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201600022
© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Beton- und Stahlbetonbau 111 (2016), Heft 7 419
F.-K. Röder: Näherungsweise Berücksichtigung des Betonkriechens beim Nachweis der Kippstabilität von Stahlbetonträgem
\2
• a a|o a •
a D-D D
a oja a
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Bild 1 Einachsige und zweiachsige Biegung am Querschnitt mit Definition der Neigungswinkel a und ß
Uni-axiai and bi-axiai bending at cross section with definition of angles of inclination a and ß
Kriechverformungen rechnerisch zu erfassen und in die verfahren nach Theorie II. Ordnung vorliegt, mit der Ver-
anzusetzenden Vorverformungen mit einzubeziehen. formungen eines Stahlbeton- oder Spannbetonträgers in
Form einer Verdrehung um die Längsachse -0 und einer
Auf dieser Grundlage wird in den folgenden Kapiteln ein seitlichen Verschiebung v aus der Hauptbiegungsebene
Näherungsverfahren vorgestellt. Dabei wird auch auf heraus berechnet werden können.
Angaben zum Thema „Kriechen" zurückgegriffen, die in
DIN EN 1992-1-1:2011-01 [1], Abschnitt 5.8.4, zu finden Betrachtet wird ein gabelgelagerter Einfeldträger, der mit
sind. In den Erläuterungen zu DIN EN 1992-1-1:2011- seiner Eigenlast g^i im geometrischen Schwerpunkt des
01 [10] sind weitere Hinweise für eine praktikable Berech- Querschnitts, mit einer ständigen Gleichstreckenlast g^2
nungsmethode des Betonkriechens angegeben. Obwohl und mit einer veränderlichen Gleichstreckenlast q^ je-
die meisten dort getätigten Aussagen und Vorschläge sich weils mittig auf dem Obergurt belastet ist. Für die Berech-
vorzugsweise auf Bauteile unter Längsdruck beziehen, las- nungen wird ein rechtsdrehendes Koordinatensystem zu-
sen sich diese sinngemäß auch auf das Kippverhalten von grunde gelegt, wobei die x-Achse Trägerlängsachse ist.
Trägern anwenden. Bei Blickrichtung in +X zeigt dann die y-Achse in horizon-
taler Richtung nach rechts und die z-Achse in vertikaler
Die andere zeitabhängige Größe, das Schwinden des Be- Richtung nach unten (vgl. Bilder 7 und 9).
tons, wird durch die Berücksichtigung von Imperfektio-
nen (Vorverschiebung, Vorverdrehung) ebenfalls einen Ausgangspunkt für eine Stabilitätsuntersuchung auf Kip-
gewissen Einfluss auf die für das Kippverhalten maßge- pen ist der für Biegung bemessene vorgespannte oder
benden Verformungen besitzen. Es sind jedoch im Rah- nicht vorgespannte Träger, wobei diese Standardbemes-
men dieser Arbeit bisher noch keine Untersuchungen be- sung nur für eine normalerweise planmäßig in der Haupt-
züglich der Auswirkungen der Schwindverformungen auf biegungsebene angreifende Belastung durchgeführt wird
die hier betrachtete Kippstabilität vorgenommen worden. (Biegemoment My). Erst daran anschließend wird bei Er-
Deshalb liegen auch noch keine Erkenntnisse über die fordernis ein Kippnachweis geführt. Bei diesem Nachweis
Größenordnung dieser Schwindverformungen im Ver- der Kippstabilität werden bekanntlich geometrische Im-
gleich zu den Kriechverformungen vor. Näherungsweise perfektionen rechnerisch vorgegeben, wodurch zusätzli-
bleibt somit das Schwindverhalten des Betons bei der che Beanspruchungen hervorgerufen werden. Die maßge-
hier vorgestellten Vorgehensweise unberücksichtigt. bende Verformung aus der Berechnung nach Theorie II.
Ordnung ist eine Verdrehung $ um die Längsachse, wo-
durch auch seitliche Verschiebungen v hervorgerufen
2 Voraussetzungen werden. Mit der ermittelten Verdrehung -ö wird
näherungsweise ein Biegemoment Mz = My • $ bestimmt.
Für die Anwendung der im Abschn. 3 beschriebenen Vor- Aus einer ursprünglich einachsigen Biegebeanspruchung
gehensweise wird vorausgesetzt, dass ein Berechnungs- wird somit eine zweiachsige, für die ein Nachweis im
2.1 Bezeichnungen
Verformungen in Verformungen in der
Trägerlängsrichtung Querschnittsebene
€ Trägerlänge
gki Eigenlast im geometrischen Schwerpunkt des Quer- Zeitpunkt t - 0 (Belastungsbeginn):
schnitts Beton-Werkstoffverhalten - Kurzzeitverhalten (Bild 6, (pef = 0)
Die quasi-ständigen (=kriecherzeugenden) Einwirkungen g k]
gk2 ständige Last mittig auf dem Obergurt und gk2 (GZG) rufen zusätzlich zur vorgegebenen Vorverformung
Qk veränderliche Last mittig auf dem Obergurt (seitliche Vorverschiebung v0m und Vorverdrehung $0m) „elastische"
My Hauptbiegemoment um die y-Achse Kurzzeit-Verformungen hervor.
Mz Nebenbiegemoment um die z-Achse Berechnet werden eine seitliche Verschiebung v lm und eine
Verdrehung ö,m.
a Neigungswinkel zwischen My und Mz (Bild 1)
ß Neigungswinkel der Dehnungsnulllinie (Bild 1) Bild 2 Schematische Darstellung der elastischen Verformungen in Schritt 1
eC2 Betondehnung auf der Druckseite beim GZT (Bild 1) Schematic diagram of elastic deformations in step 1
ÜSZG) QE/CGZT)
kl (GZG)
(GZT)
3m
Bild 3 Schematische Darstellung der Kriech-Verformungen in Schritt 2 Bild 4 Schematische Darstellung der gesamten Verformungen in Schritt 3
Schematic diagram of creep deformations in step 2 Schematic diagram of total deformations in step 3
derlichen Einwirkung (z.B. Schnee bei Höhenlage des 3.1 Ermittlung der Kriechzahlen des Betons
Bauwerks > NN + 1 000 m) zusammen mit g2 anzusetzen.
Die Vorgehensweise zur Berechnung der mittleren
Schritt 3: Kriechzahl cpef für zwei ständige Lasten g^i und gk2 mit
Berechnung des Trägers in der ständigen oder vorüber- unterschiedlichen Belastungsdauern erfolgt in Anleh-
gehenden Bemessungssituation (Grenzzustand der Trag- nung an TROST [11] und ist im Bild 5 schematisch darge-
fähigkeit - GZT) ohne Kriecheinfluss: stellt.
Abschießend erfolgt die eigentliche Stabilitätsberechnung
nach Theorie II. Ordnung, wobei jedoch folgende Nach dem Ausschalen eines Trägers zum Zeitpunkt to;gi
Vorverformungen angesetzt werden: wird zuerst die Eigenlast gi freigesetzt. Dies hat sofort
Verformungen, ausgedrückt in Dehnungen egi, zur Fol-
Vom +v (pm ge. Im Laufe der Zeit vergrößern sich diese Dehnungen
'Ö'Om + durch den Kriecheffekt kontinuierlich auf Werte
(1 + cpi) • egl. Kommt zu einem späteren Zeitpunkt to;g2
In den Zusatz-Vorverformungen v<pm und ft^ sind die eine weitere ständige Last hinzu, so ruft diese Last zu-
allein durch das Kriechen des Betons verursachten Ver- nächst eine weitere sofortige Verformung in Form von
formungen für den zugrunde gelegten Zeitraum enthalten Dehnungen eg2 hervor. Auch diese Dehnungen eg2 neh-
(vgl. Bild 4). Da die das Niveau der quasi-ständigen Last- men zeitabhängig auf Werte (l + cp2) • eg2 zu. Die gesamte
anteile übersteigenden Einwirkungsgrößen definitions- Dehnung eines Trägers zu einem beliebigen Zeitpunkt t
gemäß nicht kriecherzeugend wirken, wird bei der Be-
rechnung nach Theorie II. Ordnung das Werkstoffverhal-
ten des Betons für Kurzzeitverhalten angesetzt.
l
F.-K. Röder: Näherungsweise Berücksichtigung des Betonkriechens beim Nachweis der Kippstabilität von Stahlbetonträgern
Bei einem Satteldachträger ist zu beachten, dass die Gabellagerung an beiden Enden
Berechnungen der maßgebenden Biegemomente und Alle Maße in cm Vorverformung sinusförmig mit
Verformungen für die Trägermitte erfolgen. Der Nach- einem Stich bei 112:
weis für den Grenzzustand der Tragfähigkeit (GZT) ist v0m = 0300 = 9,23 cm ; 90m = 0
oder
jedoch im kritischen Schnitt, der bei diesem Beispiel bei v0m = C/SQQ = 5,54 cm ; »Om=0,01
0,35€ mit einer Höhe von nur 1,67 m liegt, zu führen. Da
die Größe der Kriechzahlen von der Querschnittsgeome- Bild 7 Vorgespannter Satteldachträger Beispiel 1
Prestressed Saddle Shaped Beam example 1
trie abhängen, wird als Berechnungsquerschnitt für die
Kriechzahlen auch der kritische Schnitt gewählt. Um
nichtlineares Kriechen zu vermeiden, wird davon ausge-
gangen, dass beim Aufbringen der Vorspannung die der angesetzten Vorverschiebung v0m. Außerdem ergibt sich
Betondruckspannungen einen Wert von 0,45 • fck nicht aus dem Kriecheffekt eine verhältnismäßig große zusätz-
überschreiten. Für den ersten Belastungsabschnitt mit g^i liche Verdrehung $<pm. Bei der wirklichkeitsnäheren Imper-
von 3 bis 25000 Tagen ergibt sich eine Kriechzahl cp!(t,t0) fektion beträgt die berechnete seitliche Verschiebung v(?m
= 2,43, für den zweiten Belastungsabschnitt mit g^2 von infolge Kriechen etwa 80% der angesetzten Vorverschie-
30 bis 25000 Tagen eine Kriechzahl (p2(t,t0) = 1,57. Mit bung v0m. Die ermittelte Verdrehung d^m infolge Kriechen
den Biegemomenten in Trägermitte Mm gl = 966,3 kNm ist fast eineinhalbmal so groß wie die vorgegebene Vorver-
und Mm)g2 = 959,1 kNm folgt dann aus Gl. (2) eine effek- drehung $0m- Bei der Überlagerung der beiden Anteile wird
tive Kriechzahl cpef = 2,00. der gewählte Ansatz für die seitliche Vorverformung vom
etwa mit dem Faktor 1,6 bzw. 1,8 vergrößert, und die Vor-
Die Ergebnisse der ersten beiden Berechnungsschritte l verdrehung -dorn erhöht sich von 0 bzw. 0,01 auf fast 0,025.
und 2 gemäß Abschn. 3 sind in Tab. l zusammengestellt.
Mit den Ergebnissen aus Tab. l wird der in Abschn. 3
Die Berechnungsergebnisse der Tab. l zeigen sehr deutlich, beschriebene dritte Berechnungsschritt durchgeführt. Der
dass die berechneten Verformungen infolge des Kriech- Nachweis der Kippstabilität wird hierbei mit einem Nach-
effekts etwa in der gleichen Größenordnung wie die vor- weis des Grenzzustands der Tragfähigkeit (GZT) für die
gegebenen Imperfektionen liegen. Bei der Imperfektions- vorhandene zweiachsige Biegung, wie im Abschn. 2 be-
vorgabe nach der Norm ohne eine Vorverdrehung liegt die schrieben und im Bild l dargestellt, vorgenommen. Mit der
seitliche Verschiebung v<pm infolge Kriechen bei etwa 60% Gesamtverdrehung -5 = ^3m + -Ö0m + ft^ und dem Haupt-
Belastung = 7,32 - ll,45kN/m; gk2 = 10,0kN/m; M m>gl = 966,3kNm; Mm)g2 = 959,1 kNm
Kriechzahlen 9! = 2,43; 92 = 1,57; cpef = 2,00
Imperfektion nach DIN EN 1992-1-1:2011-01 [1], Abschn. 5.9: seitliche Auslenkung €7300
berechnete Verformungen Differenz gewählte gesamte
Schritt 1 Schritt 2 Schritt 2-Schritt 1 Imperfektion Imperfektion
Tab. 2 Ergebnisse für den Nachweis der Kippstabilität beim vorgespannten Satteldachträger Beispiel 1
Results for the anaiysis of lateral instabiüty for prestressed Saddie Shaped Beam Example 1
Einwirkende Belastung g kl>Ed = 1,35 • (7,32 - 11,45) kN/m; gk2jEd = 1,35 • 10,0 kN/m; qk>Ed = 1,5 • 9,3 kN/m; Mm>Ed = 3937 kNm
Biegemoment im kritischen Schnitt bei x/€ = 0,35: MEcj = 3572 kNm;
Verformungen im kritischen Schnitt sind entsprechend dem Sinusverlauf mit 0,891 zu multiplizieren (Klammerwerte).
Verformungen bei €/2
- Biegemomente im
Torsionsmoment T GZT im kritischen Schnitt Sicherheit
kritischen Schnitt
am Auflager
ohne Kriechen:
6,98
v0m = €7300 = 9,23 cm; 22,2 148,5 3572 222 3579 3,6 4701 69,0 -3,5 4,03 1,07
(6,22)
ohne Kriechen:
4,74
v0m = €/500 = 5,54 cm; 18,3 100,7 3572 183 3578 2,9 4959 65,4 -3,5 4,25 1,09
(4,22)
%n = 0,01 (0,0089)
mit Kriechen (Tab. 1):
8,94
vom + V(pm = 10,0 cm; 36,4 190,1 3572 364 3591 5,8 3920 77,4 -3,5 3,62 1,03
(7,96)
biegemoment MEcj)y wird ein Nebenbiegemoment dem Winkel a zur horizontalen y-Achse geneigt sein muss.
ME(j z = '
,, und mit beiden Momenten dann das resul-
3< ..
Der zugehörende Dehnungszustand am Querschnitt wird
tierende Moment ME(j = jM|d + M|d z ermittelt. Für die- dabei mit der Dehnung ec2 auf der Druckseite, der Dehnung
ses unter dem Winkel a zur y-Achse geneigte Moment MEd esi auf der Zugseite und dem Neigungswinkel ß der Deh-
ist am Querschnitt des kritischen Schnitts der Nachweis der nungsnulllinie zur y-Achse beschrieben. Die Kippsicherheit
Grenztragfähigkeit (GZT) zu führen. Auf der Widerstands- ist gegeben, wenn das widerstehende Moment MRd größer
seite wird ein Moment MRd bestimmt, das ebenfalls unter oder gleich dem einwirkenden Moment MEcj ist.
MRd = 5854 kNm; a = 0° MRd = 4701 kNm; a = 3,6° M Rd = 3579 kNm; a = 7,5°
8c2 « _355o/oo; Ss, = +11,6 %o; ß = 0° 8C2 = -3,5%o; es, - +4,3%o; ß = 69° ec2 = -3,596o; esi = +3,57%0; ß - 79,7C
Bild 8 Darstellung der Dehnungszustände des GZT am kritischen Querschnitt des vorgespannten Satteldachträgers Beispiel 1
View of strain state of ULS at critical cross section of prestressed Saddle Shaped Beam example 1
Die Ergebnisse dieser Berechnungen für die beiden geringfügig größer als bei der Berechnung ohne Kriech-
Vorverformungsfälle jeweils ohne und mit Berücksichti- effekt (3 579 kNm), aber der Neigungswinkel zur Hori-
gung eines Kriecheinflusses sind in Tab. 2 zusammenge- zontalen ist mit a = 7,5° mehr als doppelt so groß. Da-
fasst. Zum Vergleich ist auch der Fall der einachsigen durch wird auch der Neigungswinkel ß der Nulllinie auf
Biegung und als Information das Torsionsmoment am etwa 80° vergrößert, was eine Verringerung des aufnehm-
Auflager angegeben, das für eine Bemessung am Auflager baren Moments MRd auf nur noch 3 579 kNm zur Folge
für den Fall Querkraft und Torsion maßgebend ist. hat. Beide Momente MRd und MEd sind jetzt etwa gleich
groß (Abweichung = 0,6 %). Der Träger zeigt zwar durch
Für den Ansatz einer Vorverschiebung von €7300 ohne die Berücksichtigung des Kriecheinflusses eine spürbare
Vorverdrehung gemäß der Norm werden im kritischen Verschlechterung seines Kippverhaltens, kann aber noch
Schnitt die Momente MEd = 3 579 kNm und MRd = als rechnerisch kippstabil bezeichnet werden.
4701 kNm mit einem Neigungswinkel zur Horizontalen
a = 3,6° errechnet. Die Dehnungsnulllinie ist unter dem Die Ergebnisse für einen wirklichkeitsnäheren Ansatz einer
Winkel ß = 69,0° zur Horizontalen geneigt. Das Moment Vorverformung von €7500 mit einer gleichzeitigen
MRd liegt deutlich über dem Moment MEd. Der Träger Vorverdrehung von 0,01 zeigen bei den vergleichbaren Fäl-
kann damit als kippstabil bezeichnet werden. len mit oder ohne Kriecheinfluss eine ähnliche Tendenz,
wie vorstehend bereits beschrieben. Im Vergleich zum
Eine Berücksichtigung des Kriecheffekts bedeutet eine Norm-Ansatz sind die Zahlenwerte für die maßgebenden
spürbare Erhöhung der anzusetzenden Vorverformun- einwirkenden Momente MEd und die zugeordneten Nei-
gen. So vergrößert sich in Trägermitte die seitliche Vor- gungswinkel a bei diesem Ansatz etwas kleiner, wodurch
verschiebung von etwa 7 cm auf 12 cm und die Vorver- die aufnehmbaren Momente MRd deutlich größer werden.
drehung von 0 auf 0,023. Im kritischen Schnitt wird das Durch die Berücksichtigung des Kriecheffekts verringert
einwirkende Moment MEd mit 3 602 kNm zwar nur sich das Moment MRd zwar auch spürbar, liegt aber immer
noch deutlich über dem Moment MEcj. Der Träger kann in momente und Verformungen als auch die Stelle für den
diesem Fall als rechnerisch stabil eingestuft werden. Nachweis des Grenzzustands der Tragfähigkeit (GZT).
Zur Veranschaulichung sind die Dehnungszustände der Für den ersten Belastungsabschnitt mit g^i von 3 bis
fünf GZT-Fälle aus Tab. 2 im Bild 8 gemäß den Bezeich- 25000 Tagen lautet die Kriechzahl (pi(t,t0) = 3,04 und für
nungen aus Bild l dargestellt. Es ist erkennbar, dass den zweiten Belastungsabschnitt mit gk2 von 30 bis 25 000
schon sehr geringe Änderungen bei der Drehung der Tagen cp2(t,t0) - 1,97. Aufgrund der Biegemomente in Trä-
Dehnungsnulllinie sich wesentlich auf die Größe des germitte Mm>gi = 247,51 kNm und Mm)g2 = 303,75 kNm
Moments MRd auswirken, obwohl sich die Größe der ergibt sich dann aus Gl. (2) eine effektive Kriechzahl
Betondruckzone auch nur geringfügig ändert (Vergleich cpef = 2,45.
Skizzen obere mit unterer Reihe).
Die Ergebnisse der ersten beiden Berechnungsschritte l
und 2 gemäß Abschn. 3 sind in Tab. 3 zusammengefasst.
4.2 Nicht vorgespannter Stahlbetonträger Beispiel 2
Auch der Parallelgurtträger zeigt bezüglich der berechne-
Der Querschnitt des zweiten Beispielträgers ist im Bild 9 ten Kriechverformungen die gleiche Tendenz wie der
mit seinen Werkstoffdaten und Abmessungen dargestellt. Satteldachträger. Die ermittelten seitlichen Verschiebun-
gen v<pm sind in etwa gleich groß wie die angesetzten Vor-
Bei einem Parallelgurtträger ist die Trägermitte sowohl verschiebungen v0m. Bei der Imperfektionsvorgabe nach
die Stelle für die Berechnung der maßgebenden Biege- der Norm ohne eine Vorverdrehung ergibt sich aus dem
Kriecheffekt eine verhältnismäßig sehr große zusätzliche
Verdrehung $<pm. Bei der wirklichkeitsnäheren Imperfek-
tion wird die ermittelte Verdrehung ^^m infolge Kriechen
9k2 mehr als dreimal so groß wie die vorgegebene Vorverdre-
Querschnittshöhe :
T'TlT h = 160 cm konstant
hung -r>0m- B£i der Überlagerung wird der übliche Ansatz
für die seitliche Vorverformung vom verdoppelt, und die
Beton C40/50
Vorverdrehung $0m erhöht sich deutlich von 0 auf 0,026
Teilsicherheitsbeiwert yc = 1 ,5
bzw. von 0,005 auf 0,021.
Langzeiteinfluss: acc = 0,85
f^ = 0,85-40/1 ,5 = 22,78 N/mm2
Mit den Ergebnissen aus Tab. 3 wird der in Abschn. 3
WYc = (40+8)/1 ,5 = 32,0 N/mm2
beschriebene dritte Berechnungsschritt durchgeführt. Der
71
Betonstahl B50Q Nachweis der Kippstabilität wird dabei mit einem Nach-
im Steg unten 6 0 28 weis des Grenzzustands der Tragfähigkeit (GZT), wie im
im Obergurt 4 0 12
Es = 200000 N/mm2
Abschn. 2 beschrieben und im Bild l dargestellt, vorge-
fyn = 500 N/mm2
nommen. Die Vorgehensweise für diese Berechnungen ist
bereits im Abschn. 4.1 beschrieben.
ftk|Cal = 525 N/mm2
Teilsicherheitsbeiwert ys = 1 ,15
Tab. 4 zeigt die Berechnungsergebnisse für die beiden
Eigenlast gk1 = 6,1 1 kN/m Vorverformungsfälle jeweils ohne und mit Berücksichti-
160 Teilsicherheitsbeiwert yG = 1 ,35 gung eines Kriecheinflusses, zu Vergleichszwecken auch
geometrischer Schwerpunkt
145 zgeo = 71 cm von Oberkante Träger
den Fall der einachsigen Biegung und zur Information
das Torsionsmoment am Auflager, das für eine Bemes-
ständige Last gtö = 7,5 kN/m sung am Auflager für den Fall Querkraft und Torsion
mittig auf dem Obergurt
Teilsicherheitsbeiwert yQ = 1 ,35
maßgebend ist.
Veränderliche Last qk = 8,0 kN/m Für den Ansatz einer Vorverschiebung von €7300 ohne
mittig auf dem Obergurt
Vorverdrehung gemäß der Norm werden in Trägermitte
Teilsicherheitsbeiwert yQ = 1 ,5
die Momente MEd =1231 kNm und MRd = 2151 kNm
Trägerlänge C - 18m mit einem Neigungswinkel zur Horizontalen a = 1,9° und
Gabeliagerung an beiden Enden eine unter dem Winkel ß = 70,4° zur Horizontalen geneig-
Vorverformung sinusförmig mit
ten Dehnungsnulllinie ermittelt. Das Moment M Rc j liegt
-3F einem Stich bei C/2:
deutlich über dem Moment MEc}. Der Träger besitzt für
diesen Fall also eine ausreichende Kippstabilität.
li
^ oder
Eine Berücksichtigung des Kriecheffekts erhöht die anzu-
v0m = #500 = 3,6 cm ; 90m = 0,005
setzenden Vorverformungen spürbar. So nimmt in Trä-
Alle Maße in cm
germitte die seitliche Vorverschiebung von 6 cm auf etwa
V* 12 cm und die Vorverdrehung von Null auf 0,026 deut-
Bild 9 Stahlbetonträger Beispiel 2 lich zu. Im Mittelquerschnitt bleibt der Einfluss auf das
Reinforced Concrete Beam example 2 einwirkende Moment M Ec j mit 1236 kNm im Vergleich
Belastung gki = 6,11 kN/m; gk2 = 7,5 kN/m; Mm;gl = 247,51 kNm; Mm;g2 = 303,75 kNm
Kriechzahlen 9! = 3,04; cp2 = 1,97; cpef = 2,45
Imperfektion nach DIN EN 1992-1-1:2011-01 [1], Abschn. 5.9: seitliche Auslenkung €7300
berechnete Verformungen Differenz gewählte gesamte
Schritt 1 Schritt 2 Schritt 2-Schritt 1 Imperfektion Imperfektion
Tab. 4 Berechnungsergebnisse für den Nachweis der Kippstabilität beim Stahlbetonträger Beispiel 2
Results of calculation by the analysis of lateral instability for Reinforced Concrete Beam Exampie 2
Einwirkende Belastung g k i iEd = 1,35 • 6,11 kN/m; gk2,Ed = 1,35 • 7,5 kN/m; qk;Ed = 1,5 • 8,0 kN/m; Mm;Ed = 1230 kNm;
Berechnete Verformungen und Biegemomente bei €72;
GZT Sicherheit
Torsionsmoment T am Auflager
ohne Kriechen:
vom- ^/300 = 6,0 cm; 3,4 6,2 29,1 1 230 42 1231 1,9 2151 70,4 -3,5 3,5 1,27
ohne Kriechen:
v0m = €7500 = 3,6 cm; 2,2 4,9 18,9 1230 33 1230 1,5 2193 63,4 -3,5 4,59 1,33
#0m = 0,005
mit Kriechen (Tab. 3):
V0m + Vcpm = 7,6 CHi; 4,9 13,0 42,9 1230 86 1233 4,0 1586 82,0 -3,5 2,13 1,12
zur Berechnung ohne Kriecheffekt (l 231 kNm) zwar Zur Erhöhung der Kippstabilität könnte z.B. die Last
klein, aber der Neigungswinkel zur Horizontalen verdrei- verringert werden. Bemerkenswert ist hier jedoch, dass
facht sich auf a = 5,7°. Dadurch erhöht sich auch der sich die Größe des widerstehenden Moments MRJ mit
Neigungswinkel ß der Nulllinie auf etwa 86°, was wieder- 1177 kNm gegenüber der Bemessung für einachsige Bie-
um eine Verkleinerung des aufnehmbaren Moments MRd gung mit 2 328 kNm praktisch halbiert hat.
auf nur noch 1177 kNm zur Folge hat. Obwohl das Mo-
ment MRcj etwa 5 % kleiner als M Et j ist, ist eine Einstu- Für einen wirklichkeitsnäheren Ansatz einer Vorver-
fung des Trägers als „eingeschränkt kippstabil" vertretbar. formung von £7500 mit einer gleichzeitigen Vorverdre-
MRd = 2328 kNm; a = 0° MRd = 2151 kNm; a = 1,9° MRd = 1177 kNm; a - 5,7°
sC2 = -3,5%o; Ssi = + l,7%o; ß = 0° ec2 = -3,5%o; ssl = +3,5%0; ß = 70,4° sc2 = -3,5%o; e st = +2,34%0; ß = 85,9°
hung von 0,005 zeigen die Ergebnisse bei den ver- auf Kippen berücksichtigt werden kann. Das vorgeschla-
gleichbaren Fällen mit oder ohne Kriecheinfluss in die gene Näherungsverfahren zur Berücksichtigung des
bereits beim Beispiel l beschriebene Richtung. Der Betonkriechens beim Nachweis der Kippstabilität ist ein-
Kriecheinfluss fällt jedoch wesentlich geringer aus. Das fach anwendbar und kann in jedes gängige Berechnungs-
aufnehmbare Moment M R( j besitzt mit 1586 kNm einen verfahren der Kippstabilität integriert werden. Wie die
deutlichen Abstand vom einwirkenden Moment M Ec j Beispielberechnungen zeigen, liefert die vorgestellte
mit 1233 kNm. Der Träger bleibt auch unter Berück- Methode einleuchtende Ergebnisse.
sichtigung des Kriecheffekts mit genügender Sicher-
heitsreserve kippstabil. Die ermittelten Kriechverformungen v^m und fypm liegen in
der gleichen Größenordnung, wie sie üblicherweise bereits
Die Dehnungszustände der fünf GZT-Fälle aus Tab. 4 für die Vorverformungen vom und -öom zur Berücksichti-
werden im Bild 10 gemäß den Bezeichnungen aus Bild l gung der geometrischen Ungenauigkeiten bei der Träger-
anschaulich dargestellt. Wie beim Beispiel l zeigen auch herstellung und bei der Lasteinleitung angesetzt werden.
hier bereits kleine Änderungen bei der Drehung der Deh- Die Größe der allein durch den Kriechvorgang beim Beton
nungsnulllinie und daraus folgende Größenänderungen ermittelten Verformungen sind außer von den Berech-
der Betondruckzone deutliche Auswirkungen auf die nungsvorgaben für den Kriechvorgang selbst und vom Trä-
Größe des Moments MR^ (Vergleich der Skizzen obere gertyp (mit oder ohne Vorspannung) jedoch auch noch in
mit unterer Reihe). gewissem Maße vom verwendeten Berechnungsverfahren
der Kippstabilität abhängig. Dies zeigen mit dem genaueren
Verfahren [2] durchgeführte Vergleichsberechnungen.
5 Zusammenfassende Bemerkungen, Erkenntnisse
und Ausblick Falls konstruktive Maßnahmen ergriffen werden müssten,
um Stahlbetonträger auch unter zusätzlichen Kriechverfor-
Es wird eine Möglichkeit vorgestellt, wie auch das mungen zu stabilisieren, wird auf einen Katalog von mögli-
Langzeitverhalten des Betons beim Stabilitätsnachweis chen Maßnahmen in [5], Kap. 7.7, verwiesen. Eine einfa-
ehe, immer sehr wirksame Möglichkeit ist eine Erhöhung Betonkriechens die Vorverschiebungen v0m in etwa ver-
der Betonfestigkeitsklasse, was bei Trägern mit genügend doppelt und die Vorverdrehungen $0m ungefähr auf das
Tragreserven bezüglich des für einachsige Biegung bemes- Zwei- bis Vierfache vergrößert. Das für den Versagensfall
senen Biegeträgers meist schon ausreicht. Auch Obergurt- ausschlaggebende Moment M Rc j wird im Vergleich zum
verbreiterungen von nur wenigen Zentimetern tragen ganz Bemessungsfall „einachsige Biegung" unter diesen Bedin-
wesentlich zu einer Erhöhung der Kippstabilität bei. gungen im Extremfall praktisch halbiert (vgl. Beispiel 2). In
[5], Kap. 8.5, sind die Ergebnisse zweier weiterer Beispiele
Es ergeben sich deutliche Erhöhungen der üblicherweise angegeben, die die beschriebenen Tendenzen bestätigen.
anzusetzenden Vorverformungen, die nur die Ungenauig- Ob die hier festgestellten Größenordnungen der Kriech-
keiten bei der Trägerherstellung und Lasteinleitung be- verformungen jedoch ganz allgemein gelten, kann nur mit
rücksichtigen, wenn der Einfluss des Kriechens in diesen weiteren systematischen Untersuchungen abgeklärt wer-
Vorverformungen auch noch berücksichtigt werden soll. den. Grundsätzlich wird eine Berücksichtigung des Beton-
Im Vergleich zu den angesetzten Vorverformungen wer- kriechens in der vorgeschlagenen Form zu einer spürbaren
den je nach Beispiel durch die Berücksichtigung des Erhöhung der anzusetzenden Vorverformungen führen.
Literatur
[1] DIN EN 1992-1-1:2011-01, Eurocode 2: Bemessung und derer Berücksichtigung räumlicher Stabilitätsprobleme des
Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken Massivbaus. Dissertation, Universität Kaiserslautern 1994,
- Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für D386.
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university press GmbH, Kassel, 2015, ISBN 978-3-86219-
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www.upress.uni-kassel.de/katalog/abstract.php7978-3- Autor
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Dr.-lng. Friedrich-Karl Röder
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Karl-Marx-Str. 9
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34266 Niestetal
ten Theorie II. Ordnung unter allgemeiner Belastung.
roeder@uni-kassel.de
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[8] BACKES, W.: Ein Beitrag zur geometrisch und physikalisch
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