GEFANGNIS
Be TFIEFIE
Argument
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Antonio Gramsci
GEFÄNGNISHEFTE
Band 8
Antonio Gramsci
GEFÄNGNISHEFTE
Kritische Gesamtausgabe
auf Grundlage der im Auftrag des Gramsci-Instituts besorgten
Edition von Valentino Gerratana
herausgegeben vom Deutschen Gramsci-Projekt
unter der wissenschaftlichen Leitung von
Klaus Bochmann (Universität Leipzig) und
Wolfgang Fritz Haug (Freie Universität Berlin)
herausgegeben von
Klaus Bochmann, Wolfgang Fritz Haug und Peter Jehle
unter Mitwirkung von
Ruedi Graf und Gerhard Kuck
Hefte 16 bis 21
Argument
Titel der Originalausgabe
Quaderni del carcere
Giulio Einaudi
Turin 1975, °1977
© Fondazione Istituto Gramsci
Rom
Kritischer Apparat
A737 Manuskript-Beschreibung von Heft 16
A739 Anmerkungen zu Heft 16
A7zsı Manuskript-Beschreibung von Heft 17
Azss Anmerkungen zu Heft 17
A773 Manuskript-Beschreibung von Heft 18
A77s Anmerkungen zu Heft 18
A779 Manuskript-Beschreibung von Heft 19
A781 Anmerkungen zu Heft 19
A799 Manuskript-Beschreibung von Heft 20
A8o1 Anmerkungen zu Heft 20
A807 Manuskript-Beschreibung von Heft 21
A809 Anmerkungen zu Heft 21
13531934
KULTURTHEMEN I.
ar!
$(1). Die Religion, das Lotto und das Opium des Elends. In den
Kritischen Unterhaltungen (2. Folge, S. 300-301) sucht Croce die »Quelle«
von Matilde Seraos Schlaraffenland und findet sie in einem Gedanken
Balzacs. In der Erzählung Die Krebsfischerin, geschrieben 1841 und später
Eine Junggesellenwirtschaft betitelt, worin von Madame Descoings
berichtet wird, die seit einundzwanzig Jahren auf ihre berühmte Terne
setzt, bemerkt der »Schriftsteller-Soziologe und -Philosoph«: »Man hat
die Spielleidenschaft wohl allgemein verurteilt, aber nie genaner erforscht.
Noch hat niemand darin das Opium des Elends erkannt. Die Lotterie, die
mächtigste Zauberin unserer Welt, erregt sie nicht geradezu magische
Hoffnungen? Während der Gang der Roulette, der den Spielern Gold-
massen und Genüsse vorgaukelt, nur so lange dauert wie ein Blitz, gibt die
Lotterie dem köstlichen Leuchten dieses Blitzes eine Daner von fünf Tagen.
Welche andre soziale Macht macht heutzutage die Menschen für zwei
Franken fünf Tage lang glücklich und schenkt ihren Träumen alle Wonnen
der Zivilisation?«*
Croce hatte bereits bemerkt (in seinem Aufsatz über Serao, Literatur des
neuen Italien”, 111,5. 51), dass Das Schlaraffenland (1890) seine Ursprungs-
idee in einer Stelle des anderen Buches von Serao hatte, dem Bauch von
Neapel (1884), worin »das Lottospiel als »der große Traum vom Glück< ins
Licht rückt, den das neapolitanische Volk »jede Woche wiederholts, »sechs
Tage lang in einer wachsenden, besitzergreifenden Hoffnung lebend, die
sich ausbreitet, die Grenzen des wirklichen Lebens überschreitet; der
Traum, »wo es alle Dinge gibt, die es entbehrt, ein sauberes Haus, gesunde
und frische Luft, einen schönen warmen Sonnenstrahl auf der Erde, ein
weißes und hohes Bett, eine glänzende Kommode, Makkaroni und Fleisch
jeden Tag, und den Liter Wein, und die Wiege für das Kind, und die Wäsche
für die Frau, und den neuen Hut für den Mann««.
Die Balzac-Stelle ließe sich auch mit dem Ausdruck »Opium des Volkes«
in Verbindung bringen, der in der 1844 (das Datum nachprüfen) veröffent-
lichten Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie'' verwendet wird, deren
Autor ein großer Bewunderer Balzacs war: »Seine Bewunderung für Balzac
war so groß, dass er einen kritischen Aufsatz über dessen großes Werk Die
menschliche Komödie KupEBIEn wollte«, schreibt Lafargue in seinen Er-
innerungen an Karl Marx**, die in Rjazanovs bekanntem Sammelband
(S. 114 der französischen meer veröffentlicht sind. Neuerdings (viel-
leicht 1931) ist ein unveröffentlichter Brief von Engels publiziert worden,
* Französisch im Original.
** Im Ms.: »C.M.« (Carlo Marx).
1792 Sechzehntes Heft
in dem ausführlich von Balzac und der kulturellen Bedeutung, die ihm bei-
gemessen werden muss, die Rede ist”.
Wahrscheinlich ist der Übergang von dem von Balzac gebrauchten Aus-
druck »Opium des Elends« für das Lotto zu dem Ausdruck »Opium des
Volkes« für die Religion von Pascals Überlegung zur »Wette«* angeregt
worden, der die Religion dem Glücksspiel, den Wetten annähert. Man
muss daran erinnern, dass eben 1843 Victor Cousin auf das authentische
Manuskript von Pascals Pensees aufmerksam machte, die erstmals 1670
von dessen Freunden von Port-Royal in verstümmelter Form gedruckt
worden waren und 1844 aufgrund des von Cousin bekannt gemachten
Manuskripts vom Verleger Faugere neu aufgelegt wurden. Die Pensees, in
denen Pascal sein Argument der »Wette« entwickelt, sind die Fragmente
einer von Pascal nicht vollendeten Apologie der christlichen Religion”. Hier
Pascals Gedankengang (nach G. Lanson, Geschichte der französischen
Literatur, 19. Aufl., S. 464): »Die Menschen verachten die Religion; sie
hassen sie und fürchten, sie sei wahr. Um dem abzuhelfen, muss man
zunächst zeigen, dass die Religion der Vernunft nicht widerspricht; sodann,
dass sie ehrwürdig ist, ihr Respekt verschaffen; dann muss man sie liebens-
wert machen, in den Guten die Sehnsucht wecken, dass sie wahr sei; und
endlich zeigen, dass sie wahr ist.«**
Nach der Rede gegen die Indifferenz der Atheisten, die als allgemeine
Einleitung in das Werk dient, legte Pascal seine These von der Ohnmacht
der Vernunft dar, die außerstande ist, alles zu wissen und etwas mit
Gewissheit zu wissen, die darauf angewiesen ist, aufgrund des durch
das Umfeld der Dinge gebotenen Anscheins zu urteilen”. Der Glaube ist
ein überlegenes Erkenntnismittel: er vermag über die der Vernunft ge-
setzten Grenzen hinauszugehen. Aber auch wenn es so wäre, auch wenn
es keinerlei Mittel gäbe, zu Gott zu gelangen, mithilfe der Vernunft oder
auf irgendeinem anderen Weg, in der absoluten Unmöglichkeit zu wissen,
wäre es doch nötig, so zu handeln, als ob man wüsste. Denn nach der Wahr-
scheinlichkeitsrechnung ist es von Vorteil, zu wetten, dass die Religion
wahr ist und das eigene Leben so einzurichten, als sei sie wahr. Lebt man
christlich, riskiert man unendlich wenig, ein paar Jahre verwirrter Lüste
(plaisir mele), um die Unendlichkeit, die ewigen Freuden zu gewinnen‘.
Man muss bedenken, dass Pascal große Sorgfalt aufwandte, um diesem
Argument der Wette literarische Form, logische Rechtfertigung und
moralische Geltung zu geben, einem Argument, das in Wirklichkeit eine
Im übrigen gibt es eine enge Verknüpfung zwischen dem Lotto und der
Religion, die Gewinne zeigen, dass man »auserwählt« worden ist, dass
man der besonderen Gnade eines Heiligen oder der Muttergottes teilhaftig
geworden ist. Man könnte einen Vergleich anstellen zwischen der
aktivistischen Auffassung der Gnade bei den Protestanten, die dem
kapitalistischen Unternehmungsgeist die moralische Form gegeben hat,
und der dem katholischen Kleinvolk eigentümlichen passiven und
tagediebhaften Auffassung der Gnade. Die Funktion beachten, die Irland
bei der Wiederinkraftsetzung der Lotterien in den angelsächsischen
Ländern hat und die Proteste der Zeitungen, die den Geist der Reformation
repräsentieren, wie der »Manchester Guardian«.
1794 Sechzehntes Heft
Außerdem ist zu sehen, ob Baudelaire mit dem Titel seines Buches Die
künstlichen Paradiese (und auch in der Ausführung) sich von dem Ausdruck
»Opium des Volkes« hat anregen lassen: auf die Formel könnte er indirekt
in der politischen oder journalistischen Literatur gestoßen sein. Es scheint
mir nicht wahrscheinlich (ist aber nicht ausgeschlossen), dass es bereits vor
Balzacs Buch einige Redewendungen gab, mit denen das Opium und die
anderen Rauschgifte und Narkotika als Mittel zum Genuss eines künst-
lichen Paradieses vorgestellt wurden. (Es ist im übrigen daran zu erinnern,
dass Baudelaire bis 1848 an einer gewissen praktischen Tätigkeit teilhatte,
er war Herausgeber politischer Wochenschriften und beteiligte sich aktiv
an den Pariser Ereignissen von 1848).
$(3). Ein Repertoire der Philosophie der Praxis. (1.) Höchst nützlich
wäre ein kritisches Inventar aller Fragen, die zur Philosophie der Praxis auf-
geworfen und diskutiert worden sind, mit ausführlichen kritischen Biblio-
graphien. Das Material für ein solches spezialisiertes enzyklopädisches
Werk ist so ausgedehnt, disparat, von höchst unterschiedlichem Wert, in so
$(4). Die Zeitungen der großen Hauptstädte. Eine Reihe von Auf-
sätzen über den Journalismus der wichtigsten Hauptstädte der Staaten der
Welt, nach folgenden Kriterien: 1. Untersuchung der Tageszeitungen, die
an einem bestimmten Tag (nicht an einem zufällig ausgewählten, sondern
an dem irgendein für den betreffenden Staat bedeutendes Ereignis zu
verzeichnen ist) in einer Hauptstadt erscheinen - London, Paris, Madrid,
Berlin, Rom usw. —, um einen möglichst homogenen Vergleichspunkt zu
haben, das heißt das Hauptereignis und die relative Ähnlichkeit der anderen,
um ein Bild zu bekommen von der unterschiedlichen Weise, in der die
Parteien und Tendenzen ihre Meinungen wiedergeben und die sogenannte
öffentliche Meinung bilden. Weil aber keine Tageszeitung, besonders in
gewissen Ländern, tagtäglich unter technischem Gesichtspunkt dieselbe
ist, wird man sich für jede die Ausgaben einer ganzen Woche oder des Zeit-
raums besorgen müssen, in dem man den vollständigen Zyklus bestimmter
Sonderspalten und bestimmter Beilagen hat, deren Gesamtheit es erlaubt,
den Erfolg bei den Stammlesern zu verstehen.
2. Untersuchung der gesamten periodischen Presse, jeder Art (von der
Sportpresse bis zu den Gemeindeblättern), welche die Untersuchung der
Tageszeitungen vervollständigt, insofern sie nach dem Typus der Tages-
zeitung veröffentlicht werden.
3. Angaben über die Auflage, das Personal, die Herausgeberschaft, die
Geldgeber, die Werbung. Kurz, man müsste für jede Hauptstadt den
Gesamtmechanismus des Zeitungswesens rekonstruieren, das die ideolo-
gischen Tendenzen verbreitet, die kontinuierlich und gleichzeitig auf die
Bevölkerung einwirken.
4. Das Verhältnis der Presse der Hauptstadt zu derjenigen der Provinzen
feststellen; diese Beziehung ist von Land zu Land anders. In Italien ist
die Verbreitung der römischen Zeitungen verglichen mit den Mailänder
1800 Sechzehntes Heft
$(7). Die Weltfunktion Londons. Wie hat sich historisch die öko-
nomische Weltfunktion Londons herausgebildet? Amerikanische und
französische Versuche, London zu ersetzen. Die Funktion Londons ist ein
Aspekt der ökonomischen Hegemonie Englands, die sich auch noch
fortsetzt, nachdem die englische Industrie und der englische Handel ihre
vormalige Position eingebüßt haben. Wieviel bringt die Funktion Londons
der englischen Bourgeoisie ein? In einigen Schriften Einaudis aus der
Vorkriegszeit gibt es umfangreiche Hinweise zu diesem Thema. Mario Borsas
Buch über London. Angelo Crispis Buch über das englische Empire‘.
Guido de Ruggieros Buch’.
Das Thema ist vom Präsidenten der Westminster Bank in der bei der
Gesellschafterversammlung von 1929 gehaltenen Rede teilweise behandelt
worden: der Redner hat die Klagen* darüber erwähnt, dass die Anstren-
gungen, die zum Erhalt der Position Londons als internationales Finanz-
zentrum unternommen werden, der Industrie und dem Handel zu große
Opfer auferlegen, hat aber bemerkt, dass der Finanzmarkt von London
eine Rendite produziert, die in hohem Maße dazu beiträgt, das Defizit der
Zahlungsbilanz auszugleichen. Aus einer vom Handelsministerium durch-
geführten Erhebung geht hervor, dass 1928 dieser Beitrag 65 Millionen
Pfund war, 63 Millionen (19)27, 60 Millionen (19)26; diese Aktivität muss
deshalb als eine der größten englischen »Export«-Industrien betrachtet
werden. Es muss der bedeutende Anteil berücksichtigt werden, der London
am Kapitalexport zukommt, der eine jährliche Rendite von 285 Millionen
Pfund abwirft und der den Export englischer Waren erleichtert, weil die
Anlagen die Kaufkraft der Auslandsmärkte erhöhen. Der englische Ex-
porteur findet außerdem mit dem Mechanismus, den die internationale
Finanz sich in London geschaffen hat, Erleichterungen im Bank-, Wechsel-
usw.-Geschäft vor, die denen in jedem anderen Land überlegen sind. Es ist
folglich offensichtlich, dass die Opfer, die gebracht werden, um London
seine Vorherrschaft auf dem Gebiet der internationalen Finanz zu erhalten,
reichlich gerechtfertigt werden durch die Vorteile, die daraus folgen, aber
um diese Vorherrschaft zu erhalten, hielt man es für wesentlich, dass das
englische Währungssystem den freien Goldverkehr zur Grundlage hat;
* ImMs.: »lamenti fatti« (die gemachten, d.h. dort vorgebrachten Klagen); offenbar ein Versehen beim Über-
tragen des A-Textes.
Heft 16-$6-$8 1803
man glaubte, dass jede Maßnahme, die diese Freiheit behinderte, zu Lasten
Londons als internationalem Zentrum für Sichteinlagen gehen würde. Die
in London dazu getätigten ausländischen Einlagen stellten höchst beacht-
liche Summen dar, die diesem Platz zur Verfügung gestellt werden. Man
dachte, dass, wenn diese Mittel nicht mehr fließen würden, der Geldzins
vielleicht stabiler, aber zweifellos höher wäre‘.
Was ist nach dem Zusammenbruch des Pfundes aus all diesen Gesichts-
punkten geworden? (Es wäre interessant zu sehen, welche Termini der
Handelssprache aufgrund dieser Funktion Londons international geläufig
geworden sind, Termini, die oft nicht nur in der Fachpresse umlaufen,
sondern auch in den Zeitungen und in der allgemeinpolitischen periodischen
Presse).
$(8). Roberto Ardigö und die Philosophie der Praxis. (Vgl. den Band
Vermischte Schriften, gesammelt und zusammengestellt von Giovanni
Marchesini, Florenz, Le Monnier, 1922)'. Versammelt einen Teil der
Gelegenheitsschriften, sowohl aus der Zeit, in der Ardigö Priester war
(zum Beispiel eine interessante Auseinandersetzung mit Luigi De Sanctis,
einem aus dem Priesterstand ausgetretenen katholischen Priester, der in
der Folge zu einem der wortreichsten und geistlosesten Propagandisten
des Evangeliums geworden ist), als auch aus der Zeit im Anschluss an
Ardigös Ausscheiden aus dem Priesteramt und seines positivistischen
Pontifikats, die Ardigö selbst zusammengestellt und für die Veröffent-
lichung vorbereitet hatte. Diese Schriften können interessant sein für einen
Biographen Ardigös und um seine politischen Tendenzen exakt festzu-
stellen, aber größtenteils sind sie völlig wertloser Schund und in unver-
schämtester Weise geschrieben.
Das Buch zerfällt in mehrere Abteilungen. Unter den Polemiken (1. Ab-
teilung) ist die von 1903 gegen die Freimaurerei bemerkenswert; Ardigö
war antifreimaurerisch, und das in lebhafter und aggressiver Form.
Unter den Briefen (4. Abteilung) der an die »Gazzetta di Mantova« aus
Anlass der Wallfahrt zu Viktor Emanuels II. Grab (in der »Gazzetta di
Mantova« vom 29. November 1883)’. Ardigö hatte eingewilligt, einem
Förderkomitee für die Wallfahrt beizutreten. »Die Wallfahrt passte jedoch
vielen hitzköpfigen Revolutionären nicht in den Kram, die sich eingebildet
hatten, dass ich ebenso dächte wie sie und somit durch besagten Beitritt
meinen politisch-sozialen Glauben desavouierte. Und so reagierten sie
privat und öffentlich mit den heftigsten Ausfällen gegen meine Adresse«'.
1804 Sechzehntes Heft
Unter all den abgedroschenen und banalen Gedanken ragt der über den
Historischen Materialismus (S. 271) heraus, der ohne Weiteres dem Artikel
über den Gesellschaftlichen Einfluss des Flugzeugs von A. Loria an die Seite
zu stellen ist. Hier der vollständige Gedanke: »Mit der materialistischen
Geschichtsauffassung will man eine natürliche (!) Entwicklung erklären,
welche nur teilweise und nur indirekt von ihr (sic) abhängt, wobei andere
wesentliche Koeffizienten vernachlässigt werden. Ich will das sogleich
erläutern. Das Tier kann nicht leben, wenn es keine Nahrung findet. Und
es kann sie sich verschaffen, weil in ihm das Hungergefühl entsteht, welches
es veranlasst, nach Nahrung zu suchen. Aber in einem Tier entstehen außer
dem Hungergefühl viele andere Gefühle, bezogen auf andere Vorgänge,
die ebenfalls auf es einwirken und es in Bewegung setzen. Es ist so, dass mit
der Nahrung ein vorhandener Organismus erhalten wird, der besondere
Verhaltensweisen besitzt, bei der einen Spezies diese, bei einer anderen
andere. Niederströmendes Wasser setzt eine Mühle in Bewegung, um
Mehl zu produzieren, und einen Webstuhl, um Tuch zu produzieren. Also
braucht die Mühle neben dem strömenden Wasser auch Korn zum Mahlen
und der Webstuhl Garnfäden zum Weben. Während durch die Bewegung
ein Organismus erhalten wird, so bestimmt die Umwelt mit ihren anders-
artigen Einflüssen (!?), wie wir sagten, viele funktionelle Abläufe, die nicht
unmittelbar von der Ernährung abhängen, sondern von der speziellen
Struktur des funktionierenden Apparats einerseits und von der Aktion,
d.h. von neu hinzukommenden Einflüssen aus der Umwelt, andererseits.
Ein Mensch zum Beispiel wird somit in mehrfachem Sinn angetrieben.
Und in jedem auf unwiderstehliche Weise. Er wird angetrieben vom
Hungergefühl, er wird angetrieben von anderen Gefühlen, die aufgrund
seiner speziellen Struktur hervorgerufen werden, und von den Empfin-
dungen und Vorstellungen, die in ihm durch äußere Handlung erzeugt
werden, sowie durch die empfangene Belehrung usw. usf. (sic). Er muss
dem ersten Gefühl gehorchen, ABER ER MUSS AUCH DEN ÜBRIGEN
GEHORCHEN, ob er will oder nicht. Und die Gleichgewichte, die sich
zwischen dem Impuls des ersten und dieser übrigen herstellen, gestalten
sich, was die resultierende Handlung anbelangt, überaus verschiedenartig,
gemäß einer endlosen Zahl von Umständen, die das eine der treibenden
Gefühle mehr zur Wirkung bringen als das andere. In einer Schweineherde
behält das Hungergefühl die Oberhand, bei einer Bevölkerung von
Menschen ist dies durchaus anders, weil sie auch andere Sorgen haben außer
der, sich zu mästen. Beim Menschen differenziert sich das Gleichgewicht
1806 Sechzehntes Heft
$(9). Einige Probleme in Bezug auf das Studium der Entwicklung der
Philosophie der Praxis. Die Philosophie der Praxis war ein Moment der
modernen Kultur; in gewissem Maße hat sie einige von deren Strömungen
bestimmt oder befruchtet. Die Untersuchung dieser sehr wichtigen und
bedeutungsvollen Tatsache ist von den sogenannten Orthodoxen vernach-
lässigt worden oder wird von ihnen sogar ignoriert, und zwar aus folgen-
dem Grund: weil die relevanteste philosophische Verbindung zwischen
der Philosophie der Praxis und verschiedenen idealistischen Tendenzen
zustandegekommen ist, was den essentiell an die besondere Kultur-
strömung des letzten Viertels des vorigen Jahrhunderts (Positivismus,
Heft 16-$8-$9 1807
Szientismus) gebundenen sogenannten Orthodoxen als ein Widersinn,
wenn nicht sogar als eine Gaunerei von Scharlatanen erschienen ist (dennoch
gibt es in Plechanows Essay über die Grundprobleme einige Hinweise auf
diese Tatsache, aber nur kurz gestreift und ohne irgendeinen Versuch
kritischer Erklärung)‘. Daher scheint es notwendig, die Fragestellung neu
zu bewerten, wie sie von Antonio Labriola versucht worden ist.
glaubt von derselben Religion, die im Volk einen trivialen und niedrigen
Ausdruck hat, abergläubisch und voller Hexereien, wobei die Materie eine
nicht geringe Funktion hat.
Labriola unterscheidet sich von den einen wie von den anderen durch
seine (um die Wahrheit zu sagen, nicht immer sichere) Aussage, dass die
Philosophie der Praxis eine selbständige und ursprüngliche Philosophie
ist, die in sich selbst die Elemente für eine Weiterentwicklung enthält, um
aus einer Geschichtsinterpretation zu einer allgemeinen Philosophie zu
werden. Gerade in dieser Richtung gilt es zu arbeiten, Antonio Labriolas
Position entwickelnd, von der Rodolfo Mondolfos Bücher (soweit erinner-
lich) keine kohärente Weiterentwicklung zu sein scheinen. Mondolfo hat
anscheinend nie völlig den grundsätzlichen Standpunkt des Positivismus
eines Schülers von Roberto Ardigö aufgegeben. Das Buch von Mondoltfos
Schüler, Diambrini Palazzi (den Mondolfo in einem Vorwort vorstellt),
über die Philosophie Antonio Labriolas” ist ein Armutszeugnis, was Be-
griffe und Leitlinien der universitären Lehre von Mondolfo selbst betrifft.
Wieso hat die Philosophie der Praxis dieses Schicksal gehabt, mit ihren
Hauptelementen zur Bildung von Kombinationen sei es mit dem Idealismus
oder mit dem philosophischen Materialismus zu dienen? Die Forschungs-
arbeit ist unvermeidlich komplex und heikel: sie verlangt viel Feinheit in
der Analyse und intellektuelle Nüchternheit. Weil es sehr leicht ist, sich
von äußerlichen Ähnlichkeiten blenden zu lassen und die verborgenen
Ähnlichkeiten und die notwendigen, aber verdeckten Zusammenhänge zu
übersehen. Die Feststellung der Begriffe, welche die Philosophie der Praxis
den traditionellen Philosophien »überlassen« hat und dank derer diese einen
gewissen Moment der Verjüngung erfahren haben, muss mit viel kritischer
Vorsicht vollzogen werden und bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als
die Geschichte der modernen Kultur nach dem Wirken der Begründer der
Philosophie der Praxis zu schreiben. Die ausdrückliche Übernahme ist
offensichtlich nicht schwer [nachzuzeichnen], wenngleich auch sie kritisch
analysiert werden muss. Ein klassisches Beispiel stellt die crocianische
Reduktion der Philosophie der Praxis auf einen empirischen Kanon histo-
rischer Forschung dar, ein Konzept, das auch bei den Katholiken Eingang
gefunden (vgl. das Buch von Mons. Olgiati)' und zur Bildung der juristisch-
ökonomischen Schule der Geschichtsschreibung beigetragen hat, die auch
außerhalb Italiens Verbreitung gefunden hat. Aber die schwierigere und
heiklere Suche ist die nach den »impliziten«, uneingestandenen Über-
nahmen, zu denen es kam, weil die Philosophie der Praxis eben ein Moment
der modernen Kultur war, eine diffuse Atmosphäre, welche die alten
Denkweisen durch nicht offensichtliche oder nicht unmittelbare Aktionen
Heft 16-$9 1809
und Reaktionen verändert hat. Das Studium Sorels ist unter diesem
Gesichtspunkt besonders interessant, weil über Sorel und seinen Erfolg
diesbezüglich viele Anhaltspunkte gewonnen werden können; gleiches
kann von Croce gesagt werden. Aber die wichtigste Untersuchung scheint
diejenige der bergsonschen Philosophie und des Pragmatismus zu sein
[um zu sehen, wie weit bestimmte ihrer Positionen ohne das historische
Kettenglied der Philosophie der Praxis unvorstellbar wären].
Ein weiterer Aspekt der Frage ist die praktische Lehre in Politischer
Wissenschaft, welche die Philosophie der Praxis denselben Gegnern erteilt
hat, die sie vom Prinzip her bitter bekämpfen, so wie die Jesuiten theoretisch
Machiavelli bekämpften, obwohl sie in der Praxis seine besten Schüler
waren. In einer von Mario Missiroli in der Zeit, in der er Korrespondent
in Rom war (um 1925), in der »Stampa« veröffentlichten Meinungs-
äußerung heißt es ungefähr, es sei zu prüfen, ob die klügsten Industriellen
nicht zuinnerst davon überzeugt wären, dass die Kritische Ökonomie einen
sehr guten Einblick in ihre Angelegenheiten gewonnen hat, und sie sich
der so empfangenen Lehren bedienten'. All dies wäre keineswegs über-
raschend, denn wenn der Begründer der Philosophie der Praxis die Realität
genau analysiert hat, hat er nichts anderes getan, als das rational und
kohärent zu systematisieren, was die geschichtlichen Akteure dieser
Realität verworren und instinktiv empfanden und empfinden und dessen
sie sich im Anschluss an die gegnerische Kritik bewusster geworden sind.
Der andere Aspekt der Frage ist noch interessanter. Warum haben auch
die sogenannten Orthodoxen die Philosophie der Praxis mit anderen
Philosophien »kombiniert« und überwiegend mit der einen eher als mit
anderen? Was tatsächlich zählt, das ist die Kombination mit dem traditio-
nellen Materialismus; die Kombination mit dem Kantianismus hat nur
begrenzten Erfolg gehabt und dies nur bei engen intellektuellen Gruppen.
Zu diesem Thema ist Rosas Aufsatz über Fortschritte und Stillstand in der
Entwicklung der Philosophie der Praxis anzusehen, der notiert, wie die
Bestandteile dieser Philosophie sich in unterschiedlichem Maße entwickelt
haben, jedoch stets gemäß den Anforderungen der praktischen Aktivität”.
Die Begründer der neuen Philosophie wären also den Anforderungen ihrer
Zeit und auch der darauf folgenden weit vorausgeeilt, hätten ein Arsenal
mit Waffen angelegt, die, weil unzeitgemäß, noch nichts halfen und erst
mit der Zeit wieder aufpoliert worden wären. Die Erklärung ist ein wenig
verfänglich, insofern sie [großenteils] nichts tut, als die zu erklärende
Tatsache selbst in abstrahierter Form als Erklärung anzubieten, jedoch ist
etwas Richtiges an ihr, das sich vertiefen lässt. Einer der historischen
Gründe scheint in der Tatsache zu suchen zu sein, dass die Philosophie der
1810 Sechzehntes Heft
* Lat.:»Wo der Lutheranismus herrscht, ist dies der Untergang der Wissenschaft«.
1812 Sechzehntes Heft
$(10). Die Religion, das Lotto und das Opium des Elends. Julien
Lachelier, französischer Philosoph (über ihn siehe das Vorwort G. De
Ruggieros zu dem Band desselben Lachelier, Psychologie und M etaphysik,
Bari, Laterza, 1915) hat eine Anmerkung (eine »scharfsinnige«, sagt De
Ruggiero) über Pascals »Wette« verfasst, veröffentlicht in dem Band Über
die Grundlage der I nduktion” (Paris, Alcan, in der »Bibliothek der Philo-
sophie der Gegenwart«)'. Der Haupteinwand gegen den von Pascal ge-
gebenen Ansatz des religiösen Problems in der »Wette« ist derjenige der
»intellektuellen Loyalität« sich selbst gegenüber. Die ganze Auffassung
der »Wette« scheint, soweit ich mich erinnere, der Moral der Jesuiten näher
zu sein als der der Jansenisten, zu »merkantil« zu sein, usw. (vgl. im vorher-
gehenden Heft weitere Notizen zu diesem Thema)‘.
* Deutsch im Original.
Heft 16-$10-$11 1817
»Mit 1918 kam es zu einer höchst bedeutsamen Neuerung in unserem
Recht, einer Neuerung, die seltsamerweise (es gab 1918 freilich die Presse-
zensur!) keinerlei Beachtung fand: der Staat begann wieder, den katholi-
schen Kult finanziell zu unterstützen, und gab nach dreiundsechzig Jahren
das Cavoursche Prinzip auf, das dem sardischen Gesetz vom 29. Mai 1855
zugrunde gelegt worden war: der Staat darf keinerlei Kult finanziell unter-
stützen«. A.C. Jemolo in dem Artikel Religion des Staates und anerkannte
Konfessionen, in »Nuovi Studi di Diritto, Economia, Politicas, Jahrgang
1930, 5.30. Die Neuerung wurde eingeführt mit [Statthalter-]Erlassen* vom
17. März 1918, Nr. 396, und 9. Mai 1918, Nr. 655. In diesem Zusammen-
hang verweist Jemolo auf die Bemerkung von D. Schiappoli, Die jüngsten
ökonomischen Maßnahmen zugunsten des Klerus, Neapel, 1922, entnom-
men dem Band XLVII der Sitzungsberichte der Königl. Akademie der
moralischen und politischen Wissenschaften von Neapel’.
des anderen Staates, die sich durch die Vatikanstadt repräsentieren lassen.
Das Konkordat ist folglich die ausdrückliche Anerkennung einer doppelten
Souveränität auf ein und demselben Staatsgebiet. Es handelt sich zwar nicht
mehr um dieselbe übernationale Form von Souveränität (suzerainete*), die
dem Papst im Mittelalter bis zu den absoluten Monarchien und in anderer
Form auch danach bis 1848 formell zuerkannt war, aber sie ist ein davon
abgeleiteter notwendiger Kompromiss. Im übrigen gingen, auch in den
glänzendsten Zeiten des Papsttums und seiner übernationalen Gewalt, die
Dinge nicht immer ganz glatt: die päpstliche Oberhoheit, wenn auch
rechtlich anerkannt, wurde de facto häufig sehr scharf angegriffen, und im
besten Fall beschränkte sie sich auf die politischen, ökonomischen und
steuerlichen Privilegien des Episkopats der einzelnen Länder.
Die Konkordate greifen auf grundlegende Weise den Autonomie-
charakter der Souveränität des modernen Staates an. Erhält der Staat eine
Gegenleistung? Gewiss, aber er erhält sie auf seinem eigenen Territorium
bezüglich seiner eigenen Staatsbürger. Der Staat (und in diesem Fall müsste
man eher sagen die Regierung) hat davon, dass die Kirche die Ausübung
der Gewalt nicht behindert, sie vielmehr begünstigt und unterstützt, so
wie eine Krücke einen Invaliden stützt. Die Kirche verpflichtet sich also
gegenüber einer bestimmten Regierungsform (die von außen bestimmt ist,
wie das Konkordat selbst dokumentiert), den Konsens eines Teils der
Regierten zu befördern, von dem der Staat explizit eingesteht, dass er ihn
nicht mit eigenen Mitteln erlangen kann: eben darin besteht die Kapitu-
lation des Staates, weil dieser de facto der Vormundschaft einer äußeren
Souveränität zustimmt, deren Überlegenheit er praktisch anerkennt. Das
Wort »Konkordat« selbst ist dafür symptomatisch. Die in den »Nuovi
Studi« veröffentlichten Artikel über das Konkordat gehören zu den interes-
santesten und eignen sich leichter zur Widerlegung’. (An den »Vertrag«
erinnern, dem sich die Georgische demokratische Republik nach der
Niederlage General Denikins unterwerfen musste)“.
Aber was bedeutet, auch in der modernen Welt, praktisch die in einem
Staat durch die Konkordatsbeschlüsse geschaffene Situation? Sie bedeutet
die öffentliche Anerkennung bestimmter politischer Privilegien für eine
Kaste von Bürgern desselben Staates. Die Form ist nicht mehr die mittel-
alterliche, aber die Substanz ist dieselbe. In der Entwicklung der modernen
Geschichte hatte die Kaste erlebt, wie ein Monopol auf die gesellschaftliche
Funktion, die ihre Existenz erklärte und rechtfertigte, das Monopol der Bil-
dung und der Erziehung, angegriffen und zerstört wurde. Das Konkordat
* Frz.:»Lehensherrlichkeit«.
Heft 16-$11 1819
erkennt dieses Monopol erneut an, wenn auch gemildert und kontrolliert,
da es der Kaste Ausgangspositionen und -bedingungen sichert, die sie aus
ihren eigenen Kräften, mit dem ihrer Weltauffassung innewohnenden
Festhalten an der tatsächlichen Wirklichkeit, nicht aufrechterhalten und
haben könnte.
Man versteht folglich den heimlichen und schmutzigen Kampf der welt-
lichen und laizistischen Intellektuellen gegen die Kasten-Intellektuellen,
um ihre Autonomie und ihre Funktion zu retten. Ihre innerliche Kapitu-
lation und ihre Distanz zum Staat ist jedoch nicht zu leugnen. Der ethische
Charakter eines konkreten Staates, eines bestimmten Staates, wird definiert
durch seine wirkliche Gesetzgebung und nicht durch die Polemiken der
Heckenschützen der Kultur. Wenn diese behaupten: der Staat sind wir,
behaupten sie nur, dass der sogenannte Einheitsstaat eben nur ein »soge-
nannter« ist, weil es in ihm de facto eine sehr schwerwiegende Spaltung
gibt, um so schwerwiegender, als sie durch die Gesetzgeber und Regie-
renden selbst implizit behauptet wird, die in der Tat sagen, dass der Staat
gleichzeitig zweierlei sei: derjenige der geschriebenen und angewandten
Gesetze und derjenige der Bewusstseine, die innerlich jene Gesetze nicht
als wirksam anerkennen und sie ihres ethischen Inhalts auf schmutzige
Weise zu entleeren (oder doch in der Anwendung zu begrenzen) suchen.
Es handelt sich um einen Machiavellismus kleiner Politikaster; die
Philosophen des aktualen Idealismus, besonders der Abteilung dressierte
Papageien der »Nuovi Studi«, können sich die erlauchtesten Opfer des
Machiavellismus nennen. Nützlich ist das Studium der Arbeitsteilung, die
sich zwischen der Kaste und den weltlichen Intellektuellen herzustellen
sucht: der ersteren wird die intellektuelle und moralische Ausbildung der
Jüngsten überlassen (Grund- und Mittelschulen“”), den letzteren die weite-
re Entwicklung der Jugendlichen an der Universität. Aber die universitäre
Schule ist nicht demselben Monopolregime unterworfen, dem dagegen die
Grund- und Mittelschule untersteht. Es gibt die Universitä del Sacro Cuore,
und es können weitere, den staatlichen Universitäten vollständig gleich-
gestellte katholische Universitäten organisiert werden. Die Folgen sind
offensichtlich: die Grund- und Mittelschule ist die Schule des Volkes und
des Kleinbürgertums, soziale Schichten, deren Erziehung von der Kaste
monopolisiert wird, da die große Mehrheit ihrer Angehörigen nicht bis
zur Universität gelangt, d.h. die moderne Erziehung in ihrer höheren,
historisch-kritischen Phase nicht kennenlernt, sondern lediglich die dog-
matische Erziehung kennenlernt. Die Universität ist die eigentliche Schule
der führenden Klasse (und des führenden Personals), sie ist der Mechanis-
mus, durch den die Auswahl der Individuen der anderen Klassen erfolgt,
1820 Sechzehntes Heft
Karriere sind: die ruhige Sicherheit der eigenen Würde und Autorität und
die Kunst, mit den anderen umzugehen und sie zu regieren.
Ein Grund für die Schwäche der Kirche in der Vergangenheit bestand
darin, dass die Religion wenige Karrieremöglichkeiten außerhalb der
kirchlichen Karriere hergab: der Klerus selbst hatte sich qualitativ ver-
schlechtert durch die »spärlichen Berufungen« bzw. durch die Berufungen
von intellektuell nur subalternen Elementen. Diese Krise war bereits vor
dem Krieg deutlich sichtbar: sie war ein Aspekt der allgemeinen Krise der
Laufbahnen mit festem Einkommen mit langsamen und schwerfälligen
Personalbeständen, d.h. der sozialen Unruhe in der subalternen intellek-
tuellen Schicht (Grundschullehrer, Mittelschullehrer, Priester, usw.), in der
sich die Konkurrenz der an die Entwicklung der Industrie und der privat-
kapitalistischen Organisation im allgemeinen gebundenen Berufe (des
Journalismus z.B., der viele Lehrer absorbiert, usw.) bemerkbar machte.
Schon hatte die Invasion der Lehrerseminare und der Universitäten von
seiten der Frauen begonnen, und, mit den Frauen, der Priester, denen die
Kurie (nach den Credaro-Gesetzen) nicht verbieten konnte, ein öffentliches
Diplom zu erwerben, das es erlaubte, sich um staatliche Anstellungen zu
bewerben und so die individuelle »Finanzlage« aufzubessern. Viele dieser
Priester verließen, kaum dass sie das öffentliche Diplom erhalten hatten,
die Kirche (während des Krieges erlangte diese Erscheinung einen gewissen
Umfang aufgrund der Mobilisierung und der Berührung mit weniger be-
drückenden und beschränkten Lebensumständen als den kirchlichen). Die
kirchliche Organisation erlitt folglich eine konstitutionelle Krise, die
ihrer Macht‘ zum Verhängnis hätte werden können, wenn der Staat seine
Position der Laizität vollständig aufrechterhalten hätte, auch ohne eines
aktiven Kampfes zu bedürfen. Im Kampf zwischen den Lebensformen
war die Kirche dabei, im Selbstlauf unterzugehen, aus eigener Erschöpfung.
Der Staat rettete die Kirche. Die wirtschaftliche Lage des Klerus wurde
wiederholt verbessert, während der allgemeine Lebensstandard, speziell
jedoch der Mittelschichten, sich verschlechterte. Die Verbesserung war
derart, dass die »Berufungen« sich wunderbar vermehrt haben und selbst
den Papst beeindruckten, der sie eben mit der neuen wirtschaftlichen Lage
erklärte”. Die Grundlage für die Auslese der zum Priesterstand Geeigneten
wurde folglich erweitert und erlaubte größere Strenge und höhere An-
sprüche an Bildung.
Aber wenn die kirchliche Laufbahn die stabilste Grundlage der Macht des
Vatikans ist, erschöpfen sich seine Möglichkeiten doch nicht darin. Die neue
Schulstruktur erlaubt, dass in das weltliche Führungspersonal katholische
Zellen eindringen, die immer stärker werden, Elemente, die ihre Stellung
1822 Sechzehntes Heft
allein der Kirche verdanken werden. Es ist denkbar, dass die klerikale Infil-
tration ins Gefüge des Staates nach und nach zunehmen wird, denn in der
Kunst, die Individuen auszuwählen und sie dauerhaft an sich zu binden,
ist die Kirche fast unschlagbar. Wenn sie die Gymnasien und die anderen
Mittelschulen über ihre Vertrauensleute kontrolliert, wird sie mit der ihr
eigenen Hartnäckigkeit den tüchtigsten jungen Leuten der armen Klassen
nachstellen und ihnen helfen, die Studien an den katholischen Universitäten
fortzusetzen. Stipendien, finanziell unterstützt von Konvikten, mit der
äußersten Sparsamkeit an den Universitäten organisiert, werden diese
Aktion ermöglichen. Die Kirche kann sich in ihrer heutigen Phase, mit
dem vom gegenwärtigen Papst der Katholischen Aktion gegebenen Anstoß,
nicht allein damit bescheiden, Priester hervorzubringen; sie will den Staat
durchdringen (an die von Bellarmin ausgearbeitete Theorie der indirekten
Regierung erinnern’‘), und dafür sind die Laien nötig, ist eine Konzen-
tration katholischer Bildung nötig, die von Laien repräsentiert wird. Viele
Persönlichkeiten können als Universitätsprofessoren, als hohe Verwal-
tungsbeamte, usw. wertvollere Helfer der Kirche werden denn als Kardinäle
oder Bischöfe.
Bei erweiterter Grundlage für die Auswahl der »Berufungen« hat eine
solche kulturell-weltliche Aktivität große Möglichkeiten der Ausdehnung.
Die Universitä del Sacro Cuore und das neuscholastische Zentrum sind
nur die ersten Zellen dieser Arbeit. Indes war der Philosophiekongress von
1929 symptomatisch: hier prallten aktuale Idealisten und Neuscholastiker
aufeinander, und letztere nahmen, beseelt von kämpferischem Eroberungs-
geist, am Kongress teil‘. Die neuscholastische Gruppe wollte nach dem
Konkordat gerade kämpferisch, selbstbewusst erscheinen, um die Jugend-
lichen zu interessieren. Man muss berücksichtigen, dass eine der Stärken
der Katholiken darin besteht, dass sie auf die sendgültigen Widerlegungen«
ihrer nicht-katholischen Gegner pfeifen: die widerlegte These nehmen sie
unbeirrt wieder auf, wie wenn nichts gewesen wäre, Die intellektuelle
»Uneigennützigkeit«, die wissenschaftliche Loyalität und Ehrlichkeit ver-
stehen sie nicht oder verstehen sie als Schwäche und Einfalt der anderen.
Sie setzen auf die Macht ihrer Weltorganisation, die auftritt, als wäre sie ein
Wahrheitsbeweis, und auf die Tatsache, dass die große Mehrheit der Bevöl-
kerung noch nicht »modern« ist, noch ptolemäisch ist in der Auffassung
der Welt und der Wissenschaft.
Wenn der Staat darauf verzichtet, aktives und zwar permanent aktives
Zentrum einer eigenen, autonomen Kultur zu sein, kann die Kirche nur
substantiell triumphieren. Aber der Staat greift nicht nur als autonomes
Zentrum nicht ein, sondern vernichtet jeden Widersacher der Kirche,
Heft 16-$11 1823
der in der Lage wäre, ihre geistliche Herrschaft über die Menge einzu-
schränken.
Es lässt sich voraussehen, dass die Konsequenzen aus einer solchen
Sachlage, bei gleichbleibendem allgemeinem Rahmen der Umstände, von
- größter Bedeutung sein können. Die Kirche ist ein noch unerbittlicherer
Shylock als der Shylock bei Shakespeare: sie wird ihr Pfund Fleisch wollen,
auch wenn ihr Opfer dabei verblutet, und mit Hartnäckigkeit wird sie, ihre
Methoden kontinuierlich verändernd, bestrebt sein, ihr Maximalpro-
gramm zu erfüllen. Mit Disraeli zu sprechen sind die Christen die intelligen-
teren Juden, die verstanden haben, wie man es anstellen musste, um die
Welt zu erobern’. Mit der Widerlegung ihrer theoretischen Postulate auf
philosophischer Ebene und mit den platonischen Beteuerungen einer
staatlichen Autonomie (die nicht militant ist) kann die Kirche nicht auf
ihre »normale« Stärke zurückgebracht werden: vielmehr allein durch
alltägliches praktisches Handeln, mit der Hebung der schöpferischen
menschlichen Kräfte auf dem ganzen Gebiet der Gesellschaft.
Ein Aspekt der Frage, der gut erwogen werden muss, ist der der finan-
ziellen Möglichkeiten des vatikanischen Zentrums. Die in ständiger Ent-
wicklung begriffene Organisation des Katholizismus in den Vereinigten
Staaten gibt die Möglichkeit, sehr ansehnliche Beträge zusammenzubringen,
neben den nunmehr gesicherten normalen Renditen (die jedoch ab 1937
jährlich um 15 Millionen schrumpfen werden wegen der Umwandlung der
öffentlichen Schuld von 5% auf 3,5%)" und dem Peterspfennig. Könnten
internationale Fragen bezüglich des Eingreifens der Kirche in die inneren
Angelegenheiten der einzelnen Länder entstehen, wenn der Staat die Kirche
dauerhaft unterstützt? Eine heikle Frage, wie man sagt.
Die Finanzfrage macht das Problem der vom Papst verkündeten soge-
nannten Untrennbarkeit von Vertrag und Konkordat sehr interessant.
Angenommen, der Papst sähe sich gezwungen, auf dieses politische
Druckmittel gegen den Staat zurückzugreifen, würde sich nicht sofort das
Problem der Rückzahlung der kassierten Summen stellen (die eben an den
Vertrag und nicht an das Konkordat gebunden sind)? Aber sie sind so
gewaltig, und es ist denkbar, dass sie zum Großteil in den ersten Jahren
ausgegeben worden sind, dass man ihre Rückzahlung für praktisch unmög-
lich ansehen kann. Kein Staat könnte dem Pontifex ein so großes Darlehen
geben, um ihm aus der Verlegenheit zu helfen, und um so weniger ein Privat-
mann oder eine Bank. Die Kündigung des Vertrags würde eine solche Krise
in der praktischen Organisation der Kirche auslösen, dass ihre Zahlungs-
fähigkeit, wenn auch langfristig, zunichte gemacht würde. Das dem Vertrag
beigegebene Finanzabkommen muss deshalb als der wesentliche Teil des
1824 Sechzehntes Heft
Vertrags selbst betrachtet werden, als die Versicherung gegen eine so gut wie
unmögliche, aus Gründen der Polemik und des politischen Drucks
erwogene Kündigung des Vertrags.
Im Konflikt zwischen Bismarck und dem Heiligen Stuhl lassen sich die
Ausgangspunkte für eine Reihe von Fragen finden, die aufgrund der Tat-
sache aufgeworfen werden könnten, dass der Vatikan seinen Sitz in Italien
hat und bestimmte Beziehungen mit dem italienischen Staat unterhält:
Bismarck »ließß von seinen Juristen (schreibt Salata, aaO., S. 271) die
Theorie von der Verantwortlichkeit des italienischen Staates für die poli-
tischen Angelegenheiten des Papstes verbreiten, dem Italien diese Lage der
Unverletzlichkeit und Nicht-Verantwortlichkeit verschafft hatte, was die
vom Pontifex anderen Staaten gegenüber verursachten Schädigungen und
Beleidigungen angeht«.
Man hört oft sagen, dass eine bestimmte Gewohnheit zu einer »zweiten
Natur« geworden ist; wird aber die »erste Natur« tatsächlich die »erste«
gewesen sein? Enthält diese Ausdrucksweise des Alltagsverstands nicht
den Hinweis auf die Geschichtlichkeit des »menschlichen Wesens«?
Eine Auffassung wie die oben dargelegte scheint zu einer Form des
Relativismus und folglich des moralischen Skeptizismus zu führen. Man
bemerkt, dass sich dasselbe von allen bisher von der Philosophie ausge-
arbeiteten Auffassungen sagen lässt, deren kategorische und objektive
Imperativität vom »bösen Willen« stets auf Formen von Relativismus und
Skeptizismus zurückgeführt werden konnte. Damit die religiöse Auffassung
wenigstens als absolute und objektiv universale erscheinen könnte, wäre es
Heft 16-$12 1827
nötig, dass sie monolithisch aufträte, zumindest intellektuell einheitlich bei
allen Gläubigen, was weit entfernt von der Wirklichkeit ist (Unterschied der
Schule, Sekten, Richtungen und Klassenunterschiede: Einfache und Gebil-
dete, usw.): von daher die Funktion des Papstes als unfehlbarer Lehrer.
Dasselbe lässt sich von Kants kategorischem Imperativ sagen: »Handle
so, wie du möchtest, dass alle Menschen unter denselben Bedingungen
handeln«“. Es ist offensichtlich, dass jeder bona fide* denken kann, dass alle
so handeln müssten wie er, auch wenn er Handlungen begeht, die hingegen
für entwickeltere Bewusstseine oder solche von anderer Kultur abstoßend
sind. Ein eifersüchtiger Ehemann, der die untreue Frau tötet, denkt, dass
alle Ehemänner die untreuen Frauen töten sollten usw. Angemerkt werden
kann, dass es keinen Übeltäter gibt, der das begangene Verbrechen, wie
niederträchtig es auch immer sein mag, innerlich nicht rechtfertigen würde:
und deshalb sind die Unschuldsbeteuerungen so vieler Verurteilter nicht
ohne eine gewisse Überzeugungskraft guten Glaubens; in Wirklichkeit
kennt jeder von ihnen genau die objektiven und subjektiven Umstände,
unter denen er das Verbrechen begangen hat, und aus dieser Kenntnis, die
er den anderen oft nicht rational vermitteln kann, leitet er die Über-
zeugung her, »gerechtfertigt« zu sein; nur wenn seine Weise, das Leben
aufzufassen, sich verändert, kommt er zu einem anderen Urteil, was oft
geschieht und viele Selbstmorde erklärt. Kants Formel, realistisch analysiert,
überwindet keinerlei gegebene Umstände” mit all ihren moralischen
Aberglauben und ihren barbarıschen Gewohnheiten; sie ist statisch, sie ist
eine leere Form, die mit jedem beliebigen gegenwärtigen und anachro-
nistischen geschichtlichen Inhalt gefüllt werden kann (mit seinen Wider-
sprüchen natürlich, weshalb das, was jenseits der Pyrenäen Wahrheit ist,
diesseits der Pyrenäen Lüge ist). Kants Formel scheint überlegen, weil die
Intellektuellen sie mit ihrer besonderen Lebens- und Handlungsweise
füllen, und man kann zugeben, dass bestimmte Gruppen von Intellek-
tuellen bisweilen fortgeschrittener und ziviler sind als ihre Umgebung.
Das Argument der Gefahr des Relativismus und Skeptizismus sticht also
nicht. Die Frage, die gestellt werden muss, ist eine andere: enthält diese
gegebene moralische Auffassung Eigenschaften von einer bestimmten
Dauer? oder ändert sie sich täglich bzw. gibt in derselben Gruppe Anlass
zur Formulierung der Theorie von der doppelten Wahrheit? Außerdem:
kann sich auf ihrer Grundlage eine Elite bilden, welche die Menge führt,
sie erzieht und in der Lage ist, »Vorbild« zu sein? Wenn diese Punkte bejaht
werden können, ist die Auffassung gerechtfertigt und stichhaltig.
* Lat.:»guten Glaubens«.
1828 Sechzehntes Heft
Doch es wird eine Zeit der Erschlaffung, sogar der Libertinage und der
moralischen Auflösung geben. Das ist alles andere als ausgeschlossen, aber
nicht einmal das ist ein stichhaltiges Argument. Zeiten moralischer Auf-
lösung hat es in der Geschichte häufig gegeben, wobei dieselbe allgemeine
moralische Auffassung ihre Vorherrschaft aufrechterhielt, und sie hatten
ihren Ursprung in realen und konkreten Gründen und nicht in den mora-
lischen Auffassungen: sehr oft zeigen sie an, dass eine Auffassung veraltet
ist, zerfallen ist, rein formalistische Heuchelei geworden ist, sich aber
durch Zwang oben zu halten versucht und die Gesellschaft zu einem
Doppelleben nötigt; auf Heuchelei und Doppelzüngigkeit reagieren eben in
übertriebenen Formen die Zeiten der Libertinage und der Auflösung, die
fast immer ankündigen, dass eine neue Auffassung im Entstehen begriffen
ist.
Die Gefahr moralischer Leblosigkeit wird hingegen durch die fatalistische
Theorie derjenigen Gruppen repräsentiert, welche die Auffassung von der
»Natürlichkeit« gemäß der »Natur« der Tiere teilen, wonach alles durch
die gesellschaftlichen Umstände gerechtfertigt ist. Jeder Sinn für individuelle
Verantwortlichkeit stumpft sich so ab, und jede Einzelverantwortlichkeit
wird in einer abstrakten und nicht greifbaren gesellschaftlichen Verant-
wortlichkeit ertränkt. Wenn dieser Gedanke wahr wäre, wären die Welt
und die Geschichte für immer unbeweglich. Wenn das Individuum, um
sich zu verändern, es tatsächlich nötig hätte, dass vor ihm die ganze Gesell-
schaft sich verändert hätte, mechanisch, durch wer weiß welche außer-
menschliche Kraft, käme es nie zu irgendeiner Veränderung. Die Ge-
schichte ist indes ein ständiger Kampf von Individuen oder Gruppen um
die Veränderung dessen, was in jedem gegebenen Moment existiert; damit
aber der Kampf wirksam ist, müssen sich diese Individuen und Gruppen
dem Existierenden überlegen fühlen, als Erzieher der Gesellschaft, usw.
Folglich rechtfertigen die Umstände nicht, sondern »erklären« nur das
Verhalten der Individuen und besonders das der historisch passivsten. Die
»Erklärung«.dient bisweilen dazu, nachsichtig zu machen gegenüber den
einzelnen, und gibt der Erziehung Stoff, darf aber nie »Rechtfertigung«
werden, ohne notwendig zu einer der heuchlerischsten und wider-
wärtigsten Formen des Konservatismus und der »Rückständigkeit« zu
führen.
Dem Begriff des »Natürlichen« stellt man den des »Künstlichen«, des
»Konventionellen« gegenüber. Aber was bedeutet »künstlich« und
»konventionell«, wenn es auf die Massenphänomene bezogen wird? Es
bedeutet einfach »historisch«, erworben durch die historische Entwicklung,
und vergebens sucht man der Sache eine abwertende Bedeutung zu geben,
Heft 16-$12 -$ 13 1829
weil sie auch in das Alltagsbewusstsein mit dem Ausdruck »zweite Natur«
eingegangen ist. Man kann folglich von Künstlichem und Konventionalität
in Bezug auf persönliche Idiosynkrasien, nicht auf bereits ablaufende
Massenphänomene sprechen. Reisen mit der Eisenbahn ist »künstlich«,
aber gewiss nicht wie das Schminken des Gesichts.
Gemäß den in den vorangehenden Absätzen gegebenen Hinweisen stellt
sich als positives Resultat das Problem, wer entscheiden soll, dass ein be-
stimmtes moralisches Verhalten das einem bestimmten Entwicklungs-
stadium der Produktivkräfte angemessenste ist. Gewiss kann keine Rede
davon sein, einen speziellen »Papst« oder ein zuständiges Amt einzurichten.
Die führenden Kräfte werden eben dadurch entstehen, dass die Denkweise
in diesem realistischen Sinn ausgerichtet sein wird, und sie werden durch
den Zusammenprall der widersprechenden Meinungen selbst, ohne
»Konventionalität« und »Künstliches«, sondern »natürlich« entstehen.
ist über eine solche... populäre Herleitung »Rastignac« geworden und hat
ee 1
»Corrado Brando« verteidigt) .
Nietzsches Erfolg war vielfältig zusammengesetzt: seine gesammelten
Werke werden vom Verleger Monanni herausgebracht, und man kennt ja
die ideologisch-kulturellen Ursprünge Monannis und seiner ihm treuest
ergebenen Kundschaft.
Vautrin und der »Freund Vautrins« haben breite Spuren in Paolo Valeras
Schriften und in seiner »Folla« hinterlassen (an den Turiner »Freund
Vautrins« der »Folla« erinnern)”. Eine breite populäre Gefolgschaft hat die
dem Roman von Dumas entnommene Ideologie der »Musketiere« gehabt.
Dass man sich etwas schämt, die eigenen Auffassungen mit den Romanen
von Dumas und Balzac geistig zu rechtfertigen, ist leicht zu verstehen:
deshalb rechtfertigt man sie mit Nietzsche und verehrt Balzac als Kunst-
schriftsteller und nicht als Schöpfer von Romangestalten des Feuilleton-
Typs. Aber der wirkliche Zusammenhang scheint kulturell außer Zweifel
zu stehen.
Der Typus des »Übermenschen« ist Monte Cristo, befreit von dem
besonderen Nimbus des »Fatalismus«, welcher der Spätromantik eigen ist
und der bei Athos undJ.Balsamo noch ausgeprägter (ist). Monte Cristo in
die Politik übertragen ist gewiss überaus pittoresk: der Kampf gegen die
»persönlichen Feinde« Monte Cristos, usw.
Vgl. das Buch von Mario Praz: Liebe, Tod und Teufel in der romantischen
Literatur (Verlag Cultura)': neben der Untersuchung von Praz wäre
folgende weitere Untersuchung durchzuführen: zum »Übermenschen« in
der Popularliteratur und zu seinen Auswirkungen auf das wirkliche Leben
und die Gewohnheiten (das Kleinbürgertum und die kleinen Intellektuel-
len sind von solchen romanhaften Bildern besonders beeinflusst, die wie
ihr »Opium« sind, ihr »künstliches Paradies«, im Kontrast zur Erbärm-
lichkeit und Enge ihres unmittelbaren wirklichen Lebens): von daher der
Erfolg einiger Sprüche wie: »besser einen Tag als Löwe statt hundert Jahre
als Schaf«, besonders großer Erfolg bei dem, der wirklich und unwider-
ruflich Schaf ist. Wieviele von diesen »Schafen« sagen: Oh! wenn ich auch
Heft 16- $13 1831
nur für einen Tag die Macht hätte usw.; ein unerbittlicher »Rächer« zu sein,
ist das Verlangen derer, die Monte Cristos Einfluss spüren.
Adolfo Omodeo hat bemerkt, dass es eine Art kultureller »Toter Hand«”
gibt, die durch die religiöse Literatur gebildet wird, mit der sich anscheinend
_ niemand beschäftigen will, als hätte sie keine Bedeutung und Funktion im
Leben der Nation und des Volkes’. Abgesehen von dem Epigramm der
»Toten Hand« und der Genugtuung des Klerus darüber, dass seine
spezielle Literatur keiner kritischen Prüfung unterzogen wird, gibt es einen
weiteren Sektor des kulturellen Lebens der Nation und des Volkes, mit
dem sich niemand kritisch beschäftigt und auseinandersetzt, und das ist
eben die Feuilletonliteratur im engeren und auch im weiteren Sinn (in
diesem Sinne gehört auch Victor Hugo dazu, ebenso Balzac).
Im Monte Cristo gibt es zwei Kapitel, in denen über den Feuilleton-
»Übermenschen« ausdrücklich disputiert wird: das mit »Ideologie«
überschriebene, als Monte Cristo mit dem Staatsanwalt Villefort zusammen-
trifft, und dasjenige, welches das Essen beim Grafen von Morcerf auf
Monte Cristos erster Reise nach Paris schildert. Man muss sehen, ob es in
anderen Romanen von Dumas »ideologische« Stichworte dieser Art gibt.
In den Drei Musketieren hat Athos mehr von dem allgemeinen Schicksals-
menschen der Spätromantik: in diesem Roman werden die individua-
listischen Stimmungen im Volk eher mit dem abenteuerlichen und außer-
gesetzlichen Treiben der Musketiere als solcher erregt. Im Joseph Balsamo
ist die Macht des Individuums an finstere Zauberkräfte und an die Unter-
stützung der europäischen Freimaurerei gebunden, folglich ist das Beispiel
weniger eindrucksvoll für den Leser aus dem Volk. Bei Balzac sind die
Gestalten künstlerisch bestimmter, gehören aber dennoch der Atmosphäre
der populären Romantik an. Rastignac und Vautrin sind sicher nicht mit
Dumas’ Personen zu verwechseln, und gerade deshalb ist ihr Einfluss
leichter zu »beichten«, nicht nur von Leuten wie Paolo Valera und seinen
Mitarbeitern der »Folla«, sondern auch von mittelmäßigen Intellektuellen
wie V. Morello, die meinen (oder von denen viele meinen), der »Hoch-
kultur« anzugehören.
An Balzac heranzurücken ist Stendhal mit der Gestalt des Julien Sorel
und anderen aus dem Repertoire seiner Romane.
Zu Nietzsches »Übermenschen« sind außer dem französischen roman-
tischen Einfluss (und allgemein des Napoleonkultes) die rassistischen
Tendenzen zu sehen, die bei Gobineau und in der Folge bei Chamberlain
sowie bei den Alldeutschen (Treitschke, die Theorie der »Macht«" usw.)
ihren Höhepunkt erreicht haben.
1832 Sechzehntes Heft
* Im Ms.: »43«.
1834 Sechzehntes Heft
f(16). Die Begründer der Philosophie der Praxis und Italien. Eine
systematische Sammlung aller Schriften (auch des Briefwechsels)', die
Italien betreffen bzw. italienische Probleme behandeln. Aber eine Samm-
lung, die sich auf eine solche Auswahl beschränkte, wäre nicht organisch
und vollständig. Es gibt Schriften von den beiden Autoren, die, auch wenn
sie nicht speziell Italien betreffen, eine Bedeutung haben für Italien, nicht
eine allgemeine Bedeutung natürlich, denn sonst würden alle Werke der
beiden Autoren sozusagen Italien betreffen. Die Gliederung der Samm-
lung könnte nach folgenden Kriterien aufgebaut sein: 1. Schriften, die
speziell auf Italien Bezug nehmen, 2. Schriften, die »spezifische« Themen
historischer und politischer Kritik betreffen, die sich zwar nicht auf Italien
beziehen, aber doch im Zusammenhang mit italienischen Problemen stehen.
Beispiele: Der Artikel über die spanische Verfassung von 1812 hat Bezug
zu Italien aufgrund der politischen Funktion, die diese Verfassung für die
italienischen Bewegungen bis 48 gehabt hat”. Ebenso hat Bezug zu Italien
die Kritik des Elends der Philosophie an der Verfälschung der Hegelschen
Dialektik durch Proudhon‘, die in entsprechenden intellektuellen Bewe-
gungen in Italien (Gioberti; der Hegelianismus der Moderati; Begriff der
passiven Revolution; Dialektik von Revolution-Restauration) Widerhall
findet. Dasselbe gilt für Engels’* Schrift über die spanischen libertären
Unruhen von 1873" (nach der Abdankung Amadeos von Savoyen), (die)
einen Bezug zu Italien hat, usw.
Diese zweite Reihe von Schriften muss vielleicht nicht in einer Sammlung
zusammengefasst werden, sondern es genügt eine analytisch-kritische
Darlegung. Vielleicht wäre die organischste Gliederung eine in drei Teilen:
* Im Ms.: »E.«.
Heft 16-$14-$17 1835
Es wird nicht darüber nachgedacht, dass, wenn der Gegner dich be-
herrscht und du ihn herabsetzt, du zugibst, von jemandem beherrscht zu
werden, den du als unterlegen betrachtest; wie aber ist es ihm dann gelungen,
dich zu beherrschen? Wie hat er dich bloß besiegt und ist dir überlegen
gewesen gerade in dem entscheidenden Augenblick, der das Ausmaß deiner
Überlegenheit und seiner Unterlegenheit erweisen sollte? Da wird sicher
die »Hand des Teufels« im Spiel gewesen sein. Lerne also, die Hand des
Teufels auf deiner Seite zu haben.
Ein literarisches Stichwort: in Kapitel XIV des zweiten Teils des Don
Quijote behauptet der Ritter von den Spiegeln, er habe Don Quijote besiegt:
»und ihn zum Bekenntnis gezwungen, dass meine Casildea schöner ist als
seine Dulcinea, und mit diesem einzigen Sieg bin ich überzeugt, alle Rit-
ter auf Erden besiegt zu haben; denn dieser Don Quijote, von dem ich
rede, hat sie alle besiegt, und da ich ihn besiegt habe, so sind sein Ruhm,
sein Name und seine Ehre auf meine Person übertragen und völlig über-
gegangen.
So höher der Besiegte ward geehrt,
Um soviel höher steigt des Siegers Wert.
Demnach gehen sie jetzt auf meine Rechnung und sind mein eigen, all die
unzählbaren Heldentaten des schon erwähnten Don Quijote«*.
* Spanisch im Original.
Heft 16-$17-$20 1837
$(19). Der katholische Arzt und der nichtkatholische Kranke (Sterbende).
Vgl. in der »Civiltä Cattolica« vom 19. November 1932, S. 381, die Re-
zension des Buches von Luigi Scremin, Notizen zu einer Berufsmoral für
Ärzte (Rom, Verlag »Studium«, 1932, in 12°, 118 $., 5 L.): »...so wird auf
S. 95, obwohl Prümmer zitiert wird, fälschlich gesagt, dass, »wenn ein
Nichtkatholik, der einen Priester seiner Religion wünscht und verlangt, es
dem Arzt - wenn kein anderer da ist - erlaubt ist, dem Priester den
Wunsch des Kranken selbst mitzuteilen, und er nur dann auch gehalten
(sic) ist, es zu tun, wenn er es für den Kranken als nachteilig beurteilt,
diesem Wunsch nicht nachzukommen«. Das Urteil des Moraltheologen ist
ein durchaus anderes; und tatsächlich sagt uns Prümmer (I, 526), dass man
einen nichtkatholischen Priester, der keinerlei Befugnis zur Verabreichung
der Sakramente hat, nicht rufen darf: sondern vielmehr dem Kranken helfen
muss, Reue zu bekunden. Dass man, wenn der Kranke absolut verlangt,
dass der nichtkatholische Priester gerufen werden soll und aus der Verwei-
gerung schwere Nachteile erwachsen würden, dem genannten Priester den
Wunsch des Kranken mitteilen kann (aber nicht muss). Und man müsste
noch einen Unterschied machen, wenn der Kranke guten Glaubens ist und
einem nichtkatholischen Ritus angehört, in dem die Priester mit einer
richtigen heiligen Weihe versehen sind, wie bei den abgespaltenen
Griechen«'. Die Stelle ist bezeichnend.
* Im Ms.: »1856«.
** Lat.:»Wir haben das Geständnis des Täters«.
1838 Sechzehntes Heft
schwört und ihm das Recht zuerkannt wird, nicht zu antworten, die Aus-
sage zu verweigern und sogar zu lügen, während das Hauptgewicht den
objektiven materiellen Beweisstücken und den unparteiischen Zeugenaus-
sagen zukommt (so dass die Staatsfunktionäre nicht als Zeugen angesehen
werden dürften, sondern nur als Referenten des öffentlichen Anklägers).
Nachgeforscht werden muss, ob eine solche Annäherung zwischen der
Ermittlungsmethode zur Rekonstruktion der schuldhaften Verantwor-
tung der einzelnen Individuen und der der Philosophie der Praxis eigenen
kritischen Methode zur Rekonstruktion der objektiven »Persönlichkeit«
der geschichtlichen Ereignisse und ihres Ablaufs schon gemacht worden
ist, und (ob) die Bewegung für die Erneuerung des Prozessrechts als ein
Element »der Anregung« für die Erneuerung des Studiums der Geschichte
untersucht (worden ist)*: Sorel hätte die Beobachtung machen können, sie
passt zu seinem Stil.
Zu beobachten ist, dass die Erneuerung des Prozessrechts, die eine nicht
geringe Bedeutung auch auf politischem Gebiet hatte, indem sie die
Tendenz zur Gewaltenteilung und zur Unabhängigkeit des Richteramts
verstärkte (folglich zur allgemeinen Reorganisation der Struktur des
Regierungl[sapparates]), sich in vielen Ländern abgeschwächt hat, wobei
man in vielen Fällen auf die alten Methoden der Ermittlung und sogar auf
die Folter zurückgriff: die Systeme der amerikanischen Polizei, mit dem
dritten Grad der Verhöre, sind ziemlich bekannt. So hat die Gestalt des
Staatsanwalts viel von ihren Merkmalen verloren, der die Interessen des
Gesetzes und der legalen Gesellschaft objektiv vertreten müsste, die nicht
nur verletzt werden, wenn ein Schuldiger straffrei ausgeht, sondern auch
und besonders, wenn ein Unschuldiger verurteilt wird. Es scheint sich im
Gegenteil die Überzeugung herausgebildet zu haben, dass der Staatsanwalt
ein Advokat des Teufels ist, der besonders die Unschuldigen in die Hölle
bringen will, um Gott den Vogel zu zeigen, und dass der Staatsanwalt
deshalb immer Schuldsprüche will.
Ein methodologisches Kriterium, das man vor Augen haben muss, wenn
man die Haltung der italienischen Intellektuellen gegenüber der Religion
(vor dem Konkordat) untersucht, ist dadurch gegeben, dass in Italien die
Beziehungen zwischen Staat und Kirche sehr viel komplexer waren als in
den anderen Ländern: Patriot sein bedeutete antiklerikal sein, auch wenn
man katholisch war, »national« empfinden bedeutete, dem Vatikan und
seinen territorialen und politischen Forderungen misstrauen. Daran
erinnern, wie der »Corriere della Sera« bei einer Nachwahl in Mailand, vor
1914, die Kandidatur des Marchese Cornaggia, eines Anhängers der welt-
lichen Macht”, bekämpfte und es vorzog, dass der sozialistische Kandidat
gewählt wurde””',
Heft 16-$22-$23 1845
$(23). Märchenritter (oder Märchenprinzen), Hornissen und M istkäfer.
Luigi Galleani hat um 1910 ein verworrenes Sammelsurium unter dem
Titel Von Angesicht zu Angesicht mit dem Feind zusammengestellt (heraus-
gegeben von den »Cronache Sovversive« in den Vereinigten Staaten, in
Chicago oder Pittsburg), in dem er aus unterschiedlichen Zeitungen ohne
Methode und Kritik die Berichte über eine Reihe von Prozessen gegen
sogenannte anarchistische Individualisten (Ravachol, Henry usw.) gesam-
melt hat‘. Die Zusammenstellung ist mit Vorsicht zu genießen, aber einige
merkwürdige Stichwörter können daraus entnommen werden.
1. In seiner Rede von Livorno vom Januar 1921 wiederholte der Abg.
Abbo wörtlich die »Prinzipien«-Erklärung des Individualisten Etievant,
die im Anhang von Galleanis Buch wiedergegeben ist; auch der Satz über
die »Linguistik«, der allgemeine Heiterkeit erregte, wird wortwörtlich
wiederholt”. Sicher kannte der Abg. Abbo die Passage auswendig, und das
mag als Hinweis darauf dienen, wie es um die Bildung von Typen wie dem
Abg. Abbo bestellt war und wie verbreitet und populär eine solche Lite-
ratur war.
2. Aus den Erklärungen der Angeklagten geht hervor, dass eines der
Hauptmotive für die »individualistischen« Aktionen das als Naturrecht
aufgefasste »Recht auf Wohlstand« war (für die Franzosen, versteht sich,
die den größten Teil des Buches einnehmen). Von mehreren Angeklagten
wird der Satz wiederholt, dass »eine Orgie der Herren verbraucht, was für
tausend Arbeiterfamilien reichen würdes; es fehlt jeder Hinweis auf die
Produktion und auf die Produktionsverhältnisse. Etievants Erklärung, die
im vollständigen schriftlichen Text wiedergegeben wird, ist typisch, weil in
ihr versucht wird, ein naives und kindliches Rechtfertigungssystem für die
»individualistischen« Aktionen zu konstruieren. Doch die gleichen Recht-
fertigungen gelten für alle, für die Polizisten, für die Richter, für die
Geschworenen, für den Henker: jedes Individuum ist in einem deter-
ministischen Netz von Empfindungen eingeschlossen wie ein Schwein in
einer eisernen Tonne und kann nicht daraus entkommen: der Individualist
wirft die »Bombe«, der Polizist verhaftet, der Richter verurteilt, der Henker
köpft, und keiner kann umhin, so zu handeln. Es gibt keinen Ausweg, es
kann keinerlei Lösung geben. Es ist ein Anarchismus und Individualismus,
der sich, um sich moralisch selbst zu rechtfertigen, in erbärmlich komischer
Weise verneint. Die Analyse von Etievants Erklärung zeigt, wie die Welle
individualistischer Aktionen, die in einem gewissen Zeitraum über Frank-
reich hinweggingen, die beiläufige Folge der moralischen und intellek-
tuellen Verstörtheit waren, welche die französische Gesellschaft von 71 bis
zur Dreyfus-Affäre zerfraß, in der sie ein kollektives Ventil fand.
1846 Sechzehntes Heft
3. Was Henry angeht, wird in dem Band der Brief eines gewissen Galtey
(zu überprüfen) an den »Figaro« wiedergegeben‘. Henry scheint Galteys
Frau geliebt und diese Liebe »in der eigenen Brust« unterdrückt zu haben.
Nachdem die Frau erfahren hatte, dass Henry in sie verliebt gewesen war
(anscheinend hatte sie es nicht bemerkt), erklärte sie einem Journalisten,
dass sie sich, wenn sie es gewusst hätte, vielleicht hingegeben hätte. Galtey
legt in dem Brief Wert darauf zu erklären, dass er seiner Frau gegenüber
nichts einzuwenden habe und argumentiert: wenn es einem Mann nicht
gelungen ist, den romantischen Traum seiner Frau vom Märchenritter
(oder Prinzen) zu verkörpern, um so schlimmer für ihn: er muss zulassen,
dass ein anderer ihn ersetzt. Diese Mischung aus Märchenprinzen, mate-
rialistischem Vulgärrationalismus und Leichenfledderei a la Ravachol ist
typisch und hervorzuheben.
4. In seiner Erklärung beim Prozess von Lyon 1894 (zu überprüfen)
kündigt Fürst Kropotkin im Tone verblüffender Sicherheit an, auf welche
Art innerhalb der nächsten zehn Jahre die endgültige Umwälzung statt-
finden würde‘.
$(24). Lehrstück vom Kadi, vom Reisesack, der auf dem Markt
verlorenging, von den beiden Glückspilzen, von den fünf Olivenkernen.
Auf die Geschichte aus Tausendundeiner Nacht zurückgreifen‘.
$(25). Das kleinere Übel oder das weniger Schlechte (neben die andere
törichte Formel des »je schlimmer, desto besser« zu stellen). Könnte man in
Form eines Lehrstücks behandeln (an das populäre Sprichwort »schlimmer
geht’s immer« erinnern). Der Begriff des »kleineren Übels« bzw. des
»weniger Schlechten« gehört zu den relativsten. Ein Übel ist immer kleiner
als ein darauf folgendes größeres, und eine Gefahr ist immer kleiner als eine
darauf folgende andere, die möglicherweise größer ist. Jedes Übel wird zu
einem kleineren im Vergleich zu einem anderen, das sich als größeres
darstellt und so unendlich immer weiter. Die Formel vom kleineren Übel,
vom weniger Schlechten, ist also nichts anderes als die Form, die der
Anpassungsprozess an eine historisch regressive Bewegung annimmt, an
eine Bewegung, deren Entwicklung eine kühn wirksame Kraft lenkt, wäh-
rend die antagonistischen Kräfte (oder besser deren Führer) entschlossen
sind, zunehmend zu kapitulieren, in kleinen Etappen und nicht auf einen
Schlag (was wegen des konzentrierten psychologischen Effekts sehr wohl
eine andere Bedeutung hätte und eine aktive Kraft hervorbringen könnte -
Heft 16-$23-$26 1847
in Konkurrenz zu derjenigen, die sich passiv in ihr »Schicksal« fügt - oder
sie verstärken könnte, wenn es sie bereits gibt). Da der methodische
Grundsatz stimmt, dass die fortgeschritteneren Länder (in progressiver
oder regressiver Bewegung) das vorweggenommene Bild der anderen
Länder sind, wo dieselbe Entwicklung in den Anfängen steckt‘, ist der
Vergleich auf diesem Feld korrekt, weshalb er nützlich sein kann (er wird
indes immer nützlich sein vom erzieherischen Standpunkt).
$(26). Die Bewegung und das Ziel. Ist es möglich, eine Bewegung
lebendig und wirksam zu erhalten, ohne die Perspektive unmittelbarer
und mittelbarer Ziele? Bernsteins Aussage, wonach die Bewegung alles
und das Ziel nichts ist, versteckt unterm Anschein einer »orthodoxen«
Auslegung der Dialektik eine mechanistische Auffassung des Lebens und
der geschichtlichen Bewegung: die menschlichen Kräfte werden als passive
und nicht bewusste, als ein von den materiellen Dingen nicht unterschie-
denes Element betrachtet, und der vulgäre Evolutionsbegriff, im natura-
listischen Sinn, ersetzt den Begriff der Entfaltung und Entwicklung. Das
ist um so interessanter zu bemerken, als Bernstein seine Waffen dem
Arsenal des idealistischen Revisionismus entnommen hat (und dabei die
Feuerbachthesen vergessen hat), der ihn doch hätte dazu bringen müssen,
das Einwirken der (aktiven und folglich gewisse unmittelbare und mittel-
bare Ziele verfolgenden) Menschen als entscheidend in der geschichtlichen
Entwicklung zu bewerten (unter den gegebenen Bedingungen versteht
sich). Wenn man aber gründlicher analysiert, sieht man, dass bei Bernstein
und seinen Anhängern das menschliche Einwirken nicht ganz ausge-
schlossen ist, zumindest implizit (was auch zu unsinnig wäre), allerdings
nur einseitig belassen wird, weil es als »These« belassen, als »Antithese«
jedoch ausgeschlossen wird; was als These für wirksam gehalten wird, das
heißt im Moment des Widerstands und der Bewahrung, wird als Antithese
verworfen, das heißt als antagonistische vorwärtstreibende Initiative und
Impuls. Es kann »Ziele« für den Widerstand und die Bewahrung geben
(»Widerstand und Bewahrung« sind ihrerseits Ziele, die eine spezielle zivile
und militärische Organisation verlangen, die aktive Kontrolle des Gegners,
den rechtzeitigen Eingriff, um zu verhindern, dass der Gegner zu stark
wird, usw.), nicht für den Fortschritt und die erneuernde Initiative. Es
handelt sich um nichts anderes als um eine sophistische Theorisierung der
Passivität, eine »listige« Weise (im Sinne von Vicos »Listen der Vorse-
hung«°), mit der die »These« eingreift, um die »Antithese« zu schwächen,
denn gerade die Antithese (die das Erwachen kühn anzuspornender laten-
ter und ruhender Kräfte voraussetzt) muss sich Ziele setzen, unmittelbare
1848 Sechzehntes Heft
Was die Toskana betrifft, die Wiege der Halbpacht (vgl. die neueren Unter-
suchungen hierzu, die durch die Accademia dei Georgofili” angeregt
worden sind), lässt sich die Stelle aus einem Artikel von F. Guicciardini
anführen (in der »Nuova Antologia« vom 16. April 1907: Die jüngsten
Agrarunruhen in der Toskana und die Pflichten des Eigentums): »Zu den
Zusatzvereinbarungen des Pachtvertrags zähle ich nicht die Vereinbarungen,
die ich als Fronvereinbarungen bezeichnen werde, da sie Belastungen für
den Kolonen darstellen, denen keinerlei besonderer Vorteil entspricht: dazu
gehören das unbezahlte Waschen, das Wasserschleppen, das Holzsägen
Heft 16- $26-$29 1849
und Reisigsammeln für die Öfen des Herrn, der Beitrag an Lebensmitteln
zugunsten des Hirten, die Lieferung von Stroh und Heu für den Pferde-
stall des Gutshofs und allgemein alle unentgeltlichen Lieferungen zugunsten
des Herrn. Ich könnte nicht sagen, ob diese Vereinbarungen“ letzte Reste
des Feudalregimes sind, welche die Zerstörung der Burgen und die Be-
freiung der Kolonen überlebt haben, oder ob sie Verkrustungen sind, die
sich in jüngeren Zeiten aufgrund des Missbrauchs der Herren und der
Trägheit der Kolonen auf dem ursprünglichen Grundstock des Vertrages
gebildet haben«'. Nach Guicciardini sind diese Leistungen fast überall ver-
schwunden (im Jahre 1907), was auch für die Toskana zu bezweifeln ist.
Doch über diese Frondienste hinaus muss an andere erinnert werden, etwa
an das Recht des Herrn, die Kolonen zu einer bestimmten Stunde am
Abend im Haus einzuschließen, dass man um Frlaubnis fragen muss,
wenn man sich verloben bzw. eine Liebschaft haben will, usw., die in vielen
Gegenden (Toskana, Umbrien) anscheinend wieder aufgekommen sind,
nachdem sie im Gefolge der Agrarunruhen des ersten Jahrzehnts des Jahr-
hunderts abgeschafft worden waren - Unruhen, die von Gewerkschaftern
angeführt wurden.
27,3 190,5
MISZELLEN
As en
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1853
zwei Linien teilte: die eine übte in Italien eine kosmopolitische Funktion aus,
gebunden ans Papsttum und reaktionären Charakters, die andere bildete
sich im Ausland, mit den politischen und religiösen Emigranten, und übte
eine fortschrittliche [kosmopolitische] Funktion in den verschiedenen
Ländern aus, in denen sie sich niederließ oder an der Organisation der
modernen Staaten als technisches Element in der Miliz, der Politik, dem
Ingenieurswesen usw. beteiligte).
Aber neben diesem Zug ist festzuhalten, dass Gioberti in der Erneuerung
sich als eigentlicher Jakobiner zeigt, zumindest theoretisch und in der
gegebenen italienischen Situation. Die Elemente dieses Jakobinismus
können in großen Zügen folgendermaßen zusammengefasst werden: 1. In
der Bejahung der politischen und militärischen Hegemonie Piemonts, das
als Region das sein müsste, was Paris für Frankreich war: dieser Punkt ist
sehr interessant und ist bei Gioberti auch vor 48 zu untersuchen. Gioberti
spürte in Italien das Fehlen eines popularen Zentrums revolutionärer natio-
naler Bewegung, wie es Paris für Frankreich war, und dieses Verständnis
zeigt Giobertis politischen Realismus. Vor 48 mussten Piemont-Rom die
treibenden Zentren sein, wegen der Miliz-Politik das erstere, wegen der
Ideologie-Religion das letztere. Nach 48 hat Rom nicht die gleiche Bedeu-
tung, im Gegenteil: Gioberti sagt, die Bewegung müsse sich gegen das
Papsttum richten. 2. Gioberti hat, wenn auch verschwommen, den Begriff
des jakobinischen »National-Popularen«, der politischen Hegemonie, das
heißt des Bündnisses zwischen Bürgern-Intellektuellen [Ingenium]' und
dem Volk; dies in der Ökonomie (und Giobertis Vorstellungen über
Ökonomie sind verschwommen, aber interessant) und in der Literatur
(Kultur), wo die Vorstellungen deutlicher und konkreter sind, weil man sich
auf diesem Feld nicht so leicht kompromittieren kann. In der Erneuerung
(II. Teil, Kapitel »Von den Schriftstellern«) schreibt er: »... Eine Literatur
1860 Siebzehntes Heft
kann nicht national sein, wenn sie nicht popular ist; weil, auch wenn wenige
berufen sind, sie zu schaffen, ihr Nutzen und der Genuss universal sein
müssen. Wenn sie die gemeinsamen Ideen und Zuneigungen ausdrücken und
die Empfindungen ans Licht bringen soll, die verborgen und verschwom-
men im Herzen der Volksmengen liegen, müssen zudem ihre Förderer nicht
nur auf das Wohl des Volkes schauen, sondern dessen Geist abbilden; derart
dass dieser nicht nur das Ziel, sondern in gewisser Weise auch der Ursprung
der zivilen Literatur sein wird. Und das sieht man daran, dass sie nur dann
zum Gipfel der Vollkommenheit und Wirksamkeit aufsteigen, wenn sie sich
verkörpern und, wie soll ich sagen, eins werden mit der Nation, usw...
Jedenfalls geht aus Gioberti hervor, dass das Fehlen eines »italienischen
Jakobinismus« verspürt wurde. Und Gioberti ist unter diesem Gesichts-
punkt zu studieren. Noch einmal: festzuhalten ist, wie Gioberti sowohl im
Primat als auch in der Erneuerung sich als ein Stratege der National-
bewegung und nicht nur als ein Taktiker zeigt. Sein Realismus führt ihn zu
Kompromissen, aber immer im Umkreis des allgemeinen strategischen
Plans. Die Schwäche Giobertis als Staatmann ist im Umstand zu suchen,
dass er immer Exilierter war, dass er daher die Menschen nicht kannte, die
er lenken und führen sollte, und dass er keine treuen Freunde hatte (das
heißt eine Partei): Je mehr er Stratege wurde, desto mehr musste er sich auf
wirkliche Kräfte stützen, und diese kannte er nicht und konnte sie weder
beherrschen noch führen. (Zum Begriff der popular-nationalen Literatur
muss man Gioberti und seinen gemäßigten Romantizismus studieren).
Ebenso muss man Gioberti studieren, um das zu analysieren, was in
anderen Aufzeichnungen als »geschichtlicher Knotenpunkt von 48-49«° be-
zeichnet wird, und das Risorgimento im allgemeinen, aber der wichtigste
kulturelle Punkt scheint mir der »Jakobiner Gioberti«, als theoretischer
Jakobiner selbstverständlich, weil er in der Praxis keine Gelegenheit hatte,
seine Lehren anzuwenden.
Fall gewesen sein, doch wurden ın Frankreich von den Gallikanern die
Index- und Inquisitionsdekrete mit Berufung auf die Freiheiten der fran-
zösischen Kirche nicht als bindend betrachtet, und wenn in Italien kein
zweiter Galilei oder ein Newton oder Bradley auftrat, so trägt schwerlich
das Dekret gegen Kopernikus die Schuld daran.« Bruers merkt jedoch an,
dass die Strenge des Index unter den Wissenschaftlern eine schreckliche
Panik hervorrief und dass selbst Galilei in den 26 Jahren vom ersten
Prozess bis zum Tode die kopernikanische Frage nicht frei vertiefen und
durch seine Schüler untersuchen lassen konnte.
Aus Pastor geht auch hervor, dass vor allem in Italien die kulturelle Reak-
tion wirkungsvoll war. Die großen Verleger verkümmern in Italien: Venedig
widersteht länger, aber schließlich werden die italienischen Autoren und
die italienischen Werke (von Bruno, Campanella, Vanini, Galilei) vollständig
nur in Deutschland, Frankreich und Holland gedruckt. Mit der kirchlichen
Reaktion, die in der Verurteilung Galileis gipfelt, geht in Italien die Renais-
sance auch unter den Intellektuellen zu Ende‘.
* Lat.:»Grenzargument«.
** Im Original lat.: vehementer suasiva.
1866 Siebzehntes Heft
Ende seines Buches setzt, nichts anderes als die Abschaffung jeglichen
Himmels bedeuten kann?« Zu Recht wirft die »Civiltä Cattolica« Jodl vor,
er identifiziere »den Idealismus mit dem Platonismus«, »als wären von
Kant bis Gentile die transzendenten Ideen nicht das Schreckgespenst der
Idealisten gewesen«’. JodIs Buch kann interessant sein (wie die von Rensi),
um die gegenwärtige Phase des Vulgärmaterialismus festzustellen, der es
nicht fertig bringt, irgendeine Form von Idealismus zu überwinden, weil
er nicht verstehen kann, dass der Idealismus nur ein Ansatz des Versuchs
ist, die Philosophie zu historisieren. Die Auseinandersetzung zwischen
Carlini und Olgiati Neuscholastik, Idealismus und Spiritualismus, Mailand,
»Vita e Pensiero«, 1933, 180 S., 6 Lire, und der Artikel von Guido De
Ruggiero in der »Educazione Nazionale« (von Lombardo Radice) vom
März 1933 können nicht zum Beweis herhalten, dass der Idealismus den
Klerikalismus stützt, sondern dass einzelne Idealisten in ihrer Philosophie
keinen festen Boden für das Denken und den Glauben ans Leben finden.
(Zu dieser Auseinandersetzung vgl. auch dieselbe Nummer der »Civiltä
Cattolica«, Artikel Herumtappen auf der Suche nach einem Glauben’
[und Artikel in den folgenden Nummern der »Civiltä Cattolica«]'.
II. Dem Kap. XI von Teil II von Giobertis Erneuerung ist folgender
Passus zur Philosophiegeschichte zu entnehmen: »Der Humanismus
verbindet sich mit den vorangegangenen philosophischen Lehren und ist
der letzte Ausgang des cartesianischen Psychologismus, der auf unter-
schiedlichen Wegen in Frankreich und Deutschland gleichwohl zum selben
Ergebnis führte. Weshalb er, von Locke und Kant in empirischen und
spekulativen Sensualismus verwandelt, kraft der Logik alsbald mit dem
materialen Atheismus der letzten Condillacianer und dem raffinierten
Atheismus der Neuhegelianer niederkam. Bereits Gottlieb Fichte hatte, von
den Prinzipien der kritischen Schule ausgehend, Gott mit dem Menschen
identifiziert; wie sodann Friedrich Schelling ihn mit der Natur zusammen-
warf; und Hegel, indem er ihre Aussagen sammelte und miteinander
vereinbar machte, betrachtete den menschlichen Geist als den Gipfel des
Absoluten; indem letzterer vom abstrakten Punkt der Idee ins Konkrete der
Natur wechselt und zu dem des Geistes übergeht, gewinnt er in diesem das
Bewusstsein seiner selbst und wird Gott. Die Neuhegelianer akzeptieren die
Schlussfolgerung und verwerfen die unhaltbare Hypothese des pan-
theistischen Absoluten und das phantastische Gebäude der Prämissen; so
dass sie, statt mit dem Meister zu sagen, dass der Geist Gott ist, lehren, der
Gottesbegriff sei ein leeres Bild und eine chimärische Maske des Geistes«'.
Interessant scheint Giobertis Bemerkung, dass die klassische deutsche
Philosophie und der französische Materialismus dasselbe in anderer Sprache
Heft 17-$18-$20 1867
seien usw. Der Passus ist mit dem aus der Heiligen Familie zusammen-
zubringen, wo vom französischen Materialismus die Rede ist‘. (Darauf zu
verweisen, dass eben der Ausdruck »Humanismus« in der Heiligen Familie
im selben Sinn wie bei Gioberti - Nicht-Transzendenz - verwendet
wird und dass der Autor seine Philosophie »Neo-Humanismus« nennen
wollte)”.
nur eines von ihnen, und seine »Gewalt« ist nicht die Gewalt von »jeder-
mann«, sondern eines [einzigen] »Elements«, das der demokratische Pazifis-
mus zu korrumpieren trachtete usw. Der dunkle Punkt bei Sorel ist sein
Antijakobinismus und sein reiner Ökonomismus; und dieser Punkt, der
auf dem französischen [geschichtlichen] Boden mit der Erinnerung an die
Schreckensherrschaft und danach an die Repression von Galliffet, außerdem
mit der Aversion gegen die Bonaparte zu verbinden ist, ist das einzige
Element seiner Lehre, das verdreht werden und Anlass zu konservativen
Interpretationen geben kann’.
wie auch durch die Begründung der weltlichen Macht des römischen
Papsttums beeinflusst wurde. Unter dem Gesichtspunkt der Kultur ist der
gegenwärtige »Cäsar«-Mythos interessant, der keinerlei Grundlage in der
Geschichte hat, so wie im 18. Jahrhundert die Verherrlichung der römischen
Republik als einer demokratischen und popularen Einrichtung usw.
keinerlei Grundlage hatte.
kann als der theoretische Vorläufer der liberalen Revolutionen des neun-
zehnten Jahrhunderts begriffen werden. Die Pragmatisten haben allenfalls
dazu beigetragen, die Bewegung des Rotary Clubs zu schaffen oder alle
konservativen und rückschrittlichen Bewegungen zu rechtfertigen (sie tat-
sächlich zu rechtfertigen und nicht nur durch polemische Verrenkung, wie
es bei Hegel und dem preußischen Staat der Fall war).
$(24). Die Enkelchen des Pater Bresciani. G. Papini. Bei Papini fehlt
die Geradlinigkeit: moralischer Dilettantismus. In der ersten Zeit seiner
literarischen Karriere machte sich dieser Mangel nicht bemerkbar, weil
Papini seine Autorität auf sich selbst begründete, die »Partei seiner selbst«
war. Er war amüsant, konnte nicht ernstgenommen werden, außer von
wenigen Philistern (an die Diskussion mit Annibale Pastore erinnern).
Heute hat sich Papini einer weiten Bewegung aufgepfropft, aus der er seine
Autorität zieht: seine Aktivität ist deshalb eine der Kanaille im verächt-
lichsten Sinn, des Killers, des gedungenen Mörders geworden. Eine Sache
ist es, wenn ein Kind aus lauter Lust und Tollerei, sei sie auch künstlich, die
Scheiben einschlägt; doch wenn es die Scheiben auf Rechnung der Glaser
einschlägt, ist es etwas anderes.
II. A.Kriszties, Bibliographie des sciences sociales. 1933 ist der IV. Band
erschienen (1927), Paris, Giard, in 8°, 1269 S., 170 Fr.
die »Kohärenz« in der Regierungskunst lehren, und zwar die für ein
bestimmtes Ziel aufgewendete Kohärenz: die Schaffung eines italienischen
Einheitsstaates. Der Fürst ist also kein Buch der »Wissenschaft« im akade-
mischen Verständnis, sondern der »unmittelbaren politischen Leiden-
schaft«, ein parteiliches »Manifest«, das auf einer »wissenschaftlichen«
Auffassung der politischen Kunst gründet. Machiavelli lehrt tatsächlich die
»Kohärenz« der »bestialischen« Mittel, und dies steht gegen die These
Alderisios (dessen Schrift Zu Machiavellis Staatskunst. Weitere Diskussion
über ihre Interpretation als »reine Politik«, in den »Nuovi Studi« von Juni-
Oktober 1932, man ansehen muss)”, aber diese »Kohärenz« ist nichts rein
Formales, sondern die notwendige Form einer bestimmten aktuellen
politischen Linie. Dass aus Machiavellis Darlegung dann Elemente einer
»reinen Politik« herausgezogen werden können, ist eine andere Sache: es
betrifft die Stellung, die Machiavelli im Prozess der Herausbildung der
»modernen« Politischen Wissenschaft einnimmt, und die ist nicht gering.
Alderisio stellt das ganze Problem schlecht, und die wenigen guten
Gedanken, die er haben mag, verlieren sich in der Zusammenhangs-
losigkeit des verkehrten allgemeinen Rahmens.
II. Die Frage, warum Machiavelli den Fürsten und die anderen Werke
geschrieben hat, ist nicht einfach eine Frage der Bildung oder der Psycho-
logie des Autors: sie dient dazu, den Reiz dieser Schriften, ihre Lebendigkeit
und Originalität teilweise zu erklären. Es handelt sich gewiss nicht um
»Traktate« mittelalterlichen Typs; noch handelt es sich um Werke eines
höfischen Advokaten, der das Vorgehen oder die Vorgehensweise seiner
»Beschützer« oder auch seines Fürsten rechtfertigen will. Machiavellis
Werke sind »individualistischen« Charakters, Ausdrucksformen einer Per-
sönlichkeit, die in die Politik und in die Geschichte ihres Landes eingrei-
fen will, und in diesem Sinne sind sie »demokratischen« Ursprungs. In
Machiavelli ist die »Leidenschaft« des »Jakobiners«, und deshalb musste er
den Jakobinern und den Aufklärern so sehr gefallen: es ist dies ein »natio-
nales« Element im eigentlichen Sinn, und es müsste bei jeder Forschung
über Machiavelli vorab studiert werden.
»festen Programme« haben, nur dem König von Preußen in die Hände
arbeiten, Fermente des Aufstands sind, der unweigerlich von den rück-
schrittlich[st]en Elementen, die letztlich mittels der »Technik« alle anderen
übertreffen, monopolisiert wird. Folglich muss auch von Pisacane gesagt
werden, dass er im Risorgimento keine »realistische« Tendenz repräsen-
tierte, weil er isoliert war, ohne Partei, ohne für den künftigen Staat vor-
bereitete Kader usw. Die Frage ist jedoch nicht so sehr eine der Geschichte
des Risorgimento als eine der Geschichte der Vergangenheit aus der Sicht
unmittelbarster Gegenwartsinteressen, und unter diesem Gesichtspunkt
ist Omodeos Rezension, wie andere Schriften desselben Autors, in konser-
vativem und rückschrittlichem Sinn tendenziös. Im übrigen ist diese
Rezension interessant wegen des Themas der modernen, durch die
Neubewertung der Geschichte des Risorgimento hervorgerufenen »Ideo-
logien«, die eine so große Bedeutung für das Verständnis der italienischen
Kultur in den letzten Jahrzehnten haben.
Ein interessantes Thema, auf das Gioberti (in der Erneuerung beispiels-
weise) hingewiesen hat, ist das der technischen Möglichkeiten der
nationalen Revolution in Italien während des Risorgimento: Frage der
revolutionären Hauptstadt (wie Paris für Frankreich), der regionalen
Verfügbarkeit der aufständischen Kräfte usw.” Omodeo kritisiert Rosselli,
weil er die Organisation im Süden nicht untersucht hat, die 1857 nicht so
ineffizient gewesen sein konnte, wenn sie 1860 hinreichte, um die
bourbonischen Kräfte zu lähmen, aber die Kritik scheint nicht sehr be-
gründet. 1860 hatte sich die Situation völlig gewandelt, und es reichte die
Passıvität, um die Bourbonen zu lähmen, während 1857 die Passıvität und
die auf dem Papier vorhandenen Kader“ wirkungslos waren. Es handelt sich
also nicht darum, die Organisation von 60 mit der von 57 zu vergleichen,
sondern die verschiedenen, insbesondere »internationalen« Situationen.
Es ist sogar wahrscheinlich, dass man als Organisation 60 aufgrund der
eingetretenen Reaktion schlechter stand als 57.
Es empfiehlt sich, aus Omodeos Rezension folgende Stelle zu zitieren:
»Rosselli begeistert sich für den größeren Programmreichtum. Doch das
auf eine hypothetische zukünftige Situation bezogene Programm ist oft-
mals ein sperriger und nutzloser Ballast: was vor allem wichtig ist, das ist
die Richtung, nicht die materiale Spezifizierung der Werke. Wir alle haben
gesehen, was die Programme für die Nachkriegszeit taugten, die erarbeitet
worden waren, als man noch nicht wusste, wie man aus der Gefahr heraus-
kommen würde, in welchen Stimmungen, mit welchen drängenden
Bedürfnissen! Falsche Konkretheit also, unterhalb der Mazzini so sehr
vorgeworfenen Unbestimmtheit. Nicht wenige Punkte der sozialistischen
Heft 17-$.28 1875
Forderungen waren (und sind) überdies Postulate ohne die Bestimmung
des technischen Prozesses für ihre Durchsetzung, und provozierten und
provozieren nicht nur und nicht so sehr die Reaktion der geschädigten
Klassen als den Widerwillen desjenigen, der frei von Klasseninteressen (!)
spürt, dass weder eine neue moralische Ordnung noch eine neue rechtliche
_ Ordnung reif ist: eine klar antithetische Situation zu derjenigen der fran-
zösıschen Revolution, die von den verschiedenen Sozialismen als muster-
gültig betrachtet wird: weil die neue moralisch-rechtliche Ordnung 1789
im Bewusstsein aller lebendig war und sich als leicht realisierbar darstellte«.
(»Critica«, 20. Juli 1933, S. 283-84). Omodeo ist sehr oberflächlich und
unbedacht: seine Meinungen sind mit Croces 1911 veröffentlichtem Auf-
satz über die Partei als Urteil und Vorurteil zu vergleichen’. Die Wahrheit
ist, dass Pisacanes Programm ebenso unbestimmt war wie das von Mazzini
und auch nur eine allgemeine Tendenz markierte, die als Tendenz ein wenig
bestimmter war als die Mazzinis. Jede »konkrete« Spezifizierung eines
Programms und jede Bestimmung des technischen Prozesses zur Durch-
setzung seiner Punkte setzen eine Partei, und zwar eine gut ausgewählte
und homogene Partei voraus: die Partei fehlte sowohl Mazzini als auch
Pisacane. Das Fehlen eines konkreten Programms mit allgemeiner Tendenz
ist eine Form flüssigen »Söldnertums«, dessen Elemente sich am Ende um
den Stärksten sammeln, um den, der am besten zahlt usw. Das Beispiel der
Nachkriegszeit gibt Omodeo Unrecht und nicht Recht: 1. weil es in Wirk-
lichkeit in jenen Jahren nie konkrete Programme gab, sondern eben nur
allgemeine, mehr oder weniger vage und fluktuierende Tendenzen; 2. weil
es gerade in jener Periode keine ausgewählten und homogenen Parteien
gab, sondern nur fluktuierende und ungewisse Zigeunerbanden, die gerade
Symbol der Unbestimmtheit der Programme waren und nicht umgekehrt.
Auch der Vergleich mit der Französischen Revolution von 1789 trifft nicht
zu, weil Paris damals eine Rolle spielte, die im Italien nach (18)48 keine
Stadt mit irgendeinem Programm spielen konnte. Die Frage muss in den
Begriffen des »Bewegungskrieges - Belagerungskrieges« gestellt werden,
d.h. zur Vertreibung der Österreicher und ihrer italienischen Hilfstruppen
war notwendig: 1. eine starke homogene und kohärente italienische Partei;
2. dass diese Partei ein konkretes und detailliertes Programm hatte; 3. dass
ein solches Programm von den großen Volksmassen geteilt wurde (die
damals nur ländliche sein konnten) und sie dazu erzogen hatte, sich
»gleichzeitig« im ganzen Land zu erheben. Nur die tiefe Verwurzelung der
Bewegung im Volk und die Gleichzeitigkeit konnten die Niederlage des
österreichischen Heeres und seiner Hilfstruppen ermöglichen. Unter
diesem Gesichtspunkt empfiehlt es sich nicht so sehr, Pısacane Mazzinıi
entgegenzusetzen, als Pisacane Gioberti, der eine strategische Auffassung
1876 Siebzehntes Heft
Allgemeine Beobachtung: lässt sich für alle Romane und nicht nur die
Feuilletonromane machen: es muss analysiert werden, welche besondere
Illusion der Feuilletonroman dem Volk gibt und wie sich diese Illusion mit
den politisch-geschichtlichen Perioden wandelt: es gibt den Snobismus,
aber es gibt auch einen Fundus an demokratischen Bestrebungen, die sich
ım klassischen Feuilletonroman widerspiegeln. »>Schwarzer« Roman ä la
Radlliffe, Intrigen-, Abenteuer-, Detektivroman, Krimi, Unterweltroman
usw. Der Snob erkennt sich wieder im Feuilletonroman, der das Leben der
Adlıgen oder der höheren Klassen im allgemeinen beschreibt, das aber
Heft 17-$28-$30 1877
gefällt den Frauen und besonders den Mädchen, von denen übrigens jede
denkt, die Schönheit könne ihr den Weg in die Oberklasse ebnen.
Für Moufflet gibt es die »Klassiker« des Feuilletonromans, aber das
wird in einem bestimmten Sinn verstanden: der klassische Feuilleton-
‚roman scheint der »demokratische« zu sein, mit verschiedenen Nuancen
von V. Hugo bis zu Sue, zu Dumas. Moufflets Artikel wird zu lesen sein,
es muss aber beachtet werden, dass er den Feuilletonroman als »litera-
rische Gattung« untersucht, hinsichtlich des Stils usw., als Ausdruck einer
»Popularästhetik«, was falsch ist. Das Volk ist »inhaltsorientiert«, aber
wenn der populare Inhalt durch große Künstler ausgedrückt wird, werden
diese bevorzugt. Daran erinnern, was (ich) geschrieben (habe) zur Liebe
des Volkes zu Shakespeare, zu den griechischen Klassikern, und in
moderner Zeit zu den großen russischen Romanschriftstellern (Tolstoi,
Dostojewski). Ebenso Verdi in der Musik’.
In dem Artikel Der literarische Merkantilismus von J.H.Rosny d. Ä.* in
den »Nouvelles Litteraires« vom 4. Oktober 1930 ist gesagt worden,
V. Hugo habe sich bei den Elenden inspirieren lassen von Eugene Sues
Geheimnissen von Paris und dem Erfolg, den diese hatten und der so groß
war, dass der Verleger Lacroix noch vierzig Jahre danach darüber verblüfft
war. Rosny schreibt: »Die Feuilletons, ob aus der Absicht des Heraus-
gebers der Zeitung oder aus der Absicht des Feuilletonisten heraus, waren
Produkte, die vom Geschmack des Publikums inspiriert waren und
nicht vom Geschmack der Autoren«’. Auch diese Definition ist einseitig.
Und in der Tat schreibt Rosny lediglich eine Reihe von Beobachtungen zur
»kommerziellen« Literatur im allgemeinen (folglich auch zur porno-
graphischen) und zur kommerziellen Seite der Literatur. Dass der
»Kommerz« und ein bestimmter »Geschmack« des Publikums zusammen-
treffen, ist nicht zufällig, dafür spricht jedenfalls, dass die um (18)48
geschriebenen Feuilletons eine bestimmte gesellschaftlich-politische
Richtung hatten, die bewirkt, dass sie noch heute von einem Publikum
verlangt und gelesen werden, das dieselben 48er-Gefühle verspürt.
* Im Ms.: »Geburt«,
Heft 17-$30
-$ 33 1879
dieser Zeitabschnitte hat das territoriale Element eine Bedeutung, die nicht
rein militärisch-rechtlich wäre, das heißt »staatlich« im gouvernementalen
Sinn, ohne leidenschaftlich-ethischen Inhalt.
und sei es auch nur »Kulturautonomie«, die es bestimmt geben müsste, wie
gerade die Tatsache der kulturellen Spaltung zwischen Osten und Westen,
zwischen katholischer Kirche und byzantinischer Orthodoxie usw. beweist.
Aber dann brauchte es nicht oberflächliche Begründungen, sondern
vertiefte Untersuchungen nicht nur in der Literatur, sondern in der allge-
meinen Kultur.
$(37). Machiavelli. Ist die politische Aktion (im engen Sinn) not-
wendig, damit man von »politischer Partei« sprechen kann? Man kann
beobachten, dass in der modernen Welt in vielen Ländern die organischen
1882 Siebzehntes Heft
und grundlegenden Parteien sich aus Erfordernissen des Kampfes oder aus
anderen Gründen in Fraktionen aufgespalten haben, deren jede den Namen
Partei und selbst unabhängige Partei annimmt. Oft gehört deshalb der
intellektuelle Generalstab der organischen Partei zu keiner dieser Fraktio-
nen, sondern betätigt sich, als wäre er eine für sich stehende, den Parteien
übergeordnete führende Kraft, und manchmal wird er auch von der
Öffentlichkeit dafür gehalten. Diese Funktion lässt sich genauer unter-
suchen, wenn man von dem Gesichtspunkt ausgeht, dass eine Zeitung
(oder eine Gruppe von Zeitungen), eine Zeitschrift (oder eine Gruppe von
Zeitschriften) auch ihrerseits »Parteien« oder »Parteifraktionen« oder
»Funktion bestimmter Parteien« sind. Man denke an die Funktion der
»Times« in England, an diejenige, die der »Corriere della Sera« in Italien
hatte', und auch an die Funktion der sogenannten »Nachrichtenpresse«,
die angeblich »unpeolitisch« ist, bis hin zur Sport- und zur Technikpresse.
Im Übrigen bietet das Phänomen interessante Aspekte in den Ländern,
wo es eine einzige und totalıtäre Regierungspartei gibt: weil eine solche
Partei keine wirklich politischen Funktionen mehr hat, sondern nurmehr
technische der Propaganda, der Polizei, des moralischen und kulturellen
Einflusses. Die politische Funktion ist indirekt: denn wenn keine anderen
legalen Parteien existieren, gibt es immer andere Parteien de facto oder legal
nicht zu bezwingende Tendenzen, gegen die polemisiert und gekämpft
wird wie beim Blinde-Kuh-Spielen. Auf jeden Fall ist sicher, dass bei solchen
Parteien die kulturellen Funktionen vorherrschen und eine jargonhafte
politische Sprache entstehen lassen: das heißt, die politischen Fragen kleiden
sich in kulturelle Formen und werden als solche unlösbar.
$(38). Popularliteratur. (1.) Neben Fragen wie: »Warum ist die italienische
Literatur in Italien nicht populär«, »Gibt es ein italienisches Theater?« usw. ist
die andere zu stellen: »Ist es erforderlich, in Italien eine religiöse Reform” wie die
protestantische hervorzurufen« — außerdem: »Über die Nicht-Popularität des
Risorgimento bzw. die Gleichgültigkeit des Volkes in der Zeit der Kämpfe für die
nationale Unabhängigkeit und Einheit« [(das Unpolitische des italienischen Vol-
kes und infolgedessen die Staatsabgewandtheit”” und das Rebellentum)]. Ein
genauer »Katalog« aller dieser Fragen, die seit mehr als einem Jahrhundert (seit
der Französischen Revolution) die italienischen Intellektuellen bedrängen (und
tatsächlich periodisch in mehr oder weniger neuen Formen wiederauftreten: die
der Einheit der Sprache, des Verhältnisses von Kunst und Leben, des Romans,
des Theaters, des Feuilletonromans stehen auch heute zur Debatte, und so
auch die einer intellektuellen und moralischen Reform — das heißt einer Volks-
revolution -, welche dieselbe Funktion wie die protestantische Reform hätte,
und auch der Popularität des Risorgimento, die mit dem Krieg von 1915 und den
anschließenden Umbrüchen endlich erreicht worden sein soll, daher die inflatio-
näre Verwendung der Termini Revolution und revolutionär), kann die beste
Fährte dafür liefern, den Grundcharakter der italienischen Kultur und die Erfor-
dernisse zu rekonstruieren, die von ihr aufgezeigt und sichtbar gemacht werden.
II. Was bedeutet Giovanni Gentiles Losung: »Zurück zu De Sanctis!«?', und
was kann und müsste sie bedeuten? De Sanctis wandte seine Aufmerksamkeit in
der letzten Phase seines Lebens und seiner Tätigkeit dem naturalistischen Roman
zu, der die »intellektualistische« Form war, den in Westeuropa die Bewegung des
»Zum-Volk-Gehens« angenommen hatte, des Populismus der Intellektuellen
1884 Siebzehntes Heft
am Ende des 19. Jahrhunderts nach dem Aufkommen der großen Arbeiter-
massen auf Grund der Entwicklung der modernen Industrie und des endgültigen
Untergangs der achtundvierziger Demokratie. An De Sanctis’ Untersuchung
Wissenschaft und Leben’ erinnern, seinen Übergang zur parlamentarischen
Linken, seine Furcht vor einem unter pompösen Formen verhüllten reaktionären
Rückfall usw. De Sanctis’ Urteil: »Es fehlt der Nerv, weil der Glaube fehlt. Und
es fehlt der Glaube, weil die Kultur fehlt«’. Doch was bedeutet »Kultur« in diesem
Fall? Es bedeutet zweifellos eine kohärente und einheitliche »Auffassung vom
Leben und vom Menschen«, mit nationaler Verbreitung, das heißt eine »Philo-
sophie«, die aber eben »Kultur« geworden ist, die also eine Ethik, eine Lebens-
weise, ein ziviles und individuelles Verhalten hervorgebracht hat. Das erforderte
vor allem anderen eine Vereinigung der »gebildeten Klasse«, und in dieser Rich-
tung arbeitete De Sanctis mit der Gründung des »Philologischen Kreises«, der
»die Einheit aller gebildeten und verständigen Menschen« Neapels bewirken
sollte.
(I.) Interessant ist unter diesem Gesichtspunkt die folgende Anmerkung, die
Luigi Pirandello als Student in Bonn in den Jahren 1889-90 schrieb (vgl. »Nuova
Antologia« vom 1. Januar 1934): »Wir klagen darüber, dass unserer Literatur das
Drama fehlt - wozu vieles gesagt und manches vorgeschlagen wird - Ermahnun-
gen, Fingerzeige, Projekte - vergebliches Werk: die wahre Fäulnis sieht man
nicht und will man nicht sehen. Es fehlt die Auffassung vom Leben und vom
Menschen. Und doch müssen wir der Epik und dem Drama eine Gelegenheit
bieten. Trockener, blödsinniger Alexandrinismus”“, der unsere«*. Aber vielleicht
ist.dieses Urteil Pirandellos nur ein Echoauf Diskussionen deutscher Studenten
über die allgemeine Notwendigkeit einer Weltanschauung* und ist oberfläch-
licher, als es scheint. Im übrigen hat sich Pirandello eine Auffassung vom Leben
und vom Menschen gebildet, aber eine »individuelle«, der popular-nationalen
Verbreitung unfähige: als kritisches Ferment hat sie eine große kulturelle
Bedeutung gehabt, wie an anderer Stelle angemerkt‘.
* Deutsch im Original.
Heft 17-$38-$ 43 1885
$(40). Freudianismus. Kann man sagen, dass Freuds »Libido« die
»ärztliche« Weiterentwickung von Schopenhauers Willen ist? Der eine
oder andere Berührungspunkt von Schopenhauer und Freud lässt sich
meines Erachtens ausmachen.
$(49). Methodische Prinzipien. Bevor man urteilt (und für die Ge-
schichte [im Vollzug oder Politik] ist das Urteil die Handlung), muss man
erkennen, und um zu erkennen, muss man alles wissen, was zu wissen
möglich ist. Aber was versteht man unter »erkennen«? Papierene Erkennt-
nis, Statistik, mechanische »Gelehrtheit«, — historische Erkenntnis -,
Intuition, wirklicher »Kontakt« mit der lebendigen und in Bewegung
befindlichen Wirklichkeit, Fähigkeit, psychologisch zu »sympathisieren«
bis hin zum Einzelmenschen. »Grenzen« der Erkenntnis (keine nutzlosen
Dinge), d.h. kritische Erkenntnis oder Erkenntnis des »Notwendigen«:
daher eine kritische »Allgemeinauffassung«.
Heft 17-$46-$51 1889
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ACHTZEHNTES HEFT (XXXII-IVA)
1934
NıIccoLO MACHIAVELLI. II
1895
($1). Die »Rivista d’Italia« vom 15. Juni 1927 ist vollständig Machiavelli
aus Anlass des vierhundertsten Todestages gewidmet. Hier das Inhalts-
verzeichnis: 1. Charles Benoist, Der immerwährende Machiavellismus;
2. Filippo Meda, Der Machiavellismus; 3. Guido Mazzoni, Machiavelli als
Dramatiker; 4. Michele Scherillo, Machiavellis erste politische Erfahrungen;
5.Vittorio Cian, Machiavelli und Petrarca; 6. Alfredo Galletti, Der Humanist
Niccolö Machiavelli, 7. Francesco Ercole, Der Fürst; 8. Antonio Panella,
Machiavelli als Historiker; 9. Plinio Carli, N. Machiavelli als Schriftsteller,
10. Romolo Caggese, Was in Machiavellis politischem Denken lebendig ist'.
Mazzonis Artikel ist dürftig und langatmig: weitschweifig-historisch-
gelehrt. Wie es diesem Typ von Kritikern oft passiert, hat Mazzoni den lite-
rarischen Inhalt der Mandragola nicht richtig verstanden, er verfälscht den
Charakter des Messer Nicia und daher das ganze Ensemble der Personen,
die von Messer Nicias Abenteuer abhängig sind; dieser erwartete nicht ein
Kind aus der Paarung seiner Frau mit dem verkleideten Callimaco, sondern
er erwartete vielmehr, dass seine Frau durch die Kraft der Alraune' frucht-
bar werden und durch die Paarung mit einem Fremden von den angeblich
tödlichen Folgen des Tranks frei sein würde, die er sonst selbst hätte erleiden
müssen. Messer Nicias Art von Dümmlichkeit ist gut umschrieben und
dargestellt: er glaubt, dass die Unfruchtbarkeit seiner Ehe nicht von ıhm
selbst, dem Alten, abhängt, sondern von der jungen, aber kalten Frau, und
dieser vermeintlichen Unfruchtbarkeit der Frau will er abhelfen, nicht
indem er sie von einem anderen schwängern lässt, sondern indem er erreicht,
dass sie aus einer unfruchtbaren in eine fruchtbare verwandelt wird.
Dass Messer Nicia sich überreden lässt, die Frau mit einem Todgeweihten
sich paaren zu lassen, um sie von einem angeblichen Zauberbann zu
befreien, der ansonsten Ursache für seine Entfernung von der Ehefrau
oder für seinen Tod wäre, ist ein komisches Element, das sıch in anderer
Gestalt in der popularen Novellistik wiederfindet, wo für gewöhnlich die
Dreistigkeit der Frauen beschrieben wird, die sich, um den Liebhabern
Sicherheit zu geben, im Beisein oder mit dem Einverständnis des Ehe-
manns nehmen lassen (ein Motiv, das in anderer Form auch beı Boccaccio
erscheint). In der Mandragola wird aber die Dummheit des Ehemanns
dargestellt und nicht die Dreistigkeit der Frau, deren Widerstand sogar nur
durch das Einschreiten der mütterlichen Autorität und der des Beichtvaters
gebrochen werden kann.
Der Artikel von Vittorio Cian ist noch schlechter als der von Mazzoni:
Cians strohtrockene Rhetorik dreht sogar auf einer Glatze Locken. Es ıst
offenkundig, dass Machiavelli auf die petrarkasche Tradition reagiert und
1896 Achtzehntes Heft
sie zu vernichten und gleichwohl fortzusetzen sucht; Cian jedoch, mit dem
Hinterher-Klügersein, von dem er kindischen Gebrauch macht, sieht allent-
halben Vorläufer und wundersame Vorahnungen in jedem banalen und
zufälligen Sätzchen und verbreitet sich auf zehn Seiten zu dem Thema, um
doch nur die üblichen Gemeinplätze der Lehrbücher für die Elementar-
und Oberschulen auszuwalzen.
$(3). Artikel von Luigi Cavina in der »Nuova Antologia« vom 16. August
1927: Niccolö Machiavellis nationaler Traum in der Romagna und Francesco
Guicciardinis Regierung‘.
Das Thema des Aufsatzes ist interessant, doch Cavina versteht es wegen
des oberflächlich deskriptiven und rhetorischen Charakters der Schrift
nicht, alle notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Nach der Schlacht von Pavia und der endgültigen Niederlage der
Franzosen, welche die spanische Hegemonie über die Halbinsel sicherte,
werden die italienischen Signori von Panik ergriffen. Machiavelli, der sich
nach Rom begeben hatte, um Clemens VII. die Florentinische Geschichte
persönlich zu übergeben, die er fertiggestellt hatte, schlägt dem Papst
die Schaffung einer nationalen Miliz (genaue Bedeutung des Terminus)
vor und überzeugt ihn, einen Versuch zu machen. Der Papst schickt
Machiavelli in die Romagna zu Francesco Guicciardini, der ihr Präsident
war, mit einem vom 6. Juni 1525 datierten Breve. Machiavelli sollte
Guicciardini seinen Plan darlegen, und Guicciardini sollte seine Meinung
dazu äußsern.
Das Breve von Clemens VII. muss hochinteressant sein; er legt die
Zerrüttung dar, in der sich Italien befindet und die so groß ist, dass sie
dazu veranlasst, auch neue und ungewöhnliche Abhilfe zu suchen, und
schließt: »Die Angelegenheit ist wichtig, wie wir befinden, und in ihr liegt
das Heil sowohl des Kirchenstaates als auch ganz Italiens und fast der
Heft 18-$1-$3 1897
ganzen Christenheit«*, woran man sieht, dass Italien für den Papst das
Zwischenglied zwischen dem Kirchenstaat und der Christenheit war.
Warum der Versuch in der Romagna? Neben dem Vertrauen, das der
Papst in Guicciardinis politische Umsicht hatte, muss man vielleicht an
andere Elemente denken: die Romagnolen waren gute Soldaten, sie hatten
tapfer und treu bei Agnadello gekämpft, und das als Söldner. Außerdem
hatte es in der Romagna zuvor schon den Fall des Valentiners'* gegeben,
der gute Soldaten im Volk rekrutiert hatte, usw.
Guicciardini hatte schon 1512 geschrieben, dass die Bewaffnung der
Bürger »einem republikanischen und popularen Leben nichts Fremdes ist,
weil, wenn man eine gute Gerechtigkeit und geordnete Gesetze gibt, diese
Waffen nicht zum Schaden, sondern zum Nutzen des Vaterlands gebraucht
werden«, und hatte auch die von Machiavelli entworfene Einrichtung der
Kampfabteilungen gelobt (Versuch zur Schaffung einer Bürgermiliz in
Florenz, die den Widerstand während der Belagerung vorbereitete).
Guicciardini hielt es jedoch nicht für möglich, den Versuch in der
Romagna zu machen, wegen der hier herrschenden heftigen parteilichen
Spaltungen (interessant Guicciardinis Urteile über die Romagna): die
Ghibellinen sind nach dem Sieg von Pavia zu jedem Umsturz bereit; auch
wenn keine Waffen verteilt werden, wird es zu irgendeinem Aufruhr kom-
men; man kann die Waffen zum Widerstand gegen die Kaiserlichen nicht
ausgerechnet den Anhängern der Kaiserlichen geben. Die Schwierigkeit
wird außerdem dadurch vergrößert, dass der Staat ein kirchlicher ist, das
heißt ohne langfristige Richtlinien, und mit Begnadigungen und Straf-
freiheiten, die leicht zu haben sind, spätestens bei jeder neuen Papstwahl.
In einem anderen Staat könnten die Parteien im Zaum gehalten werden,
nicht im Kirchenstaat. Da Clemens VII. in seinem Breve gesagt hatte, dass
zum guten Gelingen des Unternehmens nicht nur Ordnung und Eifer
vonnöten seien, sondern auch das Engagement und die Liebe des Volkes,
sagt Guicciardini, dass dies nicht sein könne, weil »die Kirche hier tatsäch-
lich keine Freunde hat, weder diejenigen, welche gut zu leben wünschten,
noch aus unterschiedlichen Gründen die Anhänger der Parteien und die
Unglücklichen«.
Aber die Initiative hatte keine weiteren Folgen, weil der Papst das Projekt
fallen ließ. Die Episode ist dennoch von höchstem Interesse, weil sie zeigt,
wie groß Machiavellis Wille und die Überzeugungsgabe war, wegen
* Im Original lat.: »Res magna est, ut iudicamus, et salus est in ea cum status ecelesiastici, tum totius Italiae ac
prope universae cristianitatis reposita«.
1898 Achtzehntes Heft
192471935
(ITALIENISCHES RISORGIMENTO)
1901
($1). Eine doppelte Reihe von Untersuchungen. Eine über das Zeitalter
des Risorgimento und eine zweite über die ihm auf der italienischen
Halbinsel vorangegangene Geschichte, insofern sie kulturelle Elemente
geschaffen hat, die sich auf das Zeitalter des Risorgimento ausgewirkt
haben (positive und negative Auswirkung) und die auch im nationalen
Leben Italiens, wie es vom Risorgimento geformt worden ist, fortwirken
(sei es auch nur als ideologische Gegebenheiten der Propaganda). Diese
zweite Reihe müsste eine Sammlung von Aufsätzen über diejenigen
Epochen der europäischen und Weltgeschichte sein, die einen Widerhall
auf der Halbinsel gehabt haben. Zum Beispiel:
1. Die unterschiedlichen Bedeutungen, die das Wort »Italien« zu ver-
schiedenen Zeiten gehabt hat, ausgehend vom bekannten Aufsatz von
Prof. Carlo Cipolla' (der ergänzt und überarbeitet werden müsste).
2. Die Epoche der römischen Geschichte, die den Übergang von der
Republik zum Imperium markiert, insofern sie den allgemeinen Rahmen
einiger ideologischer Tendenzen der künftigen italienischen Nation schafft.
Man scheint nicht verstanden zu haben, dass gerade Cäsar und Augustus
in Wirklichkeit die relative Stellung Roms und der Halbinsel im Gleich-
gewicht der klassischen Welt radikal verändern, indem sie Italien die »ter-
ritoriale« Hegemonie wegnehmen und die hegemonische Funktion auf
eine »imperiale«; das heißt supranationale Klasse übertragen. Wenn es
stimmt, dass Cäsar die demokratische Bewegung der Gracchen, von
Marius, von Catıilina weiterführt und zu Ende bringt, so ist ebenso richtig,
dass Cäsar gewinnt, insofern das Problem, das sich für die Gracchen, für
Marius, für Catilina als ein innerhalb der Halbinsel, in Rom zu lösendes
Problem stellte, sich für Cäsar im Rahmen des gesamten Imperiums stellt,
von dem die Halbinsel ein Teil und Rom die »bürokratische« Hauptstadt
ist; und dies auch nur bis zu einem gewissen Punkt. Dieser geschichtliche
Zusammenhang ist von größter Bedeutung für die Geschichte der Halb-
insel und Roms, weil er der Beginn des Prozesses der »Entnationa-
lisierung« Roms und der Halbinsel und ihrer Entwicklung zu einem
»kosmopolitischen Terrain« ist. Die römische Aristokratie, die nach Art
und Weise der Zeit und den ihr entsprechenden Mitteln die Halbinsel
vereinigt und eine Grundlage der nationalen Entwicklung geschaffen
hatte, wird überwältigt von den imperialen Kräften und den Problemen,
die sie selbst hervorgerufen hat: der politisch-geschichtliche Knoten wird
von Cäsar mit dem Schwert durchhauen, und eine neue Epoche beginnt,
worin der Osten ein so großes Gewicht hat, dass er am Ende den Westen
überwältigt und einen Bruch zwischen den beiden Teilen des Reiches
herbeiführt.
1902 Neunzehntes Heft
$(2). Das Zeitalter des Risorgimento von Adolfo Omodeo (Verl. Prin-
cipato, Messina)‘. Dieses Buch von Adolfo Omodeo scheint in seiner
Gesamtheit misslungen zu sein. Es ist die Überarbeitung eines Schul-
buches, und vom Schulbuch bewahrt es viele Merkmale. Die Tatsachen
(die Ereignisse) werden lediglich rein katalogartig benannt, bar jeden Zu-
sammenhangs von geschichtlicher Notwendigkeit. Der Stil des Buches ist
schlampig, oft irritierend; die Urteile sind tendenziös, zuweilen scheint es,
als habe Omodeo ein persönliches Problem mit gewissen Protagonisten
der Geschichte (zum Beispiel mit den französischen Jakobinern). Bei dem,
was sich auf die italienische Halbinsel bezieht, hätte Omodeo doch wohl
zeigen müssen, dass das Risorgimento eine wesentlich italienische Ange-
legenheit ist, dessen Ursprünge in Italien zu suchen sind und nicht nur
oder vorwiegend in den europäischen Entwicklungen der Französischen
Revolution und der napoleonischen Invasion. Doch wird diese Absicht in
keiner anderen Weise ausgeführt, als dass die Erzählung 1740 statt 1789
bzw. 1796 oder 1815 beginnt.
(Wenn man diese Elemente des Wandels der kulturellen Tradition Italiens
als notwendiges Element für das Studium der Ursprünge des Risorgimento
setzt und die Zerstörung einer solchen Tradition als positive Tatsache aufge-
fasst wird, als notwendige Bedingung für das Entstehen und die Entwick-
lung des national-liberalen aktiven Elements, dann erlangen Bewegungen
wie die »jansenistische«, die andernfalls als bloße Seltsamkeiten von Ge-
lehrten erscheinen würden, eine gewisse, nicht unerhebliche Bedeutung.
Es würde sich, kurz gesagt, um ein Studium der »katalytischen Körper« auf
dem politisch-geschichtlichen Feld Italiens handeln, katalytische Elemente,
Heft 19-$3 1909
die keine Spuren hinterlassen, aber eine unersetzbare instrumentelle Funk-
tion bei der Schaffung des neuen geschichtlichen Organismus haben).
Albert Pingaud, Verfasser eines Buches über Bonaparte als Präsident der
italienischen Republik, der ein weiteres Buch über Das erste Königreich
Italien” vorbereitet (das verstreut in verschiedenen Periodika schon fast
vollständig veröffentlicht worden ist), gehört zu denen, die »1814 als Aus-
gangspunkt und die Lombardei als Brennpunkt der politischen Bewegung
setzen, die 1870 mit der Einnahme Roms ihren Abschluss fand«. Baldo
Peroni, der in der »Nuova Antologia« vom 16. August 1932 einen Über-
blick über diese noch verstreuten Schriften Pingauds bietet, merkt an:
»Unser Risorgimento - als politisches Erwachen verstanden - beginnt,
wenn die Vaterlandsliebe aufhört, ein unbestimmtes gefühlsmäßiges Sehnen
oder ein literarisches Motiv zu sein, und bewusster Gedanke wird, Leiden-
schaft, die Wirklichkeit zu werden bestrebt ist durch ein Handeln, das sich
kontinuierlich entfaltet und die härtesten Opfer nicht scheut. Nun ist eine
solche Veränderung bereits im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts vor
sich gegangen, und zwar nicht nur in der Lombardei, sondern auch
in Neapel, in Piemont, in fast allen Regionen Italiens. Die »Patrioten<,
die zwischen (17)89 und 96 ins Exil geschickt werden oder aufs Schafott
steigen, haben außer für die Errichtung der Republik auch dafür konspiriert,
Italien Unabhängigkeit und Einheit zu geben; und in den folgenden
Jahren ist es die Liebe zur Unabhängigkeit, die das Handeln der gesamten
politischen Klasse Italiens inspiriert und animiert, sei es, dass sie mit den
Franzosen zusammenarbeitet, sei es, dass sie Aufstandsbewegungen ver-
sucht, als sich herausstellt, dass Napoleon die feierlich versprochene Freiheit
nicht zugestehen will’. Peroni ist jedenfalls nicht der Ansicht, dass die ita-
lienische Bewegung vor 1789 zu suchen sei, das heißt, er behauptet eine
Abhängigkeit des Risorgimento von der Französischen Revolution, eine
These, die von der nationalistischen Geschichtsschreibung nicht akzeptiert
wird. Jedoch scheint Peronis Behauptung zutreffend, wenn man den spezi-
fischen und entscheidend wichtigen Sachverhalt der frühesten Gruppierung
von politischen Elementen berücksichtigt, die sich so weit fortentwickeln
wird, bis sie das Ensemble derjenigen Parteien bildet, welche die Protago-
nisten des Risorgimento sein werden. Wenn sich ım Verlauf des 18. Jahr-
hunderts die objektiven internationalen und nationalen Bedingungen abzu-
zeichnen und zu festigen beginnen, welche die nationale Einigung zu einer
geschichtlich konkreten (also nicht nur möglichen, sondern notwendigen)
Aufgabe machen, so steht fest, dass diese Aufgabe erst nach ’89 Gruppen
von Bürgern (cittadini) bewusst wird, die zum Kampf und zum Opfer
bereit sind. Die Französische Revolution ist also eines der europäischen
1910 Neunzehntes Heft
Auf dem Zwanzigsten Kongress der Nationalen Gesellschaft für die Ge-
schichte des Risorgimento sind Themen behandelt worden, welche diese
Rubrik in höchstem Maße interessieren. Die Studie von Pietro Silva: Das
italienische Problem in der europäischen Diplomatie des 18. Jahrhunderts”
wird von Volpe (im zitierten Artikel) wie folgt zusammengefasst: »Das
18. Jahrhundert bedeutet Einflussnahme von Großmächten in Italien,
aber auch ihre Gegensätze; und daher fortschreitende Verringerung der
direkten Fremdherrschaft und Entwicklung zweier starker staatlicher
Organismen im Norden und ım Süden. Mit dem Vertrag von Aranjuez
zwischen Frankreich und Spanien 1752 und gleich darauf mit der Annähe-
rung Österreich-Frankreich* beginnt eine Stagnationsperiode von vierzig
Jahren für die beiden Königreiche, wenn auch mit vielen Anstrengungen,
den österreichisch-französischen Kreis zu durchbrechen, indem Annähe-
rungen an Preußen, England und Russland versucht werden. Aber die vier-
zig Jahre bezeichnen auch die Entwicklung der autonomen Kräfte, die mit
der Revolution und mit dem Zerbrechen des österreichisch-französischen
Systems für eine Lösung des italienischen Problems im Sinne der nationa-
len Einheit auf den Plan treten. Und schon wurden die Reformen und
reformorientierten Fürsten in letzter Zeit Gegenstand vieler Studien zum
Königreich Neapel und Sizilien, zur Toskana, zu Parma und Piacenza und
zur Lombardei«'.
Carlo Morandi (Die Reformen des 18. Jahrhunderts nach den Ergebnissen
der jüngeren Geschichtsschreibung)'” hat die Stellung der italienischen
Reformen im Rahmen des europäischen Reformismus und das Verhältnis
von Reform und Risorgimento untersucht.
Zum Verhältnis von Französischer Revolution und Risorgimento schreibt
Volpe: »Es ist unbestreitbar, dass die Revolution, sei es als Ideologien, sei
es als Leidenschaften, sei es als bewaffnete Kraft, sei es als Napoleon dem
bewegten Fluss des italienischen Lebens neue Elemente zuführt: Nicht
weniger unbestreitbar ist, dass das Italien des Risorgimento, ein lebendiger
Organismus, der das Assimilierbare dessen assimilierte, was von außen
kam und was - als Ideen - auch Aufarbeitung dessen war, was bereits in
Italien ausgearbeitet worden war, zugleich darauf reagiert, es ausscheidet
und es integriert, es jedenfalls aufhebt. Es hat eigene Traditionen, eine
eigene Mentalität, eigene Probleme, eigene Lösungen: die schließlich die
wirkliche, tiefe Wurzel, das wirkliche Merkmal des Risorgimento sind,
seine substantielle Kontinuität mit dem vorangehenden Zeitalter bilden, es
befähigen, seinerseits auch eine Wirkung auf andere Länder auszuüben;
auf die Art, wie solche Wirkungen nicht auf wundersame Weise, sondern
geschichtlich im Kreis benachbarter und verwandter Völker ausgeübt
werden können«"”.
Diese Bemerkungen Volpes sind nicht immer richtig: wie kann man von
»Traditionen, Mentalitäten, Problemen, Lösungen« sprechen, die Italien
eigen sind? Oder zumindest, was soll das konkret heißen? Die Traditionen,
die Mentalitäten, die Probleme, die Lösungen waren vielfältig, widersprüch-
lich, oftmals rein individueller, willkürlicher Art und wurden damals nie in
Bezug auf die Einigung gesehen. Die nach Einheit strebenden Kräfte waren
äußerst spärlich, verstreut, ohne Zusammenhang untereinander und ohne
die Fähigkeit, gegenseitige Bindungen hervorzurufen, und dies nicht nur
im 18. Jahrhundert, sondern man kann sagen bis 1848. Die den unitarischen
(oder besser tendenziell unitarischen) entgegengesetzten Kräfte waren hin-
gegen sehr mächtig, miteinander verbündet, und insbesondere als Kirche
saugten sie den größten Teil der individuellen Fähigkeiten und Energien,
die ein neues nationales Führungspersonal hätten konstituieren können, in
sich auf, indem sie ihnen stattdessen eine klerikal-kosmopolitische Richtung
Heft 19-$3 1913
und Erziehung gaben. Die internationalen Faktoren und insbesondere die
Französische Revolution stärken im Gegenzug, indem sie diese reaktio-
nären Kräfte zermürben und aufreiben, die für sich allein geringfügigen
und unzureichenden nationalen Kräfte. Dies ist der wichtigste Beitrag der
Französischen Revolution, der sehr schwer zu bewerten und zu bestimmen
ist, von dem man jedoch ahnt, dass er ein entscheidendes Gewicht hatte,
um die Bewegung des Risorgimento in Gang zu bringen.
Uniter den anderen auf dem Kongress gehaltenen Vorträgen ist der von
Giacomo Lumbroso über Die Reaktion des Volkes gegen die Franzosen
Ende des 18. Jahrhunderts’ hervorzuheben. Lumbroso behauptet, dass
»die Volksmassen, besonders die bäuerlichen, nicht deswegen reagieren,
weil sie von den Adligen aufgewiegelt wurden und auch nicht um des lieben
Friedens willen (in Wirklichkeit griffen sie zu den Waffen!), sondern,
wenigstens zum Teil, aus einer unklaren und unbestimmten Vaterlandsliebe
oder Verbundenheit mit ihrer Scholle, mit ihren Einrichtungen, mit ihrer
Unabhängigkeit (!?): daher der häufige Appell ans Nationalgefühl der
Italiener, den die »Reaktionäre< bereits 1799 machen«', doch so ist die
Frage schlecht gestellt und voller Mehrdeutigkeiten. Zunächst wird nicht
die »Aufwiegelung« der Priester erwähnt, die sehr viel wirksamer ist als
die der Adligen (die nicht so sehr gegen die neuen Ideen waren, wie sich an
der Parthenopeisehen Republik zeigt); und was bedeutet ferner Volpes iro-
nische Zwischenbemerkung, wonach man nicht von Liebe zu einem Leben
in Ruhe und Frieden sprechen zu können scheint, wenn man zu den Waffen
greift? Der Widerspruch ist rein verbal: »Leben in Ruhe und Frieden« ist
im politischen Sinn von Neuerungsscheu und Konservatismus gemeint
und schließt die bewaffnete Verteidigung der eigenen gesellschaftlichen
Positionen keineswegs aus. Außerdem kann die Frage der Haltung der
Volksmassen nicht unabhängig von derjenigen der führenden Klassen ge-
stellt werden, weil sich die Volksmassen aus unmittelbaren und zufälligen
Gründen gegen eingedrungene » Ausländer« erheben können, da niemand
ihnen beigebracht hat, eine andere als die lokalistische und beschränkte
politische Orientierung kennenzulernen und zu verfolgen. Die spontanen
Reaktionen (sofern sie es sind) der Volksmassen können nur dazu dienen,
die Führungs»kraft« der höheren Klassen anzuzeigen; in Italien haben die
Liberal-Bürgerlichen die Volksmassen stets vernachlässigt. Volpe hätte an
diesem Punkt zu der widersprüchlichen und einseitigen Literatur über das
Risorgimento Stellung beziehen müssen, deren bezeichnendstes Muster
Lumbroso geliefert hat: wer ist »Patriot« oder »national« im Sinne
Lumbrosos, der von den Engländern erhängte Admiral Caracciolo oder
der Bauer, der sich gegen die Franzosen erhebt? Domenico Cirillo oder
1914 Neunzehntes Heft
Fra Diavolo? Und warum sollen die anglophile Politik und das englische
Geld nationaler sein als die französischen politischen Ideen?
* Im Ms.: »1870«.
Heft 19-$5 1917
* Im Ms: »stellt«.
1918 Neunzehntes Heft
Regierungszeit der Rechten als nicht besser dar. Es zeigt sich, dass es mit
dem Übergang von der Rechten zur Linken keine wesentliche Veränderung
gegeben hat: der Marasmus, in dem sich das Land befindet, ist nicht auf das
parlamentarische Regime zurückzuführen (das nur öffentlich macht, was
zuvor verborgen blieb oder zu geheimen diffamatorischen Publikationen
Anlass gab), sondern auf die Schwäche und organische Inkonsistenz der
führenden Klasse und auf das große Elend und die Rückständigkeit des
Landes. Politisch ist die Situation absurd: auf der Rechten stehen die Kle-
rikalen, die Partei des Syllabus, welche die gesamte moderne Zivilisation
in Bausch und Bogen ablehnt und den legalen Staat boykottiert, indem sie
nicht nur verhindert, dass sich eine breite konservative Partei bildet, sondern
das Land auch unter dem Eindruck des Provisorischen und der Unsicher-
heit des neuen Einheitsstaates hält; in der Mitte steht das ganze liberale
Spektrum, von den Moderati bis zu den Republikanern, auf die alle Er-
innerungen an den Hass aus den Zeiten der Kämpfe einwirken und die sich
unerbittlich zerfleischen; auf der Linken drückt das arme, zurückgeblie-
bene, analphabetische Land in hysterischer, unstetiger und sporadischer
Form eine Reihe anarchisch-subversiver Tendenzen ohne Zusammenhalt
und konkrete politische Orientierung aus, die einen fieberhaften Zustand
ohne konstruktive Zukunft aufrechterhalten. Es gibt keine »ökonomischen
Parteien«, sondern Gruppen deklassierter Ideologen aller Klassen, Hähne,
die einen Tag ankündigen, der nie kommen will.
Die Bücher der Gruppe Mosca-Turiello kamen in den Jahren vor dem
Krieg wieder in Mode (man kann in der »Voce« dem ständigen Hinweis auf
Turiello begegnen)“, und Moscas Jugendbuch wurde 1925 neu aufgelegt,
mit einigen Anmerkungen des Autors, um daran zu erinnern, dass es sich
um Ideen von 1883 handelt und der Autor ’25 nicht mehr mit dem vier-
undzwanzigjährigen Verfasser von 1883 einverstanden ist. Die Neuauflage
von Moscas Buch ist eine der vielen Episoden der Gewissenlosigkeit und
des politischen Dilettantismus der Liberalen in der unmittelbaren und
späteren Nachkriegszeit. Im übrigen ist das Buch plump, ungeschliffen,
hastig geschrieben von einem jungen Mann, der sich in seiner Zeit durch
eine extremistische Haltung und durch große, oftmals abgedroschene Wor-
te in reaktionärem Sinn »auszeichnen« will. Moscas politische Begriffe sind
unklar und schwankend, seine philosophische Bildung ist gleich null (was
sie in der gesamten schriftstellerischen Karriere Moscas geblieben ist), seine
Prinzipien politischer Technik sind ebenfalls unklar und abstrakt und haben
eher juristischen Charakter. Der Begriff »politische Klasse«, dessen Affir-
matıon im Mittelpunkt aller politikwissenschaftlichen Schriften Moscas
stehen wird, ist äußerst labil und weder durchdacht noch theoretisch
Heft 19-$5 1919
In Wirklichkeit ist Missiroli nur das, was man einen glänzenden Schreiber
nennt: man hat den begründeten Eindruck, dass er auf seine Ideen, Italien
und alles pfeift: ihn interessiert nur das augenblickliche Spiel mit einigen
Heft 19-$5 1927
abstrakten Begriffen, und ihn interessiert, immer wieder mit einer neuen
Kokarde an der Brust auf die Füße zu fallen (Missiroli, das Stehaufmänn-
chen).
Muss die politische Bewegung, die zur nationalen Einigung und zur For-
' mierung des italienischen Staates führte, notwendigerweise in den Natio-
nalismus und den militaristischen Imperialismus übergehen? Man kann
behaupten, dass dieser Übergang anachronistisch und antihistorisch ist
(d.h. künstlich und kurzatmig); er ist wirklich gegen alle italienischen
Traditionen, die römischen zuerst, dann die katholischen. Die Traditionen
sind kosmopolitisch. Dass die politische Bewegung gegen die Traditionen
reagieren und Anlass zu einem Nationalismus nach Intellektuellenart
geben musste, lässt sich erklären, aber es handelt sich nicht um eine orga-
nisch-populare Reaktion. Im übrigen versuchen auch im Risorgimento
Mazzini-Gioberti, die Nationalbewegung auf die kosmopolitische Tra-
dition aufzupfropfen, den Mythos einer Mission des wiedergeborenen
Italiens in einer neuen europäischen und weltweiten Kosmopolis zu
schaffen, doch handelt es sich um einen rein verbalen und rhetorischen My-
thos, der auf die Vergangenheit und nicht auf die bereits herausgebildeten
oder in Entwicklung begriffenen Bedingungen der Gegenwart gegründet
ist (derartige Mythen sind immer ein Ferment der ganzen italienischen Ge-
schichte gewesen, auch der jüngsten von Q. Sella bis Enrico Corradini und
D’Annunzio). Weil ein Ereignis in der Vergangenheit aufgetreten ist, heißt
das nicht, dass es in der Gegenwart und in der Zukunft wieder auftreten
muss; die Bedingungen für eine militärische Expansion in der Gegenwart
und in der Zukunft bestehen nicht, und sie scheinen auch nicht in Entwick-
lung begriffen. Die moderne Expansion ist finanzkapitalistischer Art. In der
italienischen Gegenwart ist das Element »Mensch« entweder »Mensch-
Kapital«, oder es ist »Mensch-Arbeit«. Die italienische Expansion kann nur
die des Menschen-Arbeit sein, und der Intellektuelle, der den Menschen-
Arbeit repräsentiert, ist nicht der traditionelle, von Rhetorik und papierenen
Erinnerungen an die Vergangenheit aufgeblasene. Aus dem traditionellen
italienischen Kosmopolitismus müsste ein Kosmopolitismus moderner
Art werden, dergestalt, dass er dem italienischen Menschen-Arbeit die
besten Entwicklungsbedingungen garantiert, in welchem Teil der Welt er
sich auch befinden möge. Nicht der Weltbürger als civis romanus* oder
Katholik, sondern als Produzent von Kultur. Deshalb kann man behaupten,
dass die italienische Tradition sich dialektisch im arbeitenden Volk und
in dessen Intellektuellen fortsetzt, nicht im traditionellen Bürger und im
* Lat.:»römischer Bürger«.
1928 Neunzehntes Heft
traditionellen Intellektuellen. Das italienische Volk ist das Volk, das »natio-
nal« am meisten an einer modernen Form von Kosmopolitismus interes-
siert ist. Nicht nur der Arbeiter, sondern auch der Bauer, und besonders
der Bauer des Südens. Daran mitzuwirken, die Welt ökonomisch auf ein-
heitliche Weise zu rekonstruieren, liegt in der Tradition des italienischen
Volkes und der italienischen Geschichte, nicht um sie hegemonisch zu be-
herrschen und sich die Früchte fremder Arbeit anzueignen, sondern um
eben als italienisches Volk zu sein und sich zu entwickeln: es lässt sich zeigen,
dass Cäsar am Anfang dieser Tradition steht. Der Nationalismus fran-
zösischer Machart ist ein anachronistischer Auswuchs in der italienischen
Geschichte, Leuten eigen, die den Kopf nach hinten gewandt haben wie
die Verdammten bei Dante. Die »Mission« des italienischen Volkes liegt in
der Wiederaufnahme des römischen und mittelalterlichen Kosmopolitis-
mus, aber in seiner modernsten und fortgeschrittensten Form. Sei es auch
eine proletarische Nation, wie Pascoli wollte; proletarisch als Nation, weil
sie die Reservearmee ausländischer Kapitalismen gewesen ist, weil sie der
ganzen Welt Arbeitskräfte geliefert hat zusammen mit den slawischen
Völkern. Gerade deswegen muss sie sich in die moderne Kampffront ein-
fügen, um auch die nichtitalienische Welt zu reorganisieren, zu deren
Schaffung sie mit ihrer Arbeit beigetragen hat, usw.
In seiner Analyse des Berichts der Banca Commerciale Italiana vor der
Gesellschafterversammlung für das Geschäftsjahr 1931 schreibt Attilio
Cabiati (in der »Riforma Sociale«, Juli-August 1932, S. 464): »Aus diesen
Betrachtungen tritt der grundlegende Mangel, der das Wirtschaftsleben
Italiens immer belastet hat, deutlich hervor: die Schaffung und Erhaltung
eines industriellen Gefüges, das sowohl die Schnelligkeit in der Bildung des
Sparaufkommens im Land als auch die Aufnahmefähigkeit der inländischen
Konsumenten zu sehr überfordert; das folglich zu einem beträchtlichen
Teil nur durch die Kraft des Protektionismus und der staatlichen Hilfen
unterschiedlicher Art lebt. Aber der einheimische Protektionismus, der ın
manchen Fällen hundert Prozent des internationalen Marktwertes des Pro-
dukts erreicht und übersteigt, verlangsamte, indem er das Leben verteuerte,
1934 Neunzehntes Heft
seinerseits die Bildung des Sparaufkommens, das noch dazu der Industrie
vom Staat selbst streitig gemacht wurde, der oft von seinen in keinem Ver-
hältnis zu unserem industriellen Gefüge stehenden Bedürfnissen dazu
getrieben wurde. Der Krieg, der dieses Gefüge über alle Maßen ausdehnte,
zwang unsere Banken, wie der oben zitierte Bericht sagt, »zu einer mutigen
und beharrlichen Finanzpolitik<, die darin bestand, >»ım Turnus< beim Aus-
land Anleihen aufzunehmen, um zu längerer Laufzeit im Inland zu ver-
leihen. »Eine solche Finanzpolitik hatte jedoch - sagt der Bericht - ihre
natürliche Grenze in der Notwendigkeit für die Banken, um jeden Preis
angemessene flüssige oder leicht zu realisierende Investitionsreserven zu
bewahren«. Als die Weltwirtschaftskrise ausbrach, konnten die flüssigen In-
vestitionen« nur zu einem außerordentlichen Diskontsatz realisiert werden:
das Sparaufkommen im Ausland floss nicht mehr: die nationalen Industrien
konnten nicht zurückzahlen. So dass, exceptis excipiendis*, das italienische
Bankensystem sich in einer unter mehreren Gesichtspunkten identischen
Situation befand wie der englische Finanzmarkt Mitte 1931. ...(der) alte
(Fehler) bestand darin, dass man einem industriellen Organismus hatte
Leben verleihen wollen, der in keinem Verhältnis zu unseren Kräften stand
und mit dem Ziel geschaffen worden war, uns »vom Ausland unabhängig«
zu machen: ohne zu bedenken, dass wır in dem Maße, in dem wir hinsicht-
lich der Produkte nicht vom Ausland »abhingens, hinsichtlich des Kapitals
. a. . 2
immer abhängiger wurden«“.
Es stellt sich die Frage, ob bei einem anderen Stand der Dinge die industri-
elle Basis des Landes erweitert werden kann, ohne in puncto Kapitalien
aufs Ausland zurückzugreifen. Das Beispiel anderer Länder (Japan zum
Beispiel) zeigt, dass dies möglich ist: jede Gesellschaftsform hat ihr Gesetz
der Akkumulation von Ersparnissen, und es ist anzunehmen, dass sich
auch in Italien eine raschere Akkumulation erreichen lässt. Italien ist das
Land, das unter den vom Risorgimento und dessen Verlaufsform geschaf-
fenen Bedingungen die größte Last an parasitärer Bevölkerung trägt, die
nämlich lebt, ohne im geringsten am produktiven Leben teilzunehmen,
es ist das Land mit dem größten Anteil einer ländlichen und städtischen
klein- und mittelständischen Bourgeoisie, die einen großen Anteil des Na-
tionaleinkommens verzehrt und einen für die nationalen Erfordernisse
unzureichenden Teil davon spart.
$(10). Die Schriften von Pater Carlo Maria Curci. Die Schriften von
Pater Curci nach seinem Übertritt zum liberalen Katholizismus sind nütz-
lich zur Rekonstruktion der italienischen Situation um 1880. Der Übertritt
Curcis, eines berühmten und kämpferischen Jesuiten der »Civilta Catto-
lica«, stellt nach 1870 einen der größten Schläge dar, den die vatikanische
Boykottpolitik gegen den neuen Einheitsstaat erhalten hat, und den Beginn
des molekularen Prozesses, der die katholische Welt umformen sollte, bis
hin zur Gründung des Partito Popolare. Einige Schriften von Pater Curci
nach dem Übertritt: Der heutige Zwiespalt zwischen Kirche und Staat,
betrachtet an einem Einzelfall’, 2. verbesserte und erweiterte Aufl., in 8°,
XI1+276 S., 1878, 4,50 L.; Das neue Italien und die alten Zeloten. Studien
zum Nutzen der Ordnung der Parteien im italienischen Parlament”, in 8°,
VIII+256 S., 1881, 5,25 L.; Der Königliche Vatikan, ein überlebender
Holzwurm der Katholischen Kirche. Dem jungen Klerus und dem gläubigen
Laienstand gewidmete Studien, in 8°, VIII+336 S., 1883, 4,50 L.; Der
Skandal des Königlichen Vatikans, und wozu die Vorsehung ihn braucht,
in 8°, XVI+136 $., 1884, 2,25 L. (Diese Bücher sind noch bei der Turiner
Utet erhältlich, nach dem Katalog von 1928).
$(14). Karl Felix. Zulesen ist seine Biographie, die Francesco Lemmi
für die »Collana storica sabauda« des Verl. Paravia geschrieben hat. Einige
hervorstechende Punkte aus Lemmis Biographie: Karl Felix’ Abneigung
gegen die Carignano-Linie: in einigen von Karl Felix 1804 an den Bruder
Viktor Emanuel geschriebenen Briefen stehen »glühende« Worte gegen die
Eltern von Karl Albert, die von wer weiß welchem Groll diktiert sind
und soweit gehen, diese unerwünschte Nachfolge als eine Schmach zu
beschwören; Karl Felix und die Unruhen von 1821. Lemmi merkt an, dass
Heft 19- $13-$ 16 1939
Karl Felix nie eine italienische Politik betrieb, sondern nur darauf abzielte,
seine Besitzungen auszudehnen'.
$(16). Prosper Merimee und das Jahr (18)48 in Italien. In der »Revue
des deux Mondes« (Nr. vom 15. Mai 1932) ist ein Bündel Briefe von
Prosper Merim&e an die Gräfin de Boigne (Verfasserin berühmter Me-
moiren) veröffentlicht. Über 48 in Italien: »Die Piemontesen kümmern
sich überhaupt nicht um unsere Hilfe, und wir hindern die Italiener daran,
ihnen zu Hilfe zu eilen, indem wir Unterstützung* durch unser unschlag-
bares Heer versprechen: ein Reisender, der aus der Lombardei kommt,
erzählt, dass das Land wie im tiefen Mittelalter in ebenso viele kleine
Republiken geteilt ist wie es Dörfer und Ortschaften gibt, die einander
feindlich gesonnen sind und nur darauf warten, zu den Waffen zu greifen«.
Merime&e war ein Verfechter der italienischen Einheit. (Er erzählt beißende
Anekdoten über die Situation in Frankreich: zum Beispiel glaubten die
Bauern, als sie für Louis Napoleon stimmten, dass sie für Napoleon I.
stimmten. Vergeblich versuchte man ihnen zu erklären, dass der Leichnam
des Kaisers im Invalidendom begraben liegt)".
Dass die Hoffnung auf eine mögliche Hilfe des französischen Heeres 48
dazu beigetragen hat, die Freiwilligenbewegung einzuschränken usw., ist
möglich, jedoch erklärt sie nicht die Tatsache, dass die Freiwilligen, die sich
gemeldet hatten, schlecht eingesetzt und schlecht behandelt wurden, sie
erklärt nicht die militärische Tatenlosigkeit von Piemont selbst und das
Fehlen einer klaren militärisch-politischen Führung, in dem in den folgen-
den Notizen erläuterten Sinn; ebensowenig erklärt sie die Losung »Italien
schafft es allein«'”.
* Gerratana verändert zu: »Verstärkung«; P (nach dem franz. Original des Briefes): »UUnterstützung«.
1940 Neunzehntes Heft
* Im Ms.: »Montazio«.
Heft
19- $17-$ 19 1941
waren Hochrufe; dann Streit zwischen denen, die wollten, und denen, die
nicht wollten; dann Messerstiche und Gewehrschüsse; schließlich ein
großes Durcheinander. Die Bauern aus der Umgegend, im Glauben, dass
es ein Freudenfest wäre, das man für die Rückkehr des Großherzogs ver-
anstaltete, oder dass sie bereits für die Reaktion angestiftet und vorbereitet
worden waren oder wie auch immer, sie begannen ebenfalls, Leopold IT.
hochleben zu lassen, Schüsse abzugeben, Fahnen herauszuholen, Taschen-
tücher zu schwenken, Böller und ähnliches loszulassen«. Noch sympto-
matischer ist Monzanis* Schrift, die einen Schimmer davon vermittelt, was
die defätistische Propaganda der Moderati gewesen sein muss: »Blindheit
und, was schlimmer ist, böser Wille, Gerissenheit und Betrug scheinen mir
nicht zu überbieten zu sein. Es wird viel von Vaterland, von Freiheit ge-
sprochen, aber wenige tragen das Vaterland im Herzen und vermöchten
äußerste Opfer zu bringen und ihr Leben für seine Rettung aufs Spiel zu
setzen. Doch diese allerheiligsten Namen werden leider entweiht, und die
meisten bedienen sich ihrer als Scheffel (!)'‘, um entweder Macht oder
Reichtum zu erlangen. Vielleicht täusche ich mich, doch von denen Rettung
zu erwarten, wäre gleich viel wie sie vom Türken zu erwarten. Mir liegt
nicht daran, mich zu täuschen, und auch nicht, Trugbildern nachzulaufen,
denn zu sehr haben sich die Italiener in der Falle der Hirngespinste und der
Utopien gewisser Apostel fangen lassen, die unserem unglücklichen Vater-
land nun allzusehr schaden«.
Die beiden Briefe wurden Spaventa zum Zeitpunkt der Festnahme ab-
genommen. Die Bourbonen waren zu engstirnig, um sich ihrer gegen die
Liberalen zu bedienen, indem sie sie von ihren Schreiberlingen veröffent-
lichen und kommentieren ließen (sie hassten die Schreiberlinge zu sehr, um
welche im eigenen Dienst zu haben), sie beschränkten sich darauf, sie den
Akten des Spaventa-Prozesses beizufügen. (Die ganze Witzelei Bonghis
steckt in dem ständigen Wiederholen von »aufrichten« und »das Aufrich-
ten« nach Art der Neapolitaner).
* Im Ms.: »Montazio.«
1942 Neunzehntes Heft
Probleme hat das Risorgimento in den Formen und in den Grenzen er-
möglicht, in denen es sich vollzogen hat, ohne »Terreur«, als »Revolution
ohne Revolution« oder als »passive Revolution«, um einen Ausdruck
Cuocos in einem etwas anderen Sinn zu gebrauchen, als Cuoco damit
sagen will’.
* Im Ms.: »Piero«.
1952 Neunzehntes Heft
gemacht usw. Zu Beginn des Jahrhunderts setzt auch auf diesem Gebiet
eine starke Reaktion des Südens ein. Auf dem Sardischen Kongress von
1911 unter Vorsitz von General Rugiu wird geschätzt, wieviel hunderte
Millionen in den ersten 50 Jahren des Einheitsstaates Sardinien zugunsten
des Kontinents abgepresst worden sind”. Kampagnen Salveminis, die in
der Gründung der »Unitä« gipfelten, aber bereits in der »Voce« geführt
wurden (vgl. das dann als Broschüre nachgedruckte Sonderheft der »Voce«
über die »Südfrage«)”': auf Sardinien nimmt eine Autonomiebewegung
unter der Führung von Umberto Cau ihren Anfang, die auch eine Tages-
zeitung, »Il Paese«, hatte. Zu Beginn dieses Jahrhunderts verwirklicht sich
auch ein gewisser »panitalienischer« »intellektueller Block«, angeführt von
B. Croce und Giustino Fortunato, der die Südfrage als nationales Problem
durchzusetzen sucht, das dazu geeignet war, das politische und parlamen-
tarische Leben zu erneuern. In jeder Zeitschrift junger Leute, die demo-
kratisch-liberale Tendenzen haben und sich allgemein zum Ziel setzen, das
Leben und die Kultur der Nation in allen Bereichen vom Alten und Pro-
vinziellen zu befreien, in der Kunst, der Literatur, der Politik, zeigt sich
nicht nur der Einfluss Croces und Fortunatos, sondern ihre Mitarbeit; so
in der »Voce« und der »Unitä«, aber auch in der »Patria« von Bologna, in
der »Azione Liberale« von Mailand, in der liberalen Jugendbewegung unter
der Leitung von Giovanni Borelli usw.” Der Einfluss dieses Blockes bricht
sich bei der Festlegung der politischen Linie von Albertinis »Corriere della
Sera« Bahn, und in der Nachkriegszeit, angesichts der neuen Lage, erscheint
er in der »>Stampa« (über Cosmo, Salvatorelli und auch Ambrosini) und im
Giolittismus, mit der Aufnahme Croces in die letzte Regierung Giolitti.
Diese gewiss sehr komplexe und vielseitige Bewegung erfährt heute eine
tendenziöse Interpretation auch durch G. Prezzolini, der doch eine typische
Verkörperung derselben war; es bleibt jedoch die erste Ausgabe der /talie-
nischen Kultur desselben Prezzolini (1923), besonders mit ihren Aus-
lassungen, als authentisches Dokument”.
Die Bewegung entwickelt sich bis zu ihrem Höhepunkt, der zugleich
der Punkt ihrer Auflösung ist: dieser Punkt ist in der besonderen Stellung-
nahme P. Gobettis und in seinen Kulturinitiativen auszumachen: die Pole-
mik Giovannı Ansaldos (und seiner Mitarbeiter, wie »Calcante« alias
Francesco Ciccotti) gegen Guido Dorso ist das aussagekräftigste Doku-
ment dieses Schluss- und Auflösungspunktes, auch aufgrund der Komik,
die nun in den streitlustigen Einschüchterungsgebärden des besessenen
Einheitsdenkens” zutage trıtt (dass Ansaldo (19)25-26 meinte, an eine
Rückkehr der Bourbonen nach Neapel glauben machen zu können, würde
unbegreiflich scheinen ohne die Kenntnis der ganzen Vorgeschichte der
Heft 19-$24 1959
Aus dieser Reihe von Beobachtungen und Analysen einiger Elemente der
italienischen Geschichte nach der Vereinigung lassen sich einige Kriterien
entnehmen, um den Gegensatz zwischen den Moderati und der Aktions-
partei einzuschätzen und die unterschiedliche politische »Weisheit« dieser
beiden Parteien und der verschiedenen Strömungen zu untersuchen, die
sich die politische und ideologische Führung der letzteren streitig machten.
Es ist offenkundig, dass sich die Aktionspartei, um sich den Moderati
wirksam entgegenzustellen, mit den ländlichen Massen, besonders des
Südens, verbinden musste, »jakobinisch« sein musste nicht nur der äußeren
»Form«, dem Temperament nach, sondern besonders hinsichtlich des
sozial-ökonomischen Inhalts: der Zusammenschluss der unterschiedlichen
ländlichen Klassen, der sich über die verschiedenen klerikal-legitimistischen
Intellektuellenschichten in einem reaktionären Block verwirklichte, konnte
nur dann aufgelöst werden, um zu einer neuen national-liberalen Forma-
tion überzugehen, wenn man in zweierlei Richtung Druck machte: auf die
Bauern an der Basis, indem man ihre elementaren Forderungen aufgriff
und diese zu einem integralen Teil des neuen Regierungsprogramms machte,
und auf die Intellektuellen der Mittel- und Unterschichten, indem man sie
zusammenführte und auf den Themen beharrte, die sie am meisten interes-
sieren konnten (und bereits die Perspektive der Bildung eines neuen
Regierungsapparats mit den sich bietenden Beschäftigungsmöglichkeiten
wäre für sie ein außerordentlich attraktives Element gewesen, wenn sich
die Perspektive konkret, weil auf die Bestrebungen der Landbevölkerung
gestützt, präsentiert hätte). Die Beziehung zwischen diesen beiden Aktio-
nen war dialektisch und gegenseitig: die Erfahrung vieler Länder und allen
voran Frankreichs in der Zeit der großen Revolution hat gezeigt, dass,
wenn die Bauern sich aus »spontanen« Anstößen heraus in Bewegung
setzen, die Intellektuellen zu schwanken beginnen, und umgekehrt, wenn
eine Gruppe Intellektueller sich auf die neue Grundlage einer konkreten
bauernfreundlichen Politik stellt, sie schließlich immer größere Teile der
Masse mit sich reißt. Man kann jedoch sagen, dass es angesichts der breiten
Streuung und der Isoliertheit der ländlichen Bevölkerung und somit der
Schwierigkeit, sie in starken Organisationen zusammenzufassen, ange-
bracht ist, dass die Bewegung bei den Intellektuellengruppen beginnt; im
1960 Neunzehntes Heft
allgemeinen muss man aber das dialektische Verhältnis zwischen den beiden
Aktionen berücksichtigen”. Man kann auch sagen, dass es fast unmöglich
ist, Bauernparteien im eigentlichen Sinn des Wortes zu schaffen: die
Bauernpartei realisiert sich gewöhnlich nur als starke Meinungsströmung,
nicht schon in den schematischen Formen eines bürokratischen Rahmens;
jedoch das Vorhandensein auch nur eines organisatorischen Skeletts ist von
ungeheurem Nutzen, sowohl für eine gewisse Auswahl* von Menschen,
als auch, um die Intellektuellengruppen zu kontrollieren und zu verhindern,
dass die Kasteninteressen sie unmerklich auf anderes Gelände führen.
In Bezug auf den Jakobinismus und die Aktionspartei ist folgendes Ele-
ment an erste Stelle zu rücken: dass die Jakobiner mit schonungslosem
Kampf ihre Funktion als führende Partei eroberten; in Wirklichkeit haben
sie sich der französischen Bourgeoisie »aufgedrängt«, indem sie es zu einer
weit avancierteren Position brachten, als die ursprünglich stärkeren bür-
gerlichen Kerngruppen »spontan« hätten einnehmen wollen, und auch
weit avancierter, als es die historischen Voraussetzungen zulassen durften,
und daher die Rückschläge und die Funktion Napoleons I. Dieser für den
Jakobinismus (aber vorher auch für Cromwell und die »Rundköpfe«) und
daher für die gesamte Große Revolution charakteristische Zug des (offen-
baren) Forcierens der Situation und der Schaffung vollendeter, irreparabler
Tatsachen seitens einer Gruppe äußerst energischer und entschlossener
Männer, indem man die Bürger mit Tritten ins Gesäß vorantrieb, lässt sich
folgendermaßen »schematisieren«: der Dritte Stand war der am wenigsten
homogene der Stände; er hatte eine sehr uneinheitliche intellektuelle Elite
und eine ökonomisch sehr avancierte, aber politisch moderate Gruppe.
Die Entwicklung der Ereignisse folgt einem Prozess interessantester Art.
Die Vertreter des Dritten Standes stellen anfangs nur die Fragen, welche
die aktuellen physischen Komponenten der gesellschaftlichen Gruppe
interessieren, ihre unmittelbaren »korporativen« Interessen (korporativ
im traditionellen Sinn, als unmittelbare und borniert egoistische einer
bestimmten Kategorie): die Vorläufer der Revolution sind in der Tat mode-
rate Reformer, die den Mund weit aufreißen, aber in Wirklichkeit recht
wenig verlangen. Nach und nach sondert sich eine neue Elite aus, die sich
nicht einzig und allein für »korporative« Reformen interessiert, sondern
dahin tendiert, die Bourgeoisie als die hegemoniale Gruppe aller Volks-
kräfte zu begreifen, und diese Auslese erfolgt durch das Wirken zweier
Faktoren: den Widerstand der alten gesellschaftlichen Kräfte und die inter-
nationale Bedrohung. Die alten Kräfte wollen nichts abtreten, und wenn
sie etwas abtreten, tun sie es in der Absicht, Zeit zu gewinnen und eine
Gegenoffensive vorzubereiten. Der Dritte Stand wäre in diese sukzessiven
»Fallen« getappt ohne das energische Handeln der Jakobiner, die sich
jeder »zwischenzeitlichen« Unterbrechung des revolutionären Prozesses
Heft 19-824 1963
widersetzen und nicht nur die Elemente der alten, zählebigen Gesellschaft,
sondern auch die Revolutionäre von gestern, die heute reaktionär gewor-
denen sind, unter die Guillotine bringen. Die Jakobiner waren somit die
einzige Partei der Revolution im Vollzug, denn sie repräsentierten nicht
nur die unmittelbaren Bedürfnisse und Bestrebungen der physischen Per-
sonen von damals, die die französische Bourgeoisie bildeten, sondern sie
repräsentierten die revolutionäre Bewegung in ihrer Gesamtheit, als um-
fassende geschichtliche Entwicklung, weil sie auch die Bedürfnisse der
Zukunft repräsentierten, und wiederum nicht allein jener bestimmten
physischen Personen, sondern aller nationalen Gruppen, die der bestehen-
den fundamentalen Gruppe assimiliert werden mussten. Gegen eine ten-
denziöse und im Grunde ahistorische Strömung gilt es darauf zu bestehen,
dass die Jakobiner Realisten im Sinne Machiavellis und nicht Abstraktisten
waren. Sie waren von der absoluten Wahrheit der Losungen von der
Gleichheit, der Brüderlichkeit und der Freiheit überzeugt, und - was noch
wichtiger ist - von dieser Wahrheit waren die großen Volksmassen über-
zeugt, welche die Jakobiner auf den Plan riefen und zum Kampf führten.
Die Sprache der Jakobiner, ihre Ideologie, ihre Methoden des Handelns
widerspiegelten perfekt die Erfordernisse der Epoche, auch wenn sie
»heute«, in einer anderen Situation und nach mehr als einem Jahrhundert
kultureller Ausarbeitung, als » Abstraktisten« und »frenetisch« erscheinen
können. Natürlich widerspiegelten sie sie entsprechend der Tradition der
französischen Kultur, und ein Beweis dessen ist die Analyse der Sprache
der Jakobiner, die sich in der Heiligen Familie” findet, und Hegels Ein-
lassung, der die politisch-juristische Sprache der Jakobiner und die Be-
griffe der klassischen deutschen Philosophie”, der man heute dagegen die
höchste Konkretheit zuerkennt und die den modernen Historismus her-
vorgebracht hat, als parallel und wechselseitig übersetzbar fasst. Das erste
Erfordernis war, die gegnerischen Kräfte zu vernichten oder wenigstens
außer Gefecht zu setzen, um eine Konterrevolution unmöglich zu machen;
das zweite Erfordernis bestand darin, die Führungskräfte der Bourgeoisie
als solcher zu erweitern und sie an die Spitze aller nationalen Kräfte zu
stellen, indem man die allen nationalen Kräften gemeinsamen Interessen
und Erfordernisse ausfindig machte, um diese Kräfte in Bewegung zu setzen
und zum Kampf zu führen, wobei zwei Ergebnisse erzielt wurden: a) den
Schlägen der Gegner ein breiteres Angriffsziel entgegenzusetzen, das
heißt, ein der Revolution günstiges militärisch-politisches Verhältnis zu
schaffen; b) den Gegnern jegliche Passivitätszone zu entziehen, in der es
möglich gewesen wäre, Vend&e-Heere zu rekrutieren. Ohne die Agrar-
politik der Jakobiner hätte Paris die Vendee schon vor seinen Toren gehabt.
Der Widerstand der Vendee im eigentlichen Sinne hängt mit der nationalen
1964 Neunzehntes Heft
Frage zusammen, die sich unter den bretonischen und allgemein anders-
stämmigen Bevölkerungen durch die Formel von der »einen und unteilba-
ren Republik« und durch die Politik militärbürokratischer Zentralisierung
verschärft hatte und auf welche die Jakobiner nur um den Preis des Selbst-
mordes verzichten konnten. Die Girondisten versuchten, den Föderalismus
zu benutzen, um das jakobinische Paris zu zerschmettern, aber die Truppen
aus der Provinz, die nach Paris gebracht wurden, gingen zu den Revolu-
tionären über. Außer in einigen Randgebieten, wo der nationale (und
sprachliche) Unterschied sehr groß war, gewann die Agrarfrage die Ober-
hand über die Bestrebungen nach lokaler Autonomie: das bäuerliche
Frankreich akzeptierte die Hegemonie von Paris, das heißt, es begriff, dass
es zur endgültigen Zerstörung des alten Regimes mit den avanciertesten
Elementen des Dritten Standes und nicht mit den moderaten Girondisten
einen Block bilden musste. Wenn es wahr ist, dass die Jakobiner dabei »mit
Gewalt nachhalfen«, so ist auch wahr, dass dies immer im Sinne der wirk-
lichen geschichtlichen Entwicklung geschah, denn sie organisierten nicht
nur eine bürgerliche Regierung, machten also die Bourgeoisie zur herr-
schenden Klasse, sondern sie taten noch mehr, sie schufen den bürgerlichen
Staat, sie machten die Bourgeoisie zur führenden, hegemonialen Klasse der
Nation, das heißt, sie gaben dem neuen Staat eine dauerhafte Basis, schufen
die kompakte moderne französische Nation.
Dass die Jakobiner bei alledem immer auf dem Terrain der Bourgeoisie
geblieben sind, das demonstrieren die Ereignisse, die ihr Ende als Partei
allzu bestimmter und starrer Formierung anzeigten, und Robespierres
Tod: sie wollten den Arbeitern nicht das Koalitionsrecht zugestehen, indem
sie das Gesetz Le Chapelier aufrechterhielten, und mussten als Konse-
quenz das Gesetz über das »Maximum« erlassen. So zerbrachen sie den
städtischen Block von Paris; ihre Sturmtruppen, die sich in der Kommune
gesammelt hatten, zerstreuten sich enttäuscht, und der Thermidor gewann
die Oberhand. Die Revolution war an ihre äußersten Klassengrenzen
gestoßen; die Politik der Bündnisse und der permanenten Revolution hatte
am Ende neue Fragen entstehen lassen, die damals nicht gelöst werden
konnten”, sie hatte elementare Kräfte entfesselt, die nur eine Militär-
diktatur hätte erfolgreich bändigen können.
In der Aktionspartei findet man nichts davon, was dieser jakobinischen
Orientierung, diesem unbeugsamen Willen, die führende Partei zu werden,
ähnelt. Gewiss müssen die Unterschiede in Betracht gezogen werden: in
Italien erschien der Kampf als Kampf gegen die alten Verträge und die
bestehende internationale Ordnung sowie gegen eine fremde Macht,
Österreich, die deren Repräsentant und Stütze in Italien war, indem sie einen
Heft 19-$ 24 1965
Teil der Halbinsel besetzt hielt und den Rest kontrollierte. Auch in Frank-
reich stellte sich das Problem, wenigstens in einem gewissen Sinn, weil an
einem bestimmten Punkt der innere Kampf ein nationaler, an der Grenze
ausgefochtener Kampf wurde, aber das geschah, nachdem das ganze Ter-
ritorium für die Revolution gewonnen worden war, und die Jakobiner ver-
mochten aus der äußeren Bedrohung Elemente für eine größere Energie
ım Innern zu ziehen: sie verstanden sehr wohl, dass sie, um den äußeren
Feind zu besiegen, im Inneren seine Verbündeten zerschlagen mussten,
und sie zögerten nicht, das Septemberblutbad anzurichten. In Italien wurde
diese Verbindung, die ebenfalls, explizit und implizit, zwischen Österreich
und wenigstens einem Teil der Intellektuellen, der Adligen und der Grund-
besitzer existierte, von der Aktionspartei nicht oder wenigstens nicht mit
der erforderlichen Energie und in der praktisch wirkungsvollsten Weise
angeprangert und wurde kein aktives politisches Element. Sie verwandelte
sich »merkwürdigerweise« in eine Frage größerer oder geringerer patrio-
tischer Würde und führte dann bis nach 1898 zu einem Nachspiel ver-
bitterter und fruchtloser Auseinandersetzungen (vgl. die Artikel von
»Rerum Scriptor« in der »Critica Sociale« nach der Wiederaufnahme der
Veröffentlichungen und das Buch von Romualdo Bonfadini Fünfzig Jahre
Patriotismus)”.
* Im Ms.: »ist«.
** Deutsch im Original.
1968 Neunzehntes Heft
Die Beziehung von Stadt und Land zwischen Nord und Süd kann auch
anhand der verschiedenen kulturellen Auffassungen und mentalen Hal-
tungen untersucht werden. Wie bereits erwähnt, standen B. Croce und
G. Fortunato zu Beginn des Jahrhunderts an der Spitze einer kulturellen
Bewegung, die sich auf die eine oder andere Weise der kulturellen Bewegung
1972 Neunzehntes Heft
einen Block zwischen der Industrie des Nordens und den Agrariern der
»organischen und normalen« Landgebiete (die katholischen Wählerkreise
fielen geographisch mit den sozialistischen zusammen: sie waren also im
Norden und im Zentrum verbreitet)’, wobei sich die Wirkungen auch auf
den Süden erstreckten, zumindest in einem Maße, das unmittelbar aus-
reichte, um die Folgen der Erweiterung der Wählermasse vorteilhaft zu
»korrigieren«.
Das andere Programm oder die andere allgemeine politische Richtung
kann man als die des »Corriere della Sera« oder Luigi Albertinis bezeichnen
und lässt sich in einem Bündnis zwischen einem Teil der Industriellen des
Nordens (an der Spitze die Textil-, Baumwoll-, Seidenfabrikanten, Expor-
teure und somit Anhänger des Freihandels) mit dem ländlichen Block des
Südens ausmachen: der »Corriere« unterstützte Salvemini gegen Giolitti
beiden Wahlen in Molfetta 1913 (Kampagne Ugo Ojettis)"”, er unterstützte
erst das Kabinett Salandra, dann dasjenige Nittis, das heißt die ersten zwei
von Staatsmännern des Südens gebildeten Regierungen (die Sızilianer sind
gesondert zu betrachten": sie haben an allen Regierungen seit (18)60 einen
Löwenanteil gehabt, und sie stellten mehrere Ministerpräsidenten, im
Gegensatz zum Süden, dessen erster Führer Salandra war; diese sizilianische
»Zudringlichkeit« ist mit der Erpressungspolitik der Parteien der Insel zu
erklären, die unter der Hand immer einen Geist des »Separatismus« zu-
gunsten Englands aufrechterhielten: Crispis Anklage war, in leichtfertiger
Form, die Äußerung einer Sorge, welche die verantwortungsbewußteste
und sensibelste Führungsgruppe der Nation tatsächlich umtrieb).
Die Erweiterung des allgemeinen Wahlrechts von 1913 hatte schon die
ersten Anzeichen jener Erscheinung hervorgerufen, die ihren höchsten
Ausdruck (19)19-20-21 infolge der von den Bauernmassen während des
Krieges erworbenen organisatorisch-politischen Erfahrung finden sollte,
nämlich das relative Zerbrechen des ländlichen Blocks des Südens und die
Loslösung der von einem Teil der Intellektuellen (Offiziere im Krieg)
geführten Bauern von den Großgrundbesitzern: so entsteht der Sardismus,
die sizilianische reformistische Partei (die sogenannte Bonomigruppe im
Parlament wurde von Bonomi und 22 sizilianischen Abgeordneten ge-
bildet) mit dem vom »Neuen Sizilien« repräsentierten extremistischen
separatistischen Flügel, die Gruppe »Erneuerung« im Süden, die aus
Frontkämpfern bestand und regionale Aktionsparteien vom sardischen
Typ zu bilden suchte (vgl. Torracas Zeitschrift »Volontä«, die Umwand-
lung des »Popolo Romano« usw.) In dieser Bewegung haben die Bauern-
massen eine von Sardinien über Süditalien bis zu Sizilien abgestufte
Bedeutung, gemäß der organisierten Kraft, dem Prestige und dem durch
Heft 19-$ 26 1975
* Im Ms.: »Sizilien«.
1976 Neunzehntes Heft
Die erste Kraft musste sich dann dem Problem stellen, die städtischen
Kräfte der anderen nationalen Abteilungen und besonders des Südens um
sich herum zu organisieren. Dieses Problem war das schwierigste, gespickt
mit Widersprüchen und Beweggründen, die leidenschaftliche Wellen
schlugen (eine nicht ernst zu nehmende Lösung dieser Widersprüche war
die sogenannte parlamentarische Revolution von 1876). Seine Lösung war
aber gerade deshalb einer der entscheidenden Punkte für die nationale
Entwicklung. Die städtischen Kräfte sind sozial homogen, daher müssen
sie sich in einer Position vollkommener Gleichheit befinden. Theoretisch
stimmte das, aber historisch stellte sich die Frage anders: die städtischen
Kräfte des Nordens standen klar an der Spitze ihrer nationalen Abteilung,
während dies für die städtischen Kräfte des Südens nicht galt, zumindest
nicht in gleichem Maße. Die städtischen Kräfte des Nordens mussten daher
bei denen des Südens erreichen, dass ihre Führungsfunktion sich darauf
beschränkte, die Führung des Nordens gegenüber dem Süden im allge-
meinen Stadt-Land-Verhältnis zu sichern, das heißt, die Führungsfunktion
der städtischen Kräfte des Südens konnte nichts anderes als ein unter-
geordnetes Moment der umfassenderen Führungsfunktion des Nordens
sein. Der eklatanteste Widerspruch ergab sich aus folgender Sachlage: die
städtische Kraft des Südens konnte nicht als etwas Eigenständiges, von der
Heft 19-$26 1977
des Nordens Unabhängiges angesehen werden; die Frage so zu stellen,
hätte bedeutet, von vornherein von einer unheilbaren »nationalen« Zwie-
tracht auszugehen, einer so schweren Zwietracht, dass nicht einmal die
föderalistische Lösung sie hätte beheben können; es hätte sich die Existenz
unterschiedlicher Nationen erwiesen, zwischen denen nur ein militärisch-
diplomatisches Bündnis gegen den gemeinsamen Feind, Österreich, hätte
geschlossen werden können (das einzige Element der Gemeinschaft und
Solidarität hätte mithin allein darin bestanden, einen »gemeinsamen« Feind
zu haben). In Wirklichkeit waren jedoch nur einige »Aspekte« der natio-
nalen Frage gegeben, nicht »alle« Aspekte, und nicht einmal die wesent-
lichsten. Der gravierendste Aspekt war die schwache Stellung der städtischen
Kräfte des Südens im Verhältnis zu den ländlichen Kräften, ein ungünstiges
Verhältnis, das sich manchmal in einer buchstäblichen Unterwerfung der
Stadt unter das Land äußerte. Die enge Verbindung zwischen städtischen
Kräften des Nordens und des Südens, die den letzteren die repräsentative
Kraft des Prestiges der ersteren verlieh, musste diesen helfen, autonom zu
werden, das Bewusstsein ihrer historischen Führungsfunktion »konkret«
und nicht rein theoretisch und abstrakt zu gewinnen, indem man die
Lösungen für die enormen regionalen Probleme vorschlug. Es war natür-
lich, dass sich im Süden starker Widerspruch gegen die Einheit regte; die
schwierigste Aufgabe fiel bei der Bewältigung der Situation auf jeden Fall
den städtischen Kräften des Nordens zu, die nicht nur ihre »Brüder« im
Süden überzeugen, sondern damit anfangen mussten, sich selbst von dieser
Komplexität eines politischen Systems (zu überzeugen)“: praktisch
bestand die Frage folglich im Vorhandensein eines starken Zentrums
politischer Führung, mit dem starke und populäre Persönlichkeiten des
Südens und der Inseln notwendigerweise hätten zusammenarbeiten müssen.
Das Problem, eine Einheit Nord-Süd zu schaffen, war eng verbunden mit
und zu einem großen Teil enthalten in dem Problem, eine Kohäsion und eine
Solidarität zwischen allen nationalen städtischen Kräften herzustellen.
(Die weiter oben entwickelte Überlegung gilt in der Tat für alle drei Ab-
teilungen des Südens, Neapolitanisches Festland, Sizilien, Sardinien).
liebäugelnde klerikale. Die klerikale Kraft hatte außer in der Toskana und
einem Teil des Kirchenstaates ihr größtes Gewicht in Lombardo-Venetien;
die weltliche in Piemont, mit mehr oder weniger weitreichenden Über-
lagerungen im übrigen Italien, außerdem in den Legationen'”“, besonders
in der Romagna, sowie in den anderen Abschnitten bis hin zum Süden und
zu den Inseln. Hätten die städtischen Kräfte des Nordens diese unmittel-
baren Beziehungen gut bewältigt, hätten sie den Takt für alle ähnlichen
Fragen im nationalen Maßstab angegeben.
Bei dieser ganzen Reihe komplexer Probleme scheiterte die Aktions-
partei vollständig: tatsächlich beschränkte sie sich darauf, diejenige Frage
zu einer des Prinzips und des wesentlichen Programms zu machen, die
einfach eine Frage des politischen Terrains war, auf welchem jene Probleme
hätten zusammengefasst werden und eine gesetzliche Lösung finden
können: die Frage der Konstituante. Man kann nicht sagen, dass die mode-
rate Partei gescheitert ist, die sich die organische Expansion Piemonts zum
Ziel setzte, Soldaten für die piemontesische Armee und keine Aufstände
oder zu umfangreiche garibaldinische Armeen wollte.
Warum stellte die Aktionspartei die Agrarfrage nicht in ihrem ganzen
Ausmaß? Dass die Moderati sie nicht aufwarfen, war klar: die Art, wie die
Moderati das nationale Problem stellten, erforderte einen Block aller
Rechtskräfte einschließlich der Klassen der Großgrundbesitzer um Piemont
als Staat und als Armee. Österreichs Drohung, das Agrarproblem zugunsten
der Bauern zu lösen, die in Galizien gegen die polnischen Adligen zugunsten
der ruthenischen Bauern wahr gemacht wurde, stiftete in Italien nicht nur
Verwirrung unter den Betroffenen, indem sie die ganzen Schwankungen
der Arıstokratie bewirkte (Mailänder Ereignisse vom Februar (18)53 und
Ehrenbezeigung der vornehmsten Mailänder Familien für Franz Joseph
ausgerechnet am Vorabend der Galgenhinrichtungen von Belfiore)'*,
sondern lähmte selbst die Aktionspartei, die auf diesem Terrain wie die
Moderati dachte und für »national« die Arıstokratie und die Grundbesitzer
und nicht die Millionen von Bauern hielt. Erst nach dem Februar 53 machte
Mazzini einige substantiell demokratische Andeutungen (vgl. Briefwech-
sel jener Zeit)”, war aber unfähig zu einer entscheidenden Radikalisierung
seines abstrakten Programms. Zu studieren ist das politische Verhalten der
Garibaldiner 1860 auf Sizilien, das von Crispi diktiert war: die Aufstands-
bewegungen der Bauern gegen die Barone wurden unbarmherzig nieder-
geschlagen und die Nationalgarde gegen die Bauern geschaffen; typisch ist
die Strafexpedition von Nino Bixio in die Region von Catania, wo die
Aufstände am heftigsten waren. Und doch gibt es [auch] in den Notizen
von G.C. Abba Elemente, die zeigen, dass die Agrarfrage die Triebfeder
Heft 19-$26-$27 1979
dafür war, die großen Massen in Bewegung zu setzen: es genügt,an die
Gespräche Abbas mit dem Mönch zu erinnern, der den Garibaldinern sofort
nach ihrer Landung in Marsala entgegengeht”. In einigen Novellen G.
Vergas findet man pittoreske Elemente dieser Bauernunruhen, die von der
Nationalgarde mit Terror und Massenerschießungen erstickt wurden”.
(Diese Seite des Zuges der Tausend ist noch nie untersucht und analysiert
worden.)
Das Nichtaufwerfen der Agrarfrage machte es nahezu unmöglich, die
Frage des Klerikalismus und der gegen die Einheit gerichteten Haltung des
Papstes zu lösen. Unter diesem Blickpunkt waren die Moderati viel kühner
als die Aktionspartei: zwar teilten sie nicht die Kirchengüter unter den
Bauern auf, aber sie bedienten sich ihrer, um eine neue Schicht großer und
mittlerer Grundbesitzer zu schaffen, die mit der neuen politischen Situa-
tion verwachsen waren, und sie zögerten nicht, Hand an den Grundbesitz
zu legen, wenn auch nur an den der Kongregationen. Die Aktionspartei
war außerdem in ihren Handlungen gegenüber den Bauern durch Mazzinis
Anwandlungen [einer] religiösen Reform gelähmt, die die großen ländlichen
Massen nicht nur unberührt ließ, sondern sie im Gegenteil für eine Auf-
wiegelung gegen die neuen Ketzer empfänglich machte. Das Beispiel der
Französischen Revolution war dazu angetan zu zeigen, dass die Jakobiner,
denen es gelungen war, alle Rechtsparteien bis hin zu den Girondisten auf
dem Terrain der Agrarfrage zu zerschlagen und nicht nur die ländliche
Koalition gegen Paris zu verhindern, sondern in den Provinzen ihre Anhän-
gerschar zu vergrößern, Schaden nahmen infolge der Versuche Robespierres,
eine religiöse Reform einzuleiten, die im wirklichen Geschichtsprozess
sehr wohl unmittelbare Bedeutung und Konkretheit besaß. (Man müsste
aufmerksam die wirkliche Agrarpolitik der Römischen Republik und den
wahren Charakter der Unterdrückungsmission in der Romagna und ın
den Marken untersuchen, die Felice Orsini von Mazzini aufgetragen
worden war: in dieser Zeit und bis (18)70 - auch danach - verstand man
unter dem Namen Brigantentum fast immer die chaotische, tumulthafte
und von Greueln durchsetzte Bewegung der Bauern, sich des Landes zu
bemächtigen).
Die militärische Führung war ein umfangreicheres Problem als die Füh-
rung des Heeres und die Festlegung des strategischen Plans, den das Heer
ausführen musste; sie umfasste zusätzlich die politische Mobilisierung
zum Aufstand von Volkskräften, die sich im Rücken des Feindes erheben
Heft 19-528 1983
\
historische Funktion, ist es, die Volksmassen zu führen und deren fort-
schrittliche Elemente zu entwickeln; wenn die gebildete Klasse nicht dazu
fähig gewesen ist, ihre Funktion zu erfüllen, kann nicht von Verdienst
gesprochen werden, sondern von Verschulden, das heißt von Unreife und
innerer Schwäche. Ebenso muss man sich über das Wort und den Begriff
der Demagogie verständigen. Jene Männer verstanden es in der Tat nicht, das
Volk zu führen, sie verstanden nicht, seine Begeisterung und Leidenschaft
zu wecken, wenn man Demagogie in ihrer ursprünglichen Bedeutung ver-
steht. Erreichten sie zumindest das Ziel, das sie sich steckten? Sie sagten,
ihr Ziel sei die Schaffung des modernen Staates in Italien, und produzierten
eine Art Bastard, sie nahmen sich vor, eine weit verbreitete und kraftvolle
Führungsklasse zu schaffen, und es gelang ihnen nicht, das Volk in den
staatlichen Rahmen einzugliedern, und es gelang ihnen nicht. Das klägliche
politische Leben von (18)70 bis (1)900, das elementare und endemische
Rebellentum der Volksklassen, das beschränkte und kümmerliche Dasein
einer skeptischen und feigen Führungsschicht sind die Folgen dieses Mangels:
und eine Folge davon ist die internationale Stellung des neuen Staates, der
jeglicher wirklichen Autonomie beraubt, da im Innern vom Papsttum und
von der übelwollenden Passivität der großen Massen untergraben ist.
In Wirklichkeit aber waren die Rechten des Risorgimento große Demago-
gen: sie machten aus dem Volk-Nation ein Werkzeug, ein Objekt, womit
sie es herabwürdigten, und darin besteht die größte und niederträchtigste
Demagogie, genau in dem Sinne, den der Ausdruck im Mund der rechten
Parteien in der Polemik gegen die linken angenommen hat, obwohl es die
Rechtsparteien sind, die stets die schlimmste Demagogie betrieben und
oft an den Abschaum des Volkes appelliert haben (wie Napoleon II. in
Frankreich).
* Französich im Original.
1988 Neunzehntes Heft
Hervorzuheben ist die Tatsache, dass eine auf französisch verfasste pol-
nische Publikation für die Auslandspropaganda (so scheint es zumindest)
die Aufteilung Polens von 1792 insbesondere mit dem Verrat der Adligen
statt mit der polnischen militärischen Schwäche erklärt, obwohl der Adel
in Polen noch eine erhebliche Funktion hat und auch Pilsudsky sich sehr
wohl gehütet hat, eine radikale Agrarreform vorzunehmen. Seltsame natio-
nale »Ehrensache«. Darwin schildert in seiner Reise eines Naturforschers um
die Welt einen ähnlichen Vorfall aus Spanien: seine Gesprächspartner be-
haupteten, dass eine Niederlage der verbündeten französisch-spanischen
Flotte durch die Illoyalität der Spanier verursacht worden sei, die, wenn sie
wirklich gekämpft hätten, nicht hätten besiegt werden können’. Besser
illoyal und Verräter als »ohne unbesiegbaren militärischen Geist«.
Heft 19-$30-$ 31 1989
$(31). Reales Italien und legales Italien. Die von den Klerikalen nach
(18)70 ersonnene Formel, um das nationale politische Unbehagen zu
bezeichnen, das aus dem Widerspruch zwischen der Minderheit der
entschiedenen und aktiven Patrioten und der gegnerischen Mehrheit
(Klerikale und Legitimisten — Passive und Gleichgültige) resultierte. In
Turin erschien bis einige Jahre vor dem Krieg eine Tageszeitung (später
Wochenzeitung), herausgegeben von einem RA Scala, mit dem Titel
»L’Italia reale«, Organ des schwärzesten Klerikalismus'. Wie kam die For-
mel auf, von wem wurde sie ersonnen und welche theoretisch-politisch-
moralische Rechtfertigung wurde für sie gegeben? Nachzuforschen ist in
der »Civiltä cattolica« und in den ersten Nummern eben jener »Italia reale«
aus Turin, die am Schluss zu einem faden Kirchenblättchen herunterkam.
Die Formel ist vom »demagogischen« Standpunkt aus treffend, da tat-
sächlich eine deutliche Kluft zwischen dem Staat (formale Legalität) und
Zivilgesellschaft (faktische Realität) vorhanden war und stark empfunden
wurde, aber bestand die Zivilgesellschaft einzig und allein aus dem »Kle-
rikalismus«? Zunächst war die Zivilgesellschaft etwas Formloses und
Chaotisches und blieb es über viele Jahrzehnte; daher war es dem Staat
möglich, sie zu beherrschen, wobei er jeweils die Konflikte überwand, die
in sporadischer, lokal begrenzter Gestalt ohne nationale Verknüpfung und
Gleichzeitigkeit auftraten. Auch der Klerikalismus war also kein Aus-
druck der Zivilgesellschaft, da es ihm nicht gelang, ihr eine nationale und
wirksame Organisation zu geben, obwohl er eine starke und formal ge-
schlossene Organisation war: diese war politisch inhomogen und hatte vor
denselben Massen Angst, die sie in einem gewissen Sinn kontrollierte. Die
politische Formel des »non expedit«*'* war genau der Ausdruck dieser
Angst und Unsicherheit: der Parlamentsboykott, der eine schroff un-
nachgiebige Haltung zu sein schien, war in Wirklichkeit der Ausdruck des
plattesten Opportunismus. Die französische politische Erfahrung hatte
bewiesen, dass das allgemeine Wahlrecht und das Plebiszit auf breitester
Basis unter bestimmten Umständen ein für die reaktionären und klerikalen
Tendenzen äußerst günstiger Mechanismus sein konnte (vgl. in dieser Hin-
sicht die naiven Bemerkungen Jacques Bainvilles in seiner Geschichte Frank-
reichs, wenn er dem Legitimismus vorwirft, kein Vertrauen ins allgemeine
Wahlrecht gehabt zu haben, wie es hingegen Napoleon III. hatte)‘; aber der
italienische Klerikalismus wusste, dass er nicht der wirkliche Ausdruck
der Zivilgesellschaft war und dass ein möglicher Erfolg kurzlebig gewesen
wäre und zum Frontalangriff seitens der neuen nationalen Energien geführt
hätte, der 1870 glücklich vermieden wurde. Erfahrung des 1882 erweiterten
$(32). Piero Pieri, Das Königreich Neapel vom Juli 1799 bis zum März
1806, Neapel, Ricciardi, 1928, 330 S., 25,00 L. (nützlich, um die Partheno-
peische Republik anhand der Politik der Bourbonen im kurzen Zeitraum
der Restauration besser zu verstehen)'.
$(38). Der Nexus 1848-49. Der von Cesare Balbo geförderte und in
Turin am 3. November 1847 von den drei Vertretern Piemonts, der Toskana
und des Kirchenstaates abgeschlossene Zollbund sollte das Vorspiel zur
Gründung der politischen Konföderation sein, die dann von Balbo selbst
* Deutsch im Original.
Heft 19- $36-$ 40 1993
aufgekündigt wurde, womit er auch den Zollbund scheitern ließ. Die Kon-
föderation wurde von den kleineren italienischen Staaten gewünscht: die
piemontesischen Reaktionäre (unter ihnen Balbo) wollten der territorialen
Ausdehnung Piemonts, die sie nunmehr für gesichert hielten, nicht durch
Bindungen schaden, die sie behindert hätten (Balbo hatte in den Hoffnun-
gen Italiens’ die Meinung vertreten, die Konföderation sei unmöglich,
solange sich ein Teil Italiens in den Händen der Ausländer befinde! ?), und
kündigten die Konföderation auf, indem sie sagten, Bündnisse würden vor
oder nach dem Krieg geschlossen (!?): die Konföderation wurde 48 abge-
lehnt, in den ersten Monaten (prüfen).
Gioberti und andere sahen in der auch während des Krieges geschlossenen
politischen und Zollkonföderation die notwendige Voraussetzung, um die
Umsetzung des Mottos »Italien schafft es allein« zu ermöglichen‘. Diese
unzuverlässige Politik bezüglich der Konföderation zeigt zusammen mit
den ebenso trügerischen Richtlinien hinsichtlich der Freiwilligen und der
Konstituante, dass die Bewegung von 48 aufgrund der durchtrieben er-
bärmlichen Intrigen der Rechten, der späteren Moderati, scheiterte. Sie
vermochten der nationalen Bewegung keine Richtung zu geben, weder
eine politische noch eine militärische.
$(39). Die spanische Verfassung von 1812. Warum war sie so populär?
Man müsste sie mit den 1848 zugestandenen Verfassungen vergleichen.
Der Grund für die Popularität der spanischen Verfassung muss anscheinend
nicht in ihrer ultraliberalen Form gesucht werden oder in der intellektuellen
Faulheit der italienischen liberalen Revolutionäre oder in anderen zweit-
rangigen Fragen, sondern in der wesentlichen Tatsache, dass die spanische
Situation »exemplarisch« für das absolutistische Europa war und die
spanischen Liberalen die geeignetste und am meisten verallgemeinerte ver-
fassungsrechtliche Lösung für Probleme zu finden wussten, die nicht nur
spanische, sondern italienische waren, vor allem solche des Südens.
B. Croce, der die sizilianische Revolution von 1848 als eine der italie-
nischen Sache abträgliche »separatistische Bewegung: ansieht, usw.«' Was
an dieser journalistischen oder buchgelehrten Literatur Siziliens interes-
sant ist, ist der stark polemische und gereizte Ton (besessene Einheits-
bestrebung). Die Frage müsste dagegen vom historischen Standpunkt aus
sehr einfach sein: den Separatismus hat es entweder gegeben oder es hat ihn
nicht gegeben oder er war bloß eine Tendenz in einem nach einer historisch
objektiven Methode zu bestimmenden Ausmaß, absehend von jeder ak-
tuellen Bewertung im Sinne parteiischer, strömungsmäßiger oder ideolo-
gischer Polemik; die Rekonstruktion der Schwierigkeiten, denen die
Einheitsbewegung in Sizilien begegnete, (würde zeigen, dass)* sie nicht
größer oder anders gewesen sein konnten als die, denen sie in anderen Re-
gionen begegnete, angefangen mit Piemont. Wenn es den Separatismus in
Sizilien gegeben hätte, dürfte dies historisch betrachtet weder verwerflich
noch unmoralisch oder antipatriotisch sein, sondern nur als ein historischer
Nexus betrachtet werden, der geschichtlich zu rechtfertigen ist und der auf
jeden Fall dazu dienen sollte, die politische Energie der Einheitsbefür-
worter, die darüber triumphierten, stärker hervorzuheben.
Die Tatsache, dass die Polemik verbissen und hart fortgeführt wird,
bedeutet folglich, dass »aktuelle Interessen« im Spiel sind und nicht histo-
rische Interessen, es bedeutet im Grunde, dass diese Veröffentlichungen
vom Typ Natoli selbst genau das beweisen, was sie leugnen möchten, das
heißt die Tatsache, dass die einheitsbefürwortende Gesellschaftsschicht in
Sizilien sehr dünn ist und dass sie mit Mühe latente »dämonische« Kräfte
beherrscht, die auch separatistisch sein könnten, wenn** diese Lösung bei
bestimmten Gelegenheiten sich als nützlich für gewisse Interessen heraus-
stellen würde. Natoli spricht nicht von der Bewegung von (18)67 und umso
weniger von gewissen Erscheinungen der Nachkriegszeit, die auch einen
Symptomwert haben, um das Vorhandensein unterirdischer Strömungen
aufzudecken, die eine gewisse Kluft zwischen den Volksmassen und dem
Einheitsstaat zeigen, worauf gewisse führende Gruppen spekulierten.
Natoli scheint der Meinung zu sein, dass der Vorwurf des Separatismus
sich der Zweideutigkeit bedient, indem er das föderalistische Programm
ausnutzt, das in einem ersten Moment einigen berühmten Männern der
Insel und ihren Abordnungen als die Lösung erschien, die den lokalen
politischen Traditionen am meisten entsprach, usw. Jedenfalls hat die
* Der den vermutlichen Sinn verständlich machende Zusatz fehlt bei Gerratana; bei Paris stillschweigend ein-
gefügt.
*# Im Ms.: »dass«.
Heft 19- $40-$42 1995
Tatsache, dass das föderalistische Programm in Sizilien eine stärkere Anhän-
gerschaft als anderwo gehabt und länger angedauert hat, ihre Bedeutung.
verändern. Er verfolgte ihn mit Bangen, weil er wollte, dass er immer eine
hohe, aufrechte Gestalt, ein Beispiel sei. Er dachte, wenn er selbst aus dem
Spielberg herausgekommen wäre und um sich herum eine Wüste vor-
gefunden hätte, hätte er nichts anderes im Sinn gehabt als erneut erwas für
die alte Idee zu versuchen und zwar bis an sein Ende. Er wollte nicht, dass
einer flehte, dass einer die Rückkehr wünschte und erhielte, der fünfzehn
Jahre gelitten hatte, ohne zu verzagen, ohne Anzeichen der Wandlung. Er
wollte, dass er für immer ein neuer Farinata degli Überti sei, wie ihn
Gabriele Rosa, bis zuletzt liebevoller und beständiger Verherrlicher seines
Gefängnisgefährten, dargestellt hat«'.
Da Como liegt völlig daneben, und Mazzinis Worte sind alles andere als
wehmütig, sie sind schroff und hart. Die Hagiographie macht Da Como
dafür blind, dass Mazzinis Worte den richtigen Ton treffen. Weitere Hin-
weise auf Confalonieri in Mazzinis Briefwechsel und in den Briefen der
anderen Fxilierten: das wirkliche Urteil muss man eben in diesen privaten
Briefen suchen, da es verständlich ist, dass die Exilierten öffentlich keinen
Schatten auf die Gestalt Confalonieris haben werfen wollen. Unbedingt
nachzuforschen ist in den Berichten der österreichischen Informanten
an die Wiener Regierung aus den Ländern, in denen sich Confalonieri
nach der Haftentlassung aufhielt, und in den Instruktionen, die diese
Informanten von Metternich erhielten.
$(43). Der Tod Viktor Emanuels II. In einem Brief Guido Baccellis
an Paulo Fambri vom 12. August (vielleicht 1880, da das Jahr fehlt und 1880
eine Hypothese Guidis ist), der von Angelo Flavio Guidi veröffentlicht
wurde (Paulo Fambris unveröffentlichtes Archiv in der »Nuova Antologia«
vom 16. Juni 1928)', steht geschrieben: »Das Herz ganz Italiens blutet
noch bei der Erinnerung an den Tod des ruhmreichen Viktor Emanuel:
dieses riesige Unglück hätte jedoch hundertmal grösser sein können, wenn
man nicht mit der Sauerstoffzufuhr mehrere Lebensstunden gewonnen
hätte«’. (Es folgen Pünktchen, dem Anschein nach vom Herausgeber
Guidi, da sie die ganze Zeile vervollständigen, es sind also nicht die üblichen
Fortführungspunkte). Was bedeutet das?
* Im Ms.: »Stromboli«.
1998 Neunzehntes Heft
$(47). Italien und die Artischocke. Das Bild Italiens als einer
Artischocke, deren Blätter man eines nach dem andern verspeist, wird
verschiedenen italienischen Fürsten nicht nur aus dem Hause Savoyen
zugeschrieben. Letztmals wurde sie Viktor Emanuel II. zugeschrieben
(und dies würde seinem Charakter nicht widersprechen, wie die von
Ferdinando Martini überlieferte Anekdote von Quintino Sella zeigt:
vgl. andere Notiz)‘. Amerigo Scarlatti zufolge (in »[’Italia che scrive« vom
* Im Ms.: »Differenz« (»differenza«); abweichend von Gerratanas Ausgabe korrigiert nach A-Text (»diffi-
denza«).
Heft 19- $45-$ 49 1999
Februar 1928)’ soll das Bild von Viktor Amadeus II. stammen, wie aus
Missons 1703 im Haag gedruckter Italienreise”' hervorgeht.
$(48). Piero Pieri, Das Königreich Neapel vom Juli 1799 bis März 1806,
Neapel, Ricciardi, 1928, 314 S., 25 L. Untersucht die Politik der Bour-
bonen nach der ersten Restauration und die Gründe für ihren Zusammen-
bruch 1806, der erfolgt ist, obwohl es keine aktive Gegenkraft im Innern
gab und als die französische Armee noch weit weg war. Untersucht das
schwierige Regime der Klassen im Süden und das Entstehen des liberalen
Denkens, das den alten Jakobinismus von 1799 ersetzt. (Aber kann man
die politische Richtung der neapolitanischen Revolutionäre von 1799
»Jakobinismus« nennen?) Es scheint sich um ein sehr interessantes Buch
zu handeln.
Um die Einstellung der Klassen und ihre Entwicklung im Süden zu ver-
stehen, muss auch das Buch von A. Zago, Öffentliches und privates
Bildungswesen im Neapolitanischen (1767-1860), Cittä di Castello, »Il
Solco«, 1927, 228 S., 15 L., sehr interessant sein. (Das Ungleichgewicht
zwischen öffentlichem und privatem Bildungswesen hat sich nach 1821
entwickelt: die Privatschulen blühen, während die staatliche Aktivität
schwindet: es bildet sich so eine strikt von den Volksmassen getrennte und
in Opposition zum Staat stehende Schicht von Intellektuellen heraus, die
relativ stark ist in dem durch die Polizeirepression nur mit Mühe äußerlich
zusammengehaltenen allgemeinen politischen Zerfall. Dieses Thema ver-
dient es, vertieft zu werden).
Befreiung verhält. Zur Frage Castellazzos vgl. Luzio: Die Märtyrer von
Belfiore in den verschiedenen Auflagen (die 4. ist von 1924); Die von
Österreich übergebenen Akten der politischen Prozesse von Mailand und
Mantua, Mailand, Cogliati, 1919 (diese Broschüre müsste von den Con-
falonieri-Verhörprotokollen handeln, die der Senator Salata nach eigener
Aussage in den Wiener Archiven »entdeckt« hat)‘; Die Freimaurerei und
das italienische Risorgimento, 2 Bde., Bocca (dieses Werk scheint es inner-
halb kürzester Zeit zur 4. Auflage gebracht zu haben, was erstaunlich
wäre); vgl. weiter P.L. Rambaldi, Licht und Schatten in den Prozessen
von Mantua, im »Archivio Storico Italiano«, V-XLIII, $S. 257-331, und
Giuseppe Fatini, Die Wahlen von Grosseto und die Freimaurerei, ın
»Nuova Antologia« vom 16. Dezember 1928° (handelt von der Wahl
Castellazzos zum Abgeordneten im September 1883 und von der Kam-
pagne, die losbrach: Carducci unterstützte Castellazzo und schrieb gegen
die »pharisäerhafte Verbissenheit der Moderati«”.
$(55). Die Ereignisse vom Februar 1853 in Mailand und die Moderatıi.
Im Artikel über Francesco Brioschi (»Marzocco« vom 6. April 1930',
Kapitel des Buches Erinnerungen aus dem 19. Jahrhundert) weist Luca
Beltrami darauf hin, dass Brioschi beschuldigt wurde, im Februar 1853 die
Ergebenheitsadresse an Franz Joseph unterzeichnet zu haben (nach dem
Attentat eines Wiener Schuhmachers). Beltrami behauptet, Brioschi habe
nicht unterzeichnet (wenn es einen Brioschi unter den Unterzeichnern
gibt, so handelt es sich nicht um den berühmten Mathematiker, Professor
der Universität Pavia und nachmaligen Organisator des Politechnikums
von Mailand). Beltrami merkt an: »und nicht einmal als Hofschranzentum
wäre der Akt der Regierungsbeamten zu definieren, die sersucht< wurden,
den Protest gegen die wahnsinnige und gewissenlose Tat eines Wiener
Schuhmachers zu unterzeichnen«, und vergisst: 1. dass die Adresse nach
den Unterdrückungsmaßnahmen von Mailand und am Vorabend von
Belfiore unterzeichnet wurde; 2. dass die unterzeichnenden mailändischen
Adligen keine »Beamten« waren; 3. dass, wenn Brioschi als Beamter nicht
unterzeichnete, ohne verfolgt zu werden, dies bedeutet, dass nicht nur die
Adligen, sondern auch die Beamten nicht unterzeichnen konnten. Deshalb
ist in seiner Anmerkung die moralische Verdammung aller Unterzeichner
implizit enthalten.
Heft 19- $53-$ 57 2007
* Im Ms.: »Tullio«.
2008 Neunzehntes Heft
verschwindet dieser scharfe Schnitt, und es finden sich Adlige und Klerus
auf beiden Seiten. An einem bestimmten Punkt sagt er, dass Ruffo »einen
ganz und gar nationalen Charakter annimmt, wenn dieses Wort von allzu
moderner und zeitgenössischer Färbung verwendet werden darf«, und
dann müsste er also schließen, dass die von den Banden der Sanfedisten
vernichteten Patrioten nicht national waren. (Über die Beziehungen zwi-
schen Adel, Klerus und Volk vgl. N. Rodolicos Buch über Süditalien und
seinen Artikel im »Marzocco«, Nr. 11 von 1926)".
* Im Original französisch.
ZWANZIGSTES HEFT (XXV)
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2011
$(1). Die Katholische Aktion. Die nicht zufällig nach 1848 entstan-
dene Katholische Aktion unterschied sich stark von der heutigen, die von
Pius XI. reorganisiert wurde. Die ursprüngliche Stellung der Katholischen
Aktion nach 1848 (und teilweise auch in der Inkubationszeit, die von 1789
bis 1848 reicht, als die Tatsache und der Begriff der Nation und des Vater-
landes auftaucht und sich entwickelt, der zum - intellektuell und mora-
lisch - ordnenden Element der großen Volksmassen wird, in siegreicher
Konkurrenz mit der Kirche und der katholischen Religion) lässt sich
kennzeichnen, indem man die Beobachtung, die ein französischer Histo-
riker (prüfen) in bezug auf die »legitimistische« Monarchie und Ludwig
XVII. gemacht hat, auf die katholische Religion ausweitet: Ludwig XVII.
konnte sich anscheinend nicht zu der Überzeugung durchringen, dass in
Frankreich nach 1815 die Monarchie für ihre Erhaltung eine spezielle
politische Partei brauchte‘.
Individuen und sogar kleine Gruppen gegeben hat, die derartige Formen
eines radikalen Nihilismus vertreten haben, anscheinend in Spanien): das
»Leben« ist die notwendige Voraussetzung für jede Lebensäußerung, das
ist offenkundig. Der Katholizismus hat eine solche Funktion gehabt, und
davon gibt es noch vielfältige Spuren in der Sprache und den Denk weisen
speziell der Bauern: Christ und Mensch sind Synonyme, ja sogar Christ und
»zivilisierter Mensch« sind Synonyme. (»Ich bin kein Christ!«—»Also was
bist du dann, ein Tier?«) Die Verbannten sagen noch immer: »Christen und
Verbannte« (in Ustica zuerst Verwunderung, als man bei der Ankunft des
Dampfers die Verbannten sagen hörte: »es sind alles Christen, es sind nur
Christen, es ist kein einziger Christ darunter«). Die Gefangenen sagen
dagegen eher: »Bürger'” und Häftlinge«, oder scherzhaft: »Soldaten und
Bürger«, aber die Süditaliener sagen auch »Christen und Häftlinge«. Es
wäre sehr reizvoll, die ganze Abfolge historisch-semantischer Übergänge
zu untersuchen, durch die man im Französischen aus »Christ« »cretin«
erhalten hat (daher italienisch »cretino«) und nachgerade »gredin«; es muss
eine Erscheinung ähnlich derjenigen sein, derentwegen »villano« von der
Bedeutung »Landmann« schließlich zu »Rüpel« und sogar »Tölpel und
Schurke« gelangt ist, das heißt, das Substantiv »Christ«, das von den Bauern
(anscheinend von den Bauern einiger Alpenregionen) zur Kennzeichnung
ihrer selbst als »Menschen« gebraucht wurde, hat sich in einigen Fällen
lokaler Aussprache von der religiösen Bedeutung gelöst und dasselbe
Schicksal wie »manant«'“ erfahren. Vielleicht hat auch das russische
»krestjanin« = Bauer denselben Ursprung, während sich in »Christ« im
religiösen Sinne, einer gelehrteren Form, die Aspiration des griechischen X
erhalten hat (in abschätzigem Sinn sagte man »mushik«). Diese Auffassung
ist vielleicht auch damit zusammenzubringen, dass man in einigen Ländern,
wo die Juden nicht bekannt sind, glaubt bzw. glaubte, sie hätten einen
Schwanz und Schweineohren oder ein anderes tierisches Merkmal”.
Die kritisch-historische Untersuchung der Bewegung der Katholischen
Aktion kann analytisch Raum für verschiedene Reihen von Forschungen
und Studien bieten.
Die nationalen Kongresse. Wie sie von der zentralen und lokalen Presse
vorbereitet werden. Das offizielle Vorbereitungsmaterial: offizielle Refe-
rate und solche der Opposition.
Auf welcher Grundlage und mit welchen Kriterien werden die Führungen
gewählt oder erneuert? Auf der Grundlage einer allgemeinen doktrinären
Tendenz, die der neuen Führung ein allgemeines Vertrauen gibt, oder nach-
dem der Kongress selbst einen konkreten und genauen Kurs für das Han-
deln festgelegt hat? Die innere Demokratie einer Bewegung (das heifst
der mehr oder weniger hohe Grad an innerer Demokratie, das heifst an
Beteiligung der Elemente der Basis an der Entscheidung und an der Fest-
legung der Linie des Handelns) lässt sich auch und vielleicht besonders an
diesem Maßstab messen und beurteilen.
$(3). Über die Armut, den Katholizismus und die kirchliche Hierarchie.
In einem Büchlein über Arbeiter und Unternehmer’ (einer von der Aka-
demie der moralischen und politischen Wissenschaften in Paris 1906 preis-
gekrönten Denkschrift) findet sich die Antwort, die ein französischer
katholischer Arbeiter demjenigen gab, der ihm gegenüber den Einwand
äußerte, gemäß den im Evangelium wiedergegebenen Worten Jesu müsse
es allzeit Reiche und Arme geben: »dann werden wir eben zumindest zwei
Arme übriglassen, damit Jesus nicht Unrecht haben muss«'. Die Antwort
ist epigrammatisch, aber des Einwands würdig. Seit die Frage eine ge-
schichtliche Bedeutung für die Kirche erlangt hat, das heißt seit die Kirche
sich das Problem stellen musste, den sogenannten »Glaubensabfall« der
Massen einzudämmen, indem sie einen katholischen Syndikalismus be-
gründete (einen Arbeitersyndikalismus, denn den Unternehmern ist nie
die Auflage gemacht worden, ihren Interessenorganisationen einen kon-
fessionellen Charakter zu geben), lassen sich die gängigsten Meinungen
zur Frage der »Armut«, die aus den Enzykliken und anderen autorisierten
Dokumenten hervorgehen, in folgenden Punkten zusammenfassen: 1. Das
Heft 20-$ 2-$4 2017
wegen des politischen Kurses von Pius XI. geraten sind, der unschlüssig,
schwankend und ängstlich war, dennoch aber eine demokratisch-populare
Richtung hatte wegen der Notwendigkeit, starke Massen der Katholischen
Aktion zu schaffen. Die Integralen unterstützten in Frankreich die Bewe-
gung der Action Frangaise, sie waren gegen Sillon”: überall sind sie gegen
jeglichen politischen und religiösen Modernismus.
Gegenüber den Jesuiten nahmen sie eine nahezu jansenistische Haltung
ein, das heißt von großer moralischer und religiöser Strenge, gegen jede
Form von Laxheit, Opportunismus, Zentrismus. Die Jesuiten werfen den
Integralen natürlich Jansenismus (jansenistische Heuchelei) vor, mehr
noch, das Spiel der (theologisierenden) Modernisten zu spielen: 1. wegen
ihres Kampfes gegen die Jesuiten; 2. weil sie den Modernismusbegriff so
sehr ausweiteten und folglich die Zielscheibe so sehr vergrößerten, dass
den Modernisten ein sehr bequemes Aktionsfeld geboten wurde. Tatsäch-
lich kam es vor, dass in ihrem gemeinsamen Kampf gegen die Jesuiten
Integrale und Modernisten sich objektiv auf demselben Terrain wieder-
gefunden und sogar miteinander zusammengearbeitet haben (Buonaiuti
soll in Benignis Zeitschrift geschrieben haben).
Was bleibt heute von den Modernisten und den Integralen? Es ist
schwierig, ihre objektive Stärke in der Kirchenorganisation festzustellen
und zu berechnen, besonders die der Modernisten (die Integralen haben
ihre Kräfte quasi unangefochten erhalten, auch nach der Kampagne gegen
die Action Frangaise): auf jeden Fall sind sie stets »Fermentes, die weiter-
wirken, insofern sie den Kampf gegen die Jesuiten und deren Übermacht
repräsentieren, einen noch heute von Elementen der Rechten und der
Linken geführten Kampf, bei offensichtlicher Gleichgültigkeit der Masse
des Klerus und mit nicht zu vernachlässigenden Resultaten bei der Masse
der Gläubigen, die von diesen Kämpfen und deren Bedeutung nichts weiß,
allerdings gerade deshalb zu keiner von Grund auf einheitlichen und
homogenen Mentalität kommen kann.
Für diese der Kirche - antagonistisch und geheim oder beinahe - inne-
wohnenden Kräfte (für den Modernismus ist das Geheime unabdingbar)
ist es vorteilhaft, öffentliche bzw. wirksam der Öffentlichkeit zugewandte
»Zentren« außerhalb zu haben, mit Periodika bzw. Ausgaben von
Broschüren und Büchern. Zwischen den geheimen und den öffentlichen
Zentren gibt es geheime Verbindungen, die zum Kanal der Gehässigkeiten,
der Rachefeldzüge, der Denunziationen, der hinterhältigen Unterstel-
lungen, des Klatsches werden, um den Kampf gegen die Jesuiten immer
lebendig zu erhalten (die ihrerseits eine inoffizielle oder geradezu geheime
Heft 20-$4 2019
Einem Artikel von Pater Rosa (Antwort auf »Eine ehrlose und gesetzlose
Polemik« in der »Civiltä Cattolica« vom 21. Juli 1928)’ sind folgende Hin-
weise entnommen: Monsignore Benigni hat immer noch (1928) eine
beachtliche Organisation: eine Reihe mit dem Titel Verites wird in Paris
veröffentlicht, und dabei tauchen die Namenszüge von Recalde, Luc Verus
und Simon auf: Luc Verus ist das kollektive Pseudonym der »Integralen«.
Rosa zitiert die Broschüre Die Entdeckungen des Jesuiten Rosa, dem
Nachfolger von Gerlachs, Parıs, Setzerei G. Dosne, Rue Turgot 20, 1928,
die er Benigni zuschreibt, zumindest hinsichtlich des Materials. Den
Jesuiten wird vorgeworfen, sie seien »Freunde der Freimaurer und der
Juden« (das erinnert an Ludendorffs »Doktrin« von der »freimaurerisch-
jüdisch-jesuitischen Internationale«)', sie werden »Demagogen und Revo-
lutionäre« genannt usw. In Rom bedient sich Benigni der Agentur Urbs
oder Romana und zeichnet seine Veröffentlichungen mit dem Namen seines
Neffen Mataloni. Benignis römisches Bulletin trug den Titel »Veritas«
(erscheint es noch bzw. bis wann ist es erschienen?). Benigni hat (1928 oder
früher?) eine Broschüre veröffentlicht, Angesichts der Verleumdung, von
wenigen Seiten, mit Dokumenten, welche die Pius-Gesellschaft betreffen,
eine Broschüre, die in Auszügen wiederabgedruckt und verteidigt wurde
von zwei katholischen Periodika, »Fede e Ragione« (aus Florenz) und der
2020 Zwanzigstes Heft
»Liguria del Popolo« (aus Genua). Benigni gab die Zeitschrift »Miscellanea
di storia ecclesiastica« heraus.
Die Broschüre Eine ehrlose und gesetzlose Polemik gegen Pater Rosa ist
von Prof. E. Buonaiuti. Rosa spricht von Buonaiutis Buch: Der katholische
Modernismus (veröffentlicht in der von P. L.Couchoud* herausgegebenen
Reihe, verlegt von Rieder’), und bemerkt, dass der Autor endlich eine Reihe
von Tatsachen eingestehe, die er während der Modernismus-Debatte stets
geleugnet habe (z.B. dass Buonaiuti der Urheber der Kampagne der
Modernisten des »Giornale d’Italia« war, was Buonaiuti in Wahrheit in
seinem Buch zwar nicht ausdrücklich sagt, man aber angesichts der
Gewundenheit dieser Schriftsteller als wahrscheinlich folgern kann).
Benigni organisierte den Pressedienst gegen die Modernisten zur Zeit der
Enzyklika Pascendi. In seinen »Religiösen Forschungen« (Juli 1928,
S. 335) erzählt Buonaiuti eine charakteristische Episode (die von Pater
Rosa mit Ausdrücken der Missbilligung usw. berichtet wird). 1909 sollte
der Modernist Prof. Antonino De Stefano (gegenwärtig aus dem Priester-
stand ausgetreten und Dozent für Geschichte an der Universität) in Genf
eine »Revue moderniste internationale« herausbringen: Buonaiuti schrieb
ihm einen Brief. Wenige Wochen später wird er vor das Heilige Offizium
gerufen. Der damalige Assessor, der Dominikaner Pasqualigo, hielt ihm
Wort für Wort den Brief an De Stefano vor. Der Brief war in Genf entwen-
det worden; ein römischer Emissär hatte sich in De Stefanos Haus »einge-
schlichen« usw. (Natürlich ist für Buonaiuti Benigni ein Werkzeug und ein
Komplize der Jesuiten gewesen, aber es scheint, dass 1904 Buonaiuti bei
Benignis »Miscellanea« mitgearbeitet hat).
der Anpassung der Katholischen Kirche enorm beschneiden. Der dritte ist
der der Französischen Revolution (demokratisch-liberale Reformation),
welche die Kirche noch mehr in die Erstarrung und Verknöcherung eines
absolutistischen und formalistischen Organismus zwingt, dessen Führer
nominell der Papst ist, mit theoretisch »autokratischen«, in Wirklichkeit
sehr spärlichen Vollmachten, weil das ganze System sich nur hält aufgrund
seiner für einen Paralytiker typischen Starrheit. Die ganze Gesellschaft,
in der die Kirche sich bewegt und sich entwickeln kann, tendiert zur
Erstarrung und lässt der Kirche geringe Möglichkeiten der Anpassung,
gering schon aufgrund der gegenwärtigen Natur der Kirche selbst. Das
Aufbrechen neuer Formen von Nationalismus, die schließlich den Schluss-
punkt des mit Karl dem Großen begonnenen Prozesses bilden, das heißt
mit der Frührenaissance, macht nicht nur die Anpassung unmöglich,
sondern die Existenz schwierig, wie in Hitler-Deutschland zu sehen ist. Im
übrigen kann der Papst Hitler-Deutschland nicht »exkommunizieren«,
muss sich bisweilen sogar auf dieses stützen, und das macht jede gerad-
linige, positive Religionspolitik von gewissem Nachdruck unmöglich.
Gegenüber Erscheinungen wie dem Hitlerismus hätten selbst umfang-
reiche Zugeständnisse an den Modernismus keinerlei Bedeutung mehr,
sondern würden lediglich die Verwirrung und das Durcheinander erhöhen.
Es ist auch nicht gesagt, dass die Dinge in Frankreich heiterer sind, denn
gerade in Frankreich ist die Theorie aufgebracht worden, die »Religion des
Vaterlandes« der »römischen« entgegenzusetzen, und man darf eine
Zunahme an patriotischem Nationalismus und nicht an römischem Kosmo-
politismus vermuten.
Dem Artikel der »Civiltä Cattolica« vom 3. November 1928 sind die
folgenden Stichworte entnommen. Es wird erwähnt, dass Maurras auch in
Italien Verteidiger unter den Katholiken gefunden hat: es ist die Rede von
»Nachahmern oder Anhängern, offenen oder versteckten, die aber gleicher-
maßen vom Vollbesitz des katholischen Glaubens und der katholischen
Moral, entweder in der Theorie oder in der Praxis, abweichen und doch
schreien und sich sogar einbilden, sie umfassend und besser als jeder andere
verteidigen zu wollen«’. Die Action Frangaise »schleuderte dem Verfasser
dieser Zeilen (dem Pater Rosa) eine Unmenge von Schmähungen und
unglaublichen Verleumdungen (sic) entgegen, bis hin zu den wiederholt
unterstellten Ermordungen und erbarmungslosen Exekutionen von Mit-
brüdern!«' (zu prüfen ist, wann und wie diese Anschuldigungen gegen
Pater Rosa erhoben wurden; unter den Jesuiten gab es einen integra-
listischen und Maurras zugeneigten Flügel, mit Männern von Rang wie
dem Kardinal Billot, der zu den Hauptverfassern der Enzyklika Pascendi
2024 Zwanzigstes Heft
gehörte und der auf das Kardinalsamt verzichtete, etwas äußerst seltenes
in der Geschichte der Kirche, das die hartnäckige Verbohrtheit Billots und
den entschiedenen Willen des Papstes beweist, jedes Hindernis im Kampf
gegen Maurras auszuräumen).
Der Artikel der »Civiltä Cattolica« ist wirklich wichtig und muss wieder
vorgenommen werden für den Fall, dass die Frage vertieft werden soll.
Man wird sich alle Nuancen der »distinguo« hinsichtlich des Frei-
maurertums, des Antisemitismus, des Nationalismus, der Demokratie
usw. ansehen müssen. Auch bei den Modernisten unterscheidet man
zwischen Illusionisten usw. und bezieht man Stellung gegen den Antimoder-
nısmus Benignis usw.: »Um so mehr, als zu befürchten war - und wir ver-
säumten nicht, die Zuständigen seit jenen Jahren darauf hinzuweisen —, dass
solche Methoden den wirklichen Modernisten gelegen gekommen wären
und der Kirche künftig großen Schaden bereitet hätten. Was man dann am
böswilligen Geist der Reaktion nicht nur des alten Modernismus und
Liberalismus, sondern ebenso des neuen und des Integralismus selbst sah
und auch gegenwärtig sieht. Dieser ließ damals erkennen, sich gegen jede
Form oder Erscheinung des Modernismus stellen zu wollen, ja er bildete
sich ein, wie man zu sagen pflegt, päpstlicher als der Papst zu sein, und
jetzt dagegen widersetzt er sich ihm mit großem Aufsehen entweder
heuchlerisch oder bekämpft ihn offen, wie es unter den lautstarken
Anhängern der Action Frangaise in Frankreich und ihren stillen Komplizen
in Italien passiert«'".
der Reihen der Katholiken, der Ordensgeistlichen und des Klerus, lässt
sich nicht sagen, wieviel Schaden er in den Gewissen angerichtet, wieviel
Ärgernis und wieviel seelische Entfremdung er hineingetragen hat, vor allem
in Frankreich. Dort führte die politische Leidenschaft tatsächlich dazu, den
oft von Rom ausgehenden Verleumdungen leichter Glauben zu schenken,
nachdem die reichen Simons und andere Gevatter gallikanischen und
journalistischen (sic) Geistes die Autoren dafür bezahlten und die kosten-
lose Verbreitung ihrer Schmähschriften, hauptsächlich der oben erwähnten
antijesuitischen, in den Seminaren, in den Pfarrhäusern, in den kirchlichen
Kurien besorgten, wo immer einige Aussicht oder Wahrscheinlichkeit
bestand, dass die Verleumdung Wurzeln fassen könnte; und auch unter
Laien, hauptsächlich jugendlichen, und selbst solchen an den staatlichen
Gymnasien, mit einer beispiellosen Verschwendung«. Die bereits verdäch-
tigen Autoren bedienen sich der Anonymität oder der Pseudonyme. »... Es
ist bekannt, unter den Journalisten besonders, wie wenig eine solche
Gruppe mit ihrem Hauptanstifter, dem gerissensten beim Sichverstecken,
aber dem schuldigsten und dem eigennützigsten in dieser Machenschaft,
irgendeinen Ehrentitel verdient«' (bezieht er sich auf Benigni oder auf
irgendein anderes hohes Tier des Vatikans?).
Nach Pater Rosa gab es zwischen der Action Frangaise und den »Integra-
len« zunächst keine »Übereinstimmungs, eine solche hat sich jedoch nach
1926 herausgebildet; aber dies ist gewiss eine mit Berechnung gemachte
Aussage, um jedes politische Motiv (Kampf gegen die Ultrareaktionäre)
aus dem Kampf gegen die Action Frangaise auszuschließen und die Verant-
wortung von Pius X. zu mindern. In der letzten Fußnote des Artikels heißt
es: »Man darf freilich die eine mit der anderen Partei nicht verwechseln,
wie es mancher getan hat, z.B. Nicolas Fontaine in dem zitierten Werk
Heiliger Stuhl, »Action Frangaise« und »integrale Katholiken«. Dieser Autor
ist, wie wir bemerkt haben, mehr als liberal, aber leider (sic) sehr gut infor-
miert über die keineswegs erbaulichen Fälle der besagten Geheimgesell-
schaft, genannt >Sapiniere«, und über ihre französischen und italienischen
Anhänger, und hierin ist es lächerlich, ihm seinen Liberalismus vorzuhalten:
man muss die Fakten dementieren, über die wir zu gegebener Zeit wieder
sprechen werden«'“. In Wirklichkeit zeigt Fontaine zur Genüge die Verbin-
dung zwischen Integralen und Action Frangaise, auch wenn man sagen
kann, dass es sich um zwei verschiedene Parteien handelt, von denen die
eine bestrebt ist, sich der anderen zu bedienen, und er zeigt, wie diese
Verbindung auf Pius X. zurückgeht. Eigenartig ist dieses »leider sehr gut
informiert«, weil Fontaine öffentlich zugängliches Material benutzt hat,
wie es »eigenartig« ist, dass Pater Rosa in der »Civiltä Cattolica« nicht
Heft 20-$4 2027
wieder auf die »Sapiniere« »zurückgekommen« ist (nicht einmal beim Tode
Monsignore Benignis, der keine Erwähnung gefunden hat; und man kann
sich nur schwer vorstellen, dass er noch darauf zurückkommen wird, es sei
denn, auf Benigni folgt eine andere starke Persönlichkeit in der Leitung
der Integralen): dieses Schweigen hat seine Bedeutung. Der Artikel
schließt: »Aber die Wahrheit hat nichts zu befürchten: und was uns angeht,
sind.wir durchaus entschieden, sie furchtlos und ohne Zittern und Zagen
zu verteidigen, auch gegen die inneren Feinde, selbst wenn es vermögende
und mächtige Kirchenleute sind, welche die Laien vom rechten Wege abge-
bracht haben, um sie in ihre Absichten und Interessen hineinzuziehen«'”.
Er erinnert an eine Reise Benignis nach Amerika (von der die »Civiltä
Cattolica», 1927, IV, S. 399 spricht), um antijesuitische Schmähschriften zu
verbreiten: in Rom soll es ein Lager mit mehreren zehntausend Exemplaren
solcher Schmähschriften geben.
Der Fall des Abbe Turmel aus Rennes. In dem Sammelband über Die
Enzyklika Pascendi und der Modernismus widmet Pater Rosa (das Buch ist
von 1908-1909) einige »sehr unterhaltsame« Seiten (nicht wegen der Anmut
und der stilistischen Qualitäten des Autors, der ein platter Federfuchser
ist, noch viel platter, stilloser und ungeschliffener als sein Gegenspieler
Buonaiuti, der ebenfalls keinen Spass versteht) dem »außerordentlichen«
Fall des Abbe Turmel, Modernist, der modernistische und sogar ganz und
2028 Zwanzigstes Heft
Vgl. den Artikel »Die lange Krise der Action Frangaise« in der »Civiltä
Cattolica« vom 7. September 1929°°, Gelobt wird das Buch La trop longue
crise de l’Action Frangaise von Mons. Sagot du Vauroux, Bischof von Agen,
Paris, Ed. Bloud, 1929, ein Werk, das »auch den Ausländern sehr zum
Nutzen gereichen wird, die weder die Ursachen und weniger noch das mit
soviel Starrköpfigkeit verbundene Beharren der katholischen Anhänger
verstehen können, das sie blind macht, bis sie lieber ohne Sakramente leben
und sterben als auf die hasserfüllten Übertreibungen ihrer Partei und ihrer
ungläubigen Führer zu verzichten«”. Die »Civiltä Cattolica« versucht sich
dafür zu rechtfertigen, dass sie sich nicht öfter mit der Polemik der Action
Frangaise beschäftigt, und sagt unter anderem: »Außerdem berührt die
anhaltende Krise Italien allenfalls indirekt oder durch ein entferntes (!?)
Heft 20-$4 2029
dem 18. Jahrhundert die Verdorbenheit und der Abfall der Volksmassen in
Frankreich herrührte, womit sich auch damals bestätigte, dass nach des
Königs Vorbild sich der ganze Erdkreis bildet*. Voltaire war das Idol dieses
Teils der verdorbenen und ihr Volk verderbenden Aristokratie, die sich,
indem sie dessen Glauben und Anständigkeit auf empörende Weise in
Versuchung führte, selbst das Grab schaufelte. Und obwohl dann beim
Auftreten Rousseaus mit seiner subversiven Demokratie im Gegensatz
zur voltairianischen Aristokratie die beiden abtrünnigen Strömungen,
die von gegensätzlichen Irrtümern angetrieben schienen, in theoretischen
Gegensatz gerieten —- wie zwischen den beiden traurigen Koryphäen -,
mündeten sie in ein und dieselbe Praxis und verhängnisvolle Konsequenz:
sie ließen nämlich den revolutionären Sturzbach anschwellen usw. usf.«”
So heute: Maurras und Co. sind Gegner der Rousseauschen Demokratie
und der »demokratischen Übertreibungen« (»Übertreibungen«, wohl-
gemerkt, nur »Übertreibungen«) der Sillon, sind aber Schüler und Bewun-
derer Voltaires (Jacques Bainville hat eine Prachtausgabe der Schriften
Voltaires veranstaltet, und die Jesuiten vergessen das nicht). Zu diesem
kritisch-historischen Zusammenhang hinsichtlich der Ursprünge des
»Glaubensabfalls« des Volkes in Frankreich zitiert die »Civiltä Cattolica«
einen Artikel aus der »Croix« vom 15.-16. August 1929: Der betrübliche
Glaubensabfall der Volksmasse in Frankreich, der sıch auf das Buch: Pour
faire P’avenir des Paters Croizier von der »Action populaire« bezieht,
veröffentlicht 1929 beim Pariser Verlag Spes.
Unter den Jüngern von Maurras und Co. macht die »Civiltä Cattolica«
(auf den Spuren des Bischofs von Agen) neben den Konservativen und
Monarchisten weitere vier Gruppen aus: 1. die Snobs (angezogen von der
literarischen Begabung, besonders Maurras’); 2. die Anbeter der Gewalt und
der harten Art, »mit den zum Despotismus gesteigerten Übertreibungen
der Autorität, unter dem Vorwand des Widerstandes gegen den
Geist der Insubordination oder des gesellschaftlichen Umsturzes der
heutigen Zeit«; 3. die »falschen Mystiker«, »Leichtgläubige in Bezug auf
Weissagungen außergewöhnlicher Wiederherstellungen, wunderbarer
Bekehrungen oder von der Vorsehung gewollter Missionen«, die gerade
Maurras und Co. zugeschrieben werden. Diese seit der Zeit Pius’ X. »Un-
erschütterlichen« entschuldigen die Ungläubigkeit von Maurras, indem sie
diese dem »Mangel an Gnade« zuschreiben, »als ob nicht allen die zur
Bekehrung ausreichende Gnade gegeben wäre und demjenigen, der sich
dagegen wehrt, es nicht selbst zuzuschreiben ist, wenn er in Sünde fällt
Die vierte Gruppe (die gefährlichste für die »Civiltä Cattolica«) setze
sich aus den »Integralen« zusammen (die »Civiltä Cattolica« bemerkt, dass
der Bischof von Agen sie auch »Integristen« nennt, »aber es ist offenkundig,
dass sie nicht verwechselt werden dürfen mit der politischen Partei ın
Spanien, welche die der »Integristen< genannt wird«). Diese »Integralen«,
schreibt die »Civiltä«, »versäumten es auch in Italien nicht, die Positivisten
und Ungläubigen der Action Frangaise zu begünstigen, schon weil sie
scharf gegen den Liberalismus und andere Formen moderner Irrtümer
sind, ohne zu bemerken, dass sie zu entgegengesetzten Extremen über-
gingen, die gleichermaßen irrig und verderblich sind usw.« »So haben wir
auch in Italien gesehen, wie manches ihrer Blätter nur so im Vorbeigehen
die Verurteilung der Action Frangaise erwähnt, dafür deren Dokumente
veröffentlicht und deren Sinn und Begründung verdeutlicht, sich hingegen
zögerlich verhält mit der Wiedergabe und dem Kommentar zur Verur-
teilung der Sillon; als ob die beiden einander entgegengesetzten, aber in
gleicher Weise der katholischen Lehre entgegengesetzten Bewegungen
nicht gleichermaßen tadelnswert sein können und es auch sind. Eine
bemerkenswerte Angelegenheit, denn während fast in keiner Nummer
solcher Veröffentlichungen irgendein Vorwurf oder Ausfall gegen katho-
lische Autoren fehlt, reicht anscheinend weder der Platz noch die Kraft für
eine offene und energisch verurteilende Abhandlung gegen die von der
Action Frangaise aus; oft werden sogar die Verleumdungen wiederholt, wie
die einer angeblichen Wendung nach links oder zum Liberalismus,
Popularismus, zur falschen Demokratie, gegen jeden, der ihrer Vorgehens-
weise nicht folgte«””.,
2032 Zwanzigstes Heft
re
1. POPULARLITERATUR
2035
Eine der Ursachen dafür, dass solche Probleme nicht explizit und kritisch
behandelt worden sind, ist in dem rhetorischen Vorurteil (literarischen
Ursprungs) zu finden, die italienische Nation habe es seit dem alten Rom
bis heute immer gegeben, sowie in einigen Idolen und Anmaßungen von
Intellektuellen, die in der Zeit des nationalen Kampfes zwar politisch
»nützlich« waren, um zu begeistern und die Kräfte zu konzentrieren, jedoch
kritisch untauglich sind und in letzter Instanz zu einem Element der
Heft 21-$1 2037
Schwäche werden, weil sie die Bemühung der Generationen nicht richtig
einzuschätzen erlauben, die wirklich für die Konstituierung des modernen
Italien kämpften, und weil sie zu einer Art Fatalismus und passiver Erwar-
tung einer Zukunft verleiten, die vollkommen von der Vergangenheit vor-
bestimmt ist. Bisweilen werden diese Probleme aufgrund des Einflusses
_ ästhetischer Begriffe croceanischer Herkunft schlecht gestellt, besonders
diejenigen, welche den sogenannten »Moralismus« in der Kunst betreffen,
den der Kunst äußerlichen »Inhalt«, die nicht mit der Kunstgeschichte zu
verwechselnde Kulturgeschichte usw. Man begreift einfach nicht konkret,
dass die Kunst immer an eine bestimmte Kultur oder Zivilisation gebunden
ist und dass man im Kampf um die Reform der Kultur dahin gelangt, den
»Inhalt« der Kunst zu verändern, daran arbeitet, eine neue Kunst zu
schaffen, nicht von außen (indem eine belehrende, thesenhafte, moralistische
Kunst verlangt wird), sondern von innen, weil sich der ganze Mensch
ändert, insofern sich seine Gefühle, seine Auffassungen und die Verhält-
nisse ändern, deren notwendiger Ausdruck der Mensch ist.
Zusammenhang zwischen dem »Futurismus« und der Tatsache, dass
einige solcher Fragen schlecht gestellt und nicht gelöst worden sind,
besonders dem Futurismus in der intelligentesten Form, die ihm die Floren-
tiner Gruppen der »Lacerba« und der »Voce« mit ihrer »Romantik« oder
populärem Sturm und Drang* gegeben haben. Letzte Erscheinungsform
»Strapaese«. Aber sowohl Marinettis Futurismus als auch derjenige
Papinis sowie »Strapaese« sind, abgesehen von allem anderen, auf folgendes
Hindernis gestoßen: den Mangel an Charakterfestigkeit derjenigen, die sie
in Szene setzten, und die karnevaleske und kasperhafte Tendenz der trocke-
nen und skeptischen kleinbürgerlichen Intellektuellen.
Auch die Regionalliteratur ist wesentlich folkloristisch und pittoresk
gewesen; das »regionale« Volk wurde »paternalistisch« gesehen, von außen,
mit nüchternem, kosmopolitischem Geist, in der Art von Touristen auf
der Suche nach kraft ihrer Grobschlächtigkeit starken und originellen
Eindrücken. Bei den italienischen Schriftstellern hat das ureigene, mit
wortreicher nationaler Rhetorik geschminkte »Unpolitische« tatsächlich
Schaden angerichtet. Sympathischer waren unter diesem Gesichtspunkt
Enrico Corradini und Pascoli mit ihrem eingestandenen und militanten
Nationalismus, insofern sie den traditionellen literarischen Dualismus
zwischen Volk und Nation zu lösen suchten, obwohl sie in andere Formen
von Rhetorik und Schönrednerei verfallen sind**.
* Deutsch im Original.
** Im Ms. sind die folgenden Zeilen dieser Seite sowie die Seiten 7 bis 10 freigeblieben.
2038 Einundzwanzigstes Heft
$(2). Im »Marzocco« vom 13. September 1931 hat Aldo Sorani (der sich
in verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen mehrfach mit der Popular-
literatur befasst hat) einen Artikel veröffentlicht: Populäre Romanschrift-
steller der Gegenwart, in dem er die Skizzenreihe Charensols über die
Berühmten Unbekannten in den »Nouvelles Litteraires« (worüber An-
merkung weiter unten ist)' kommentiert. »Es handelt sich um äußerst
populäre Schreiber von Abenteuer- und Feuilletonromanen, dem litera-
rischen Publikum unbekannt oder nahezu unbekannt, von dem breiteren
Leserpublikum aber vergöttert und blindlings gefolgt, das die gigantischen
Auflagen bestimmt und von Literatur überhaupt nichts versteht, aber
durch sensationelle Verwicklungen von Kriminal- oder Liebesgeschichten
interessiert und begeistert werden will. Für das Volk sind sie die wahren
Schriftsteller, und das Volk hegt für sie eine Bewunderung und Dankbar-
keit, die diese Romanciers wachhalten, indem sie Verlegern und Lesern
fortwährend eine so beeindruckende Masse an Arbeit auftischen, dass es
unglaublich und für physische Kräfte, ganz zu schweigen von geistigen,
nicht zu bewältigen zu sein scheint«. Sorani bemerkt, dass diese Schrift-
steller »sich einer zermürbenden Aufgabe verschrieben haben und einen
realen öffentlichen Dienst erfüllen, wenn unzählige Scharen von Lesern
und Leserinnen nicht ohne dies auskommen können und die Verleger aus
ihrer unerschöpflichen Tätigkeit üppige Gewinne ziehen«. Sorani verwen-
det den Ausdruck »realer öffentlicher Dienst«, gibt aber eine Definition
davon, die engstirnig ist und nicht der entspricht, von welcher in diesen
Notizen die Rede ist. Soranı merkt an, dass diese Schriftsteller, wie aus
Charensols Artikeln hervorgeht, »ihre Gewohnheiten strenger und ihr
Leben allgemein gesitteter gestaltet haben, seit den nunmehr weit zurück-
liegenden Zeiten, in denen Ponson du Terrail oder Xavier de Montepin
eine mondäne Berühmtheit beanspruchten und alles daran setzten, sie
sich zusammenzuhamstern (...), wobei sie vorgaben, sich von ihren aka-
demischeren Zunftbrüdern schließlich nur durch einen anderen Stil zu
unterscheiden. Sie schrieben, wie man spricht, während die anderen
schrieben, wie man nicht spricht...!« (Dennoch gehören auch die
»Berühmten Unbekannten« in Frankreich den Literatenvereinen an, wie
Monte£pin. Auch an Balzacs Groll gegenüber Sue erinnern wegen dessen
mondäner und finanzieller Erfolge).
was politischen Erfolg und finanziellen Erfolg bedeutet. Die Zeitung sucht
daher den Roman, den Typ von Roman, der dem Volk »mit Sicherheit«
gefällt, der eine »kontinuierliche« und beständige Leserschaft sichert. Der
Mann aus dem Volk kauft eine einzige Zeitung, wenn er eine kauft: die Wahl
der Zeitung ist auch keine persönliche, sondern oft eine der Familiengruppe:
die Frauen wiegen schwer bei der Wahl und bestehen auf dem »schönen,
interessanten Roman« (das bedeutet nicht, dass nicht auch die Männer den
Roman lesen, aber die Frauen interessieren sich zweifellos speziell für den
Roman und die Berichte über die Tagesereignisse). Von daher leitete sich
stets die Tatsache ab, dass die rein politischen oder Meinungsblätter niemals
eine große Verbreitung finden konnten (ausgenommen in Zeiten intensiven
politischen Kampfes): sie wurden von jungen Leuten, Männern und Frauen
ohne allzu große Familiensorgen gekauft, die sich sehr für das Schicksal ihrer
politischen Meinungen interessierten, und von einer mäßigen Zahl hinsicht-
lich ihrer Ideen sehr kompakter Familien. Im allgemeinen teilen die
Zeitungsleser nicht die Meinung der Zeitung, die sie erwerben, oder sind nur
gering von ihr beeinflusst: deshalb ist vom Standpunkt der journalistischen
Technik der Fall des »Secolo« und des »Lavoro« zu studieren, die bis zu
drei Feuilletonromane veröffentlichten, um eine permanent hohe Auflage
zu erreichen (man denkt nicht daran, dass der »Feuilletonroman« für viele
Leser wie die Klassen-»Literatur« für die Gebildeten ist: den »Roman« zu
kennen, den die »Stampa« veröffentlichte, war eine »mondäne Verpflich-
tung« von Pförtnerloge, Hinterhof und Gemeinschaftsbalkon; jede
Fortsetzung gab Anlass zu »Gesprächen«, bei denen die »Vornehmsten«
mit ihrer psychologischen Intuition, ihrem logischen Intuitionsvermögen
brillierten usw.; man kann behaupten, dass sich die Leser von Feuilleton-
romanen mit größerer Aufrichtigkeit und lebhafterem menschlichem
Interesse für ihre Autoren interessieren und begeistern als diejenigen, die
sich in den Salons der sogenannten Gebildeten für D’Annunzios Romane
interessiert haben oder für Pirandellos Werke interessieren).
Das interessanteste Problem ist aber folgendes: warum müssen die italie-
nischen Zeitungen von 1930, wenn sie Verbreitung finden (oder sich halten)
wollen, die Feuilletonromane von vor hundert Jahren (oder die modernen
desselben Typs) veröffentlichen? Und warum gibt es in Italien keine
»nationale« Literatur dieser Art, obwohl sie einträglich sein müsste? Es ist
der Umstand zu beobachten, dass in vielen Sprachen »national« und
»popular« Synonyme oder beinahe Synonyme sind (im Russischen, im
Deutschen, wo »volkisch«* gleichsam eine noch tieferliegende Bedeutung,
bei den zahllosen Festlichkeiten verschenkt und zur Strafe, unter Zwang
oder aus Verzweiflung gelesen. Erstaunlich ist, dass die Katholiken auf
dem Gebiet der Abenteuerliteratur nur Armseligkeiten zustandegebracht
haben: haben sie doch eine erstrangige Quelle in den Reisen und im
bewegten und häufig riskanten Leben der Missionare. Doch selbst in der
Zeit der größten Verbreitung des geographischen Abenteuerromans ist die
betreffende katholische Literatur dürftig und in keiner Weise vergleichbar
mit der laizistischen französischen, englischen oder deutschen gewesen:
die Erlebnisse des Kardinals Massaja in Abessinien sind das beachtlichste
Buch gewesen, ansonsten gab es die jedem Anspruch spottende Bücher-
schwemme von Ugo Mioni (vormals Jesuitenpater). Auch in der populär-
wissenschaftlichen Literatur haben die Katholiken recht wenig zu bieten,
trotz ihrer großen Astronomen wie Pater Secchi (Jesuit)’ und obwohl die
Astronomie die Wissenschaft ist, die das Volk am meisten interessiert.
Diese katholische Literatur verströmt den Schweiß jesuitischer Apologetik
wie der Moschusbock und langweilt mit ihrer kruden Dürftigkeit. Die
Schwäche der katholischen Intellektuellen und der geringe Erfolg ihrer
Literatur sind eines der eindrucksvollsten Indizien für den inneren Bruch,
den es zwischen der Religion und dem Volk gibt: dieses befindet sich in
einem äußerst erbärmlichen Zustand der Gleichgültigkeit und des Fehlens
eines lebendigen geistigen Lebens: die Religion verharrt im Zustand des
Aberglaubens, doch ist sie auf Grund der Ohnmacht der laizistischen
Intellektuellen nicht durch eine neue laizistische und humanistische Moral
ersetzt worden (die Religion ist weder ersetzt noch innerlich verändert und
nationalisiert worden wie in anderen Ländern, wie ın Amerika selbst das
Jesuitentum: das populare Italien ist noch in der unmittelbar von der Gegen-
reformation geschaffenen Situation: die Religion hat sich höchstens mit
der heidnischen Folklore verbunden und ist in diesem Stadium verblieben).
für die Autoren und die Verleger finanziellen) Erfolg gehabt hat, hat in
Italien Schriftsteller gehabt; und doch haben viele vor allem historische
Romane Italien und die geschichtlichen Ereignisse seiner Städte, Regionen,
Institutionen, Menschen zum Thema gemacht. So hat die Geschichte
Venedigs mit seinen politischen, gerichtlichen und polizeilichen Organisa-
tionen Themen für die Popularromane aller Länder mit Ausnahme Italiens
geliefert und liefert ihn immer noch. Einen gewissen Erfolg hat in Italien
die Popularliteratur über das Leben der Briganten gehabt, aber die Produk-
tion ist von niedrigstem Wert.
Der letzte und jüngste Typ des popularen Buches ist der biographische
Roman, der auf jeden Fall einen unbewussten Versuch darstellt, den kul-
turellen Bedürfnissen einiger kulturell anspruchsvollerer Volksschichten
nachzukommen, die sich nicht mit der Geschichte vom Typ Dumas
zufriedengeben. Auch diese Literatur hat in Italien nicht viele Vertreter
(Mazzucchelli, Cesare Giardini usw.): die italienischen Schriftsteller sind
nicht nur an Zahl, Produktivität und Gaben literarischer Gefälligkeit mit
den Franzosen, Deutschen und Engländern nicht zu vergleichen, sondern,
was noch bezeichnender ist, sie suchen ihre Themen außerhalb Italiens
(Mazzucchelli und Giardini in Frankreich, Eucardio Momigliano in
England), um sich dem italienischen Volksgeschmack anzupassen, der sich
vor allem an den französischen historischen Romanen gebildet hat. Der
italienische Literat würde keine Romanbiographie von Masaniello,
Michele di Lando, Cola di Rienzo schreiben, ohne sich verpflichtet zu
fühlen, sie mit unverdaulichen rhetorischen »Versatzstücken« zu über-
frachten, damit man nicht glaubt ..., nicht denkt... usw. usf. Gewiss hat der
Erfolg der Romanbiographien viele Herausgeber dazu bewogen, die Ver-
öffentlichung biographischer Reihen in Angriff zu nehmen, doch handelt
es sich um Bücher, die sich zu den Romanbiographien wie die Nonne von
Monza zum Grafen von Monte Cristo verhalten; es handelt sich um das
übliche biographische, philologisch oft korrekte Schema, das bestenfalls
einige Tausend Leser finden, aber nicht populär werden kann.
Zu beachten ist, dass einige der aufgeführten Typen des Popularromans
eine Entsprechung im Theater und heute im Film haben. Im Theater ist
D.Niccodemis beträchtlicher Erfolg sicher folgendem zu verdanken: dass
er es verstanden hat, Anregungen und Motive szenisch umzusetzen, die
besonders mit der popularen Ideologie zusammenhängen; so in Kläglicher
Rest, in Federbusch, im Vogelflug” usw. Auch bei G. Forzano gibt es etwas
in der Art, aber nach dem Vorbild Ponson du Terrails, mit konservativen
Tendenzen. Das Theaterstück, das in Italien den größten popularen Erfolg
gehabt hat, ist Giacomettis Ziviler Tod”, ein Werk von italienischem
Heft 21-$6-$7 2049
Charakter: es hat keine bedeutenden Nachahmer (immer im nicht-
literarischen Sinn) gefunden. In dieser dramatischen Abteilung kann man
festhalten, dass eine ganze Reihe von Dramatikern von großem literarischen
Wert auch dem popularen Publikum außerordentlich gefallen können:
Ibsens Puppenhaus wird vom Volk der Städte sehr geschätzt, insofern die
_ dargestellten Gefühle und die moralische Tendenz des Autors eine tiefe
Resonanz in der Volkspsychologie finden. Und was soll denn das soge-
nannte /deentheater sein, wenn nicht die Darstellung von an die Gewohn-
heiten gebundenen Leidenschaften, mit dramatischen Lösungen, die eine
»progressive« Katharsıis darstellen sollen, die das Drama des intellektuell
und moralisch fortgeschrittensten Teils einer Gesellschaft darstellen sollen,
und welche die den bestehenden Gewohnheiten selbst innewohnende
geschichtliche Entwicklung ausdrückt? Diese Leidenschaften und dieses
Drama müssen jedoch dargestellt und nicht wie eine These, eine Propa-
gandarede entwickelt werden, das heißt, der Autor muss in der wirklichen
Welt mit allen ihren widersprüchlichen Anforderungen leben und keine
allein aus den Büchern gesogenen Gefühle ausdrücken’.
Stoff: Danton«. Das Schauspiel ist von Gyula Pekär* und ist eine »rein
pathetische Fabel mit phantasievollen Details von äußerster Freiheit« (z.B.
sind Robespierre und Saint-Just beim Prozess gegen Danton anwesend
und streiten mit ihm usw.). »Aber es ist eine Fabel von flottem Zuschnitt,
die sich der alten unfehlbaren Methoden des Volkstheaters bedient, ohne
gefährliche modernistische Abweichungen. Alles ist elementar, beschränkt,
von klarem Zuschnitt. Die stark aufgetragenen Farben und die Krawalle
wechseln mit wohldosierten gedämpften Szenen ab, und das Publikum
seufzt und stimmt zu. Es zeigt, dass es begeistert ist und sich amüsiert. Ob
das der beste Weg ist, es ins Sprechtheater zurückzubringen?« Orvietos
Schlussfolgerung ist bezeichnend. So muss man 1929, um Theaterpublikum
zu haben, den Grafen von Monte Cristo und die Zwei Waisen aufführen,
und 1930 muss man, damit die Zeitungen gelesen werden, im Feuilleton
den Grafen von Monte Cristo und Joseph Balsamo veröffentlichen.
$(9). Ugo Mioni. Die Reihe »Nimm und lies« des Verlags »Fromme
Gesellschaft St. Paul«’, Alba-Rom, hatte in einer Liste von 1928 unter 111
Nummern 65 von dem Jesuiten Ugo Mioni verfasste Bücher, und das sind
bestimmt nicht alle, die der fruchtbare Monsignore veröffentlicht hat, der
2052 Einundzwanzigstes Heft
Volk und den dunklen Mächten der Tyrannei (Jesuiten, mit der Staatsräson
oder dem Ehrgeiz einzelner Fürsten in Verbindung stehende Geheim-
polizei usw.), sondern allein der Kampf zwischen professionellem oder
spezialisiertem Verbrechen und den legalen, privaten oder öffentlichen,
auf der Grundlage des geschriebenen Gesetzes handelnden Ordnungs-
kräften. Die Sammlung der »Berühmten Justizfälle« - in der berühmten
französischen Sammlung - hat ihr Pendant in anderen Ländern; sie wurde
ins Italienische übersetzt, die französische Sammlung, zumindest teilweise,
wegen der europaweit bekannten Prozesse, wie desjenigen von Fualdes’,
wegen des Mordes am Kurier von Lyon”, usw.
Die »justizielle« Tätigkeit hat immer interessiert und tut es immer noch:
die Einstellung des öffentlichen Gefühls zum Justizapparat (immer in
Misskredit und daher zum Vorteil des Privat- oder Hobbydetektivs) und
zum Delinquenten hat sich oft gewandelt oder hat zumindest unterschied-
liche Färbungen angenommen. Der große Verbrecher ist oft als dem
Justizapparat überlegen dargestellt worden, sogar als der Vertreter der
»wahren« Justiz: Einfluss der Romantik, Schillers Räuber, Hoffmanns
Erzählungen, Ann Radlliffe, Balzacs Vautrin.
Der Typus Javerts in den Elenden ist vom Standpunkt der Popular-
psychologie interessant: Javert ist vom Standpunkt der »wahren Justiz« im
Unrecht, aber Hugo stellt ihn sympathisch dar, als »Mann von Charakter«,
der »abstrakten« Pflicht getreu usw.; von Javert aus entsteht vielleicht
eine Tradition, wonach auch der Polizist »respektierlich« sein kann.
Rocambole von Ponson du Terrail. Gaboriau setzt die Rehabilitierung des
Detektivs mit »Monsieur Lecogq« fort, der Sherlock Holmes den Weg
bahnt.
Es stimmt nicht, dass die Engländer im »Justiz«-Roman die »Verteidigung
des Gesetzes«, die Franzosen dagegen die Verherrlichung des Verbrechers
darstellen würden. Es handelt sich um einen »kulturellen« Übergang, der
dem Umstand zu verdanken ist, dass sich diese Literatur auch in bestimm-
ten gebildeten Schichten verbreitet. Daran erinnern, dass sich der von den
Demokraten der Mittelklassen viel gelesene Sue ein ganzes System zur
Unterdrückung der professionellen Kriminalität ausgedacht hat.
In dieser Kriminalliteratur hat es immer zwei Strömungen gegeben: die
eine mechanisch - der Intrige -, die andere künstlerisch: Chesterton ist
heute der größte Vertreter des »künstlerischen« Aspekts, wie Poe es einst
war: Balzac, mit Vautrin, beschäftigt sich mit dem Verbrecher, ist aber
»technisch« kein Verfasser von Kriminalromanen.
Heft 21-$12-$13 2055
Das Problem: warum ist die Kriminalliteratur verbreitet? ist ein besonde-
rer Aspekt des allgemeineren Problems: warum ist die nichtkünstlerische
Literatur verbreitet? Aus praktischen und kulturellen (moralischen und
politischen) Gründen, zweifellos: und diese allgemeine Antwort ist in der
Begrenztheit ihrer Annäherung die genaueste. Aber verbreitet sich nicht
auch die künstlerische Literatur aus praktischen und moralisch-politischen
Gründen und nur mittelbar aus Gründen des künstlerischen Geschmacks,
des Suchens und Genießens der Schönheit? In Wahrheit liest man ein Buch
aufgrund praktischer Anstöße (und es gilt zu erforschen, warum sich
bestimmte Anstöße mehr als andere verallgemeinern) und liest es aus
künstlerischen Gründen wieder. Die ästhetische Erregung ist fast nie eine
der ersten Lektüre*. Das gilt noch mehr fürs Theater, in dem die ästhetische
Erregung einen minimalen »Prozentsatz« am Interesse des Zuschauers
ausmacht, weil im Theater andere Elemente mitspielen, von denen viele
nicht einmal intellektueller Art sind, sondern rein physiologischer Art, wie
der »Sexappeal«, usw. In anderen Fällen kommt die ästhetische Erregung im
Theater nicht vom literarischen Werk, sondern von der Interpretation der
Schauspieler und des Regisseurs: in diesen Fällen darf der literarische Text
des Stückes, das den Vorwand zur Interpretation liefert, jedoch nicht
»schwierig« und psychologisch ausgesucht sein, sondern er sollte eher
»elementar und popular« sein in dem Sinne, dass die dargestellten Leiden-
schaften die zutiefst »menschlichen« und unmittelbar erfahrenen sein
sollten (Blutrache, Ehre, Mutterliebe, usw.), und daher wird die Analyse
auch in diesen Fällen kompliziert. Die großen traditionellen Schauspieler
erhielten Applaus im Zivilen Tod, in den Zwei Waisen, in Vater Martins
Korb, usw., mehr als in den verzwickten psychologischen Spektakeln: im
ersten Fall war der Applaus vorbehaltlos, im zweiten war er kühler, darauf
Im Ms.: »Literatur«.
Heft 21-$13 2057
bedacht, den beim Publikum beliebten Schauspieler vom aufgeführten
Stück zu trennen, usw." |
Eine Soranı ähnliche Rechtfertigung des Erfolgs der Popularromane
findet sich in einem Artikel von Filippo Burzio über die Drei Musketiere
‚von Alexandre Dumas (erschienen in der »Stampa« vom 22. Oktober 1930
und auszugsweise wiedergegeben in der »Italia Letteraria« vom 9. Novem-
ber 1930)°. Burzio hält die Drei Musketiere wie den Don Quijote oder den
Rasenden Roland für eine sehr glückliche Verkörperung des Mythos des
Abenteuers, »das heißt von etwas Wesentlichem für das menschliche Wesen,
das sich vom modernen Leben ernsthaft und zunehmend zu entfremden
scheint. Je mehr das Dasein rational (oder vielmehr rationalisiert, durch
Zwang, der zwar rational für die herrschenden Gruppen ist, nicht aber
rational für die beherrschten, und der an die praktisch-wirtschaftliche
Tätigkeit gebunden ist, weshalb der Zwang, wenn auch nur indirekt, auch
auf die »Intellektuellen«-Schichten ausgeübt wird?) und organisiert ist, je
eiserner die gesellschaftliche Disziplin, je genauer und vorhersehbarer die
dem Individuum übertragene Aufgabe wird (aber nicht vorhersehbar für
die Führenden, wie aus den Krisen und Katastrophen der Geschichte her-
vorgeht), desto geringer wird der Spielraum des Abenteuers, wie der freie
Wald aller zwischen den erstickenden Mäuerchen des Privateigentums...
Der Taylorismus ist eine schöne Sache, und der Mensch ist ein anpassungs-
fähiges Tier, aber vielleicht gibt es Grenzen für seine Mechanisierung.
Wenn man mich nach den tiefen Ursachen für die Unruhe des Westens
fragte, würde ich ohne Zögern antworten: der Verfall des Glaubens (!) und
die Abtötung des Abenteuers«’. »Wird der Taylorismus siegen oder werden
die Musketiere siegen? Das ist ein anderes Thema, und die Antwort, die
vor dreißig Jahren sicher schien, sollte man lieber in der Schwebe lassen.
Wenn die gegenwärtige Zivilisation nicht zusammenbricht, werden wir
vielleicht interessanten Vermischungen der beiden beiwohnen«.
Die Frage ist folgende: Burzio beachtet nicht, dass es immer einen großen
Teil der Menschheit gegeben hat, dessen Tätigkeit stets taylorisiert und
eisern diszipliniert gewesen ist, und dass sie den engen Grenzen der vor-
handenen Organisation, die sie erdrückte, mit der Phantasie und mit dem
Traum zu entfliehen suchte. Ist nicht das größte Abenteuer, die größte
»Utopie«, welche die Menschheit kollektiv geschaffen hat, die Religion,
eine Weise, der »irdischen Welt« zu entfliehen? Und spricht nicht Balzac
in diesem Sinne vom Lotto als dem Opium des Elends, ein Satz, der dann
von anderen wieder aufgenommen worden ist? (Vgl. im 1. Heft der Kultur-
themen.)‘' Aber das Bemerkenswerteste ist, dass es neben Don Quijote
Sancho Pansa gibt, der keine »Abenteuer« will, sondern Lebenssicherheit,
2058 Einundzwanzigstes Heft
und dass die Mehrzahl der Menschen von eben der Zwangsvorstellung der
Nicht-»Vorhersehbarkeit des Morgen«, von der Ungewissheit des eigenen
täglichen Lebens gepeinigt wird, das heißt von einem Übermaß an wahr-
scheinlichen »Abenteuern«. In der modernen Welt erhält die Frage deshalb
eine andere Färbung als in der Vergangenheit, weil die aufgezwungene
Rationalisierung der Existenz mehr und mehr die mittleren und intellek-
tuellen Klassen in einem unerhörten Ausmaß trifft; aber auch für sie handelt
es sich nicht um einen Verfall des Abenteuers, sondern um zuviel Aben-
teuerlichkeit des täglichen Lebens, das heißt um zuviel Ungewissheit im
Dasein, verbunden mit der Überzeugung, dass es gegen diese Ungewiss-
heit keine individuelle Möglichkeit des Dagegenhaltens gibt: folglich strebt
man nach dem »schönen« und interessanten, weil der eigenen freien Initia-
tive geschuldeten Abenteuer, gegen das Abenteuer, das »hässlich« und
widerwärtig ist, weil den Bedingungen geschuldet, die von anderen auferlegt
und nicht selbst vorgeschlagen sind.
Soranis und Burzios Rechtfertigung vermag auch die Begeisterung für
den Sport zu erklären, das heißt, sie erklärt zuviel und folglich nichts. Das
Phänomen ist mindestens so alt wie die Religion, und es ist vielgestaltig,
nicht einseitig: es hat auch einen positiven Aspekt, nämlich den Wunsch,
»sich zu erziehen«, indem man eine Lebensweise kennenlernt, die als der
eigenen überlegen angesehen wird, den Wunsch, die eigene Persönlichkeit
zu steigern, indem man sich ideale Vorbilder setzt (vgl. das Stichwort zum
popularen Ursprung des Übermenschen in den Kulturthemen)’, den
Wunsch, mehr Welt und mehr Menschen kennenzulernen als es unter be-
stimmten Lebensbedingungen möglich ist, den Snobismus usw. usf. Das
Stichwort von der »Popularliteratur als Opium des Volkes« ist angemerkt
worden in einer Notiz zum anderen Roman von Dumas: dem Grafen von
Monte Cristo”.
* Im Mes. sind die nach S. 37 folgenden Seiten frei geblieben, mit Ausnahme einer kleinen Notiz auf S. 155.
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KRITISCHER APPARAT ZU HEFT I6
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Liniertes Schulheft (14,8 x 20,5 cm), jede Seite mit 22 Zeilen; Umschlag aus
flexiblem Karton, blau mit dunklen Verzierungen. Die erste Umschlagseite trägt
unten die gedruckte Aufschrift: Cartolerie Ditta Cugini Rossi, - Roma. Am
oberen Rand trägt ein von Tatjana nach Gramscis Tod aufgeklebtes Etikett die
folgenden Hinweise: »Vollständig von S. 1 bis 72. XXII«.
Auf den ersten drei Zeilen der ersten Heftseite liest man die folgende Notiz:
»Das vorliegende Heft enthält nummerierte Blätter von eins bis sechsunddreißig,
der Matrikelnummer 7047 Gramsci Antonio gehörend«; es folgt der Gefängnis-
stempel (Casa penale speciale di Turı), versehen mit dem Kürzel VA (Vincenzo
Azzarıitı). In der Mitte der siebten Zeile von Gramscis Hand der Titel des Heftes:
Kulturthemen. 1.
Heft von 36 Blatt mit insgesamt 72 Seiten. Jede Seite ist auf der Vorderseite von
der Gefängnisleitung numeriert und abgestempelt. Das Heft ist vollständig
benutzt, mit Ausnahme folgender freigelassener Stellen: S. 1 (freigelassen, bis auf
die beschriebenen Notizen); S. 1a (freigelassen); 5.36 (die beiden letzten Zeilen
freigelassen). Gramsci benutzt wie gewöhnlich auch den rechten Rand jeder
Seite.
Das Heft umfasst dreißig Notizen: 29 C-Texte und 1 B-Text.
Heft 16 (XXII) gehört noch zur Gruppe der Turi-Hefte, wie der Gefängnis-
stempel zeigt. Dennoch ist die einzige neue von Gramsci benutzte Quelle,
die wir mit Sicherheit feststellen konnten, vom Februar 1934 (vgl. $11 und
Anm. 10). Wahrscheinlich ist jedoch das Heft in Turi lediglich begonnen und
nach Gramscis Verlegung in die Cusumano-Klinik von Formia vervollständigt
worden.
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A739
- $1. Die Religion, das Lotto und das Opium des Elends.
C-Text (bereits in MACH, 228-91): unter Verwendung von A-Texten aus Heft 8,
$$209, 228, 230, sämtlich unter dem Titel Die Religion, das Lotto und das Opium
des Volkes, vgl. Bd. 5, 1060f, 1076ff, sowie dem $241, ebd., 1083.
° Vgl. Anm. Oc zu Heft 8, $209, Bd. 5, A477.
% Letteratura della nuova Italia.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 8, $209, Bd. 5, A477.
» Vgl. Anm. Oa zu Heft 8, ebd.
? Vgl. Anm. 2, ebd.
’> Vgl. Anm. 1 zu Heft 8, $230, Bd. 5, A485.
Apologie de la religion chretienne.
» Vgl. Anm. 1c zu Heft 8, $230, Bd. 5, A485.
* Vgl. Anm. 2, ebd.
° Vgl. Anm. 3 zu Heft 8, $228, Bd. 5, A484f.
° Vgl. Anm. 4 zu Heft 8, $228, Bd. 5, A485.
” Vgl. Anm. 5, ebd.
® Vgl. Anm. 3 zu Heft 8, $230, Bd. 5, A485.
° Gramsci spielt hier aller Wahrscheinlichkeit nach auf den »Manchester
Guardian Weekly« an, der mit dem »Labour Monthly« zu den beiden eng-
lischen Publikationen zählte, die er in Turi verfolgte: vgl. Anm. 1 zu Heft,
569, Bd. 4, A403.
$2. Methodenfragen.
C-Text (bereits in MS, 76-79): unter Verwendung eines A-Textes aus H. 4, $1, vgl.
Bd. 3, 457ff.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 4, $1, Bd. 3, A215.
?2 Vgl. Anm. 2, ebd.
’ Vgl. Anm. 3, ebd.
$9. Einige Probleme in Bezug auf das Studium der Entwicklung der Philosophie
der Praxıs.
C-Text (bereits in MS, 81-89): unter Verwendung zweier A-Texte aus Heft 4, $3:
Zwei Aspekte des Marxismus, und $ 24: Die Restauration und der Historizismus,
vgl. Bd. 3, 459-63, 481.
! Vgl. Plechanow, Grundprobleme des Marxismus, aaO., 137, Anm. 1: »Meın
Freund Viktor Adler hatte sehr recht, als er in seinem am Beerdigungstag von
Engels veröffentlichten Artikel erklärte, dass der Sozialismus, wie ihn Marx
und Engels verstanden haben, nicht bloß eine ökonomische, vielmehr eine
universale Lehre sei (ich zitiere nach der italienischen Ausgabe: Friedrich
Engels, Politische Oekonomie. Mit Einführung und bio-bibliographischen
Notizen von Filippo Turati, Viktor Adler und Karl Kautsky, Mailand
1895). Je richtiger aber diese Charakteristik des Sozialismus, wie ihn Marx
und Engels verstanden haben«, um so befremdender wirkt es, wenn Viktor
Adler die Möglichkeit einräumt, dass die materialistische Grundlage dieser
A 742 Anmerkungen zu Heft 16 - $9-$10
»universalen Lehre< durch die Kantische ersetzt werden könne. Was soll man
von einer universalen Lehre denken, deren philosophische Grundlage in
keinem Zusammenhang mit ihrem ganzen Aufbau steht?« Wahrscheinlich
dachte Gramsci an diesen Passus bei der (im C-Text hinzugefügten) Ver-
weisung auf Plechanows Stellung zu der von ihm aufgeworfenen Frage nach
dem Verhältnis zwischen Marxismus und anderen philosophischen Orientie-
rungen.
Vgl. Sando Diambrini Palazzi, /l pensiero filosofico di Antonio Labriola, con
prefazione di Rodolfo Mondolfo, Zanichelli, Bologna 1922 [FG, C.carc., Turi
IT]; Gramsci besaß dieses Buch vor seiner Verhaftung.
Zu dem von Gramsci wiederholt erwähnten Buch von Monsignore Francesco
Olgiati über Marx vgl. Anm. 4 zu Heft 7, $33, Bd. 4, A392.
Vgl. Anm. 1 zu Heft 4, $3, Bd. 3, A217.
Vgl. Anm. 4 zu Heft 3, $31, Bd. 2, A154.
Vgl. Anm. 4 zu Heft 4, $3, Bd. 3, A217.
Accomunati nella stessa fe /Decapitaro Emmanuel Kant ıddio. Massimiliano
Robespierre ıl re. - Vgl. zum selben Thema Heft 8, $208, Bd. 5, 1058.
Im Original: »riforma«, also dasselbe Wort, das in Großschreibung »Refor-
mation« bedeutet. Vgl. Anm. 3b zu Heft 10.1, $11, Bd. 6, A566, sowie
Gramscis Brief an Julia vom 28.11.32, Briefe 1, 124.
Vgl. hierzu Heft 14, $26, Bd. 7, 1650ff.
Zu dem Hinweis auf Sorels Aussage in einem Brief an Missiroli vgl. Heft 4,
$44, Bd. 3, 508f, und Heft 10.II, $41.XIII, Bd. 6, 1328f. Angesichts dieser
Parallelstellen schien es angebracht, den Sinn dieses Absatzes mit einer redak-
tionellen Einfügung zu verändern, die im Text durch die üblichen spitzen
Klammern angezeigt ist.
N]=
Das Motiv vom Menschen bzw. der Vorstellung von demselben, die es vom
Kopf auf die Füße zu stellen« gelte, taucht in den Gefängnisheften zum ersten
Mal auf in H. 1, $152 (vgl. dazu die dortige Anm. 1, A87), dann wieder inH. 1,
$155, H. 10.11, $1, und H. 10.11, $60: Der Satz, dass »der Mensch wieder auf
die Füße« gestellt werden muß.
Vgl. Anm. 7 zu Heft 4, $3, Bd. 3, A217.
* Die Legationen waren von einem päpstlichen Legaten geleitete Verwaltungs-
einheiten des Kirchenstaates.
$10. Die Religion, das Lotto und das Opium des Elend.
B-Text (bereits in MACH, 291f).
0
Du fondement de l’induction.
Diese Hinweise sind dem Vorwort Guido De Ruggieros zu dem Buch von
Julien Lachelier entnommen, Psicologia e metafisica, ins Ital. übers. v. Guido
De Ruggiero, Laterza, Bari 1915, vgl. bes. S. IX. Höchstwahrscheinlich hatte
Anmerkungen zu Heft 16 - $10-$ 11 A 743
$22. Religiöses Empfinden und Intellektuelle des 19. Jahrhunderts (bis zum
Weltkrieg).
C-Text (teilweise bereits in LVN, 192f): unter Verwendung von A-Texten aus
Heft 1, $$ 19 (teilweise), 21, 22 und 23, vgl. Bd. 1, 76ff.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $19, Bd. 1, A16.
'* Im Original: »temporalista«; P: »partisan du pouvoir temporel«.
Gramscı unterläuft hier eine Ungenauigkeit. Es handelt sich nicht um Nach-
wahlen, sondern um die allgemeinen Wahlen zur Abgeordnetenkammer vom
Oktober 1913: Damals hatte der »Corriere della Sera« die Kandidatur des
katholischen Marchese Carlo Ottavio Cornaggia im 4. Wahlkreis von Mai-
land bekämpft, der von den Mailänder Konstitutionellen Vereinigungen auf
der Grundlage des Gentiloni-Paktes unterstützt wurde. Gegen Cornaggia
Anmerkungen zu Heft 16 - $ 22-$26 A 747
hatte der »Corriere della Sera« die Kandidatur des Liberalen Iro Bonzi unter-
stützt; es wurde schließlich kein Sozialist, sondern der Radikale Luigi Gaspa-
rotto gewählt (vgl. Luigi Albertini, Venti anni di vita politica, Teil 1, Bd. 2,
Zanichelli, Bologna, 244-51).
Der Gentiloni-Pakt, benannt nach dem Präsidenten der Katholischen Wäh-
lerunion, sah vor, dass die Katholiken in den Wahlkreisen, in denen sich ein
Sieg des sozialistischen Kandidaten abzeichnete, für die liberalen Kandidaten
stimmen sollten. Dafür verpflichteten sich die Liberalen, im Parlament nicht
für die Einführung der Scheidung oder die Abschaffung des Religionsunter-
richts in den öffentlichen Schulen zu stimmen (vgl. G. Procacci, Geschichte
Italiens und der Italiener, München 1983, 339).
diese Welt aber doch einem »Geist« entsprungen sein muss, der dafür gesorgt
hat, dass die einander sich durchkreuzenden und »beschränkten Zwecke« der
Menschen trotz dieses Gegeneinanders in der Erhaltung des Menschen-
geschlechts konvergieren (vgl. Prinzipien einer Neuen Wissenschaft, Schluss,
Abs. 1108; zit. n. der Ausgabe v. Hösle/Jermann, Hamburg 1990, 606). Der
Begriff hat also, wie Croce bemerkt hat, nichts mit einer »transzendenten und
wunderwirkenden Vorsehung« zu tun, sondern ist eine Form, in der sich die
»Rationalität der Geschichte« artikuliert, die ihre Vernunft gegen den Willen
der einzelnen Akteure durchsetzt (Die Philosophie Giambattista Vicos,
Tübingen 1927, 98). Vgl. auch H. 15, $ 11, wo die »List der Vorsehung« auf die
Geschichte des Risorgimento bezogen wird.
628. Frondienste.
C-Text (bereits in PP, 192f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $3:
Enzyklopädische Begriffe. Frondienste, vgl. Bd. 5, 1088.
° Vgl. Anm. 0 zu Heft 9, $3, Bd. 5, A501.
% Vgl. Anm. 0a, ebd.
% Vgl. Anm. Ob zu Heft 9, $3, Bd. 5, A502.
°° Wörtl.: »Akademie der Liebhaber des Ackerbaus« - in Anlehnung an die
»Georgica« Vergils, die den Ackerbau behandeln; gegründet 1753 in Florenz.
Im Original: »patti«, Vereinbarungen. Im A-Text: »fatti«, Tatsachen — was ein
Schreibfehler sein muss.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $3, Bd. 5, A502.
630. Tempo.
C-Text (bereits in PP, 215): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $47:
Enzyklopädische Begriffe. Tempo, vgl. Bd. 5, 1112.
KRITISCHER APPARAT ZU HEFT 17
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Liniertes Schulheft (15 cm x 20,5 cm); jede Seite mit 22 Zeilen; Umschlag karto-
niert, rotschwarz, marmoriert; auf der vierten Umschlagsseite gedrucktes Signet
des Verlagshauses Laterza; in der Mitte der ersten Umschlagsseite enthält ein
aufgedrucktes Etikett die folgenden mit Tinte geschriebenen Angaben: »Das
vorliegende Heft enthält nummerierte Blätter von eins bis vierzig, dem Häftling
Gramsci Antonio, Matrikel 7047, gehörend«. Ein weiteres, von Tatjana nach
Gramscis Tod aufgeklebtes Etikett enthält die folgenden Angaben: » Unvoll-
ständig IV, 40 S.«. Auf der zweiten Umschlagsseite, oben, mit Tinte, eine Angabe
von Gramscis Hand: »1933 Miszellen«.
Heft von 40 Blatt, nur auf der Vorderseite [nummeriert]. Die Rückseite jedes
Blattes trägt links unten den Gefängnisstempel mit der neuen Aufschrift: »Straf-
anstalt für körperlich und geistig Behinderte« (»Casa penale per minorati fisici e
psichici)« Turi (Bari). Der Stempel auf der letzten Seite ($. 40a) ist mit Bleistift
signiert vom Gefängnisdirektor (P. Sorrentino). Das Heft ist nur teilweise
benutzt, genauer von S. 1 bis 22. Von $. 1 bis 17 erstrecken sich die Notizen über
die ganze Seite, einschließlich der Seitenränder; von $. 17a bis $. 22 ist der linke
Rand jeder Seite freigelassen. Im benutzten Teil des Heftes sind folgende Stellen
freigelassen: die letzten sieben Zeilen von S. 19a, die letzten fünf Zeilen von $. 22.
Das Heft enthält 53 Notizen: 52 B-Texte und 1 A-Text; die erste Notiz (Huma-
nismus und Renaissance) und die dreiunddreißigste (Humanismus-Renaissance)
sind ohne Paragraphenzeichen; diese wurden in der vorliegenden Ausgabe
redaktionell ergänzt. Unveröffentlicht ist nur der $17 (Kulturthemen).
Dieses Heft enthält die Entwürfe zu zwei Gesuchen, die Gramsci zwischen 1934
und 1935 von Formia aus abschickte. Das erste ist nicht datiert, stammt aber vom
September 1934. Die von Gramsci eingereichte endgültige Abschrift befindet
sich heute im politischen Zentralregister des Zentralstaatsarchiv und ist von
Costanzo Casucci publiziert worden: Gramscis Briefwechsel im politischen Zen-
tralregister (Il carteggio di Gramsci
nel Casellario politico centrale), in »Rassegna
degli Archivi di Stato«, September-Dezember 1965, (25. Jg., Nr. 3), 431f. Das
Konzept ist zwischen $. 19 und 19a niedergelegt und unterbricht die reguläre
Abfolge der Niederschrift zwischen $47 und $48. Wir geben hier den voll-
ständigen Text wieder, der folgendermaßen überschrieben ist: Gesuch des Häftlings
Antonio Gramsci, gegenwärtig eingeliefert und streng bewacht in Dr. Cusumanos
Klinik in Formia, an S.E.B. Mussolini, Regierungschef.
8732 Manuskript-Beschreibung von Heft 17
»Da ich mich in dem vom Strafgesetzbuch Art. 176 genannten Zustand befinde,
um in den Genuss der Freilassung auf Bewährung zu kommen... Wegen meines
äußerst schlechten Gesundheitszustandes hat mir im Dezember des vergangenen
Jahres Eure Exz. auf Gesuch meiner Familie gewährt, in eine Privatklinik ein-
gewiesen zu werden, unter der Bewachung der Karabinieri. Die neuen Lebens-
bedingungen haben es jedoch, angesichts der Art meines Leidens, nicht erlaubt,
die Ergebnisse zu erreichen, die man erhoffen konnte, und die geringfügige
Besserung, die erreicht wurde, droht mit dem Beginn des Herbstes aufs Neue
zunichte gemacht zu werden, während der von den langen früheren Leiden zer-
rüttete Organismus nicht imstande ist, neue Krisen zu überwinden.
Ich bitte E.E., sich dafür verwenden zu wollen, dass mir eine Existenzbedingung
zugestanden wird, die mir in den dafür am geeignetsten erachteten Formen die
Möglichkeit gibt, die akutesten Formen meines Übels, das seit vier Jahren mein
Nervensystem zerstört und das Dasein zu einer ständigen Qual gemacht hat,
wenn nicht gänzlich zu unterdrücken, so doch abzuschwächen. Überwachte
Freiheit, polizeiliche Wohnortsbeschränkung, Behandlung als Verbannter: was
ich Sie bitte, mir gewähren zu wollen, ist das Ende der Lage als Häftling im en-
geren Sinn mit allen Formen der strengen Überwachung und Beaufsichtigung
bei Tag und bei Nacht rund um die Uhr, welche die Erholung und die Ruhe
verhindert, die in meinem Fall notwendig sind, um die fortschreitende und
peinigende Zerstörung des Organismus aufzuhalten. Der Artikel 191 des gelten-
den Gefängnisreglements verlangt, dass der Verurteilte, der ein Gesuch um Ge-
währung der überwachten Freiheit einreicht, die Gemeinde angibt, wo er, im
Falle der Annahme des Gesuchs, seinen Wohnsitz zu nehmen gedenkt. Ange-
sichts der besonderen Umstände dieses meines Gesuchs bitte ich darum, dass
mir, im Falle der Annahme, gewährt werde, ein Sanatorium aufzusuchen, da ich
darauf angewiesen bin, in einer Spezialklinik oder in der Nähe einer Spezial-
klinik unterzukommen.«
Der zweite Entwurf, unvollendet abgebrochen und teilweise mit breiten Feder-
strichen durchgestrichen, ist zwischen den Seiten 21b und 22 abgefasst und
trennt die $$52 und 53. Wir geben im folgenden den mit Valenti, Gen.insp. der
SiPo - 19. Juni 1935 überschriebenen Text wieder:
»Sehr geehrter Herr Inspektor, ich appelliere an Ihre Freundlichkeit, dass Sie den
Abschluss meines laufenden Verfahrens vorantreiben. Es handelt sich nicht um
eine nervöse Eile meinerseits (obwohl der Zustand meiner Nerven sehr schlecht
ist), sondern um eine überlegte Dringlichkeit, wie Sie selbst urteilen können. Das
letzte Mal, als wir uns begegnet sind, konnten Sie selbst feststellen, wie ich an
einem Gichtanfall litt, obwohl seit Jahr und Tag, gerade aufgrund meiner
Lebensbedingungen, meine Ernährung der genügsamsten und maßvollsten Art
ist (ich bin immer abstinent gewesen und esse seit acht Jahren kein Fleisch).
Vor einigen Wochen hat Doktor Giordano, ein römischer Arzt, der usw., als er
mich einer allgemeinen Untersuchung unterzog, in der ersten Untersuchung
sofort herausgefunden, dass ich an einer sogenannten »Diatese« am Bauchnabel litt,
ein euphemistischer Ausdruck für einen Nabelbruch im Anfangsstadium, der
viel gefährlicher ist als ein Leistenbruch im Anfangsstadium. Die Untersuchung
Manuskript-Beschreibung von Heft 17 A 753
en an de
a r aa
n
755
65. Kulturthemen.
B-Text (bereits in R, 146).
1
Zu diesem Hinweis auf Gioberti vgl. den folgenden $6 und Anm. 1.
die Sekte der Föderalen (Girondisten) schrecklicher war als der äußere Krieg;
dergestalt dass er, obwohl diese ausgezeichnete Männer in ihren Reihen hatten,
begann, sie mit der allen bekannten grimmigen Tatkraft zu bekämpfen; und
wenn die Mittel manchmal tadelnswert waren, so war der Zweck doch schön
und ruhmreich«.
Vgl. den vorhergehenden $7, Anm 0.
Vgl. Gioberti, Il rinnovamento civile d’Italia, aaO., 356f. Zu diesem direkten
Zitat und den anderen Bezugnahmen auf Gioberti in diesem Paragraphen vgl.
Anm. 1 zum vorhergehenden $6.
Vgl. Heft 3, $$158 und 162, Bd. 2, 444 und 445; Heft 8, $$33 und 93, Bd. 5,
964 und 996; Heft 9, $129, Bd. 5, 1176.
$10. Kulturthemen.
B-Text (bereits in PP, 195f).
1
Diesen Band von Rocco Morretta, Come sara la guerra domani?, hat Ersilio
Michel in »L[’Italia letteraria«, 10. September 1933 (9. Jg., Nr. 37) rezensiert.
$12. Kulturthemen.
B-Text (bereits in PP, 183f).
° Anspielung auf eine Formulierung von Feuerbach, auf die Marx in der ersten
Feuerbach-These Bezug nimmt. Vgl. Anm. 1 zu Heft 8, $61, Bd. 5, A444.
0a
Anspielung an Benedetto Croces Reduktion der marxschen Theorie auf den
Status eines bloßen »empirischen Kanons« bzw. »empirischer Forschungs-
regeln« der Geschichtsschreibung. Vgl. Anm. 1a zu Heft 10.1, $12, Bd, 6,
A567f.
wird es zitiert nach dem deutschen Original: Ludwig Freiherr von Pastor,
Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, Freiburg i.B., Bd. 12,
214.
617. Kulturthemen.
B-Text (unveröffentlicht).
! Vgl. Heft 8, $ 144, Bd. 5, 1025 und Heft 15, $75, Bd. 7, 1788. Die Gelegenheit,
auf Rezascos Werk zurückzukommen und die vollständigen bibliographischen
Angaben zu notieren, erhält Gramsci durch eine Fußnote zur dritten Folge
der bereits erwähnten Schrift von Felice Bernabei, Memorie di un archeologo,
IH, in »Nuova Antologia«, 16. August 1933, aaO., 556-82; vgl. besonders
S. 582. In der Fußnote heißt es: »Bezüglich des Wörterverzeichnisses der
Bürokratie des Comm. G. Rezasco, von dem Bernabei nicht wusste, ob jemals
ein Teil veröffentlicht worden ist (vgl. »Nuova Antologia« vom 16. Juli, 272),
teilt uns Senator Tito Poggi freundlicherweise mit, dass dieses abgeschlossen
und veröffentlicht worden ist. Der stattliche Band von nicht weniger als 1287
Seiten wurde 1881 in Florenz von den Nachfolgern Le Monniers mit dem
Titel Dizionario del linguaggio italiano storico ed amministrativo di Giulio
Rezasco veröffentlicht. Ulisse Poggi, der Vater des Senators, hatte die Fahnen
der gewichtigen Publikation sogar Korrektur gelesen.«
3
Vgl. Giovanni Busnelli S.J., »Brancolando in cerca di una fede«, in »La Civiltä
Cattolica«, aaO., 417-28. In diesem Artikel werden zitiert und diskutiert der
Band von Armando Carlini und Franceso Olgiati, Neo-scolastica, idealismo,
spiritualismo, und der Artikel von Guido De Ruggiero in der »Educazione
nazionale« vom März 1933, auf den Gramsci im Text verweist. Ein weiterer,
indirekter Hinweis auf die Auseinandersetzung zwischen Carlini und Olgiati
istin Heft 15, $33, Bd. 7, vgl. bes. 1746.
Die wie der erste von Pater Busnelli gezeichneten Artikel der »Civiltä Catto-
lica«, auf die Gramsci verweist, sind: Dall’idealismo alla fede secondo ilprof.
A. Carlini (Vom Idealismus zum Glauben nach Prof. A. Carlıni), ın »La
Civiltä Cattolica«, 16. September 1933, aaO., 559-68; I] pensiero aristotelico
e il ripensamento moderno della fede e della ragione secondb ilprof. A. Carlini
(Das aristotelische Denken und die moderne Neufassung des Glaubens und
der Vernunft nach Prof. A. Carlini), in »La Civiltä Cattolica«, 18. November
1933 (84. Jg., Bd. 4), 378-93.
Vgl. V. Gioberti, lrinnovamento civile d’Italia, aaO., 395f (Hervorhebungen
von Gramsci). Bei den Angaben unterläuft Gramsci eine Ungenauigkeit, da
der Passus in Wirklichkeit aus dem zehnten Kapitel des Buches von Gioberti
stammt. In der Ausgabe, die Gramsci zur Hand hat (vgl. Anm. 1 zum voran-
gehenden $6), wird Kapitel 11, das letzte des Buches, zusammengefasst.
Vgl. Heft 10.II, $13 u. Anm. 1, Bd. 6, 1264, A574.
Anscheinend findet sich die von Gramsci erwähnte Formulierung bei Marx
nicht. Im Vorwort zur Heiligen Familie wird der Ausdruck »realer Humanis-
mus« gebraucht (MEW 2, 7), und in den Pariser Ökonomisch-philosophischen
Manuskripten von 1844 definiert Marx den Kommunismus als »positiven
Humanismus« (MEW 40, 583).
$19. Kulturthemen.
B-Text (bereits in PP, 199).
1
Bibliographische Angaben und Informationen zu F. Savorgnan di Brazzäs
Buch, Da Leonardo a Marconi sind wahrscheinlich einer Rezension von
Giuseppe A. Andriulli in »[’Italia che scrive«, September 1933 (16.Jg., Nr. 9),
266 entnommen.
Vgl. Heft 3, $80, Bd. 2, 398f.
$27. Machiavelh.
B-Text (bereits in MACH, 119f).
! Dieses Zitat aus Alfieris Del principe e delle lettere steht im ersten Teil einer
Studie vonM. Cerini, Machiavelli e Alfieri, in »La Nuova Italia«, 20. Juli 1933
(4. Jg., Nr. 7), 217f (vgl. bes. 217).
? Vgl. Felice Alderisio, Intorno all’arte dello Stato del Machiavell. (Discussione
ulteriore dell’interpretazione di essa come »pura politica«), in »Nuovi Studi di
Diritto, Economia e Politica«, Juni-Oktober 1932 (Bd. 5, Nr. 3-5), 232-62.
$29. Popularliteratur.
B-Text (bereits in LVN, 120f).
! Mit Andre Moufflets Artikel hatte sich Gramsci schon in Heft 6, $111 befasst
(vgl. Bd. 4, 799). Hier verwendet er unter Wiedergabe einiger Passagen eine
Anmerkung aus der Rubrik »Marginalia« (Stile e fortuna del romanzo d’appen-
dice - Stil und Schicksal des Feuilletonromans), in »Il Marzocco«, 8. Februar
1931,30,
? Vgl. Heft 9, $66, Bd. 5, 1122, wo jedoch die großen russischen Romanschrift-
steller nicht erwähnt werden.
Vgl.J. H. Rosny, Le mercantilisme litteraire, in »Les Nouvelles Litteraires«,
4. Oktober 1930 (9. Jg., Nr. 416).
$30. Journalismus.
B-Text (bereits in INT, 164).
! Die Quelle, aus der Gramsci die Information zu dieser Episode um Mark
Twain bezogen hat, ist nicht bekannt.
634. Popularliteratur.
B-Text (bereits in LVN, 136).
" Der Roman des norwegischen Schriftstellers Johan Bojer in der italienischen
Übersetzung I! prigioniero che canta ist im Fondo Gramsci nicht erhalten; es
ist jedoch möglich, dass Gramsci ihn damals aus der Gefängnisbücherei von
Turi oder von Civitavecchia entliehen hat, wohin er am 19. November 1933
gebracht wurde und wo er bis zum 7. Dezember, dem Tag seiner Überführung
in die Klinik Cusumano in Formia, blieb.
hatte, auch wenn er sich nicht unter den Büchern aus dem Gefängnis erhalten
hat. Erhalten hat sich hingegen ein anderer Roman Turgenjews, Le memorie di
un cacciatore (Aufzeichnungen eines Jägers), Slavia, Turin 1929, [G. Ghilarza,
Gecareıl:
3» In der deutschen Übersetzung (von Harry Burck) lautet die von Gramsci
zitierte Stelle etwas anders: »Nun angenommen, man sagt, Aufklärung ist
nützlich, so ist das ein Gemeinplatz. Sagst du aber, Aufklärung ist schädlich,
so ist das ein antithetischer Gemeinplatz.« Iwan Turgenjew, Väter und Söhne,
3. Aufl., Berlin, Weimar 1985, S. 315. Im russischen Original steht für
umgestülpter Gemeinplatz »protivopeloönoje ob5cee mjesto« (wörtlich:
entgegengesetzter Gemeinplatz) und für das öffentliche Unterrichtswesen
»prosvjeslenije«, was ebenso Aufklärung wie Bildung, Bildungswesen be-
deuten kann (Auskunft von Hans-Ruedi Wigger, Basel).
637. Machiavellı.
B-Text (bereits in MACH, 20ff).
! Ein Hinweis auf die Parteifunktion des »Corriere della Sera« findet sich be-
reits in Gramscis Rede in der Abgeordnetenkammer vom 16. Mai 1925 (jetzt
in CPC, 75-87).
'"* Gramscis Anspielung ist unklar; nach P evtl. als Metapher für den geschützten
Raum zu interpretieren, in dem sich Kultur entfalten möchte, oder für eine
von der Gegenwart abstrahierende Kulturauffassung.
$38. Popularliteratur
A-Text: der erste Teil wiederaufgenommen in einem C-Text von Heft 21, $1:
Zusammenhang der Probleme (bereits in LVN, 57f, vgl. im vorl. Bd. 8; der zweite
und dritte Teil wiederaufgenommen in zwei C-Texten von Heft 23 (IV), $1:
Rückkehr zu De Sanctis, und $2: Eine Notiz des jungen Luigi Pirandello (Q,
2185f und 2186; bereits in LVN, 5f und 46).
% Vgl. Anm. 3b zu Heft 10 (T), $ 11, Bd. 6, A566.
°b_ Im Original: »astatalismo<; P: »manque de sens de l’Etat«.
! Gramsci macht hier eine Anspielung auf einen Artikel von Giovanni Gentile,
Torniamo al De Sanctis, in »Quadrivio«, 6. August 1933 (1. Jg., Nr. 1), der im
C-Text von Heft 23, $1, ausdrücklich genannt wird.
Zu anderen Verweisen Gramscis auf diesen Aufsatz von De Sanctis vgl. Heft
ISDN Bd. 4, 886, und Heft 9, 642, Bd. 5, bes. 1109,
Anmerkungen zu Heft 17 - $ 38-842 A 767
* Dieser Gedanke De Sanctis’ und die folgenden Hinweise auf den Philolo-
gischen Kreis und seine Ziele entstammen einem Artikel von FE Torraca, Nel
cinquantesimo anniversario della morte di Francesco De Sanctis. L’uomo
(Zum fünfzigsten Todestag von Francesco De Sanctis. Der Mensch), in
»Nuova Antologia«, 16. Dezember 1933, aaO., 590-603, bes. 602. In diesem
Artikel ist auch ein Hinweis enthalten auf De Sanctis’ im letzten Teil seines
Lebens gezeigtes Interesse für den naturalistischen Roman.
°®* Nach der Versform des zwölfsilbigen Alexandriners, der seinen Höhepunkt
um die Mitte des 19. Jahrhunderts überschritten hatte und späterhin als Inbe-
griff einer vordergründig auf künstlerisch-formales Raffinement abhebenden
Kunstauffassung galt.
Luigi Pirandello, Nascıta di personaggi - Geburt von Personen (Unveröffent-
lichte Briefe: 1889-1933), in »Nuova Antologia«, 1. Januar 1934 (69. Jg.,
Nr. 1483), 3-25, bes. 5.
°> Vgl. Heft 6, $26, Bd. 4, 730f, und Heft 9, $ 134, Bd. 5, 1180f.
$40. Freudianismus.
B-Text (bereits in PP, 217)
641. Machiavellı.
B-Text (bereits inMACH, 218).
' Vgl. Luigi Bongiovanni, »La Marna«: gindizi in contrasto, in »Nuova
Antologia«, 6. Januar 1934 (69. Jg., Nr. 1484), 270-80, bes. 276.
644. Popularliteratur.
B-Text (bereits in LVN, 96).
% Secentismo: vgl. Anm. la zu Heft 3, $57, Bd. 2, A168; vgl. auch Anm. la zu
Heft 14, $1, Bd. 7, A675.
Die hier zitierte Passage von Aldo Capasso stammt aus einem Artikel von
A. Bici, Poeti d’oggi, II: Ungaretti o dell’analogismo (Dichter von heute, II:
Ungaretti oder über den Analogismus), in »Leonardo«, März 1934 (5. Jg.,
Nr. 3), 111-17, bes. 115 (dort auch kursiv).
2 Vgl. Heft 9, $2, Bd. 5, 1087f.
$48. Unterscheidungen.
B-Text (bereits inMACH, 162).
650. Machiavell:.
B-Text (bereits inMACH, 153).
! Enrico Caviglia, Le tre battaglie del Piave, Mondadori, Mailand 1934, 244
[FG]. Gramsci verfügte in diesem Zeitraum über zwei weitere im Fondo
Gramsci erhaltene Bücher von Enrico Caviglia, die keinen Gefängnisstempel
tragen: La battaglıa della Bainsizza (Die Schlacht an der Bainsizza), Monda-
dori, Mailand 1930 [FG]; La dodicesima battaglia. Caporetto (Die zwölfte
Schlacht. Caporetto), Mondadori, Mailand 1934 [FG].
? Vgl. Canevari, Clausewitz e la guerra odierna, aaO., 64: »wenn die Offensive
den Höhepunkt des Angriffs überschreitet, ohne ihr Ziel erreicht zu haben,
ruft der Umschwung der Kräfte, der eintritt, eine Reaktion hervor, die viel
wirkungsvoller als der Angriff ist«. Dieses Prinzip von Clausewitz wird auch
in der zitierten Rezension von Brunetta (vgl. Anm. 3 zum vorhergehenden
$42) erwähnt, die aller Wahrscheinlichkeit nach die direkte Quelle Gramscıs ist.
A770 Anmerkungen zu Heft 17 - $50-$ 53
2a
Canevari bezieht sich hier auf die Skizzen zum siebenten Buch, Der Angriff,
5. Kapitel: Kulminationspunkt des Angriffs, in Carl von Clausewitz, Vom
Kriege, Bonn 1980, 879: »Es gibt strategische Angriffe, die unmittelbar zum
Frieden geführt haben - aber die wenigsten sind von der Art, und die meisten
führen nur bis zu einem Punkt, wo die Kräfte noch eben hinreichen, sich in
der Verteidigung zu halten und den Frieden abzuwarten. - Jenseits dieses
Punktes liegt der Umschwung, der Rückschlag; die Gewalt eines solchen
Rückschlages ist gewöhnlich viel größer, als die Kraft des Stoßes war. Dies
nennen wir den Kulminationspunkt des Angrıiffs.«
651. Machiavelh.
B-Text (bereits inMACH, 147f).
1
Dieses Zitat aus Hitlers Mein Kampf entstammt wahrscheinlich einer indirek-
ten Quelle, die jedoch nicht wiedergefunden wurde.
Das Zitat lautet wörtlich: »Wobei ich die Gründung oder Zerstörung einer
Religion denn doch als wesentlich größer halte als die Gründung oder Zer-
störung eines Staates, geschweige denn einer Partei<; vgl. Adolf Hitler, Mein
Kampf, München 1940, 125.
MANUSKRIPT-BESCHREIBUNG
voN HEFT 18 (XXXII- IVA): 1934
Liniertes Heft in Registerformat (etwa 21,4 cm x 30,5 cm); jede Seite mit 31
Zeilen. Umschlag in blauem Karton, Rücken in schwarzes Leinen gebunden. In
der Mitte der ersten Umschlagseite ein Etikett mit der Aufschrift: Soc. An. Elli
De Magistris - Milano Via Broletto 1. Dieselben Merkmale wie Heft 12 (XXIX)
und 13 (XXX). Es fehlt das Etikett mit der nach Gramscis Tod erfolgten Num-
merierung; in das Etikett auf dem Umschlag ist mit Rotstift Nr. 4 geschrieben
worden, offenbar nicht von Gramscıi selbst.
Heft von 30 Blatt, insgesamt 60 Seiten ohne Nummerierung und ohne Gefängnis-
stempel. Nur die erste Seite (Vorder- und Rückseite) sowie die erste Hälfte der
zweiten Seite (nur die Vorderseite, die ersten 14 Zeilen) sind vollgeschrieben. Auf
den drei von Gramscı benutzten Seiten ist zur Heftmitte hin ein Rand von
ca. einem Drittel der Blattbreite freigelassen. Dieser Rand wird durch einen
vollkommen geraden senkrechten, mit schwarzem Bleistift gezogenen Strich
markiert, der auch auf den zwei ersten nicht beschriebenen Seiten erscheint. In
der Mitte der ersten Zeile der ersten Seite steht der Titel, den Gramsci dem Heft
gegeben hat: Niccolö Machiavellı. II.
Das Heft enthält drei C-Texte, die aus Heft 2 wiederaufgenommen sind. Dem
ersten Text fehlt das Paragraphenzeichen, das redaktionell hinzugefügt worden
ist.
Direkte Hinweise zur Datierung fehlen für dieses Heft. Es ist jedoch sicher, dass
es nach der Fertigstellung von Heft 13 (Anmerkungen zur Politik Machiavellis)
geschrieben worden ist, das 1934 beendet wurde.
A 774 Manuskript-Beschreibung von Heft 18
Editorischer Nachtrag
Heft 18 ist das erste der Hefte von Formia (18-29), die nach Gramscis Über-
führung in die dortige Klinik Cusumano verfasst worden sind und denen daher
die für die Datierung aufschlussreiche Registrierung durch die Gefängnisleitung
fehlt. Francioni (119) macht darauf aufmerksam, dass alle diese Hefte »spezielle«,
d.h. thematische Hefte sind, in denen die Verarbeitung neuer Quellen im Vergleich
zu den A-Texten, aus denen sie hervorgegangen sind, sehr sporadisch ist. Damit
entfallen die für die Chronologie ebenfalls ausschlaggebenden Referenzen auf
Erscheinungsdaten von Zeitschriften und Büchern. Die in den Heften selbst
enthaltenen Hinweise sind die einzigen Anhaltspunkte. KB
07:75
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KRITISCHER APPARAT ZU HEFT 19
EN 7062)
Liniertes Schulheft (14,7 x 19,8 cm), jede Seite mit 22 Zeilen; Umschlag in hartem
Karton, schwarz, mit schwarzem Rücken. Ein von Tatjana nach Gramscis Tod
aufgeklebtes Etikett auf der ersten Umschlagseite trägt folgende Angabe: »Un-
vollständig X von S. 3 bis 142.«
Heft von 160 Blatt, jedes davon auf der Vorder- und Rückseite fortlaufend von
1 bis 320 numeriert. Der Gefängnisstempel fehlt. Die Nummerierung ist von
Gramscis Hand. Das Heft ist nur zum Teil benutzt. Das erste Blatt (Vorder- und
Rückseite) ist leer; das zweite Blatt (Vorder- und Rückseite) mit der Nummerie-
rung 3-4 ist beschrieben, die Seiten 5-10 sind leer; die Seiten 11-141 sind be-
schrieben, die Seiten 142-320 leer. Der von Gramsci benutzte Teil des Heftes
weist folgende Leerstellen auf: die ersten beiden Zeilen auf S. 3; die letzte Zeile
auf S. 4; die ersten 5 Zeilen auf S. 11; die letzten 3 Zeilen auf S. 141. Die Schrift
geht in der Regel über den rechten Seitenrand hinaus und wird auf den letzten
Seiten unsicher.
Das Heft hat keinen Titel. Auf $. 3 wird angekündigt eine »doppelte Reihe von
Untersuchungen. Eine über das Zeitalter des Risorgimento und eine zweite über
die ihm auf der italienischen Halbinsel vorangegangene Geschichte ...« Die tat-
sächlich aufgenommenen Notizen betreffen jedoch vorrangig das Risorgimento
und in einigen Fällen das nachrisorgimentale Italien. Insgesamt sind es 58 Notizen,
55 C-Texte unter Verwendung von A-Texten aus den Heften 9 (XIV), 1 (XVI),
3 (XX), 6 (VIII) und drei B-Texte. Die einleitenden Bemerkungen auf $. 3-4 und
die Paragraphen 3 und 4 haben im MS kein Paragraphenzeichen; sie wurden vom
Herausgeber hinzugefügt.
Folgende Paragraphen sind unveröffentlicht: $12 (Die geopolitische Lage Italiens.
Die Möglichkeit der Blockaden); $32 (Piero Pieri, Das Königreich Neapel vom
Juli 1799 bis März 1806), $41 (Interpretation des Risorgimento).
Das Heft wurde im Verlaufe des Jahres 1934 begonnen und bis in die ersten
Monate von 1935 hinein weitergeführt. Für die Datierung können neben dem
allgemeinen Hinweis, der sich aus dem Fehlen des Gefängnisstempels ergibt,
einige neue Quellen herangezogen werden, die ungefähr aus demselben Zeitraum
stammen, in dem die Notizen, worin sie benutzt werden, niedergeschrieben
wurden. Es handelt sich um drei jeweils auf $. 116 ($ 125), 135 ($53) und 139
($54) benutzte Ausgaben des »Corriere della Sera« vom 14. Mai, 3. September
und 26. September 1934 und um ein auf S. 141 ($58) zitiertes Heft der »Nuova
Antologia« vom 1. Februar 1935.
A 780 Manuskript-Beschreibung von Heft 19
Editorischer Nachtrag
Francioni (125) präzisiert die Datierung dahingehend, dass Gramsci die Arbeit
an Heft 19 (X), die er mit einer Reihe weiterer Themenhefte - insbesondere die
Hefte 20 (XXV) bis 25 (XIII) - im Februar 1934 aufnahm, im Februar des
darauffolgenden Jahres abgeschlossen hat. GK
A781
$4. Bibliographie.
C-Text (bereits in R, 178): unter Verwendung eines Teils des zitierten A-Textes
aus Heft 9, $89, zusammen mit zwei anderen A-Texten aus demselben Heft,
$100 und $109: Bibliographie, vgl. Bd. 5, 1138, 1147, 1160f.
' Vgl. Anm. 5 zu Heft 9, $89, Bd. 5, A519.
? Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $100, Bd. 5, A524.
’ Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $ 109, Bd. 5, A527.
$11. Populare Merkmale des Risorgimento. Freiwillige und Teilnahme des Volkes.
C-Text (bereits in R, 165): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $ 96:
Volkstümliche Merkmale des Risorgimento. Freiwillige und Teilnahme des Volkes,
vol. Bd. 5, 1144f.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $96, Bd. 5, A523.
"Vgl. Anm. 4 zu Heft 1, $48, Bd. 1, A49.
$13. Veröffentlichung und Prüfung der Bücher und Memoiren der Antiliberalen
und Franzosengegner in der Periode der Französischen Revolution und Napoleons
und Reaktionäre in der Periode des Risorgimento.
C-Text (bereits in R, 130f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 9, $ 113,
vgl. Bd. 5, 1165.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 9, $113, Bd. 5, A528.
? Vgl. Anm. 2, ebd.
2 Vgl. Anm. 2a, ebd.
’ Vgl. Anm. 3 zu Heft 9, $113, Bd. 5, A529.
$24. Das Problem der politischen Führung in der Formierung und in der Ent-
wicklung der Nation und des modernen Staates ın Italien.
C-Text (bereits in R, 69-89): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 1, $44:
Politische Führung durch eine Klasse vor und nach Regierungsantritt, vgl. Bd. 1,
101-116.
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $44, Bd. 1, A38.
'" Vgl. Anm. 1a zu Heft2, $29, Bd. 2, A111.
? Vgl. Anm. 2 zu Heft 1, $44, Bd. 1, A38, und Anm. 1 zu Heft 4, $57, Bd. 3,
A248f.
2 Piccolo Mondo Antico.
A 788 Anmerkungen zu Heft 19 - $24
8a
Wahlhelfer der Giolitti-Ära, die insbesondere in Süditalien - auch mit gewalt-
samen Einschüchterungsversuchen und zuweilen in Zusammenarbeit mit der
Polizei - Propaganda für die Regierungsparteien betreiben sollten.
Vgl. Anm. 13 zu Heft 1, $43, Bd. 1, A34f.
Vgl. Anm. 14 zu Heft 1, $43, Bd. 1, A35.
Vgl. Anm. 15, ebd.
Vgl. Anm. 16, ebd. Ein weiterer Hinweis auf die Zeitschrift »Sicilia Nuova«
ist in Heft 5, $ 157, Bd. 3, 701 enthalten.
Vgl. Anm. 17 zu Heft 1, $43, Bd. 1, A35.
Vgl. Anm. 10a zu Heft 16, $9, im vorliegenden Band.
Vgl. Anm. 18 zu Heft 1, $43, Bd. 1, A35f.
Vgl. Anm. 19 zu Heft 1, $43, Bd. 1, A36f.
Vgl. Anm. 20 zu Heft 1, $43, Bd. 1, A37.
Vgl. Anm. 21 zu Heft 1, $43, Bd. 1, A38.
$32. Piero Pieri, Das Königreich Neapel vom Juli 1799 bis zum März 1806.
C-Text (unveröffentlicht): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 1, $ 83, vgl.
Bd. 1, 147.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $83, Bd. 1, A69; zum selben Buch von Piero Pieri, //
Regno di Napoli dal luglio 1799 al marzo 1806, vgl. den folgenden $ 48, der
einen A-Text aus Heft 3, $ 134, Bd. 2, 429f aufnimmt.
640. Sizilien.
C-Text (bereits in R, 135f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 3, $24:
Motive des Risorgimento. Der sizilianische Separatismus, vgl. Bd. 2, 349.
° Rivendicazioni (attraverso le rivoluzioni siciliane del 1848-1860).
' Vgl. Anm. 1 zu Heft 3, $24, Bd. 2, A151.
$48. Piero Pieri, Das Königreich Neapel vom Juli 1799 bis März 1806.
C-Text (bereits in R, 180): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 3, $ 134,
vgl. Bd. 2, 429f.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 3, $ 134, Bd. 2, A187.
654. Confalonier:.
B-Text (bereits in R, 181f.).
' Vgl. Panfilo, Moglie prima che donna (Zuerst Gemahlin, dann Frau), in
»Corriere della Sera«, 26. September 1934.
? Auf das Gnadengesuch, das Confalonieri an den Kaiser richtete und das Silvio
D’Amico in einem Kapitel seines Buches Certezze (Gewissheiten) wieder-
gibt, geht Gramsci ausführlicher ein in Heft 8, $91, Bd. 5, 995.
?ı Luigi Ceria, Vita di una moglie, Mailand 1934.
Die Angaben zum Roman von Riccarda Huch sind wahrscheinlich der Ru-
brik »Eingegangene Bücher« des »Corriere della Sera« vom 28. September
1934 entnommen.
655. Die Ereignisse vom Februar 1853 in Mailand und die Moderatı.
C-Text (bereits in R 152f): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 6, $1:
Risorgimento: Ereignisse vom Februar 1853 und Mailänder Moderati, vgl. Bd.4,
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' Vgl. Anm. 1 zu Heft 6, $1, Bd. 4, A323.
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A799
Liniertes Schulheft (ca. 14,8 x 19,8 cm), jede Seite mit 22 Zeilen; Umschlag aus
schwarzglänzendem Karton, mit Umschlagklappen. Am oberen Rand des ersten
Deckblatts, rechts, ein von Tatjana nach Gramscis Tod aufgeklebtes Etikett
mit folgenden Angaben: »Unvollständig von S. 11 bis 34 XXV«. Auf der ersten
Umschlagklappe findet sich der Aufdruck: »Quaderno - Ditta Cugini Rossi —
Roma«.
Heft von 80 Blättern, auf der Vorder- und Rückseite fortlaufend nummeriert von
1 bis 160. Auf den Seiten 10-15 und 17 wiederholt sich die Nummerierung aus
ungeklärten Gründen. Der Gefängnisstempel fehlt. Die Nummerierung ist von
Gramsci. Das Heft ist nur teilweise benutzt. Die Abfassung der Notizen beginnt
auf S. 11 ($. 2-10 völlig leer) und setzt sich ohne Unterbrechung fort bis S. 34 (auf
dieser letzten Seite sind nur die ersten vier Zeilen beschrieben). Die Seiten 35-160
sind völlig leer. Die Schrift geht regelmäßig über den rechten Rand jeder Seite
hinaus.
In der Mitte des ersten Blattes steht der von Gramsci diesem Heft gegebene Titel,
geschrieben mit schwarzem Bleistift: Katholische Aktion - Integrale Katholiken,
Jesuiten, Modernisten. Das Heft umfasst 4 C-Texte. Wiederaufgenommen werden
A-Texte aus Heft 1 (X VI) und 5 (IX).
Nützliche Elemente für eine grundsätzliche Datierung des Heftes sind: der Hin-
weis auf das Todesjahr (1934) Monsignore Umberto Benignis auf S. 18; die schr
wahrscheinliche Herleitung einiger Ergänzungen in den C-Texten aus Quellen
von 1934, insbesondere zum Thema der Beziehungen zwischen Hitlerismus und
katholischer Kirche.
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A 801
$3. Über die Armut, den Katholizismus und die kirchliche Hierarchie.
C-Text (bereits in MACH, 230): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 1,
$1: Über die Armut, den Katholizismus und das Papsttum, vgl. Bd. 1, 68.
° Ouvriers et Patrons.
! Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $1, Bd. 1, A11.
? Vgl. Anm. 2, ebd.
A 802 Anmerkungen zu Heft 20 - $4
untergräbt, die Mehrheit der Nation beleidigt und der Jugend in höchstem
Maße schädlich ist« (249). Wenige Tage nach dem 7. Februar 1934 wurde
Rosenbergs Buch von der Kongregation des Heiligen Offiziums auf den Index
gesetzt. In der Folge, im Laufe des Jahres 1934, erweiterten und verschärften
die katholische Presse und der Vatikan die Auseinandersetzung mit der ge-
samten antikatholischen Politik des Hitlerregimes.
# Vgl. Anm. 8 zu Heft 5, $ 141, Bd. 3, A301.
> Zur Bewegung von Henri Massis vgl. Heft 6, $195, Bd. 4, 846.
’” Vgl. Heft 5, $66, Bd. 3, 630 sowie Anm. 7 zu Heft 1, $24, Bd. 1, A18.
KRITISCHER APPARAT ZU HEFT 21
A 807
Liniertes Schulheft (etwa 14,8 cm x 19,8 cm); jede Seite mit 22 Zeilen. Umschlag
in schwarzglänzendem Karton, strukturiert, mit Umschlagklappen. Oben rechts
auf der ersten Umschlagseite ein Etikett, von Tatjana nach Gramscis Tode auf-
geklebt, enthält folgende Angaben: »Unvollständig von S. 3a bis 38 XVII«. Auf
der ersten Umschlagklappe ist folgende Aufschrift aufgedruckt: Heft — Ditta
Cugını Rossi - Rom.
Heft von 80 Blatt, nummeriert jeweils auf Vorder- und Rückseite fortlaufend von
1 bis 160. Es fehlt der Gefängnisstempel. Die Nummerierung stammt von
Gramsci. Das Heft ist nur teilweise benutzt. Auf $. 1 erscheint lediglich, mit
schwarzem Stift über drei Zeilen geschrieben, der Titel, den Gramsci dem Heft
gegeben hat: Probleme der italienischen Nationalkultur. 1. Popularliteratur, S.2
ist freigelassen; S. 3-6 beschrieben, mit Ausnahme der drei ersten Zeilen von S$. 3
und der letzten vier Zeilen von $. 6; S. 7-10 freigelassen; vollständig beschrieben
sind S. 11-37; freigelassen auch die übrigen Seiten mit Ausnahme einer vereinzel-
ten Notiz auf $. 155, wo unter der Überschrift Bibliographie der Titel eines
Bandes von N. Atkinson zusammen mit dem Paragraphenzeichen erscheint. Die
Schrift geht regelmäßig über den rechten Rand jeder Seite hinaus.
Das Heft enthält 15 C-Texte; wiederaufgenommen sind A-Texte aus Heft 17
(IV), 14 (D,9 (XIV), 1 (XVT), 3 (XX), 6 (VID), 4 (XI). Bisher nicht veröffent-
licht war $ 15 (Bibliographie).
Direkte Hinweise zur Datierung fehlen. Aufschlussreich ist jedoch, dass der
Gefängnisstempel fehlt und in $1 ein A-Text aus Heft 17 wiederaufgenommen
ist, der nicht vor 1934 entstanden ist.
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A 809
$1. Problemzusammenhang.
C-Text (bereits in LVN, 57-60): unter Verwendung zweier A-Texte aus Heft 17,
$38: Popularliteratur, und Heft 14, $ 14: Nicht popular-nationaler Charakter der
italienischen Literatur, vgl. vorliegenden Bd. 8, 1883; Bd. 7, 1638).
° Im Original: »popolaritä«. Hier etwa im Sinne von »Verankerung im Volk«.
' Vgl. Anm. 3 zu Heft 3, $63, Bd. 2, A170.
? Vgl. Anm. 5, ebd.
° Vgl. Heft 1, $73 und Anm. 2, Bd. 1, 142, A67.
’%® Vgl. Anm. Ob zu Heft 17, $38, im vorliegenden Bd. 8, A 766.
’b Vgl. Anm. 1 zu Heft 1, $74, Bd. 1, A68.
$13. Kriminalromane.
C-Text (bereits in LVN, 116-19): unter Verwendung von A-Texten aus Heft 6, $5:
Popularliteratur. Fenilletonromane, $ 17: Popularliteratur. Der Kriminalroman,
$28: Popularliteratur, vgl. Bd. 4, 714, 724#, 731f.
A 812 Anmerkungen zu Heft 21 - $13-$ 15
$15. Bibliographie.
C-Text (unveröffentlicht): unter Verwendung eines A-Textes aus Heft 4, $58:
Popularliteratur, vgl. Bd. 3,545.
1
Vgl. Anm. 1 zu Heft 4, $58, Bd. 3, A249.
A 813
Kulturthemen I
731.156 Die Religion, das Lotto und das Opium des Elends (PJ)
1794 92 Methodenfragen. Wenn man die Entstehung einer Weltauffassung
studieren will... (WFH)
797 S 3: Ein Repertoire der Philosophie der Praxis (WFH)
III SEA: Die Zeitungen der großen Hauptstädte (PJ)
1800 895 Der Einfluss der arabischen Kultur in der westlichen Zivilisation (PJ)
180 896. Der antike Kapitalismus und ein Streit zwischen Modernen (P]J)
18022 87. Die Weltfunktion Londons (PJ)
1803 98. Roberto Ardigö und die Philosophie der Praxis (WFH)
1806 59. Einige Probleme in Bezug auf das Studium der Entwicklung der
Philosophie der Praxis (WFH)
1816 S$10. Die Religion, das Lotto und das Opium des Elends (PJ)
1816 $11. Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Konkordate und interna-
tionale Verträge (PJ)
1824 $12. Natürlich, widernatürlich, künstlich, usw. (PJ)
1829 $13. Populärer Ursprung des »Übermenschen«. Nietzsche (P])
1832 $14. Beziehungen zwischen Staat und Kirche (PJ)
1834 $15. Populärer Ursprung des Übermenschen. Farinelli (PJ)
1834 $16. Die Begründer der Philosophie der Praxis und Italien (PJ)
1835 $17. Die Tendenz, den Gegner herabzusetzen (P])
1836 $18. »Paritär und paritätisch« (PJ)
1837..81%. Der katholische Arzt und der nıchtkatholische Kranke (P])
1837 $20. Die Neuerungen im Prozessrecht und die Philosophie der Praxis (KB)
1838 $21. Redekunst, Gespräch, Bildung (KB)
1843 $22. Religiöses Empfinden und Intellektuelle des 19. Jahrhunderts bis
zum Weltkrieg (PJ)
1845 $23. Märchenritter (oder Märchenprinzen), Hornissen und Mistkäfer (KB)
1846 824. Lehrstück vom Kadi (PJ)
1846 $25. Das kleinere Übel oder das weniger Schlechte (PJ)
1847 $26. Die Bewegung und das Ziel. Bernstein (PJ)
1848 927. Max Nordau. Große Verbreitung seiner Bücher in Italien (PJ)
1848 $28. Frondienste (P]J)
1849 $29. Pedantische Diskussionen, Haarspaltereien, usw. Diskussionsstile (PJ)
1850 $30. Tempo. Bedeutungsverschiebungen des Wortes (PJ)
A 814
Miszellen
1853 1. Humanismus und Renaissance. Was heißt, die Renaissance habe aus
dem Menschen das Zentrum des Universums gemacht? (RG)
1853 92. Vergangenheit und Gegenwart. Eine englische Definition von
Kultur (WFH)
1853 93. Humanismus und Renaissance. Die Auffassungen von Jacob
Burckhardt und De Sanctis (RG)
1856 54. Vergangenheit und Gegenwart. Vergleich zwischen den
monarchistischen Auffassungen in Süd- und Norditalien (GK)
1856 85. Kulturthemen. Risorgimento und Erneuerung bei Gioberti (RG)
1856 $ 6. Einführung ins Studium der Philosophie. Giobertis Rückgriff auf
Tertullian? (WFH)
1370.69, Machiavelli. Die Funktion der Intellektuellen (RG)
1857 88. Humanismus und Renaissance. Fortsetzung von $3 (RG)
1859 89. Kulturthemen. Gioberti und der Jakobinismus (RG)
1860 $10. Kulturthemen. Diskussionen über den künftigen Krieg (GK)
1861 $11. Italienisches Risorgimento. Internationale politische Situation (GK)
1861 $12. Kulturthemen. Philosophie der Praxis und »historischer
Ökonomismus« (WFH)
1862 $13 Die Enkelchen des Pater Bresciani. G. Papini (KB)
1863 $14. Kulturthemen. Diskussionen über den künftigen Krieg (GK)
1863 $15 Humanismus und Renaissance. Wirksamkeit der katholischen
Reaktion ın Italien (RG)
1864 $16. Die Enkelchen des Pater Bresciani. G. Papini (KB)
1864 $17 Kulturthemen. Bibliographie (PJ)
1865 $18. Einführung ins Studium der Philosophie. Alltagsverstand (WFH)
1867 $19. Kulturthemen. Symptome engstirnigen Italienertums (RG)
1867 820. Georges Sorel. Zu Michael Freunds Sorel-Buch (RG)
1868 821. Kulturthemen. Cäsar und der Cäsarismus (GK)
1869 $22. Einführung ins Studium der Philosophie. Pragmatismus und
Politik (WFH)
1870 $23. Gemeinverständliches Lehrbuch der Soziologie. Empirismus (WFH)
1870 $24. Die Enkelchen des Pater Bresciani. G. Papini (KB)
1870 $25. Kulturthemen. Nachschlagewerke (RG)
1871 826 Die Katholische Aktion. Der wissenschaftliche Anspruch der
christlichen Idee (PJ)
1871 827. Machiavelli. Seine Absicht, »Kohärenz« in der Regierungskunst zu
lehren (KB)
A 815
Niccolö Machiavelli II
(übersetzt von Klaus Bochmann)
Italienisches Risorgimento
(übersetzt von Gerhard Kuck, $$1-13,
Klaus Bochmann, $$14-27, Ruedi Graf, $$28-58)
20117871: Die Katholische Aktion. Ihre Entstehung als Reaktion auf den Sieg
des Liberalismus
2015 7 2. Die Katholische Aktion und die franziskanischen Tertiarier
2OIOEN 3. Über die Armut, den Katholizismus und die kirchliche Hierarchie
2017 $ 4. Integrale Katholiken, Jesuiten, Modernisten
A 820
Abg. Abgeordneter
B, Bochmann Notizen zu Sprache und Kultur. Hgg. v. Klaus Bochmann, Leipzig
und Weimar 1984
Battaglia Grande dizionario della lingua italiana, hgg. v. Salvatore Battaglia,
15 Bde., Turin 1961ff
BH Beschreibung der Hefte
Boothman Further Selections from the Prison Notebooks. Hgg. u. übers. v.
Derek Boothman, London (Lawrence & Wishart) 1994
Cav. cavaliere »Ritter« (Titel)
Comm. Commendatore, it. Ehrentitel (wörtlich: Komtur)
CPC La construzione del partito comunista (1923-1926), Einaudi, Turin
1971
Era-Ausgabe Cuadernos de la cärcel. Traducciön de Ana Maria Palos, revisada
por Jose Luis Gonzales. Ediciones Era, Mexico 1984 (Bd. 1,
Hefte 1-2; Bd. 2, Hefte 3-5; Bd. 3, Hefte 6-8)
FG Bücher Gramscis aus dem »Fondo Gramsci« ohne Eintragung des
Gefängnisses
FG, C.carc. Bücher des »Fondo Gramsci« mit Eintragung der Gefängnisse
(siehe Erläuterungen auf der folgenden Seite)
Francioni Gianni Francioni, L’Officina Gramsciana. Ipotesi sulla struttura
dei »Quaderni del Carcere«, Neapel 1984
G. Ghilarza In Ghilarza aufbewahrte Bücher Gramscis ohne Eintragungen der
Gefängnisse
G. Ghilarza, C.carc. In Ghilarza aufbewahrte Bücher Gramscis mit Eintragungen der
Gefängnisse
INT Gli intellettuali e l’organizzazione della cultura, Einaudi, Turin
1949
K, Kebir Marxismus und Literatur. Ideologie, Alltag, Literatur. Hgg. u.
übers. v. Sabine Kebir, Hamburg 1983
KWM Kritisches Wörterbuch des Marxismus, hgg. v. George Labica unter
Mitarbeit von G£rard Bensussan, 8 Bde., Berlin 1983-89
LE Lettere del carcere, Turin 1965
LVN Letteratura e vita nazionale, Turin 1949
IW V.I. Lenin, Werke, Dietz Verlag, Berlin 1961ff
MACH Note sul Machiavelli, sulla polıtica e sullo Stato moderno, Einaudi,
Turin 1949
MEW Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Dietz Verlag, Berlin 1956ff
Mons. Monsignore; kath. Würdenträger
MS Il materialismo storico e la filosofia di Benedetto Croce, Einaudi,
Turin 1949
Ms. Manuskript
ON L’Ordine Nuovo (1919-1920), Turin 1954
Abkürzungen
Editorische Zeichen
(..) = Einfügungen Gramscis
R ll Einfügungen der Herausgeber
Der größte Teil dieser Bücher weist den Stempel des Gefängnisses von Turi, die Häftlings-
nummer Gramscis (7074) und die Unterschrift des Direktors auf. Da während der Haftzeit
Gramscis vier verschiedene Direktoren aufeinander folgten, kann anhand der Unterschrift
. des jeweiligen Direktors der Zeitraum bestimmt werden, in welchem Gramsci das betreffende
Buch erhielt. Die Abkürzung FG, C.carc. wird daher durch die folgenden Angaben ergänzt:
Turi I: Unterschrift des Direktors G. Parmegiani, verstorben am 16. März 1929: entspricht
dem Zeitraum zwischen dem 19. Juli 1928, als Gramsci im Gefängnis von Turi eintraf, und
Ende Februar 1929.
Turi H: Unterschrift des neuen Direktors G. Gualtieri, der in Turi vom 31. Mai 1929 bis zum
24. November 1930 angestellt war: entspricht dem Zeitraum zwischen Mai 1929 und
November 1930.
Turı III: Unterschrift des Direktors V. Azzariti, von November 1930 bis zum 18. März 1933
in Turi im Dienst: entspricht diesem Zeitraum.
Turi IV: Unterschrift des Direktors P. Sorrentino, in Turı vom 18. März 1933 an im Dienst:
entspricht dem Zeitraum zwischen diesem Datum und dem 19. November 1933, als Gramsci
Turi verließ.
Turi, ohne Unterschrift des Direktor: betrifft die Bücher mit dem Stempel von Turı und der
Häftlingsnummer Gramscis, deren Aushändigung an ihn der Direktor untersagt hatte.
Wahrscheinlich sind sie Gramsci bei seiner Abreise von Turi übergeben worden.
Mailand: Bücher, die Gramsci während seines Aufenthaltes im Mailänder Gefängnis aus-
gehändigt worden sirid. Einige dieser Bücher tragen auch die Eintragung von Turi, worauf
jeweils hingewiesen wird. In anderen Fällen sind solche Bücher Gramstci in Tur auch ohne
Eintragung übergeben worden.
Nur sehr wenige Bücher weisen Eintragungen der Gefängnisse auf, in denen sich Gramsci
nur vorübergehend aufhielt (Palermo, Neapel).
Erratum zu Bd. 5:
Anm. 0 zu Heft 9, $130, A532, lies: Im Original: »intelligenza«.
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Argument