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Antonıo Gramscı

GEFANGNIS
Be TFIEFIE

16. bis 21. Heft

Argument
Digitized by the Internet Archive
in 2022 with funding from
Kahle/Austin Foundation

https://archive.org/details/gefangnisheftekrO
Antonio Gramsci
GEFÄNGNISHEFTE
Band 8
Antonio Gramsci
GEFÄNGNISHEFTE
Kritische Gesamtausgabe
auf Grundlage der im Auftrag des Gramsci-Instituts besorgten
Edition von Valentino Gerratana
herausgegeben vom Deutschen Gramsci-Projekt
unter der wissenschaftlichen Leitung von
Klaus Bochmann (Universität Leipzig) und
Wolfgang Fritz Haug (Freie Universität Berlin)

EINE VERÖFFENTLICHUNG DES


BERLINER INSTITUTS FÜR KRITISCHE THEORIE (INKRIT)
Antonio Gramscı
GEFÄNGNIS
HEFTE
Band 8

herausgegeben von
Klaus Bochmann, Wolfgang Fritz Haug und Peter Jehle
unter Mitwirkung von
Ruedi Graf und Gerhard Kuck

Hefte 16 bis 21

Argument
Titel der Originalausgabe
Quaderni del carcere
Giulio Einaudi
Turin 1975, °1977
© Fondazione Istituto Gramsci
Rom

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek


Gramscı, Antonio:
Gefängnishefte / Antonio Gramsci
Kritische Gesamtausgabe
Hamburg ; Berlin : Argument-Verlag
Einheitssacht.: Quaderni del carcere (dt.)
Bd. 8. Hefte 16 bis 21 - ISBN 3-88619-418-3

Alle Rechte vorbehalten © InkrıT 1998; für diese Ausgabe Argument-Verlag


Eppendorfer Weg 95a, 20259 Hamburg, Telefon (040) 40 18 000
Titelgrafik: Johannes Nawrath
Texterfassung: Gramsci-Projekt
Fotosatz: Steinhardt, Berlin -— Druck: Clausen & Bosse, Leck
Erste Auflage 1998
INHALT

1789 Heft 16 (XXII) 1933-1934


Kulturthemen I, $$1-30
1851 Heft 17 (IV) 1933-1935
Miszellen, $$1-53
1893 Heft 18 (XXXI-IVa) 1934
Niccolö Machiavelli II, $$1-3
1899 Heft 19 (X) 1934-1935
(Italienisches Risorgimento), $$1-58
2009 Heft 20 (XXV) 1934-1935
Katholische Aktion - Integrale Katholiken - Jesuiten —
Modernisten, $$1-4
2033 Heft 21 (XVII) 1934-1935
Probleme der italienischen Nationalkultur
1. Popularliteratur, $$1-15

Kritischer Apparat
A737 Manuskript-Beschreibung von Heft 16
A739 Anmerkungen zu Heft 16
A7zsı Manuskript-Beschreibung von Heft 17
Azss Anmerkungen zu Heft 17
A773 Manuskript-Beschreibung von Heft 18
A77s Anmerkungen zu Heft 18
A779 Manuskript-Beschreibung von Heft 19
A781 Anmerkungen zu Heft 19
A799 Manuskript-Beschreibung von Heft 20
A8o1 Anmerkungen zu Heft 20
A807 Manuskript-Beschreibung von Heft 21
A809 Anmerkungen zu Heft 21

A8ı3 Titelverzeichnis der Paragraphen


A82ı Abkürzungen und Siglen
A824 Errata
SECHZEHNTES HEFT (XXII)

13531934

KULTURTHEMEN I.
ar!

$(1). Die Religion, das Lotto und das Opium des Elends. In den
Kritischen Unterhaltungen (2. Folge, S. 300-301) sucht Croce die »Quelle«
von Matilde Seraos Schlaraffenland und findet sie in einem Gedanken
Balzacs. In der Erzählung Die Krebsfischerin, geschrieben 1841 und später
Eine Junggesellenwirtschaft betitelt, worin von Madame Descoings
berichtet wird, die seit einundzwanzig Jahren auf ihre berühmte Terne
setzt, bemerkt der »Schriftsteller-Soziologe und -Philosoph«: »Man hat
die Spielleidenschaft wohl allgemein verurteilt, aber nie genaner erforscht.
Noch hat niemand darin das Opium des Elends erkannt. Die Lotterie, die
mächtigste Zauberin unserer Welt, erregt sie nicht geradezu magische
Hoffnungen? Während der Gang der Roulette, der den Spielern Gold-
massen und Genüsse vorgaukelt, nur so lange dauert wie ein Blitz, gibt die
Lotterie dem köstlichen Leuchten dieses Blitzes eine Daner von fünf Tagen.
Welche andre soziale Macht macht heutzutage die Menschen für zwei
Franken fünf Tage lang glücklich und schenkt ihren Träumen alle Wonnen
der Zivilisation?«*

Croce hatte bereits bemerkt (in seinem Aufsatz über Serao, Literatur des
neuen Italien”, 111,5. 51), dass Das Schlaraffenland (1890) seine Ursprungs-
idee in einer Stelle des anderen Buches von Serao hatte, dem Bauch von
Neapel (1884), worin »das Lottospiel als »der große Traum vom Glück< ins
Licht rückt, den das neapolitanische Volk »jede Woche wiederholts, »sechs
Tage lang in einer wachsenden, besitzergreifenden Hoffnung lebend, die
sich ausbreitet, die Grenzen des wirklichen Lebens überschreitet; der
Traum, »wo es alle Dinge gibt, die es entbehrt, ein sauberes Haus, gesunde
und frische Luft, einen schönen warmen Sonnenstrahl auf der Erde, ein
weißes und hohes Bett, eine glänzende Kommode, Makkaroni und Fleisch
jeden Tag, und den Liter Wein, und die Wiege für das Kind, und die Wäsche
für die Frau, und den neuen Hut für den Mann««.
Die Balzac-Stelle ließe sich auch mit dem Ausdruck »Opium des Volkes«
in Verbindung bringen, der in der 1844 (das Datum nachprüfen) veröffent-
lichten Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie'' verwendet wird, deren
Autor ein großer Bewunderer Balzacs war: »Seine Bewunderung für Balzac
war so groß, dass er einen kritischen Aufsatz über dessen großes Werk Die
menschliche Komödie KupEBIEn wollte«, schreibt Lafargue in seinen Er-
innerungen an Karl Marx**, die in Rjazanovs bekanntem Sammelband
(S. 114 der französischen meer veröffentlicht sind. Neuerdings (viel-
leicht 1931) ist ein unveröffentlichter Brief von Engels publiziert worden,

* Französisch im Original.
** Im Ms.: »C.M.« (Carlo Marx).
1792 Sechzehntes Heft

in dem ausführlich von Balzac und der kulturellen Bedeutung, die ihm bei-
gemessen werden muss, die Rede ist”.
Wahrscheinlich ist der Übergang von dem von Balzac gebrauchten Aus-
druck »Opium des Elends« für das Lotto zu dem Ausdruck »Opium des
Volkes« für die Religion von Pascals Überlegung zur »Wette«* angeregt
worden, der die Religion dem Glücksspiel, den Wetten annähert. Man
muss daran erinnern, dass eben 1843 Victor Cousin auf das authentische
Manuskript von Pascals Pensees aufmerksam machte, die erstmals 1670
von dessen Freunden von Port-Royal in verstümmelter Form gedruckt
worden waren und 1844 aufgrund des von Cousin bekannt gemachten
Manuskripts vom Verleger Faugere neu aufgelegt wurden. Die Pensees, in
denen Pascal sein Argument der »Wette« entwickelt, sind die Fragmente
einer von Pascal nicht vollendeten Apologie der christlichen Religion”. Hier
Pascals Gedankengang (nach G. Lanson, Geschichte der französischen
Literatur, 19. Aufl., S. 464): »Die Menschen verachten die Religion; sie
hassen sie und fürchten, sie sei wahr. Um dem abzuhelfen, muss man
zunächst zeigen, dass die Religion der Vernunft nicht widerspricht; sodann,
dass sie ehrwürdig ist, ihr Respekt verschaffen; dann muss man sie liebens-
wert machen, in den Guten die Sehnsucht wecken, dass sie wahr sei; und
endlich zeigen, dass sie wahr ist.«**
Nach der Rede gegen die Indifferenz der Atheisten, die als allgemeine
Einleitung in das Werk dient, legte Pascal seine These von der Ohnmacht
der Vernunft dar, die außerstande ist, alles zu wissen und etwas mit
Gewissheit zu wissen, die darauf angewiesen ist, aufgrund des durch
das Umfeld der Dinge gebotenen Anscheins zu urteilen”. Der Glaube ist
ein überlegenes Erkenntnismittel: er vermag über die der Vernunft ge-
setzten Grenzen hinauszugehen. Aber auch wenn es so wäre, auch wenn
es keinerlei Mittel gäbe, zu Gott zu gelangen, mithilfe der Vernunft oder
auf irgendeinem anderen Weg, in der absoluten Unmöglichkeit zu wissen,
wäre es doch nötig, so zu handeln, als ob man wüsste. Denn nach der Wahr-
scheinlichkeitsrechnung ist es von Vorteil, zu wetten, dass die Religion
wahr ist und das eigene Leben so einzurichten, als sei sie wahr. Lebt man
christlich, riskiert man unendlich wenig, ein paar Jahre verwirrter Lüste
(plaisir mele), um die Unendlichkeit, die ewigen Freuden zu gewinnen‘.
Man muss bedenken, dass Pascal große Sorgfalt aufwandte, um diesem
Argument der Wette literarische Form, logische Rechtfertigung und
moralische Geltung zu geben, einem Argument, das in Wirklichkeit eine

* Im Original frz.: »pari«.


** Französisch im Original.
Heft 16-$1 1793
verbreitete Denkweise gegenüber der Religion ist, aber eine Denkweise,
»die sich ihrer selbst schämt«, weil sie im selben Moment, in dem sie Be-
friedigung gewährt, sich als würdelos und niedrig zeigt. Pascal ist der
»Scham« entgegengetreten (wenn man so sagen kann, denn möglicher-
weise leitet sich das heute populare, in popularen Formen sich darbietende
Argument der »Wette« von Pascals Buch her und war vorher nicht bekannt)
und hat versucht, der popularen Denkweise Würde und Rechtfertigung zu
geben (wie oft hat man sagen hören: »Was hast du schon zu verlieren, wenn
du in die Kirche gehst, an Gott glaubst? Wenn es ihn nicht gibt, sei’s drum;
aber wenn es ihn gibt, wie nützlich wird es dir dann sein, geglaubt zu
haben? usw.«). Diese Denkweise, auch in der Pascalschen Form der
»Wette«, riecht etwas nach Voltairianertum und erinnert an Heines Aus-
drucksweise: »Wer weiß, der ewige Vater wird uns vielleicht eine hübsche
Überraschung bereiten nach dem Tode«’, oder so ähnlich. (Prüfen, wie die
Pascal-Forscher das Argument der »Wette« erklären und moralisch recht-
fertigen. Es muss eine Untersuchung von P.P. Trompeo in dem Band
Jansenistische Einbände geben, worin von dem Argument der »Wette« in
Bezug auf Manzoni° die Rede ist. Zu konsultieren ist auch Ruffini wegen
seiner Untersuchung über Manzoni und die Religion)’.
Aus einem Artikel von Arturo Marescalchi, Durchhalten! Auch in der
Seidenraupenzucht, im »Corriere della Sera« vom 24. April 1932: »Mit
jeder halben Unze Samen, die in die Zucht gesteckt wird, steht man im
Wettbewerb um Prämien, die von einem bescheidenen Betrag (400 zu je
tausend Lire), viele zwischen 10 und 20 tausend Lire, und fünf zwischen
25 tausend und 250 tausend Lire erreichen. Im italienischen Volk ist der
Sinn, das Schicksal zu versuchen, stets lebendig; auf dem Lande gibt es
noch heute keinen, der beim »Fischen« und den Tombolas abseits stünde.
Hier ist die Eintrittskarte umsonst, die das Glück zu versuchen erlaubt«‘.

Im übrigen gibt es eine enge Verknüpfung zwischen dem Lotto und der
Religion, die Gewinne zeigen, dass man »auserwählt« worden ist, dass
man der besonderen Gnade eines Heiligen oder der Muttergottes teilhaftig
geworden ist. Man könnte einen Vergleich anstellen zwischen der
aktivistischen Auffassung der Gnade bei den Protestanten, die dem
kapitalistischen Unternehmungsgeist die moralische Form gegeben hat,
und der dem katholischen Kleinvolk eigentümlichen passiven und
tagediebhaften Auffassung der Gnade. Die Funktion beachten, die Irland
bei der Wiederinkraftsetzung der Lotterien in den angelsächsischen
Ländern hat und die Proteste der Zeitungen, die den Geist der Reformation
repräsentieren, wie der »Manchester Guardian«.
1794 Sechzehntes Heft

Außerdem ist zu sehen, ob Baudelaire mit dem Titel seines Buches Die
künstlichen Paradiese (und auch in der Ausführung) sich von dem Ausdruck
»Opium des Volkes« hat anregen lassen: auf die Formel könnte er indirekt
in der politischen oder journalistischen Literatur gestoßen sein. Es scheint
mir nicht wahrscheinlich (ist aber nicht ausgeschlossen), dass es bereits vor
Balzacs Buch einige Redewendungen gab, mit denen das Opium und die
anderen Rauschgifte und Narkotika als Mittel zum Genuss eines künst-
lichen Paradieses vorgestellt wurden. (Es ist im übrigen daran zu erinnern,
dass Baudelaire bis 1848 an einer gewissen praktischen Tätigkeit teilhatte,
er war Herausgeber politischer Wochenschriften und beteiligte sich aktiv
an den Pariser Ereignissen von 1848).

$(2). Methodenfragen. Wenn man die Entstehung einer Weltauffas-


sung studieren will, die von ihrem Begründer niemals systematisch dargelegt
worden ist (und deren wesentliche Kohärenz nicht in jeder einzelnen
Schrift oder Schriftenfolge zu suchen ist, sondern in der gesamten Ent-
wicklung der vielförmigen intellektuellen Arbeit, in der die Elemente der
Auffassung impliziert sind), muss man vorab eine minutiöse philologische
Arbeit verrichten, die mit größter Gewissenhaftigkeit hinsichtlich Exakt-
heit, wissenschaftlicher Redlichkeit, intellektueller Loyalität, ohne jedes
Vorurteil und Apriorismus oder vorgefasste Meinung durchzuführen ist.
Es gilt, zuallererst den intellektuellen Entwicklungsprozess des betreffen-
den Denkers zu rekonstruieren, um die Elemente festzustellen, die stabil
und »dauerhaft« geworden sind, die also als eigenes Denken angenommen
worden sind, unterschieden von und übergeordnet dem zuvor studierten
»Material«, das als Anregung gedient hat; nur diese Elemente sind wesent-
liche Momente des Entwicklungsprozesses. Diese Auswahl kann für mehr
oder weniger lange Zeitabschnitte getroffen werden, wie es sich von innen
heraus und nicht aus äußeren Hinweisen (die gleichwohl genutzt werden
können) ergibt, und führt zu einer Reihe von »Ausschließungen«, das heißt
von partiellen Lehren und Theorien, für die dieser Denker in gewissen
Momenten Sympathie empfunden haben mag, bis zu dem Punkt, dass er
sie vorübergehend angenommen und sich ihrer für seine kritische oder
historisch und wissenschaftlich schöpferische Arbeit bedient hat. Jeder For-
scher kennt das als persönliche Erfahrung, dass jede neue mit »heroischer
Begeisterung« studierte Theorie (das heißt, wenn man nicht aus bloßer
äußerlicher Neugier studiert, sondern aus tiefem Interesse heraus) einen,
vor allem wenn man jung ist, eine Zeit lang um ihrer selbst willen anzieht,
sich der gesamten Persönlichkeit bemächtigt und von der anschließend
studierten Theorie in ihre Grenzen gewiesen wird, bis sich ein kritisches
Heft 16-$1-$2 1795
Gleichgewicht herstellt und man mit der nötigen Tiefe studiert, ohne sich
jedoch dem Zauber des Systems oder des studierten Autors sogleich hinzu-
geben. Diese Reihe von Bemerkungen trifft desto mehr zu, je ungestümer
der betreffende Denker ist, je polemischer sein Charakter und je mehr es
ihm an Systemgeist fehlt, wenn es sich um eine Persönlichkeit handelt, bei
der die theoretische und praktische Aktivität unauflöslich miteinander
verflochten sind, um einen Intellekt, der in fortwährender Schöpfung und
unaufhörlicher Bewegung ist, der mit aller Kraft die Selbstkritik in unerbitt-
licher und konsequenter Weise empfindet. Wenn diese Voraussetzungen
gegeben sind, muss die Arbeit diesen Linien folgen: 1. die Rekonstruktion
der Biographie, nicht nur was die praktische Tätigkeit betrifft, sondern
besonders die intellektuelle Tätigkeit; 2. das Verzeichnis aller, auch der
unwichtigsten Werke in zeitlicher Folge, eingeteilt nach inneren Motiven:
der intellektuellen Bildung, der Reife, des Besitzes und der Anwendung
der neuen Weise, das Leben und die Welt zu denken und aufzufassen. Die
Suche nach dem Leitmotiv*, nach dem Rhythmus des in Entwicklung be-
findlichen Denkens muss wichtiger sein als die einzelnen beiläufigen
Äußerungen und herausgelösten Aphorismen.
Diese vorbereitende Arbeit schafft die Möglichkeit für jede weitere For-
schung. Unter den Werken des betreffenden Denkers muss darüber hinaus
unterschieden werden zwischen denjenigen, die er zu Ende gebracht und
veröffentlicht hat, und denen, die unveröffentlicht, weil unvollendet ge-
blieben und von irgendeinem Freund oder Schüler veröffentlicht worden
sind, nicht ohne Änderungen, Überarbeitungen, Schnitte usw., bzw. nicht
ohne aktiven Eingriff des Herausgebers. Es ist offensichtlich, dass der
Inhalt dieser postumen Werke mit großer Zurückhaltung und Vorsicht
aufzunehmen ist, weil er nicht als definitiv angesehen werden kann, sondern
nur als noch in Bearbeitung befindliches, vorläufiges Material; es ist nicht
auszuschließen, dass diese Werke, zumal wenn sie seit langem bearbeitet
wurden und der Verfasser sich nie entschloss, sie fertigzustellen, als ganze
oder zum Teil vom Verfasser verworfen oder für nicht zufriedenstellend
gehalten worden sind.
Im besonderen Fall des Begründers der Philosophie der Praxis kann das
literarische Werk in folgende Abteilungen eingeordnet werden: 1. in direkter
Verantwortung des Autors publizierte Arbeiten: als solche sind in der
Regel nicht nur die tatsächlich in Druck gegebenen Werke zu betrachten,
sondern die vom Verfasser in irgendeiner Weise »veröffentlichten« oder ın
Umlauf gesetzten, wie die Briefe, die Zirkulare usw. (ein typisches Beispiel

* Deutsch im Original, in der Schreibung »leit-motiv«.


1796 Sechzehntes Heft

sind die Randglossen zum Gothaer Programm und der Briefwechsel)';


2. die nicht in direkter Verantwortung des Autors, sondern von anderen,
postum, in Druck gegebenen Werke; dabei wäre es gut, davon den quellen-
kritischen Text zu besitzen, dessen Erstellung ja bereits im Gange ist, oder
zumindest eine nach quellenkundlichen Kriterien vorgenommene minu-
tiöse Beschreibung des Originaltextes.
Beide Abteilungen müssten nach kritisch-chronologischen Perioden so
rekonstruiert werden, dass gültige und nicht rein mechanische und willkür-
liche Vergleiche angestellt werden können.
Die vom Autor am Material der später von ihm selbst in Druck gegebenen
Werke vorgenommene Ausarbeitung sollte genauestens untersucht und
analysiert werden: diese Untersuchung gäbe zumindest Hinweise und
Kriterien, um die Zuverlässigkeit der von anderen erarbeiteten Fassungen
der postumen Werke kritisch einzuschätzen. Je mehr sich das vorbereitende
Material der vom Autor publizierten Werke vom endgültigen Text, den der
Autor selbst redigiert hat, entfernt, desto unzuverlässiger ist die Redaktion
eines Materials vom gleichen Typ durch einen anderen Verfasser. Ein Werk
kann niemals mit dem zu seiner Erarbeitung gesammelten Rohmaterial
gleichgesetzt werden: die endgültige Auswahl, die Anordnung der Bestand-
teile, das stärkere oder geringere Gewicht, das diesem oder jenem der in
der vorbereitenden Phase gesammelten Element eingeräumt wird, sind
gerade das, was das tatsächliche Werk ausmacht.
Auch das Studium des Briefwechsels muss mit gewisser Vorsicht vor-
genommen werden: eine entschiedene Behauptung in einem Brief wäre
vielleicht in einem Buch nicht wiederholt worden. Mag die stilistische
Lebendigkeit der Briefe auch oftmals künstlerisch wirkungsvoller sein
als der gemessenere, wohlbedachte Stil eines Buches, so führt er doch
manchmal zu Argumentationsmängeln; in Briefen treten, wie in Reden,
wie in Gesprächen, häufiger logische Fehler auf; das flinkere Denken geht
oft auf Kosten der Gründlichkeit.
Erst in zweiter Linie folgt bei der Untersuchung eines eigenständigen
und erneuernden Denkens der Beitrag anderer Personen zu seiner Doku-
mentierung. Eben so, zumindest was die prinzipielle Linie betrifft, als
Methode, muss die Frage der Beziehungen der Homogenität zwischen den
beiden Begründern der Philosophie der Praxis gestellt werden. Die Aus-
sage des einen oder des anderen bezüglich der wechselseitigen Überein-
stimmung gilt einzig für das betreffende Argument. Auch die Tatsache,
dass der eine ein Kapitel für das vom anderen verfasste Buch geschrieben
hat, ist keine erschöpfende Begründung dafür, das gesamte Buch als
Heft 16-$2-$3 1797
Ergebnis vollkommener Übereinstimmung zu betrachten. Man darf den
Beitrag des zweiten nicht unterschätzen, aber man darf auch weder den
zweiten mit dem ersten identifizieren noch denken, dass alles, was der
zweite dem ersten zugeschrieben hat, absolut authentisch und ohne Ein-
färbungen sei. Gewiss hat der zweite eine in der Geschichte der Literatur
einzigartige Uneigennützigkeit und das Fehlen persönlicher Eitelkeit unter
Beweis gestellt, aber darum geht es nicht, auch nicht darum, die absolute
wissenschaftliche Redlichkeit des zweiten in Zweifel zu ziehen. Es geht
darum, dass der zweite nicht der erste ist und dass, wenn man den ersten
kennen will, man speziell in seinen authentischen Werken suchen muss,
die unter seiner direkten Verantwortung* publiziert worden sind. Aus
diesen Bemerkungen folgen etliche Hinweise zur Methode und einige
Andeutungen für begleitende Untersuchungen. Welche Bedeutung besitzt
zum Beispiel Rodolfo Mondolfos 1912 von Formiggini herausgegebenes
Buch? über den Historischen Materialismus bei Friedrich Engels**? Sorel
bezweifelt (in einem Brief an B. Croce)’, ob man ein so gestelltes Thema
überhaupt untersuchen kann, angesichts der geringen Fähigkeit zu origi-
nellem Denken bei Engels***, und er wiederholt oft, dass man die beiden
Begründer der Philosophie der Praxis nicht durcheinanderbringen darf.
Ungeachtet der von Sorel gestellten Frage scheint es, gerade weil beim
zweiten der beiden Freunde eine geringe theoretische Fähigkeit (zumindest
seine im Vergleich zum ersten untergeordnete Stellung) vorausgesetzt (be-
hauptet) wird, unerlässlich zu untersuchen, von wem der ursprüngliche
Gedanke stammt usw. In Wirklichkeit ist eine systematische Unter-
suchung dieser Art (mit Ausnahme von Mondolfos Buch) in der Welt der
Bildung niemals durchgeführt worden, sondern die Darstellungen des
zweiten, von denen einige relativ systematisch sind, werden nun in erster
Linie aufgenommen, als authentische Quelle und sogar als die einzige
authentische Quelle. Mondolfos Buch erscheint darum sehr nützlich,
zumindest wegen der Richtung, die es vorzeichnet.

$(3). Ein Repertoire der Philosophie der Praxis. (1.) Höchst nützlich
wäre ein kritisches Inventar aller Fragen, die zur Philosophie der Praxis auf-
geworfen und diskutiert worden sind, mit ausführlichen kritischen Biblio-
graphien. Das Material für ein solches spezialisiertes enzyklopädisches
Werk ist so ausgedehnt, disparat, von höchst unterschiedlichem Wert, in so

* ImMs.: »Persönlichkeit«, d.h. personalita statt responsabilıta.


** Im Ms.: »Mat. St. di F.E.«.
** Im Ms.: »Eng.«.
1798 Sechzehntes Heft

vielen Sprachen, dass nur ein Redaktionskomitee es in nicht gerade kurzer


Zeit bearbeiten könnte. Aber der Nutzen einer derartigen Zusammen-
stellung wäre von ungeheurer Bedeutung sowohl auf wissenschaftlichem
Gebiet als auch auf schulischem Gebiet und unter den freien Wissen-
schaftlern. Es würde zu einem erstrangigen Instrument zur Verbreitung
der Studien über die Philosophie der Praxis und für ihre Konsolidierung
als wissenschaftliche Disziplin und würde zwei Epochen deutlich vonein-
ander abgrenzen: die moderne von der vorangehenden des oberflächlich
Angelernten, der Papageienhaftigkeit und der journalistischen Dilettan-
tismen. Um das Projekt zu konstruieren, müsste man das gesamte Material
gleichen Typs studieren, das die Katholiken der verschiedenen Länder zur
Bibel, den Evangelien, der Patristik, der Liturgie, der Apologetik publiziert
haben, große spezialisierte Enzyklopädien von ungleichem Wert, die aber
fortwährend veröffentlicht werden und die ideologische Einheit der Hundert-
tausende von Priestern und anderen Führungspersonen, die das Gerüst
und die Kraft der Katholischen Kirche bilden, aufrechterhalten. (Zur
Bibliographie der Philosophie der Praxis in Deutschland sind die Zusammen-
stellungen von Ernst Drahn zu berücksichtigen, die von Drahn selbst in
der Einführung zu den Nummern 6068-6069 von Reclams Universal-
Bibliothek* zitiert sind).'
2. Man müsste für die Philosophie der Praxis eine Arbeit wie diejenige
erstellen, die Bernheim für die historische Methode gemacht hat (E. Bern-
heim: Lehrbuch der historischen Methode, 6. Aufl., 1908, Leipzig, Duncker
u. Humblot, ins Italienische übersetzt und publiziert von dem Verleger
Sandron aus Palermo)’. Bernheims Buch ist keine Abhandlung der Philoso-
phie des Historismus, ist jedoch implizit mit ihr verknüpft. Die sogenannte
»Soziologie der Philosophie der Praxis« müsste sich zu dieser Philosophie
verhalten wie Bernheims Buch sich zum Historismus im Allgemeinen
verhält, das heißt, es müsste eine systematische Darstellung praktischer
Forschungs- und Interpretationsregeln für Geschichte und Politik sein;
eine Sammlung unmittelbarer Kriterien, kritischer Vorbehalte usw., eine
Philologie der Geschichte und der Politik, wie sie von der Philosophie der
Praxis aufgefasst werden. In mancher Hinsicht müsste man einige Tenden-
zen der Philosophie der Praxis (und zufällig die wegen ihrer Grobschlächtig-
keit am weitesten verbreiteten) der gleichen Kritik (oder Art von Kritik)
unterziehen, die der moderne Historismus an der alten historischen
Methode und der alten Philologie geübt hat, welche zu naiven Formen von
Dogmatismus geführt hatten und die Interpretation und die historische
Konstruktion durch die äußerliche, mehr oder weniger gewissenhafte
* Gramsci schreibt: »Reklams Universal Bibliothek«.
Heft 16-$3-$4 1799

Schilderung und Aufzählung der oftmals ungeordnet und inkohärent


zusammengetragenen rohen Quellen ersetzten. Die Hauptstärke dieser
Veröffentlichungen bestand in jener Art dogmatischen Mystizismus, zu
dessen Herausbildung und Popularisierung es gekommen war und der
sich in der ungerechtfertigten Behauptung ausdrückte, Anhänger der
historischen Methode und der Wissenschaft zu sein.
3. Zu diesen Themen sind einige Bemerkungen aus der Reihe »Typen von
Zeitschriften« und von denen über ein »Kritisches Wörterbuch«’ heran-
zuziehen.

$(4). Die Zeitungen der großen Hauptstädte. Eine Reihe von Auf-
sätzen über den Journalismus der wichtigsten Hauptstädte der Staaten der
Welt, nach folgenden Kriterien: 1. Untersuchung der Tageszeitungen, die
an einem bestimmten Tag (nicht an einem zufällig ausgewählten, sondern
an dem irgendein für den betreffenden Staat bedeutendes Ereignis zu
verzeichnen ist) in einer Hauptstadt erscheinen - London, Paris, Madrid,
Berlin, Rom usw. —, um einen möglichst homogenen Vergleichspunkt zu
haben, das heißt das Hauptereignis und die relative Ähnlichkeit der anderen,
um ein Bild zu bekommen von der unterschiedlichen Weise, in der die
Parteien und Tendenzen ihre Meinungen wiedergeben und die sogenannte
öffentliche Meinung bilden. Weil aber keine Tageszeitung, besonders in
gewissen Ländern, tagtäglich unter technischem Gesichtspunkt dieselbe
ist, wird man sich für jede die Ausgaben einer ganzen Woche oder des Zeit-
raums besorgen müssen, in dem man den vollständigen Zyklus bestimmter
Sonderspalten und bestimmter Beilagen hat, deren Gesamtheit es erlaubt,
den Erfolg bei den Stammlesern zu verstehen.
2. Untersuchung der gesamten periodischen Presse, jeder Art (von der
Sportpresse bis zu den Gemeindeblättern), welche die Untersuchung der
Tageszeitungen vervollständigt, insofern sie nach dem Typus der Tages-
zeitung veröffentlicht werden.
3. Angaben über die Auflage, das Personal, die Herausgeberschaft, die
Geldgeber, die Werbung. Kurz, man müsste für jede Hauptstadt den
Gesamtmechanismus des Zeitungswesens rekonstruieren, das die ideolo-
gischen Tendenzen verbreitet, die kontinuierlich und gleichzeitig auf die
Bevölkerung einwirken.
4. Das Verhältnis der Presse der Hauptstadt zu derjenigen der Provinzen
feststellen; diese Beziehung ist von Land zu Land anders. In Italien ist
die Verbreitung der römischen Zeitungen verglichen mit den Mailänder
1800 Sechzehntes Heft

Zeitungen weit geringer. Die territoriale Organisation der französischen


Presse ist grundverschieden von der in Deutschland usw. Der Typus der
politischen Wochenzeitung in Italien ist vielleicht einzig in der Welt und
entspricht einem bestimmten Lesertypus.
5. Für gewisse Länder ist die Existenz weiterer dominierender Zentren
neben der Hauptstadt zu berücksichtigen, wie Mailand für Italien, Barce-
lona für Spanien, München für Deutschland, Manchester und Glasgow für
England, usw.
6. Für Italien könnte die Untersuchung auf das ganze Land und die
gesamte periodische Presse ausgedehnt werden, wobei die Darstellung
entsprechend der Bedeutung der Zentren abzustufen wäre: z.B.: 1. Rom,
Mailand; 2. Turin, Genua; 3. Triest, Bologna, Neapel, Palermo, Florenz,
usw.; 4. Politische Wochenpresse; 5. Politische Zeitschriften, Literatur,
Wissenschaft, Religion, usw.

$(5). Der Einfluss der arabischen Kultur in der westlichen Zivilisation.


Ezio Levi hat in dem Band Schlösser Spaniens (Treves, Mailand)' eine Reihe
von Artikeln veröffentlicht, die verstreut in Zeitschriften erschienen sind
und die kulturellen Beziehungen zwischen der europäischen Zivilisation
und den Arabern betreffen, die besonders durch Spanien vermittelt wurden,
wo die entsprechenden Studien zahlreich sind und es viele Spezialisten gibt:
Levis Aufsätze gingen fast immer von den Werken spanischer Arabisten
aus. Im »Marzocco« vom 29. Mai 1932 rezensiert Levi die Einleitung zu
dem Buch Das Erbe des Islam von Angel Gonzales Palencia (die Ein-
leitung ist als selbständige Broschüre erschienen mit dem Titel: Der Islam
und das Abendland, Madrid, 1931) und zählt eine ganze Reihe von Ent-
lehnungen auf, die Europa durch die islamische Welt in der Küche, in der
Medizin, in der Chemie, usw.’ vermacht wurden. Das ganze Buch von
Gonzales Palencia dürfte sehr interessant sein für das Studium des von den
Arabern an die europäische Zivilisation vermittelten Beitrags, für eine
Beurteilung der von Spanien im Mittelalter ausgeübten Funktion und
für eine Charakterisierung des Mittelalters selbst, die präziser ıst als die
geläufige.

$(6). Derantike Kapıtalismus und ein Streit zwischen Modernen. Man


kann in Form einer kritisch-bibliographischen Übersicht die sogenannte
Frage des antiken Kapitalismus darlegen. 1. Ein Vergleich zwischen den
beiden Ausgaben - der ersten in Französisch, die dann in einige andere
Heft 16- $4-$6 1801
europäischen Sprachen übersetzt wurde, und der zweiten, jüngeren, in
Italienisch - des Bändchens von Salvioli über den Antiken Kapitalismus
mit Vorwort von G. Brindisi (Verl. Laterza)'. 2. Artikel und Bücher von
Corrado Barbagallo (z.B. Das Gold und das Feuer’, die das klassische Zeit-
alter betreffenden Bände der Universalgeschichte, die bei Utet in Turin’ im
Erscheinen begriffen sind, usw.) und die vor einiger Zeit geführte Ausein-
andersetzung über das Thema in der »Nuova Rivista Storica« zwischen
Barbagallo, Giovanni Sanna und Rodolfo Mondolfo'. Bei Barbagallo ist in
dieser Polemik vor allem der ernüchterte Ton desjenigen zu beachten, der
sich über die Dinge dieser Welt nichts vormachen lässt. Seine Weltauf-
fassung ist, dass es nichts Neues gibt unter der Sonne, dass ȟberall mit
Wasser gekocht wird«, dass, »je mehr die Dinge sich ändern, desto mehr sie
sich gleich bleiben«. Die Polemik scheint eine farcenhafte‘* Neuauflage des
berühmten »Streits der Alten und der Modernen«. Dieser Streit hatte indes
eine große kulturelle Bedeutung und einen fortschrittlichen Sinn; er war
der Ausdruck eines verbreiteten Bewusstseins, dass es eine geschichtliche
Entwicklung gibt, dass man nunmehr ganz und gar in eine neue, alle
Existenzweisen vollständig erneuernde weltgeschichtliche Phase eingetreten
war, und er hatte eine giftige Spitze gegen die katholische Religion, die
behaupten muss, dass wir, je weiter wir in der Geschichte zurückgehen,
desto vollkommenere, weil der Gemeinschaft des Menschen mit Gott
nähere Menschen finden müssen, usw.
(In dieser Hinsicht ist zu sehen, was Antonio Labriola in dem postumen
Fragment des ungeschrieben gebliebenen Buches Von einem Jahrhundert
zum andern über die Bedeutung des neuen, von der Französischen Revolu-
tion eingeführten Kalenders geschrieben hat’: zwischen der antiken Welt
und der modernen Welt hatte es noch nie ein solch tiefes Bewusstsein einer
Kluft gegeben, nicht einmal im Zusammenhang mit dem Aufstieg des
Christentums.‘)
Hingegen war die Polemik Barbagallos das genaue Gegenteil von fort-
schrittlich, sie war bestrebt, Skepsis zu verbreiten, den ökonomischen
Tatsachen jeden Entwicklungs- und Fortschrittswert zu nehmen. Diese
Position Barbagallos zu analysieren kann interessant sein, weil Barbagallo
sich immer noch als Anhänger der Philosophie der Praxis bezeichnet (vgl.
sein Scharmützel mit Croce in der »Nuova Rivista Storica« vor einigen
Jahren’), er hat ein Bändchen über dieses Thema in der Bücherei des Ver-
bandes der Mailänder Volksbüchereien geschrieben". Barbagallo hat aber
starke intellektuelle Verbindungen zu Guglielmo Ferrero (und er ist ein
bisschen lorianisch‘”). Es ist seltsam, dass er Professor für Wirtschafts-
geschichte ist und sich mit der Abfassung einer Universalgeschichte abmüht,
1802 Sechzehntes Heft

die eine so kindische und oberflächlich-unkritische Auffassung von der


Geschichte hat; es wäre jedoch nicht verwunderlich, wenn Barbagallo diese
seine Denkweise der Philosophie der Praxis zuschriebe.

$(7). Die Weltfunktion Londons. Wie hat sich historisch die öko-
nomische Weltfunktion Londons herausgebildet? Amerikanische und
französische Versuche, London zu ersetzen. Die Funktion Londons ist ein
Aspekt der ökonomischen Hegemonie Englands, die sich auch noch
fortsetzt, nachdem die englische Industrie und der englische Handel ihre
vormalige Position eingebüßt haben. Wieviel bringt die Funktion Londons
der englischen Bourgeoisie ein? In einigen Schriften Einaudis aus der
Vorkriegszeit gibt es umfangreiche Hinweise zu diesem Thema. Mario Borsas
Buch über London. Angelo Crispis Buch über das englische Empire‘.
Guido de Ruggieros Buch’.
Das Thema ist vom Präsidenten der Westminster Bank in der bei der
Gesellschafterversammlung von 1929 gehaltenen Rede teilweise behandelt
worden: der Redner hat die Klagen* darüber erwähnt, dass die Anstren-
gungen, die zum Erhalt der Position Londons als internationales Finanz-
zentrum unternommen werden, der Industrie und dem Handel zu große
Opfer auferlegen, hat aber bemerkt, dass der Finanzmarkt von London
eine Rendite produziert, die in hohem Maße dazu beiträgt, das Defizit der
Zahlungsbilanz auszugleichen. Aus einer vom Handelsministerium durch-
geführten Erhebung geht hervor, dass 1928 dieser Beitrag 65 Millionen
Pfund war, 63 Millionen (19)27, 60 Millionen (19)26; diese Aktivität muss
deshalb als eine der größten englischen »Export«-Industrien betrachtet
werden. Es muss der bedeutende Anteil berücksichtigt werden, der London
am Kapitalexport zukommt, der eine jährliche Rendite von 285 Millionen
Pfund abwirft und der den Export englischer Waren erleichtert, weil die
Anlagen die Kaufkraft der Auslandsmärkte erhöhen. Der englische Ex-
porteur findet außerdem mit dem Mechanismus, den die internationale
Finanz sich in London geschaffen hat, Erleichterungen im Bank-, Wechsel-
usw.-Geschäft vor, die denen in jedem anderen Land überlegen sind. Es ist
folglich offensichtlich, dass die Opfer, die gebracht werden, um London
seine Vorherrschaft auf dem Gebiet der internationalen Finanz zu erhalten,
reichlich gerechtfertigt werden durch die Vorteile, die daraus folgen, aber
um diese Vorherrschaft zu erhalten, hielt man es für wesentlich, dass das
englische Währungssystem den freien Goldverkehr zur Grundlage hat;

* ImMs.: »lamenti fatti« (die gemachten, d.h. dort vorgebrachten Klagen); offenbar ein Versehen beim Über-
tragen des A-Textes.
Heft 16-$6-$8 1803
man glaubte, dass jede Maßnahme, die diese Freiheit behinderte, zu Lasten
Londons als internationalem Zentrum für Sichteinlagen gehen würde. Die
in London dazu getätigten ausländischen Einlagen stellten höchst beacht-
liche Summen dar, die diesem Platz zur Verfügung gestellt werden. Man
dachte, dass, wenn diese Mittel nicht mehr fließen würden, der Geldzins
vielleicht stabiler, aber zweifellos höher wäre‘.
Was ist nach dem Zusammenbruch des Pfundes aus all diesen Gesichts-
punkten geworden? (Es wäre interessant zu sehen, welche Termini der
Handelssprache aufgrund dieser Funktion Londons international geläufig
geworden sind, Termini, die oft nicht nur in der Fachpresse umlaufen,
sondern auch in den Zeitungen und in der allgemeinpolitischen periodischen
Presse).

$(8). Roberto Ardigö und die Philosophie der Praxis. (Vgl. den Band
Vermischte Schriften, gesammelt und zusammengestellt von Giovanni
Marchesini, Florenz, Le Monnier, 1922)'. Versammelt einen Teil der
Gelegenheitsschriften, sowohl aus der Zeit, in der Ardigö Priester war
(zum Beispiel eine interessante Auseinandersetzung mit Luigi De Sanctis,
einem aus dem Priesterstand ausgetretenen katholischen Priester, der in
der Folge zu einem der wortreichsten und geistlosesten Propagandisten
des Evangeliums geworden ist), als auch aus der Zeit im Anschluss an
Ardigös Ausscheiden aus dem Priesteramt und seines positivistischen
Pontifikats, die Ardigö selbst zusammengestellt und für die Veröffent-
lichung vorbereitet hatte. Diese Schriften können interessant sein für einen
Biographen Ardigös und um seine politischen Tendenzen exakt festzu-
stellen, aber größtenteils sind sie völlig wertloser Schund und in unver-
schämtester Weise geschrieben.

Das Buch zerfällt in mehrere Abteilungen. Unter den Polemiken (1. Ab-
teilung) ist die von 1903 gegen die Freimaurerei bemerkenswert; Ardigö
war antifreimaurerisch, und das in lebhafter und aggressiver Form.

Unter den Briefen (4. Abteilung) der an die »Gazzetta di Mantova« aus
Anlass der Wallfahrt zu Viktor Emanuels II. Grab (in der »Gazzetta di
Mantova« vom 29. November 1883)’. Ardigö hatte eingewilligt, einem
Förderkomitee für die Wallfahrt beizutreten. »Die Wallfahrt passte jedoch
vielen hitzköpfigen Revolutionären nicht in den Kram, die sich eingebildet
hatten, dass ich ebenso dächte wie sie und somit durch besagten Beitritt
meinen politisch-sozialen Glauben desavouierte. Und so reagierten sie
privat und öffentlich mit den heftigsten Ausfällen gegen meine Adresse«'.
1804 Sechzehntes Heft

Ardigös Briefe sind emphatisch und hochtrabend: »Gestern riefen sie


mich mit Lobessprüchen, die mir zuwider waren, zu Ihrem Meister aus,
weil es ihnen gelegen kam, mich für einen der ihren auszugeben, was ich
niemals gewesen bin (und das wissen sie oder müssen sie wissen); und das,
ohne mich zu verstehen oder indem sie mich falsch verstanden. Heute, da
sie mich nicht bereit finden, mich für ihre vatermörderischen Bestrebun-
gen zu prostituieren, wollen sie mir die Ohren langziehen, damit ich die
Lektion hören und lernen soll, die sie sich (sehr naiv) anmaßen, mir herzu-
sagen. Oh! wie sehr bin ich doch berechtigt, mit Horaz zu sagen: Odi
profanum vulgus et arceo!«*.
In einem darauffolgenden Brief vom 4. Dezember 1883 an den
»Bacchiglione«, eine demokratische Zeitung in Padua, schreibt er: »Wie Sie
wissen, war ich befreundet mit Alberto Mario; ich verehre sein Andenken
und trete mit ganzer Seele für die Ideen und Empfindungen ein, die ich mit
ihm gemein hatte. Und folglich bin ich den niedrigen anarchischen, un-
sozialen Faktionen rückhaltlos abgeneigt... Aus dieser meiner Abneigung
habe ich nie auch nur den geringsten Hehl gemacht. Vor einigen Jahren
habe ich auf einer Versammlung der Gesellschaft für Soziale Gleichheit in
Mantua folgendes gesagt: »Die Synthese Ihrer Tendenzen ist der Hass, die
Synthese der meinen ist die Liebe; darum bin ich nicht auf Ihrer Seite«.
Aber man wollte weiterhin glauben machen, dass ich mit dem unsozialen
Sozialismus von Mantua solidarisch wäre. So dass ich nicht umhin konnte
zu protestieren usw.« Der Brief wurde nachgedruckt in der »Gazzetta di
Mantova« (vom 10. Dezember 1883; die »Gazzetta« war eine konservative
Zeitung der extremen Rechten, damals herausgegebenen von A. Luzio),
mit einem weiteren überaus heftigen Nachsatz‘, weil die Widersacher ihm
seine Pfründe vorgehalten hatten usw.
Im Juli 1884 schreibt er an Luzio, »nichts könne ihn von der Zustim-
mung« zu dem ihm unterbreiteten Vorschlag »abbringen«, bei den Kommu-
nalwahlen in Mantua auf der Liste der Moderati zu kandidieren. Weiter
heißt es, er halte Luzio für »radikaler als viele sogenannte Demokraten...
Viele nennen sich Demokraten und sind nichts weiter als dumme Wirr-
köpfe...«’. Im Juni-August 1883 bediente er sich jedoch der sozialistischen
Zeitung »Il Moto« in Imola, um auf eine Reihe von anonymen Artikeln in
der liberalen (sie wird konservativ gewesen sein) Bologneser »Gazzetta
dell’Emilia« zu antworten, in denen es hieß, Ardigö sei ein frischgebackener
Liberaler, und wo er geistreich, wenn auch mit viel offenkundiger pole-
mischer Unredlichkeit, verspottet wurde. »Il Moto« von Imola verteidigt

‘* Lat.:»Ich hasse den gemeinen Pöbel und halte Abstand«.


Heft 16-$8 1805
Ardigö »natürlich« mit blankem Degen und preist ihn, ohne dass Ardigö
sich davon zu distanzieren sucht".

Unter all den abgedroschenen und banalen Gedanken ragt der über den
Historischen Materialismus (S. 271) heraus, der ohne Weiteres dem Artikel
über den Gesellschaftlichen Einfluss des Flugzeugs von A. Loria an die Seite
zu stellen ist. Hier der vollständige Gedanke: »Mit der materialistischen
Geschichtsauffassung will man eine natürliche (!) Entwicklung erklären,
welche nur teilweise und nur indirekt von ihr (sic) abhängt, wobei andere
wesentliche Koeffizienten vernachlässigt werden. Ich will das sogleich
erläutern. Das Tier kann nicht leben, wenn es keine Nahrung findet. Und
es kann sie sich verschaffen, weil in ihm das Hungergefühl entsteht, welches
es veranlasst, nach Nahrung zu suchen. Aber in einem Tier entstehen außer
dem Hungergefühl viele andere Gefühle, bezogen auf andere Vorgänge,
die ebenfalls auf es einwirken und es in Bewegung setzen. Es ist so, dass mit
der Nahrung ein vorhandener Organismus erhalten wird, der besondere
Verhaltensweisen besitzt, bei der einen Spezies diese, bei einer anderen
andere. Niederströmendes Wasser setzt eine Mühle in Bewegung, um
Mehl zu produzieren, und einen Webstuhl, um Tuch zu produzieren. Also
braucht die Mühle neben dem strömenden Wasser auch Korn zum Mahlen
und der Webstuhl Garnfäden zum Weben. Während durch die Bewegung
ein Organismus erhalten wird, so bestimmt die Umwelt mit ihren anders-
artigen Einflüssen (!?), wie wir sagten, viele funktionelle Abläufe, die nicht
unmittelbar von der Ernährung abhängen, sondern von der speziellen
Struktur des funktionierenden Apparats einerseits und von der Aktion,
d.h. von neu hinzukommenden Einflüssen aus der Umwelt, andererseits.
Ein Mensch zum Beispiel wird somit in mehrfachem Sinn angetrieben.
Und in jedem auf unwiderstehliche Weise. Er wird angetrieben vom
Hungergefühl, er wird angetrieben von anderen Gefühlen, die aufgrund
seiner speziellen Struktur hervorgerufen werden, und von den Empfin-
dungen und Vorstellungen, die in ihm durch äußere Handlung erzeugt
werden, sowie durch die empfangene Belehrung usw. usf. (sic). Er muss
dem ersten Gefühl gehorchen, ABER ER MUSS AUCH DEN ÜBRIGEN
GEHORCHEN, ob er will oder nicht. Und die Gleichgewichte, die sich
zwischen dem Impuls des ersten und dieser übrigen herstellen, gestalten
sich, was die resultierende Handlung anbelangt, überaus verschiedenartig,
gemäß einer endlosen Zahl von Umständen, die das eine der treibenden
Gefühle mehr zur Wirkung bringen als das andere. In einer Schweineherde
behält das Hungergefühl die Oberhand, bei einer Bevölkerung von
Menschen ist dies durchaus anders, weil sie auch andere Sorgen haben außer
der, sich zu mästen. Beim Menschen differenziert sich das Gleichgewicht
1806 Sechzehntes Heft

je nach den Anlagen, die sich in ihm herauszubilden vermochten, und


darum wird der Dieb bei Hungergefühl stehlen, der anständige Mensch
hingegen arbeiten: der Habgierige strebt, wenn er das Notwendige hat, um
den Hunger zu stillen, auch nach dem Nichtnotwendigen, und der Philo-
soph bescheidet sich damit und widmet sein Werk der Wissenschaft. Der
Antagonismus kann so groß sein, dass schließlich die Gefühle die Ober-
hand gewinnen, die sich von dem des Hungers unterscheiden, bis sie diese
tatsächlich verstummen lassen, bis zum Erdulden des Todes, usw. usf. (sic).
Die Kraft, aus der das Tier ist und agiert, ist die der Natur, die es erfasst und
es zwingt, in vielgestaltige Richtungen zu agieren, wobei sie sich in seinem
Organismus verschiedenartig verwandelt. Nehmen wir an, es sei das Son-
nenlicht, auf das man die materialistische Geschichtsauffassung zurück-
führen müsste, statt auf die ökonomische Vernunft. Auf das Sonnenlicht, so
verstanden, dass sich die Tatsache der triebgeleiteten Idealität des Men-
schen ebenfalls darauf zu beziehen vermag«’. (Ende).

Der Auszug wurde zum erstenmal in einer (vielleicht vom »Giornale


d’Italia« gedruckten) Sondernummer zugunsten des Roten Kreuzes im
Januar 1915 veröffentlicht. Er ist interessant nicht nur um zu zeigen, dass
Ardigö sich nie die Mühe gemacht hatte, sich direkt über das behandelte
Thema zu informieren, und lediglich ein paar von Fehlern strotzenden
Artikel in Provinzblättern gelesen hatte, sondern auch um die merk-
würdigen Meinungen zu dokumentieren, die in Italien über die »Frage des
Bauches« kursierten. Warum kursierte damals einzig in Italien diese merk-
würdige »bauchorientierte« Interpretation? Sie hängt unweigerlich mit
den Hungerbewegungen zusammen, aber so ist der Vorwurf der Bauch-
philosophie (ventraiolismo) demütigender für die Führer, die ihn machten,
als für die Regierten, die wirklich unter dem Hunger litten. Und immerhin
war Ardigö nicht der Erstbeste.

$(9). Einige Probleme in Bezug auf das Studium der Entwicklung der
Philosophie der Praxis. Die Philosophie der Praxis war ein Moment der
modernen Kultur; in gewissem Maße hat sie einige von deren Strömungen
bestimmt oder befruchtet. Die Untersuchung dieser sehr wichtigen und
bedeutungsvollen Tatsache ist von den sogenannten Orthodoxen vernach-
lässigt worden oder wird von ihnen sogar ignoriert, und zwar aus folgen-
dem Grund: weil die relevanteste philosophische Verbindung zwischen
der Philosophie der Praxis und verschiedenen idealistischen Tendenzen
zustandegekommen ist, was den essentiell an die besondere Kultur-
strömung des letzten Viertels des vorigen Jahrhunderts (Positivismus,
Heft 16-$8-$9 1807
Szientismus) gebundenen sogenannten Orthodoxen als ein Widersinn,
wenn nicht sogar als eine Gaunerei von Scharlatanen erschienen ist (dennoch
gibt es in Plechanows Essay über die Grundprobleme einige Hinweise auf
diese Tatsache, aber nur kurz gestreift und ohne irgendeinen Versuch
kritischer Erklärung)‘. Daher scheint es notwendig, die Fragestellung neu
zu bewerten, wie sie von Antonio Labriola versucht worden ist.

Folgendes ist geschehen: die Philosophie der Praxis hat tatsächlich


eine zweifache Revision durchgemacht, das heißt, sie ist in einer zwei-
fachen philosophischen Kombination untergeordnet worden. Einerseits
sind einige ihrer Elemente explizit oder implizit von einigen idealistischen
Strömungen (es genügt, Croce, Gentile, Sorel, selbst Bergson, [den Prag-
matismus] zu nennen) absorbiert und vereinnahmt worden; andererseits
haben die sogenannten Orthodoxen, denen daran lag, eine Philosophie zu
finden, die von ihrem sehr beschränkten Standpunkt umfassender wäre als
eine »einfache« Geschichtsinterpretation, sich für orthodox gehalten,
wenn sie diese grundsätzlich im traditionellen Materialismus ausmachten.
Eine andere Strömung ist zum Kantianismus zurückgekehrt (und man
kann außer dem Wiener Prof. Max Adler die beiden italienischen Profes-
soren Alfredo Poggi und Adelchi Baratono nennen). Im Allgemeinen lässt
sich beobachten, dass die Strömungen, die Kombinationen der Philoso-
phie der Praxis mit idealistischen Tendenzen versucht haben, zum größten
Teil solche »reiner« Intellektueller sind, während diejenige, welche die
Orthodoxie gebildet hat, aus intellektuellen Persönlichkeiten bestand, die
sich ausgesprochen mehr der praktischen Aktivität widmeten und daher
(mit mehr oder weniger äußerlichen Banden) mit breiten Volksmassen
verbunden waren (was die meisten von ihnen nicht daran gehindert hat,
Purzelbäume von nicht geringer politisch-geschichtlicher Bedeutung zu
schlagen). Diese Unterscheidung ist von großer Tragweite. Die »reinen«
Intellektuellen, als Ausarbeiter der weiter ausholenden Ideologien der
herrschenden Klassen, als Führer der intellektuellen Gruppen ihrer Länder,
kamen nicht umhin, sich wenigstens einiger Elemente der Philosophie der
Praxis zu bedienen, um ihre Konzeptionen robuster zu machen und den
übermäßigen spekulativen Philosophismus mit dem historischen Realismus
der neuen Theorie zu mäßigen, um das Arsenal der gesellschaftlichen
Gruppe, mit der sie verbunden waren, mit neuen Waffen auszustatten. Auf
der anderen Seite hatte die orthodoxe Tendenz mit der in den Volksmassen
am weitesten verbreiteten Ideologie zu kämpfen, dem religiösen Transzen-
dentalismus, und glaubte ihn nur mit dem gröbsten und banalsten Materia-
lismus zu überwinden, der ebenfalls eine nicht zu vernachlässigende Schicht
des Alltagsverstandes war, am Leben gehalten mehr als man glaubte und
1808 Sechzehntes Heft

glaubt von derselben Religion, die im Volk einen trivialen und niedrigen
Ausdruck hat, abergläubisch und voller Hexereien, wobei die Materie eine
nicht geringe Funktion hat.
Labriola unterscheidet sich von den einen wie von den anderen durch
seine (um die Wahrheit zu sagen, nicht immer sichere) Aussage, dass die
Philosophie der Praxis eine selbständige und ursprüngliche Philosophie
ist, die in sich selbst die Elemente für eine Weiterentwicklung enthält, um
aus einer Geschichtsinterpretation zu einer allgemeinen Philosophie zu
werden. Gerade in dieser Richtung gilt es zu arbeiten, Antonio Labriolas
Position entwickelnd, von der Rodolfo Mondolfos Bücher (soweit erinner-
lich) keine kohärente Weiterentwicklung zu sein scheinen. Mondolfo hat
anscheinend nie völlig den grundsätzlichen Standpunkt des Positivismus
eines Schülers von Roberto Ardigö aufgegeben. Das Buch von Mondoltfos
Schüler, Diambrini Palazzi (den Mondolfo in einem Vorwort vorstellt),
über die Philosophie Antonio Labriolas” ist ein Armutszeugnis, was Be-
griffe und Leitlinien der universitären Lehre von Mondolfo selbst betrifft.
Wieso hat die Philosophie der Praxis dieses Schicksal gehabt, mit ihren
Hauptelementen zur Bildung von Kombinationen sei es mit dem Idealismus
oder mit dem philosophischen Materialismus zu dienen? Die Forschungs-
arbeit ist unvermeidlich komplex und heikel: sie verlangt viel Feinheit in
der Analyse und intellektuelle Nüchternheit. Weil es sehr leicht ist, sich
von äußerlichen Ähnlichkeiten blenden zu lassen und die verborgenen
Ähnlichkeiten und die notwendigen, aber verdeckten Zusammenhänge zu
übersehen. Die Feststellung der Begriffe, welche die Philosophie der Praxis
den traditionellen Philosophien »überlassen« hat und dank derer diese einen
gewissen Moment der Verjüngung erfahren haben, muss mit viel kritischer
Vorsicht vollzogen werden und bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als
die Geschichte der modernen Kultur nach dem Wirken der Begründer der
Philosophie der Praxis zu schreiben. Die ausdrückliche Übernahme ist
offensichtlich nicht schwer [nachzuzeichnen], wenngleich auch sie kritisch
analysiert werden muss. Ein klassisches Beispiel stellt die crocianische
Reduktion der Philosophie der Praxis auf einen empirischen Kanon histo-
rischer Forschung dar, ein Konzept, das auch bei den Katholiken Eingang
gefunden (vgl. das Buch von Mons. Olgiati)' und zur Bildung der juristisch-
ökonomischen Schule der Geschichtsschreibung beigetragen hat, die auch
außerhalb Italiens Verbreitung gefunden hat. Aber die schwierigere und
heiklere Suche ist die nach den »impliziten«, uneingestandenen Über-
nahmen, zu denen es kam, weil die Philosophie der Praxis eben ein Moment
der modernen Kultur war, eine diffuse Atmosphäre, welche die alten
Denkweisen durch nicht offensichtliche oder nicht unmittelbare Aktionen
Heft 16-$9 1809
und Reaktionen verändert hat. Das Studium Sorels ist unter diesem
Gesichtspunkt besonders interessant, weil über Sorel und seinen Erfolg
diesbezüglich viele Anhaltspunkte gewonnen werden können; gleiches
kann von Croce gesagt werden. Aber die wichtigste Untersuchung scheint
diejenige der bergsonschen Philosophie und des Pragmatismus zu sein
[um zu sehen, wie weit bestimmte ihrer Positionen ohne das historische
Kettenglied der Philosophie der Praxis unvorstellbar wären].
Ein weiterer Aspekt der Frage ist die praktische Lehre in Politischer
Wissenschaft, welche die Philosophie der Praxis denselben Gegnern erteilt
hat, die sie vom Prinzip her bitter bekämpfen, so wie die Jesuiten theoretisch
Machiavelli bekämpften, obwohl sie in der Praxis seine besten Schüler
waren. In einer von Mario Missiroli in der Zeit, in der er Korrespondent
in Rom war (um 1925), in der »Stampa« veröffentlichten Meinungs-
äußerung heißt es ungefähr, es sei zu prüfen, ob die klügsten Industriellen
nicht zuinnerst davon überzeugt wären, dass die Kritische Ökonomie einen
sehr guten Einblick in ihre Angelegenheiten gewonnen hat, und sie sich
der so empfangenen Lehren bedienten'. All dies wäre keineswegs über-
raschend, denn wenn der Begründer der Philosophie der Praxis die Realität
genau analysiert hat, hat er nichts anderes getan, als das rational und
kohärent zu systematisieren, was die geschichtlichen Akteure dieser
Realität verworren und instinktiv empfanden und empfinden und dessen
sie sich im Anschluss an die gegnerische Kritik bewusster geworden sind.
Der andere Aspekt der Frage ist noch interessanter. Warum haben auch
die sogenannten Orthodoxen die Philosophie der Praxis mit anderen
Philosophien »kombiniert« und überwiegend mit der einen eher als mit
anderen? Was tatsächlich zählt, das ist die Kombination mit dem traditio-
nellen Materialismus; die Kombination mit dem Kantianismus hat nur
begrenzten Erfolg gehabt und dies nur bei engen intellektuellen Gruppen.
Zu diesem Thema ist Rosas Aufsatz über Fortschritte und Stillstand in der
Entwicklung der Philosophie der Praxis anzusehen, der notiert, wie die
Bestandteile dieser Philosophie sich in unterschiedlichem Maße entwickelt
haben, jedoch stets gemäß den Anforderungen der praktischen Aktivität”.
Die Begründer der neuen Philosophie wären also den Anforderungen ihrer
Zeit und auch der darauf folgenden weit vorausgeeilt, hätten ein Arsenal
mit Waffen angelegt, die, weil unzeitgemäß, noch nichts halfen und erst
mit der Zeit wieder aufpoliert worden wären. Die Erklärung ist ein wenig
verfänglich, insofern sie [großenteils] nichts tut, als die zu erklärende
Tatsache selbst in abstrahierter Form als Erklärung anzubieten, jedoch ist
etwas Richtiges an ihr, das sich vertiefen lässt. Einer der historischen
Gründe scheint in der Tatsache zu suchen zu sein, dass die Philosophie der
1810 Sechzehntes Heft

Praxis sich mit fremden Tendenzen verbünden musste, um die Überreste


der vorkapitalistischen Welt bei den Volksmassen zu bekämpfen, vor allem
auf religiösem Gebiet. Die Philosophie der Praxis hatte zwei Aufgaben: die
modernen Ideologien in ihrer raffiniertesten Form zu bekämpfen, um die
eigene Gruppe unabhängiger Intellektueller bilden zu können, und die
Volksmassen zu erziehen, deren Kultur mittelalterlich war. Diese zweite
Aufgabe, die angesichts des Charakters der neuen Philosophie grund-
legend war, hat alle Kräfte absorbiert, nicht nur quantitativ, sondern auch
qualitativ; aus »didaktischen« Gründen hat sich die neue Philosophie zu
einer Kulturform kombiniert, die der durchschnittlichen Popularkultur
(die sehr niedrig war) etwas überlegen war, aber absolut unangemessen
war, um die Ideologien der gebildeten Klassen zu bekämpfen, während die
neue Philosophie gerade entstanden war, um die höchste kulturelle
Erscheinung der Zeit zu überwinden, die klassische deutsche Philosophie,
und um eine eigene Intellektuellengruppe der neuen gesellschaftlichen
Gruppe hervorzurufen, deren Weltauffassung sie war. Andererseits gelingt
es der modernen Kultur, besonders der idealistischen, nicht, eine Popular-
kultur zu entwickeln, es gelingt ihr nicht, den eigenen Schulprogrammen,
die abstrakte und theoretische Schemata bleiben, einen moralischen und
wissenschaftlichen Gehalt zu geben; sie bleibt die Kultur einer begrenzten
intellektuellen Aristokratie, die zuweilen die Jugend nur insofern erfasst,
als sie unmittelbare und Gelegenheitspolitik wird.

Zu prüfen ist, ob diese Art der kulturellen »Schlachtordnung« nicht eine


geschichtliche Notwendigkeit ist und ob sich in der vergangenen Geschichte
bei Berücksichtigung der Bedingungen von Zeit und Ort nicht ähnliche
Schlachtordnungen finden. Das klassische, der Moderne vorausgehende
Beispiel ist zweifellos das der Renaissance in Italien und der Reformation
in den protestantischen Ländern. In dem Band Geschichte des barocken
Zeitalters in Italien schreibt Croce auf S. 11: »Die Bewegung der Renais-
sance war eine aristokratische, von erlesenen Kreisen geblieben, und selbst
in Italien, das ihre Mutter und Amme gewesen war, kam sie nicht über die
höfischen Kreise hinaus, drang nicht bis zum Volk vor, wurde nicht zur
Gewohnheit oder zum »Vorurteil«, das heißt zu kollektiver Überzeugung
und Glauben. Die Reformation hingegen besaß sehr wohl diese Wirksamkeit
des Eindringens ins Volk, aber sie bezahlte dafür mit einem Rückstand in
ihrer inneren Entfaltung, mit dem langsamen und mehrfach unterbrochenen
Reifen ihres Lebenskeims«. Und auf S.8:»Und Luther verwirft, gleich jenem
Humanisten, die Traurigkeit und feiert den Frohsinn, er verdammt den
Müßiggang und befiehlt die Arbeit; aber andererseits ist er zu Misstrauen
und Feindseligkeit gegenüber der Literatur und den Studien geneigt, so
Heft 16-$9 1811
dass Erasmus zu sagen vermochte: ubicumque regnat lutheranismus, ibi
literarum est interitus*; und gewiss war der deutsche Protestantismus,
wenn auch nicht allein aufgrund der Abneigung, in die sein Begründer
verfallen war, ein paar Jahrhunderte lang in den Studien, in der Kritik, in
der Philosophie so gut wie unfruchtbar. Die italienischen Reformatoren,
und vorzüglich diejenigen des Kreises um Juan de Valdes und ihre Freunde,
vereinigten hingegen mühelos Humanismus und Mystizismus, den Kult der
Studien mit moralischer Strenge. Auch der Kalvinismus, mit seiner gestrengen
Auffassung von Gnade und harter Zucht, hat die freie Forschung und den
Kult der Schönheit nicht begünstigt, doch ihm widerfuhr es, dass er, indem
er den Begriff der Gnade und den der Berufung interpretierte und ent-
wickelte und anpasste, zu einer kraftvollen Förderung des wirtschaftlichen
Lebens, der Produktion und der Vermehrung des Reichtums gelangte.«
Die lutherische Reformation und der Kalvinismus brachten dort, wo sie
Verbreitung fanden, eine breite national-populare Bewegung hervor, und erst
in nachfolgenden Perioden eine höhere Kultur; den italienischen Refor-
matoren gelangen keine großen historischen Erfolge. Zwar hat auch die
Reformation in ihrer höheren Phase notwendig die Weisen der Renaissance
übernommen und sich in dieser Form auch in den nichtprotestantischen
Ländern verbreitet, wo es die populare Inkubation nicht gegeben hatte;
doch hat die populare Entwicklungsphase den protestantischen Ländern
erlaubt, zäh und siegreich dem Kreuzzug der katholischen Heere zu wider-
stehen, und so entstand die deutsche Nation als eine der kraftvollsten des
modernen Europa. Frankreich wurde von den Religionskriegen zerrissen
mit dem Scheinsieg des Katholizismus, hatte aber eine große populare
Reform im achtzehnten Jahrhundert mit der Aufklärung, dem Voltairia-
nismus, der Enzyklopädie, welche der Revolution von 1789 vorausging und
sie begleitete; es handelte sich wirklich um eine intellektuelle und moralische
Reformation des französischen Volkes, vollständiger als die lutheranische
in Deutschland, weil sie auch die großen bäuerlichen Massen auf dem
Land erfasste, weil sie eine ausgesprochen laizistische Grundlage hatte und
versuchte, die Religion durch eine vollständig laizistische Ideologie in
Gestalt der nationalen und patriotischen Bindung zu ersetzen; doch nicht
einmal diese erfuhr eine unmittelbare Blüte hoher Kultur, außer für die
Politische Wissenschaft in Gestalt der positiven Rechtswissenschaft. (Vgl.
Hegels Vergleich der jeweiligen besonderen nationalen Formen, welche
dieselbe Kultur in Frankreich und Deutschland in der Epoche der Franzö-
sischen Revolution annahm; eine hegelsche Auffassung, die über eine
ziemlich lange Kette zu dem berühmten Vers Carduccis führte: »Im selben

* Lat.:»Wo der Lutheranismus herrscht, ist dies der Untergang der Wissenschaft«.
1812 Sechzehntes Heft

Glauben vereint hat Immanuel Kant Gott enthauptet - Maximilian


Robespierre den König«.)’

Eine Auffassung der Philosophie der Praxis als moderne populare


Reform” (denn diejenigen, die eine religiöse Reform in Italien erwarten,
eine italienische Neuauflage des Kalvinismus, wie Missiroli und Co.', sind
rein abstrakt Denkende) ist vielleicht von Georges Sorel ins Auge gefasst
worden, ein wenig (oder sehr) zersplittert, intellektualistisch, kraft einer
Art jansenistischen Furors gegen die Gemeinheiten des Parlamentarismus
und der politischen Parteien. Sorel hat von Renan das Konzept der Not-
wendigkeit einer intellektuellen und moralischen Reform übernommen,
er hat (in einem Brief an Missiroli) erklärt, dass große geschichtliche Bewe-
gungen oftmals (nicht) von einer modernen Kultur repräsentiert werden
usw.” Es scheint mir jedoch, dass eine solche Konzeption bei Sorel
impliziert ist, wenn er sich des Urchristentums als einer Vergleichsgröße
bedient, zwar sehr literatenhaft, jedoch mit mehr als einem Körnchen
Wahrheit, mit mechanischen und oft gekünstelten Bezügen, aber mit
manch tiefem Gedankenblitz. Die Philosophie der Praxis setzt diese
gesamte Vergangenheit voraus, die Renaissance und die Reformation, die
deutsche Philosophie und die französische Revolution, den Kalvinismus
und die klassische englische Ökonomie, den laizistischen Liberalismus
und den Historismus, welcher der gesamten modernen Lebensauffassung
zugrunde liegt. Die Philosophie der Praxis ist die Krönung dieser ganzen
intellektuellen und moralischen Reformbewegung, dialektisiert im Gegen-
satz zwischen Popularkultur und hoher Kultur. Sie entspricht dem Nexus
protestantische Reformation + Französische Revolution: sie ist eine Philo-
sophie, die auch eine Politik ist, und eine Politik, die auch eine Philosophie
ist. Noch macht sie ihre popularistische Phase durch: eine Gruppe unab-
hängiger Intellektueller hervorzurufen ist keine Kleinigkeit, es verlangt
einen langwierigen Prozess mit Aktionen und Reaktionen, mit Beitritten
und Auflösungen und zahlreichen und komplexen Neuformierungen: sie
ist die Auffassung einer subalternen gesellschaftlichen Gruppe ohne
geschichtliche Initiative, die sich fortwährend verbreitert, jedoch unorga-
nisch und ohne über ein gewisses qualitatives Niveau hinauszugelangen,
das immer diesseits des Besitzes der Staatsmacht ist, der wirklichen Aus-
übung der Hegemonie über die ganze Gesellschaft, was allein ein gewisses
organisches Gleichgewicht in der Entwicklung der Intellektuellengruppe
gewährt. Auch die Philosophie der Praxis ist »Vorurteil« und »Aberglaube«
geworden; so wie sie ist, ist sie die populare Seite des modernen Historismus,
enthält aber in sich ein Prinzip der Überwindung dieses Historismus. In
der Kulturgeschichte, die viel umfassender ist als die Philosophiegeschichte,
Heft 16-$9 1813
hat es jedesmal dann, wenn die Popularkultur aufgetaucht ist, weil eine
Phase sozialer Umwälzungen durchlaufen wurde und aus dem popularen
Ganggestein das Metall für eine neue Klasse ausgelesen wurde, ein Auf-
blühen von »Materialismus« gegeben; umgekehrt klammerten sich die
traditionellen Klassen gleichzeitig an den Spiritualismus. Hegel hat, auf der
Schwelle zwischen Französischer Revolution und Restauration, die beiden
Momente ım Leben des Denkens, Materialismus und Spiritualismus,
dialektisiert, aber die Synthese war »ein Mensch, der auf dem Kopf geht«”.
Hegels Fortsetzer haben diese Einheit zerstört, und man ist zu den materia-
listischen Systemen auf der einen und zu den spiritualistischen auf der
anderen Seite zurückgekehrt. Die Philosophie der Praxis hat in der Gestalt
ihres Begründers diese ganze Erfahrung des Hegelianismus, Feuerbachia-
nismus, französischen Materialismus noch einmal durchlebt - um die
Synthese der dialektischen Einheit zu rekonstruieren: »den Menschen, der
auf den Beinen geht«. Das Auseinanderreißen, zu dem es beim Hegelianis-
mus gekommen ist, hat sich bei der Philosophie der Praxis wiederholt, das
heißt, von der dialektischen Einheit ist man zurückgekehrt zum philoso-
phischen Materialismus auf der einen Seite, während die moderne idea-
listische Hochkultur versucht hat, sich das einzuverleiben, was ihr an
der Philosophie der Praxis unverzichtbar war, um ein neues Elixier zu
gewinnen. »Politisch« steht die materialistische Auffassung dem Volk nah,
dem Alltagsverstand; sie ist eng mit vielen Glaubensvorstellungen und
Vorurteilen verbunden, so gut wie mit allem Aberglauben des Volkes
(Hexereien, Geister usw.). Das sieht man beim Katholizismus des Volkes
und besonders bei der byzantinischen Orthodoxie. Die Volksreligion ist
krass materialistisch, die offizielle Religion der Intellektuellen versucht
jedoch zu verhindern, dass sich zwei unterschiedliche Religionen bilden,
zwei getrennte Schichten, um sich nicht von den Massen zu lösen, um
nicht auch offiziell, wie es wirklich der Fall ist, eine Ideologie begrenzter
Gruppen zu werden. Aber unter diesem Gesichtspunkt darf man die
Haltung der Philosophie der Praxis nicht mit der des Katholizismus
durcheinanderbringen. Während jene einen dynamischen Kontakt unterhält
und bestrebt ist, fortwährend neue Schichten der Massen zu einem höheren
kulturellen Leben emporzuheben, ist diese bestrebt, einen rein mecha-
nischen Kontakt aufrechtzuerhalten, eine äußerliche Einheit, die besonders
auf der Liturgie und den Kult gründet, der spektakulärer suggestiv auf die
großen Massen wirkt. Viele ketzerische Versuche waren Äußerungen
popularer Kräfte, die Kirche zu reformieren und dem Volk anzunähern,
das Volk aufrichtend. Die Kirche hat oftmals in äußerst gewaltsamer Form
Jesu geschaffen, hat sich mit den Beschlüssen
reagiert, hat die Gesellschaft
des Tridentinischen Konzils gewappnet, obschon sie einen wunderbaren
1814 Sechzehntes Heft

Mechanismus »demokratischer« Religion ihrer Intellektuellen organisiert


hatte, aber als einzelner Intellektueller, nicht als repräsentativen Ausdruck
popularer Gruppen. In der Geschichte der kulturellen Entwicklungen muss
man in besonderem Maße die Organisation der Kultur und das Personal,
in dem diese Organisation konkrete Gestalt annimmt, berücksichtigen. In
dem Band von G. De Ruggiero über Renaissance und Reformation kann
man sehen, wie die Einstellung sehr vieler Intellektueller mit Erasmus an der
Spitze war: sie beugten sich angesichts der Verfolgungen und der Scheiter-
haufen”. Der Träger der Reformation ist deswegen gerade das deutsche
Volk in seiner Gesamtheit gewesen, als Volk ohne Unterschied, nicht die
Intellektuellen. Genau diese Fahnenflucht der Intellektuellen angesichts
des Feindes erklärt die »Unfruchtbarkeit« der Reformation in Bezug auf
die unmittelbare Sphäre der hohen Kultur, bis sich aus der treu gebliebenen
Volksmasse langsam eine neue Gruppe von Intellektuellen durch Auslese
herausbildet, die in der klassischen Philosophie gipfelt. Etwas Ähnliches ist
bislang auch mit der Philosophie der Praxis geschehen; die auf ihrem Terrain
herangebildeten großen Intellektuellen waren nicht nur wenig zahlreich,
sondern überdies nicht volksverbunden, wuchsen nicht aus dem Volk
heraus, sondern waren der Ausdruck traditioneller Mittelklassen, zu
denen sie in den großen geschichtlichen »Wenden« zurückkehrten; andere
blieben, jedoch um die neue Konzeption einer systematischen Revision zu
unterziehen, nicht um für deren autonome Entwicklung zu sorgen. Die
Behauptung, dass die Philosophie der Praxis eine neue, selbständige,
originale Konzeption ist, auch wenn sie ein Moment der welthistorischen
Entwicklung ist, ist die Behauptung von der Selbständigkeit und Ursprüng-
lichkeit einer neuen, heranreifenden Kultur, die sich mit der Entfaltung
der gesellschaftlichen Verhältnisse entfalten wird. Was von Mal zu Mal
existiert, ist eine wechselnde Kombination von Altem und Neuem, ein
dem Gleichgewicht der gesellschaftlichen Verhältnisse entsprechendes
momentanes Gleichgewicht der kulturellen Verhältnisse. Erst nach der
Schaffung des Staates stellt sich das kulturelle Problem in seinem ganzen
Umfang und strebt einer kohärenten Lösung zu. Jedenfalls muss die der
Staatsbildung vorausgehende Haltung unweigerlich kritisch-polemisch und
kann niemals dogmatisch sein, sie muss eine romantische Haltung sein, doch
von einer Romantik, die bewusst ihrer gediegenen Klassizität zustrebt.

Anmerkung I. Die Restaurationszeit untersuchen als Zeit der Heraus-


arbeitung aller modernen historistischen Lehren einschließlich der Philoso-
phie der Praxis, die ihre Krönung ist und im übrigen gerade am Vorabend
von (18)48 ausgearbeitet wurde, als die Restauration allseitig zusammen-
brach und der Pakt der Heiligen Allianz in Scherben fiel. Bekanntlich ist
Heft 16-$9 1815
Restauration nur ein metaphorischer Ausdruck; in Wirklichkeit gab es
keine tatsächliche Restauration des Ancien Regime, sondern nur eine
Neuordnung der Kräfte, bei der die revolutionären Errungenschaften der
Mittelklassen begrenzt und kodifiziert wurden. Der König in Frankreich
und der Papst in Rom wurden Oberhäupter der jeweiligen Parteien und
nicht mehr unumstrittene Repräsentanten Frankreichs oder der Christen-
heit. Die Stellung des Papstes war besonders erschüttert, und von hier
nımmt die Bildung permanenter Organismen der »militanten Katholiken«
ihren Ausgang, die nach weiteren Zwischenstationen - 1848-49, 1861 (als
es zur ersten Auflösung des Pontifikalstaates kam mit der Annexion der
emilianischen Legationen'””), 1870 und die Nachkriegszeit zu der mäch-
tigen Organisation der Katholischen Aktion wurden, mächtig, doch in
defensiver Position. Die historistischen Theorien der Restauration setzen
sich den abstraktistischen und utopistischen Ideologien des achtzehnten
Jahrhunderts entgegen, die als proletarische Philosophie, Ethik und Politik
weiterleben und bis 1870 vor allem in Frankreich verbreitet sind. Die Philo-
sophie der Praxis setzt sich diesen popularen Konzeptionen ä la 18. Jahr-
hundert als Philosophie der Masse in allen ihren Formen entgegen, von
den kindlicheren bis hin zu derjenigen von Proudhon, bei dem sich etwas
vom konservativen Historismus einnistete und der anscheinend der fran-
zösische Gioberti genannt werden kann, aber einer der Volksklassen wegen
der verhältnismäßigen Rückständigkeit der italienischen Geschichte im Ver-
gleich zur französischen, wie sich in der 1848er Zeit zeigt. Wenn die
konservativen Historiker als Theoretiker des Alten gut plaziert sind, um
den utopistischen Charakter der verknöcherten jakobinischen Ideologie
zu kritisieren, sind die Philosophen der Praxis besser plaziert, um die
wirkliche geschichtliche und nicht abstrakte Bedeutung, die der Jakobinis-
mus als schöpferisches Element der neuen französischen Nation gehabt
hat, zu würdigen, das heißt als Tatsache von in bestimmte Umstände ein-
geschriebene und nicht zum Idol erhobenen Aktivitäten, oder aber um die
geschichtliche Aufgabe dieser selben Konservativen zu würdigen, die in
Wirklichkeit verschämte Kinder der Jakobiner waren, auch wenn sie deren
Auswüchse verdammten, während sie sorgsam deren Erbe verwalteten.
Die Philosophie der Praxis beanspruchte nicht nur, die gesamte Vergangen-
heit zu erklären und zu rechtfertigen, sondern auch sich selbst historisch
zu erklären und zu rechtfertigen, das heißt, sie war maximaler »Historis-
mus«, die totale Befreiung von jeglichem abstrakten »Ideologismus«, dıe
wirkliche Eroberung der geschichtlichen Welt, der Beginn einer neuen
Kultur.
1816 Sechzehntes Heft

$(10). Die Religion, das Lotto und das Opium des Elends. Julien
Lachelier, französischer Philosoph (über ihn siehe das Vorwort G. De
Ruggieros zu dem Band desselben Lachelier, Psychologie und M etaphysik,
Bari, Laterza, 1915) hat eine Anmerkung (eine »scharfsinnige«, sagt De
Ruggiero) über Pascals »Wette« verfasst, veröffentlicht in dem Band Über
die Grundlage der I nduktion” (Paris, Alcan, in der »Bibliothek der Philo-
sophie der Gegenwart«)'. Der Haupteinwand gegen den von Pascal ge-
gebenen Ansatz des religiösen Problems in der »Wette« ist derjenige der
»intellektuellen Loyalität« sich selbst gegenüber. Die ganze Auffassung
der »Wette« scheint, soweit ich mich erinnere, der Moral der Jesuiten näher
zu sein als der der Jansenisten, zu »merkantil« zu sein, usw. (vgl. im vorher-
gehenden Heft weitere Notizen zu diesem Thema)‘.

$(11). Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Der »Vorwärts« vom


14. Juni 1929 schreibt ın einem Artikel über das Konkordat zwischen dem
Vatıkan und Preußen, dass »Rom der Meinung war, sie (die vorherige
Rechtsregelung, die de facto bereits ein Konkordat darstellte) sei infolge
der politischen Veränderungen, die in Deutschland stattgefunden haben,
hinfällig«'. Dieser vom Vatikan zugegebene, sogar auf seine Initiative hin
bekräftigte Grundsatz kann sehr weitreichend sein und unabsehbare
politische Folgen haben.
In der »Vossischen Zeitung« vom 18. Juni 1929 stellte der preußische
Finanzminister Höpker-Aschoff die gleiche Frage folgendermaßen: »Eben-
sowenig ist es möglich, der These Roms ihre Stichhaltigkeit abzuerkennen,
die angesichts der zahlreichen eingetretenen politischen und territorialen
Veränderungen verlangte, dass die Vereinbarungen den neuen Verhältnissen
angepasst werden sollten«. Im selben Artikel erinnert Höpker-Aschoff
daran, dass »der preußische Staat sich immer wieder darauf berufen hat,
dass die Vereinbarungen von 1821 noch in Kraft seien«’. Für den Vatikan,
so scheint es, waren der Krieg von 1870 mit seinen territorialen und poli-
tischen Verschiebungen (Vergrößerung Preußens, Bildung des deutschen
Reiches unter preußischer Hegemonie) und die Zeit des Kulturkampfs*
keine »Verschiebungen« von der Art, dass sie »neue Verhältnisse« darstell-
ten, während wesentliche Verschiebungen diejenigen gewesen wären, die
nach dem großen Krieg eingetreten sind. Verändert hat sich offensichtlich
das juristische Denken des Vatikans, und es könnte sich entsprechend den
politischen Rücksichten erneut ändern.

* Deutsch im Original.
Heft 16-$10-$11 1817
»Mit 1918 kam es zu einer höchst bedeutsamen Neuerung in unserem
Recht, einer Neuerung, die seltsamerweise (es gab 1918 freilich die Presse-
zensur!) keinerlei Beachtung fand: der Staat begann wieder, den katholi-
schen Kult finanziell zu unterstützen, und gab nach dreiundsechzig Jahren
das Cavoursche Prinzip auf, das dem sardischen Gesetz vom 29. Mai 1855
zugrunde gelegt worden war: der Staat darf keinerlei Kult finanziell unter-
stützen«. A.C. Jemolo in dem Artikel Religion des Staates und anerkannte
Konfessionen, in »Nuovi Studi di Diritto, Economia, Politicas, Jahrgang
1930, 5.30. Die Neuerung wurde eingeführt mit [Statthalter-]Erlassen* vom
17. März 1918, Nr. 396, und 9. Mai 1918, Nr. 655. In diesem Zusammen-
hang verweist Jemolo auf die Bemerkung von D. Schiappoli, Die jüngsten
ökonomischen Maßnahmen zugunsten des Klerus, Neapel, 1922, entnom-
men dem Band XLVII der Sitzungsberichte der Königl. Akademie der
moralischen und politischen Wissenschaften von Neapel’.

(Konkordate und internationale Verträge). Die Kapitulation des moder-


nen Staates, die durch die Konkordate zustandekommt, wird maskiert,
indem Konkordate und internationale Verträge verbal gleichgesetzt werden.
Aber ein Konkordat ist kein gewöhnlicher internationaler Vertrag: im
Konkordat kommt es de facto zu einem Souveränitätseingriff in ein einziges
Staatsgebiet, denn alle Artikel eines Konkordats beziehen sich auf die
Staatsbürger eines einzigen der Vertragsstaaten, über welche die Hoheits-
gewalt eines fremden Staates bestimmte Rechte und Befugnisse der
Rechtsprechung rechtfertigt und fordert (wenn auch einer bestimmten
speziellen Rechtsprechung). Welche Befugnisse hat das Reich** über die
Vatikanstadt kraft des jüngsten Konkordats erlangt? Und ferner gibt die
Gründung der Vatikanstadt der juristischen Fiktion, das Konkordat sei ein
gewöhnlicher zweiseitiger internationaler Vertrag, einen Anschein von
Legitimität. Aber Konkordate wurden auch geschlossen, bevor es die
Vatikanstadt gab, was bedeutet, dass das Territorium nicht wesentlich ist
für die päpstliche Autorität (zumindest unter diesem Gesichtspunkt). Einen
Anschein, denn während das Konkordat die staatliche Autorität einer der
vertragschließenden Seiten auf ihrem eigenen Territorium einschränkt und
ihre Gesetzgebung und ihre Verwaltung beeinflusst und bestimmt, wird
keinerlei Einschränkung für das Territorium der anderen Seite angedeutet:
wenn es eine Einschränkung für diese andere Seite gibt, bezieht sie sich
auf die auf dem Gebiet des ersten Staates entfaltete Aktivität, sei es von
seiten der Staatsbürger der Vatikanstadt, sei es von seiten der Staatsbürger

* Im Original: »D.L.« = Decreti Legge, Erlasse oder Verordnungen mit Gesetzescharakter.


** Deutsch im Original.
1818 Sechzehntes Heft

des anderen Staates, die sich durch die Vatikanstadt repräsentieren lassen.
Das Konkordat ist folglich die ausdrückliche Anerkennung einer doppelten
Souveränität auf ein und demselben Staatsgebiet. Es handelt sich zwar nicht
mehr um dieselbe übernationale Form von Souveränität (suzerainete*), die
dem Papst im Mittelalter bis zu den absoluten Monarchien und in anderer
Form auch danach bis 1848 formell zuerkannt war, aber sie ist ein davon
abgeleiteter notwendiger Kompromiss. Im übrigen gingen, auch in den
glänzendsten Zeiten des Papsttums und seiner übernationalen Gewalt, die
Dinge nicht immer ganz glatt: die päpstliche Oberhoheit, wenn auch
rechtlich anerkannt, wurde de facto häufig sehr scharf angegriffen, und im
besten Fall beschränkte sie sich auf die politischen, ökonomischen und
steuerlichen Privilegien des Episkopats der einzelnen Länder.
Die Konkordate greifen auf grundlegende Weise den Autonomie-
charakter der Souveränität des modernen Staates an. Erhält der Staat eine
Gegenleistung? Gewiss, aber er erhält sie auf seinem eigenen Territorium
bezüglich seiner eigenen Staatsbürger. Der Staat (und in diesem Fall müsste
man eher sagen die Regierung) hat davon, dass die Kirche die Ausübung
der Gewalt nicht behindert, sie vielmehr begünstigt und unterstützt, so
wie eine Krücke einen Invaliden stützt. Die Kirche verpflichtet sich also
gegenüber einer bestimmten Regierungsform (die von außen bestimmt ist,
wie das Konkordat selbst dokumentiert), den Konsens eines Teils der
Regierten zu befördern, von dem der Staat explizit eingesteht, dass er ihn
nicht mit eigenen Mitteln erlangen kann: eben darin besteht die Kapitu-
lation des Staates, weil dieser de facto der Vormundschaft einer äußeren
Souveränität zustimmt, deren Überlegenheit er praktisch anerkennt. Das
Wort »Konkordat« selbst ist dafür symptomatisch. Die in den »Nuovi
Studi« veröffentlichten Artikel über das Konkordat gehören zu den interes-
santesten und eignen sich leichter zur Widerlegung’. (An den »Vertrag«
erinnern, dem sich die Georgische demokratische Republik nach der
Niederlage General Denikins unterwerfen musste)“.
Aber was bedeutet, auch in der modernen Welt, praktisch die in einem
Staat durch die Konkordatsbeschlüsse geschaffene Situation? Sie bedeutet
die öffentliche Anerkennung bestimmter politischer Privilegien für eine
Kaste von Bürgern desselben Staates. Die Form ist nicht mehr die mittel-
alterliche, aber die Substanz ist dieselbe. In der Entwicklung der modernen
Geschichte hatte die Kaste erlebt, wie ein Monopol auf die gesellschaftliche
Funktion, die ihre Existenz erklärte und rechtfertigte, das Monopol der Bil-
dung und der Erziehung, angegriffen und zerstört wurde. Das Konkordat

* Frz.:»Lehensherrlichkeit«.
Heft 16-$11 1819
erkennt dieses Monopol erneut an, wenn auch gemildert und kontrolliert,
da es der Kaste Ausgangspositionen und -bedingungen sichert, die sie aus
ihren eigenen Kräften, mit dem ihrer Weltauffassung innewohnenden
Festhalten an der tatsächlichen Wirklichkeit, nicht aufrechterhalten und
haben könnte.

Man versteht folglich den heimlichen und schmutzigen Kampf der welt-
lichen und laizistischen Intellektuellen gegen die Kasten-Intellektuellen,
um ihre Autonomie und ihre Funktion zu retten. Ihre innerliche Kapitu-
lation und ihre Distanz zum Staat ist jedoch nicht zu leugnen. Der ethische
Charakter eines konkreten Staates, eines bestimmten Staates, wird definiert
durch seine wirkliche Gesetzgebung und nicht durch die Polemiken der
Heckenschützen der Kultur. Wenn diese behaupten: der Staat sind wir,
behaupten sie nur, dass der sogenannte Einheitsstaat eben nur ein »soge-
nannter« ist, weil es in ihm de facto eine sehr schwerwiegende Spaltung
gibt, um so schwerwiegender, als sie durch die Gesetzgeber und Regie-
renden selbst implizit behauptet wird, die in der Tat sagen, dass der Staat
gleichzeitig zweierlei sei: derjenige der geschriebenen und angewandten
Gesetze und derjenige der Bewusstseine, die innerlich jene Gesetze nicht
als wirksam anerkennen und sie ihres ethischen Inhalts auf schmutzige
Weise zu entleeren (oder doch in der Anwendung zu begrenzen) suchen.
Es handelt sich um einen Machiavellismus kleiner Politikaster; die
Philosophen des aktualen Idealismus, besonders der Abteilung dressierte
Papageien der »Nuovi Studi«, können sich die erlauchtesten Opfer des
Machiavellismus nennen. Nützlich ist das Studium der Arbeitsteilung, die
sich zwischen der Kaste und den weltlichen Intellektuellen herzustellen
sucht: der ersteren wird die intellektuelle und moralische Ausbildung der
Jüngsten überlassen (Grund- und Mittelschulen“”), den letzteren die weite-
re Entwicklung der Jugendlichen an der Universität. Aber die universitäre
Schule ist nicht demselben Monopolregime unterworfen, dem dagegen die
Grund- und Mittelschule untersteht. Es gibt die Universitä del Sacro Cuore,
und es können weitere, den staatlichen Universitäten vollständig gleich-
gestellte katholische Universitäten organisiert werden. Die Folgen sind
offensichtlich: die Grund- und Mittelschule ist die Schule des Volkes und
des Kleinbürgertums, soziale Schichten, deren Erziehung von der Kaste
monopolisiert wird, da die große Mehrheit ihrer Angehörigen nicht bis
zur Universität gelangt, d.h. die moderne Erziehung in ihrer höheren,
historisch-kritischen Phase nicht kennenlernt, sondern lediglich die dog-
matische Erziehung kennenlernt. Die Universität ist die eigentliche Schule
der führenden Klasse (und des führenden Personals), sie ist der Mechanis-
mus, durch den die Auswahl der Individuen der anderen Klassen erfolgt,
1820 Sechzehntes Heft

die in das Regierungs-, Verwaltungs- und Führungspersonal inkorporiert


werden sollen. Aber mit dem Bestehen katholischer Universitäten, bei
Gleichheit der Bedingungen, wird auch die Ausbildung dieses Personals
nicht mehr einheitlich und homogen sein. Nicht nur dies: sondern die Kaste
wird an den eigenen Universitäten eine Konzentration religiös-weltlicher
Bildung herstellen, wie sie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr begegnete, und
wird sich de facto in einer sehr viel besseren Lage befinden als die staatlich-
weltliche Konzentration. Tatsächlich ist die organisatorische Effizienz der
Kirche, die als ganze wie ein Block die eigene Universität unterstützt, nicht
einmal entfernt vergleichbar mit der organisatorischen Effizienz der welt-
lichen Bildung. Wenn der Staat (auch im weiteren Sinne von Zivilgesell-
schaft) sich nicht in einer Organisation der Bildung gemäß einem zentra-
lisierten Plan zum Ausdruck bringt und dies auch gar nicht kann, weil seine
Gesetzgebung in religiösen Dingen so ist, wie sie ist, und seine Zweideutig-
keit der Kirche nur von Vorteil sein kann, angesichts der massiven Struktur
derselben und des relativen und absoluten Gewichts, das von einer so
homogenen Struktur ausgeht, und wenn die Titel der beiden Universitäts-
typen gleichgestellt werden, ist offensichtlich, dass die Tendenz dahin gehen
wird, dass die katholischen Universitäten der Mechanismus zur Auslese
der intelligentesten und fähigsten Elemente der unteren Klassen sind, die
in das Führungspersonal eingefügt werden sollen. Diese Tendenz werden
begünstigen: die Tatsache, dass es keinen erzieherischen Bruch zwischen
den Mittelschulen und der katholischen Universität gibt, während es einen
solchen Bruch bei den staatlich-weltlichen Universitäten gibt; die Tatsache,
dass die Kirche in ihrer ganzen Struktur bereits eingerichtet ist für diese
Arbeit der Ausbildung und Auslese von unten. Die Kirche ist unter diesem
Gesichtspunkt ein vollkommen demokratischer Organismus (im pater-
nalistischen Sinn): der Sohn eines Bauern oder eines Handwerkers, wenn
intelligent und fähig, und wenn ausreichend gefügig, um sich von der
kirchlichen Struktur assimilieren zu lassen und ihren besonderen Korps-
und Beharrungsgeist sowie die Triftigkeit der gegenwärtigen und künftigen
Interessen nachzuvollziehen, kann theoretisch Kardinal und Papst werden.
Wenn in der hohen Kirchenhierarchie die demokratische Herkunft weniger
häufig ist als sie es sein könnte, hat das komplexe Gründe, bei denen nur
teilweise der Druck der großen aristokratischen katholischen Familien
oder die (internationale) Staatsräson hineinspielt: ein sehr gewichtiger
Grund ist, dass viele Seminare ziemlich schlecht ausgestattet sind und dem
intelligenten Mann aus dem Volk keine vollständige Erziehung geben
können, während der arıstokratische junge Mann schon aus dem familiären
Umfeld ohne Lernanstrengung eine Reihe von Haltungen und Eigen-
schaften mitbekommt, die von erstrangiger Bedeutung für die kirchliche
Heft 16-$11 1821

Karriere sind: die ruhige Sicherheit der eigenen Würde und Autorität und
die Kunst, mit den anderen umzugehen und sie zu regieren.
Ein Grund für die Schwäche der Kirche in der Vergangenheit bestand
darin, dass die Religion wenige Karrieremöglichkeiten außerhalb der
kirchlichen Karriere hergab: der Klerus selbst hatte sich qualitativ ver-
schlechtert durch die »spärlichen Berufungen« bzw. durch die Berufungen
von intellektuell nur subalternen Elementen. Diese Krise war bereits vor
dem Krieg deutlich sichtbar: sie war ein Aspekt der allgemeinen Krise der
Laufbahnen mit festem Einkommen mit langsamen und schwerfälligen
Personalbeständen, d.h. der sozialen Unruhe in der subalternen intellek-
tuellen Schicht (Grundschullehrer, Mittelschullehrer, Priester, usw.), in der
sich die Konkurrenz der an die Entwicklung der Industrie und der privat-
kapitalistischen Organisation im allgemeinen gebundenen Berufe (des
Journalismus z.B., der viele Lehrer absorbiert, usw.) bemerkbar machte.
Schon hatte die Invasion der Lehrerseminare und der Universitäten von
seiten der Frauen begonnen, und, mit den Frauen, der Priester, denen die
Kurie (nach den Credaro-Gesetzen) nicht verbieten konnte, ein öffentliches
Diplom zu erwerben, das es erlaubte, sich um staatliche Anstellungen zu
bewerben und so die individuelle »Finanzlage« aufzubessern. Viele dieser
Priester verließen, kaum dass sie das öffentliche Diplom erhalten hatten,
die Kirche (während des Krieges erlangte diese Erscheinung einen gewissen
Umfang aufgrund der Mobilisierung und der Berührung mit weniger be-
drückenden und beschränkten Lebensumständen als den kirchlichen). Die
kirchliche Organisation erlitt folglich eine konstitutionelle Krise, die
ihrer Macht‘ zum Verhängnis hätte werden können, wenn der Staat seine
Position der Laizität vollständig aufrechterhalten hätte, auch ohne eines
aktiven Kampfes zu bedürfen. Im Kampf zwischen den Lebensformen
war die Kirche dabei, im Selbstlauf unterzugehen, aus eigener Erschöpfung.
Der Staat rettete die Kirche. Die wirtschaftliche Lage des Klerus wurde
wiederholt verbessert, während der allgemeine Lebensstandard, speziell
jedoch der Mittelschichten, sich verschlechterte. Die Verbesserung war
derart, dass die »Berufungen« sich wunderbar vermehrt haben und selbst
den Papst beeindruckten, der sie eben mit der neuen wirtschaftlichen Lage
erklärte”. Die Grundlage für die Auslese der zum Priesterstand Geeigneten
wurde folglich erweitert und erlaubte größere Strenge und höhere An-
sprüche an Bildung.
Aber wenn die kirchliche Laufbahn die stabilste Grundlage der Macht des
Vatikans ist, erschöpfen sich seine Möglichkeiten doch nicht darin. Die neue
Schulstruktur erlaubt, dass in das weltliche Führungspersonal katholische
Zellen eindringen, die immer stärker werden, Elemente, die ihre Stellung
1822 Sechzehntes Heft

allein der Kirche verdanken werden. Es ist denkbar, dass die klerikale Infil-
tration ins Gefüge des Staates nach und nach zunehmen wird, denn in der
Kunst, die Individuen auszuwählen und sie dauerhaft an sich zu binden,
ist die Kirche fast unschlagbar. Wenn sie die Gymnasien und die anderen
Mittelschulen über ihre Vertrauensleute kontrolliert, wird sie mit der ihr
eigenen Hartnäckigkeit den tüchtigsten jungen Leuten der armen Klassen
nachstellen und ihnen helfen, die Studien an den katholischen Universitäten
fortzusetzen. Stipendien, finanziell unterstützt von Konvikten, mit der
äußersten Sparsamkeit an den Universitäten organisiert, werden diese
Aktion ermöglichen. Die Kirche kann sich in ihrer heutigen Phase, mit
dem vom gegenwärtigen Papst der Katholischen Aktion gegebenen Anstoß,
nicht allein damit bescheiden, Priester hervorzubringen; sie will den Staat
durchdringen (an die von Bellarmin ausgearbeitete Theorie der indirekten
Regierung erinnern’‘), und dafür sind die Laien nötig, ist eine Konzen-
tration katholischer Bildung nötig, die von Laien repräsentiert wird. Viele
Persönlichkeiten können als Universitätsprofessoren, als hohe Verwal-
tungsbeamte, usw. wertvollere Helfer der Kirche werden denn als Kardinäle
oder Bischöfe.
Bei erweiterter Grundlage für die Auswahl der »Berufungen« hat eine
solche kulturell-weltliche Aktivität große Möglichkeiten der Ausdehnung.
Die Universitä del Sacro Cuore und das neuscholastische Zentrum sind
nur die ersten Zellen dieser Arbeit. Indes war der Philosophiekongress von
1929 symptomatisch: hier prallten aktuale Idealisten und Neuscholastiker
aufeinander, und letztere nahmen, beseelt von kämpferischem Eroberungs-
geist, am Kongress teil‘. Die neuscholastische Gruppe wollte nach dem
Konkordat gerade kämpferisch, selbstbewusst erscheinen, um die Jugend-
lichen zu interessieren. Man muss berücksichtigen, dass eine der Stärken
der Katholiken darin besteht, dass sie auf die sendgültigen Widerlegungen«
ihrer nicht-katholischen Gegner pfeifen: die widerlegte These nehmen sie
unbeirrt wieder auf, wie wenn nichts gewesen wäre, Die intellektuelle
»Uneigennützigkeit«, die wissenschaftliche Loyalität und Ehrlichkeit ver-
stehen sie nicht oder verstehen sie als Schwäche und Einfalt der anderen.
Sie setzen auf die Macht ihrer Weltorganisation, die auftritt, als wäre sie ein
Wahrheitsbeweis, und auf die Tatsache, dass die große Mehrheit der Bevöl-
kerung noch nicht »modern« ist, noch ptolemäisch ist in der Auffassung
der Welt und der Wissenschaft.

Wenn der Staat darauf verzichtet, aktives und zwar permanent aktives
Zentrum einer eigenen, autonomen Kultur zu sein, kann die Kirche nur
substantiell triumphieren. Aber der Staat greift nicht nur als autonomes
Zentrum nicht ein, sondern vernichtet jeden Widersacher der Kirche,
Heft 16-$11 1823
der in der Lage wäre, ihre geistliche Herrschaft über die Menge einzu-
schränken.
Es lässt sich voraussehen, dass die Konsequenzen aus einer solchen
Sachlage, bei gleichbleibendem allgemeinem Rahmen der Umstände, von
- größter Bedeutung sein können. Die Kirche ist ein noch unerbittlicherer
Shylock als der Shylock bei Shakespeare: sie wird ihr Pfund Fleisch wollen,
auch wenn ihr Opfer dabei verblutet, und mit Hartnäckigkeit wird sie, ihre
Methoden kontinuierlich verändernd, bestrebt sein, ihr Maximalpro-
gramm zu erfüllen. Mit Disraeli zu sprechen sind die Christen die intelligen-
teren Juden, die verstanden haben, wie man es anstellen musste, um die
Welt zu erobern’. Mit der Widerlegung ihrer theoretischen Postulate auf
philosophischer Ebene und mit den platonischen Beteuerungen einer
staatlichen Autonomie (die nicht militant ist) kann die Kirche nicht auf
ihre »normale« Stärke zurückgebracht werden: vielmehr allein durch
alltägliches praktisches Handeln, mit der Hebung der schöpferischen
menschlichen Kräfte auf dem ganzen Gebiet der Gesellschaft.
Ein Aspekt der Frage, der gut erwogen werden muss, ist der der finan-
ziellen Möglichkeiten des vatikanischen Zentrums. Die in ständiger Ent-
wicklung begriffene Organisation des Katholizismus in den Vereinigten
Staaten gibt die Möglichkeit, sehr ansehnliche Beträge zusammenzubringen,
neben den nunmehr gesicherten normalen Renditen (die jedoch ab 1937
jährlich um 15 Millionen schrumpfen werden wegen der Umwandlung der
öffentlichen Schuld von 5% auf 3,5%)" und dem Peterspfennig. Könnten
internationale Fragen bezüglich des Eingreifens der Kirche in die inneren
Angelegenheiten der einzelnen Länder entstehen, wenn der Staat die Kirche
dauerhaft unterstützt? Eine heikle Frage, wie man sagt.
Die Finanzfrage macht das Problem der vom Papst verkündeten soge-
nannten Untrennbarkeit von Vertrag und Konkordat sehr interessant.
Angenommen, der Papst sähe sich gezwungen, auf dieses politische
Druckmittel gegen den Staat zurückzugreifen, würde sich nicht sofort das
Problem der Rückzahlung der kassierten Summen stellen (die eben an den
Vertrag und nicht an das Konkordat gebunden sind)? Aber sie sind so
gewaltig, und es ist denkbar, dass sie zum Großteil in den ersten Jahren
ausgegeben worden sind, dass man ihre Rückzahlung für praktisch unmög-
lich ansehen kann. Kein Staat könnte dem Pontifex ein so großes Darlehen
geben, um ihm aus der Verlegenheit zu helfen, und um so weniger ein Privat-
mann oder eine Bank. Die Kündigung des Vertrags würde eine solche Krise
in der praktischen Organisation der Kirche auslösen, dass ihre Zahlungs-
fähigkeit, wenn auch langfristig, zunichte gemacht würde. Das dem Vertrag
beigegebene Finanzabkommen muss deshalb als der wesentliche Teil des
1824 Sechzehntes Heft

Vertrags selbst betrachtet werden, als die Versicherung gegen eine so gut wie
unmögliche, aus Gründen der Polemik und des politischen Drucks
erwogene Kündigung des Vertrags.

Stelle aus einem Brief Leos XIII. an Franz-Joseph (anscheinend vom


Juni 1892, mitgeteilt auf S. 244ff des Buches: Francesco Salata, Zur Diplo-
matiegeschichte der Römischen Frage, I, Treves, 1929): »Und Wir werden
nicht verschweigen, dass Uns, inmitten solcher Verlegenheiten, jedes Mittel
fehlt, um vom Eigenen die nicht abreißenden und zahlreichen materi-
ellen Ansprüche zu bestreiten, die mit der Regierung der Kirche verbunden
sind. Wahr ist, dass die spontanen Gaben der Nächstenliebe Uns zu Hilfe
kommen; aber stets bekümmert Uns der Gedanke, dass diese
die Lasten Unserer Söhne vergrößern; und andererseits darf man
sich nicht einbilden, dass die öffentliche Nächstenliebe unerschöpflich
wäre«''.»Vom Eigenen« bedeutet »aus Steuern aufgebracht« von den Staats-
bürgern eines päpstlichen Staates, für deren Opfer man anscheinend
keinerlei Kummer empfindet: es scheint natürlich, dass die italienischen
Bevölkerungen die Zeche der Weltkirche bezahlen.

Im Konflikt zwischen Bismarck und dem Heiligen Stuhl lassen sich die
Ausgangspunkte für eine Reihe von Fragen finden, die aufgrund der Tat-
sache aufgeworfen werden könnten, dass der Vatikan seinen Sitz in Italien
hat und bestimmte Beziehungen mit dem italienischen Staat unterhält:
Bismarck »ließß von seinen Juristen (schreibt Salata, aaO., S. 271) die
Theorie von der Verantwortlichkeit des italienischen Staates für die poli-
tischen Angelegenheiten des Papstes verbreiten, dem Italien diese Lage der
Unverletzlichkeit und Nicht-Verantwortlichkeit verschafft hatte, was die
vom Pontifex anderen Staaten gegenüber verursachten Schädigungen und
Beleidigungen angeht«.

$(12). Natürlich, widernatürlich, künstlich, usw. Was bedeutet es,


wenn man sagt, dass eine bestimmte Handlung, eine bestimmte Lebens-
weise, eine bestimmte Haltung bzw. Gewohnheit »natürlich« sind, oder
dass sie statt dessen »widernatürlich« sind? Jeder glaubt in seinem Inner-
sten genau zu wissen, was das bedeutet, aber wenn man eine ausdrückliche
und begründete Antwort verlangt, sieht man, dass die Sache doch nicht so
einfach ist, wie es den Anschein hatte. Man muss vielmehr daran fest-
halten, dass von »Natur« nicht als von irgendetwas Feststehendem,
Unveränderlichem und Objektivem gesprochen werden kann. Man be-
merkt, dass »natürlich« fast immer »richtig und normal« bedeutet, gemäß
Heft 16- $11-$12 1825
unserem gegenwärtigen historischen Bewusstsein, aber den meisten ist
diese historisch bestimmte Gegenwärtigkeit nicht bewusst, und sie halten
ihre Denkweise für ewig und unveränderlich.
Bei einigen Gruppen von Fanatikern der »Natürlichkeit« lässt sich
_ folgende Meinung feststellen: Handlungen, die unserem Bewusstsein als
»widernatürlich« erscheinen, sind für sie »natürlich«, weil sie von den
Tieren vollzogen werden; und sind nicht die Tiere »die natürlichsten Wesen
der Welt«? Diese Meinung hört man in bestimmten Kreisen häufig beson-
ders in Bezug auf Fragen, die mit den Sexualbeziehungen zusammen-
hängen. Zum Beispiel: Warum sollte der Inzest »widernatürlich« sein,
wenn er in der »Natur« verbreitet ist? Indes sind auch solche Behauptungen
über die Tiere nicht immer exakt, weil die Beobachtungen an Tieren gemacht
sind, die vom Menschen zu seinem Nutzen gezähmt und zu einer Lebens-
form gezwungen sind, die für die Tiere selbst nicht »natürlich«, sondern
den Zwecken des Menschen angepasst ist. Aber auch wenn es stimmen
würde, dass es unter den Tieren zu bestimmten Akten kommt, welche
Bedeutung hätte das für den Menschen? Warum sollte sich daraus eine
Verhaltensnorm ergeben? Das »Wesen« (natura) des Menschen ist das
Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse”, das ein historisch bestimmtes
Bewusstsein determiniert; dieses Bewusstsein allein kann anzeigen, was
»natürlich« bzw. »widernatürlich« ist. Außerdem: das Ensemble der gesell-
schaftlichen Verhältnisse ist in jedem Moment widersprüchlich und in
ständiger Entwicklung begriffen, so dass das »Wesen« des Menschen nicht
etwas für alle Menschen zu allen Zeiten Gleichförmiges ist.

Man hört oft sagen, dass eine bestimmte Gewohnheit zu einer »zweiten
Natur« geworden ist; wird aber die »erste Natur« tatsächlich die »erste«
gewesen sein? Enthält diese Ausdrucksweise des Alltagsverstands nicht
den Hinweis auf die Geschichtlichkeit des »menschlichen Wesens«?

Mit der Feststellung, dass das Ensemble der gesellschaftlichen Verhält-


nisse widersprüchlich ist und folglich das Bewusstsein der Menschen nicht
anders als widersprüchlich sein kann, stellt sich das Problem, wie sich dieser
Widerspruch äußert und wie sich nach und nach die Einigung erreichen
lässt: er äußert sich im gesamten Gesellschaftskörper, mit der Existenz
historischer Gruppenbewusstseine (mit der Existenz von Schichtungen,
die verschiedenen Phasen der geschichtlichen Entwicklung der Zivilisation
entsprechen, und mit Antithesen in den Gruppen, die ein und derselben
geschichtlichen Ebene entsprechen), und er äußert sich in den einzelnen
Individuen als Widerspiegelung eines solchen »vertikalen und horizontalen«
Auseinanderfallens. In den subalternen Gruppen ist, aufgrund des Fehlens
1826 Sechzehntes Heft

geschichtlicher Initiative, das Auseinanderfallen schwerwiegender und der


Kampf um die Befreiung von den aufgetragenen und nicht mit der Erlan-
gung eines autonomen geschichtlichen Bewusstseins angetragenen Prin-
zipien heftiger: die Bezugspunkte in diesem Kampf sind disparat, und einer
von ihnen - eben derjenige, der in der »Natürlichkeit« besteht - ist, indem
er die »Natur« als mustergültig setzt, sehr erfolgreich, weil er offensichtlich
und einfach scheint. Wie müsste sich aber dieses autonom angetragene
geschichtliche Bewusstsein herausbilden? Wie müsste jeder die Elemente
für die Konstituierung eines solch autonomen Bewusstseins auswählen und
kombinieren? Wird jedes »aufgetragene« Element von vornherein abzu-
lehnen sein? Es wird als aufgetragenes abzulehnen sein, aber nicht an sich,
das heißt, man wird ihm eine neue Form geben müssen, die der gegebenen
Gruppe eigen ist. Dass der Unterricht Pflicht ist, bedeutet keineswegs,
dass er abgelehnt werden muss, und auch nicht, dass sich eine neue Form
von Pflicht nicht mit neuen Argumenten rechtfertigen ließe: man muss
»Freiheit« machen aus dem, was »notwendig« ist, aber hierzu muss man
eine »objektive« Notwendigkeit anerkennen, das heißt eine, die hauptsäch-
lich für die besagte Gruppe objektiv ist. Man muss sich folglich auf die
technischen Produktionsverhältnisse beziehen, auf einen bestimmten Typ
ökonomischer Zivilisation, der für seine Weiterentwicklung eine bestimm-
te Lebensweise, bestimmte Verhaltensregeln, eine bestimmte Gewohnheit
verlangt. Man muss sich davon überzeugen, dass nicht nur ein bestimmtes
Gerät »objektiv« und notwendig ist, sondern auch eine bestimmte Verhal-
tensweise, eine bestimmte Erziehung, eine bestimmte Weise des Zusam-
menlebens usw.; auf diese geschichtliche Objektivität und Notwendigkeit
(die allerdings nicht offensichtlich ist, sondern jemanden braucht, der sie
kritisch anerkennt und sich auf vollständige und geradezu »kapillare«
Weise zu ihrem Verfechter macht) kann die »Universalität« des moralischen
Prinzips gegründet werden, mehr noch, nie hat es eine andere Universalität
als diese objektive Notwendigkeit der zivilen Technik gegeben, wenn sie
auch mit transzendenten oder transzendentalen Ideologien erklärt und
jedesmal auf die geschichtlich wirksamste Weise dargeboten wird, um das
angestrebte Ziel zu erreichen.

Eine Auffassung wie die oben dargelegte scheint zu einer Form des
Relativismus und folglich des moralischen Skeptizismus zu führen. Man
bemerkt, dass sich dasselbe von allen bisher von der Philosophie ausge-
arbeiteten Auffassungen sagen lässt, deren kategorische und objektive
Imperativität vom »bösen Willen« stets auf Formen von Relativismus und
Skeptizismus zurückgeführt werden konnte. Damit die religiöse Auffassung
wenigstens als absolute und objektiv universale erscheinen könnte, wäre es
Heft 16-$12 1827
nötig, dass sie monolithisch aufträte, zumindest intellektuell einheitlich bei
allen Gläubigen, was weit entfernt von der Wirklichkeit ist (Unterschied der
Schule, Sekten, Richtungen und Klassenunterschiede: Einfache und Gebil-
dete, usw.): von daher die Funktion des Papstes als unfehlbarer Lehrer.
Dasselbe lässt sich von Kants kategorischem Imperativ sagen: »Handle
so, wie du möchtest, dass alle Menschen unter denselben Bedingungen
handeln«“. Es ist offensichtlich, dass jeder bona fide* denken kann, dass alle
so handeln müssten wie er, auch wenn er Handlungen begeht, die hingegen
für entwickeltere Bewusstseine oder solche von anderer Kultur abstoßend
sind. Ein eifersüchtiger Ehemann, der die untreue Frau tötet, denkt, dass
alle Ehemänner die untreuen Frauen töten sollten usw. Angemerkt werden
kann, dass es keinen Übeltäter gibt, der das begangene Verbrechen, wie
niederträchtig es auch immer sein mag, innerlich nicht rechtfertigen würde:
und deshalb sind die Unschuldsbeteuerungen so vieler Verurteilter nicht
ohne eine gewisse Überzeugungskraft guten Glaubens; in Wirklichkeit
kennt jeder von ihnen genau die objektiven und subjektiven Umstände,
unter denen er das Verbrechen begangen hat, und aus dieser Kenntnis, die
er den anderen oft nicht rational vermitteln kann, leitet er die Über-
zeugung her, »gerechtfertigt« zu sein; nur wenn seine Weise, das Leben
aufzufassen, sich verändert, kommt er zu einem anderen Urteil, was oft
geschieht und viele Selbstmorde erklärt. Kants Formel, realistisch analysiert,
überwindet keinerlei gegebene Umstände” mit all ihren moralischen
Aberglauben und ihren barbarıschen Gewohnheiten; sie ist statisch, sie ist
eine leere Form, die mit jedem beliebigen gegenwärtigen und anachro-
nistischen geschichtlichen Inhalt gefüllt werden kann (mit seinen Wider-
sprüchen natürlich, weshalb das, was jenseits der Pyrenäen Wahrheit ist,
diesseits der Pyrenäen Lüge ist). Kants Formel scheint überlegen, weil die
Intellektuellen sie mit ihrer besonderen Lebens- und Handlungsweise
füllen, und man kann zugeben, dass bestimmte Gruppen von Intellek-
tuellen bisweilen fortgeschrittener und ziviler sind als ihre Umgebung.
Das Argument der Gefahr des Relativismus und Skeptizismus sticht also
nicht. Die Frage, die gestellt werden muss, ist eine andere: enthält diese
gegebene moralische Auffassung Eigenschaften von einer bestimmten
Dauer? oder ändert sie sich täglich bzw. gibt in derselben Gruppe Anlass
zur Formulierung der Theorie von der doppelten Wahrheit? Außerdem:
kann sich auf ihrer Grundlage eine Elite bilden, welche die Menge führt,
sie erzieht und in der Lage ist, »Vorbild« zu sein? Wenn diese Punkte bejaht
werden können, ist die Auffassung gerechtfertigt und stichhaltig.

* Lat.:»guten Glaubens«.
1828 Sechzehntes Heft

Doch es wird eine Zeit der Erschlaffung, sogar der Libertinage und der
moralischen Auflösung geben. Das ist alles andere als ausgeschlossen, aber
nicht einmal das ist ein stichhaltiges Argument. Zeiten moralischer Auf-
lösung hat es in der Geschichte häufig gegeben, wobei dieselbe allgemeine
moralische Auffassung ihre Vorherrschaft aufrechterhielt, und sie hatten
ihren Ursprung in realen und konkreten Gründen und nicht in den mora-
lischen Auffassungen: sehr oft zeigen sie an, dass eine Auffassung veraltet
ist, zerfallen ist, rein formalistische Heuchelei geworden ist, sich aber
durch Zwang oben zu halten versucht und die Gesellschaft zu einem
Doppelleben nötigt; auf Heuchelei und Doppelzüngigkeit reagieren eben in
übertriebenen Formen die Zeiten der Libertinage und der Auflösung, die
fast immer ankündigen, dass eine neue Auffassung im Entstehen begriffen
ist.
Die Gefahr moralischer Leblosigkeit wird hingegen durch die fatalistische
Theorie derjenigen Gruppen repräsentiert, welche die Auffassung von der
»Natürlichkeit« gemäß der »Natur« der Tiere teilen, wonach alles durch
die gesellschaftlichen Umstände gerechtfertigt ist. Jeder Sinn für individuelle
Verantwortlichkeit stumpft sich so ab, und jede Einzelverantwortlichkeit
wird in einer abstrakten und nicht greifbaren gesellschaftlichen Verant-
wortlichkeit ertränkt. Wenn dieser Gedanke wahr wäre, wären die Welt
und die Geschichte für immer unbeweglich. Wenn das Individuum, um
sich zu verändern, es tatsächlich nötig hätte, dass vor ihm die ganze Gesell-
schaft sich verändert hätte, mechanisch, durch wer weiß welche außer-
menschliche Kraft, käme es nie zu irgendeiner Veränderung. Die Ge-
schichte ist indes ein ständiger Kampf von Individuen oder Gruppen um
die Veränderung dessen, was in jedem gegebenen Moment existiert; damit
aber der Kampf wirksam ist, müssen sich diese Individuen und Gruppen
dem Existierenden überlegen fühlen, als Erzieher der Gesellschaft, usw.
Folglich rechtfertigen die Umstände nicht, sondern »erklären« nur das
Verhalten der Individuen und besonders das der historisch passivsten. Die
»Erklärung«.dient bisweilen dazu, nachsichtig zu machen gegenüber den
einzelnen, und gibt der Erziehung Stoff, darf aber nie »Rechtfertigung«
werden, ohne notwendig zu einer der heuchlerischsten und wider-
wärtigsten Formen des Konservatismus und der »Rückständigkeit« zu
führen.
Dem Begriff des »Natürlichen« stellt man den des »Künstlichen«, des
»Konventionellen« gegenüber. Aber was bedeutet »künstlich« und
»konventionell«, wenn es auf die Massenphänomene bezogen wird? Es
bedeutet einfach »historisch«, erworben durch die historische Entwicklung,
und vergebens sucht man der Sache eine abwertende Bedeutung zu geben,
Heft 16-$12 -$ 13 1829
weil sie auch in das Alltagsbewusstsein mit dem Ausdruck »zweite Natur«
eingegangen ist. Man kann folglich von Künstlichem und Konventionalität
in Bezug auf persönliche Idiosynkrasien, nicht auf bereits ablaufende
Massenphänomene sprechen. Reisen mit der Eisenbahn ist »künstlich«,
aber gewiss nicht wie das Schminken des Gesichts.
Gemäß den in den vorangehenden Absätzen gegebenen Hinweisen stellt
sich als positives Resultat das Problem, wer entscheiden soll, dass ein be-
stimmtes moralisches Verhalten das einem bestimmten Entwicklungs-
stadium der Produktivkräfte angemessenste ist. Gewiss kann keine Rede
davon sein, einen speziellen »Papst« oder ein zuständiges Amt einzurichten.
Die führenden Kräfte werden eben dadurch entstehen, dass die Denkweise
in diesem realistischen Sinn ausgerichtet sein wird, und sie werden durch
den Zusammenprall der widersprechenden Meinungen selbst, ohne
»Konventionalität« und »Künstliches«, sondern »natürlich« entstehen.

$(13). Populärer Ursprung des »Übermenschen«. Jedesmal, wenn


man auf einen Nietzsche-Verehrer stößt, empfiehlt es sich zu fragen und
nachzuforschen, ob seine »übermenschlichen« Auffassungen gegen die
konventionelle Moral, usw. usf. rein nietzscheanischer Herkunft, das heißt
das Produkt einer in der Sphäre der »Hochkultur« anzusiedelnden gedank-
lichen Ausarbeitung sind, oder viel bescheidenere Ursprünge haben, zum
Beispiel mit der Feuilletonliteratur zusammenhängen. (Und sollte Nietzsche
selbst gar nicht durch die französischen Feuilletonromane beeinflusst
worden sein? Man muss bedenken, dass diese Literatur, heute auf die
Pförtnerlogen und die Dienstmädchenkammern herabgestuft, mindestens
bis 1870 unter den Intellektuellen sehr verbreitet gewesen ist, wie heute
der sogenannte »Krimi«). Jedenfalls lässt sich wohl behaupten, dass viel
sogenanntes nietzscheanisches »Übermenschentum« nicht Zarathustra,
sondern allein den Grafen von Monte Cristo von A. Dumas zum Vorbild
und doktrinären Ursprung hat. Der von Dumas in Monte Cristo am voll-
kommensten dargestellte Typ findet in anderen Romanen desselben
Autors zahlreiche Nachbildungen: er lässt sich zum Beispiel im Athos der
Drei Musketiere, in Joseph Balsamo und vielleicht noch in anderen Personen
feststellen.
Wenn man liest, dass jemand Balzac verehrt, heißt es ebenfalls auf der
Hut sein: auch bei Balzac ist viel vom Feuilletonroman vorhanden. Vautrin
ist auf seine Weise auch ein Übermensch, und die Rede, die er Rastignac in
Vater Goriot hält, hat viel ... Nietzscheanisches im populären Sinn; dasselbe
muss von Rastignac und de Rubempre gesagt werden. (Vincenzo Morello
1830 Sechzehntes Heft

ist über eine solche... populäre Herleitung »Rastignac« geworden und hat
ee 1
»Corrado Brando« verteidigt) .
Nietzsches Erfolg war vielfältig zusammengesetzt: seine gesammelten
Werke werden vom Verleger Monanni herausgebracht, und man kennt ja
die ideologisch-kulturellen Ursprünge Monannis und seiner ihm treuest
ergebenen Kundschaft.
Vautrin und der »Freund Vautrins« haben breite Spuren in Paolo Valeras
Schriften und in seiner »Folla« hinterlassen (an den Turiner »Freund
Vautrins« der »Folla« erinnern)”. Eine breite populäre Gefolgschaft hat die
dem Roman von Dumas entnommene Ideologie der »Musketiere« gehabt.
Dass man sich etwas schämt, die eigenen Auffassungen mit den Romanen
von Dumas und Balzac geistig zu rechtfertigen, ist leicht zu verstehen:
deshalb rechtfertigt man sie mit Nietzsche und verehrt Balzac als Kunst-
schriftsteller und nicht als Schöpfer von Romangestalten des Feuilleton-
Typs. Aber der wirkliche Zusammenhang scheint kulturell außer Zweifel
zu stehen.
Der Typus des »Übermenschen« ist Monte Cristo, befreit von dem
besonderen Nimbus des »Fatalismus«, welcher der Spätromantik eigen ist
und der bei Athos undJ.Balsamo noch ausgeprägter (ist). Monte Cristo in
die Politik übertragen ist gewiss überaus pittoresk: der Kampf gegen die
»persönlichen Feinde« Monte Cristos, usw.

Es lässt sich beobachten, wie gewisse Länder im Vergleich zu anderen


auch in diesem Bereich provinziell und rückständig geblieben sind; während
Sherlock Holmes für einen Großteil Europas bereits anachronistisch gewor-
den ist, ist man in einigen Ländern noch bei Monte Cristo und Fenimore
Cooper (vgl. die »Wilden«, »Eisenbarts, usw.).

Vgl. das Buch von Mario Praz: Liebe, Tod und Teufel in der romantischen
Literatur (Verlag Cultura)': neben der Untersuchung von Praz wäre
folgende weitere Untersuchung durchzuführen: zum »Übermenschen« in
der Popularliteratur und zu seinen Auswirkungen auf das wirkliche Leben
und die Gewohnheiten (das Kleinbürgertum und die kleinen Intellektuel-
len sind von solchen romanhaften Bildern besonders beeinflusst, die wie
ihr »Opium« sind, ihr »künstliches Paradies«, im Kontrast zur Erbärm-
lichkeit und Enge ihres unmittelbaren wirklichen Lebens): von daher der
Erfolg einiger Sprüche wie: »besser einen Tag als Löwe statt hundert Jahre
als Schaf«, besonders großer Erfolg bei dem, der wirklich und unwider-
ruflich Schaf ist. Wieviele von diesen »Schafen« sagen: Oh! wenn ich auch
Heft 16- $13 1831

nur für einen Tag die Macht hätte usw.; ein unerbittlicher »Rächer« zu sein,
ist das Verlangen derer, die Monte Cristos Einfluss spüren.
Adolfo Omodeo hat bemerkt, dass es eine Art kultureller »Toter Hand«”
gibt, die durch die religiöse Literatur gebildet wird, mit der sich anscheinend
_ niemand beschäftigen will, als hätte sie keine Bedeutung und Funktion im
Leben der Nation und des Volkes’. Abgesehen von dem Epigramm der
»Toten Hand« und der Genugtuung des Klerus darüber, dass seine
spezielle Literatur keiner kritischen Prüfung unterzogen wird, gibt es einen
weiteren Sektor des kulturellen Lebens der Nation und des Volkes, mit
dem sich niemand kritisch beschäftigt und auseinandersetzt, und das ist
eben die Feuilletonliteratur im engeren und auch im weiteren Sinn (in
diesem Sinne gehört auch Victor Hugo dazu, ebenso Balzac).
Im Monte Cristo gibt es zwei Kapitel, in denen über den Feuilleton-
»Übermenschen« ausdrücklich disputiert wird: das mit »Ideologie«
überschriebene, als Monte Cristo mit dem Staatsanwalt Villefort zusammen-
trifft, und dasjenige, welches das Essen beim Grafen von Morcerf auf
Monte Cristos erster Reise nach Paris schildert. Man muss sehen, ob es in
anderen Romanen von Dumas »ideologische« Stichworte dieser Art gibt.
In den Drei Musketieren hat Athos mehr von dem allgemeinen Schicksals-
menschen der Spätromantik: in diesem Roman werden die individua-
listischen Stimmungen im Volk eher mit dem abenteuerlichen und außer-
gesetzlichen Treiben der Musketiere als solcher erregt. Im Joseph Balsamo
ist die Macht des Individuums an finstere Zauberkräfte und an die Unter-
stützung der europäischen Freimaurerei gebunden, folglich ist das Beispiel
weniger eindrucksvoll für den Leser aus dem Volk. Bei Balzac sind die
Gestalten künstlerisch bestimmter, gehören aber dennoch der Atmosphäre
der populären Romantik an. Rastignac und Vautrin sind sicher nicht mit
Dumas’ Personen zu verwechseln, und gerade deshalb ist ihr Einfluss
leichter zu »beichten«, nicht nur von Leuten wie Paolo Valera und seinen
Mitarbeitern der »Folla«, sondern auch von mittelmäßigen Intellektuellen
wie V. Morello, die meinen (oder von denen viele meinen), der »Hoch-
kultur« anzugehören.
An Balzac heranzurücken ist Stendhal mit der Gestalt des Julien Sorel
und anderen aus dem Repertoire seiner Romane.
Zu Nietzsches »Übermenschen« sind außer dem französischen roman-
tischen Einfluss (und allgemein des Napoleonkultes) die rassistischen
Tendenzen zu sehen, die bei Gobineau und in der Folge bei Chamberlain
sowie bei den Alldeutschen (Treitschke, die Theorie der »Macht«" usw.)
ihren Höhepunkt erreicht haben.
1832 Sechzehntes Heft

Aber vielleicht muss man Dumas’ populären »Übermenschen« geradezu


für eine »demokratische« Reaktion auf die Auffassung halten, dass der
Rassismus feudalen Ursprungs sei, und sie mit der in Eugene Sues Romanen
dem »Gallizismus« dargebrachten Verehrung zusammenbringen =
Als Reaktion auf diese Tendenz des französischen Popularromans ist an
Dostojewski zu erinnern: Raskolnikow ist der von einem Panslawisten-
Christen »kritisierte« Monte Cristo. Was den vom französischen Feuilleton-
roman auf Dostojewski ausgeübten Einfluss betrifft, ist die Dostojewski
gewidmete Sondernummer der »Cultura«’ zu vergleichen.

Im populären Charakter des »Übermenschen« stecken viele theatralische,


äußerliche Elemente, mehr nach Art einer »Primadonna« als eines Über-
menschen; viel »subjektiver und objektiver« Formalismus, kindliche
Ambitionen, »Klassenprimus« zu sein, besonders jedoch für einen solchen
gehalten und erklärt zu werden.

Zu den Beziehungen zwischen der Spätromantik und einigen Aspekten


des modernen Lebens (Atmosphäre nach Art des Grafen von Monte
Cristo) ist ein Artikel von Louis Gillet in der »Revue des deux mondes«
vom 15. Dezember 1932° zu lesen.

Dieser Typ des »Übermenschen« kommt im Theater zum Ausdruck


(speziell im französischen, das in vieler Hinsicht die achtundvierziger
Feuilletonliteratur fortsetzt): anzusehen sind das »klassische« Repertoire
Ruggero Ruggeris wie Der Markgraf
von Priola, Die Klaue”, usw. sowie
viele Arbeiten von Henry Bernstein’.

$(14). Beziehungen zwischen Staat und Kirche (vgl. S.15a)'. Der


Generaldirektor des Kultusfonds Raffaele Jacuzio hat einen Kommentar
zur neuen Gesetzgebung in kirchlichen Angelegenheiten mit Vorwort von
Alfredo Rocco (Turin, Utet, 1932, in 8°, 693 S., 60 L.) veröffentlicht, worin
er alle Akten sowohl der italienischen staatlichen Organe wie der des
Vatikans zur Ausführung des Konkordats zusammenstellt und kommen-
tiert. Auf die Frage der Katholischen Aktion eingehend schreibt Jacuzio
(S. 203): »Aber da zum Begriff von Politik nicht nur die Wahrung der
Rechtsverfassung des Staates gehört, sondern auch all das, was die Maß-
nahmen auf sozio-ökonomischem Gebiet betrifft, ist es sehr schwierig...,
in der Katholischen Aktion a priori jede politische Handlung für ausge-
schlossen zu halten, wenn...man das soziale und ökonomische Handeln
und die geistige Erziehung der Jugend darin einbezieht<“.
Heft 16-$13-$14 1833
Zum Konkordat muss ferner das Buch von Vincenzo Morello angesehen
werden: Der Konflikt nach dem Konkordat (Bompiani, 1931) und die Ant-
wort von Egilberto Martire: Gründe für die Aussöhnung (Rom, »Rassegna
Romana«, 1932). Zur Auseinandersetzung Morello-Martire muss der mit
Novus gezeichnete Artikel in der »Critica Fascista« vom 1. Februar 1933
angesehen werden (Eine Auseinandersetzung um die Aussöhnung)”.
Morello betont nicht nur die Punkte des Konkordats, in denen der Staat
sich selbst gegenüber versagt, auf seine Souveränität verzichtet hat, sondern
hebt anscheinend auch hervor, wie in einigen Punkten die Zugeständnisse
gegenüber der Kirche umfangreicher sind als die von anderen Kon-
kordatsländern. Hauptsächlich vier Punkte sind umstritten: 1. die Ehe;
aufgrund Art. 34* des Konkordats wird die Ehe durch das kanonische
Recht geregelt, das heißt, im staatlichen Bereich wird ein ihm fremdes
Recht angewandt. Dadurch können die Katholiken auf der Grundlage eines
dem Staat fremden Rechts die Annullierung der Ehe erlangen, im Unter-
schied zu den Nicht-Katholiken, obwohl »katholisch sein oder nicht sein
keine zivilrechtlichen Folgen haben dürfte<; 2. aufgrund Art. 5, Absatz 3
werden abtrünnige oder von der Zensur betroffene Priester von einigen
öffentlichen Ämtern ausgeschlossen, das heißt, es wird eine »Strafe« des
Strafgesetzbuches auf Personen angewandt, die dem Staat gegenüber kein
strafbares Delikt begangen haben; Art. 1 des Gesetzbuches will dagegen,
dass kein Staatsbürger für einen Tatbestand bestraft werden kann, der vom
Strafgesetz nicht ausdrücklich als Delikt vorgesehen ist; 3. für Morello
wird nicht ersichtlich, welches die Nützlichkeitserwägungen sind, derent-
wegen der Staat mit den Aufhebungsgesetzen” reinen Tisch gemacht
hat, indem er den kirchlichen Körperschaften und religiösen Orden die
juristische Existenz, die Besitz- und Verwaltungsbefugnis über die eigenen
Güter zuerkennt; 4. Unterrichtswesen; entschiedene und vollständige
Ausschließung des Staates von den kirchlichen Schulen, und nicht etwa
nur von denen, welche die Priester technisch ausbilden (das heißt Aus-
schließung staatlicher Kontrolle von der theologischen Lehre, usw.),
sondern von denen, die der Allgemeinbildung gewidmet sind. Art. 39 des
Konkordats bezieht sich in der Tat auch auf die Grund- und Mittelschulen,
die der Klerus in vielen Seminaren, Kollegien und Klöstern unterhält,
deren sich der Klerus bedient, um Knaben und Jünglingen das Priestertum
und das Mönchsleben schmackhaft zu machen, die aber an sich noch nicht
spezialisiert sind. Diese Schüler müssten ein Anrecht auf staatlichen Schutz
haben. Es scheint, dass in anderen Konkordaten gewisse Garantien dem
Staat gegenüber berücksichtigt wurden, so dass auch der Klerus nicht auf

* Im Ms.: »43«.
1834 Sechzehntes Heft

eine den Gesetzen und der nationalen Ordnung widersprechende Weise


ausgebildet wird, und zwar indem durchgesetzt wurde, dass für viele
kirchliche Ämter ein öffentlicher Schulabschluss nötig ist (der Zugang zur
Hochschule verschafft).

$(15). Populärer Ursprung des Übermenschen (vgl. Seite 23a). Zu


diesem Thema muss das Werk Farinellis angesehen werden, Die Romantik
in der lateinischen Welt (3 Bde., Bocca, Turin). Im 2. Bd. ein Kapitel, wo
vom Motiv des »Schicksalsmenschen« und des »verkannten Genies« die
Rede ist”.

f(16). Die Begründer der Philosophie der Praxis und Italien. Eine
systematische Sammlung aller Schriften (auch des Briefwechsels)', die
Italien betreffen bzw. italienische Probleme behandeln. Aber eine Samm-
lung, die sich auf eine solche Auswahl beschränkte, wäre nicht organisch
und vollständig. Es gibt Schriften von den beiden Autoren, die, auch wenn
sie nicht speziell Italien betreffen, eine Bedeutung haben für Italien, nicht
eine allgemeine Bedeutung natürlich, denn sonst würden alle Werke der
beiden Autoren sozusagen Italien betreffen. Die Gliederung der Samm-
lung könnte nach folgenden Kriterien aufgebaut sein: 1. Schriften, die
speziell auf Italien Bezug nehmen, 2. Schriften, die »spezifische« Themen
historischer und politischer Kritik betreffen, die sich zwar nicht auf Italien
beziehen, aber doch im Zusammenhang mit italienischen Problemen stehen.
Beispiele: Der Artikel über die spanische Verfassung von 1812 hat Bezug
zu Italien aufgrund der politischen Funktion, die diese Verfassung für die
italienischen Bewegungen bis 48 gehabt hat”. Ebenso hat Bezug zu Italien
die Kritik des Elends der Philosophie an der Verfälschung der Hegelschen
Dialektik durch Proudhon‘, die in entsprechenden intellektuellen Bewe-
gungen in Italien (Gioberti; der Hegelianismus der Moderati; Begriff der
passiven Revolution; Dialektik von Revolution-Restauration) Widerhall
findet. Dasselbe gilt für Engels’* Schrift über die spanischen libertären
Unruhen von 1873" (nach der Abdankung Amadeos von Savoyen), (die)
einen Bezug zu Italien hat, usw.

Diese zweite Reihe von Schriften muss vielleicht nicht in einer Sammlung
zusammengefasst werden, sondern es genügt eine analytisch-kritische
Darlegung. Vielleicht wäre die organischste Gliederung eine in drei Teilen:

* Im Ms.: »E.«.
Heft 16-$14-$17 1835

1. historisch-kritische Einführung; 2. Schriften über Italien; 3. Analyse der


Schriften, die indirekt Italien betreffen, das heißt solcher, die sich die
Lösung von Fragen vornehmen, die wesentlich und spezifisch auch für
Italien sind.

$(17). Die Tendenz, den Gegner herabzusetzen: istschon an sich ein


Dokument der Unterlegenheit dessen, der von ihr beherrscht wird. Tat-
sächlich ist man geneigt, den Gegner wutentbrannt herabzusetzen, um sich
in dem Glauben zu wiegen, dass man ihn sicher besiegt. Dieser Tendenz
wohnt deshalb dunkel ein Urteil über die eigene Unfähigkeit und Schwäche
inne (das sich Mut machen will), und man könnte darin auch einen Anfang
von Selbstkritik erkennen (die sich ihrer selbst schämt, die Angst hat, sich
ausdrücklich und mit systematischer Kohärenz zu äußern). Man glaubt an
den »Willen zu glauben« als Bedingung des Sieges, was nicht falsch wäre,
wenn es nicht mechanisch aufgefasst und zum Selbstbetrug würde (wenn
es eine unangebrachte Verwechslung von Masse und Anführern enthält
und die Funktion des Anführers auf die Ebene des rückständigsten und
ungehobeltsten Mitläufers herabdrückt: wenn es ans Handeln geht, mag
der Anführer versuchen, den Mitläufern die Überzeugung einzuflößen,
dass der Gegner ganz sicher besiegt werden wird, er selbst aber muss sich
ein genaues Urteil bilden und mit allen Möglichkeiten rechnen, auch den
schlimmsten). Ein Element dieser Tendenz ist opiumhafter Natur: es ist
den Schwachen in der Tat eigen, sich der Phantasterei zu überlassen, mit
offenen Augen zu träumen, dass die eigenen Wünsche die Wirklichkeit
sind, dass sich alles wunschgemäß entwickelt. Deshalb sieht man auf der
einen Seite die Unfähigkeit, die Dummbheit, die Barbarei, die Niedertracht
usw., auf der anderen die höchsten Gaben des Charakters und des Verstan-
des: der Kampf kann keinem Zweifel unterliegen, und schon scheint man
den Sieg in Händen zu halten. Aber der Kampf bleibt geträumt und im
Traum gewonnen. Ein anderer Gesichtspunkt dieser Tendenz ist der, die
Dinge wie in Öl gemalt, in den Gipfelpunkten epischer Höhe zu sehen. In
der Wirklichkeit, wo immer man zu handeln anfängt, erweisen sich die
Schwierigkeiten sofort als groß, weil man nie konkret an sie gedacht hatte;
und da man immer mit kleinen Sachen anfangen muss (die großen Sachen
sind meist ein Ensemble von kleinen Sachen), wird die »kleine Sache« ver-
achtet; es ist besser, mit Träumen fortzufahren und das Handeln auf den
Moment der »großen Sache« zu verschieben. Die Funktion des Wacht-
postens ist beschwerlich, langweilig, ermüdend; warum so die menschliche
Persönlichkeit »verschwenden« und sie nicht aufsparen für die große
Stunde des Heldentums? und so weiter.
1836 Sechzehntes Heft

Es wird nicht darüber nachgedacht, dass, wenn der Gegner dich be-
herrscht und du ihn herabsetzt, du zugibst, von jemandem beherrscht zu
werden, den du als unterlegen betrachtest; wie aber ist es ihm dann gelungen,
dich zu beherrschen? Wie hat er dich bloß besiegt und ist dir überlegen
gewesen gerade in dem entscheidenden Augenblick, der das Ausmaß deiner
Überlegenheit und seiner Unterlegenheit erweisen sollte? Da wird sicher
die »Hand des Teufels« im Spiel gewesen sein. Lerne also, die Hand des
Teufels auf deiner Seite zu haben.

Ein literarisches Stichwort: in Kapitel XIV des zweiten Teils des Don
Quijote behauptet der Ritter von den Spiegeln, er habe Don Quijote besiegt:
»und ihn zum Bekenntnis gezwungen, dass meine Casildea schöner ist als
seine Dulcinea, und mit diesem einzigen Sieg bin ich überzeugt, alle Rit-
ter auf Erden besiegt zu haben; denn dieser Don Quijote, von dem ich
rede, hat sie alle besiegt, und da ich ihn besiegt habe, so sind sein Ruhm,
sein Name und seine Ehre auf meine Person übertragen und völlig über-
gegangen.
So höher der Besiegte ward geehrt,
Um soviel höher steigt des Siegers Wert.

Demnach gehen sie jetzt auf meine Rechnung und sind mein eigen, all die
unzählbaren Heldentaten des schon erwähnten Don Quijote«*.

$(18). »Paritär und paritätisch«e. Die Bedeutung von paritär und


paritätisch ist sehr interessant und »bezeichnend«. Es bedeutet, dass
1000 000 dieselben Rechte hat wie 10000 usw., manchmal, dass 1 dieselben
Rechte hat wie 50000. Was bedeutet paritär in den Schneider-Betrieben
von Creusot? Was bedeutet es im Nationalen Rat für den Kohlebergbau in
England? Was bedeutet es im Leitungsrat der Genfer IAO’, usw.? Zwischen
wem wird eine Parität hergestellt? Das Merkwürdige ist, dass die Katho-
liken die unermüdlichsten Verteidiger des Paritätsstrebens sind, für die
eine menschliche Person (eine Seele) einer anderen gleich sein sollte usw.;
aber bereits Rosmini wollte, dass die repräsentative Macht nicht nach
Maßgabe der »unsterblichen Seele« festgelegt würde, die Gott gleicher-
maßen teuer ist, sondern nach Maßgabe des Eigentums. Von wegen
Spiritualismus!

* Spanisch im Original.
Heft 16-$17-$20 1837
$(19). Der katholische Arzt und der nichtkatholische Kranke (Sterbende).
Vgl. in der »Civiltä Cattolica« vom 19. November 1932, S. 381, die Re-
zension des Buches von Luigi Scremin, Notizen zu einer Berufsmoral für
Ärzte (Rom, Verlag »Studium«, 1932, in 12°, 118 $., 5 L.): »...so wird auf
S. 95, obwohl Prümmer zitiert wird, fälschlich gesagt, dass, »wenn ein
Nichtkatholik, der einen Priester seiner Religion wünscht und verlangt, es
dem Arzt - wenn kein anderer da ist - erlaubt ist, dem Priester den
Wunsch des Kranken selbst mitzuteilen, und er nur dann auch gehalten
(sic) ist, es zu tun, wenn er es für den Kranken als nachteilig beurteilt,
diesem Wunsch nicht nachzukommen«. Das Urteil des Moraltheologen ist
ein durchaus anderes; und tatsächlich sagt uns Prümmer (I, 526), dass man
einen nichtkatholischen Priester, der keinerlei Befugnis zur Verabreichung
der Sakramente hat, nicht rufen darf: sondern vielmehr dem Kranken helfen
muss, Reue zu bekunden. Dass man, wenn der Kranke absolut verlangt,
dass der nichtkatholische Priester gerufen werden soll und aus der Verwei-
gerung schwere Nachteile erwachsen würden, dem genannten Priester den
Wunsch des Kranken mitteilen kann (aber nicht muss). Und man müsste
noch einen Unterschied machen, wenn der Kranke guten Glaubens ist und
einem nichtkatholischen Ritus angehört, in dem die Priester mit einer
richtigen heiligen Weihe versehen sind, wie bei den abgespaltenen
Griechen«'. Die Stelle ist bezeichnend.

$(20). Die Neuerungen im Prozessrecht und die Philosophie der


Praxis. Marx’ im Vorwort zur Kritik der politischen Ökonomie (1859*)
enthaltener Ausspruch, »ebenso wie man das, was ein Individuum ist,
nicht danach beurteilt, was es sich selbst dünkt«', kann in Zusammenhang
gebracht werden mit der im Prozessrecht eingetretenen Umwälzung und
den theoretischen Diskussionen darüber, die 1859 noch relativ frisch waren.
Das alte Verfahren erforderte nämlich das Geständnis des Angeklagten
(besonders bei Kapitalverbrechen), um den Urteilsspruch zu verkünden: das
»habemus confitentem reum«** schien der Gipfelpunkt jedes Rechts-
verfahrens, daher die Ermahnungen, die moralischen Zwänge und die
verschiedenen Grade der Folter (nicht als Strafe, sondern als Unter-
suchungsmittel). Im erneuerten Verfahren wird das Verhör des Angeklagten
nur zu einem bisweilen zu vernachlässigenden Element, das auf jeden Fall
nur nützlich ist, um die weiteren Nachforschungen des Ermittlungs-
verfahrens und des Prozesses anzustellen, so dass der Angeklagte nicht

* Im Ms.: »1856«.
** Lat.:»Wir haben das Geständnis des Täters«.
1838 Sechzehntes Heft

schwört und ihm das Recht zuerkannt wird, nicht zu antworten, die Aus-
sage zu verweigern und sogar zu lügen, während das Hauptgewicht den
objektiven materiellen Beweisstücken und den unparteiischen Zeugenaus-
sagen zukommt (so dass die Staatsfunktionäre nicht als Zeugen angesehen
werden dürften, sondern nur als Referenten des öffentlichen Anklägers).
Nachgeforscht werden muss, ob eine solche Annäherung zwischen der
Ermittlungsmethode zur Rekonstruktion der schuldhaften Verantwor-
tung der einzelnen Individuen und der der Philosophie der Praxis eigenen
kritischen Methode zur Rekonstruktion der objektiven »Persönlichkeit«
der geschichtlichen Ereignisse und ihres Ablaufs schon gemacht worden
ist, und (ob) die Bewegung für die Erneuerung des Prozessrechts als ein
Element »der Anregung« für die Erneuerung des Studiums der Geschichte
untersucht (worden ist)*: Sorel hätte die Beobachtung machen können, sie
passt zu seinem Stil.
Zu beobachten ist, dass die Erneuerung des Prozessrechts, die eine nicht
geringe Bedeutung auch auf politischem Gebiet hatte, indem sie die
Tendenz zur Gewaltenteilung und zur Unabhängigkeit des Richteramts
verstärkte (folglich zur allgemeinen Reorganisation der Struktur des
Regierungl[sapparates]), sich in vielen Ländern abgeschwächt hat, wobei
man in vielen Fällen auf die alten Methoden der Ermittlung und sogar auf
die Folter zurückgriff: die Systeme der amerikanischen Polizei, mit dem
dritten Grad der Verhöre, sind ziemlich bekannt. So hat die Gestalt des
Staatsanwalts viel von ihren Merkmalen verloren, der die Interessen des
Gesetzes und der legalen Gesellschaft objektiv vertreten müsste, die nicht
nur verletzt werden, wenn ein Schuldiger straffrei ausgeht, sondern auch
und besonders, wenn ein Unschuldiger verurteilt wird. Es scheint sich im
Gegenteil die Überzeugung herausgebildet zu haben, dass der Staatsanwalt
ein Advokat des Teufels ist, der besonders die Unschuldigen in die Hölle
bringen will, um Gott den Vogel zu zeigen, und dass der Staatsanwalt
deshalb immer Schuldsprüche will.

$(21). Redekunst, Gespräch, Bildung. Macaulay schreibt in seinem


Essay über die Attischen Redner (das Zitat überprüfen) die auch gebilde-
teren Griechen eigene Leichtigkeit, sich von nahezu kindlichen Sophismen
blenden zu lassen, der Vorherrschaft zu, die in der Erziehung und im
Leben der Griechen die lebendige und gesprochene Rede hatte. Die Ge-
wohnheit des Gesprächs und der Redekunst bringt eine gewisse Fähigkeit

* Im Ms.: »untersucht hat«.


Heft 16-$20-$21 1839
hervor, mit großer Schlagfertigkeit Argumente von einiger brillanter
Augenscheinlichkeit zu finden, die dem Gegner momentan den Mund
stopfen und den Zuhörer verblüfft zurücklassen'. Diese Beobachtung lässt
sich auch auf einige Erscheinungen des modernen Lebens und auf die
Labilität der kulturellen Basis einiger gesellschaftlicher Gruppen wie der
Arbeiter in der Stadt übertragen. Sie erklärt zum Teil das Misstrauen der
Bauern gegenüber den auf Versammlungen sprechenden Intellektuellen:
die Bauern, die lange über die Äußerungen nachgrübeln, die sie beim Vortrag
gehört haben und durch deren Glanz sie momentan beeindruckt sind, ent-
decken schließlich mit dem gesunden Menschenverstand, welcher nach
der durch die hinreißenden Worte verursachten Erregung wieder die
Oberhand gewonnen hat, deren Schwächen und Oberflächlichkeit und
werden daher misstrauisch aus Prinzip.

Eine weitere Beobachtung Macaulays ist festzuhalten: er gibt einen Aus-


spruch Eugens von Savoyen wieder, welcher sagte, die größten Generäle
seien diejenigen geworden, die urplötzlich an die Spitze des Heeres und
damit vor die Notwendigkeit gestellt worden waren, an die großen und
umfassenden Manöver zu denken”. Das heißt, wer aus Beruf zum Sklaven
der Einzelheiten geworden ist, verbürokratisiert: er sieht vor lauter Bäumen
den Wald nicht mehr, vor lauter Dienstvorschriften nicht den strategischen
Plan. Dennoch verstanden es die großen Heerführer, das eine mit dem
andern zu verbinden: die Kontrolle über die Verpflegung der Soldaten und
das große Manöver usw.
Man kann noch hinzufügen, dass sich die Zeitung der Redekunst und
dem Gespräch stark annähert. Die Zeitungsartikel sind für gewöhnlich
flüchtig, improvisiert, den Versammlungsreden wegen des Tempos der
gedanklichen Gestaltung und des Argumentierens größtenteils ähnlich.
Wenige Zeitungen haben Fachredakteure, und auch deren Tätigkeit ist im
übrigen zum großen Teil improvisiert: die Spezialisierung dient dem
besseren und schnelleren Improvisieren. Es fehlen besonders in den italie-
nischen Zeitungen die ausgefeilteren und ausgewogeneren regelmäßigen
Übersichten (zum Theater, zur Wirtschaft, usw.); die Mitarbeiter leisten
das nur teilweise und hinterlassen, da sie keine einheitliche Ausrichtung
haben, nur kärgliche Spuren. Die Solidität einer Bildung kann daher nach
drei hauptsächlichen Stufen gemessen werden: a. die der Nur-Zeitungs-
leser; b. diejenige derer, die auch Zeitschriften nichtvermischten Inhalts
lesen; c. die der Bücherleser, abgesehen von einer großen Menge (der
Mehrheit), die nicht einmal Zeitungen liest und sich irgendeine Meinung
bildet, indem sie an den turnusmäßigen Versammlungen und denen in
Wahlkampfzeiten teilnimmt, die von Rednern sehr unterschiedlichen
1840 Sechzehntes Heft

Niveaus abgehalten werden. Im Mailänder Gefängnis gemachte Beobach-


tung, wo »I| Sole« verkauft wurde: die Mehrheit der Häftlinge, auch der
politischen, las die »Gazzetta dello Sport«. Unter etwa 2500 Häftlingen
wurden höchstens 80 Exemplare des »Sole« verkauft; nach der »Gazzetta
dello Sport« waren die am meisten gelesenen Veröffentlichungen die
»Domenica del Corriere« und »Il Corriere dei Piccoli«“.
Es steht fest, dass sich der Prozess der intellektuellen Zivilisierung in
einem sehr langen Zeitraum besonders in der rednerischen und rhetori-
schen Form entfaltet hat, das heißt mit keiner oder geringer Unterstützung
durch Schriften: das Auswendiglernen der Begriffe, dieman im lebendigen
Vortrag gehört hat, war die Grundlage jeder Unterweisung (und bleibt es
noch in einigen Ländern, zum Beispiel in Abessinien). Eine neue Tradition
setzt mit dem Humanismus ein, der in den Schulen und im Unterricht die
»schriftliche Aufgabe« einführt: man kann aber sagen, dass bereits im
Mittelalter, mit der Scholastik, implizit die Tradition der auf der Redekunst
gegründeten Pädagogik kritisiert und versucht wird, dem Gedächtnis-
vermögen ein festeres und dauerhafteres Gerüst zu geben. Wenn man
darüber nachdenkt, kann man bemerken, dass die Bedeutung, welche die
Scholastik dem Studium der Formallogik beimisst, in der Tat eine Reaktion
gegen die »Leichtfertigkeit« der Beweisführung in den alten Bildungs-
methoden ist. Die formallogischen Irrtümer sind besonders in der münd-
lichen Argumentation verbreitet.
Die Buchdruckerkunst hat danach die ganze Bildungswelt revolutio-
niert, indem sıe dem Gedächtnis ein Hilfsmittel von unschätzbarem Wert
gab und eine unerhörte Ausdehnung der erzieherischen Tätigkeit erlaubte.
In dieser Untersuchung ist folglich die weitere enthalten, nicht nur die der
quantitativen (massenhafte Ausbreitung), sondern auch die der qualita-
tiven Veränderungen, welche die Denkweise durch die technische und
instrumentelle Entwicklung der Bildungsorganisation erfuhr.
Auch heute ist die mündliche Kommunikation ein Mittel ideologischer
Verbreitung, das eine Geschwindigkeit, einen Wirkungsraum und eine
emotionale Gleichzeitigkeit hat, die ungeheuer viel größer sind als bei der
schriftlichen Kommunikation (das Theater, das Kino und das Radio, mit
Lautsprechern auf den Plätzen, schlagen alle Formen schriftlicher Kom-
munikation, vom Buch über die Zeitschrift bis zur Zeitung und Wand-
zeitung), aber an Oberfläche, nicht an Tiefe.
Die Akademien und die Universitäten als Organisationen der Bildung
und als Mittel zu ihrer Verbreitung. In den Universitäten die mündliche
Vorlesung und die Arbeiten im Seminar und im Versuchslabor, die Funktion
Heft 16-$21 1841
des großen Professors und die des Assistenten. Die Funktion des profes-
sionellen Assistenten ist die der »Aldermänner der Heiligen Zita« aus
Basilio Puotis Schule, von denen De Sanctis spricht’, das heißt die Heraus-
bildung von »freiwilligen« Assistenten im selben Jahrgang durch eine
spontane, den Schülern selbst zu verdankende Auslese, die dem Dozenten
helfen und seine Vorlesungen verfolgen, wobei sie das Studieren praktisch
lehren.
Einige der bisherigen Betrachtungen sind durch die Lektüre des All-
gemeinverständlichen Lehrbuchs der Soziologie angeregt worden, das alle
Mängel des Gesprächs, der argumentativen Leichtfertigkeit der Rede-
kunst, der schwachen Struktur der Formallogik aufweist‘. Es wäre kurios,
anhand dieses Buches exemplarisch alle die von den Scholastikern aufge-
zeigten logischen Fehler vorzuführen, in Erinnerung an die sehr richtige
Bemerkung, dass auch die Denkweisen erworbene und nicht angeborene
Elemente sind, deren richtiger Gebrauch (nach dem Erwerb) einer beruf-
lichen Qualifikation entspricht”. Sie nicht besitzen, nicht bemerken, dass
man sie (nicht) besitzt, sich nicht die Aufgabe stellen, sie durch eine »Lehr-
zeit« zu erwerben, läuft auf den Anspruch hinaus, ein Auto bauen zu
wollen und die Werkstatt und die Werkzeuge eines Dorfhufschmiedes hand-
haben zu können und zur eignen Verfügung zu haben. Das Studium der
»alten Formallogik« ist heutzutage in Misskredit geraten, und teilweise zu
Recht. Aber das Problem, eine Lehrzeit in der Formallogik als Kontrolle
der Leichtfertigkeit in der Beweisführung der Redekunst absolvieren zu
lassen, taucht wieder auf, sobald sich das grundsätzliche Problem stellt,
eine neue Bildung auf einer neuen gesellschaftlichen Basis zu schaffen, die
keine Traditionen hat wie die alte Klasse der Intellektuellen. Einem »tra-
ditionellen intellektuellen Block«, mit der Komplexität und Kapillarität
seiner Gliederungen, gelingt es, sich in der organischen Entwicklung jeder
einzelnen Komponente das Element »Lehrzeit in der Logik« auch ohne
die Notwendigkeit einer gesonderten und erkennbaren Lehrzeit anzueignen
(so wie die Kinder gebildeter Familien es lernen, »nach der Grammatik «
zu sprechen, das heißt sie lernen den Sprachtyp der gebildeten Personen
auch ohne die Notwendigkeit besonderer und anstrengender Grammatik-
studien, im Unterschied zu den Kindern aus Familien, wo ein Dialekt
oder eine dialektal geprägte Sprache gesprochen wird). Aber auch das geht
nicht ohne Schwierigkeiten, Reibungen und schwere Verluste an Energie
ab.
Die Entwicklung der beruflich-technischen Schulen aller Stufen oberhalb
der Elementarstufe hat das Problem in anderen Formen wieder aufge-
worfen. Es ist an die Feststellung Prof. Peanos zu erinnern, dass sich auch
1842 Sechzehntes Heft

im Polytechnikum und in der höheren Mathematik die vom Gymnasium-


Lyzeum kommenden Schüler im Vergleich zu den von den technischen
Instituten kommenden als besser vorbereitet erweisen‘. Diese bessere
Vorbereitung ist durch den komplexen »humanistischen« Unterricht
(Geschichte, Literatur, Philosophie) gegeben, wie in anderen Notizen (die
Serie über die »Intellektuellen« und das Schulproblem)’ ausführlich
gezeigt worden ist. Warum kann die Mathematik (das Studium der Mathe-
matik) nicht dieselben Ergebnisse erbringen, wenn die Mathematik der
Formallogik so nahe ist, dass sie mit ihr verwechselt wird? Wenn es unter
pädagogischem Aspekt eine Ähnlichkeit gibt, so gibt es auch einen gewal-
tigen Unterschied. Die Mathematik beruht im wesentlichen auf der Zahlen-
reihe, das heißt auf einer unendlichen Reihe von Gleichungen (1=1), die in
unendlichen Weisen kombiniert werden können. Die Formallogik tendiert
dahin, dasselbe zu tun, aber nur bis zu einem gewissen Punkt: ihre Ab-
straktheit bewahrt sie nur zu Beginn des Lernens, bei der unmittelbaren,
nackten und rohen Formulierung ihrer Prinzipien, aber sie verwirklicht
sich konkret in der Rede selbst, in der sich die abstrakte Formulierung
vollzieht. Die Sprachübungen, die im Gymnasium-Lyzeum betrieben
werden, offenbaren nach einer gewissen Zeit, dass es bei den lateinisch-
italienischen, griechisch-italienischen Übersetzungen nie eine Identität
in den Termini der miteinander verglichenen Sprachen gibt, oder dass
zumindest diese Identität, die zu Beginn des Studiums scheinbar besteht
(italienisch rosa=lateinisch rosa), mit dem Fortschreiten der »Lehrzeit«
immer komplizierter wird, sich also immer mehr vom mathematischen
Schema entfernt, um bei einem historischen und Geschmacksurteil anzu-
langen, bei dem die Nuancen, die »einzigartige und individuelle« Aus-
druckskraft, die Oberhand haben. Und das passiert nicht nur im Vergleich
zwischen zwei Sprachen, sondern passiert auch beim Studium der
Geschichte ein und derselben »Sprache«, das sichtbar macht, wie ein und
derselbe Laut-Wort über die Zeit hinweg semantisch variiert und wie
seine Funktion im Satz variiert (außer phonetischen auch morphologische,
syntaktische, semantische Veränderungen).

Anmerkung. Ein Experiment, das gemacht wurde, um zu zeigen, wie


labil das Lernen per »Redekunst« ist: zwölf Personen mit einem gewissen
höheren Bildungsgrad wiederholen einander eine komplexe Tatsache, und
dann schreibt jeder auf, was er vom Gehörten behalten hat: die zwölf
Versionen unterscheiden sich von der (zur Kontrolle aufgeschriebenen)
Originalerzählung häufig in erstaunlicher Weise. Dieses Experiment,
wiederholt durchgeführt, mag zeigen, dass man dem nicht mit angemesse-
nen Methoden geschulten Gedächtnis misstrauen muss.
Heft 16-$21-$22 1843
$(22). Religiöses Empfinden und Intellektuelle des 19. Jahrhunderts
(bis zum Weltkrieg). Im Jahre 1921 hat der Turiner Verleger Bocca in drei
dicken Bänden, mit Vorwort von D. Parodi, eine Reihe von Geständnissen
und Glaubensbekenntnissen von Gelehrten, Philosophen, Politikern usw.
gesammelt, die zuvor in der von Bignami in Lugano herausgegebenen
Zeitschrift »Coenobium« als Antworten auf eine Umfrage über das
religiöse Empfinden und seine verschiedenen Beziehungen erschienen
waren‘. Die Sammlung kann, obwohl sie in vielerlei Hinsicht mangelhaft
ist, für denjenigen interessant sein, der die Meinungsströmungen gegen
Ende des vorigen Jahrhunderts und zu Beginn des gegenwärtigen speziell
unter den »demokratischen« Intellektuellen studieren will. Im 1. Band
sind die Antworten folgender italienischer Gelehrter, usw. enthalten:
Angiolo Silvio Novaro, Prof. Alfredo Poggi, Prof. Enrico Catellani,
Raffaele Ottolenghi, Prof. Bernardino Varisco, Augusto Agabiti, Prof. A.
Renda, Vittore Marchi, Herausgeber der Tageszeitung »Dio e Popolo«,
Ugo Janni, waldensischer Pfarrer, A. Paolo Nunzio, Pietro Ridolfi
Bolognesi, Nicola Toscano Stanziale, Herausgeber der »Rassegna critica«,
Dr. Giuseppe Gasco, Luigi Di Mattia, Ugo Perucci, Grundschullehrer,
Prof. Casimiro Tosini, Lehrerseminarleiter, Adolfo Artioli, Prof. Giuseppe
Morando, Herausgeber der »Rivista Rosminiana« und Rektor des Gym-
nasıiums von Voghera, Prof. Alberto Friscia, Vittorio Nardi, Luigi
Marrocco, Publizist, G.B. Penne, Guido Piccardi, Renato Bruni, Prof.
Giuseppe Rensı.

Im 2. Band: Francesco Del Greco, Prof. und Direktor einer Irrenanstalt,


Alessandro Bonucci, Universitätsprof., Francesco Consentini, Universitäts-
prof., Luigi Pera, Arzt, Filippo Abignente, Herausgeber des »Carattere«,
Giampiero Turati, Bruno Franchi, Chefredakteur der »Scuola Positiva di
Diritto Criminale«, Manfredi Siotto-Pintor, Universitätsprof., Prof.
Enrico Caporali, Giovanni Lanzalone, Herausgeber der Zeitschrift »Arte
e Morale«, Leonardo Gatto-Roissard, Oberleutnant der Gebirgsjäger,
Pietro Raveggi, Publizist, Widar Cesarini-Sforza, Leopoldo De Angelıs,
Prof. Giovanni Predieri, Orazio Bacci, Giuseppe Benetti, Publizist, Prof.
G. Capra-Cordova, Costanza Palazzo, Pietro Romano, Giulio Carvaglıo,
Leone Luzzatto, Adolfo Faggi, Universitätsprof., Ercole Quadrelli, Carlo
Francesco Gabba, Senator, Universitätsprof., Dr. Ernesto Lattes, Publizist,
Settimio Corti, Philosophieprof., Bruno Villanova D’Ardenghi (Bruno
Brunelli), Publizist, Paolo Calvino, evangelischer Pfarrer, Prof. Giuseppe
Lipparini, Prof. Oreste Ferrini, Prof. Luigi Rossi Case, Prof. Antioco
Zucca, Vittoria Fabrizi de’ Biani, Prof. Guido Falorsi, Prof. Benedetto De
Luca, Publizist, Giacomo Levi Minzi, Bibliophiler (!) der Markusbibliothek,
1844 Sechzehntes Heft

Prof. Alessandro Arrö, Bice Sacchi, Prof. Ferdinando Belloni-Filippi, Nella


Doria-Cambon, Prof. Romeo Manzoni.
Im 3. Band: Romolo Murri, Giovanni Vidari, Universitätsprofessor,
Luigi Ambrosi, Universitätsprof., Salvatore Farina, Angelo Flavio Guidi,
Publizist, Graf Alessandro D’Aquino, Baldassarre Labanca, Universitäts-
prof. für Geschichte des Christentums, Giannino Antona-Traversi, Drama-
tiker, Prof. Mario Pilo, Alessandro Sacchi, Universitätsprof., Angelo De
Gubernatis, Universitätsprof., Giuseppe Sergi, Universitätsprof., Adolfo
Zerboglio, Universitätsprof., Vittorio Benini, Universitätsprof., Paolo
Arcari, Andrea Lo Forte Randi, Arnaldo Cervesato, Giuseppe Cimbalı,
Universitätsprof., Alfredo Melani, Architekt, Silvio Adrasto Barbi, Prof.,
Prof. Massimo Bontempelli, Achille Monti, Universitätsprof., Velleda
Benetti, Studentin, Achille Loria, Prof. Francesco Pietropaolo, Prof.
Amilcare Lauria, Eugenio Bermani, Schriftsteller, Ugo Fortini del Giglio,
RA Luigi Puccio, Maria Nono-Villari, Schriftstellerin, Gian Pietro Lucini,
Angelo Valdarmini, Universitätsprof., Teresina Bontempi, Inspektorin der
Kindergärten im Kanton Tessin, Luigi Antonio Villari, Guido Podrecca,
Alfredo Panzini, RA Amedeo Massari, Prof. Giuseppe Barone, Giulio
Caprin, RA Gabriele Morelli, Riccardo Gradassi Luzi, Torquato
Zucchelli, Oberstleutnant ehrenhalber (sic), Ricciotto Canudo, Prof.
Felice Momigliano, Attilio Begey, Antonino Anile, Universitätsprof.,
Enrico Morselli, Universitätsprofessor, Francesco Di Gennaro, Ezio Maria
Gray, Roberto Ardigö, Arturo Graf, Pio Viazzi, Innocenzo Cappa, Herzog
Colonna Di Cesarö, Pasquale Villari, Antonio Cippico, Alessandro
Groppali, Universitätsprof., Angelo Marzorati, Italo Pizzi, Angelo
Crespi, E. A. Marescotti, F. Belloni-Filippi, Universitätsprof., Francesco
Porro, Astronom, Prof. Fortunato Rizzi.

Ein methodologisches Kriterium, das man vor Augen haben muss, wenn
man die Haltung der italienischen Intellektuellen gegenüber der Religion
(vor dem Konkordat) untersucht, ist dadurch gegeben, dass in Italien die
Beziehungen zwischen Staat und Kirche sehr viel komplexer waren als in
den anderen Ländern: Patriot sein bedeutete antiklerikal sein, auch wenn
man katholisch war, »national« empfinden bedeutete, dem Vatikan und
seinen territorialen und politischen Forderungen misstrauen. Daran
erinnern, wie der »Corriere della Sera« bei einer Nachwahl in Mailand, vor
1914, die Kandidatur des Marchese Cornaggia, eines Anhängers der welt-
lichen Macht”, bekämpfte und es vorzog, dass der sozialistische Kandidat
gewählt wurde””',
Heft 16-$22-$23 1845
$(23). Märchenritter (oder Märchenprinzen), Hornissen und M istkäfer.
Luigi Galleani hat um 1910 ein verworrenes Sammelsurium unter dem
Titel Von Angesicht zu Angesicht mit dem Feind zusammengestellt (heraus-
gegeben von den »Cronache Sovversive« in den Vereinigten Staaten, in
Chicago oder Pittsburg), in dem er aus unterschiedlichen Zeitungen ohne
Methode und Kritik die Berichte über eine Reihe von Prozessen gegen
sogenannte anarchistische Individualisten (Ravachol, Henry usw.) gesam-
melt hat‘. Die Zusammenstellung ist mit Vorsicht zu genießen, aber einige
merkwürdige Stichwörter können daraus entnommen werden.
1. In seiner Rede von Livorno vom Januar 1921 wiederholte der Abg.
Abbo wörtlich die »Prinzipien«-Erklärung des Individualisten Etievant,
die im Anhang von Galleanis Buch wiedergegeben ist; auch der Satz über
die »Linguistik«, der allgemeine Heiterkeit erregte, wird wortwörtlich
wiederholt”. Sicher kannte der Abg. Abbo die Passage auswendig, und das
mag als Hinweis darauf dienen, wie es um die Bildung von Typen wie dem
Abg. Abbo bestellt war und wie verbreitet und populär eine solche Lite-
ratur war.
2. Aus den Erklärungen der Angeklagten geht hervor, dass eines der
Hauptmotive für die »individualistischen« Aktionen das als Naturrecht
aufgefasste »Recht auf Wohlstand« war (für die Franzosen, versteht sich,
die den größten Teil des Buches einnehmen). Von mehreren Angeklagten
wird der Satz wiederholt, dass »eine Orgie der Herren verbraucht, was für
tausend Arbeiterfamilien reichen würdes; es fehlt jeder Hinweis auf die
Produktion und auf die Produktionsverhältnisse. Etievants Erklärung, die
im vollständigen schriftlichen Text wiedergegeben wird, ist typisch, weil in
ihr versucht wird, ein naives und kindliches Rechtfertigungssystem für die
»individualistischen« Aktionen zu konstruieren. Doch die gleichen Recht-
fertigungen gelten für alle, für die Polizisten, für die Richter, für die
Geschworenen, für den Henker: jedes Individuum ist in einem deter-
ministischen Netz von Empfindungen eingeschlossen wie ein Schwein in
einer eisernen Tonne und kann nicht daraus entkommen: der Individualist
wirft die »Bombe«, der Polizist verhaftet, der Richter verurteilt, der Henker
köpft, und keiner kann umhin, so zu handeln. Es gibt keinen Ausweg, es
kann keinerlei Lösung geben. Es ist ein Anarchismus und Individualismus,
der sich, um sich moralisch selbst zu rechtfertigen, in erbärmlich komischer
Weise verneint. Die Analyse von Etievants Erklärung zeigt, wie die Welle
individualistischer Aktionen, die in einem gewissen Zeitraum über Frank-
reich hinweggingen, die beiläufige Folge der moralischen und intellek-
tuellen Verstörtheit waren, welche die französische Gesellschaft von 71 bis
zur Dreyfus-Affäre zerfraß, in der sie ein kollektives Ventil fand.
1846 Sechzehntes Heft

3. Was Henry angeht, wird in dem Band der Brief eines gewissen Galtey
(zu überprüfen) an den »Figaro« wiedergegeben‘. Henry scheint Galteys
Frau geliebt und diese Liebe »in der eigenen Brust« unterdrückt zu haben.
Nachdem die Frau erfahren hatte, dass Henry in sie verliebt gewesen war
(anscheinend hatte sie es nicht bemerkt), erklärte sie einem Journalisten,
dass sie sich, wenn sie es gewusst hätte, vielleicht hingegeben hätte. Galtey
legt in dem Brief Wert darauf zu erklären, dass er seiner Frau gegenüber
nichts einzuwenden habe und argumentiert: wenn es einem Mann nicht
gelungen ist, den romantischen Traum seiner Frau vom Märchenritter
(oder Prinzen) zu verkörpern, um so schlimmer für ihn: er muss zulassen,
dass ein anderer ihn ersetzt. Diese Mischung aus Märchenprinzen, mate-
rialistischem Vulgärrationalismus und Leichenfledderei a la Ravachol ist
typisch und hervorzuheben.
4. In seiner Erklärung beim Prozess von Lyon 1894 (zu überprüfen)
kündigt Fürst Kropotkin im Tone verblüffender Sicherheit an, auf welche
Art innerhalb der nächsten zehn Jahre die endgültige Umwälzung statt-
finden würde‘.

$(24). Lehrstück vom Kadi, vom Reisesack, der auf dem Markt
verlorenging, von den beiden Glückspilzen, von den fünf Olivenkernen.
Auf die Geschichte aus Tausendundeiner Nacht zurückgreifen‘.

$(25). Das kleinere Übel oder das weniger Schlechte (neben die andere
törichte Formel des »je schlimmer, desto besser« zu stellen). Könnte man in
Form eines Lehrstücks behandeln (an das populäre Sprichwort »schlimmer
geht’s immer« erinnern). Der Begriff des »kleineren Übels« bzw. des
»weniger Schlechten« gehört zu den relativsten. Ein Übel ist immer kleiner
als ein darauf folgendes größeres, und eine Gefahr ist immer kleiner als eine
darauf folgende andere, die möglicherweise größer ist. Jedes Übel wird zu
einem kleineren im Vergleich zu einem anderen, das sich als größeres
darstellt und so unendlich immer weiter. Die Formel vom kleineren Übel,
vom weniger Schlechten, ist also nichts anderes als die Form, die der
Anpassungsprozess an eine historisch regressive Bewegung annimmt, an
eine Bewegung, deren Entwicklung eine kühn wirksame Kraft lenkt, wäh-
rend die antagonistischen Kräfte (oder besser deren Führer) entschlossen
sind, zunehmend zu kapitulieren, in kleinen Etappen und nicht auf einen
Schlag (was wegen des konzentrierten psychologischen Effekts sehr wohl
eine andere Bedeutung hätte und eine aktive Kraft hervorbringen könnte -
Heft 16-$23-$26 1847
in Konkurrenz zu derjenigen, die sich passiv in ihr »Schicksal« fügt - oder
sie verstärken könnte, wenn es sie bereits gibt). Da der methodische
Grundsatz stimmt, dass die fortgeschritteneren Länder (in progressiver
oder regressiver Bewegung) das vorweggenommene Bild der anderen
Länder sind, wo dieselbe Entwicklung in den Anfängen steckt‘, ist der
Vergleich auf diesem Feld korrekt, weshalb er nützlich sein kann (er wird
indes immer nützlich sein vom erzieherischen Standpunkt).

$(26). Die Bewegung und das Ziel. Ist es möglich, eine Bewegung
lebendig und wirksam zu erhalten, ohne die Perspektive unmittelbarer
und mittelbarer Ziele? Bernsteins Aussage, wonach die Bewegung alles
und das Ziel nichts ist, versteckt unterm Anschein einer »orthodoxen«
Auslegung der Dialektik eine mechanistische Auffassung des Lebens und
der geschichtlichen Bewegung: die menschlichen Kräfte werden als passive
und nicht bewusste, als ein von den materiellen Dingen nicht unterschie-
denes Element betrachtet, und der vulgäre Evolutionsbegriff, im natura-
listischen Sinn, ersetzt den Begriff der Entfaltung und Entwicklung. Das
ist um so interessanter zu bemerken, als Bernstein seine Waffen dem
Arsenal des idealistischen Revisionismus entnommen hat (und dabei die
Feuerbachthesen vergessen hat), der ihn doch hätte dazu bringen müssen,
das Einwirken der (aktiven und folglich gewisse unmittelbare und mittel-
bare Ziele verfolgenden) Menschen als entscheidend in der geschichtlichen
Entwicklung zu bewerten (unter den gegebenen Bedingungen versteht
sich). Wenn man aber gründlicher analysiert, sieht man, dass bei Bernstein
und seinen Anhängern das menschliche Einwirken nicht ganz ausge-
schlossen ist, zumindest implizit (was auch zu unsinnig wäre), allerdings
nur einseitig belassen wird, weil es als »These« belassen, als »Antithese«
jedoch ausgeschlossen wird; was als These für wirksam gehalten wird, das
heißt im Moment des Widerstands und der Bewahrung, wird als Antithese
verworfen, das heißt als antagonistische vorwärtstreibende Initiative und
Impuls. Es kann »Ziele« für den Widerstand und die Bewahrung geben
(»Widerstand und Bewahrung« sind ihrerseits Ziele, die eine spezielle zivile
und militärische Organisation verlangen, die aktive Kontrolle des Gegners,
den rechtzeitigen Eingriff, um zu verhindern, dass der Gegner zu stark
wird, usw.), nicht für den Fortschritt und die erneuernde Initiative. Es
handelt sich um nichts anderes als um eine sophistische Theorisierung der
Passivität, eine »listige« Weise (im Sinne von Vicos »Listen der Vorse-
hung«°), mit der die »These« eingreift, um die »Antithese« zu schwächen,
denn gerade die Antithese (die das Erwachen kühn anzuspornender laten-
ter und ruhender Kräfte voraussetzt) muss sich Ziele setzen, unmittelbare
1848 Sechzehntes Heft

und mittelbare, um ihre aufhebende Bewegung zu stärken. Ohne die Per-


spektive konkreter Ziele kann es keinerlei Bewegung geben.

$(27). Max Nordau. Große Verbreitung der Bücher Max Nordaus in


Italien bei den gebildetsten Schichten des Volkes und des städtischen
Kleinbürgertums. Die conventionellen Lügen der Kulturmenschheit und
Entartung hatten (1921-1923) die achte beziehungsweise die fünfte Auf-
lage in der regulären Ausgabe der Gebrüder Bocca in Turin erreicht‘; aber
diese Bücher kamen in der Nachkriegszeit in die Hände von Verlegern
vom Typ Madella und Barion und wurden von Straßenhändlern zu
Niedrigstpreisen und in sehr beträchtlichen Mengen verschleudert. Sie
haben so dazu beigetragen, dass in die Popularideologie (Alltagsverstand)
eine gewisse Reihe von Glaubenssätzen und »kritischen Regeln« bzw. Vor-
urteilen eingeführt wurden, die als der vornehmste Ausdruck der fein-
sinnigen Intellektualität und der Hochkultur erscheinen, wie sie vom Volk
aufgefasst werden, für das Max Nordau ein großer Denker und Wissen-
schaftler ist.

$(28). Frondienste”. Der Ausdruck ist in Sizilien noch gebräuchlich,


um gewisse obligatorische Leistungen zu bezeichnen, zu denen der Land-
arbeiter in seinen vertraglich festgelegten Beziehungen zum Eigentümer
oder Pächter” bzw. Unterpächter angehalten ist, von dem er ein Stück
Land in sogenannter Halbpacht bekommen hat (und die nichts andereres
ist als ein Beteiligungs- oder einfacher Pachtvertrag mit Bezahlung in Natu-
ralien, der auf die halbe Ernte oder auch mehr, neben den Sonderleistungen
oder »Frondiensten«, festgesetzt ist). Der Ausdruck ist noch derselbe wie
zu Feudalzeiten, wovon sich in der Alltagssprache” seine abwertende
Bedeutung »Schinderei« herleitet, die er jedoch in Sizilien noch nicht zu
haben scheint, wo er als normaler Brauch gilt.

Was die Toskana betrifft, die Wiege der Halbpacht (vgl. die neueren Unter-
suchungen hierzu, die durch die Accademia dei Georgofili” angeregt
worden sind), lässt sich die Stelle aus einem Artikel von F. Guicciardini
anführen (in der »Nuova Antologia« vom 16. April 1907: Die jüngsten
Agrarunruhen in der Toskana und die Pflichten des Eigentums): »Zu den
Zusatzvereinbarungen des Pachtvertrags zähle ich nicht die Vereinbarungen,
die ich als Fronvereinbarungen bezeichnen werde, da sie Belastungen für
den Kolonen darstellen, denen keinerlei besonderer Vorteil entspricht: dazu
gehören das unbezahlte Waschen, das Wasserschleppen, das Holzsägen
Heft 16- $26-$29 1849
und Reisigsammeln für die Öfen des Herrn, der Beitrag an Lebensmitteln
zugunsten des Hirten, die Lieferung von Stroh und Heu für den Pferde-
stall des Gutshofs und allgemein alle unentgeltlichen Lieferungen zugunsten
des Herrn. Ich könnte nicht sagen, ob diese Vereinbarungen“ letzte Reste
des Feudalregimes sind, welche die Zerstörung der Burgen und die Be-
freiung der Kolonen überlebt haben, oder ob sie Verkrustungen sind, die
sich in jüngeren Zeiten aufgrund des Missbrauchs der Herren und der
Trägheit der Kolonen auf dem ursprünglichen Grundstock des Vertrages
gebildet haben«'. Nach Guicciardini sind diese Leistungen fast überall ver-
schwunden (im Jahre 1907), was auch für die Toskana zu bezweifeln ist.
Doch über diese Frondienste hinaus muss an andere erinnert werden, etwa
an das Recht des Herrn, die Kolonen zu einer bestimmten Stunde am
Abend im Haus einzuschließen, dass man um Frlaubnis fragen muss,
wenn man sich verloben bzw. eine Liebschaft haben will, usw., die in vielen
Gegenden (Toskana, Umbrien) anscheinend wieder aufgekommen sind,
nachdem sie im Gefolge der Agrarunruhen des ersten Jahrzehnts des Jahr-
hunderts abgeschafft worden waren - Unruhen, die von Gewerkschaftern
angeführt wurden.

$(29). Pedantische Diskussionen, Haarspaltereien, usw. Haltung von


Intellektuellen ist es, dass ihnen zu lange Diskussionen lästig sind, die
analytisch in die kleinsten Einzelheiten zerbröseln und nicht eher aufhören
wollen, bis es zwischen den Diskutanten zu einer vollkommenen Über-
einstimmung auf der ganzen Ebene der Auseinandersetzung gekommen
ist oder die gegensätzlichen Meinungen zumindest vollständig miteinander
konfrontiert worden sind. Der professionelle Intellektuelle hält eine
summarische Übereinstimmung über die allgemeinen Grundsätze, über
die grundlegenden Leitlinien für ausreichend, weil er voraussetzt, dass die
individuelle Reflexionstätigkeit notwendig zur Übereinstimmung über die
»Kleinigkeiten« führen wird; deshalb geht man in den Diskussionen
zwischen Intellektuellen oft mit flüchtigen Andeutungen vor: man tastet
sozusagen die beiderseitige kulturelle Bildung ab, die beiderseitige
»Sprache«, und sobald man festgestellt hat, dass man sich auf einem gemein-
samen Terrain befindet, mit einer gemeinsamen Sprache, mit gemeinsamen
Denkweisen, geht man rasch weiter. Aber das wesentliche Problem besteht
eben darin, dass die Diskussionen nicht zwischen professionellen Intellek-
tuellen stattfinden, sondern es müssen im Gegenteil vorbereitend ein
gemeinsames kulturelles Terrain, eine gemeinsame Sprache, gemeinsame
Denkweisen zwischen Personen geschaffen werden, die keine professio-
nellen Intellektuellen sind, welche den Habitus und die geistige Disziplin
1850 Sechzehntes Heft

noch nicht erworben haben, die notwendig sind, um anscheinend aus-


einanderliegende Begriffe rasch zu verknüpfen, wie umgekehrt, wesentliche
Unterschiede zwischen anscheinend ähnlichen Begriffen rasch zu analysie-
ren, zu zerlegen, zu erfassen und aufzudecken.
Es wurde bereits in einem anderen Paragraphen’ auf die der mündlichen
Prägung der Bildung innewohnende Schwäche und die Nachteile [des
Gesprächs oder Dialogs] gegenüber dem Schriftlichen hingewiesen: diese
an sich richtigen Bemerkungen müssen indes um die weiter oben darge-
legten ergänzt werden, das heißt mit dem Bewusstsein der Notwendigkeit
des gesprochenen Wortes, der eingehenden und »pedantischen« Diskussion,
um eine neue Form der Bildung organisch zu verbreiten. Richtige Abstim-
mung zwischen dem gesprochenen und geschriebenen Wort. Das alles
beachte man bei den Beziehungen zwischen professionellen Intellektuellen
und nicht ausgebildeten Intellektuellen, was übrigens für jede Schulstufe
gilt, von der Grundschule bis zur Universität.
Der Nichtfachmann der intellektuellen Arbeit stolpert bei seiner »persön-
lichen« Arbeit mit den Büchern über Schwierigkeiten, die ihn blockieren
und oftam Weiterkommen hindern, weil er unfähig ist, sie auf der Stelle zu
lösen, was jedoch in mündlichen Diskussionen unmittelbar möglich ist.
Man bemerkt, sieht man einmal von böser Absicht ab, dass die schriftlichen
Diskussionen sich aus folgendem einfachen Grund in die Länge ziehen:
weil etwas falsch Verstandenes der Aufklärung bedarf und im Laufe der
Auseinandersetzung die Schwierigkeiten, sich zu verständigen und erklären
zu müssen, sich vervielfachen.

$(30). Tempo. In vielen Fremdsprachen hat das aus dem Italienischen


über die Musiksprache eingeführte Wort »tempo« eine eigene, allgemeine,
aber deshalb nicht weniger bestimmte Bedeutung angenommen, die das
italienische Wort »tempo« aufgrund seiner Allgemeinheit nicht ausdrücken
kann (man könnte auch nicht sagen »tempo im musikalischen Sinn bzw.
wie man es in der Musiksprache versteht«, weil es Anlass zu Missverständ-
nissen geben würde). Deshalb muss das italienische Wort »tempo« ins Italie-
nische übersetzt werden: »Geschwindigkeit des Rhythmus« scheint die
genaueste Erklärung zu sein, und die im übrigen der Bedeutung entspricht,
die das Wort in der Musik hat, und nur »Rhythmus«, wenn das Wort
»tempo« mit einem Adjektiv versehen wird: »beschleunigter Rhythmus«
(oder »beschleunigtes Tempo«), »verlangsamter Rhythmus«, usw. Andere
Male wird »Geschwindigkeit des Rhythmus« im elliptischen Sinn gebraucht
für »Maß der Geschwindigkeit des Rhythmus«.
SIEBZEHNTES HEFT (IV)

27,3 190,5
MISZELLEN
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1853

($1). Humanismus und Renaissance. Was heißt, die Renaissance habe


»den Menschen« entdeckt, aus dem Menschen das Zentrum des Universums
gemacht usw. usf.? Vielleicht, dass vor der Renaissance der »Mensch« nicht
das Zentrum des Universums war usw.? Man mag entgegnen, dass die
Renaissance eine neue Kultur oder Zivilisation im Gegensatz zu den
vorangegangenen geschaffen hat beziehungsweise diese die vorangegan-
genen weiterentwickeln, aber man muss »eingrenzen« beziehungsweise
»präzisieren«, worin diese Kultur besteht usw. War der »Mensch« vor der
Renaissance wirklich nichts und ist alles geworden? oder hat sich ein
kultureller Bildungsprozess entwickelt, in dem der Mensch bestrebt ist,
alles zu werden? Man muss wohl sagen, dass vor der Renaissance das
Transzendente die Basis der mittelalterlichen Kultur bildete, aber waren
diejenigen, die diese Kultur repräsentierten, etwa »nichts« beziehungs-
weise war diese Kultur für sie nicht die Weise, »alles« zu sein? Wenn die
Renaissance eine große Kulturrevolution ist, so nicht deswegen, weil aus
dem »Nichts« alle Menschen angefangen haben zu denken, sie seien »alles«,
sondern weil diese Denkweise sich verbreitet hat, ein universales Ferment
geworden ist usw. Nicht der Mensch wurde »entdeckt«, sondern es wurde
eine neue Form der Kultur initiiert, d.h. der Anstrengung, einen neuen
Menschentyp in den herrschenden Klassen zu schaffen.

$(2). Vergangenheit und Gegenwart. Eine englische Definition der


Kultur: »Die Kultur ist als ein Kontroll- und Führungssystem definiert
worden, das mit sparsamsten Mitteln die maximale Leistungsfähigkeit eines
Volkes entwickelt«'. Die Übersetzung scheint nicht genau: »mit sparsamsten
Mitteln«, was heißt das? Insgesamt besagt die Definition wenig, da sie zu
allgemein ist. »Kultur« kann mit präziserer Bedeutung durch »politisches
Regime«, »Regierung« ersetzt werden.

$(3). Humanismus und Renaissance. Aus Arminio Janners Rezen-


sion (»Nuova Antologia« vom 1. August 1933) des Buches: Ernst Walser,
Gesammelte Studien zur Geistesgeschichte der Renaissance (Verl. Benno
Schwabe, Basel 1932)'. Nach Janner ist die Vorstellung, die wir uns von der
Renaissance machen, vor allem durch zwei Hauptwerke geprägt: Jakob
Burckhardts Kultur der Renaissance und De Sanctis’ Geschichte der italie-
nischen Literatur. Burckhardts Buch wurde in Italien anders interpretiert
als außerhab Italiens. Erschienen 1860, fand es europäischen Widerhall,
beeinflusste Nietzsches Ideen vom Übermenschen und löste dadurch, vor
allem in den nordeuropäischen Ländern, eine ganze literarische Produktion
1854 Siebzehntes Heft

über Künstler und Kondottieri der Renaissance aus, eine Produktion, in


der das Recht auf das schöne und heroische Leben, auf die freie Entfaltung
der Persönlichkeit ohne Rücksichten auf moralische Bindungen propagiert
wird. Die Renaissance erschöpft sich so in Sigismondo Malatesta, Cesare
Borgia, Leo X., Aretino, mit Machiavelli als Theoretiker und am Rande,
als Einzelgänger, Michelangelo. In Italien vertritt D’Annunzio diese Inter-
pretation der Renaissance. Burckhardts Buch (1877 von Valbusa übersetzt)
übte in Italien einen anderen Einfluss aus: die italienische Übersetzung
hob mehr die antikurialen Bestrebungen hervor, die Burckhardt in der
Renaissance sah und die mit den Bestrebungen der italienischen Politik
und Kultur des Risorgimento übereinstimmten. Auch das andere Element,
das Burckhardt an der Renaissance hervorhob, das des Individualismus
und der Ausbildung der modernen Mentalität, wurde in Italien als Gegen-
satz zu der vom Papsttum repräsentierten mittelalterlichen Welt gesehen.
In Italien wurde die Bewunderung für ein Leben aus dem Vollen und von
reiner Schönheit weniger bemerkt; die Kondottieri, die Abenteurer, die
Immoralisten fanden in Italien weniger Beachtung. (Diese Bemerkungen
sind meines Erachtens zu berücksichtigen: es gibt eine Interpretation der
Renaissance und des modernen Lebens, die Italien zugeschrieben wird [als
sei sie ursprünglich und tatsächlich in Italien entstanden], aber es ist nur
die Interpretation eines deutschen Buches über Italien usw.).
De Sanctis betont an der Renaissance die dunklen Farben der politischen
und moralischen Korruption; trotz aller Verdienste, die man der Renais-
sance zuerkennen kann, zersetzte sie Italien und machte es zur Magd des
Fremden.
Kurz, Burckhardt sieht die Renaissance als Ausgangspunkt einer neuen
Epoche der europäischen Kultur, fortschrittlich, Wiege des modernen
Menschen: De Sanctis vom Standpunkt der italienischen Geschichte, und
für Italien war die Renaissance Ausgangspunkt eines Rückschritts usw.
Burckhardt und De Sanctis stimmen jedoch in den Einzelheiten der
Analyse der Renaissance überein, einvernehmlich betonen sie als charakte-
ristische Elemente die Herausbildung der neuen Mentalität, die Loslösung
von allen mittelalterlichen Bindungen gegenüber der Religion, der Auto-
rıtät, dem Vaterland, der Familie. (Diese Beobachtungen Janners zu
Burckhardt und De Sanctis sind zu überprüfen). Nach Janner »hat sich in
den letzten zehn bis fünfzehn Jahren allmählich eine Gegenströmung von
vor allem katholischen Forschern gebildet, welche die Wirklichkeit dieser
(von Burckhardt und De Sanctis hervorgehobenen) Merkmale der Renais-
sance bestreiten und andere, großteils entgegengesetzte hervorzuheben
versuchen. In Italien Olgiati, Zabughin, Toffanin, in den deutschsprachigen
Heft 17-$ 3 1855
Ländern Pastor, in den ersten Bänden der Geschichte der Päpste, und
Walser«’. Von Walser gibt es eine Untersuchung über die Religiosität Pulcis
(Lebens- und Glaubensprobleme aus dem Zeitalter der Renaissance, in
»Die Neueren Sprachen«, 10. Beiheft). Er analysiert (anknüpfend an die
Forschungen Volpis und anderer) Pulcis Typ des Ketzertums und die Freig-
nisse um den Widerruf, den er später hat tun müssen; er zeigt »in ziemlich
überzeugender Weise« deren Herkunft (Averroismus und jüdische mysti-
sche Sekten), und er zeigt, dass es bei Pulci nicht nur um Loslösung von
orthodoxen religiösen Gefühlen geht, sondern um einen ihm eigenen
neuen Glauben (durchwirkt von Magie und Spiritismus), der später auf ein
großzügiges Verstehen und eine Tolerierung aller Glaubensrichtungen hin-
ausläuft. (Zu prüfen ist, ob der Spiritismus und die Magie nicht notwendig
die Form sind, die der Naturalismus und Materialismus jener Epoche
annehmen musste, das heißt die Reaktion auf die katholische Transzen-
denz oder die Frühform primitiver und roher Immanenz). In dem von
Janner rezensierten Band scheinen vor allem drei Studien interessant zu
sein, insofern sie die neue Interpretation illustrieren: »Christentum und
Antike in der Auffassung der italienischen Frührenaissance«, »Studien
zum Denken der Renaissance« und »Menschliche und künstlerische Pro-
bleme der italienischen Renaissance«”
Nach Walser ist Burckhardts Behauptung, die Renaissance sei heidnisch,
kritisch, antikurial und irreligiös gewesen, nicht richtig. Die Humanisten
der ersten Generation wie Petrarca, Boccaccio, Salutati unterscheiden sich
bezüglich der Kirche nicht von der Haltung der mittelalterlichen Gelehrten.
Die Humanisten des fünfzehnten Jahrhunderts, Poggio, Valla, Beccadelli
sind kritischer und unabhängiger, aber gegenüber der Offenbarungs-
wahrheit schweigen auch sie und akzeptieren sie. Darin ist Walser mit
Toffanın einig, der in seinem Buch Was war der Humanismus? behauptet,
der Humanismus sei mit seinem Kult der Latinität und des Römertums
um einiges orthodoxer gewesen als die gelehrte Literatur in der Volks-
sprache aus dem dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert’. (Eine Behaup-
tung, der zugestimmt werden kann, wenn man in der Bewegung der Renais-
sance die mit dem Humanismus erfolgte Loslösung vom nationalen Leben
unterscheidet, die sich nach dem Jahr Tausend herauszubilden begann,
wenn man den Humanismus als einen für die »kosmopolitischen« gebilde-
ten Klassen fortschrittlichen, vom Standpunkt der italienischen Geschichte
aber als rückschrittlichen Prozess betrachtet).
(Die Renaissance kann als der kulturelle Ausdruck eines geschichtlichen
Prozesses betrachtet werden, in dem sich in Italien eine neue Intellek-
tuellenklasse von europäischer Bedeutung bildet, eine Klasse, die sich ın
1856 Siebzehntes Heft

zwei Linien teilte: die eine übte in Italien eine kosmopolitische Funktion aus,
gebunden ans Papsttum und reaktionären Charakters, die andere bildete
sich im Ausland, mit den politischen und religiösen Emigranten, und übte
eine fortschrittliche [kosmopolitische] Funktion in den verschiedenen
Ländern aus, in denen sie sich niederließ oder an der Organisation der
modernen Staaten als technisches Element in der Miliz, der Politik, dem
Ingenieurswesen usw. beteiligte).

$(4). Vergangenheit und Gegenwart. Ein Vergleich zwischen den


militanten monarchistischen Auffassungen, die Süd- und Norditalien eigen
sind, wäre interessant. Für Süditalien kann man auf die Schrift von C. De
Meis über den Souverän zurückgreifen, bis hin zum Aufsatz von Gino
Doria, der vor einigen Jahren in der »Nuova Italia« veröffentlicht worden
ist’. Für den Norden die Theorien von Giuseppe Brunati, der Zeitungen
»Il Sabaudo« und »La Monarchia«’. Zweifellos kann man nur für Süd-
italien von einer absoluten und konsequenten Orthodoxie sprechen. Im
Norden ist die Einrichtung der Monarchie immer mit einer allgemeinen
Ideologie verbunden gewesen, deren Werkzeug die Monarchie sein sollte.
In diesem Sinn kann der nördliche Monarchismus mit Gioberti verknüpft
werden.

$(5). Kulturthemen. Risorgimento und Erneuerung bei Gioberti. Zu


prüfen ist die Unterscheidung, die Gioberti zwischen Risorgimento und
Erneuerung macht, zwischen der Situation vor (18)48 und nach 48, sowohl
der inneren — Beziehungen zwischen den verschiedenen italienischen
Staaten und den italienischen Gesellschaftsklassen — als auch der interna-
tionalen, der Stellung Italiens in der Gesamtheit der Beziehungen zwischen
den europäischen Staaten und den politischen Kräften dieser Staaten‘.

$(6). Einführung ins Studium der Philosophie. Bei Tertullian (De


anima, 16) findet sich der Satz »Das Natürliche ist vernünftig« und umge-
kehrt, was mit Hegels Aussage zusammengebracht werden kann: »Was
wirklich ist, ist vernünftig usw.« Tertullians Satz wird von Gioberti wieder-
gegeben und kommentiert (Zivile Erneuerung, Teil II, Kap. 1, S. 227 der
von P. A. Menzio erstellten und bei Vallecchi erschienenen Kurzfassung).
Es ist denkbar, dass Gioberti auf Tertullian zurückgegriffen hat, um nicht
auf Hegel zurückzugreifen, und gerade deshalb ist zu prüfen, was
Heft 17-$3-$8 1857
Tertullian genau sagen will und ob Gioberti ihn nicht in hegelianischem
Sinn vergewaltigt hat, um nicht wegen eines Begriffs, den er benötigte, auf
Hegel zurückzugreifen.

$(7). Machiavelli. Die Funktion der Intellektuellen. Zur Funktion


der Intellektuellen bei der Entwicklung des politischen Lebens, zu den
Beziehungen des Volkes und der Intellektuellen ist anzusehen, was
Gioberti vor allem in der Erneuerung schreibt. Gioberti verwendet nicht
den Ausdruck »Intellektuelle«, sondern spricht vom »Ingenium«'. Festzu-
halten ist, dass Gioberti die Demokratie von der Demagogie genau durch
die Funktion unterscheidet, die das »Ingenium« in der Demokratie hat.

$(8). Humanismus und Renaissance (Fortsetzung der zusammen-


fassenden Notiz, die auf der ersten Seite beginnt)'. (In jedem Fall muss
man die Fazetien gegen den Klerus, die seit dem 14. Jahrhundert üblich
sind, von den mehr oder weniger orthodoxen Meinungen über die religiöse
Lebensauffassung unterscheiden)”.
Walser, der lange ın Italien lebte, bemerkt, dass es für das Verständnis des
Charakters der italienischen Renaissance innerhalb gewisser Grenzen
nützlich sei, die Psychologie der heutigen Italiener zu kennen”. Eine
Bemerkung, die mir sehr scharfsinnig scheint, vor allem in Bezug auf die
Haltung gegenüber der Religion, wirft sie doch das Problem auf, was der
religiöse Geist in Italien in moderner Hinsicht ist und ob er, wenn nicht
gerade mit dem religiösen Geist der Protestanten, so doch mit dem anderer
katholischer Länder, vor allem Frankreichs, verglichen werden kann. Dass
die Religiosität der Italiener sehr oberflächlich ist, ist nicht zu leugnen, so
wie nicht zu leugnen ist, dass sie einen strikt politischen Charakter hat,
von internationaler Hegemonie. An diese Form von Religiosität ist
Giobertis Primat”” gebunden, der seinerseits dazu beitrug, das zu festigen
und zu systematisieren, was vorher im diffusen Zustand existierte. Man
darf nicht vergessen, dass seit dem sechzehnten Jahrhundert Italien zur
Weltgeschichte vor allem beitrug, weil Sitz des Papsttums, und der italie-
nische Katholizismus nicht nur als ein Surrogat des Geistes der Nationalität
und des staatlichen Geistes empfunden wurde, sondern sogar als eine welt-
weite hegemoniale Funktion, d.h. als imperialistischer Geist. So ist die Be-
merkung richtig, dass der antikuriale Geist eine Form des Kampfes gegen
privilegierte Schichten ist; und man kann nicht leugnen, dass in Italien die
religiösen Schichten eine sehr viel radikalere wirtschaftliche und politische
1858 Siebzehntes Heft

Funktion [(Stellung)] hatten als in den anderen Ländern, wo die nationale


Formation die kirchliche Funktion einschränkte. Der Antikurialismus der
weltlichen Intellektuellen, die antiklerikalen »Fazetien« usw. sind auch
eine Form des Kampfes zwischen weltlichen Intellektuellen und religiösen
Intellektuellen, in Anbetracht des Übergewichts, das die letzteren hatten.

Wenn der Skeptizismus und das Heidentum der Intellektuellen zum


großen Teil lediglich oberflächliche Erscheinungen sind und sich mit einem
gewissen religiösen Geist verbinden können, so können auch beim Volk
(vgl. Domenico Guerris Buch über die Popularen Strömungen in der
Renaissance)” die unzüchtigen Spektakel (Fastnachtswagen und -gesänge),
die Walser gewichtiger zu sein scheinen, auf dieselbe Art erklärt werden.
Wie die heutigen Italiener verstanden es die der Renaissance, sagt Walser,
»die beiden Faktoren menschlichen Erfassens, das Rationale und das
Mystische, gleichsam gesondert zu entwickeln, und zwar derart, dass der
bis zur absoluten Skepsis gesteigerte Rationalismus durch ein unsichtbares,
für den mehr gleichmässig veranlagten Nordländer unbegreifliches Band
mit dem primitivsten Mystizismus, dem blindesten Fatalismus, Fetischis-
mus und Aberglauben aufs engste verbunden bleibt«'. Das seien die wich-
tigsten Berichtigungen, die Walser an der Renaissance- Auffassung, wie sie
Burckhardt und De Sanctis vertreten, anbringe. Janner schreibt, es gelinge
Walser nicht, den Humanismus von der Renaissance abzugrenzen, und
wenn es auch ohne Humanismus vielleicht keine Renaissance gegeben
hätte, so übertreffe diese an Bedeutung und Folgen doch den Humanismus.

Auch diese Unterscheidung muss subtiler und tiefgreifender sein: rich-


tiger scheint die Meinung, dass die Renaissance eine Bewegung von großer
Tragweite ist, die nach dem Jahr Tausend beginnt, wovon der Humanismus
und die Renaissance (im engeren Sinn) zwei abschließende Momente sind,
die ın Italien ihren Hauptsitz hatten, während der allgemeinere geschicht-
liche Prozess europäisch und nicht nur italienisch ist. (Der Humanismus
und die Renaissance als literarischer Ausdruck dieser europäischen
geschichtlichen Bewegung hatten in Italien ihren Hauptsitz, doch die fort-
schrittliche Bewegung nach dem Jahr Tausend, die zwar in Italien mit den
Kommunen eine große Rolle spielte, ist gerade in Italien in Verfall geraten
und dies gerade mit dem Humanismus und der Renaissance, die in Italien
rückschrittlich waren, während im übrigen Europa die allgemeine Bewe-
gung in den Nationalstaaten gipfelte und dann in der weltweiten Expan-
sion Spaniens, Frankreichs, Englands und Portugals. In Italien entsprach
den Nationalstaaten dieser Länder die Organisation des Papsttums als
absolutistischer Staat - begonnen von Alexander VI. - eine Organisation,
Heft 17-$8-$9 1859
die das übrige Italien zersetzt hat usw.). Machiavelli ist in Italien Vertreter
des Verständnisses dafür, dass die Renaissance keine solche sein kann ohne
die Gründung eines Nationalstaates, doch als Mensch ist er der Theoretiker
dessen, was außerhalb Italiens geschieht, nicht italienischer Geschehnisse.

$(9. Kulturthemen. Gioberti und der Jakobinismus. Giobertis


Haltung gegenüber dem Jakobinismus vor und nach (18)48. Nach 48 gibt
es in der Erneuerung nicht nur keinen Hinweis auf den Schrecken, den das
Jahr (17) 93 in der ersten Hälfte des Jahrhunderts verbreitet hatte, sondern
Gioberti zeigt vielmehr deutlich, dass er Sympathien für die Jakobiner hat
(er rechtfertigt die Vernichtung der Girondisten und den Zweifronten-
kampf der Jakobiner: gegen die ausländischen Invasoren und gegen die
Reaktionäre im Innern, wenn er auch, sehr maßvoll, auf die jakobinischen
Methoden hinweist, die sanfter hätten sein können usw.)'. Diese Haltung
Giobertis nach 48 gegenüber dem französischen Jakobinismus ist als sehr
wichtiges kulturelles Faktum festzuhalten: sie rechtfertigt sich durch die
Ekzesse der Reaktion nach 48, die dazu führten, die wilde Energie des
französischen Jakobinismus besser zu begreifen und zu rechtfertigen.

Aber neben diesem Zug ist festzuhalten, dass Gioberti in der Erneuerung
sich als eigentlicher Jakobiner zeigt, zumindest theoretisch und in der
gegebenen italienischen Situation. Die Elemente dieses Jakobinismus
können in großen Zügen folgendermaßen zusammengefasst werden: 1. In
der Bejahung der politischen und militärischen Hegemonie Piemonts, das
als Region das sein müsste, was Paris für Frankreich war: dieser Punkt ist
sehr interessant und ist bei Gioberti auch vor 48 zu untersuchen. Gioberti
spürte in Italien das Fehlen eines popularen Zentrums revolutionärer natio-
naler Bewegung, wie es Paris für Frankreich war, und dieses Verständnis
zeigt Giobertis politischen Realismus. Vor 48 mussten Piemont-Rom die
treibenden Zentren sein, wegen der Miliz-Politik das erstere, wegen der
Ideologie-Religion das letztere. Nach 48 hat Rom nicht die gleiche Bedeu-
tung, im Gegenteil: Gioberti sagt, die Bewegung müsse sich gegen das
Papsttum richten. 2. Gioberti hat, wenn auch verschwommen, den Begriff
des jakobinischen »National-Popularen«, der politischen Hegemonie, das
heißt des Bündnisses zwischen Bürgern-Intellektuellen [Ingenium]' und
dem Volk; dies in der Ökonomie (und Giobertis Vorstellungen über
Ökonomie sind verschwommen, aber interessant) und in der Literatur
(Kultur), wo die Vorstellungen deutlicher und konkreter sind, weil man sich
auf diesem Feld nicht so leicht kompromittieren kann. In der Erneuerung
(II. Teil, Kapitel »Von den Schriftstellern«) schreibt er: »... Eine Literatur
1860 Siebzehntes Heft

kann nicht national sein, wenn sie nicht popular ist; weil, auch wenn wenige
berufen sind, sie zu schaffen, ihr Nutzen und der Genuss universal sein
müssen. Wenn sie die gemeinsamen Ideen und Zuneigungen ausdrücken und
die Empfindungen ans Licht bringen soll, die verborgen und verschwom-
men im Herzen der Volksmengen liegen, müssen zudem ihre Förderer nicht
nur auf das Wohl des Volkes schauen, sondern dessen Geist abbilden; derart
dass dieser nicht nur das Ziel, sondern in gewisser Weise auch der Ursprung
der zivilen Literatur sein wird. Und das sieht man daran, dass sie nur dann
zum Gipfel der Vollkommenheit und Wirksamkeit aufsteigen, wenn sie sich
verkörpern und, wie soll ich sagen, eins werden mit der Nation, usw...
Jedenfalls geht aus Gioberti hervor, dass das Fehlen eines »italienischen
Jakobinismus« verspürt wurde. Und Gioberti ist unter diesem Gesichts-
punkt zu studieren. Noch einmal: festzuhalten ist, wie Gioberti sowohl im
Primat als auch in der Erneuerung sich als ein Stratege der National-
bewegung und nicht nur als ein Taktiker zeigt. Sein Realismus führt ihn zu
Kompromissen, aber immer im Umkreis des allgemeinen strategischen
Plans. Die Schwäche Giobertis als Staatmann ist im Umstand zu suchen,
dass er immer Exilierter war, dass er daher die Menschen nicht kannte, die
er lenken und führen sollte, und dass er keine treuen Freunde hatte (das
heißt eine Partei): Je mehr er Stratege wurde, desto mehr musste er sich auf
wirkliche Kräfte stützen, und diese kannte er nicht und konnte sie weder
beherrschen noch führen. (Zum Begriff der popular-nationalen Literatur
muss man Gioberti und seinen gemäßigten Romantizismus studieren).
Ebenso muss man Gioberti studieren, um das zu analysieren, was in
anderen Aufzeichnungen als »geschichtlicher Knotenpunkt von 48-49«° be-
zeichnet wird, und das Risorgimento im allgemeinen, aber der wichtigste
kulturelle Punkt scheint mir der »Jakobiner Gioberti«, als theoretischer
Jakobiner selbstverständlich, weil er in der Praxis keine Gelegenheit hatte,
seine Lehren anzuwenden.

$(10). Kulturthemen. Die Diskussionen über den künftigen Krieg.


Totaler Krieg, Bedeutung der Luftwaffe, der kleinen Berufsarmeen gegen-
über den großen Wehrpflichtigenheeren usw. Diese Themen sind an und für
sich wichtig und der Untersuchung und Betrachtung wert. Die Literatur
dazu muss inzwischen in allen Ländern imposant sein (ich finde einen
Band zitiert: Rocco Morretta, Wie wird der Krieg von morgen sein?,
Mailand, Verl. G. Agnelli, 1932, 368 S., 18 L.)'. Es gibt jedoch einen Aspekt
der Frage, der ebenfalls der Betrachtung wert zu sein scheint: all diese
Dispute über den hypothetischen künftigen Krieg sind das Terrain eines
Heft 17-$9-$12 1861
gegenwärtigen realen »Krieges«: durch den Eingriff der Luftwaffe und
ihrer Offiziere ins Gleichgewicht zwischen den alten Waffengattungen
werden die alten militärischen Strukturen (Generalstäbe usw.) verändert.
Man weiß, dass die alten militärischen Strukturen für eine bestimmte reak-
tionär-konservative Politik alten Stils standen, die schwer zu überwinden
und zu beseitigen ist. Für viele gegenwärtige Regierungen stellen die Luft-
waffe, die Diskussionen über die Bedeutung der Luftwaffe, über die Art,
wie die strategischen Pläne eines künftigen Krieges festgelegt werden
müssen usw., eine Gelegenheit dar, die alten militärischen Persönlichkeiten
molekular zu beseitigen, die einer alten politischen Gewohnheit verbunden
sind und Staatsstreiche usw. organisieren könnten. Deshalb hat die Luft-
waffe eine zweifache Bedeutung: eine militärisch-technische und eine
unmittelbar-politische.

$(11). Italienisches Risorgimento. Vgl. den Aufsatz von Gioacchino


Volpe: Italien und Europa während des Risorgimento, in der »Nuova
Antologia« vom 16. August 1933'. Es ist eine sehr »deskriptive« Skizze der
europäischen internationalen Politik in ihren Auswirkungen auf die Situa-
tion in Italien. Nützlich als Faktenkatalog, aber ohne Untersuchung und
Vertiefung der geschichtlichen Zusammenhänge. Geschichte von der Art
Rinaudos’. Dass das europäische Gleichgewicht ein Element des geschicht-
lichen Prozesses in Italien und umgekehrt gewesen ist, wird gerade mal
angedeutet, aber welcher allgemeine Zusammenhang zwischen den beiden
Ereignisreihen, zwischen den beiden Prozessen? Und handelte es sich um
»zwei« Prozesse oder um einen einzigen? Und wenn es sich um einen
einzigen geschichtlichen Prozess handelte, welches Gewicht ist der Initia-
tive bzw. Passivität Italiens zuzuschreiben usw.? (Es muss auf das Buch
von Omodeo Das Zeitalter des Risorgimento’ hingewiesen werden, das
schon vom Titel her, oder zumindest im Titel, Croces historisches Urteil
und sein Werk Die Geschichte Europas falsifiziert, das, indem es einen ein-
zigen europäischen Geschichtsprozess annimmt, die Passivität hervorhebt
und nur sie berücksichtigt, insofern es die »militante« geschichtliche Epoche
auslässt usw.)‘. Aufjeden Fall ist Volpes Studie nützlich, weil sie, wenn auch
nur »deskriptiv«, die internationale politische Situation zusammenfasst,
die das italienische Risorgimento bedingte.

$(12). Kulturthemen. Philosophie der Praxis und »historischer


Ökonomismus«. Verwechslung der beiden Begriffe. Dennoch ist die Frage
zu stellen: welche Bedeutung ist dem »Ökonomismus« in der Entwicklung
1862 Siebzehntes Heft

der Methoden historiographischer Forschung unter der Annahme zuzu-


schreiben, dass er nicht mit der Philosophie der Praxis verwechselt werden
kann? Dass eine Gruppe von Finanzleuten, die Geschäfte in einem be-
stimmten Land machen, die Politik dieses Landes steuern können, den
Krieg auf dieses ziehen oder es aus ihm heraushalten können, ist unzweifel-
haft: doch ist die Feststellung dieses Sachverhalts nicht »Philosophie der
Praxis«, sie ist »historischer Ökonomismus«, das heißt, sie ist die Aussage,
dass die Tatsachen »unmittelbar«, als »Gelegenheit«, von bestimmten
Gruppeninteressen usw. beeinflusst worden sind. Dass der »Geruch des
Erdöls« schweres Unheil auf ein Land ziehen kann, ist auch sicher, usw.
usf. Aber diese Aussagen, kontrolliert, bewiesen usw., sind noch keine
Philosophie der Praxis, sie können sogar von jemandem akzeptiert oder
gemacht werden, der die Philosophie der Praxis ganz und gar ablehnt. Man
kann sagen, dass der ökonomische Faktor (im unmittelbaren und jüdischen
Sinn’ des historischen Ökonomismus verstanden) nur eine der vielen
Weisen ist, mit denen sich der tiefere Geschichtsprozess darstellt (Faktor
der Rasse, der Religion usw.), aber es ist dieser tiefere Geschichtsprozess,
den die Philosophie der Praxis erklären will, und genau deshalb ist sie eine
Philosophie, eine »Anthropologie«, und nicht ein einfacher historischer
Forschungskanon”.

$(13). Die Enkelchen des Pater Bresciani. G. Papini. In der »Italia


Letteraria« vom 27. August 1933 schreibt Luigi Volpicelli folgendermaßen
über Papini (beiläufig in einem in verschiedenen Fortsetzungen erschienenen
Aufsatz zu Problemen der heutigen Literatur): »Mit fünfzig Jahren reicht
es nicht - Papini möge mir meine Offenheit verzeihen - reicht es nicht zu
sagen: der Schriftsteller muss ein Meister sein; man muss wenigstens sagen
können: hier, kriecherisches Volk, ist die wahre Kunst, die meisterhafte
Kunst. Aber sich darauf beschränken, im fünfzigsten Lebensjahr oder so
etwa den Schriftsteller als einen Meister hinzustellen, wenn man selber nie
ein Meister gewesen ist, taugt nicht einmal als mea culpa. Und schon sind
wir wieder beim Thema! Papini hat alle Berufe ausgeübt, um sie dann alle-
samt zu besudeln: Philosoph, um zu folgern, dass die Philosophie eine Art
Geschwür am Kleinhirn ist, Katholik, um das Universum mit einem ent-
sprechenden Wörterbuch zu Asche zu machen, Literat, um zu guter Letzt
zu bekräftigen, dass wir mit der Literatur nichts anzufangen wissen. Das
ändert nichts daran, dass sich Papini ein Pöstchen in der Geschichte der
Literatur innerhalb des Kapitels der »Polemiker« ergattert hat. Aber es ist
mit der Polemik so wie mit der Redekunst: sie ist eben die reine und leere
Form, ist nichts als Liebe zum Wort und zur Technik, zur Geste, geistige
Heft 17-$12-$15 1863
und angeborene Schönschreiberei; kurz, nichts dem Schriftsteller als Meister
ferner Liegendes«'. |
Papini ist immer ein »Polemiker« in dem Sinne gewesen, wie es Volpicelli
sagt, und ist es noch heute, denn man weiß nicht, ob in dem Ausdruck
»katholischer Polemiker« Papini mehr das Substantiv oder das Adjektiv
interessiert. Mit seinem »Katholizismus« habe Papini beweisen wollen,
dass er kein reiner »Polemiker« ist, das heißt kein »Schönschreiber«, kein
Seiltänzer des Wortes und der Technik, aber das ist ihm nicht gelungen!
Volpicelli hat Unrecht, wenn er nicht präzisiert: der Polemiker ist Polemiker
einer Weltauffassung, sei es auch der Welt Pulcinellas, doch Papini ist der
»reine« Polemiker, der Berufsboxer des beliebigen Wortes: Volpicelli hätte
seiner Behauptung ausdrücklich hinzufügen müssen, dass der Katholizis-
mus bei Papıini ein Clownsgewand ist, nicht die von seinem »erneuerten«
Blut gebildete »Haut«, usw.

$(14). Kulturthemen. Diskussionen über den künftigen Krieg (vgl. die


Notiz aufS.4a)'. Den Artikel von General Orlando Freri ansehen (Die
Kriegsvorbereitung der neuen Generationen, in der »Gerarchia« vom
August 1933)”, der umso interessanter ist, als er fast gleichzeitig mit dem
Rücktritt General Gazzeras als Kriegsminister und mit Balbos Staffelflug
von Rom nach Chicago veröffentlicht worden ist’. Freris Artikel stellt die
Frage des »kleinen Heeres« für den Frieden als die eines Heeres von
»Gefreiten und Spezialisten«, das im Verhältnis zur Entwicklung der
Freiwilligenmiliz und aus Haushaltsgründen (d.h. in Beziehung zu den
modernen Erfordernissen einer umfassenden und kostspieligen mecha-
nischen Ausrüstung, der nicht durch ein zahlreiches Heer für den Frieden
entsprochen werden kann, usw.) geschaffen werden muss.

$(15). Humanismus und Renaissance. Machiavellis sämtliche Werke


wurden in Italien das letzte Mal 1554 gedruckt und 1557 das vollständige
Decamerone: Der Verleger Giolito hörte nach 1560 auch auf, Petrarca zu
drucken. Von da an beginnen die kastrierten Editionen der Dichter, Novel-
listen und Romanschriftsteller. Die kirchliche Zensur belästigt auch die
Maler.
Pastor schreibt in der Geschichte der Päpste: »Dass das allgemeine Verbot
von Schriften, die das neue (kopernikanische) Weltsystem verteidigten, in
katholischen Ländern die Vorliebe für die Astronomie dämpfte, mag der
1864 Siebzehntes Heft

Fall gewesen sein, doch wurden ın Frankreich von den Gallikanern die
Index- und Inquisitionsdekrete mit Berufung auf die Freiheiten der fran-
zösischen Kirche nicht als bindend betrachtet, und wenn in Italien kein
zweiter Galilei oder ein Newton oder Bradley auftrat, so trägt schwerlich
das Dekret gegen Kopernikus die Schuld daran.« Bruers merkt jedoch an,
dass die Strenge des Index unter den Wissenschaftlern eine schreckliche
Panik hervorrief und dass selbst Galilei in den 26 Jahren vom ersten
Prozess bis zum Tode die kopernikanische Frage nicht frei vertiefen und
durch seine Schüler untersuchen lassen konnte.
Aus Pastor geht auch hervor, dass vor allem in Italien die kulturelle Reak-
tion wirkungsvoll war. Die großen Verleger verkümmern in Italien: Venedig
widersteht länger, aber schließlich werden die italienischen Autoren und
die italienischen Werke (von Bruno, Campanella, Vanini, Galilei) vollständig
nur in Deutschland, Frankreich und Holland gedruckt. Mit der kirchlichen
Reaktion, die in der Verurteilung Galileis gipfelt, geht in Italien die Renais-
sance auch unter den Intellektuellen zu Ende‘.

$(16). Die Enkelchen des Pater Bresciani. G. Papini. Anzusehen ist


der Vortrag Carducci, stolze Seele, den Papini in Forli zur Eröffnung der
»Romagnolischen Woche der Dichtung« gehalten hat und der in der
»Nuova Antologia« vom 1. September 1933' veröffentlicht ist. Die Falsch-
heit, die komödiantenhafte Unehrlichkeit dieses Vortrags ist wirklich
beeindruckend.
Es wäre interessant, nicht nur im Hinblick auf Papini, eine Untersuchung
der Rom-Aversion anzustellen, die in Italien bis 1919 in der Bewegung der
»Voce« und der Futuristen Mode war. Papinis Rede Gegen Rom und B.
Croce’; von den beiden verhassten Namen ist für Papıni [den von 1913]
Benedetto Croce verhasst geblieben. Zu vergleichen die Croce gegenüber
offen triviale Haltung dieser Rede über Carducci mit der salbungsvoll jesu-
itischen und frömmlerischen des Aufsatzes Croce und das Kreuz.

$(17). Kulturthemen. Genauer Titel des Wörterbuchs derhistorischen


und Verwaltungssprache in Italien von Giulio Rezasco (Florenz, Le
Monnier, 1881, 1287 S.)'.
Heft 17-$15-$18 1865
$(18). Emführung ins Studium der Philosophie. Alltagsverstand. (1) Die
Katholiken (Jesuiten) nennen »argumentum liminare«* der Möglichkeit, die
Existenz Gottes zu beweisen, dasjenige, welches im sogenannten »univer-
sellen Konsens« besteht. In ihrer Rezension des Werkes von Pater Pedro
Descogs S.]. (Praelationes Theologiae Naturalis. Cours de Theodicee, Erster
Band: De Dei cognoscibilitate, erster Teil, Paris, Beauchesne, 1933, in 8° gr.,
VI+725 S., 100 Francs, teilweise lateinisch und teilweise französisch
geschrieben und möglicherweise eine nützliche Sammlung aller Meinungen
über die Existenz Gottes) schreibt die »Civiltä Cattolica« vom 2. September
1933: »Die Tatsache bzw. die moralische Universalität des »Glaubens< an
Gott wird auf streng wissenschaftliche Weise festgestellt an Hand der ange-
sehensten ethnologischen und religionsgeschichtlichen Untersuchungen.
Diese Vergewisserung zu Beginn der Theodizee ist von hohem Wert, da
man sich daran die Bedeutung und Universalität des Problems unmittel-
bar klar machen kann. Jedoch glaubt Pater Descogs nicht, dass dies allein
einen apodiktischen und strengen Gottesbeweis bietet; auch wenn das
daraus sich herleitende Argument eine enorm überzeugende** Kraft besitzt
und eine wunderbare Bestätigung darstellt, nachdem die Existenz Gottes
auf anderen Wegen bewiesen worden ist«'.
II. Friedrich Jodl, Kritik des Idealismus. Übersetzt und annotiert von
G.Rensi. Rom, Vlg. »Casa del Libro«, 1932, in 16°, 274 S., 10 L.'" Die Kurz-
rezension der »Civiltä Cattolica« vom 2. September 1933 ist interessant,
weil sie zeigt, wie die Philosophie des Hl. Thomas sich mit dem Vulgär-
materialismus verbünden kann. Jod] kritisiert den Idealismus von einem
mechanistischen und naturalistischen Standpunkt (Frage der Realität der
Außenwelt), und diese Kritik gefällt den Jesuiten bis zu dem Punkt, wo
atheistische Schlussfolgerungen daraus gezogen werden: »Wie ist es nur
möglich, dass es gebildeten Geistern wie Jodl und Rensi nicht gelingt, in
der christlichen Philosophie, besonders in der des Hl. Thomas, das System
zu erkennen, das nötig ist, um die Realität der materiellen Welt aufrecht-
zuerhalten, ohne die Ansprüche und den Primat des Geistes zu schmälern?
Merkt Jodl nicht, wenn er in letzter Instanz die Welt als Wirkung der
Gesetze und des Zufalls erklärt, dass er sich in leeren Worten verliert? Und
wenn er die paradoxe Behauptung aufgestellt hat, die Ziele der Idealisten
bestünden in der Stützung der kirchlichen Theologie - man denke an Croce,
an Brunschvieg, an viele andere! -, und schließlich sein Ideal vorschlägt,
‚den Himmel auf Erden«, bemerkt er nicht, dass dieses Motto, das er ans

* Lat.:»Grenzargument«.
** Im Original lat.: vehementer suasiva.
1866 Siebzehntes Heft

Ende seines Buches setzt, nichts anderes als die Abschaffung jeglichen
Himmels bedeuten kann?« Zu Recht wirft die »Civiltä Cattolica« Jodl vor,
er identifiziere »den Idealismus mit dem Platonismus«, »als wären von
Kant bis Gentile die transzendenten Ideen nicht das Schreckgespenst der
Idealisten gewesen«’. JodIs Buch kann interessant sein (wie die von Rensi),
um die gegenwärtige Phase des Vulgärmaterialismus festzustellen, der es
nicht fertig bringt, irgendeine Form von Idealismus zu überwinden, weil
er nicht verstehen kann, dass der Idealismus nur ein Ansatz des Versuchs
ist, die Philosophie zu historisieren. Die Auseinandersetzung zwischen
Carlini und Olgiati Neuscholastik, Idealismus und Spiritualismus, Mailand,
»Vita e Pensiero«, 1933, 180 S., 6 Lire, und der Artikel von Guido De
Ruggiero in der »Educazione Nazionale« (von Lombardo Radice) vom
März 1933 können nicht zum Beweis herhalten, dass der Idealismus den
Klerikalismus stützt, sondern dass einzelne Idealisten in ihrer Philosophie
keinen festen Boden für das Denken und den Glauben ans Leben finden.
(Zu dieser Auseinandersetzung vgl. auch dieselbe Nummer der »Civiltä
Cattolica«, Artikel Herumtappen auf der Suche nach einem Glauben’
[und Artikel in den folgenden Nummern der »Civiltä Cattolica«]'.

II. Dem Kap. XI von Teil II von Giobertis Erneuerung ist folgender
Passus zur Philosophiegeschichte zu entnehmen: »Der Humanismus
verbindet sich mit den vorangegangenen philosophischen Lehren und ist
der letzte Ausgang des cartesianischen Psychologismus, der auf unter-
schiedlichen Wegen in Frankreich und Deutschland gleichwohl zum selben
Ergebnis führte. Weshalb er, von Locke und Kant in empirischen und
spekulativen Sensualismus verwandelt, kraft der Logik alsbald mit dem
materialen Atheismus der letzten Condillacianer und dem raffinierten
Atheismus der Neuhegelianer niederkam. Bereits Gottlieb Fichte hatte, von
den Prinzipien der kritischen Schule ausgehend, Gott mit dem Menschen
identifiziert; wie sodann Friedrich Schelling ihn mit der Natur zusammen-
warf; und Hegel, indem er ihre Aussagen sammelte und miteinander
vereinbar machte, betrachtete den menschlichen Geist als den Gipfel des
Absoluten; indem letzterer vom abstrakten Punkt der Idee ins Konkrete der
Natur wechselt und zu dem des Geistes übergeht, gewinnt er in diesem das
Bewusstsein seiner selbst und wird Gott. Die Neuhegelianer akzeptieren die
Schlussfolgerung und verwerfen die unhaltbare Hypothese des pan-
theistischen Absoluten und das phantastische Gebäude der Prämissen; so
dass sie, statt mit dem Meister zu sagen, dass der Geist Gott ist, lehren, der
Gottesbegriff sei ein leeres Bild und eine chimärische Maske des Geistes«'.
Interessant scheint Giobertis Bemerkung, dass die klassische deutsche
Philosophie und der französische Materialismus dasselbe in anderer Sprache
Heft 17-$18-$20 1867

seien usw. Der Passus ist mit dem aus der Heiligen Familie zusammen-
zubringen, wo vom französischen Materialismus die Rede ist‘. (Darauf zu
verweisen, dass eben der Ausdruck »Humanismus« in der Heiligen Familie
im selben Sinn wie bei Gioberti - Nicht-Transzendenz - verwendet
wird und dass der Autor seine Philosophie »Neo-Humanismus« nennen
wollte)”.

$(19). Kulturthemen. Francesco Savorgnan di Brazzä hat in einem


Band (Von Leonardo zu Marconi, Mailand, Hoepli, 1933, VIII + 368 S.,
15 L.) eine Reihe seiner Artikel zusammengestellt, die für italienische
»Individualitäten« eine Reihe von Erfindungen und Entdeckungen bean-
spruchen (Thermometer, Barometer, Dynamo, Galvanoplastik, Hygro-
meter, Telefon, Fallschirm usw.), die anscheinend oft von Ausländern
»usurpiert« worden sind’. In einer anderen Notiz’ wurde darauf hinge-
wiesen, dass ein solcher »Anspruch« nach Art des »engstirnigen Italieners«
ist, der in Wirklichkeit Italien auf die Funktion von China reduziert, wo
bekanntlich »alles« erfunden worden ist. Die Notiz betraf auch Christoph
Kolumbus und die Entdeckung Amerikas und war verbunden mit einer
Reihe von Bemerkungen, wonach im 15. Jahrhundert die Italiener den
Unternehmungsgeist (als Kollektiv) verloren haben, während einzelne
»unternehmende« Italiener, wenn sie sich durchsetzen wollten, sich in den
Dienst von ausländischen Staaten oder ausländischen Kapitalisten stellen
mussten.

$(20). Georges Sorel. In der »Critica Fascista« vom 15. September


1933 fasst Gustavo Glaesser das kürzlich erschienene Buch von Michael
Freund (Georges Sorel. Der revolutionäre Konservatismus, Klostermann-
Verlag, Frankfurt am Main, 1932) zusammen. Es zeigt, welch ein Gemetzel
ein deutscher Ideologe mit einem Mann wie Sorel anstellen kann’. Fest-
zuhalten ist, dass bei Sorel, auch wenn er wegen der Verschiedenheit
und Inkohärenz seiner Standpunkte dazu verwendet werden kann, die
unterschiedlichsten praktischen Einstellungen zu rechtfertigen, ein grund-
sätzlicher und konstanter Punkt nicht zu leugnen ist, sein radıkaler
»Liberalismus« (oder Theorie der Spontaneität), der jede konservative
Schlussfolgerung aus seinen Meinungen verbietet. Auf Wunderlichkeiten,
Inkongruenzen und Widersprüche trifft man bei Sorel immer und überall,
aber er lässt sich nicht loslösen von einer konstanten Tendenz popularen
Radikalismus: Sorels Syndikalismus ist kein unterschiedsloser » Asso-
ziationismus«'" »aller« gesellschaftlichen Elemente eines Staates, sondern
1868 Siebzehntes Heft

nur eines von ihnen, und seine »Gewalt« ist nicht die Gewalt von »jeder-
mann«, sondern eines [einzigen] »Elements«, das der demokratische Pazifis-
mus zu korrumpieren trachtete usw. Der dunkle Punkt bei Sorel ist sein
Antijakobinismus und sein reiner Ökonomismus; und dieser Punkt, der
auf dem französischen [geschichtlichen] Boden mit der Erinnerung an die
Schreckensherrschaft und danach an die Repression von Galliffet, außerdem
mit der Aversion gegen die Bonaparte zu verbinden ist, ist das einzige
Element seiner Lehre, das verdreht werden und Anlass zu konservativen
Interpretationen geben kann’.

$(21). Kulturthemen. Cäsar und der Cäsarismus. Die Theorie des


Cäsarismus, die heute vorherrscht (vgl. die Rede Emilio Bodreros, Julius
Cäsars Menschlichkeit, in der »Nuova Antologia« vom 16. September
1933)", ist von Napoleon III. in die politische Sprache eingeführt worden,
der zweifellos kein großer Historiker oder Philosoph bzw. Theoretiker
der Politik war. Gewiss ist in der römischen Geschichte die Gestalt Cäsars
nicht nur oder hauptsächlich durch den »Cäsarismus« in diesem engen
Sinn gekennzeichnet. Die geschichtliche Entwicklung, deren Ausdruck
Cäsar war, nimmt auf der »italischen Halbinsel« bzw. in Rom die Form des
Cäsarismus an, hat aber das gesamte Reichsgebiet zum Rahmen und besteht
in Wirklichkeit in der »Entnationalisierung« Italiens und in seiner Unter-
ordnung unter die Interessen des Imperiums. Ebensowenig wandelte
Cäsar, wie Bodrero sagt, Rom aus einem Stadt-Staat in die Hauptstadt des
Imperiums um, eine absurde und antihistorische These: die Hauptstadt im
Reich war dort, wo der Kaiser residierte, ein mobiler Punkt; die Heraus-
kristallisierung einer Hauptstadt führte zur Spaltung, zum Aufstieg
Konstantinopels, Mailands usw. Rom wurde zu einer kosmopolitischen
Stadt, und ganz Italien wurde zum Zentrum einer Kosmopolis. Es muss
ein Vergleich zwischen Catilina und Cäsar angestellt werden: Catilina war
»italienischer« als Cäsar, und seine Revolution hätte Italien vielleicht, mit
einer anderen Klasse an der Macht, die hegemonische Funktion aus der
republikanischen Epoche erhalten. Mit Cäsar ist die Revolution nicht
mehr Lösung eines Kampfes zwischen italischen Klassen, sondern zwischen
denen des ganzen Imperiums, oder zumindest zwischen Klassen mit haupt-
sächlich imperialen Funktionen (Militärs, Bürokraten, Bankiers, Pächter
usw.). Überdies hatte Cäsar mit der Eroberung Galliens den Rahmen des
Imperiums aus dem Gleichgewicht gebracht: der Okzident begann mit
Cäsar gegen den Orient zu kämpfen. Das sieht man an den Kämpfen zwi-
schen Antonius und Oktavian und setzt sich bis zur Kirchenspaltung fort,
die durch den Versuch Karls des Großen, das Imperium wiederherzustellen,
Heft 17-$20-$22 1869

wie auch durch die Begründung der weltlichen Macht des römischen
Papsttums beeinflusst wurde. Unter dem Gesichtspunkt der Kultur ist der
gegenwärtige »Cäsar«-Mythos interessant, der keinerlei Grundlage in der
Geschichte hat, so wie im 18. Jahrhundert die Verherrlichung der römischen
Republik als einer demokratischen und popularen Einrichtung usw.
keinerlei Grundlage hatte.

$(22). Einführung ins Studium der Philosophie. Pragmatismus und


Politik. Der »Pragmatismus« (von James u.a.) kann anscheinend nicht
kritisiert werden, wenn man nicht den angelsächsischen historischen
Rahmen berücksichtigt, in dem er entstanden ist und sich verbreitet hat.
Wenn es stimmt, dass jede Philosophie eine »Politik« ist und dass jeder
Philosoph im Wesentlichen ein Politiker ist, dann lässt sich dies um so
mehr vom Pragmatisten sagen, der die Philosophie im unmittelbaren Sinn
»nützlich« konstruiert. Doch ist dies undenkbar (als Bewegung) in katho-
lischen Ländern, wo Religion und kulturelles Leben sich seit der Zeit der
Renaissance und der Gegenreformation voneinander abgespalten haben,
während es für die angelsächsischen Länder denkbar ist, in welchen die
Religion mit dem alltäglichen kulturellen Leben eng zusammenhängt und
nicht bürokratisch zentralisiert und intellektuell dogmatisiert ist. Auf jeden
Fall entzieht sich der Pragmatismus der positiven religiösen Sphäre und
strebt danach, eine laizistische Moral (nichtfranzösischen Typs) zu schaffen,
strebt danach, eine »Popularphilosophie« zu schaffen, die dem Alltags-
verstand überlegen ist, er ist eher eine [unmittelbar] »ideologische Partei«
als ein philosophisches System. Nimmt man das Prinzip des Pragmatisten,
wie es von James dargelegt worden ist: »die beste Methode zur Diskussion
der verschiedenen Punkte irgendeiner Theorie besteht in der Feststellung,
welcher praktische Unterschied daraus folgen würde, wenn die eine oder
die andere der beiden Alternativen die richtige wäre« (W. James, Die Vielfalt
religiöser Erfahrung. Eine Studie über die menschliche Natur, übers. von
G.C.Ferrari und M. Calderoni, Vlg. Bocca, 1904, 382 $.)'"", wird sichtbar,
welches die Unmittelbarkeit des pragmatistischen philosophischen Polıti-
zismus ist. Der »individuelle« Philosoph italienischen oder deutschen
Typs ist mittelbar an die »Praxis« gebunden (und oft ist die Vermittlung eine
Kette mit vielen Gliedern), der Pragmatismus will sich hier sofort binden,
und in Wirklichkeit zeigt sich so, dass der Philosoph italienischen oder
deutschen Typs »praktischer« als der Pragmatist ist, der die unmittelbare,
oft vulgäre Wirklichkeit beurteilt, während der andere ein höheres Ziel
hat, die Zielscheibe höher hängt und folglich bestrebt ist, das bestehende
kulturelle Niveau anzuheben (wenn er bestrebt ist, versteht sich). Hegel
1870 Siebzehntes Heft

kann als der theoretische Vorläufer der liberalen Revolutionen des neun-
zehnten Jahrhunderts begriffen werden. Die Pragmatisten haben allenfalls
dazu beigetragen, die Bewegung des Rotary Clubs zu schaffen oder alle
konservativen und rückschrittlichen Bewegungen zu rechtfertigen (sie tat-
sächlich zu rechtfertigen und nicht nur durch polemische Verrenkung, wie
es bei Hegel und dem preußischen Staat der Fall war).

$(23). Gemeinverständliches Lehrbuch der Soziologie. Einwand ge-


gen den Empirismus: die Untersuchung einer Reihe von Tatsachen, um
ihren Zusammenhang zu finden, setzt einen »Begriff« voraus, der es er-
laubt, diese Tatsachenreihe von anderen möglichen Reihen zu unterschei-
den: wie findet die Auswahl der anzuführenden Tatsachen als Beweis für
die Wahrheit der eigenen Voraussetzung statt, wenn das Auswahlkriterium
nicht vorab existiert? Aber was wird das Auswahlkriterium sein, wenn
nicht etwas jeder einzelnen untersuchten Tatsache Übergeordnetes? Eine
Intuition, eine Konzeption, deren Geschichte als komplex anzunehmen
ist, ein Prozess, der mit dem gesamten Entwicklungsprozess der Kultur zu
verbinden ist usw. (Bemerkung zu verknüpfen mit derjenigen über das
»soziologische Gesetz«, bei dem nichts anderes gemacht wird, als dieselbe
Tatsache zweimal zu wiederholen, einmal als Tatsache, und einmal als
Gesetz. Sophisma der doppelten Tatsache und nicht Gesetz).

$(24). Die Enkelchen des Pater Bresciani. G. Papini. Bei Papini fehlt
die Geradlinigkeit: moralischer Dilettantismus. In der ersten Zeit seiner
literarischen Karriere machte sich dieser Mangel nicht bemerkbar, weil
Papini seine Autorität auf sich selbst begründete, die »Partei seiner selbst«
war. Er war amüsant, konnte nicht ernstgenommen werden, außer von
wenigen Philistern (an die Diskussion mit Annibale Pastore erinnern).
Heute hat sich Papini einer weiten Bewegung aufgepfropft, aus der er seine
Autorität zieht: seine Aktivität ist deshalb eine der Kanaille im verächt-
lichsten Sinn, des Killers, des gedungenen Mörders geworden. Eine Sache
ist es, wenn ein Kind aus lauter Lust und Tollerei, sei sie auch künstlich, die
Scheiben einschlägt; doch wenn es die Scheiben auf Rechnung der Glaser
einschlägt, ist es etwas anderes.

$(25). Kulturthemen. Nachschlagewerke. (1.) E. Würzburger und


E.Roesner, Hübners Geographisch-Statistische Tabellen, Wien, L.W. Seidel
und Sohn, 1932, in 8°, 564 S. Die von 1932 ist die 71. Auflage. Unverzichtbar
Heft 17-$22-$27 1871
nicht nur für Geographen und Freunde der Statistik, sondern für alle, die
über die politische, wirtschaftliche, soziale, finanzielle, kommerzielle,
demographische usw. Lage aller Länder der Erde informiert werden wollen.
Der 71. Auflage ist ein Anhang über die politischen Parteien der einzelnen
Staaten beigefügt, neben einer vollständigeren Bearbeitung wirtschaft-
licher, industrieller usw. Daten'.

II. A.Kriszties, Bibliographie des sciences sociales. 1933 ist der IV. Band
erschienen (1927), Paris, Giard, in 8°, 1269 S., 170 Fr.

$(26). Die Katholische Aktion. Im Herbst 1892 fand in Genua ein


italienischer katholischer Kongress von Wissenschaftlern aus den Sozial-
wissenschaften statt; dort wurde festgestellt, dass »das Bedürfnis des gegen-
wärtigen Zeitpunkts — zwar nicht das einzige Bedürfnis, aber ebenso
dringlich wie jedes andere - der wissenschaftliche Anspruch der christlichen
Idee ist. Die Wissenschaft kann keinen Glauben geben, kann aber die
Gegner zu Respekt nötigen und kann die Verständigen dahin bringen,
die gesellschaftliche Notwendigkeit und die individuelle Pflicht (!) des
Glaubens anzuerkennen«. Im Jahre 1893 wurde auf Anstoß dieses von
Leo XIII. unterstützten Kongresses (die Enzyklika Rerum Novarum ist
von 1891) die »Internationale Zeitschrift für Sozialwissenschaften und
Hilfsdisziplinen« gegründet, die bis heute erscheint. Im Januarheft 1903
der Zeitschrift wird die zehnjährige Tätigkeit kurz zusammengefasst.
Die Tätigkeit dieser Zeitschrift, die nie besonders »auf den Busch
geklopft« hat, ist dennoch zu untersuchen, auch im Vergleich mit der-
jenigen der »Critica Sociale«, deren Gegengewicht sie sein sollte, usw.

$(27). Machiavelli. 1.) Vgl. was Alfieri über Machiavelli in dem


Buch Vom Fürsten und der Literatur schreibt. Im Zusammenhang mit den
»unmoralischen und tyrannischen Maximen«, die man »da und dort« aus
dem Fürsten herauslesen könne, merkt Alfıeri an: »und diese werden vom
Verfasser gewiss viel mehr ins Licht gerückt (wenn man es sich genau über-
legt), um den Völkern die ehrgeizigen Absichten und wohlbedachten
Grausamkeiten der Fürsten zu enthüllen, als die Fürsten zu lehren, sie zu
praktizieren: denn diese wenden sie an, wandten sie an und werden sie
mehr oder weniger immer anwenden, je nach ihrem Bedürfnis, Verstand
und Geschick«'. Abgesehen von der demokratischen Interpretation ist die
Anmerkung richtig: gewiss doch, Machiavelli wollte nicht die Fürsten »nur«
die »Maximen« lehren, die sie kannten und anwandten. Er wollte dagegen
1872 Siebzehntes Heft

die »Kohärenz« in der Regierungskunst lehren, und zwar die für ein
bestimmtes Ziel aufgewendete Kohärenz: die Schaffung eines italienischen
Einheitsstaates. Der Fürst ist also kein Buch der »Wissenschaft« im akade-
mischen Verständnis, sondern der »unmittelbaren politischen Leiden-
schaft«, ein parteiliches »Manifest«, das auf einer »wissenschaftlichen«
Auffassung der politischen Kunst gründet. Machiavelli lehrt tatsächlich die
»Kohärenz« der »bestialischen« Mittel, und dies steht gegen die These
Alderisios (dessen Schrift Zu Machiavellis Staatskunst. Weitere Diskussion
über ihre Interpretation als »reine Politik«, in den »Nuovi Studi« von Juni-
Oktober 1932, man ansehen muss)”, aber diese »Kohärenz« ist nichts rein
Formales, sondern die notwendige Form einer bestimmten aktuellen
politischen Linie. Dass aus Machiavellis Darlegung dann Elemente einer
»reinen Politik« herausgezogen werden können, ist eine andere Sache: es
betrifft die Stellung, die Machiavelli im Prozess der Herausbildung der
»modernen« Politischen Wissenschaft einnimmt, und die ist nicht gering.
Alderisio stellt das ganze Problem schlecht, und die wenigen guten
Gedanken, die er haben mag, verlieren sich in der Zusammenhangs-
losigkeit des verkehrten allgemeinen Rahmens.
II. Die Frage, warum Machiavelli den Fürsten und die anderen Werke
geschrieben hat, ist nicht einfach eine Frage der Bildung oder der Psycho-
logie des Autors: sie dient dazu, den Reiz dieser Schriften, ihre Lebendigkeit
und Originalität teilweise zu erklären. Es handelt sich gewiss nicht um
»Traktate« mittelalterlichen Typs; noch handelt es sich um Werke eines
höfischen Advokaten, der das Vorgehen oder die Vorgehensweise seiner
»Beschützer« oder auch seines Fürsten rechtfertigen will. Machiavellis
Werke sind »individualistischen« Charakters, Ausdrucksformen einer Per-
sönlichkeit, die in die Politik und in die Geschichte ihres Landes eingrei-
fen will, und in diesem Sinne sind sie »demokratischen« Ursprungs. In
Machiavelli ist die »Leidenschaft« des »Jakobiners«, und deshalb musste er
den Jakobinern und den Aufklärern so sehr gefallen: es ist dies ein »natio-
nales« Element im eigentlichen Sinn, und es müsste bei jeder Forschung
über Machiavelli vorab studiert werden.

$(28). Italienisches Risorgimento. Vgl. die Rezension von A.Omodeo


(in der »Critica« vom 20. Juli 1933) zum Buch N.Rossellis über Carlo
Pisacane', die unter zahlreichen Aspekten interessant ist. Omodeo hat ein
scharfes Auge beim Hervorheben nicht nur der organischen Mängel des
Buches, sondern auch der organischen Mängel in Pisacanes Herangehen
an das Problem des Risorgimento. Aber dieser Scharfblick rührt bei ihm
Heft 17--$27-$28 1873
davon her, dass er sich auf den »konservativen und rückschrittlichen«
Standpunkt stellt. Omodeos Behauptung, dass Pisacane »ein Fragment des
in die Geschichte Italiens eingefügten französischen (18)48« gewesen sei,
scheint nicht exakt, so wie es nicht exakt ist, dass Rosselli Pisacane in die
Nähe der modernen Syndikalisten (Sorel usw. in Aktion) rückt’. Pisacane
" muss den russischen Revolutionären, den Narodniki angenähert werden,
und deshalb ist Ginzburgs Hinweis auf Herzens Einfluss auf die italie-
nischen Emigranten interessant. Dass Bakunin später so viel Erfolg in
Süditalien und in der Romagna gehabt hat, ist nicht ohne Bedeutung für
das Verständnis dessen, was Pisacane zu seiner Zeit ausdrückte, und es
scheint eigenartig, dass gerade Rosselli den Zusammenhang nicht gesehen
hat.

Das Verhältnis Pisacanes zu den plebejischen Massen ist weder im sozia-


listischen noch im syndikalistischen Ausdruck zu sehen, sondern eher in
denjenigen - wenn auch extremen - jakobinischen Typs. Omodeos Kritik
an der Fragestellung, die dem Problem des Risorgimento eine plebejisch-
sozialistische Grundlage gibt, ist zu einfach, aber sie wäre nicht ebenso
einfach an der mit einer »agrarreformerisch-jakobinischen« Grundlage,
und es wäre auch nicht einfach, den engstirnigen, beschränkten, anti-
nationalen Egoismus der führenden Klassen zu bestreiten, die in diesem
Fall in Wirklichkeit von den grundbesitzenden Adligen und dem absen-
tistischen”* Landbürgertum repräsentiert wurden und nicht vom städtischen
Bürgertum industriellen Typs und von den Intellektuellen als »Ideologen«,
deren Interessen nicht »unvermeidlich« an die der Grundbesitzer gebunden
waren, sondern an diejenigen der Bauern [hätten gebunden sein müssen],
d.h. kaum national waren.
So ist Omodeos Bemerkung nicht »reines Gold«, dass es in der Periode
des Risorgimento eine Schwäche war, feste Programme zu haben, da
keine »Technik« ausgearbeitet worden war, um eben diese Programme zu
verwirklichen. Abgesehen davon, dass es bei Pisacane keine festen
Programme gab, sondern nur eine »allgemeine Tendenz«, die fester war als
bei Mazzini (und in Wirklichkeit nationaler als bei Mazzini), ist die gegen
die festen Programme gerichtete Theorie eindeutig konservativen und
rückschrittlichen Charakters. Dass die festen Programme technisch aus-
gearbeitet werden müssen, um anwendbar zu sein, ist gewiss, und dass die
festen Programme ohne eine Ausarbeitung des technischen Prozesses”
[durch die sie verwirklicht werden, ]eine Abgeschmacktheit sind, ist eben-
falls gewiss, aber gewiss ist auch, dass Politiker wie Mazzini, die keine

* Gramsci hatte zuerst »technische Ausarbeitung« geschrieben.


1874 Siebzehntes Heft

»festen Programme« haben, nur dem König von Preußen in die Hände
arbeiten, Fermente des Aufstands sind, der unweigerlich von den rück-
schrittlich[st]en Elementen, die letztlich mittels der »Technik« alle anderen
übertreffen, monopolisiert wird. Folglich muss auch von Pisacane gesagt
werden, dass er im Risorgimento keine »realistische« Tendenz repräsen-
tierte, weil er isoliert war, ohne Partei, ohne für den künftigen Staat vor-
bereitete Kader usw. Die Frage ist jedoch nicht so sehr eine der Geschichte
des Risorgimento als eine der Geschichte der Vergangenheit aus der Sicht
unmittelbarster Gegenwartsinteressen, und unter diesem Gesichtspunkt
ist Omodeos Rezension, wie andere Schriften desselben Autors, in konser-
vativem und rückschrittlichem Sinn tendenziös. Im übrigen ist diese
Rezension interessant wegen des Themas der modernen, durch die
Neubewertung der Geschichte des Risorgimento hervorgerufenen »Ideo-
logien«, die eine so große Bedeutung für das Verständnis der italienischen
Kultur in den letzten Jahrzehnten haben.
Ein interessantes Thema, auf das Gioberti (in der Erneuerung beispiels-
weise) hingewiesen hat, ist das der technischen Möglichkeiten der
nationalen Revolution in Italien während des Risorgimento: Frage der
revolutionären Hauptstadt (wie Paris für Frankreich), der regionalen
Verfügbarkeit der aufständischen Kräfte usw.” Omodeo kritisiert Rosselli,
weil er die Organisation im Süden nicht untersucht hat, die 1857 nicht so
ineffizient gewesen sein konnte, wenn sie 1860 hinreichte, um die
bourbonischen Kräfte zu lähmen, aber die Kritik scheint nicht sehr be-
gründet. 1860 hatte sich die Situation völlig gewandelt, und es reichte die
Passıvität, um die Bourbonen zu lähmen, während 1857 die Passıvität und
die auf dem Papier vorhandenen Kader“ wirkungslos waren. Es handelt sich
also nicht darum, die Organisation von 60 mit der von 57 zu vergleichen,
sondern die verschiedenen, insbesondere »internationalen« Situationen.
Es ist sogar wahrscheinlich, dass man als Organisation 60 aufgrund der
eingetretenen Reaktion schlechter stand als 57.
Es empfiehlt sich, aus Omodeos Rezension folgende Stelle zu zitieren:
»Rosselli begeistert sich für den größeren Programmreichtum. Doch das
auf eine hypothetische zukünftige Situation bezogene Programm ist oft-
mals ein sperriger und nutzloser Ballast: was vor allem wichtig ist, das ist
die Richtung, nicht die materiale Spezifizierung der Werke. Wir alle haben
gesehen, was die Programme für die Nachkriegszeit taugten, die erarbeitet
worden waren, als man noch nicht wusste, wie man aus der Gefahr heraus-
kommen würde, in welchen Stimmungen, mit welchen drängenden
Bedürfnissen! Falsche Konkretheit also, unterhalb der Mazzini so sehr
vorgeworfenen Unbestimmtheit. Nicht wenige Punkte der sozialistischen
Heft 17-$.28 1875
Forderungen waren (und sind) überdies Postulate ohne die Bestimmung
des technischen Prozesses für ihre Durchsetzung, und provozierten und
provozieren nicht nur und nicht so sehr die Reaktion der geschädigten
Klassen als den Widerwillen desjenigen, der frei von Klasseninteressen (!)
spürt, dass weder eine neue moralische Ordnung noch eine neue rechtliche
_ Ordnung reif ist: eine klar antithetische Situation zu derjenigen der fran-
zösıschen Revolution, die von den verschiedenen Sozialismen als muster-
gültig betrachtet wird: weil die neue moralisch-rechtliche Ordnung 1789
im Bewusstsein aller lebendig war und sich als leicht realisierbar darstellte«.
(»Critica«, 20. Juli 1933, S. 283-84). Omodeo ist sehr oberflächlich und
unbedacht: seine Meinungen sind mit Croces 1911 veröffentlichtem Auf-
satz über die Partei als Urteil und Vorurteil zu vergleichen’. Die Wahrheit
ist, dass Pisacanes Programm ebenso unbestimmt war wie das von Mazzini
und auch nur eine allgemeine Tendenz markierte, die als Tendenz ein wenig
bestimmter war als die Mazzinis. Jede »konkrete« Spezifizierung eines
Programms und jede Bestimmung des technischen Prozesses zur Durch-
setzung seiner Punkte setzen eine Partei, und zwar eine gut ausgewählte
und homogene Partei voraus: die Partei fehlte sowohl Mazzini als auch
Pisacane. Das Fehlen eines konkreten Programms mit allgemeiner Tendenz
ist eine Form flüssigen »Söldnertums«, dessen Elemente sich am Ende um
den Stärksten sammeln, um den, der am besten zahlt usw. Das Beispiel der
Nachkriegszeit gibt Omodeo Unrecht und nicht Recht: 1. weil es in Wirk-
lichkeit in jenen Jahren nie konkrete Programme gab, sondern eben nur
allgemeine, mehr oder weniger vage und fluktuierende Tendenzen; 2. weil
es gerade in jener Periode keine ausgewählten und homogenen Parteien
gab, sondern nur fluktuierende und ungewisse Zigeunerbanden, die gerade
Symbol der Unbestimmtheit der Programme waren und nicht umgekehrt.
Auch der Vergleich mit der Französischen Revolution von 1789 trifft nicht
zu, weil Paris damals eine Rolle spielte, die im Italien nach (18)48 keine
Stadt mit irgendeinem Programm spielen konnte. Die Frage muss in den
Begriffen des »Bewegungskrieges - Belagerungskrieges« gestellt werden,
d.h. zur Vertreibung der Österreicher und ihrer italienischen Hilfstruppen
war notwendig: 1. eine starke homogene und kohärente italienische Partei;
2. dass diese Partei ein konkretes und detailliertes Programm hatte; 3. dass
ein solches Programm von den großen Volksmassen geteilt wurde (die
damals nur ländliche sein konnten) und sie dazu erzogen hatte, sich
»gleichzeitig« im ganzen Land zu erheben. Nur die tiefe Verwurzelung der
Bewegung im Volk und die Gleichzeitigkeit konnten die Niederlage des
österreichischen Heeres und seiner Hilfstruppen ermöglichen. Unter
diesem Gesichtspunkt empfiehlt es sich nicht so sehr, Pısacane Mazzinıi
entgegenzusetzen, als Pisacane Gioberti, der eine strategische Auffassung
1876 Siebzehntes Heft

von der italienischen Revolution hatte, strategisch nicht im streng militä-


rischen Sinn (wie Mazzini sie Pisacane zugestand)‘, sondern im militärisch-
politischen. Aber auch Gioberti fehlte eine Partei, und nicht nur im
modernen Wortsinn, sondern auch in dem Sinn, den das Wort damals hatte,
d.h. im Sinn der Französischen Revolution als Bewegung der »Geister«.
Im übrigen war Mazzinis Programm für die Zeit politisch zu »bestimmt«
und konkret im Sinne der Republik und der Einheit, im Unterschied zu
dem Giobertis, der sich eher dem Typ eines Jakobiners annähert, der für
das damalige Italien notwendig war. Auch Omodeo (und dies ist sein Anti-
historismus) stellt sich im Grunde implizit auf den Standpunkt eines
Italiens, das vor seiner Herausbildung — wie es heute existiert und in der
Form, in der es sich 1870 konstituiert hat - existierte. (Trotz seiner Ab-
neigung gegen die rechtlich-ökonomische Tendenz stellt sich Omodeo auf
den Standpunkt, den Salvemini in seiner Broschüre über Mazzini ein-
nimmt’: Mazzinis allgemeines Predigen der Einheit ist der feste Kern des
Mazzinianismus, sein wirklicher Beitrag zum Risorgimento). Was die
Einstellung der »von den Klasseninteressen Freien« betrifft, so verhielten
sie sich in der Nachkriegszeit wie im Risorgimento: sie vermochten sich
nie zu entscheiden und schlossen sich dem Sieger an, dem sie im übrigen
durch ihr Sich-Nicht-Entscheiden zum Sieg verholfen hatten, weil es sich
darum handelte, wer ihre Klasse im beschränkten und engstirnigen Sinn
repräsentierte.

$(29). Popularliteratur. Artikel von Andre Moufflet im »Mercure de


France« vom 1. Februar 1931 über den Feuilletonroman. Der Feuilleton-
roman ist nach Moufflet aus dem Bedürfnis nach /lIusion entstanden,
welches unzählige klägliche Existenzen verspürten, und vielleicht noch
verspüren, gleichsam um die trostlose Monotonie zu durchbrechen, zu
welcher sie sich verurteilt sehen‘.

Allgemeine Beobachtung: lässt sich für alle Romane und nicht nur die
Feuilletonromane machen: es muss analysiert werden, welche besondere
Illusion der Feuilletonroman dem Volk gibt und wie sich diese Illusion mit
den politisch-geschichtlichen Perioden wandelt: es gibt den Snobismus,
aber es gibt auch einen Fundus an demokratischen Bestrebungen, die sich
ım klassischen Feuilletonroman widerspiegeln. »>Schwarzer« Roman ä la
Radlliffe, Intrigen-, Abenteuer-, Detektivroman, Krimi, Unterweltroman
usw. Der Snob erkennt sich wieder im Feuilletonroman, der das Leben der
Adlıgen oder der höheren Klassen im allgemeinen beschreibt, das aber
Heft 17-$28-$30 1877
gefällt den Frauen und besonders den Mädchen, von denen übrigens jede
denkt, die Schönheit könne ihr den Weg in die Oberklasse ebnen.
Für Moufflet gibt es die »Klassiker« des Feuilletonromans, aber das
wird in einem bestimmten Sinn verstanden: der klassische Feuilleton-
‚roman scheint der »demokratische« zu sein, mit verschiedenen Nuancen
von V. Hugo bis zu Sue, zu Dumas. Moufflets Artikel wird zu lesen sein,
es muss aber beachtet werden, dass er den Feuilletonroman als »litera-
rische Gattung« untersucht, hinsichtlich des Stils usw., als Ausdruck einer
»Popularästhetik«, was falsch ist. Das Volk ist »inhaltsorientiert«, aber
wenn der populare Inhalt durch große Künstler ausgedrückt wird, werden
diese bevorzugt. Daran erinnern, was (ich) geschrieben (habe) zur Liebe
des Volkes zu Shakespeare, zu den griechischen Klassikern, und in
moderner Zeit zu den großen russischen Romanschriftstellern (Tolstoi,
Dostojewski). Ebenso Verdi in der Musik’.
In dem Artikel Der literarische Merkantilismus von J.H.Rosny d. Ä.* in
den »Nouvelles Litteraires« vom 4. Oktober 1930 ist gesagt worden,
V. Hugo habe sich bei den Elenden inspirieren lassen von Eugene Sues
Geheimnissen von Paris und dem Erfolg, den diese hatten und der so groß
war, dass der Verleger Lacroix noch vierzig Jahre danach darüber verblüfft
war. Rosny schreibt: »Die Feuilletons, ob aus der Absicht des Heraus-
gebers der Zeitung oder aus der Absicht des Feuilletonisten heraus, waren
Produkte, die vom Geschmack des Publikums inspiriert waren und
nicht vom Geschmack der Autoren«’. Auch diese Definition ist einseitig.
Und in der Tat schreibt Rosny lediglich eine Reihe von Beobachtungen zur
»kommerziellen« Literatur im allgemeinen (folglich auch zur porno-
graphischen) und zur kommerziellen Seite der Literatur. Dass der
»Kommerz« und ein bestimmter »Geschmack« des Publikums zusammen-
treffen, ist nicht zufällig, dafür spricht jedenfalls, dass die um (18)48
geschriebenen Feuilletons eine bestimmte gesellschaftlich-politische
Richtung hatten, die bewirkt, dass sie noch heute von einem Publikum
verlangt und gelesen werden, das dieselben 48er-Gefühle verspürt.

$(30). Journalismus. Als Mark Twain Herausgeber einer Zeitung ın


Kalifornien war, veröffentlichte er eine Karikatur, die einen toten Esel
am Boden eines Brunnens mit der Aufschrift zeigte: »Dieser Esel ist gestor-
ben, weil er nicht iah geschrien hat«.' Twain wollte die Nützlichkeit der

* Im Original frz.: »aine«.


1878 Siebzehntes Heft

journalistischen Reklame hervorheben, aber die Karikatur kann auch andere


Bedeutungen haben.

$(31). Vergangenheit und Gegenwart. Diskussionen auf dem inter-


nationalen Hegelkongress, der 1933 in Rom stattfand (3. Kongress der
Internationalen Hegelgesellschaft). Man wollte in diesem eine tendenziöse
Bejahung des italienischen aktualistischen Idealismus (Gentile usw.) mitten
in dem vom Vatikan angesetzten Heiligen Jahr anläßlich des 1900. Jahres-
tages von Christi Tod* sehen. So wurde der Kongress sowohl von den
Katholiken als auch von den Epigonen des Positivismus oder Neokritizis-
mus bekämpft‘.

$(32). Kosmopolitische Funktion der italienischen Literatur. Noch


einmal zum Aufsatz von Augusto Rostagni über die Autonomie der
römischen Literatur, der in vier Folgen in der »Italia Letteraria« vom
21. Mai 1933ff' publiziert wurde. Nach Rostagni entstand die lateinische
Literatur zu Beginn der punischen Kriege, als Ursache und Wirkung der
Vereinigung Italiens, als wesentlich nationaler Ausdruck, »mit dem Sinn
für Fortschritt, für Eroberung, mit dem Elan der höchsten und kraftvollsten
Erfolge«°. Ahistorische Auffassung, denn man konnte damals nicht von
einem »nationalen« Phänomen sprechen, sondern nur von Römertum, das
Italien rechtlich einigt (und zudem ein Italien, das nicht dem entspricht,
was wir heute unter Italien verstehen, da Oberitalien, das heute von nicht
geringer Bedeutung für den Italien-Begriff ist, ausgeschlossen war). Dass
Rostagni Recht hat, wenn er von der »Autonomie« der lateinischen Litera-
tur redet, d.h. wenn er behauptet, diese sei autonom von der griechischen
Literatur, ist akzeptabel - aber in Wirklichkeit steckte mehr »Nationalität«
in der griechischen Welt als in der italisch-römischen. Auch wenn man im
übrigen zugibt, dass sich mit den ersten Punischen Kriegen etwas im
Verhältnis zwischen Rom und Italien ändert, dass es eine auch territorial
größere Einheit gibt, ist nicht zu leugnen, dass diese Periode sehr kurz ist
und geringe literarische Bedeutung hat: die lateinische Literatur blüht nach
Cäsar, mit dem Reich, d.h. genau dann, als die Funktion Italiens kosmo-
politisch wird, als sich nicht mehr das Problem des Verhältnisses zwischen
Rom und Italien stellt, sondern zwischen Rom-Italien und dem Reich.
Man kann nicht vom Nationalen reden ohne das Territoriale: in keinem

* Im Ms.: »Geburt«,
Heft 17-$30
-$ 33 1879

dieser Zeitabschnitte hat das territoriale Element eine Bedeutung, die nicht
rein militärisch-rechtlich wäre, das heißt »staatlich« im gouvernementalen
Sinn, ohne leidenschaftlich-ethischen Inhalt.

(633). Humanismus. Renaissance. Es mag stimmen, dass der Huma-


nismus in Italien als Studium des Römertums und nicht der klassischen
Welt im allgemeinen (Athen und Rom) entstand: aber dann muss man unter-
scheiden‘. Der Humanismus war »ethisch-politisch«', nicht künstlerisch,
er war die Suche nach den Grundlagen eines »italienischen Staates«, der
zusammen mit und parallel zu Frankreich, Spanien, England hätte entstehen
müssen: in diesem Sinne haben Humanismus und Renaissance als aus-
drucksstärksten Wortführer Machiavelli. Er war »ciceronianisch«, wie
Toffanin’ behauptet, das heißt, er suchte seine Grundlagen in der Periode,
die dem Reich, der imperialen Kosmopolis vorausging (und in diesem Sinne
kann Cicero ein guter Bezugspunkt sein, da er sich zuerst Catilina, dann
Cäsar widersetzte, das heißt dem Aufstieg der neuen anti-italischen Kräfte
einer kosmopolitischen Klasse). Die italienische spontane Renaissance, die
nach Tausend beginnt und künstlerisch in der Toskana zur Blüte kommt,
wurde durch Humanismus und Renaissance im kulturellen Sinn erstickt,
durch die Wiedergeburt des Lateins als Sprache der Intellektuellen, gegen
die Volkssprache, usw. Dass diese spontane Renaissance (des dreizehnten
Jahrhunderts vor allem) nur mit der Blüte der griechischen Literatur
verglichen werden kann, ist nicht zu leugnen, während der »Politizismus«
des fünfzehnten-sechzehnten Jahrhunderts die Renaissance ist, die auf das
Römertum bezogen werden kann.
Athen und Rom haben ihre Fortsetzung in der orthodoxen und der
katholischen Kirche: auch hier ist die Meinung zu vertreten, dass Rom
eher von Frankreich als von Italien weitergeführt wurde und Athen-Byzanz
vom zaristischen Russland. Westliche und östliche Zivilisation. Dies bis
zur Französischen Revolution und vielleicht bis zum Krieg von 1914.
In Rostagnis Aufsatz viele scharfsinnige Einzelbeobachtungen, aber eine
verfehlte Perspektive. Rostagni verwechselt dabei die Bücherkultur mit
der spontanen. Dass die Abwertung der Römer speziell der deutschen (auf
künstlerischem Feld) Romantik, geschuldet ist, mag stimmen; dass sie
unmittelbare praktische Motive usw. gehabt hat, mag ebenfalls stimmen.
Aber Rostagni hätte untersuchen müssen, ob nicht trotzdem in dieser Ein-
seitigkeit eine Wahrheit steckt, wenn auch eine einseitige. Kulturwahrheit,
nicht ästhetische, weil die ästhetische »Autonomie« unter anderem den
einzelnen Künstlern gehört und nicht den kulturellen Gruppierungen;
1880 Siebzehntes Heft

und sei es auch nur »Kulturautonomie«, die es bestimmt geben müsste, wie
gerade die Tatsache der kulturellen Spaltung zwischen Osten und Westen,
zwischen katholischer Kirche und byzantinischer Orthodoxie usw. beweist.
Aber dann brauchte es nicht oberflächliche Begründungen, sondern
vertiefte Untersuchungen nicht nur in der Literatur, sondern in der allge-
meinen Kultur.

$(34). Popularliteratur. Der singende Gefangene von Johan Bojer


(übersetzt von L.Gray und G.Dauli, Verlag Bietti, Mailand, 1930). Zwei
kulturelle Aspekte zu beobachten: 1. die »pirandellosche« Auffassung des
Protagonisten, der seine physische und moralische »Persönlichkeit« fort-
während neu erschafft, die stets anders und doch stets gleich ist. Das kann
für den Erfolg des Pirandellismus in Europa von Interesse sein, und da
muss man sehen, wann Bojer sein Buch geschrieben hat; 2. popularer
Aspekt im engeren Sinn, im letzten Teil des Romans enthalten. Um sich
in »religiösen« Begriffen auszudrücken, behauptet der Verfasser in
pirandelloscher Form die alte religiöse und reformatorische Auffassung
vom »Bösen«: das Böse steckt im Menschen drin (in absolutem Sinn); in
jedem Menschen steckt sozusagen ein Kain und ein Abel, die miteinander
kämpfen: wenn man das Böse aus der Welt schaffen will, muss jeder den
Kain in sich besiegen und den Abel triumphieren lassen: das Problem des
»Bösen« ist demzufolge nicht politisch, oder sozio-ökonomisch, sondern
»moralisch« oder »moralistisch«. Die äußere Welt, das Ensemble der
Verhältnisse verändern, zählt nicht: wichtig ist das moralisch-individuelle
Problem. In jedem steckt der »Jude« und der »Christ«, der Egoist und der
Altruist: jeder muss in sich selbst kämpfen usw., den Judaismus in sich
selbst abtöten. Interessant ist, dass Bojer der Pirandellismus dazu gedient
hat, dieses alte Gericht aufzukochen, dass eine für antireligiös usw.
geltende Theorie benutzt wurde, um die alte christliche Problemstellung
des Bösen usw. wiederaufzutischen.

$(35). Vergangenheit und Gegenwart. »Die umgestülpten Gemein-


plätze«. Für viele bedeutet »originell« sein nur, die in einer bestimmten
Epoche herrschenden Gemeinplätze auf den Kopf zu stellen: für viele ist
diese Übung das Maximum an Eleganz und moralischem und intellek-
tuellem Snobismus. Aber der umgestülpte Gemeinplatz bleibt stets ein
Gemeinplatz, eine Banalität. Vielleicht ist der umgestülpte Gemeinplatz
noch banaler als der einfache Gemeinplatz. Der Bohemien ist philisterhafter
als der Kaufmann auf dem Land. Daher das Gefühl von Langeweile, das im
Heft 17-$33-$37 1881
Umgang mit gewissen Kreisen aufkommt, die sich für außergewöhnlich
halten, die sich als eine vom gewöhnlichen Leben getrennte Aristokratie
setzen. Der Demokrat ist widerlich, aber wieviel widerlicher ist der angeb-
liche Reaktionär, der den Henker und womöglich die Scheiterhaufen
hochleben lässt. In der Intellektuellenzunft ist Giovanni Papini ein großer
Fabrikant von umgestülpten Gemeinplätzen; in der politischen Zunft
waren solche die Nationalisten alten Stils wie Coppola, Forges-Davanzati,
Maraviglia und vor allem Giulio De Frenzi'. In dieselbe intellektuelle
Reihe ist Farinelli mit seiner lyrischen Neigung und seiner Rührseligkeit
zu stellen, die auf noch widerlichere Weise pedantisch sind als die Schriften
Zumbinis’. (Der Ausdruck »umgestülpter Gemeinplatz« wird von
Turgenjew in Väter und Söhne verwendet. Basarow formuliert dessen
Prinzip so: »Es ist ein Gemeinplatz zu sagen, das öffentliche Unterrichts-
wesen sei nützlich, es ist ein umgestülpter Gemeinplatz zu sagen, das
öffentliche Unterrichtswesen sei schädlich«, usw.)””*

$(36). Vergangenheit und Gegenwart. Ausder Enciclopedia Italiana


(Artikel »Krieg«, S. 79): »Allzu viele Schriftsteller des Zweiten Kaiserreichs
scheinen überzeugt zu sein, dass die Rhetorik - die durch die kriegerischen
Taten der Revolution und des Ersten Kaiserreichs leicht zu schüren ist —
genüge, um den militärischen Geist hochzuhalten, und dass der hehre
militärische Geist allein genüge, um eine eventuelle technische Überlegen-
heit anderer zu neutralisieren«'.
Wenn diese Behauptung für die militärische Kritik zutrifft, ist sie noch
treffender für die Kritik des politischen Handelns. Vielleicht für einen
einzigen Aspekt des politischen Handelns, nämlich den der Wahlen in den
ultrademokratischen liberalen Regimen, mag es stimmen, dass die Rhetorik
und »der hehre Geist« des (papierenen) Kampfes die minutiöse und orga-
nische technische Vorausbestimmung ersetzen und folglich »glänzende«
Siege ergeben kann. Dieses Urteil kann in die Reihe der »Machiavelli«-
Notizen übertragen werden, und zwar in den Teil, in dem die verschiedenen
Momente einer Situation analysiert werden, und vor allem in dem
unmittelbarsten Moment, in dem jede Situation gipfelt und sich wirklich
entscheidet, das heißt Geschichte wird.

$(37). Machiavelli. Ist die politische Aktion (im engen Sinn) not-
wendig, damit man von »politischer Partei« sprechen kann? Man kann
beobachten, dass in der modernen Welt in vielen Ländern die organischen
1882 Siebzehntes Heft

und grundlegenden Parteien sich aus Erfordernissen des Kampfes oder aus
anderen Gründen in Fraktionen aufgespalten haben, deren jede den Namen
Partei und selbst unabhängige Partei annimmt. Oft gehört deshalb der
intellektuelle Generalstab der organischen Partei zu keiner dieser Fraktio-
nen, sondern betätigt sich, als wäre er eine für sich stehende, den Parteien
übergeordnete führende Kraft, und manchmal wird er auch von der
Öffentlichkeit dafür gehalten. Diese Funktion lässt sich genauer unter-
suchen, wenn man von dem Gesichtspunkt ausgeht, dass eine Zeitung
(oder eine Gruppe von Zeitungen), eine Zeitschrift (oder eine Gruppe von
Zeitschriften) auch ihrerseits »Parteien« oder »Parteifraktionen« oder
»Funktion bestimmter Parteien« sind. Man denke an die Funktion der
»Times« in England, an diejenige, die der »Corriere della Sera« in Italien
hatte', und auch an die Funktion der sogenannten »Nachrichtenpresse«,
die angeblich »unpeolitisch« ist, bis hin zur Sport- und zur Technikpresse.
Im Übrigen bietet das Phänomen interessante Aspekte in den Ländern,
wo es eine einzige und totalıtäre Regierungspartei gibt: weil eine solche
Partei keine wirklich politischen Funktionen mehr hat, sondern nurmehr
technische der Propaganda, der Polizei, des moralischen und kulturellen
Einflusses. Die politische Funktion ist indirekt: denn wenn keine anderen
legalen Parteien existieren, gibt es immer andere Parteien de facto oder legal
nicht zu bezwingende Tendenzen, gegen die polemisiert und gekämpft
wird wie beim Blinde-Kuh-Spielen. Auf jeden Fall ist sicher, dass bei solchen
Parteien die kulturellen Funktionen vorherrschen und eine jargonhafte
politische Sprache entstehen lassen: das heißt, die politischen Fragen kleiden
sich in kulturelle Formen und werden als solche unlösbar.

Aber eine traditionelle Partei hat einen grundsätzlich »indirekten«


Charakter, das heißt, sie stellt sich ausdrücklich als eine rein »erzieherische«
(lucus*'" usw.), moralistische, der Bildung (sic) dar: und sie ist die libertäre
Bewegung: auch die sogenannte direkte (»terroristische«) Aktion wird als
»Propaganda« durch das »Beispiel« aufgefasst: von daher kann sich das
Urteil noch verstärken, dass die libertäre Partei nicht autonom ist, sondern
am Rande der anderen Parteien lebt, »um sie zu erziehen«, und man kann
von einem Libertarismus sprechen, der jeder organischen Partei inhärent ist.
(Was sind die »intellektuellen oder zerebralen Libertären«, wenn nicht ein
Aspekt eines solchen »Marginalismus« in Bezug auf die großen Parteien
der herrschenden gesellschaftlichen Gruppen?) Selbst die »Sekte der
Okonomisten« war ein historischer Aspekt dieser Erscheinung.

* Lat. »heiliger Hain«.


Heft 17-$37-$38 1883
Daher zeigen sich zwei Formen von »Partei«, die anscheinend [(als
solche)] von der unmittelbaren politischen Aktion abstrahiert: diejenige,
welche von einer Elite von Gebildeten konstituiert wird, welche die Funk-
tion haben, vom Standpunkt der Kultur, der Ideologie im allgemeinen eine
große Bewegung verwandter Parteien zu führen (die in Wirklichkeit Frak-
"tionen einer einzigen organischen Partei sind), sowie in neuerer Zeit die
Partei nicht einer Elite, sondern von Massen, die als Massen keine andere
politische Funktion haben als die einer allgemeinen Treue militärischen
Typs gegenüber einem sichtbaren oder unsichtbaren politischen Zentrum
(oft ist das sichtbare Zentrum der Befehlsmechanismus von Kräften, die
sich nicht in vollem Licht zeigen, sondern nur indirekt via Mittelsmann
oder »Mittlerideologie« wirken wollen). Die Masse ist einfach »Manövrier-
masse« und wird mit Moralpredigten »beschäftigt«, mit aufgeputschten
Gefühlen, mit messianischen Mythen der Erwartung märchenhafter Zeiten,
in denen alle gegenwärtigen Widersprüche und Miseren automatisch gelöst
und geheilt sein werden.

$(38). Popularliteratur. (1.) Neben Fragen wie: »Warum ist die italienische
Literatur in Italien nicht populär«, »Gibt es ein italienisches Theater?« usw. ist
die andere zu stellen: »Ist es erforderlich, in Italien eine religiöse Reform” wie die
protestantische hervorzurufen« — außerdem: »Über die Nicht-Popularität des
Risorgimento bzw. die Gleichgültigkeit des Volkes in der Zeit der Kämpfe für die
nationale Unabhängigkeit und Einheit« [(das Unpolitische des italienischen Vol-
kes und infolgedessen die Staatsabgewandtheit”” und das Rebellentum)]. Ein
genauer »Katalog« aller dieser Fragen, die seit mehr als einem Jahrhundert (seit
der Französischen Revolution) die italienischen Intellektuellen bedrängen (und
tatsächlich periodisch in mehr oder weniger neuen Formen wiederauftreten: die
der Einheit der Sprache, des Verhältnisses von Kunst und Leben, des Romans,
des Theaters, des Feuilletonromans stehen auch heute zur Debatte, und so
auch die einer intellektuellen und moralischen Reform — das heißt einer Volks-
revolution -, welche dieselbe Funktion wie die protestantische Reform hätte,
und auch der Popularität des Risorgimento, die mit dem Krieg von 1915 und den
anschließenden Umbrüchen endlich erreicht worden sein soll, daher die inflatio-
näre Verwendung der Termini Revolution und revolutionär), kann die beste
Fährte dafür liefern, den Grundcharakter der italienischen Kultur und die Erfor-
dernisse zu rekonstruieren, die von ihr aufgezeigt und sichtbar gemacht werden.
II. Was bedeutet Giovanni Gentiles Losung: »Zurück zu De Sanctis!«?', und
was kann und müsste sie bedeuten? De Sanctis wandte seine Aufmerksamkeit in
der letzten Phase seines Lebens und seiner Tätigkeit dem naturalistischen Roman
zu, der die »intellektualistische« Form war, den in Westeuropa die Bewegung des
»Zum-Volk-Gehens« angenommen hatte, des Populismus der Intellektuellen
1884 Siebzehntes Heft

am Ende des 19. Jahrhunderts nach dem Aufkommen der großen Arbeiter-
massen auf Grund der Entwicklung der modernen Industrie und des endgültigen
Untergangs der achtundvierziger Demokratie. An De Sanctis’ Untersuchung
Wissenschaft und Leben’ erinnern, seinen Übergang zur parlamentarischen
Linken, seine Furcht vor einem unter pompösen Formen verhüllten reaktionären
Rückfall usw. De Sanctis’ Urteil: »Es fehlt der Nerv, weil der Glaube fehlt. Und
es fehlt der Glaube, weil die Kultur fehlt«’. Doch was bedeutet »Kultur« in diesem
Fall? Es bedeutet zweifellos eine kohärente und einheitliche »Auffassung vom
Leben und vom Menschen«, mit nationaler Verbreitung, das heißt eine »Philo-
sophie«, die aber eben »Kultur« geworden ist, die also eine Ethik, eine Lebens-
weise, ein ziviles und individuelles Verhalten hervorgebracht hat. Das erforderte
vor allem anderen eine Vereinigung der »gebildeten Klasse«, und in dieser Rich-
tung arbeitete De Sanctis mit der Gründung des »Philologischen Kreises«, der
»die Einheit aller gebildeten und verständigen Menschen« Neapels bewirken
sollte.
(I.) Interessant ist unter diesem Gesichtspunkt die folgende Anmerkung, die
Luigi Pirandello als Student in Bonn in den Jahren 1889-90 schrieb (vgl. »Nuova
Antologia« vom 1. Januar 1934): »Wir klagen darüber, dass unserer Literatur das
Drama fehlt - wozu vieles gesagt und manches vorgeschlagen wird - Ermahnun-
gen, Fingerzeige, Projekte - vergebliches Werk: die wahre Fäulnis sieht man
nicht und will man nicht sehen. Es fehlt die Auffassung vom Leben und vom
Menschen. Und doch müssen wir der Epik und dem Drama eine Gelegenheit
bieten. Trockener, blödsinniger Alexandrinismus”“, der unsere«*. Aber vielleicht
ist.dieses Urteil Pirandellos nur ein Echoauf Diskussionen deutscher Studenten
über die allgemeine Notwendigkeit einer Weltanschauung* und ist oberfläch-
licher, als es scheint. Im übrigen hat sich Pirandello eine Auffassung vom Leben
und vom Menschen gebildet, aber eine »individuelle«, der popular-nationalen
Verbreitung unfähige: als kritisches Ferment hat sie eine große kulturelle
Bedeutung gehabt, wie an anderer Stelle angemerkt‘.

$(39). Machiavelli. Die indirekte Macht’. Eine Reihevon Erscheinungen,


bei denen Theorie und Praxis der indirekten Macht aus der kirchlichen
Organisationssphäre und ihrer Beziehungen zu den Staaten auf Beziehun-
gen zwischen Parteı und Partei, zwischen intellektuellen und ökonomischen
Gruppen und Parteien usw. angewandt werden. Klassischer Fall der
Versuch der Action Frangaise und ihrer atheistischen und ungläubigen
Führer, sich der organisierten katholischen Massen der Katholischen
Aktion als Manövriertruppe zugunsten der Monarchie zu bedienen.

* Deutsch im Original.
Heft 17-$38-$ 43 1885
$(40). Freudianismus. Kann man sagen, dass Freuds »Libido« die
»ärztliche« Weiterentwickung von Schopenhauers Willen ist? Der eine
oder andere Berührungspunkt von Schopenhauer und Freud lässt sich
meines Erachtens ausmachen.

$(41). Machiavelli. Von (General) Luigi Bongiovanni in der »Nuova


Antologia« vom 16. Januar 1934 (Die Marne: Urteile im Widerstreit) zu
Papier gebracht: »In seinem harten Realismus schreitet der Krieg nur durch
Fakten voran. Was zählt, ist der Sieg. Der Sieg bemisst sich nicht nach Op-
fern, sondern nach Ergebnissen. Der Sieg ist zudem immer die Auswir-
kung einer Überlegenheit: mehr noch, er ist deren unleugbare Feststellung.
Wenn er wenig Blut kostet, besagt dies, dass die Überlegenheit aufgrund
früherer Ereignisse in einer der beiden Konfliktparteien angelegt war«'.

$(42). Vergangenheit und Gegenwart. Es gibt in Italien keine


Übersetzung des Werkes von Clausewitz über den Krieg. Auch scheint
Clausewitz bei der älteren Generation unbekannt zu sein: in einem Artikel
der »Nuova Antologia« (16. Dezember 1933, Aufzeichnungen über die
Verfassung der Befehlsorgane im Krieg) des Admirals Siriannı wird der
Name immer als’ »Clausenwitz« wiedergegeben’. Diese Tatsache müsste
zu der von Gen. De Bono (in seinen von Mondadori veröffentlichten
Memoiren) aufgestellten Behauptung in Beziehung gesetzt werden, dass
die Offiziere seiner Generation sich nicht mit Politik befassten, keine
Zeitungen lasen, oftmals nicht einmal wussten, wie sich die Regierung
zusammensetzte’. Wie das Bildungsniveau der Offiziere der vergangenen
Generation war, ist leicht vorstellbar: ein Offizier, der sich nicht für das
politische Leben seines Landes interessiert, ähnelt durchaus einem Söldner
mittelalterlichen Typs. Das erste Buch, das Clausewitz’ militärisches
(politisches) Denken wiedergibt, scheint das von Emilio Canevari zu sein,
Clausewitz und der heutige Krieg, Rom, 1934 (oder 1933)".

$(43). Kulturprobleme. Der Rassismus, Gobineau und die historischen


Ursprünge der Philosophie der Praxis. Das von Lorenzo Gigli verfasste
Leben Gobineaus' muss gelesen werden, um zu sehen, ob es Gigli gelungen
ist, die Geschichte der rassistischen Ideen genau zu rekonstruieren und sie
im historischen Rahmen der modernen Kultur zu verorten. Dazu muss man
auf die historiographischen Tendenzen des Frankreichs der Restauration
und Louis-Philippes (Thierry, Mignet, Guizot) und auf die Problemstellung
1886 Siebzehntes Heft

der französischen Geschichte als eines jahrhundertelangen Kampfes


zwischen der germanischen (fränkischen) Aristokratie und dem Volk
gallischer oder gallo-romanischer Herkunft zurückgreifen‘. Die Aus-
einandersetzung um diese Frage blieb bekanntlich nicht aufs wissenschaft-
liche Gebiet beschränkt, sondern dehnte sich aufs Gebiet der unmittelbaren
und militanten Politik aus: einige Aristokraten forderten die Herrschaft
der Adligen, die einem »Recht der Eroberung« geschuldet sei, und mancher
demokratische Schriftsteller vertrat die Auffassung, dass die Französische
Revolution und die Enthauptung Ludwigs XVI. nichts anderes gewesen
seien als ein Aufstand des ursprünglich gallischen Elements gegen das der
alten Nationalität übergestülpte germanische Element. Es ist bekannt,
dass viele der Romane Eugene Sues, und darunter die populärsten (Die
Mysterien des Volkes, Der ewige Jude usw.), diesen Kampf in Szene setzen
und dass Die Mysterien des Volkes mit Briefen Sues an die Leser (der Heft-
folgen) durchsetzt sind, in denen dieser Kampf in politisch-historischer
Form dargelegt wird, so gut Sue es eben konnte. An der Auseinanderset-
zung waren Zeitungen und Zeitschriften beteiligt (z.B. nahm die »Revue
des deux Mondes« in den ersten Jahren ihres Erscheinens die Frage in
gemäßigter Form wieder auf, gegen den Fanatismus einiger Adliger, die
zu weit gingen)”. Dieselbe Frage stellte sich in der französischen Geschichts-
schreibung wieder hinsichtlich der Beziehungen zwischen Galliern und
Römern, und die umfangreichen Abhandlungen Jullians über die Geschich-
te Galliens sind bekannt’. Festzuhalten ist, dass sich von dieser Diskussion
(zumindest teilweise) zwei Richtungen herleiten: 1. diejenige der Philoso-
phie der Praxis, die vom Studium der beiden Schichten der französischen
Bevölkerung als Schichten unterschiedlichen nationalen Ursprungs über-
ging zum Studium der sozio-ökonomischen Funktion der Schichten selbst;
2. diejenige des Rassismus und der Überlegenheit der germanischen Rasse,
die vom polemischen Element der französischen Aristokratie zur Recht-
fertigung einer radikaleren Restauration, einer vollständigen Rückkehr zu
den Bedingungen des vorrevolutionären Regimes, über Gobineau und
Chamberlain zu einem Element der deutschen Kultur (französischen
Imports) mit neuen und ungeahnten Entwicklungen geworden ist.
In Italien konnte die Frage keine Wurzeln fassen, weil das Lehenswesen
germanischen Ursprungs durch die kommunalen Revolutionen zerstört
wurde (außer im Mezzogiorno und in Sizilien), die eine neue Aristokratie
merkantilen und autochthonen Ursprungs hervorgebracht haben.
Dass diese Frage keine abstrakte und papierene ist, sondern zu einer
militanten und wirksamen politischen Ideologie werden konnte, ist durch
die deutschen Ereignisse bewiesen worden.
Heft 17-$43 -$46 1887

$(44). Popularliteratur. Dass ein Teil der gegenwärtigen Dichtung


»reiner Secentismo"« ist, kommt durch das spontane Bekenntnis einiger
orthodoxer Kritiker derselben zum Vorschein. Zum Beispiel schreibt Aldo
Capasso in einem Aufsatz über Ungaretti (im »Leonardo« vom März 1934
zitierte Passage): »Die Aura des Staunens könnte nicht entstehen, wenn
der Dichter weniger lakonisch wäre«'. Die »Aura des Staunens« erinnert
an die bekannte Definition, dass »des Dichters Ziel das Wunder ist«. Man
kann dennoch anmerken, dass der klassische Secentismo leider populär
gewesen und es noch immer ist (es ist bekannt, wie dem Mann aus dem
Volk die Akrobatik der Bilder in der Dichtung gefallen), während der
aktuelle Secentismo unter den reinen Intellektuellen populär ist.
Ungaretti schrieb, dass seine Gedichte seinen Schützengraben-Kamera-
den »aus dem Volk« gefielen’, und das mag zutreffen: ein Gefallen beson-
derer Art, gebunden an das Gefühl, dass die »schwierige« (unverständ-
liche) Dichtung schön sein muss und der Verfasser ein großer Mann, eben
weil er vom Volk losgelöst und unverständlich ist: das war auch hinsichtlich
des Futurismus der Fall und ist ein Aspekt des popularen Kults für die
Intellektuellen (die in Wahrheit bewundert und gleichzeitig verachtet
werden).

$(45). Vergangenheit und Gegenwart. Der Verfasser der Kriegsbulletins


des italienischen Oberkommandos - einschließlich des letzten, berühm-
testen’ — war von Mai 1917 bis November 1918 der jetzige General
Domenico Siciliani.

$(46). Vergangenheit und Gegenwart. Die Neutralität der Schweiz


1934. Bundesrat Motta, Vorsteher des eidgenössischen Departements des
Äußern, sagte in einer in Fribourg am 22. Juli anlässlich des Tessinertags
beim eidgenössischen Schützenfest gehaltenen Rede: »Solange die Schweiz
entschlossen ist, sich zu verteidigen - so sagte kürzlich der hervorragende
Chef der italienischen Regierung zu Herrn Wagniere, unserem Gesandten
in Rom, und ich glaube, keine Indiskretion zu begehen, indem ich diese
freundschaftlichen Worte verrate -, wird niemand die Verantwortung auf
sich nehmen, sie anzutasten«""”.
In jedem Fall hat Bundesrat Motta bekanntgegeben, dass »kürzlich«, im
Vergleich zum 22. Juli 1934, die schweizerische Diplomatie die italienische
Regierung auf die Möglichkeit einer Aggression gegen ihr Territorium hat
hinweisen müssen und dafür freundliche Worte erhalten hat.
1888 Siebzehntes Heft

$(47). Vergangenheit und Gegenwart. Beim Geographenkongress


von Warschau im August 1934 hat Prof. Ferdinando Milone von der
Universität Bari eine Untersuchung über die Ursachen und Folgen der
unterschiedlichen Verteilung der Industrie in den einzelnen Landesteilen
Italiens vorgestellt‘.

$(48). Unterscheidungen. Bei der Untersuchung der verschiedenen


»Grade« oder »Momente« der militärischen oder politischen Situationen
pflegt man nicht die gebührenden Unterscheidungen zu machen zwischen:
»wirkender Ursache«, die das historische oder politische Ereignis in unter-
schiedlichem Grad oder unterschiedlicher Bedeutung (oder Reichweite)
vorbereitet, und »determinierender Ursache«, die das Ereignis unmittelbar
produziert und die allgemeine und konkrete Resultante der wirkenden
Ursache ist, der konkrete »Niederschlag« der wirklich aktiven und not-
wendigen Elemente der wirkenden Ursache, um die Determination zu
produzieren.
Wirkende Ursache und zureichende, das heißt »total« wirkende Ursache,
oder zumindest zureichend in der zur Produktion des Ereignisses notwen-
digen Richtung.
Natürlich können diese Unterscheidungen verschiedene Momente oder
Grade besitzen: man muss also untersuchen, ob jedes Moment für den
Übergang von einer Entwicklung zur anderen wirkend [(zureichend)] und
determinierend ist oder ob es vom Antagonisten vor seiner »Produk-
tivität« zerstört werden kann.

$(49). Methodische Prinzipien. Bevor man urteilt (und für die Ge-
schichte [im Vollzug oder Politik] ist das Urteil die Handlung), muss man
erkennen, und um zu erkennen, muss man alles wissen, was zu wissen
möglich ist. Aber was versteht man unter »erkennen«? Papierene Erkennt-
nis, Statistik, mechanische »Gelehrtheit«, — historische Erkenntnis -,
Intuition, wirklicher »Kontakt« mit der lebendigen und in Bewegung
befindlichen Wirklichkeit, Fähigkeit, psychologisch zu »sympathisieren«
bis hin zum Einzelmenschen. »Grenzen« der Erkenntnis (keine nutzlosen
Dinge), d.h. kritische Erkenntnis oder Erkenntnis des »Notwendigen«:
daher eine kritische »Allgemeinauffassung«.
Heft 17-$46-$51 1889

650). Machiavelli. Eine Maxime des Marschalls Caviglia: »Die


Erfahrung der angewandten Mechanik, dass mit der Entfernung vom
Erzeugungszentrum die Kraft sich erschöpft, findet sich in der Kriegs-
kunst vorherrschend. Der Angriff erschöpft sich mit dem Vorstoß; deshalb
muss der Sieg möglichst in der Nähe vom Ausgangspunkt gesucht werden«
(Die drei Schlachten am Piave, S. 244)".
Ähnliche Maxime bei Clausewitz”””. Doch stellt Caviglia selbst fest, dass
die Stoßtruppen von Manövertruppen unterstützt werden müssen: die
Stoßtruppen neigen dazu anzuhalten, nachdem sie den unmittelbaren
»Sieg« bei ihrem Ziel, die gegnerische Front zu durchbrechen, erlangt haben.
Eine strategische Aktion nicht zu territorialen, sondern zu entscheidenden
und organischen Zwecken kann zu zwei Zeitpunkten entfaltet werden: mit
dem Durchbruch durch die gegnerische Front und mit einem nachfolgen-
den Manöver, Operationen, die verschiedenen Truppen zugeordnet sind.
Auf die politische Kunst angewandt, muss die Maxime den verschiedenen
Bedingungen angepasst werden; doch bleibt der springende Punkt, dass
zwischen dem Ausgangspunkt und dem Ziel eine organische Abstufung
notwendig ist, d.h. eine Reihe von Teilzielen. Lässt sich in die Nähe der
48er Losung rücken.

$(51). Machiavelli. Hitler schreibt in Mein Kampf: »Die Gründung


oder die Zerstörung einer Religion ist ein unermesslich wichtigerer Aktals
die Gründung oder die Zerstörung eines Staates: geschweige denn einer
Partei...«"*. Oberflächlich und unkritisch: die drei Elemente: Religion
(oder »aktive« Weltauffassung), Staat, Partei lassen sich nicht auseinander-
reißen, und im realen Prozess der politisch-geschichtlichen Entwicklung
geht man notwendigerweise vom einen zum anderen über. Bei Machiavelli
bemerkt man, in den Formen und in der Sprache der Zeit, das Verständnis
für diese notwendige Homogenität und Überlagerung der drei Elemente.
Die Seele verkaufen, um das Vaterland oder den Staat zu retten, ist ein
Element absoluten Laizismus, positiver und negativer Weltauffassung
(gegen die Religion oder die vorherrschende Auffassung). In der moder-
nen Welt ist eine Partei integral eine Partei und nicht, wie es vorkommt, Teil
einer größeren Partei, wenn sie in solchen Weisen und Formen konzipiert,
organisiert und geführt wird, dass sie sich integral zu einem Staat (einem
integralen, und nicht zu einer Regierung im technischen Sinne) und zu
einer Weltauffassung entwickelt. Die Entwicklung der Parteı zum Staat
wirkt auf die Partei zurück und verlangt ihre ständige Reorganisation
und Entwicklung, so wie die Entwicklung der Partei und des Staates zur
1890 Siebzehntes Heft

Weltauffassung, d.h. zur totalen und molekularen (individuellen) Verände-


rung der Denk- und Handlungsweisen, auf den Staat und auf die Partei
zurückwirkt, indem sie sie zwingt, sich ständig neu zu organisieren, und
ihnen neue und originale Probleme zur Lösung stellt. Offensichtlich wird
eine solche Auffassung in der praktischen Entwicklung gehemmt durch
den blinden und einseitigen »Partei«-Fanatismus (in diesem Fall den einer
Sekte, einer Fraktion einer umfassenderen Partei, innerhalb der gekämpft
wird), d.h. durch das Fehlen sowohl einer Staatsauffassung als auch einer
Weltauffassung, die entwicklungsfähig, weil geschichtlich notwendig sind.
Das gegenwärtige politische Leben legt ein umfassendes Zeugnis von dieser
geistigen Enge und Beschränktheit ab, die im übrigen dramatische Kämpfe
hervorrufen, weil sie selbst die Weise sind, in der sich die geschichtliche
Entwicklung praktisch ereignet. Aber die Vergangenheit, und die italie-
nische Vergangenheit, die am meisten interessiert, ist seit Machiavelli nicht
weniger reich an Erfahrungen; weil die ganze Geschichte Zeugin der
Gegenwart ist.

$(52). Kulturthemen. Formale Logik und wissenschaftliche Mentalität.


Um zu verstehen, wie oberflächlich die moderne wissenschaftliche Menta-
lität ist und auf wie schwachen Fundamenten sie gründet (aber vielleicht
muss man von Land zu Land unterscheiden), muss man nur an die jüngste
Auseinandersetzung über den sogenannten »homo oeconomicus« erinnern,
einen Grundbegriff der Wirtschaftswissenschaft, der ebenso plausibel und
notwendig ist wie all die Abstraktionen, auf denen die Naturwissenschaften
gründen (sowie, wenngleich in anderer Form, die historischen oder
Humanwissenschaften). Wenn der kennzeichnende Begriff des homo
oeconomicus auf Grund seiner Abstraktheit nicht gerechtfertigt wäre,
dann wäre das Symbol H,O fürs Wasser auch nicht gerechtfertigt, da in der
Wirklichkeit kein H,O-Wasser existiert, sondern eine unbegrenzte Menge
individueller »Wässer«. Der vulgärnominalistische Einwand würde sein
ganzes Gewicht wiedergewinnen usw.
Die wissenschaftliche Mentalität ist schwach als Erscheinung der
Popularkultur, aber sie ist auch bei der Schicht der Wissenschaftler
schwach, die die wissenschaftliche Mentalität einer technischen Gruppe
haben, also die Abstraktion in ihrer besonderen Wissenschaft begreifen,
jedoch nicht als Denkform’, und ferner: sie verstehen ihre eigene besondere
Abstraktion, ihre eigene besondere abstraktive Methode, aber nicht die
der anderen Wissenschaften (während darauf zu bestehen ist, dass es
verschiedene Abstraktionstypen gibt und dass diejenige Mentalität
Heft 17-$51-$53 1891

wissenschaftlich ist, die sämtliche Abstraktionstypen zu verstehen und zu


rechtfertigen vermag). Der schwerwiegendste »Mentalitäts«-Konflikt
besteht jedoch zwischen den sogenannten exakten oder mathematischen
Wissenschaften, was im übrigen nicht alle Naturwissenschaften sind, und
den »historischen« oder »Humanwissenschaften«, also denjenigen, die sich
auf das geschichtliche Handeln des Menschen, auf seinen tätigen Eingriff
in den Lebensprozess des Universums beziehen. (Zu analysieren ist Hegels
Urteil über die politische Ökonomie und gerade über die Fähigkeit der
Ökonomen, auf diesem Gebiet zu »abstrahieren«)'.

$(53). Kulturprobleme. Disraeli. Warum begriff Disraeli besser als


jeder andere englische Regierungschef die imperialen Bedürfnisse? Man
kann Disraeli mit Cäsar vergleichen. Aber Disraeli gelang es nicht, das
Problem der Transformation des Empires anzugehen, und er hatte keine
Nachfolger: das Engländertum hat die Verschmelzung der nationalen
Gruppen, die sich notwendig in allen Ländern des Empires zu bilden
begannen, zu einer einzigen vereinigten imperialen Klasse verhindert. Es
ist offensichtlich, dass das englische Empire nicht unter einem militärisch-
bürokratischen Gerüst begründet werden konnte, wie das für das römische
geschah: Fruchtbarkeit des Programms eines von Disraeli erdachten
»imperialen Parläments«. Aber dieses imperiale Parlament hätte auch für
England Gesetze erlassen müssen, ein absurdes Ding für einen Engländer:
nur ein vorurteilsloser Semit wie Disraeli konnte der Ausdruck des
englischen organischen Imperialismus’ sein. Analoge moderne historische
Erscheinungen.
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ACHTZEHNTES HEFT (XXXII-IVA)

1934
NıIccoLO MACHIAVELLI. II
1895

($1). Die »Rivista d’Italia« vom 15. Juni 1927 ist vollständig Machiavelli
aus Anlass des vierhundertsten Todestages gewidmet. Hier das Inhalts-
verzeichnis: 1. Charles Benoist, Der immerwährende Machiavellismus;
2. Filippo Meda, Der Machiavellismus; 3. Guido Mazzoni, Machiavelli als
Dramatiker; 4. Michele Scherillo, Machiavellis erste politische Erfahrungen;
5.Vittorio Cian, Machiavelli und Petrarca; 6. Alfredo Galletti, Der Humanist
Niccolö Machiavelli, 7. Francesco Ercole, Der Fürst; 8. Antonio Panella,
Machiavelli als Historiker; 9. Plinio Carli, N. Machiavelli als Schriftsteller,
10. Romolo Caggese, Was in Machiavellis politischem Denken lebendig ist'.
Mazzonis Artikel ist dürftig und langatmig: weitschweifig-historisch-
gelehrt. Wie es diesem Typ von Kritikern oft passiert, hat Mazzoni den lite-
rarischen Inhalt der Mandragola nicht richtig verstanden, er verfälscht den
Charakter des Messer Nicia und daher das ganze Ensemble der Personen,
die von Messer Nicias Abenteuer abhängig sind; dieser erwartete nicht ein
Kind aus der Paarung seiner Frau mit dem verkleideten Callimaco, sondern
er erwartete vielmehr, dass seine Frau durch die Kraft der Alraune' frucht-
bar werden und durch die Paarung mit einem Fremden von den angeblich
tödlichen Folgen des Tranks frei sein würde, die er sonst selbst hätte erleiden
müssen. Messer Nicias Art von Dümmlichkeit ist gut umschrieben und
dargestellt: er glaubt, dass die Unfruchtbarkeit seiner Ehe nicht von ıhm
selbst, dem Alten, abhängt, sondern von der jungen, aber kalten Frau, und
dieser vermeintlichen Unfruchtbarkeit der Frau will er abhelfen, nicht
indem er sie von einem anderen schwängern lässt, sondern indem er erreicht,
dass sie aus einer unfruchtbaren in eine fruchtbare verwandelt wird.
Dass Messer Nicia sich überreden lässt, die Frau mit einem Todgeweihten
sich paaren zu lassen, um sie von einem angeblichen Zauberbann zu
befreien, der ansonsten Ursache für seine Entfernung von der Ehefrau
oder für seinen Tod wäre, ist ein komisches Element, das sıch in anderer
Gestalt in der popularen Novellistik wiederfindet, wo für gewöhnlich die
Dreistigkeit der Frauen beschrieben wird, die sich, um den Liebhabern
Sicherheit zu geben, im Beisein oder mit dem Einverständnis des Ehe-
manns nehmen lassen (ein Motiv, das in anderer Form auch beı Boccaccio
erscheint). In der Mandragola wird aber die Dummheit des Ehemanns
dargestellt und nicht die Dreistigkeit der Frau, deren Widerstand sogar nur
durch das Einschreiten der mütterlichen Autorität und der des Beichtvaters
gebrochen werden kann.
Der Artikel von Vittorio Cian ist noch schlechter als der von Mazzoni:
Cians strohtrockene Rhetorik dreht sogar auf einer Glatze Locken. Es ıst
offenkundig, dass Machiavelli auf die petrarkasche Tradition reagiert und
1896 Achtzehntes Heft

sie zu vernichten und gleichwohl fortzusetzen sucht; Cian jedoch, mit dem
Hinterher-Klügersein, von dem er kindischen Gebrauch macht, sieht allent-
halben Vorläufer und wundersame Vorahnungen in jedem banalen und
zufälligen Sätzchen und verbreitet sich auf zehn Seiten zu dem Thema, um
doch nur die üblichen Gemeinplätze der Lehrbücher für die Elementar-
und Oberschulen auszuwalzen.

$(2). Pasquale Villari, Niccolö Machiavelli und seine Zeit, herausgegeben


von Michele Scherillo, Verl. Ulrico Hoepli, Mailand, 1927, zwei Bände,
60,00 L. (Ist die Wiederauflage des bekannten Werkes von Villari, ohne die
Dokumente, die in der Ausgabe Le Monnier den ganzen dritten Band und
einen Teil des zweiten füllen. In dieser Ausgabe von Scherillo sind die
Dokumente mit summarischen Inhaltsangaben aufgeführt worden, so
dass man sie in der Ausgabe Le Monnier leicht finden kann).

$(3). Artikel von Luigi Cavina in der »Nuova Antologia« vom 16. August
1927: Niccolö Machiavellis nationaler Traum in der Romagna und Francesco
Guicciardinis Regierung‘.
Das Thema des Aufsatzes ist interessant, doch Cavina versteht es wegen
des oberflächlich deskriptiven und rhetorischen Charakters der Schrift
nicht, alle notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Nach der Schlacht von Pavia und der endgültigen Niederlage der
Franzosen, welche die spanische Hegemonie über die Halbinsel sicherte,
werden die italienischen Signori von Panik ergriffen. Machiavelli, der sich
nach Rom begeben hatte, um Clemens VII. die Florentinische Geschichte
persönlich zu übergeben, die er fertiggestellt hatte, schlägt dem Papst
die Schaffung einer nationalen Miliz (genaue Bedeutung des Terminus)
vor und überzeugt ihn, einen Versuch zu machen. Der Papst schickt
Machiavelli in die Romagna zu Francesco Guicciardini, der ihr Präsident
war, mit einem vom 6. Juni 1525 datierten Breve. Machiavelli sollte
Guicciardini seinen Plan darlegen, und Guicciardini sollte seine Meinung
dazu äußsern.
Das Breve von Clemens VII. muss hochinteressant sein; er legt die
Zerrüttung dar, in der sich Italien befindet und die so groß ist, dass sie
dazu veranlasst, auch neue und ungewöhnliche Abhilfe zu suchen, und
schließt: »Die Angelegenheit ist wichtig, wie wir befinden, und in ihr liegt
das Heil sowohl des Kirchenstaates als auch ganz Italiens und fast der
Heft 18-$1-$3 1897
ganzen Christenheit«*, woran man sieht, dass Italien für den Papst das
Zwischenglied zwischen dem Kirchenstaat und der Christenheit war.
Warum der Versuch in der Romagna? Neben dem Vertrauen, das der
Papst in Guicciardinis politische Umsicht hatte, muss man vielleicht an
andere Elemente denken: die Romagnolen waren gute Soldaten, sie hatten
tapfer und treu bei Agnadello gekämpft, und das als Söldner. Außerdem
hatte es in der Romagna zuvor schon den Fall des Valentiners'* gegeben,
der gute Soldaten im Volk rekrutiert hatte, usw.
Guicciardini hatte schon 1512 geschrieben, dass die Bewaffnung der
Bürger »einem republikanischen und popularen Leben nichts Fremdes ist,
weil, wenn man eine gute Gerechtigkeit und geordnete Gesetze gibt, diese
Waffen nicht zum Schaden, sondern zum Nutzen des Vaterlands gebraucht
werden«, und hatte auch die von Machiavelli entworfene Einrichtung der
Kampfabteilungen gelobt (Versuch zur Schaffung einer Bürgermiliz in
Florenz, die den Widerstand während der Belagerung vorbereitete).
Guicciardini hielt es jedoch nicht für möglich, den Versuch in der
Romagna zu machen, wegen der hier herrschenden heftigen parteilichen
Spaltungen (interessant Guicciardinis Urteile über die Romagna): die
Ghibellinen sind nach dem Sieg von Pavia zu jedem Umsturz bereit; auch
wenn keine Waffen verteilt werden, wird es zu irgendeinem Aufruhr kom-
men; man kann die Waffen zum Widerstand gegen die Kaiserlichen nicht
ausgerechnet den Anhängern der Kaiserlichen geben. Die Schwierigkeit
wird außerdem dadurch vergrößert, dass der Staat ein kirchlicher ist, das
heißt ohne langfristige Richtlinien, und mit Begnadigungen und Straf-
freiheiten, die leicht zu haben sind, spätestens bei jeder neuen Papstwahl.
In einem anderen Staat könnten die Parteien im Zaum gehalten werden,
nicht im Kirchenstaat. Da Clemens VII. in seinem Breve gesagt hatte, dass
zum guten Gelingen des Unternehmens nicht nur Ordnung und Eifer
vonnöten seien, sondern auch das Engagement und die Liebe des Volkes,
sagt Guicciardini, dass dies nicht sein könne, weil »die Kirche hier tatsäch-
lich keine Freunde hat, weder diejenigen, welche gut zu leben wünschten,
noch aus unterschiedlichen Gründen die Anhänger der Parteien und die
Unglücklichen«.
Aber die Initiative hatte keine weiteren Folgen, weil der Papst das Projekt
fallen ließ. Die Episode ist dennoch von höchstem Interesse, weil sie zeigt,
wie groß Machiavellis Wille und die Überzeugungsgabe war, wegen

* Im Original lat.: »Res magna est, ut iudicamus, et salus est in ea cum status ecelesiastici, tum totius Italiae ac
prope universae cristianitatis reposita«.
1898 Achtzehntes Heft

Guicciardinis unmittelbar praktischer Urteile und auch wegen der Haltung


des Papstes, der offenkundig für einige Zeit unter Machiavellis Einfluß
blieb; man kann das Breve für ein der päpstlichen Mentalität angepasstes
Kompendium der Konzeption Machiavellis halten.
Man kennt die Überlegungen nicht, die Machiavelli den Bemerkungen
Guicciardinis entgegengesetzt haben (muss), denn dieser spricht in seinen
Briefen nicht davon, und Machiavellis Briefe nach Rom sind unbekannt.
Angemerkt werden kann, dass die von Machiavelli verfochtenen militä-
rischen Neuerungen zu einer Zeit, als die spanische Invasion in vollem
Gange war, nicht improvisiert werden konnten und dass seine Vorschläge an
den Papst in diesem Moment keine konkreten Ergebnisse haben konnten.
NEUNZEHNTES HEFT (X)

192471935
(ITALIENISCHES RISORGIMENTO)
1901

($1). Eine doppelte Reihe von Untersuchungen. Eine über das Zeitalter
des Risorgimento und eine zweite über die ihm auf der italienischen
Halbinsel vorangegangene Geschichte, insofern sie kulturelle Elemente
geschaffen hat, die sich auf das Zeitalter des Risorgimento ausgewirkt
haben (positive und negative Auswirkung) und die auch im nationalen
Leben Italiens, wie es vom Risorgimento geformt worden ist, fortwirken
(sei es auch nur als ideologische Gegebenheiten der Propaganda). Diese
zweite Reihe müsste eine Sammlung von Aufsätzen über diejenigen
Epochen der europäischen und Weltgeschichte sein, die einen Widerhall
auf der Halbinsel gehabt haben. Zum Beispiel:
1. Die unterschiedlichen Bedeutungen, die das Wort »Italien« zu ver-
schiedenen Zeiten gehabt hat, ausgehend vom bekannten Aufsatz von
Prof. Carlo Cipolla' (der ergänzt und überarbeitet werden müsste).
2. Die Epoche der römischen Geschichte, die den Übergang von der
Republik zum Imperium markiert, insofern sie den allgemeinen Rahmen
einiger ideologischer Tendenzen der künftigen italienischen Nation schafft.
Man scheint nicht verstanden zu haben, dass gerade Cäsar und Augustus
in Wirklichkeit die relative Stellung Roms und der Halbinsel im Gleich-
gewicht der klassischen Welt radikal verändern, indem sie Italien die »ter-
ritoriale« Hegemonie wegnehmen und die hegemonische Funktion auf
eine »imperiale«; das heißt supranationale Klasse übertragen. Wenn es
stimmt, dass Cäsar die demokratische Bewegung der Gracchen, von
Marius, von Catıilina weiterführt und zu Ende bringt, so ist ebenso richtig,
dass Cäsar gewinnt, insofern das Problem, das sich für die Gracchen, für
Marius, für Catilina als ein innerhalb der Halbinsel, in Rom zu lösendes
Problem stellte, sich für Cäsar im Rahmen des gesamten Imperiums stellt,
von dem die Halbinsel ein Teil und Rom die »bürokratische« Hauptstadt
ist; und dies auch nur bis zu einem gewissen Punkt. Dieser geschichtliche
Zusammenhang ist von größter Bedeutung für die Geschichte der Halb-
insel und Roms, weil er der Beginn des Prozesses der »Entnationa-
lisierung« Roms und der Halbinsel und ihrer Entwicklung zu einem
»kosmopolitischen Terrain« ist. Die römische Aristokratie, die nach Art
und Weise der Zeit und den ihr entsprechenden Mitteln die Halbinsel
vereinigt und eine Grundlage der nationalen Entwicklung geschaffen
hatte, wird überwältigt von den imperialen Kräften und den Problemen,
die sie selbst hervorgerufen hat: der politisch-geschichtliche Knoten wird
von Cäsar mit dem Schwert durchhauen, und eine neue Epoche beginnt,
worin der Osten ein so großes Gewicht hat, dass er am Ende den Westen
überwältigt und einen Bruch zwischen den beiden Teilen des Reiches
herbeiführt.
1902 Neunzehntes Heft

3, Mittelalter oder Zeitalter der Kommunen, in dem sich molekular die


neuen städtischen Gesellschaftsgruppen bilden, ohne dass dieser Prozess
seine höchste Reifephase wie in Frankreich, in Spanien usw. erreicht.
4. Zeitalter des Merkantilismus und der absoluten Monarchien, das
gerade in Italien Äußerungsformen von geringer nationaler Tragweite hat,
weil die Halbinsel unter fremdem Einfluss steht, während in den großen
europäischen Nationen die neuen städtischen Gesellschaftsgruppen, indem
sie sich machtvoll in die staatliche Struktur mit Einheitstendenz einbringen,
die Struktur selbst und das Einheitsstreben stärken, ein neues Gleichge-
wicht der gesellschaftlichen Kräfte herbeiführen und sich die Bedingungen
für eine rasch fortschreitende Entwicklung schaffen.
Diese Aufsätze müssen für ein bestimmtes Publikum konzipiert werden,
mit dem Ziel, veraltete, scholastische, rhetorische Auffassungen zu zer-
stören, die passıv durch die in einem gegebenen Milieu von Volkskultur
verbreiteten Ideen aufgenommen worden sind, um folglich ein wissen-
schaftliches Interesse an den behandelten Fragen zu wecken, die deshalb
als auch in der Gegenwart lebendig und wirksam, als immer aktuelle Kräfte
in Bewegung präsentiert werden*.

$(2). Das Zeitalter des Risorgimento von Adolfo Omodeo (Verl. Prin-
cipato, Messina)‘. Dieses Buch von Adolfo Omodeo scheint in seiner
Gesamtheit misslungen zu sein. Es ist die Überarbeitung eines Schul-
buches, und vom Schulbuch bewahrt es viele Merkmale. Die Tatsachen
(die Ereignisse) werden lediglich rein katalogartig benannt, bar jeden Zu-
sammenhangs von geschichtlicher Notwendigkeit. Der Stil des Buches ist
schlampig, oft irritierend; die Urteile sind tendenziös, zuweilen scheint es,
als habe Omodeo ein persönliches Problem mit gewissen Protagonisten
der Geschichte (zum Beispiel mit den französischen Jakobinern). Bei dem,
was sich auf die italienische Halbinsel bezieht, hätte Omodeo doch wohl
zeigen müssen, dass das Risorgimento eine wesentlich italienische Ange-
legenheit ist, dessen Ursprünge in Italien zu suchen sind und nicht nur
oder vorwiegend in den europäischen Entwicklungen der Französischen
Revolution und der napoleonischen Invasion. Doch wird diese Absicht in
keiner anderen Weise ausgeführt, als dass die Erzählung 1740 statt 1789
bzw. 1796 oder 1815 beginnt.

* Die Seiten 5-10 des Heftes sind frei geblieben.


Heft 19- $1-$2 1903
Die Zeit der aufgeklärten Monarchien ist in Italien keine autochthone
Tatsache, und die damit verbundene Gedankenströmung (Giannone und
die Regalisten) ist nicht »original« italienisch. Die aufgeklärte Monarchie
lässt sich wohl als wichtigste politische Folge des Zeitalters des Merkan-
tlismus bezeichnen, welche die neue Zeit, die nationale moderne Zivilisa-
tion ankündigt; aber hat es in Italien ein Zeitalter des Merkantilismus als
nationales Phänomen gegeben? Der Merkantilismus hätte bei organischer
Entwicklung die Teilung in Regionalstaaten vielleicht noch vertieft und
unumkehrbar gemacht; der formlose und unorganische Zustand, in dem
sich die verschiedenen Teile Italiens vom ökonomischen Standpunkt aus
befanden, die fehlende Herausbildung starker, um ein starkes staatlich-
merkantilistisches System herum entstandener Interessen erlaubten oder
erleichterten die Einigung des Zeitalters des Risorgimento.

Außerdem scheint, dass Omodeo bei der Umgestaltung seiner Arbeit


von einem Schulbuch zu einem Buch der Allgemeinbildung mit dem Titel
Zeitalter des Risorgimento dessen ganze Ökonomie (den Aufbau) durch
Kürzung des europäischen und Erweiterung des italienischen Teiles hätte
ändern müssen. Vom europäischen Standpunkt ist es das Zeitalter der
Französischen Revolution und nicht des italienischen Risorgimento, des
Liberalismus als allgemeiner Lebensauffassung und als neuer Form staat-
licher Zivilisation und Kultur und nicht nur des »nationalen« Aspekts des
Liberalismus. Es ist gewiss möglich, von einem Zeitalter des Risorgimento
zu sprechen, aber dann ist es nötig, die Perspektive einzuengen und Italien
in den Brennpunkt zu rücken und nicht Europa, indem man von der euro-
päischen und Weltgeschichte nur diejenigen Zusammenhänge behandelt,
welche die allgemeine Struktur der internationalen Kräfteverhältnisse
verändern, die sich der Formierung eines großen Einheitsstaates auf
der Halbinsel dadurch entgegenstellten, dass sie jede Initiative in dieser
Richtung abtöteten und im Keim erstickten, und indem man die Strrömun-
gen abhandelt, die stattdessen aus der internationalen Welt auf Italien
Einfluss ausübten durch Ermutigung und Stärkung seiner gleichartigen
autonomen und lokalen Kräfte. Es gibt also ein Zeitalter des Risorgimento
im Geschichtsprozess der italienischen Halbinsel, es gibt keines in der Ge-
schichte Europas als solcher: in dieser entspricht ihm das Zeitalter der
Französischen Revolution und des Liberalismus (wie es von Croce be-
handelt worden ist, und zwar unzulänglich, denn in Croces Bild fehlt die
Voraussetzung, die Revolution in Frankreich und die folgenden Kriege: die
geschichtlichen Folgen werden als autonome Tatsachen für sich dargestellt,
welche die eigenen Daseinsgründe in sich selbst finden und nicht als
Bestandteil ein und desselben geschichtlichen Zusammenhangs, wovon
1904 Neunzehntes Heft

die Französische Revolution und die Kriege wesentliches und notwendi-


. r 2
ges Element sein müssen).

Was bedeutet es oder kann es bedeuten, dass Omodeo seine Darstellung


mit dem Frieden von Aachen beginnt, der dem Spanischen Erbfolgekrieg
ein Ende setzt? Omodeo »durchdenkt«, »rechtfertigt« dieses sein metho-
disches Kriterium nicht, er zeigt nicht, dass es Ausdruck davon ist, dass ein
bestimmter europäischer geschichtlicher Zusammenhang zugleich italie-
nischer geschichtlicher Zusammenhang ist, der in die Entwicklung des
nationalen Lebens in Italien notwendig einbezogen werden muss. Dies
hingegen kann und muss »erklärt« werden. Die nationale Persönlichkeit
(wie die individuelle Persönlichkeit) ist eine bloße Abstraktion, wenn sie
außerhalb des internationalen (oder gesellschaftlichen) Zusammenhangs
betrachtet wird. Die nationale Persönlichkeit drückt ein »Unterschiedenes«
im internationalen Komplex aus, daher ist sie an die internationalen Ver-
hältnisse gebunden. Es gibt eine Periode der Fremdherrschaft in Italien, eine
Zeitlang direkte Herrschaft, später hegemonischer Art (oder gemischt, der
direkten Herrschaft und der Hegemonie). Der im 16. Jahrhundert erfolgte
Fall der Halbinsel unter die Fremdherrschaft hatte bereits eine Reaktion
hervorgerufen: die der demokratisch-nationalen Richtung Machiavellis,
die den Schmerz über die verlorene Unabhängigkeit in einer bestimmten
Form (die des inneren Gleichgewichtes zwischen den italienischen Staaten
unter der Hegemonie des Florenz von Lorenzo Magnifico) ausdrückte
sowie zugleich den beginnenden Willen, sie in einer geschichtlich höheren
Form wiederzuerlangen, als absolutistisches Fürstentum nach dem Muster
Spaniens und Frankreichs. Im 18. Jahrhundert tritt das europäische
Gleichgewicht, Österreich-Frankreich, in Bezug auf Italien in eine neue
Phase ein; es kommt zu einer wechselseitigen Schwächung der beiden
Großmächte, und es entsteht eine dritte Großmacht, Preußen. Daher sind
die Ursprünge der Bewegung des Risorgimento, das heißt des Prozesses,
in dem sich die Bedingungen und die internationalen Verhältnisse bilden,
die Italien erlauben werden, sich zu einer Nation zu vereinigen, und den
inneren nationalen Kräften, sich zu entfalten und auszudehnen, nicht in
diesem oder jenem konkreten, unter dem einen oder anderen Datum ver-
zeichneten Ereignis zu suchen, sondern in eben dem geschichtlichen
Prozess, durch den sich das gesamte europäische System verändert. Dieser
Prozess indes ist nicht unabhängig von den inneren Ereignissen der Halb-
insel und von den Kräften, die dort ihren Sitz haben. Ein wichtiges und
manchmal entscheidendes Element der europäischen Systeme war immer
das Papsttum gewesen. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts ist die Schwächung
der Stellung des Papsttums als europäischer Macht geradezu katastrophal.
Heft 19-$2-$3 1905
Mit der Gegenreformation hatte das Papsttum die Struktur seiner Macht
wesentlich verändert: es hatte sich die Volksmassen entfremdet, war zum
Befürworter von Vernichtungskriegen geworden, hatte sich auf heillose
Weise mit den herrschenden Klassen verschmolzen. Es hatte somit die
Fähigkeit verloren, sowohl direkt als auch indirekt über den Druck der
" fanatischen und fanatisierten Volksmassen die Regierungen zu beeinflussen:
es ist bemerkenswert, dass gerade als Bellarmin seine Theorie der indirek-
ten Herrschaft der Kirche ausarbeitete, die Kirche mit ihrer konkreten
Aktivität die Bedingungen all ihrer auch indirekten Herrschaft zerstörte,
indem sie sich von den Volksmassen löste. Die regalistische” Politik der
aufgeklärten Monarchien ist der Ausdruck dieser Entmachtung der Kirche
als europäischer und folglich italienischer Macht, und auch sie leitet das
Risorgimento ein, wenn es stimmt - und es stimmt, dass das Risorgimen-
to nur mittels einer Schwächung des Papsttums sowohl als europäischer
Macht als auch als italienischer Macht möglich war, das heißt als möglicher
Kraft, welche die Staaten der Halbinsel unter ihrer Hegemonie reorganisiert
hätte. All dies sind jedoch bedingende Elemente; eine historisch gültige
Beweisführung, dass sich bereits im 18. Jahrhundert in Italien Kräfte ge-
bildet hätten, die konkret bestrebt gewesen wären, aus der Halbinsel einen
einheitlichen und unabhängigen politischen Organismus zu machen, ist
noch nicht geleistet worden.

(63). Die Ursprünge des Risorgimento. Die Untersuchungen zu den


Ursprüngen der Nationalbewegung des Risorgimento sind fast immer mit
dem Mangel des unmittelbar politisch Tendenziösen behaftet, nicht nur
seitens der italienischen Autoren, sondern auch seitens der ausländischen,
insbesondere französischen (oder von der französischen Kultur be-
einflussten). Es gibt eine französische »Doktrin« über die Ursprünge des
Risorgimento, wonach die italienische Nation ihr Glück Frankreich,
insbesondere den beiden Napoleons verdankt, und diese Doktrin hat
auch ihre negativ-polemische Seite: die monarchistischen Nationalisten
(Bainville) erheben gegenüber den beiden Napoleons (und allgemein
gegenüber den von der Revolution hervorgerufenen demokratischen Ten-
denzen) den Vorwurf, die relative Stellung Frankreichs in Europa mit ihrer
»nationalitären« Politik geschwächt zu haben, also gegen die Tradition und
die Interessen der französischen Nation gewesen zu sein, die durch die
Monarchie und die stets antiitalienischen (klerikalen) Rechtsparteien
repräsentiert wurden und die darin bestünden, Konglomerate von Klein-
staaten, wie es Deutschland und Italien im 18. Jahrhundert waren, zu
Nachbarn zu haben‘.
1906 Neunzehntes Heft

In Italien sind die diesbezüglich aufgeworfenen »tendenziellen und ten-


denziösen« Fragen: 1. die frankophile demokratische These, wonach sich
die Bewegung der Französischen Revolution verdankt und sich direkt von
ihr ableitet, was die gegenteilige These bewirkt hat; 2. die Französische
Revolution mit ihrer Intervention auf der Halbinsel hat die »wirklich«
nationale Bewegung unterbrochen, eine These, die einen doppelten Aspekt
hat: a) den jesuitischen (für welche die Sanfedisten'* das einzige achtens-
werte und legitime »nationale« Element waren), und b) den moderaten,
der sich mehr auf die Reformprinzipien bezieht, auf die aufgeklärten
Monarchien. Hinzukommt schließlich: c) die Reformbewegung war durch
die von den Ereignissen in Frankreich ausgelöste Panik unterbrochen
worden, folglich hat das Eingreifen der französischen Heere in Italien die
einheimische Bewegung nicht unterbrochen, sondern machte sogar deren
Wiederaufnahme und Vollendung möglich.
Viele dieser Elemente werden in der Literatur entwickelt, auf die unter
der Rubrik »Interpretationen des Italienischen Risorgimento« hingewiesen
wird, einer Literatur, die zwar in der Geschichte der politischen Kultur von
Bedeutung ist, aber nur von geringer in der der Geschichtsschreibung?.
In einem recht bemerkenswerten Artikel von Gioacchino Volpe, Eine
Schule für die Geschichte des modernen Italiens” (im »Corriere della Sera«
vom 9. Januar 1932) steht: » Alle wissen es: um das »Risorgimento« zu ver-
stehen, reicht es nicht, bis auf 1815 zurückzugehen und auch nicht bis auf
1796, dem Jahr, in dem Napoleon auf der Halbinsel einfiel und dort den
Sturm auslöste. Das >Risorgimento« als Neubeginn italienischen Lebens,
als Herausbildung einer neuen Bourgeoisie, als wachsendes Bewusstsein
nicht nur kommunaler und regionaler, sondern nationaler Probleme, als
Sensibilität für bestimmte ideelle Erfordernisse, muss weit vor der Revo-
lution gesucht werden: es ist auch selbst Symptom, eines der Symptome
einer in Gang befindlichen, nicht nur französischen, sondern in gewissem
Sinne Weltrevolution. Jeder weiß außerdem, dass die Geschichte des
Risorgimento nicht nur anhand italienischer Dokumente und nur als ita-
lienischer Sachverhalt studiert wird, sondern im Rahmen des europäischen
Lebens; handele es sich nun um Kulturströmungen, ökonomische Verän-
derungen, neue internationale Situationen, welche die Italiener zu neuem
Denken, zu neuem Handeln, einer neuen politischen Ordnung anregen«.
Diese Worte Volpes enthalten zusammengefasst, was Omodeo mit sei-
nem Buch hätte bezwecken wollen, bei Omodeo aber zusammenhangslos
und äußerlich bleibt. Man gewinnt den Eindruck, dass Omodeos Buch
sowohl durch den Titel als auch durch die chronologische Anlage nur dem
Heft 19-$3 1907
geschichtlich Tendenziösen und nicht der Geschichte eine »polemische«
Huldigung hat darbringen wollen, aus wenig klaren, auf jeden Fall wenig
löblichen Gründen opportunistischer »Konkurrenz«.

Nachdem sich im 18. Jahrhundert die entsprechenden Bedingungen der


italienischen Halbinsel im Rahmen der europäischen Verhältnisse geändert
hatten, sowohl im Hinblick auf den hegemonialen Druck der Großmächte,
die das Erstehen eines italienischen Einheitsstaates nicht zulassen konnten,
als auch im Hinblick auf die Stellung des Papsttums als (in Italien) poli-
tischer Macht und (in Europa) kultureller Macht (und um so weniger
konnten die europäischen Großmächte einen geeinten italienischen Staat
unter der Vormachtstellung des Papstes zulassen, also zulassen, dass die
kulturelle Funktion der Kirche und ihre Diplomatie, die in den katholischen
Ländern die Staatsmacht bereits genug behinderten und einschränkten,
dadurch erstarkten, dass sie sich auf einen großen Territorialstaat und ein
entsprechendes Heer stützten), ändert sich auch das Gewicht und die
Bedeutung der rhetorisch-literarischen Tradition, welche die römische
Vergangenheit, den Ruhm der Kommunen und der Renaissance, die uni-
versale Funktion des italienischen Papsttums verherrlicht. Diese kulturelle
Atmosphäre in Italien war bis dahin vage und allgemein geblieben: sie
nützte vor allem dem Papsttum, bildete das ideologische Terrain der päpst-
lichen Macht in der Welt, das unterscheidende Element für die Auswahl
und die Erziehung des kirchlichen und weltlich-kirchlichen Personals,
welches das Papsttum für seine praktisch-administrative Organisation
brauchte, um den Kirchenorganismus und dessen Einfluss zu zentralisieren,
für das ganze Ensemble der politischen, philosophischen, juristischen,
publizistischen und kulturellen Tätigkeiten, welche die Maschinerie zur
Ausübung der indirekten Macht bildeten, nachdem sie in der Zeit vor
der Reformation der Ausübung der direkten Macht oder derjenigen
Funktionen direkter Macht gedient hatten, die innerhalb des Systems
innerer Kräfteverhältnisse jedes einzelnen katholischen Landes konkret
verwirklicht werden konnten. Im 18. Jahrhundert beginnt ein Differen-
zierungsprozess in dieser traditionellen Strömung: ein Teil verbindet sich
immer bewusster (durch ausdrückliches Programm) mit der Institution
des Papsttums als Ausdruck einer intellektuellen Funktion (einer ethisch-
politischen”, der intellektuellen und zivilen Hegemonie) Italiens in der
Welt, bringt schließlich Giobertis Primat” hervor (und das Neoguelfen-
tum, über eine Reihe mehr oder weniger zwiespältiger Bewegungen wie den
Sanfedismus und die erste Phase des Lamennismus, die unter der Rubrik der
»Katholischen Aktion« und ihrer Ursprünge untersucht werden) und kon-
kretisiert sich nach und nach in organischer Form, unter der unmittelbaren
1908 Neunzehntes Heft

Führung des Vatikans selbst, in der Bewegung der Katholischen Aktion, in


der Italiens Rolle als Nation auf ein Minimum reduziert wird (im Gegen-
satz zu dem Teil des Personals im vatikanischen Zentrum, das italienisch
ist, aber nicht, wie einst, sein Italienischsein hervorkehren kann); und
es entwickelt sich ein »weltlicher«, sogar im Gegensatz zum Papsttum
stehender Teil, der versucht, eine Funktion von italienischem Primat und
italienischer Sendung in der Welt unabhängig vom Papsttum geltend zu
machen. Dieser zweite Teil, der sich niemals auf einen noch immer so
mächtigen Organismus wie die römische Kirche beziehen kann und dem
deshalb ein einheitlicher Zentralisierungspunkt fehlt, besitzt nicht dieselbe
Geschlossenheit, Homogenität, Disziplin des anderen, hat verschiedene
gebrochene Entwicklungslinien, und man kann sagen, dass er in den
Mazzinismus mündet.
Geschichtlich wichtig ist, dass sich diese Tradition im 18. Jahrhundert
aufzulösen beginnt, um sich stärker zu konkretisieren und mit einer inneren
Dialektik zu bewegen: was bedeutet, dass eine solche rhetorisch-literarische
Tradition zu einem politischen Ferment, einem Anreger und Organisator
des ideologischen Terrains wird, auf dem es den tatsächlichen politischen
Kräften gelingen wird, den sei es auch nur tumultartigen Zusammen-
schluss der breitesten Volksmassen auszulösen, die zur Erreichung be-
stimmter Ziele notwendig sind, und dem Vatikan selbst und den anderen
auf der Halbinsel neben dem Papsttum bestehenden reaktionären Kräften
Schach zu bieten. Dass es der liberalen Bewegung gelungen ist, die liberal-
katholische Kraft zu wecken und zu erreichen, dass selbst Pius IX., sei
es auch nur für kurze Zeit, sich auf den Boden des Liberalismus stellte
(solange es nötig war, um den ideologisch-politischen Apparat des
Katholizismus zu zersetzen und ihm das Selbstvertrauen zu nehmen),
war das politische Meisterwerk des Risorgimento und einer der wich-
tigsten Punkte zur Lösung der alten Knoten, die bis dahin verhindert
hatten, konkret an die Möglichkeit eines italienischen Einheitsstaates zu
denken.

(Wenn man diese Elemente des Wandels der kulturellen Tradition Italiens
als notwendiges Element für das Studium der Ursprünge des Risorgimento
setzt und die Zerstörung einer solchen Tradition als positive Tatsache aufge-
fasst wird, als notwendige Bedingung für das Entstehen und die Entwick-
lung des national-liberalen aktiven Elements, dann erlangen Bewegungen
wie die »jansenistische«, die andernfalls als bloße Seltsamkeiten von Ge-
lehrten erscheinen würden, eine gewisse, nicht unerhebliche Bedeutung.
Es würde sich, kurz gesagt, um ein Studium der »katalytischen Körper« auf
dem politisch-geschichtlichen Feld Italiens handeln, katalytische Elemente,
Heft 19-$3 1909
die keine Spuren hinterlassen, aber eine unersetzbare instrumentelle Funk-
tion bei der Schaffung des neuen geschichtlichen Organismus haben).

Albert Pingaud, Verfasser eines Buches über Bonaparte als Präsident der
italienischen Republik, der ein weiteres Buch über Das erste Königreich
Italien” vorbereitet (das verstreut in verschiedenen Periodika schon fast
vollständig veröffentlicht worden ist), gehört zu denen, die »1814 als Aus-
gangspunkt und die Lombardei als Brennpunkt der politischen Bewegung
setzen, die 1870 mit der Einnahme Roms ihren Abschluss fand«. Baldo
Peroni, der in der »Nuova Antologia« vom 16. August 1932 einen Über-
blick über diese noch verstreuten Schriften Pingauds bietet, merkt an:
»Unser Risorgimento - als politisches Erwachen verstanden - beginnt,
wenn die Vaterlandsliebe aufhört, ein unbestimmtes gefühlsmäßiges Sehnen
oder ein literarisches Motiv zu sein, und bewusster Gedanke wird, Leiden-
schaft, die Wirklichkeit zu werden bestrebt ist durch ein Handeln, das sich
kontinuierlich entfaltet und die härtesten Opfer nicht scheut. Nun ist eine
solche Veränderung bereits im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts vor
sich gegangen, und zwar nicht nur in der Lombardei, sondern auch
in Neapel, in Piemont, in fast allen Regionen Italiens. Die »Patrioten<,
die zwischen (17)89 und 96 ins Exil geschickt werden oder aufs Schafott
steigen, haben außer für die Errichtung der Republik auch dafür konspiriert,
Italien Unabhängigkeit und Einheit zu geben; und in den folgenden
Jahren ist es die Liebe zur Unabhängigkeit, die das Handeln der gesamten
politischen Klasse Italiens inspiriert und animiert, sei es, dass sie mit den
Franzosen zusammenarbeitet, sei es, dass sie Aufstandsbewegungen ver-
sucht, als sich herausstellt, dass Napoleon die feierlich versprochene Freiheit
nicht zugestehen will’. Peroni ist jedenfalls nicht der Ansicht, dass die ita-
lienische Bewegung vor 1789 zu suchen sei, das heißt, er behauptet eine
Abhängigkeit des Risorgimento von der Französischen Revolution, eine
These, die von der nationalistischen Geschichtsschreibung nicht akzeptiert
wird. Jedoch scheint Peronis Behauptung zutreffend, wenn man den spezi-
fischen und entscheidend wichtigen Sachverhalt der frühesten Gruppierung
von politischen Elementen berücksichtigt, die sich so weit fortentwickeln
wird, bis sie das Ensemble derjenigen Parteien bildet, welche die Protago-
nisten des Risorgimento sein werden. Wenn sich ım Verlauf des 18. Jahr-
hunderts die objektiven internationalen und nationalen Bedingungen abzu-
zeichnen und zu festigen beginnen, welche die nationale Einigung zu einer
geschichtlich konkreten (also nicht nur möglichen, sondern notwendigen)
Aufgabe machen, so steht fest, dass diese Aufgabe erst nach ’89 Gruppen
von Bürgern (cittadini) bewusst wird, die zum Kampf und zum Opfer
bereit sind. Die Französische Revolution ist also eines der europäischen
1910 Neunzehntes Heft

Ereignisse, die am meisten dahingehend wirken, eine bereits der »Sache«


nach begonnene Bewegung zu vertiefen, indem sie die tatsächlichen (ob-
jektiven und subjektiven) Bedingungen der Bewegung selbst verstärkt und
als Element der Aggregierung und Zentralisierung der über die ganze Halb-
insel verstreuten menschlichen Kräfte fungiert, und die ansonsten länger
gebraucht hätten, um »sich zu zentrieren« und einander zu verstehen.
Zu demselben Thema ist Gioacchino Volpes Artikel: Kongress der
Risorgimento-Historiker in der »Educazione Fascista« vom Juli 1932 an-
zusehen‘. Volpe berichtet über den Zwanzigsten Kongress der Nationalen
Gesellschaft für die Geschichte des Risorgimento, der im Mai-Juni 1932 in
Rom abgehalten wurde. Die Geschichte des Risorgimento wurde zunächst
vorwiegend als »Geschichte des italienischen Patriotismus« aufgefasst.
Dann begann sie sich zu vertiefen, »als italienisches Leben des 19. Jahr-
hunderts betrachtet und gleichsam im Rahmen dieses Lebens aufgelöst zu
werden, das vollständig in einem Prozess der Veränderung, Koordinierung,
Einigung von Idealen und praktischem Leben, Kultur und Politik, privaten
und öffentlichen Interessen begriffen war«. Vom 19. Jahrhundert ging
man auf das 18. Jahrhundert zurück und entdeckte zuvor verborgene Zu-
sammenhänge, usw. Das 18. Jahrhundert wurde »vom Blickwinkel des
Risorgimento aus betrachtet, ja gleichfalls als Risorgimento: mit seiner
nunmehr nationalen Bourgeoisie; mit seinem Liberalismus, der das wirt-
schaftliche Leben und das religiöse Leben und dann das politische erfasst,
und der nicht so sehr ein »Prinzip« als ein Bedürfnis von Produzenten ist;
mit jenen ersten konkreten Bestrebungen für irgendeine Form von Ein-
heit< (Genovesi) wegen der nunmehr erkannten Unfähigkeit der einzelnen
Staaten, mit ihrer beschränkten Ökonomie der eindringenden Ökonomie
von Ländern zu widerstehen, die bedeutend größer und stärker waren. Im
selben Jahrhundert zeichnete sich auch eine neue internationale Lage ab.
Es kamen nämlich europäische politische Kräfte zum Zug, die an einer
unabhängigeren, kohärenteren und weniger statisch ausgewogenen Ord-
nung der italienischen Halbinsel interessiert waren. Kurzum, eine neue
italienische und europäische »Wirklichkeit<, die auch dem Nationalismus
der Literaten Bedeutung und Sinn verleiht, der nach dem Kosmo-
politismus des vorangehenden Zeitalters wiederaufgekommen ist«'.
Volpe weist nicht im einzelnen auf das nationale und internationale
Verhältnis hin, deren Repräsentant die Kirche ist, die im 18. Jahrhundert
ebenfalls eine radikale Veränderung durchmacht: die Auflösung der Gesell-
schaft Jesu, worin das Erstarken des weltlichen Staates gegen die kirchliche
Einmischung gipfelt, usw. Man kann sagen, dass der Vatikan heute für die
Geschichtsschreibung des Risorgimento angesichts des neuen nach dem
Heft 19-83 1911
Konkordat ausgeübten Einflusses zu einer der größten, wenn nicht
zur größten Kraft wissenschaftlicher Blockierung und methodischen
»Malthusianismus« geworden ist. Zuvor wirkten neben dieser Kraft, die
stets sehr bedeutend gewesen ist, die Monarchie und die Furcht vor
dem Separatismus im Sinne einer historischen Horizontverengung. Viele
historische Arbeiten wurden aus diesem Grund nicht veröffentlicht (zum
Beispiel einige Bücher zur Geschichte Sardiniens des Barons Manno‘, die
Bollea-Affäre während des Krieges usw.”). Die republikanischen Publizisten
hatten sich auf die »Schmähschriften<-Geschichte spezialisiert, wobei sie
jedes historische Werk ausschlachteten, das die Ereignisse des Risorgimento
wissenschaftlich rekonstruierte: daraus resultierte eine Einschränkung der
Forschungen und ein Andauern der apologetischen Geschichtsschreibung,
die Unmöglichkeit, die Archive zu nutzen usw.; kurz, die ganze Eng-
stirnigkeit der Geschichtsschreibung des Risorgimento, wenn man sie
mit derjenigen der Französischen Revolution vergleicht. Heute sind die
monarchistischen und separatistischen Sorgen geringer geworden, aber die
vatikanischen und klerikalen haben zugenommen. Ein großer Teil der An-
griffe auf Croces Geschichte Europas sind offensichtlich diesen Ursprungs
gewesen‘: so erklärt sich auch der Abbruch des Werkes von Francesco
Salata Zur diplomatischen Geschichte der Römischen Frage, dessen erster
Band von 1929 ist und keine Fortsetzung gefunden hat”.

Auf dem Zwanzigsten Kongress der Nationalen Gesellschaft für die Ge-
schichte des Risorgimento sind Themen behandelt worden, welche diese
Rubrik in höchstem Maße interessieren. Die Studie von Pietro Silva: Das
italienische Problem in der europäischen Diplomatie des 18. Jahrhunderts”
wird von Volpe (im zitierten Artikel) wie folgt zusammengefasst: »Das
18. Jahrhundert bedeutet Einflussnahme von Großmächten in Italien,
aber auch ihre Gegensätze; und daher fortschreitende Verringerung der
direkten Fremdherrschaft und Entwicklung zweier starker staatlicher
Organismen im Norden und ım Süden. Mit dem Vertrag von Aranjuez
zwischen Frankreich und Spanien 1752 und gleich darauf mit der Annähe-
rung Österreich-Frankreich* beginnt eine Stagnationsperiode von vierzig
Jahren für die beiden Königreiche, wenn auch mit vielen Anstrengungen,
den österreichisch-französischen Kreis zu durchbrechen, indem Annähe-
rungen an Preußen, England und Russland versucht werden. Aber die vier-
zig Jahre bezeichnen auch die Entwicklung der autonomen Kräfte, die mit
der Revolution und mit dem Zerbrechen des österreichisch-französischen

* In Volpes Text: »Österreich-Spanien«.


1912 Neunzehntes Heft

Systems für eine Lösung des italienischen Problems im Sinne der nationa-
len Einheit auf den Plan treten. Und schon wurden die Reformen und
reformorientierten Fürsten in letzter Zeit Gegenstand vieler Studien zum
Königreich Neapel und Sizilien, zur Toskana, zu Parma und Piacenza und
zur Lombardei«'.
Carlo Morandi (Die Reformen des 18. Jahrhunderts nach den Ergebnissen
der jüngeren Geschichtsschreibung)'” hat die Stellung der italienischen
Reformen im Rahmen des europäischen Reformismus und das Verhältnis
von Reform und Risorgimento untersucht.
Zum Verhältnis von Französischer Revolution und Risorgimento schreibt
Volpe: »Es ist unbestreitbar, dass die Revolution, sei es als Ideologien, sei
es als Leidenschaften, sei es als bewaffnete Kraft, sei es als Napoleon dem
bewegten Fluss des italienischen Lebens neue Elemente zuführt: Nicht
weniger unbestreitbar ist, dass das Italien des Risorgimento, ein lebendiger
Organismus, der das Assimilierbare dessen assimilierte, was von außen
kam und was - als Ideen - auch Aufarbeitung dessen war, was bereits in
Italien ausgearbeitet worden war, zugleich darauf reagiert, es ausscheidet
und es integriert, es jedenfalls aufhebt. Es hat eigene Traditionen, eine
eigene Mentalität, eigene Probleme, eigene Lösungen: die schließlich die
wirkliche, tiefe Wurzel, das wirkliche Merkmal des Risorgimento sind,
seine substantielle Kontinuität mit dem vorangehenden Zeitalter bilden, es
befähigen, seinerseits auch eine Wirkung auf andere Länder auszuüben;
auf die Art, wie solche Wirkungen nicht auf wundersame Weise, sondern
geschichtlich im Kreis benachbarter und verwandter Völker ausgeübt
werden können«"”.

Diese Bemerkungen Volpes sind nicht immer richtig: wie kann man von
»Traditionen, Mentalitäten, Problemen, Lösungen« sprechen, die Italien
eigen sind? Oder zumindest, was soll das konkret heißen? Die Traditionen,
die Mentalitäten, die Probleme, die Lösungen waren vielfältig, widersprüch-
lich, oftmals rein individueller, willkürlicher Art und wurden damals nie in
Bezug auf die Einigung gesehen. Die nach Einheit strebenden Kräfte waren
äußerst spärlich, verstreut, ohne Zusammenhang untereinander und ohne
die Fähigkeit, gegenseitige Bindungen hervorzurufen, und dies nicht nur
im 18. Jahrhundert, sondern man kann sagen bis 1848. Die den unitarischen
(oder besser tendenziell unitarischen) entgegengesetzten Kräfte waren hin-
gegen sehr mächtig, miteinander verbündet, und insbesondere als Kirche
saugten sie den größten Teil der individuellen Fähigkeiten und Energien,
die ein neues nationales Führungspersonal hätten konstituieren können, in
sich auf, indem sie ihnen stattdessen eine klerikal-kosmopolitische Richtung
Heft 19-$3 1913
und Erziehung gaben. Die internationalen Faktoren und insbesondere die
Französische Revolution stärken im Gegenzug, indem sie diese reaktio-
nären Kräfte zermürben und aufreiben, die für sich allein geringfügigen
und unzureichenden nationalen Kräfte. Dies ist der wichtigste Beitrag der
Französischen Revolution, der sehr schwer zu bewerten und zu bestimmen
ist, von dem man jedoch ahnt, dass er ein entscheidendes Gewicht hatte,
um die Bewegung des Risorgimento in Gang zu bringen.

Uniter den anderen auf dem Kongress gehaltenen Vorträgen ist der von
Giacomo Lumbroso über Die Reaktion des Volkes gegen die Franzosen
Ende des 18. Jahrhunderts’ hervorzuheben. Lumbroso behauptet, dass
»die Volksmassen, besonders die bäuerlichen, nicht deswegen reagieren,
weil sie von den Adligen aufgewiegelt wurden und auch nicht um des lieben
Friedens willen (in Wirklichkeit griffen sie zu den Waffen!), sondern,
wenigstens zum Teil, aus einer unklaren und unbestimmten Vaterlandsliebe
oder Verbundenheit mit ihrer Scholle, mit ihren Einrichtungen, mit ihrer
Unabhängigkeit (!?): daher der häufige Appell ans Nationalgefühl der
Italiener, den die »Reaktionäre< bereits 1799 machen«', doch so ist die
Frage schlecht gestellt und voller Mehrdeutigkeiten. Zunächst wird nicht
die »Aufwiegelung« der Priester erwähnt, die sehr viel wirksamer ist als
die der Adligen (die nicht so sehr gegen die neuen Ideen waren, wie sich an
der Parthenopeisehen Republik zeigt); und was bedeutet ferner Volpes iro-
nische Zwischenbemerkung, wonach man nicht von Liebe zu einem Leben
in Ruhe und Frieden sprechen zu können scheint, wenn man zu den Waffen
greift? Der Widerspruch ist rein verbal: »Leben in Ruhe und Frieden« ist
im politischen Sinn von Neuerungsscheu und Konservatismus gemeint
und schließt die bewaffnete Verteidigung der eigenen gesellschaftlichen
Positionen keineswegs aus. Außerdem kann die Frage der Haltung der
Volksmassen nicht unabhängig von derjenigen der führenden Klassen ge-
stellt werden, weil sich die Volksmassen aus unmittelbaren und zufälligen
Gründen gegen eingedrungene » Ausländer« erheben können, da niemand
ihnen beigebracht hat, eine andere als die lokalistische und beschränkte
politische Orientierung kennenzulernen und zu verfolgen. Die spontanen
Reaktionen (sofern sie es sind) der Volksmassen können nur dazu dienen,
die Führungs»kraft« der höheren Klassen anzuzeigen; in Italien haben die
Liberal-Bürgerlichen die Volksmassen stets vernachlässigt. Volpe hätte an
diesem Punkt zu der widersprüchlichen und einseitigen Literatur über das
Risorgimento Stellung beziehen müssen, deren bezeichnendstes Muster
Lumbroso geliefert hat: wer ist »Patriot« oder »national« im Sinne
Lumbrosos, der von den Engländern erhängte Admiral Caracciolo oder
der Bauer, der sich gegen die Franzosen erhebt? Domenico Cirillo oder
1914 Neunzehntes Heft

Fra Diavolo? Und warum sollen die anglophile Politik und das englische
Geld nationaler sein als die französischen politischen Ideen?

($4). Bibliographie. Über die autonome Entwicklung eines neuen


zivilen und staatlichen Lebens in Italien vor dem Risorgimento bereitet
Raffaele Ciasca eine Arbeit vor; daraus ist die Einleitung veröffentlicht
worden: Raffaele Ciasca, Keime neuen Lebens im 18. Jahrhundert in
Italien (in den »Annali della Facoltä di Filosofia e Lettere della R. Univer-
sıta di Cagliari«, 1930-31, Separatdruck von 21 S., in 8°). Ciasca studiert die
»Veränderung*, die sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts und besonders in
seiner zweiten Hälfte im Leben nahezu aller Regionen Italiens vollzieht
und die sich nicht auf bruchstückhafte, von aufgeklärten Fürsten durch-
gesetzte Reformen beschränkt, von denen die Bevölkerung wenig spürt,
sondern das gesamte staatliche Gefüge, die gesamte ökonomische Struktur
des Landes, alle Verhältnisse zwischen den Klassen berührt und sich in den
vorherrschenden Strömungen im politischen, gesellschaftlichen und öko-
nomischen Denken äußert« (»Nuova Rivista Storica« von 1931, S. 577)".
Die Verwaltungs- und Finanzreformen, die Kirchenpolitik, die Geschichte
des Denkens waren bereits untersucht worden; Ciasca leistet einen neuen
Beitrag zum Studium des Wirtschaftslebens der Zeit.
Francesco Lemmi, Die Ursprünge des Italienischen Risorgimento, Mai-
land, Hoepli. Ebenfalls von Lemmi, Die Bibliographie des Italienischen
Risorgimento, Societä Anonima Romana. Carlo Morandi, /deen und
politische Formationen in der Lombardei von 1748 bis 1814, Turin, Bocca.
Massimo Lelj, Das Risorgimento des italienischen Geistes (1725-1861),
Mailand, L’Esame, Ausgaben moderner Geschichte, 1928°.

Beim XII. Internationalen Kongress der Geschichtswissenschaften, der


vom 21. bis 28. August 1933 in Warschau stattfinden sollte, sollten folgende
Vorträge über das Risorgimento gehalten werden: 1. G. Volpe, Die politisch-
diplomatischen Beziehungen zwischen den europäischen Großmächten und
Italien während des Risorgimento; 2. A.C. Jemolo, Das religiöse Italien des
18. Jahrhunderts; 3. Pietro Silva, Nationale Kräfte und Initiativen und
ausländische Einflüsse im Wirken des aufgeklärten Absolutismus in Italien”.

* Im Ms.: »Veränderungen«; korrigiert nach A-Text und Ciascas Text.


Heft 19-$ 3-85 1915
$(5). Interpretationen des Risorgimento. Es gibt eine beträchtliche
Anzahl unterschiedlichster Interpretationen des Risorgimento. Ihre
bloße Zahl ist ein charakteristisches Merkmal der italienischen politisch-
historischen Literatur und der Lage der Studien zum Risorgimento. Damit
ein Ereignis oder ein Prozess historischer Begebenheiten eine solche Lite-
_ raturgattung hervorrufen kann, muss man bedenken: dass sie in ihrer Ent-
wicklung wenig klar und gerechtfertigt ist aufgrund der Unzulänglichkeit
der »innersten« Kräfte, die sie anscheinend hervorgebracht haben, aufgrund
des Mangels an objektiven »nationalen« Elementen, auf die Bezug genom-
men werden kann, aufgrund der Inkonsistenz und Gallerthaftigkeit des
untersuchten Organismus (und in der Tat hat man oft auf das »Wunder«
des Risorgimento hinweisen hören). Ebensowenig kann der Mangel an
Dokumenten (Schwierigkeiten bei Nachforschungen in den Archiven,
usw.) eine derartige Literatur rechtfertigen, weil in einem solchen Fall der
gesamte Entwicklungsverlauf Dokument seiner selbst sein könnte: ja es ist
eben offensichtlich, dass die organische Schwäche eines Komplexes »mit
Rückgrat« in diesem Entwicklungsverlauf die Ursache für die Entfesselung
des willkürlichen, oftmals bizarren und überspannten »Subjektivismus«
darstellt. Im allgemeinen kann man sagen, dass die Bedeutung der Gesamt-
heit dieser Interpretationen unmittelbar politischen und ideologischen
und nicht historischen Charakters ist. Auch ihre nationale Tragweite ist
gering, sowohl wegen ihrer Tendenzhaftigkeit als auch wegen des Fehlens
jeglichen konstruktiven Beitrags und wegen des zu abstrakten, häufig
bizarren und romanhaften Charakters. Man kann feststellen, dass diese
Literatur in den charakteristischsten gesellschaftlich-politischen Krisen-
momenten aufblüht, wenn die Kluft zwischen den Regierenden und den
Regierten gravierender wird und katastrophale Ereignisse für das nationale
Leben anzukündigen scheint; Panik verbreitet sich unter bestimmten
sensibleren Intellektuellengruppen, und es häufen sich die Versuche, eine
Reorganisation der existierenden politischen Kräfte zu bewirken, um neue
ideologische Strömungen in den verschlissenen und wenig konsistenten
Parteiorganismen zu wecken, oder vor Verzweiflung und schwarzem
Pessimismus zu seufzen und zu klagen. Eine rationale Klassifikation
dieser Literatur wäre notwendig und sehr bedeutsam. Vorläufig kann man
provisorisch einige Bezugspunkte fixieren: 1. eine Gruppe von Interpre-
tationen im engeren Sinne wie etwa diejenige, die im Politischen Kampfin
Italien und in anderen Schriften kulturell-politischer Polemik von Alfredo
Orianı' enthalten ist und die über die Schriften Mario Missirolis eine ganze
Reihe weiterer bewirkt hat; wie diejenigen von Piero Gobetti und Guido
Dorso’; 2. eine Gruppe von grundsätzlicherer und ernsthafterer Art,
mit Ansprüchen an historiographische Ernsthaftigkeit und Strenge, wie
1916 Neunzehntes Heft

diejenigen von Croce, Solmi, Salvatorelli‘; 3. die Interpretationen von


Curzio Malaparte (über das Barbarische Italien, über den Kampf gegen die
protestantische Reformation usw.)', von Carlo Curcio (Das Erbe des
Risorgimento, Florenz, La Nuova Italia, 1931, 114 $., 12 L.)’ usw.
Die Schriften von F. Montefredini (vgl. dazu den Aufsatz von Croce in
der Literatur des neuen Italien) müssen unter den »Verstiegenheiten« und
die von Aldo Ferrari (in Büchern, Broschüren und Artikeln der »Nuova
Rivista Storica«) als »Verstiegenheiten« und Roman zugleich erwähnt
werden’; ebenso die Broschüre von Vincenzo Cardarelli, Worte an Italien
(Verl. Vallecchi, 1931)".
Eine weitere wichtige Gruppe wird durch Bücher repräsentiert wie das
von Gaetano Mosca, Theorie der Regierungen und parlamentarische
Regierung, das erstmals 1883 veröffentlicht und 1925 wiederaufgelegt
wurde (Mailand, AG Wissenschaftliche Verlagsanstalt, in 8°, 301 $., 25 L.)’;
wie das Buch Pasquale Turiellos, Regierung und Regierte; Leone Carpis
Lebendiges Italien; Luigi Zinis Über Kriterien und Weisen des Regierens;
Giorgio Arcoleos Kabinettregierung; Mario Minghettis Die politischen
Parteien und ihr Einfluss in Justiz und Verwaltung; Bücher von Ausländern,
wie das Laveleyes, Briefe aus Italien; von Lohers, Das neue Italien und
auch Brachets, Das sichtbare und das unsichtbare Italien; neben Artikeln
der »Nuova Antologia« und der »Rassegna settimanale« (Sonninos) von
Pasquale Villari, R. Bonghi, G. Palma u.a., bis hin zu Sonninos berühmtem
Artikel in der »Nuova Antologia«, Kehren wir zum Statut zurück!”
Diese Literatur ist eine Folge des Sturzes der historischen Rechten, des
Machtantritts der sogenannten Linken und der »faktisch« im Verfassungs-
regime vorgenommenen Neuerungen, um es einer Form von parlamen-
tarıschem Regime zuzuführen. Es sind großteils Klagen, Beschwerden,
pessimistische und unheilkündende Urteile über die nationale Situation,
und auf ein solches Phänomen verweist Croce in den ersten Kapiteln
seiner Geschichte Italiens von 1871* bis 1915; dieser Erscheinung steht die
Literatur der Epigonen der Aktionspartei gegenüber (typisch das kürzlich
von Arcangelo Ghisleri mit Anmerkungen und Kommentaren postum
veröffentlichte Buch des Abbe Luigi Anelli) ',sei es in Büchern oder in Bro-
schüren und Zeitschriftenartikeln, einschließlich der jüngsten Publizisten
der republikanischen Partei.
Es lässt sich folgender Zusammenhang zwischen den verschiedenen
Blütezeiten derartiger pseudo-historischer und pseudo-kritischer Literatur

* Im Ms.: »1870«.
Heft 19-$5 1917

feststellen: 1.” Literatur, die auf konservative Elemente zurückgeht, die


über den Sturz der Rechten und der Consorteria'”* wütend sind (das heißt
über die geschrumpfte Bedeutung bestimmter Gruppen von Großgrund-
besitzern und der Aristokratie im staatlichen Leben, denn von einer Aus-
wechslung der Klasse kann nicht die Rede sein), missgünstig, gallig, bitter,
ohne konstruktive Elemente, ohne historische Bezugspunkte auf irgend-
eine Tradition, weil es in der Vergangenheit keinen reaktionären Bezugs-
punkt gibt, den zu restaurieren mit einer gewissen Zurückhaltung und
einiger Würde vorgeschlagen werden kann: in der Vergangenheit gibt es
die alten Regionalregime und die Einflüsse des Papstes und Österreichs.
Die gegen das parlamentarische Regime gerichtete »Anklage«, nicht
»national«, sondern von ausländischen Beispielen kopiert worden zu
sein, bleibt eine leere, sinnlose Beschwerde, hinter der sich nur die Angst
vor einem noch so geringfügigen Eingriff der Volksmassen in das Leben
des Staates verbirgt; die Bezugnahme auf eine italienische Regierungs-
»Tradition« ist notwendigerweise unbestimmt und abstrakt, da eine solche
Tradition keine historisch feststellbaren Perspektiven hat: in der ganzen
Vergangenheit hat es niemals eine territorialstaatliche Einheit Italiens
gegeben, die Perspektive der päpstlichen Hegemonie (typisch für das Mittel-
alter bis zur Zeit der Fremdherrschaft) ist bereits mit dem Neoguelfentum
hinweggefegt worden usw. (Diese Perspektive wird man schließlich in
der römischen Epoche finden, mit Schwankungen, je nach den Parteien,
zwischen dem republikanischen Rom und dem kaiserlichen Rom, aber die
Tatsache wird eine neue Bedeutung erlangen und für neue, den Popular-
ideologien aufgeprägte Richtungen charakteristisch sein).
Diese reaktionäre Literatur geht derjenigen der Gruppe Oriani-Missiroli
voraus, die eine mehr national-populare Bedeutung hat, und diese geht der-
jenigen der Gruppe Gobetti-Dorso voraus, die noch eine andere, aktuellere
Bedeutung hat. Jedenfalls bewahren auch diese beiden neuen Tendenzen
einen abstrakten und literarischen Charakter. Einer der interessantesten
darin behandelten Punkte ist das Problem des Fehlens einer religiösen
Reform in Italien wie der protestantischen, ein Problem, das auf mecha-
nische und äußerliche Weise gestellt wird und eines der Motive wiederholt,
die Masaryk in seinen Studien zur russischen Geschichte leiten.
Die Gesamtheit dieser Literatur hat einen »dokumentarischen« Wert für
die Zeit, in der sie erschienen ist. Die Bücher der »Rechten« schildern die
politische und moralische Korruption zur Zeit der Linken an der Macht,
aber die Veröffentlichungen der Epigonen der Aktionspartei stellen“ die

* Im Ms: »stellt«.
1918 Neunzehntes Heft

Regierungszeit der Rechten als nicht besser dar. Es zeigt sich, dass es mit
dem Übergang von der Rechten zur Linken keine wesentliche Veränderung
gegeben hat: der Marasmus, in dem sich das Land befindet, ist nicht auf das
parlamentarische Regime zurückzuführen (das nur öffentlich macht, was
zuvor verborgen blieb oder zu geheimen diffamatorischen Publikationen
Anlass gab), sondern auf die Schwäche und organische Inkonsistenz der
führenden Klasse und auf das große Elend und die Rückständigkeit des
Landes. Politisch ist die Situation absurd: auf der Rechten stehen die Kle-
rikalen, die Partei des Syllabus, welche die gesamte moderne Zivilisation
in Bausch und Bogen ablehnt und den legalen Staat boykottiert, indem sie
nicht nur verhindert, dass sich eine breite konservative Partei bildet, sondern
das Land auch unter dem Eindruck des Provisorischen und der Unsicher-
heit des neuen Einheitsstaates hält; in der Mitte steht das ganze liberale
Spektrum, von den Moderati bis zu den Republikanern, auf die alle Er-
innerungen an den Hass aus den Zeiten der Kämpfe einwirken und die sich
unerbittlich zerfleischen; auf der Linken drückt das arme, zurückgeblie-
bene, analphabetische Land in hysterischer, unstetiger und sporadischer
Form eine Reihe anarchisch-subversiver Tendenzen ohne Zusammenhalt
und konkrete politische Orientierung aus, die einen fieberhaften Zustand
ohne konstruktive Zukunft aufrechterhalten. Es gibt keine »ökonomischen
Parteien«, sondern Gruppen deklassierter Ideologen aller Klassen, Hähne,
die einen Tag ankündigen, der nie kommen will.

Die Bücher der Gruppe Mosca-Turiello kamen in den Jahren vor dem
Krieg wieder in Mode (man kann in der »Voce« dem ständigen Hinweis auf
Turiello begegnen)“, und Moscas Jugendbuch wurde 1925 neu aufgelegt,
mit einigen Anmerkungen des Autors, um daran zu erinnern, dass es sich
um Ideen von 1883 handelt und der Autor ’25 nicht mehr mit dem vier-
undzwanzigjährigen Verfasser von 1883 einverstanden ist. Die Neuauflage
von Moscas Buch ist eine der vielen Episoden der Gewissenlosigkeit und
des politischen Dilettantismus der Liberalen in der unmittelbaren und
späteren Nachkriegszeit. Im übrigen ist das Buch plump, ungeschliffen,
hastig geschrieben von einem jungen Mann, der sich in seiner Zeit durch
eine extremistische Haltung und durch große, oftmals abgedroschene Wor-
te in reaktionärem Sinn »auszeichnen« will. Moscas politische Begriffe sind
unklar und schwankend, seine philosophische Bildung ist gleich null (was
sie in der gesamten schriftstellerischen Karriere Moscas geblieben ist), seine
Prinzipien politischer Technik sind ebenfalls unklar und abstrakt und haben
eher juristischen Charakter. Der Begriff »politische Klasse«, dessen Affir-
matıon im Mittelpunkt aller politikwissenschaftlichen Schriften Moscas
stehen wird, ist äußerst labil und weder durchdacht noch theoretisch
Heft 19-$5 1919

gerechtfertigt. Dennoch ist Moscas Buch als Dokument nützlich. Der


Autor will programmatisch unvoreingenommen sein, kein Blatt vor den
Mund nehmen, und so rückt er schließlich viele Aspekte des Lebens im
damaligen Italien in den Blick, die andernfalls keinen Beleg gefunden hätten.
Von der zivilen und militärischen Bürokratie, von der Polizei usw. entwirft
er zuweilen manierierte Bilder, aber mit einem Wahrheitsgehalt (zum Bei-
spiel von den Unteroffizieren im Heer, von den Polizeikommissaren usw.).
Seine Beobachtungen sind insbesondere gültig für Sizilien, aufgrund der
direkten Erfahrung Moscas mit diesem Milieu. Im Jahre 1925 hatte Mosca
Standpunkt und Perspektiven geändert, sein Material war überholt,
dennoch legte er das Buch aus schriftstellerischer Eitelkeit neu auf und
dachte, es mit ein paar kleinen Richtigstellungen unangreifbar zu machen.
Zur politischen Situation Italiens gerade im Jahr 1883 und zur Haltung
der Klerikalen lassen sich einige interessante Anregungen in Marschall
Lyauteys Buch, Jugendbriefe (Paris, Grasset, 1931), finden. Lyautey zu-
folge glaubten viele der dem Vatikan treu ergebenen Italiener nicht an die
Zukunft des Königreichs; sie sahen dessen Zerfall voraus, aus dem ein
Oberitalien mit der Hauptstadt Florenz, ein Süditalien mit der Hauptstadt
Neapel, und Rom in der Mitte mit Zugang zum Meer hervorgehen würde.
Über das damalige italienische Heer, das in Frankreich wenig geschätzt
war, gibt Lyautey das Urteil des Grafen von Chambord wieder: »Täuschen
Sie sich nicht. Alles, was ich darüber weiß, lässt sie (die italienische Armee)
mich als sehr ernsthaft, sehr der Aufmerksamkeit wert erachten. Mitsamt
ihrem etwas theatralischen Gehabe und ihren Federbüschen sind die
Offiziere sehr gut geschult, sehr tüchtig. Das ist im übrigen die Meinung
meines Neffen in Parma, der nicht dafür bezahlt wird, sie zu lieben«”.

Die ganze Betriebsamkeit bei der Interpretation der italienischen Ver-


gangenheit und die Reihe ideologischer Konstruktionen und historischer
Romane, die daraus hervorgegangen sind, hängen überwiegend mit dem
»Anspruch« zusammen, in der ganzen Zeit von Rom bis heute wenigstens
de facto eine nationale Einheit zu finden (und oftmals auch vor Rom wie
im Falle von Giobertis »Pelasgen«' und in anderen, jüngeren). Wie ist
dieser Anspruch entstanden, wie hat er sich gehalten und warum dauert er
noch an? Ist er ein Zeichen von Stärke oder von Schwäche? Ist er der Reflex
neuer, selbstsicherer gesellschaftlicher Formationen, die sich Adelstitel in
der Vergangenheit suchen und schaffen, oder ist er vielmehr der Reflex
eines trüben »Glauben-Wollens«, ein Element ideologischen Fanatısmus
(und Fanatisierens), der eben die Strukturschwächen »sanieren« und einen
gefürchteten Zusammenbruch verhindern soll? Diese letztere scheint die
richtige Interpretation, zusammen mit der Tatsache der (im Verhältnis zu
1920 Neunzehntes Heft

den ökonomischen Formationen) übermäßigen Bedeutung der Intellek-


tuellen, das heißt der Kleinbürger, im Vergleich zu den rückständigen und
politisch unfähigen ökonomischen Klassen. Tatsächlich wird die nationale
Einheit als fraglich empfunden, weil »wilde«, nicht genau bekannte, elemen-
tar zerstörerische Kräfte sich unaufhörlich an ihrer Basis regen. Die eiserne
Diktatur der Intellektuellen und einiger städtischer Gruppen zusammen mit
dem Grundbesitz behält ihre Geschlossenheit nur, wenn sie ihre militanten
Elemente mit diesem Mythos geschichtlicher Schicksalhaftigkeit aufputscht,
der stärker ist als jede politische und militärische Unzulänglichkeit und
Untauglichkeit. Auf eben diesem Boden wird die organische Zustimmung
der national-popularen Massen zum Staat durch eine Auswahl von »Frei-
willigen« der abstrakt verstandenen »Nation« ersetzt. Niemand hat be-
dacht, dass genau das Problem, das Machiavelli mit der Proklamation der
Notwendigkeit, nationale Milizen an die Stelle zufälliger und unzuver-
lässiger Söldner zu setzen, aufgeworfen hat, nicht gelöst ist, solange auch
der »Voluntarismus«'” nicht durch die »national-populare« Tatsache der
Masse aufgehoben ist, da der Voluntarismus eine Zwischenlösung ist,
zwiespältig, ebenso gefährlich wie das Söldnertum.

Die Darstellungsweise der geschichtlichen Ereignisse in den ideologi-


schen Interpretationen der Formierung Italiens könnte man »fetischistische
Geschichte« nennen: in der Tat werden durch sie abstrakte und mythologi-
sche »Personen« zu Protagonisten der Geschichte'“. In Orianis Politischem
Kampf zeigt sich die populärste dieser mythologischen Schablonen, die-
jenige, die eine längere Reihe missratener Kinder geboren hat. Hier finden
wir die Föderation, die Einheit, die Revolution, Italien usw. Bei Orianı
liegt eine der Ursachen für diese Art, die Geschichte mittels mythologischer
Figuren aufzufassen, klar zu Tage. Die kritische Regel, dass die gesamte ge-
schichtliche Entwicklung Dokument ihrer selbst ist, dass die Gegenwart
die Vergangenheit aufhellt und rechtfertigt, wird mechanisiert und ver-
äußerlicht und auf ein deterministisches Gesetz der Geradlinigkeit und
»Eindimensionalität« reduziert (auch weil der geschichtliche Horizont auf
die nationalen geographischen Grenzen eingeengt und das Ereignis aus der
Gesamtheit der Universalgeschichte, aus dem System der internationalen
Beziehungen herausgelöst wird, mit denen es doch notwendig verbunden
ist). Das Problem, die geschichtlichen Ursprünge eines konkreten und
genau spezifizierten geschichtlichen Ereignisses, die Formierung des
modernen italienischen Staates im 19. Jahrhundert, zu untersuchen, wird
dahingehend verändert, diesen Staat als Einheit oder als Nation bzw. allge-
mein als Italien in der ganzen vorhergehenden Geschichte zu sehen, so wie
das Huhn im befruchteten Ei vorhanden sein muss.
Heft 19-$5 1921
Für die Behandlung dieses Themas sind die kritischen Betrachtungen
Antonio Labriolas in den Vermischten Schriften anzusehen (S. 487-90;
S. 317-442 passim, und im ersten seiner Aufsätze auf S. 50-52)". Zu diesem
Punkt muss auch Croce, Geschichte der Geschichtsschreibung, 11, S. 227-28
in der 1. Auflage, herangezogen werden, und in diesem ganzen Werk die
‚Untersuchung des »gefühlsmäßigen und praktischen« Ursprungs und die
»kritische Unmöglichkeit« einer »allgemeinen Geschichte Italiens«"
Weitere damit zusammenhängende Betrachtungen sind die von Antonio
Labriola zu einer allgemeinen Geschichte des Christentums, die Labriola
nicht haltbar schien wie alle historischen Konstruktionen, die inexistente
»Wesen« zum Gegenstand haben (vgl. III. Aufsatz, S. 113)".

Eine konkrete Reaktion in dem von Labriola angedeuteten Sinn lässt


sich an den historischen (und auch politischen) Schriften Salveminis unter-
suchen, der nichts von »Guelfen« und »Ghibellinen« wissen will, Partei
des Adels und des Kaiserreichs die eine und des Volkes und des Papsttums
die andere, weil er sagt, sie nur als »lokale Parteien« zu kennen, die aus rein
lokalen Motiven kämpften, die nicht mit denen des Papsttums und des
Kaiserreichs zusammenfielen. Im Vorwort zu seinem Band über die Fran-
zösische Revolution kann man diese Einstellung Salveminis theorisiert
finden, mit allen antihistorischen Übertreibungen, die sie mit sich bringt
(der Band über die Französische Revolution ıst auch unter anderen Ge-
sichtspunkten kritisierbar: dass die Revolution mit der Schlacht von Valmy
als vollendet bezeichnet werden kann, ist eine nicht haltbare Behauptung):
»Die zahllose Vielfalt der revolutionären Freignisse« pflege man en bloc
einem Wesen »Revolution« zuzuordnen, statt »jedes Ereignis dem wirk-
lichen Individuum oder den Gruppen von wirklichen Individuen zuzu-
schreiben, die dessen Urheber waren«”. Doch wenn die Geschichte sich
nur auf diese Untersuchung reduzierte, wäre sie eine recht armselige Sache
und würde im übrigen unverständlich werden. Man wird sehen müssen,
wie Salvemini konkret die Unstimmigkeiten auflöst, die sich aus seinem zu
einseitigen Ansatz des methodologischen Problems ergeben, unter Berück-
sichtigung folgenden kritischen Vorbehalts: wenn man nicht aus anderen
Werken die hier erzählte Geschichte kennen würde und wir nur dieses Buch
hätten, wäre uns diese Reihe der beschriebenen Ereignisse verständlich?
Handelt es sich also um eine »integrale« Geschichte oder um eine »polemi-
sche« und polemisch komplementäre Geschichte, die sich lediglich vor-
nimmt (oder notwendigerweise dahingelangt, ohne es sich vorzunehmen),
einem bereits von anderen skizzierten Bild einige Pinselstriche hinzuzu-
fügen? Dieser Vorbehalt sollte bei jeder Kritik immer präsent sein, da man
es tatsächlich oft mit Werken zu tun hat, die »allein« unbefriedigend wären,
1922 Neunzehntes Heft

die aber im allgemeinen Rahmen einer bestimmten Kultur zur »Vervoll-


ständigung und Ergänzung« anderer Arbeiten oder Untersuchungen sehr
nützlich sein können.
Adolfo Omodeo schreibt in der »Critica« vom 20.Juli 1932, S. 280: »Den
Patrioten bot er die These, die Salvemini seinerzeit wieder in Umlauf ge-
bracht hatte: von der Geschichte des Risorgimento als kleiner Geschichte,
die nicht genügend blutbespritzt war; von der Einheit, die mehr das Ge-
schenk eines gütigen Geschicks als eine von den Italienern verdiente Errun-
genschaft war; vom Risorgimento, einem Werk von Minderheiten gegen die
Apathie der Mehrheit. Diese These, entstanden* aus der Unfähigkeit des
historischen Materialismus, die moralische Größe an sich zu würdigen,
ohne die empirische Statistik der Kübel vergossenen Blutes und die Auf-
rechnung der Interessen (sie war von gefällig-trügerischer Schönheit und
dazu bestimmt, in allen Zeitschriften und Zeitungen zu stehen und das
harte Werk Mazzinis und Cavours von den Ignoranten in den Dreck ziehen
zu lassen), diese These diente Marconi als Grundlage für eine moralistische
Argumentation im Voce-Stil«. (Omodeo schreibt über Piero Marconi, der
im Krieg gefallen ist, und dessen Publikation /ch hörte den Befehl, Florenz,
ohne Jahr)”.
Doch ist es Omodeo selbst in seinem Buch Das Zeitalter des Risorgimen-
to” nicht gelungen, eine Interpretation und eine Rekonstruktion zu liefern,
die nicht äußerlich und aufgeputzt wären. Dass das Risorgimento der italie-
nische Beitrag zur großen europäischen Bewegung des 19. Jahrhunderts ge-
wesen ist, bedeutet nicht ohne weiteres, dass die Hegemonie der Bewegung
bei Italien lag, und bedeutet auch nicht, dass die aktive »Mehrheit der Min-
derheit« der Bewegung selbst nicht widerstrebend und gegen ihren eigenen
Willen gefolgt wäre. Die individuelle Größe Cavours und Mazzinis sticht in
geschichtlicher Perspektive noch stärker hervor, wie die Palme in der Wüste.
Omodeos kritische Bemerkungen zur Auffassung vom Risorgimento als
einer »kleinen Geschichte« sind böswillig und abgedroschen, und er kann
auch nicht begreifen, dass eine solche Auffassung den einzigen einigermaßen
ernsthaften Versuch dargestellt hat, die Volksmassen zu »nationalisieren«,
d.h. eine demokratische Bewegung mit italienischen Wurzeln und italie-
nischen Bedürfnissen zu schaffen (es ist eigenartig, dass Salvatorelli, wenn
er in einer Anmerkung der »Cultura« auf Croces Geschichte Europas und
auf Omodeos Zeitalter des Risorgimento hinweist, dieses für den Aus-
druck einer demokratischen Richtung hielt und die Geschichte Croces für
den einer in engerem Sinn liberal-konservativen Richtung)”.

* In Omodeos Text: »hervorgesprossen« (»germinata« und nicht »generata«).


Heft 19-$5 1923
Im übrigen kann man sagen: wenn die Geschichte der Vergangenheit
nicht anders als mit den und für die gegenwärtigen Interessen geschrieben
werden kann, ist dann die kritische Formel, wonach die Geschichte dessen
geschrieben werden müsste, was das Risorgimento konkret gewesen ist
(wenn sie nicht eine Ermahnung zum Respekt gegenüber der Dokumen-
tation und ihrer Vollständigkeit bedeutet), nicht unzulänglich und zu eng?
Zu erklären, wie das Risorgimento konkret stattgefunden hat, welches
die Phasen des notwendigen Geschichtsprozesses sind, die in diesem _
bestimmten Ereignis gipfelten, kann nur eine neue Weise sein, die äußerliche
und mechanische sogenannte »Objektivität« darzustellen. Es handelt sich
häufig um eine »politische« Forderung desjenigen, der zufriedengestellt ist
und im Prozess gegen die Vergangenheit zu Recht einen Prozess gegen die
Gegenwart, eine Kritik der Gegenwart und ein Programm für die Zukunft
sieht. Die Gruppe Croce-Omodeo und Co. heiligt salbungsvoll (das Salben
ist Omodeos Spezialität) die liberale Periode und Omodeos Buch Kriegs-
momente” selbst hat folgende Bedeutung: zu zeigen, wie die so sehr »dif-
famierte« Giolitti-Periode in ihrem Innersten einen »unübertrefflichen«
Schatz von Idealismus und Heldentum barg.
Im übrigen sind diese Diskussionen unnütz, sofern sie rein solche der
empirischen Methodologie sind. Und wenn Geschichte schreiben heißt,
gegenwärtige Geschichte zu machen, so ist ein großes Geschichtsbuch
dasjenige, das in der Gegenwart den in Entwicklung befindlichen Kräften
hilft, selbstbewusster und folglich auf konkretere Weise aktiv und tätig zu
werden.
Der größte Mangel all dieser ideologischen Interpretationen des
Risorgimento besteht darin, dass sie rein ideologisch gewesen sind, dass sie
sich also nicht darauf wandten, gegenwärtige politische Kräfte zu wecken.
Werke von Literaten, von Dilettanten, akrobatische Konstruktionen von
Leuten, die mit Talent oder gar mit Intelligenz protzen wollten; entweder
an kleine Intellektuellen-Cliquen ohne Zukunft gerichtet oder zur Recht-
fertigung von im Hinterhalt lauernden reaktionären Kräften geschrieben,
denen man Absichten zusprach, die sie nicht hatten, und imaginäre Ziele,
und folglich kleine Dienste nach Art intellektueller Lakaien (der voll-
endetste Typus dieser Lakaien ist Mario Missiroli) und von Söldnern der
Wissenschaft.
Diese ideologischen Interpretationen der nationalen und staatlichen For-
mierung Italiens sind auch unter einem anderen Gesichtspunkt zu studieren:
ihr »unkritisches« Aufeinanderfolgen aufgrund individueller Anstöße von
mehr oder weniger »genialen« Persönlichkeiten zeugt von der Primitivität
1924 Neunzehntes Heft

der alten politischen Parteien, vom unmittelbaren Empirismus jedes kon-


struktiven Handelns (einschließlich des staatlichen), vom Fehlen jeder
Bewegung »mit Rückgrat« im Leben Italiens, die Möglichkeiten dauer-
hafter und stetiger Entwicklung in sich trüge. Das Fehlen geschichtlicher
Perspektive in den Parteiprogrammen, einer »wissenschaftlich«, das heißt
mit sorgfältiger Ernsthaftigkeit konstruierten Perspektive, um auf die
ganze Vergangenheit die Ziele zu gründen, die in Zukunft zu erreichen und
dem Volk als eine Notwendigkeit, an der bewusst mitzuarbeiten ist, vorzu-
stellen sind, hat eben das Aufblühen so vieler ideologischer Romane erlaubt,
die in Wirklichkeit die Voraussetzung (das Manifest) politischer Bewegun-
gen sind, die abstrakt als notwendig gedacht werden, für deren Entstehen
dann aber nichts Praktisches getan wird. Dies ist eine sehr nützliche Vor-
gehensweise, um die »Operationen« derer zu erleichtern, die häufig die
»verborgenen« oder »unverantwortlichen Kräfte« genannt werden, welche
die »unabhängigen Zeitungen« zum Sprachrohr haben: sie müssen mitunter
zufällige Strömungen der öffentlichen Meinung erzeugen, deren Feuer man
unterhält, bis bestimmte Ziele erreicht sind, und die man dann schwächer
werden und sterben lässt. Sie sind Erscheinungen wie die »Söldnerheere«,
wirkliche ideologische Söldnerheere, bereit, den plutokratischen oder
andersgearteten Gruppen zu dienen, wobei sie häufig gerade so tun als be-
kämpften sie die Plutokratie usw. Typischer Organisator solcher »Heere«
ist Pippo Naldi” gewesen, auch er ein Schüler Orianis und Regisseur Mario
Missirolis und seiner journalistischen Improvisationen.
Es wäre nützlich, eine vollständige Bibliographie Mario Missirolis zu-
sammenzustellen. Einige seiner Bücher: Die sozialistische Monarchie (von
1913), Liberale Polemik, Ansichten, Der Staatsstreich (von 1925), Eine ver-
lorene Schlacht, Das heutige Italien (von 1932), Die Republik der Land-
streicher* (über Molinella), Liebe und Hunger, Gebt dem Kaiser... (1929).
Ein Buch über den Papst, von 1917 usw.”
Die Hauptmotive, die Missiroli in Umlauf gebracht hat, sind: 1. dass das
Risorgimento eine königliche Eroberung gewesen ist und keine Volks-
bewegung; 2. dass das Risorgimento das Problem der Beziehungen
zwischen Staat und Kirche nicht gelöst hat, ein Motiv, das mit dem ersten
zusammenhängt, denn »ein Volk, das die religiöse Freiheit nicht verspürt
hatte, konnte die politische Freiheit nicht verspüren. Das Ideal der Un-
abhängigkeit und der Freiheit wurde zum Erbe und Programm einer
heroischen Minderheit, welche die Einheit gegen die Willfährigkeit der
Volksmengen konzipierte«”. Das Fehlen der protestantischen Reformation

* Im Ms.: »Die Republik der Bettlers.


Heft 19-$5 1925
in Italien erkläre in letzter Instanz das ganze Risorgimento und die moder-
ne Nationalgeschichte. Missiroli wendet auf Italien das hermeneutische
Kriterium an, das Masaryk auf die russische Geschichte angewandt hat”
(obwohl Missiroli gesagt hat, dass er die Kritik Antonio Labriolas am
Historiker Masaryk akzeptiere)”. Wie Masaryk versteht Missiroli (trotz
seiner Beziehungen zu G. Sorel) nicht, dass die intellektuelle und moralische
(d.h. »religiöse«) »Reform«”” von popularer Tragweite in der modernen
Welt in zwei Schritten stattgefunden hat; im ersten Schritt mit der Verbrei-
tung der Prinzipien der Französischen Revolution, im zweiten Schritt mit
der Verbreitung einer Reihe von Begriffen, die aus der Philosophie der
Praxis gewonnen und oftmals mit der Aufklärungsphilosophie und später
mit dem szientistischen Evolutionismus kontaminiert worden sind. Dass
eine solche »Reform« in grobschlächtigen Formen und in Heftchenform
verbreitet worden ist, stellt keinen gültigen Einwand gegen ihre histo-
rische Bedeutung dar: man darf nicht glauben, dass die vom Kalvinismus
beeinflussten Volksmassen verhältnismäßig ausgearbeitetere und raffinier-
tere Begriffe aufgenommen haben als die von dieser Broschürenliteratur
gebotenen: hingegen stellt sich die Frage der Führer einer derartigen
Reform, ihrer Inkonsistenz und des Fehlens eines starken und energischen
Charakters.

Ebensowenig versucht Missiroli zu analysieren, warum die Minderheit,


welche die Bewegung des Risorgimento angeführt hat, nicht »zum Volk
gegangen« ist, weder »ideologisch«, indem sie sich das demokratische Pro-
gramm, das ebenfalls mittels der Übersetzungen aus dem Französischen
zum Volk gelangte, zu eigen machte, noch »ökonomisch« mit der Agrar-
reform. Was geschehen »konnte«, da die Bauernschaft fast das gesamte
damalige Volk ausmachte und die Agrarreform ein stark empfundenes Be-
dürfnis war, während die protestantische Reformation eben mit einem
Bauernkrieg in Deutschland und mit Konflikten zwischen Adligen und
Bürgerlichen in Frankreich usw. zusammenfiel (es darf nicht vergessen
werden, dass Österreich hingegen auf die Agrarreform spekulierte, um die
Bauern gegen die großgrundbesitzenden Patrioten aufzuhetzen, und dass
die konservativen Liberalen mit den Schulen zur gegenseitigen Unter-
weisung und mit Einrichtungen zur gegenseitigen Unterstützung oder
von Kleinkrediten gegen Pfänder der kleinen Leute nur versuchten, die
Sympathie der Handwerker und der wenigen Gruppen von städtischen
Arbeitern zu gewinnen: Cavour gehörte zu den Gründern des Allgemeinen
Arbeitervereins”” von Turin). »Die Einheit hatte sich nicht mit dem Papst-
tum verwirklichen lassen, das seinem Wesen nach universell und von
Haus aus allen modernen Freiheiten feind war; aber es war ihr auch nicht
1926 Neunzehntes Heft

gelungen, über das Papsttum zu triumphieren, indem sie der katholischen


Idee eine ebenso universelle Idee entgegengesetzt hätte, die gleichermaßen
dem individuellen Bewusstsein und dem Bewusstsein der durch die Refor-
mation und durch die Revolution erneuerten Welt entsprochen hätte«“.
Abstrakte und zum großen Teil sinnlose Behauptungen. Welche universelle
Idee setzte die Französische Revolution dem Katholizismus entgegen?
Warum also war die Bewegung in Frankreich eine des Volkes und in Italien
nicht? Die berühmte italienische Minderheit, »heroisch« per Definition (bei
diesen Schriftstellern hat der Ausdruck »heroisch« eine rein »ästhetische«
oder rhetorische Bedeutung und wird auf Don Tazzoli wie auf die mailän-
dischen Adligen, die vor dem Kaiser von Österreich krochen” ,angewandt,
so dass auch ein Buch über das Risorgimento als eine Revolution »ohne
Helden«” in einer ebenso literarischen und papierenen Bedeutung ge-
schrieben wurde), welche die Einigungsbewegung anführte, interessierte
sich in Wirklichkeit mehr für ökonomische Interessen als für ideelle For-
meln und kämpfte mehr, um zu verhindern, dass das Volk am Kampf teil-
nahm und ihn gesellschaftlich werden ließ (im Sinne einer Agrarreform),
als gegen die Feinde der Einheit. Missiroli schreibt, dass der neue, nach der
Einheit in der italienischen Geschichte aufgetauchte Faktor, der Sozialiıs-
mus, die machtvollste Form gewesen sei, welche die einheitsfeindliche und
antiliberale Reaktion angenommen habe (was eine Dummlheit ist und nicht
mit anderen Urteilen von Missiroli selbst übereinstimmt, wonach der
Sozialismus dem Staat die zuvor abwesenden und gleichgültigen Volks-
kräfte zugeführt hat). Wie Missiroli selbst schreibt: »Der Sozialismus stärkte
nicht nur die politische Leidenschaft nicht (!?), sondern half mächtig, sie
auszulöschen; er war die Partei der Armen und der ausgehungerten Ple-
bejer: die ökonomischen Fragen sollten rasch die Oberhand gewinnen, die
politischen Prinzipien den materiellen Interessen das Feld überlassen (!?)«;
man bewirkte »einen Aufschub, indem man die Massen zu ökonomischen
Eroberungen anfeuerte und alle institutionellen Fragen aussparte«. Der
Sozialismus machte also den (umgekehrten) Fehler der berühmten Minder-
heit: diese sprach nur von abstrakten Ideen und von politischen Institutio-
nen, jener vernachlässigte die Politik um der bloßen Ökonomie willen.
Zwar lobt Missiroli an anderer Stelle gerade deshalb die reformistischen
Führer usw.; diese Motive rühren von Oriani und den Republikanern her
und wurden auf oberflächliche Weise und ohne Verantwortungsgefühl
übernommen.

In Wirklichkeit ist Missiroli nur das, was man einen glänzenden Schreiber
nennt: man hat den begründeten Eindruck, dass er auf seine Ideen, Italien
und alles pfeift: ihn interessiert nur das augenblickliche Spiel mit einigen
Heft 19-$5 1927

abstrakten Begriffen, und ihn interessiert, immer wieder mit einer neuen
Kokarde an der Brust auf die Füße zu fallen (Missiroli, das Stehaufmänn-
chen).

Muss die politische Bewegung, die zur nationalen Einigung und zur For-
' mierung des italienischen Staates führte, notwendigerweise in den Natio-
nalismus und den militaristischen Imperialismus übergehen? Man kann
behaupten, dass dieser Übergang anachronistisch und antihistorisch ist
(d.h. künstlich und kurzatmig); er ist wirklich gegen alle italienischen
Traditionen, die römischen zuerst, dann die katholischen. Die Traditionen
sind kosmopolitisch. Dass die politische Bewegung gegen die Traditionen
reagieren und Anlass zu einem Nationalismus nach Intellektuellenart
geben musste, lässt sich erklären, aber es handelt sich nicht um eine orga-
nisch-populare Reaktion. Im übrigen versuchen auch im Risorgimento
Mazzini-Gioberti, die Nationalbewegung auf die kosmopolitische Tra-
dition aufzupfropfen, den Mythos einer Mission des wiedergeborenen
Italiens in einer neuen europäischen und weltweiten Kosmopolis zu
schaffen, doch handelt es sich um einen rein verbalen und rhetorischen My-
thos, der auf die Vergangenheit und nicht auf die bereits herausgebildeten
oder in Entwicklung begriffenen Bedingungen der Gegenwart gegründet
ist (derartige Mythen sind immer ein Ferment der ganzen italienischen Ge-
schichte gewesen, auch der jüngsten von Q. Sella bis Enrico Corradini und
D’Annunzio). Weil ein Ereignis in der Vergangenheit aufgetreten ist, heißt
das nicht, dass es in der Gegenwart und in der Zukunft wieder auftreten
muss; die Bedingungen für eine militärische Expansion in der Gegenwart
und in der Zukunft bestehen nicht, und sie scheinen auch nicht in Entwick-
lung begriffen. Die moderne Expansion ist finanzkapitalistischer Art. In der
italienischen Gegenwart ist das Element »Mensch« entweder »Mensch-
Kapital«, oder es ist »Mensch-Arbeit«. Die italienische Expansion kann nur
die des Menschen-Arbeit sein, und der Intellektuelle, der den Menschen-
Arbeit repräsentiert, ist nicht der traditionelle, von Rhetorik und papierenen
Erinnerungen an die Vergangenheit aufgeblasene. Aus dem traditionellen
italienischen Kosmopolitismus müsste ein Kosmopolitismus moderner
Art werden, dergestalt, dass er dem italienischen Menschen-Arbeit die
besten Entwicklungsbedingungen garantiert, in welchem Teil der Welt er
sich auch befinden möge. Nicht der Weltbürger als civis romanus* oder
Katholik, sondern als Produzent von Kultur. Deshalb kann man behaupten,
dass die italienische Tradition sich dialektisch im arbeitenden Volk und
in dessen Intellektuellen fortsetzt, nicht im traditionellen Bürger und im

* Lat.:»römischer Bürger«.
1928 Neunzehntes Heft

traditionellen Intellektuellen. Das italienische Volk ist das Volk, das »natio-
nal« am meisten an einer modernen Form von Kosmopolitismus interes-
siert ist. Nicht nur der Arbeiter, sondern auch der Bauer, und besonders
der Bauer des Südens. Daran mitzuwirken, die Welt ökonomisch auf ein-
heitliche Weise zu rekonstruieren, liegt in der Tradition des italienischen
Volkes und der italienischen Geschichte, nicht um sie hegemonisch zu be-
herrschen und sich die Früchte fremder Arbeit anzueignen, sondern um
eben als italienisches Volk zu sein und sich zu entwickeln: es lässt sich zeigen,
dass Cäsar am Anfang dieser Tradition steht. Der Nationalismus fran-
zösischer Machart ist ein anachronistischer Auswuchs in der italienischen
Geschichte, Leuten eigen, die den Kopf nach hinten gewandt haben wie
die Verdammten bei Dante. Die »Mission« des italienischen Volkes liegt in
der Wiederaufnahme des römischen und mittelalterlichen Kosmopolitis-
mus, aber in seiner modernsten und fortgeschrittensten Form. Sei es auch
eine proletarische Nation, wie Pascoli wollte; proletarisch als Nation, weil
sie die Reservearmee ausländischer Kapitalismen gewesen ist, weil sie der
ganzen Welt Arbeitskräfte geliefert hat zusammen mit den slawischen
Völkern. Gerade deswegen muss sie sich in die moderne Kampffront ein-
fügen, um auch die nichtitalienische Welt zu reorganisieren, zu deren
Schaffung sie mit ihrer Arbeit beigetragen hat, usw.

$(6). Die italienische Frage. Anzusehen sind die vom Außenminister


Dino Grandi 1932 im Parlament gehaltenen Reden und die Diskussionen,
die durch diese Reden in der italienischen und internationalen Presse
ausgelöst wurden‘. Grandi stellte die italienische Frage als Weltfrage,
die notwendigerweise zusammen mit den anderen zu lösen ist, die den
politischen Ausdruck der allgemeinen Krise der Nachkriegszeit bilden,
die sich 1929 gleichsam katastrophenartig verschärft hat, und zwar: mit
dem französischen Problem der Sicherheit, dem deutschen Problem der
Gleichberechtigung, dem Problem einer Neuordnung der Donau- und
Balkanstaaten. Der Ansatz Grandis ist ein geschickter Versuch, jeglichen
zur Lösung dieser Probleme einberufenen Weltkongress (und jeden Ver-
such der normalen diplomatischen Aktivität) zu zwingen, sich mit der
»italienischen Frage« als einem Grundelement des Wiederaufbaus und
der Befriedung Europas und der Welt zu beschäftigen. Worin besteht die
italienische Frage nach diesem Ansatz? Sie besteht darin, dass das Be-
völkerungswachstum im Gegensatz zur relativen Armut des Landes steht,
und d.h. im Vorhandensein einer Übervölkerung. Italien müsse daher
die Möglichkeit gegeben werden, sich sowohl wirtschaftlich als auch
demographisch usw. auszudehnen. Es scheint aber nicht, dass die so
Heft 19-$5-$6 1929
gestellte Frage leicht zu lösen ist und nicht zu grundsätzlichen Einwänden
Anlass geben könnte. Wenn es stimmt, dass die allgemeinen internationalen
Verhältnisse, so wie sie sich nach 1929 immer mehr verfestigen, sehr
ungünstig für Italien sind (vor allem der ökonomische Nationalismus und
der »Rassismus«, welche die freie Zirkulation nicht nur der Waren und des
Kapitals, sondern vor allem der menschlichen Arbeit verhindern), kann
auch gefragt werden, ob die italienische Politik nicht selbst dazu beigetragen
hat und weiterhin beiträgt, derartige neue Verhältnisse hervorzurufen und
zu verfestigen. Die Hauptuntersuchung muss wohl in folgende Richtung
gehen: ist die niedrige Pro-Kopf-Rate beim Nationaleinkommen auf die
»natürliche« Armut des Landes zurückzuführen oder auf gesellschaftlich-
geschichtliche Bedingungen, die von einer bestimmten politischen Rich-
tung geschaffen und aufrechterhalten werden und aus der Volkswirtschaft
ein Fass der Danaiden machen? Kostet nicht etwa der Staat zuviel, wenn
man unter Staat, wie es erforderlich ist, nicht nur die Verwaltung der staat-
lichen Dienste versteht, sondern auch das Ensemble der Klassen, aus denen
er sich im engeren Sinn zusammensetzt und die ihn beherrschen? Lässt
sich daher denken, dass ohne eine Veränderung dieser inneren Verhältnisse
die Situation sich zum Besseren wenden könnte, auch wenn sich inter-
national die Verhältnisse verbesserten? Es kann auch angemerkt werden,
dass die Projektion der Frage aufs internationale Feld ein politisches Alıbı
gegenüber den Massen des Landes sein kann.

Dass das Nationaleinkommen niedrig ist, kann eingeräumt werden, aber


wird es dann nicht von zuviel passiver Bevölkerung zerstört (verschlungen),
wodurch jede fortschreitende Kapitalisierung, selbst mit verlangsamtem
Rhythmus, unmöglich wird? Demnach muss die demographische Frage
ihrerseits analysiert werden, und man muss feststellen, ob die demographi-
sche Zusammensetzung auch für ein kapitalistisches und Eigentumsregime
»gesund« ist. Die »natürliche« relative Armut der einzelnen Länder hat in
der modernen Zivilisation (und in normalen Zeiten) eine ebenfalls relative
Bedeutung; sie wird höchstens bestimmte Grenznutzenprofite aufgrund
der geographischen »Lage« verhindern. Der nationale Reichtum ist durch
die internationale Arbeitsteilung bedingt und dadurch, es verstanden zu
haben, unter den Möglichkeiten, die diese Teilung bietet, die rationellste
und einträglichste für jedes gegebene Land auszuwählen. Es handelt sich
folglich im wesentlichen um »Führungsfähigkeit« der ökonomisch herr-
schenden Klasse, um ihren Unternehmungs- und Organisationsgeist. Wenn
diese Eigenschaften fehlen, und der Wirtschaftsbetrieb im wesentlichen
auf den Raubbau an den produktiven und arbeitenden Klassen gegründet
ist, kann kein internationales Abkommen die Situation retten.
1930 Neunzehntes Heft

Es gibt in der modernen Geschichte kein Beispiel für »Besiedlungs«-


Kolonien; es hat nie welche gegeben. Die Auswanderung und die Kolonisa-
tion folgen dem Fluss der Kapitalien, die in den verschiedenen Ländern
investiert werden, und nicht umgekehrt. Die gegenwärtige Krise, die sich
vor allem als Einbruch der Rohstoff- und Getreidepreise manifestiert,
zeigt, dass das Problem eben nicht eines des »natürlichen« Reichtums für
die verschiedenen Länder der Welt ist, sondern der gesellschaftlichen
Organisation und Umwandlung der Rohstoffe für bestimmte Zwecke und
nicht für andere. Dass es sich um wirtschaftspolitische Organisation und
Orientierung handelt, geht auch daraus hervor, dass es in jedem Land mit
moderner Zivilisation in gewissen Phasen seiner wirtschaftlichen Ent-
wicklung »Auswanderung« gegeben hat, aber diese Auswanderung hat
dann aufgehört und ist oftmals wieder absorbiert worden.
Dass man die inneren Verhältnisse nicht ändern (und auch nicht rational
berichtigen) will (oder nicht kann), ergibt sich aus der Politik der Staats-
verschuldung, die ständig das Gewicht der »demographischen« Passivität
erhöht, gerade wenn der aktive Teil der Bevölkerung durch die Arbeits-
losigkeit und durch die Krise eingeschränkt wird. Das Nationaleinkommen
sinkt, die Parasiten nehmen zu, das Sparaufkommen schrumpft, wird dem
Produktionsprozess entzogen und in die Staatsschuld zurückgeleitet, also
zur Ursache für neues relatives und absolutes Parasitentum gemacht.

$(7). Über die nationale Wirtschaftsstruktur. Inder »Riforma Sociale«


vom Mai-Juni 1932 ist eine Rezension des Buches von Rodolfo Morandıi
erschienen (Geschichte der Großindustrie in Italien, Verl. Laterza, Bari,
1931), eine Rezension, die einige methodische Anregungen von gewissem
Interesse enthält (die Rezension ist anonym, doch könnte als Autor Prof.
De Viti De Marco identifiziert werden).
Vor allem wird Morandi vorgehalten, er berücksichtige nicht, was die
italienische Industrie gekostet hat: »Dem Ökonomen reicht es nicht, dass
ihm Fabriken vorgezeigt werden, die Tausenden von Arbeitern Arbeit
geben, Urbarmachungen, die kultivierbares Land schaffen und andere
ähnliche Fakten, mit denen sich die Öffentlichkeit normalerweise in ihren
Urteilen über ein Land, über eine Epoche zufriedengibt. Der Ökonom
weiß genau, dass dasselbe Ergebnis eine Verbesserung oder eine Ver-
schlechterung einer bestimmten ökonomischen Situation darstellen kann,
je nachdem, ob es mit einer Gesamtheit kleinerer oder größerer Opfer
erzielt worden ist«.
Heft 19-$6-$7 1931
(Das allgemeine Kriterium ist richtig, dass der Kostenpunkt für die Ein-
führung einer bestimmten Industrie im Land untersucht werden muss,
wer die Kosten getragen hat, wer Vorteile daraus gezogen hat und ob die
erbrachten Opfer in einer anderen Richtung nicht hätten nützlicher sein
können, aber diese ganze Untersuchung muss in einer nicht unmittelbaren,
sondern weitreichenden Perspektive vorgenommen werden. Im übrigen
ist das Kriterium der ökonomischen Nützlichkeit allein nicht ausreichend,
um den Übergang von einer Form der Wirtschaftsorganisation zu einer
anderen zu untersuchen; auch das politische Kriterium muss berücksichtigt
werden, d.h. ob der Übergang objektiv notwendig gewesen ist und einem
gesicherten allgemeinen, wenn auch langfristigen Interesse entsprochen hat.
Dass die Einigung der Halbinsel aufgrund der unabdingbaren Notwendig-
keiten eines modernen Staates einem Teil der Bevölkerung Opfer abver-
langen musste, ist zuzugeben; man muss aber untersuchen, ob diese Opfer
gerecht verteilt worden sind und inwieweit man sie sich hätte ersparen
können und ob sie in der richtigen Richtung gelegen haben. Dass die Ein-
führung und die Entwicklung des Kapitalismus in Italien nicht von einem
nationalen Standpunkt erfolgte, sondern von beschränkten regionalen
Standpunkten und von denen begrenzter Gruppen, und dass er vor seinen
Aufgaben großteils versagt hat, womit er eine krankhafte Auswanderung,
die nie wieder absorbiert worden ist und die immer notwendig blieb, aus-
gelöst und ganze Regionen ökonomisch ruiniert hat, ist völlig sicher. Die
Auswanderung muss in der Tat einerseits als ein Phänomen absoluter
Arbeitslosigkeit betrachtet werden und andererseits als Manifestation der
Tatsache, dass das inländische Wirtschaftsregime keinen Lebensstandard
garantierte, der dem internationalen in dem Maße nahegekommen wäre,
dass die bereits beschäftigten Arbeiter die mit dem Verlassen des eigenen
Landes verbundenen Risiken und Opfer nicht vorgezogen hätten).

Morandi gelingt es nicht, die Bedeutung des Protektionismus in der


Entwicklung der italienischen Großindustrie einzuschätzen. So wirft
Morandi der Bourgeoisie absurderweise »den erklärten, äußerst unseligen
Entschluss vor, das heilsame Abenteuer des Südens nicht versucht zu haben,
wo die landwirtschaftliche Produktion die großen Anstrengungen, die sie
dem Menschen abverlangt, schlecht entgelten kann«. Morandi fragt sich
nicht, ob das Elend des Südens nicht durch die protektionistische Gesetz-
gebung bedingt war, welche die industrielle Entwicklung des Nordens
erlaubt hat, und wie ein inländischer, mit Zöllen und anderen Privilegien
auszubeutender Markt hätte existieren können, wenn das Protektions-
system auf die ganze Halbinsel ausgedehnt und die ländliche Ökonomie
des Südens in eine industrielle Ökonomie umgewandelt worden wäre
1932 Neunzehntes Heft

(allerdings ist ein derartiges gesamtitalienisches protektionistisches Regime


denkbar als ein System, um gewissen gesellschaftlichen Gruppen be-
stimmte Einkommen zu garantieren, d.h. als ein »Lohnregime<; und etwas
von dieser Art kann man im Schutz des Getreides sehen, der mit dem in-
dustriellen Schutz verbunden ist und nur zugunsten der Großgrundbesitzer
und der Mühlenindustrie funktioniert usw.). Morandi wird die übermäßige
Strenge vorgeworfen, mit der er Menschen und Dinge der Vergangenheit
beurteilt und verurteilt, denn es reicht, einen Vergleich zwischen den Ver-
hältnissen vor und nach der Unabhängigkeit anzustellen, um zu sehen,
dass immerhin etwas getan worden ist.
Es scheint zweifelhaft, ob man eine Geschichte der Großindustrie
schreiben kann, wenn man von den Hauptfaktoren abstrahiert (demogra-
phische Entwicklung, Finanz- und Zollpolitik, Eisenbahnen usw.), die
dazu beigetragen haben, die ökonomischen Merkmale des betrachteten
Zeitraums zu bestimmen (sehr richtige Kritik; ein Großteil der Aktivität
der historischen Rechten von Cavour bis 1876 galt tatsächlich der Schaffung
der allgemeinen technischen Voraussetzungen, unter denen eine Groß-
industrie möglich war und ein Großkapitalismus sich ausbreiten und
gedeihen konnte; erst mit dem Machtantritt der Linken und besonders mit
Crispi kommt es zur »Fabrikation der Fabrikanten« durch den Protektio-
nismus und die Privilegien jeglicher Art. Die auf Ausgleich gerichtete
Finanzpolitik der Rechten macht die darauffolgende »produktivistische«
Politik möglich). »So ist zum Beispiel nicht verständlich, wieso es noch in
den ersten Jahrzehnten nach der Einigung in der Lombardei einen so großen
Überschuss an Arbeitskräften gab und folglich das Lohnniveau so niedrig
blieb, wenn man den Kapitalismus als einen Polypen darstellt, der seine
Fangarme ausstreckt, um immer neue Beute auf dem Land zu machen,
anstatt die Veränderung zu berücksichtigen, die zur gleichen Zeit in den
Agrarverträgen und allgemein in der ländlichen Ökonomie stattfindet.
Und es ist leicht, simplifizierend auf die Sturheit und die geistige Borniert-
heit der Herrschaftsklassen zu schließen, indem man auf den Widerstand
verweist, den sie jeder Forderung nach Verbesserung der Lage der arbeiten-
den Klassen entgegensetzen, wenn man sich nicht auch vergegenwärtigt,
was der Bevölkerungszuwachs im Vergleich zur Bildung neuer Kapitalien
gewesen ist«. (Die Frage ist jedoch nicht so einfach. Die Spar- oder
Kapitalisierungsquote war niedrig, weil die Kapitalisten das ganze Erbe
des Parasitentums der vorangegangenen Epoche bewahren wollten, damit
die politische Kraft ihrer Klasse und ihrer Verbündeten nicht schwand).
Kritik an der von Morandi gegebenen Definition von »Großindustrie«,
der — wer weiß warum - aus seiner Studie viele der wichtigsten industriellen
Heft 19-$7 1933
Tätigkeiten ausgeschlossen hat (Transportwesen, Lebensmittelindustrie
usw.). Übermäßige Sympathie Morandis für die riesigen industriellen
Organismen, die zu häufig ohne weiteres als überlegene Formen öko-
nomischer Tätigkeit betrachtet werden, obwohl an die katastrophalen
Zusammenbrüche der Ilva, der Ansaldo, der Banca di Sconto, der Snia
Viscosa, der Italgas erinnert wird. »Ein weiterer Streitpunkt, der hervor-
gehoben zu werden verdient, weil er aus einem weit verbreiteten Irrtum
entsteht, ist die Ansicht des Verf., dass ein Land notwendig durch die Kon-
kurrenz der anderen Länder erdrückt werden muss, wenn es nach ihnen
mit der eigenen industriellen Organisation beginnt. Diese wirtschaftliche
Unterlegenheit, zu der auch Italien verurteilt sei, scheint keineswegs
bewiesen, weil die Bedingungen des Marktes, der Technik, der politischen
Ordnungen sich in ständiger Bewegung befinden und die zu erreichenden
Ziele und einzuschlagenden Wege sich folglich so häufig und unversehens
verschieben, dass sich Individuen und Völker im Vorteil befinden können,
die weiter zurückgeblieben waren oder sich fast gar nicht bewegt hatten.
Wenn dem nicht so wäre, ließe sich kaum erklären, wie ständig neue In-
dustrien neben den älteren eines selben Landes entstehen und gedeihen
können und wie sich die enorme industrielle Entwicklung Japans am Ende
des letzten Jahrhunderts hat vollziehen können«. (In dieser Hinsicht
müsste untersucht werden, ob viele italienische Industrien, anstatt auf
der Basıs der fortgeschrittensten Technik im fortgeschrittensten Land zu
entstehen, wie es vernünftig gewesen wäre, nicht mit den verschlissenen
Maschinen anderer Länder entstanden sind, die zwar billig erworben
wurden, aber nunmehr überholt sind, und ob diese Tatsache sich nicht
»nützlicher« für die Industriellen darstellte, die mehr auf den niedrigen
Preis der Arbeitskraft und auf die Regierungsprivilegien spekulierten als
auf eine technisch vervollkommnete Produktion.)

In seiner Analyse des Berichts der Banca Commerciale Italiana vor der
Gesellschafterversammlung für das Geschäftsjahr 1931 schreibt Attilio
Cabiati (in der »Riforma Sociale«, Juli-August 1932, S. 464): »Aus diesen
Betrachtungen tritt der grundlegende Mangel, der das Wirtschaftsleben
Italiens immer belastet hat, deutlich hervor: die Schaffung und Erhaltung
eines industriellen Gefüges, das sowohl die Schnelligkeit in der Bildung des
Sparaufkommens im Land als auch die Aufnahmefähigkeit der inländischen
Konsumenten zu sehr überfordert; das folglich zu einem beträchtlichen
Teil nur durch die Kraft des Protektionismus und der staatlichen Hilfen
unterschiedlicher Art lebt. Aber der einheimische Protektionismus, der ın
manchen Fällen hundert Prozent des internationalen Marktwertes des Pro-
dukts erreicht und übersteigt, verlangsamte, indem er das Leben verteuerte,
1934 Neunzehntes Heft

seinerseits die Bildung des Sparaufkommens, das noch dazu der Industrie
vom Staat selbst streitig gemacht wurde, der oft von seinen in keinem Ver-
hältnis zu unserem industriellen Gefüge stehenden Bedürfnissen dazu
getrieben wurde. Der Krieg, der dieses Gefüge über alle Maßen ausdehnte,
zwang unsere Banken, wie der oben zitierte Bericht sagt, »zu einer mutigen
und beharrlichen Finanzpolitik<, die darin bestand, >»ım Turnus< beim Aus-
land Anleihen aufzunehmen, um zu längerer Laufzeit im Inland zu ver-
leihen. »Eine solche Finanzpolitik hatte jedoch - sagt der Bericht - ihre
natürliche Grenze in der Notwendigkeit für die Banken, um jeden Preis
angemessene flüssige oder leicht zu realisierende Investitionsreserven zu
bewahren«. Als die Weltwirtschaftskrise ausbrach, konnten die flüssigen In-
vestitionen« nur zu einem außerordentlichen Diskontsatz realisiert werden:
das Sparaufkommen im Ausland floss nicht mehr: die nationalen Industrien
konnten nicht zurückzahlen. So dass, exceptis excipiendis*, das italienische
Bankensystem sich in einer unter mehreren Gesichtspunkten identischen
Situation befand wie der englische Finanzmarkt Mitte 1931. ...(der) alte
(Fehler) bestand darin, dass man einem industriellen Organismus hatte
Leben verleihen wollen, der in keinem Verhältnis zu unseren Kräften stand
und mit dem Ziel geschaffen worden war, uns »vom Ausland unabhängig«
zu machen: ohne zu bedenken, dass wır in dem Maße, in dem wir hinsicht-
lich der Produkte nicht vom Ausland »abhingens, hinsichtlich des Kapitals
. a. . 2
immer abhängiger wurden«“.

Es stellt sich die Frage, ob bei einem anderen Stand der Dinge die industri-
elle Basis des Landes erweitert werden kann, ohne in puncto Kapitalien
aufs Ausland zurückzugreifen. Das Beispiel anderer Länder (Japan zum
Beispiel) zeigt, dass dies möglich ist: jede Gesellschaftsform hat ihr Gesetz
der Akkumulation von Ersparnissen, und es ist anzunehmen, dass sich
auch in Italien eine raschere Akkumulation erreichen lässt. Italien ist das
Land, das unter den vom Risorgimento und dessen Verlaufsform geschaf-
fenen Bedingungen die größte Last an parasitärer Bevölkerung trägt, die
nämlich lebt, ohne im geringsten am produktiven Leben teilzunehmen,
es ist das Land mit dem größten Anteil einer ländlichen und städtischen
klein- und mittelständischen Bourgeoisie, die einen großen Anteil des Na-
tionaleinkommens verzehrt und einen für die nationalen Erfordernisse
unzureichenden Teil davon spart.

* Lat.:»Mit Ausnahme der Ausnahmen«.


Heft 19-$ 7-89 1935

$(8). Die Sekten im Risorgimento. Vgl. Pellegrino Nicolli, Die


Karboneria in Italien, Vicenza, Cristofari-Verlag, 1931. Nicolli sucht in
der Karboneria die verschiedenen Strömungen zu unterscheiden, aus
denen sie sich häufig zusammensetzte, und einen Überblick über die ver-
schiedenen Sekten zu geben, von denen es in Italien in der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts wimmelte. Aus einer im »Marzocco« vom 25. Oktober
1931 veröffentlichten Rezension über Nicollis Buch entnimmt man fol-
genden Abschnitt: »Es ist ein Wirrwarr von seltsamen Namen, Symbolen,
Riten, deren Ursprünge in den meisten Fällen unbekannt sind; ein wirres
Gemisch disparater Ziele, die sich nicht nur von Bund zu Bund, sondern
auch innerhalb desselben Bundes unterscheiden, der nach Zeit und Lage
Methoden und Programme ändert. Vom vagen Nationalgefühl gelangt
man zu den Verirrungen des Kommunismus, und umgekehrt gibt es Sekten,
die, während sie sich von denselben Systemen inspirieren lassen wie die
Revolutionäre, die Verteidigung von Thron und Altar übernehmen. Revo-
lution und Reaktion haben es anscheinend nötig, sich auf einem abgeschlos-
senen Feld zu bekämpfen, in das kein profaner Blick dringt, während sie
beim Licht qualmender Fackeln Verschwörungen anzetteln und Dolche
schwingen. Einen Faden, der uns mitten in dieses Labyrinth führte, gibt es
nicht, und es ist nutzlos, ıhn von Nicolli zu fordern, der dennoch sein
Bestes getan hat, um ihn zu finden. Auch wenn man nur die Karboneria
berücksichtigt, die in gewisser Weise den großen Strom bildet, dem alle
anderen Geheimbünde zufließen«. Nicolli hat sich vorgenommen, »knapp
zusammenzufassen, was von tüchtigen Historikern bisher geschrieben
worden ist« über die Geheimbünde im Risorgimento.
Man kann anmerken: 1. dass die Vielfalt der Sekten, der Programme und
der Methoden, davon abgesehen, dass sie sich dem geheimen Charakter
der Sektenbewegung verdankt, sich zweifellos auch der Primitivität
der Bewegung selbst verdankt, d.h. dem Fehlen starker und verwurzelter
Traditionen und folglich dem Fehlen eines festen »zentralen« Organismus
mit fester Ausrichtung; 2. die Vielfalt kann aufgrund der übermäßigen
Gelehrtenpedanterie des Forschers »krankhafter« scheinen als sie in Wirk-
lichkeit ist: tatsächlich gibt es zu jeder Zeit in einem höheren Maße, als
man gemeinhin vermutet, bizarre und eigenartige »Sekten«-Bewegungen,
auf die man auch nicht achtet.

$(9). Populare Strömungen im Risorgimento. Carlo Bini (vgl. Die


schönsten Seiten von Carlo Bini, zusammengestellt von Dino Provenzal) .
u * 1
.. ” . *

Giovanni Rabizzani verweist in einer Studie über Laurence Sterne ın


1936 Neunzehntes Heft

Italien (vielleicht in der Reihe »Italien in den Werken ausländischer


Schriftsteller« des Verlags Rocco Carabba)” auf Bini und hebt einen bemer-
kenswerten Gegensatz zwischen den beiden hervor: Sterne mehr zu
Gefühlsanalysen neigend und weniger skeptisch, Bini aufmerksamer für
soziale Probleme, so dass Rabizzani ihn sogar einen Sozialisten nennt‘.
Jedenfalls ist festzuhalten, dass Livorno eine der ganz wenigen Städte
war, die 1848-49 eine tiefgreifende Volksbewegung erlebte, ein Auftreten
von plebejischen Massen, das weitreichende Auswirkungen in der ganzen
Toskana hatte und die moderaten und konservativen Gruppen in Schrecken
versetzte (G. Giustis Erinnerungen erwähnen)‘. Bini ist daher, neben
Montanelli, im Rahmen des toskanischen 1849 zu sehen.

$(10). Die Schriften von Pater Carlo Maria Curci. Die Schriften von
Pater Curci nach seinem Übertritt zum liberalen Katholizismus sind nütz-
lich zur Rekonstruktion der italienischen Situation um 1880. Der Übertritt
Curcis, eines berühmten und kämpferischen Jesuiten der »Civilta Catto-
lica«, stellt nach 1870 einen der größten Schläge dar, den die vatikanische
Boykottpolitik gegen den neuen Einheitsstaat erhalten hat, und den Beginn
des molekularen Prozesses, der die katholische Welt umformen sollte, bis
hin zur Gründung des Partito Popolare. Einige Schriften von Pater Curci
nach dem Übertritt: Der heutige Zwiespalt zwischen Kirche und Staat,
betrachtet an einem Einzelfall’, 2. verbesserte und erweiterte Aufl., in 8°,
XI1+276 S., 1878, 4,50 L.; Das neue Italien und die alten Zeloten. Studien
zum Nutzen der Ordnung der Parteien im italienischen Parlament”, in 8°,
VIII+256 S., 1881, 5,25 L.; Der Königliche Vatikan, ein überlebender
Holzwurm der Katholischen Kirche. Dem jungen Klerus und dem gläubigen
Laienstand gewidmete Studien, in 8°, VIII+336 S., 1883, 4,50 L.; Der
Skandal des Königlichen Vatikans, und wozu die Vorsehung ihn braucht,
in 8°, XVI+136 $., 1884, 2,25 L. (Diese Bücher sind noch bei der Turiner
Utet erhältlich, nach dem Katalog von 1928).

$(11). Populare Merkmale des Risorgimento. Freiwillige und Teilnahme


des Volkes. Inder Nummer der »Gioventü Fascista« vom 24. Mai (abge-
druckt im »Corriere della Sera« vom 21. Mai 1932) ist folgende Botschaft
des Ministers Balbo erschienen: »Die echten Schöpfungen der Geschichte
und Zivilisation Italiens, seit dem Tag, als es aus dem Jahrhundertschlaf
erwachte, bis heute, sind dem Freiwilligendienst der Jugend zu verdanken.
Garibaldis heilige Kanaille, der heroische Kriegseintritt von (19)15, die
Heft 19- $9-$12 1937
Schwarzhemden der Faschistischen Revolution haben Italien Einheit und
Macht verliehen, haben aus einem zersplitterten Volk eine Nation gemacht.
Den Generationen, die jetzt unter dem Zeichen des Liktorenbündels ins
Leben treten, gebührt die Aufgabe, dem neuen Jahrhundert den Namen
Roms zu geben«. Die Behauptung, das moderne Italien habe sich durch
den Freiwilligendienst ausgezeichnet, ist richtig (es lässt sich der Arditis-
mus” im Krieg hinzufügen), doch ist anzumerken, dass der Freiwilligen-
dienst bei all seinem historischen Wert, der nicht gemindert werden soll,
ein Ersatz für die Teilnahme des Volkes gewesen ist, und in diesem Sinn
stellt er eine Kompromisslösung mit der Passivität der nationalen Massen
dar. Freiwilligendienst-Passivität passen besser zusammen, als man glaubt.
Die Lösung mit dem Freiwilligendienst ist eine autoritäre Lösung, von
oben, formal legitimiert durch den Konsens der sogenannten »Besten«.
Aber um Geschichte auf Dauer zu konstruieren, genügen die »Besten«
nicht, bedarf es der umfassendsten und zahlreichsten popular-nationalen
Energien.

$(12). Die geopolitische Lage Italiens. Die Möglichkeit der Blockaden.


Auf der sechsten Sitzung der Washingtoner Konferenz (23. Dezember
1921) sagte der englische Gesandte Balfour mit Bezug auf Italien: »Italien
ist keine Insel, kann aber als Insel angesehen werden. Ich entsinne mich
der extremen Schwierigkeit, die wir damit gehabt haben, es während des
Krieges auch nur mit der notwendigsten Kohle zu versorgen, um seine
Aktivität, seine Arsenale und seine Werkstätten in Gang zu halten. Ich
bezweifle, dass es sich ernähren und versorgen oder fortfahren kann, eine
effektive Kampfeinheit zu sein, wenn es wirklich einer Blockade unter-
worfen und sein Seehandel gestoppt würde. Italien hat fünf Nachbarn im
Mittelmeer. Ich hoffe und glaube, dass der Frieden, ewiger Frieden, in den
alten Heimstätten der Kultur herrschen kann. Aber wir stellen eine kühle
und berechnende Prüfung an wie irgendein Mitglied des Allgemeinen
Generalstabs. Dieses würde, wenn es das Problem ohne jedes politische
Vorurteil und nur als strategische Frage betrachtet, zu Italien sagen: Ihr
habt fünf Nachbarn, von denen jeder, wenn er wollte, eine Blockade eurer
Küsten beschließen kann, ohne ein einziges Überwasserschiff einzusetzen.
Es wäre nicht nötig, dass er Truppen an Land setzt und eine Schlacht liefert.
Ihr würdet untergehen, ohne erobert worden zu sein«'. (Balfour sprach
besonders unter dem Eindruck des U-Bootkrieges und vor den großen
Fortschritten, erzielt von den Bombergeschwadern, die wohl keine gegen
Vergeltungsmaßnahmen gefeite Blockade erlauben können; dennoch ist
seine Analyse unter einigen Gesichtspunkten ziemlich richtig).
1938 Neunzehntes Heft

$(13). Veröffentlichung und Prüfung der Bücher und Memoiren der


Antiliberalen und Franzosengegner in der Periode der Französischen Re-
volution und Napoleons und Reaktionäre in der Periode des Risorgimento.
Sie sind notwendig, insofern auch die gegnerischen Kräfte der liberalen
Bewegung in Italien ein Teil und ein nicht zu vernachlässigender Aspekt
der Wirklichkeit waren, jedoch sind dabei einige methodische Kriterien zu
berücksichtigen: 1. einige Neuauflagen wie die des Memorandums von
Solaro della Margarita und vielleicht auch die von Lovera di Castiglione
und dem Jesuiten Ilario Rinieri herausgegebenen Bände’ verfolgen entweder
einen aktuellen Zweck, nämlich gewisse reaktionäre Tendenzen in der
Interpretation des Risorgimento zu stärken (vertreten durch die Jesuiten der
»Civilta Cattolica«), oder werden als Texte für das gegenwärtige Handeln
präsentiert (De Maistres Papst und das erwähnte Memorandum von
Solaro usw.)’. 2. Die Schilderungen der französischen Interventionen in
den verschiedenen Regionen Italiens während des Direktoriums und später
stammen sehr häufig nur von den Reaktionären: die »Jakobiner« traten in
den Kriegsdienst und hatten folglich anderes zu tun als Memoiren zu
schreiben: die Darstellungen sind daher immer tendenziös, und es wäre
sehr naiv, die Wahrheit anhand derartiger Literatur zu rekonstruieren.
Unter diesen Veröffentlichungen vgl. Ranuccio Ranieri, Die französische
Invasion in den Abruzzen 1798-99 und unveröffentlichte Memoiren aus
jener Zeit von Giovanni Battista Simone”, Pescara, Verlag »Adriatico«,
1931. Aus der Erzählung Simones, Antijakobiner und Legitimist, geht
hervor, dass in Chieti-Stadt die jakobinischen Kräfte einiges leisteten, auf
dem Land aber die reaktionären Kräfte im Kampf gegen Chieti überwogen
(bis auf wenige Ausnahmen, die auf munizipale Rivalitäten und auf den
Wunsch zurückzuführen waren, Gelegenheit zur Rache zu haben). Interes-
santer als Simones pathetische und weitschweifige Memoiren scheint
Ranieris Darstellung zu sein, welche die Situation der Abruzzen in dieser
Geschichtsperiode rekonstruiert‘.

$(14). Karl Felix. Zulesen ist seine Biographie, die Francesco Lemmi
für die »Collana storica sabauda« des Verl. Paravia geschrieben hat. Einige
hervorstechende Punkte aus Lemmis Biographie: Karl Felix’ Abneigung
gegen die Carignano-Linie: in einigen von Karl Felix 1804 an den Bruder
Viktor Emanuel geschriebenen Briefen stehen »glühende« Worte gegen die
Eltern von Karl Albert, die von wer weiß welchem Groll diktiert sind
und soweit gehen, diese unerwünschte Nachfolge als eine Schmach zu
beschwören; Karl Felix und die Unruhen von 1821. Lemmi merkt an, dass
Heft 19- $13-$ 16 1939
Karl Felix nie eine italienische Politik betrieb, sondern nur darauf abzielte,
seine Besitzungen auszudehnen'.

$(15). Die Revolution von 1831. Im »Archiginnasio« (4-6, 26. Jg.,


1932) veröffentlicht und kommentiert Albano Sorbelli den Text des grund-
legenden politischen Plans der Revolution von 1831, den Ciro Menotti
verfasst hat. Das Dokument war bereits 1909 (?) von Enrico Ruffini im
»Archivio Emiliano del Risorgimento Nazionale«, Nr. 10 und 11, ver-
öffentlicht worden. Auch Arrigo Solmis Band über die Ereignisse von
(18)31 stützt sich auf diesen Plan. Jetzt hat man mit einem Reagenzmittel
Menbottis Schrift wiederherstellen und für das »Archiginnasio« fotografieren
können‘.

$(16). Prosper Merimee und das Jahr (18)48 in Italien. In der »Revue
des deux Mondes« (Nr. vom 15. Mai 1932) ist ein Bündel Briefe von
Prosper Merim&e an die Gräfin de Boigne (Verfasserin berühmter Me-
moiren) veröffentlicht. Über 48 in Italien: »Die Piemontesen kümmern
sich überhaupt nicht um unsere Hilfe, und wir hindern die Italiener daran,
ihnen zu Hilfe zu eilen, indem wir Unterstützung* durch unser unschlag-
bares Heer versprechen: ein Reisender, der aus der Lombardei kommt,
erzählt, dass das Land wie im tiefen Mittelalter in ebenso viele kleine
Republiken geteilt ist wie es Dörfer und Ortschaften gibt, die einander
feindlich gesonnen sind und nur darauf warten, zu den Waffen zu greifen«.
Merime&e war ein Verfechter der italienischen Einheit. (Er erzählt beißende
Anekdoten über die Situation in Frankreich: zum Beispiel glaubten die
Bauern, als sie für Louis Napoleon stimmten, dass sie für Napoleon I.
stimmten. Vergeblich versuchte man ihnen zu erklären, dass der Leichnam
des Kaisers im Invalidendom begraben liegt)".
Dass die Hoffnung auf eine mögliche Hilfe des französischen Heeres 48
dazu beigetragen hat, die Freiwilligenbewegung einzuschränken usw., ist
möglich, jedoch erklärt sie nicht die Tatsache, dass die Freiwilligen, die sich
gemeldet hatten, schlecht eingesetzt und schlecht behandelt wurden, sie
erklärt nicht die militärische Tatenlosigkeit von Piemont selbst und das
Fehlen einer klaren militärisch-politischen Führung, in dem in den folgen-
den Notizen erläuterten Sinn; ebensowenig erklärt sie die Losung »Italien
schafft es allein«'”.

* Gerratana verändert zu: »Verstärkung«; P (nach dem franz. Original des Briefes): »UUnterstützung«.
1940 Neunzehntes Heft

$(17). Martino Beltrani Scalia: Zeitungen in Palermo 1848-1849, mit


kurzen Hinweisen auf die der anderen wichtigsten Städte Italiens im selben
Zeitraum’, herausgegeben von seinem Sohn Vito Beltrani, Palermo,
Sandron, 1931. Es handelt sich um eine auf wenige Zeilen zusammen-
gedrängte Darstellung des Inhalts der einzelnen in Palermo 1848 und 1849
und auch im Jahr zuvor erschienenen Periodika sowie zahlreicher Zeitungen
des Festlands (aus Neapel, aus Rom, aus der Toskana, aus Piemont und der
Schweiz, das heißt von Mazzinis »Italia del Popolo«), eine Darstellung, die
im allgemeinen Tag für Tag gemacht wurde. Bei den nichtsizilianischen
Zeitungen liegt das Gewicht auf dem, was Sizilien betrifft. 1847 gab es in
Palermo gerade einmal sechs Zeitungen; 48-49 zählt Beltrani Scalia deren
einhunderteinundvierzig, und es ist nicht auszuschließen, dass ihm einige
entgangen sind. Aus den Zusammenfassungen von B.S. geht hervor, dass
Parteien von Dauer fehlen: es handelt sich zumeist um persönliche, sich oft
im selben Blatt widersprechende Meinungen. Die Abhandlung von B.S.
scheint zu beweisen, dass La Farina Recht hatte, als er in der Dokumentier-
ten Geschichte der sizilianischen Revolution schrieb, dass »die periodische
Presse bis auf wenige und ehrenwerte Ausnahmen niemals der Höhe ihres
Amtes entsprach: sie war Skandal, nicht Kraft«'.

$(18). Das Jahr 1849 in Florenz. In der »Rassegna Nazionale« (im


»Marzocco« vom 21. Februar 1932 wiedergegeben) veröffentlicht Aldo
Romano einen Brief von Ruggero Bonghi und einen von Cirillo Monzani*,
die 1849, während der Diktatur Guerrazzi-Montanelli', aus Florenz an
Silvio Spaventa geschrieben wurden und interessant sind, um die Haltung
der Moderati gegenüber der demokratischen Phase der revolutionären
Bewegung von 48-49 zu beurteilen. Es fällt auf, wie fremd diese beiden
Moderati den Ereignissen gegenüberstehen, nur als neugierige, aber übel-
wollende Zuschauer und nicht als beteiligte Akteure. Hier ein Stelle aus
Bonghi, die vierzehn Tage nach der Flucht des Großherzogs geschrieben
wurde, und zwar in brescianischem Stil: »Die republikanische Faktion ist
bestrebt, überall den Baum aufzurichten, der mit so wenig Anteilnahme in
Florenz aufgerichtet worden war, seit dem Abend, da man von der Prokla-
matıon De Laugiers erfuhr, und durch das Werk einiger Livornesen, die
man eigens dazu hat kommen lassen. Das Aufrichten stößt auf wenig oder
gar keinen Widerstand in den wichtigsten bzw. bevölkerungsreichsten
Städten; ganz anders dagegen in den kleineren Städten und mehr noch auf
dem Land. Gestern abend wollte man vor der Porta Romana aufrichten; da

* Im Ms.: »Montazio«.
Heft
19- $17-$ 19 1941
waren Hochrufe; dann Streit zwischen denen, die wollten, und denen, die
nicht wollten; dann Messerstiche und Gewehrschüsse; schließlich ein
großes Durcheinander. Die Bauern aus der Umgegend, im Glauben, dass
es ein Freudenfest wäre, das man für die Rückkehr des Großherzogs ver-
anstaltete, oder dass sie bereits für die Reaktion angestiftet und vorbereitet
worden waren oder wie auch immer, sie begannen ebenfalls, Leopold IT.
hochleben zu lassen, Schüsse abzugeben, Fahnen herauszuholen, Taschen-
tücher zu schwenken, Böller und ähnliches loszulassen«. Noch sympto-
matischer ist Monzanis* Schrift, die einen Schimmer davon vermittelt, was
die defätistische Propaganda der Moderati gewesen sein muss: »Blindheit
und, was schlimmer ist, böser Wille, Gerissenheit und Betrug scheinen mir
nicht zu überbieten zu sein. Es wird viel von Vaterland, von Freiheit ge-
sprochen, aber wenige tragen das Vaterland im Herzen und vermöchten
äußerste Opfer zu bringen und ihr Leben für seine Rettung aufs Spiel zu
setzen. Doch diese allerheiligsten Namen werden leider entweiht, und die
meisten bedienen sich ihrer als Scheffel (!)'‘, um entweder Macht oder
Reichtum zu erlangen. Vielleicht täusche ich mich, doch von denen Rettung
zu erwarten, wäre gleich viel wie sie vom Türken zu erwarten. Mir liegt
nicht daran, mich zu täuschen, und auch nicht, Trugbildern nachzulaufen,
denn zu sehr haben sich die Italiener in der Falle der Hirngespinste und der
Utopien gewisser Apostel fangen lassen, die unserem unglücklichen Vater-
land nun allzusehr schaden«.
Die beiden Briefe wurden Spaventa zum Zeitpunkt der Festnahme ab-
genommen. Die Bourbonen waren zu engstirnig, um sich ihrer gegen die
Liberalen zu bedienen, indem sie sie von ihren Schreiberlingen veröffent-
lichen und kommentieren ließen (sie hassten die Schreiberlinge zu sehr, um
welche im eigenen Dienst zu haben), sie beschränkten sich darauf, sie den
Akten des Spaventa-Prozesses beizufügen. (Die ganze Witzelei Bonghis
steckt in dem ständigen Wiederholen von »aufrichten« und »das Aufrich-
ten« nach Art der Neapolitaner).

$(19). Momente intensiv gemeinschaftlichen und einheitlichen Lebens


in der nationalen Entwicklung des italienischen Volkes. Im Ablauf des
nationalen Lebens von 1800 an alle Momente prüfen, in denen sich dem
italienischen Volk eine wenigstens potentiell gemeinsam zu lösende Aufga-
be gestellt hat, in denen folglich eine gemeinschaftliche (in Tiefe und in Aus-
dehnung) und einheitliche Aktion oder Bewegung hätte zustandekommen

* Im Ms.: »Montazio.«
1942 Neunzehntes Heft

können. Diese Momente können in den verschiedenen historischen Phasen


von unterschiedlicher Natur und von unterschiedlicher popular-nationaler
Bedeutung gewesen sein. Worauf es bei der Untersuchung ankommt, ist
der potentielle Charakter (und daher das Maß, in dem diese »Potentialität«
in die Tat umgesetzt worden ist) von Gemeinschaftlichkeit und Einheitlich-
keit, das heißt die territoriale Verbreitung (die Region, wenn nicht sogar
die Provinz entspricht diesem Erfordernis) und die Intensität hinsichtlich
der Masse (das heißt größere oder geringere Menge von Teilnehmern, der
größere oder geringere positive und auch aktiv negative Widerhall, den die
Bewegung in den verschiedenen Schichten der Bevölkerung gefunden hat).

Diese Momente können in Charakter und Natur unterschiedlich gewesen


sein: Kriege, Revolutionen, Volksabstimmungen, allgemeine Wahlen von
besonderer Bedeutung. Kriege: 1848-49, 1859, 1860, 1866, 1870, Afrika-
kriege (Eritrea und Libyen), Weltkrieg. Revolutionen: 1820-21, 1831,
1848-49, 1860, sızilianische Fascı, 1898, 1904, 1914, 1919-20, 1924-25.
Volksabstimmungen zur Herstellung des Königreichs: 1859-60, 1866,
1870. Allgemeine Wahlen mit unterschiedlicher Ausdehnung des Wahl-
rechts. Typische Wahlen: diejenige, welche 1876 die Linke an die Macht
bringt, die nach der Erweiterung des Wahlrechts nach 1880, die nach 1898.
Die Wahl von 1913 ist die erste Wahl mit hervorstechenden popularen
Merkmalen aufgrund der äußerst breiten Beteiligung der Bauern; die von
1919 ist die wichtigste von allen, wegen des proportionalen und auf die
Provinzen bezogenen Charakters der Abstimmung, der die Parteien zur
Gruppenbildung zwingt, und weil im ganzen Land zum ersten Mal die-
selben Parteien mit (in etwa) denselben Programmen antreten. In weit
größerem Maß und organischer als 1913 (als der Einmannwahlkreis die
Möglichkeiten einschränkte und aufgrund der künstlichen Einteilung der
Wahlkreise die politischen Positionen der Masse verfälschte) stellt sich
1919 im ganzen Land an ein und demselben Tag der gesamte aktivste Teil
des italienischen Volkes dieselben Fragen und versucht, sie in seinem
politisch-historischen Bewusstsein zu lösen. Die Bedeutung der Wahlen
von 1919 ist durch den Komplex von »vereinheitlichenden« Elementen,
positiven und negativen, gegeben, die hier zusammenfließen: der Krieg
war ein vereinheitlichendes Element ersten Ranges gewesen, insofern er
den großen Massen das Bewusstsein von der Bedeutung vermittelt hatte,
die auch für das Schicksal jedes einzelnen Individuums der Aufbau des
Regierungsapparates hat, und weil er darüber hinaus eine Reihe konkreter
Probleme, allgemeiner und besonderer, gestellt hatte, welche die national-
populare Einheit widerspiegelten. Man kann sagen, dass die Wahlen
von 1919 für das Volk den Charakter einer Konstituante hatten (diesen
Heft 19- $19-$ 20 1943
Charakter hatten auch die Wahlen von 1913, wie sich jeder erinnern kann,
der die Wahlen in den regionalen Zentren erlebt hat, wo die Veränderung der
Wählerschaft größer gewesen war, und wie der hohe Prozentsatz bei der
Wahlbeteiligung bewies: verbreitet war die mystische Überzeugung, dass
sich nach der Stimmabgabe alles ändern würde, von einer regelrechten ge-
sellschaftlichen Wiedergeburt; so wenigstens auf Sardinien’), obwohl sie
ihn gewiss für »keine« politische Partei der Zeit hatten: in diesem Wider-
spruch und Abstand zwischen dem Volk und den Parteien bestand das
geschichtliche Drama von 1919, das unmittelbar nur von einigen scharf-
sinnigeren und intelligenteren führenden Gruppen verstanden wurde (und
die am meisten um ihre Zukunft zu bangen hatten). Hervorzuheben ist, dass
gerade die traditionelle Partei der Konstituante in Italien, die republika-
nische, die geringste historische Sensibilität und politische Fähigkeit
bewies und sich das Programm und die Richtung (das heißt eine abstrakte,
rückwärtsgewandte Verteidigung des Kriegseintritts) von den führenden
rechten Gruppen aufzwingen ließ. Das Volk blickte auf seine Weise in die
Zukunft (auch in der Frage des Kriegseintritts), und darin besteht der
implizite Charakter einer Konstituante, den das Volk den Wahlen von 1919
gab; die Parteien blickten konkret auf die Vergangenheit (nur auf die Ver-
gangenheit) und »abstrakt« in die Zukunft, »vage«, als »habt Vertrauen in
eure Partei«, und nicht als konstruktive politisch-geschichtliche Konzep-
tion. An weiteren Unterschieden zwischen 1913 und 1919 ist an die aktive
Beteiligung der Katholiken zu erinnern, mit eigenen Leuten, mit einer
eigenen Partei, mit einem eigenen Programm. Auch 1913 hatten sich die
Katholiken an den Wahlen beteiligt, aber über den Gentiloni-Pakt"”, auf
duckmäuserische Weise, was die Bedeutung der Lagerbildung und des
Einflusses der traditionellen politischen Kräfte verfälschte. Hinsichtlich
1919 ist an Giolittis im Tonfall eines Anhängers der Konstituante (retro-
spektiv) gehaltene Rede und die Haltung der Giolittianer zu den Katholiken
zu erinnern, wie sie aus den Artikeln Luigi Ambrosinis in der »Stampa«
hervorgeht. In Wirklichkeit waren die Giolittianer die Wahlsieger, in dem
Sinne, dass sie den Wahlen selbst den Charakter einer Konstituante ohne
Konstituante aufprägten und es ihnen gelang, die Aufmerksamkeit von der
Zukunft auf die Vergangenheit zu lenken‘.

$(20). Risorgimento und Orientfrage. In einer ganzen Reihe von


(zugunsten der Moderatı tendenziösen) Schriften wird den literarischen
Äußerungen aus der Periode des Risorgimento, welche die Orientfrage im
Hinblick auf die Probleme Italiens betrachten, eine außergewöhnliche Be-
deutung beigemessen’: Pläne der Ostausrichtung und Balkanorientierung
1944 Neunzehntes Heft

Österreichs, um es für das zugunsten der nationalen Wiedergeburt Italiens


friedlich abgetretene Lombardo-Venetien zu entschädigen usw. Es scheint
nicht, dass diese Pläne ein Beweis großer politischer Fähigkeit sind, wie
behauptet wird: sie müssen anscheinend vielmehr als Ausdruck politischer
Passivität und der Entmutigung angesichts der Schwierigkeiten der natio-
nalen Unternehmung interpretiert werden, eine Entmutigung, die durch
Pläne verschleiert wird, die je großartiger, desto abstrakter und unbe-
stimmter waren, insofern ihre Erfüllung nicht von den italienischen Kräften
abhing. Österreich zu »balkanisieren« bedeutete nämlich, in Europa eine
diplomatisch-politische (und implizit militärische) Situation zu schaffen,
kraft derer Österreich sich hätte »balkanisieren« lassen; das bedeutete, die
politische und diplomatische Hegemonie in Europa zu haben, eine Kleinig-
keit! Es ist nicht einzusehen, warum Österreich, während es Lombardo-
Venetien und damit die Vormachtstellung in Italien und eine beherrschende
Position im zentralen Mittelmeer behielt, nicht auch einen größeren
Einfluss auf dem Balkan und folglich im östlichen Mittelmeer hätte er-
langen können; das wäre sogar das Interesse Englands gewesen, das auf
Österreich ein Gleichgewichtssystem gegen Frankreich und gegen Russ-
land begründete. Der geringe Sinn selbst für eine selbständige politische
Initiative und das mangelnde Vertrauen in die eigenen Kräfte - die Balbos
Plan implizierte - mussten England solchen Einflüsterungen gegenüber
taub machen. Nur ein starker italienischer Staat, der Österreich in seiner
antifranzösischen Funktion im zentralen Mittelmeer hätte ersetzen können,
hätte England zu Sympathien für Italien bewegen können, wie es tatsächlich
nach den Annexionen in Mittelitalien und dem Zug der Tausend gegen die
Bourbonen geschah; vor diesen realen Ereignissen hätte nur eine große
Partei voller Entschlossenheit und Kühnheit und ihrer eigenen Schritte
sicher, weil in den großen Volksmassen verwurzelt, vielleicht dasselbe Er-
gebnis erzielt, aber gerade das gab es nicht und wollten Balbo und seine
Freunde auch nicht entstehen lassen. Die Balkanorientierung Österreichs
nach dem Hegemonieverlust auf der italienischen Halbinsel und unter Ver-
bleib der Bourbonen in Neapel (gemäß dem neoguelfischen Plan) hätte
schwerwiegende Folgen für die englische Mittelmeerpolitik gehabt. Der
neapolitanische Staat wäre ein russisches Lehen geworden, das heißt,
Russland hätte die Möglichkeit zu einer militärischen Aktion genau im
Zentrum des Mittelmeers gehabt. (Die Frage der Beziehungen zwischen
den Bourbonen von Neapel und dem Zarismus ist ein ganzer Aspekt der
Geschichte von 1799 bis 1860, der studiert und vertieft werden muss: aus
Nittis 1915 von Laterza gedrucktem Buch über das Auslandskapital in Ita-
lien ist ersichtlich, dass es in Süditalien noch für etwa 150 Millionen russi-
sche Staatsschuldverschreibungen gab’, ein nicht zu vernachlässigendes
Heft 19-$.20-$21 1945
Überbleibsel der Verbindung, die sich vor 1860 zwischen Neapel und
Russland gegen England gebildet hatte). Es darf nicht vergessen werden,
dass die Orientfrage, während sie ihren strategischen Knotenpunkt auf dem
Balkan und im Türkischen Reich hatte, speziell die diplomatisch-politische
Form des Kampfes zwischen Russland und England war: sie war also die
Frage des Mittelmeers, Zentralasiens und des Nahen Ostens, Indiens, des
englischen Empires. Das Buch, in dem Balbo seine These vertrat: Die
Hoffnungen Italiens, erschien 1844, und die These selbst hatte keine andere
Wirkung außer der, die Orientfrage bekannt zu machen, indem sie die Auf-
merksamkeit darauf lenkte, und so die Politik Cavours hinsichtlich des
Krimkrieges (vielleicht) zu erleichtern. Sie hatte keinerlei Wirkung (18)59
(als Piemont und Frankreich daran dachten, Österreich, um seine militä-
rische Kraft zu schwächen, Feinde auf dem Balkan zu schaffen), denn eine
solche Aktion war begrenzt, kurzatmig und auf jeden Fall nicht mehr als
eine Episode der Organisation der piemontesisch-französischen militäri-
schen Aktivität: das gleiche gilt für 1866, als eine ähnliche Diversion von
der italienischen Regierung und von Bismarck für den Krieg gegen Öster-
reich geplant wurde. Im Kriegsfall zu versuchen, den Feind zu schwächen,
indem man ihm Feinde im Innern und entlang der militärisch-politischen
Grenzen verschafft, ist kein Element eines politischen Plans für den Osten,
sondern gehört zum üblichen Geschäft der Kriegführung. Im übrigen
hatte Österreichs Ostausrichtung nach 60 und nach der Gründung eines
italienischen Staates von beträchtlichem Gewicht eine ganz andere inter-
nationale Bedeutung und fand die Zustimmung sowohl Englands als auch
Frankreichs.
Irgendeine neuere Veröffentlichung hat sich mit den bourbonischen
Projekten einer Ostexpansion, die Projekte geblieben sind, beschäftigt, um
daraus ein Argument zur Rehabilitierung der neapolitanischen Regierung
abzuleiten’; derartige Projekte wird Russland gern gesehen und England,
das in der Malta-Frage gegenüber Neapel unnachgiebig war, verhindert
haben. (Der Band von Pietro Silva über das Mittelmeer wird anzusehen
sein)".

$(21). Der »wechselseitige Unterricht«. Zur Bedeutung, die in der


liberalen Bewegung des Risorgimento das Prinzip und die praktische Ver-
breitung des »wechselseitigen Unterrichts« hatte, vgl. die beiden Bände
von Arturo Linacher über Enrico Mayer, der einer der bedeutendsten Mit-
arbeiter der »Antologia« und von Vieusseux und einer der bedeutendsten
Verbreiter der neuen pädagogischen Methode war'.
1946 Neunzehntes Heft

$(22). Volksnahe Strömungen. Zu den linken Volksbewegungen von


(18)48-49 ist nachzusehen: Nicola Valdimiro Testa, Die Irpinier in den
politischen Bewegungen und in der Reaktion von 1848-49, Neapel, R.
Contessa e Fratelli, 1932, in 8°, 320 S., 15 L.'

$(23). E. De Amicis und G.C. Abba. Bedeutung des Soldatenlebens


von De Amicis. Das Soldatenleben ist neben einige Veröffentlichungen
von G. C. Abba zu stellen, trotz des inneren Gegensatzes und der unter-
schiedlichen Haltung. G.C. Abba ist mehr »erzieherisch« und mehr
»popular-national«: er ist gewiss konkreter demokratisch als De Amicis,
weil politisch fester und ethisch strenger. De Amicis ist trotz des ober-
flächlichen Anscheins serviler gegenüber den führenden Gruppen in
paternalistischen Formen.
Anzusehen im Soldatenleben ist das Kapitel »Das italienische Heer
während der Cholera von 1867«, weil es die Einstellung des sizilianischen
Volkes gegenüber der Regierung und den »Italienern« nach der Erhebung
vom September 1866 schildert‘. Krieg von 1866, Erhebung von Palermo,
Cholera: drei Ereignisse, die nicht voneinander getrennt werden können.
Es wird die weitere Literatur über die Cholera 1866-67 in ganz Süditalien
anzusehen sein. Man kann das staatsbürgerliche Niveau des Volkslebens
jener Zeit nicht beurteilen, ohne dieses Thema zu behandeln. (Gibt es amt-
liche Veröffentlichungen über die an den Autoritäten - Soldaten, Offiziere,
usw. — während der Cholera verübten Delikte?)
Zum Zeitpunkt der Erhebung war Luigi Torelli Präfekt ın Palermo, zu
ihm vgl. Antonio Monti, Graf Luigi Torelli, Mailand, Kgl. Lombardisches
Institut für Natur- und Geisteswissenschaften, 1931, ın 8°, 513 S., 30 L.
Nach der Unterdrückung erhielt Torelli das goldene Verdienstkreuz’. Das
Buch wird anzusehen sein, auch weil Torelli eine ziemlich bedeutende
Funktion im gesamten Risorgimento hatte.

$(24). Das Problem derpolitischen Führung in der Formierung und in


der Entwicklung der Nation und des modernen Staates ın Italien. Das
ganze Problem des Zusammenhangs zwischen den verschiedenen politi-
schen Strömungen des Risorgimento, das heißt ihrer wechselseitigen
Beziehungen und ihrer Beziehungen zu den homogenen oder untergeord-
neten gesellschaftlichen Gruppen, die es in den verschiedenen historischen
Untergliederungen (oder Sektoren) des nationalen Territoriums gab, läuft
auf folgende Grundtatsache hinaus: die Moderati repräsentierten eine
Heft 19- $22-$ 24 1947
relativ homogene gesellschaftliche Gruppe, weshalb ihre Führung relativ
begrenzten (und in jedem Fall einer Linie organisch progressiver Entwick-
lung entsprechenden) Schwankungen unterlag, während die sogenannte
Aktionspartei sich auf keine geschichtliche Klasse im besonderen stützte
und die Schwankungen, denen ihre Führungsorgane unterlagen, sich
letztlich gemäß den Interessen der Moderati gestalteten: das heißt, ge-
schichtlich wurde die Aktionspartei von den Moderati gelenkt: die Viktor
Emanuel II. zugeschriebene Äußerung, er habe die Aktionspartei »in der
Tasche« oder so ähnlich‘, trifft praktisch zu, und nicht nur wegen der per-
sönlichen Kontakte des Königs mit Garibaldi, sondern weil die Aktions-
partei tatsächlich »indirekt« von Cavour und dem König geführt wurde.
Das methodologische Kriterium, auf welches die eigene Untersuchung
gegründet werden muss, ist folgendes: dass sich die Suprematie einer
gesellschaftlichen Gruppe auf zweierlei Weise äußert, als »Herrschaft« und
als »intellektuelle und moralische Führung«. Eine gesellschaftliche Gruppe
ist herrschend gegenüber den gegnerischen Gruppen, die sie »auszuschal-
ten« oder auch mit Waffengewalt zu unterwerfen trachtet, und sie ist
führend gegenüber den verwandten und verbündeten Gruppen. Eine
gesellschaftliche Gruppe kann und muss sogar bereits führend sein, bevor
sie die Regierungsmacht erobert (das ist eine der Hauptbedingungen für
die Eroberung der Macht); danach, wenn sie die Macht ausübt und auch fest
in Händen hält, wird sie herrschend, muss aber weiterhin auch »führend«
sein. Die Moderati führten die Aktionspartei auch nach 1870 und 1876
weiter, und der sogenannte »Iransformismus« ist lediglich der parlamen-
tarische Ausdruck dieses intellektuellen, moralischen und politischen
hegemonialen Handelns gewesen'”. Man kann sogar sagen, dass das gesam-
te staatliche Leben Italiens seit 1848 durch den »Transformismus« geprägt
ist, das heißt durch die Herausbildung einer immer breiteren führenden
Klasse innerhalb des nach 1848 und nach dem Fall der neoguelfischen und
föderalistischen Utopien von den Moderati festgesetzten Rahmens, unter
schrittweiser, aber stetiger und mit in ihrer Wirksamkeit unterschiedlichen
Methoden erreichter Absorption der aktiven Elemente, die aus den ver-
bündeten Gruppen hervorgegangen sind und auch aus den gegnerischen,
die unversöhnlich feindlich schienen. In diesem Sinne ist die politische
Führung zu einem Aspekt der Herrschaftsfunktion geworden, insofern
die Absorption der Eliten der feindlichen Gruppen zu deren Enthauptung
und Vernichtung für einen oftmals sehr langen Zeitraum führt. Aus der
Politik der Moderati geht klar hervor, dass es eine »hegemoniale Tätigkeit«
auch vor der Machtübernahme geben kann und muss und dass man nicht
nur auf die materielle Stärke, welche die Macht verleiht, zählen darf, um
eine wirkungsvolle Führung auszuüben: gerade die brillante Lösung dieser
1948 Neunzehntes Heft

Probleme hat das Risorgimento in den Formen und in den Grenzen er-
möglicht, in denen es sich vollzogen hat, ohne »Terreur«, als »Revolution
ohne Revolution« oder als »passive Revolution«, um einen Ausdruck
Cuocos in einem etwas anderen Sinn zu gebrauchen, als Cuoco damit
sagen will’.

In welchen Formen und mit welchen Mitteln gelang es den Moderati,


den Apparat (den Mechanismus) ihrer intellektuellen, moralischen und
politischen Hegemonie zu errichten? In Formen und mit Mitteln, die
»liberal« genannt werden können, das heißt durch die individuelle, »mo-
lekulare«, »private« Initiative (das heißt nicht durch ein Parteiprogramm,
das vor der praktischen und organisatorischen Tätigkeit nach einem Plan
ausgearbeitet und aufgestellt worden wäre). Dies war übrigens »normal«
in Anbetracht der Struktur und Funktion der von den Moderati repräsen-
tierten gesellschaftlichen Gruppen, deren führende Schicht, die »Intellek-
tuellen«< in organischem Sinn, die Moderati waren. Für die Aktionspartei
stellte sich das Problem auf andere Weise, und andere Organisationsweisen
hätten angewandt werden müssen. Die Moderati waren Intellektuelle, die
schon aufgrund des organischen Charakters ihrer Beziehungen zu den
gesellschaftlichen Gruppen, deren Ausdruck sie waren, auf natürliche
Weise »verdichtet« waren (für eine ganze Reihe von ihnen verwirklichte
sich die Identität von Repräsentiertem und Repräsentant, das heißt, die
Moderati waren eine wirkliche, organische Avantgarde der Oberklassen,
weil sie selbst ökonomisch den Oberklassen angehörten: sie waren Intel-
lektuelle und politische Organisatoren und zugleich Betriebsleiter, Groß-
grundbesitzer oder Gutsverwalter, Handels- und Industrieunternehmer
usw.). Durch diese organische Verdichtung oder Konzentration übten die
Moderati auf »spontane« Weise eine mächtige Anziehungskraft auf die
ganze Masse Intellektueller jeden Grades aus, die es auf der Halbinsel in
»verstreutem«, »molekularem« Zustand für den wenn auch nur elementar
befriedigten Bedarf der Bildung und Verwaltung gab. Es erweist sich hier
die methodologische Konsistenz eines Kriteriums politisch-historischer
Forschung: es gibt keine unabhängige Intellektuellenklasse, sondern jede
gesellschaftliche Gruppe hat eine eigene Intellektuellenschicht oder tendiert
dazu, sie sich zu bilden; aber die Intellektuellen der historisch (und rea-
listisch gesehen) progressiven Klasse üben unter den gegebenen Umständen
eine solche Anziehungskraft aus, dass sie sich schließlich und endlich die
Intellektuellen der anderen gesellschaftlichen Gruppen unterordnen und
folglich ein System der Solidarität aller Intellektuellen mit Bindungen
psychologischer (Eitelkeit usw.) und häufig kastenmäßiger (rechtlich-
technischer, korporativer usw.) Art schaffen.
Heft 19-924 1949

Dieser Tatbestand tritt »spontan« in den geschichtlichen Phasen auf, in


denen die gegebene gesellschaftliche Gruppe wirklich progressiv ist, das
heißt, die ganze Gesellschaft wirklich vorantreibt, indem sie nicht nur ihren
existenziellen Erfordernissen nachkommt, sondern ihre eigenen Kader
durch eine fortwährende Inbesitznahme neuer produktiv-ökonomischer
Tätigkeitsbereiche erweitert. Sobald die herrschende gesellschaftliche
Gruppe ihre Funktion erschöpft hat, neigt der ideologische Block zum
Zerfall, und die »Spontaneität« kann dann ersetzt werden durch den
»Zwang« in immer weniger verhüllten und indirekten Formen bis hin zu
regelrechten Polizeimaßnahmen und Staatsstreichen.
Die Aktionspartei konnte ihrer Natur nach nicht nur diese Anziehungs-
kraft nicht haben, sondern war im Gegenteil ihrerseits angezogen und
beeinflusst, sowohl aufgrund der Atmosphäre der Einschüchterung (Panik
eines terroristischen (17)93, die durch die Ereignisse (18)48-49 in Frank-
reich verstärkt worden war), die sie zögern ließ, bestimmte Forderungen
des Volkes in ihr Programm aufzunehmen (zum Beispiel die Agrarreform),
als auch, weil einige ihrer bedeutendsten Persönlichkeiten (Garibaldi),
wenn auch nur sporadisch (»Schwankungen«), in einem persönlichen Ver-
hältnis der Unterordnung zu den Führern der Moderati standen. Damit
die Aktionspartei eine autonome Kraft hätte werden und es ihr letztlich
hätte gelingen können, der Bewegung des Risorgimento zumindest einen
betonter popularen und demokratischen Charakter zu verleihen (zu mehr
konnte sie es angesichts der grundsätzlichen Voraussetzungen der Bewe-
gung selbst vielleicht nicht bringen), hätte sie der »empirischen« Aktivität
der Moderati (die nur eine sozusagen empirische war, weil sie vollkommen
dem Zweck entsprach) ein organisches Regierungsprogramm entgegen-
setzen müssen, das die wesentlichen Forderungen der Volksmassen, in erster
Linie der Bauern, widergespiegelt hätte: der »spontanen Anziehung, die
von den Moderati ausging, hätte sie planmäßig »organisiert« einen Wider-
stand und eine Gegenoffensive entgegensetzen müssen.
Als typisches Beispiel spontaner Anziehung der Moderati muss an die
Entstehung und Entwicklung der »liberalkatholischen« Bewegung erinnert
werden, die das Papsttum sehr beeindruckte und der es teilweise gelang,
dessen Bewegungen zu lähmen, indem sie es demoralisierte, es anfangs —
mit den liberalismusfreundlichen Bekundungen Pius’ IX. - zu sehr nach
links trieb und später in eine Position weiter rechts von der, die es hätte
einnehmen können, und somit schließlich seine Isolation auf der Halbinsel
und in Europa bewirkte. Das Papsttum hat in der Folgezeit gezeigt,
dass es die Lektion gelernt hatte, und daher in jüngerer Zeit glänzend zu
manövrieren gewusst: erst der Modernismus und dann der Popolarismus
1950 Neunzehntes Heft

sind ähnliche Bewegungen wie die liberalkatholische des Risorgimento,


die zu einem großen Teil der spontanen Anziehung zu verdanken sind, die
der moderne Historismus der laizistischen Intellektuellen der Oberklas-
sen einerseits und andererseits die praktische Bewegung der Philosophie
der Praxis ausgeübt haben. Das Papsttum hat den Modernismus als refor-
matorische Tendenz der Kirche und der katholischen Religion angegriffen,
hat aber den Popolarismus, das heißt die sozial-ökonomische Basis des
Modernismus, entwickelt und macht heute, unter Pius XI., das Kernstück
seiner Weltpolitik daraus.
Der Aktionspartei dagegen fehlte sogar ein konkretes Regierungspro-
gramm. Sie war im wesentlichen immer und vor allem ein Agitations- und
Propagandaorganısmus im Dienst der Moderati. Die inneren Streitigkeiten
und Konflikte der Aktionspartei, der fürchterliche Hass, den Mazzini bei
den verdienstvollsten Männern der Aktion (Garibaldi, Felice Orsini
usw.) gegen seine Person und sein Handeln erregte, ergaben sich aus dem
Fehlen einer festen politischen Führung. Die inneren Auseinandersetzungen
waren zu einem großen Teil ebenso abstrakt wie Mazzinis Predigt, doch
lassen sich ihnen nützliche historische Hinweise entnehmen (repräsentativ
für alle sind die Schriften Pisacanes, der im übrigen irreparable politische
und militärische Fehler beging, wie die Opposition gegen die Militär-
diktatur Garibaldis in der Römischen Republik). Die Aktionspartei war
von der rhetorischen Tradition der italienischen Literatur durchdrungen:
sie verwechselte die auf der Halbinsel bestehende kulturelle Einheit —
die aber auf eine hauchdünne Bevölkerungsschicht beschränkt und vom
vatikanischen Kosmopolitismus verseucht war — mit der politischen
und territorialen Einheit der großen Volksmassen, die jener kulturellen
Tradition fremd gegenüberstanden und sich nicht um sie scherten,
wenn sie überhaupt von ihrer Existenz wussten. Man kann einen Vergleich
zwischen den Jakobinern und der Aktionspartei anstellen. Die Jakobiner
kämpften unermüdlich, um eine Verbindung zwischen Stadt und Land
sicherzustellen, und das gelang ihnen erfolgreich. Ihre Niederlage als eine
bestimmte Partei war darin begründet, dass sie an einem gewissen Punkt
mit den Forderungen der Pariser Arbeiter in Konflikt gerieten, tatsächlich
aber wurde ihr Werk in anderen Formen durch Napoleon fortgeführt, und
heute, auf recht elende Weise, durch die Radikalsozialisten von Herriot und
Daladier.
In der politischen Literatur Frankreichs war die Notwendigkeit, die Stadt
(Paris) mit dem Land zu verbinden, immer lebhaft spürbar gewesen und
ausgedrückt worden; es genügt, an Eugene Sues Romanfolge zu erinnern,
die auch in Italien sehr verbreitet war (Fogazzaro erwähnt in Kleine alte
Heft 19-$24 1951
Welt”, wie Franco* Maironi die Lieferungen der Geheimnisse des Volkes,
die in mehreren Städten Europas, zum Beispiel in Wien, vom Henker ver-
brannt wurden, heimlich aus der Schweiz erhielt) und die mit besonderer
Hartnäckigkeit auf der Notwendigkeit bestehen, sich um die Bauern zu
_ kümmern und sie an Paris zu binden; und Sue war der populare Roman-
schriftsteller der politischen Tradition der Jakobiner und in vielerlei Hinsicht
eine »Erstausgabe« Herriots und Daladiers (Napoleonlegende, Antiklerika-
lismus und Antijesuitismus, kleinbürgerlicher Reformismus, Theorien
über die Strafanstalten usw.)'. Gewiss war die Aktionspartei aufgrund der
Ideologie Mazzinis immer implizit antifranzösisch (vgl. in der »Critica«,
Jg. 1929, S. 223ff., den Artikel von Omodeo über Französischen Primat
und italienische Initiative)‘, aber sie fand in der Geschichte der Halbinsel
die Tradition, auf die sie zurückgreifen und an die sie anknüpfen konnte.
Die Geschichte der Stadtrepubliken ist reich an diesbezüglichen Erfahrun-
gen: die entstehende Bourgeoisie sucht in den Bauern Verbündete gegen
das Reich und gegen den lokalen Feudalismus (es stimmt, dass die Frage
durch den Kampf zwischen Bürgern und Adligen im Streit um die billige
Arbeitskraft verkompliziert wird: die Bürger brauchen reichlich Arbeits-
kräfte, und diese können nur durch die ländlichen Massen aufgeboten
werden, aber die Adligen wollen die Bauern an die Scholle gebunden:
Flucht der Bauern in die Stadt, wo die Adligen sie nicht einfangen können.
Jedenfalls tritt, auch in dieser anderen Situation, in der Entwicklung der
Zivilisation der Stadtrepubliken die Funktion der Stadt als führendes Ele-
ment zutage, der Stadt, welche die inneren Konflikte auf dem Land vertieft
und sich ihrer als militärisch-politisches Werkzeug bedient, um den Feuda-
lismus niederzuschlagen). Aber der klassischste Meister der politischen
Kunst der Führungsgruppen Italiens, Machiavelli, hatte das Problem
ebenfalls gestellt, natürlich mit den Worten und Sorgen seiner Zeit; in den
militärisch-politischen Schriften Machiavellis wird ziemlich genau die
Notwendigkeit gesehen, die Volksmassen organisch den führenden
Schichten unterzuordnen, um eine nationale Miliz zu schaffen, die in der
Lage war, die Söldnertruppen auszuschalten”.

Mit dieser Strömung Machiavellis muss vielleicht Pisacane in Verbindung


gebracht werden, bei dem das Problem, die Forderungen des Volkes zu
erfüllen (nachdem man sie mit der Propaganda hervorgerufen hat), über-
wiegend vom militärischen Standpunkt aus gesehen wird. Hinsichtlich
Pisacanes müssen einige Antinomien seiner Konzeption analysiert werden:
Pisacane, dem neapolitanischen Adligen, war es gelungen, sich eine Reihe

* Im Ms.: »Piero«.
1952 Neunzehntes Heft

militärisch-politischer Konzepte zu eigen zu machen, die durch die kriege-


rischen Erfahrungen der Französischen Revolution und Napoleons in
Umlauf gebracht und während der Herrschaft Joseph Bonapartes und
Joachim Murats, vor allem aber durch die lebendige Erfahrung der nea-
politanischen Offiziere, die mit Napoleon gekämpft hatten, nach Neapel
verpflanzt worden waren (in der Würdigung Cadornas durch M. Missiroli
in der »Nuova Antologia« wird die Bedeutung unterstrichen, die diese
neapolitanische Militärerfahrung und -tradition, über Pianell zum Beispiel,
für die Reorganisation des italienischen Heeres nach 1870 hatte)‘: Pisacane
hat verstanden, dass es ohne eine demokratische Politik keine National-
heere mit allgemeiner Wehrpflicht geben kann, seine Abneigung gegen
die Strategie Garibaldis und sein Misstrauen gegen Garibaldi bleiben
jedoch unerklärlich; er hat Garibaldi gegenüber die gleiche geringschätzige
Haltung, welche die Generalstäbe des Ancien Regime gegenüber Napoleon
hatten.
Die Persönlichkeit, die man bezüglich dieser Probleme des Risorgimento
vor allem erforschen muss, ist Giuseppe Ferrari, aber nicht so sehr in
seinen sogenannten Hauptwerken, wahren verworrenen und konfusen
Sammelsurien, als vielmehr in seinen Gelegenheitsschriften und Briefen’.
Aber Ferrari stand zu einem großen Teil außerhalb der konkreten italie-
nischen Wirklichkeit: er war zu sehr französisiert. Häufig wirken seine
Urteile scharfsinniger, als sie es wirklich sind, weil er an Italien französische
Maßstäbe anlegte, die weit fortgeschrittenere Situationen als die italie-
nischen repräsentierten. Man kann sagen, dass Ferrari sich in Bezug auf
Italien in der Position eines »Nachgeborenen« befand und dass es sich
bei ihm in gewissem Sinne um ein »Hinterher-Klügersein« handelte. Der
Politiker muss hingegen ein tatsächlich und aktuell Ausführender sein;
Ferrari sah nicht, dass zwischen der italienischen und der französischen
Situation ein verbindendes Kettenglied fehlte und dass es darauf ankam,
gerade dieses Glied zu schmieden, um zum nächsten überzugehen‘. Ferrari
hat es nicht verstanden, das Französische ins Italienische zu »übersetzen«,
und deshalb wurde sein »Scharfsinn« selbst zu einem Element der Ver-
wirrung, schuf neue Sekten und Grüppchen, beeinflusste aber nicht die
wirkliche Bewegung.
Dringt man tiefer in die Frage ein, dann zeigt sich, dass der Unterschied
zwischen vielen Männern der Aktionspartei und den Moderati in vielerlei
Hinsicht mehr einer des »Temperaments« als ein organisch politischer war.
Das Wort »Jakobiner« hat am Ende zwei Bedeutungen angenommen: eine
ist die eigentliche, geschichtlich gekennzeichnete einer bestimmten Partei
der Französischen Revolution, welche die Entwicklung des Lebens in
Heft 19- $24 1953

Frankreich auf eine bestimmte Weise, mit einem bestimmten Programm,


auf der Grundlage bestimmter gesellschaftlicher Kräfte auffasste, und die
ihr Handeln als Partei und als Regierung mit einer bestimmten Methode
entfaltete, die sich durch eine extreme, vom fanatischen Glauben an die Güte
sowohl dieses Programmes als auch dieser Methode abhängigen Energie,
"Entscheidung und Entschlossenheit auszeichnete. In der politischen
Sprache wurden die beiden Aspekte des Jakobinismus auseinandergerissen,
und alsJakobiner wurde der energische, entschlossene und fanatische, weil
fanatisch von den wundertätigen Kräften seiner wie auch immer gearteten
Ideen überzeugte Politiker bezeichnet: in dieser Definition überwogen die
vom Hass auf die Gegner und Feinde abgeleiteten destruktiven Elemente
mehr als die konstruktiven, die sich daraus ableiteten, dass sie sich die
Forderungen der Volksmassen zu eigen gemacht hatten, das Element des
Sektiererischen, des Klüngels, des Grüppchens, des entfesselten Individua-
lismus mehr als das nationale politische Element. So muss man, wenn man
liest, Crispi sei Jakobiner gewesen, die Behauptung in dieser negativeren
Bedeutung verstehen. Was sein Programm angeht, war Crispi ein reiner
und einfacher Moderato. Seine edelste jakobinische »Besessenheit« war
die territorial-politische Einheit des Landes. Dieser Grundsatz ist immer
sein richtungweisender Kompass gewesen, nicht nur in der Zeit des
Risorgimento im engeren Sinn, sondern auch in der späteren Zeit seiner
Beteiligung an der Regierung. Als stark leidenschaftlicher Mensch hasst er
die Moderati als Personen: er sieht in den Moderati die Männer der letzten
Stunde, die Helden des sechsten Tages, Leute, die mit den alten Regimes
Frieden geschlossen hätten, wenn diese konstitutionell geworden wären,
Leute wie die toskanischen Moderati, die sich am Rockzipfel des Groß-
herzogs festgeklammert hatten, um ihn nicht entwischen zu lassen; er
traute einer Einheit wenig, die von Nicht-Einheitsanhängern gemacht
worden war. Deshalb bindet er sich an die Monarchie, von der er begreift,
dass sie aus dynastischen Interessen die Einheit entschieden befürworten
wird, und übernimmt den Grundsatz der Hegemonie Piemonts mit einer
Energie und einem Ungestüm, welche die piemontesischen Politiker selbst
nicht hatten. Cavour hatte davor gewarnt, den Süden mit Ausnahme-
zuständen zu traktieren: Crispi hingegen beschließt auf Sizilien sogleich
den Aunahmezustand und das Kriegsrecht wegen der Bewegung der Fascı
und beschuldigt die Führer der Fasci, mit England Pläne für die Loslösung
Siziliens zu schmieden (Scheinvertrag von Bisacquino’). Er bindet sich eng
an die sizilianischen Großgrundbesitzer, weil sie die Schicht sind, die aus
Furcht vor den Forderungen der Bauern die Einheit am meisten befür-
wortet, während gleichzeitig seine allgemeine Politik mit dem Tarifkrieg
gegen Frankreich und dem Zollprotektionismus auf eine Stärkung des
1954 Neunzehntes Heft

norditalienischen Industrialismus abzielt: er zögert nicht, Süditalien und die


Inseln in eine fürchterliche Handelskrise zu stürzen, nur um die Industrie
zu stärken, die dem Land eine wirkliche Unabhängigkeit verschaffen
konnte und die Kader der herrschenden gesellschaftlichen Gruppen ver-
größert hätte; das ist die Politik des Fabrizierens des Fabrikanten. Die
Rechtsregierung von (18)61 bis 76 hatte lediglich, und zaghaft, die all-
gemeinen äußeren Bedingungen für eine wirtschaftliche Entwicklung
geschaffen: Systematisierung des Regierungsapparates, Straßen, Eisen-
bahnen, Telegraphen, und hatte die von den Schulden aufgrund der Kriege
des Risorgimento überlasteten Finanzen saniert. Die Linke hatte versucht,
dem beim Volk durch die einseitige Steuerpolitik der Rechten hervorgeru-
fenen Hass gegenzusteuern, erreichte aber nichts weiter als ein Sicherheits-
ventil zu sein: sie hatte die Politik der Rechten mit Männern und Phrasen
der Linken fortgesetzt. Crispi hingegen versetzte der neuen italienischen
Gesellschaft einen wirklichen Stoß nach vorne, er war der wahre Mann der
neuen Bourgeoisie. Seine Gestalt ist gleichwohl durch das Missverhältnis
zwischen den Tatsachen und den Worten, zwischen den Unterdrückungen
und dem zu unterdrückenden Gegenstand, zwischen dem Instrument und
dem versetzten Schlag gekennzeichnet: er handhabte eine verrostete Feld-
schlange, als sei sie ein modernes Geschütz. Auch die Kolonialpolitik
Crispis ist an seine Einheitsbesessenheit gebunden, und darin wusste er die
politische Unschuld des Südens miteinzubeziehen; der Bauer des Südens
wollte das Land, und Crispi, der es ihm nicht in Italien selbst geben wollte
(und konnte), der keinen »ökonomischen Jakobinismus« veranstalten
wollte, stellte die Fata Morgana des auszubeutenden Koloniallandes in
Aussicht. Crispis Imperialismus war ein leidenschaftlicher, rhetorischer
Imperialismus ohne jede finanziell-ökonomische Basis. Das kapitalistische
Europa, das reich an Mitteln und an dem Punkt angelangt war, an welchem
die Profitrate eine sinkende Tendenz zu zeigen begann, stand vor der Not-
wendigkeit, das Verbreitungsgebiet seiner renditeträchtigen Investitionen
zu erweitern; so wurden nach 1890 die großen Kolonialreiche geschaffen.
Aber das noch unreife Italien hatte nicht nur kein Kapital zu exportieren,
sondern musste für seine eigenen allerengsten Bedürfnisse auf aus-
ländisches Kapital zurückgreifen. Es fehlte folglich ein realer Antrieb
für den italienischen Imperialismus, und an seine Stelle wurde die
populare Leidenschaftlichkeit der blind nach Grundeigentum strebenden
Landbevölkerung gesetzt: es ging darum, ein innenpolitisches Problem
zu lösen, indem man seine Lösung ins Unbestimmte abschob. Des-
halb wandten sich gegen Crispis Politik selbst die Kapitalisten (des
Nordens), welche die in Afrika ausgegebenen enormen Summen lieber
in Italien eingesetzt gesehen hätten; aber im Süden war Crispi populär,
Heft 19-$24 1955
weil er den »Mythos« des leicht zu bekommenden Landes geschaffen
hatte.
Crispi hat eine breite Gruppe sizilianischer Intellektueller stark geprägt
(speziell, denn er hat alle italienischen Intellektuellen durch die Schaffung
der ersten Zellen eines nationalen Sozialismus beeinflusst, der sich später
stürmisch entwickeln sollte), er hat jenen Einheitsfanatismus geschaffen,
der eine ständige Atmosphäre des Verdachts gegen alles, was wie Separatis
mus aussehen kann, bewirkte. Dies hat jedoch nicht verhindert (und zwar
verständlicherweise), dass sich 1920 die sizilianischen Großgrundbesitzer
in Palermo versammelten und der Regierung »von Rom« ein regelrechtes
Ultimatum unter Androhung der Abspaltung stellten’, wie es nicht ver
hindert hat, dass viele dieser Großgrundbesitzer weiterhin die spanische
Staatsbürgerschaft beibehielten und die Madrider Regierung diplomatisch
intervenieren ließen (Fall des Herzogs von Bivona 1919), um ihre durch
die Agitation der ehemaligen Frontkämpfer unter den Bauern gefährdeten
Interessen zu schützen’. Das Verhalten der verschiedenen gesellschaftlichen
Gruppen im Süden zwischen (19)19 und 26 ist hilfreich, um einige
Schwächen der besessen auf Einheit gerichteten Orientierung Crispis ins
Licht und in den Vordergrund zu rücken und einige von Giolitti daran vor
genommene Korrekturen hervorzuheben (in Wirklichkeit wenige, da
Giolitti im wesentlichen in Crispis Fußstapfen trat; Crispis Jakobinismus
des Temperaments ersetzte Giolitti durch bürokratische Emsigkeit und
Kontinuität; in der Kolonialpolitik hielt er die »Fata Morgana des Landes«
aufrecht, aber zusätzlich stützte er diese Politik mit einer »defensiven«
militärischen Konzeption und dem Vorsatz ab, dass man die Bedingungen
einer Expansionsfreiheit für die Zukunft schaffen müsse).
Die Episode des Ultimatums der sizilianischen Großgrundbesitzer von
1920 steht nicht allein, und man könnte sie wegen des Präzedenzfalls der
lombardischen Oberklassen, die bei einigen Gelegenheiten gedroht hatten,
mit der Wiederherstellung des alten Herzogtums Mailand »eigene Wege
zu gehen« (zeitweilige Erpressungspolitik gegenüber der Regierung), auf
andere Weise interpretieren, wenn sie nicht eine authentische Interpreta
tion in den Kampagnen erfahren hätte, die der »Mattino« von 1919 bis
zum Fenstersturz der Brüder Scarfoglio'” veranstaltete und von denen es
zu simpel wäre anzunehmen, sie seien völlig unbegründet gewesen, also
nicht auf irgendeine Weise an Strömungen der öffentlichen Meinung und
an Stimmungen gebunden, die wegen der durch die besessene Einheits
orientierung entstandenen Atmosphäre der Einschüchterung untergründig,
latent, potentiell geblieben waren. Der »Mattino« vertrat zweimal folgende
These: dass der Süden dem italienischen Staat auf einer vertraglichen
1956 Neunzehntes Heft

Grundlage, dem Albertinischen Statut, beigetreten sei, aber (implizit)


weiterhin seine wirkliche, tatsächliche Eigenheit bewahre und das Recht
habe, aus dem einheitlichen Staatsverbund auszutreten, wenn die vertrag-
liche Grundlage auf irgendeine Weise eingeschränkt, d.h., wenn die Verfas-
sung von (18)48 geändert werde. Diese These wurde (19)19-20 gegen eine
Verfassungsänderung in einer bestimmten Richtung entwickelt und 24-25
gegen eine anders gerichtete Änderung wiederaufgenommen. Man muss
die Bedeutung berücksichtigen, die der »Mattino« im Süden besaß (er war
immerhin die verbreitetste Zeitung); der »Mattino« war immer crispi-
freundlich, expansionistisch, und gab der Ideologie des Südens, die der
Hunger nach Land und die Leiden der Auswanderung hervorgebracht
hatten und die jeglicher vagen Form eines Besiedlungskolonialismus
zuneigte, den Ton vor. Bezüglich des »Mattino« muss außerdem erinnert
werden: 1. an die äußerst heftige Kampagne gegen den Norden bei der
[versuchten] Aneignung einiger Baumwollindustrien des Südens durch
die lombardischen Textilindustriellen, der bis zu dem Punkte gelangte,
dass man die Maschinen, als Schrott deklariert, um die Gesetze über die
industriellen Zonen zu umgehen, in die Lombardei abzutransportieren sich
anschickte, ein Versuch, der von ebendieser Zeitung vereitelt wurde, die so
weit ging, die Bourbonen und ihre Wirtschaftspolitik zu verherrlichen (das
geschah 1923)"; 2. das 1925 veranstaltete »betroffene« und »nostalgische«
Gedenken an Maria Sofia, das Aufsehen und Skandal erregte".

Natürlich müssen, um diese Einstellung des »Mattino« einzuschätzen,


einige Elemente methodischer Kontrolle berücksichtigt werden: das Aben-
teurertum und die Bestechlichkeit der Scarfoglios (zu erinnern ist daran,
dass Maria Sofia fortwährend versuchte, in die italienische Innenpolitik
einzugreifen, aus Rachegelüsten, wenn nicht in der Hoffnung, das König-
reich Neapel wiederherzustellen, und dafür auch Geld ausgab, worüber
kein Zweifel zu bestehen scheint: in der »Unitä« erschien 1914 oder 15 eine
Glosse gegen Errico Malatesta, worin es hieß, die Ereignisse vom Juni 1914
könnten vom österreichischen Generalstab unterstützt und finanziert ge-
wesen sein vermittels Zitas von Bourbon’, angesichts der anscheinend nie
abgerissenen »freundschaftlichen« Beziehungen zwischen Malatesta und
Maria Sofia; indem Werk Menschen und Dinge des alten Italiens'” kommt
Benedetto Croce auf [diese] Beziehungen anlässlich des Versuchs zurück,
einen Anarchisten ausbrechen zu lassen, der ein Attentat verübt hatte,
worauf die italienische Regierung bei der französischen Regierung diplo-
matische Schritte unternahm, um diese Aktivitäten Maria Sofias zu unter-
binden’; außerdem an die Anekdoten über Maria Sofia von Frau B. er-
innern, die 1919 mit der Ex-Königin verkehrte, um ein Portrait von ihr zu
Heft 19-524 1957
malen; Malatesta schließlich antwortete nie auf diese Anschuldigungen,
wie es seine Pflicht gewesen wäre, es sei denn, es stimmt, dass er in einem
Brief an ein illegales, von P. Schicchi in Frankreich verlegtes Blättchen mit
dem Titel »Il Picconiere« darauf geantwortet hätte, was sehr zweifelhaft
ist)’, der politische und ideologische Dilettantismus der Scarfoglios. Aber
man muss unterstreichen, dass der »Mattino« die verbreitetste Zeitung des
Südens war und dass die Scarfoglios geborene Journalisten waren, das
heißt jenes schnelle und »sympathische« Gespür für die tiefsten Strömungen
der Leidenschaft im Volk besaßen, das die Verbreitung der Skandalpresse
ermöglicht.

Ein weiteres Element, um die wirkliche Tragweite der besessenen


Einheitspolitik Crispis zu prüfen, ist die Gesamtheit von Gefühlen, die im
Norden gegenüber dem Süden entstanden sind. Das »Elend« des Südens
war »historisch« unerklärlich für die Volksmassen des Nordens: sie ver-
standen nicht, dass die Einheit nicht auf einer Grundlage der Gleichheit
hergestellt worden war, sondern als Hegemonie des Nordens über den
Süden im territorialen Stadt-Land-Verhältnis, dass also der Norden kon-
kret eine »Krake« war, die sich auf Kosten des Südens bereicherte, und
dass [sein] industriell-wirtschaftliches Wachstum ım direkten Verhältnis
zur Verarmung der Wirtschaft und Landwirtschaft des Südens stand. Der
kleine Mann in Oberitalien dachte hingegen, wenn der Süden keine Fort-
schritte machte, nachdem er von den Hindernissen befreit worden war, die
das Bourbonenregime der modernen Entwicklung entgegenstellte, dann
bedeutete dies, dass die Ursachen des Elends keine äußeren waren ‚die in
den objektiven politisch-ökonomischen Bedingungen gesucht werden
müßten, sondern innere, der Bevölkerung des Südens angeborene, um so
mehr, als die Überzeugung vom großen natürlichen Reichtum des Bodens
verwurzelt war: es blieb nur noch eine Erklärung, die organische Unfähig-
keit der Menschen, ihre Barbarei, ihre biologische Minderwertigkeit. Diese
bereits verbreiteten Meinungen (die neapolitanische Tagdieberei (lazzaro-
nismo) war eine Legende alten Datums) wurden konsolidiert und sogar
theorisiert von den Soziologen des Positivismus (Niceforo, Sergi, Ferri,
Orano usw.) und nahmen so in einer Zeit des Wissenschaftsaberglaubens
die Kraft »wissenschaftlicher Wahrheit« an". So kam es zu einer Nord-
Süd-Polemik über die Rassen und die Über- und Unterlegenheit von Nord
bzw. Süd (vgl. die Bücher Colajannis zur Verteidigung des Südens von
diesem Standpunkt aus, und die Reihe der »Rivista Popolare«)”. Indessen
bestand im Norden der Glauben daran fort, der Süden stelle für Italien
eine »Bleigewicht« dar, die Überzeugung, die moderne industrielle Zivilisa-
tion Oberitaliens hätte ohne dieses »Bleigewicht« größere Fortschritte
1958 Neunzehntes Heft

gemacht usw. Zu Beginn des Jahrhunderts setzt auch auf diesem Gebiet
eine starke Reaktion des Südens ein. Auf dem Sardischen Kongress von
1911 unter Vorsitz von General Rugiu wird geschätzt, wieviel hunderte
Millionen in den ersten 50 Jahren des Einheitsstaates Sardinien zugunsten
des Kontinents abgepresst worden sind”. Kampagnen Salveminis, die in
der Gründung der »Unitä« gipfelten, aber bereits in der »Voce« geführt
wurden (vgl. das dann als Broschüre nachgedruckte Sonderheft der »Voce«
über die »Südfrage«)”': auf Sardinien nimmt eine Autonomiebewegung
unter der Führung von Umberto Cau ihren Anfang, die auch eine Tages-
zeitung, »Il Paese«, hatte. Zu Beginn dieses Jahrhunderts verwirklicht sich
auch ein gewisser »panitalienischer« »intellektueller Block«, angeführt von
B. Croce und Giustino Fortunato, der die Südfrage als nationales Problem
durchzusetzen sucht, das dazu geeignet war, das politische und parlamen-
tarische Leben zu erneuern. In jeder Zeitschrift junger Leute, die demo-
kratisch-liberale Tendenzen haben und sich allgemein zum Ziel setzen, das
Leben und die Kultur der Nation in allen Bereichen vom Alten und Pro-
vinziellen zu befreien, in der Kunst, der Literatur, der Politik, zeigt sich
nicht nur der Einfluss Croces und Fortunatos, sondern ihre Mitarbeit; so
in der »Voce« und der »Unitä«, aber auch in der »Patria« von Bologna, in
der »Azione Liberale« von Mailand, in der liberalen Jugendbewegung unter
der Leitung von Giovanni Borelli usw.” Der Einfluss dieses Blockes bricht
sich bei der Festlegung der politischen Linie von Albertinis »Corriere della
Sera« Bahn, und in der Nachkriegszeit, angesichts der neuen Lage, erscheint
er in der »>Stampa« (über Cosmo, Salvatorelli und auch Ambrosini) und im
Giolittismus, mit der Aufnahme Croces in die letzte Regierung Giolitti.
Diese gewiss sehr komplexe und vielseitige Bewegung erfährt heute eine
tendenziöse Interpretation auch durch G. Prezzolini, der doch eine typische
Verkörperung derselben war; es bleibt jedoch die erste Ausgabe der /talie-
nischen Kultur desselben Prezzolini (1923), besonders mit ihren Aus-
lassungen, als authentisches Dokument”.
Die Bewegung entwickelt sich bis zu ihrem Höhepunkt, der zugleich
der Punkt ihrer Auflösung ist: dieser Punkt ist in der besonderen Stellung-
nahme P. Gobettis und in seinen Kulturinitiativen auszumachen: die Pole-
mik Giovannı Ansaldos (und seiner Mitarbeiter, wie »Calcante« alias
Francesco Ciccotti) gegen Guido Dorso ist das aussagekräftigste Doku-
ment dieses Schluss- und Auflösungspunktes, auch aufgrund der Komik,
die nun in den streitlustigen Einschüchterungsgebärden des besessenen
Einheitsdenkens” zutage trıtt (dass Ansaldo (19)25-26 meinte, an eine
Rückkehr der Bourbonen nach Neapel glauben machen zu können, würde
unbegreiflich scheinen ohne die Kenntnis der ganzen Vorgeschichte der
Heft 19-$24 1959

Frage und der unterirdischen Kanäle, über welche die Auseinanderset-


zungen mit für »Uneingeweihte« rätselhaften Andeutungen und Bezug-
nahmen verliefen: trotzdem ist bemerkenswert, dass auch unter manchen
Elementen des Volkes, die Oriani gelesen hatten, damals die Angst umging,
in Neapel wäre eine Restauration der Bourbonen und infolgedessen eine
weitergehende Auflösung des staatlichen Einheitsverbunds möglich).

Aus dieser Reihe von Beobachtungen und Analysen einiger Elemente der
italienischen Geschichte nach der Vereinigung lassen sich einige Kriterien
entnehmen, um den Gegensatz zwischen den Moderati und der Aktions-
partei einzuschätzen und die unterschiedliche politische »Weisheit« dieser
beiden Parteien und der verschiedenen Strömungen zu untersuchen, die
sich die politische und ideologische Führung der letzteren streitig machten.
Es ist offenkundig, dass sich die Aktionspartei, um sich den Moderati
wirksam entgegenzustellen, mit den ländlichen Massen, besonders des
Südens, verbinden musste, »jakobinisch« sein musste nicht nur der äußeren
»Form«, dem Temperament nach, sondern besonders hinsichtlich des
sozial-ökonomischen Inhalts: der Zusammenschluss der unterschiedlichen
ländlichen Klassen, der sich über die verschiedenen klerikal-legitimistischen
Intellektuellenschichten in einem reaktionären Block verwirklichte, konnte
nur dann aufgelöst werden, um zu einer neuen national-liberalen Forma-
tion überzugehen, wenn man in zweierlei Richtung Druck machte: auf die
Bauern an der Basis, indem man ihre elementaren Forderungen aufgriff
und diese zu einem integralen Teil des neuen Regierungsprogramms machte,
und auf die Intellektuellen der Mittel- und Unterschichten, indem man sie
zusammenführte und auf den Themen beharrte, die sie am meisten interes-
sieren konnten (und bereits die Perspektive der Bildung eines neuen
Regierungsapparats mit den sich bietenden Beschäftigungsmöglichkeiten
wäre für sie ein außerordentlich attraktives Element gewesen, wenn sich
die Perspektive konkret, weil auf die Bestrebungen der Landbevölkerung
gestützt, präsentiert hätte). Die Beziehung zwischen diesen beiden Aktio-
nen war dialektisch und gegenseitig: die Erfahrung vieler Länder und allen
voran Frankreichs in der Zeit der großen Revolution hat gezeigt, dass,
wenn die Bauern sich aus »spontanen« Anstößen heraus in Bewegung
setzen, die Intellektuellen zu schwanken beginnen, und umgekehrt, wenn
eine Gruppe Intellektueller sich auf die neue Grundlage einer konkreten
bauernfreundlichen Politik stellt, sie schließlich immer größere Teile der
Masse mit sich reißt. Man kann jedoch sagen, dass es angesichts der breiten
Streuung und der Isoliertheit der ländlichen Bevölkerung und somit der
Schwierigkeit, sie in starken Organisationen zusammenzufassen, ange-
bracht ist, dass die Bewegung bei den Intellektuellengruppen beginnt; im
1960 Neunzehntes Heft

allgemeinen muss man aber das dialektische Verhältnis zwischen den beiden
Aktionen berücksichtigen”. Man kann auch sagen, dass es fast unmöglich
ist, Bauernparteien im eigentlichen Sinn des Wortes zu schaffen: die
Bauernpartei realisiert sich gewöhnlich nur als starke Meinungsströmung,
nicht schon in den schematischen Formen eines bürokratischen Rahmens;
jedoch das Vorhandensein auch nur eines organisatorischen Skeletts ist von
ungeheurem Nutzen, sowohl für eine gewisse Auswahl* von Menschen,
als auch, um die Intellektuellengruppen zu kontrollieren und zu verhindern,
dass die Kasteninteressen sie unmerklich auf anderes Gelände führen.

Diese Kriterien sind beim Studium der Persönlichkeit von Giuseppe


Ferrari zu berücksichtigen, welcher der ungehörte »Spezialist« der Aktions-
partei in Agrarfragen war. Bei Ferrari gilt es, auch die Einstellung zum
Tagelöhnertum gut zu untersuchen, also zu den landlosen und von der
Hand in den Mund lebenden Bauern, auf die er einen beträchtlichen Teil
seiner Ideologien gründet, weshalb er von bestimmten Strömungen noch
erforscht und gelesen wird (Werke Ferraris, neu aufgelegt bei Monanni mit
Vorwörtern von Luigi Fabbri)”. Es muss anerkannt werden, dass das Pro-
blem des Tagelöhnertums äußerst schwierig und auch heute schwer zu lösen
ist. Allgemein sind folgende Kriterien zu bedenken: die Tagelöhner sind
größtenteils auch heute noch - und waren es desto mehr in der Zeit des
Risorgimento - einfache Bauern ohne Land, keine Arbeiter einer ent-
wickelten landwirtschaftlichen Industrie mit Kapitalkonzentration und
Arbeitsteilung; in der Zeit des Risorgimento war der Typus des Kontrakt-
arbeiters im Vergleich zu dem des Gelegenheitsarbeiters signifikant stärker
verbreitet. Ihre Psychologie ist deswegen, mit den gebührenden Ausnah-
men, die gleiche wie die des Pächters und des Kleinbauern (zu erinnern ist
an die Polemik zwischen den Senatoren Tanarı und Bassıni im »Resto del
Carlino« und in der »Perseveranza« gegen Ende 1917 oder Anfang 18 über
die Verwirklichung der Losung »das Land den Bauern«, die um diese Zeit
ausgegeben wurde: Tanari war dafür, Bassini dagegen, und Bassini stützte
sich auf seine Erfahrung als großer Agrarindustrieller, als Besitzer von
Landwirtschaftsbetrieben, in denen die Arbeitsteilung bereits so weit fort-
geschritten war, dass das Land wegen des Verschwindens des Bauern-
Handwerkers und des Auftauchens des modernen Arbeiters unaufteilbar
geworden war)”. In zugespitzter Form stellte sich die Frage nicht so
sehr im Süden, wo der handwerkliche Charakter der bäuerlichen Arbeit
zu offensichtlich war, sondern in der Po-Ebene, wo er verschleierter ist.
Doch auch in jüngerer Zeit war die Existenz eines akuten Problems des

Im Ms.: »soluzione«, dt.»Lösung«, statt »seleziones; korrigiert nach dem A-Text.


Heft 19- $24 1961

Tagelöhnertums in der Po-Ebene teilweise auf »außerökonomische«


Gründe zurückzuführen: 1. Überbevölkerung, die keinen Ausweg in der
Auswanderung fand wie im Süden und mit der Politik der öffentlichen
Arbeiten künstlich aufrechterhalten wurde; 2. Politik der Besitzer, welche
die arbeitende Bevölkerung nicht zu einer einzigen Klasse von Tagelöhnern
und Halbpächtern konsolidieren wollten, indem sie die Halbpacht mit der
Selbstbewirtschaftung abwechselten und sich dieses Wechsels bedienten,
um eine bessere Auswahl privilegierter Halbpächter zu bewirken, die ihre
Verbündeten sein sollten (auf jedem Kongress von Landbesitzern der
Po-Region wurde immer darüber diskutiert, ob die Halbpacht oder die
direkte Bewirtschaftung vorteilhafter wäre, und es war klar, dass die Ent-
scheidung darüber aus Motiven sozial-politischer Natur getroffen wurde).
Im Risorgimento trat das Problem des Tagelöhnertums in der Po-Ebene
in Form eines erschreckenden Phänomens von Pauperismus zutage. So
wird es von dem Ökonomen Tullio Martello in seiner 1871-72 verfassten
Geschichte der Internationale gesehen, einer Arbeit, die berücksichtigt
werden muss, weil sie die politischen Positionen und die sozialen Sorgen
der vorangehenden Zeit widerspiegelt”.
Ferraris Position wird auch durch seinen »Föderalismus« geschwächt,
der sich besonders bei ihm, der in Frankreich lebte, noch mehr als ein
Widerschein der nationalen und staatlichen Interessen Frankreichs zeigte.
Zu erinnern ist an Proudhon und seine Pamphlete gegen die italienische
Einheit, die eingestandenermaßen vom Standpunkt der französischen
Staatsinteressen und der Demokratie aus bekämpft wurde”. In Wirklich-
keit waren die Hauptströmungen der französischen Politik erbittert gegen
die Einheit Italiens. Noch heute »beschuldigen« die Monarchisten
(Bainville und Co.)” die beiden Napoleons nachträglich, den Mythos der
Nationalität geschaffen und dazu beigetragen zu haben, dass er in
Deutschland und Italien verwirklicht wurde, womit die relative Größe
Frankreichs gemindert worden sei, das von einem Schwarm von Klein-
staaten Schweizer Typs umgeben sein »müsste«, um »sicher« zu sein.
Gerade mit der Losung »Unabhängigkeit und Einheit«, ohne Berück-
sichtigung des konkreten politischen Inhaltes solcher allgemeiner For-
meln, bildeten nun die Moderati nach (18)48 den nationalen Block unter
ihrer Hegemonie, indem sie die beiden obersten Führer der Aktionspartei,
Mazzini und Garibaldi, in unterschiedlicher Form und Intensität beein-
flussten. Wie die Moderati mit ihrer Absicht, die Aufmerksamkeit vom
Kern auf die Schale zu lenken, erfolgreich waren, zeigt unter vielem anderen
folgender Ausspruch Guerrazzis in einem Brief an einen sizilianischen
Studenten (veröffentlicht von Eugenio de Carlo im »Archivio Storico
1962 Neunzehntes Heft

Siciliano« - Briefwechsel F.D. Guerrazzis mit dem Notar Francesco Paolo


Sardofontana di Riella, zusammengefasst im »Marzocco« vom 29. Novem-
ber 1929): »Sei es, was es wolle - Despotismus oder Republik oder was
auch immer -, versuchen wir uns nicht zu spalten; mit diesem Grundsatz,
komme was da mag, werden wir den Weg wiederfinden«”. Im übrigen ist
die ganze Umtriebigkeit Mazzinis konkret im fortwährenden und perma-
nenten Predigen der Einheit kondensiert gewesen.

In Bezug auf den Jakobinismus und die Aktionspartei ist folgendes Ele-
ment an erste Stelle zu rücken: dass die Jakobiner mit schonungslosem
Kampf ihre Funktion als führende Partei eroberten; in Wirklichkeit haben
sie sich der französischen Bourgeoisie »aufgedrängt«, indem sie es zu einer
weit avancierteren Position brachten, als die ursprünglich stärkeren bür-
gerlichen Kerngruppen »spontan« hätten einnehmen wollen, und auch
weit avancierter, als es die historischen Voraussetzungen zulassen durften,
und daher die Rückschläge und die Funktion Napoleons I. Dieser für den
Jakobinismus (aber vorher auch für Cromwell und die »Rundköpfe«) und
daher für die gesamte Große Revolution charakteristische Zug des (offen-
baren) Forcierens der Situation und der Schaffung vollendeter, irreparabler
Tatsachen seitens einer Gruppe äußerst energischer und entschlossener
Männer, indem man die Bürger mit Tritten ins Gesäß vorantrieb, lässt sich
folgendermaßen »schematisieren«: der Dritte Stand war der am wenigsten
homogene der Stände; er hatte eine sehr uneinheitliche intellektuelle Elite
und eine ökonomisch sehr avancierte, aber politisch moderate Gruppe.
Die Entwicklung der Ereignisse folgt einem Prozess interessantester Art.
Die Vertreter des Dritten Standes stellen anfangs nur die Fragen, welche
die aktuellen physischen Komponenten der gesellschaftlichen Gruppe
interessieren, ihre unmittelbaren »korporativen« Interessen (korporativ
im traditionellen Sinn, als unmittelbare und borniert egoistische einer
bestimmten Kategorie): die Vorläufer der Revolution sind in der Tat mode-
rate Reformer, die den Mund weit aufreißen, aber in Wirklichkeit recht
wenig verlangen. Nach und nach sondert sich eine neue Elite aus, die sich
nicht einzig und allein für »korporative« Reformen interessiert, sondern
dahin tendiert, die Bourgeoisie als die hegemoniale Gruppe aller Volks-
kräfte zu begreifen, und diese Auslese erfolgt durch das Wirken zweier
Faktoren: den Widerstand der alten gesellschaftlichen Kräfte und die inter-
nationale Bedrohung. Die alten Kräfte wollen nichts abtreten, und wenn
sie etwas abtreten, tun sie es in der Absicht, Zeit zu gewinnen und eine
Gegenoffensive vorzubereiten. Der Dritte Stand wäre in diese sukzessiven
»Fallen« getappt ohne das energische Handeln der Jakobiner, die sich
jeder »zwischenzeitlichen« Unterbrechung des revolutionären Prozesses
Heft 19-824 1963
widersetzen und nicht nur die Elemente der alten, zählebigen Gesellschaft,
sondern auch die Revolutionäre von gestern, die heute reaktionär gewor-
denen sind, unter die Guillotine bringen. Die Jakobiner waren somit die
einzige Partei der Revolution im Vollzug, denn sie repräsentierten nicht
nur die unmittelbaren Bedürfnisse und Bestrebungen der physischen Per-
sonen von damals, die die französische Bourgeoisie bildeten, sondern sie
repräsentierten die revolutionäre Bewegung in ihrer Gesamtheit, als um-
fassende geschichtliche Entwicklung, weil sie auch die Bedürfnisse der
Zukunft repräsentierten, und wiederum nicht allein jener bestimmten
physischen Personen, sondern aller nationalen Gruppen, die der bestehen-
den fundamentalen Gruppe assimiliert werden mussten. Gegen eine ten-
denziöse und im Grunde ahistorische Strömung gilt es darauf zu bestehen,
dass die Jakobiner Realisten im Sinne Machiavellis und nicht Abstraktisten
waren. Sie waren von der absoluten Wahrheit der Losungen von der
Gleichheit, der Brüderlichkeit und der Freiheit überzeugt, und - was noch
wichtiger ist - von dieser Wahrheit waren die großen Volksmassen über-
zeugt, welche die Jakobiner auf den Plan riefen und zum Kampf führten.
Die Sprache der Jakobiner, ihre Ideologie, ihre Methoden des Handelns
widerspiegelten perfekt die Erfordernisse der Epoche, auch wenn sie
»heute«, in einer anderen Situation und nach mehr als einem Jahrhundert
kultureller Ausarbeitung, als » Abstraktisten« und »frenetisch« erscheinen
können. Natürlich widerspiegelten sie sie entsprechend der Tradition der
französischen Kultur, und ein Beweis dessen ist die Analyse der Sprache
der Jakobiner, die sich in der Heiligen Familie” findet, und Hegels Ein-
lassung, der die politisch-juristische Sprache der Jakobiner und die Be-
griffe der klassischen deutschen Philosophie”, der man heute dagegen die
höchste Konkretheit zuerkennt und die den modernen Historismus her-
vorgebracht hat, als parallel und wechselseitig übersetzbar fasst. Das erste
Erfordernis war, die gegnerischen Kräfte zu vernichten oder wenigstens
außer Gefecht zu setzen, um eine Konterrevolution unmöglich zu machen;
das zweite Erfordernis bestand darin, die Führungskräfte der Bourgeoisie
als solcher zu erweitern und sie an die Spitze aller nationalen Kräfte zu
stellen, indem man die allen nationalen Kräften gemeinsamen Interessen
und Erfordernisse ausfindig machte, um diese Kräfte in Bewegung zu setzen
und zum Kampf zu führen, wobei zwei Ergebnisse erzielt wurden: a) den
Schlägen der Gegner ein breiteres Angriffsziel entgegenzusetzen, das
heißt, ein der Revolution günstiges militärisch-politisches Verhältnis zu
schaffen; b) den Gegnern jegliche Passivitätszone zu entziehen, in der es
möglich gewesen wäre, Vend&e-Heere zu rekrutieren. Ohne die Agrar-
politik der Jakobiner hätte Paris die Vendee schon vor seinen Toren gehabt.
Der Widerstand der Vendee im eigentlichen Sinne hängt mit der nationalen
1964 Neunzehntes Heft

Frage zusammen, die sich unter den bretonischen und allgemein anders-
stämmigen Bevölkerungen durch die Formel von der »einen und unteilba-
ren Republik« und durch die Politik militärbürokratischer Zentralisierung
verschärft hatte und auf welche die Jakobiner nur um den Preis des Selbst-
mordes verzichten konnten. Die Girondisten versuchten, den Föderalismus
zu benutzen, um das jakobinische Paris zu zerschmettern, aber die Truppen
aus der Provinz, die nach Paris gebracht wurden, gingen zu den Revolu-
tionären über. Außer in einigen Randgebieten, wo der nationale (und
sprachliche) Unterschied sehr groß war, gewann die Agrarfrage die Ober-
hand über die Bestrebungen nach lokaler Autonomie: das bäuerliche
Frankreich akzeptierte die Hegemonie von Paris, das heißt, es begriff, dass
es zur endgültigen Zerstörung des alten Regimes mit den avanciertesten
Elementen des Dritten Standes und nicht mit den moderaten Girondisten
einen Block bilden musste. Wenn es wahr ist, dass die Jakobiner dabei »mit
Gewalt nachhalfen«, so ist auch wahr, dass dies immer im Sinne der wirk-
lichen geschichtlichen Entwicklung geschah, denn sie organisierten nicht
nur eine bürgerliche Regierung, machten also die Bourgeoisie zur herr-
schenden Klasse, sondern sie taten noch mehr, sie schufen den bürgerlichen
Staat, sie machten die Bourgeoisie zur führenden, hegemonialen Klasse der
Nation, das heißt, sie gaben dem neuen Staat eine dauerhafte Basis, schufen
die kompakte moderne französische Nation.
Dass die Jakobiner bei alledem immer auf dem Terrain der Bourgeoisie
geblieben sind, das demonstrieren die Ereignisse, die ihr Ende als Partei
allzu bestimmter und starrer Formierung anzeigten, und Robespierres
Tod: sie wollten den Arbeitern nicht das Koalitionsrecht zugestehen, indem
sie das Gesetz Le Chapelier aufrechterhielten, und mussten als Konse-
quenz das Gesetz über das »Maximum« erlassen. So zerbrachen sie den
städtischen Block von Paris; ihre Sturmtruppen, die sich in der Kommune
gesammelt hatten, zerstreuten sich enttäuscht, und der Thermidor gewann
die Oberhand. Die Revolution war an ihre äußersten Klassengrenzen
gestoßen; die Politik der Bündnisse und der permanenten Revolution hatte
am Ende neue Fragen entstehen lassen, die damals nicht gelöst werden
konnten”, sie hatte elementare Kräfte entfesselt, die nur eine Militär-
diktatur hätte erfolgreich bändigen können.
In der Aktionspartei findet man nichts davon, was dieser jakobinischen
Orientierung, diesem unbeugsamen Willen, die führende Partei zu werden,
ähnelt. Gewiss müssen die Unterschiede in Betracht gezogen werden: in
Italien erschien der Kampf als Kampf gegen die alten Verträge und die
bestehende internationale Ordnung sowie gegen eine fremde Macht,
Österreich, die deren Repräsentant und Stütze in Italien war, indem sie einen
Heft 19-$ 24 1965

Teil der Halbinsel besetzt hielt und den Rest kontrollierte. Auch in Frank-
reich stellte sich das Problem, wenigstens in einem gewissen Sinn, weil an
einem bestimmten Punkt der innere Kampf ein nationaler, an der Grenze
ausgefochtener Kampf wurde, aber das geschah, nachdem das ganze Ter-
ritorium für die Revolution gewonnen worden war, und die Jakobiner ver-
mochten aus der äußeren Bedrohung Elemente für eine größere Energie
ım Innern zu ziehen: sie verstanden sehr wohl, dass sie, um den äußeren
Feind zu besiegen, im Inneren seine Verbündeten zerschlagen mussten,
und sie zögerten nicht, das Septemberblutbad anzurichten. In Italien wurde
diese Verbindung, die ebenfalls, explizit und implizit, zwischen Österreich
und wenigstens einem Teil der Intellektuellen, der Adligen und der Grund-
besitzer existierte, von der Aktionspartei nicht oder wenigstens nicht mit
der erforderlichen Energie und in der praktisch wirkungsvollsten Weise
angeprangert und wurde kein aktives politisches Element. Sie verwandelte
sich »merkwürdigerweise« in eine Frage größerer oder geringerer patrio-
tischer Würde und führte dann bis nach 1898 zu einem Nachspiel ver-
bitterter und fruchtloser Auseinandersetzungen (vgl. die Artikel von
»Rerum Scriptor« in der »Critica Sociale« nach der Wiederaufnahme der
Veröffentlichungen und das Buch von Romualdo Bonfadini Fünfzig Jahre
Patriotismus)”.

In diesem Zusammenhang ist an die Frage der »Verhörprotokolle« von


Federico Confalonieri zu erinnern: Bonfadini behauptet in seinem oben
zitierten Buch in einer Anmerkung, die Sammlung der »Verhörprotokolle«
im Staatsarchiv von Mailand gesehen zu haben, und verweist auf etwa 80
Hefte”. Andere haben immer bestritten, dass die Sammlung der Verhör-
protokolle in Italien existierte, und erklärten damit deren Nichtveröffent-
lichung; in einem Artikel von Senator Salata, der damit beauftragt war, in
den Wiener Archiven Nachforschungen über die Dokumente bezüglich
Italiens anzustellen, einem 1925 (?) veröffentlichten Artikel, hieß es,
dass die Verhörprotokolle aufgefunden worden waren und veröffentlicht
worden seien”. Daran erinnern, dass die »Civiltä Cattolica« in einer be-
stimmten Zeit die Liberalen herausforderte, sie zu veröffentlichen, und
dabei behauptete, sie würden bei Bekanntwerden nicht weniger als die
Einheit des Staates in die Luft gesprengt haben”. Die beachtenswerteste
Tatsache in der Frage Confalonieri besteht darin, dass Confalonieri, der
doch ein bemerkenswerter Politiker war, sich im Unterschied zu anderen
von Österreich begnadigten Patrioten aus dem aktiven Leben zurückzog
und nach seiner Befreiung eine sehr distanzierte Zurückhaltung bewahrte.
Die ganze Frage um Confalonieri ist zusammen mit der von ihm und seinen
Gefährten eingenommenen Haltung kritisch neu zu untersuchen, mit einer
1966 Neunzehntes Heft

gründlichen Überprüfung der von den einzelnen geschriebenen Memoiren,


wenn sie welche geschrieben haben: interessant sind wegen der Auseinan-
dersetzungen, die er hervorrief, die Memoiren des Franzosen Alexandre
Andryane, der Confalonieri großen Respekt und Bewunderung zollt,
während er G. Pallavicino wegen seiner Schwäche angreift”.
Nachdem auch neuerdings wieder die Haltung verteidigt worden ist,
welche die lombardische Aristokratie Österreich gegenüber besonders
nach dem Mailänder Aufstandsversuch vom Februar 1853 und unter Maxi-
milians Vizekönigtum eingenommen hatte, ist zu erinnern, dass Alessandro
Luzio, dessen Geschichtswerk immer tendenziös und giftig gegen die
Demokraten ist, so weit geht, die treuen Dienste zu rechtfertigen, die
Salvotti Österreich geleistet hat: von wegen jakobinischer Geist!” Die
komische Note erhält die Frage durch Alfredo Panzini, der in Cavours
Leben eine ganze Variation, ebenso geziert wie widerwärtig und jesuitisch,
über ein »Tigerfell« schreibt, das während eines Besuches von Franz Joseph
in Mailand aus dem Fenster eines Aristokraten hing!”
Unter all diesen Gesichtspunkten müssen die Auffassungen Missirolis,
Gobettis, Dorsos usw. vom italienischen Risorgimento als »königlicher
Eroberung« betrachtet werden”.
Wenn sich in Italien keine jakobinische Partei herausbildete, so sind die
Gründe dafür im ökonomischen Bereich zu suchen, das heißt in der rela-
tiven Schwäche der italienischen Bourgeoisie und in dem veränderten
historischen Klıma in Europa nach 1815. Die Grenze, an welche die Jako-
biner in ihrer Politik forcierten Wachrüttelns der mit der Bourgeoisie zu
verbündenden Energien des französischen Volkes mit dem Gesetz Le
Chapelier und dem über das »Maximum« gestoßen waren, stellte sich
(18)48 als ein bereits bedrohliches, von Österreich, den alten Regierungen
und auch von Cavour (wie im übrigen vom Papst) gekonnt benutztes »Ge-
spenst« dar". Die Bourgeoisie konnte (vielleicht) ihre Hegemonie nicht
mehr auf die breiten Volksschichten ausdehnen, die sie hingegen in Frank-
reich zu umgreifen vermochte (sie konnte dies aus subjektiven, nicht aus
objektiven Gründen nicht), doch auf die Bauern einzuwirken war gewiss
immer möglich.
Unterschiede zwischen Frankreich, Deutschland und Italien im Prozess
der Machtübernahme seitens der Bourgeoisie (und England). In Frankreich
weist der Prozess den größten Reichtum an Entwicklungen und aktiven
und positiven politischen Elementen auf. In Deutschland gestaltet sich der
Prozess in mancher Hinsicht auf Weisen, die den italienischen ähneln, in
anderer den englischen. In Deutschland scheitert die Bewegung von (18)48
Heft 19-$24 1967
wegen der geringen bürgerlichen Konzentration (die Losung jakobinischen
Typs wurde von der äußersten demokratischen Linken ausgegeben: »Re-
volution in Permanenz«)" und weil die Frage der staatlichen Erneuerung
mit der nationalen Frage verflochten ist; die Kriege von (18)64, 66 und 70
lösen gleichzeitig die nationale Frage und die Klassenfrage mit einem
Zwischentypus: die Bourgeoisie erhält die industriell-wirtschaftliche Re-
gierung, aber die alten Feudalklassen bleiben als Regierungsschicht des
politischen Staates mit weitreichenden korporativen Privilegien im Heer,
in der Verwaltung und im Grundbesitz: aber wenigstens üben diese alten
Klassen in Deutschland, wenn sie auch soviel Bedeutung bewahren und so
viele Privilegien genießen, eine nationale Funktion aus, werden sie die »In-
tellektuellen« der Bourgeoisie, mit einem bestimmten, durch die Kasten-
herkunft und die Tradition gegebenen Temperament. In England, wo die
bürgerliche Revolution sich früher vollzogen hat als in Frankreich, haben
wir es mit einem dem deutschen ähnlichen Phänomen der Verschmelzung
von Altem und Neuem zu tun, trotz der extremen Energie der englischen
»Jakobiner«, nämlich der »Rundköpfe« Cromwells; die alte Aristokratie
bleibt als Regierungsschicht mit gewissen Privilegien, wird ebenfalls zur
intellektuellen Schicht der englischen Bourgeoisie (im übrigen ist die eng-
lische Arıstokratie kadermäßig offen und erneuert sich fortwährend mit
Elementen, die von den Intellektuellen und der Bourgeoisie herkommen).
Hierzu sind* einige im Vorwort zur englischen Übersetzung von Utopie
und Wissenschaft” enthaltene Betrachtungen nachzusehen, die es bei der
Untersuchung über die Intellektuellen und ihre geschichtlich-gesellschaft-
lichen Funktionen zu berücksichtigen gilt.
Antonio Labriolas Erklärung dafür, dass in Deutschland die Junker** und
das Kaisertum trotz der großen kapitalistischen Entwicklung an der Macht
geblieben sind“, verhüllt die richtige Erklärung: das Klassenverhältnis, das
durch die industrielle Entwicklung mit dem Erreichen der Grenze der
bürgerlichen Hegemonie und mit dem Umkippen der Positionen der fort-
schrittlichen Klassen entstanden ist, hat die Bourgeoisie dazu gebracht, das
alte Regime nicht bis zum letzten zu bekämpfen, sondern einen Teil von
dessen Fassade fortbestehen zu lassen, um dahinter die eigene wirkliche
Herrschaft zu verschleiern.
Dieser Unterschied hinsichtlich des Prozesses, in welchem sich ein und
dieselbe geschichtliche Entwicklung in den verschiedenen Ländern manı-
festiert, muss nicht nur mit den verschiedenen Kombinationen der inneren

* Im Ms.: »ist«.
** Deutsch im Original.
1968 Neunzehntes Heft

Verhältnisse im Leben der verschiedenen Nationen in Zusammenhang ge-


bracht werden, sondern auch mit den unterschiedlichen internationalen
Verhältnissen (die internationalen Faktoren werden in dieser Art von
Untersuchungen gewöhnlich unterbewertet). Der jakobinische, verwegene,
kühne Geist hängt außer vom Vorhandensein eines städtischen Zentrums
wie Paris und der in Frankreich durch das Werk der absoluten Monarchie
bewirkten Zentralisierung gewiss mit der so lange Zeit von Frankreich in
Europa ausgeübten Hegemonie zusammen. Dagegen haben die Kriege
Napoleons mit der enormen Vernichtung von Männern, darunter den
mutigsten und unternehmendsten, nicht nur die militante politische Energie
Frankreichs, sondern auch die der anderen Nationen geschwächt, obwohl
sie intellektuell so fruchtbar für die Erneuerung Europas gewesen sind.
Die internationalen Verhältnisse haben gewiss eine große Bedeutung für
die Festlegung der Entwicklungslinie des italienischen Risorgimento gehabt,
sind aber von der moderaten Partei und von Cavour zu Parteizwecken
übertrieben worden. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht, dass Cavour,
der die Initiative Garibaldis vor dem Unternehmen von Quarto und der
Überquerung der Meerenge wegen der internationalen Komplikationen,
die sie hervorrufen konnte, wie das Feuer fürchtet und dann von der Be-
geisterung, welche die Tausend in der öffentlichen Meinung Europas her-
vorgerufen haben, selbst so weit getrieben wird, einen sofortigen neuen
Krieg gegen Österreich für machbar zu halten. Es gab bei Cavour eine ge-
wisse berufsbedingte Deformation des Diplomaten, die ihn dazu brachte,
»zu viele« Schwierigkeiten zu sehen, und ihn zu »verschwörerischen«
Übertreibungen und zu größtenteils seiltänzerischen Wundern an Sub-
tilität und Intrige veranlasste. Jedenfalls verfuhr Cavour vornehmlich als
Parteimann: dass seine Partei dann die tiefsten und dauerhaftesten natio-
nalen Interessen repräsentierte, wenn auch nur in dem Sinne, der Gemein-
samkeit der Bedürfnisse der Bourgeoisie mit der Masse des Volkes die
größtmögliche Ausdehnung zu verleihen, ist eine andere Frage.
Was die (18)48-49 formulierte »jakobinische« Losung betrifft, ist ihr
kompliziertes Schicksal zu studieren. Wiederaufgenommen, systema-
tisiert, ausgearbeitet, intellektualisiert durch die Gruppe Parvus-Bronstein,
erwies sie sich 1905 und in der Folgezeit als unbeweglich und unwirksam:
sie war eine abstrakte Sache geworden, wie aus der Studierstube. Die Strö-
mung hingegen, die sie in dieser literarischen Manifestation bekämpfte,
wandte sie, ohne sie »vorsätzlich« zu übernehmen, faktisch an in einer
der aktuellen Geschichte entsprechenden, konkreten, lebendigen, der Zeit
und dem Ort angemessenen Form, als etwas, das aus allen Poren der be-
stimmten Gesellschaft, die es umzuformen galt, quoll, als ein Bündnis
Heft 19- $ 24-525 1969
zweier gesellschaftlicher Gruppen unter der Hegemonie der städtischen
Gruppe”.
In dem einen Fall hatte man das jakobinische Temperament ohne einen
angemessenen politischen Inhalt; im zweiten, Temperament und Inhalt
»jakobinisch« nach den neuen geschichtlichen Verhältnissen und nicht
nach einem literarischen und intellektualistischen Etikett.

$(25). Antisemitismus im Risorgimento. In den Geständnissen und


Glaubensbekenntnissen von Literaten, Philosophen, Politikern usw. (in
3 Bdn., Bocca, Turin, 1921) ist ein lyrisch-sentimentaler Streifzug von
Raffaele Ottolenghi veröffentlicht, der einige seiner Erinnerungen als
piemontesischer »Jude« wiedergibt, denen einige Hinweise zur Situation der
Juden in der Zeit des frühen Risorgimento entnommen werden können‘.
Ein Jude, Veteran Napoleons, kehrte mit einer französischen Frau in
seine Heimat zurück: als der Bischof erfahren hatte, dass die Frau Christin
war, ließ er sie gegen ihren Willen von den Gendarmen abführen. Der
Bischof bemächtigte sich mit militärischer Gewalt der jüdischen Kinder,
die bei einigen Streitereien mit den Eltern gedroht haben sollen, Christen
zu werden. (Brofferio vermerkt eine Reihe dieser Tatsachen in seiner Ge-
schichte)‘.
Nach 1815 wurden die Juden aus den Universitäten und damit aus den
freien Berufen verjagt.
Während der österreichisch-russischen Invasion 1799 kam es zu Pogro-
men; in Acqui gelang es nur durch das Eingreifen des Bischofs, den
Urgroßvater Ottolenghis vor den Gewehren der Menge zu retten. In Siena
wurden bei einem Pogrom Juden auf den Scheiterhaufen geschickt, ohne
dass der Bischof zu ihren Gunsten eingreifen wollte.
Ottolenghis Vater kehrte (18)48 in der Uniform der Nationalgarde aus
Turin nach Acqui zurück: Erregung unter den Reaktionären, die das Ge-
rücht vom Ritualmord eines christlichen Kindes von seiten Ottolenghis
ausstreuten; Sturmglocken, Ankunft der Bauern vom Land, um das Ghetto
zu plündern. Der Bischof weigerte sich einzuschreiten, und Ottolenghi
wurde vom Bürgermeister durch eine vorgetäuschte Festnahme bis zur
Ankunft der Truppen gerettet. Die Reaktionäre und die Klerikalen wollten
die liberalen Neuerungen von 48 als eine Erfindung der Juden erscheinen
lassen. (Man müsste die Geschichte des Kindes Mortara rekonstruieren, die
ein solch geräuschvolles Echo in den Polemiken gegen den Klerikalismus
gefunden hat)".
1970 Neunzehntes Heft

$(26). Das Verhältnis Stadt-Land im Risorgimento und in der nationalen


Struktur Italiens. Die Beziehungen zwischen städtischer Bevölkerung
und ländlicher Bevölkerung sind nicht von einem einzigen schematischen
Typus, besonders in Italien. Es muss deshalb festgelegt werden, was man
unter »städtisch« und unter »ländlich« in der modernen Zivilisation ver-
steht und welche Kombinationen sich aus dem Fortdauern antiquierter
und rückständiger Formen in der allgemeinen Zusammensetzung der Be-
völkerung ergeben können, untersucht man sie unter dem Gesichtspunkt
ihrer größeren oder geringeren Zusammenballung. Manchmal kommt das
Paradox zustande, dass ein ländlicher Typus progressiver ist als ein Typus,
der sich städtisch nennt.
Eine »Industrie«-Stadt ist immer progressiver als das von ihr organisch
abhängige flache Land. Aber in Italien sind nicht alle Städte »Industrie«-
Städte, und typische Industriestädte gibt es noch weniger. Sind die »hun-
dert« italienischen Städte Industriestädte, beweist die Zusammenballung
der Bevölkerung in nichtländlichen Zentren, die fast doppelt so hoch wie
in Frankreich ist, dass es in Italien eine doppelt so große Industrialisierung
wie in Frankreich gibt? In Italien ist die Verstädterung nicht nur und nicht
einmal »speziell« eine Erscheinung kapitalistischer Entwicklung und der
Großindustrie. Die Stadt, die lange Zeit die größte in Italien war und immer
noch eine der größten ist, Neapel, ist keine Industriestadt: nicht einmal
Rom, gegenwärtig die größte italienische Stadt, ist eine Industriestadt.
Dennoch gibt es auch in diesen Städten mittelalterlichen Typus starke
Kerne einer Bevölkerung des modernen städtischen Typus; aber welches
ist ihre relative Stellung? Sie werden überrollt, bedrängt, erdrückt durch
den anderen Teil, der nicht vom modernen Typus ist und die übergroße
Mehrheit bildet. Paradox der »Städte des Schweigens«.
In diesem Stadttypus besteht zwischen allen gesellschaftlichen Gruppen
eine städtische ideologische Einheit gegen das Land, eine Einheit, der sich
nicht einmal die hinsichtlich ihrer zivilen Funktion modernsten Kern-
gruppen entziehen, die es hier ebenfalls gibt: da sind der Hass und die Ver-
achtung für den »Bauernlümmel«, eine implizite Einheitsfront gegen die
Forderungen des Landes, die, wenn sie realisiert würden, die Existenz
dieses Stadttypus unmöglich machen würden. Umgekehrt besteht eine
»allgemeine«, aber deshalb nicht weniger hartnäckige und leidenschaftliche
Abneigung des Landes gegen die Stadt, gegen die ganze Stadt, alle Gruppen,
aus denen sie sich zusammensetzt. Dieses allgemeine Verhältnis, das in
Wirklichkeit sehr komplex ist und manchmal in offenbar widersprüchlichen
Formen zutage tritt, ist im Verlauf der Kämpfe für das Risorgimento von
erstrangiger Bedeutung gewesen, als es noch absoluter und wirksamer war,
Heft 19-$26 | 1971
als es heute ist. Das erste eklatante Beispiel für diese offenbaren Wider-
sprüche ist anhand der Episode der Parthenopeischen Republik von 1799
zu untersuchen: die Stadt wurde von dem in den Horden des Kardinals
Ruffo organisierten Land niedergewalzt, weil die Republik sowohl in ihrer
ersten aristokratischen Phase als auch in der zweiten bürgerlichen einer-
_ seits das Land vollkommen vernachlässigte, andererseits aber die kleinen
Leute in Neapel kalt ließ, wenn nicht gar feindlich stimmte, da sie einen
jakobinischen Umbruch in Aussicht stellte, durch den das Grundeigentum,
das seine Agrarrendite in Neapel verausgabte, enteignet werden konnte,
wodurch die große Masse des Volkes seiner Einkommens- und Lebens-
quellen beraubt worden wäre. Im Risorgimento tritt außerdem schon im
Keim das historische Verhältnis zwischen Nord und Süd als ein Verhältnis
hervor, das dem einer Großstadt zu einem großen flachen Lande ähnelte:
da dieses Verhältnis keineswegs das normale organische zwischen Provinz
und industrieller Hauptstadt ist, sondern zwischen zwei ausgedehnten
Territorien mit sehr unterschiedlicher ziviler und kultureller Tradition auf-
tritt, verstärken sich die Aspekte und Elemente eines Nationalitäten-
konfliktes'. Was in der Zeit des Risorgimento besonders bemerkenswert
ist, ist die Tatsache, dass in den politischen Krisen die Initiative zum Handeln
beim Süden liegt: 1799 Neapel, (18) 20-21 Palermo, 47 Messina und Sizilien,
47-48 Sizilien und Neapel. Eine andere bemerkenswerte Tatsache ist der
besondere Aspekt, den jede Bewegung in Mittelitalien annimmt, als ein
Mittelweg zwischen Nord und Süd: Die Zeit der (relativ) vom Volk aus-
gehenden Initiativen reicht von 1815 bis 1848 und gipfelt in der Toskana
und in den Staaten des Papstes (die Romagna und die Lunigiana muss man
immer zum Zentrum zählen). Diese Besonderheiten haben auch in der
Folgezeit ein Gegenstück: die Ereignisse vom Juni 1914 fanden ihren Höhe-
punkt in einigen Regionen des Zentrums (Romagna und Marken); die
Krise, die 1893 auf Sizilien beginnt und im Süden und in der Lunigiana
ihren Widerhall findet, kulminiert 1898 in Mailand; 1919 gibt es die Land-
besetzungen im Süden und auf Sizilien, 1920 die Fabrikbesetzungen ım
Norden. Diese relative Synchronie und Gleichzeitigkeit zeigt einerseits
das Vorhandensein einer relativ homogenen politisch-ökonomischen
Struktur schon nach 1815, und andererseits zeigt sie, wie in den Krisen-
zeiten der schwächere und periphere Teil als erster reagiert.

Die Beziehung von Stadt und Land zwischen Nord und Süd kann auch
anhand der verschiedenen kulturellen Auffassungen und mentalen Hal-
tungen untersucht werden. Wie bereits erwähnt, standen B. Croce und
G. Fortunato zu Beginn des Jahrhunderts an der Spitze einer kulturellen
Bewegung, die sich auf die eine oder andere Weise der kulturellen Bewegung
1972 Neunzehntes Heft

des Nordens entgegenstellte (Idealismus gegen Positivismus, Klassizismus


oder Klassik gegen Futurismus). Herauszustellen ist, dass sich Sizilien auch
in kultureller Hinsicht vom Mezzogiorno abhebt: wenn Crispi der Mann
der Industrie des Nordens ist, dann steht Pirandello den allgemeinen Kon-
turen nach dem Futurismus näher, stehen Gentile und der Aktualismus
ebenfalls der futuristischen Bewegung näher (im weiten Sinne verstanden,
als Opposition zum traditionellen Klassizismus, als Form einer zeitgenös-
sischen Romantik). Unterschiedlich ist die Struktur und die Herkunft der
Intellektuellenschichten: im Süden dominiert noch der Typus des »Winkel-
advokaten«, der den Kontakt zwischen der Bauernmasse und den Grund-
besitzern sowie dem Staatsapparat herstellt; im Norden herrscht der Typus
des Werkstatt-»Technikers«, der als Bindeglied zwischen der Arbeiter-
masse und den Unternehmern dient”: die Verbindung zum Staat war Auf-
gabe der Gewerkschaftsorganisationen und der politischen Parteien, die
von einer völlig neuen Intellektuellenschicht geführt wurden (der heutige
Staatssyndikalismus mit seiner Folgeerscheinung, der systematischen
Verbreitung dieses sozialen Typus im nationalen Maßstab in kohärenterer
und konsequenterer Form, als es der alte Syndikalismus hätte bewerk-
stelligen können, ist bis zu einem gewissen Punkt und in gewissem Sinne
ein Instrument moralischer und politischer Vereinheitlichung).

Dieses komplexe Verhältnis Stadt-Land kann in den allgemeinen politi-


schen Programmen studiert werden, die sich vor dem Regierungsantritt
des Faschismus zu behaupten suchten: das Programm Giolittis und der de-
mokratischen Liberalen tendierte dazu, im Norden einen »städtischen«
Block (von Industriellen und Arbeitern) zu schaffen, der die Grundlage
eines protektionistischen Systems sein und die Wirtschaft und Hegemonie
des Nordens stärken sollte‘. Der Süden war auf einen halbkolonialen Ab-
satzmarkt, eine Quelle für Ersparnisse und Steuern reduziert und wurde
mit zwei Reihen von Maßnahmen »diszipliniert« gehalten: polizeiliche
Maßnahmen zur unerbittlichen Unterdrückung jeglicher Massenbewegung
mit den periodischen Massakern unter den Bauern (in dem von Spectator —
Missiroli- verfassten Gedenkartikel über Giolitti in der »Nuova Antologia«
zeigt man sich erstaunt, dass sich Giolitti immer heftig jeglicher Verbreitung
des Sozialismus und der Gewerkschaftsbewegung im Mezzogiorno wider-
setzt hat‘, während die Sache natürlich und einleuchtend ist, da doch ein
Arbeiterprotektionismus -— Reformismus, Genossenschaften, öffentliche
Arbeiten - nur als ein partieller möglich ist; das heißt, jedes Privileg setzt
Geopferte und Geplünderte voraus); politisch-polizeiliche Maßnahmen:
persönliche Vergünstigungen für die Schicht der »Intellektuellen« oder Win-
keladvokaten in Form von Anstellungen in den öffentlichen Verwaltungen,
Heft 19-
$26 1973

von Zugeständnissen zur ungestraften Plünderung der örtlichen Verwaltun-


gen, von einem weniger streng als anderenorts angewandten Kirchenrecht,
wodurch dem Klerus die Verfügungsgewalt über beachtliche Vermögen
überlassen wurde usw., also »persönliche« Eingliederung der aktivsten
Elemente des Südens in das staatliche Führungspersonal, mit besonderen
»rechtlichen«, bürokratischen usw. Privilegien. So wurde die Gesell-
schaftsschicht, welche die endemische Unzufriedenheit des Südens hätte
organisieren können, ein Werkzeug der Politik des Nordens, ein privat-
polizeiliches Zubehör derselben. Der Unzufriedenheit gelang es mangels
Führung nicht, eine normale politische Form anzunehmen, und ihre
Erscheinungsformen, die sich nur auf chaotische und tumulthafte Weise
äußerten, wurden als gerichtlicher »polizeilicher Zuständigkeitsbereich«
hingestellt. Tatsächlich hatten an dieser Form von Korruption, wenn auch
nur passiv und indirekt, Männer wie Croce und Fortunato infolge der
fetischistischen Auffassung der »Einheit« teil (vgl. Episode Fortunato-
Salvemini bezüglich der »Unitä«, von Prezzolini in der ersten Ausgabe der
Italienischen Kultur geschildert)‘.
Man sollte den moralisch-politischen Faktor der Einschüchterungskam-
pagne nicht vergessen, die gegen jede auch noch so objektive Feststellung
von Motiven des Gegensatzes zwischen Nord und Süd veranstaltet wurde.
Zu erinnern ist an die Konklusion der Untersuchung Pais-Serra über Sar-
dinien nach der Handelskrise des Jahrzehnts (18)90-(1)900° und die bereits
erwähnte Anschuldigung Crispis gegen die sizilianischen Fascı, sich an die
Engländer verkauft zu haben’. Speziell unter den sizilianischen Intellek-
tuellen gab es jene Form der gereizten Einheitsbestrebung (Folge des un-
geheuren Drucks der Bauern auf das Gutsherrenland und der Popularität
Crispis in der Region), der sich auch kürzlich wieder in Natolis Attacke
gegen Croce wegen eines harmlosen Hinweises auf den sizilianischen Se-
paratismus gegenüber dem Königreich Neapel gezeigt hat (vgl. Croces
Antwort in der »Critica«)‘. Giolittis Programm wurde »gestört« durch
zwei Faktoren: 1. das Auftreten der Intransigenten in der sozialistischen
Partei unter Mussolinis Führung und ihr Liebäugeln mit den Meridio-
nalisten (Freihandel, Wahlen von Molfetta usw.), das den städtischen Block
des Nordens zerstörte; 2. die Einführung des allgemeinen Wahlrechts, das
die parlamentarische Basis des Mezzogiorno unerhört erweiterte und die
individuelle Korruption erschwerte (zu viele, die es auf die feine Art zu
korrumpieren galt, und damit Auftreten der Mazzieri ‘).
Giolitti wechselte den »Partner«, den städtischen Block ersetzte er
durch den »Gentiloni-Pakt« (oder besser, er setzte ihn dagegen, um sein
vollständiges Auseinanderfallen zu verhindern), also letzten Endes durch
1974 Neunzehntes Heft

einen Block zwischen der Industrie des Nordens und den Agrariern der
»organischen und normalen« Landgebiete (die katholischen Wählerkreise
fielen geographisch mit den sozialistischen zusammen: sie waren also im
Norden und im Zentrum verbreitet)’, wobei sich die Wirkungen auch auf
den Süden erstreckten, zumindest in einem Maße, das unmittelbar aus-
reichte, um die Folgen der Erweiterung der Wählermasse vorteilhaft zu
»korrigieren«.
Das andere Programm oder die andere allgemeine politische Richtung
kann man als die des »Corriere della Sera« oder Luigi Albertinis bezeichnen
und lässt sich in einem Bündnis zwischen einem Teil der Industriellen des
Nordens (an der Spitze die Textil-, Baumwoll-, Seidenfabrikanten, Expor-
teure und somit Anhänger des Freihandels) mit dem ländlichen Block des
Südens ausmachen: der »Corriere« unterstützte Salvemini gegen Giolitti
beiden Wahlen in Molfetta 1913 (Kampagne Ugo Ojettis)"”, er unterstützte
erst das Kabinett Salandra, dann dasjenige Nittis, das heißt die ersten zwei
von Staatsmännern des Südens gebildeten Regierungen (die Sızilianer sind
gesondert zu betrachten": sie haben an allen Regierungen seit (18)60 einen
Löwenanteil gehabt, und sie stellten mehrere Ministerpräsidenten, im
Gegensatz zum Süden, dessen erster Führer Salandra war; diese sizilianische
»Zudringlichkeit« ist mit der Erpressungspolitik der Parteien der Insel zu
erklären, die unter der Hand immer einen Geist des »Separatismus« zu-
gunsten Englands aufrechterhielten: Crispis Anklage war, in leichtfertiger
Form, die Äußerung einer Sorge, welche die verantwortungsbewußteste
und sensibelste Führungsgruppe der Nation tatsächlich umtrieb).
Die Erweiterung des allgemeinen Wahlrechts von 1913 hatte schon die
ersten Anzeichen jener Erscheinung hervorgerufen, die ihren höchsten
Ausdruck (19)19-20-21 infolge der von den Bauernmassen während des
Krieges erworbenen organisatorisch-politischen Erfahrung finden sollte,
nämlich das relative Zerbrechen des ländlichen Blocks des Südens und die
Loslösung der von einem Teil der Intellektuellen (Offiziere im Krieg)
geführten Bauern von den Großgrundbesitzern: so entsteht der Sardismus,
die sizilianische reformistische Partei (die sogenannte Bonomigruppe im
Parlament wurde von Bonomi und 22 sizilianischen Abgeordneten ge-
bildet) mit dem vom »Neuen Sizilien« repräsentierten extremistischen
separatistischen Flügel, die Gruppe »Erneuerung« im Süden, die aus
Frontkämpfern bestand und regionale Aktionsparteien vom sardischen
Typ zu bilden suchte (vgl. Torracas Zeitschrift »Volontä«, die Umwand-
lung des »Popolo Romano« usw.) In dieser Bewegung haben die Bauern-
massen eine von Sardinien über Süditalien bis zu Sizilien abgestufte
Bedeutung, gemäß der organisierten Kraft, dem Prestige und dem durch
Heft 19-$ 26 1975

die Großsgrundbesitzer ausgeübten ideologischen Druck, die auf Sizilien


über ein Höchstmaß an Organisation und Kompaktheit verfügen und auf
Sardinien“ dagegen von relativ geringer Bedeutung sind. Ebenso abgestuft
ist die relative Unabhängigkeit der jeweiligen Intellektuellenschichten,
natürlich umgekehrt proportional zu den Grundbesitzern'”. (Unter Intel-
lektuellen muss man nicht nur die gemeinhin unter dieser Bezeichnung
begriffenen Schichten verstehen, sondern im allgemeinen die ganze Gesell-
schaftsschicht, die organisierende Funktionen in weitem Sinne sowohl auf
dem Gebiet der Produktion als auch auf dem der Kultur und auf politisch-
administrativem Gebiet ausübt: sie entsprechen den Unteroffizieren und
den subalternen Offiziersrängen in der Armee und zum Teil auch den
oberen Offiziersrängen subalterner Herkunft). Um die gesellschaftlich-
politische Funktion der Intellektuellen zu analysieren, ist es erforderlich,
ihre psychologische Haltung zu den grundlegenden Klassen, die sie auf den
verschiedenen Gebieten miteinander in Kontakt bringen, zu erforschen und
zu prüfen: haben sie eine »paternalistische« Haltung gegenüber den instru-
mentellen Klassen? oder glauben sie, ihrorganischer Ausdruck zusein? haben
sie eine »servile« Haltung gegenüber den führenden Klassen oder halten sie
sich selbst für führend, für einen integrierenden Teil der führenden Klassen?
Im Verlauf des Risorgimento hatte die sogenannte Aktionspartei eine
»paternalistische« Haltung, weshalb es ihr nur in sehr begrenztem Maße
gelang, die großen Volksmassen mit dem Staat in Berührung zu bringen.
Der sogenannte »Transformismus« ist nur der parlamentarische Ausdruck
der Tatsache, dass die Aktionspartei molekular von den Moderati verein-
nahmt wird und die Massen enthauptet und nicht in den Bereich des neuen
Staates absorbiert werden.
Von dem Verhältnis »Stadt-Land« muss die Prüfung der grundlegenden
Triebkräfte der italienischen Geschichte und der Programmpunkte aus-
gehen, von denen aus die Orientierung der Aktionspartei im Risorgimento
zu studieren und zu beurteilen ist. Schematisch kann man folgendes Bild
haben: 1. die städtische Kraft des Nordens; 2. die ländliche Kraft des
Südens; 3. die nord-mittelitalienische ländliche Kraft; 4.-5. die ländliche
Kraft Siziliens und Sardiniens.
Da die Funktion der ersten Kraft als »Lokomotive« feststeht, gilt es, die
verschiedenen »nützlichsten« Kombinationen zur Zusammenstellung eines
»Zuges« zu untersuchen, der so schnell wie möglich in der Geschichte
vorankommt. Indessen hat die erste Kraft schon von Anfang an ihre eigenen

* Im Ms.: »Sizilien«.
1976 Neunzehntes Heft

inneren Probleme der Organisation, der homogenen Gliederung, der


militärisch-politischen Führung (Hegemonie Piemonts, Verhältnis Mailand-
Turin usw.); aber es bleibt dabei, dass diese Kraft, wenn sie einen gewissen
Grad an Einheit und Kampfkraft erreicht hat, schon allein »mechanisch«
eine »indirekte« Führungsfunktion über die anderen ausübt. In den ver-
schiedenen Perioden des Risorgimento zeigt sich, dass diese Kraft, wenn
sie eine Position der Unnachgiebigkeit und des Kampfes gegen die Fremd-
herrschaft einnimmt, einen Aufschwung der Fortschrittskräfte des Südens
bewirkt: von daher die relative Synchronie, aber nicht Gleichzeitigkeit ın
den Bewegungen von (18)20-21, von 31, von 48. In den Jahren 59-60 funk-
tioniert dieser politisch-historische »Mechanismus« mit höchstmöglichem
Wirkungsgrad, da der Norden mit dem Kampf beginnt, das Zentrum sich
friedlich oder beinahe friedlich anschließt und im Süden der Bourbonen-
staat unter dem Stoß der Garibaldiner, einem verhältnismäßig schwachen
Stoß, zusammenbricht. Dazu kommt es, weil die Aktionspartei (Garibaldi)
im richtigen Augenblick eingreift, nachdem die Moderati (Cavour) den
Norden und das Zentrum organisiert hatten; es ist also nicht dieselbe
militärisch-politische Führung (Moderati oder Aktionspartei), welche die
relative Gleichzeitigkeit organisiert, sondern die (mechanische) Zusammen-
arbeit beider Führungen, die sich glücklich ergänzen.

Die erste Kraft musste sich dann dem Problem stellen, die städtischen
Kräfte der anderen nationalen Abteilungen und besonders des Südens um
sich herum zu organisieren. Dieses Problem war das schwierigste, gespickt
mit Widersprüchen und Beweggründen, die leidenschaftliche Wellen
schlugen (eine nicht ernst zu nehmende Lösung dieser Widersprüche war
die sogenannte parlamentarische Revolution von 1876). Seine Lösung war
aber gerade deshalb einer der entscheidenden Punkte für die nationale
Entwicklung. Die städtischen Kräfte sind sozial homogen, daher müssen
sie sich in einer Position vollkommener Gleichheit befinden. Theoretisch
stimmte das, aber historisch stellte sich die Frage anders: die städtischen
Kräfte des Nordens standen klar an der Spitze ihrer nationalen Abteilung,
während dies für die städtischen Kräfte des Südens nicht galt, zumindest
nicht in gleichem Maße. Die städtischen Kräfte des Nordens mussten daher
bei denen des Südens erreichen, dass ihre Führungsfunktion sich darauf
beschränkte, die Führung des Nordens gegenüber dem Süden im allge-
meinen Stadt-Land-Verhältnis zu sichern, das heißt, die Führungsfunktion
der städtischen Kräfte des Südens konnte nichts anderes als ein unter-
geordnetes Moment der umfassenderen Führungsfunktion des Nordens
sein. Der eklatanteste Widerspruch ergab sich aus folgender Sachlage: die
städtische Kraft des Südens konnte nicht als etwas Eigenständiges, von der
Heft 19-$26 1977
des Nordens Unabhängiges angesehen werden; die Frage so zu stellen,
hätte bedeutet, von vornherein von einer unheilbaren »nationalen« Zwie-
tracht auszugehen, einer so schweren Zwietracht, dass nicht einmal die
föderalistische Lösung sie hätte beheben können; es hätte sich die Existenz
unterschiedlicher Nationen erwiesen, zwischen denen nur ein militärisch-
diplomatisches Bündnis gegen den gemeinsamen Feind, Österreich, hätte
geschlossen werden können (das einzige Element der Gemeinschaft und
Solidarität hätte mithin allein darin bestanden, einen »gemeinsamen« Feind
zu haben). In Wirklichkeit waren jedoch nur einige »Aspekte« der natio-
nalen Frage gegeben, nicht »alle« Aspekte, und nicht einmal die wesent-
lichsten. Der gravierendste Aspekt war die schwache Stellung der städtischen
Kräfte des Südens im Verhältnis zu den ländlichen Kräften, ein ungünstiges
Verhältnis, das sich manchmal in einer buchstäblichen Unterwerfung der
Stadt unter das Land äußerte. Die enge Verbindung zwischen städtischen
Kräften des Nordens und des Südens, die den letzteren die repräsentative
Kraft des Prestiges der ersteren verlieh, musste diesen helfen, autonom zu
werden, das Bewusstsein ihrer historischen Führungsfunktion »konkret«
und nicht rein theoretisch und abstrakt zu gewinnen, indem man die
Lösungen für die enormen regionalen Probleme vorschlug. Es war natür-
lich, dass sich im Süden starker Widerspruch gegen die Einheit regte; die
schwierigste Aufgabe fiel bei der Bewältigung der Situation auf jeden Fall
den städtischen Kräften des Nordens zu, die nicht nur ihre »Brüder« im
Süden überzeugen, sondern damit anfangen mussten, sich selbst von dieser
Komplexität eines politischen Systems (zu überzeugen)“: praktisch
bestand die Frage folglich im Vorhandensein eines starken Zentrums
politischer Führung, mit dem starke und populäre Persönlichkeiten des
Südens und der Inseln notwendigerweise hätten zusammenarbeiten müssen.
Das Problem, eine Einheit Nord-Süd zu schaffen, war eng verbunden mit
und zu einem großen Teil enthalten in dem Problem, eine Kohäsion und eine
Solidarität zwischen allen nationalen städtischen Kräften herzustellen.
(Die weiter oben entwickelte Überlegung gilt in der Tat für alle drei Ab-
teilungen des Südens, Neapolitanisches Festland, Sizilien, Sardinien).

Die nord-mittelitalienischen ländlichen Kräfte warfen ihrerseits eine


Reihe von Problemen auf, die sich die städtische Kraft des Nordens stellen
musste, um ein normales Stadt-Land-Verhältnis zu schaffen und die
Einmischungen und Einflüsse fremder Herkunft auf die Entwicklung des
neuen Staates auszuschließen. Bei diesen ländlichen Kräften musste
man zwei Strömungen unterscheiden: die weltliche und die mit Österreich

* Nach dem A-Text ergänzt.


1978 Neunzehntes Heft

liebäugelnde klerikale. Die klerikale Kraft hatte außer in der Toskana und
einem Teil des Kirchenstaates ihr größtes Gewicht in Lombardo-Venetien;
die weltliche in Piemont, mit mehr oder weniger weitreichenden Über-
lagerungen im übrigen Italien, außerdem in den Legationen'”“, besonders
in der Romagna, sowie in den anderen Abschnitten bis hin zum Süden und
zu den Inseln. Hätten die städtischen Kräfte des Nordens diese unmittel-
baren Beziehungen gut bewältigt, hätten sie den Takt für alle ähnlichen
Fragen im nationalen Maßstab angegeben.
Bei dieser ganzen Reihe komplexer Probleme scheiterte die Aktions-
partei vollständig: tatsächlich beschränkte sie sich darauf, diejenige Frage
zu einer des Prinzips und des wesentlichen Programms zu machen, die
einfach eine Frage des politischen Terrains war, auf welchem jene Probleme
hätten zusammengefasst werden und eine gesetzliche Lösung finden
können: die Frage der Konstituante. Man kann nicht sagen, dass die mode-
rate Partei gescheitert ist, die sich die organische Expansion Piemonts zum
Ziel setzte, Soldaten für die piemontesische Armee und keine Aufstände
oder zu umfangreiche garibaldinische Armeen wollte.
Warum stellte die Aktionspartei die Agrarfrage nicht in ihrem ganzen
Ausmaß? Dass die Moderati sie nicht aufwarfen, war klar: die Art, wie die
Moderati das nationale Problem stellten, erforderte einen Block aller
Rechtskräfte einschließlich der Klassen der Großgrundbesitzer um Piemont
als Staat und als Armee. Österreichs Drohung, das Agrarproblem zugunsten
der Bauern zu lösen, die in Galizien gegen die polnischen Adligen zugunsten
der ruthenischen Bauern wahr gemacht wurde, stiftete in Italien nicht nur
Verwirrung unter den Betroffenen, indem sie die ganzen Schwankungen
der Arıstokratie bewirkte (Mailänder Ereignisse vom Februar (18)53 und
Ehrenbezeigung der vornehmsten Mailänder Familien für Franz Joseph
ausgerechnet am Vorabend der Galgenhinrichtungen von Belfiore)'*,
sondern lähmte selbst die Aktionspartei, die auf diesem Terrain wie die
Moderati dachte und für »national« die Arıstokratie und die Grundbesitzer
und nicht die Millionen von Bauern hielt. Erst nach dem Februar 53 machte
Mazzini einige substantiell demokratische Andeutungen (vgl. Briefwech-
sel jener Zeit)”, war aber unfähig zu einer entscheidenden Radikalisierung
seines abstrakten Programms. Zu studieren ist das politische Verhalten der
Garibaldiner 1860 auf Sizilien, das von Crispi diktiert war: die Aufstands-
bewegungen der Bauern gegen die Barone wurden unbarmherzig nieder-
geschlagen und die Nationalgarde gegen die Bauern geschaffen; typisch ist
die Strafexpedition von Nino Bixio in die Region von Catania, wo die
Aufstände am heftigsten waren. Und doch gibt es [auch] in den Notizen
von G.C. Abba Elemente, die zeigen, dass die Agrarfrage die Triebfeder
Heft 19-$26-$27 1979
dafür war, die großen Massen in Bewegung zu setzen: es genügt,an die
Gespräche Abbas mit dem Mönch zu erinnern, der den Garibaldinern sofort
nach ihrer Landung in Marsala entgegengeht”. In einigen Novellen G.
Vergas findet man pittoreske Elemente dieser Bauernunruhen, die von der
Nationalgarde mit Terror und Massenerschießungen erstickt wurden”.
(Diese Seite des Zuges der Tausend ist noch nie untersucht und analysiert
worden.)
Das Nichtaufwerfen der Agrarfrage machte es nahezu unmöglich, die
Frage des Klerikalismus und der gegen die Einheit gerichteten Haltung des
Papstes zu lösen. Unter diesem Blickpunkt waren die Moderati viel kühner
als die Aktionspartei: zwar teilten sie nicht die Kirchengüter unter den
Bauern auf, aber sie bedienten sich ihrer, um eine neue Schicht großer und
mittlerer Grundbesitzer zu schaffen, die mit der neuen politischen Situa-
tion verwachsen waren, und sie zögerten nicht, Hand an den Grundbesitz
zu legen, wenn auch nur an den der Kongregationen. Die Aktionspartei
war außerdem in ihren Handlungen gegenüber den Bauern durch Mazzinis
Anwandlungen [einer] religiösen Reform gelähmt, die die großen ländlichen
Massen nicht nur unberührt ließ, sondern sie im Gegenteil für eine Auf-
wiegelung gegen die neuen Ketzer empfänglich machte. Das Beispiel der
Französischen Revolution war dazu angetan zu zeigen, dass die Jakobiner,
denen es gelungen war, alle Rechtsparteien bis hin zu den Girondisten auf
dem Terrain der Agrarfrage zu zerschlagen und nicht nur die ländliche
Koalition gegen Paris zu verhindern, sondern in den Provinzen ihre Anhän-
gerschar zu vergrößern, Schaden nahmen infolge der Versuche Robespierres,
eine religiöse Reform einzuleiten, die im wirklichen Geschichtsprozess
sehr wohl unmittelbare Bedeutung und Konkretheit besaß. (Man müsste
aufmerksam die wirkliche Agrarpolitik der Römischen Republik und den
wahren Charakter der Unterdrückungsmission in der Romagna und ın
den Marken untersuchen, die Felice Orsini von Mazzini aufgetragen
worden war: in dieser Zeit und bis (18)70 - auch danach - verstand man
unter dem Namen Brigantentum fast immer die chaotische, tumulthafte
und von Greueln durchsetzte Bewegung der Bauern, sich des Landes zu
bemächtigen).

$(27). Die Moderati und die Intellektuellen. Warum die Moderati


das Übergewicht in der Masse der Intellektuellen haben mussten. Gioberti
und Mazzini. Gioberti bot den Intellektuellen eine Philosophie, die als
originell und gleichzeitig als national erschien, geeignet, Italien wenigstens
auf dasselbe Niveau wie die fortgeschrittensten Nationen zu stellen und
1980 Neunzehntes Heft

dem italienischen Denken neue Würde zu verleihen. Mazzini dagegen bot


lediglich nebulöse Äußerungen und philosophische Andeutungen, die
vielen Intellektuellen, vor allem aus Neapel, als leeres Gerede erscheinen
mussten (der Abbe Galiani hatte gelehrt, diese Denk- und Argumentations-
weise herunterzumachen)..
Schulfrage: Aktivitäten der Moderati zur Einführung des pädagogischen
Prinzips des wechselseitigen Unterrichts (Confalonieri, Capponi u.a.);
Bewegung Ferrante Aportis und der Heime, die mit dem Pauperismus
zusammenhängt”. Bei den Moderati setzte sich die einzige konkrete, gegen
die »jesuitische« Schule gerichtete pädagogische Bewegung durch; das
musste sowohl unter den Laien Wirkung zeigen, denen sie in der Schule
eine eigene Rechtspersönlichkeit einräumte, als auch in dem zum Libera-
lismus neigenden und antijesuitischen Klerus (erbitterte Feindschaft gegen
Ferrante Aporti usw.; die Aufnahme und Erziehung der Findelkinder
war ein klerikales Monopol, und diese Initiativen brachen das Monopol).
Die schulischen Aktivitäten liberalen oder liberalisierenden Charakters
sind von großer Bedeutung, um den Mechanismus der Hegemonie der
Moderati über die Intellektuellen zu erfassen. Die schulische Aktivität hat
auf allen ihren Stufen eine auch ökonomisch enorme Bedeutung für die
Intellektuellen aller Ränge: sie hatte sie damals noch mehr als heute, ange-
sichts des Mangels an gesellschaftlichen Kadern und der wenigen, der
Initiative der Kleinbürger offen stehenden Wege (heute: Journalismus,
Parteienbewegung, Industrie, sehr ausgedehnter Staatsapparat usw. haben
die Anstellungsmöglichkeiten ungeheuer erweitert).
Die Hegemonie eines Führungszentrums für die Intellektuellen äußert
sich über zwei Hauptlinien: 1. eine allgemeine Lebensauffassung, eine
Philosophie (Gioberti), die den Anhängern eine intellektuelle »Würde«
verleiht, die ein Prinzip der Distinktion und ein Element des Kampfes gegen
die alten, durch Zwang herrschenden Ideologien liefert; 2. ein schulisches
Programm, ein originelles Erziehungs- und Pädagogikprinzip, das die-
jenige Fraktion der Intellektuellen, welche die homogenste und zahlreichste
ist (die Lehrkräfte vom Volksschullehrer bis zu den Universitätsprofesso-
ren), interessiert und ıhr eine eigene Aktivität auf ihrem Fachgebiet gibt.
Die Kongresse der Wissenschaftler, die im frühen Risorgimento wieder-
holt stattfanden, hatten eine doppelte Wirkung: 1. die Intellektuellen des
obersten Ranges zu versammeln und sie so zu konzentrieren und ihren
Einfluss zu vervielfachen; 2. eine raschere Konzentration und eine entschie-
denere Orientierung der Intellektuellen der niederen Ränge zu erreichen,
die normalerweise dazu neigen, aufgrund eines Kastengeistes den Univer-
sitätsleuten und den großen Gelehrten zu folgen.
Heft 19- $27-$ 28 1981
Das Studium der enzyklopädischen und spezialisierten Zeitschriften
führt zu einem weiteren Aspekt der Hegemonie der Moderati. Eine Partei
wie die der Moderati bot der Masse der Intellektuellen alle Befriedigungen
der allgemeinen Ansprüche, die von einer Regierung (von einer Regierungs-
partei) über die staatlichen Dienstleistungen geboten werden können.
(Durch diese Funktion einer italienischen Regierungspartei diente sie nach
(18)48-49 optimal dem piemontesischen Staat, der die exilierten Intel-
lektuellen aufnahm und modellhaft zeigte, was ein künftiger Einheitsstaat
tun würde).

$(28). Politisch-militärische Führung der italienischen Nationalbe-


wegung. Beim Studium der politischen und militärischen Führung, die
der Nationalbewegung vor und nach (18)48 aufgeprägt worden ist, müssen
einige vorbeugende Bemerkungen zu Methode und Nomenklatur gemacht
werden. Unter militärischer Führung darf nicht nur die militärische Füh-
rung im engen, technischen Sinn verstanden werden, d.h. mit Bezug auf die
Strategie und Taktik des piemotesischen Heeres oder der Truppen Garibal-
dis oder der verschiedenen improvisierten Milizen bei den lokalen Er-
hebungen (Fünf Tage von Mailand, Verteidigung von Venedig, Verteidigung
der Römischen Republik, Erhebung von Palermo im Jahr 48 usw.); sie
muss statt dessen in einem sehr viel weiteren und enger mit der eigentlichen
politischen Führung zusammenhängenden Sinn verstanden werden. Das
wesentliche Problem, das sich vom militärischen Standpunkt aus auf-
drängte, war, eine ausländische Macht von der Halbinsel zu vertreiben,
Österreich, das über eines der größten Heere im damaligen Europa ver-
fügte und außerdem nicht wenige und unbedeutende Anhänger auf der
Halbinsel selbst, ja sogar in Piemont hatte. Daher war das militärische
Problem folgendes: wie konnte es gelingen, eine aufständische Kraft zu
mobilisieren, die in der Lage wäre, nicht nur das österreichische Heer von
der Halbinsel zu vertreiben, sondern auch zu verhindern, dass es mit einer
Gegenoffensive zurückkehren könnte, da die gewaltsame Vertreibung den
Zusammenhalt des Reiches in Gefahr gebracht und folglich alle Kohäsiv-
kräfte für eine Revanche elektrisiert hätte. Der Lösungen, die abstrakt für
das Problem präsentiert wurden, gab es mehrere, alle widersprüchlich und
ineffizient. »Italien schafft es allein« war die piemontesische Losung von 48,
aber sie bedeutete die verheerende Niederlage. Die unsichere, vieldeutige,
zaghafte und zugleich leichtsinnige Politik der piemontesischen Rechtspar-
teien war die Hauptursache der Niederlage: sie waren von einer bornierten
Schläue, sie waren der Grund für den Rückzug der Heere der anderen
italienischen Staaten, der neapolitanischen und römischen, weil sie zu früh
1982 Neunzehntes Heft

zu erkennen gegeben hatten, dass sie die piemontesische Expansion und


nicht eine italienische Konföderation wollten; sie begünstigten die Frei-
willigenbewegung nicht, sondern behinderten sie; sie wollten, kurzum,
dass siegreich bewaffnet einzig die piemontesischen Generäle wären, die
zum Kommando in einem so schwierigen Krieg untauglich waren. Das
Fehlen einer popularen Politik war verheerend: die von Österreich eingezo-
genen Bauern der Lombardei und Venetiens waren eines der wirksamsten
Werkzeuge, um die Revolution von Wien und folglich auch die italienische
zu ersticken; für die Bauern war die Bewegung Lombardo-Venetiens eine
Sache von Herren und Studenten wie die Wiener Bewegung. Während die
italienischen nationalen Parteien mit ihrer Politik den Zerfall des österrei-
chischen Kaiserreichs hätten verursachen oder begünstigen müssen,
erreichten sie mit ihrer Untätigkeit, dass die italienischen Regimenter eine
der besten Stützen der österreichischen Reaktion waren. Im Kampf
zwischen Piemont und Österreich konnte das strategische Ziel nicht sein,
das österreichische Heer zu vernichten und das Territorium des Feindes zu
besetzen, was ein unerreichbares und utopisches Ziel gewesen wäre, doch
konnte es darin bestehen, den inneren Zusammenhalt Österreichs aufzu-
lösen und den Liberalen zu helfen, dauerhaft an die Macht zu gelangen, um
die politische Struktur des Kaiserreichs in eine föderalistische umzuwan-
deln oder um zumindest einen langandauernden Zustand innerer Kämpfe
zu schaffen, der den italienischen nationalen Kräften Luft verschafft und
ihnen erlaubt hätte, sich politisch und militärisch zu sammeln (denselben
Fehler beging Sonnino im Weltkrieg und dies gegen das Drängen Cadornas:
Sonnino wollte die Zerstörung des Habsburgerreichs nicht und verweigerte
sich jeglicher Nationalitätenpolitik; auch nach Caporetto wurde eine
Nationalitätenpolitik Hals über Kopf und ä la Malthus betrieben und er-
zielte deshalb nicht die raschen Ergebnisse, die sie hätte bringen können.
Nachdem man den Krieg unter dem Motto »Italien schafft es allein«
begonnen hatte, versuchte man nach der Niederlage, als das ganze Unter-
nehmen kompromittiert war, die französische Hilfe zu erlangen, ausge-
rechnet dann, als in Frankreich, auch infolge des Erstarkens Österreichs,
die Reaktionäre, Feinde eines starken und geeinten italienischen Staates
wie auch einer piemontesischen Expansion, an die Regierung gelangt waren:
Frankreich wollte Piemont nicht einmal einen erfahrenen General geben
und man griff auf den Polen Chrzanowsky zurück.

Die militärische Führung war ein umfangreicheres Problem als die Füh-
rung des Heeres und die Festlegung des strategischen Plans, den das Heer
ausführen musste; sie umfasste zusätzlich die politische Mobilisierung
zum Aufstand von Volkskräften, die sich im Rücken des Feindes erheben
Heft 19-528 1983
\

und dessen Bewegungen und logistische Verbindungen behindern sollten,


die Schaffung von Hilfs- und Reservemassen, aus denen neue Regimenter
zu rekrutieren wären, und die dem »fachlichen« Heer die Atmosphäre von
Begeisterung und Feuer geben sollten. Die populare Politik wurde auch
nach 49 nicht verfolgt; im Gegenteil, zu den Ereignissen von 49 wurden
dümmliche Haarspaltereien veranstaltet, um die demokratischen Tendenzen
einzuschüchtern: die nationale Politik von rechts suchte in der zweiten
Hälfte des Risorgimento hartnäckig die Hilfe des bonapartistischen Frank-
reichs, und mit der französischen Allianz glich man die österreichische
Stärke aus. Die Politik der Rechten im Jahr 48 verzögerte die Vereinigung
der Halbinsel um einige Jahrzehnte.

Die Unsicherheiten in der politisch-militärischen Führung, das ständige


Schwanken zwischen Despotismus und Konstitutionalismus zeigten ihre
verheerenden Rückwirkungen auch im piemontesischen Heer. Man kann
behaupten, dass, je zahlreicher ein Heer ist, im absoluten Sinne als rekru-
tierte Masse oder im relativen Sinne als Verhältnis der rekrutierten Männer
zur Gesamtbevölkerung, die Bedeutung der politischen Führung über die
bloß technisch-militärische desto mehr zunimmt. Die Kampfbereitschaft
des piemontesischen Heeres war zu Beginn der Kampagne von 48 außer-
ordentlich hoch: die Rechten dachten, diese Kampfbereitschaft sei Aus-
druck eines reinen, abstrakten militärischen und dynastischen Geistes, und
begannen zu intrigieren, um die Freiheiten des Volkes einzuschränken und
die Erwartungen in eine demokratische Zukunft zu dämpfen. Die »Moral«
des Heeres zerfiel. Genau darum geht es bei der Auseinandersetzung über
das »fatale Novara«. In Novara wollte das Heer nicht kämpfen, deshalb
wurde es besiegt. Die Rechten beschuldigten die Demokraten, die Politik
ins Heer getragen und es zersetzt zu haben: eine unangebrachte Anklage,
da der Konstitutionalismus das Heer gerade »nationalisierte«, daraus ein
Element der allgemeinen Politik machte und es damit militärisch stärkte.
Die Anklage ist um so unangebrachter, als das Heer, ohne »Zersetzer« nötig
zu haben, eine Veränderung in der politischen Führung aus einer Vielzahl
kleiner Veränderungen wahrnimmt, von denen jede unbedeutend und be-
langlos erscheinen mag, die aber in der Gesamtheit eine neue erstickende
Atmosphäre ergeben. Verantwortlich für die Zersetzung sind daher jene,
die die politische Führung verändert haben, ohne die militärischen Folgen
vorherzusehen, die also eine schlechte Politik an die Stelle der vorherigen,
die gut, weil zweckmässig war, gesetzt haben. Das Heer ist auch ein »Werk-
zeug« für einen bestimmten Zweck, doch setzt es sich aus denkenden
Menschen zusammen und nicht aus Automaten, die innerhalb der Grenzen
ihrer mechanischen und physikalischen Kohäsion benutzt werden können.
1984 Neunzehntes Heft

Wenn vom Angemessenen und Zweckmäßigen auch in diesem Fall ge-


sprochen werden kann und muss, so ınuss aber auch die Unterscheidung
miteinbezogen werden: je nach Art des gegebenen Werkzeugs. Wenn man
einen Nagel mit einer Holzkeule mit derselben Kraft einschlägt, mit der
man mit einem Stahlhammer schlagen würde, so dringt der Nagel in die
Keule statt in die Wand ein. Die richtige politische Führung ist auch bei
einem professionellen Söldnerheer notwendig (auch in den Söldnertruppen
gab es neben der technisch-militärischen ein Minimum an politischer Füh-
rung); umso wichtiger ist sie in einem nationalen Heer von Wehrpflichtigen.
Die Frage wird noch komplexer und schwieriger in den Stellungskriegen,
die mit enormen Massen geführt werden, die nur mit großen moralischen
Kraftreserven dem schweren muskulären, nervlichen und psychischen
Verschleiß standhalten können: nur eine sehr geschickte politische Führung,
welche die tiefsten Anliegen und Gefühle der Menschenmassen zu berück-
sichtigen weiß, verhindert die Zersetzung und den Zusammenbruch.
Die militärische Führung muss der politischen Führung immer unterge-
ordnet werden, beziehungsweise der strategische Plan muss der militärische
Ausdruck einer bestimmten allgemeinen Politik sein. Natürlich kann es
sein, dass unter bestimmten Umständen die Politiker unfähig sind, während
es im Heer Führer gibt, welche die militärische Fähigkeit mit der politischen
verbinden: das ist der Fall bei Cäsar und Napoleon. Aber bei Napoleon hat
man gesehen, wie die Änderung der Politik zusammen mit der Einbildung,
ein militärisches Werkzeug zu besitzen, das abstrakt militärisch ist, zu
seinem Ruin geführt hat: auch in den Fällen, in denen sich die politische
und die militärische Führung in einer Person vereinigt finden, ist es das
politische Moment, welches das militärische überwiegen muss. Cäsars
Kommentare sind ein klassisches Beispiel für die Darstellung einer klugen
Verbindung von politischer und militärischer Kunst: die Soldaten sahen in
Cäsar nicht nur einen großen militärischen Führer, sondern vor allem ihren
politischen Führer, das Haupt der Demokratie. Zu erinnern ist daran, wie
Bismarck auf den Spuren von Clausewitz' den Vorrang des politischen
Moments vor dem militärischen behauptete, während Wilhelm II., wie
Ludwig berichtet’, wütend eine Zeitung kommentiert hat, in der die
Meinung von Bismarck wiedergegeben war: so gewannen die Deutschen
glänzend fast alle Schlachten, verloren aber den Krieg.

Es existiert eine gewisse Tendenz, den Beitrag der Volksklassen zum


Risorgimento überzubewerten, indem vor allem das Phänomen des Frei-
willigendienstes hervorgehoben wird. Das Ernsthafteste und Besonnenste
in dieser Hinsicht ist von Ettore Rota in der »Nuova Rivista Storica« von
1928-29 geschrieben worden. Neben der in einer anderen Notiz‘ gemachten
Heft 19-$28 1985
Beobachtung über die Bedeutung, die man den Freiwilligen beimessen
muss, ist hervorzuheben, dass die Schriften Rotas selbst zeigen, wie die
Freiwilligen bei den piemontesischen Behörden schlecht angesehen und
von ihnen sabotiert wurden, was eben die schlechte politisch-militärische
Führung bestätigt. Die piemontesische Regierung konnte auf ihrem Staats-
gebiet Soldaten im Verhältnis zur Bevölkerung verpflichtend einziehen,
wie Österreich es auf seinem Gebiet und im Verhältnis zu einer weitaus
größeren Bevölkerung tun konnte: ein Krieg bis zum Äußersten wäre unter
diesen Umständen nach einer gewissen Zeit für Piemont immer verheerend
gewesen. Das Prinzip vorausgesetzt, dass »Italien es allein schafft«, musste
man entweder sofort die Konföderation mit den anderen italienischen
Staaten akzeptieren oder sich die territoriale politische Einheit auf einer
derart radikal popularen Basis vornehmen, dass die Massen dazu gebracht
worden wären, sich gegen die anderen Regierungen zu erheben, und Frei-
willigenheere aufgestellt hätten, die den Piemontesen zu Hilfe geeilt wären.
Doch genau hier lag das Problem: die piemontesischen Rechtsströmungen
wollten entweder keine Hilfstruppen, indem sie dachten, die Österreicher
allein mit den piemontesischen regulären Kräften besiegen zu können
(und man versteht nicht, wie sie von einer solchen Annahme ausgehen
konnten), oder sie hätten gewollt, dass ihnen umsonst geholfen wird (und
auch hier versteht man nicht, wie ernsthafte Politiker so etwas Absurdes
verlangen konnten): in der Wirklichkeit kann man keine Begeisterung,
keinen Opfergeist usw. ohne eine Gegenleistung verlangen, nicht einmal
von den eigenen Untertanen eines Staates. Umso weniger kann man es von
staatsfremden Bürgern auf der Basis eines allgemeinen und abstrakten Pro-
gramms und eines blinden Vertrauens in eine ferne Regierung verlangen.
Dies war das Drama von 48-49, aber es ist gewiss nicht gerecht, deswegen
das italienische Volk zu verachten; die Verantwortung für das Debakel ist
sowohl den Moderati als auch der Aktionspartei zuzuschreiben, das heißt in
letzter Instanz der Unreife und der höchst geringen Effizienz der führenden
Klassen.

Die Bemerkungen über den Mangel an politisch-militärischer Führung


im Risorgimento könnten mit einem sehr trivialen und abgenutzten Argu-
ment zurückgewiesen werden: »jene Männer waren keine Demagogen, sie
betrieben keine Demagogie«. Eine weitere sehr verbreitete Trivialität,
um das negative Urteil über die Führungsfähigkeit der Spitzen der Natio-
nalbewegung zu parieren, ist die, auf unterschiedliche Art und Weise zu
wiederholen, dass die Nationalbewegung einzig dank des Verdienstes
der gebildeten Klassen durchgeführt werden konnte. Wo das Verdienst
liegt, ist schwer zu verstehen. Verdienst einer gebildeten Klasse, weil ihre
1986 Neunzehntes Heft

historische Funktion, ist es, die Volksmassen zu führen und deren fort-
schrittliche Elemente zu entwickeln; wenn die gebildete Klasse nicht dazu
fähig gewesen ist, ihre Funktion zu erfüllen, kann nicht von Verdienst
gesprochen werden, sondern von Verschulden, das heißt von Unreife und
innerer Schwäche. Ebenso muss man sich über das Wort und den Begriff
der Demagogie verständigen. Jene Männer verstanden es in der Tat nicht, das
Volk zu führen, sie verstanden nicht, seine Begeisterung und Leidenschaft
zu wecken, wenn man Demagogie in ihrer ursprünglichen Bedeutung ver-
steht. Erreichten sie zumindest das Ziel, das sie sich steckten? Sie sagten,
ihr Ziel sei die Schaffung des modernen Staates in Italien, und produzierten
eine Art Bastard, sie nahmen sich vor, eine weit verbreitete und kraftvolle
Führungsklasse zu schaffen, und es gelang ihnen nicht, das Volk in den
staatlichen Rahmen einzugliedern, und es gelang ihnen nicht. Das klägliche
politische Leben von (18)70 bis (1)900, das elementare und endemische
Rebellentum der Volksklassen, das beschränkte und kümmerliche Dasein
einer skeptischen und feigen Führungsschicht sind die Folgen dieses Mangels:
und eine Folge davon ist die internationale Stellung des neuen Staates, der
jeglicher wirklichen Autonomie beraubt, da im Innern vom Papsttum und
von der übelwollenden Passivität der großen Massen untergraben ist.
In Wirklichkeit aber waren die Rechten des Risorgimento große Demago-
gen: sie machten aus dem Volk-Nation ein Werkzeug, ein Objekt, womit
sie es herabwürdigten, und darin besteht die größte und niederträchtigste
Demagogie, genau in dem Sinne, den der Ausdruck im Mund der rechten
Parteien in der Polemik gegen die linken angenommen hat, obwohl es die
Rechtsparteien sind, die stets die schlimmste Demagogie betrieben und
oft an den Abschaum des Volkes appelliert haben (wie Napoleon II. in
Frankreich).

6(29). Der Nexus 1848-49. Novara. Im Februar besuchte Silvio


Spaventa in Pisa D’Azeglio, und an diese Unterredung erinnert er in einer
1856 verfassten politischen Schrift, als er im Zuchthaus saß: »Einer der be-
rühmtesten piemontesischen Staatsmänner sagte mir vor einem Monat:
wir können nicht siegen, aber wir werden wieder kämpfen: unsere Nieder-
lage wird die Niederlage jener Partei sein, die uns heute wieder in den
Krieg treibt; und zwischen einer Niederlage und einem Bürgerkrieg wählen
wir die erstere: sie wird uns den innern Frieden und die Freiheit und die
Unabhängigkeit Piemonts geben, was uns der andere nicht geben kann.
Die Voraussagen dieses weisen (!) Mannes haben sich bewahrheitet. Die
Schlacht von Novara ging verloren für die Sache der Unabhängigkeit und
Heft 19- $28-$ 30 1987
wurde gewonnen für die Freiheit Piemonts. Und Karl Albert opferte seine
Krone meines Erachtens mehr für diese als für jene« (vgl. Silvio Spaventa,
Von 1848 bis 1861. Briefe, Schriften und Dokumente, herausgegeben von
B. Croce, 2. Aufl., Laterza, S. 58, Anm.)'. Zu fragen ist, ob sich die
»Voraussagen« bewahrheitet haben oder ob die Niederlage von so weisen
Männern wie D’Azeglio vorbereitet wurde.
In einem am 14. Mai 1934 vom »Corriere della Sera« veröffentlichten
Artikel (Amerikanische Ehrungen für Filippo Caronti) gibt Antonio Monti
aus Carontis (unveröffentlichten und im Besitz des Risorgimento-Museums
von Mailand befindlichen) Memoiren folgende zwei Vorfälle wieder: nach-
dem Caronti die Österreicher 1848 in Como besiegt hatte, bildete er eine
Freiwilligenkompanie und ging nach Turin, um Waffen zu bekommen.
Der Minister Balbo gab ihm folgende Antwort, die Monti »verblüffend«
nannte: »Es ist nunmehr zwecklos, sich zu bewaffnen, da ein reguläres und
starkes Heer den Feind bezwingen wird. Wollt ihr euch etwa der Waffen
gegeneinander bedienen, damit die Zwistigkeiten zwischen Comaskern
und Mailändern zum Schaden des glücklichen Ausgangs der italienischen
Sache wiederaufleben?« (Es ist nicht unnütz, daran zu erinnern, dass kurz
vor dem Krieg von 48 Piemont sich der Waffen entledigt hatte, um sie den
aufständischen reaktionären Katholiken des Sonderbunds in der Schweiz
zu schicken)”. Über die »Vorbereitung« der Niederlage von Novara erzählt
Caronti, dass, während man fieberhaft eine Wiederaufnahme des bewaff-
neten Kampfes in Como vorbereitete und Freiwillige organisiert wurden,
die Nachricht des von General Chrzanowsky (Monti schreibt Czarnowsky)
nach Novara abgeschlossenen Waffenstillstandes eintraf. Caronti stellte
den General zur Rede, der ihm sagte: »Wir haben einen ehrenhaften Waffen-
stillstand abgeschlossen. - Wie, ehrenhaft? — Ja, sehr ehrenhaft mit einer
Armee, die nicht kämpft.«* Die Unterredung wird von Gabriele Camozzi
bestätigt”.
Wichtig sind aber nicht die Worte des polnischen Generals, der ein im
Sturm ergriffener Strohhalm war, sondern die von der piemontesischen
Regierung, welche die Niederlage einer allgemeinen italienischen Er-
hebung vorzog, der Militärpolitik gegebenen Richtung.

$(30). Bezüglich der ständigen Drohung, welche die österreichische


Regierung an die Adligen Lombardo- Venetiens richtete, eine für die Bauern
vorteilhafte Agrargesetzgebung zu erlassen (keine leere Drohung, weil in

* Französich im Original.
1988 Neunzehntes Heft

Galizien gegen die polnische Aristokratie bereits wahrgemacht)', sind


einige Stichworte zur Geschichte Polens interessant, die in einem im
»Marzocco« vom 1. Dezember 1929 resümierten Artikel der »Pologne
litteraire«” enthalten sind. Auf der Suche nach den historischen Ursachen
des militärischen Geistes der Polen, dessentwegen in allen Kriegen und
Guerillakriegen, in allen Erhebungen und in allen Revolutionen des ver-
gangenen Jahrhunderts polnische Freiwillige anzutreffen sind, geht die
polnische Zeitung auf folgende Tatsache zurück: am 13. Juli 1792 »wurde
eine Nation, die 9 Millionen Einwohner zählte, die 70000 Soldaten unter
den Waffen hatte, erobert, ohne besiegt worden zu sein«. Am 3. Mai 1791
‚ war eine Verfassung proklamiert worden, deren weitgehend demokra-
tischer Geist zu einer Gefahr für die Nachbarn werden konnte, für den
König von Preußen, den Kaiser von Österreich und den Zaren von Russ-
land, und die etliche Berührungspunkte mit der von der französischen
Konstituante im August 1789 verabschiedeten Erklärung der Menschen-
und Bürgerrechte aufwies. Polen wurde mit dem vollen Einverständnis
der polnischen Adligen erobert, welche, vorausschauender als ihre franzö-
sischen Mitbrüder, die Anwendung der Verfassungscharta nicht abgewartet
hatten, um die ausländische Intervention auszulösen. Sie verkauften lieber
die Nation an den Feind als auch nur den geringsten Teil der Ländereien an
die Bauern abzutreten. Sie fielen lieber selbst in Knechtschaft, als dem Volk
die Freiheit zu gewähren. Dem Verfasser des Artikels, Z. St. Klingsland,
zufolge traten die 70000 Soldaten den Weg ins Exil an und machten sich
nach Frankreich auf, was zumindest übertrieben ist. Aber in ihrem Kern
sind die polnischen Ereignisse dennoch höchst lehrreich und erklären
einen Großteil der Ereignisse bis 1859 auch in Italien.

Hervorzuheben ist die Tatsache, dass eine auf französisch verfasste pol-
nische Publikation für die Auslandspropaganda (so scheint es zumindest)
die Aufteilung Polens von 1792 insbesondere mit dem Verrat der Adligen
statt mit der polnischen militärischen Schwäche erklärt, obwohl der Adel
in Polen noch eine erhebliche Funktion hat und auch Pilsudsky sich sehr
wohl gehütet hat, eine radikale Agrarreform vorzunehmen. Seltsame natio-
nale »Ehrensache«. Darwin schildert in seiner Reise eines Naturforschers um
die Welt einen ähnlichen Vorfall aus Spanien: seine Gesprächspartner be-
haupteten, dass eine Niederlage der verbündeten französisch-spanischen
Flotte durch die Illoyalität der Spanier verursacht worden sei, die, wenn sie
wirklich gekämpft hätten, nicht hätten besiegt werden können’. Besser
illoyal und Verräter als »ohne unbesiegbaren militärischen Geist«.
Heft 19-$30-$ 31 1989
$(31). Reales Italien und legales Italien. Die von den Klerikalen nach
(18)70 ersonnene Formel, um das nationale politische Unbehagen zu
bezeichnen, das aus dem Widerspruch zwischen der Minderheit der
entschiedenen und aktiven Patrioten und der gegnerischen Mehrheit
(Klerikale und Legitimisten — Passive und Gleichgültige) resultierte. In
Turin erschien bis einige Jahre vor dem Krieg eine Tageszeitung (später
Wochenzeitung), herausgegeben von einem RA Scala, mit dem Titel
»L’Italia reale«, Organ des schwärzesten Klerikalismus'. Wie kam die For-
mel auf, von wem wurde sie ersonnen und welche theoretisch-politisch-
moralische Rechtfertigung wurde für sie gegeben? Nachzuforschen ist in
der »Civiltä cattolica« und in den ersten Nummern eben jener »Italia reale«
aus Turin, die am Schluss zu einem faden Kirchenblättchen herunterkam.
Die Formel ist vom »demagogischen« Standpunkt aus treffend, da tat-
sächlich eine deutliche Kluft zwischen dem Staat (formale Legalität) und
Zivilgesellschaft (faktische Realität) vorhanden war und stark empfunden
wurde, aber bestand die Zivilgesellschaft einzig und allein aus dem »Kle-
rikalismus«? Zunächst war die Zivilgesellschaft etwas Formloses und
Chaotisches und blieb es über viele Jahrzehnte; daher war es dem Staat
möglich, sie zu beherrschen, wobei er jeweils die Konflikte überwand, die
in sporadischer, lokal begrenzter Gestalt ohne nationale Verknüpfung und
Gleichzeitigkeit auftraten. Auch der Klerikalismus war also kein Aus-
druck der Zivilgesellschaft, da es ihm nicht gelang, ihr eine nationale und
wirksame Organisation zu geben, obwohl er eine starke und formal ge-
schlossene Organisation war: diese war politisch inhomogen und hatte vor
denselben Massen Angst, die sie in einem gewissen Sinn kontrollierte. Die
politische Formel des »non expedit«*'* war genau der Ausdruck dieser
Angst und Unsicherheit: der Parlamentsboykott, der eine schroff un-
nachgiebige Haltung zu sein schien, war in Wirklichkeit der Ausdruck des
plattesten Opportunismus. Die französische politische Erfahrung hatte
bewiesen, dass das allgemeine Wahlrecht und das Plebiszit auf breitester
Basis unter bestimmten Umständen ein für die reaktionären und klerikalen
Tendenzen äußerst günstiger Mechanismus sein konnte (vgl. in dieser Hin-
sicht die naiven Bemerkungen Jacques Bainvilles in seiner Geschichte Frank-
reichs, wenn er dem Legitimismus vorwirft, kein Vertrauen ins allgemeine
Wahlrecht gehabt zu haben, wie es hingegen Napoleon III. hatte)‘; aber der
italienische Klerikalismus wusste, dass er nicht der wirkliche Ausdruck
der Zivilgesellschaft war und dass ein möglicher Erfolg kurzlebig gewesen
wäre und zum Frontalangriff seitens der neuen nationalen Energien geführt
hätte, der 1870 glücklich vermieden wurde. Erfahrung des 1882 erweiterten

* Lat.:»Es ist nicht nützlich«.


1990 Neunzehntes Heft

Wahlrechts und crispisch-freimaurerische Reaktion. Dennoch war die


klerikale Haltung, den Zwiespalt zwischen Staat und Zivilgesellschaft
»statisch« zu halten, objektiv subversiv, und jede neue, von den in der Ge-
sellschaft inzwischen heranreifenden Kräften gebildete Organisation
konnte sich seiner als Manövrierfeld bedienen, um das konstitutionell-
monarchische Regime niederzuwerfen: deshalb warf die Reaktion von 98
Sozialismus und Klerikalismus zugleich nieder, da sie diese zu Recht als
gleichermaßen »subversiv« und objektiv verbündet erachtete. Von diesem
Zeitpunkt an beginnt daher eine neue vatikanische Politik, mit der fak-
tischen Aufgabe des »non expedit« auch auf parlamentarischer Ebene (die
Gemeinde wurde traditionell als Zivilgesellschaft und nicht als Staat ange-
sehen), und dies erlaubt die Einführung des allgemeinen Wahlrechts, den
Gentiloni-Pakt und endlich 1919 die Gründung des Partito Popolare. Die
Frage der Existenz eines realen Italiens und eines legalen Italiens tritt in
anderer Form erneut in den Ereignissen von 24-26 bis zur Unterdrückung
sämtlicher politischen Parteien mit der Behauptung auf, die Identität
zwischen dem Realen und Legalen sei nunmehr erreicht, weil die Zivil-
gesellschaft in all ihren Formen von einer einzigen politischen Organisa-
tion der Partei und des Staates erfasst war.

$(32). Piero Pieri, Das Königreich Neapel vom Juli 1799 bis zum März
1806, Neapel, Ricciardi, 1928, 330 S., 25,00 L. (nützlich, um die Partheno-
peische Republik anhand der Politik der Bourbonen im kurzen Zeitraum
der Restauration besser zu verstehen)'.

$(33). Giovannı Maioli, Der Gründer der Nationalgesellschaft, Nat.


Ges. für die Geschichte des Risorgimento, Rom 1928° (enthält 22 Briefe
von Giorgio Pallavicino und Felice Foresti über die Zeit 1856-58, als
Pallavicino, Präsident der Nationalgesellschaft, deren Sekretär G. La Farina
war, daran arbeitete, den liberalen Block der Rechten und des Zentrums
auf zwei Eckpfeilern zu errichten: »italienische Meinung«, »sardisches
Heer«. Ein Ausspruch Pallavicinos: »der italienische Revolutionär, kraft-
strotzender Mann auf dem Feld der Tat, ist allzu oft ein Kind auf dem des
Denkens«)'.
Hervorzuheben ist, dass in der gegenwärtigen Geschichtsschreibung des
Risorgimento, die auf ihre Weise höchst tendenziös ist, all das, was sich mit
dem piemontesischen Programm der Moderati deckt, als »scharfsinniger
politischer Realismus« ausgegeben wird. Es ist ein ziemlich naives und
wenig scharfsinniges Urteil des Hinterher-Klügerseins: es entspricht der
Heft 19- $31-$ 36 1991

mit einigen modernen Begriffen überstrichenen und entstaubten Kaas


tion der »Gesta dei per Allobrogos«*"

SC. Giuseppe Solitro, Zwei berüchtigte Zeitungsschmierer Öster-


reichs‘ (Luigi Mazzoldi, Pietro Perego), Padua, Draghi, 1927,15 L. (In der
am,16. Dezember 1928 in der »Fiera letteraria« veröffentlichten Rezension
schreibt Guido Zadei, er besitze unveröffentlichtes und unausgewertetes
Material über Mazzoldi und über eine seltsame Auseinandersetzung, in
der Ugoni Mazzoldi von Filippo kommunistischer Propaganda bezichtigt
wird', was wohl Propaganda für die Agrarreformä la Österreich heißen
soll).

$(35). Gioberti und der liberale Katholizismus. Im Vorwort zu den


Lektüren des Risorgimento schreibt Carducci: »Nachdem er sich 1834
vom Jungen Italien getrennt hatte, wandte er sich wieder dem zu, was
Santarosa wollte und literarische Verschwörung nannte, und er betrieb sie
mit seiner gewissen kämpferischen Philosophie, welche die italienische
Tradition sehr hochhielt, bis er mit dem Primat auf den Kampfplatz trat,
und indem er den Bund der reformorientierten Fürsten mit dem Papst als
Oberhaupt predigte, zog er die furchtsamen Seelen und die furchtsamen
Geister an, zog den jungen Klerus an und zog ihn zu sich hin**, der seiner-
seits das gläubige Volk auch auf dem Lande mit sich zog«. An men Stelle
schreibt Carduccı: »... der reformorientierte und halb jakobinische ıtalie-
nische Abb& mit Parini, der mit Cesarotti und Barbieri die Revolution
überstanden hatte, der mit Di Breme zum Verkünder der Romantik und
zum Inspirator in der Karbonari-Bewegung von 21 geworden war, der mit
Gioberti in die Verschwörungen eingetaucht war und den Primat Italiens
und die Erneuerung verkündet hatte, der mit Rosmini auf die Übel
der Kirche gewiesen hatte, der mit Andreoli und Tazzolı aufs Schafott
gestiegen war ...«'

$(36). Angusto Sandona. Nach dem Waffenstillstand hat Sandonä in


den Wiener Archiven geforscht, um die offizielle österreichische Doku-
mentation über eine Reihe von Ereignissen des italienischen Risorgimento
zu sammeln. Vor dem Krieg hatte Sandonä unter anderem veröffentlicht:

* Lat.:»Die durch die Allobroger vollbrachten Taten Gottes.«


** Gerratana ersetzt, dem A-Text folgend, »und zog ihn zu sich hin« durch »und begeisterte ihn«.
1992 Neunzehntes Heft

Beitrag zur Geschichte der Prozesse von 21 und des Spielberg-Prozesses”,


Turin, Bocca, 1911; Die Einheitsidee und die politischen Parteien am Vor-
abend von 1848”, in »Rivista d’Italia« vom Juni 1914; Das lombardo-
venetische Königreich. Die Verfassung und die Verwaltung“, Mailand,
Cogliati, 1912'.

$(37). Spitzel und Provokateure Österreichs. Die Spitzel, die im


Ausland wirkten und der Staatskanzlei von Wien unterstellt waren, sollten
nicht als Provokateure auftreten: das geht aus den präzisen Instruktionen
des Fürsten Metternich hervor, der sich in einer Geheimdepesche vom
8. Februar 1844 an den Grafen Appony, Botschafter Österreichs in Paris,
hinsichtlich des vom berüchtigten Attilio Partesotti in der französischen
Hauptstadt geleisteten Dienstes wie folgt äußerte: »Der große Zweck, den
die Kaiserliche Regierung sich setzt, besteht nicht darin, Schuldige zu finden
oder verbrecherische Unternehmungen zu provozieren... Partesotti soll
sich folglich als einen aufmerksamen und getreuen Beobachter betrachten
und sich sorgsam davor hüten, Provokateur zu sein«. (Dokumente der
Staatskanzlei* Wien).
Die Stelle wird wiedergegeben von Augusto Sandonä in der Studie: Das
Vorspiel der Fünf Tage von Mailand - Neue Quellen”, veröffentlicht in der
»Rivista d’Italia« vom 15. Januar 1927 und ff., mit Bezug auf die von
Dr. Carlo Casati (Neue Enthüllungen über die Ereignisse von Mailand
1847-48”, Mailand, Hoepli, 1885) und-vom »Archivio triennale delle cose
d’Italia« (Bd. 1, Capolago, Tip. Elvetica, 1850) gegen den Baron Carlo
Torresanı, Generaldirektor der Polizei von Mailand von 1822 bis 1848,
erhobene Anschuldigung, er habe eine Abteilung aus Provokateuren ge-
bildet, welche die Tumulte inszeniert hätten’.
Anzumerken ist jedoch, dass trotz der Anweisungen Metternichs die
Provokateure gleichwohl entweder nach dem Erfordernis der lokalen
Polizeibehörden oder auch nach dem persönlichen Erfordernis der »Be-
obachter« selbst wirksam werden konnten.

$(38). Der Nexus 1848-49. Der von Cesare Balbo geförderte und in
Turin am 3. November 1847 von den drei Vertretern Piemonts, der Toskana
und des Kirchenstaates abgeschlossene Zollbund sollte das Vorspiel zur
Gründung der politischen Konföderation sein, die dann von Balbo selbst

* Deutsch im Original.
Heft 19- $36-$ 40 1993

aufgekündigt wurde, womit er auch den Zollbund scheitern ließ. Die Kon-
föderation wurde von den kleineren italienischen Staaten gewünscht: die
piemontesischen Reaktionäre (unter ihnen Balbo) wollten der territorialen
Ausdehnung Piemonts, die sie nunmehr für gesichert hielten, nicht durch
Bindungen schaden, die sie behindert hätten (Balbo hatte in den Hoffnun-
gen Italiens’ die Meinung vertreten, die Konföderation sei unmöglich,
solange sich ein Teil Italiens in den Händen der Ausländer befinde! ?), und
kündigten die Konföderation auf, indem sie sagten, Bündnisse würden vor
oder nach dem Krieg geschlossen (!?): die Konföderation wurde 48 abge-
lehnt, in den ersten Monaten (prüfen).
Gioberti und andere sahen in der auch während des Krieges geschlossenen
politischen und Zollkonföderation die notwendige Voraussetzung, um die
Umsetzung des Mottos »Italien schafft es allein« zu ermöglichen‘. Diese
unzuverlässige Politik bezüglich der Konföderation zeigt zusammen mit
den ebenso trügerischen Richtlinien hinsichtlich der Freiwilligen und der
Konstituante, dass die Bewegung von 48 aufgrund der durchtrieben er-
bärmlichen Intrigen der Rechten, der späteren Moderati, scheiterte. Sie
vermochten der nationalen Bewegung keine Richtung zu geben, weder
eine politische noch eine militärische.

$(39). Die spanische Verfassung von 1812. Warum war sie so populär?
Man müsste sie mit den 1848 zugestandenen Verfassungen vergleichen.
Der Grund für die Popularität der spanischen Verfassung muss anscheinend
nicht in ihrer ultraliberalen Form gesucht werden oder in der intellektuellen
Faulheit der italienischen liberalen Revolutionäre oder in anderen zweit-
rangigen Fragen, sondern in der wesentlichen Tatsache, dass die spanische
Situation »exemplarisch« für das absolutistische Europa war und die
spanischen Liberalen die geeignetste und am meisten verallgemeinerte ver-
fassungsrechtliche Lösung für Probleme zu finden wussten, die nicht nur
spanische, sondern italienische waren, vor allem solche des Südens.

$(40). Sizilien. Luigi Natoli: Forderungen (durch die sizilianischen


Revolutionen von 1848-1860)’, Treviso, Cattedra italiana di pubblicitä,
1927, 14 L. »Natoli will gegen diejenige Tendenz von Forschungen und
Forschern reagieren, die noch heute entweder aufgrund geringer Quel-
lenkenntnis oder aufgrund von Überresten alter politischer Voreinge-
nommenheiten darauf abzielt, Siziliens Beitrag zur Einigungsgeschichte
des Risorgimento abzuwerten. Der Autor polemisiert besonders gegen
1994 Neunzehntes Heft

B. Croce, der die sizilianische Revolution von 1848 als eine der italie-
nischen Sache abträgliche »separatistische Bewegung: ansieht, usw.«' Was
an dieser journalistischen oder buchgelehrten Literatur Siziliens interes-
sant ist, ist der stark polemische und gereizte Ton (besessene Einheits-
bestrebung). Die Frage müsste dagegen vom historischen Standpunkt aus
sehr einfach sein: den Separatismus hat es entweder gegeben oder es hat ihn
nicht gegeben oder er war bloß eine Tendenz in einem nach einer historisch
objektiven Methode zu bestimmenden Ausmaß, absehend von jeder ak-
tuellen Bewertung im Sinne parteiischer, strömungsmäßiger oder ideolo-
gischer Polemik; die Rekonstruktion der Schwierigkeiten, denen die
Einheitsbewegung in Sizilien begegnete, (würde zeigen, dass)* sie nicht
größer oder anders gewesen sein konnten als die, denen sie in anderen Re-
gionen begegnete, angefangen mit Piemont. Wenn es den Separatismus in
Sizilien gegeben hätte, dürfte dies historisch betrachtet weder verwerflich
noch unmoralisch oder antipatriotisch sein, sondern nur als ein historischer
Nexus betrachtet werden, der geschichtlich zu rechtfertigen ist und der auf
jeden Fall dazu dienen sollte, die politische Energie der Einheitsbefür-
worter, die darüber triumphierten, stärker hervorzuheben.

Die Tatsache, dass die Polemik verbissen und hart fortgeführt wird,
bedeutet folglich, dass »aktuelle Interessen« im Spiel sind und nicht histo-
rische Interessen, es bedeutet im Grunde, dass diese Veröffentlichungen
vom Typ Natoli selbst genau das beweisen, was sie leugnen möchten, das
heißt die Tatsache, dass die einheitsbefürwortende Gesellschaftsschicht in
Sizilien sehr dünn ist und dass sie mit Mühe latente »dämonische« Kräfte
beherrscht, die auch separatistisch sein könnten, wenn** diese Lösung bei
bestimmten Gelegenheiten sich als nützlich für gewisse Interessen heraus-
stellen würde. Natoli spricht nicht von der Bewegung von (18)67 und umso
weniger von gewissen Erscheinungen der Nachkriegszeit, die auch einen
Symptomwert haben, um das Vorhandensein unterirdischer Strömungen
aufzudecken, die eine gewisse Kluft zwischen den Volksmassen und dem
Einheitsstaat zeigen, worauf gewisse führende Gruppen spekulierten.
Natoli scheint der Meinung zu sein, dass der Vorwurf des Separatismus
sich der Zweideutigkeit bedient, indem er das föderalistische Programm
ausnutzt, das in einem ersten Moment einigen berühmten Männern der
Insel und ihren Abordnungen als die Lösung erschien, die den lokalen
politischen Traditionen am meisten entsprach, usw. Jedenfalls hat die

* Der den vermutlichen Sinn verständlich machende Zusatz fehlt bei Gerratana; bei Paris stillschweigend ein-
gefügt.
*# Im Ms.: »dass«.
Heft 19- $40-$42 1995
Tatsache, dass das föderalistische Programm in Sizilien eine stärkere Anhän-
gerschaft als anderwo gehabt und länger angedauert hat, ihre Bedeutung.

$(41). Interpretationen des Risorgimento. Vgl. Massimo Lelj: Die


Wiedergeburt des italienischen Geistes (1725-1861), »L’Esame«, Edizioni
di Storia moderna, Mailand, 1928, 15 L'.

$(42). Federico Confalonieri. Um den »peinlichen« Eindruck zu


verstehen, den Confalonieris Haltung der Untätigkeit während seines
Aufenthalts im Ausland nach seiner Befreiung aus dem Spielberg’ unter
den italienischen Verbannten hervorrief, muss man sich einen Abschnitt des
Briefes vor Augen halten, den Mazzini am 15. November 1838 an Filippo
Ugoni geschrieben hat und der von Ugo Da Como in der »Nuova Anto-
logia« vom 16. Juni 1928 (Unveröffentlichter Brief Giuseppe Mazzinis)'
veröffentlicht worden ist: »Es überrascht mich, dass Confalonieri zurück-
kehrt. Wenn du mir von dem Krieg sprichst, den in meinem Herzen der
Gedanke an meine Mutter, meinen Vater, die Schwester, die mir bleibt,
hervorruft, sagst du die Wahrheit; aber Confalonieri, von welchem über-
mächtigen Gefühl wird er nach Italien zurückgerufen? nach dem Tod
Teresas, seiner Ehefrau? Ich verstehe das Leben nicht, wenn es nicht der
Pflicht geweiht ist, oder der Liebe, die gleichfalls eine Pflicht ist. Ich be-
greife, ohne Billigung oder Missbilligung, das Individuum, das angesichts
des Glücks oder Unglücks geliebter und heiliger Personen auf den Kampf
für das Wahre und Gute verzichtet; ich begreife den nicht, der darauf ver-
zichtet, um, wie man sagt, in Ruhe zu leben; acht oder zehn Jahre eines
Lebens des Individualismus, der Empfindungen, die vergehen und nicht
das Geringste für andere hervorbringen, abgeschlossen durch den Tod,
erscheinen mir etwas Verachtenswertes für den, der keinen Glauben an ein
zukünftiges Leben hat, eher schuldhaft als verachtenswert vielleicht für
den, der ihn hat. Confalonieri, allein, in bereits fortgeschrittenem Alter,
ohne starke Pflichten, die ihn an eine Familie geliebter Wesen binden,
müsste meiner Meinung nach aller Dinge überdrüssig sein, außer der Idee,
zur Emanzipation seines Landes und zum Kreuzzug gegen Österreich
beizutragen«”.
Da Como schreibt in seiner Einleitung zu dem Brief: »Und deswegen
findet sich auch in unserem Brief ein wehmütiger Gedanke an Federico
Confalonieri. Er war aus London gekommen, ein Jahr zuvor, auf dem Weg
nach Frankreich: Mazzini hatte erfahren, dass er traurig und schweigsam
war, aber die Leiden durften ihm zufolge das Innerste der Seele nicht
1996 Neunzehntes Heft

verändern. Er verfolgte ihn mit Bangen, weil er wollte, dass er immer eine
hohe, aufrechte Gestalt, ein Beispiel sei. Er dachte, wenn er selbst aus dem
Spielberg herausgekommen wäre und um sich herum eine Wüste vor-
gefunden hätte, hätte er nichts anderes im Sinn gehabt als erneut erwas für
die alte Idee zu versuchen und zwar bis an sein Ende. Er wollte nicht, dass
einer flehte, dass einer die Rückkehr wünschte und erhielte, der fünfzehn
Jahre gelitten hatte, ohne zu verzagen, ohne Anzeichen der Wandlung. Er
wollte, dass er für immer ein neuer Farinata degli Überti sei, wie ihn
Gabriele Rosa, bis zuletzt liebevoller und beständiger Verherrlicher seines
Gefängnisgefährten, dargestellt hat«'.
Da Como liegt völlig daneben, und Mazzinis Worte sind alles andere als
wehmütig, sie sind schroff und hart. Die Hagiographie macht Da Como
dafür blind, dass Mazzinis Worte den richtigen Ton treffen. Weitere Hin-
weise auf Confalonieri in Mazzinis Briefwechsel und in den Briefen der
anderen Fxilierten: das wirkliche Urteil muss man eben in diesen privaten
Briefen suchen, da es verständlich ist, dass die Exilierten öffentlich keinen
Schatten auf die Gestalt Confalonieris haben werfen wollen. Unbedingt
nachzuforschen ist in den Berichten der österreichischen Informanten
an die Wiener Regierung aus den Ländern, in denen sich Confalonieri
nach der Haftentlassung aufhielt, und in den Instruktionen, die diese
Informanten von Metternich erhielten.

$(43). Der Tod Viktor Emanuels II. In einem Brief Guido Baccellis
an Paulo Fambri vom 12. August (vielleicht 1880, da das Jahr fehlt und 1880
eine Hypothese Guidis ist), der von Angelo Flavio Guidi veröffentlicht
wurde (Paulo Fambris unveröffentlichtes Archiv in der »Nuova Antologia«
vom 16. Juni 1928)', steht geschrieben: »Das Herz ganz Italiens blutet
noch bei der Erinnerung an den Tod des ruhmreichen Viktor Emanuel:
dieses riesige Unglück hätte jedoch hundertmal grösser sein können, wenn
man nicht mit der Sauerstoffzufuhr mehrere Lebensstunden gewonnen
hätte«’. (Es folgen Pünktchen, dem Anschein nach vom Herausgeber
Guidi, da sie die ganze Zeile vervollständigen, es sind also nicht die üblichen
Fortführungspunkte). Was bedeutet das?

$(44). Federico Confalonieri. Bevor er auf den Spielberg überführt


wurde und nach der Befreiung, bevor er ins Gefängnis von Gradisca über-
führt wurde, um dann deportiert zu werden, ging Confalonieri nach Wien.
Nachsehen, ob er auch bei diesem zweiten Aufenthalt in Wien, der aus
Heft 19- $41-$45 1997
Gesundheitsgründen stattgefunden haben soll, Unterredungen mit öster-
reichischen Politikern hatte. Die äußeren Fakten zu Confalonieris Leben
kann man in den Veröffentlichungen von D’Ancona' finden.
Als Kuriosität ist durchzusehen Rino Alessis Drama Graf Adler”. Doch
warum hat Alessi es für richtig gehalten, Confalonieri Graf »Adler« zu
nennen?

$(45). Die Parthenopeische Republik und die revolutionären Klassen


im Risorgimento.. Inder Laterza-Ausgabe der »Historischen Erinnerun-
gen aus dem Königreich Neapel von 1790 bis 1815«° von Francesco Pigna-
telli, Fürst von Strongoli* (Nino Cortese, Erinnerungen eines Generals
der Republik und des Kaiserreichs”, 2 Bde., in 8°, 136-CCCCXXV S., und
312 S., 50 L.) veröffentlicht Cortese einen Aufsatz »Staat und politische
Ideale in Süditalien im 18. Jahrhundert und die Erfahrungen einer Revolu-
tion«', worin das Problem gestellt wird: weshalb erscheint im Süden Italiens
der Adel auf der Seite der Revolutionäre und wird dann grausam von der
Reaktion verfolgt, während in Frankreich Adel und Monarchie angesichts
der revolutionären Gefahr vereint sind. Cortese geht bis auf die Zeit Karls
von Bourbon zurück, um den Berührungspunkt zwischen der Konzeption
der aristokratischen Neuerer und derjenigen der Bürgerlichen zu finden:
ersteren zufolge müssen die Freiheit und die notwendigen Reformen vor
allem durch ein aristokratisches Parlament garantiert werden, wobei sie
bereit sind, die Mitarbeit der Besten aus der Bourgeoisie zu akzeptieren;
dieser zufolge muss die Kontrolle durch die Aristokratie der Intelligenz,
des Wissens, der Fähigkeit usw., woher auch immer sie kommen mag, aus-
geübt und ihr die Garantie der Freiheit anvertraut werden. Beiden zufolge
muss der Staat vom König regiert werden, umgeben, aufgeklärt und
kontrolliert von einer Arıstokratie. Im Jahre 1799, nach der Flucht des
Königs, gibt es zunächst den Versuch einer aristokratischen Republik seitens
der Adligen und dann den der bürgerlichen Erneuerer in der späteren nea-
politanischen Republik.
Es scheint, dass die neapolitanischen Ereignisse den französischen nicht
entgegengesetzt werden können; auch in Frankreich gab es einen Bündnis-
versuch zwischen Monarchie, Adligen und Großbürgertum nach einem
anfänglichen Bruch zwischen Adligen und Monarchie. In Frankreich jedoch
fand die Revolution die Antriebskraft auch in den Volksklassen, welche sie
daran hinderten, in den ersten Stadien steckenzubleiben, was hingegen in

* Im Ms.: »Stromboli«.
1998 Neunzehntes Heft

Süditalien und später im ganzen Risorgimento fehlte. Zu berücksichtigen


ist auch, dass die neapolitanische Bewegung nach der französischen erfolg-
te, als die Monarchie unter dem alptraumhaften Eindruck des französischen
Terrors stand und einen Feind in jedermann sah, der für die erneuernden
Ideen eintrat, sei er adlig oder bürgerlich. Das Buch von Cortese ist anzu-
sehen.

$(46). Das Volk im Risorgimento. 1.Den Band von Niccolö Rodolico


ansehen: Das Volk zu Beginn des Risorgimento, Florenz, Le Monnier, in e
312 S. 2. Im Statut der von den Brüdern Bandiera gegründeten Geheim-
gesellschaft Esperia liest man: »Man ziehe nur mit allergrößter Vorsicht
Mitgliedschaften aus den unteren Volksschichten in Erwägung, weil diese
fast immer von Natur aus unklug und aus Not verderbt sind. Man sollte
sich bevorzugt an die Reichen, an die Starken und an die Gelehrten wenden
und die Armen, die Schwachen, die Ungebildeten vernachlässigen«' (zu
überprüfen).
Man muss alle Bemerkungen sammeln, die sich in der ersten Phase des
Risorgimento (vor (18)48) auf diesen Gegenstand beziehen, und dem
Ursprung dieses Misstrauens* nachgehen. Ein Grund ist in den Prozessen
zu suchen, die auf den Versuch der Militärrevolte von 21 in Piemont und
anderswo folgten: Differenz in der Haltung der Soldaten und Offiziere;
die Soldaten begingen entweder oft Verrat oder zeigten sich sehr schwach
angesichts der Voruntersuchungen zu den Prozessen.
Haltung Mazzinis vor und nach dem Aufstand vom Februar 1853 in
Mailand; nach 1853 sind seine Weisungen an Crispi zur Gründung von
Sektionen der Aktionspartei in Portugal anzusehen, in denen empfohlen
wird, in jedes Dreierkomitee einen Arbeiter aufzunehmen”.

$(47). Italien und die Artischocke. Das Bild Italiens als einer
Artischocke, deren Blätter man eines nach dem andern verspeist, wird
verschiedenen italienischen Fürsten nicht nur aus dem Hause Savoyen
zugeschrieben. Letztmals wurde sie Viktor Emanuel II. zugeschrieben
(und dies würde seinem Charakter nicht widersprechen, wie die von
Ferdinando Martini überlieferte Anekdote von Quintino Sella zeigt:
vgl. andere Notiz)‘. Amerigo Scarlatti zufolge (in »[’Italia che scrive« vom

* Im Ms.: »Differenz« (»differenza«); abweichend von Gerratanas Ausgabe korrigiert nach A-Text (»diffi-
denza«).
Heft 19- $45-$ 49 1999
Februar 1928)’ soll das Bild von Viktor Amadeus II. stammen, wie aus
Missons 1703 im Haag gedruckter Italienreise”' hervorgeht.

$(48). Piero Pieri, Das Königreich Neapel vom Juli 1799 bis März 1806,
Neapel, Ricciardi, 1928, 314 S., 25 L. Untersucht die Politik der Bour-
bonen nach der ersten Restauration und die Gründe für ihren Zusammen-
bruch 1806, der erfolgt ist, obwohl es keine aktive Gegenkraft im Innern
gab und als die französische Armee noch weit weg war. Untersucht das
schwierige Regime der Klassen im Süden und das Entstehen des liberalen
Denkens, das den alten Jakobinismus von 1799 ersetzt. (Aber kann man
die politische Richtung der neapolitanischen Revolutionäre von 1799
»Jakobinismus« nennen?) Es scheint sich um ein sehr interessantes Buch
zu handeln.
Um die Einstellung der Klassen und ihre Entwicklung im Süden zu ver-
stehen, muss auch das Buch von A. Zago, Öffentliches und privates
Bildungswesen im Neapolitanischen (1767-1860), Cittä di Castello, »Il
Solco«, 1927, 228 S., 15 L., sehr interessant sein. (Das Ungleichgewicht
zwischen öffentlichem und privatem Bildungswesen hat sich nach 1821
entwickelt: die Privatschulen blühen, während die staatliche Aktivität
schwindet: es bildet sich so eine strikt von den Volksmassen getrennte und
in Opposition zum Staat stehende Schicht von Intellektuellen heraus, die
relativ stark ist in dem durch die Polizeirepression nur mit Mühe äußerlich
zusammengehaltenen allgemeinen politischen Zerfall. Dieses Thema ver-
dient es, vertieft zu werden).

$(49). Der historische Knotenpunkt 1848-49. Genau zu rekonstruieren


und zu analysieren die Abfolge der Regierungen und der Parteienkom-
binationen (Konstitutionalisten und Absolutisten) in Piemont vom Beginn
des neuen Regimes bis zur Proklamation von Moncalieri, von Solaro della
Margarita bis zu Massimo d’Azeglio. Funktion Giobertis und Rattazzis
und ihre wirkliche Macht über die Staatsmaschine, die seit der Zeit des
Absolutismus unverändert geblieben war, oder beinahe.
Bedeutung der sogenannten Kohabitation’ Cavour-Rattazzi: War es der
erste Schritt des demokratischen Zerfalls? Aber bis zu welchem Punkt
konnte Rattazzi als Liberaldemokrat bezeichnet werden?
2000 Neunzehntes Heft

$(50). Einleitende Kriterien. Die Geschichte als nationale »Bio-


graphie«. Diese Art, Geschichte zu schreiben, beginnt mit dem Entstehen
des Nationalgefühls und ist ein politisches Instrument, um in den großen
Massen die Elemente aufeinander abzustimmen und zu festigen, die eben
das Nationalgefühl bilden. 1. Man setzt voraus, dass das Gewünschte immer
existiert hat und wegen des Dazwischentretens äußerer Mächte oder weil
die inneren Tugenden »eingeschlafen« waren sich nicht offen durchzusetzen
und zu zeigen vermag; 2. das führte zur populären Kitschgeschichte:
Italien wird wirklich als etwas Abstraktes und Konkretes (zu Konkretes)
zugleich gedacht, wie die schöne Matrone der populären Kitschbildchen,
welche die Psychologie gewisser Volksschichten mehr beeinflussen, als
man denkt, positiv wie negativ (aber immer auf irrationale Weise), wie die
Mutter, deren »Söhne« die Italiener sind. Mit einem Übergang, der brüsk
und irrational erscheint, aber zweifellos wirksam ist, verwandelt sich die
Biographie der »Mutter« in die kollektive Biographie der »guten Söhne«,
die den missratenen, vom Weg abgekommenen Söhnen entgegengesetzt
werden usw. Es versteht sich, dass diese Art, die Geschichte zu schreiben
und vorzutragen, aus praktischen, aus Propagandagründen entstanden ist:
aber warum fährt man noch immer in dieser Tradition fort? Heute ist diese
Darbietung der Geschichte Italiens doppelt antihistorisch: 1. weil sie ın
Widerspruch zur Wirklichkeit steht; 2. weil sie die angemessene Beurtei-
lung der von den Männern des Risorgimento vollbrachten Anstrengung
verhindert, indem sie deren Gestalt und Originalität herabmindert, eine
Anstrengung, die nicht nur gegen die äußeren Feinde gerichtet war,
sondern vor allem gegen die konservativen Kräfte im Inneren, die sich der
Einigung widersetzten.

Dem Verständnis der »pädagogischen« Gründe dieser Form von Ge-


schichte kann auch in diesem Fall der Vergleich mit der französischen
Situation dienlich sein; zur gleichen Zeit, da sich das Risorgimento vollzog,
nannte sich Napoleon Kaiser der Franzosen und nicht von Frankreich,
und ebenso Louis-Philippe König der Franzosen. Die Bezeichnung hat
einen tiefen popular-nationalen Charakter und drückt einen klaren Schnitt
gegenüber der Epoche des Patrimonialstaates aus, eine größere Bedeutung,
die den Menschen anstelle des Territoriums gegeben wird. »Marianne«
kann daher in Frankreich auch von den glühendsten Patrioten verspottet
werden, während in Italien die stilisierte Figur der Italia zu karikieren be-
stimmt bedeuten würde, Antipatrioten zu sein, wie es die Sanfedisten und
die Jesuiten vor und nach 1870 waren.
Heft 19 - $50-$ 52 2001

$(51). Der historische Knotenpunkt 1848-49. Vgl. Carlo Pagani, Nach


Custoza und Volta 1848 (in der »Nuova Antologia« vom 1. März 1929)".
Bringt einige unveröffentlichte Dokumente aus dem Mailänder Casati-
Archiv, die nicht wesentlich, aber aufschlussreich sind, um die politische
Krise jenes Zeitpunkts zu sehen, eine politische Krise, die eines der Haupt-
elemente der militärischen Niederlage war: Fehlen einer einheitlichen,
genau festgelegten und entschlossenen Richtung, Zögern, unverantwort-
liches Handeln der reaktionären Cliquen, keinerlei Sorge für die Bedürf-
nisse des Heeres als menschlicher Masse usw.
England war gegen das militärische Eingreifen Frankreichs zugunsten
Piemonts: Palmerston erklärte, dass das französische Eingreifen einen
europäischen Krieg auslösen würde, da England es nicht geduldet hätte,
während es Piemont auf diplomatischem Weg nur schwach unterstützte,
um eine ruinöse Niederlage und allzu günstige Gebietsverschiebungen für
Österreich zu verhindern. Paganis Artikel muss im Falle einer Rekon-
struktion der Ereignisse von 48-49 nochmals angesehen werden, um Ele-
mente der Übereinstimmung und der Stützung durch andere Dokumente
aufzufinden.
Zu den Angelegenheiten des Kabinetts Casati-Gioberti (Juli-August
1848) vgl. Giobertis Brief an Giuseppe Massari, der mit Vorwort des Sena-
tors Matteo Mazziotti in der »Nuova Antologia« vom 16. Juni 1918 ver-
öffentlicht wurde. Zur Mission Carlo d’Addas in Frankreich und England,
die im Auftrag der provisorischen Regierung von Mailand durchgeführt
wurde, vgl. Carlo Pagani im Bericht von der Historikertagung von Trient
1926 (Rede: Die provisorische Regierung von Mailand im Jahre 1848 und
das Trentino); Carlo Pagani, Menschen und Ereignisse in Mailand vom
März bis August 1848, Verl. Cogliati, Mailand (mit Dokumenten aus dem
Museum für die Geschichte des Risorgimento in Mailand und insbesondere
aus den Archiven Casati, d’Adda, Arese, Giulini-Crivelli, Restelli)”.

$(52). Die Freiwilligen. Über die Freiwilligen finden sich einige


scharfsinnige Bemerkungen in den Memoiren von Leonetto Ciprianı, ins-
besondere zu den toskanischen Freiwilligen und zu der Art, wie sie vom
piemontesischen Heer 1848 behandelt wurden. Ciprianis Memoiren sind
auch wegen einiger lebendiger Eindrücke über die Ereignisse des Risor-
gimento lesenswert.
2002 Neunzehntes Heft

$(53). Luzio und die tendenziöse und parteüsche Geschichtsschreibung


der Moderati. (1.) Hervorzuheben ist, dass A. Luzios Art der Ge-
schichtsschreibung des Risorgimento von den Jesuiten der »Civiltä
Cattolica« oft gelobt worden ist. Nicht immer, aber häufiger als man
glaubt, ist die Übereinstimmung zwischen Luzio und den Jesuiten möglich.
Vgl. in der »Civilta Cattolica« vom 4. August 1928 die $. 216-17 des Artikels
Politischer Prozess und Verurteilung des Abbe Gioberti im Jahre 1833'.
Luzio muss die Politik Karl Alberts verteidigen (in dem Buch Mazzini als
Karbonaro, S. 498) und zögert nicht, die Haltung Giobertis im Prozess
wegen der Ereignisse von (18)31 scharf zu verurteilen, im Einvernehmen
mit den Jesuiten”. Festzuhalten ist, wie aus den 1928 von der »Civiltä
Cattolica« über Giobertis Prozess publizierten Artikeln aus den vatika-
nischen Dokumenten hervorgeht, dass der Papst bereits vorbeugend, in
der Art Loyolas, sein Placet zu Giobertis Todesurteil und Hinrichtung
gegeben hatte, während 1821 beispielsweise das Todesurteil eines Kirchen-
mannes in Piemont durch das Eingreifen des Vatikans in lebenslängliches
Zuchthaus umgewandelt worden war”.

2. Zu Luzios »historischer« Literatur bezüglich der Risorgimento-


Prozesse ist manches von parteiisch-politischer Art sowie hinsichtlich
Methode und Mentalität hervorzuheben. Allzu oft scheint es, dass Luzio
(was die Verhafteten der demokratischen Parteien anbelangt) den Ange-
klagten vorwirft, dass sie sich nicht haben verurteilen und aufhängen lassen.
Auch vom Standpunkt des Rechts oder der Rechtssprechung stellt Luzio
die Fragen falsch und tendenziös, indem er sich auf den Standpunkt des
»Richters« und nicht auf den der Angeklagten stellt: daher seine (untaug-
lichen und dummen) Versuche, reaktionäre Richter wie Salvotti' zu »reha-
bilitieren«. Selbst angenommen, Salvotti wäre sowohl persönlich wie als
österreichischer Beamter als untadelig zu beurteilen, änderte dies nichts
daran, dass die von ıhm vorbereiteten Prozesse dem von den revolutionären
Patrioten repräsentierten neuen Rechtsbewusstsein widersprachen und
ihnen als monströs erschienen. Die Lage des Angeklagten war höchst
schwierig und heikel: auch ein kleines Zugeständnis konnte katastrophale
Folgen nicht nur für den einzelnen Angeklagten haben, sondern auch für
eine ganze Reihe von Personen, wie man im Fall von Pallavicino gesehen
hat. Die standrechtliche »Gerechtigkeit«, die eine Form des Krieges ist,
schert sich nicht um die objektive Wahrheit und Gerechtigkeit: wichtig ist
nur, den Feind zu vernichten, aber derart, dass es scheint, er verdiene es,
vernichtet zu werden, und gebe selbst zu, es zu verdienen. Eine Unter-
suchung der »rechtsgeschichtlichen« Schriften Luzios könnte Gelegenheit
zu einer Reihe von psychologisch interessanten und wissenschaftlich
Heft 19- $53 2003

grundlegenden Bemerkungen zur historischen Methode geben (heranzu-


ziehen ist Mariano Amelios Artikel Der Erfolg und das Recht im »Corriere
della Sera« vom 3. September 1934)”.
3. Diese Art, die Geschichte des Risorgimento ä la Luzio zu behandeln,
hat ihren parteiischen Charakter vor allem in der zweiten Hälfte des vergan-
genen Jahrhunderts gezeigt (und genauer nach 1876, das heißt, nachdem die
Linke an die Macht gekommen war): sie war sogar ein charakteristischer
Zug des politischen Kampfes zwischen Katholiken-Moderati (oder
Moderatıi, die sich mit den Katholiken zu versöhnen und ein Terrain zur
Bildung einer großen Rechtspartei zu finden wünschten, die durch den
Klerikalismus eine breite Basis in den ländlichen Massen hätte) und den
Demokraten, die aus analogen Gründen den Klerikalismus vernichten
wollten.
Eine typische Episode war die gegen Luigi Castellazzo entfesselte Attacke
wegen seiner angeblichen Haltung im Prozess von Mantua, der dazu
führte, dass Don Tazzoli, Carlo Poma, Tito Speri, Montanari und Frattini
in Belfiore am Galgen endeten. Die Kampagne war durch und durch par-
teiisch, weil die gegen Castellazzo vorgebrachten Beschuldigungen gegen
andere nicht erhoben wurden, die sıch bei den Prozessen bekanntermaßen
bestimmt schlimmer benahmen, als dies von Castellazzo behauptet wurde,
und nicht auf überzeugende Weise, da Männer wie Carducci mit dem
Angegriffenen solidarisch blieben; aber Castellazzo war Republikaner,
Freimaurer (Oberhaupt der Freimaurerei?) und hatte sogar Sympathien für
die Kommune gezeigt. Benahm Castellazzo sich schlimmer als Pallavicino
beim Confalonieri-Prozess? (vgl. Luzios Angriffe gegen Andryane wegen
dessen Feindseligkeit gegenüber Pallavicino)‘. Zwar endete der Prozess
von Mantua mit Hinrichtungen, während dies für Confalonieri und Ge-
fährten nicht der Fall war, aber abgesehen davon, dass das Urteil über die
Taten einzelner Individuen davon nicht berührt werden darf, lässt sich
denn sagen, dass die Hinrichtungen von Belfiore dem angeblichen Verhalten
Castellazzos zuzuschreiben sind und nicht vielmehr die blitzschnelle Ant-
wort auf die Mailänder Erhebung vom 3. Februar 1853 waren? Und trug
nicht das feige Verhalten der Mailänder Adligen, die ausgerechnet am
Vorabend der Hinrichtung dem Kaiser zu Füßen lagen, dazu bei, den
erbarmungslosen Willen Franz Josephs zu bestärken? (vgl. die Daten). Zu
prüfen ist, wie Luzio mit dieser komplexen Reihe von Ereignissen umgeht.
Die Moderati versuchten, die Verantwortlichkeit der Mailänder Adligen
auf wirklich widerliche Art abzuschwächen (vgl. R. Bonfadinis Fünfzig
Jahre Patriotismus)’. Nachsehen, wie Luzio sich in der Frage der Confa-
lonieri-Verhörprotokolle und von Confalonieris Verhalten nach dessen
2004 Neunzehntes Heft

Befreiung verhält. Zur Frage Castellazzos vgl. Luzio: Die Märtyrer von
Belfiore in den verschiedenen Auflagen (die 4. ist von 1924); Die von
Österreich übergebenen Akten der politischen Prozesse von Mailand und
Mantua, Mailand, Cogliati, 1919 (diese Broschüre müsste von den Con-
falonieri-Verhörprotokollen handeln, die der Senator Salata nach eigener
Aussage in den Wiener Archiven »entdeckt« hat)‘; Die Freimaurerei und
das italienische Risorgimento, 2 Bde., Bocca (dieses Werk scheint es inner-
halb kürzester Zeit zur 4. Auflage gebracht zu haben, was erstaunlich
wäre); vgl. weiter P.L. Rambaldi, Licht und Schatten in den Prozessen
von Mantua, im »Archivio Storico Italiano«, V-XLIII, $S. 257-331, und
Giuseppe Fatini, Die Wahlen von Grosseto und die Freimaurerei, ın
»Nuova Antologia« vom 16. Dezember 1928° (handelt von der Wahl
Castellazzos zum Abgeordneten im September 1883 und von der Kam-
pagne, die losbrach: Carducci unterstützte Castellazzo und schrieb gegen
die »pharisäerhafte Verbissenheit der Moderati«”.

4. Was bezweckten und bezwecken zum Teil noch immer (aber in


diesem Bereich haben sich seit einigen Jahren viele Dinge geändert) die
Historiker und Publizisten der Moderati mit dieser ihrer unermüdlichen,
höchst schlauen und sehr gut organisierten Propagandaarbeit (manchmal
scheint es, dass es für diese Aktivität ein Führungszentrum, eine Art Mo-
derati-Freimaurerei gegeben hat, so groß ist der Systemgeist)? »Beweisen«,
dass die Einigung der Halbinsel wesentlich Werk der mit der Dynastie ver-
bündeten Moderati gewesen ist und geschichtlich das Machtmonopol
legitimieren. Man muss daran erinnern, dass die wichtigsten Persönlich-
keiten der Kultur den Moderati angehörten, während die Linke (mit
wenigen Ausnahmen) nicht mit übermäßiger intellektueller Ernsthaftig-
keit glänzte, vor allem nicht im Bereich der historischen Studien und der
Publizistik mittleren Ranges. Der polemischen Aktivität der Moderati
gelang es durch ihre frisierte »Beweisführung«, die Demokratie ideologisch
zu zersetzen, indem sie viele individuelle Elemente davon absorbierten
und vor allem die Erziehung der jungen Generationen beeinflussten, die
sie mit ihren Auffassungen, mit ihren Losungen, mit ihren Programmen
formten. Weiter: 1. die Moderati waren in ihrer Propaganda ohne Skrupel,
während die Männer der Aktionspartei voller patriotischer, nationaler
usw. »Großzügigkeit« waren und all diejenigen respektierten, die wirklich
für das Risorgimento gelitten hatten, auch wenn sie in manchen Momenten
schwach gewesen waren; 2. der Betrieb der öffentlichen Archive kam den
Moderati entgegen, denen es individuell erlaubt war, nach Dokumenten
gegen ihre politischen Gegner zu suchen und Dokumente zu verstümmeln
oder zu verschweigen, die ihnen nachteilig gewesen wären; erst seit einigen
Heft 19-$53 2005

Jahren ist es möglich geworden, vollständige Briefwechsel zu publizieren,


zum Beispiel von toskanischen Moderati'', die sich noch (18)59 an die Rock-
schöße des Erzherzogs klammerten, um ihn nicht entkommen zu lassen
usw. Die Moderati erkennen systematisch keine gemeinschaftlich handeln-
de und wirkende Kraft im Risorgimento außerhalb der Dynastie und der
Moderati an: von der Aktionspartei anerkennen sie das Verdienst einzelner
Persönlichkeiten, die tendenziös verherrlicht werden, um sie für sich in
Beschlag zu nehmen; andere werden verleumdet, womit sie in jedem Fall
erreichen, dass das gemeinschaftliche Band zerreißt. In Wirklichkeit hatte
die Aktionspartei dieser Propaganda, die durch die Schule offizielle Lehre
wurde, nichts Wirksames entgegenzusetzen: Klagen oder Ausbrüche, die
so kindisch sektiererisch und parteiisch waren, dass sie die gebildeten
Jugendlichen nicht überzeugen konnten und den Mann aus dem Volk
gleichgültig ließen, d.h. ohne Wirkung auf die neuen Generationen waren:
so wurde die Aktionspartei zersetzt und die bürgerliche Demokratie ver-
mochte sich keine populare Basis zu schaffen. Ihre Propaganda hätte nicht
auf der Vergangenheit, auf den Polemiken der Vergangenheit beruhen
dürfen, welche die großen Massen immer wenig interessieren und, inner-
halb bestimmter Grenzen, nur nützlich sind, die führenden Kader zu bilden
und zu stärken, sondern auf der Gegenwart und auf der Zukunft, das heißt
auf konstruktiven Programmen in Opposition (oder Ergänzung) zu den
offiziellen Programmen. Die Polemik der Vergangenheit war für die
Aktionspartei besonders schwierig und gefährlich, weil sie besiegt worden
war, und der Sieger hat allein aufgrund dieser Tatsache große Vorteile im
ideologischen Kampf. Es ist nicht ohne Bedeutung, dass niemand je daran
gedacht hat, eine Geschichte der Aktionspartei zu schreiben, trotz der
nicht zu bezweifelnden Bedeutung, die sie im Verlauf der Ereignisse hatte:
man denke nur an die demokratischen Versuche von 48-49 in der Toskana,
in Venetien, in Rom und an den Zug der Tausend.

In einem bestimmten Zeitraum verbündeten sich alle Kräfte der Demo-


kratie, und die Freimaurerei wurde der Angelpunkt dieses Bündnisses: es
ist dies ein ganz bestimmter Zeitraum in der Geschichte der Freimaurerei,
die zu einer der wirksamsten Kräfte des Staates in der Zivilgesellschaft
geworden ist, um die Ansprüche und die Gefahren des Klerikalismus ein-
zudämmen, und dieser Zeitraum ging zu Ende mit der Entwicklung der
Kräfte der Arbeiter. Die Freimaurerei wurde zur Zielscheibe der Moderatı,
die offensichtlich hofften, so zumindest einen Teil der katholischen Kräfte,
besonders die Jugendlichen, zu erobern; aber in Wirklichkeit werteten
die Moderati die vom Vatikan kontrollierten katholischen Kräfte auf, und
so erlitt die Herausbildung des modernen Staates und eines weltlichen
2006 Neunzehntes Heft

nationalen Bewusstseins (kurz, das patriotische Gefühl) einen heftigen


Rückschlag, wie man in der Folge sah. (Bemerkungen, die zu vertiefen
sind).

$(54). Confalonieri. In einem Artikel von Panfilo (Giulio Caprın) im


»Corriere della Sera« vom 26. September 1934 heißt es: »Teresa, von Qualen
verzehrt, musste sterben, bevor der neue Kaiser Ferdinand die Gnade ge-
währte, die Franz dem aristokratischen Verschwörer ohne Reue immer
verweigert hatte«'. Dieses »ohne Reue« ist nicht mehr möglich nach dem,
was Silvio D’Amico über das von Confalonieri gestellte und im italienischen
Museum des Spielberg ausgestellte Gnadengesuch publiziert hat’. Caprins
Artikel rezensiert das Buch von Luigi Ceria, Leben einer Ehefrau (Mai-
land, Baldini und Castoldi, 12 L.)” über Teresa und über Federicos nicht
sehr geregeltes »Liebes«-Leben. Mit dem Titel Corfalonier: (Roman) hat
der Verleger Treves einen Band von Riccarda Huch (1934, 8 L.)' publiziert.

$(55). Die Ereignisse vom Februar 1853 in Mailand und die Moderatıi.
Im Artikel über Francesco Brioschi (»Marzocco« vom 6. April 1930',
Kapitel des Buches Erinnerungen aus dem 19. Jahrhundert) weist Luca
Beltrami darauf hin, dass Brioschi beschuldigt wurde, im Februar 1853 die
Ergebenheitsadresse an Franz Joseph unterzeichnet zu haben (nach dem
Attentat eines Wiener Schuhmachers). Beltrami behauptet, Brioschi habe
nicht unterzeichnet (wenn es einen Brioschi unter den Unterzeichnern
gibt, so handelt es sich nicht um den berühmten Mathematiker, Professor
der Universität Pavia und nachmaligen Organisator des Politechnikums
von Mailand). Beltrami merkt an: »und nicht einmal als Hofschranzentum
wäre der Akt der Regierungsbeamten zu definieren, die sersucht< wurden,
den Protest gegen die wahnsinnige und gewissenlose Tat eines Wiener
Schuhmachers zu unterzeichnen«, und vergisst: 1. dass die Adresse nach
den Unterdrückungsmaßnahmen von Mailand und am Vorabend von
Belfiore unterzeichnet wurde; 2. dass die unterzeichnenden mailändischen
Adligen keine »Beamten« waren; 3. dass, wenn Brioschi als Beamter nicht
unterzeichnete, ohne verfolgt zu werden, dies bedeutet, dass nicht nur die
Adligen, sondern auch die Beamten nicht unterzeichnen konnten. Deshalb
ist in seiner Anmerkung die moralische Verdammung aller Unterzeichner
implizit enthalten.
Heft 19- $53-$ 57 2007

$(56). Italien im 18. Jahrhundert. Der französische Einfluss in der


Politik, in der Literatur, in der Philosophie, in der Kunst, in den Sitten. Die
Bourbonen regieren in Neapel und im Herzogtum Parma. Zu den franzö-
sischen Einflüssen in Parma sind die ins Detail gehenden Veröffentlichungen
von Henri Bedarida anzusehen: Parma in der französischen Politik des
18. Jahrhunderts, Paris, Alcan [und zwei weitere frühere]. Es ist auch an-
zusehen: Giuseppe* Ortolanı, Italien und Frankreich im 18. Jahrhundert, in
Vermischtes zu Literatur und Geschichte, herausgegeben vom französisch-
italienischen Intellektuellenbund, Paris, Verl. Leroux'.
In der französischen Politik ist Italien wegen seiner geographischen
Lage dazu bestimmt, die Funktion eines Gleichgewichts[elements] gegen-
über der wachsenden Macht Österreichs zu übernehmen: folglich trachtet
Frankreich von Ludwig XIV. bis Ludwig XVI. danach, in Italien einen
vorherrschenden Einfluss auszuüben, wobei es die Politik der Napoleons
vorwegnimmt, eine Vorwegnahme, die sich in den wiederholten Plänen
oder Versuchen offenbart, die italienischen Staaten im Dienste Frankreichs
zusammenzuschließen. (Diese Elemente der französischen Politik müssen
sorgfältig untersucht werden, um das Verhältnis zwischen den internationa-
len und den nationalen Faktoren in der Entwicklung des Risorgimento zu
bestimmen. Anzumerken ist, wie diese Problemstellung der französischen
Politik das genaue Gegenteil der Politik ist, die Jacques Bainville in der
Kritik an der napoleonischen, der Monarchie entgegengesetzten Politik
vertritt)”.

$(57). Die Parthenopeische Republik. Vgl. Antonio Manes, Ein


Kardinal als Kondottiere. Fabrizio Ruffo und die Parthenopeische Republik,
Aquila, Vecchioni, 1930'. Manes versucht Kardinal Ruffo zu »rehabilitieren«
(das gehört in die Rubrik »Vergangenheit und Gegenwart«, in der weitere
»Rehabilitationen« erwähnt werden: jene von Solaro della Margarita, Fra
Diavolo usw., und wo darauf hingewiesen wird, dass einige Lehrer gegen
die Memoiren von Settembrini polemisieren und darin zu viel »Demagogie«
gegen die Bourbonen finden)”, indem er die Verantwortung für die Unter-
drückungsmaßnahmen und die Meineide dem Bourbonen und Nelson
anlastet. Manes scheint sich nicht gerade gut zurecht zu finden, wenn es
um die Bestimmung der politischen und sozialen Spaltungen im Neapolita-
nischen geht; einmal spricht er von einem scharfen Schnitt zwischen Adel
und Klerus auf der einen und dem Volk auf der anderen Seite; dann wieder

* Im Ms.: »Tullio«.
2008 Neunzehntes Heft

verschwindet dieser scharfe Schnitt, und es finden sich Adlige und Klerus
auf beiden Seiten. An einem bestimmten Punkt sagt er, dass Ruffo »einen
ganz und gar nationalen Charakter annimmt, wenn dieses Wort von allzu
moderner und zeitgenössischer Färbung verwendet werden darf«, und
dann müsste er also schließen, dass die von den Banden der Sanfedisten
vernichteten Patrioten nicht national waren. (Über die Beziehungen zwi-
schen Adel, Klerus und Volk vgl. N. Rodolicos Buch über Süditalien und
seinen Artikel im »Marzocco«, Nr. 11 von 1926)".

$(58). Eine Ansicht Stendhals. Vgl. P.P. Trompeo, Stendhal zwischen


einem Kardinal und einem Nuntius, »Nuova Antologia« vom 1. Februar
1935. Nachdem Trompeo einige der Sache der italienischen Freiheit und
der Tapferkeit der italienischen Patrioten wie Santarosa usw. (S. 445) sehr
günstige Urteile Stendhals aufgezählt hat, die er Rom, Neapel und Florenz
sowie den Römischen Spaziergängen entnommen hat, schließt er: »Aber er
urteilte, dass gegen ein selbstsicheres Österreich jeder Aufstandsversuch
gescheitert wäre, auch wegen des geringen Anhangs, den »die tugendhafte
und girondistische Unschuld«* der Verschwörer im Volk hatte, und dass
andererseits eine Intervention zugunsten eines für eine wirkungsvolle
Erhebung noch nicht reifen Italiens für Frankreich ein zu großes Risiko
gewesen wäre«..

* Im Original französisch.
ZWANZIGSTES HEFT (XXV)
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KATHOLISCHE AKTION —- INTEGRALE KATHOLIKEN —


JESUITEN — MODERNISTEN
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$(1). Die Katholische Aktion. Die nicht zufällig nach 1848 entstan-
dene Katholische Aktion unterschied sich stark von der heutigen, die von
Pius XI. reorganisiert wurde. Die ursprüngliche Stellung der Katholischen
Aktion nach 1848 (und teilweise auch in der Inkubationszeit, die von 1789
bis 1848 reicht, als die Tatsache und der Begriff der Nation und des Vater-
landes auftaucht und sich entwickelt, der zum - intellektuell und mora-
lisch - ordnenden Element der großen Volksmassen wird, in siegreicher
Konkurrenz mit der Kirche und der katholischen Religion) lässt sich
kennzeichnen, indem man die Beobachtung, die ein französischer Histo-
riker (prüfen) in bezug auf die »legitimistische« Monarchie und Ludwig
XVII. gemacht hat, auf die katholische Religion ausweitet: Ludwig XVII.
konnte sich anscheinend nicht zu der Überzeugung durchringen, dass in
Frankreich nach 1815 die Monarchie für ihre Erhaltung eine spezielle
politische Partei brauchte‘.

Alle Überlegungen, welche die katholischen Historiker angestellt haben


(sowie die apodiktischen Aussagen der Päpste in den Enzykliken), um die
Entstehung der Katholischen Aktion zu erklären und diese neue Forma-
tion mit Bewegungen und Aktivitäten in Verbindung zu bringen, die es
von Christus an »immer schon gegeben« habe, sind völlig abwegig. Nach
1848 wird in ganz Europa (in Italien nimmt die Krise die spezifische und
direkte Form des Antiklerikalismus und des auch militärischen Kampfes
gegen die Kirche an) die intellektuell-politisch-geschichtliche Krise
überwunden mit dem eindeutigen Sieg des Liberalismus (verstanden als
Weltauffassung und nicht nur als besondere politische Strömung) über die
kosmopolitische und »papistische«'* Auffassung des Katholizismus. Gegen
den Katholizismus bildeten sich vor 1848 mehr oder weniger kurzlebige
Parteien und lehnten sich einzelne Persönlichkeiten auf; nach 1848
»müssen« der Katholizismus und die Kirche eine eigene Partei haben, um
sich zu verteidigen und möglichst wenig zurückzuweichen, sie können
nicht mehr so reden (natürlich nicht offiziell, da die Kirche niemals das
Unwiderrufliche dieses Tatbestands zugeben wird), als könnten sie die
notwendige und universale Voraussetzung jeglicher Denk- und Handlungs-
weise sein. Vielen gelingt es heute nicht einmal mehr, sich klar zu machen,
dass es jemals so gewesen sein konnte. Um eine Vorstellung davon zu
vermitteln, lässt sich folgendes Beispiel anführen: niemand kann heute
ernsthaft daran denken, einen Verein gegen den Selbstmord zu gründen
(möglicherweise gibt es irgendwo irgendeine Gesellschaft dieser Art, aber
das ist etwas anderes), weil es keinerlei Meinungsströmung gibt, die die
Menschen davon zu überzeugen sucht (und dabei auch nur teilweise
Erfolg hat), sich massenweise das Leben zu nehmen (obgleich es einzelne
2012 Zwanzigstes Heft

Individuen und sogar kleine Gruppen gegeben hat, die derartige Formen
eines radikalen Nihilismus vertreten haben, anscheinend in Spanien): das
»Leben« ist die notwendige Voraussetzung für jede Lebensäußerung, das
ist offenkundig. Der Katholizismus hat eine solche Funktion gehabt, und
davon gibt es noch vielfältige Spuren in der Sprache und den Denk weisen
speziell der Bauern: Christ und Mensch sind Synonyme, ja sogar Christ und
»zivilisierter Mensch« sind Synonyme. (»Ich bin kein Christ!«—»Also was
bist du dann, ein Tier?«) Die Verbannten sagen noch immer: »Christen und
Verbannte« (in Ustica zuerst Verwunderung, als man bei der Ankunft des
Dampfers die Verbannten sagen hörte: »es sind alles Christen, es sind nur
Christen, es ist kein einziger Christ darunter«). Die Gefangenen sagen
dagegen eher: »Bürger'” und Häftlinge«, oder scherzhaft: »Soldaten und
Bürger«, aber die Süditaliener sagen auch »Christen und Häftlinge«. Es
wäre sehr reizvoll, die ganze Abfolge historisch-semantischer Übergänge
zu untersuchen, durch die man im Französischen aus »Christ« »cretin«
erhalten hat (daher italienisch »cretino«) und nachgerade »gredin«; es muss
eine Erscheinung ähnlich derjenigen sein, derentwegen »villano« von der
Bedeutung »Landmann« schließlich zu »Rüpel« und sogar »Tölpel und
Schurke« gelangt ist, das heißt, das Substantiv »Christ«, das von den Bauern
(anscheinend von den Bauern einiger Alpenregionen) zur Kennzeichnung
ihrer selbst als »Menschen« gebraucht wurde, hat sich in einigen Fällen
lokaler Aussprache von der religiösen Bedeutung gelöst und dasselbe
Schicksal wie »manant«'“ erfahren. Vielleicht hat auch das russische
»krestjanin« = Bauer denselben Ursprung, während sich in »Christ« im
religiösen Sinne, einer gelehrteren Form, die Aspiration des griechischen X
erhalten hat (in abschätzigem Sinn sagte man »mushik«). Diese Auffassung
ist vielleicht auch damit zusammenzubringen, dass man in einigen Ländern,
wo die Juden nicht bekannt sind, glaubt bzw. glaubte, sie hätten einen
Schwanz und Schweineohren oder ein anderes tierisches Merkmal”.
Die kritisch-historische Untersuchung der Bewegung der Katholischen
Aktion kann analytisch Raum für verschiedene Reihen von Forschungen
und Studien bieten.

Die nationalen Kongresse. Wie sie von der zentralen und lokalen Presse
vorbereitet werden. Das offizielle Vorbereitungsmaterial: offizielle Refe-
rate und solche der Opposition.

Die Katholische Aktion ist immer ein komplexer Organismus gewesen,


auch vor der Gründung des weißen Gewerkschaftsbundes und des Partito
Popolare. Der Gewerkschaftsbund wurde organisch als ein konstitutiver
Bestandteil der Katholischen Aktion betrachtet, der Partito Popolare
Heft 20-$1 2013
hingegen nicht, war es aber de facto. Die Gründung des Partito Popolare
war unter anderem deshalb ratsam, weil man in der Nachkriegszeit einen
demokratischen Schub für unvermeidlich hielt, der ein Organ und eine
Bremse benötigte, ohne die autoritäre Struktur der Katholischen Aktion
in Gefahr zu bringen, die offiziell vom Papst persönlich und von den
Bischöfen geführt wird: ohne den Partito Popolare und die in den Gewerk-
schaftsbund hineingetragenen Neuerungen im demokratischen Sinn hätte
der populare Schub die ganze Struktur der Katholischen Aktion umgestürzt
und die absolute Autorität der kirchlichen Hierarchien in Frage gestellt.
Dieselbe Komplexität erwies und erweist sich noch auf internationaler
Ebene; obwohl der Papst einen internationalen Mittelpunkt par excellence
darstellt, gibt es de facto mehrere Büros, die für die Koordination und
Führung der katholischen politischen und gewerkschaftlichen Bewegung
in allen Ländern sorgen, wie das Mechelner Büro, das den Sozialkodex
zusammengestellt hat, und das Freiburger Büro für die gewerkschaftliche
Aktion’ (zu überprüfen ist die Funktionalität dieser Büros nach den
Veränderungen, die in den deutschsprachigen Ländern wie auch in Italien
auf dem Gebiet der katholischen gewerkschaftlichen und politischen
Organisation eingetreten sind).

Ablauf der Kongresse. Auf die Tagesordnung gesetzte Themen und


solche die ausgespart werden, um radikale Konflikte zu vermeiden. Die
Tagesordnung müsste sich aus den konkreten Problemen ergeben, die
zwischen zwei Kongressen Bedeutung erlangt haben, und den künftigen
Perspektiven, außerdem aus den Punkten der Doktrin, um die herum die
allgemeinen Meinungsströmungen sich bilden und die Fraktionen sich
gruppieren.

Auf welcher Grundlage und mit welchen Kriterien werden die Führungen
gewählt oder erneuert? Auf der Grundlage einer allgemeinen doktrinären
Tendenz, die der neuen Führung ein allgemeines Vertrauen gibt, oder nach-
dem der Kongress selbst einen konkreten und genauen Kurs für das Han-
deln festgelegt hat? Die innere Demokratie einer Bewegung (das heifst
der mehr oder weniger hohe Grad an innerer Demokratie, das heifst an
Beteiligung der Elemente der Basis an der Entscheidung und an der Fest-
legung der Linie des Handelns) lässt sich auch und vielleicht besonders an
diesem Maßstab messen und beurteilen.

Ein anderes, wichtiges Element ist die soziale Zusammensetzung der


Kongresse, der Gruppe der Redner und der gewählten Führung im Verhält-
nis zur sozialen Zusammensetzung der Bewegung in ihrer Gesamtheit.
2014 Zwanzigstes Heft

Verhältnis zwischen den erwachsenen und den jugendlichen Genera-


tionen. Befassen sich die Kongresse direkt mit der Jugendbewegung, die
die Hauptquelle für die Mitgliederwerbung und die beste Schule für die
Bewegung sein müsste, oder überlassen sie die Jugendlichen sich selbst?
Welchen Einfluss auf die Kongresse nehmen (nahmen) die nach-
geordneten und Hilfsorganisationen (bzw. die solche sein müssten), die
Parlamentsgruppe, die Gewerkschaftsorganisatoren, usw.? Wird den
Abgeordneten und den Gewerkschaftsführern auf den Kongressen eine
spezielle Stellung eingeräumt, offiziell und organisch, oder besteht sie
lediglich de facto?
Außer den Diskussionen bei den Kongressen ist es nötig, die Entwicklung
festzustellen, welche die wichtigsten konkreten Probleme nach Zeit und
Raum genommen haben: die Gewerkschaftsfrage, die Beziehung zwischen
dem politischen Zentrum und den Gewerkschaften, die Agrarfrage, die
Fragen innerer Organisation in allen ihren verschiedenen Verflechtungen.
Jede Frage hat zwei Aspekte: wie sie theoretisch und technisch behandelt,
und wie sie praktisch angepackt worden ist.
Eine weitere Frage ist die der Presse, in ihren verschiedenen Aspekten:
Tagespresse, Zeitschriften, Broschüren, Bücher, Zentralisierung oder Auto-
nomie der Presse usw.
Die Parlamentsfraktion: bei der Behandlung jeder bestimmten parla-
mentarischen Tätigkeit müssen einige Untersuchungs- und Urteils-
kriterien beachtet werden. Wenn der Abgeordnete einer Volksbewegung
im Parlament spricht (und ein Senator ım Senat), kann es drei oder mehr
Versionen seiner Rede geben: 1. die offizielle Version der Parlaments-
protokolle, die gewöhnlich durchgesehen und korrigiert und häufig post
festum geschönt worden ist; 2. die Version der offiziellen Zeitungen der
Bewegung, welcher der Abgeordnete offiziell angehört: diese ist von
dem Abgeordneten in Absprache mit dem Parlamentskorrespondenten so
zurechtgemacht worden, dass sie gewisse Empfindlichkeiten entweder der
offiziellen Mehrheit der Partei oder der lokalen Leser nicht verletzt und
nicht voreilig Hindernisse für bestimmte Kombinationen aufrichtet, die im
Gange bzw. gewünscht sind; 3. die Version der Zeitungen anderer Parteien
oder der sogenannten Organe der öffentlichen Meinung (auflagenstarke
Zeitungen), die von dem Abgeordneten in Absprache mit den jeweiligen
Parlamentskorrespondenten so gestaltet worden ist, dass sie bestimmte im
Gange befindliche Kombinationen begünstigt: solche Zeitungen können
sich von [einem] Zeitabschnitt zum anderen ändern, entsprechend den
Veränderungen, die in den jeweiligen politischen Führungen oder in den
Heft 20-$1-$2 2015
Regierungen eingetreten sind. Dasselbe Kriterium kann auf das gewerk-
schaftliche Gebiet übertragen werden, im Hinblick darauf, wie bestimmte
Ereignisse oder auch die allgemeine Orientierung der jeweiligen gewerk-
schaftlichen Organisation zu interpretieren sind. Zum Beispiel: die
»Stampa«, der »Resto del Carlino«, der »Tempo« (von Naldi) haben in
bestimmten Jahren als Resonanzboden und als Werkzeug politischer
Kombinationen sowohl für die Katholiken als auch für die Sozialisten
gedient. Eine Parlamentsrede (oder ein Streik bzw. eine Erklärung eines
Gewerkschaftsführers) der Sozialisten oder der Popoları wurde von diesen
Zeitungen für ihre Leserschaft in einem gewissen Licht dargestellt, während
sie von den Organen der Katholiken oder der Sozialisten in einem anderen
Licht dargestellt wurde. Die Zeitungen der Popolari und der Sozialisten
verschwiegen ihrer Leserschaft nachgerade gewisse Äußerungen der
jeweiligen Abgeordneten, die darauf abzielten, eine parlamentarisch-
regierungsfähige Kombination der beiden Elemente zu ermöglichen,
usw. usf. Es ist außerdem unerlässlich, die von den Abgeordneten anderen
Zeitungen gegebenen Interviews und die in anderen Zeitungen veröffent-
lichten Artikel zu berücksichtigen. Die doktrinäre und politische Homo-
genität einer Partei kann auch mit dem folgenden Kriterium ausgelotet
werden: welche Orientierungen werden von den Mitgliedern dieser Partei
bei ihrer Mitarbeit bei den Zeitungen anderer Richtung oder bei denen der
sogenannten öffentlichen Meinung begünstigt: bisweilen äußern sich die
internen Meinungsverschiedenheiten nur auf diese Weise, die Abweichler
schreiben in anderen Zeitungen gezeichnete und nicht gezeichnete Artikel,
geben Interviews, suggerieren polemische Motive, lassen sich provozieren,
um zur Antwort »gezwungen« zu sein, dementieren bestimmte, ihnen
zugeschriebene Meinungen nicht usw.

$(2). Die Katholische Aktion und die franziskanischen Tertiarier.


Kann man irgendeinen Vergleich anstellen zwischen der Katholischen
Aktion und den Einrichtungen wie den franziskanischen Tertiariern?
Gewiss nicht, aber es wäre gut, einleitend nicht nur auf die Tertiarier hin-
zuweisen, sondern auch auf das allgemeinere Phänomen, dass in der
geschichtlichen Entwicklung der Kirche religiöse Orden auftreten, um die
Eigenheiten und Grenzen der Katholischen Aktion selbst besser zu be-
stimmen. Die Schaffung der Tertiarier ist eine sehr interessante Tatsache
popular-demokratischer Herkunft und Tendenz, die den Charakter des
Franziskanertums als tendenzielle Rückkehr zu den Lebensweisen und
Glaubensformen des Urchristentums deutlicher erhellt, zu einer Gemeinde
von Gläubigen und nicht nur des Klerus, wozu es immer mehr gekommen
2016 Zwanzigstes Heft

war. Es wäre deshalb nützlich, den Erfolg dieser Unternehmung gut zu


studieren, der nicht sehr groß gewesen ist, da das Franziskanertum nicht
zur Religion überhaupt wurde, wie Franziskus es beabsichtigte, sondern
sich auf einen von vielen bestehenden religiösen Orden reduzierte. Die
Katholische Aktion bezeichnet den Beginn einer neuen Epoche in der
Geschichte der katholischen Religion: als sie von einer ganzheitlichen”
Auffassung (im Doppelsinn: dass sie eine ganze Weltauffassung einer Gesell-
schaft in ihrer Ganzheit war) zu einer partiellen wird (auch im Doppelsinn)
und eine eigene Partei haben muss. Die verschiedenen religiösen Orden
repräsentieren die Reaktion der Kirche (Gemeinschaft der Gläubigen oder
Gemeinschaft des Klerus) von oben bzw. von unten gegen die partiellen
Auflösungserscheinungen der Weltauffassung (Häresien, Schismen usw.
und auch Entartung der Hierarchien); die Katholische Aktion repräsentiert
die Reaktion auf den Glaubensabfall ganzer Massen, der überwältigend ist,
also auf die massenhafte Überwindung der religiösen Weltauffassung. Es
ist nicht mehr die Kirche, die das Feld und die Mittel der Auseinander-
setzung festlegt; sie muss vielmehr das ıhr von den Gegnern oder der
Gleichgültigkeit aufgenötigte Feld akzeptieren und Waffen gebrauchen,
die dem Arsenal ihrer Gegner entlehnt sind (der politischen Massenorga-
nisation). Die Kirche ist also in der Defensive, sie hat die Selbständigkeit
der Bewegungen und der Initiativen eingebüßt, sie ist keine globale ideo-
logische Kraft mehr, sondern nur noch eine subalterne Kraft.

$(3). Über die Armut, den Katholizismus und die kirchliche Hierarchie.
In einem Büchlein über Arbeiter und Unternehmer’ (einer von der Aka-
demie der moralischen und politischen Wissenschaften in Paris 1906 preis-
gekrönten Denkschrift) findet sich die Antwort, die ein französischer
katholischer Arbeiter demjenigen gab, der ihm gegenüber den Einwand
äußerte, gemäß den im Evangelium wiedergegebenen Worten Jesu müsse
es allzeit Reiche und Arme geben: »dann werden wir eben zumindest zwei
Arme übriglassen, damit Jesus nicht Unrecht haben muss«'. Die Antwort
ist epigrammatisch, aber des Einwands würdig. Seit die Frage eine ge-
schichtliche Bedeutung für die Kirche erlangt hat, das heißt seit die Kirche
sich das Problem stellen musste, den sogenannten »Glaubensabfall« der
Massen einzudämmen, indem sie einen katholischen Syndikalismus be-
gründete (einen Arbeitersyndikalismus, denn den Unternehmern ist nie
die Auflage gemacht worden, ihren Interessenorganisationen einen kon-
fessionellen Charakter zu geben), lassen sich die gängigsten Meinungen
zur Frage der »Armut«, die aus den Enzykliken und anderen autorisierten
Dokumenten hervorgehen, in folgenden Punkten zusammenfassen: 1. Das
Heft 20-$ 2-$4 2017

Privateigentum, besonders an Grund und Boden, ist ein »Naturrecht«, das


auch nicht durch hohe Steuern verletzt werden darf (von diesem Prinzip
leiten sich die politischen Programme der christlich-demokratischen
Richtungen für die Aufteilung des Bodens an arme Bauern gegen Entschä-
digung sowie ihre Finanzdoktrinen her); 2. Die Armen müssen sich mit
ihrem Los bescheiden, weil die Klassenunterschiede und die Verteilung des
Reichtums göttliche Fügungen sind und der Versuch, sie zu beseitigen,
gottlos wäre; 3. Das Almosen ist Christenpflicht und impliziert das Vor-
handensein von Armut; 4. Die soziale Frage ist vor allem eine moralische
und religiöse, keine ökonomische, und muss mit der christlichen Nächsten-
liebe, den Geboten der Sittlichkeit und dem Urteil der Religion gelöst
werden. (Vgl. den Mechelner Sozialkodex in seinen sukzessiven Über-
arbeitungen.)’

$(4). Integrale Katholiken, Jesuiten, Modernisten. Die »integralen


Katholiken« hatten großen Erfolg unter Papst Pius X.; sie stellten eine
europäische Tendenz des Katholizismus dar, extrem rechts politisierend‘*,
aber natürlich waren sie in gewissen Ländern wie Italien, Frankreich,
Belgien stärker, wo sich in je verschiedenen Formen die Linkstendenzen
in der Politik und auf intellektuellem Gebiet stärker in der katholischen
Organisation bemerkbar machten. In Belgien beschlagnahmten die Deut-
schen während des Krieges eine große Anzahl von vertraulichen und
geheimen Dokumenten der Integralen, die in der Folge veröffentlicht
wurden, und so gab es den überwältigenden Beweis dafür, dass die
Integralen eine regelrechte Geheimgesellschaft gebildet hatten zur
Kontrolle, Führung und »Säuberung« der katholischen Bewegung auf
allen hierarchischen Stufen, mit Chiffrierschlüsseln, Vertrauensleuten,
Geheimberichten, Spionage-Agenten usw. Der Anführer der Integralen
war Monsignore Umberto Benigni, und ein Teil der Organisation wurde
durch das »Sodalitium Pianum« (von Papst Pius V.) gebildet‘. Der 1934
gestorbene Monsignore Benigni war ein Mann mit großen theoretischen
und praktischen Fähigkeiten und unglaublich aktiv: er hat unter anderem
ein Werk gewaltigen Umfangs geschrieben, Die Sozialgeschichte der
Kirche, von dem 4 Bände mit jeweils über 600 Seiten in Großformat,
verlegt bei Hoepli, erschienen sind’. Wie aus der »Civiltä Cattolica«
hervorgeht, hat Benigni seine konspirative Tätigkeit innerhalb der Kirche
niemals unterbrochen, trotz der Schwierigkeiten, in welche die Integralen

* Gerratana glaubt »politicante« durch »politicamente« ersetzen zu müssen.


2018 Zwanzigstes Heft

wegen des politischen Kurses von Pius XI. geraten sind, der unschlüssig,
schwankend und ängstlich war, dennoch aber eine demokratisch-populare
Richtung hatte wegen der Notwendigkeit, starke Massen der Katholischen
Aktion zu schaffen. Die Integralen unterstützten in Frankreich die Bewe-
gung der Action Frangaise, sie waren gegen Sillon”: überall sind sie gegen
jeglichen politischen und religiösen Modernismus.
Gegenüber den Jesuiten nahmen sie eine nahezu jansenistische Haltung
ein, das heißt von großer moralischer und religiöser Strenge, gegen jede
Form von Laxheit, Opportunismus, Zentrismus. Die Jesuiten werfen den
Integralen natürlich Jansenismus (jansenistische Heuchelei) vor, mehr
noch, das Spiel der (theologisierenden) Modernisten zu spielen: 1. wegen
ihres Kampfes gegen die Jesuiten; 2. weil sie den Modernismusbegriff so
sehr ausweiteten und folglich die Zielscheibe so sehr vergrößerten, dass
den Modernisten ein sehr bequemes Aktionsfeld geboten wurde. Tatsäch-
lich kam es vor, dass in ihrem gemeinsamen Kampf gegen die Jesuiten
Integrale und Modernisten sich objektiv auf demselben Terrain wieder-
gefunden und sogar miteinander zusammengearbeitet haben (Buonaiuti
soll in Benignis Zeitschrift geschrieben haben).

Was bleibt heute von den Modernisten und den Integralen? Es ist
schwierig, ihre objektive Stärke in der Kirchenorganisation festzustellen
und zu berechnen, besonders die der Modernisten (die Integralen haben
ihre Kräfte quasi unangefochten erhalten, auch nach der Kampagne gegen
die Action Frangaise): auf jeden Fall sind sie stets »Fermentes, die weiter-
wirken, insofern sie den Kampf gegen die Jesuiten und deren Übermacht
repräsentieren, einen noch heute von Elementen der Rechten und der
Linken geführten Kampf, bei offensichtlicher Gleichgültigkeit der Masse
des Klerus und mit nicht zu vernachlässigenden Resultaten bei der Masse
der Gläubigen, die von diesen Kämpfen und deren Bedeutung nichts weiß,
allerdings gerade deshalb zu keiner von Grund auf einheitlichen und
homogenen Mentalität kommen kann.

Für diese der Kirche - antagonistisch und geheim oder beinahe - inne-
wohnenden Kräfte (für den Modernismus ist das Geheime unabdingbar)
ist es vorteilhaft, öffentliche bzw. wirksam der Öffentlichkeit zugewandte
»Zentren« außerhalb zu haben, mit Periodika bzw. Ausgaben von
Broschüren und Büchern. Zwischen den geheimen und den öffentlichen
Zentren gibt es geheime Verbindungen, die zum Kanal der Gehässigkeiten,
der Rachefeldzüge, der Denunziationen, der hinterhältigen Unterstel-
lungen, des Klatsches werden, um den Kampf gegen die Jesuiten immer
lebendig zu erhalten (die ihrerseits eine inoffizielle oder geradezu geheime
Heft 20-$4 2019

Organisation haben, zu der die sogenannten »Laienjesuiten« beitragen


müssen, eine seltsame Institution, die vielleicht die franziskanischen
Tertiarier kopiert und der Zahl nach etwa % der Gesamtkräfte der Jesuiten
auszumachen scheint: diese Institution der »Laienjesuiten« verdient es,
- aufmerksam untersucht zu werden). All das beweist, dass die Kohäsivkraft
der Kirche weit geringer ist, als man denkt, nicht nur deshalb, weil die zu-
nehmende Gleichgültigkeit der Masse der Gläubigen gegenüber den rein
religiösen und kirchlichen Fragen den Wert der oberflächlichen und
scheinhaften ideologischen Homogenität sehr relativ sein lässt, sondern
wegen der sehr viel schwerwiegenderen Tatsache, dass das kirchliche
Zentrum nicht die Macht hat, die organisierten Kräfte zu vernichten, die
bewusst innerhalb der Kirche kämpfen. Besonders der Kampf gegen den
Modernismus hat den jungen Klerus demoralisiert, der nicht zögert, den
antimodernistischen Schwur auszusprechen, dabei aber an seinen Auf-
fassungen festhält. (An die Turiner Kreise der jungen Kleriker, auch Domini-
kaner, vor dem Krieg und ihre Abweichungen erinnern, die soweit gingen,
die modernisierenden Tendenzen des Islam und des Buddhismus wohl-
wollend zu billigen und die Religion als einen globalen Synkretismus aller
höheren Religionen aufzufassen: Gott ist wie die Sonne, deren Strahlen die
Religionen sind, und jeder Strahl führt zu der einen Sonne usw.).

Einem Artikel von Pater Rosa (Antwort auf »Eine ehrlose und gesetzlose
Polemik« in der »Civiltä Cattolica« vom 21. Juli 1928)’ sind folgende Hin-
weise entnommen: Monsignore Benigni hat immer noch (1928) eine
beachtliche Organisation: eine Reihe mit dem Titel Verites wird in Paris
veröffentlicht, und dabei tauchen die Namenszüge von Recalde, Luc Verus
und Simon auf: Luc Verus ist das kollektive Pseudonym der »Integralen«.
Rosa zitiert die Broschüre Die Entdeckungen des Jesuiten Rosa, dem
Nachfolger von Gerlachs, Parıs, Setzerei G. Dosne, Rue Turgot 20, 1928,
die er Benigni zuschreibt, zumindest hinsichtlich des Materials. Den
Jesuiten wird vorgeworfen, sie seien »Freunde der Freimaurer und der
Juden« (das erinnert an Ludendorffs »Doktrin« von der »freimaurerisch-
jüdisch-jesuitischen Internationale«)', sie werden »Demagogen und Revo-
lutionäre« genannt usw. In Rom bedient sich Benigni der Agentur Urbs
oder Romana und zeichnet seine Veröffentlichungen mit dem Namen seines
Neffen Mataloni. Benignis römisches Bulletin trug den Titel »Veritas«
(erscheint es noch bzw. bis wann ist es erschienen?). Benigni hat (1928 oder
früher?) eine Broschüre veröffentlicht, Angesichts der Verleumdung, von
wenigen Seiten, mit Dokumenten, welche die Pius-Gesellschaft betreffen,
eine Broschüre, die in Auszügen wiederabgedruckt und verteidigt wurde
von zwei katholischen Periodika, »Fede e Ragione« (aus Florenz) und der
2020 Zwanzigstes Heft

»Liguria del Popolo« (aus Genua). Benigni gab die Zeitschrift »Miscellanea
di storia ecclesiastica« heraus.

Die Broschüre Eine ehrlose und gesetzlose Polemik gegen Pater Rosa ist
von Prof. E. Buonaiuti. Rosa spricht von Buonaiutis Buch: Der katholische
Modernismus (veröffentlicht in der von P. L.Couchoud* herausgegebenen
Reihe, verlegt von Rieder’), und bemerkt, dass der Autor endlich eine Reihe
von Tatsachen eingestehe, die er während der Modernismus-Debatte stets
geleugnet habe (z.B. dass Buonaiuti der Urheber der Kampagne der
Modernisten des »Giornale d’Italia« war, was Buonaiuti in Wahrheit in
seinem Buch zwar nicht ausdrücklich sagt, man aber angesichts der
Gewundenheit dieser Schriftsteller als wahrscheinlich folgern kann).
Benigni organisierte den Pressedienst gegen die Modernisten zur Zeit der
Enzyklika Pascendi. In seinen »Religiösen Forschungen« (Juli 1928,
S. 335) erzählt Buonaiuti eine charakteristische Episode (die von Pater
Rosa mit Ausdrücken der Missbilligung usw. berichtet wird). 1909 sollte
der Modernist Prof. Antonino De Stefano (gegenwärtig aus dem Priester-
stand ausgetreten und Dozent für Geschichte an der Universität) in Genf
eine »Revue moderniste internationale« herausbringen: Buonaiuti schrieb
ihm einen Brief. Wenige Wochen später wird er vor das Heilige Offizium
gerufen. Der damalige Assessor, der Dominikaner Pasqualigo, hielt ihm
Wort für Wort den Brief an De Stefano vor. Der Brief war in Genf entwen-
det worden; ein römischer Emissär hatte sich in De Stefanos Haus »einge-
schlichen« usw. (Natürlich ist für Buonaiuti Benigni ein Werkzeug und ein
Komplize der Jesuiten gewesen, aber es scheint, dass 1904 Buonaiuti bei
Benignis »Miscellanea« mitgearbeitet hat).

Zu diesem Thema, Integrale Katholiken - Jesuiten - Modernisten, welche


die drei »organischen« Tendenzen des Katholizismus darstellen, also die
Kräfte sind, die um die Hegemonie in der römischen Kirche streiten, muss
alles nützliche Material gesammelt und eine Bibliographie erstellt werden.
(Die Reihe der »Civiltä Cattolica«, der »Religiösen Forschungen« von
Buonaiuti, der »Miscellanea« Benignis, die Reihen polemischer Broschüren
der drei Strömungen usw.).

Soviel aus der »Civiltä Cattolica« hervorgeht, scheint »Fede e Ragione«


heute die wichtigste Zeitschrift der integralen Katholiken zu sein. Nach-
sehen, welches die hauptsächlichen Mitarbeiter sind und in welchen
Punkten sie sich in Gegensatz zu den Jesuiten stellt: ob in Punkten, die den
Glauben, die Moral, die Politik usw. betreffen’. Die »Integralen« sind stark

* Gerratana liest »Couchaud«.


Heft 20-$4 2021

innerhalb einiger mit den Jesuiten rivalisierender religiöser Orden (Domini-


kaner, Franziskaner): es ist daran zu erinnern, dass auch die Jesuiten nicht
vollkommen homogen sind: Kardinal Billot, ein unnachgiebiger Integraler
bis hin zum Verzicht auf den Purpur, war Jesuit, und Jesuiten waren einige
namhafte Modernisten wie Tyrrell.

Der Artikel: Das Gleichgewicht der Wahrheit zwischen den Extremen


des Irrtums, in der »Civiltä Cattolica« vom 3. November 1928, ist angeregt
durch die Veröffentlichung von Nicolas Fontaine: Heiliger Stuhl, » Action
Frangaise« und »integrale Katholiken«, Paris, Gamber, 1928, über die in
der Fußnote folgendes Urteil abgegeben wird: »Der Autor ist beherrscht
von liberalen und politischen Vorurteilen, besonders wenn er die Politik
bei der Verurteilung der Action Frangaise ins Auge fasst; aber die von ihm
über das berüchtigte >Sodalitium« beigebrachten Fakten und Dokumente
wurden nicht dementiert«’. Nun hat Fontaine nichts vollständig Neues
veröffentlicht (Fontaines Dokumente über die »Integralen« waren im
April 1924 vom »Mouvement« veröffentlicht worden); warum also haben
sich die Jesuiten ihrer nicht früher bedient? Die Frage ist wichtig und
scheint folgendermaßen gelöst werden zu können: die päpstliche Aktion
gegen die Action Frangaise ist der auffälligste und entscheidende Aspekt
einer breiteren Aktion, um (in Frankreich, aber indirekt auch ın den ande-
ren Ländern) eine Reihe von Folgen der Politik von Pius X. zu beseitigen,
das heißt, Pius XI. will den integralen, offen reaktionären Katholiken, die
in Frankreich die Organisierung einer starken Katholischen Aktion und
einer popular-demokratischen Partei, die den Radikalen”* Konkurrenz
machen könnte, nahezu unmöglich machen, die Bedeutung beschneiden,
ohne sie jedoch frontal anzugreifen. Der Kampf gegen den Modernismus
hatte den Katholizismus zu sehr nach rechts ausschlagen lassen; man muss
ihn deshalb wieder auf die Jesuiten »zentrieren«, das heißt, ihm wieder
eine geschmeidige politische Form geben, ohne doktrinäre Erstarrungen,
mit großer Bewegungsfreiheit usw.; Pius XI. ist wirklich der Papst der
Jesuiten.

Aber gegen die integralen Katholiken an einer organischen Front


kämpfen ist sehr viel schwieriger, als gegen die Modernisten kämpfen. Der
Kampf gegen die Action Frangaise bietet ein vorzügliches Feld; die Inte-
gralen werden nicht als solche bekämpft, sondern als Anhänger von
Maurras, das heißt, es ist ein Kampf in aufgelöster Schlachtordnung, gegen
einzelne Personen, die dem Papst nicht gehorchen, die dessen Verteidigung
des Glaubens und der Moral gegen einen bekennenden Atheisten und
2022 Zwanzigstes Heft

Heiden behindern, während die Gesamtheit der Richtung offiziell ignoriert


wird. Hier liegt die hauptsächliche Bedeutung von Fontaines Buch, das die
organische Verbindung zwischen Maurras und dem »Integrismus« zeigt und
die Aktion des Papstes und der Jesuiten energisch unterstützt (zu beachten
ist, dass Fontaine gegenüber den französischen »Laizisten« wiederholt
darauf besteht, dass die Integralen und nicht die Jesuiten »antidemo-
kratisch« sind, dass die Jesuiten in Wirklichkeit die Demokratie unter-
stützen usw.; wer ist Fontaine? ist er ein Fachmann für religionspolitische
Studien? könnte er nicht von den Jesuiten selbst inspiriert worden sein?).
Dieser Artikel der »Civiltä Cattolica«, bestimmt von Pater Rosa geschrie-
ben, ist sehr vorsichtig im Umgang mit den von Fontaine wiedergegebenen
Dokumenten, er vermeidet es, diejenigen zu analysieren, die nicht nur die
Integralen diskreditieren, sondern einen Schatten von Komik und Miss-
kredit auf die ganze Kirche werfen (die Integralen hatten eine wahre
Geheimgesellschaft mit Geheimsprache organisiert, in welcher der Papst
»Baronessa Michelina« genannt wird und andere Persönlichkeiten mit
ebenso romanhaften Namen‘, was Benignis Geistesverfassung gegenüber
seinen »Hierarchen« zeigt).
Zur Frage des »Tatbestands« der Politik von Pius XI. sind Schluss-
folgerungen nicht einfach, wie der Verlauf dieser Politik selbst zeigt - ein
ungewisser, zaghafter, schwankender Verlauf aufgrund der ungeheuren
Schwierigkeiten, gegen die sie ständig anrennen muss. Des öfteren wurde
gesagt, dass die katholische Kirche unerschöpfliche Kräfte der Anpassung
und Entwicklung hat. Das ist nicht sehr genau. Im Leben der Kirche lassen
sich einige entscheidende Punkte festhalten: der erste ist durch das Schisma
zwischen Orient und Okzident gegeben, das territorialen Charakter hat,
ein Schisma zwischen zwei kontrastierenden geschichtlichen Zivilisationen,
mit spärlichen ideologischen und kulturellen Elementen, das mit dem
Aufstieg des Reiches von Karl dem Großen seinen Anfang nimmt, d.h. mit
einem neuerlichen Versuch politischer und kultureller Hegemonie des
Okzidents über den Orient; das Schisma ereignet sich in einer Zeit, in der
die kirchlichen Kräfte schwach organisiert sind, und es vertieft sich immer
mehr, automatisch, aufgrund der Macht der Dinge selbst, die unmöglich
zu kontrollieren sind, wie es bei zwei Personen geschieht, die jahr-
zehntelang keinen Kontakt haben und sich voneinander entfernen, bis sie
schließlich zwei verschiedene Sprachen sprechen“. Der zweite ist der der
Reformation, die sich unter ganz anderen Bedingungen vollzieht und die
zwar eine territoriale Trennung zum Ergebnis hat, doch speziell kultu-
rellen Charakter trägt und die Gegenreformation bestimmt sowie die
Entscheidungen des Tridentinischen Konzils, welche die Möglichkeiten
Heft 20-$4 2023

der Anpassung der Katholischen Kirche enorm beschneiden. Der dritte ist
der der Französischen Revolution (demokratisch-liberale Reformation),
welche die Kirche noch mehr in die Erstarrung und Verknöcherung eines
absolutistischen und formalistischen Organismus zwingt, dessen Führer
nominell der Papst ist, mit theoretisch »autokratischen«, in Wirklichkeit
sehr spärlichen Vollmachten, weil das ganze System sich nur hält aufgrund
seiner für einen Paralytiker typischen Starrheit. Die ganze Gesellschaft,
in der die Kirche sich bewegt und sich entwickeln kann, tendiert zur
Erstarrung und lässt der Kirche geringe Möglichkeiten der Anpassung,
gering schon aufgrund der gegenwärtigen Natur der Kirche selbst. Das
Aufbrechen neuer Formen von Nationalismus, die schließlich den Schluss-
punkt des mit Karl dem Großen begonnenen Prozesses bilden, das heißt
mit der Frührenaissance, macht nicht nur die Anpassung unmöglich,
sondern die Existenz schwierig, wie in Hitler-Deutschland zu sehen ist. Im
übrigen kann der Papst Hitler-Deutschland nicht »exkommunizieren«,
muss sich bisweilen sogar auf dieses stützen, und das macht jede gerad-
linige, positive Religionspolitik von gewissem Nachdruck unmöglich.
Gegenüber Erscheinungen wie dem Hitlerismus hätten selbst umfang-
reiche Zugeständnisse an den Modernismus keinerlei Bedeutung mehr,
sondern würden lediglich die Verwirrung und das Durcheinander erhöhen.
Es ist auch nicht gesagt, dass die Dinge in Frankreich heiterer sind, denn
gerade in Frankreich ist die Theorie aufgebracht worden, die »Religion des
Vaterlandes« der »römischen« entgegenzusetzen, und man darf eine
Zunahme an patriotischem Nationalismus und nicht an römischem Kosmo-
politismus vermuten.

Dem Artikel der »Civiltä Cattolica« vom 3. November 1928 sind die
folgenden Stichworte entnommen. Es wird erwähnt, dass Maurras auch in
Italien Verteidiger unter den Katholiken gefunden hat: es ist die Rede von
»Nachahmern oder Anhängern, offenen oder versteckten, die aber gleicher-
maßen vom Vollbesitz des katholischen Glaubens und der katholischen
Moral, entweder in der Theorie oder in der Praxis, abweichen und doch
schreien und sich sogar einbilden, sie umfassend und besser als jeder andere
verteidigen zu wollen«’. Die Action Frangaise »schleuderte dem Verfasser
dieser Zeilen (dem Pater Rosa) eine Unmenge von Schmähungen und
unglaublichen Verleumdungen (sic) entgegen, bis hin zu den wiederholt
unterstellten Ermordungen und erbarmungslosen Exekutionen von Mit-
brüdern!«' (zu prüfen ist, wann und wie diese Anschuldigungen gegen
Pater Rosa erhoben wurden; unter den Jesuiten gab es einen integra-
listischen und Maurras zugeneigten Flügel, mit Männern von Rang wie
dem Kardinal Billot, der zu den Hauptverfassern der Enzyklika Pascendi
2024 Zwanzigstes Heft

gehörte und der auf das Kardinalsamt verzichtete, etwas äußerst seltenes
in der Geschichte der Kirche, das die hartnäckige Verbohrtheit Billots und
den entschiedenen Willen des Papstes beweist, jedes Hindernis im Kampf
gegen Maurras auszuräumen).

Die »Revue internationale des societes secretes«, herausgegeben vom


Abbe Boulin, ist »integral« und erbittert antijesuitisch; Boulin ist an
Benigni-Mataloni gebunden und benutzt Pseudonyme (Roger Duguet)”.
Die Action Frangaise und die »Integralen« klammern sich verzweifelt an
Pius X. und behaupten, seinen Lehren treu zu bleiben (was in der Entwick-
lung der Kirche ein wirklicher Präzedenzfall wäre, weil jeder Papst, sobald
er tot ist, das Terrain für die Organisierung einer Sekte bieten könnte, die
sich auf eine besondere Einstellung seinerseits beruft; die »Integralen«
wollen den Syllabus von Pius IX. wieder zu Ehren bringen: in dem Vorschlag
der Action Frangaise, einen Geistlichen für den Lehrstuhl des Syllabus in
ihren Schulen zu haben, war eine geschickte Provokation enthalten", aber
Pius XI. will nicht dem Syllabus zu neuer Aktualität verhelfen, sondern
versucht sogar, die Enzyklika Pascendi abzuschwächen und zu schönen).

Der Artikel der »Civiltä Cattolica« ist wirklich wichtig und muss wieder
vorgenommen werden für den Fall, dass die Frage vertieft werden soll.
Man wird sich alle Nuancen der »distinguo« hinsichtlich des Frei-
maurertums, des Antisemitismus, des Nationalismus, der Demokratie
usw. ansehen müssen. Auch bei den Modernisten unterscheidet man
zwischen Illusionisten usw. und bezieht man Stellung gegen den Antimoder-
nısmus Benignis usw.: »Um so mehr, als zu befürchten war - und wir ver-
säumten nicht, die Zuständigen seit jenen Jahren darauf hinzuweisen —, dass
solche Methoden den wirklichen Modernisten gelegen gekommen wären
und der Kirche künftig großen Schaden bereitet hätten. Was man dann am
böswilligen Geist der Reaktion nicht nur des alten Modernismus und
Liberalismus, sondern ebenso des neuen und des Integralismus selbst sah
und auch gegenwärtig sieht. Dieser ließ damals erkennen, sich gegen jede
Form oder Erscheinung des Modernismus stellen zu wollen, ja er bildete
sich ein, wie man zu sagen pflegt, päpstlicher als der Papst zu sein, und
jetzt dagegen widersetzt er sich ihm mit großem Aufsehen entweder
heuchlerisch oder bekämpft ihn offen, wie es unter den lautstarken
Anhängern der Action Frangaise in Frankreich und ihren stillen Komplizen
in Italien passiert«'".

Die Integralen nennen die Jesuiten »Modernisierer« und »Moder-


nisierertum« ıhre Richtung: sie haben die Katholiken in Integrale und
Nicht-Integrale eingeteilt, das heißt in »Anhänger des Papsttums« und
Heft 20-$4 2025
»Anhänger des Episkopats« (anscheinend hat die Enzyklika Benedikts XV.
Ad beatissimi diese Tendenz, solche Unterscheidungen unter den Katho-
liken einzuführen, welche die Nächstenliebe und die Einheit der Gläubigen
schädigen würden, vermerkt und missbilligt)'”.
Die »Sapiniere« (von S.P., den Initialen des »Sodalitium Pianum«) war
die Geheimgesellschaft, die sich hinter dem Schleier des »Sodalitium
Pianum« verbarg und den Kampf gegen die Modernisierer-Jesuiten orga-
nisierte, »vollständig entgegen der ursprünglichen Idee und dem offiziellen
Programm, das dem Heiligen Papst Pius X. unterbreitet, daraufhin vom
Konsistorialsekretär gebilligt worden war, gewiss nicht, damit es dem
Ausbruch privater Leidenschaften, der Denunziation und Diffamierung
von äußerst ehrbaren und zudem bedeutenden Persönlichkeiten diene,
von Bischöfen oder ganzen religiösen Orden, insbesondere des unseren,
der sich noch nie solchen Verleumdungen ausgesetzt sah, nicht einmal in
den Zeiten seiner Unterdrückung. Zu guter Letzt wurde dann, nach dem
Ende des Krieges und verstärkt nach der Auflösung des »Sodalitium
Pianum« - verfügt von der Heiligen Konzilskongregation gewiss nicht im
Sinne eines Lobes, sondern des Verbots und der Missbilligung -, alles auf
Kosten eines bekannten und sehr reichen Finanziers Simon aus Paris und
seines weitläufigen Klüngels betrieben, die kostenlose Veröffentlichung
und die großzügige kostenlose Verbreitung der schändlichsten und in ihrer
Kritik dümmsten Schmähschriften gegen'” die Gesellschaft Jesu, ihre
Heiligen, ihre Doktoren und Generäle, ihre Werke und selbst ihre von der
Kirche feierlich gebilligte Verfassung. Es ist die bekannte Reihe der soge-
nannten »Recalde<, die bereits auf über ein Dutzend Schmähschriften,
einige von mehreren Bänden, angewachsen ist, in denen der Anteil der
römischen Komplizen nur allzu sehr anerkannt und nicht weniger belohnt
wird. Sie wird jetzt verstärkt durch die Schwesterpublikation verleum-
derischer Blättchen der phantastischsten Art, unter dem umfassenden und
widersinnigen Titel »Verit&s<, Nacheiferer der Zwillingsblätter der Agentur
Urbs bzw. Romana, deren Artikel dann zuweilen, fast wörtlich, in anderen
»periodischen« Blättern wiederkehren«'“.
Die Integralen streuten »die übelsten Verleumdungen« gegen Benedikt
XV. aus, wie aus dem Artikel hervorgeht, der zum Tod dieses Papstes in der
»Vjeille France« (von Urbain Gohier) erschienen ist und in der »Ronda«
(Februar 1922), »auch diese (Zeitschrift) alles andere als katholisch und
moralisch, aber dennoch geehrt durch die Mitarbeit Umberto Benignis,
dessen Name sich in der schönen Gesellschaft jener mehr oder weniger
liederlichen Jünglinge verzeichnet findet«. »Vom selben Geist der Verleum-
dung, der sich unter dem gegenwärtigen Pontifikat fortsetzt, sogar inmitten
2026 Zwanzigstes Heft

der Reihen der Katholiken, der Ordensgeistlichen und des Klerus, lässt
sich nicht sagen, wieviel Schaden er in den Gewissen angerichtet, wieviel
Ärgernis und wieviel seelische Entfremdung er hineingetragen hat, vor allem
in Frankreich. Dort führte die politische Leidenschaft tatsächlich dazu, den
oft von Rom ausgehenden Verleumdungen leichter Glauben zu schenken,
nachdem die reichen Simons und andere Gevatter gallikanischen und
journalistischen (sic) Geistes die Autoren dafür bezahlten und die kosten-
lose Verbreitung ihrer Schmähschriften, hauptsächlich der oben erwähnten
antijesuitischen, in den Seminaren, in den Pfarrhäusern, in den kirchlichen
Kurien besorgten, wo immer einige Aussicht oder Wahrscheinlichkeit
bestand, dass die Verleumdung Wurzeln fassen könnte; und auch unter
Laien, hauptsächlich jugendlichen, und selbst solchen an den staatlichen
Gymnasien, mit einer beispiellosen Verschwendung«. Die bereits verdäch-
tigen Autoren bedienen sich der Anonymität oder der Pseudonyme. »... Es
ist bekannt, unter den Journalisten besonders, wie wenig eine solche
Gruppe mit ihrem Hauptanstifter, dem gerissensten beim Sichverstecken,
aber dem schuldigsten und dem eigennützigsten in dieser Machenschaft,
irgendeinen Ehrentitel verdient«' (bezieht er sich auf Benigni oder auf
irgendein anderes hohes Tier des Vatikans?).

Nach Pater Rosa gab es zwischen der Action Frangaise und den »Integra-
len« zunächst keine »Übereinstimmungs, eine solche hat sich jedoch nach
1926 herausgebildet; aber dies ist gewiss eine mit Berechnung gemachte
Aussage, um jedes politische Motiv (Kampf gegen die Ultrareaktionäre)
aus dem Kampf gegen die Action Frangaise auszuschließen und die Verant-
wortung von Pius X. zu mindern. In der letzten Fußnote des Artikels heißt
es: »Man darf freilich die eine mit der anderen Partei nicht verwechseln,
wie es mancher getan hat, z.B. Nicolas Fontaine in dem zitierten Werk
Heiliger Stuhl, »Action Frangaise« und »integrale Katholiken«. Dieser Autor
ist, wie wir bemerkt haben, mehr als liberal, aber leider (sic) sehr gut infor-
miert über die keineswegs erbaulichen Fälle der besagten Geheimgesell-
schaft, genannt >Sapiniere«, und über ihre französischen und italienischen
Anhänger, und hierin ist es lächerlich, ihm seinen Liberalismus vorzuhalten:
man muss die Fakten dementieren, über die wir zu gegebener Zeit wieder
sprechen werden«'“. In Wirklichkeit zeigt Fontaine zur Genüge die Verbin-
dung zwischen Integralen und Action Frangaise, auch wenn man sagen
kann, dass es sich um zwei verschiedene Parteien handelt, von denen die
eine bestrebt ist, sich der anderen zu bedienen, und er zeigt, wie diese
Verbindung auf Pius X. zurückgeht. Eigenartig ist dieses »leider sehr gut
informiert«, weil Fontaine öffentlich zugängliches Material benutzt hat,
wie es »eigenartig« ist, dass Pater Rosa in der »Civiltä Cattolica« nicht
Heft 20-$4 2027
wieder auf die »Sapiniere« »zurückgekommen« ist (nicht einmal beim Tode
Monsignore Benignis, der keine Erwähnung gefunden hat; und man kann
sich nur schwer vorstellen, dass er noch darauf zurückkommen wird, es sei
denn, auf Benigni folgt eine andere starke Persönlichkeit in der Leitung
der Integralen): dieses Schweigen hat seine Bedeutung. Der Artikel
schließt: »Aber die Wahrheit hat nichts zu befürchten: und was uns angeht,
sind.wir durchaus entschieden, sie furchtlos und ohne Zittern und Zagen
zu verteidigen, auch gegen die inneren Feinde, selbst wenn es vermögende
und mächtige Kirchenleute sind, welche die Laien vom rechten Wege abge-
bracht haben, um sie in ihre Absichten und Interessen hineinzuziehen«'”.
Er erinnert an eine Reise Benignis nach Amerika (von der die »Civiltä
Cattolica», 1927, IV, S. 399 spricht), um antijesuitische Schmähschriften zu
verbreiten: in Rom soll es ein Lager mit mehreren zehntausend Exemplaren
solcher Schmähschriften geben.

Die Action Frangaise hatte in Rom einen ihrer Redakteure, Havard de la


Montagne, der eine französischsprachige Wochenzeitung »Rome« heraus-
gab, die speziell für die in Rom wohnenden oder sich vorübergehend
dort aufhaltenden geistlichen bzw. weltlichen französischen Katholiken
bestimmt war: es war das Sprachrohr der Integralen und der Anhänger
von Maurras, das Zentrum ihrer Sammlung und des Nachrichtendienstes
der Action Frangaise beim Vatikan, nicht nur für die religiösen Fragen,
sondern speziell für die französischen und internationalen politischen
Fragen vertraulichen Charakters. Man darf nicht vergessen, dass der Vatikan
einen bisweilen und für gewisse Themen präziseren, breiteren und ergie-
bigeren Nachrichtendienst hat als jede andere Regierung. Sich dieser Quelle
bedienen zu können, war für die Action Frangaise nicht der geringste
Grund für gewisse journalistische Erfolge und eine Vielzahl persönlicher
Kampagnen und Skandalgeschichten. Es scheint, dass nach dem Bruch von
1926 die »Rome« heruntergekommen und schließlich eingegangen ist”.

Der Fall des Abbe Turmel aus Rennes. In dem Sammelband über Die
Enzyklika Pascendi und der Modernismus widmet Pater Rosa (das Buch ist
von 1908-1909) einige »sehr unterhaltsame« Seiten (nicht wegen der Anmut
und der stilistischen Qualitäten des Autors, der ein platter Federfuchser
ist, noch viel platter, stilloser und ungeschliffener als sein Gegenspieler
Buonaiuti, der ebenfalls keinen Spass versteht) dem »außerordentlichen«
Fall des Abbe Turmel, Modernist, der modernistische und sogar ganz und
2028 Zwanzigstes Heft

gar atheistische Bücher unter verschiedenen Pseudonymen schrieb und sie


dann unter seinem richtigen Namen widerlegte”'. Von 1908 bis 1929 hat
Turmel sein Pseudonymenspiel getrieben, bis die kirchliche Autorität
durch Zufall die schlagenden Beweise für dieses Doppelspiel hatte; diese
Beweise wurden jedoch nicht gleich in Anschlag gebracht, um den Abbe
zu erledigen: zunächst erhielt Prof. L.Saltet vom Katholischen Institut
Toulouse den Auftrag, Turmels Vaterschaft in Bezug auf eine ganze Reihe
von Schriften, die unter gut 14 Pseudonymen veröffentlicht worden waren,
durch eine umfängliche theologisch-kritisch-philologische Beweis-
führung zu erhärten (im »Bulletin de Litterature Ecclesiastique« von
Toulouse), und dann wurde Turmel aus der Kirche ausgeschlossen”. (Zu
diesem Thema siehe eine andere Notiz weiter unten)”. (Die Frage der An-
onymität und der Pseudonyme, auf die die Modernisten zurückgriffen,
um den unmittelbaren repressiven Maßregelungen zu entgehen, wird von
Buonaiuti in seinem Buch von 1927 über den Katholischen Modernismus
nicht ohne Spitzfindigkeiten und eine gewisse verlegene Zurückhaltung
behandelt”. Es steht fest, dass diese »Politikaster«-Taktik vor allem
Buonaiuti schadete, der von den »Idealisten« der »Voce« als eine beinahe
niederträchtige Person hingestellt wurde”” ”*. Die Gestalt Buonaiutis
behält trotz allem eine gewisse Aura von moralischer Größe und Charakter-
strenge, wenn man bedenkt, dass er der einzige ist, der seit mehr als
30 Jahren bei seiner Haltung gegen die Kurie und dieJesuiten geblieben ist,
von Anhängern und Freunden verlassen, die entweder in den Stall zurück-
gekehrt oder endgültig ins weltliche Lager übergegangen sind. Und seine
Tätigkeit ist für die katholische Kirche nicht folgenlos, wenn man die Ver-
breitung seiner Bücher berücksichtigt sowie die Tatsache, dass die Kirche
ihm wiederholt Kompromisse angeboten hat).

Vgl. den Artikel »Die lange Krise der Action Frangaise« in der »Civiltä
Cattolica« vom 7. September 1929°°, Gelobt wird das Buch La trop longue
crise de l’Action Frangaise von Mons. Sagot du Vauroux, Bischof von Agen,
Paris, Ed. Bloud, 1929, ein Werk, das »auch den Ausländern sehr zum
Nutzen gereichen wird, die weder die Ursachen und weniger noch das mit
soviel Starrköpfigkeit verbundene Beharren der katholischen Anhänger
verstehen können, das sie blind macht, bis sie lieber ohne Sakramente leben
und sterben als auf die hasserfüllten Übertreibungen ihrer Partei und ihrer
ungläubigen Führer zu verzichten«”. Die »Civiltä Cattolica« versucht sich
dafür zu rechtfertigen, dass sie sich nicht öfter mit der Polemik der Action
Frangaise beschäftigt, und sagt unter anderem: »Außerdem berührt die
anhaltende Krise Italien allenfalls indirekt oder durch ein entferntes (!?)
Heft 20-$4 2029

Zusammentreffen und eine Analogie, die es mit den allgemeinen .heid-


nischen Tendenzen des modernen Zeitalters haben könnte (!)«”°. (Dieser
polemische Malthusianismus macht eben die Hauptschwäche der jesu-
itischen Position gegenüber der Action Frangaise aus und ist der wichtigste
Grund für die fanatische Wut von Maurras und seiner Jünger: diese
sind nicht zu Unrecht davon überzeugt, dass der Vatikan an ihnen ein
Experiment »in corpore vili«“ durchführt, dass sie die Funktion des Jungen
haben, der einst den englischen Kronprinzen begleitete und die Prügel für
den königlichen Herrn bekam; von hier bis zu der Überzeugung von
Maurras’ Jüngern, dass der erlittene Angriff rein politisch ist und lediglich
den Worten nach katholisch oder universal, ist es nur ein Schritt. In Wirk-
lichkeit hat sich der Papst, und auch die »Civiltä Cattolica«, wohl gehütet,
in den anderen Ländern die individuellen oder Gruppenelemente, die
dieselben Bestrebungen wie Maurras haben und kein Hehl daraus machen,
festzustellen und mit denselben Sanktionen zu »bestrafen«).
Weitere Hinweise auf »integrale Katholiken«: der Antirevolutionäre Block
von Felix Lacointe, ein »würdiger Freund des genannten Boulin und seiner
Genossen«” (Boulin gibt die »Revue internationale des Societes secretes«
heraus)”. Lacointe soll verbreitet haben, dass Kardinal Rampolla Mitglied
der Freimaurer sei oder so ähnlich (Rampolla wird die von Leo XIII. ver-
folgte Annäherungspolitik” vorgeworfen; hinsichtlich Rampolla daran
erinnern, dass das Veto beim Konklave gegen seine Wahl zum Papst von
Österreich eingelegt wurde, aber auf Antrag von Zanardelli: zu Rampolla
und seiner Haltung gegenüber dem italienischen Staat bietet Salata neue
Elemente im 1. und bislang einzigen Band seiner Diplomatischen Doku-
mente zur römischen Frage)".
Ein sehr bedeutsames ideologisches Element der Arbeit, welche die
Jesuiten in Frankreich entfalten, um der demokratisch-katholischen Bewe-
gung eine breite populare Basis zu verschaffen, ist das folgende politisch-
historische Urteil: Wer ist verantwortlich für den »Glaubensabfall« des
französischen Volkes? Allein die revolutionär-demokratischen Intellek-
tuellen, die sich auf Rousseau beriefen? Nein. Die größte Verantwortung
tragen die Aristokraten und die Großbourgeoisie, die mit Voltaire kokettiert
haben: »... die traditionellen Forderungen (der Monarchisten) nach Rück-
kehr zum Alten sind wirklich ehrenwert, wenn auch unter den gegenwär-
tigen Umständen undurchführbar. Und sie sind undurchführbar vor
allem wegen eines Großteils der Aristokratie und Bourgeoisie Frankreichs,
weil von der Verdorbenheit und dem Abfall dieser führenden Klasse seit

* Lat.: »an wertlosem Körper«.


2030 Zwanzigstes Heft

dem 18. Jahrhundert die Verdorbenheit und der Abfall der Volksmassen in
Frankreich herrührte, womit sich auch damals bestätigte, dass nach des
Königs Vorbild sich der ganze Erdkreis bildet*. Voltaire war das Idol dieses
Teils der verdorbenen und ihr Volk verderbenden Aristokratie, die sich,
indem sie dessen Glauben und Anständigkeit auf empörende Weise in
Versuchung führte, selbst das Grab schaufelte. Und obwohl dann beim
Auftreten Rousseaus mit seiner subversiven Demokratie im Gegensatz
zur voltairianischen Aristokratie die beiden abtrünnigen Strömungen,
die von gegensätzlichen Irrtümern angetrieben schienen, in theoretischen
Gegensatz gerieten —- wie zwischen den beiden traurigen Koryphäen -,
mündeten sie in ein und dieselbe Praxis und verhängnisvolle Konsequenz:
sie ließen nämlich den revolutionären Sturzbach anschwellen usw. usf.«”
So heute: Maurras und Co. sind Gegner der Rousseauschen Demokratie
und der »demokratischen Übertreibungen« (»Übertreibungen«, wohl-
gemerkt, nur »Übertreibungen«) der Sillon, sind aber Schüler und Bewun-
derer Voltaires (Jacques Bainville hat eine Prachtausgabe der Schriften
Voltaires veranstaltet, und die Jesuiten vergessen das nicht). Zu diesem
kritisch-historischen Zusammenhang hinsichtlich der Ursprünge des
»Glaubensabfalls« des Volkes in Frankreich zitiert die »Civiltä Cattolica«
einen Artikel aus der »Croix« vom 15.-16. August 1929: Der betrübliche
Glaubensabfall der Volksmasse in Frankreich, der sıch auf das Buch: Pour
faire P’avenir des Paters Croizier von der »Action populaire« bezieht,
veröffentlicht 1929 beim Pariser Verlag Spes.
Unter den Jüngern von Maurras und Co. macht die »Civiltä Cattolica«
(auf den Spuren des Bischofs von Agen) neben den Konservativen und
Monarchisten weitere vier Gruppen aus: 1. die Snobs (angezogen von der
literarischen Begabung, besonders Maurras’); 2. die Anbeter der Gewalt und
der harten Art, »mit den zum Despotismus gesteigerten Übertreibungen
der Autorität, unter dem Vorwand des Widerstandes gegen den
Geist der Insubordination oder des gesellschaftlichen Umsturzes der
heutigen Zeit«; 3. die »falschen Mystiker«, »Leichtgläubige in Bezug auf
Weissagungen außergewöhnlicher Wiederherstellungen, wunderbarer
Bekehrungen oder von der Vorsehung gewollter Missionen«, die gerade
Maurras und Co. zugeschrieben werden. Diese seit der Zeit Pius’ X. »Un-
erschütterlichen« entschuldigen die Ungläubigkeit von Maurras, indem sie
diese dem »Mangel an Gnade« zuschreiben, »als ob nicht allen die zur
Bekehrung ausreichende Gnade gegeben wäre und demjenigen, der sich
dagegen wehrt, es nicht selbst zuzuschreiben ist, wenn er in Sünde fällt

* Im Original lat.: »regis ad exemplum totus componitur orbis«.


Heft 20-$4 2031

und darin verharrt« (diese seien deswegen Halb-Häretiker, weil sie, um


Maurras zu rechtfertigen, die jansenistischen beziehungsweise kalvinis-
tischen Positionen wiederholen. In diesem Zusammenhang muss Maurras’
Hartnäckigkeit, nicht »konvertieren« zu wollen, erklärt werden - was nicht
allein der »ethischen und intellektuellen Integrität und Loyalität« geschul-
_ det sein kann und eben deshalb die Jesuiten erzittern lässt: sie verstehen,
dass im Falle einer Übernahme der Staatsmacht durch die Maurras-
Gruppe die tatsächliche Situation des Katholizismus in Frankreich sich
schwieriger gestalten würde als gegenwärtig. Deshalb erstaunt die Haltung
des Vatikans gegenüber dem Hitlerismus””‘, obwohl Rosenberg seinen
Mythus vor der Machtergreifung geschrieben hatte”: es ist zwar richtig,
dass Rosenberg intellektuell nicht das Format von Maurras hat, aber die
ganze Hitlerbewegung ist intellektuell tiefstehend und vulgär, und was
dann dem Katholizismus und dem Christentum widerfahren ist, war
vorhersehbar).

Die vierte Gruppe (die gefährlichste für die »Civiltä Cattolica«) setze
sich aus den »Integralen« zusammen (die »Civiltä Cattolica« bemerkt, dass
der Bischof von Agen sie auch »Integristen« nennt, »aber es ist offenkundig,
dass sie nicht verwechselt werden dürfen mit der politischen Partei ın
Spanien, welche die der »Integristen< genannt wird«). Diese »Integralen«,
schreibt die »Civiltä«, »versäumten es auch in Italien nicht, die Positivisten
und Ungläubigen der Action Frangaise zu begünstigen, schon weil sie
scharf gegen den Liberalismus und andere Formen moderner Irrtümer
sind, ohne zu bemerken, dass sie zu entgegengesetzten Extremen über-
gingen, die gleichermaßen irrig und verderblich sind usw.« »So haben wir
auch in Italien gesehen, wie manches ihrer Blätter nur so im Vorbeigehen
die Verurteilung der Action Frangaise erwähnt, dafür deren Dokumente
veröffentlicht und deren Sinn und Begründung verdeutlicht, sich hingegen
zögerlich verhält mit der Wiedergabe und dem Kommentar zur Verur-
teilung der Sillon; als ob die beiden einander entgegengesetzten, aber in
gleicher Weise der katholischen Lehre entgegengesetzten Bewegungen
nicht gleichermaßen tadelnswert sein können und es auch sind. Eine
bemerkenswerte Angelegenheit, denn während fast in keiner Nummer
solcher Veröffentlichungen irgendein Vorwurf oder Ausfall gegen katho-
lische Autoren fehlt, reicht anscheinend weder der Platz noch die Kraft für
eine offene und energisch verurteilende Abhandlung gegen die von der
Action Frangaise aus; oft werden sogar die Verleumdungen wiederholt, wie
die einer angeblichen Wendung nach links oder zum Liberalismus,
Popularismus, zur falschen Demokratie, gegen jeden, der ihrer Vorgehens-
weise nicht folgte«””.,
2032 Zwanzigstes Heft

(Zur Strömung der »integralen Katholiken« muss auch Henri Massis


und die Gruppe der »Verteidiger des Abendlandes«’ gerechnet werden;
Pater Rosas Sticheleien gegen Massis in der Antwort auf den offenen Brief
von Ugo Ojetti erwähnen)”.
EINUNDZWANZIGSTES HEFT (XVII)

re

PROBLEME DER ITALIENISCHEN NATIONALKULTUR

1. POPULARLITERATUR
2035

$(1). Problemzusammenhang. Auseinandersetzungen aus der Zeit


der Herausbildung der italienischen Nation und des Kampfes um die
politische und territoriale Einheit, die zumindest einen Teil der italienischen
Intellektuellen fortwährend bedrängt haben und weiterhin bedrängen.
_ Einige solcher Probleme (wie das der Sprache) sehr alt. Sie gehen auf die
ersten Zeiten der Herausbildung einer kulturellen Einheit Italiens zurück.
Entstanden durch den Vergleich zwischen den allgemeinen Bedingungen
Italiens und denen anderer Länder, speziell Frankreichs, oder durch die
Widerspiegelung besonderer Bedingungen Italiens, wie der Tatsache, dass
die Halbinsel der Sitz des Römischen Reiches war und zum Sitz des
größten Zentrums der christlichen Religion wurde. Das Ensemble dieser
Probleme widerspiegelt den mühsamen Bildungsprozess einer italienischen
Nation modernen Typs, dem Bedingungen des inneren und internationalen
Gleichgewichts der Kräfte entgegenstanden.

Unter den intellektuellen und führenden Klassen hat es nie ein


Bewusstsein davon gegeben, dass ein Zusammenhang zwischen diesen
Problemen, ein Zusammenhang der Beiordnung und der Unterordnung
besteht. Keiner hat diese Probleme jemals als ein zusammenhängendes
und kohärentes Ganzes dargestellt, aber jedes derselben ist periodisch
wiederaufgetreten, je nach gerade anstehenden polemischen, nicht immer
klar ausgedrückten Interessen, ohne Willen zur Vertiefung; man hat sie
deshalb in abstrakt kultureller, intellektualistischer Form behandelt, ohne
genaue historische Perspektive, und folglich ohne dass eine konkrete und
kohärente gesellschaftlich-politische Lösung ins Auge gefasst worden
wäre. Wenn gesagt wird, dass es niemals ein Bewusstsein der organischen
Einheit solcher Probleme gegeben hat, muss man richtig verstehen: viel-
leicht stimmt es, dass niemals der Mut vorhanden gewesen ist, die Frage
erschöpfend zu stellen, weil man befürchtete, dass sich aus einer solchen
streng kritischen und mit Konsequenzen verbundenen Problemstellung
unmittelbar tödliche Gefahren für das einheitliche nationale Leben ergeben
hätten; diese Furchtsamkeit vieler italienischer Intellektueller muss ihrer-
seits erklärt werden und ist charakteristisch für das Leben unserer Nation.
Andererseits scheint es unbestreitbar, dass keines dieser Probleme ısoliert
gelöst werden kann (insofern sie noch aktuell und lebendig sind). Deshalb
kann eine kritische und leidenschaftslose Behandlung aller dieser Fragen,
welche die Intellektuellen noch bedrängen und heute sogar als auf dem
Wege ihrer organischen Lösung befindlich dargestellt werden (Einheit
der Sprache, Verhältnis von Kunst und Leben, Frage des Romans und
des Popularromans, Frage einer intellektuellen und moralischen Reform,
das heißt einer Volksrevolution, welche dieselbe Funktion wie die
2036 Einundzwanzigstes Heft

protestantische Reformation in den germanischen Ländern und die Fran-


zösische Revolution hätte, Frage der »Popularität«’ des Risorgimento, die
mit dem Krieg von 1915-18 und den anschließenden Umwälzungen erreicht
worden sein soll, daher der inflationäre Gebrauch der Termini Revolution
und revolutionär), die nützlichste Fährte liefern, um die Grundzüge des
kulturellen Lebens der Italiener und der Erfordernisse zu rekonstruieren,
auf die sie hinweisen und deren Lösung sie sichtbar machen.
Hier nun der »Katalog« der wichtigsten zu untersuchenden und zu ana-
lysierenden Fragen: 1. »Warum ist die italienische Literatur in Italien nicht
populär?« (um den Ausdruck Ruggero Bonghis zu gebrauchen);2. gibt es
ein italienisches Theater? von Ferdinando Martini aufgebrachte Auseinan-
dersetzung?, die mit der anderen über die größere oder geringere Lebens-
kraft des Dialekttheaters und des hochsprachlichen in Zusammenhang
gebracht wird; 3. Frage der Nationalsprache, so wie sie von Alessandro
Manzoni gestellt worden ist’; 4. ob es eine italienische Romantik gegeben
hat; 5. ist es notwendig, in Italien eine religiöse Reform wie die protestan-
tische hervorzurufen? war also das Fehlen breiter und tiefer religiöser
Kämpfe, bedingt dadurch, dass sich in Italien der Sitz des Papsttums befand,
als die politischen Neuerungen gärten, die die Grundlage der modernen
Staaten bilden, Ursache von Fortschritt oder von Rückschritt?; 6. sind der
Humanismus und die Renaissance fortschrittlich oder rückschrittlich
gewesen? 7. Nicht-Popularität des Risorgimento bzw. Gleichgültigkeit
des Volkes in der Zeit der Kämpfe um die Unabhängigkeit und die
nationale Einheit; 8. die unpolitische Haltung des italienischen Volkes,
das mit den Phrasen des primitiven und elementaren »Rebellentumss,
des »Umstürzlertums«, der »Staatsabgewandtheit«" ausgedrückt wird;
9. Nichtvorhandensein einer Popularliteratur im engen Sinne (Feuilleton-,
Abenteuer-, Science-Fiction-, Kriminalromane usw.) und andauernde
»Popularität« dieses Romantyps in der Übersetzung aus Fremdsprachen,
insbesondere aus dem Französischen; Nichtvorhandensein einer Kinder-
literatur. In Italien ist der Popularroman nationaler Produktion der antikle-
rikale oder die Brigantenbiographie. Es gibt jedoch ein italienisches Primat
im Melodrama, das in gewissem Sinne der vertonte Popularroman ist.

Eine der Ursachen dafür, dass solche Probleme nicht explizit und kritisch
behandelt worden sind, ist in dem rhetorischen Vorurteil (literarischen
Ursprungs) zu finden, die italienische Nation habe es seit dem alten Rom
bis heute immer gegeben, sowie in einigen Idolen und Anmaßungen von
Intellektuellen, die in der Zeit des nationalen Kampfes zwar politisch
»nützlich« waren, um zu begeistern und die Kräfte zu konzentrieren, jedoch
kritisch untauglich sind und in letzter Instanz zu einem Element der
Heft 21-$1 2037
Schwäche werden, weil sie die Bemühung der Generationen nicht richtig
einzuschätzen erlauben, die wirklich für die Konstituierung des modernen
Italien kämpften, und weil sie zu einer Art Fatalismus und passiver Erwar-
tung einer Zukunft verleiten, die vollkommen von der Vergangenheit vor-
bestimmt ist. Bisweilen werden diese Probleme aufgrund des Einflusses
_ ästhetischer Begriffe croceanischer Herkunft schlecht gestellt, besonders
diejenigen, welche den sogenannten »Moralismus« in der Kunst betreffen,
den der Kunst äußerlichen »Inhalt«, die nicht mit der Kunstgeschichte zu
verwechselnde Kulturgeschichte usw. Man begreift einfach nicht konkret,
dass die Kunst immer an eine bestimmte Kultur oder Zivilisation gebunden
ist und dass man im Kampf um die Reform der Kultur dahin gelangt, den
»Inhalt« der Kunst zu verändern, daran arbeitet, eine neue Kunst zu
schaffen, nicht von außen (indem eine belehrende, thesenhafte, moralistische
Kunst verlangt wird), sondern von innen, weil sich der ganze Mensch
ändert, insofern sich seine Gefühle, seine Auffassungen und die Verhält-
nisse ändern, deren notwendiger Ausdruck der Mensch ist.
Zusammenhang zwischen dem »Futurismus« und der Tatsache, dass
einige solcher Fragen schlecht gestellt und nicht gelöst worden sind,
besonders dem Futurismus in der intelligentesten Form, die ihm die Floren-
tiner Gruppen der »Lacerba« und der »Voce« mit ihrer »Romantik« oder
populärem Sturm und Drang* gegeben haben. Letzte Erscheinungsform
»Strapaese«. Aber sowohl Marinettis Futurismus als auch derjenige
Papinis sowie »Strapaese« sind, abgesehen von allem anderen, auf folgendes
Hindernis gestoßen: den Mangel an Charakterfestigkeit derjenigen, die sie
in Szene setzten, und die karnevaleske und kasperhafte Tendenz der trocke-
nen und skeptischen kleinbürgerlichen Intellektuellen.
Auch die Regionalliteratur ist wesentlich folkloristisch und pittoresk
gewesen; das »regionale« Volk wurde »paternalistisch« gesehen, von außen,
mit nüchternem, kosmopolitischem Geist, in der Art von Touristen auf
der Suche nach kraft ihrer Grobschlächtigkeit starken und originellen
Eindrücken. Bei den italienischen Schriftstellern hat das ureigene, mit
wortreicher nationaler Rhetorik geschminkte »Unpolitische« tatsächlich
Schaden angerichtet. Sympathischer waren unter diesem Gesichtspunkt
Enrico Corradini und Pascoli mit ihrem eingestandenen und militanten
Nationalismus, insofern sie den traditionellen literarischen Dualismus
zwischen Volk und Nation zu lösen suchten, obwohl sie in andere Formen
von Rhetorik und Schönrednerei verfallen sind**.

* Deutsch im Original.
** Im Ms. sind die folgenden Zeilen dieser Seite sowie die Seiten 7 bis 10 freigeblieben.
2038 Einundzwanzigstes Heft

$(2). Im »Marzocco« vom 13. September 1931 hat Aldo Sorani (der sich
in verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen mehrfach mit der Popular-
literatur befasst hat) einen Artikel veröffentlicht: Populäre Romanschrift-
steller der Gegenwart, in dem er die Skizzenreihe Charensols über die
Berühmten Unbekannten in den »Nouvelles Litteraires« (worüber An-
merkung weiter unten ist)' kommentiert. »Es handelt sich um äußerst
populäre Schreiber von Abenteuer- und Feuilletonromanen, dem litera-
rischen Publikum unbekannt oder nahezu unbekannt, von dem breiteren
Leserpublikum aber vergöttert und blindlings gefolgt, das die gigantischen
Auflagen bestimmt und von Literatur überhaupt nichts versteht, aber
durch sensationelle Verwicklungen von Kriminal- oder Liebesgeschichten
interessiert und begeistert werden will. Für das Volk sind sie die wahren
Schriftsteller, und das Volk hegt für sie eine Bewunderung und Dankbar-
keit, die diese Romanciers wachhalten, indem sie Verlegern und Lesern
fortwährend eine so beeindruckende Masse an Arbeit auftischen, dass es
unglaublich und für physische Kräfte, ganz zu schweigen von geistigen,
nicht zu bewältigen zu sein scheint«. Sorani bemerkt, dass diese Schrift-
steller »sich einer zermürbenden Aufgabe verschrieben haben und einen
realen öffentlichen Dienst erfüllen, wenn unzählige Scharen von Lesern
und Leserinnen nicht ohne dies auskommen können und die Verleger aus
ihrer unerschöpflichen Tätigkeit üppige Gewinne ziehen«. Sorani verwen-
det den Ausdruck »realer öffentlicher Dienst«, gibt aber eine Definition
davon, die engstirnig ist und nicht der entspricht, von welcher in diesen
Notizen die Rede ist. Soranı merkt an, dass diese Schriftsteller, wie aus
Charensols Artikeln hervorgeht, »ihre Gewohnheiten strenger und ihr
Leben allgemein gesitteter gestaltet haben, seit den nunmehr weit zurück-
liegenden Zeiten, in denen Ponson du Terrail oder Xavier de Montepin
eine mondäne Berühmtheit beanspruchten und alles daran setzten, sie
sich zusammenzuhamstern (...), wobei sie vorgaben, sich von ihren aka-
demischeren Zunftbrüdern schließlich nur durch einen anderen Stil zu
unterscheiden. Sie schrieben, wie man spricht, während die anderen
schrieben, wie man nicht spricht...!« (Dennoch gehören auch die
»Berühmten Unbekannten« in Frankreich den Literatenvereinen an, wie
Monte£pin. Auch an Balzacs Groll gegenüber Sue erinnern wegen dessen
mondäner und finanzieller Erfolge).

Sorani schreibt weiter: »Eine nicht zu vernachlässigende Seite der


Beständigkeit dieser Popularliteratur (...) stellt die Leidenschaft des
Publikums dar. Besonders das große französische Publikum, das
Publikum, das manch einer für das erfahrenste, kritischste und
Heft 21-$2-$3 2039
blasierteste* der Welt hält, ist dem Abenteuer- und Feuilletonroman treu
geblieben. Der auflagenstarke Informationsjournalismus in Frankreich ist
es, der noch nicht auf den Feuilletonroman verzichten konnte oder wollte.
Proletariat und Bürgertum sind in großen Massen noch so naiv (!), dass sie
die nicht enden wollenden aufregenden und sentimentalen, grausigen oder
_ larmoyanten** Erzählungen als tägliche Nahrung ihrer Neugier und ihrer
Sentimentalität brauchen, sie haben noch das Bedürfnis, für die Helden der
Kriminalität oder die der Justiz oder der Vendetta Partei zu ergreifen«.
»Im Unterschied zum französischen hat sich das englische oder amerika-
nische Publikum auf den historischen Abenteuerroman (und die Franzosen
nicht?!) oder auf den Kriminalroman usw. geworfen (Gemeinplätze über die
Nationalcharaktere)«.
»Was Italien angeht, so glaube ich, könnte man sich fragen, warum die
Popularliteratur in Italien nicht populär ist. (Das ist nicht genau; in Italien
gibt es keine Schriftsteller, aber Leser gibt es in rauhen Mengen). Nach
Mastrianı und der Invernizio fehlen uns heute, so scheint mir, die Roman-
schriftsteller, die fähig sind, die Menge zu erobern, indem sie ein Publikum
von naiven, treuen und unersättlichen Lesern erschauern lassen und zum
Weinen bringen. Warum hat diese Art von Schriftstellern nicht weiter (?)
bei uns Wurzeln geschlagen? Ist unsere Literatur selbst in ihren Niede-
rungen zu akademisch und gebildet gewesen? Haben es unsere Verleger
nicht verstanden, eine Pflanze zu hegen, die zu verächtlich erschien? Haben
unsere Schriftsteller keine Phantasie, um die Feuilletons und Fortsetzungen
zu beleben? Oder haben wir uns auch auf diesem Gebiet damit begnügt
und begnügen uns noch, zu importieren, was die anderen Märkte produ-
zieren? Sicher haben wir keinen Überfluss wie Frankreich an »Berühmten
Unbekannten«, und irgendeinen Grund für diesen Mangel muss es geben,
und vielleicht wäre es die Mühe wert, ihn zu suchen«“.

$(3). Die »Demütigen«. Dieser Ausdruck - »die Demütigen« - ist


bezeichnend für das Verständnis der traditionellen Haltung der italienischen
Intellektuellen gegenüber dem Volk und damit der Bedeutung der
»Literatur für die Demütigen«. Es geht nicht um das Verhältnis, das der
Dostojewskische Ausdruck der »Gedemütigten und Beleidigten« enthält.
Bei Dostojewski ist das popular-nationale Gefühl mächtig, das heifst das
Bewusstsein einer Mission der Intellektuellen gegenüber dem Volk, das
allenfalls »objektiv« aus »Demütigen« besteht, aber von dieser »Demut«

* Im Original frz.: »blase«.


** Im Original frz.: »larmoyants«.
2040 Einundzwanzigstes Heft

befreit, verwandelt, zu neuem Leben erweckt werden muss. Beim italie-


nischen Intellektuellen zeigt der Ausdruck »Demütige« ein Verhältnis
väterlicher und allmächtiger Protektion an, das »süffisante« Gefühl einer
eigenen unangefochtenen Überlegenheit, ein Verhältnis wie zwischen zwei
Rassen, von der die eine für überlegen, die andere für unterlegen gehalten
wird, ein Verhältnis wie zwischen Erwachsenem und Kind in der alten
Pädagogik oder, schlimmer noch, ein Verhältnis ä la »Tierschutzverein«
oder angelsächsische Heilsarmee gegenüber den Kannibalen von Papua.

$(4). Das Publikum und die italienische Literatur. In einem ım


»Lavoro« erschienenen und von der »Fiera Letteraria« vom 28. Oktober
1928 in Auszügen wiedergegebenen Artikel schreibt Leo Ferrero: »Aus
dem einen oder dem anderen Grund lässt sich sagen, dass die italienischen
Schriftsteller kein Publikum mehr haben. (...) Ein Publikum bedeutet ja ein
Ensemble von Personen, die nicht nur Bücher kaufen, sondern vor allem
Bewunderung für Menschen hegen. Eine Literatur kann nur in einem
Klima der Bewunderung gedeihen, und die Bewunderung ist nicht, wie
man glauben könnte, der Lohn, sondern der Ansporn für die Arbeit. (...)
Das Publikum, das bewundert, das wirklich von Herzen, mit Freude
bewundert, das Publikum, das das Glück der Bewunderung kennt (nichts
ist verderblicher als die konventionelle Bewunderung), ist der größte
Förderer einer Literatur. Aus vielen Anzeichen erkennt man leider, dass
das Publikum dabei ist, die italienischen Schriftsteller zu verlassen«'.
Ferreros »Bewunderung« ist nichts anderes als eine Metapher und ein
»Kollektivwort«, um das komplexe Beziehungssystem, die Form des
Kontakts zwischen einer Nation und ihren Schriftstellern zu bezeichnen.
Heute fehlt dieser Kontakt, das heißt, die Literatur ist nicht national, weil
sie nicht popular ist. Paradox der gegenwärtigen Zeit. Außerdem gibt es
keine Rangordnung in der literarischen Welt, das heißt, es fehlt eine
herausragende Persönlichkeit, die eine kulturelle Hegemonie ausüben
würde. Frage, warum und wie eine Literatur popular ist. Die »Schönheit«
reicht nicht aus: es bedarf eines bestimmten intellektuellen und moralischen
Gehalts, welcher der ausgearbeitete und vervollkommnete Ausdruck der
tiefsten Bestrebungen eines bestimmten Publikums ist, das heißt, von
Volk-Nation in einer bestimmten Phase seiner geschichtlichen Entwicklung.
Die Literatur muss gleichzeitig gegenwärtiges Element der Zivilisation
und Kunstwerk sein, sonst wird der Kunstliteratur die Trivialliteratur
vorgezogen, die auf ihre Weise ein gegenwärtiges'* Element von Kultur ist,
einer zwar heruntergekommenen, aber lebhaft erfahrenen Kultur.
Heft 21-$3-$5 2041
$(5). Begriff »popular-national«. In einer Notiz in der »Critica
Fascista« vom 1. August 1930 wird beklagt, dass zwei große Tageszeitungen,
eine aus Rom und die andere aus Neapel, mit der Veröffentlichung folgen-
der Feuilletonromane begonnen haben: Der Graf von Monte Cristo und
Joseph Balsamo von A. Dumas sowie der Leidensweg einer Mutter von
_ Paul Fontenay. Die »Critica« schreibt: »Das französische neunzehnte
Jahrhundert ist zweifellos ein goldenes Zeitalter für den Feuilletonroman
gewesen, aber eine ziemlich geringschätzige Auffassung von ihren eigenen
Lesern müssen die Zeitungen haben, die Romane von vor einem Jahr-
hundert wiederabdrucken, als ob sich der Geschmack, das Interesse und
die literarische Erfahrung von damals bis heute überhaupt nicht gewandelt
hätten. Nicht nur das, doch (...) warum nicht zur Kenntnis nehmen, dass
es trotz gegenteiliger Meinungen einen modernen italienischen Roman gibt?
Wenn man bedenkt, dass diese Leute bereit sind, Tintentränen über das
unglückliche Geschick der Literatur des Vaterlands zu vergießen«'. Die
»Critica« verwechselt verschiedene Ordnungen von Problemen: die des
Nichtverbreitetseins der sogenannten künstlerischen Literatur im Volk
und die der Nichtexistenz einer »Popular«-Literatur in Italien, weshalb die
Zeitungen »gezwungen« sind, sich im Ausland zu versorgen (gewiss ver-
bietet theoretisch nichts, dass es auch heute eine künstlerische Popular-
literatur geben kann - das offensichtlichste Beispiel ist der »populare« Erfolg
der großen russischen Romanciers; aber es gibt faktisch weder eine Popu-
larıtät der künstlerischen Literatur noch eine einheimische Produktion
von »Popular«-Literatur, weil es keine übereinstimmende Weltauffassung
zwischen »Schriftstellern« und »Volk« gibt; die Gefühle des Volkes werden
also von den Schriftstellern weder als ihre eigenen gelebt noch haben die
Schriftsteller eine »nationalerzieherische« Funktion, das heißt, sie haben
sich nicht die Aufgabe gestellt und stellen sie sich nicht, die Gefühle des
Volkes auszuarbeiten, nachdem sie sie nacherlebt und sich zu eigen gemacht
haben; die »Critica« stellt sich diese Fragen nicht einmal und versteht nicht
die »realistischen« Schlussfolgerungen aus folgender Tatsache zu ziehen:
wenn die Romane von vor hundert Jahren gefallen, dann bedeutet das, der
Geschmack und die Ideologie des Volkes sind genau wie vor hundert Jahren.
Die Zeitungen sind politisch-finanzielle Organismen und nehmen sich
nicht vor, die schöngeistige Literatur »in ihren eigenen Spalten« zu
verbreiten, wenn diese schöngeistige Literatur die unverkäuflichen
Exemplare vermehrt. Der Feuilletonroman ist ein Mittel, Verbreitung
unter den Volksklassen zu finden (an das Beispiel des »Lavoro« aus Genua
unter der Leitung Giovanni Ansaldos erinnern, der die gesamte franzö-
sische Feuilletonliteratur abdruckte, während er gleichzeitig andere Teile
der Zeitung auf den Ton der raffiniertesten Bildung einzustimmen suchte),
2042 Einundzwanzigstes Heft

was politischen Erfolg und finanziellen Erfolg bedeutet. Die Zeitung sucht
daher den Roman, den Typ von Roman, der dem Volk »mit Sicherheit«
gefällt, der eine »kontinuierliche« und beständige Leserschaft sichert. Der
Mann aus dem Volk kauft eine einzige Zeitung, wenn er eine kauft: die Wahl
der Zeitung ist auch keine persönliche, sondern oft eine der Familiengruppe:
die Frauen wiegen schwer bei der Wahl und bestehen auf dem »schönen,
interessanten Roman« (das bedeutet nicht, dass nicht auch die Männer den
Roman lesen, aber die Frauen interessieren sich zweifellos speziell für den
Roman und die Berichte über die Tagesereignisse). Von daher leitete sich
stets die Tatsache ab, dass die rein politischen oder Meinungsblätter niemals
eine große Verbreitung finden konnten (ausgenommen in Zeiten intensiven
politischen Kampfes): sie wurden von jungen Leuten, Männern und Frauen
ohne allzu große Familiensorgen gekauft, die sich sehr für das Schicksal ihrer
politischen Meinungen interessierten, und von einer mäßigen Zahl hinsicht-
lich ihrer Ideen sehr kompakter Familien. Im allgemeinen teilen die
Zeitungsleser nicht die Meinung der Zeitung, die sie erwerben, oder sind nur
gering von ihr beeinflusst: deshalb ist vom Standpunkt der journalistischen
Technik der Fall des »Secolo« und des »Lavoro« zu studieren, die bis zu
drei Feuilletonromane veröffentlichten, um eine permanent hohe Auflage
zu erreichen (man denkt nicht daran, dass der »Feuilletonroman« für viele
Leser wie die Klassen-»Literatur« für die Gebildeten ist: den »Roman« zu
kennen, den die »Stampa« veröffentlichte, war eine »mondäne Verpflich-
tung« von Pförtnerloge, Hinterhof und Gemeinschaftsbalkon; jede
Fortsetzung gab Anlass zu »Gesprächen«, bei denen die »Vornehmsten«
mit ihrer psychologischen Intuition, ihrem logischen Intuitionsvermögen
brillierten usw.; man kann behaupten, dass sich die Leser von Feuilleton-
romanen mit größerer Aufrichtigkeit und lebhafterem menschlichem
Interesse für ihre Autoren interessieren und begeistern als diejenigen, die
sich in den Salons der sogenannten Gebildeten für D’Annunzios Romane
interessiert haben oder für Pirandellos Werke interessieren).

Das interessanteste Problem ist aber folgendes: warum müssen die italie-
nischen Zeitungen von 1930, wenn sie Verbreitung finden (oder sich halten)
wollen, die Feuilletonromane von vor hundert Jahren (oder die modernen
desselben Typs) veröffentlichen? Und warum gibt es in Italien keine
»nationale« Literatur dieser Art, obwohl sie einträglich sein müsste? Es ist
der Umstand zu beobachten, dass in vielen Sprachen »national« und
»popular« Synonyme oder beinahe Synonyme sind (im Russischen, im
Deutschen, wo »volkisch«* gleichsam eine noch tieferliegende Bedeutung,

* So im Original; offenbar ist »völkisch« gemeint.


Heft 21-$5 2043
die von Rasse, hat, so in den slawischen Sprachen allgemein; im Fran-
zösischen hat »national« eine Bedeutung, in welcher der Terminus
»popular« politisch schon stärker ausgearbeitet ist, weil an den Begriff
»Souveränität« gebunden, nationale Souveränität und Volkssouveränität
haben gleichen Wert oder haben ihn gehabt). In Italien hat der Terminus
»national« ideologisch eine sehr beschränkte Bedeutung und fällt auf keinen
Fall mit »popular« zusammen, weil in Italien die Intellektuellen fern vom
Volk, das heißt von der »Nation«, und vielmehr an eine Kastentradition
gebunden sind, die nie von einer starken popularen oder nationalen poli-
tischen Bewegung von unten durchbrochen worden ist: die Tradition ist
»papieren« und abstrakt, und der typische moderne Intellektuelle fühlt
sich mehr mit Annibal Caro oder Ippolito Pindemonte verbunden als mit
einem apulischen oder sizilianischen Bauern. Der geläufige Terminus
»national« ist in Italien an diese intellektuelle und papierene Tradition
gebunden, daher die alberne und im Grunde gefährliche Leichtfertigkeit,
jeden »antinational« zu nennen, der nicht diese archäologische und wurm-
stichige Auffassung von den Interessen des Landes teilt.
Die Artikel von Umberto Fracchia in der »Italia Letteraria« vom Juli
1930 und der Briefan Umberto Fracchia über die Kritik von Ugo Ojetti
im »Pegaso« vom August 1930 sind anzusehen’. Fracchias Klagen sind
denen der »Critica Fascista« sehr ähnlich. Die »nationale« Literatur, die
»künstlerisch« genannt wird, ist in Italien keine populare. Wen trifft die
Schuld? Das Publikum, das nicht liest? Die Kritik, die dem Publikum die
literarischen »Werte« nicht vorzustellen und anzupreisen versteht? Die
Zeitungen, die, statt im Feuilleton den »modernen italienischen Roman«
zu veröffentlichen, den alten Grafen von Monte Cristo bringen? Aber
warum liest das Publikum in Italien nicht, während es in den anderen
Ländern liest? Und stimmt es denn, dass man in Italien nicht liest? Wäre
es nicht genauer, sich die Frage zu stellen: warum liest das italienische
Publikum die ausländische Literatur, die populare wie die nichtpopulare,
und liest dagegen nicht die italienische? Hat Fracchia selbst nicht Ultimaten
gegen die Verleger publiziert, die ausländische Werke veröffentlichen (und
deshalb entsprechend verkaufen müssen), wobei er Regierungsmaß-
nahmen androhte? Und gab es nicht - wenigstens teilweise - einen Versuch
regierungsamtlichen Eingreifens durch den Abg. Michele Bianchi, Unter-
staatssekretär im Innenministerium?
Was bedeutet die Tatsache, dass das italienische Volk vorzugsweise die
ausländischen Schriftsteller liest? Es bedeutet, dass es der intellektuellen
und moralischen Hegemonie der ausländischen Intellektuellen unterliegt,
dass es sich mehr an die ausländischen Intellektuellen gebunden fühlt als
2044 Einundzwanzigstes Heft

an die »einheimischen«, das heißt, dass es im Land keinen intellektuellen


und moralischen nationalen Block, keinen hierarchischen und schon gar
nicht einen auf Gleichheit beruhenden gibt. Die Intellektuellen kommen
nicht aus dem Volk, auch wenn zufällig einer von ihnen dem Volk
entstammt, sie fühlen sich nicht mit ihm verbunden (abgesehen von der
Rhetorik), sie kennen und fühlen nicht die Bedürfnisse, die Bestrebungen,
die weitverbreiteten Gefühle desselben, sondern sind dem Volk gegenüber
etwas Losgelöstes, in der Luft Hängendes, das heißt eine Kaste und kein
mit organischen Funktionen ausgestattetes Glied des Volkes selbst. Die
Frage muss auf die ganze popular-nationale Kultur ausgedehnt werden
und nicht nur auf die erzählende Literatur allein: dasselbe muss vom
Theater, der wissenschaftlichen Literatur im allgemeinen (Naturwissen-
schaften, Geschichte usw.) gesagt werden. Warum treten in Italien nicht
Schriftsteller wie Flammarion auf? warum ist keine populärwissenschaft-
liche Literatur entstanden wie in Frankreich und den anderen Ländern?
Diese ausländischen Bücher, einmal übersetzt, werden gelesen und verlangt
und erleben oft große Erfolge. All das bedeutet, dass die ganze »gebildete
Klasse« mit ihrer intellektuellen Tätigkeit losgelöst ist vom Volk-Nation,
nicht weil das Volk-Nation gezeigt hätte und zeigen würde, dass es sich
nicht für diese intellektuellen Tätigkeiten auf allen ihren Ebenen interessiert,
von den untersten (Schundromane in Fortsetzungen) bis zu den höchsten,
dafür spricht jedenfalls, dass es die betreffenden ausländischen Bücher ver-
langt, sondern weil das einheimische intellektuelle Element ausländischer
ist als die Ausländer gegenüber dem Volk-Nation. Die Frage ist nicht von
heute: sie hat sich seit der Gründung des italienischen Staates gestellt, und
dass sie vorher existiert hat, ist ein Beleg für den Rückstand der Halbinsel
bei der national-politischen Herausbildung ihrer Einheit. Ruggero
Bonghis Buch über die Nichtpopularität der italienischen Literatur”. Auch
die von Manzoni aufgeworfene Sprachfrage* spiegelt dieses Problem wider,
das Problem der intellektuellen und moralischen Einheit der Nation und
des Staates, das in der Einheit der Sprache gesucht wird. Aber die Einheit
der Sprache ist eines der äußerlichen und nicht ausschließlich notwendigen
Momente der nationalen Einheit: auf jeden Fall ist sie Wirkung und nicht
Ursache. Schriften von F. Martini über das Theater’: über das Theater gibt
es und entwickelt sich eine ganze Literatur.

In Italien hat eine popular-nationale Literatur, erzählend oder anderer


Gattung, immer gefehlt und fehlt immer noch. (In der Dichtung fehlten
Typen wie Beranger und allgemein der Typus des französischen Chanson-
niers. Dennoch hat es solche individuell popularen Schriftsteller gegeben,
die großen Erfolg gehabt haben: Guerrazzi hat Erfolg gehabt, und seine
Heft 21-$5 2045
Bücher werden immer noch nachgedruckt und verbreitet: Carolina
Invernizio ist gelesen worden und wird vielleicht noch immer gelesen,
obwohl sie auf einem niedrigeren Niveau steht als die Ponsons und die
Monte£pins. F. Mastriani ist gelesen worden, usw. (G.Papini hat über die
Invernizio einen Artikel im »Resto del Carlino« geschrieben, während des
Krieges, um 1916: nachsehen, ob der Artikel in einem Band abgedruckt ist.
Papini hat etwas Interessantes über dieses ehrenwerte Huhn der Popular-
literatur geschrieben, wobei er eben beobachtete, wie sie sich vom Kleine-
Leute-Volk lesen ließ. Vielleicht wird man in der in Palmieris Aufsatz
veröffentlichten Bibliographie Papinis — oder in einer anderen - das
Erscheinungsdatum dieses Artikels oder andere Angaben finden können)‘.
In Ermangelung einer eigenen »modernen« Literatur befriedigen einige
Schichten des Kleinvolkes auf verschiedene Weise ihre intellektuellen und
künstlerischen Bedürfnisse, die es ja gibt, wenn auch in elementarer und
ungefüger Form: Verbreitung des mittelalterlichen Ritterromans — Das
Königshaus von Frankreich“, Guerino genannt der Elende‘” usw. - speziell
in Süditalien und in den Bergen; die Maispiele ın der Toskana (die von den
Maispielen behandelten Themen sind den popular gewordenen Büchern,
Novellen und besonders Legenden wie der Pia dei Tolomei entnommen;
es gibt verschiedene Veröffentlichungen über die Maispiele und ihr
Repertoire).
Die Laizisten haben bei ihrer historischen Aufgabe als Erzieher und
Ausarbeiter der Intellektualität und des moralischen Bewusstseins von
Volk-Nation versagt, sie haben es nicht verstanden, den intellektuellen
Bedürfnissen des Volkes Befriedigung zu verschaffen: gerade weil sie keine
laizistische Kultur vertreten haben, weil sie es nicht verstanden haben, einen
modernen »Humanismus« auszuarbeiten mit der Fähigkeit, sich bis in die
rohesten und ungebildetsten Schichten hinein zu verbreiten, wie es vom
nationalen Standpunkt aus erforderlich war, weil sie einer antiquierten,
engstirnigen, abstrakten, allzu individualistischen oder kastenmäßigen Welt
verhaftet geblieben sind. Die französische Popularliteratur, die in Italien
am meisten verbreitet ist, vertritt dagegen in größerem oder geringerem
Maße, in einer Weise, die mehr oder weniger sympathisch sein kann, diesen
modernen Humanismus, diesen auf seine Weise modernen Laizismus:
Guerrazzi, Mastriani und die wenigen anderen einheimischen Popular-
schriftsteller vertraten ihn. Aber wenn die Laizisten versagt haben, so haben
die Katholiken doch keinen größeren Erfolg gehabt. Man sollte sich keinen
Illusionen über die leidliche Verbreitung hingeben, die bestimmte katho-
lische Bücher haben: sie ist der weitgespannten und mächtigen Organisation
der Kirche geschuldet, keiner inneren Expansivkraft: die Bücher werden
2046 Einundzwanzigstes Heft

bei den zahllosen Festlichkeiten verschenkt und zur Strafe, unter Zwang
oder aus Verzweiflung gelesen. Erstaunlich ist, dass die Katholiken auf
dem Gebiet der Abenteuerliteratur nur Armseligkeiten zustandegebracht
haben: haben sie doch eine erstrangige Quelle in den Reisen und im
bewegten und häufig riskanten Leben der Missionare. Doch selbst in der
Zeit der größten Verbreitung des geographischen Abenteuerromans ist die
betreffende katholische Literatur dürftig und in keiner Weise vergleichbar
mit der laizistischen französischen, englischen oder deutschen gewesen:
die Erlebnisse des Kardinals Massaja in Abessinien sind das beachtlichste
Buch gewesen, ansonsten gab es die jedem Anspruch spottende Bücher-
schwemme von Ugo Mioni (vormals Jesuitenpater). Auch in der populär-
wissenschaftlichen Literatur haben die Katholiken recht wenig zu bieten,
trotz ihrer großen Astronomen wie Pater Secchi (Jesuit)’ und obwohl die
Astronomie die Wissenschaft ist, die das Volk am meisten interessiert.
Diese katholische Literatur verströmt den Schweiß jesuitischer Apologetik
wie der Moschusbock und langweilt mit ihrer kruden Dürftigkeit. Die
Schwäche der katholischen Intellektuellen und der geringe Erfolg ihrer
Literatur sind eines der eindrucksvollsten Indizien für den inneren Bruch,
den es zwischen der Religion und dem Volk gibt: dieses befindet sich in
einem äußerst erbärmlichen Zustand der Gleichgültigkeit und des Fehlens
eines lebendigen geistigen Lebens: die Religion verharrt im Zustand des
Aberglaubens, doch ist sie auf Grund der Ohnmacht der laizistischen
Intellektuellen nicht durch eine neue laizistische und humanistische Moral
ersetzt worden (die Religion ist weder ersetzt noch innerlich verändert und
nationalisiert worden wie in anderen Ländern, wie ın Amerika selbst das
Jesuitentum: das populare Italien ist noch in der unmittelbar von der Gegen-
reformation geschaffenen Situation: die Religion hat sich höchstens mit
der heidnischen Folklore verbunden und ist in diesem Stadium verblieben).

$(6). Verschiedene Typen des Popularromans. Es gibt eine gewisse


Variationsbreite von Typen des Popularromans', und es ist anzumerken,
dass zwar alle Typen gleichzeitig eine gewisse Verbreitung und einen
gewissen Erfolg genießen, einer von ihnen jedoch den Vorrang hat, und
zwar bei weitem. Von diesem Vorrang ausgehend lässt sich ein Wandel der
grundlegenden Geschmäcker ausmachen, ebenso wie sich aus der Gleich-
zeitigkeit des Erfolgs der verschiedenen Typen der Beweis entnehmen
lässt, dass es im Volk verschiedene Bildungsschichten, verschiedene
»Massen an Gefühlen« gibt, die in der einen oder der anderen Schicht
überwiegen, verschiedene populare »Heldenmodelle«. Einen Katalog dieser
Typen zu erstellen und historisch ihren jeweils größeren oder geringeren
Heft 21-$5-$6 2047
Erfolg zu ermitteln, ist daher wichtig für die Zwecke des vorliegenden
Aufsatzes: 1. Typ Victor Hugo - Eugene Sue (Die Elenden - Die Ge-
heimnisse von Paris): ausgesprochen politisch-ideologischen Charakters
demokratischer, mit den achtundvierziger Ideologien verbundener Tendenz;
2. Sentimentaler Typ, nicht politisch im engeren Sinn, in dem sich aber aus-
drückt, was man eine »sentimentale Demokratie« nennen könnte
(Richebourg — Decourcelle u.a.); 3. Typ, der sich als derjenige der reinen
Intrige präsentiert, aber einen reaktionär-konservativen ideologischen
Gehalt hat (Monte£pin); 4. Der historische Roman von A. Dumas und von
Ponson du Terrail, der außer dem historischen Charakter einen allerdings
weniger ausgeprägten politisch-ideologischen Charakter hat: Ponson du
Terrail jedoch ist reaktionär-konservativ, und die Begeisterung für die
Arıstokraten und ihre treuen Diener hat einen ganz anderen Charakter als
die historischen Darstellungen von A. Dumas, der trotzdem keine aus-
gesprochen politisch-demokratische Tendenz aufweist, sondern eher von
allgemeinen und »passiven« demokratischen Gefühlen durchdrungen ist
und sich oft dem »sentimentalen« Typ nähert; 5. Der Kriminalroman
unter seinem doppeltem Aspekt (Lecocq, Rocambole, Sherlock Holmes,
Arsene Lupin)’; 6. Der schwarze Roman (Gespenster, Spukschlösser
usw.: Ann Radtcliffe usw.); 7. Der wissenschaftliche, geographische Aben-
teuerroman, der tendenziös oder einfach ein Intrigenroman sein kann
(J. Verne - Boussenard)'.
Jeder dieser Typen hat außerdem verschiedene nationale Aspekte (in
Amerika ist der Abenteuerroman die Epopöe der Pioniere usw.). Man
kann beobachten, dass in der Gesamtproduktion eines jeden Landes ein
nationalistisches, nicht rhetorisch ausgedrücktes, aber geschickt in die Er-
zählung eingewobenes Gefühl impliziert ist. Bei Verne und den Franzosen
ist das anti-englische Gefühl, das mit dem Verlust der Kolonien und dem
Gram über die Niederlagen zur See zusammenhängt, sehr lebendig: im
geographischen Abenteuerroman stoßen die Franzosen nicht mit den
Deutschen, sondern mit den Engländern zusammen. Aber das anti-eng-
lische Gefühl ist auch im historischen Roman und sogar im sentimentalen
lebendig (z.B. George Sand). (Reaktion aufgrund des hundertjährigen
Krieges und der Ermordung von Jeanne d’Arc sowie aufgrund des Endes
von Napoleon).
In Italien hat keiner dieser Typen (zahlreiche) Schriftsteller von einigem
Niveau gehabt (nicht literarischen Niveaus, sondern »kommerziellen«
Wertes, der Erfindungskunst, des einfallsreichen Konstruierens ausge-
klügelter, aber mit einer gewissen Rationalität ausgedachter Intrigen).
Nicht einmal der Kriminalroman, der einen solchen internationalen (und
2048 Einundzwanzigstes Heft

für die Autoren und die Verleger finanziellen) Erfolg gehabt hat, hat in
Italien Schriftsteller gehabt; und doch haben viele vor allem historische
Romane Italien und die geschichtlichen Ereignisse seiner Städte, Regionen,
Institutionen, Menschen zum Thema gemacht. So hat die Geschichte
Venedigs mit seinen politischen, gerichtlichen und polizeilichen Organisa-
tionen Themen für die Popularromane aller Länder mit Ausnahme Italiens
geliefert und liefert ihn immer noch. Einen gewissen Erfolg hat in Italien
die Popularliteratur über das Leben der Briganten gehabt, aber die Produk-
tion ist von niedrigstem Wert.
Der letzte und jüngste Typ des popularen Buches ist der biographische
Roman, der auf jeden Fall einen unbewussten Versuch darstellt, den kul-
turellen Bedürfnissen einiger kulturell anspruchsvollerer Volksschichten
nachzukommen, die sich nicht mit der Geschichte vom Typ Dumas
zufriedengeben. Auch diese Literatur hat in Italien nicht viele Vertreter
(Mazzucchelli, Cesare Giardini usw.): die italienischen Schriftsteller sind
nicht nur an Zahl, Produktivität und Gaben literarischer Gefälligkeit mit
den Franzosen, Deutschen und Engländern nicht zu vergleichen, sondern,
was noch bezeichnender ist, sie suchen ihre Themen außerhalb Italiens
(Mazzucchelli und Giardini in Frankreich, Eucardio Momigliano in
England), um sich dem italienischen Volksgeschmack anzupassen, der sich
vor allem an den französischen historischen Romanen gebildet hat. Der
italienische Literat würde keine Romanbiographie von Masaniello,
Michele di Lando, Cola di Rienzo schreiben, ohne sich verpflichtet zu
fühlen, sie mit unverdaulichen rhetorischen »Versatzstücken« zu über-
frachten, damit man nicht glaubt ..., nicht denkt... usw. usf. Gewiss hat der
Erfolg der Romanbiographien viele Herausgeber dazu bewogen, die Ver-
öffentlichung biographischer Reihen in Angriff zu nehmen, doch handelt
es sich um Bücher, die sich zu den Romanbiographien wie die Nonne von
Monza zum Grafen von Monte Cristo verhalten; es handelt sich um das
übliche biographische, philologisch oft korrekte Schema, das bestenfalls
einige Tausend Leser finden, aber nicht populär werden kann.
Zu beachten ist, dass einige der aufgeführten Typen des Popularromans
eine Entsprechung im Theater und heute im Film haben. Im Theater ist
D.Niccodemis beträchtlicher Erfolg sicher folgendem zu verdanken: dass
er es verstanden hat, Anregungen und Motive szenisch umzusetzen, die
besonders mit der popularen Ideologie zusammenhängen; so in Kläglicher
Rest, in Federbusch, im Vogelflug” usw. Auch bei G. Forzano gibt es etwas
in der Art, aber nach dem Vorbild Ponson du Terrails, mit konservativen
Tendenzen. Das Theaterstück, das in Italien den größten popularen Erfolg
gehabt hat, ist Giacomettis Ziviler Tod”, ein Werk von italienischem
Heft 21-$6-$7 2049
Charakter: es hat keine bedeutenden Nachahmer (immer im nicht-
literarischen Sinn) gefunden. In dieser dramatischen Abteilung kann man
festhalten, dass eine ganze Reihe von Dramatikern von großem literarischen
Wert auch dem popularen Publikum außerordentlich gefallen können:
Ibsens Puppenhaus wird vom Volk der Städte sehr geschätzt, insofern die
_ dargestellten Gefühle und die moralische Tendenz des Autors eine tiefe
Resonanz in der Volkspsychologie finden. Und was soll denn das soge-
nannte /deentheater sein, wenn nicht die Darstellung von an die Gewohn-
heiten gebundenen Leidenschaften, mit dramatischen Lösungen, die eine
»progressive« Katharsıis darstellen sollen, die das Drama des intellektuell
und moralisch fortgeschrittensten Teils einer Gesellschaft darstellen sollen,
und welche die den bestehenden Gewohnheiten selbst innewohnende
geschichtliche Entwicklung ausdrückt? Diese Leidenschaften und dieses
Drama müssen jedoch dargestellt und nicht wie eine These, eine Propa-
gandarede entwickelt werden, das heißt, der Autor muss in der wirklichen
Welt mit allen ihren widersprüchlichen Anforderungen leben und keine
allein aus den Büchern gesogenen Gefühle ausdrücken’.

$(7). Popularroman und -theater. Das Volksschauspiel wird abwer-


tend Arenaschauspiel oder -schinken genannt, vielleicht weil es in einigen
Städten Freilichttheater gibt, die man Arenen nennt (die Arena del Sole in
Bologna). Es ist daran zu erinnern, was Edoardo Boutet zu den klassischen
Aufführungen (Aischylos, Sophokles) geschrieben hat, welche die von
eben demselben Boutet geleitete Compagnia Stabile aus Rom montags —
am Tag der Wäscherinnen - in der Arena del Sole von Bologna gab, und zu
dem großen Erfolg, den solche Aufführungen hatten. (Diese Erinnerungen
Boutets an das Theaterleben waren erstmals in der von T. Monicelli in den
Jahren 1908-9 in Mailand herausgegebenen Zeitschrift »Il Viandante«
veröffentlicht worden)'. Hervorzuheben ist auch der Erfolg, den einige
Dramen Shakespeares unter den Volksmassen stets hatten, was eben zeigt,
dass man ein großer Künstler und gleichzeitig »volksnah« sein kann.
Im »Marzocco« vom 17. November 1929 ist eine sehr bezeichnende
Notiz von Gaio (Adolfo Orvieto), »Danton«, das Melodrama und der
»Roman im Leben«°, erschienen. Die Notiz besagt: »Eine jüngst »for-
mierte< Schauspieltruppe, die ein Repertoire großer Volksstücke - vom
Grafen von Monte Cristo bis zu den Zwei Waisen - in der berechtigten
Hoffnung zusammengestellt hat, ein paar Leute ins Theater zurückzuholen,
erlebte die Erfüllung ihrer Wünsche - in Florenz - mit einem brandneuen
Schauspiel eines ungarischen Autors und mit revolutionär-französischem
2050 Einundzwanzigstes Heft

Stoff: Danton«. Das Schauspiel ist von Gyula Pekär* und ist eine »rein
pathetische Fabel mit phantasievollen Details von äußerster Freiheit« (z.B.
sind Robespierre und Saint-Just beim Prozess gegen Danton anwesend
und streiten mit ihm usw.). »Aber es ist eine Fabel von flottem Zuschnitt,
die sich der alten unfehlbaren Methoden des Volkstheaters bedient, ohne
gefährliche modernistische Abweichungen. Alles ist elementar, beschränkt,
von klarem Zuschnitt. Die stark aufgetragenen Farben und die Krawalle
wechseln mit wohldosierten gedämpften Szenen ab, und das Publikum
seufzt und stimmt zu. Es zeigt, dass es begeistert ist und sich amüsiert. Ob
das der beste Weg ist, es ins Sprechtheater zurückzubringen?« Orvietos
Schlussfolgerung ist bezeichnend. So muss man 1929, um Theaterpublikum
zu haben, den Grafen von Monte Cristo und die Zwei Waisen aufführen,
und 1930 muss man, damit die Zeitungen gelesen werden, im Feuilleton
den Grafen von Monte Cristo und Joseph Balsamo veröffentlichen.

$ (8). Statistische Bemerkungen. Wieviele Romane italienischer Autoren


haben die gängigsten popularen Periodika, wie der »Romanzo Mensile«,
die »Domenica del Corriere«, die »Tribuna Illustrata«, der »Mattino
Illustrato«, veröffentlicht? Die »Domenica del Corriere« in ihrem ganzen
Dasein (etwa 36 Jahrgänge) wohl nicht einen auf etwa hundert veröffent-
lichte Romane. Die »Tribuna Illustrata« den einen oder anderen (in der
letzten Zeit eine Reihe von Kriminalromanen des Fürsten Valerio
Pignatelli); aber es muss festgehalten werden, dass die »Tribuna Illustrata«
bei weitem weniger verbreitet ist als die »Domenica«, redaktionell nicht
gut organisiert ist und einen weniger ausgesuchten Romantypus hat.
Die Nationalität der Verfasser und der Typus der veröffentlichten
Abenteuerromane wäre von Interesse. Der »Romanzo Mensile« und die
»Domenica« veröffentlichen viele englische Romane (die französischen
überwiegen wohl trotzdem) und solche vom Typus des Kriminalromans
(sie haben Sherlock Holmes und Arsene Lupin gebracht), aber auch deutsche,
ungarische (die Baronin Orczy ist sehr verbreitet, und ihre Romane über
die Französische Revolution haben viele Nachdrucke auch im »Romanzo
Mensile« erlebt, der doch eine beachtliche Verbreitung haben muss) und
sogar australische (von Guido Boothby, der mehrere Auflagen gehabt hat):
sicher überwiegt der Kriminalroman oder Verwandtes, von einer konser-
vativen und rückständigen Auffassung durchtränkt oder auf die bloße

* ImMes. irrtümlich »De Pekar«.


Heft 21-$7-$9 2051
Intrige gegründet. Es wäre interessant zu wissen, wer in der Redaktion des
»Corriere della Sera« für die Auswahl dieser Romane zuständig war und
welche Richtlinien ihm vorgegeben waren, zumal beim »Corriere« alles
sorgfältig organisiert war. Der »Mattino Illustrato« veröffentlicht, obwohl
er in Neapel erscheint, Romane vom Typus »Domenicas, lässt sich aber
von finanziellen Fragen leiten und hat oft literarische Anwandlungen (so
hat er, glaube ich, Conrad, Stevenson, London veröffentlicht): dasselbe ist
von der »Illustrazione del Popolo« aus Turin zu sagen. Relativ und vielleicht
auch in absoluter Hinsicht ist die Verwaltung des »Corriere della Sera« das
größte Verbreitungszentrum der Popularromane: sie gibt mindestens 15
im Jahr mit sehr hohen Auflagen heraus. Danach muss der Verlag
Sonzogno kommen, der auch eine periodische Veröffentlichung haben
muss. Ein zeitlicher Vergleich der Verlagstätigkeit von Sonzogno ergäbe
ein annähernd genaues Bild der im Geschmack des popularen Publikums
eingetretenen Veränderungen; die Untersuchung ist schwierig, weil
Sonzogno nicht das Erscheinungsjahr angibt und die Nachdrucke oft
nicht nummeriert, aber eine kritische Prüfung der Kataloge würde einige
Ergebnisse liefern. Schon ein Vergleich der Kataloge von vor 50 Jahren (als
der »Secolo« hoch im Kurs stand) mit den heutigen wäre interessant: der
ganze sentimental-rührselige Roman dürfte schon in Vergessenheit geraten
sein, ausgenommen manches »Meisterwerk« der Gattung, das noch über-
leben mag (wie die Grasmücke von der Mühle von Richebourg)': anderer-
seits will das nicht besagen, dass solche Bücher nicht von bestimmten
Schichten der Provinzbevölkerung gelesen würden, wo von den »Vorur-
teilslosen« noch Paul De Kock »goutiert« wird und man angeregt über die
Philosophie der Elenden diskutiert. So wäre es interessant, die Veröffent-
lichung der Fortsetzungsromane zu verfolgen, bis hin zu denen, die
Spekulationsobjekte sind, die ...zig Lire kosten und mit Preisen verbunden
sind.
Eine gewisse Anzahl italienischer Popularromane haben Edoardo
Perino und jüngst auch Nerbini veröffentlicht, alle mit antiklerikalem
Hintergrund und an die Tradition Guerrazzis anknüpfend. (Überflüssig,
Salani anzuführen, den popularen Verleger par excellence). Man müsste
eine Liste der popularen Verleger erstellen.

$(9). Ugo Mioni. Die Reihe »Nimm und lies« des Verlags »Fromme
Gesellschaft St. Paul«’, Alba-Rom, hatte in einer Liste von 1928 unter 111
Nummern 65 von dem Jesuiten Ugo Mioni verfasste Bücher, und das sind
bestimmt nicht alle, die der fruchtbare Monsignore veröffentlicht hat, der
2052 Einundzwanzigstes Heft

übrigens nicht nur Abenteuerromane geschrieben hat, sondern auch


(Bücher) der Apologetik, der Soziologie und auch eine dicke Abhandlung
über »Missionswissenschaft«'. Katholische Verlage für Popularliteratur: es
gibt auch eine periodische Veröffentlichung von Romanen. Schlecht
gedruckt und in fehlerhaften Übersetzungen.

$(10). Verne und der wissenschaftlich-geographische Roman. In


Vernes Büchern geschieht nie etwas völlig Unmögliches: die »Möglich-
keiten«, über die Vernes Helden verfügen, sind den in der Zeit real vorhan-
denen überlegen, aber nicht allzu überlegen und besonders nicht »außer-
halb« der Entwicklungslinie der wissenschaftlichen Errungenschaften
liegend; die Imagination ist nicht völlig »willkürlich« und besitzt deshalb
die Fähigkeit, die Phantasie des Lesers zu reizen, der bereits von der
Ideologie der schicksalhaften Entwicklung“ des wissenschaftlichen Fort-
schritts auf dem Gebiet der Kontrolle über die Naturkräfte eingenommen
ist. Anders liegt der Fall bei Wells und bei Poe, bei denen zu einem großen
Teil das »Willkürliche« geradezu vorherrscht, auch wenn der Ausgangs-
punkt logisch und einer konkreten wissenschaftlichen Realität aufgepfropft
sein kann: bei Verne verbünden sich der menschliche Verstand und die
materiellen Kräfte, bei Wells und Poe herrscht der menschliche Verstand
vor, und deshalb ist Verne populärer, weil verständlicher gewesen‘. Gleich-
zeitig ist dieses Gleichgewicht in Vernes Romankonstruktionen jedoch zu
einer zeitlichen Grenze für seine Popularität geworden (neben dem geringen
künstlerischen Wert): die Wissenschaft hat Verne überholt, und seine Bücher
sind keine »psychologischen Reizmittel« mehr.
Ähnliches lässt sich von den Kriminalabenteuern sagen, z. B. von Conan
Doyle; damals waren sie aufregend, heute fast gar nicht mehr, und dies aus
verschiedenen Gründen: weil die Welt der kriminalistischen Auseinander-
setzungen heute bekannter ist, während Conan Doyle sie zum großen Teil
enthüllte, zumindest für einen großen Teil friedfertiger Leser. Aber vor
allem, weil es bei Sherlock Holmes das (zu starke) rationale Gleichgewicht
von Intelligenz und Wissenschaft gibt. Heute interessiert mehr der individu-
elle Beitrag des Helden, die »psychische« Technik an sich, daher sind Poe
und Chesterton interessanter usw.
Im »Marzocco« vom 19. Februar 1928 schreibt Adolfo Faggi (Eindrücke
von Jules Verne)‘, der anti-englische Charakter vieler Romane von
Verne sei auf die Zeit der Rivalität zwischen Frankreich und England

* Im Ms.: »des schicksalhaften Fortschritts«.


Heft 21-$9-$12 2053

zurückzuführen, die in der Fashoda-Episode gipfelte. Die Behauptung ist


falsch und anachronistisch: das Anti-Britentum war (und ist vielleicht noch)
eın Grundelement der französischen Volkspsychologie; das Anti-Deutsch-
tum ist relativ jung und war weniger tief verwurzelt als das Anti-Britentum,
es existierte nicht vor der Französischen Revolution und ist nach (18)70
_ gewuchert, nach der Niederlage und dem schmerzlichen Eindruck, dass
Frankreich nicht mehr die stärkste militärische und politische Nation
Westeuropas war, weil Deutschland allein, ohne Koalition, Frankreich
besiegt hatte. Das Anti-Engländertum reicht zurück bis zur Herausbildung
des modernen Frankreich als einheitlicher und moderner Staat, das heißt
bis zum Hundertjährigen Krieg und den Widerspiegelungen der Epopöe
von Jeanne d’Arc in der Vorstellung des Volkes; in moderner Zeit ist er
durch die Kriege um die Hegemonie auf dem Kontinent (und in der Welt)
verstärkt worden, die in der Französischen Revolution und mit Napoleon
gipfelten: die Fashoda-Episode, so ernst sie war, kann nicht mit dieser
beeindruckenden Tradition verglichen werden, die durch die gesamte
französische Popularliteratur bezeugt wird.

$(11). Emilio De Marchi. Warum wurde und wird De Marchi nicht


viel gelesen, obwohl es in manchen seiner Bücher viele Elemente von Popu-
larität gibt? Ihn wieder lesen und diese Elemente analysieren, vor allem in
Giacomo der Idealist. (Zu De Marchı und dem Feuilletonroman hat
Arturo Pompeati in der »Cultura« einen Aufsatz verfasst, nicht befrie-
digend)'.

$(12). Zum Kriminalroman. Der Kriminalroman ist am Rande der


Literatur über die »Berühmten Justizfälle« entstanden. Mit dieser steht im
übrigen auch der Roman vom Typ Graf von Monte Cristo im Zusammen-
hang; handelt es sich hier nicht auch um »berühmte Justizfälle«, in Romane
umgesetzt und gefärbt mit der Volksideologie hinsichtlich der Rechts-
sprechung, besonders, wenn sich mit dieser die politische Leidenschaft
verknüpft? Ist Rodin aus dem Ewigen Juden nicht ein Typus des Organısa-
tors »ruchloser Intrigen«, der vor keinerlei Verbrechen und Mord halt-
macht, und ist demgegenüber nicht der Fürst Rodolphe der »Volksfreunds,
der andere Intrigen und Verbrechen vereitelt? Der Übergang von einem
solchen Romantyp zu denen des reinen Abenteuers ist durch einen
Schematisierungsprozess der reinen Intrige gekennzeichnet, die von jed-
wedem Element demokratischer und kleinbürgerlicher Ideologie gereinigt
ist: nicht mehr der Kampf zwischen dem guten, einfachen und großmütigen
2054 Einundzwanzigstes Heft

Volk und den dunklen Mächten der Tyrannei (Jesuiten, mit der Staatsräson
oder dem Ehrgeiz einzelner Fürsten in Verbindung stehende Geheim-
polizei usw.), sondern allein der Kampf zwischen professionellem oder
spezialisiertem Verbrechen und den legalen, privaten oder öffentlichen,
auf der Grundlage des geschriebenen Gesetzes handelnden Ordnungs-
kräften. Die Sammlung der »Berühmten Justizfälle« - in der berühmten
französischen Sammlung - hat ihr Pendant in anderen Ländern; sie wurde
ins Italienische übersetzt, die französische Sammlung, zumindest teilweise,
wegen der europaweit bekannten Prozesse, wie desjenigen von Fualdes’,
wegen des Mordes am Kurier von Lyon”, usw.
Die »justizielle« Tätigkeit hat immer interessiert und tut es immer noch:
die Einstellung des öffentlichen Gefühls zum Justizapparat (immer in
Misskredit und daher zum Vorteil des Privat- oder Hobbydetektivs) und
zum Delinquenten hat sich oft gewandelt oder hat zumindest unterschied-
liche Färbungen angenommen. Der große Verbrecher ist oft als dem
Justizapparat überlegen dargestellt worden, sogar als der Vertreter der
»wahren« Justiz: Einfluss der Romantik, Schillers Räuber, Hoffmanns
Erzählungen, Ann Radlliffe, Balzacs Vautrin.
Der Typus Javerts in den Elenden ist vom Standpunkt der Popular-
psychologie interessant: Javert ist vom Standpunkt der »wahren Justiz« im
Unrecht, aber Hugo stellt ihn sympathisch dar, als »Mann von Charakter«,
der »abstrakten« Pflicht getreu usw.; von Javert aus entsteht vielleicht
eine Tradition, wonach auch der Polizist »respektierlich« sein kann.
Rocambole von Ponson du Terrail. Gaboriau setzt die Rehabilitierung des
Detektivs mit »Monsieur Lecogq« fort, der Sherlock Holmes den Weg
bahnt.
Es stimmt nicht, dass die Engländer im »Justiz«-Roman die »Verteidigung
des Gesetzes«, die Franzosen dagegen die Verherrlichung des Verbrechers
darstellen würden. Es handelt sich um einen »kulturellen« Übergang, der
dem Umstand zu verdanken ist, dass sich diese Literatur auch in bestimm-
ten gebildeten Schichten verbreitet. Daran erinnern, dass sich der von den
Demokraten der Mittelklassen viel gelesene Sue ein ganzes System zur
Unterdrückung der professionellen Kriminalität ausgedacht hat.
In dieser Kriminalliteratur hat es immer zwei Strömungen gegeben: die
eine mechanisch - der Intrige -, die andere künstlerisch: Chesterton ist
heute der größte Vertreter des »künstlerischen« Aspekts, wie Poe es einst
war: Balzac, mit Vautrin, beschäftigt sich mit dem Verbrecher, ist aber
»technisch« kein Verfasser von Kriminalromanen.
Heft 21-$12-$13 2055

$(13). Kriminalromane. 1. Anzusehen ist das Buch von Henry


Jagot: Vidocq, Verl. Berger-Levrault, Paris, 1930'. Vidocq hat den Anstoß
zu Balzacs Vautrin und zu Alexandre Dumas gegeben (ein wenig findet er
sich auch in Hugos Jean Valjean und besonders in Rocambole wieder).
Vidocq wurde wegen Falschmünzerei zu acht Jahren verurteilt, wegen einer
_ Unvorsichtigkeit seinerseits, 20 Ausbruchsversuchen usw. 1812 trat er in
Napoleons Polizei ein und befehligte 15 Jahre lang einen eigens für ihn
geschaffenen Agententrupp: wurde berühmt aufgrund der sensationellen
Festnahmen. Von Louis-Philippe entlassen, gründete er ein privates
Detektivbüro, jedoch mit geringem Erfolg: er konnte nur in den Reihen
der staatlichen Polizei operieren. 1857 gestorben. Hat seine Memoiren
hinterlassen, die er nicht allein geschrieben hat und die viele Übertreibungen
und Prahlereien enthalten.
2. Anzusehen ist Aldo Soranis Artikel Conan Doyle und der Erfolg des
Kriminalromans, im »Pegaso« vom August 1930°, bemerkenswert wegen
der Analyse dieser Literaturgattung und der verschiedenen Spezifizie-
rungen, die sie bisher erfahren hat. Wo er auf Chesterton und die Novellen-
folge über Pater Brown zu sprechen kommt, berücksichtigt Sorani zwei
kulturelle Elemente nicht, die jedoch wesentlich scheinen: a) er erwähnt
nicht die karikaturistische Atmosphäre, die sich vor allem in dem Band
Pater Browns Unschuld’ manifestiert und die gerade dasjenige künst-
lerische Element ist, das die Kriminalnovelle Chestertons auszeichnet,
wenn, nicht immer, der Ausdruck vollkommen gelungen ist; b) er erwähnt
nicht die Tatsache, dass die Novellen über Pater Brown »Apologien« des
Katholizismus und des römischen Klerus sind, durch die Ausübung der
Beichte und der Funktion des geistigen Führers und Vermittlers zwischen
dem Menschen und der Gottheit dazu erzogen, alle Windungen der
menschlichen Seele zu kennen, gegen den »Szientismus« und die positi-
vistische Psychologie des Protestanten Conan Doyle. Sorani referiert in
seinem Artikel die verschiedenen, speziell angelsächsischen und literarisch
bedeutsameren Versuche, den Kriminalroman technisch zu perfektionieren.
Der Archetypus ist Sherlock Holmes mit seinen zwei grundlegenden Eigen-
schaften: des Wissenschaftlers und des Psychologen: es wird versucht, die
eine oder die andere dieser Eigenschaften oder beide zusammen zu perfek-
tionieren. Chesterton hat gerade auf dem psychologischen Element
bestanden, dem Spiel der Induktionen und Deduktionen mit Pater Brown,
scheint aber in seiner Tendenz mit dem Typus des Dichters-Detektivs
Gabriel Gale wiederum zu weit gegangen zu sein‘.
Sorani skizziert ein Bild des unerhörten Erfolgs des Kriminalromans ın
allen Rängen der Gesellschaft und sucht dessen psychologischen Ursprung
2056 Einundzwanzigstes Heft

festzustellen: in ihm äußere sich die Auflehnung gegen das Mechanische


und die Standardisierung des modernen Lebens, eine Weise, dem alltäg-
lichen Einerlei zu entrinnen. Doch lässt sich diese Erklärung auf alle Formen
von Literatur, popularer wie künstlerischer, anwenden: vom Ritterepos
(versucht nicht auch Don Quijote, auch praktisch, dem Einerlei und der
Standardisierung des Alltagslebens eines kleinen spanischen Dorfes zu
entrinnen?) bis zum Feuilletonroman verschiedener Gattungen. Wäre
folglich die ganze Literatur und Dichtung eine Droge gegen die alltägliche
Banalität? Auf jeden Fall ist Soranis Artikel unentbehrlich für eine künftige
organischere Untersuchung dieser Gattung der Popularliteratur.

Das Problem: warum ist die Kriminalliteratur verbreitet? ist ein besonde-
rer Aspekt des allgemeineren Problems: warum ist die nichtkünstlerische
Literatur verbreitet? Aus praktischen und kulturellen (moralischen und
politischen) Gründen, zweifellos: und diese allgemeine Antwort ist in der
Begrenztheit ihrer Annäherung die genaueste. Aber verbreitet sich nicht
auch die künstlerische Literatur aus praktischen und moralisch-politischen
Gründen und nur mittelbar aus Gründen des künstlerischen Geschmacks,
des Suchens und Genießens der Schönheit? In Wahrheit liest man ein Buch
aufgrund praktischer Anstöße (und es gilt zu erforschen, warum sich
bestimmte Anstöße mehr als andere verallgemeinern) und liest es aus
künstlerischen Gründen wieder. Die ästhetische Erregung ist fast nie eine
der ersten Lektüre*. Das gilt noch mehr fürs Theater, in dem die ästhetische
Erregung einen minimalen »Prozentsatz« am Interesse des Zuschauers
ausmacht, weil im Theater andere Elemente mitspielen, von denen viele
nicht einmal intellektueller Art sind, sondern rein physiologischer Art, wie
der »Sexappeal«, usw. In anderen Fällen kommt die ästhetische Erregung im
Theater nicht vom literarischen Werk, sondern von der Interpretation der
Schauspieler und des Regisseurs: in diesen Fällen darf der literarische Text
des Stückes, das den Vorwand zur Interpretation liefert, jedoch nicht
»schwierig« und psychologisch ausgesucht sein, sondern er sollte eher
»elementar und popular« sein in dem Sinne, dass die dargestellten Leiden-
schaften die zutiefst »menschlichen« und unmittelbar erfahrenen sein
sollten (Blutrache, Ehre, Mutterliebe, usw.), und daher wird die Analyse
auch in diesen Fällen kompliziert. Die großen traditionellen Schauspieler
erhielten Applaus im Zivilen Tod, in den Zwei Waisen, in Vater Martins
Korb, usw., mehr als in den verzwickten psychologischen Spektakeln: im
ersten Fall war der Applaus vorbehaltlos, im zweiten war er kühler, darauf

Im Ms.: »Literatur«.
Heft 21-$13 2057
bedacht, den beim Publikum beliebten Schauspieler vom aufgeführten
Stück zu trennen, usw." |
Eine Soranı ähnliche Rechtfertigung des Erfolgs der Popularromane
findet sich in einem Artikel von Filippo Burzio über die Drei Musketiere
‚von Alexandre Dumas (erschienen in der »Stampa« vom 22. Oktober 1930
und auszugsweise wiedergegeben in der »Italia Letteraria« vom 9. Novem-
ber 1930)°. Burzio hält die Drei Musketiere wie den Don Quijote oder den
Rasenden Roland für eine sehr glückliche Verkörperung des Mythos des
Abenteuers, »das heißt von etwas Wesentlichem für das menschliche Wesen,
das sich vom modernen Leben ernsthaft und zunehmend zu entfremden
scheint. Je mehr das Dasein rational (oder vielmehr rationalisiert, durch
Zwang, der zwar rational für die herrschenden Gruppen ist, nicht aber
rational für die beherrschten, und der an die praktisch-wirtschaftliche
Tätigkeit gebunden ist, weshalb der Zwang, wenn auch nur indirekt, auch
auf die »Intellektuellen«-Schichten ausgeübt wird?) und organisiert ist, je
eiserner die gesellschaftliche Disziplin, je genauer und vorhersehbarer die
dem Individuum übertragene Aufgabe wird (aber nicht vorhersehbar für
die Führenden, wie aus den Krisen und Katastrophen der Geschichte her-
vorgeht), desto geringer wird der Spielraum des Abenteuers, wie der freie
Wald aller zwischen den erstickenden Mäuerchen des Privateigentums...
Der Taylorismus ist eine schöne Sache, und der Mensch ist ein anpassungs-
fähiges Tier, aber vielleicht gibt es Grenzen für seine Mechanisierung.
Wenn man mich nach den tiefen Ursachen für die Unruhe des Westens
fragte, würde ich ohne Zögern antworten: der Verfall des Glaubens (!) und
die Abtötung des Abenteuers«’. »Wird der Taylorismus siegen oder werden
die Musketiere siegen? Das ist ein anderes Thema, und die Antwort, die
vor dreißig Jahren sicher schien, sollte man lieber in der Schwebe lassen.
Wenn die gegenwärtige Zivilisation nicht zusammenbricht, werden wir
vielleicht interessanten Vermischungen der beiden beiwohnen«.
Die Frage ist folgende: Burzio beachtet nicht, dass es immer einen großen
Teil der Menschheit gegeben hat, dessen Tätigkeit stets taylorisiert und
eisern diszipliniert gewesen ist, und dass sie den engen Grenzen der vor-
handenen Organisation, die sie erdrückte, mit der Phantasie und mit dem
Traum zu entfliehen suchte. Ist nicht das größte Abenteuer, die größte
»Utopie«, welche die Menschheit kollektiv geschaffen hat, die Religion,
eine Weise, der »irdischen Welt« zu entfliehen? Und spricht nicht Balzac
in diesem Sinne vom Lotto als dem Opium des Elends, ein Satz, der dann
von anderen wieder aufgenommen worden ist? (Vgl. im 1. Heft der Kultur-
themen.)‘' Aber das Bemerkenswerteste ist, dass es neben Don Quijote
Sancho Pansa gibt, der keine »Abenteuer« will, sondern Lebenssicherheit,
2058 Einundzwanzigstes Heft

und dass die Mehrzahl der Menschen von eben der Zwangsvorstellung der
Nicht-»Vorhersehbarkeit des Morgen«, von der Ungewissheit des eigenen
täglichen Lebens gepeinigt wird, das heißt von einem Übermaß an wahr-
scheinlichen »Abenteuern«. In der modernen Welt erhält die Frage deshalb
eine andere Färbung als in der Vergangenheit, weil die aufgezwungene
Rationalisierung der Existenz mehr und mehr die mittleren und intellek-
tuellen Klassen in einem unerhörten Ausmaß trifft; aber auch für sie handelt
es sich nicht um einen Verfall des Abenteuers, sondern um zuviel Aben-
teuerlichkeit des täglichen Lebens, das heißt um zuviel Ungewissheit im
Dasein, verbunden mit der Überzeugung, dass es gegen diese Ungewiss-
heit keine individuelle Möglichkeit des Dagegenhaltens gibt: folglich strebt
man nach dem »schönen« und interessanten, weil der eigenen freien Initia-
tive geschuldeten Abenteuer, gegen das Abenteuer, das »hässlich« und
widerwärtig ist, weil den Bedingungen geschuldet, die von anderen auferlegt
und nicht selbst vorgeschlagen sind.
Soranis und Burzios Rechtfertigung vermag auch die Begeisterung für
den Sport zu erklären, das heißt, sie erklärt zuviel und folglich nichts. Das
Phänomen ist mindestens so alt wie die Religion, und es ist vielgestaltig,
nicht einseitig: es hat auch einen positiven Aspekt, nämlich den Wunsch,
»sich zu erziehen«, indem man eine Lebensweise kennenlernt, die als der
eigenen überlegen angesehen wird, den Wunsch, die eigene Persönlichkeit
zu steigern, indem man sich ideale Vorbilder setzt (vgl. das Stichwort zum
popularen Ursprung des Übermenschen in den Kulturthemen)’, den
Wunsch, mehr Welt und mehr Menschen kennenzulernen als es unter be-
stimmten Lebensbedingungen möglich ist, den Snobismus usw. usf. Das
Stichwort von der »Popularliteratur als Opium des Volkes« ist angemerkt
worden in einer Notiz zum anderen Roman von Dumas: dem Grafen von
Monte Cristo”.

$(14). Kulturelle Ableitungen des Fenilletonromans. Das Dostojewski


gewidmete Heft der »Cultura« von 1931 ist anzusehen. Vladimir Pozner
behauptet in einem Artikel’ ganz richtig, Dostojewskis Romane seien
kulturell von den Feuilletonromanen des Typus E. Sue usw. abgeleitet. Es
ist nützlich, diese Ableitung für die Entwicklung dieser Rubrik über die
Popularliteratur im Auge zu behalten, da sie zeigt, wie bestimmte kultu-
relle Strömungen (moralische Motive und Interessen, Gefühlslagen, Ideo-
logien usw.) einen doppelten Ausdruck haben können: den rein mechani-
schen der sensationellen Intrige (Sue usw.) und den »lyrischen« (Balzac,
Dostojewski und teilweise V. Hugo). Die Zeitgenossen bemerken nicht
Heft 21-$13-$15 2059
immer die Minderwertigkeit eines Teils dieser literarischen Erscheinungen,
wie es zum Teil bei Sue der Fall war, der von allen Gesellschaftsgruppen
gelesen wurde und auch die »gebildeten« Personen »bewegte«, während er
danach zum »allein vom Volk gelesenen Schriftsteller« abstieg (die »Erst-
lektüre« vermittelt rein oder nahezu rein »kulturelle« oder inhaltliche Ein-
_ drücke, und das »Volk« ist ein unkritischer Erstleser, der aufgrund der
Sympathie für die allgemeine »Ideologie« bewegt wird, deren oft gekün-
stelter und gewollter Ausdruck das Buch ist).
Zu demselben Thema ist anzusehen: 1. Mario Praz, Liebe, Tod und Teufel
in der romantischen Literatur, in 16°, X-505 S., Mailand-Rom, Verl. La
Cultura, 40 L. (die Rezension von L.F. Benedetto im »Leonardo« vom März
1931” ansehen: daraus wird ersichtlich, dass Praz keine genaue Unter-
scheidung zwischen den verschiedenen Graden von Kultur getroffen hat,
daher einige Einwände Benedettos, der im übrigen selbst nicht den
genauen historischen Zusammenhang der literaturgeschichtlichen Frage
zu erfassen scheint); 2. Servais Etienne: Die Gattung des Romans in Frank-
reich vom Erscheinen der »Neuen Heloise« bis zum Vorabend der
Revolution, Verl. Armand Colin; 3. Reginald W. Hartland, Der Schauer-
roman oder »schwarze Roman« von Walpole bis Ann Radhclıiffe und sein
Einfluss auf die französische Literatur bis 1860, Verl. Champion, und vom
selben Autor (beim selben Verleger) Walter Scott und der »frenetische
Roman«’ (Pozners Behauptung, Dostojewskis Roman sei ein » Abenteuer«-
Roman, ist wahrscheinlich von einem Aufsatz von Jacques Riviere über
den »Abenteuerroman« hergeleitet, vielleicht in der »N.R.F.«' erschienen,
was »eine breit angelegte Darstellung von Handlungen, die dramatisch
und psychologisch zugleich sind«, bedeuten würde, wie sie Balzac,
Dostojewski, Dickens und George Eliot konzipiert haben); 4. ein Aufsatz
von Andre Moufflet zum Stil des Fenilletonromans ım »Mercure de
France«’ vom 1. Februar 1931*.

$(15). Bibliographie. N. Atkinson, Eugene Sue und der Feuilleton-


roman, in 8°, 226 S., Paris, Nizet et Bastard, 40 Fr.'

* Im Mes. sind die nach S. 37 folgenden Seiten frei geblieben, mit Ausnahme einer kleinen Notiz auf S. 155.
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KRITISCHER APPARAT ZU HEFT I6
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MANUSKRIPT-BESCHREIBUNG VON HEFT 16 (XXIII): 1933-34

Liniertes Schulheft (14,8 x 20,5 cm), jede Seite mit 22 Zeilen; Umschlag aus
flexiblem Karton, blau mit dunklen Verzierungen. Die erste Umschlagseite trägt
unten die gedruckte Aufschrift: Cartolerie Ditta Cugini Rossi, - Roma. Am
oberen Rand trägt ein von Tatjana nach Gramscis Tod aufgeklebtes Etikett die
folgenden Hinweise: »Vollständig von S. 1 bis 72. XXII«.
Auf den ersten drei Zeilen der ersten Heftseite liest man die folgende Notiz:
»Das vorliegende Heft enthält nummerierte Blätter von eins bis sechsunddreißig,
der Matrikelnummer 7047 Gramsci Antonio gehörend«; es folgt der Gefängnis-
stempel (Casa penale speciale di Turı), versehen mit dem Kürzel VA (Vincenzo
Azzarıitı). In der Mitte der siebten Zeile von Gramscis Hand der Titel des Heftes:
Kulturthemen. 1.
Heft von 36 Blatt mit insgesamt 72 Seiten. Jede Seite ist auf der Vorderseite von
der Gefängnisleitung numeriert und abgestempelt. Das Heft ist vollständig
benutzt, mit Ausnahme folgender freigelassener Stellen: S. 1 (freigelassen, bis auf
die beschriebenen Notizen); S. 1a (freigelassen); 5.36 (die beiden letzten Zeilen
freigelassen). Gramsci benutzt wie gewöhnlich auch den rechten Rand jeder
Seite.
Das Heft umfasst dreißig Notizen: 29 C-Texte und 1 B-Text.
Heft 16 (XXII) gehört noch zur Gruppe der Turi-Hefte, wie der Gefängnis-
stempel zeigt. Dennoch ist die einzige neue von Gramsci benutzte Quelle,
die wir mit Sicherheit feststellen konnten, vom Februar 1934 (vgl. $11 und
Anm. 10). Wahrscheinlich ist jedoch das Heft in Turi lediglich begonnen und
nach Gramscis Verlegung in die Cusumano-Klinik von Formia vervollständigt
worden.
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A739

ANMERKUNGEN ZU HEFT 16 (XXI)

- $1. Die Religion, das Lotto und das Opium des Elends.
C-Text (bereits in MACH, 228-91): unter Verwendung von A-Texten aus Heft 8,
$$209, 228, 230, sämtlich unter dem Titel Die Religion, das Lotto und das Opium
des Volkes, vgl. Bd. 5, 1060f, 1076ff, sowie dem $241, ebd., 1083.
° Vgl. Anm. Oc zu Heft 8, $209, Bd. 5, A477.
% Letteratura della nuova Italia.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 8, $209, Bd. 5, A477.
» Vgl. Anm. Oa zu Heft 8, ebd.
? Vgl. Anm. 2, ebd.
’> Vgl. Anm. 1 zu Heft 8, $230, Bd. 5, A485.
Apologie de la religion chretienne.
» Vgl. Anm. 1c zu Heft 8, $230, Bd. 5, A485.
* Vgl. Anm. 2, ebd.
° Vgl. Anm. 3 zu Heft 8, $228, Bd. 5, A484f.
° Vgl. Anm. 4 zu Heft 8, $228, Bd. 5, A485.
” Vgl. Anm. 5, ebd.
® Vgl. Anm. 3 zu Heft 8, $230, Bd. 5, A485.
° Gramsci spielt hier aller Wahrscheinlichkeit nach auf den »Manchester
Guardian Weekly« an, der mit dem »Labour Monthly« zu den beiden eng-
lischen Publikationen zählte, die er in Turi verfolgte: vgl. Anm. 1 zu Heft,
569, Bd. 4, A403.

$2. Methodenfragen.
C-Text (bereits in MS, 76-79): unter Verwendung eines A-Textes aus H. 4, $1, vgl.
Bd. 3, 457ff.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 4, $1, Bd. 3, A215.
?2 Vgl. Anm. 2, ebd.
’ Vgl. Anm. 3, ebd.

$3. Ein Repertoire der Philosophie der Praxis.


C-Text (bereits in MS, 102f): unter Verwendung zweier A-Texte aus Heft 4, $9:
Ein Repertoire des Marxismus, und $5: Historischer Materialismus und prak-
tische Kriterien oder Regeln zur Interpretation der Geschichte und der Politik,
vgl. Bd. 3, 470, 463-66.
A 740 Anmerkungen zu Heft 16 - $3-$6

! Es handelt sich um das Reclambändchen (Leipzig), das eine Auswahl


Marxscher Texte enthält, die von Gramsci in Heft 7 so gut wie vollständig
übersetzt worden sind: Marx, Lohnarbeit und Kapıtal, Zur Judenfrage und
andere Schriften aus der Frühzeit, aaO. (vgl. Heftbeschreibung). Ernst Drahns
Einführung, die Gramsci hier erwähnt, findet sich auf den Seiten 3-14 dieses
Bändchens: auf S. 14 wird Drahns bibliographische Arbeit erwähnt (Marx-
Bibliographie, Berlin 1923).
? Vgl. zu Bernheims Buch Anm. 2 zu Heft 4, $5, Bd. 3, A218.
3 Der Titel »Kritisches Wörterbuch« ist hier aller Wahrscheinlichkeit nach eine
Abwandlung des sonst in den Heften verwendeten Rubriktitels »Enzyklopä-
dische Begriffe«.

$4. Die Zeitungen der großen Hauptstädte.


C-Text (bereits in INT, 157f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 4, $89:
Kulturthemen, vgl. Bd. 3, 568.

65. Der Einfluss der arabischen Kultur in der westlichen Zivilisation.


C-Text (bereits in INT, 82): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 4, $ 92:
Kulturthemen, vgl. Bd. 3, 570.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 4, $92, Bd. 3, A260.
? Vgl. Anm. 2, ebd.

$6. Derantike Kapitalismus und ein Streit zwischen Modernen.


C-Text (bereits in INT, 187f): unter teilweiser Verwendung eines A-Textes aus
Heft 4, $60: Kulturthemen, vgl. Bd. 3, 545.
' Vgl. Anm. 2 zu Heft 2, $99, Bd. 2, A130.
? Mit diesem Buch Barbagallos hat sich Gramsci ausführlicher in Heft 3, $ 112,
Bd. 2, 418, beschäftigt.
° Vgl. Corrado Barbagallo, Storia Universale, 5 Bde., Utet, Turin 1931-38.
* Vgl. Anm. 17 zu Heft 1, $25, Bd. 1, A24.
Zum Motiv der Farce, die auf die Tragödie folgt, vgl. Marx, Der achtzehnte
Brumaire des Louis Bonaparte, MEW 8, 115.
° Vgl. Anm. 3 zu Heft 4, $60, Bd. 3, A249f.
° Vgl. Anm. 4 zu Heft 4, $60, Bd. 3, A250.
” Vgl. Anm. 5, ebd.
Vgl. Corrado Barbagallo, I! materialismo storico, Federazione Italiana delle
Biblioteche Popolari, Mailand 1917.
Im A-Text heißt es entschiedener, dass er »dem Lorianismus« verbunden sei
(vgl. $60, Heft 4, Bd. 3, 546). Auch wird Barbagallo im A-Text als »historischer
Materialist«, hier als Anhänger der Philosophie der Praxis bezeichnet.
Anmerkungen zu Heft 16 - $7-$9 A741

$7. Die Weltfunktion Londons.


C-Text (bereits in PP, 208f): unter Verwendung des zweiten Teils des lketin
A-Textes aus Heft 4, $60, vgl. Bd. 3, 546.
' Vgl. Anm. 6 zu Heft 4, $60, Bd. 3, A250.
? Die Anspielung bezieht sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf das Buch von
Guido De Ruggiero, L’impero britannico dopo la guerra- Das britische Empire
nach dem Krieg, Vallecchi, Florenz, 1921. Eine eingehende Besprechung dieses
Buches, gezeichnet Mario Sarmati (Pseudonym von Umberto Calosso), war
ih der Tageszeitung »L’Ordine Nuovo« vom 20. Dezember 1921 (1. Jg.,
Nr. 352) erschienen.
° Vgl. Anm. 7 zu Heft 4, $60, Bd. 3, A250.

$8. Roberto Ardigö und die Philosophie der Praxis.


C-Text (bereits in INT, 177-80): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 4, $6,
vgl. Bd. 3, 466ff.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 4, $6, Bd. 3, A218f.
? Vgl. Anm. 2 zu Heft 4, $6, Bd. 3, A219.
’ Vgl. Anm. 3, ebd.
* Vgl. Anm. 4, ebd.
° Vgl. Anm. 5, ebd.
* Vgl. Anm. 6, ebd.
” Vgl. Anm. 7, ebd.
® Vgl. Anm. 8, ebd.
° Vgl. Anm. 9, ebd.

$9. Einige Probleme in Bezug auf das Studium der Entwicklung der Philosophie
der Praxıs.
C-Text (bereits in MS, 81-89): unter Verwendung zweier A-Texte aus Heft 4, $3:
Zwei Aspekte des Marxismus, und $ 24: Die Restauration und der Historizismus,
vgl. Bd. 3, 459-63, 481.
! Vgl. Plechanow, Grundprobleme des Marxismus, aaO., 137, Anm. 1: »Meın
Freund Viktor Adler hatte sehr recht, als er in seinem am Beerdigungstag von
Engels veröffentlichten Artikel erklärte, dass der Sozialismus, wie ihn Marx
und Engels verstanden haben, nicht bloß eine ökonomische, vielmehr eine
universale Lehre sei (ich zitiere nach der italienischen Ausgabe: Friedrich
Engels, Politische Oekonomie. Mit Einführung und bio-bibliographischen
Notizen von Filippo Turati, Viktor Adler und Karl Kautsky, Mailand
1895). Je richtiger aber diese Charakteristik des Sozialismus, wie ihn Marx
und Engels verstanden haben«, um so befremdender wirkt es, wenn Viktor
Adler die Möglichkeit einräumt, dass die materialistische Grundlage dieser
A 742 Anmerkungen zu Heft 16 - $9-$10

»universalen Lehre< durch die Kantische ersetzt werden könne. Was soll man
von einer universalen Lehre denken, deren philosophische Grundlage in
keinem Zusammenhang mit ihrem ganzen Aufbau steht?« Wahrscheinlich
dachte Gramsci an diesen Passus bei der (im C-Text hinzugefügten) Ver-
weisung auf Plechanows Stellung zu der von ihm aufgeworfenen Frage nach
dem Verhältnis zwischen Marxismus und anderen philosophischen Orientie-
rungen.
Vgl. Sando Diambrini Palazzi, /l pensiero filosofico di Antonio Labriola, con
prefazione di Rodolfo Mondolfo, Zanichelli, Bologna 1922 [FG, C.carc., Turi
IT]; Gramsci besaß dieses Buch vor seiner Verhaftung.
Zu dem von Gramsci wiederholt erwähnten Buch von Monsignore Francesco
Olgiati über Marx vgl. Anm. 4 zu Heft 7, $33, Bd. 4, A392.
Vgl. Anm. 1 zu Heft 4, $3, Bd. 3, A217.
Vgl. Anm. 4 zu Heft 3, $31, Bd. 2, A154.
Vgl. Anm. 4 zu Heft 4, $3, Bd. 3, A217.
Accomunati nella stessa fe /Decapitaro Emmanuel Kant ıddio. Massimiliano
Robespierre ıl re. - Vgl. zum selben Thema Heft 8, $208, Bd. 5, 1058.
Im Original: »riforma«, also dasselbe Wort, das in Großschreibung »Refor-
mation« bedeutet. Vgl. Anm. 3b zu Heft 10.1, $11, Bd. 6, A566, sowie
Gramscis Brief an Julia vom 28.11.32, Briefe 1, 124.
Vgl. hierzu Heft 14, $26, Bd. 7, 1650ff.
Zu dem Hinweis auf Sorels Aussage in einem Brief an Missiroli vgl. Heft 4,
$44, Bd. 3, 508f, und Heft 10.II, $41.XIII, Bd. 6, 1328f. Angesichts dieser
Parallelstellen schien es angebracht, den Sinn dieses Absatzes mit einer redak-
tionellen Einfügung zu verändern, die im Text durch die üblichen spitzen
Klammern angezeigt ist.
N]=
Das Motiv vom Menschen bzw. der Vorstellung von demselben, die es vom
Kopf auf die Füße zu stellen« gelte, taucht in den Gefängnisheften zum ersten
Mal auf in H. 1, $152 (vgl. dazu die dortige Anm. 1, A87), dann wieder inH. 1,
$155, H. 10.11, $1, und H. 10.11, $60: Der Satz, dass »der Mensch wieder auf
die Füße« gestellt werden muß.
Vgl. Anm. 7 zu Heft 4, $3, Bd. 3, A217.
* Die Legationen waren von einem päpstlichen Legaten geleitete Verwaltungs-
einheiten des Kirchenstaates.

$10. Die Religion, das Lotto und das Opium des Elend.
B-Text (bereits in MACH, 291f).
0
Du fondement de l’induction.
Diese Hinweise sind dem Vorwort Guido De Ruggieros zu dem Buch von
Julien Lachelier entnommen, Psicologia e metafisica, ins Ital. übers. v. Guido
De Ruggiero, Laterza, Bari 1915, vgl. bes. S. IX. Höchstwahrscheinlich hatte
Anmerkungen zu Heft 16 - $10-$ 11 A 743

Gramsci die Gelegenheit zur Einsichtnahme in diesen nicht unter den


Gefängnis-Büchern überlieferten Band Lacheliers, als er in der Klinik in
Formia war.
In Wirklichkeit finden sich weitere Bezugnahmen auf Pascals Wette, enthalten
in Heft 8, $$228 und 230, sowie in $1 des vorliegenden Heftes 16.

$11. Beziehungen zwischen Staat und Kirche.


C-Text (bereits inMACH, 249-57): unter Verwendung zweier A-Texte mit dem-
selben Titel aus Heft 1, $$ 3 und 5 (Bd. 1, 69f), und zweier A-Texte aus Heft 4,
$54: 1918, und $53: Konkordate und internationale Verträge; vgl. Bd. 3, 533-38.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $3, Bd. 1, A13.
? Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $5, Bd. 1, A13.
° Vgl. Anm. 1 und 2 zu Heft 4, $54, Bd. 3, A247.
* Vgl. Anm. 1 zu Heft 4, $53, Bd. 3, A246.
5 Vgl. Anm. 2, ebd.
° Vgl. Anm. 3, ebd.
6 Vgl. Anm. 3a, ebd.
° Im Original: »potenza«.
” Vgl. Anm. 4 zu Heft 4, $53, Bd. 3, A246f.
”®* Zu Robert Bellarmin vgl. Heft 6, $151, Bd. 4, 822; sowie Heft 9, $31, Bd. 5,
1102. An diesen Stellen ist jeweils von »potere indiretto« — »indirekter
Macht« die Rede.
® Vgl. Anm. 5 zu Heft 4, $53, Bd. 3, A247.
° Vgl. Anm. 6, ebd.
1° Mit dem Königlichen Gesetzeserlass vom 3. Februar 1934, mit dem die Aus-
gabe eines kündbaren Anleihens zu 3,5% beschlossen wurde, um die 5 %-
Rendite der konsolidierten Schuld und des Littorio zu ersetzen, wurde zu-
gleich bestimmt, dass die Zinskürzung ab 1937 in Kraft treten sollte. Der von
Gramsci angegebene Betrag von 15 Millionen, um den die Jahresrenditen des
Vatikans schrumpfen sollten, bezieht sich auf die vom Vatikan gehaltene
1 Milliarde Lire an Staatstiteln, die statt 50 Millionen (bei einer Rendite von
5%) nach der Umwandlung nur noch 35 Millionen einbringen würden. Für
weitere Einzelheiten vgl. Pietro Grifone, Il capitale finanziario in Italia, Turin
1945, 128f.
11
Vgl. Francesco Salata, Per la storia diplomatica della Quistione Romana, |:
Da Cavour alla Triplice Alleanza (Zur Diplomatiegeschichte der Römischen
Frage - Von Cavour zum Dreibund), aaO., 244f. Die Hervorhebungen sınd
von Gramscı.
A 744 Anmerkungen zu Heft 16 - $12-$13

$12. Natürlich, widernatürlich, künstlich, usw.


C-Text (bereits in PP, 200-4): unter Verwendung von A-Texten aus Heft 8, $151,
$153, $156, $159: alle unter dem Titel Kulturthemen. Natürlich, widernatürlich,
usw., vgl. Bd. 5, 1026-31.
° Vgl. Anm. 2b zu Heft 7, $35, Bd. 4, A393.
%@ Vgl. Anm. 1a zu Heft 8, $ 156, Bd. 5, A465.
%b Vgl. Anm. 1b, ebd.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 8, $151, Bd. 5, A463.

$13. Populärer Ursprung des »Übermenschen«.


C-Text (bereits in LVN, 122ff): unter Verwendung mehrerer A-Texte aus Heft 14,
$4: Popularliteratur; $27,$30 und einem A-Text aus Heft 8, $242, jeweils unter
dem Titel Popularliteratur. Populäre Ursprünge des »Übermenschen«; vgl. Bd. 7,
1627f, 1652, 1655; Bd. 5, 1083.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 14, $4, Bd. 7, A676.
? Vgl. Anm. 2, ebd.
’ Vgl. Heft 6, $108 und Anm. 2, Bd. 4, 797 und A346.
’% Vgl. Anm. 3a zu Heft 14, $4, Bd. 7, A676.
* Vgl. Anm. 4, ebd.
% Vgl. Anm. 0 zu Heft 14, $27, Bd. 7, A683.
Henri de Boulainvilliers, ein französischer Graf, versuchte im 18. Jahrhundert
die sozialen Privilegien seines Standes zu legitimieren, indem er den fran-
zösischen Adel zum Nachkommen der fränkischen Rasse erklärte, welche die
keltischen Ureinwohner unterworfen hatte - eine Auffassung, die im 19. Jahr-
hundert in Deutschland in die Richtung einer natürlichen Überlegenheit der
»Germanen« über die »Romanen« ausgearbeitet wurde (vgl. Georg Lukäcs,
Die Zerstörung der Vernunft, Kap. 7, Berlin/DDR 1954). Eugene Sue nimmt
in seinem Roman Les mysteres du peuple (1849-57) den Gegensatz von
Franken und Kelten auf und wendet ihn sozialkriıtisch; »Gallizismus« heißt
hier Parteinahme für die unteren Klassen. Vgl. auch Heft 17, $43, im vor-
liegenden Band.
° Vgl. Anm. 2 zu Heft 14, $27, Bd. 7, A684.
‘* Vgl. Anm. 1 zu Heft 14, $30, Bd. 7, A684f.
Ilmarchese di Priola; L’artiglio.
Mit einigen Arbeiten Henry Bernsteins wie auch mit dem »klassischen« Re-
pertoire Ruggero Ruggeris hatte sich Gramsci in den »Cronache teatrali«
(Theaterberichten) von 1916 bis 1920 befasst (vgl. LVN 229, 303ff, 305f, 357).
Auch L’Artiglio, das Gramsci zu Ruggeris Repertoire zählt, stammt von
Bernstein; Il marchese di Priola ıst indes von Henri Lavedan.
Anmerkungen zu Heft 16 - $14-$ 18 A 745

$14. Beziehungen zwischen Staat und Kirche.


C-Text (bereits in MACH, 257f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 4,
$94: Konkordat, und eines A-Textes aus Heft 14, $44: Konkordate, vgl. Bd. 3,
573; Bd. 7, 1666f.
1
Vgl. den vorangehenden $11.
? Vgl. Anm. 1 zu Heft 4, $94, Bd. 3, A261.
° Vgl. Anm. 1 zu Heft 14, $44, Bd. 7, A689. Der genaue Titel von Morellos
Buch lautet, wie im A-Text, I! conflitto dopo la Conciliazione - Der Konflikt
nach der Aussöhnung.
% Vgl. Anm. la zu Heft 14, $44, Bd. 7, A689.

$15. Populärer Ursprung des Übermenschen.


C-Text (bereits in LVN, 142): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 15, $68:
Kulturthemen, vgl. Bd. 7, 1785.
1
Vgl. den vorangehenden $13.
? Vgl. Anm. 1 zu Heft 15, $68, Bd. 7, A719.

$16. Die Begründer der Philosophie der Praxis und Italien.


C-Text (bereits in MS, 103f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $97:
Marx-Engels und Italien, vgl. Bd. 5, 1145.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $97, Bd. 5, A523.
2 Vgl. Heft6,$199, Bd. 4, 847.
’ Vgl. Anm. 3 zu Heft 9, $97, Bd. 5, A523.
* Vgl. Anm. 4 zu Heft 9, $97, Bd. 5, A524.

$17. Die Tendenz, den Gegner herabzusetzen.


C-Text (bereits in PP, 6ff): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 8, $ 158:
Kulturthemen. Die Tendenz, den Gegner herabzusetzen, und eines A-Textes aus
Heft 9, $95, mit demselben Titel, vgl. Bd. 5, 1030f; Bd. 5, 1144.
° Im Original: »di vedere le cose oleograficamente<; P: »ä voir les choses
comme dans les grandes machines Epiques de la peinture ä l’huile«.
! Vgl. Anm. 3 zu Heft 9, $14, Bd. 5, A504.

$18. »Paritär und paritätisch«.


C-Text (bereits in PP, 160): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $41:
Enzyklopädische Begriffe. »Gleichberechtigt«, vgl. Bd. 5, 1107.
° Internationale Arbeitsorganısation.
A 746 Anmerkungen zu Heft 16 - $19-$22

$19. Der katholische Arzt und der nichtkatholische Kranke (Sterbende).


C-Text (bereits in MACH, 299f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9,
$ 128: Katholizismus, vgl. Bd. 5, 1175.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $128, Bd. 5, A532.

$20. Die Neuerungen im Prozessrecht und die Philosophie der Praxis.


C-Text (bereits in PP, 184f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 1, $113:
Revolution im Strafrecht und im Strafverfahren und historischer Materialismus
(Bd. 1,159).
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $113, Bd. 1, A75f.

$21. Redekunst, Gespräch, Bildung.


C-Text (bereits in PP, 179-82): unter Verwendung zweier A-Texte aus Heft 1,
$122: Anstöße und Anregungen, und $ 153: Gespräch und Bildung, vgl. Bd. 1,
170 und 190ff.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $122, Bd. 1, A80.
?2 Vgl. Anm. 2 zu Heft 1, ebd.
Die »Domenica del Corriere« war die unterhaltsame Wochenendausgabe des
»Corriere della Sera«, der »Corriere dei Piccoli« dessen Ausgabe für Kinder.
’ Vgl. Anm. 3 zu Heft 1, $153, Bd. 1, A88.
E Vgl. Heft 8, 6229, Bd. 5, 1077.
Anspielung auf eine Passage in Engels’ Antidührung; vgl. Anm. 5 zu Heft 1,
$153, Bd. 1, A89, sowie Heft 4, $ 18, Bd. 3, 477.
° Vgl. Anm. 6 zu Heft 1, $153, Bd. 1, A89.
Es handelt sich um die C-Texte von Heft 12, Aufzeichnungen und verstreute
Notizen für eine Gruppe von Aufsätzen über die Geschichte der Intellek-
tuellen, Bd. 7, 1495-1532.

$22. Religiöses Empfinden und Intellektuelle des 19. Jahrhunderts (bis zum
Weltkrieg).
C-Text (teilweise bereits in LVN, 192f): unter Verwendung von A-Texten aus
Heft 1, $$ 19 (teilweise), 21, 22 und 23, vgl. Bd. 1, 76ff.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $19, Bd. 1, A16.
'* Im Original: »temporalista«; P: »partisan du pouvoir temporel«.
Gramscı unterläuft hier eine Ungenauigkeit. Es handelt sich nicht um Nach-
wahlen, sondern um die allgemeinen Wahlen zur Abgeordnetenkammer vom
Oktober 1913: Damals hatte der »Corriere della Sera« die Kandidatur des
katholischen Marchese Carlo Ottavio Cornaggia im 4. Wahlkreis von Mai-
land bekämpft, der von den Mailänder Konstitutionellen Vereinigungen auf
der Grundlage des Gentiloni-Paktes unterstützt wurde. Gegen Cornaggia
Anmerkungen zu Heft 16 - $ 22-$26 A 747

hatte der »Corriere della Sera« die Kandidatur des Liberalen Iro Bonzi unter-
stützt; es wurde schließlich kein Sozialist, sondern der Radikale Luigi Gaspa-
rotto gewählt (vgl. Luigi Albertini, Venti anni di vita politica, Teil 1, Bd. 2,
Zanichelli, Bologna, 244-51).
Der Gentiloni-Pakt, benannt nach dem Präsidenten der Katholischen Wäh-
lerunion, sah vor, dass die Katholiken in den Wahlkreisen, in denen sich ein
Sieg des sozialistischen Kandidaten abzeichnete, für die liberalen Kandidaten
stimmen sollten. Dafür verpflichteten sich die Liberalen, im Parlament nicht
für die Einführung der Scheidung oder die Abschaffung des Religionsunter-
richts in den öffentlichen Schulen zu stimmen (vgl. G. Procacci, Geschichte
Italiens und der Italiener, München 1983, 339).

$23. Märchenritter (oder Märchenprinzen), Hornissen und Mistkäfer.


C-Text (bereits in PP, 63f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 1, $2: Von
Angesicht zu Angesicht mit dem Feind, vg. Bd. 1, 68f.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $2, Bd. 1, A11f.
?2 Vgl. Anm. 2 zu Heft 1, $2, Bd. 1, A12.
° Vgl. Anm. 3, ebd.
* Vgl. Anm. 4 zu Heft 1, $2, Bd. 1, A12f.

624. Lehrstück vom Kadı


C-Text (bereits in PP, 226): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $49:
Lehrstücke, vgl. Bd. 5, 1112.
! Es handelt sich höchstwahrscheinlich um die Erzählung Storia di Harun Ar-
Rashid con Ali ilpersiano, ci segue ilracconto del sacco e del curdo (Geschichte
Harun Ar-Raschids mit Ali dem Perser, gefolgt von der Erzählung vom Sack
und dem Kurden): vgl. Le mille e una notte, erste vollständige Übersetzung
aus dem Arabischen, herausgegeben von Francesco Gabrieli, Einaudi, Turin
1972, Bd. 2, 208-11.- Vgl. auch Anm. 0 zu Heft 9, $49, Bd. 5, A511.

$25. Das kleinere Übel oder das weniger Schlechte.


C-Text (bereits in PP, 191): unter Verwendung zweier A-Texte aus Heft 9, $7:
Kulturthemen. Das kleinere Übel, und $45: Vergangenheit und Gegenwart, vgl.
Bd. 5, 1089 und 1111.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $7, Bd. 5, A502.

$26. Die Bewegung und das Ziel.


C-Text (bereits in PP, 190f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $6:
Kulturthemen. Die Bewegung und das Ziel, vgl. Bd. 5, 1089.
° Vico versucht mit dem Begriff der Vorsehung den Widerspruch zu denken,
dass zwar einerseits die Menschen ihre Welt »gemacht« haben, andererseits
A 748 Anmerkungen zu Heft 16 - $26-$ 30

diese Welt aber doch einem »Geist« entsprungen sein muss, der dafür gesorgt
hat, dass die einander sich durchkreuzenden und »beschränkten Zwecke« der
Menschen trotz dieses Gegeneinanders in der Erhaltung des Menschen-
geschlechts konvergieren (vgl. Prinzipien einer Neuen Wissenschaft, Schluss,
Abs. 1108; zit. n. der Ausgabe v. Hösle/Jermann, Hamburg 1990, 606). Der
Begriff hat also, wie Croce bemerkt hat, nichts mit einer »transzendenten und
wunderwirkenden Vorsehung« zu tun, sondern ist eine Form, in der sich die
»Rationalität der Geschichte« artikuliert, die ihre Vernunft gegen den Willen
der einzelnen Akteure durchsetzt (Die Philosophie Giambattista Vicos,
Tübingen 1927, 98). Vgl. auch H. 15, $ 11, wo die »List der Vorsehung« auf die
Geschichte des Risorgimento bezogen wird.

$27. Max Nordan.


C-Text (bereits in PP, 218): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $13:
Kulturthemen. Max Nordan, vgl. Bd. 5, 1093.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $13, Bd. 5, A504.

628. Frondienste.
C-Text (bereits in PP, 192f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $3:
Enzyklopädische Begriffe. Frondienste, vgl. Bd. 5, 1088.
° Vgl. Anm. 0 zu Heft 9, $3, Bd. 5, A501.
% Vgl. Anm. 0a, ebd.
% Vgl. Anm. Ob zu Heft 9, $3, Bd. 5, A502.
°° Wörtl.: »Akademie der Liebhaber des Ackerbaus« - in Anlehnung an die
»Georgica« Vergils, die den Ackerbau behandeln; gegründet 1753 in Florenz.
Im Original: »patti«, Vereinbarungen. Im A-Text: »fatti«, Tatsachen — was ein
Schreibfehler sein muss.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $3, Bd. 5, A502.

$29. Pedantische Diskussionen, Haarspaltereien, usw.


C-Text (bereits in PP, 191f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $44:
Kulturthemen. Diskussionen, Haarspaltereien usw., vgl. Bd. 5, 1110f.
1
Vgl. den vorangehenden $21.

630. Tempo.
C-Text (bereits in PP, 215): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $47:
Enzyklopädische Begriffe. Tempo, vgl. Bd. 5, 1112.
KRITISCHER APPARAT ZU HEFT 17
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MANUSKRIPT-BESCHREIBUNG VON HEFT 17 (IV): 1933-35

Liniertes Schulheft (15 cm x 20,5 cm); jede Seite mit 22 Zeilen; Umschlag karto-
niert, rotschwarz, marmoriert; auf der vierten Umschlagsseite gedrucktes Signet
des Verlagshauses Laterza; in der Mitte der ersten Umschlagsseite enthält ein
aufgedrucktes Etikett die folgenden mit Tinte geschriebenen Angaben: »Das
vorliegende Heft enthält nummerierte Blätter von eins bis vierzig, dem Häftling
Gramsci Antonio, Matrikel 7047, gehörend«. Ein weiteres, von Tatjana nach
Gramscis Tod aufgeklebtes Etikett enthält die folgenden Angaben: » Unvoll-
ständig IV, 40 S.«. Auf der zweiten Umschlagsseite, oben, mit Tinte, eine Angabe
von Gramscis Hand: »1933 Miszellen«.
Heft von 40 Blatt, nur auf der Vorderseite [nummeriert]. Die Rückseite jedes
Blattes trägt links unten den Gefängnisstempel mit der neuen Aufschrift: »Straf-
anstalt für körperlich und geistig Behinderte« (»Casa penale per minorati fisici e
psichici)« Turi (Bari). Der Stempel auf der letzten Seite ($. 40a) ist mit Bleistift
signiert vom Gefängnisdirektor (P. Sorrentino). Das Heft ist nur teilweise
benutzt, genauer von S. 1 bis 22. Von $. 1 bis 17 erstrecken sich die Notizen über
die ganze Seite, einschließlich der Seitenränder; von $. 17a bis $. 22 ist der linke
Rand jeder Seite freigelassen. Im benutzten Teil des Heftes sind folgende Stellen
freigelassen: die letzten sieben Zeilen von S. 19a, die letzten fünf Zeilen von $. 22.
Das Heft enthält 53 Notizen: 52 B-Texte und 1 A-Text; die erste Notiz (Huma-
nismus und Renaissance) und die dreiunddreißigste (Humanismus-Renaissance)
sind ohne Paragraphenzeichen; diese wurden in der vorliegenden Ausgabe
redaktionell ergänzt. Unveröffentlicht ist nur der $17 (Kulturthemen).
Dieses Heft enthält die Entwürfe zu zwei Gesuchen, die Gramsci zwischen 1934
und 1935 von Formia aus abschickte. Das erste ist nicht datiert, stammt aber vom
September 1934. Die von Gramsci eingereichte endgültige Abschrift befindet
sich heute im politischen Zentralregister des Zentralstaatsarchiv und ist von
Costanzo Casucci publiziert worden: Gramscis Briefwechsel im politischen Zen-
tralregister (Il carteggio di Gramsci
nel Casellario politico centrale), in »Rassegna
degli Archivi di Stato«, September-Dezember 1965, (25. Jg., Nr. 3), 431f. Das
Konzept ist zwischen $. 19 und 19a niedergelegt und unterbricht die reguläre
Abfolge der Niederschrift zwischen $47 und $48. Wir geben hier den voll-
ständigen Text wieder, der folgendermaßen überschrieben ist: Gesuch des Häftlings
Antonio Gramsci, gegenwärtig eingeliefert und streng bewacht in Dr. Cusumanos
Klinik in Formia, an S.E.B. Mussolini, Regierungschef.
8732 Manuskript-Beschreibung von Heft 17

»Da ich mich in dem vom Strafgesetzbuch Art. 176 genannten Zustand befinde,
um in den Genuss der Freilassung auf Bewährung zu kommen... Wegen meines
äußerst schlechten Gesundheitszustandes hat mir im Dezember des vergangenen
Jahres Eure Exz. auf Gesuch meiner Familie gewährt, in eine Privatklinik ein-
gewiesen zu werden, unter der Bewachung der Karabinieri. Die neuen Lebens-
bedingungen haben es jedoch, angesichts der Art meines Leidens, nicht erlaubt,
die Ergebnisse zu erreichen, die man erhoffen konnte, und die geringfügige
Besserung, die erreicht wurde, droht mit dem Beginn des Herbstes aufs Neue
zunichte gemacht zu werden, während der von den langen früheren Leiden zer-
rüttete Organismus nicht imstande ist, neue Krisen zu überwinden.
Ich bitte E.E., sich dafür verwenden zu wollen, dass mir eine Existenzbedingung
zugestanden wird, die mir in den dafür am geeignetsten erachteten Formen die
Möglichkeit gibt, die akutesten Formen meines Übels, das seit vier Jahren mein
Nervensystem zerstört und das Dasein zu einer ständigen Qual gemacht hat,
wenn nicht gänzlich zu unterdrücken, so doch abzuschwächen. Überwachte
Freiheit, polizeiliche Wohnortsbeschränkung, Behandlung als Verbannter: was
ich Sie bitte, mir gewähren zu wollen, ist das Ende der Lage als Häftling im en-
geren Sinn mit allen Formen der strengen Überwachung und Beaufsichtigung
bei Tag und bei Nacht rund um die Uhr, welche die Erholung und die Ruhe
verhindert, die in meinem Fall notwendig sind, um die fortschreitende und
peinigende Zerstörung des Organismus aufzuhalten. Der Artikel 191 des gelten-
den Gefängnisreglements verlangt, dass der Verurteilte, der ein Gesuch um Ge-
währung der überwachten Freiheit einreicht, die Gemeinde angibt, wo er, im
Falle der Annahme des Gesuchs, seinen Wohnsitz zu nehmen gedenkt. Ange-
sichts der besonderen Umstände dieses meines Gesuchs bitte ich darum, dass
mir, im Falle der Annahme, gewährt werde, ein Sanatorium aufzusuchen, da ich
darauf angewiesen bin, in einer Spezialklinik oder in der Nähe einer Spezial-
klinik unterzukommen.«
Der zweite Entwurf, unvollendet abgebrochen und teilweise mit breiten Feder-
strichen durchgestrichen, ist zwischen den Seiten 21b und 22 abgefasst und
trennt die $$52 und 53. Wir geben im folgenden den mit Valenti, Gen.insp. der
SiPo - 19. Juni 1935 überschriebenen Text wieder:
»Sehr geehrter Herr Inspektor, ich appelliere an Ihre Freundlichkeit, dass Sie den
Abschluss meines laufenden Verfahrens vorantreiben. Es handelt sich nicht um
eine nervöse Eile meinerseits (obwohl der Zustand meiner Nerven sehr schlecht
ist), sondern um eine überlegte Dringlichkeit, wie Sie selbst urteilen können. Das
letzte Mal, als wir uns begegnet sind, konnten Sie selbst feststellen, wie ich an
einem Gichtanfall litt, obwohl seit Jahr und Tag, gerade aufgrund meiner
Lebensbedingungen, meine Ernährung der genügsamsten und maßvollsten Art
ist (ich bin immer abstinent gewesen und esse seit acht Jahren kein Fleisch).
Vor einigen Wochen hat Doktor Giordano, ein römischer Arzt, der usw., als er
mich einer allgemeinen Untersuchung unterzog, in der ersten Untersuchung
sofort herausgefunden, dass ich an einer sogenannten »Diatese« am Bauchnabel litt,
ein euphemistischer Ausdruck für einen Nabelbruch im Anfangsstadium, der
viel gefährlicher ist als ein Leistenbruch im Anfangsstadium. Die Untersuchung
Manuskript-Beschreibung von Heft 17 A 753

wurde in Anwesenheit des Dr. Ruggero, Assistent des Klinikdirektors Dr.


Cusumano, vorgenommen. Nur auf mein verzweifeltes Drängen hin gelang es
mir, eine Ernährung (oder Nicht-Ernährung) zu erhalten, die«
Die von Gramsci eingereichte Abschrift ist ebenfalls im Zentralstaatsarchiv
hinterlegt und im zitierten Artikel von C. Casucci (S. 438) publiziert worden.
In Turi begonnenes und in Formia beendetes Heft. Vom $1 bis $25 werden
systematisch Quellen von August-September 1933 verwendet, die wohl gleich-
zeitig oder wenig vor der Abfassung dieses Teils des Heftes erscheinen. In Turi
könnten auch die $$27-33 geschrieben worden sein, die Produkt einer Auswer-
tung von Zeitschriften vom Juni-Juli 1933 sind. Bestimmt in Formia geschrieben
ist die zwischen S$. 16 und S. 22 niedergeschriebene Gruppe von Notizen, be-
ginnend mit $38, worin Gramsci Quellen von Dezember 1933 und Januar 1934
verwendet. Die letzte nachweisbare Quelle stammt vom August 1934 ($47);
es folgt der Entwurf des Gesuchs an den Regierungschef, das im September
desselben Jahres verfasst wurde. Die letzte Gruppe von Paragraphen (47-53),
ebenfalls in Formia niedergeschrieben, ist wegen des Fehlens angegebener oder
aufgefundener Quellen schwieriger zu datieren. Als Bezugspunkt kann das im
Titel des Eingabeentwurfs an den Inspektor der SiPo Valenti erwähnte Datum
(19. Juni 1935) gelten; der Entwurf selbst ist vor dem $53 geschrieben.
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755

ANMERKUNGEN ZU HEFT 17 (IV)

$1. Humanismus und Renaissance.


B-Text (bereits inR, 11).

62. Vergangenheit und Gegenwart.


B-Text (bereits in PP, 132).
1
Diese Definition der Kultur stammt aus einem Leitartikel des »Daily Mail«,
der auszugsweise übersetzt in der »Rassegna settimanale della stampa estera«
vom 1. August 1933 erschienen war (8. Jg., Nr. 31), 1643. Es handelt sich um
einen apologetischen Artikel zum Faschismus; an den von Gramsci zitierten
Passus schließt folgender Kommentar an: »Mussolini hat der Welt gezeigt,
wie diese Form der Kontrolle durch das faschistische Regime mit größtem
Erfolg ausgeübt werden kann.«

63. Humanismus und Renaissance.


B-Text (bereits inR, 13ff).
1
Vgl. Arminio Janner, Problemi del Rinascimento, in der Rubrik »Anmerkungen
und Übersichten« der »Nuova Antologia«, 1. August 1933 (68. Jg., Nr. 1473),
458-63. Der ganze Paragraph ist eine Zusammenfassung dieses Rezensions-
artikels von Janner; Gramscis Kommentare stehen in Klammern. Die Analyse
des Artikels wird im folgenden $8 fortgesetzt.
Vgl. Janner, Problemi del Rinascimento, 459 (das in Klammern Eingefügte ist
von Gramscıi).
2a
Die italienische Übersetzung der Aufsatztitel, // Cristianesimo e l’antichita
nella concezione del primo Rinascimento italiano, Studi sul pensiero del
Rinascimento, Problemi umani e artistici del Rinascimento italiano weicht
beim zweiten Titel leicht vom deutschen Original ab: Studien zur Welt-
anschauung der Renaissance; vgl. Ernst Walser, Gesammelte Studien zur
Geistesgeschichte der Renaissance. Mit einer Einführung von Werner Kaegı.
Herausgegeben von der Stiftung von Schnyder von Wartensee, Basel 1932.
Vgl. ebd., 460. Gramsci kannte das Buch von Giuseppe Toffanin, das sich
unter den Gefängnis-Büchern findet; vgl. Anm. 7 zu Heft 5, $123, Bd. 3,
A294.
A 756 Anmerkungen zu Heft 17 - $4-$8

$4. Vergangenheit und Gegenwart.


B-Text (bereits in PP, 21f).
! Camillo De Meis, Il Sovrano, Laterza, Bari 1910; von Benedetto Croce
besorgte Neuausgabe 1927; vgl. Heft 14, $40 und Anm. 1, Bd. 7, 1663 und
A688.
? Vgl. Heft 6, $176 und Anm. 2, Bd. 4, 835 und A360f.

65. Kulturthemen.
B-Text (bereits in R, 146).
1
Zu diesem Hinweis auf Gioberti vgl. den folgenden $6 und Anm. 1.

$6. Einführung ins Studium der Philosophie.


B-Text (bereits in MS, 287).
' Vincenzo Gioberti, Il rinnovamento civile d’Italia, gekürzte Ausgabe mit
Vorwort, Anmerkungen und Zusammenfassungen von P. A. Menzio, Vallecchi,
Florenz 1925. Auch wenn das Buch nicht in den Beständen des Fondo
Gramsci erhalten ist, kann angenommen werden, dass Gramsci zu dieser Zeit
im Gefängnis ein Exemplar besaß, wie aus diesem und anderen direkten Zita-
ten hervorgeht, abgesehen von zahlreichen Bezugnahmen auf Gioberti in
späteren Paragraphen desselben Heftes. Vgl. außer dem vorhergehenden $5
bes. die $$7, 9, 18 und 28.

$7. Machiavelli. Die Funktion der Intellektuellen.


B-Text (bereits in MACH, 216).
° Der italienische Ausdruck »ingegnos, in der deutschen Ästhetikdiskussion
als »Ingenium«, »Witz« (Wolff, Gottsched) und »Geist« (Bodmer) bezeichnet, in
Frankreich als »esprit«, wird als Ausdruck sowohl für die intellektuelle Tätig-
keit wie für den Tätigen mit »Ingenium« wiedergegeben. Die Übersetzung
grenzt sich sowohl ab gegenüber »Genie« in der Bedeutung »außerordentliches
Individuum« wie »Geist« als ideellem Repräsentanten in der Tradition Hegels
und der Geistesgeschichte; letzterem entspricht it. »spirito«.
Gramsci bezieht sich hier auf die von Gioberti im sechsten Kapitel der
Erneuerung entwickelten Betrachtungen (Von der Demokratie und der Dema-
gogie), die in der zitierten Ausgabe von Menzio auf $. 318f zusammengefasst
sind. Vgl. den vorangehenden $6 und Anm. 1.

(8. Humanismus und Renaissance.


B-Text (bereits in R, 11ff).
Vgl. den vorhergehenden $3.
Anmerkungen zu Heft 17 - $8-$9 A757

?2 Dieser Einschub in Klammern von Gramsci kommentiert folgenden Passus


in Arminio Janners Artikel: »Wieviel Antikuriales auch bei jenen Humanisten
vorhanden sein mochte, fügt Walser hinzu, es habe sich bereits in der mittel-
alterlichen Klerikersatire gefunden. Er sieht hier keinen klaren Schnitt
zwischen Mittelalter und Renaissance; wie im Mittelalter neben gewissen
kritischen Tendenzen gleichzeitig eine Vielzahl von eindeutig orthodoxen
Tendenzen existierten, so beseelte ein tiefer Glaube auch die Humanisten, die
Verfasser von »Fazetien< gegen den Klerus waren« (Janner, Problemi del
Rinascimento, aaO., 460); vgl. Ernst Walser, Gesammelte Studien zur Geistes-
geschichte der Renaissance, aaO., 123ff u. 274f.
2a
Vgl. Ernst Walser, aaO., 97: »Weit aufschlussreicher sodann als das gewissen-
hafte Studium auch der entlegensten Bücher erscheint mir das liebevoll ein-
fühlende Verständnis für die heutigen Italiener. Der ruhige Beobachter, der
nicht bloß in südländischen Archiven und Bibliotheken arbeitet und daneben
in engen Kreisen seiner Landsleute verkehrt, sondern der verständig in Land
und Leute einzudringen versucht, wird mit Erstaunen gewahren, wie die
großen Rätsel der Renaissance, diese verwickelten und doch im Grunde
primitiven Beziehungen zum Sakralen, die Gefühle gegenüber Priester und
Papsttum, die künstlerische und instinktmässige Wertung der äußern schönen
Form, die ganze seltsame Mischung von durchdringend Rationalem, von
ideal abstraktem Gedankenflug und von weich Gefühlsmässigem, dass all die
Gegensätze, die wir mühsam aus den Werken eines Petrarca, Salutati, Machia-
velli, Ariosto, Michelangelo zu begreifen suchen, sich weit besser, natürlich
mutatis mutandis, an der Psyche der heutigen Italiener erforschen lassen.«
> Vgl. Heft 9, $127, Bd. 5, 1174 u. Heft 19, $5 im vorliegenden Bd. 8.
’° Das Buch von Domenico Guerri, La corrente popolare nel Rinascimento.
Berte, burle e baie nella Firenze del Brunellesco e del Burchiello (Die populare
Strömung in der Renaissance. Späße, Scherz und Spott im Florenz Brunellescos
und Burchiellos), Sansoni, Florenz 1931, wird von Gramsci schon in Heft 8,
$68, Bd. 5, 982 erwähnt.
* Dieses Zitat aus Walsers Buch findet sich in Janner, Problemi del Rinascimento,
aaO., 461, bei Walser, Studien zur Weltanschauung der Renaissance, ın: E.
Walser, aaO., S. 126f.

$9. Kulturthemen. Gioberti und der Jakobinismus.


B-Text (bereits in R, 144ff).
! Gramsci hat hier sehr wahrscheinlich folgende Stelle des Rinnovamento
(aaO., 252) vor Augen: »Das Beispiel Frankreichs soll uns Lehrmeister sein.
Hätte es in der vergangenen Zeit sich gegen ganz Europa verteidigen und sein
Wesen als Nation unversehrt erhalten können, wenn es nicht politische Ein-
heit und Konzentrierung von Richtung und Kommando in der Metropole
gehabt hätte? Der nationale Zusammenschluss von damals, geleitet von einem
bewundernswerten Instinkt für Fortschritt und Bewahrung, erkannte, dass
A 758 Anmerkungen zu Heft 17 - $9-$11

die Sekte der Föderalen (Girondisten) schrecklicher war als der äußere Krieg;
dergestalt dass er, obwohl diese ausgezeichnete Männer in ihren Reihen hatten,
begann, sie mit der allen bekannten grimmigen Tatkraft zu bekämpfen; und
wenn die Mittel manchmal tadelnswert waren, so war der Zweck doch schön
und ruhmreich«.
Vgl. den vorhergehenden $7, Anm 0.
Vgl. Gioberti, Il rinnovamento civile d’Italia, aaO., 356f. Zu diesem direkten
Zitat und den anderen Bezugnahmen auf Gioberti in diesem Paragraphen vgl.
Anm. 1 zum vorhergehenden $6.
Vgl. Heft 3, $$158 und 162, Bd. 2, 444 und 445; Heft 8, $$33 und 93, Bd. 5,
964 und 996; Heft 9, $129, Bd. 5, 1176.

$10. Kulturthemen.
B-Text (bereits in PP, 195f).
1
Diesen Band von Rocco Morretta, Come sara la guerra domani?, hat Ersilio
Michel in »L[’Italia letteraria«, 10. September 1933 (9. Jg., Nr. 37) rezensiert.

$11. Italienisches Risorgimento.


B-Text (bereits in R, 184).
1
Gioacchino Volpe, Italia ed Europa durante ıl Risorgimento, in »Nuova
Antologia«, 16. August 1933 (68. Jg., Nr. 1474), 481-508.
Gramscı hatte Costanzo Rinaudo, Finanzassessor der Stadt Turin während
des Krieges, Professor für allgemeine Geschichte an der Kriegsschule und
Leiter der »Rivista storica italiana«, eine Reihe polemischer Kommentare in der
piemontesischen Ausgabe des »Avanti!« vom Januar-Februar 1917 gewidmet.
Vgl. SM, Figlio di poveri... (Kind armer Leute...), 276ff, und Fra me e me (Zu
mir selbst), 287f.; vgl. auch SG, 45, 10 (I), 64f; Per un omaggio al prof.
Costanzo Rinaudo, 67t; 45, 10 (II), 89; und 22, 25, 114ff. Vgl. insbesondere
Gramscis Urteil in der ersten dieser Glossen über die Art der von Rinaudo
betriebenen Geschichte und über seine wissenschaftlichen »Verdienste«: »Die
Geschichte ist für ihn nichts anderes als eine Aufeinanderfolge von Kriegen,
von Schlachten, von Geburt und Tod der Herrscher. Sein Gehirn ist ein aus
Karteikarten bestehendes Pergament, das mit Daten und Namen übersät ist.
Seine zahllosen Beziehungen, die Ämter, die er in den verschiedenen Schul-
behörden und -kommissionen bekleidet, dienten Prof. Rinaudo dazu, seine
Lehrbücher in den Schulen durchzusetzen. Wer aus ihnen hat lernen müssen,
hasst den Autor wegen der Zeit, die er durch ihn verloren hat, wegen der Tor-
heiten, mit denen er ihm das Gehirn zu verkleistern versucht hat. Die intelli-
genten Personen haben große Anstrengungen unternehmen müssen, um die
Dummheiten zu vergessen, die der Autor der berüchtigten Geschichtsbücher
in ihren Gehirnen hinterlassen hatte« (SM, 277). Unter Gramscis Büchern ist
Anmerkungen zu Heft 17 - $11-$15 A 759

ein Lehrbuch von Rinaudo erhalten: Costanzo Rinaudo, Corso di storia


generale per i ginnasi (Lehrbuch zur allgemeinen Geschichte für Gymnasien),
Bd. 4, Barbera, Florenz 1899 [FG].
° Vgl. Anm. 4 zu Heft 8, $ 119, Bd. 5, A459.
Ein ähnliches Urteil über Croces Storia d’Europa nel secolo decimonono
gerade im Hinblick auf das Werk von Omodeo findet sich in Heft 9, $89,
Ba5,.1138.

$12. Kulturthemen.
B-Text (bereits in PP, 183f).
° Anspielung auf eine Formulierung von Feuerbach, auf die Marx in der ersten
Feuerbach-These Bezug nimmt. Vgl. Anm. 1 zu Heft 8, $61, Bd. 5, A444.
0a
Anspielung an Benedetto Croces Reduktion der marxschen Theorie auf den
Status eines bloßen »empirischen Kanons« bzw. »empirischer Forschungs-
regeln« der Geschichtsschreibung. Vgl. Anm. 1a zu Heft 10.1, $12, Bd, 6,
A567f.

$13. Die Enkelchen des Pater Bresciani. G. Papini


E Text (bereits in LVN, 164).
Luigi Volpicelli, Problemi della letteratura d’oggi. Sentimento e Stile, in:
»L’Italia letteraria«, 27. August 1933 (9. Jg., Nr. 35). Die anderen Folgen von
Volpicellis Aufsatz sind in »L’Italia letteraria« vom 20. August (Nr. 34) und
vom 3. September (Nr. 36).

$14. Kulturthemen. Diskussionen über den künftigen Krieg.


B-Text (bereits in PP, 196).
! Vgl. den vorhergehenden $ 10.
? Orlando Freri, L’agguerrimento delle nuove generazioni, in »Gerarchia«,
August 1933 (13. Jg., Nr. 8), 670-681.
3> Nachrichten über den Rücktritt General Gazzeras und seine Ersetzung
durch Mussolini, die am 22. Juli 1933 erfolgte, sowie über Italo Balbos Flug
fanden sich offensichtlich in den Zeitschriften und Zeitungen, die Gramscıi in
diesem Zeitraum im Gefängnis gelesen hat. Vgl. z.B. die »Cronaca politica«
der »Nuova Antologia«, 1. August, aaO., 17-25.

$15. Humanismus und Renaissance.


B-Text (bereits in R, 36).
! Für diesen Artikel benutzt Gramsci Angaben aus einem Artikel von Antonio
Bruers, Il centenario della abinra di Galilei (Der Jahrestag von Galileis Wider-
ruf) (»Cronache del pensiero filosofico«), in »Gerarchia«, August 1933, aaO,,
700ff. Das Zitat aus der Geschichte der Päpste von Pastor ist auf S. 702. Hier
A 760 Anmerkungen zu Heft 17 - $15-$ 18

wird es zitiert nach dem deutschen Original: Ludwig Freiherr von Pastor,
Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, Freiburg i.B., Bd. 12,
214.

616. Die Enkelchen des Pater Bresciani. G. Papinı.


B-Text (bereits in LVN, 162).
! Vgl. Giovanni Papini, Carducci »alma sdegnosa«, in »Nuova Antologias, 1.
September 1933 (68. Jg., Nr. 1475), 3-16.
Mit diesem ungenau wiedergegebenen Titel erinnert Gramsci an den Discorso
di Roma (Rede von Rom), erschienen in »Lacerba«, 1. März 1913 (1. Jg., Nr. 5),
37-41. Wiederabgedruckt in La cultura italiana del ’900 attraverso le riviste
(Die italienische Kultur des 20. Jahrhunderts im Spiegel der Zeitschriften),
4. Bd.: »Lacerba« »La Voce« (1914-1916), aaO., 139-48.
’> Vgl. Anm. 1 und la zu Heft 8, $105, Bd. 5, A456.

617. Kulturthemen.
B-Text (unveröffentlicht).
! Vgl. Heft 8, $ 144, Bd. 5, 1025 und Heft 15, $75, Bd. 7, 1788. Die Gelegenheit,
auf Rezascos Werk zurückzukommen und die vollständigen bibliographischen
Angaben zu notieren, erhält Gramsci durch eine Fußnote zur dritten Folge
der bereits erwähnten Schrift von Felice Bernabei, Memorie di un archeologo,
IH, in »Nuova Antologia«, 16. August 1933, aaO., 556-82; vgl. besonders
S. 582. In der Fußnote heißt es: »Bezüglich des Wörterverzeichnisses der
Bürokratie des Comm. G. Rezasco, von dem Bernabei nicht wusste, ob jemals
ein Teil veröffentlicht worden ist (vgl. »Nuova Antologia« vom 16. Juli, 272),
teilt uns Senator Tito Poggi freundlicherweise mit, dass dieses abgeschlossen
und veröffentlicht worden ist. Der stattliche Band von nicht weniger als 1287
Seiten wurde 1881 in Florenz von den Nachfolgern Le Monniers mit dem
Titel Dizionario del linguaggio italiano storico ed amministrativo di Giulio
Rezasco veröffentlicht. Ulisse Poggi, der Vater des Senators, hatte die Fahnen
der gewichtigen Publikation sogar Korrektur gelesen.«

$18. Einführung ins Studium der Philosophie. Alltagsverstand.


B-Text (bereits in MS, 291f).
Vgl. C. Beraldo $.J., Intorno a la conoscibilita di Dio (Zur Erkennbarkeit
Gottes), in »La Civilta Cattolica«, 2. September 1933 (84. Jg., Bd. 3), 480-85,
bes. 482.
Originalausgabe: Vom wahren und vom falschen Idealismus, 1914.
Die ungezeichnete Jodl-Rezension steht in der Rubrik »Bibliographie« der
»Civiltä Cattolica«, aaO., 498f; vgl. bes. die von Gramsci zitierte Stelle auf
5.499.
Anmerkungen zu Heft 17 - $ 18-$20 A 761

3
Vgl. Giovanni Busnelli S.J., »Brancolando in cerca di una fede«, in »La Civiltä
Cattolica«, aaO., 417-28. In diesem Artikel werden zitiert und diskutiert der
Band von Armando Carlini und Franceso Olgiati, Neo-scolastica, idealismo,
spiritualismo, und der Artikel von Guido De Ruggiero in der »Educazione
nazionale« vom März 1933, auf den Gramsci im Text verweist. Ein weiterer,
indirekter Hinweis auf die Auseinandersetzung zwischen Carlini und Olgiati
istin Heft 15, $33, Bd. 7, vgl. bes. 1746.
Die wie der erste von Pater Busnelli gezeichneten Artikel der »Civiltä Catto-
lica«, auf die Gramsci verweist, sind: Dall’idealismo alla fede secondo ilprof.
A. Carlini (Vom Idealismus zum Glauben nach Prof. A. Carlıni), ın »La
Civiltä Cattolica«, 16. September 1933, aaO., 559-68; I] pensiero aristotelico
e il ripensamento moderno della fede e della ragione secondb ilprof. A. Carlini
(Das aristotelische Denken und die moderne Neufassung des Glaubens und
der Vernunft nach Prof. A. Carlini), in »La Civiltä Cattolica«, 18. November
1933 (84. Jg., Bd. 4), 378-93.
Vgl. V. Gioberti, lrinnovamento civile d’Italia, aaO., 395f (Hervorhebungen
von Gramsci). Bei den Angaben unterläuft Gramsci eine Ungenauigkeit, da
der Passus in Wirklichkeit aus dem zehnten Kapitel des Buches von Gioberti
stammt. In der Ausgabe, die Gramsci zur Hand hat (vgl. Anm. 1 zum voran-
gehenden $6), wird Kapitel 11, das letzte des Buches, zusammengefasst.
Vgl. Heft 10.II, $13 u. Anm. 1, Bd. 6, 1264, A574.
Anscheinend findet sich die von Gramsci erwähnte Formulierung bei Marx
nicht. Im Vorwort zur Heiligen Familie wird der Ausdruck »realer Humanis-
mus« gebraucht (MEW 2, 7), und in den Pariser Ökonomisch-philosophischen
Manuskripten von 1844 definiert Marx den Kommunismus als »positiven
Humanismus« (MEW 40, 583).

$19. Kulturthemen.
B-Text (bereits in PP, 199).
1
Bibliographische Angaben und Informationen zu F. Savorgnan di Brazzäs
Buch, Da Leonardo a Marconi sind wahrscheinlich einer Rezension von
Giuseppe A. Andriulli in »[’Italia che scrive«, September 1933 (16.Jg., Nr. 9),
266 entnommen.
Vgl. Heft 3, $80, Bd. 2, 398f.

$20. Georges Sorel.


B-Text (bereits in PP 186f).
1 Vgl. Gustavo Glaesser, Attualıta di Sorel, in »Critica fascista«, 15. September
1933, (9. Jg. Nr. 18), 346ff.
Ib Assoziationismus (it. associazionismo) verweist auf die Assoziation als zentra-
len Begriff der Arbeiterbewegung des 19. Jh., die im Manifest als solidarische
A762 Anmerkungen zu Heft 17 - $20-$24

Vergesellschaftung der bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und


Klassengegensätzen entgegengesetzt wird, vgl. dazu HKWM, Bd. 1, 639ff.
? Zu einem ähnlichen Urteil über Sorel vgl. Heft 11, $66, Bd. 6, 1480ff.

$21. Kulturthemen. Cäsar und der Cäsarısmus.


B-Text (bereits in PP, 189f).
! Emilio Bodrero, Umanita di Ginlio Cesare (Rede, gehalten am 10. September
in Rimini anlässlich der Enthüllung der Statue Julius Cäsars, die Mussolini
der Stadt geschenkt hat), in »Nuova Antologia«, 16. September 1933 (68. Jg.,
Nr. 1476), 161-75.

$22. Einführung ins Studium der Philosophie.


B-Text (bereits in MS, 45).
! William James, The Varieties of Religious Experience, 1901/2; dt. 1997; italie-
nisch: Le varie forme della scienza religiosa. Studio sulla natura umana.
Möglicherweise handelt es sich um ein indirektes James-Zitat. Die Quelle
konnte aber nicht ermittelt werden.
'* Die Formulierung geht zurück auf den Grundgedanken von Charles S.
Peirce, Collected Papers, 5, 1974, 1: »Consider what effects, that might
conceivably have practical bearings, we conceive the object of our conception
to have. Then, our conception of these effects is the whole of our conception
of the object«.

523. Gemeinverständliches Lehrbuch der Soziologie.


B-Text (bereits in MS, 156).
' Vgl. Heft4, $23, Bd. 3, 480, und den entsprechenden C-Text in Heft 11, $26,
Bd. 6, 1425ff.

$24. Die Enkelchen des Pater Bresciani. G. Papıni.


B-Text (bereits in LVN, 161).
! Annibale Pastore war in Gramscis Studienzeit Dozent für theoretische Philo-
sophie an der Universität Turin. Über seine Beziehungen zu Gramsci hat
Pastore zwei Zeugnisse hinterlassen: Gramsci tra i mieı discepoli (Gramsci
unter meinen Schülern), im »Avanti!« vom 25. Februar 1951, und Eccezionale
studente (Außerordentlicher Student), im »Avanti!« vom 3. Januar 1952.
Eine Erklärung Pastores ist von Domenico Zucäro aufgezeichnet worden
(Antonio Gramsci all’Universita di Torino 1911-1915 - Antonio Gramsci an
der Universität Turin 1911-1915, in »Societä«, Dezember 1957, 13. Jg., Nr. 6,
1091-1111). Vgl. auch Giuseppe Fiori, Das Leben des Antonio Gramsci.
Berlin 1979, 85.
Anmerkungen zu Heft 17 - $25-$ 28 A 763

525. Kulturthemen. Nachschlagewerke.


B-Text (bereits in PP, 225).
' Bibliographische Angaben und Informationen zu diesem Werk sind einer
Rezension von G. Caraci im »Leonardo«, August-September 1933 (4. Jg.,
Nr. 8-9), 370 entnommen.
Die Angaben zur Bibliographie von Kriszties sind aller Wahrscheinlichkeit
nach dem »Bolletino bibliografico< des »Leonardo«, aaO., 401 entnommen.

$26. Die Katholische Aktion.


B-Text (bereits in MACH, 239).
' Es ist nicht auszuschließen, dass Gramsci dieses Heft vom Januar 1903 der
»Rivista internazionale di scienze sociali e discipline ausiliarie« zufällig in
die Hände bekam; es ist aber auch möglich, dass Angaben und Zitat einer
indirekten Quelle entnommen sind (die nicht aufgefunden werden konnte).

$27. Machiavelh.
B-Text (bereits in MACH, 119f).
! Dieses Zitat aus Alfieris Del principe e delle lettere steht im ersten Teil einer
Studie vonM. Cerini, Machiavelli e Alfieri, in »La Nuova Italia«, 20. Juli 1933
(4. Jg., Nr. 7), 217f (vgl. bes. 217).
? Vgl. Felice Alderisio, Intorno all’arte dello Stato del Machiavell. (Discussione
ulteriore dell’interpretazione di essa come »pura politica«), in »Nuovi Studi di
Diritto, Economia e Politica«, Juni-Oktober 1932 (Bd. 5, Nr. 3-5), 232-62.

$28. Italienisches Risorgimento.


B-Text (bereits in R, 115-19).
! Vgl. »La Critica«, 20. Juli 1933 (31. Jg., Nr. 4), 281-86.
? Vgl. Heft 15, $52 und Anm. 2, Bd. 7, 1771fund A716.
’ Vgl. Heft 15, $52 und Anm. 3, Bd. 7, 1771f und A716.
2 Das seinen Landbesitz nicht selbst bearbeitende Bürgertum.
* Bezugspunkt sind hier wahrscheinlich einige Überlegungen Giobertis aus
dem ersten Kapitel des zweiten Teiles seines Werkes (Del rinnovamento
italiano ed europeo - Von der europäischen und italienischen Erneuerung).
Vgl. Ilrinnovamento civile d’Italia, aaO., 215-62.
*ı P: les projets sur le papier.
5 Vgl. Anm. 1 zu Heft 10, Teil 2, $59, Bd. 6, A600.
$ Vgl. Heft 7, $92 und Anm. 1, Bd. 4, 922f und A408.
” Zur Kenntnis, die Gramsci von Gaetano Salveminis Mazzini hatte, vgl. Anm.
3 zu Heft 4, $59, Bd. 3, A249.
A 764 Anmerkungen zu Heft 17 - $29-$32

$29. Popularliteratur.
B-Text (bereits in LVN, 120f).
! Mit Andre Moufflets Artikel hatte sich Gramsci schon in Heft 6, $111 befasst
(vgl. Bd. 4, 799). Hier verwendet er unter Wiedergabe einiger Passagen eine
Anmerkung aus der Rubrik »Marginalia« (Stile e fortuna del romanzo d’appen-
dice - Stil und Schicksal des Feuilletonromans), in »Il Marzocco«, 8. Februar
1931,30,
? Vgl. Heft 9, $66, Bd. 5, 1122, wo jedoch die großen russischen Romanschrift-
steller nicht erwähnt werden.
Vgl.J. H. Rosny, Le mercantilisme litteraire, in »Les Nouvelles Litteraires«,
4. Oktober 1930 (9. Jg., Nr. 416).

$30. Journalismus.
B-Text (bereits in INT, 164).
! Die Quelle, aus der Gramsci die Information zu dieser Episode um Mark
Twain bezogen hat, ist nicht bekannt.

531. Vergangenheit und Gegenwart.


B-Text (bereits in PP, 113).
' Für diesen Paragraphen hat Gramsci wahrscheinlich einen Artikel von Guido
Calogero vor Augen gehabt, Del Congresso hegeliano (Zum Hegelkongress),
in »L’Italıa letteraria«, 18. Juni 1933 (9. Jg., Nr. 25), wo unter anderem gegen
eine Interpretation des Kongresses polemisiert wird, wonach »dieser aus-
schließlich das Werk der italienischen Idealisten gewesen sei, schlimmer, der
Aktualisten, die mit der Ehrung Hegels sich selbst hätten ehren wollen; und
sie hätten es sogar mitten im heiligen Jahr getan, um mit ihrem Idealismus und
Hegelianismus die friedliche Universalität des Katholizismus zu stören«. Was
die Kritik von Epigonen des Positivismus oder Neokritizismus angeht, so hat
Gramscı wahrscheinlich eine Auseinandersetzung zwischen Gentile und
Francesco Orestano vor Augen gehabt, die mit dem Verlauf des Hegel-
kongresses zusammenhängt. Vgl. Giovanni Gentile, Hegel, Orestano e ıl
fascismo (Hegel, Orestano und der Faschismus), in »Educazione fascista«,
Juni 1933 (11.Jg., Nr. 6), 494-98. Vgl. auch eine andere Wortmeldung Gentiles
in der Julinummer 1933 des »Leonardo« (4. Jg., Nr. 7), unter dem Titel
Documenti. Hegel, Orestano eil fascismo (Dokumente. Hegel, Orestano und
der Faschismus), 326ff.

532. Kosmopolitische Funktion der italienischen Literatur.


B-Text (bereits in INT, 28f).
' Vgl. Heft 15, $64 und Anm. 1, Bd. 7, 1783f und A719.
° Vgl. Augusto Rostagni, Autonomia della letteratura latina (III), in »L’Italia
letteraria«. 4. Juni 1933 (9. Jg., Nr. 23).
Anmerkungen zu Heft 17 - $33-$35 A 765

$33. Humanismus. Renaissance.


B-Text (bereits in R, 16).
! Gramsci setzt hier die kritische Analyse des bereits erwähnten Aufsatzes von
Rostagni, Autonomia della letteratura latina, fort. Dazu auch Heft 15, $64,
Bd. 7, 1783f, und hier der vorangehende $32. Gramsci beschäftigt sich hier
vor allem mit der ersten Folge des Aufsatzes aus »L’Italia letteraria« vom
21. Mai 1933.
Zur Übersetzung des Croceschen Begriffs des »politico-etico« vgl. Einleitung
zu Bd. 6, 1220.
Toffanin, Che cosa fu ’umanesimo, aaO. Zu Gramscis Kenntnis dieses Werkes
vgl. Anm. 7 zu Heft 5, $123, Bd. 3, A294.

634. Popularliteratur.
B-Text (bereits in LVN, 136).
" Der Roman des norwegischen Schriftstellers Johan Bojer in der italienischen
Übersetzung I! prigioniero che canta ist im Fondo Gramsci nicht erhalten; es
ist jedoch möglich, dass Gramsci ihn damals aus der Gefängnisbücherei von
Turi oder von Civitavecchia entliehen hat, wohin er am 19. November 1933
gebracht wurde und wo er bis zum 7. Dezember, dem Tag seiner Überführung
in die Klinik Cusumano in Formia, blieb.

635. Vergangenheit und Gegenwart.


B-Text (bereits in PP, 113)
' Pseudonym von Luigi Federzoni.
? Bonaventura Zumbini, italienischer Literaturwissenschaftler, 1916 gestorben.
1878 folgte er Luigi Settembrini auf dem Lehrstuhl der Universität Neapel.
Auf Gramscis Urteil können Croces Kritiken (vgl. vor allem Conversazioni
critiche, II. Folge, aaO., 181-84) einen Einfluss ausgeübt haben. — In Bezug auf
Arturo Farinelli, Professor für deutsche Literatur an der Universität Turin
während Gramscis Studentenzeit, ist auf das Interesse hinzuweisen, mit dem
sein Werk in der Umgebung des »Ordine nuovo« verfolgt wurde. Vgl. einen
Rezensionsartikel von Toglıatti im »Ordine Nuovog, I. Folge, 15. Mai 1919
(1.Jg., Nr. 2), »Franche parole alla mia nazione« di A. Farinelli (»Offene Worte
an meine Nation« von A. Farinelli), nun in Palmiro Toglıatti, Opere, I, Editori
Riuniti, Rom 1967, 30ff.; vgl. auch ein von Gobetti verfasstes Charakterbild,
Arturo Farinelli, in »L’Ordine Nuovo«, 17. Februar 1921. Worte der Be-
wunderung für Farinelli (im Gegensatz zu dem in den Gefängnisheften
ausgedrückten negativen Urteil) finden sich auch in einem Artikel von 1913
im »Corriere universitario«, der dem jungen Gramsci zuzuschreiben ist: vgl.
Per la verita, aaO., 3ff.
3 Aus diesem direkten Zitat - aber man vergleiche auch einen Hinweis in Heft
15, $52, Bd. 7, 1772 - geht hervor, dass Gramsci den Roman von Turgenjew
A 766 Anmerkungen zu Heft 17- $35-$ 38

hatte, auch wenn er sich nicht unter den Büchern aus dem Gefängnis erhalten
hat. Erhalten hat sich hingegen ein anderer Roman Turgenjews, Le memorie di
un cacciatore (Aufzeichnungen eines Jägers), Slavia, Turin 1929, [G. Ghilarza,
Gecareıl:
3» In der deutschen Übersetzung (von Harry Burck) lautet die von Gramsci
zitierte Stelle etwas anders: »Nun angenommen, man sagt, Aufklärung ist
nützlich, so ist das ein Gemeinplatz. Sagst du aber, Aufklärung ist schädlich,
so ist das ein antithetischer Gemeinplatz.« Iwan Turgenjew, Väter und Söhne,
3. Aufl., Berlin, Weimar 1985, S. 315. Im russischen Original steht für
umgestülpter Gemeinplatz »protivopeloönoje ob5cee mjesto« (wörtlich:
entgegengesetzter Gemeinplatz) und für das öffentliche Unterrichtswesen
»prosvjeslenije«, was ebenso Aufklärung wie Bildung, Bildungswesen be-
deuten kann (Auskunft von Hans-Ruedi Wigger, Basel).

$36. Vergangenheit und Gegenwart.


B-Text (bereits in PP, 20)
' Das Stichwort Krieg findet sich im achtzehnten Band der Enciclopedia
Italiana, erschienen 1933, und umfasst die Seiten 53-94. Das Zitat kann einer
indirekten Quelle oder einem Auszug entnommen sein.

637. Machiavellı.
B-Text (bereits in MACH, 20ff).
! Ein Hinweis auf die Parteifunktion des »Corriere della Sera« findet sich be-
reits in Gramscis Rede in der Abgeordnetenkammer vom 16. Mai 1925 (jetzt
in CPC, 75-87).
'"* Gramscis Anspielung ist unklar; nach P evtl. als Metapher für den geschützten
Raum zu interpretieren, in dem sich Kultur entfalten möchte, oder für eine
von der Gegenwart abstrahierende Kulturauffassung.

$38. Popularliteratur
A-Text: der erste Teil wiederaufgenommen in einem C-Text von Heft 21, $1:
Zusammenhang der Probleme (bereits in LVN, 57f, vgl. im vorl. Bd. 8; der zweite
und dritte Teil wiederaufgenommen in zwei C-Texten von Heft 23 (IV), $1:
Rückkehr zu De Sanctis, und $2: Eine Notiz des jungen Luigi Pirandello (Q,
2185f und 2186; bereits in LVN, 5f und 46).
% Vgl. Anm. 3b zu Heft 10 (T), $ 11, Bd. 6, A566.
°b_ Im Original: »astatalismo<; P: »manque de sens de l’Etat«.
! Gramsci macht hier eine Anspielung auf einen Artikel von Giovanni Gentile,
Torniamo al De Sanctis, in »Quadrivio«, 6. August 1933 (1. Jg., Nr. 1), der im
C-Text von Heft 23, $1, ausdrücklich genannt wird.
Zu anderen Verweisen Gramscis auf diesen Aufsatz von De Sanctis vgl. Heft
ISDN Bd. 4, 886, und Heft 9, 642, Bd. 5, bes. 1109,
Anmerkungen zu Heft 17 - $ 38-842 A 767

* Dieser Gedanke De Sanctis’ und die folgenden Hinweise auf den Philolo-
gischen Kreis und seine Ziele entstammen einem Artikel von FE Torraca, Nel
cinquantesimo anniversario della morte di Francesco De Sanctis. L’uomo
(Zum fünfzigsten Todestag von Francesco De Sanctis. Der Mensch), in
»Nuova Antologia«, 16. Dezember 1933, aaO., 590-603, bes. 602. In diesem
Artikel ist auch ein Hinweis enthalten auf De Sanctis’ im letzten Teil seines
Lebens gezeigtes Interesse für den naturalistischen Roman.
°®* Nach der Versform des zwölfsilbigen Alexandriners, der seinen Höhepunkt
um die Mitte des 19. Jahrhunderts überschritten hatte und späterhin als Inbe-
griff einer vordergründig auf künstlerisch-formales Raffinement abhebenden
Kunstauffassung galt.
Luigi Pirandello, Nascıta di personaggi - Geburt von Personen (Unveröffent-
lichte Briefe: 1889-1933), in »Nuova Antologia«, 1. Januar 1934 (69. Jg.,
Nr. 1483), 3-25, bes. 5.
°> Vgl. Heft 6, $26, Bd. 4, 730f, und Heft 9, $ 134, Bd. 5, 1180f.

539. Machiavelli. Die indirekte Macht.


B-Text (bereits in MACH, 160).
° Im Original: »potere«; zum Verhältnis zu »potenza« vgl. Heft 3, $142,
Bd. 2, 434.

$40. Freudianismus.
B-Text (bereits in PP, 217)

641. Machiavellı.
B-Text (bereits inMACH, 218).
' Vgl. Luigi Bongiovanni, »La Marna«: gindizi in contrasto, in »Nuova
Antologia«, 6. Januar 1934 (69. Jg., Nr. 1484), 270-80, bes. 276.

$42. Vergangenheit und Gegenwart.


B-Text (bereits in PP, 128).
! Vgl. Giuseppe Sirianni, Appunti sulla costituzione degli organi di comando ın
guerra, in »Nuova Antologia«, 16. Dezember 1933 (68. Jg., Nr. 1482), 526-33.
? Vgl. Heft 6, $166 und Anm. 1, Bd. 4, 830f und A558.
3 Emilio Canevari, Clausewitz e la guerra odierna, F. Campitelli, Rom 1936 [FG].
Bei Abfassung dieser Aufzeichnung hatte Gramsci jedoch offensichtlich keine
direkte Kenntnis von Canevaris Buch. Die von Gramsci erwähnten Daten
beziehen sich auf eine frühere Ausgabe dieses Bandes und basieren auf einer
Rezension von Ernesto Brunetta, Clausewitz, in »L’Italia letteraria«, 4. Fe-
bruar 1934 (10. Jg., Nr. 5). Im Fondo Gramstci ist auch eine Broschüre Croces
über das Werk von Clausewitz erhalten: Benedetto Croce, Azione, Successo e
Gindizio. Note in margine al »Vom Kriege« del Clausewitz (Aktion, Erfolg
A 768 Anmerkungen zu Heft 17 - $42-$ 45

und Urteil. Randbemerkungen zu »Vom Kriege« von Clausewitz) , Vortrag


gehalten an der Accademia di Scienze morali e politiche della Societä reale di
Napoli (Sonderdruck), Tipografia Torella, Napoli 1934 [FG].

$43. Kulturprobleme. Der Rassismus, Gobineau und die historischen Ursprünge


der Philosophie der Praxis.
B-Text (bereits in PP, 185f).
' Vgl. Lorenzo Gigli, Vita di Gobinean, Bompiani, Mailand 1933. Das Buch
wird 1933 und 1934 in mehreren Zeitschriften rezensiert, die Gramsci zur
Verfügung hatte. Siehe etwa eine Rezension von Enzo Borrelli, in »Leonardo«,
Dezember 1933 (4. Jg., Nr. 12), 528f. Wahrscheinlich aber hatte Gramsci für
diese Hinweise auf Giglis Buch und auf die Theorien Gobineaus einen Artikel
Aldo Romanos zur Hand, Gobinean, in »L’Italia letteraria«, 11. Februar 1934
(10. Jg., Nr. 6). Die von Gramsci im Verlauf des Paragraphen entwickelten
Betrachtungen sind allerdings unabhängig von diesem Artikel und nehmen
Hinweise zum selben Thema wieder auf, die sich bereits in Heft 7, $51 (Bd. 4,
902), und Heft 16, $13 (Bd. 8, 1831f) finden. Von Gobineau ist im Nachlass
Gramsci ein Band des Renaissance-Werkes erhalten: Joseph-Arthur
Gobineau, La Renaissance, Wien-Manz, o.D., Bd. 1 [FG].
" Vgl. Anm. 4b zu Heft 16, $ 13, im vorliegenden Band.
Gramsci hatte im Mailänder Gefängnis in den ersten Monaten 1928 einige alte
Nummern der »Revue des deux mondes« gelesen, die die Gefängnis-
bibliothek besaß: vgl. LC, 198.
’ Jullian, Histoire de la Gaule, aaO. Vgl. Heft 5, $42, Bd. 3, 608.

644. Popularliteratur.
B-Text (bereits in LVN, 96).
% Secentismo: vgl. Anm. la zu Heft 3, $57, Bd. 2, A168; vgl. auch Anm. la zu
Heft 14, $1, Bd. 7, A675.
Die hier zitierte Passage von Aldo Capasso stammt aus einem Artikel von
A. Bici, Poeti d’oggi, II: Ungaretti o dell’analogismo (Dichter von heute, II:
Ungaretti oder über den Analogismus), in »Leonardo«, März 1934 (5. Jg.,
Nr. 3), 111-17, bes. 115 (dort auch kursiv).
2 Vgl. Heft 9, $2, Bd. 5, 1087f.

545. Vergangenheit und Gegenwart.


B-Text (bereits in PP, 136).
° Mit dem berühmtesten letzten Kriegsbulletin ist das vom 4. November 1918
gemeint, mit dem Italiens Generalstabschef Armando Diaz den in der
Schlacht von Vittorio Veneto errungenen endgültigen Sieg über die öster-
reichisch-ungarischen Truppen bekanntgab.
Diese Information entstammt einem Artikel von Renzo Segala, Siciliani, in
»Corriere della Sera«, 23. Juli 1934.
Anmerkungen zu Heft 17 - $46-$50 A 769

$46. Vergangenheit und Gegenwart. Die Neutralität der Schweiz 1934.


B-Text (bereits in PP, 124).
! Die von Gramscıi zitierte Stelle aus der Rede von Bundesrat Motta ist einem
Bericht des »Corriere della Sera« vom 23. Juli 1934 (Le manifestazioni di
Friburgo. Significative dichiarazioni del consigliere Motta) entnommen.
"= In deutscher Übersetzung erschien die Rede auch in der »Neuen Zürcher
Zeitung«, Morgenausgabe Nr. 1322, Montag, 23. Juli 1934, Blatt 2; die zitierte
Stelle ist dort leicht verändert: »Solange die Schweiz entschlossen ist, sich zu
verteidigen — so sagte kürzlich der hervorragende Chef der italienischen
Regierung zu Georges Wagniere, unserem verdienten Gesandten in Rom, und
ich glaube, keine Indiskretion zu begehen, indem ich diese freundschaftlichen
Worte wiedergebe - wird niemand die Verantwortung auf sich nehmen, sie
anzutasten«.

547. Vergangenheit und Gegenwart.


B-Text (bereits in PP, 138).
' Die Notiz ist einem kurzen Bericht zum Geographenkongress in Warschau
im »Corriere della Sera« vom 30. August 1934 (Il contributo degli italiani al
Congresso Geografico di Varsavia - Der italienische Beitrag zum Geographen-
kongress in Warschau) entnommen.

$48. Unterscheidungen.
B-Text (bereits inMACH, 162).

$49. Methodische Prinzipien.


B-Text (bereits inMACH, 163).

650. Machiavell:.
B-Text (bereits inMACH, 153).
! Enrico Caviglia, Le tre battaglie del Piave, Mondadori, Mailand 1934, 244
[FG]. Gramsci verfügte in diesem Zeitraum über zwei weitere im Fondo
Gramsci erhaltene Bücher von Enrico Caviglia, die keinen Gefängnisstempel
tragen: La battaglıa della Bainsizza (Die Schlacht an der Bainsizza), Monda-
dori, Mailand 1930 [FG]; La dodicesima battaglia. Caporetto (Die zwölfte
Schlacht. Caporetto), Mondadori, Mailand 1934 [FG].
? Vgl. Canevari, Clausewitz e la guerra odierna, aaO., 64: »wenn die Offensive
den Höhepunkt des Angriffs überschreitet, ohne ihr Ziel erreicht zu haben,
ruft der Umschwung der Kräfte, der eintritt, eine Reaktion hervor, die viel
wirkungsvoller als der Angriff ist«. Dieses Prinzip von Clausewitz wird auch
in der zitierten Rezension von Brunetta (vgl. Anm. 3 zum vorhergehenden
$42) erwähnt, die aller Wahrscheinlichkeit nach die direkte Quelle Gramscıs ist.
A770 Anmerkungen zu Heft 17 - $50-$ 53

2a
Canevari bezieht sich hier auf die Skizzen zum siebenten Buch, Der Angriff,
5. Kapitel: Kulminationspunkt des Angriffs, in Carl von Clausewitz, Vom
Kriege, Bonn 1980, 879: »Es gibt strategische Angriffe, die unmittelbar zum
Frieden geführt haben - aber die wenigsten sind von der Art, und die meisten
führen nur bis zu einem Punkt, wo die Kräfte noch eben hinreichen, sich in
der Verteidigung zu halten und den Frieden abzuwarten. - Jenseits dieses
Punktes liegt der Umschwung, der Rückschlag; die Gewalt eines solchen
Rückschlages ist gewöhnlich viel größer, als die Kraft des Stoßes war. Dies
nennen wir den Kulminationspunkt des Angrıiffs.«

651. Machiavelh.
B-Text (bereits inMACH, 147f).
1
Dieses Zitat aus Hitlers Mein Kampf entstammt wahrscheinlich einer indirek-
ten Quelle, die jedoch nicht wiedergefunden wurde.
Das Zitat lautet wörtlich: »Wobei ich die Gründung oder Zerstörung einer
Religion denn doch als wesentlich größer halte als die Gründung oder Zer-
störung eines Staates, geschweige denn einer Partei<; vgl. Adolf Hitler, Mein
Kampf, München 1940, 125.

652. Kulturthemen. Formale Logik und wissenschaftliche Mentalıtät.


B-Text (bereits in PP, 182f).
0
Im Original: »forma mentale«, was mit dem Begriff der »wissenschaftlichen
Mentalität« reagiert. Mit »Denkform« wurde bisher der lat. Ausdruck »forma
mentis« übersetzt (vgl. Heft 4, $38, Fn., Bd. 3, 502).
»Die Staatsökonomie ist die Wissenschaft, die von diesen Gesichtspunkten ihren
Ausgang hat, dann aber das Verhältnis und die Bewegung der Massen in ihrer
qualitativen und quantitativen Bestimmtheit und Verwicklung darzulegen hat. —
Es ist dies eine der Wissenschaften, die in neuerer Zeit als ihrem Boden ent-
standen ist. Ihre Entwicklung zeigt das Interessante, wie der Gedanke (s. Smith,
Say, Ricardo) aus der unendlichen Menge von Einzelheiten, die zunächst vor
ihm liegen, die einfachen Prinzipien der Sache, den in ihr wirksamen und sie
regierenden Verstand herausfindet.« Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Grund-
linien der Philosophie des Rechts, Dritter Teil, Zweiter Abschnitt, $ 189, zit. n.
Werke, Bd. 7, Frankfurt/M 1970, 346. Gramsci hat wahrscheinlich eine indirekte
Quelle benutzt, die jedoch nicht aufgefunden werden konnte.

553. Kulturprobleme. Disraelı.


B-Text (bereits in PP, 209).
j
Aller Wahrscheinlichkeit nach dachte Gramsci bei diesem Thema an das Buch
von Maurois, La vie de Disraeli, aaO., bes. 273ff.
KRITISCHER APPARAT ZU HEFT 18
A778

MANUSKRIPT-BESCHREIBUNG
voN HEFT 18 (XXXII- IVA): 1934

Liniertes Heft in Registerformat (etwa 21,4 cm x 30,5 cm); jede Seite mit 31
Zeilen. Umschlag in blauem Karton, Rücken in schwarzes Leinen gebunden. In
der Mitte der ersten Umschlagseite ein Etikett mit der Aufschrift: Soc. An. Elli
De Magistris - Milano Via Broletto 1. Dieselben Merkmale wie Heft 12 (XXIX)
und 13 (XXX). Es fehlt das Etikett mit der nach Gramscis Tod erfolgten Num-
merierung; in das Etikett auf dem Umschlag ist mit Rotstift Nr. 4 geschrieben
worden, offenbar nicht von Gramscıi selbst.
Heft von 30 Blatt, insgesamt 60 Seiten ohne Nummerierung und ohne Gefängnis-
stempel. Nur die erste Seite (Vorder- und Rückseite) sowie die erste Hälfte der
zweiten Seite (nur die Vorderseite, die ersten 14 Zeilen) sind vollgeschrieben. Auf
den drei von Gramscı benutzten Seiten ist zur Heftmitte hin ein Rand von
ca. einem Drittel der Blattbreite freigelassen. Dieser Rand wird durch einen
vollkommen geraden senkrechten, mit schwarzem Bleistift gezogenen Strich
markiert, der auch auf den zwei ersten nicht beschriebenen Seiten erscheint. In
der Mitte der ersten Zeile der ersten Seite steht der Titel, den Gramsci dem Heft
gegeben hat: Niccolö Machiavellı. II.
Das Heft enthält drei C-Texte, die aus Heft 2 wiederaufgenommen sind. Dem
ersten Text fehlt das Paragraphenzeichen, das redaktionell hinzugefügt worden
ist.
Direkte Hinweise zur Datierung fehlen für dieses Heft. Es ist jedoch sicher, dass
es nach der Fertigstellung von Heft 13 (Anmerkungen zur Politik Machiavellis)
geschrieben worden ist, das 1934 beendet wurde.
A 774 Manuskript-Beschreibung von Heft 18

Editorischer Nachtrag

Heft 18 ist das erste der Hefte von Formia (18-29), die nach Gramscis Über-
führung in die dortige Klinik Cusumano verfasst worden sind und denen daher
die für die Datierung aufschlussreiche Registrierung durch die Gefängnisleitung
fehlt. Francioni (119) macht darauf aufmerksam, dass alle diese Hefte »spezielle«,
d.h. thematische Hefte sind, in denen die Verarbeitung neuer Quellen im Vergleich
zu den A-Texten, aus denen sie hervorgegangen sind, sehr sporadisch ist. Damit
entfallen die für die Chronologie ebenfalls ausschlaggebenden Referenzen auf
Erscheinungsdaten von Zeitschriften und Büchern. Die in den Heften selbst
enthaltenen Hinweise sind die einzigen Anhaltspunkte. KB
07:75

ANMERKUNGEN ZU HEFT 18 (XXXII-IVA)

61. Die»Rivista d’Italia«...


C-Text (bereits in MACH, 211f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 2,
$31: Niccolö Machiavell:, vgl. Bd. 2, 248.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 2, $31, Bd. 2, A111.
'= Ital. »Mandragola« bedeutet »Alraune«.

$2. Pasquale Villari, Niccolö Machiavelli und seine Zeit.


C-Text (bereits in MACH, 212): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 2,
636: Machiavelli, vgl. Bd. 2, 251.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 2, $36, Bd. 2, A112.

$3. Artikel von Luigi Cavina...


C-Text (bereits in MACH, 120f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 2,
$41, Niccolö Machiavelli, vgl. Bd. 2, 254f.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 2, $41, Bd. 2, A113.
' Vgl. Anm. 1a zu Heft 5, $55, Bd. 3, A279.
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KRITISCHER APPARAT ZU HEFT 19
EN 7062)

MANUSKRIPT-BESCHREIBUNG VON HEFT 19 (X): 1934-35

Liniertes Schulheft (14,7 x 19,8 cm), jede Seite mit 22 Zeilen; Umschlag in hartem
Karton, schwarz, mit schwarzem Rücken. Ein von Tatjana nach Gramscis Tod
aufgeklebtes Etikett auf der ersten Umschlagseite trägt folgende Angabe: »Un-
vollständig X von S. 3 bis 142.«
Heft von 160 Blatt, jedes davon auf der Vorder- und Rückseite fortlaufend von
1 bis 320 numeriert. Der Gefängnisstempel fehlt. Die Nummerierung ist von
Gramscis Hand. Das Heft ist nur zum Teil benutzt. Das erste Blatt (Vorder- und
Rückseite) ist leer; das zweite Blatt (Vorder- und Rückseite) mit der Nummerie-
rung 3-4 ist beschrieben, die Seiten 5-10 sind leer; die Seiten 11-141 sind be-
schrieben, die Seiten 142-320 leer. Der von Gramsci benutzte Teil des Heftes
weist folgende Leerstellen auf: die ersten beiden Zeilen auf S. 3; die letzte Zeile
auf S. 4; die ersten 5 Zeilen auf S. 11; die letzten 3 Zeilen auf S. 141. Die Schrift
geht in der Regel über den rechten Seitenrand hinaus und wird auf den letzten
Seiten unsicher.
Das Heft hat keinen Titel. Auf $. 3 wird angekündigt eine »doppelte Reihe von
Untersuchungen. Eine über das Zeitalter des Risorgimento und eine zweite über
die ihm auf der italienischen Halbinsel vorangegangene Geschichte ...« Die tat-
sächlich aufgenommenen Notizen betreffen jedoch vorrangig das Risorgimento
und in einigen Fällen das nachrisorgimentale Italien. Insgesamt sind es 58 Notizen,
55 C-Texte unter Verwendung von A-Texten aus den Heften 9 (XIV), 1 (XVI),
3 (XX), 6 (VIII) und drei B-Texte. Die einleitenden Bemerkungen auf $. 3-4 und
die Paragraphen 3 und 4 haben im MS kein Paragraphenzeichen; sie wurden vom
Herausgeber hinzugefügt.
Folgende Paragraphen sind unveröffentlicht: $12 (Die geopolitische Lage Italiens.
Die Möglichkeit der Blockaden); $32 (Piero Pieri, Das Königreich Neapel vom
Juli 1799 bis März 1806), $41 (Interpretation des Risorgimento).
Das Heft wurde im Verlaufe des Jahres 1934 begonnen und bis in die ersten
Monate von 1935 hinein weitergeführt. Für die Datierung können neben dem
allgemeinen Hinweis, der sich aus dem Fehlen des Gefängnisstempels ergibt,
einige neue Quellen herangezogen werden, die ungefähr aus demselben Zeitraum
stammen, in dem die Notizen, worin sie benutzt werden, niedergeschrieben
wurden. Es handelt sich um drei jeweils auf $. 116 ($ 125), 135 ($53) und 139
($54) benutzte Ausgaben des »Corriere della Sera« vom 14. Mai, 3. September
und 26. September 1934 und um ein auf S. 141 ($58) zitiertes Heft der »Nuova
Antologia« vom 1. Februar 1935.
A 780 Manuskript-Beschreibung von Heft 19

Editorischer Nachtrag

Francioni (125) präzisiert die Datierung dahingehend, dass Gramsci die Arbeit
an Heft 19 (X), die er mit einer Reihe weiterer Themenhefte - insbesondere die
Hefte 20 (XXV) bis 25 (XIII) - im Februar 1934 aufnahm, im Februar des
darauffolgenden Jahres abgeschlossen hat. GK
A781

ANMERKUNGEN ZU HFFT 19 (X)

$1.. Eine doppelte Reihe von Untersuchungen...


C-Text (bereits in R, 3f): unter Verwendung der Vorbemerkung eines A-Textes
aus Heft 9, $89, vgl. Bd. 5, insbesondere 1137.
' Vgl. Anm. 2 zu Heft 3, $46, Bd. 2, A164, und Anm. 1 zu Heft 9, $89, Bd. 5,
A519.

$2. Das Zeitalter des Risorgimento...


C-Text (bereits in R, 41-44): unter Verwendung eines Teiles des in $1 erwähnten
A-Textes aus Heft 9, $89 und eines anderen A-Textes aus demselben Heft, $ 99:
Das Zeitalter des Risorgimento von Omodeo und die Ursprünge des modernen
Italien, vgl. Bd. 5, 1137, 1145ff.
' Vgl. Anm. 3 zu Heft 9, $89, Bd. 5, A519.
® Vgl. Anm. 4, ebd.
? Vgl. Anm. 0 zu Heft 6, $78, Bd. 4, A339.

$3. Die Ursprünge des Risorgimento.


C-Text (bereits in R, 47-55): unter Verwendung zweier A-Texte aus Heft 9, $ 101
und $108, unter demselben Titel Die Ursprünge des Risorgimento, vgl. Bd. 5,
1147-1149, 1157-1160.
' Vgl. Heft 1, $44 und Anm. 30, Bd. 1,110 und A44.
!ı Vgl. Anm. 2a zu Heft 6, $8, Bd. 4, A324.
2 Vgl. Heft
9,$89 (2),Bd. 5, 1138-1141.
? Vgl. Anm. 2a zu Heft 9, $101, Bd. 5, A525.
?b Zur Übersetzung der zusammengesetzten Adjektive im allgemeinen vgl. Ein-
leitung zu Bd. 6, 1216-1220, und zu »etico-politico« im besonderen ebd.,
1220.
” Vgl. Anm. 2b zu Heft 9, $101, Bd. 5, A525.
?d Vgl. Anm. 0 zu Heft 9, $ 108, Bd. 5, A526.
° Vgl. Anm. 1, ebd.
* Vgl. Anm. 2, ebd.
5 Vgl. Anm. 3, ebd.
6 Vgl. Anm. 4, ebd.
A782 Anmerkungen zu Heft 19 - $3-$5

?” Vgl. Anm. 2 zu Heft 6, $46, Bd. 4, A333f.


° Zur klerikalen Polemik gegen die Geschichte Europas vgl. Heft 10, Teil 1, $5,
Bd. 6, 1233-1238, und Anm. 4 und 5, A561.
° Zum Band von Salata vgl. Anm. 6 zu Heft 5, $ 141, Bd. 3, A301.
% Vgl. Anm. 5a zu Heft 9, $ 108, Bd. 5, A526.
'% Vgl. Anm. 6 zu Heft 9, $ 108, Bd. 5, A527.
!%a Vgl. Anm. 6a, ebd.
"Vgl. Anm. 7, ebd.
2 Vgl. Anm. 8, ebd.
'2 Vgl. Anm. 8a, ebd.
3 Vgl. Anm. 9, ebd.

$4. Bibliographie.
C-Text (bereits in R, 178): unter Verwendung eines Teils des zitierten A-Textes
aus Heft 9, $89, zusammen mit zwei anderen A-Texten aus demselben Heft,
$100 und $109: Bibliographie, vgl. Bd. 5, 1138, 1147, 1160f.
' Vgl. Anm. 5 zu Heft 9, $89, Bd. 5, A519.
? Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $100, Bd. 5, A524.
’ Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $ 109, Bd. 5, A527.

55. Interpretationen des Risorgimento.


C-Text (bereits in R, 55-67): unter Verwendung eines Teiles des A-Textes aus
Heft 9, $89, Bd. 5, insbesondere $. 1138-1141, zusammen mit weiteren A-Texten
aus demselben Heft: $91: Interpretationen des Risorgimento, vgl. Bd. 5, 1142;
$ 104, vgl. Bd. 5, 1152f; $ 106: Fetischistische Geschichte, vgl. Bd. 5, 1154f; $ 107:
Adolfo Omodeo, vgl. Bd. 5, 1155ff; $ 111: Missiroli und die moderne italienische
Geschichte, vgl. Bd. 5, 1163f; $127: Risorgimento, vgl. Bd. 5, 1174f.
! Vgl. Anm. 6 zu Heft 9, $89, Bd. 5, A520.
? Vgl. Anm. 8, ebd.
° Im Fondo Gramsci sind die folgenden Bände von Solmi und Salvatorelli
erhalten: Solmi, Discorsi sulla storia d’Italia - Reden zur italienischen Ge-
schichte, aaO.; Luigi Salvatorelli, // pensiero politico italiano dal 1700 al 1870 -
Das politische Denken in Italien von 1700 bis 1870, Einaudi, Turin 1935 [FG].
* Vgl. Anm. 1 zu Heft 6, $35, Bd. 4, A330.
° Vgl. Anm. 10 zu Heft 9, $89, Bd. 5, A520.
* Vgl. Anm. 11, ebd.
” Vgl. Anm. 12, ebd.
® Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $91, Bd. 5, A521.
° Vgl. Anm. 13 zu Heft 9, $89, Bd. 5, A520.
Anmerkungen zu Heft 19-$5 A 783
10
Vgl. Anm. 14 zu Heft 9, $ 89, Bd. 5, A520f.
11
Vgl. Anm. 15 zu Heft 9, $89, Bd. 5, A521.
12
Vgl. Anm. 16, ebd.
»» Vgl. zur »Consorteria« Anm. la zu Heft 8, $5, Bd. 5, A433.
13
Vgl. Heft 3, $40 und Anm. 4, Bd. 2, 360f, A161; Heft 7, $44 und Anm. 2, Bd.
4,898, A397.
14
Vgl. Anm. 18 zu Heft 9, $89, Bd. 5, A521.
15
Vgl. Anm. 19, ebd.
16
Ein weiterer Hinweis Gramscis auf die pelasgische Herkunft der Italiener
findet sich in Heft 14, $72, Bd. 7, 1702.
! Vgl. Anm. 0 zu Heft 9, $ 104, Bd. 5, A525.
2 Vgl. Anm. 0 zu Heft 9, $ 106, Bd. 5, A526.
17
Vgl. Anm. 1, ebd.
18
Vgl. Anm. 2, ebd.
19
Vgl. Anm. 3, ebd.
20
Vgl. Anm. 4, ebd.
Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $ 107, Bd. 5, A526.
Vgl. Anm. 3 zu Heft 9, $ 89, Bd. 5, A519.
Diese Bemerkung zu Salvatorellis Urteil über Croces Storia d’Europa und zu
Omodeos Eta del Risorgimento beruht wahrscheinlich auf einer Erinnerung
Gramscis, die einer falschen Interpretation eines Passus aus dem Artikel von
Luigi Salvatorelli, Z/ pensiero di Bismarck (Bismarcks Denken), in»La Cultura«,
April-Juni 1932, (11. Jg., H. 2), 295-316, entspringt. Im Zusammenhang mit
dem Werk von Johannes Ziekursch, Politische Geschichte des neuen deutschen
Kaiserreiches (3 Bde., Frankfurt/M. 1925-1930) schreibt Salvatorelli, dass
»Ziekursch die Tendenzen der zeitgenössischen Geschichtsschreibung trifft,
wie sie bei uns in Croces Storia d’Europa oder auch in Omodeos L’eta del
Risorgimento italiano zu sehen sind. Diese beiden Autoren betrachten das
Bismarcksche Werk aus einem Blickwinkel, der dem von Ziekursch ähnelt
(man wird feststellen können, dass bei jenen die liberale Orientierung vor-
herrscht, bei diesem die demokratische)«. Die Unterscheidung zwischen einer
liberalen und einer demokratischen Orientierung bezicht sich also nicht auf
die zwischen Croce und Omodeo, sondern Croce und Omodeo einerseits
und Ziekursch andererseits.
24
Es handelt sich um das Werk von Adolfo Omodeo, Momenti della vita dı
guerra. Dai diari e dalle lettere dei caduti (Augenblicke im Kriegsleben. Aus
Tagebüchern und Briefen von Gefallenen), in Fortsetzungen veröffentlicht ın
»La Critica« vom 20. Juni 1929 bis zum 20. November 1933. Zu Gramscis
Bezugnahme auf einzelne Fortsetzungsteile vgl. Heft 8, $119 und Anm. 2,
Bd. 5, 1008 und A458, und Heft 9, $43 und Anm.1, Bd. 5, 1110 und A510. Das
Werk erschien später als Buch: Adolfo Omodeo, Momenti della vita di guerra,
Laterza, Barı 1934.
A 784 Anmerkungen zu Heft 19 - $5-$9

® Zu Naldi vgl. Heft 1, $ 116, Bd. 1, 164.


® Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $111, Bd. 5, A527.
? Vgl. Anm. 2 zu Heft 9, $111, Bd. 5, A528.
®® Vgl. Heft 3, $40 und Anm. 4, Bd. 2, 360f und A161, und Heft 7, $44 und
Anm. 2, Bd. 4, 898 und A397.
® Vgl. Anm. 4 zu Heft 9, $111, Bd. 5, A528.
2% Zum Verhältnis von »Reform« und »Reformation« in der Übersetzung des
italienischen Begriffs »riforma« vgl. Anm. 3b zu Heft 10, Teil I, $11, Bd. 6,
A566.
2b Vgl. Anm. 4a zu Heft 9, $111, Bd. 5, A528.
’ Vgl. Anm. 5, ebd.
3! Vgl. Anm. 18 zu Heft 1, $43, Bd. 1, A35f.
3? Anspielung auf das Werk von Piero Gobetti, Risorgimento senza eroi (Das
Risorgimento ohne Helden), Capelli, Bologna 1924.

$6. Die italienische Frage.


C-Text (bereits in MACH, 195f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9,
$ 105: Die italienische Frage, vgl. Bd. 5, 1153f.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $105, Bd. 5, A525.

$7. Über die nationale Wirtschaftsstruktur.


C-Text (bereits inMACH, 185-88): unter Verwendung zweier A-Texte aus Heft 9,
$110: Rodolfo Morandi, Geschichte der Großindustrie in Italien, vgl. Bd. 5,
1161ff, und $ 112: Die italienische Industrie, vgl. Bd. 5, 1164f.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $ 110, Bd. 5, A527.
?2 Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $112, Bd. 5, A528.

$8. Die Sekten im Risorgimento.


C-Text (bereits in R, 132): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $90: Die
Sekten im Risorgimento, vgl. Bd. 5, 1141.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $90, Bd. 5, A521.

$9. Populare Strömungen im Risorgimento. Carlo Bini.


C-Text (bereits in R, 164): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $ 92:
Populare Strömungen im Risorgimento (Geschichte der subalternen Klassen).
Carlo Bıni, vgl. Bd. 5, 1142.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $92, Bd. 5, A522.
? Vgl. Anm. 2, ebd.
Anmerkungen zu Heft 19 - $9-$14 A 785

? Vgl. Anm. 3, ebd.


* Vgl. Anm. 4, ebd.

$10. Die Schriften von Pater Carlo Maria Curcı.


C-Text (bereits in R, 188): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $94:
Bibliographie, vgl. Bd. 5, 1144.
S Vgl. Anm. 0 zu Heft 9, $94, Bd. 5, A523.
% Vgl. Anm. 0a, ebd.
' Vgl. Anm. 1, ebd.

$11. Populare Merkmale des Risorgimento. Freiwillige und Teilnahme des Volkes.
C-Text (bereits in R, 165): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $ 96:
Volkstümliche Merkmale des Risorgimento. Freiwillige und Teilnahme des Volkes,
vol. Bd. 5, 1144f.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $96, Bd. 5, A523.
"Vgl. Anm. 4 zu Heft 1, $48, Bd. 1, A49.

$12. Die geopolitische Lage Italiens. Die Möglichkeit der Blockaden.


C-Text (unveröffentlicht): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $118:
Die geopolitische Lage Italiens. Die Möglichkeit der Blockaden, vgl. Bd. 5, 1167.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $118, Bd. 5, A530.

$13. Veröffentlichung und Prüfung der Bücher und Memoiren der Antiliberalen
und Franzosengegner in der Periode der Französischen Revolution und Napoleons
und Reaktionäre in der Periode des Risorgimento.
C-Text (bereits in R, 130f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $ 113,
vgl. Bd. 5, 1165.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $113, Bd. 5, A528.
? Vgl. Anm. 2, ebd.
2 Vgl. Anm. 2a, ebd.
’ Vgl. Anm. 3 zu Heft 9, $113, Bd. 5, A529.

$14. Karl Felıx.


C-Text (bereits in R, 182): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $116:
Karl Felix, vgl. Bd. 5, 1166.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $116, Bd. 5, A529.
A 786 Anmerkungen zu Heft 19 - $15-$ 19

$15. Die Revolution von 1831.


C-Text (bereits in R, 182): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $115:
Die Revolution von 1831, vgl. Bd. 5, 1166.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $115, Bd. 5, A529.

$16. Prosper Merimee und das Jahr (18)48 in Italien.


C-Text (bereits in R, 169): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $114:
Merimee und das Jahr 48, vgl. Bd. 5, 1166.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $114, Bd. 5, A529.
'" Im Original: »Italia farä da se«.

$17. Martino Beltrani Scalia, Zeitungen in Palermo 1848-1849, mit kurzen


Hinweisen auf die der anderen wichtigsten Städte Italiens im selben Zeitraum.
C-Text (bereits in R, 169f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $117:
Martino Beltrani Scalia, Zeitungen in Palermo 1848-1849, vgl. Bd. 5, 1166f.
° Vgl. Anm. 0 zu Heft 9, $117, Bd. 5, A529.
' Vgl. Anm. 1, ebd.

618. Das Jahr 1849 in Florenz.


C-Text (bereits in R, 153f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $ 102:
1849 in Florenz, vgl. Bd. 5, 1149f.
' Vgl. Anm. 1 und 2 zu Heft 9, $102, Bd. 5, A525.
'" Nach P ein Wortspiel mit »pala« (»Schaufel, Scheffel«) und »palo« (»Hebel«).

$19. Momente intensiv gemeinschaftlichen und einheitlichen Lebens in der


nationalen Entwicklung des italienischen Volkes.
C-Text (bereits in R, 112ff): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $ 103:
Momente intensiv gemeinschaftlichen und einheitlichen Lebens im Leben des
italienischen Volkes, vgl. Bd. 5, 1151f.
° Während der Wahlen von 1913, als zum ersten Mal das allgemeine Männer-
wahlrecht zur Anwendung kam, zeigte sich Gramscıi, der sich im Urlaub auf
Sardinien befand, in einem Brief an Angelo Tasca beeindruckt von »der Ver-
änderung, die sich dort durch die Beteiligung der bäuerlichen Massen an den
Wahlen vollzogen hatte«. Tasca meinte, dieses Schauspiel habe Gramsci, der
darüber noch lange nachgedacht habe, definitiv zum Sozialisten gemacht
(Angelo Tasca, / primi dieci anni del PC. I., Barı 1971, 88).
% Zum Gentiloni-Pakt vgl. Anm. 2a zu Heft 16, $22, in diesem Band.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $ 103, Bd. 5, A525.
Anmerkungen zu Heft 19 - $20-$ 24 A787

$20. Risorgimento und Orientfrage.


C-Text (bereits in R, 110ff): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $93:
Risorgimento und Frage des Ostens, vgl. Bd. 5, 1142ff.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $93, Bd. 5, A522.
? Vgl. Anm. 2 zu Heft 9, $93, Bd. 5, A522.
> Vgl. Heft 2, $144, Bd. 2, 323.
* Pietro Silva, Z/ Mediterraneo dall’unita di Roma all’unita d’Italia (Das Mittel-
meer von der Einheit Roms bis zur Einheit Italiens), Mondadori, Mailand
1927 [EG].

$21. Der »wechselseitige Unterricht«.


C-Text (bereits in R, 186): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $123:
Risorgimento, vgl. Bd. 5, 1173.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $123, Bd. 5, A531.

$22. Volksnahe Strömungen.


C-Text (bereits in R, 185): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $ 129:
Risorgimento. Der geschichtliche Knotenpunkt 1848-49, vgl. Bd. 5, 1176.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $129, Bd. 5, A532.

$23. E. De Amicis und G.C. Abba.


C-Text (bereits in LVN, 133 und R, 187): unter Verwendung zweier A-Texte aus
Heft 9, $126: Risorgimento, und $5: Italienisches Risorgimento. Erhebung von
Palermo 1866, vgl. Bd. 5, 1174 und 1089.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $ 126, Bd. 5, A531.
? Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $5, Bd. 5, A502.

$24. Das Problem der politischen Führung in der Formierung und in der Ent-
wicklung der Nation und des modernen Staates ın Italien.
C-Text (bereits in R, 69-89): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 1, $44:
Politische Führung durch eine Klasse vor und nach Regierungsantritt, vgl. Bd. 1,
101-116.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $44, Bd. 1, A38.
'" Vgl. Anm. 1a zu Heft2, $29, Bd. 2, A111.
? Vgl. Anm. 2 zu Heft 1, $44, Bd. 1, A38, und Anm. 1 zu Heft 4, $57, Bd. 3,
A248f.
2 Piccolo Mondo Antico.
A 788 Anmerkungen zu Heft 19 - $24

Vgl. Anm. 3 zu Heft 1, $44, Bd. 1, A38.


Vgl. Anm. 4, ebd.
Vgl. Heft 1,$10, Bd. 1, 70f.
Vgl. Anm. 6 zu Heft 1, $44, Bd. 1, A38.
Vgl. Anm. 7, ebd.
Vgl. Anm. 8 zu Heft 1, $44, Bd. 1, A39.
Vgl. Anm. 11 zu Heft 1, $43, Bd. 1, A34.
Vgl. Anm. 10 zu Heft 1, $44, Bd. 1, A39.
Vgl. Anm. 12, ebd.
Vgl. Anm. 13 zu Heft 1, $44, Bd. 1, A39f.
Vgl. Anm. 14 zu Heft 1, $44, Bd. 1, A40.
Vgl. Anm. 15, ebd.
Vgl. Anm. 16, ebd.
Uomini e cose della vecchia Italıa.
Vgl. Anm. 17 zu Heft 1, $44, Bd. 1, A41.
In Wirklichkeit reagierte Malatesta auf die Äußerungen Croces in einem
Artikel des Genfer »Il Risveglio«: vgl. den letzten Teil von Anm. 16 zu Heft 1,
$44, Bd. 1, A4Of.
Vgl. Anm. 18 zu Heft 1, $44, Bd. 1, A42.
Vgl. Anm. 19, ebd.
Vgl. Anm. 20 zu Heft 1, $44, Bd. 1, A42f.
Vgl. Anm. 21 zu Heft 1, $ 44, Bd. 1, A43.
Vgl. Anm. 22, ebd.
Cultura italiana; vgl. Anm. 23, ebd.
Vgl. Anm. 24 zu Heft 1, $44, Bd. 1, A43f. Zum Beitrag von Francesco Ciccotti
zu Ansaldos Polemik gegen Dorso vgl. den mit Calcante gezeichneten Artikel
Discussioni. La Rivoluzione Meridionale (Diskussionen. Die Revolution des
Südens), in »Il Lavoro« vom 13. Oktober 1925. In diesem Artikel findet sich
auch ein Hinweis auf Gramsci.
Vgl. Anm. 25 zu Heft 1, $ 44, Bd. 1, A44.
Vgl. Anm. 26, ebd.
Vgl. Anm. 27 zu Heft 1, $44, Bd. 1, A44; und Anm. 3 zu Heft 2, $66, Bd. 2,
A121.
Vgl. Anm. 28 zu Heft 1, $44, Bd. 1, A44.
Vgl. Anm. 29, ebd.
Vgl. Anm. 30, ebd.
Vgl. Anm. 31, ebd.
Vgl. Anm. 32, ebd.
Anmerkungen zu Heft 19 - $ 24-826 A789

”» Zu diesem Thema vgl. Heft 8, $208, Bd. 5, 1058ff.


* Vgl. Anm. 33 zu Heft 1, $44, Bd. 1, A45.
» Vgl. Anm. 34, ebd.
’® Vgl. Anm. 35, ebd.
” Vgl. Anm. 36, ebd.
» Vgl. Anm. 37, ebd.
2 Vgl. Anm. 38, ebd.
* Vgl. Anm. 39 zu Heft 1, $44, Bd. 1, A46.
+ Vgl. Anm. 40, ebd.
*# Vgl. Anm. 41, ebd.; näheres zum Thema in Heft 9, $$89 und 111, Bd. 5, 1137-
1141 und 1163f.
# Vgl. Anm. 42 zu Heft 1, $44, Bd. 1, A46.
“ Vgl. Arm. 43, ebd.
# Vgl. Anm. 44 zu Heft 1, $44, Bd. 1, A46f.
* Vgl. Anm. 45 zu Heft 1, $ 44, Bd. 1, A47f.
7 Vgl. Anm. 46 zu Heft 1, $ 44, Bd. 1, A48.

625. Antisemitismus im Risorgimento.


C-Text (bereits in R, 168): unter Verwendung eines Teils des zitierten A-Textes
aus Heft 1, $ 19: Hinweise zu den Beziehungen zwischen Juden und Christen im
Risorgimento, vgl. Bd. 1, 76f.
' Vgl. Anm. 1 und 3 zu Heft 1, $19, Bd. 1, A16f.
? Vgl. Anm. 2 zu Heft 1, $19, Bd. 1, Al6f.
’ Vgl. Anm. 4 zu Heft 1, $19, Bd. 1, A17.

$26. Das Verhältnis Stadt-Land im Risorgimento und in der nationalen Struktur


Italiens.
C-Text (bereits in R, 95-104): unter Verwendung eines Teils des A-Textes aus
Heft 1, $43: Typen von Zeitschriften, vgl. Bd. 1, 91-101.
' Vgl. Anm. 4 zu Heft 1, $43, Bd. 1, A33.
?2 Vgl. Anm. 5, ebd.
’ Vgl. Anm. 6, ebd.
* Vgl. Anm. 7 zu Heft 1, $43, Bd. 1, A33f.
5 Vgl. Anm. 8 zu Heft 1, $43, Bd. 1, A34.
* Vgl. Anm. 9, ebd.
7 Vgl. Heft1,$43, Bd. 1,97.
® Vgl. Anm. 12, zu Heft 1, $43, Bd. 1, A34.
A790 Anmerkungen zu Heft 19 - $ 26-$ 29

8a
Wahlhelfer der Giolitti-Ära, die insbesondere in Süditalien - auch mit gewalt-
samen Einschüchterungsversuchen und zuweilen in Zusammenarbeit mit der
Polizei - Propaganda für die Regierungsparteien betreiben sollten.
Vgl. Anm. 13 zu Heft 1, $43, Bd. 1, A34f.
Vgl. Anm. 14 zu Heft 1, $43, Bd. 1, A35.
Vgl. Anm. 15, ebd.
Vgl. Anm. 16, ebd. Ein weiterer Hinweis auf die Zeitschrift »Sicilia Nuova«
ist in Heft 5, $ 157, Bd. 3, 701 enthalten.
Vgl. Anm. 17 zu Heft 1, $43, Bd. 1, A35.
Vgl. Anm. 10a zu Heft 16, $9, im vorliegenden Band.
Vgl. Anm. 18 zu Heft 1, $43, Bd. 1, A35f.
Vgl. Anm. 19 zu Heft 1, $43, Bd. 1, A36f.
Vgl. Anm. 20 zu Heft 1, $43, Bd. 1, A37.
Vgl. Anm. 21 zu Heft 1, $43, Bd. 1, A38.

$27. Die Moderati und die Intellektuellen.


C-Text (bereits in R, 104f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 1, $46:
Moderati und die Intellektuellen, vgl. Bd. 1, 116f.
1
Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $ 46, Bd. 1, A48.
2
Zur Bewegung Ferrante Aportis vgl. Heft 5, $3, Bd. 3, 581f.

$28. Politisch-militärische Führung der italienischen Nationalbewegung.


@s Text (bereits in R, 90-95): unter Verwendung einiger A-Texte von Heft 1,

$ 114: Risorgimento. Politische und militärische Führung, $ 117: Politische und


militärische Führung im Risorgimento, $118: Das Problem der Freiwilligen im
Risorgimento, $119: Die Demagogie, $129: Der verbreitetste Gemeinplatz, vgl.
Bd. 1, 159f, 167f, 168f, 169 und 173f.
Zu anderen Hinweisen Gramscis auf Clausewitz vgl. Heft 17, $42 und Anm.
3, und $50 und Anm. 2, im vorliegenden Band.
Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $117, Bd. 1, A79.
Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $118, Bd. 1, A79.
Gramsci bezieht sich wahrscheinlich auf den vorhergehenden $ 11, wo der
Freiwilligendienst als »Ersatz für die Teilnahme des Volkes« gesehen wird.
Weitere Anmerkungen Gramscis zum Voluntarismus finden sich in Heft 13,
$29 und Heft 14, $18, vgl. Bd. 7, 1596f und 1643f.

629. Der Nexus 1848-49. Novara.


G= Text (bereits in R, 109f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 1, $121:
Novara 1849, vgl. Bd. 1, 169.
Anmerkungen zu Heft 19 - $ 29-$ 33 A791
1
Silvio Spaventa, Dal 1848 al 1861. Lettere, scritti, documenti, Bari 1923; vgl.
Anm. 1 zu Heft 1, $121, Bd. 1, A79.
z Vgl. Heft 6, $119, Bd. 4, 805 und Heft 5, $12, Bd. 3, 586.
Vgl. Antonio Monti, Onoranze americane a Fılippo Caronti, in »Corriere
della Sera«, 14. Mai 1934.

$30. . Bezüglich der ständigen Drohung, welche die österreichische Regierung


an die Adligen Lombardo-Venetiens richtete.
C-Text (bereits in R, 137f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 1, $115:
Im Hinblick auf die..., vgl. Bd. 1, 160f.
' Vgl. den vorhergehenden $26 (C-Text) und Heft 1, $43, Bd. 1,100 (A-Text).
? Vgl. Anm. 2 zu Heft 1, $115, Bd. 1, A76.
° Vgl. Anm. 3, ebd.

631. Reales Italien und legales Italien.


C-Text (bereits in R, 176f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 1, $ 130:
Reales Italien und legales Italien, vgl. Bd. 1, 174f.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $130, Bd. 1, A82.
Vgl. Anm. 0 zu Heft 3, $25, A151.
? Vgl. Anm. 2, ebd.

$32. Piero Pieri, Das Königreich Neapel vom Juli 1799 bis zum März 1806.
C-Text (unveröffentlicht): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 1, $ 83, vgl.
Bd. 1, 147.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $83, Bd. 1, A69; zum selben Buch von Piero Pieri, //
Regno di Napoli dal luglio 1799 al marzo 1806, vgl. den folgenden $ 48, der
einen A-Text aus Heft 3, $ 134, Bd. 2, 429f aufnimmt.

$33. Giovanni Maioli, Der Gründer der Nationalgesellschaft.


C-Text (bereits in R, 186): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 1, $ 84, vgl.
Bd. 1, 147.
° Giovanni Maioli, //fondatore della Societa Nazionale, Soc. Naz. per la Storia
del Risorgimento, Roma 1928.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $84, Bd. 1, A70.
'" Guibert de Nogents Werk »Gesta dei per Francos« über den ersten Kreuzzug
nachgebildeter Titel. Die Allobroger waren »ein höchst mächtiges und
kriegerisches Gebirgsvolk« zwischen Rhone und Isere (Georges).
A792 Anmerkungen zu Heft 19 - $34-$ 39

$34. Giuseppe Solitro, Zwei berüchtigte Zeitungsschmierer Österreichs.


C-Text (bereits in R, 182f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 1, $85,
vgl. Bd. 1, 147.
° Due famigerati gazzettieri dell’Austria.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $85, Bd. 1, A70.

635. Gioberti und der liberale Katholizismus.


C-Text (bereits in R, 147): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 1, $88:
Gioberti, vgl. Bd. 1, 148.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $88, Bd. 1, A70.

$36. Augusto Sandona.


C-Text (bereits in R, 182): unter Verwendung zweier A-Texte aus Heft 1, $108:
Über das Risorgimento, und $ 111: Von Augusto Sandona, vgl. Bd. 1, 157 u. 158.
% Contributo alla storia dei processi del 21 e dello Spielberg.
%b L’idea unitaria ed ipartiti polıtici alla vigilia del 1848.
% Il Regno lombardo-veneto. La costituzione e l’amministrazione.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $108, Bd. 1, A75.

$37. Spitzelund Provokateure Österreichs.


C-Text (bereits in R, 141f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 1, $ 109,
vgl. Bd. 1, 157.
% Ilpreludio delle cinque giornate di Milano - Nuovi documentıi.
5 Nuove rivelazioni sui fatti di Milano del 1847-48.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $108, Bd. 1, A75.

638. Der Nexus 1848-49,


C-Text (bereits in R, 108f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 1, $ 110:
Widersprüche der Moderati vor 48, vgl. Bd. 1,158.
° Speranze d’Italia.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $108, Bd. 1, A75.

$39. Die spanische Verfassung von 1812.


C-Text (bereits in R, 131): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 1, $ 140:
Die spanische Verfassung von (18)12 im Risorgimento, vgl. Bd. 1,183.
Anmerkungen zu Heft 19 — $40-$44 A793

640. Sizilien.
C-Text (bereits in R, 135f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 3, $24:
Motive des Risorgimento. Der sizilianische Separatismus, vgl. Bd. 2, 349.
° Rivendicazioni (attraverso le rivoluzioni siciliane del 1848-1860).
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 3, $24, Bd. 2, A151.

$41. Interpretationen des Risorgimento.


C-Text (unveröffentlicht): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 3, $65: Die
Wiedergeburt des italienischen Geistes (1725-1861), Bd. 2, 386.
"I Risorgimento dello spirito italiano (1725-1861), vgl. Anm. 1, zu Heft 3, $65,
Bd. 2, A171. Leljs Buch wird von Gramsci auch in $4 des vorliegenden Heftes
erwähnt.

$42. Federico Confalonierı.


C-Text (bereits in R, 138f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 3, $ 81,
vgl. Bd. 2, 399f.
° Vgl. Anm. 1 zu Heft 3, $81, Bd. 2, A177.
! Vgl. Anm. 2, ebd.
?2 Vgl. Anm. 3, ebd.
? Vgl. Anm. 4, ebd.

643. Der Tod Viktor Emanuels II.


C-Text (bereits in R, 187): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 3, $ 84, vgl.
Bd. 2, 402.
! L’archivio inedito di Paulo Fambri, vgl. Anm. 1 zu Heft 3, $84, Bd. 2, A178.
2 Vgl. Anm. 2, ebd.

644. Federico Confalonieri.


C-Text (bereits in R, 141): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 3, $ 92, vgl.
Bd. 2, 411.
' Vgl. Alessandro D’Ancona, Federico Confalonieri, Mailand 1898. Dieser
Band wird von Luzio in seiner von Gramsci erwähnten Untersuchung über
Salvotti mehrmals zitiert.
2 Die Angabe zu Alessis Drama /! conte Aquila ist wahrscheinlich einem Be-
richt des »Corriere della Sera« vom 24. August 1934 entnommen, in dem von
einem aus diesem Drama gezogenen Film berichtet wird (Corriere Teatrale:
Un bel successo italiano con »Teresa Confalonieri«).
A 794 Anmerkungen zu Heft 19 - $45-$51

$45. Die Parthenopeische Republik und die revolutionären Klassen im


Risorgimento.
C-Text (bereits in R, 129): unter Verwendung eines A-TIextes aus Heft 3, $ 103:
Das Risorgimento und die revolutionären Klassen, vgl. Bd. 2,415.
%a Memorie storiche del regno di Napoli dal 1790 al 1815.
bb Memorie di un generale della Repubblica e dell’Impero.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 3, $103, Bd. 2, A181.

646. Das Volk im Risorgimento.


C-Text (bereits in R, 162f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 3, $ 107:
Die sozialen Klassen im Risorgimento, vgl. Bd. 2, 416f.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 3, $107, Bd. 2, A182.
? Vgl. Anm. 2, ebd.

647. Italien und die Artischocke.


C-Text (bereits in R, 165): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 3, $ 127:
Das Risorgimento, vgl. Bd. 2, 427f.
' Anspielung auf die Anekdote über Viktor Emanuel, die Quintino Sella zuge-
schrieben wird und in den von Gramsci mehrmals erwähnten Memoiren von
Ferdinando Martini überliefert ist: vgl. bes. Heft 3, $38 und Anm. 2, Bd. 2,
357 und A159, und Heft 6, $114, Bd. 4, 802.
? Vgl. Anm. 1 zu Heft 3, $127, Bd. 2, A186.
2a
Voyage d’Italıe.

$48. Piero Pieri, Das Königreich Neapel vom Juli 1799 bis März 1806.
C-Text (bereits in R, 180): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 3, $ 134,
vgl. Bd. 2, 429f.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 3, $ 134, Bd. 2, A187.

$49. Der historische Knotenpunkt 1848-49.


C-Text (bereits in R, 108): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 3, $ 158,
Bd. 2, 444.
° Im Original: »connubio«, wörtl.: »Ehebund«.

$50. Einleitende Kriterien.


C-Text (bereits in R, 108): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 3, $ 159:
Risorgimento, vgl. Bd. 2, 444.

$51. Der historische Knotenpunkt 1848-49,


C-Text (bereits in R, 184f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 3, $162,
vgl. Bd. 2, 445f.
Anmerkungen zu Heft 19 - $51-$ 53 A 795

' Vgl. Anm. 1 zu Heft 3, $ 162, Bd. 2, A192.


?2 Vgl. Anm. 2, ebd.

552. Die Freiwilligen.


_ B-Text (bereits in R, 185f).
' Vgl. Leonetto Cipriani, Avventure della mia vita (Abenteuer meines Lebens),
Zanichelli, Bologna 1934. Gramsci hatte zweifellos den ausführlichen Auszug
dieses Werkes vor sich, der mit dem gleichen Titel von der »Nuova
Antologia« in mehreren Folgen veröffentlicht wurde: I, 1. Dezember 1933
(68. Jg., H. 1481), S.321-53; II, 16. Dezember 1933, (H. 1482), S. 495-525; III,
1. Januar 1934 (69. Jg., H. 1483) S. 80-106; IV, 16. Januar 1934 (H. 1484),
S. 244-69; V, 1. Februar 1934 (H. 1485), S. 357-87; VI, 16. Februar (H. 1486),
S. 600-27. Zum Thema, auf das Gramsci hinweist, vgl. insbesondere die dritte
Folge.

(53. Luzio und die tendenziöse und parteüsche Geschichtsschreibung der


Moderatı.
C-Text (bereits in R, 119ff): unter Verwendung zweier A-Texte aus Heft 3, $ 163,
Die »Geschichte des Risorgimento« von Alessandro Luzio, vgl. Bd. 2, 446, und
$125, Luigi Castellazzo, der Prozess von Mantua und die anderen Prozesse unter
Österreich, vgl. Bd. 2, 426f.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 3, $163, Bd. 2, A192.
? Vgl. Anm. 2, ebd.
? Vgl. Anm. 3 zu Heft 3, $163, Bd. 2, A193.
* Zum tendenziösen Charakter von Luzios Geschichtsschreibung und vor allem
zur »Rehabilitation« Salvottis vgl. Heft 1, $44, und Anm. 39, Bd. 1, 114 und
A46.
5_ Vgl. Mariano D’Amelio, Il successo e il diritto, in »Corriere della Sera«, 3. Sep-
tember 1934. Ausgangspunkt des besagten Artikels ist ein Prozess, der 1934
in Wien gegen die Organisatoren eines von den Nazis inspirierten Putsches
stattgefunden hat. D’Amelio entwickelt eine Reihe wirrer Überlegungen zur
Rechtsdoktrin hinsichtlich der vom Wiener Generalstaatsanwalt im Prozess
vertretenen These, wonach »das Delikt des Hochverrats nur dann eın solches
ist, wenn die entsprechende Tat scheitert; wenn sie gelingt, existiert das Delikt
nicht«.
* Vgl. einen weiteren Hinweis Gramscis zur Polemik Luzio-Andryane in
Heft 8, $23, Bd. 5, 959.
” Vgl. Anm. 1 zu Heft 3, $125, Bd. 2, A185.
® Vgl. Anm. 2 zu Heft 3, $ 125, Bd. 2, A186.
° Vgl. Anm. 3, ebd.
A 796 Anmerkungen zu Heft 19 - $53-$ 58

'% Vgl. Anm. 4, ebd.


. Vgl. Heft 6, G114, Bd. 4, 801.

654. Confalonier:.
B-Text (bereits in R, 181f.).
' Vgl. Panfilo, Moglie prima che donna (Zuerst Gemahlin, dann Frau), in
»Corriere della Sera«, 26. September 1934.
? Auf das Gnadengesuch, das Confalonieri an den Kaiser richtete und das Silvio
D’Amico in einem Kapitel seines Buches Certezze (Gewissheiten) wieder-
gibt, geht Gramsci ausführlicher ein in Heft 8, $91, Bd. 5, 995.
?ı Luigi Ceria, Vita di una moglie, Mailand 1934.
Die Angaben zum Roman von Riccarda Huch sind wahrscheinlich der Ru-
brik »Eingegangene Bücher« des »Corriere della Sera« vom 28. September
1934 entnommen.

655. Die Ereignisse vom Februar 1853 in Mailand und die Moderatı.
C-Text (bereits in R 152f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 6, $1:
Risorgimento: Ereignisse vom Februar 1853 und Mailänder Moderati, vgl. Bd.4,
ER
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 6, $1, Bd. 4, A323.

656. Italien im 18. Jahrhundert.


C-Text (bereits in R, 127f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 6, $6:
Risorgimento. Italien im 18. Jahrhundert, vgl. Bd. 4, 714.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 6, $6, Bd. 4, A324.
° Zur Kritik Jacques Bainvilles an der Politik der beiden Napoleons, auf die
Gramsci mehrmals hinweist, vgl. besonders Heft 1, $44 und Anm. 30, Bd. 1,
110, A44.

657. Die Parthenopeische Republik.


C-Text (bereits in R, 130): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 6, $8:
Italienisches Risorgimento: Die Parthenopeische Republik, vgl. Bd. 4,715.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 6, $8, Bd. 4, A324.
? Vgl. Anm. 2, ebd.
° Vgl. Anm. 3, ebd.

658. Eine Ansicht Stendhals.


B-Text (bereits inR, 181).
' Vgl. Pietro Paolo Trompeo, Stendhal
fra un Cardinale ed un Nunzio (Sten-
dhal zwischen einem Kardinal und einem Nuntius), in »Nuova Antologia«,
1. Februar 1935 (70. Jg., H. 1509), 439-50, vgl. bes. 445.
KRITISCHER APPARAT ZU HEFT 20
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A799

MANUSKRIPT-BESCHREIBUNG VON HEFT 20 (XXV): 1934-35

Liniertes Schulheft (ca. 14,8 x 19,8 cm), jede Seite mit 22 Zeilen; Umschlag aus
schwarzglänzendem Karton, mit Umschlagklappen. Am oberen Rand des ersten
Deckblatts, rechts, ein von Tatjana nach Gramscis Tod aufgeklebtes Etikett
mit folgenden Angaben: »Unvollständig von S. 11 bis 34 XXV«. Auf der ersten
Umschlagklappe findet sich der Aufdruck: »Quaderno - Ditta Cugini Rossi —
Roma«.
Heft von 80 Blättern, auf der Vorder- und Rückseite fortlaufend nummeriert von
1 bis 160. Auf den Seiten 10-15 und 17 wiederholt sich die Nummerierung aus
ungeklärten Gründen. Der Gefängnisstempel fehlt. Die Nummerierung ist von
Gramsci. Das Heft ist nur teilweise benutzt. Die Abfassung der Notizen beginnt
auf S. 11 ($. 2-10 völlig leer) und setzt sich ohne Unterbrechung fort bis S. 34 (auf
dieser letzten Seite sind nur die ersten vier Zeilen beschrieben). Die Seiten 35-160
sind völlig leer. Die Schrift geht regelmäßig über den rechten Rand jeder Seite
hinaus.
In der Mitte des ersten Blattes steht der von Gramsci diesem Heft gegebene Titel,
geschrieben mit schwarzem Bleistift: Katholische Aktion - Integrale Katholiken,
Jesuiten, Modernisten. Das Heft umfasst 4 C-Texte. Wiederaufgenommen werden
A-Texte aus Heft 1 (X VI) und 5 (IX).
Nützliche Elemente für eine grundsätzliche Datierung des Heftes sind: der Hin-
weis auf das Todesjahr (1934) Monsignore Umberto Benignis auf S. 18; die schr
wahrscheinliche Herleitung einiger Ergänzungen in den C-Texten aus Quellen
von 1934, insbesondere zum Thema der Beziehungen zwischen Hitlerismus und
katholischer Kirche.
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A 801

ANMERKUNGEN ZU HEFT 20 (XXV)

61. Die Katholische Aktion.


C-Text (bereits inMACH, 225-29): unter Verwendung zweier A-Texte aus Heft 1,
$38: Typen von Zeitschriften, vgl. Bd. 1, bes. 87ff, und $43: Typen von Zeit-
schriften, vgl. Bd. 1, bes. 91.
' Vgl. Anm. 2 zu Heft 1, $38, Bd. 1, A30.
'* Im Original: »papalina«, womit der Akzent auf die weltliche Macht der Päpste
gelegt wird; vgl. auch Boothman, 524, Anm. 35.
'b Hier und im folgenden im Original »borghesi«.
'* »Manant« von lat. manere (bleiben) bezeichnete ursprünglich den Bewohner
einer Burg oder eines Herrensitzes (»manoir«) und hatte auch die Bedeutung
»reich« (vgl. Meyer-Lübke, Romanisches etymologisches Wörterbuch, "1935,
432).
? Vgl. Anm. 3 zu Heft 1, $38, Bd. 1, A30.
° Vgl. Anm. 2 zu Heft 1, $1 und Anm. 4 zum selben Heft, $38, Bd. 1, All und
A30.

$2. Die Katholische Aktion und die franziskanischen Tertiarier.


C-Text (bereits in MACH, 229f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 1,
$ 139: Katholische Aktion, vgl. Bd. 1, 182f.
° Im Original: »totalitaria«; vgl. Anm. 1a zu Heft 6, $136, Bd. 4, A352. Auch
beim folgenden »eine ganze Weltauffassung« (»una totale concezione del
mondo«) muss »totalitär« und »ganzheitlich« mitgehört werden.

$3. Über die Armut, den Katholizismus und die kirchliche Hierarchie.
C-Text (bereits in MACH, 230): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 1,
$1: Über die Armut, den Katholizismus und das Papsttum, vgl. Bd. 1, 68.
° Ouvriers et Patrons.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $1, Bd. 1, A11.
? Vgl. Anm. 2, ebd.
A 802 Anmerkungen zu Heft 20 - $4

$4. Integrale Katholiken, Jesuiten, Modernisten.


C-Text (bereits in MACH, 263-72, 276, 273ff): unter Verwendung einiger A-Texte
aus Heft 5, alle mit demselben Titel: Integrale Katholiken, Jesuiten, Modernisten,
$$1, 11, 14, 16, 137, 141; vgl. Bd. 3, 577, 585-90, 690, 693ff.
' Vgl. Fontaine, Saint-Siege, »Action Frangaise« et »Catholiques integraux«,
aaO., 140.
? Vgl. Anm. 2 zu Heft 5, $1, Bd. 3, A267. Monsignore Arturo Benigni war am
26. Februar 1934 gestorben.
2a »Le Sillon« (»Die Furche«): Bewegung, die sich um eine Zeitschrift gleichen
Namens gruppiert und den Versuch eines demokratisch-sozialen Katholizis-
mus darstellt; von Pius X. 1910 verurteilt.
’ Vgl. Anm. 3, ebd.
In den journalistischen Auseinandersetzungen um den Rassismus in der Presse
von 1934 ist es möglich, Bezugnahmen auf Ludendorffs »Doktrin« von der
»freimaurerisch-jüdisch-jesuitischen Internationale« aufzufinden. Siehe zum
Beispiel den Artikel von Pater Enrico Rosa, La questione gindaica e l’anti-
semitismo nazionalsocialista (Die Judenfrage und der nationalsozialıstische
Antisemitismus), in »La Civilta Cattolica«, 20. Oktober 1934 (85. Jg., Bd. 4),
126-36 (besonders 127). Im Fondo Gramsci findet sich ein Buch Ludendorffs
in französischer Übersetzung, La guerre totale (Der totale Krieg), Flammarion,
Paris [FG], das jedoch, 1936 gedruckt, wohl kaum in diesem Zusammenhang
von Gramsci benutzt worden ist.
> Vgl. Anm. 4 zu Heft 5, $1, Bd. 3, A267.
° Vgl. Anm. 1 zu Heft 5, $11, Bd. 3, A269f.
’” Vgl. Anm. 1 zu Heft 5, $ 14, Bd. 3, A270.
7 Vgl. Anm. 2a zu Heft 13, $37, Bd. 7, A669 (zu »Radikalismus«).
Vgl. Fontaine, Saint-Siege, » Action Frangaise« et »Catholiques integraux«,
aaO., 141f.
P liest diesen Vergleich als eine Anspielung auf Gramscis Beziehung zu seiner
Frau Giulia, die er seit 1926 nicht mehr gesehen hatte.
° Vgl. Anm. 2 zu Heft 5, $14, Bd. 3, A270.
'% Vgl. Anm. 3, ebd.
!! Vgl. Anm.4, ebd.
? Vgl. Anm. 5, ebd.
° Vgl. Anm. 6, ebd.
*‘ Vgl. Anm. 7, ebd.
° Vgl. Anm. 8, ebd.
5
Gerratana liest irrtümlich »centro« statt »contro«,
!* Vgl. Anm. 9, ebd.
” Vgl. Anm. 10, ebd.
Anmerkungen zu Heft 20- $4 A 803

Vgl. Anm. 11, ebd.


Vgl. Anm. 12, ebd.
Vgl. Anm. 1 zu Heft 5, $ 16, Bd. 3, A271.
Vgl. Anm. 1 zu Heft 5, $137, Bd. 3, A300.
Vgl. Anm. 2, ebd.
Gramsci hatte sich wahrscheinlich vorgenommen, im folgenden die andere
Notiz zu Turmel aus Heft 6, $ 195 wiederaufzunehmen. Diese Absicht wurde
indes nicht ausgeführt, so dass $ 195 ein B-Text geblieben ist.
24
Ein Hinweis auf die Frage der Anonymität, in Auseinandersetzung mit
Gallarati-Scotti, findet sich in Buonaiutis Buch Le modernisme catholique,
aa0., 109f.
25
Die Quelle für diese Bezugnahme Gramscis ließ sich nicht ermitteln, jeden-
falls wurde keine direkte Entsprechung in der Reihe der florentinischen
Wochenschrift gefunden.
P verweist als Quelle auf Prezzolinis Pamphlete gegen den Modernismus: 7/
Cattolicismo rosso, Neapel 1907, u.a.
Vgl. Anm. 1 zu Heft 5, $141, Bd. 3, A301.
Vgl. Anm. 2, ebd.
Vgl. Anm. 3, ebd.
Vgl. Anm. 4, ebd.
Vgl. Heft5, $ 14, Bd. 3, bes. 587 sowie Anm. 5 zum selben Paragraphen, A270.
Die von Leo XIII. seit 1887 gegen den Widerstand der Konservativen ver-
folgte Politik der Annäherung der französischen Kirche an die Republik.
Vgl. Anm. 6, zu Heft 5, $141, Bd. 3, A301.
Vgl. Anm. 7, ebd.
Zur ambivalenten Kooperation zwischen NS-Staat und Kirchen vgl. Jan
Rehmann, Die Kirchen im NS-Staat, Argument-Sonderband AS 160, Berlin/W
1986.
Die erste Auflage von Alfred Rosenbergs Buch Der Mythus des 20. Jahr-
hunderts war 1930 erschienen. Erst 1934 kommt es zu einer ersten offiziösen
Reaktion gegen dieses Buch von katholischer Seite: Mario Barbera, Mito
razzista anticristiano, in »La Civiltä Cattolica«, 3. Februar 1934 (85. Jg.,
Bd. 1), 238-49; darin wird freilich auf den persönlichen Charakter der Posi-
tionen Rosenbergs abgehoben und diesen eine Erklärung Hitlers entgegen-
gesetzt, das Dritte Reich auf »christlichen Grundlagen« errichten zu wollen.
»Folglich«, schließt dieser Artikel, »haben die Katholiken, ja alle ans Evan-
gelium glaubenden Christen das Recht zu erwarten, dass die Regierung des
Reichs, das so viel für die Zerschlagung der atheistischen und umstürz-
lerischen Presse der Kommunisten getan hat, klar und deutlich jede Verant-
wortung ablehnt und die notwendigen Maßnahmen gegen dieses Buch
ergreift, das die Grundlagen der Religion und des christlichen Staates selbst
A 804 Anmerkungen zu Heft 20 - $4

untergräbt, die Mehrheit der Nation beleidigt und der Jugend in höchstem
Maße schädlich ist« (249). Wenige Tage nach dem 7. Februar 1934 wurde
Rosenbergs Buch von der Kongregation des Heiligen Offiziums auf den Index
gesetzt. In der Folge, im Laufe des Jahres 1934, erweiterten und verschärften
die katholische Presse und der Vatikan die Auseinandersetzung mit der ge-
samten antikatholischen Politik des Hitlerregimes.
# Vgl. Anm. 8 zu Heft 5, $ 141, Bd. 3, A301.
> Zur Bewegung von Henri Massis vgl. Heft 6, $195, Bd. 4, 846.
’” Vgl. Heft 5, $66, Bd. 3, 630 sowie Anm. 7 zu Heft 1, $24, Bd. 1, A18.
KRITISCHER APPARAT ZU HEFT 21
A 807

MANUSKRIPT-BESCHREIBUNG VON HEFT 21 (XVII): 1934-35

Liniertes Schulheft (etwa 14,8 cm x 19,8 cm); jede Seite mit 22 Zeilen. Umschlag
in schwarzglänzendem Karton, strukturiert, mit Umschlagklappen. Oben rechts
auf der ersten Umschlagseite ein Etikett, von Tatjana nach Gramscis Tode auf-
geklebt, enthält folgende Angaben: »Unvollständig von S. 3a bis 38 XVII«. Auf
der ersten Umschlagklappe ist folgende Aufschrift aufgedruckt: Heft — Ditta
Cugını Rossi - Rom.
Heft von 80 Blatt, nummeriert jeweils auf Vorder- und Rückseite fortlaufend von
1 bis 160. Es fehlt der Gefängnisstempel. Die Nummerierung stammt von
Gramsci. Das Heft ist nur teilweise benutzt. Auf $. 1 erscheint lediglich, mit
schwarzem Stift über drei Zeilen geschrieben, der Titel, den Gramsci dem Heft
gegeben hat: Probleme der italienischen Nationalkultur. 1. Popularliteratur, S.2
ist freigelassen; S. 3-6 beschrieben, mit Ausnahme der drei ersten Zeilen von S$. 3
und der letzten vier Zeilen von $. 6; S. 7-10 freigelassen; vollständig beschrieben
sind S. 11-37; freigelassen auch die übrigen Seiten mit Ausnahme einer vereinzel-
ten Notiz auf $. 155, wo unter der Überschrift Bibliographie der Titel eines
Bandes von N. Atkinson zusammen mit dem Paragraphenzeichen erscheint. Die
Schrift geht regelmäßig über den rechten Rand jeder Seite hinaus.
Das Heft enthält 15 C-Texte; wiederaufgenommen sind A-Texte aus Heft 17
(IV), 14 (D,9 (XIV), 1 (XVT), 3 (XX), 6 (VID), 4 (XI). Bisher nicht veröffent-
licht war $ 15 (Bibliographie).
Direkte Hinweise zur Datierung fehlen. Aufschlussreich ist jedoch, dass der
Gefängnisstempel fehlt und in $1 ein A-Text aus Heft 17 wiederaufgenommen
ist, der nicht vor 1934 entstanden ist.
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A 809

ANMERKUNGEN ZU HEFT 21 (XVII)

$1. Problemzusammenhang.
C-Text (bereits in LVN, 57-60): unter Verwendung zweier A-Texte aus Heft 17,
$38: Popularliteratur, und Heft 14, $ 14: Nicht popular-nationaler Charakter der
italienischen Literatur, vgl. vorliegenden Bd. 8, 1883; Bd. 7, 1638).
° Im Original: »popolaritä«. Hier etwa im Sinne von »Verankerung im Volk«.
' Vgl. Anm. 3 zu Heft 3, $63, Bd. 2, A170.
? Vgl. Anm. 5, ebd.
° Vgl. Heft 1, $73 und Anm. 2, Bd. 1, 142, A67.
’%® Vgl. Anm. Ob zu Heft 17, $38, im vorliegenden Bd. 8, A 766.
’b Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $74, Bd. 1, A68.

$2. Im »Marzocco« vom 13. September 1931...


C-Text (bereits in LVN, 108ff): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9,
$ 120: Popularliteratur, vgl. Bd. 5, 1170f.
! Gramsci beabsichtigte wahrscheinlich, die kurze Anmerkung zu Charensol
aus Heft 7, $49, wiederaufzunehmen. Dazu ist es nicht gekommen, so dass
diese ein B-Text geblieben ist.
? Vgl. Anm. 2 zu Heft 9, $120, Bd. 5, A530.

63. Die »Demütigen«.


C-Text (bereits in LVN, 72): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $ 135:
Popular-nationale Literatur. Die »Demütigen«, vgl. Bd. 5, 1181.
° Vgl. Anm. 0 zu Heft 9, $ 135, Bd. 5, A533.

$4. Das Publikum und die italienische Literatur.


C-Text (bereits in LVN, 81): unter Verwendung eines gleichnamigen A-Textes aus
Heft 1, $80, vgl. Bd. 1, 146.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $80, Bd. 1, A69.
la Im Ms.: »attuale<; P: »effectif«.
A 810 Anmerkungen zu Heft 21 - $5-$ 8

$5. Begriff »popular-national«.


C-Text (bereits in LVN, 103-8): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 3,
$63: Die Enkelchen des Pater Bresciani, vgl. Bd. 2, 382-85.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 3, $63, Bd. 2, A170.
? Vgl. Anm. 2, ebd.
’ Vgl. Anm. 3, ebd.
* Vgl. Anm. 2 zu Heft 1, $73, Bd. 1, A67; vgl. auch Anm. 4 zu Heft 3, $63,
Bd. 2, A170.
5 _Vgl. Anm. 5 zu Heft 3, $63, Bd. 2, A170f.
° Vgl. Anm. 6 zu Heft 3, $63, Bd. 2, A171.
6% Vgl. Anm. 6a, ebd.
% Vgl. Heft 6, $207, Bd. 4, 852f.
” Vgl. Anm. 7 zu Heft 3, $63, Bd. 2, A171.

66. Verschiedene Typen des Popularromans.


C-Text (bereits in LVN, 110-13): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 3,
$78: Die Enkelchen des Pater Bresciani. Die Popularromane des Feuilletons, vgl.
Bd. 2, 396ff.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 3, $78, Bd. 2, A176.
? Vgl. Anm. 2, ebd., sowie Heft 3, $ 153, Bd. 2, 439.
’ Vgl. Anm. 3 zu Heft 3, $78, Bd. 2, A176, sowie Heft 3, $ 149, Bd. 2, 437f.
Scampolo; Aigrette; Volata.
>> La Morte Civile.
* Vgl. Anm. 5 zu Heft 3, $78, Bd. 2, A177.

$7. Popularroman und -theater.


C-Text (bereits in LVN, 113): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 3, $95:
Die Enkelchen des Pater Bresciani, vgl. Bd. 2, 412.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 3, $95, Bd. 2, A180.
? Vgl. Anm. 2, ebd.

$8. Statistische Bemerkungen.


C-Text (bereits in LVN, 126ff): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 3,
$96: Die Enkelchen des Pater Bresciani, vgl. Bd. 2, 412f.
' La Capinera del mulino, frz. Originaltitel: La fauvette du moulin; vgl. Anm. 1
zu Heft 3, $96, Bd. 2, A180; vgl. auch Bd. 2, 413.
Anmerkungen zu Heft 21 - $9-$ 13 A811

$9. Ugo Mioni.


C-Text (bereits in LVN, 140): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 3, $ 100:
Die Enkelchen des Pater Bresciani. Popularliteratur, vgl. Bd. 2,410.
° Vgl. Anm. 0 zu Heft 3, $100, Bd. 2, A181.
' Vgl. Anm. 1, ebd.

$10. ‚ Verne und der wissenschaftlich-geographische Roman.


C-Text (bereits in LVN, 114f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 3,
$149: Popularliteratur. Verne und phantastische Abenteuerliteratur, vgl. Bd. 2,
437f.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 3, $149, Bd. 2, A190.
2
Impressioni da Ginlio Verne; vgl. Anm. 2, ebd.

$11. Emilio De Marchi.


C-Text (bereits in LVN, 139): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 3, $ 150:
Popularliteratur. Emilio De Marchi, vgl. Bd. 2, 438.
' Vgl. Arturo Pompeati, Emilio De Marchi romanziere d’appendice (Emilio De
Marchi als Verfasser von Feuilletonromanen), in »La Cultura«, Oktober-
Dezember 1932, 809-18.

$12. Zum Kriminalroman.


C-Text (bereits in LVN, 115ff): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 3,
$ 153: Popularliteratur. Notizen zum Kriminalroman, vgl. Bd. 2, 439.
° Antoine Fualdes, ein hoher Verwaltungsbeamter unter Napoleon, wurde
1817 in einem Haus in Rodez erdrosselt, während auf der Straße ein Höllen-
spektakel organisiert wurde, um die Schreie des Opfers zu übertönen. Die Tat
und ihre Umstände wurden zum Motiv mehrerer Kriminalromane und -stücke
(nach: P, 484).
% Der Lyoner Kurier wurde am 27. April 1796 in Vert ermordet. Einer seiner
angeblichen Mörder, Joseph Lesurques, wurde vermutlich aufgrund eines
Justizirrtums 1797 hingerichtet. Der Fall wurde in zwei populär gewordenen
Opern aufgegriffen: Le Courrier de Naples (1820) von Boirie, Pujol und
Dubigny sowie L’Affaire du courrier de Lyon (1850) von Moreau, Siraudin
und Delacour (nach: P, 484).

$13. Kriminalromane.
C-Text (bereits in LVN, 116-19): unter Verwendung von A-Texten aus Heft 6, $5:
Popularliteratur. Fenilletonromane, $ 17: Popularliteratur. Der Kriminalroman,
$28: Popularliteratur, vgl. Bd. 4, 714, 724#, 731f.
A 812 Anmerkungen zu Heft 21 - $13-$ 15

Vgl. Anm. 1 zu Heft 6, $5, Bd.4, A323.


Vgl. Anm. 1 zu Heft 6, $17, Bd.4, A326.
The Innocence of Father Brown ist der Titel der ersten Folge der Erzählungen
Chestertons, vgl. Anm. 2 zu Heft 7, $38, Bd. 4, A394.
Vgl. Anm. 2 zu Heft 6, $17, Bd. 4, A326.
Vgl. Anm. 3, ebd.
Vgl. Anm. 1 zu Heft 6, $28, Bd. 4, A329.
Die Einschübe in Klammern innerhalb des Zitats von Burzio sind von
Gramscı.
Vgl. Heft 16, $$1 und 10, im vorl. Bd. 8, 1791 und 1815.
Vgl. Heft 16, $$ 13 und 15, ım vorl. Bd. 8, 1829 und 1834.
Vgl. Heft 5, $54, und Heft 6, $ 134, Bd. 3, 618f und Bd. 4, 813f.

$14. Kulturelle Ableitungen des Feuilletonromans.


C-Text (bereits in LVN, 119f): unter Verwendung zweier A-Texte aus Heft 6,
$108: Popularliteratur, und $ 111: Popularliteratur. Feuilletonromane, vgl. Bd. 4,
BI. 3199:
1
Vgl. Anm. 1 zu Heft 6, $108, Bd. 4, A346.
2
Vgl. Anm. 2, ebd.
3
Vgl. Anm. 2 zu Heft 6, $ 111, Bd. 4, A347.
4
Vgl. Anm. 1 zu Heft 6, $108, und Anm. 2 zu Heft 6, $ 111, Bd. 4, A346, A347.
5
Vgl. Anm. 3, ebd.

$15. Bibliographie.
C-Text (unveröffentlicht): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 4, $58:
Popularliteratur, vgl. Bd. 3,545.
1
Vgl. Anm. 1 zu Heft 4, $58, Bd. 3, A249.
A 813

TITELVERZEICHNIS DER PARAGRAPHEN VON HEFT 16 .

Kulturthemen I

731.156 Die Religion, das Lotto und das Opium des Elends (PJ)
1794 92 Methodenfragen. Wenn man die Entstehung einer Weltauffassung
studieren will... (WFH)
797 S 3: Ein Repertoire der Philosophie der Praxis (WFH)
III SEA: Die Zeitungen der großen Hauptstädte (PJ)
1800 895 Der Einfluss der arabischen Kultur in der westlichen Zivilisation (PJ)
180 896. Der antike Kapitalismus und ein Streit zwischen Modernen (P]J)
18022 87. Die Weltfunktion Londons (PJ)
1803 98. Roberto Ardigö und die Philosophie der Praxis (WFH)
1806 59. Einige Probleme in Bezug auf das Studium der Entwicklung der
Philosophie der Praxis (WFH)
1816 S$10. Die Religion, das Lotto und das Opium des Elends (PJ)
1816 $11. Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Konkordate und interna-
tionale Verträge (PJ)
1824 $12. Natürlich, widernatürlich, künstlich, usw. (PJ)
1829 $13. Populärer Ursprung des »Übermenschen«. Nietzsche (P])
1832 $14. Beziehungen zwischen Staat und Kirche (PJ)
1834 $15. Populärer Ursprung des Übermenschen. Farinelli (PJ)
1834 $16. Die Begründer der Philosophie der Praxis und Italien (PJ)
1835 $17. Die Tendenz, den Gegner herabzusetzen (P])
1836 $18. »Paritär und paritätisch« (PJ)
1837..81%. Der katholische Arzt und der nıchtkatholische Kranke (P])
1837 $20. Die Neuerungen im Prozessrecht und die Philosophie der Praxis (KB)
1838 $21. Redekunst, Gespräch, Bildung (KB)
1843 $22. Religiöses Empfinden und Intellektuelle des 19. Jahrhunderts bis
zum Weltkrieg (PJ)
1845 $23. Märchenritter (oder Märchenprinzen), Hornissen und Mistkäfer (KB)
1846 824. Lehrstück vom Kadi (PJ)
1846 $25. Das kleinere Übel oder das weniger Schlechte (PJ)
1847 $26. Die Bewegung und das Ziel. Bernstein (PJ)
1848 927. Max Nordau. Große Verbreitung seiner Bücher in Italien (PJ)
1848 $28. Frondienste (P]J)
1849 $29. Pedantische Diskussionen, Haarspaltereien, usw. Diskussionsstile (PJ)
1850 $30. Tempo. Bedeutungsverschiebungen des Wortes (PJ)
A 814

TITELVERZEICHNIS DER PARAGRAPHEN VON HEFT 17

Miszellen

1853 1. Humanismus und Renaissance. Was heißt, die Renaissance habe aus
dem Menschen das Zentrum des Universums gemacht? (RG)
1853 92. Vergangenheit und Gegenwart. Eine englische Definition von
Kultur (WFH)
1853 93. Humanismus und Renaissance. Die Auffassungen von Jacob
Burckhardt und De Sanctis (RG)
1856 54. Vergangenheit und Gegenwart. Vergleich zwischen den
monarchistischen Auffassungen in Süd- und Norditalien (GK)
1856 85. Kulturthemen. Risorgimento und Erneuerung bei Gioberti (RG)
1856 $ 6. Einführung ins Studium der Philosophie. Giobertis Rückgriff auf
Tertullian? (WFH)
1370.69, Machiavelli. Die Funktion der Intellektuellen (RG)
1857 88. Humanismus und Renaissance. Fortsetzung von $3 (RG)
1859 89. Kulturthemen. Gioberti und der Jakobinismus (RG)
1860 $10. Kulturthemen. Diskussionen über den künftigen Krieg (GK)
1861 $11. Italienisches Risorgimento. Internationale politische Situation (GK)
1861 $12. Kulturthemen. Philosophie der Praxis und »historischer
Ökonomismus« (WFH)
1862 $13 Die Enkelchen des Pater Bresciani. G. Papini (KB)
1863 $14. Kulturthemen. Diskussionen über den künftigen Krieg (GK)
1863 $15 Humanismus und Renaissance. Wirksamkeit der katholischen
Reaktion ın Italien (RG)
1864 $16. Die Enkelchen des Pater Bresciani. G. Papini (KB)
1864 $17 Kulturthemen. Bibliographie (PJ)
1865 $18. Einführung ins Studium der Philosophie. Alltagsverstand (WFH)
1867 $19. Kulturthemen. Symptome engstirnigen Italienertums (RG)
1867 820. Georges Sorel. Zu Michael Freunds Sorel-Buch (RG)
1868 821. Kulturthemen. Cäsar und der Cäsarismus (GK)
1869 $22. Einführung ins Studium der Philosophie. Pragmatismus und
Politik (WFH)
1870 $23. Gemeinverständliches Lehrbuch der Soziologie. Empirismus (WFH)
1870 $24. Die Enkelchen des Pater Bresciani. G. Papini (KB)
1870 $25. Kulturthemen. Nachschlagewerke (RG)
1871 826 Die Katholische Aktion. Der wissenschaftliche Anspruch der
christlichen Idee (PJ)
1871 827. Machiavelli. Seine Absicht, »Kohärenz« in der Regierungskunst zu
lehren (KB)
A 815

1872 828. Italienisches Risorgimento. Pisacane (GK)


1876 829. Popularliteratur. Welche besondere Illusion gibt der Feuilleton-
roman dem Volk? (KB)
1877 830. Journalismus. Mark Twain (RG)
1878 831. Vergangenheit und Gegenwart. Aktualismus (WFH)
1878 532. Kosmopolitische Funktion der italienischen Literatur. Zu Augusto
Rostagnis Aufsatz über die Autonomie der römischen Literatur (RG)
1879 53. Humanismus. Renaissance. Humanismus als Suche nach den
Grundlagen eines »italienischen Staates« (RG)
1880 534. Popularliteratur. Pirandello (KB)
1880 $35. Vergangenheit und Gegenwart. Umgestülpte Gemeinplätze und
deren Fabrikanten (RG)
1881 536. Vergangenheit und Gegenwart. Zum Artikel »Krieg« aus der
Enciclopedia Italiana (RG)
1881 837. Machiavelli. Ist die politische Aktion (im engeren Sinn) notwendig,
damit man von »politischer Partei« sprechen kann? (WFH)
1883 $38. Popularliteratur. Warum ist die italienische Literatur in Italien nicht
populär? (KB)
1884 $39. Machiavelli. Die indirekte Macht (WFH)
1885 $40. Freudianismus. Ist Freuds »Libido« die »ärztliche«
Weiterentwickung von Schopenhauers Willen? (WFH)
1885 $4. Machiavelli. General Luigi Bongiovannı (WFH)
1885 $42. Vergangenheit und Gegenwart. Clausewitz über den Krieg (GK)
1885 $43. Kulturprobleme. Der Rassismus, Gobineau und die historischen
Ursprünge der Philosophie der Praxis (PJ)
1887 544. Popularliteratur. Ungaretti (KB)
1887 $45. Vergangenheit und Gegenwart. Wer war der Verfasser der
Kriegsbulletins des italienischen Oberkommandos? (GK)
1887 $46. Vergangenheit und Gegenwart. Die Neutralität der Schweiz 1934 (RG)
1888 847. Vergangenheit und Gegenwart. Ferdinando Milone (RG)
1888 $48. Unterscheidungen. »Wirkende Ursache« und »determinierende
Ursache« (WFH)
1888 849. Methodische Prinzipien. Was versteht man unter »erkennen«? (WFH)
1889 850. Machiavelli. Militärische Maximen (GK)
1889 $51. Machiavelli. Über eine Stelle in Hitlers Mein Kampf (GK)
1890 $52. Kulturthemen. Formale Logik und wissenschaftliche
Mentalität (WFH)
1891 553. Kulturprobleme. Disraeli (RG)
A 816

TITELVERZEICHNIS DER PARAGRAPHEN VON HEFT 18

Niccolö Machiavelli II
(übersetzt von Klaus Bochmann)

1893 86 Die »Rivista d’Italia« zu Machiavellis 400. Todestag


1896 92. Pasquale Villari, Niccolö Machiavelli und seine Zeit
1896 93. Luigi Cavina über Machiavellis nationalen Traum in der Romagna
und Francesco Guicciardinis Regierung
A817

TITELVERZEICHNIS DER PARAGRAPHEN VON HEFT 19

Italienisches Risorgimento
(übersetzt von Gerhard Kuck, $$1-13,
Klaus Bochmann, $$14-27, Ruedi Graf, $$28-58)

Eine doppelte Reihe von Untersuchungen: Eine über das Zeitalter


des Risorgimento und eine zweite über die ihm auf der italienischen
Halbinsel vorangegangene Geschichte
Das Zeitalter des Risorgimento von Adolfo Omodeo
Die Ursprünge des Risorgimento. Tendenziöse Untersuchungen
Bibliographie. Raffaele Ciasca, Francesco Lemmi
Interpretationen des Risorgimento
Die italienische Frage. Die vom Außenminister Dino Grandi 1932
im Parlament gehaltenen Reden
Über die nationale Wirtschaftsstruktur
Die Sekten im Risorgimento
Populare Strömungen im Risorgimento. Carlo Bini
Die Schriften von Pater Carlo Maria Curci
Populare Merkmale des Risorgimento. Freiwillige und Teilnahme
des-Volkes
Die geopolitische Lage Italiens. Die Möglichkeit der Blockaden
Bücher und Memoiren der Antiliberalen und Franzosengegner in
der Periode der Französischen Revolution und Napoleons...
Karl Felix. Francesco Lemmis Biographie
Die Revolution von 1831. Ihr politischer Plan
Prosper Merim&e und das Jahr (18)48 in Italien
Martino Beltrani Scalıa, Zeitungen in Palermo 1848-1849, mit
kurzen Hinweisen auf die der anderen wichtigsten Städte Italiens
im selben Zeitraum
Das Jahr 1849 in Florenz
Momente intensiv gemeinschaftlichen und einheitlichen Lebens in
der nationalen Entwicklung des italienischen Volkes
Risorgimento und Orientfrage
Der »wechselseitige Unterricht«. Seine Bedeutung in der liberalen
Bewegung des Risorgimento
Volksnahe Strömungen um 1848/49
E. De Amicis und G.C. Abba
Das Problem der politischen Führung in der Formierung und in der
Entwicklung der Nation und des modernen Staates in Italien
Antisemitismus im Risorgimento
A818

1970 $26. Das Verhältnis Stadt-Land im Risorgimento und in der nationalen


Struktur Italiens
1973 827. Die Moderati und die Intellektuellen
1981 $28. Politisch-militärische Führung der italienischen Nationalbewegung
1986 $29. Der Nexus 1848-49. Novara
1987 830. Bezüglich der ständigen Drohung, welche die österreichische
Regierung an die Adligen Lombardo-Venetiens richtete
1989 831. Reales Italien und legales Italien
1990 832. Piero Pieri, Das Königreich Neapel vom Juli 1799 bis zum März
1806
1990 833. Giovanni Maioli, Der Gründer der Nationalgesellschaft
1991 834. Giuseppe Solitro, Zwei berüchtigte Zeitungsschmierer Österreichs
1991 835. Gioberti und der liberale Katholizismus
1991 836. Augusto Sandonä. Österreichische Dokumente zur Geschichte des
Risorgimento
1992 837. Spitzel und Provokateure Österreichs
1992 838. Der Nexus 1848-49
1995 839. Die spanische Verfassung von 1812 und ihre Popularität ın Italien
1993 $40. Sizilien. Sein Beitrag zur Einigungsgeschichte des Risorgimento
1995 $4. Interpretationen des Risorgimento. Massimo Lelj
1995 842. Federico Confalonieri
1996 $43. Der Tod Viktor Emanuels II.
1996 844. Federico Confalonieri
1997 $45. Die Parthenopeische Republik und die revolutionären Klassen im
Risorgimento
1998 $46. Das Volk im Risorgimento
1998 847. Italien und die Artischocke
1999 $48. Piero Pieri, Das Königreich Neapel vom Juli 1799 bis März 1806
1999 849. Der historische Knotenpunkt 1848-49
2000 850. Einleitende Kriterien. Die Geschichte als nationale »Biographie«
2001 851. Der historische Knotenpunkt 1848-49
2001 852. Die Freiwilligen. Leonetto Ciprianis Memoiren
2002 $53. Luzio und die tendenziöse und parteiische Geschichtsschreibung
der Moderati
2006 554. Confalonieri
2006 855. Die Ereignisse vom Februar 1853 in Mailand und die Moderati
2007 $56. Italien im 18. Jahrhundert. Der französische Einfluss
2007 857. Die Parthenopeische Republik
2008 858. Eine Ansicht Stendhals
A 819

TITELVERZEICHNIS DER PARAGRAPHEN VON HEFT 20

Katholische Aktion - Integrale Katholiken -


Jesuiten - Modernisten
(übersetzt von Peter Jehle)

20117871: Die Katholische Aktion. Ihre Entstehung als Reaktion auf den Sieg
des Liberalismus
2015 7 2. Die Katholische Aktion und die franziskanischen Tertiarier
2OIOEN 3. Über die Armut, den Katholizismus und die kirchliche Hierarchie
2017 $ 4. Integrale Katholiken, Jesuiten, Modernisten
A 820

TITELVERZEICHNIS DER PARAGRAPHEN VON HEFT 21

Probleme der italienischen Nationalkultur; 1. Popularliteratur


(übersetzt von Klaus Bochmann)

20335 548: Problemzusammenhang


2038 92. »Marzocco« vom 13. September 1931: Aldo Soranıis Artikel zur
Popularliteratur der Gegenwart
209.5: Die »Demütigen« als bezeichnender Ausdruck für das Verständnis
der traditionellen Haltung der italienischen Intellektuellen
gegenüber dem Volk
2040 94. Das Publikum und die italienische Literatur
2041 95. Begriff »popular-national«
2046 $ 6. Verschiedene Typen des Popularromans
2049 87. Popularroman und -theater
2050 88. Statistische Bemerkungen
20510 959: Ugo Mioni
2052 $10. Verne und der wissenschaftlich-geographische Roman
20537 51% Emilio De Marchi
2053 $12. Zum Kriminalroman. Seine Entstehung am Rande der Literatur
über die »Berühmten Justizfälle«
20555 813. Kriminalromane. Interpretationen
2058 $14. Kulturelle Ableitungen des Feuilletonromans. Dostojewski und Sue
2059 13% Bibliographie. Ein Buch über Sue
A 821

ABKÜRZUNGEN UND SIGLEN

Abg. Abgeordneter
B, Bochmann Notizen zu Sprache und Kultur. Hgg. v. Klaus Bochmann, Leipzig
und Weimar 1984
Battaglia Grande dizionario della lingua italiana, hgg. v. Salvatore Battaglia,
15 Bde., Turin 1961ff
BH Beschreibung der Hefte
Boothman Further Selections from the Prison Notebooks. Hgg. u. übers. v.
Derek Boothman, London (Lawrence & Wishart) 1994
Cav. cavaliere »Ritter« (Titel)
Comm. Commendatore, it. Ehrentitel (wörtlich: Komtur)
CPC La construzione del partito comunista (1923-1926), Einaudi, Turin
1971
Era-Ausgabe Cuadernos de la cärcel. Traducciön de Ana Maria Palos, revisada
por Jose Luis Gonzales. Ediciones Era, Mexico 1984 (Bd. 1,
Hefte 1-2; Bd. 2, Hefte 3-5; Bd. 3, Hefte 6-8)
FG Bücher Gramscis aus dem »Fondo Gramsci« ohne Eintragung des
Gefängnisses
FG, C.carc. Bücher des »Fondo Gramsci« mit Eintragung der Gefängnisse
(siehe Erläuterungen auf der folgenden Seite)
Francioni Gianni Francioni, L’Officina Gramsciana. Ipotesi sulla struttura
dei »Quaderni del Carcere«, Neapel 1984
G. Ghilarza In Ghilarza aufbewahrte Bücher Gramscis ohne Eintragungen der
Gefängnisse
G. Ghilarza, C.carc. In Ghilarza aufbewahrte Bücher Gramscis mit Eintragungen der
Gefängnisse
INT Gli intellettuali e l’organizzazione della cultura, Einaudi, Turin
1949
K, Kebir Marxismus und Literatur. Ideologie, Alltag, Literatur. Hgg. u.
übers. v. Sabine Kebir, Hamburg 1983
KWM Kritisches Wörterbuch des Marxismus, hgg. v. George Labica unter
Mitarbeit von G£rard Bensussan, 8 Bde., Berlin 1983-89
LE Lettere del carcere, Turin 1965
LVN Letteratura e vita nazionale, Turin 1949
IW V.I. Lenin, Werke, Dietz Verlag, Berlin 1961ff
MACH Note sul Machiavelli, sulla polıtica e sullo Stato moderno, Einaudi,
Turin 1949
MEW Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Dietz Verlag, Berlin 1956ff
Mons. Monsignore; kath. Würdenträger
MS Il materialismo storico e la filosofia di Benedetto Croce, Einaudi,
Turin 1949
Ms. Manuskript
ON L’Ordine Nuovo (1919-1920), Turin 1954
Abkürzungen

Cahiers de prison. Hgg. v. Robert Paris, Editions Gallimard,


Paris 1978 (Hefte 10-13), 1983 (Hefte 6-9), 1990 (Hefte 14-18),
1991 (Hefte 19-29), 1996 (Hefte 1-5)
Passato e presente, Turin 1949
Quaderni del Carcere, 1.-4. Bd. Kritische Ausgabe des Gramsci-
Instituts, Turin 1975
Il Risorgimento, Turin 1949
Rechtsanwalt
Ri, Riechers Philosophie der Praxis. Hgg. u. übers. v. Christian Riechers,
Frankfurt/M 1967
Ritter Joachim Ritter, Karlfried Gründer (Hg.), Historisches Wörter-
buch der Philosophie. Basel 1971ff
Sansoni Wörterbuch der italienischen und deutschen Sprache, hergestellt
unter der Leitung von Vladimiro Macchi. Wiesbaden, Florenz,
Rom
SE Socialismo e fascismo. L’Ordine Nuovo (1921-1922), Turin 1966
SG Scritti giovanıli (1914-1918), Turin 1958
SH, Smith/Hoare Selections from The Prison Notebooks. Hgg. v. GeoffreyNowell
Smith u. Quintin Hoare, London 1971
SM Sotto la Mole (1916-1920), Turin 1960
Südfrage Alcuni temi della quistione meridionale, in CPC, 137-58; zit. n.
der Übersetzung von Erich Salewski in Antonio Gramsci - verges-
sener Humanist?, hgg. v. Harald Neubert, Berlin, Dietz-Verlag
1991, 41-68
Z 1980, Zamıs Zu Politik, Geschichte und Kultur. Ausgewählte Schriften. Hgg. v.
Guido Zamis, Leipzig (Reclam) 1980
Z982 Gedanken zur Kultur. Hgg. v. Guido Zamis, Leipzig (Reclam)
1987
Zingarelli Vocabolario della lingua italiana. Bologna (Zanichelli)

Editorische Zeichen
(..) = Einfügungen Gramscis
R ll Einfügungen der Herausgeber

Initialen der Übersetzer


KB — Klaus Bochmann
RG — Ruedi Graf
WFH - Wolfgang Fritz Haug
BJ — Peter Jehle
GK - Gerhard Kuck
A 823

Erläuterungen zu FG, C.carc.,...

Der größte Teil dieser Bücher weist den Stempel des Gefängnisses von Turi, die Häftlings-
nummer Gramscis (7074) und die Unterschrift des Direktors auf. Da während der Haftzeit
Gramscis vier verschiedene Direktoren aufeinander folgten, kann anhand der Unterschrift
. des jeweiligen Direktors der Zeitraum bestimmt werden, in welchem Gramsci das betreffende
Buch erhielt. Die Abkürzung FG, C.carc. wird daher durch die folgenden Angaben ergänzt:
Turi I: Unterschrift des Direktors G. Parmegiani, verstorben am 16. März 1929: entspricht
dem Zeitraum zwischen dem 19. Juli 1928, als Gramsci im Gefängnis von Turi eintraf, und
Ende Februar 1929.
Turi H: Unterschrift des neuen Direktors G. Gualtieri, der in Turi vom 31. Mai 1929 bis zum
24. November 1930 angestellt war: entspricht dem Zeitraum zwischen Mai 1929 und
November 1930.
Turı III: Unterschrift des Direktors V. Azzariti, von November 1930 bis zum 18. März 1933
in Turi im Dienst: entspricht diesem Zeitraum.
Turi IV: Unterschrift des Direktors P. Sorrentino, in Turı vom 18. März 1933 an im Dienst:
entspricht dem Zeitraum zwischen diesem Datum und dem 19. November 1933, als Gramsci
Turi verließ.
Turi, ohne Unterschrift des Direktor: betrifft die Bücher mit dem Stempel von Turı und der
Häftlingsnummer Gramscis, deren Aushändigung an ihn der Direktor untersagt hatte.
Wahrscheinlich sind sie Gramsci bei seiner Abreise von Turi übergeben worden.
Mailand: Bücher, die Gramsci während seines Aufenthaltes im Mailänder Gefängnis aus-
gehändigt worden sirid. Einige dieser Bücher tragen auch die Eintragung von Turi, worauf
jeweils hingewiesen wird. In anderen Fällen sind solche Bücher Gramstci in Tur auch ohne
Eintragung übergeben worden.
Nur sehr wenige Bücher weisen Eintragungen der Gefängnisse auf, in denen sich Gramsci
nur vorübergehend aufhielt (Palermo, Neapel).

Übersetzer- und Herausgeber-Anmerkungen


Die Nummerierung der Anmerkungen Gerratanas wurde beibehalten. Zu dieser Ausgabe
neu hinzugefügte Anmerkungen sind durch Buchstaben kenntlich gemacht (z.B. 1a) bzw.
mit einer O markiert. Vgl. Editorische Vorbemerkung zu Band 2, 203.
A 824

Erratum zu Bd. 5:
Anm. 0 zu Heft 9, $130, A532, lies: Im Original: »intelligenza«.
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