Henkel das Spülmittel „Pril“ in Österreich in einer orange-
farbigen Plastikflasche. In Deutschland hingegen war Pril immer nur in einer blauen Flasche
erhältlich. Im Zuge einer Standardisierung der Produktpalette und daraus resultierender
Kostensenkungen wurde u.a. beschlossen, für den Kernmarkt Zentraleuropa komplett auf blaue
Flaschen umzurüsten. Eine im Grundsatz nachvollziehbare Entscheidung.
Dennoch war das Ergebnis katastrophal. Der Absatz des Spülmittels in Österreich brach
innerhalb kürzester Zeit deutlich ein, da nicht beachtet wurde, dass die dortigen Kunden die Farbe
Blau nicht mit Sauberkeit verbanden, sondern dieses mit der Farbe Orange geschah. Die
Auffassung, dass im deutschsprachigen Raum auch gleiche Farbassoziierungen existieren, stellte
sich als Fehler heraus, so dass die Produktion wieder auf unterschiedliche Farben für einzelne
Länder angepasst wurde. (Bolten, Jürgen: Einführung in die Interkulturelle
Wirtschaftskommunikation.)
Somit ist es unabdingbar, auf der einen Seite eine übergreifende (globale) und
standardisierte Marketingpolitik zu betreiben, auf der anderen Seite einen regionalen
Kulturunterschied aber nicht zu vernachlässigen: „So global wie möglich, so lokal
wie nötig.“
Im geschäftlichen Alltag sind sowohl Globalisierung wie auch die damit
einhergehenden interkulturellen Aspekte allgegenwärtig. Mit der bewussten
Etablierung der interkulturellen Wirtschaftskommunikation lassen sich diese
Unterschiedlichkeiten gewinnbringend einsetzen.
Hier einige Ansätze für Interkulturelles Management und Marketing (aus Bolten_IKK_Handout

Je stärker Unternehmen international vernetzt sind, desto offener und allgemeiner


müssen die unternehmenskulturellen Grundsätze bzw. "Unternehmensleitlinien"
formuliert sein.

Die Bezeichnung Culture bound - Culture free dient im internationalen Marketing als
Indikator für die Entscheidung, ob man eher kulturspezifisch oder eher standardisierte
Kampagnen durchführt. Weitgehend "culturefree" sind Beispiel: Produkte aus dem
IT-Bereich, sehr stark kulturgebunden hingegen Lebensmittel und Hygieneprodukte.

Culture bound meint also, dass die Marketingkultur eines Unternehmens sich an der
Nationalkultur des jeweiligen Ortes orientiert, an dem ein Produkt oder eine
Dienstleistung vermarktet werden soll. Marketingstrategien, Werbekampagnen,
Produktdesign und vieles mehr werden kulturspezifisch für unterschiedliche Märkte
angepasst. Beispiel: Die culturebound Marketingstrategien von Zeitschriften werden deutlich,
wenn man die Abbildungen von nackter Haut in Zeitschriften in einigen arabischen Ländern
betrachtet. Im Nachhinein werden je nach Zielland bestimmte Körperteile wie Gesicht, Schultern
und Haare wegretuschiert oder mit schwarzen Balken verdeckt.

Culture free beschreibt im Gegensatz dazu ein Unternehmen, das weltweit mit
denselben Marketingstrategien seine Produkte und Dienstleitungen anbietet. Es gibt
keinen direkten Bezug zu und keine Abhängigkeit von den Kulturen. Das Marketing
ist global standardisiert. Beide Perspektiven werden in ihrer Anwendung jedoch meist
als Mischform auftreten.

Im geschäftlichen Alltag sind sowohl Globalisierung wie auch die damit


einhergehenden interkulturellen Aspekte allgegenwärtig. Mit der bewussten
Etablierung der interkulturellen Wirtschaftskommunikation lassen sich diese
Unterschiedlichkeiten gewinnbringend einsetzen.
 Synergieeffekt als Potential bei der internationalen Kommunikation und
Zusammenarbeit
Es kommt heutzutage in Westeuropa oft vor, dass Experten aus
unterschiedlichen Ländern zusammen in Teams arbeiten, weil sie Spezialisten für
bestimmte Fragen sind. Doch wenn es darum geht, Aufgaben zu lösen, hat jeder
andere Strategien, die durch seine kulturelle Herkunft bestimmt sind. Dies führt oft
zu Missverständnissen und erschwert die Arbeit.
Beispiel: In einer Studie wurden deutsche, amerikanische Studentengruppen bei einer
Simulation, einem Unternehmensplanspiel, beobachtet. Es wurde festgestellt, dass
nationale Teams auf verschiedene Weise gearbeitet hatten. So identifizierten sich die
Deutschen bis zur Verbissenheit mit ihrer Aufgabe. Misserfolge des Teams wurden eher
aggressiv kommentiert: „Ich habe es ja euch gleich gesagt…“ oder Dafür trägst du die
Verantwortung. Den Deutschen sei es nicht darum gegangen, sich möglichst schnell im
Team zu einigen, sondern die optimale Lösung zu finden. Dadurch kam es oft zu
langwierigen Diskussionen, die den Zeitplan gefährdeten. Dafür ersparten ihnen die gut
durchdachten Entscheidungen später meist die Zeit, weil sie besser funktionierten und
deswegen seltener durch neue Konzepte ersetzt werden mussten.
Die Amerikaner hingegen gingen die Aufgaben entspannter an, nahmen Misserfolge
weniger persönlich und feierten auch kleine Erfolge begeisterter als ihre deutschen
Mitspieler. seien in ihren Entscheidungsfindungen offener gewesen: Sie träfen schnell
Kompromisse und verwarfen Lösungsansätze auch wieder schnell, wenn sie zu keinem
guten Ergebnis führten.
Weiter wurden in dieser Studie die Teams international gemischt: Die deutschen
Studenten arbeiteten mit Amerikanern in Gruppen zusammen. Die Deutschen tendierten
in diesen Gruppen dazu, ihre Partner zu dominieren und zu dozieren. Die Amerikaner
konnten sich dadurch erst langsam in die Gruppe einbringen. („Auf neuen Wegen“, 88-89)
Eine Zusammenarbeit in einem internationalen Team kann aber gerade durch die
Verschiedenheiten in Arbeitsstilen höchst effektiv sein. Das geschieht, indem man
sich gegenseitig fördert. Dabei ergänzen sich kulturelle Eigenarten und führen sogar
zu besonders kreativen Lösungen. Dieses Phänomen wird als Synergieeffekt
(Synergie griechisch συνεργία, synergía „die Zusammenarbeit“) bezeichnet. Eine
Umschreibung von Synergie findet sich in dem Ausspruch von Aristoteles „Das
Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“. http://de.wikipedia.org/wiki/Synergie
Beispiel: Laut der Analyse der obenerwähnten Studie mit deutschen und
amerikanischen Studenten liegt in internationaler Zusammenarbeit ein bestimmtes
Synergiepotential. Sowohl Deutsche als auch Amerikaner können voneinander lernen,
beispielweise wenn es darum geht, Kritik zu äußern: Die Amerikaner einerseits mit ihrem
eher sanften Kritik und ihrer starken Anerkennung von produktiven Beiträgen; die
Deutschen andererseits mit ihrer Art, kritische Punkte schonungslos anzusprechen. („Auf
neuen Wegen“, 88-89)
Wer solche synergischen Effekte in einem internationalen Team nutzen will,
muss sie fördern. Wichtig ist es, die Mitarbeiter schon von Anfang an für die
Besonderheiten der anderen Nationalitäten zu sensibilisieren. Sie sollten nicht an
bestehenden Strukturen festhalten, sondern prozessorientiert handeln, Zufälligkeiten
zulassen („kreatives Chaos“) und die Entstehung von qualitativ Neuem, das weder für
die eine noch für die andere Kultur „typisch“ ist, befördern. (In Bolten S.86)
Vielheit angesichts der Einheit – єдність, яка допускає різноманітність
(тобто: спільна готовність усіх учасників толерувати культурні відмінності
відмінності.
Ein Konsens im Bewusstsein der Unterschiedlichkeit – досягнення згоди
можливе через усвідомлення культурних відмінностей

 Strategien der IKK


Zur konstruktiven Bewältigung von Problemen IKK und zur Entwicklung
interkulturellen Verstehens kommt ein Spektrum unterschiedlicher Strategien in
Frage. Kommunikationsstrategien sind Maßnahmen grundsätzlicher Art zur
Erreichung von Kommunikationszielen.6 Im Folgenden werden diese Strategien, die
vom A. Knapp-Potthof und anderen Wissenschaftlern zusammengestellt werden,
vorgestellt.

6
Cоціокультурні стратегії – особливі дії учасника діалогу культур, які дозволяють
йому досягти успіху у міжкультурному спілкуванні і/або у вивченні ІК.
1. Strategie der Verständniskontrolle: Erwarte, dass dein
Kommunikationspartner deine Äußerung missverstehen kann, und achte auf Indizien
für Missverstehen im weiteren Verlauf der Interaktion. Beachte, dass das Sich-
verstehen nicht selbstverständlich ist.
Diese Strategie basiert auf der Überlegung, dass Missverständnisse umso besser
reparabel sind, je früher sie erkannt werden. Eine Voraussetzung für ihr frühes
Erkennen ist, dass das Sich-Verstehen nicht als selbstverständlich betrachtet wird.
Vielmehr soll die Möglichkeit unangemessener Bedeutungszuordnungen durch den
Kommunikationspartner systematisch einkalkuliert werden, und zwar auch in
Bereichen, in denen bei IKK erfahrungsgemäß kaum Missverständnisse auftauchen.
Beispiel: Dazu ein Beispiel mit einem chinesischen Mitarbeiter, der nicht wusste, wie
er die Worte seines deutschen Kollegen interpretieren soll (als eine Einladung zum Bier, ein
Vorschlag, eine Höflichkeitsfloskel). Hätte aber der deutsche Kollege erkannt, dass sein
chinesischer Gesprächspartner Interpretationsprobleme hat, hätte man das Missverständnis
vermieden können.

2. Strategie der Mehrfachinterpretation: Lege dich so spät wie möglich auf


eine Interpretation der Äußerung deines Kommunikationspartners fest.
Die Anwendung dieser Strategie setzt voraus, dass der Kommunikator sich der
potentiellen Mehrdeutigkeit von Äußerungen bewusst ist. Co-Interagierende sollen
also versuchen, sich nicht vorschnell auf diejenige Interpretation festzulegen, die
aufgrund ihres eigenen kulturellen Hintergrundes am ehesten erwartbar ist. Vielmehr
soll man zwei oder auch mehrere mögliche Interpretationen so lange gleichzeitig
offenhalten und verfolgen, bis sich aus dem weiteren Verlauf der Interaktion
genügend Indizien für die Gültigkeit einer Interpretation ergeben haben.
Beispiel: In einem Verhandlungsgespräch mit ausländischen Partnern hat ein
Geschäftsmann aus Deutschland eine für ihn ungewöhnlich lange Smalltalk-Phase als
Desinteresse am Projekt seitens der Partner interpretiert und hat darum die Verhandlung
abgebrochen. Hätte er versucht, das Verhalten von ausländischen Geschäftspartnern nicht
vorschnell (aufgrund seines eigenen kulturellen Hintergrundes) zu interpretieren, wäre er
bestimmt auf die Idee gekommen, dass eine lange Smalltalk- Phase in dieser Kultur üblich
ist und den Aufbau von Beziehungen zum Zweck hat.
3. Strategie der metakommunikativen Reparatur: Wende
metakommunikative Verfahren zur Klärung identifizierter oder vermuteter
Missverständnisse an, und zwar nur insoweit, als sie das Gesicht des
Кommunikationspartners nicht bedrohen.
Man spricht von Metakommunikation in diesen Fällen, wenn (misslungene)
Handlungen oder Kommunikationsprozesse selbst zum Gegenstand der
Kommunikation werden. Ein guter interkultureller Kommunikator ist jemand, der
Missverständnisse in der Interaktion thematisiert und sie metakommunikativ abklärt,
der aber gleichzeitig darauf achtet, dass das Gesicht des anderen durch diese
metasprachliche Reparatur nicht bedroht wird.
Metakommunikation kann in der einfachsten Form beispielweise durch ein
Nachfragen „Wie meinen Sie das?“ oder aber durch ein Gespräch über die
entstandene und zumindest für einen selbst als „ungut“ empfundene Situation
geschehen. Diese Strategie ist aber alles andere als unproblematisch, denn explizite
(deutliche und direkte) Metakommunikation kann die Höflichkeitsregeln einer Kultur
verletzen und darüber hinaus ergebnislos bleiben und sogar negative Stereotype
evozieren.
So mag etwa einem Deutschen explizite Metakommunikation als effizienter Weg zur
Auflösung interkultureller Missverständnisse erscheinen, aber dieser Eindruck wird beispielweise
von einem Japaner nicht geteilt. Darum werden Deutsche in manchen Kulturen für grob und
unhöflich gehalten.
In diesen Fällen ist indirekte Metakommunikation zu empfehlen, so dass das
Gesicht des Kommunikationspartners nicht bedroht wird.
Beispiel: Im oben erwähnten Beispiel mit einer sehr langen Smalltalk-Phase,
war der Versuch des deutschen Geschäftsmannes über die Ziele und Absichten der
ausländischen Partner zu sprechen, sehr ungeschickt, denn er hat mit seiner Frage „Wollen
Sie das Projekt oder nicht?“ seine ausländischen Partner verwirrt und vielleicht auch
beleidigt.

4. Strategie der Rollendistanz und der Empathie: Versuch sowohl dein


eigenes Handeln in der IKK selbst zu beobachten als auf deinen Gesprächspartner
einzugehen und sein Handeln zu verstehen.
Unter Rollendistanz versteht man die Fähigkeit sich neben sich zu stellen, sich
in seinem Handeln beobachten zu können
Mit Empathie beschreibt man das Einfühlungsvermögen in Bezug auf die
Befindlichkeiten und Denkweisen der fremdkulturellen Partner. Das ist also die
Fähigkeit des Individuums zum „Perspektivenwechsel“, die es ihm ermöglicht, die
Erwartungen von Interaktionspartnern zu verstehen.
Beispiel: Hätte das deutsche oder das spanische Paar in der Geschichte „Entscheidung
am Strand“ von Leonhard Thoma, seine eigene Rolle wechseln und die Rolle des anderen
übernehmen können, hätte sich die Geschichte anders entwickelt, so das Missverständnis
wohl nicht passiert wäre.

5. Verzicht auf die Übereinpassung: Vermeide übertriebene


Anpassungsbestrebungen an den fremdkulturellen Partner
Guter Wille und ein Bemühen um Anpassung an die Erwartungen des
Gegenübers sind sicherlich von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche IKK.
Dennoch kann man auch des Guten zu viel tun, denn weder der Deutsche, der sich
durch seine ungelenk-bemühte Höflichkeit „besonders japanisch“ zu geben versucht,
noch der Japaner, der sich „deutsch“ (übertrieben direkt) verhält, werden wohl in der
IKK einen guten Eindruck machen. Bestenfalls werden solche Beispiele als gut
gemeinte Versuche, sich auf das Gegenüber einzustellen, gewertet, im schlechtesten
Fall als lächerliche oder sogar beleidigende Parodie der fremdkulturellen
Kommunikationsstrategien. So kann „weniger“ in der Anpassung an andere
Kommunikationskonventionen letztlich manchmal sogar „mehr“ sein. Besser als die
Kommunikationsmuster des Gegenübers im Detail imitieren zu wollen, ist es
sicherlich, einen Kompromiss zwischen den eigenen und den fremden
Kommunikationsstrategien zu suchen. (in Gymnich S.146)

6. Verzicht auf voreilige Schlüsse über kulturbedingte Missverständnisse:


Nicht alle interkulturelle Kommunikationsprobleme sind als Resultat kultureller
Differenzen zu erklären.
Wenngleich das Bewusstsein für die Auswirkungen kulturellen Differenzen auf
das Kommunikationsverhalten einen wichtigen Aspekt interkulturellen Kompetenz
darstellt, kann es manchmal aber auch zu voreiligen Schlüssen verleiten, denn „nicht
alles, was kulturell bedingt anmutet, ist auch kulturell bedingt“. (Keding)
Konzentriert man sich ausschließlich auf die kulturelle Zugehörigkeit einer Person,
statt auch deren individuelle Züge in den Blick zu nehmen, so erscheinen die
Angehörigen einer Kultur sehr viel ähnlicher, als sie es in Wahrheit sind. Aus dem
Blick gerät, dass jede Kultur aus Individuen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten
und Erfahrungshintergründen besteht. (in Gymnich S.147)
Außer den vorgestellten, existieren es auch weitere erfolgreiche
Verhaltensweisen, die einem helfen erfolgreich Probleme in der IKK zu bewältigen.
Wichtig ist, die vorgestellten Strategien nicht nur als Instrument für
Bewältigung der Krisensituationen in der IKK („Reparaturen der Kommunikation“)
zu verstehen, sonders als Mittel interkulturellen Handelns, um die
eventuelle/mögliche Missverständnisse zu vermeiden oder zu verhindern.

Thema 13. IKK und Übersetzung

Übersetzen als hochkomplexe sprachliche und kulturelle Leistung. Aufgaben und


Ziele des Übersetzens – Übersetzungstypen: offene/semantische und
verdeckte/kommunikative. Kultureller Filter beim Übersetzen – Übersetzer als
kultureller Mittler. Kulturkompetenz des Übersetzers.

 Übersetzen als hochkomplexe sprachliche und kulturelle Leistung.


Aufgaben und Ziele des Übersetzens

Übersetzen ist eine hochkomplexe sprachliche und kulturelle Leistung.


Semantische, syntaktische und pragmatische Tätigkeiten sind in ihm eng miteinander
verbunden. Dem Übersetzer geht es darum, einen gegebenen, in eine bestimmte
Situation eingebetteten Text in einer Ausgangssprache aufzunehmen, ihn zu
verstehen und zu interpretieren, um dann mit und aus ihm in der Zielsprache einen
„neuen„ Text zu verfassen, der in einer gegebenen Situation „dasselbe ausdrücken“,
also dem Ursprungstext gleichwertig, „äquivalent“ sein soll. Beim Übersetzen wird
also ein Text in der Ausgangssprache durch einen funktionsäquivalenten Text in der
Zielsprache ersetzt.

Funktionsäquivalenz bedeutet, dass Original und Übersetzung gleiche Wirkung


auf die Adressanten haben sollten, d.h. gleiche Gefühle/Reaktionen hervorrufen.
(House 108-111).

 Übersetzungstypen: offene/semantische und verdeckte/kommunikative –


Kultureller Filter beim Übersetzen

Aus der Forderungen nach der Funktionsäquivalenz der Übersetzungen folgt die
Theorie über zwei Übersetzungstypen den „offenen“/“semantischen“ und der
„verdeckten“/“kommunikativen“ Übersetzung.

Eine offene/semantische Übersetzung ist eine semantisch, syntaktisch


äquivalente Übersetzung des Originals. Die Form und der Inhalt einer solchen
Übersetzung müssen so weit wie möglich einem Originaltext entsprechen. „Die
Gleichheit von Original und Übersetzung heißt hier maximaler Erhalt des Originals
und eine bewusste Analogie der sprachlichen Formen. Diese Gleichheit bezieht sich
auf den Text, nicht auf die Reaktion der Adressaten“. (House 1997: 112)

Bei der verdeckten/ kommunikativen Übersetzung steht die kommunikative


Absicht des Textes im Vordergrund: der übersetzte Text darf nicht befremden.
Während bei der offenen/semantischen Übersetzung die Äquivalenz auf der Satz- und
Textebene liegt, soll bei der kommunikativen Übersetzung Wirkungsäquivalenz
erreicht werden. Damit ist eine gleichwertige kommunikative Wirkung von Ziel- und
Ausgangstext gemeint, das bedeutet: der übersetzte Text soll beim Lesen/Hören die
gleiche Wirkung hervorzurufen, wie es beim Lesen/Hören des Originals der Fall war.

Das ist nur durch Kulturtransfer möglich und setzt Kenntnisse über
landeskundliche Inhalte, Kommunikationsabläufe und Textsortenspezifik in der
Fremdsprache voraus. Um diese Wirkungsäquivalenz zu erzielen, setzt nun der
Übersetzer einen sogenannten „kulturellen Filter“ ein. Dafür sieht der Übersetzer das
Original sozusagen „durch die Brille der Zielkulturadressaten“ an und verändert die
Übersetzung entsprechend ihrer kulturellen Erwartungen. (Juliane House 2005: 84)
Es in bestimmten Situationen angebracht, eine verdeckte/kommunikative
Übersetzung zu machen, weil z.B.: eine offene/semantische Übersetzungen aus dem
Deutschen ins Englische in der englischen Kultur eine andere Wirkung auf
Rezipienten haben können).

Ein Beispiel

In einem Lehrbuch für Business English eines deutschen Verlags sind folgende
Redewendungen für den Fall einer abweichenden Meinung vorgeschlagen:

When we want to say we don‘t agree, we can say:

1. I‘m not sure I agree with you.


2. I don‘t agree.
3. I disagree.
4. I can‘t agree with you.
5. I don‘t share your opinion.
6. I couldn‘t agree with you less.
(Camerer, Rudolf (2007), Sprache – Quelle aller Missverständnisse. Zum Verhältnis von Interkultureller Kompetenz und Sprachkompetenz.
http://zif.spz.tu-darmstadt.de/jg-12-3/beitrag/Camerer.htm)

Alle diese Ausdrücke sind sprachlich korrekte Übersetzungen deutscher Äußerungen


(1) Ich glaube nicht, dass ich mit dir einverstanden bin. 2) Ich bin nicht einverstanden.3)
Ich stimme dir nicht zu. 4) Ich kann dir nicht zustimmen. 5) Ich bin anderer Meinung.) ins
Englische.

Englische Gesprächspartner würden (dem Sprachwissenschaftler Rudolf


Camerer zufolge) jedoch jede einzelne dieser Antworten als unhöflich ansehen,
vielleicht sogar als Signal zum bevorstehenden Gesprächsabbruch interpretieren.
Daraus folgt, dass der Widerspruch in angelsächsisch geprägten Kulturen mit anderen
Kommunikationsstrategien versehen wird als dies in Deutschland üblich ist.
Demzufolge sollten die oben angeführte Absichten für englische Gesprächspartner
sprachlich anders ausgedrückt (sprich kommunikativ übersetzt) werden.
Mit kommunikativen Übersetzungen wird oft eine große Distanz zum Original
geschaffen, denn zum Erreichen echter Funktionsäquivalenz werden oft
weitreichende Abweichungen vom Original in Kauf genommen, nur so wird die
verdeckte Übersetzung in das entsprechende Genre der Zielkultur eingepasst und als
Original rezipiert. (House 112).

Beispiel: bei der Übersetzung von Kindermärchen aus entfernten Kulturen, werden die
Texte einigermaßen an den Lebenserfahrungen der Kinder in der Kultur der Zielsprache
angepasst.

Oder ein paar Beispiele von J. House für die Übersetzung ins Deutsche
englischer Filmtitel in einer deutschen Fernsehzeitschrift:

Where are the Children? – Grenzenloses Leid einer Mutter (1)

Mommie Deariest – Meine liebe Rabenmutter (2)

Trapped and Deceived – Wenn Eltern ihre Tochter verraten (3)

Fernsehserie Mr. Bean: Will you get out there pleas – Weg da! (4)

Everybody out now please – Die Badezeit ist zu Ende

(House S.)

In den englischen Originaltiteln bleibt implizit (nicht direkt ausgedrückt), worum es in


den Filmen geht. In den deutschen Übersetzungen wird diese bewusste Vorenthaltung von
Informationen über den Inhalt der Filme nicht übernommen, so dass in der Übersetzung viel
mehr vom Inhalt „verraten“ wird. Nach der Meinung von J. House entspricht diese
kulturelle Filterung der Explizitheit und der Inhaltsorientierung im Gesprächsverhalten der
Deutschen.

Kommunikative Übersetzung ist überall da angebracht, wo der Text vor allem


wirken soll. Texte, die eine kommunikative Übersetzung verlangen, sind
überwiegend Instruktionen, Geschäftsbriefe, Werbetexte, Wirtschafts- und
populärwissenschaftliche Texte, die alle sozusagen „überkulturell“ für bestimmte,
genauer definierbare Adressatengruppen gültig sein können, (House 2005: 84).

Eine in einer konkreten Situation der Zielkultur nicht angemessene Übersetzung


kann zu einem Missverständnis führen. Dazu ein Beispiel aus der Erfahrung einer
Übersetzerin im Übersetzungsbüro.

Sie übersetzte für einen jungen Mann aus Deutschland, der in der Ukraine/Lviv ein
Berufspraktikum gemacht hatte, sein Praktikumszeugnis aus dem Ukrainischen ins
Deutsche. Im Zeugnis wurden die Leistungen des Praktikanten von der ukrainischen Firma
hochgeschätzt. Nach einem Tag kam aber der junge Mann wieder ins Büro und erklärte,
dass obwohl das Zeugnis nach seinem Inhalt und Form korrekt ins Deutsche übersetzt
worden sei, werde es im Deutschen nicht überzeugend positiv wirken, sondern einen
Eindruck erwecken, dass der Arbeitsgeber nicht ganz mit dem Praktikanten zufrieden war.
Um die gleiche Wirkung des Zeugnisses in ukrainischer und deutscher Kultur zu erreichen,
sollten einige Strukturen und Formulierungen im Text der Übersetzung verändert werden.
Dabei hat der Deutsche gezeigt, welche Veränderungen gemacht werden sollten. Die
Übersetzerin wurde der Notwendigkeit der funktionalen Äquivalenz des Originals und der
Übersetzung bewusst und nahm entsprechende Veränderungen in der Übersetzung vor. Auf
solche Weise wurde das Problem gelöst.

Dieser Fall ist damit zu erklären, dass in deutscher Geschäftskultur müssen


Arbeitszeugnisse wohlwollend formuliert sein Dadurch solle man dem Arbeitnehmer nicht
die Chancen am Arbeitsmarkt erschweren – doch es führte auch zur Etablierung einer
eigenen Sprache, die Personaler und Chefs verinnerlicht haben, um eine mangelhafte
Arbeitsweise trotz netter Worte deutlich zu machen. So stellen auch vermeintlich positive
Aussagen lediglich die Schulnote befriedigend oder ausreichend dar, wenn Wörtchen wie
„stets“ oder „vollen“ im Satz fehlen. Nur wer die gängigen Codes entziffern kann, erfährt
also, wie die Leistungen tatsächlich bewertet wurden.

Die Auswahl zwischen offener und verdeckter Übersetzung als Typ bzw.
Methode hängt von mehreren Faktoren ab. Der spezielle Zweck und die spezielle
Adressatengruppe, für die übersetzt werden soll, entscheiden auch darüber, ob eine
offene oder eine verdeckte/kommunikative Übersetzung angefertigt werden muss“
(House 1981: 199).

 Übersetzer als kultureller Mittler. Kulturkompetenz des Übersetzers


Von solch einem Blick auf die Übersetzung, werden Kompetenzen des
Übersetzers abgeleitet.

Da sich ein Übersetzer stets zwischen Kulturen bewegt, benötigt er eine


kulturelle und interkulturelle Teilkompetenzen. Kulturelle Teilkompetenz bedeutet,
dass ein Übersetzer sich in den Kulturen seiner Arbeitssprachen auskennt. Dazu
gehört das Wissen um kulturspezifische Gegebenheiten, Regeln, Werte und
Verhaltensweisen in der Kultur der Arbeitssprachen des Übersetzers und in seiner
Muttersprache. Unter interkultureller Kompetenz versteh man die Fähigkeit eines
Übersetzers, Gesprächspartner verschiedener Kulturkreise erfolgreich
zusammenzuführen. Dafür muss er Einsichten in die Mechanismen der
Wahrnehmung und Interpretation von Realität sowie Mechanismen der IKK
gewinnen und seine Fähigkeit zur Reflexion des eigenen und fremden Verhaltens
entwickeln.

Der Übersetzer ist also Kulturmittler, der Sachverhalte, die für die Mitglieder
einer Kultur zum Alltag gehören, für Mitglieder einer anderen Kultur vermitteln
muss. Dafür muss der Übersetzer folgende Fähigkeiten entwickeln:

 Die Bewusstmachung der eigenkulturellen Bedingtheit bei Wahrnehmung und


beim Handeln. Der bewusste Erwerb von Kenntnissen über fremde Kulturen.

 Bewusste Distanzierung von der Eigenkultur. Möglichst weitgehende


Kontrolle eigener kulturellen Bedingtheit.

 Sensibilität zu Kulturunterschieden.

 Allgemeines Bewusstsein für die Problematik IKK. Erkennung eines


mögliches, Konfliktpotentials und Verbeugung potentiellen
Missverständnissen.

 Vergleich von Begriffen und Verhaltensweisen in eigener und fremden


Kulturen gemäß sozialen Funktionen.

 Bewusste Gegenüberstellung verschiedener Kulturen in einer bestimmten


kommunikativen Situation, um situationsspezifische interkulturelle
Bedeutungen zu erarbeiten.

Der Erwerb der interkulturellen Kompetenz ermöglicht es einem Übersetzer,


seine Aufgabe zwischen Sprachen und Kulturen zu vermitteln, erfolgreich zu
erfüllen.

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