Nomos
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Schriften zur rechtswissenschaftlichen Didaktik
herausgegeben von
Dr. Denis Basak, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a.M.
Prof. Dr. Reinhard Bork, Universität Hamburg
Prof. Dr. Barbara Dauner-Lieb, Universität zu Köln
Prof. Dr. Martina Deckert, Universität Kassel
Prof. Dr. Jörn Griebel, Universität zu Köln
Dr. Albrecht Hatzius, Hochschule für
Angewandte Wissenschaften Hamburg
Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
PD Dr. Konrad Lachmayer, Universität Wien
Prof. Dr. Holm Putzke, Universität Passau
Prof. Dr. Anne Röthel, Bucerius Law School Hamburg
Prof. Dr. Rolf Sethe, LL.M., Universität Zürich
Prof. Dr. Hans-Heinrich Trute, Universität Hamburg
Band 12
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Jörn Griebel (Hrsg.)
Nomos
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-8487-5264-5 (Print)
ISBN 978-3-8452-9438-4 (ePDF)
1. Auflage 2018
© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2018. Gedruckt in Deutschland. Alle Rechte,
auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der
Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Vorwort
5
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Vorwort
Jörn Griebel
6
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Inhalt
Motivation im Jurastudium
Frank Bleckmann 97
Tagungsforum
Martin Zwickel/Jörn Griebel 181
7
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Anregungen für ein effektives Selbststudium anhand
von Fällen sowie für die richtige Lektüre und die
Gestaltung von Lehrbüchern
Tomas Kuhn*
Thema des ersten Teils dieses Beitrags ist das Selbststudium anhand von
Fällen. Hintergrund für die Wahl dieses Themas ist meine Überzeugung,
dass die Beschäftigung mit Fällen gerade auch im Selbststudium besonders
wichtig und zugleich ein Baustein für die in der Überschrift angesprochene
Effektivität des Selbststudiums ist. Dies hat mehrere Gründe:
9
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tomas Kuhn
B. Konkretes Vorgehen
Eine Mischung aus kurzen und langen Fällen ist besonders in der Phase der
Vorbereitung auf die Staatsprüfung zu empfehlen, in der fünfstündige Klau-
suren zu bearbeiten sind. Auch schon in der Studieneingangsphase kann und
sollte man aber auch anhand von kürzeren Fällen üben. Gedacht ist dabei
etwa an die Reihe »Prüfe Dein Wissen« (Verlag C.H. Beck), die für alle
drei Pflichtfächer erschienen ist und sich für alle Phasen des Studiums eig-
net.
Lange Übungsfälle haben v.a. folgende Vorteile:
(1) Die Einzelphänomene sind als solche leichter erkennbar, da sie nicht in
eine komplexe Lösung eingebaut sind.
(2) Kleinere Arbeitseinheiten kosten weniger Überwindung.
(3) Das Zeitmanagement ist einfacher. Ggf. bleibt ja nur noch wenig Zeit
bis zu einer geplanten Unterbrechung oder dem geplanten Ende der
Lernzeit.
10
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Anregungen für ein effektives Selbststudium
Es sollte vorher nicht zu detailliert bekannt sein, worin die Probleme des
Falles liegen. So empfiehlt sich etwa für die Fälle der Reihe »Prüfe Dein
Wissen«, die Überschriften der einzelnen Fälle abzudecken. Beispielsweise
wird es meist genügen, zu wissen, dass sich ein Fall mit der Hypothek be-
schäftigt.
Etwaige Angaben zum Schwierigkeitsgrad des Falles oder zu einer etwa-
igen Notenverteilung helfen dagegen dabei, das eigene Leistungsvermögen
besser einzuschätzen.
Oftmals wird der Fall auch Stoff enthalten, mit dem man sich zuvor nicht
beschäftigt hat. Dies ist aber, sofern es sich in Grenzen hält, kein Nachteil.
Im Examen wird man voraussichtlich ebenfalls vor Problemen stehen, die
man zumindest in der betreffenden Konstellation vorher noch nicht behan-
delt hat. Es schadet also nichts, den Umgang mit solchen Situationen zu
üben. In der Regel sollte man auch in einem solchen Fall zumindest eine
Vorstellung davon haben, wo sich die Vorschriften zur Lösung des unbe-
kannten Problems befinden, und sobald man sie gefunden hat, müsste man
sie zumindest dem Wortlaut nach auch anwenden können. Auch zu der
Frage, an welcher Stelle sie in der Lösung anzusprechen sind, müsste man
zumindest eine Idee haben, wenn man genau auf die Fallfrage blickt, sich
um eine geordnete Gedankenführung bei deren Beantwortung bemüht und
sich für die Struktur der gefundenen Vorschrift interessiert (Orientierung an
ihrer Rechtsfolge, was den Aufbau angeht;2 dagegen Blick auf den Sach-
verhalt, was ihre Voraussetzungsseite und somit die Subsumtion betrifft).
1. Auch Ausformulieren?
11
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tomas Kuhn
Im Anschluss wird die Musterlösung gelesen. Dies sollte durchaus mit kri-
tischem Blick geschehen. Die Qualitätskriterien, an denen die eigene Lö-
sung gemessen wird,3 gelten auch hier.
____________________
3 Dazu unten IV.2.
12
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Anregungen für ein effektives Selbststudium
1. Allgemeines
Nach der Lektüre der Musterlösung wird diese mit der eigenen Lösungs-
skizze verglichen. Dabei steht die Analyse der Abweichungen im Vorder-
grund.
Fehler und ihre Vermeidbarkeit sollte man dabei unbedingt »sportlich«
sehen, also als Reiz und Herausforderung, zumal es bei den vermeidbaren
Fehlern nicht um Wissensdefizite geht. Die Vermeidbarkeit zeigt ja gerade:
Es geht auch besser!
Dabei sollte man sich fragen:4 Was habe ich anders gemacht? War das
falsch oder zumindest weniger gut? Warum? Falls ein Fehler vorliegt: Wie
hätte ich ihn vermeiden können?
Die eigene Lösungsskizze sollte anhand der Originallösung (soweit diese
überzeugend erscheint) mit anderer Farbe korrigiert und ergänzt werden.
Die Anmerkungen können dabei durchaus auch Antworten auf die soeben
formulierten Fragen enthalten.
2. Fehleranalyse im Besonderen5
____________________
4 Näher dazu unten 2.
5 S. dazu auch Zwickel/Schmid/Lohse, Kompetenztraining Jura – Leitfaden für eine
juristische Kompetenz- und Fehlerlehre, Berlin/Boston 2014; Kuhn, Konsequen-
zen aus Fehlern in Klausurbearbeitungen für die juristische Lehre, in: Grie-
bel/Gröblinghoff (Hrsg.), Von der juristischen Lehre, Baden-Baden 2012, S. 105
(105 ff.).
6 http://www.ird.uni-passau.de/weitere-angebote/einzelcoaching/ (letzter Abruf am
1.9.2018).
13
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tomas Kuhn
Rechtsfolgenorientierte Prüfung
Nur an der betreffenden Stelle relevante
Rechtsfolgen
Sonstige Aufbaufragen
Behauptungen begründen
Überzeugungskraft der Argumente
Begründungstiefe
Vorhandensein von Gegenargumenten
Verständnis im Übrigen
Genauigkeit im Übrigen
14
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Anregungen für ein effektives Selbststudium
Sachverhaltserfassung
Wissen
Sonstiges
15
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tomas Kuhn
…bei der Prüfung des § 280 Abs. 1 BGB als alleinige Anspruchsgrund-
lage (also nicht i.V.m. Abs. 2 oder Abs. 3) nicht geprüft wird, dass der
ersatzfähige Schaden weder von § 280 Abs. 2 BGB noch von § 280
Abs. 3 BGB erfasst sein darf, also kein Schaden wegen Nichtleistung
sein darf, oder
…bei § 179 Abs. 1 BGB die aus § 179 Abs. 2 BGB zu entnehmende
Voraussetzung übersehen wird, dass der Vertreter keine Kenntnis von
seiner fehlenden Vertretungsmacht haben darf, oder
…bei § 994 Abs. 1 BGB die aus § 994 Abs. 2 BGB folgende Voraus-
setzung übersehen wird, dass der nichtberechtigte Besitzer im Moment
der Verwendungsvornahme unverklagt und redlich gemessen am Maß-
stab des § 990 Abs. 1 S. 1 und S. 2 BGB gewesen sein muss.
Die in der obigen Tabelle erwähnten Kategorien lassen sich auch noch kon-
kreter fassen bzw. weiter differenzieren. Je abstrakter die Kategorie formu-
liert ist, desto mehr Aussagekraft kann sie über die konkrete Klausur hinaus
haben. Sicher ist dies jedoch nicht: Es könnte nämlich auch sein, dass der
Fehler gerade nur unter den besonderen Umständen der betreffenden Klau-
sur (oder zumindest unter einigen dieser Umstände) unterlaufen ist. Man
sieht hier: Die Entscheidung darüber, wie konkret oder abstrakt der Fehler
formuliert werden sollte, hängt eng mit der (unter e) behandelten) Frage
zusammen, worin die Fehlerursachen liegen könnten.
Konkretisieren lässt sich z.B. die Kategorie »Relevante Vorschriften fin-
den«: Handelt es sich bei der Norm, die nicht gefunden wurde, um eine mir
bislang unbekannte Norm oder kannte ich die Vorschrift »eigentlich«?
Bei der Kategorie »Problembewusstsein (Erkennen von Problemen)«
könnte man im Zivilrecht etwa wie folgt konkreter werden:
Es wurde eine Vorschrift geprüft, die hier nicht anwendbar war (insbe-
sondere, weil sie – zumindest nach h.M. – gesperrt war, so etwa §§ 823
ff. BGB durch § 993 Abs. 1 a.E. BGB, § 951 Abs. 1 BGB durch §§ 994
16
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Anregungen für ein effektives Selbststudium
ff. BGB oder § 119 Abs. 2 BGB oder die c.i.c. durch §§ 434 ff. BGB,
§§ 536 ff. BGB und §§ 633 ff. BGB).
Es wurde übersehen, dass bei der Prüfung einer konkreten Vorschrift
nach dem vorliegenden Sachverhalt mehrere Rechtsfragen zusammen-
treffen. Beispiele für das Strafrecht: Besonderheiten beim Versuch ei-
nes erfolgsqualifizierten Delikts oder eines Delikts im Falle eines Re-
gelbeispiels oder beim Rücktritt im Falle mehrerer Beteiligter.
Es wurde eine nach der Aufgabenstellung erforderliche Abgrenzung zu
einem anderen Rechtsinstitut/einer anderen Vorschrift übersehen. Bei-
spiel: Geprüft wurde nur eine auflösende Bedingung (§ 158 Abs. 2
BGB), nach ihrer Verneinung aber nicht zusätzlich die Zweckverfeh-
lungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB) und der Wegfall der
Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB).
Eine Sachverhaltsangabe wurde bei der Prüfung nicht hinreichend be-
rücksichtigt.7 So wird z.B. typischerweise die Minderjährigkeit eines
Beteiligten an mehreren Stellen in der Lösung einer zivilrechtlichen
Klausur relevant (etwa §§ 106 ff. BGB, § 682 BGB, § 828 BGB [auch
analog bei Schadensersatzansprüchen außerhalb der §§ 823 ff. BGB];
Minderjähriger als tauglicher Leistender/Anweisender im Sinne des
Bereicherungsrechts?; § 819 BGB: auf Kenntnis des Minderjährigen
selbst oder seines gesetzlichen Vertreters abzustellen?).
Neben im Sachverhalt erwähnten rechtlichen Argumenten zu bestimm-
ten Problemen wurden keine weiteren Argumente gesucht. Beispiel:
Hinweis im Sachverhalt auf den Erbschein als mögliche Grundlage für
das Freiwerden von der Verbindlichkeit trotz Leistung an den Nichtbe-
rechtigten, also mittelbar Hinweis auf § 2367 Alt. 1 BGB; daneben oder
stattdessen aber Einschlägigkeit von §§ 2019 Abs. 2, 407 Abs. 1 Alt. 1
BGB und von § 851 BGB, aus denen sich jeweils die gleiche Rechts-
folge ergibt.
Auch die Kategorie »Verständnis im Übrigen« wird sich in vielerlei
Hinsicht konkretisieren lassen. Mögliche Beispiele:
____________________
7 Mit der Kategorie »Sachverhaltserfassung« ist in der obigen Tabelle dagegen eher
gemeint, dass eine Information aus dem Sachverhalt überhaupt nicht wahrgenom-
men oder missverstanden wurde.
17
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tomas Kuhn
aa) Allgemeines
Wie hätte ich in der Klausur die Norm finden können, die ich nicht entdeckt
habe?
Unterfall 1: Ich habe in dieser Klausur eine Norm nicht gefunden, die ich
bislang auch nicht kannte.
Wie hätte ich die Norm finden können?
18
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Anregungen für ein effektives Selbststudium
o § 445 BGB: betrifft sowohl §§ 433 ff. BGB als auch §§ 1228 ff.,
1233 ff. BGB
o § 216 Abs. 1, Abs. 2 BGB: betrifft sowohl die Verjährung als auch
die dort genannten Sicherungsrechte (sinnvollerweise im Verjäh-
rungsrecht geregelt, da mehrere Sicherungsrechte betreffend).
Unterfall 2: Ich habe in dieser Klausur eine Norm nicht gefunden, die ich
eigentlich kenne. Denkbare Gründe dafür:
(1) Ich habe die Norm bislang nur mit anderen Sachverhalten in Verbin-
dung gebracht.
Beispiel: § 816 Abs. 1 S. 1 BGB wurde zu folgendem Sachverhalt
nicht gefunden:
E bestellt der B eine Hypothek; alle Voraussetzungen liegen vor, nur
die Auszahlung des Darlehens unterbleibt ( Eigentümergrundschuld
für E, §§ 1163 Abs. 1 S. 1, 1177 Abs. 1 S. 1 BGB).
B überträgt die vermeintliche Hypothek entgeltlich an den gutgläu-
bigen D, der gemäß §§ 873 Abs. 1 Fall 3, 1153 Abs. 1, 1154, 1138 Fall
1, 892 BGB eine forderungsentkleidete Hypothek erwirbt.
Dem E steht gegen B ein Anspruch (u.a.) aus § 816 Abs. 1 S. 1
BGB zu.
§ 816 Abs. 1 S. 1 BGB habe ich hier vermutlich deswegen übersehen,
weil es sich um eine andere Verfügung als eine Übereignung handelt.
Letztere kommt in Klausuren als Verfügung i.S.d. § 816 Abs. 1 S. 1
BGB viel häufiger vor.
(2) Ich habe eine andere Vorschrift angewendet und bejaht und (ggf. unbe-
wusst) fälschlich keinen Raum mehr für die Anwendung der weiteren
Vorschrift gesehen.
Z.B. § 285 Abs. 1 BGB neben § 816 Abs. 1 S. 1 BGB und/oder neben
§§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 S. 1 BGB.
(3) Ich habe zu wenig von den (für die Fallfrage relevanten) Rechtsfolgen
her gedacht.
Beispiel: Ich habe das Problem der Vormerkung nicht im Rahmen von
§ 275 Abs. 1 BGB geprüft.
Ich habe wohl zu wenig von der hier relevanten Rechtsfolge der Vor-
merkung her gedacht, die in der relativen Unwirksamkeit der Verfü-
gung gegenüber dem Vormerkungsberechtigten besteht (§ 883 Abs. 2
S. 1 BGB; zur Relativität s. § 888 Abs. 1 BGB: »gegenüber demjeni-
gen«).
19
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tomas Kuhn
Oder: Ich habe zwar bei der Vormerkung von den Rechtsfolgen her
gedacht und habe auch die hier relevante Rechtsfolge »Unwirksamkeit
der Verfügung gegenüber dem Vormerkungsberechtigten« gefunden.
Aber ich bin nicht auf die Idee gekommen, das Problem beim Anspruch
auf Übereignung aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB unter § 275 Abs. 1 BGB
zu diskutieren. Ich habe mir nämlich nicht klar genug gemacht, dass die
Rechtsfolge des § 883 Abs. 2 S. 1 BGB »relative Unwirksamkeit der
Verfügung gegenüber dem Vormerkungsberechtigten« für die hier re-
levante Prüfung des Anspruchs aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB bedeutet:
Die Übereignung ist nicht unmöglich.
Oder: Ich habe schon die Einwendung des § 275 Abs. 1 BGB gegen
den durch die Vormerkung gesicherten Anspruch nicht geprüft, weil die
Vormerkung den Vormerkungsberechtigten doch gerade schützt (eben
sichert). Dazu ist Folgendes zu sagen: Es ist zwar richtig, dass die Vor-
merkung (§ 883 Abs. 2 S. 1 BGB) gerade zur Verneinung von § 275
Abs. 1 BGB führt. Das Problem muss aber trotzdem bei einem mögli-
chen Gegenrecht gegen den Anspruch aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB un-
tergebracht werden, weil nach diesem Anspruch gefragt war.
(4) Wie kann ich verhindern, speziell die Ansprüche aus § 687 Abs. 2 S. 1
BGB (i.V.m. § 678 BGB und i.V.m. §§ 681 S. 2, 667 Alt. 2 BGB) zu
übersehen?
An § 687 Abs. 2 S. 1 BGB muss ich denken...
20
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Anregungen für ein effektives Selbststudium
Oder: Ich habe mir gar nicht bewusst gemacht, dass es in diesem
Sachverhalt um anfängliche Unmöglichkeit eines vertraglichen An-
spruchs geht (zu der mir § 311a Abs. 2 BGB »an sich« durchaus einge-
fallen wäre). Hierzu muss ich mir für künftige Fälle klarmachen: Bei
nicht behebbaren Sachmängeln z.B. wird es sehr oft um anfängliche
Unmöglichkeit gehen, weil der Sachmangel ja gemäß § 434 BGB zu-
mindest bereits bei Gefahrübergang vorgelegen haben muss – und da-
mit oft auch schon bei Vertragsschluss vorlag.
Z.B. § 326 Abs. 5 BGB, der einen Rücktritt voraussetzt, angewendet
statt § 326 Abs. 4 BGB, der zu einem Rückgewähranspruch ohne Rück-
tritt führt.
Der Fehler wurde vermutlich deswegen gemacht, weil sich die Fälle
des § 326 Abs. 4 BGB auch unter den Wortlaut des § 326 Abs. 5 BGB
subsumieren lassen.
Mögliche Strategien zur Vermeidung des Fehlers:
Allgemein: Welche Frage hätte ich mir stellen müssen, um das Problem zu
sehen? Warum habe ich mir diese Frage nicht gestellt? Hätte mein Vorwis-
sen/mein Vorverständnis eigentlich ausgereicht, um auf diese Frage zu
kommen? In der Tabelle oben unter a) steckt die (zugegebenermaßen etwas
überspitzte8) These, dass letztere Frage (in der Regel) zu bejahen ist. Denn
andernfalls wäre ein Eintrag in der Kategorie »Problembewusstsein« (in der
Regel) zugleich (oder auch stattdessen) ein Eintrag in der Kategorie »Wis-
sen«.
Bei der Suche nach Delikten von den nach dem Sachverhalt be-
troffenen Rechtsgütern ausgehen.
Analysieren, welche Delikte gemeinsam mit dem übersehenen ein-
schlägig waren: War das möglicherweise typisch?
Welche Delikte übersehe ich besonders häufig und warum vermut-
lich? So wird etwa § 316a StGB (räuberischer Angriff auf Kraft-
fahrer) besonders häufig übersehen. Eine mögliche Erklärung
könnte darin liegen, dass entweder nach Vermögensdelikten oder
nach Straßenverkehrsdelikten gesucht wird, nicht aber nach einem
Delikt, das beide dieser Lebensbereiche zugleich betrifft.
(2) Ich habe mich einfach für eine Beteiligungsform entschieden, statt eine
Abgrenzung zwischen verschiedenen in Betracht kommenden Beteili-
gungsformen vorzunehmen.
Mögliche Strategie zur Vermeidung des Fehlers: Sich klarmachen,
dass bestimmte Beteiligungsformen eine Nähe zueinander aufweisen,
so speziell die Paare Mitttäterschaft – Beihilfe und Anstiftung – mittel-
bare Täterschaft.
(3) Ich habe ein Fahrlässigkeitsdelikt nicht geprüft, den Versuch eines De-
likts nicht geprüft, den Rücktritt vom Versuch nicht geprüft.
Mögliche Strategien zur Vermeidung des Fehlers:
____________________
8 S. dazu bereits oben b).
22
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Anregungen für ein effektives Selbststudium
(4) Ich habe übersehen, bei der Prüfung des Versuchs die Besonderheit zu
berücksichtigen, dass es sich um ein erfolgsqualifiziertes Delikt han-
delt.
Mögliche Strategie zur Vermeidung des Fehlers: Sich bei der Prü-
fung jedes Delikts die Frage stellen, welche dogmatischen Besonder-
heiten das jeweilige Delikt aufweist (weiteres Beispiel: eigenhändiges
Delikt) und inwieweit diese Besonderheiten die Prüfung beeinflussen.
(5) Ich habe Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe übersehen.
Mögliche Strategien zur Vermeidung des Fehlers:
(1) Ich habe bei der Prüfung der Klagebefugnis eines nichtgrundrechtsfä-
higen Klägers (etwa: einer Gebietskörperschaft wie einer Gemeinde)
die Adressatentheorie angewandt, obwohl diese aus Art. 2 Abs. 1 GG
hergeleitet wird.
(2) Ich habe bei einer polizeirechtlichen Klausur zu wenig den verfas-
sungsrechtlichen Hintergrund des Art. 8 GG beachtet.
Mögliche Strategie zur Vermeidung dieser Fehler: Im Verwaltungs-
recht (hier: Besonderer Teil) stets verfassungsrechtliche Bezüge im
Auge behalten (neben Grundrechten etwa auch Prinzipien wie
____________________
9 Ähnliche Gefahr bei § 254 Abs. 2 S. 1 BGB, wo es um Mitverschulden durch
Unterlassen geht.
23
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tomas Kuhn
Z.B. indem ich mir die Frage stelle, welche der Positionen besser mit
dem Wortlaut der einschlägigen Vorschrift vereinbar ist.
Z.B. indem ich die systematische Stellung der Vorschrift analysiere.
Z.B. indem ich mir klarmache, dass je nach gewählter Auslegung einer
Vorschrift der eine oder die andere Beteiligte profitiert, und mir daher
im Anschluss für jeden Beteiligten die Frage stelle, was jeweils für und
gegen seine/ihre Schutzwürdigkeit spricht.
Speziell zu Gegenargumenten: indem ich alle Argumente, die mir ein-
fallen, auf mögliche Schwächen hin prüfe.
(1) Wie hätte ich die falsche These, dass ein Erbschein selbstständig die
Rechtslage regle und konstitutiv die Erbenstellung feststelle, vermeiden
können?
Wenn die These richtig wäre, dann müsste sich diese Wirkung des
Erbscheins aus dem Gesetz ergeben! Aus dem Gesetz folgt aber gerade
das Gegenteil: §§ 2353 ff. BGB, v.a. §§ 2361 f., 2365-2367 BGB zei-
gen, dass ein Erbschein falsch (»unrichtig«) sein kann.
(2) Wie kann ich § 892 BGB und § 2366 BGB voneinander abgrenzen?
Muss ich das überhaupt?
Hier hilft – wie so oft – rechtsfolgenorientiertes Denken:11 Welches
Problem löst die jeweilige Vorschrift? (Und natürlich dazu im Ver-
gleich: welches Problem stellt sich nach dem Sachverhalt?) Das
____________________
10 S. zu den hier genannten Beispielen auch schon Kuhn, Analyse von Korrekturein-
drücken aus den zivilrechtlichen Klausuren eines Probeexamens, JURA 2015,
1353 (1353 ff.).
11 S. dazu auch noch im Anschluss ff).
24
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Anregungen für ein effektives Selbststudium
Problem, dass eine Person nicht Erbe ist, ohne bereits zu Unrecht im
Grundbuch als neuer Eigentümer des Nachlassgrundstücks zu stehen?
Oder das Problem, dass sie nicht Erbe ist, aber bereits zu Unrecht im
Grundbuch steht? Oder das Problem, dass der Erblasser nicht Eigentü-
mer war, obwohl er im Grundbuch stand? Habe ich es sowohl mit dem
Problem beim Erblasser zu tun als auch mit einem der Probleme beim
Erben, dann könnte sowohl § 892 BGB eingreifen (Erblasser stand zu
Unrecht im Grundbuch) als auch § 2366 BGB (Scheinerbe steht noch
nicht im Grundbuch, sondern ist nur im Erbschein als Erbe bezeichnet)
oder nur § 892 BGB (Scheinerbe steht bereits zu Unrecht als neuer Ei-
gentümer im Grundbuch) für den Erben.
(1) Warum ist mein Aufbau nicht überzeugend, derjenige der Lösung da-
gegen schon?
Z.B.: Ich habe ein Problem nicht dort angesprochen, wo es relevant
wurde.
Mögliche Gründe:
Mir war vorher gar nicht klar, dass man ein Problem erst dann an-
sprechen soll, wenn es relevant ist.
Oder: Ich wusste zwar, dass man Probleme nur ansprechen soll,
wenn sie relevant werden. Aber mir war nicht klar, dass »relevant« be-
deutet: für die Lösung, also die Beantwortung der Fallfrage relevant,
und zwar genau an dieser Stelle (d.h. v.a.: unter dieser Überschrift).
(2) Konkreter: Ich wusste nicht, wo ich in dieser Klausur, in der nur nach
Ansprüchen der C gefragt war, den Pflichtteilsanspruch der A gegen C
prüfen sollte. Richtig war, ihn im Rahmen von § 273 Abs. 1 BGB beim
Anspruch der C gegen A anzusprechen.
Vermutliche Ursache für diese Unsicherheit:
Mir war nicht genügend bewusst, dass Ansprüche in einer Klausur
auch im Rahmen von Einreden angesprochen werden können.
Oder: Mir war schon nicht hinreichend bewusst, dass es überhaupt
auf Gegenansprüche gestützte Einreden (und im Falle gleichartiger An-
sprüche sogar die Einwendung des § 389 BGB) gibt, so neben § 273
Abs. 1 und Abs. 2 BGB ja etwa auch § 320 BGB und § 1000 S. 1 BGB.
25
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tomas Kuhn
Die selbstständige Beschäftigung mit Fällen wird es mit sich bringen, dass
Fragen offen bleiben. So mag in der Musterlösung ein Argument unver-
ständlich geblieben sein, der Aufbau nicht nachvollziehbar erscheinen oder
Unsicherheit bestehen, ob der eigene abweichende Aufbau falsch ist. Es
könnte ein Anspruch nicht geprüft worden sein, den man selbst angespro-
chen hat, eine Sachverhaltsangabe nicht behandelt worden sein oder anders
interpretiert worden sein, als man das selbst getan hat. Wie soll man mit
solchen Fragen umgehen? Empfehlenswert erscheint, sie festzuhalten, auch
wenn man sie nicht beantworten kann und auch nicht weiß, wo man diese
Antwort finden könnte. Bereits die präzise Formulierung der Frage und die
Suche nach einer Antwort dürfte nämlich lehrreich sein. Außerdem ist man
für die Frage stärker sensibilisiert, wenn man sie formuliert hat. In vielen
Fällen wird sich die Beantwortung der Frage aus der weiteren Beschäfti-
gung mit dem Stoff von selbst ergeben. Ein guter Adressat für solche Fragen
ist ferner die Lerngruppe. Und schließlich könnte eine Antwort auch von
einem Dozenten zu bekommen sein.
VI. Zusammenfassung
Dem Lösen von Fällen sollte im Selbststudium viel Raum gegeben werden.
Anzustreben ist eine detaillierte Lösungsskizze, die es erlaubt, in einen ge-
nauen Vergleich mit der Musterlösung einzusteigen. Abweichungen sollten
kenntlich gemacht werden. Die unterlaufenen Fehler sollten kategorisiert
und auf Verallgemeinerbarkeit über die konkrete Klausur hinaus geprüft
werden. Gründe für die Fehler sollten ebenso gesucht werden wie Strate-
gien, um sie künftig zu vermeiden. Verbliebene Fragen sollten notiert und
ggf. in einer Lerngruppe behandelt werden; auch Dozenten werden hier im
Rahmen ihrer Kapazitäten meist gern weiterhelfen.
Teil II: »Richtige« Lektüre von Lehrbüchern und Fragen ihrer Gestaltung
Mehrere Lehrbücher ausprobieren: Welcher Stil spricht mich an? Nach ei-
niger Zeit noch einmal probieren! Man kommt nämlich erst mit der Zeit
»auf den Geschmack« – vor allem was die umfangreicheren Werke angeht.
26
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Anregungen für ein effektives Selbststudium
Denn sie enthalten oft die Erklärungen, die man in knapperen Darstellungen
vermisst – ein Vermissen, das typischerweise mit zunehmender Studien-
dauer zunimmt.
Es geht weniger darum, möglichst viele Seiten an einem Tag zu schaffen,
als vielmehr darum, den Text durchzuarbeiten, also das Gelesene wirklich
aufzunehmen und darüber nachzudenken: Habe ich verstanden, was dort
geschrieben steht? Und, genauso wichtig: Überzeugt es mich? Wenn ja, wa-
rum? Wenn nein, warum nicht?12
Genau diese Fähigkeiten sind es, die für gute Noten entscheidend sind.
Denn mit ihrer Hilfe lassen sich Probleme erkennen und Argumente finden.
Nur auf diese Weise macht Jura Spaß, und das Auswendiglernen von Streit-
ständen (das schon angesichts der Vielzahl der Streitfragen kaum weiter-
führt) lässt sich vermeiden.
Alle Vorschriften aufschlagen, die im Lehrbuch erwähnt werden, ggf.
auch die im Lehrbuch nicht behandelten Absätze!
Fragen, die bei der Lektüre von Lehrbüchern verbleiben, aufschreiben!
Das lohnt sich auch dann, wenn die Antwort letztlich offenbleibt.13
Jura ist zwar schwierig. Doch gilt hier im Besonderen: Übung (nicht da-
gegen: Auswendiglernen!) macht den Meister! Das Gefühl der Überforde-
rung, des Nichtbeherrschens des Stoffes ist »normal« – auch noch kurz vor
dem Examen –, und gerade auch bei Kandidatinnen und Kandidaten, die
dann richtig gut abschneiden.
I. Lehrbücher sollten…
(1) …eine Anleitung zum richtigen Umgang mit dem Buch enthalten,
(2) …verständlich geschrieben sein,
(3) …Strukturen und System vermitteln und verdeutlichen,
(4) …ein ansprechendes Layout haben.
____________________
12 Dieser und die folgenden beiden Punkte wurden angeregt durch das Eingangska-
pitel »Über den Umgang mit diesem Buch« in dem Lehrbuch Faust, BGB Allge-
meiner Teil, 6. Aufl., Baden-Baden 2018.
13 S. dazu auch oben Teil I, V.
27
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tomas Kuhn
Im Hinblick auf die Punkte (3) und (4) sind in der Regel auch Dia-
gramme sinnvoll. Um die Arbeit mit dem Gesetz zu fördern, sollte m.E.
aber verdeutlicht werden, inwieweit sich die in dem Diagramm enthal-
tenen Informationen dem Gesetz selbst entnehmen lassen und inwie-
weit nicht.14 In letzterem Falle ist eine Begründung erforderlich, die
zumindest der begleitende Text enthalten sollte.
(5) …typische Charakteristika des betreffenden Rechtsgebiets vor die
Klammer gezogen beschreiben, die dann im Laufe des Lehrbuches im-
mer wieder aufgegriffen werden können. Dadurch wird auch der in
letzter Zeit verstärkt angemahnte Grundlagenbezug des Studiums ge-
stärkt.
Im Vertragsrecht könnte etwa die Frage vorgezogen werden, welche
konfligierenden Interessen betroffen sind und welche Wertungen und
Prinzipien die Lösung der Konflikte bestimmen (ggf. auch unter Er-
wähnung der historischen Wurzeln »Interessenjurisprudenz« und
»Wertungsjurisprudenz«). Zu denken wäre etwa im Vertragsrecht an
Privatautonomie vs. Verkehrsschutz. So lassen sich die §§ 119 ff. BGB
praktisch durchgängig als Regelung dieses Konflikts begreifen: Wegen
welchen Willensmangels (§§ 119, 123 BGB) bzw. Übermittlungsprob-
lems (§ 120 BGB) darf unter welchen zusätzlichen Voraussetzungen
wie lange (§§ 121, 124 BGB) zu welchem Preis (§ 122 BGB nur als
Einschränkung der §§ 118-120 BGB, nicht des § 123 BGB) zu Lasten
des auf die Gültigkeit der Erklärung vertrauenden Erklärungsgegners
angefochten werden? Ein weiteres Beispiel wäre der Konflikt zwi-
schen paternalistischen Ausprägungen des Verbraucherschutzrechts
(insbesondere: halbzwingendes Recht zu Gunsten des Verbrauchers
wie etwa die Anordnung der weitgehenden Unwirksamkeit des Ge-
währleistungsausschlusses des Unternehmer-Verkäufers in § 476
BGB, das zu erhöhten Preisen für alle Verbraucher führt) und der Pri-
vatautonomie des Verbrauchers. Mit der Einführung von Informations-
pflichten will das Verbraucherschutzrecht dagegen die Privatautono-
mie stärken (was im Falle einer angeordneten Informationsflut aller-
dings evtl. gar nicht gelingt).
Auch das Bewusstsein für die Schwierigkeiten bei der Ermittlung
des Inhalts von Prinzipien kann ein Lehrbuch auf diese Weise schärfen.
____________________
14 S. zu diesem Aspekt auch Griebel, Überlegungen zum gesetzeszentrierten Lehren
und Lernen, in: Griebel/Gröblinghoff (Hrsg.), Von der juristischen Lehre, S. 127
(127 ff.).
28
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Anregungen für ein effektives Selbststudium
So ist etwa nicht ohne Weiteres klar, ob man die Privatautonomie des
Bewucherten eher durch eine weite oder eher durch eine enge Ausle-
gung des § 138 Abs. 2 BGB fördert. Und verbraucherschützende Wi-
derrufsrechte kann man, wenn von ihnen als Reuerecht Gebrauch ge-
macht wird (der Widerruf im konkreten Fall also beispielsweise gerade
nicht als Reaktion auf eine Überrumpelung erscheint oder die online
gekaufte Ware genau der Vorstellung des Verbrauchers entsprach),
schwerlich als Instrumente zur Förderung der Privatautonomie be-
zeichnen.
(6) …keinen Zweifel lassen, wo in ihrer Darstellung die Wiedergabe des
Gesetzestextes endet und wo die Interpretation beginnt.15
Dadurch wird der Anteil des (möglicherweise) zu lernenden Stoffes
erheblich eingeschränkt. Dies dürfte auch der Qualität der von den Le-
sern verfassten klausurmäßigen Bearbeitungen zugutekommen. Denn
sie werden in ihren Ausführungen dann hoffentlich ebenfalls deutlich
machen, inwieweit sich ihre Erkenntnisse ohne Weiteres aus dem Ge-
setz ergeben und inwieweit dies nicht der Fall ist, so dass Begründun-
gen erforderlich werden.
Als eigenen Beitrag muss der Leser hier selbstverständlich das Mit-
lesen der behandelten Vorschriften beisteuern, ebenso das Interesse für
ihren systematischen Standort im Gesetz.
Negativbeispiele zu dem oben bei Fn. 15 erwähnten Gestaltungs-
wunsch, entnommen aus aktuell erhältlichen Lehrbüchern (alle betref-
fend das BGB):16
»Letzter Prüfungspunkt bei § 929 S. 1 BGB ist die Berechtigung des Veräu-
ßerers zur Eigentumsübertragung. Der Veräußerer muss verfügungsbefugt
sein. Grundsätzlich berechtigt ist der Eigentümer selbst (bzw. sein Stellvertre-
ter für ihn).«
Diese Darstellung nimmt nicht beim Gesetzeswortlaut (»Eigentümer«)
ihren Ausgangspunkt, sondern lässt das Eigentum nur als Beispiel für
einen (im Gesetz so nicht bezeichneten) Punkt »Verfügungsbefugnis«
erscheinen. Eine Erklärung hierfür wird nicht gegeben. Auch wird
nicht erläutert, worin die Ausnahmen liegen, deren Existenz nur
____________________
15 S. zu diesem Aspekt nochmals Griebel (Fn. 14), S. 127 ff.
16 Gegenüber der im Folgenden geäußerten Kritik wird man z.T. auf den begrenzten
Platz eines (ggf. Kurz-)Lehrbuchs verweisen. Allerdings wäre dann aus meiner
Sicht zu überlegen, ob nicht besser weniger Einzelaspekte angesprochen werden
sollten, bei denen dann im Gegenzug stärker auf die Argumentation geachtet wer-
den könnte.
29
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tomas Kuhn
30
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Anregungen für ein effektives Selbststudium
____________________
18 Das bedeutet: Die Rechtsfolge des § 935 Abs. 1 S. 1 BGB, also der Ausschluss
des gutgläubigen Erwerbs.
31
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tomas Kuhn
____________________
19 Dazu bereits oben (5).
20 Beispiel: § 994 Abs. 2 BGB: Keine Verweisung auf die Voraussetzung »Fremd-
geschäftsführungswille«, weil § 994 Abs. 2 BGB sonst keinen Anwendungsbe-
reich für Eigenbesitzer hätte. Im Übrigen aber Rechtsgrundverweisung auf die
§§ 677 ff. BGB.
32
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Anregungen für ein effektives Selbststudium
____________________
21 Häufig auch noch mit einer angeblichen »strengen« Akzessorietät der Hypothek –
zu Unrecht, wie die in § 1185 Abs. 2 BGB aufgeführten Ausnahmen von der Ak-
zessorietät der Hypothek zeigen, die nur bei der Sicherungshypothek (§§ 1184 f.
BGB) nicht anwendbar sind. Nur letztere Hypothek ist also streng akzessorisch.
22 S. dazu näher Kuhn, Argumente zur Sperrwirkung von Ansprüchen als Beitrag zur
Reduzierung des zivilrechtlichen Lernstoffs, JURA 2013, 975 (975 ff.).
23 Dazu bereits oben (5) und (7).
33
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tomas Kuhn
____________________
24 Beispiel für Letzteres: Riehm, Examinatorium BGB Allgemeiner Teil, München
2015.
25 So etwa Brox/Walker, BGB Allgemeiner Teil, 41. Auflage, München 2015.
26 Dazu bereits oben (5), (7) und (9).
34
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Anregungen für ein effektives Selbststudium
1, Abs. 2, 286 BGB einerseits und § 373 Abs. 3 HGB, §§ 280 Abs. 1,
Abs. 3, 281 BGB andererseits).
Ein positives Beispiel hierzu habe ich etwa in einem Lehrbuch zum
Sachenrecht am Ende des Kapitels zum gutgläubigen Erwerb gefun-
den. Dort findet sich ein Abschnitt »schuldrechtlicher Ausgleich«.
Ohne den Blick auf diesen Ausgleich wäre eine Bewertung der Vor-
schriften zum gutgläubigen Erwerb, ja deren Verständnis, gar nicht
möglich. Obwohl es sich um Vorschriften aus dem Schuldrecht han-
delt, ist es also sehr zu begrüßen, dass dieser Aspekt in dem betreffen-
den Sachenrechtslehrbuch mitbehandelt wird. Dabei werden die fol-
genden Ansprüche erwähnt: § 816 Abs. 1 S. 1 und S. 2 BGB; § 687
Abs. 2 S. 1 BGB; § 823 Abs. 1 BGB – Letzterer allerdings nur bzgl.
des Erwerbers, so dass §§ 989, 990 Abs. 1, Abs. 2 BGB (bzw. bei be-
rechtigtem Besitz § 823 Abs. 1 BGB) als Ansprüche gegen den Veräu-
ßerer fehlten; zudem kommen bei Vorhandensein eines Schuldverhält-
nisses mit dem Veräußerer § 285 Abs. 1 BGB und ggf. § 311a Abs. 2
BGB oder §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 S. 1 BGB in Betracht.27
(16) ….Erfahrungen aus Unterricht und Prüfung berücksichtigen.
Dabei evtl. auch auf häufige Fehler in Klausuren (mit mgl. Erklä-
rungen) eingehen.28
(17) …am Ende eines Kapitels Wiederholungsfragen enthalten.
Antworten müssen m.E. nicht gegeben werden. Ein Hinweis auf die
Randnummer, mit deren Hilfe die Antwort erarbeitet werden kann,
dürfte genügen.
Die Wiederholungsfragen sollten verständnisorientiert, nicht lern-
orientiert gestaltet sein, also etwa speziell nach Argumenten und Ge-
genargumenten fragen oder etwa nach der Richtigkeit aufgestellter
Thesen. Auch multiple-choice-Fragen können dabei ein geeignetes In-
strument sein.
(18) …die Anwaltsperspektive (v.a. in beratender/gestalterischer Hinsicht)
miteinbeziehen: Welche Handlungsmöglichkeiten stehen für den Man-
danten in der betreffenden Situation mit welchen Vor- und Nachteilen
zur Verfügung?
____________________
27 S. auch oben Teil I, B.IV.2.e.bb., wo das Übersehen dieser Ansprüche in Fallbe-
arbeitungen behandelt wird.
28 S. dazu oben Teil I, B.IV.2.
35
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tomas Kuhn
Der richtige Aufbau eines Lehrbuchs hängt maßgeblich von der Struktur des
Rechtsgebiets ab, den es behandelt.
____________________
29 Dieser Vorschlag ist orientiert an dem Eingangskapitel Ȇber den Umgang mit
diesem Buch« in dem Lehrbuch Faust (Fn. 12).
30 S. auch die Negativbeispiele oben unter I.
31 S. dazu schon oben (6) unter I.
36
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Einige Gedanken zur Neuaustarierung des
Verhältnisses von Präsenzveranstaltungen und
Selbststudium
Mahdad Mir Djawadi*
A. Problemaufriss
37
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Mahdad Mir Djawadi
Juristinnen und Juristen. Dies ist u.a. daran ersichtlich, dass die Einstiegs-
gehälter in den Wirtschaftskanzleien in den letzten Jahren nochmals dras-
tisch erhöht worden sind und mittlerweile in der Spitze bei ca. 150.000 Euro
liegen. Darüber hinaus sind einige Großkanzleien aufgrund dessen dazu
übergegangen, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein alternatives Ar-
beitszeitmodell in Gestalt einer festen 40 Stunden Woche mit immer noch
attraktiver Bezahlung zu offerieren.
Neben der Problematik des Nachwuchsmangels ist zu konstatieren, dass
sich die Ergebnisse in der staatlichen Pflichtfachprüfung weiterhin auf
durchwachsenem Niveau bewegen. So erreicht die Mehrheit der Kandida-
ten in diesem Bereich weiterhin lediglich ein »ausreichend« oder fällt durch
die Prüfung durch.3 Ferner muss es bedenklich stimmen, dass immer noch
die Mehrzahl der Studierenden zur Examensvorbereitung den Weg zum
kommerziellen Repetitor sucht. Dies deutet darauf hin, dass sich die Stu-
dierenden – ob zu Unrecht oder nicht – durch die universitären Veranstal-
tungen allein nicht ausreichend für das Staatsexamen vorbereitet fühlen.
Im Kontext mit den soeben skizzierten Herausforderungen stellt sich die
Frage, ob sich die Ergebnisse im Staatsexamen auf breiter Ebene durch Mo-
difikationen am bisherigen universitären Ausbildungssystem verbessern
lassen. Ein möglicher Ansatz, der in der wissenschaftlichen Diskussion eher
eine untergeordnete Rolle gespielt hat, ist die Betrachtung – und ggfs. die
Neuaustarierung – des Verhältnisses von universitären Präsenzveranstal-
tungen und der den Studierenden zur Verfügung stehenden Zeit fürs Selbst-
studium. Die nachfolgende Abhandlung möchte die Gründe dafür darlegen,
warum es sich lohnt, über diesen Aspekt weiter nachzudenken.
Bei der Suche nach den Gründen, warum gerade die Ergebnisse in den ju-
ristischen Staatsexamina nicht gänzlich zufriedenstellen können, darf nicht
vergessen werden, dass das Studium der Rechtswissenschaften durchaus
____________________
3 S. exemplarisch etwa für den Bezirk des OLG Köln die Statistiken unter
http://www.olg-koeln.nrw.de/aufgaben/justizpruefungsamt/005_statistiken/index
.php (letzter Abruf am 1.9.2018).
38
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Neuaustarierung des Verhältnisses von Präsenzveranstaltungen und Selbststudium
Die Frage, wie sich der Begriff des Lernens wissenschaftlich definieren
lässt und wie der Lernprozess vonstattengeht, hat sich in der Lernpsycholo-
gie über die Jahrhunderte und Jahrzehnte gewandelt.
____________________
4 Lammers, Lernen im Jurastudium und in der Examensvorbereitung, JuS 2015, 289
(289 ff.); Vgl. auch den Projektbericht von Heublein/Hutzsch/Kracke/Schneider
(Fn. 1).
5 Lammers (Fn. 4), S. 289.
6 Vgl. dazu Hasselhorn/Gold, Pädagogische Psychologie, 4. Aufl., Stuttgart 2017,
S. 101; vgl. auch Klauer, Transfer des Lernens, Stuttgart 2011, S. 187 ff.
39
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Mahdad Mir Djawadi
1. Der Behaviorismus
Von den drei klassischen Lerntheorien ist der Behaviorismus die älteste.
Seine Anfänge reichen bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück. Die zutreffende
Grundannahme des Behaviorismus ist, dass Lernern letztlich nichts anderes
ist als Verhaltensänderung.7
Der Behaviorismus versteht das Lernen im Kern als einfaches Reiz-Re-
aktionsschema.8 So herrscht die Auffassung, dass das Verhalten der lernen-
den Person durch Manipulation von äußeren Anreizen, Belohnung und Be-
strafung allmählich in die gewünschte Richtung bewegt wird.9 Ausgangs-
punkt ist dabei die Überlegung, dass sich Menschen am ehesten in einer
bestimmten Art und Weise verhalten, wenn sie die Konsequenzen ihres
Handelns als befriedigend oder lustvoll empfinden. Es kommt infolge die-
ses Verhaltens dann letztlich zu einer Stärkung oder Abschwächung von
Assoziationen infolge von Handlungskonsequenzen.10 Der Behaviorismus
blendet insoweit die inneren Prozesse beim Lernen völlig aus und kon-
zentriert sich lediglich auf das nach Außen sichtbare Verhalten. Dieses völ-
lige Ausblenden der beim Lernenden im Inneren ablaufenden Prozesse
führte zu massiver Kritik am Behaviorismus.11 Als Konsequenz kam es in
den 1950er Jahren zu der sogenannten kognitiven Wende in der Lernpsy-
chologie und der Entstehung des Kognitivismus.12
____________________
7 Steindorf, Grundbegriffe des Lehrens und Lernens, 5. Aufl., Bad Heilbrunn 2000,
S. 50; Schröder, Lernen – Lehren – Unterricht: Lernpsychologische und didakti-
sche Grundlagen, 2. Aufl., Berlin 2002, S. 14.
8 Flad/Klein, Lernen 2.0: Wie Social Software das Lernen und Wissensmanagement
in Gesellschaft und Organisationen verändert, München 2008, S. 21; vgl. auch
Schröder (Fn. 7), S. 35.
9 Vgl. dazu Klauer (Fn. 6), S. 42 ff.; Winkel/Petermann/Petermann, Lernpsycholo-
gie, Paderborn 2006, S. 105 ff.
10 Vgl. Klauer (Fn. 6), S. 38; Winkel/Petermann/Petermann (Fn. 9), S. 106.
11 Vgl. dazu Mulder, Das adaptive Gehirn: Über Bewegung, Bewusstsein und Ver-
halten, Stuttgart 2006, S. 135.
12 Vgl. dazu Götz/Frenzel/Pekrun, Psychologische Bildungsforschung, in: Tip-
pelt/Schmidt (Hrsg.), Handbuch Bildungsforschung, 4. Aufl., Wiesbaden 2018, S.
73 (82); Winkel/Petermann/Petermann (Fn. 9), S. 21 f.; Staatsinstitut für Schul-
qualität und Bildungsforschung München ISB, Theorien des Lernens, München
2007, abrufbar unter https://www.isb.bayern.de/download/1542/flyer-lerntheorie-
druckfassung.pdf (letzter Abruf am 1.9.2018), S. 5.
40
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Neuaustarierung des Verhältnisses von Präsenzveranstaltungen und Selbststudium
2. Der Kognitivismus
3. Der Konstruktivismus
Der Konstruktivismus betrachtet den Lernenden als aktive Person, die aus
eigenem Antrieb aufgenommene Informationen vor dem Hintergrund des
eigenen Vorwissens interpretiert und daraus eigene Schlüsse für die Form
und die Ausgestaltung der Wirklichkeit zieht.17 Die vermeintlich objektive
____________________
13 S. dazu Mienert/Pitcher, Pädagogische Psychologie, Wiesbaden 2011, S. 43 f.;
Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München ISB (Fn. 12), S.
5.
14 Anschaulich zu diesem Modell Butz/Krüger, Mensch-Maschine-Interaktion, 2.
Aufl., Berlin 2017, S. 11 f.
15 Anschaulich zu diesem Modell Butz/Krüger (Fn. 14), S. 11 f.
16 Sindler, Etablierung einer neuen Lernkultur, Münster 2004, S. 22.
17 Vgl. dazu Mienert/Pitcher (Fn. 13), S. 47; Hoidn, Lernkompetenzen an Hochschu-
len fördern, Wiesbaden 2010, S. 103 f.
41
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Mahdad Mir Djawadi
Wirklichkeit stellt sich hiernach lediglich als das Ergebnis einer von der
eigenen (subjektiven) Wissenswelt erschaffenen Konstruktion dar.18 In sei-
ner radikalen Ausformung geht der Konstruktivismus davon aus, dass Ler-
nen – genauer: das Ergebnis eines Lernprozesses – von Außen her nicht
erzeugt werden kann.19 Es sei lediglich möglich, den Anstoß zum Lernen
zu bieten. Ob dieser Anstoß jedoch zu den erwarteten Folgen führt oder
wirkungslos bleibt, hat der Anstoßende nach dem Modell des Konstrukti-
vismus nicht in der Hand.
42
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Neuaustarierung des Verhältnisses von Präsenzveranstaltungen und Selbststudium
vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen und eigenen Vorwissens ist, neu-
robiologisch gut nachvollziehen. Mittlerweile ist empirisch nachgewiesen,
dass die Prozesse der Bedeutungs- und Wissenskonstruktion weitgehend
unbewusst ablaufen und maßgeblich durch ein bestimmtes Areal im Gehirn,
dem sogenannten limbischen System, gesteuert werden.23
Allgemein lässt sich sagen, dass das limbische System die Ebenen des Ge-
hirns beinhaltet, die für die bewussten Emotionen und Motive, die bewuss-
ten kognitiven Leistungen, die Fehlerkontrolle, die Risikoeinschätzung so-
wie die Handlungs- und Impulskontrolle zuständig sind.24 Es organisiert
nicht nur das deklarative, d.h. das bewusstseinsfähige Gedächtnis, welches
festlegt, welche Informationen in welchen Netzwerken der Großhirnrinde
und in welchem Kontext abgespeichert werden,25 es stellt darüber hinaus
das allgemeine Bewertungssystem des Gehirns dar.26 Jegliche Erlebnisse,
jegliche Reizaufnahme – und hier besteht der Bezug zu den Annahmen des
Konstruktivismus – werden danach bewertet, ob sie gut/vorteilhaft/lustvoll
waren und entsprechend wiederholt werden sollten oder als schlecht/nach-
teilig/schmerzhaft zu bewerten und entsprechend zu vermeiden sind.27 Es
wird also nicht nur die – objektive – Information an sich abgespeichert, son-
dern auch und vor allem der – subjektive – emotionale Kontext, in dem sie
aufgenommen worden ist bzw. in dem sie ihre Relevanz gewann. Auch
diese (Annex-)Information wird im Gehirn in einem Areal abgespeichert,
welches überwiegend unbewusst arbeitet. Jede neue zu verarbeitende Infor-
mation, jeder neue Reiz wird im limbischen System eingehend daraufhin
überprüft, ob sie bestehenden Erfahrungen ähnelt, und wenn ja, welche
____________________
23 Vgl. dazu Roth, Möglichkeiten und Grenzen von Wissensvermittlung und Wis-
senserwerb, in: Caspary (Hrsg.), Lernen und Gehirn, 7. Aufl., Freiburg 2011, S.
59 (65).
24 Vgl. dazu Roth (Fn. 23), S. 58 ff.
25 Vgl. dazu Roth (Fn. 23), S. 58 f.
26 Ansorg, ABC der Neurobiologie, Norderstedt 2018, S. 178.
27 Vgl. dazu Siebert, Lernen und Bildung Erwachsener, 3. Aufl., Bielefeld 2017, S.
66; Hirschenhauser, Neurophysiologie der Emotionen im pädagogischen Kontext,
in: Huber/Krause (Hrsg), Bildung und Emotion, Wiesbaden 2017, S. 195 (206).
43
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Mahdad Mir Djawadi
6. Quintessenz
44
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Neuaustarierung des Verhältnisses von Präsenzveranstaltungen und Selbststudium
den eigenen Vorlieben und Erfahrungen, aber auch nach den – nicht beein-
flussbaren – biologischen Faktoren wie der Lernfähigkeit und der Informa-
tionsverarbeitungskapazität jeweils eine eigene Lernumgebung geschaffen
werden. Ein solches Vorgehen ist aber bestenfalls – wenn überhaupt – in
einem kleinsten Kreis denkbar, an Massenuniversitäten oder allgemein an
Lehreinrichtungen mit einer hohen Zahl an Lernenden jedoch schlichtweg
unmöglich. Es kann daher vielmehr nur darum gehen, eine Lernumgebung
zu schaffen, die möglichst viele verschiedene Reize und Impulse setzt, da-
mit sich auch möglichst viele der Lernenden individuell angesprochen füh-
len. Inwieweit eine solche ansprechende Lernumgebung errichtet werden
kann, ist dabei nicht nur maßgeblich abhängig von überzeugenden, durch-
dachten didaktischen Konzepten, sondern auch von der vorgelagerten
Frage, welche sachlichen, personellen und vor allem finanziellen Mitteln
zur Verfügung stehen. Je größer dabei die Zahl der Lernenden ist, desto
größer ist im Zweifel der Bedarf an den entsprechenden Lehrmitteln.
Mit Blick auf das hier besonders interessierende Verhältnis von univer-
sitären Präsenzzeiten und der Zeit für das Selbststudium lässt sich bereits
an dieser Stelle festhalten, dass aus der Individualität und Subjektivität des
Lernens per se die Notwendigkeit ausreichender Zeit für die Selbstbeschäf-
tigung mit den Lerninhalten folgt, damit die individuelle Konstruktion einer
– juristischen – Wissenswelt stattfinden kann.
Die zuletzt getroffene Feststellung gilt umso mehr mit Blick auf das erfolg-
reiche Absolvieren des juristischen Studiums. Es ist bereits an früherer
Stelle ausgeführt worden, dass das juristische Studium eine intellektuelle
Herausforderung darstellt, u.a. deshalb, weil es für ansprechende Examens-
ergebnisse maßgeblich darauf ankommt, abstraktes Wissen dergestalt zu
durchdringen, das es zielführend zur Lösung eines konkreten Problems – in
45
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Mahdad Mir Djawadi
____________________
32 Lammers (Fn. 4), S. 289.
33 Vgl. dazu Hasselhorn/Gold (Fn. 6), S. 101.
34 Hasselhorn/Gold (Fn. 6), S. 66 f.
35 Hasselhorn/Gold (Fn. 6), S. 66 f.
36 Vgl. dazu Mietzel, Entwicklung im Erwachsenenalter, Göttingen 2012, S. 223;
Shipstead/Harrison/Engle, Working Memory Capacity and fluid Intelligence:
Maintenance and Disengagement, Perspectives on Psychological Science 2016,
771 (771 ff.).
46
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Neuaustarierung des Verhältnisses von Präsenzveranstaltungen und Selbststudium
Damit bleibt als einziger Faktor, der jedenfalls im Grundsatz auch von
Lehrinstitutionen mit einer hohen Anzahl an Studierenden zur Verbesse-
rung des Lernerfolgs genutzt werden kann, die Vermittlung geeigneter kog-
nitiver sowie unterstützender Lernstrategien.
a) Kognitive Strategien
____________________
37 Vgl. dazu statt vieler Toga/Thompson, Genetics of Brain Structure and Intelli-
gence, Annual Review of Neuroscience 2005, 1 (13 ff.), sowie umfassend das
Werk von Stern/Neubauer, Intelligenz – Große Unterschiede und ihre Folgen,
München 2013.
38 Vgl. dazu Roth (Fn. 23), S. 65.
39 Vgl. dazu Roth (Fn. 23), S. 65.
40 Vgl. dazu Hasselhorn/Gold (Fn. 6), S. 80 f.
47
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Mahdad Mir Djawadi
b) Stützstrategien
48
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Neuaustarierung des Verhältnisses von Präsenzveranstaltungen und Selbststudium
fragt, etwa mit solchen Fragen wie »Was habe ich jetzt konkret verstan-
den?« oder »Wo habe ich noch Verständnislücken?«. Ressourcenorientierte
Lernstrategien ihrerseits zielen darauf ab, die eigenen geistigen und zeitli-
chen Ressourcen optimal zu nutzen, aber auch die eigene Anstrengung und
Aufmerksamkeit zu steuern.45 Zu den ressourcenorientieren Lernstrategien
zählt aber auch die Gestaltung von Lernumgebung und Arbeitsplatz, die
Frage nach Ausbildung und Nutzung geeigneter Informationsquellen sowie
das Lernen mit Mitschülern.
49
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Mahdad Mir Djawadi
____________________
48 Vgl. dazu Hennen/Grünwald/Revermann/Sauter, Einsichten und Eingriffe in das
Gehirn, Berlin 2008, S. 91; vgl. dazu auch Klauer (Fn. 6), S. 194 ff.
49 Vgl. dazu Klauer (Fn. 6), S. 194 ff.
50
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Neuaustarierung des Verhältnisses von Präsenzveranstaltungen und Selbststudium
standen werden, aus dem sich der Einzelne je nach eigenen Lernvorlieben
bedienen kann oder auch nicht.
Allgemein lassen sich die Vorteile des Einsatzes von elektronischen
Hilfsmitteln mit einer größeren Übersichtlichkeit und Nachhaltigkeit der
festgehaltenen Informationen beschreiben. Damit ist etwa gemeint, dass
elektronisch festgehaltene Informationen dauerhaft gespeichert und leicht
überarbeitet werden können. Gerade Letzteres ist bei handschriftlichen
Ausführungen regelmäßig nicht der Fall.
Als Beispiel für einen erfolgversprechenden Einsatz elektronischer Hilfs-
mittel beim juristischen Lernen seien die – vielfach auch kostenlos – erhält-
lichen Karteikartenprogramme genannt. Ein wesentlicher Vorteil guter
elektronischer Karteikartensoftware besteht darin, dass das Programm au-
tomatisch auf Grundlage der aktuellen lernpsychologischen und neurowis-
senschaftlichen Erkenntnisse die Wiederholungszeiten für jede Karte derart
regelt, dass ein rascher Transfer des auf den Karteikarten festgehaltenen
Wissens in das Langzeitgedächtnis möglich ist. Darüber hinaus ermögli-
chen viele Anbieter – auch hier z.T. kostenlos50 –, die Karteikarten online
in einer sog. Cloud zu speichern und in synchronisierter Form mit verschie-
denen elektronischen Geräten – etwa einem Smartphone oder einem Tablet-
PC – an jedem x-beliebigen Ort nutzen zu können. Es ist daher für den in-
teressierten Studierenden nicht notwendig, seine Karteikarten für ein effek-
tives Karteikartentraining immer mit sich führen zu müssen.
Neben Karteikartenprogrammen gibt es eine Vielfalt an weiterer – gän-
giger – Software, mit denen vor allem kognitive Lernstrategien umgesetzt
werden können. Als besonders interessant für das juristische Lernen er-
scheinen z.B. Programme, welche die Visualisierung und damit Offenle-
gung struktureller Zusammenhänge der jeweiligen juristischen Materie er-
möglichen. Hierzu zählen u.a. Mindmap-Programme wie die kostenlose
Software X- oder FreeMind, aber auch gängige Produkte wie Microsoft
PowerPoint oder Microsoft Word. Mit letzterem Programm lassen sich
leicht Tabellen erstellen, mit denen verschiedene juristische Begriffe einan-
der vergleichend gegenübergestellt werden können. Aber auch für private
Lern-AGs gibt es Anwendungsfelder. So können Probleme beim Auffinden
eines geeigneten AG-Raumes dadurch gelöst werden, dass Videoübertra-
gungsprogramme wie bspw. Skype oder IMO genutzt werden. Auf diese
____________________
50 Etwa das Karteikartenprogramm ANKI, abrufbar unter https://apps.ankiweb.net
(letzter Abruf am 1.9.2018).
51
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Mahdad Mir Djawadi
Weise lässt sich das nicht selten gegen Lern-AGs vorgebrachte Argument
des hohen organisatorischen Aufwands jedenfalls z.T. entkräften.
Zu den Faktoren, die letztlich den Grad der Unterstützungswirkung elekt-
ronischer Hilfsmittel beim juristischen Lernen beeinflussen, zählen u.a.:
Gerade der letzte Punkt ist entscheidend dafür, dass der Einsatz elektroni-
scher Hilfsmittel jedenfalls potentiell für einen Großteil der Studierenden
eine nachhaltige Steigerung des individuellen Lernerfolgs zu bewirken ver-
mag. Denn gerade zu Beginn ist das Erlernen des Umgangs mit elektroni-
schen Hilfsmitteln sehr zeitaufwendig. Damit also diese Hilfsmittel nach-
haltig genutzt werden, ist es Grundvoraussetzung, dass den Studierenden
innerhalb des Studiums ausreichend Zeit zum Erlernen des Umgangs mit
diesen Hilfsmitteln verbleibt. Dies führt zu der übergeordneten und – für
eine nachhaltige Veränderung des Studienerfolgs maßgeblichen – Frage des
angemessenen Verhältnisses zwischen der Präsenzzeit der Studierenden in
juristischen Lernveranstaltungen einerseits und der Zeit fürs Selbststudium
andererseits.
Diese Frage ist im Endeffekt – vor dem Hintergrund der belastbaren wis-
senschaftlichen Erkenntnisse über die maßgeblichen Faktoren erfolgreichen
Lernens und ihre Beeinflussbarkeit – nichts anderes als die Konkretisierung
der insoweit allgemeineren Frage, inwieweit sich die gegenwärtige Form
der Stoffvermittlung bzw. der Studiengestaltung aus lerntechnischer Sicht
mit den angesprochenen Erkenntnissen über erfolgreiches Lernen kohärent
zeigt. Lediglich wenn eine Kohärenz größeren Ausmaßes besteht, kann re-
alistischerweise von einer Möglichkeit der Verbesserung der Examenser-
gebnisse auf breiter Basis ausgegangen werden. Bezüglich der Existenz ei-
ner solchen Kohärenz ist nun eine gewisse Skepsis angezeigt, weil das wei-
terhin vorherrschende Lehrformat zur Wissensvermittlung und zur Ausbil-
dung juristischer Fertigkeiten die Vorlesung im klassischen Sinne ist. Dabei
52
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Neuaustarierung des Verhältnisses von Präsenzveranstaltungen und Selbststudium
beruht diese Skepsis zum einen auf der zeitlich ungünstigen Gewichtung
von Vorlesung und Selbststudium (hierzu sogleich (I.) sowie der im Durch-
schnitt geringe Ertrag der Vorlesung bei der Wissensvermittlung zum an-
deren (II.).
53
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Mahdad Mir Djawadi
diniert statt. Dies ist insoweit besonders misslich, als – wie gesehen – für
das Erzielen ansprechender Ergebnisse im Examen in der Regel die opti-
male Ausnutzung der vorhandenen geistigen Fähigkeiten notwendig ist.
____________________
54 Diese Ergebnisse lassen sich relativ leicht nachprüfen, indem man die Studieren-
den dazu auffordert, im Brainstormingmodus die Inhalte niederzuschreiben, die
ihnen aus der Vorlesung vom Vortag noch gegenwärtig sind.
55 Besonders scharf zeigt sich in dieser Hinsicht die Kritik von Dyrchs, demzufolge
»die tradierte Vorlesung eine riesige Verschwendung ökonomischer und personel-
ler Ressourcen« darstelle »und 98% aller Jurastudierenden in die Tempel der teu-
ren privaten Rechtsschulen« treibe, s. dazu Dyrchs, Didaktikkunde für Juristen, 2.
Aufl., Bielefeld 2016, S. 198.
54
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Neuaustarierung des Verhältnisses von Präsenzveranstaltungen und Selbststudium
55
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Mahdad Mir Djawadi
56
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Neuaustarierung des Verhältnisses von Präsenzveranstaltungen und Selbststudium
57
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Mahdad Mir Djawadi
F. Fazit
58
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Neuaustarierung des Verhältnisses von Präsenzveranstaltungen und Selbststudium
nisse für das Gros der Studierenden geeignet ist, um sie für die Hauptanfor-
derung im Staatsexamen – dem Nachweis der Fähigkeit, systematisch
Transferleistungen zu erbringen – zu wappnen. Dies liegt u.a. daran, dass
der Effizienzgrad der Wissensvermittlung bei dem Besuch einer klassischen
Vorlesung eher gering ist. Es bestehen jedoch Anzeichen dafür, dass dieser
Effizienzgrad allein dadurch gesteigert werden könnte, wenn der reine Wis-
senserwerb durch geeignete Lernmaterialien jedenfalls hinsichtlich des
Grundwissens dem Einzelnen überlassen bliebe und in den Vorlesungen der
Fokus verstärkt unter Einsatz geeigneter Lernstrategien auf den Erwerb ju-
ristischer Fertigkeiten gerichtet werden würde. Der Einsatz von E-Learn-
ing-Instrumenten könnte ein hilfreiches und wirksames Mittel sein, um ein
solches Inverted-Classroom-Modell auf praktikable Art und Weise umzu-
setzen und im besten Fall die im Examen erzielten Ergebnisse auf breiter
Basis zu verbessern.
59
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Reflexives Schreiben als Methode juristischen Lernens*
Ann-Marie Kaulbach**/Pauline Riecke***
A. Einleitung
61
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Ann-Marie Kaulbach/Pauline Riecke
stützen.5 Dazu gehört neben der Stoffauswahl6 auch die Unterbreitung ge-
eigneter Lerntechniken wie des reflexiven Schreibens.
Der folgende Beitrag setzt die Idee einer Reflexiven Praxis in Bezug zur
konstruktivistischen Lerntheorie und beschreibt reflexives Schreiben als
Methode des juristischen Lernens. Dabei werden verschiedene Techniken
reflexiven Schreibens präsentiert: Schreiben zur Selbstreflexion, reflexive
Vorlesungsmitschrift, Zusammenfassung, Inneres Team und das Logbuch.
____________________
5 Biggs/Tang (Fn. 2), S. 22; Vgl. Scheuermann (Fn. 4), S. 13.
6 Vgl. hierzu eingehend Kaulbach, Expertendilemma Vollständigkeit, ZDRW 2018,
i.E.
7 Scaife, Supervising the Reflective Practitioner, An Essential Guide to Theory and
Practice, London u. New York 2010, S. 3.
8 Vgl. Scaife (Fn. 7), S. 4 ff.; Bolton, Reflective Practice, Writing and Professional
Development, 4. Aufl., Los Angeles u.a. 2014, S. 8.
9 Scaife (Fn. 7), S. 2.
10 Scaife (Fn. 7), S. 3.
11 So auch Scaife (Fn. 7), S. 14.
12 Biggs/Tang (Fn. 2), S. 22 f.; Hasselhorn/Gold (Fn. 2), S. 63; Macke/Hanke/Vieh-
mann (Fn. 2), S. 29; Mayer/Pintrich/Wittrock, The Knowledge Dimension, in: An-
derson/Krathwohl (Hrsg.), A Taxonomy for Learning, Teaching, and Assessing,
A Revision of Bloom’s Taxonomy of Educational Objectives, New York u.a.
2001, S. 38 (38).
13 Hasselhorn/Gold (Fn. 2), S. 63 f.; vgl. Mayer/Pintrich/Wittrock (Fn. 12), S. 59 f.
62
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Reflexives Schreiben als Methode juristischen Lernens
Gegenstand der Reflexion kann auch die eigene Lehrtätigkeit sein. Eine
Lehrperson kann ihr Lehrverhalten und die Resultate hinterfragen und ana-
lysieren. Die regelmäßige Reflexion der Lehrtätigkeit kann dazu beitragen,
diese stetig zu verbessern.14 Biggs/Tang, die den Begriff »Constructive A-
lignment« geprägt haben, bezeichnen dies als reflexives Lehren.15 Im Fol-
genden soll jedoch näher untersucht werden, inwiefern die Reflexive Praxis
den Lernprozess der Studierenden unterstützen könnte.
Ein Medium der Reflexion kann das Schreiben sein.16 Schreiben ermögli-
che eine Externalisierung von Gedanken und Gefühlen und damit eine ef-
fektive Selbstreflexion.17 Fragen wie die oben genannten, etwa »Warum
____________________
14 Biggs/Tang (Fn. 2), S. 45 f.; in diese Richtung auch Mietzel (Fn. 1), S. 78.
15 Biggs/Tang (Fn. 2), S. 45 f.
16 Prömse, Für sich selbst schreiben, unveröffentlichtes Manuskript, S. 4.
17 Vgl. Scheuermann (Fn. 4), S. 26.
63
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Ann-Marie Kaulbach/Pauline Riecke
____________________
18 Bolton (Fn. 8), S. 115; Prömse (Fn. 16), S. 1; Scheuermann (Fn. 4), S. 14; Elbow,
Writing with Power, Techniques for Mastering the Writing Process, 2. Aufl., New
York 1998, S. 13; Elbow bezeichnet dies als »Freewriting«.
19 Elbow (Fn. 18), S. 15; Prömse (Fn. 16), S. 1 f.
20 Bolton (Fn. 8), S. 115 f.; Prömse (Fn. 16), S. 1; Scheuermann (Fn. 4), S. 12 u. 19.
21 Scheuermann (Fn. 4), S. 16.
22 Vgl. hierzu Elbow (Fn. 18), S. 15.
23 Hascher/Edlinger, Von der Stimmungs- zur Unterrichtsforschung: Überlegungen
zur Wirkung von Emotionen auf schulisches Lernen und Leisten, Unterrichtswis-
senschaft 2008, abrufbar unter https://www.researchgate.net/profile/Tina_Ha-
scher/publication/280305565_Von_der_Stimmungs-_zur_Unterrichtsforschung_
Uberlegungen_zur_Wirkung_von_Emotionen_auf_schulisches_Lernen_und_Lei
sten/links/55b0cde508ae32092e072f85/Von-der-Stimmungs-zur-Unt errichtsfor-
schung-Ueberlegungen-zur-Wirkung-von-Emotionen-auf-schulisches-Lernen-un
d-Leisten.pdf (letzter Abruf am 1.9.2018), 55 (59 f.).
64
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Reflexives Schreiben als Methode juristischen Lernens
____________________
24 Bolton (Fn. 8), S. 136; Prömse (Fn. 16), S. 2; Scheuermann (Fn. 4), S. 20 f.
25 Scheuermann (Fn. 4), S. 20 f.
26 Scheuermann (Fn. 4), S. 21 u. 67.
27 Scheuermann (Fn. 4), S. 67.
28 Scheuermann (Fn. 4), S. 67.
29 Mueller/Oppenheimer, The Pen is Mightier Than the Keyboard, Advantages of
Longhand Over Laptop Note Taking, Psychological Science 2014, 1159 (1166).
30 Scheuermann (Fn. 4), S. 20.
31 Bolton (Fn. 8), S. 133; Prömse (Fn. 16), S. 2; Scheuermann (Fn. 4), S. 12 u. 20;
vgl. Elbow (Fn. 18), S. 14 ff.
32 Vgl. Scheuermann (Fn. 4), S. 12; Elbow (Fn. 18), S. 15, spricht in diesem Zusam-
menhang von einem »Übersetzungsprozess«.
65
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Ann-Marie Kaulbach/Pauline Riecke
Es empfiehlt sich beim Schreiben, einen ausreichenden Rand auf der lin-
ken Seite zu belassen.33 Dies ermöglicht eine spätere Redaktion des Textes.
Da Lernen ein Prozess ist, verändert sich die eigene Beziehung zum Ge-
lernten stetig. Es kann hilfreich sein, einen Text, etwa eine Vorlesungsmit-
schrift, zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu lesen. Hierbei angefertigte
Notizen und Kommentare am linken Rand können bei der Reflexion unter-
stützend sein.34 Dabei können weitere, neue Gedanken entstehen, und das
Geschriebene wird mit neuen Erfahrungen und Erkenntnissen verknüpft.
II. Anwendungsmöglichkeiten
a) Wie bereits oben gesagt kann Schreiben als Medium der Reflexion ein-
gesetzt werden. Ziel ist dabei, die eigenen, unbewussten Gedanken und Ge-
fühle zu externalisieren und zu strukturieren. Im Kontext des juristischen
Lernens kann sich die Reflexion auf das Studium in seiner Gesamtheit, auf
die juristische Tätigkeit oder auf bestimmte Fragen des Stoffs oder des Ler-
nens beziehen. Man kann sich dazu an einer Leitfrage wie den oben genann-
ten orientieren.36 Auch Fragen wie »Warum erreiche ich trotz Lernens nicht
die gewünschte Punktzahl in Klausuren?« oder »Warum fällt mir Kommu-
nalrecht so schwer?« können sich als Anknüpfungspunkt einer Reflexion
eignen. Da reflexive Praxis individuell ist, erscheinen die Möglichkeiten
unbegrenzt.
Reflexives Schreiben kann auch zu Beginn eines Lernprozesses einge-
setzt werden, um ein juristisches Thema zu erschließen. Die Leitfrage
____________________
33 So Prömse (Fn. 16), S. 5; vgl. ferner Bolton (Fn. 8), S. 162.
34 Bolton (Fn. 8), S. 162; Prömse (Fn. 16), S. 5.
35 Vgl. Scheuermann (Fn. 4), S. 28
36 Prömse (Fn. 16), S. 2.
66
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Reflexives Schreiben als Methode juristischen Lernens
könnte dann sein: »Was interessiert mich am Thema X?«37 Eine solche Re-
flexion könne dazu beitragen, implizites Wissen zu aktivieren38 und die ei-
gene Motivation zu steigern.39 Dies sind auf Basis der konstruktivistischen
Lerntheorie entscheidende Voraussetzungen für den weiteren Lernprozess.
____________________
37 Scheuermann (Fn. 4), S. 104; vgl. hierzu in anderem Zusammenhang eingehend
Elbow (Fn. 18), S. 78 f.
38 Scheuermann (Fn. 4), S. 14.
39 Scheuermann (Fn. 4), S. 104.
40 Prömse (Fn. 16), S. 3; ferner Elbow (Fn. 18), S. 95, für die Zusammenfassung.
41 Vgl. allgemeiner Scheuermann (Fn. 4), S. 13 f.
42 Biggs/Tang (Fn. 2), S. 22; Hasselhorn/Gold (Fn. 2), S. 63 f.; Mietzel (Fn. 1), S.
271 u. 318 f.
43 Näher Mietzel (Fn. 1), S. 318 f.; vgl. auch Macke/Hanke/Viehmann (Fn. 2), S. 29.
44 Mietzel (Fn. 1), S. 318; vgl. Hasselhorn/Gold (Fn. 2), S. 55 f. m.w.N.
45 Dazu Elbow (Fn. 18), S. 95; ihm folgend Prömse (Fn. 16), S. 3.
46 Elbow (Fn. 18), S. 95; ihm folgend Prömse (Fn. 16), S. 3 f.
67
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Ann-Marie Kaulbach/Pauline Riecke
d) Ferner lässt sich das reflexive Schreiben mit der Methode des »inneren
Teams« kombinieren.50 Das Modell des »inneren Teams« geht auf Schulz
von Thun zurück.51 Damit werden verschiedene Persönlichkeitsanteile be-
schrieben. So gebe es Anteile der Persönlichkeit, die besonders kritisch auf
die eigenen Leistungen sähen. Ein bekanntes Bild ist der »innere Schwei-
nehund«, also ein Persönlichkeitsanteil, der danach strebt, unangenehme o-
der anstrengende Aufgaben zu vermeiden.
Reflexives Schreiben soll es ermöglichen, diese verschiedenen Persön-
lichkeitsanteile sichtbar zu machen und zueinander in Beziehung zu setzen.
Als Schreibübung hierzu wird empfohlen, ein schriftliches Gespräch zwi-
schen den verschiedenen Anteilen zu verfassen.52 Ein solches »inneres Ge-
spräch« könne zu einem Ausgleich der verschiedenen »Teammitglieder«
führen. Diese Technik erscheint als besondere Ausprägung einer reflexiven
Praxis, bei der es generell darum geht, die eigenen Handlungen und Gefühle
aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen.
____________________
47 Vgl. Prömse (Fn. 16), S. 4.
48 Vgl. allgemeiner Scheuermann (Fn. 4), S. 13 f.
49 Prömse (Fn. 16), S. 4.
50 Scheuermann (Fn. 4), S. 26 f. u. 113.
51 Vgl. das Werk von Schulz von Thun, Miteinander Reden, Band 3, Das »Innere
Team« und situationsgerechte Kommunikation, 26. Aufl., Reinbek 2013.
52 Scheuermann (Fn. 4), S. 113 f.
68
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Reflexives Schreiben als Methode juristischen Lernens
den Lernprozess vor einer bestimmten Klausur oder die Lernerfahrung wäh-
rend eines der Pflichtpraktika. Dies ermöglicht den Studierenden im Klei-
nen Erfahrungen mit der Methode zu sammeln, die gerade bei längeren
Lernprozessen durchaus ein großes Durchhaltevermögen und Kontinuität
im für das primäre Lernziel (etwa Staatsexamen) vermeintlich sekundären
Prozess des Logbuchschreibens fordert. Das Logbuch kann den einzelnen
Lernsituationen entsprechend angepasst werden, sodass für die spezifische
Lernsituation passende Reflexionsansätze gegeben sind. So könnte etwa bei
einem Gerichtspraktikum die Beobachtung des Richterverhaltens im Vor-
dergrund stehen, wohingegen beim Lernen im Hinblick auf eine bestimmte
Klausur die Beobachtung des eigenen Lernverhaltens und des Wissenser-
werbs im Fokus stehen könnten.
Das Schreiben eines Logbuchs ist seit Juli 2016 Bestandteil des struktu-
rierten Praktikumsprogramms beim LG Köln. Das Programm, welches das
LG Köln in Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum für juristisches
Lernen und Lehren entwickelt hat, zielt auf die bessere Verknüpfung der
praktischen Studienzeit mit der universitären Ausbildung ab. Im Rahmen
des Programms nehmen die Studierenden an thematischen Blockveranstal-
tungen teil, üblicherweise einen Tag in der Woche. Die übrige Zeit sind sie
einem Ausbilder zugeordnet. In einer der Blockveranstaltungen erhalten die
Studierenden eine Einführung in das Schreiben eines reflexiven Prakti-
kumsberichts in Form eines Logbuchs. Typische Herausforderungen bei der
didaktischen Ausgestaltung praktischer Studienzeiten sind die Aktivierung
der Studierenden und die Verknüpfung der Praxiserfahrung mit den Vorle-
sungsinhalten der universitären Ausbildung.53 Durch die Methode des Log-
buchs werden die Studierenden ermutigt, täglich ihre Erfahrungen im Prak-
tikum zu reflektieren. Die Studierenden sollen sich aktiv mit den Inhalten
der Praxisphase auseinandersetzen und diese mit dem bereits erworbenen
Vorwissen verknüpfen.
____________________
53 Schubarth/Speck/Ulbricht, Qualitätsstandards für Praktika, Bestandsaufnahme
und Empfehlungen, HRK nexus Fachgutachten, Potsdam u. Oldenburg 2016, ab-
rufbar unter https://www.hrk-nexus.de/fileadmin/redaktion/hrk-nexus/07-Down-
loads/07-01-Tagungen/07-01-50-Praktika_im_Studium/Praktika_Fachgutach-
ten.pdf (letzter Abruf am 1.9.2018), S. 8.
69
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Ann-Marie Kaulbach/Pauline Riecke
Dazu Dazu
gelernt gelernt
Fragen/Aufgaben an Fragen/Aufgaben an
mich selbst mich selbst
____________________
54 Vgl. hierzu und zur Methode Barry, Syllabus: Notes from an Accidental Profes-
sor, Montreal 2014, S. 62 ff.; eingehend zum Konzept eines »dialektischen« Log-
buchs Berthoff, Dialectical Notebooks and the Audit of Meaning, in: Fulwiler
(Hrsg.), The Journal Book, Portsmouth 1987, S. 11 (12); ferner (knapper) Elbow
(Fn. 18), S. 96.
70
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Reflexives Schreiben als Methode juristischen Lernens
darunter wird der Studierende dann dazu angehalten, sich Gedanken über
das in diesem Intervall Dazugelernte zu machen und in einem letzten Schritt
mögliche sich daraus ergebende Fragen festzuhalten. Zudem sollte der Stu-
dierende jeden Bogen mit Datum und möglicherweise einem Titel (etwa
Verhandlungstag) versehen, um eine zeitliche und inhaltliche Einordnung
zu erleichtern.
Auch der Musterbogen für ein Logbuch während der Vorbereitung auf
eine Klausur hat einen linken Rand zur späteren Kommentierung und ist im
Übrigen in fünf Felder aufgeteilt. Auch hier werden die Studierenden zu-
nächst dazu angehalten, sich mit ihrem Handeln auseinanderzusetzen, ihre
Tätigkeit festzuhalten. In diesem Bogen wird, angepasst an die übliche Al-
leinlernsituation mit schriftlichen Lernmitteln, nach »Gemacht/Getan« und
»Gelesen/Gesehen« gefragt. Sodann wird der Studierende aufgefordert,
sich mit seiner Einstellung zum Lernprozess (»Gefühlt«) auseinanderzuset-
zen. Sodann hat er wiederum die Möglichkeit, Dazugelerntes festzuhalten
und Fragen/Arbeitsaufträge an sich selbst zu formulieren.
Im Rahmen des strukturierten Praktikumsprogramms bringt eine Lehr-
person der Universität zu Köln den Studierenden zunächst die o.g. Grunds-
ätze reflexiven Schreibens nahe. Es wird empfohlen, das Logbuch zu einem
festen Zeitpunkt, etwa zu Beginn jedes Praktikumstags für den vorangegan-
genen zu schreiben. So ist sichergestellt, dass die Lernintervalle, die Ein-
gang in das Logbuch finden, in etwa gleichlang sind. Der Morgen jeweils
nach dem Praktikumstag bietet sich an, da durch die zeitliche Zäsur nur we-
sentlich eingestufte Eindrücke noch abrufbar sind bzw. sich diese verfestigt
haben. Die Schreibzeit wird auf zehn bis fünfzehn Minuten begrenzt. Dies
soll einerseits die erforderliche Motivation aufrechterhalten, andererseits
verhindern, dass die Schreibenden abschweifen.55
Die Logbucheinträge sollen möglichst durgehend geschrieben werden.
Das Geschriebene sollte nicht schon während des Schreibprozesses erneut
gelesen werden.56 Auch ist es wichtig die Studierenden zu ermutigen, so
weit als möglich ohne inneren Zensor zu schreiben.57 Im Rahmen der Re-
flexion ist jede Beobachtung des Lernprozesses gleichwertig. Ferner sind
die Erinnerungen durch das Schreiben am Folgetag bereits vorgefiltert.
____________________
55 S. oben S. 67.
56 Bolton (Fn. 8), S. 137.
57 S. oben S. 67.
71
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Ann-Marie Kaulbach/Pauline Riecke
Nach etwa einer Woche sollten die Studierenden das bisher geschriebene
durchgehen und für mögliche Anmerkungen, Ergänzungen oder weiterge-
hende Fragen nun den linken Rand nutzen. So könnten hier beispielsweise
etwaige nun erkennbare Zusammenhänge vermerkt werden oder auch wie-
derkehrende Beobachtungen auffallen, denen die Studierenden in den fol-
genden Praktikumstagen näher auf den Grund gehen wollen.58 Studierende
könnten etwa bestimmte wiederkehrende Formulierungen des Praktikums-
gebers auffallen, deren Sinn und Zweck sich ihnen nicht sofort erschließt.
Ebenso könnte einem Studierenden bei einem Strafverteidiger eine gerin-
gere praktische Relevanz im Studium gelernter Streitstände auffallen, was
sodann eine Diskussion ermöglichen kann. Studierende können durch die
Arbeit mit dem Logbuch einen ersten Überblick über ihren Lernprozess und
mögliche Störfaktoren, Wissenslücken oder auch sie positiv beeinflussende
Faktoren erlangen. Nach den ersten Durchsichten können nun auch gegebe-
nenfalls kleine Änderungen an den Fragestellungen des Musterbogens vor-
genommen werden, er gewissermaßen auf die Lernsituation des Studieren-
den feinjustiert werden.
Am Ende des Praktikums oder nach Beendigung der Lernphase bietet es
sich an, das Logbuch noch einmal zur Hand zu nehmen, um den Lernpro-
zess als Ganzes überblicken und beurteilen zu können. Den Studierenden
wird durch ihre Kommentierung am linken Rand und eventuell mittlerweile
erfolgte externe Lernstandsrückmeldungen möglich, ihren Lernprozess zu
reflektieren. Sie sind dadurch in der Lage, Lernhindernisse besser zu erken-
nen und diese im weiteren Lernprozess zu meiden, aber auch individuell
lernförderliche Faktoren zu identifizieren. Beide können hier sowohl auf
der strukturellen Ebene, etwa Tageszeit oder Lernumgebung, identifiziert
werden, sie könnten aber auch die gewählten Lernmethoden oder Lernmit-
tel betreffen. Auch können sie möglicherweise den unter den Einzellernpro-
zessen für Semesterabschlussklausuren oder Praktika liegenden Gesamt-
prozess besser greifen, hinterfragen und für sich anpassen.
Schließlich soll die Reflexion des Lernprozesses im Praktikum auch An-
knüpfungspunkte für das weitere Universitätsstudium bieten. So könnte ein
Student oder eine Studentin nach einem Praktikum bei Gericht mit einem
anderen Erwartungshorizont eine Vorlesung zum Prozessrecht besuchen.
Fragen, die im Praktikum entwickelt wurden, können Motivation für das
____________________
58 Vgl. hierzu Bolton (Fn. 8), S. 162 m.w.N.; Prömse (Fn. 16), S. 5; näher zur Idee
eines »dialektischen Notizbuchs« Berthoff (Fn. 54), S. 12.
72
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Reflexives Schreiben als Methode juristischen Lernens
D. Fazit
Aus konstruktivistischer Sicht ist Lernen ein Prozess, der eine aktive Aus-
einandersetzung des Lernenden mit dem Stoff und dem eigenen Vorwissen
erfordert. Reflexive Praxis umfasst die zielgerichtete Beobachtung der ei-
genen Handlungen und Gefühle. Eine solche Reflexion kann auch auf das
Lernen gerichtet werden. Reflexives Schreiben eignet sich hierzu als Me-
thode. Verschiedene konkrete Schreibübungen und -praktiken lassen sich
gezielt zur Reflexion von Stoff oder Lernverhalten einsetzen. Das vorge-
stellte Logbuch kann somit ein geeignetes Reflexionsmedium sein. Refle-
xives Schreiben eröffnet damit Möglichkeiten für aktives und nachhaltiges
Lernen.
73
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Juristisches Lernen in privaten Arbeitsgruppen fördern
Barbara Lange*
A. Einleitung
»Machen Sie mit Kommilitonen eine private Arbeitsgruppe auf, in der Sie
Wissen wiederholen und Fälle lösen!«1 »Finden Sie Freunde und gründen
eine solche.«2 Arbeitsgruppen sollen allgemein zu einer positiven Einstel-
lung zum Lernen beitragen, das kritische Denken verbessern, die Ausdauer
beim Lernen im Vergleich zum Einzellerner erhöhen und zu einer Prob-
lemlösung auf höherer Stufe führen können.3 Auch die Selbststeuerung und
die Teamfähigkeit sollen gefördert werden.4 Im Jurastudium werden die
Vorteile darin gesehen, dass die Mitglieder ihre juristische mündliche Ar-
gumentationsfähigkeit trainieren, unterschiedliche Auslegungen diskutie-
ren, ihr juristisches Wissen strukturieren und eine bessere Problemlösekom-
petenz erlangen können. Jurastudierenden wird daher von allen Seiten emp-
fohlen, privat organisierte Arbeits- oder Lerngruppen zu bilden: »Nahezu
spielerisch dienen private Arbeitsgemeinschaften der Wissenskontrolle und
Wissensumsetzung am konkreten Fall.«5 Funktionieren privat organisierte
____________________
* Rechtsanwältin, Lehrbeauftragte, Prüferin für das LJPA Bayern in der Ersten und
Zweiten Juristischen Staatsprüfung.
1 Interview Prof. Dr. Hardtung, Universität Rostock, http://www.juraexa-
men.com/forum/viewtopic.php?t=2858. Der letzte Abruf aller in diesem Beitrag
genannten Internetquellen erfolgte am 1.9.2018.
2 So Möllers, Juristische Arbeitstechnik und wissenschaftliches Arbeiten, 7. Aufl.,
München 2014, Rn. 35; ähnlich Krause, Arbeitsrecht, 3. Aufl., Baden-Baden
2015, S. 25 (Vorwort); Faust, BGB Allgemeiner Teil, 6. Aufl., Baden-Baden
2018, S. 19.
3 Seel/Hanke, Erziehungswissenschaft, Lehrbuch für Bachelor-, Master- und Lehr-
amtsstudierende, Berlin und Heidelberg 2015, S. 642, zu kooperativen Lernfor-
men.
4 Schubiger, Lehren und Lernen, Bern 2013, S. 119.
5 Möllers (Fn. 2), Rn. 65. Stellvertretend für viele ähnliche Empfehlungen Mann,
Einführung in die juristische Arbeitstechnik, 5. Aufl., München 2015, Rn. 12:
75
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Barbara Lange
____________________
»Nachdrücklich ist weiterhin auf den besonderen Nutzen privater Arbeitsgemein-
schaften hinzuweisen.«
6 Kostorz, Grundfragen der Rechtsdidaktik, Münster 2016, passim.
76
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Juristisches Lernen in privaten Arbeitsgruppen fördern
Die hier in den Blick genommene privat organisierte Arbeitsgruppe als ein
Sozialgebilde von mindestens zwei Personen ist dadurch gekennzeichnet,
dass sie sich freiwillig ohne institutionelle Veranlassung bildet sowie die
Inhalte und Arbeitsform autonom bestimmt. Mehrere Jurastudierende be-
schließen also, bestimmte Lern- und Arbeitsprozesse künftig gemeinsam zu
gestalten.7 Es geht somit weder um Kleingruppenarbeit als alternative Un-
terrichtsform während einer Lehrveranstaltung8 noch um Kleingruppen, die
von Lehrenden anlässlich einer Lehrveranstaltung veranlasst werden, um
gemeinsam – außerhalb der Präsenzphase einer Veranstaltung – eine be-
stimmte, von Lehrenden vorgegebene Aufgabenstellung zu bearbeiten.
Häufig wird alternativ auch von privaten Arbeitsgemeinschaften gespro-
chen. Da der Begriff Arbeitsgemeinschaft jedoch auch für Lehrveranstal-
tungen (als vorlesungsbegleitende Übung) im Studium oder im Referenda-
riat verwendet wird, ist die Bezeichnung Arbeitsgruppe vorzuziehen. Pri-
vate Arbeitsgruppen werden manchmal auch Selbstlerngruppen9 oder infor-
melle studentische Lerngruppen10 genannt.
____________________
7 Bergmans, Lern- und Arbeitstechniken für das Jurastudium, Stuttgart 2013, S. 97,
verwendet die Bezeichnung »formalisierte Arbeitsgemeinschaften, in denen tat-
sächlich studiert werden soll.« Mayer/Oesterwinter, Die BGB-Klausur – eine
Schreibwerkstatt, Baden-Baden 2017, Rn. 760, verwenden den Begriff »abge-
schlossene« Gruppe.
8 Zu Partner- und Kleingruppenarbeit als Lehrmethode in der juristischen Lehre z.B.
Dyrchs, Didaktikkunde für Juristen, Bielefeld 2013, S. 102 ff.; Eickelberg, Didak-
tik für Juristen, München 2017, S. 92 f.; Kostorz (Fn. 6), S. 50 ff.; Zimmer-
mann/Aksoy, Kompetenztrainer Rechtsdidaktik, Baden-Baden 2018 (i.E.). Initi-
ierte Kleingruppen in der Fallarbeits-Arbeitsgemeinschaft beschreibt Winter,
Strukturierte Einführung problembasierten Lernens in die juristische Pflichtfach-
lehre am Beispiel der Arbeitsgemeinschaften, in: Brockmann/Dietrich/Pilniok
(Hrsg.), Methoden des Lernens in der Rechtswissenschaft, Baden-Baden 2012, S.
137 (155). Fachbezogen zum kooperativen Lernen im Staatsorgansationsrecht s.
Frenzel, Variationen für das Staatsorganisationsrecht in der Lehre, in: Krüper/Pil-
niok (Hrsg.), Staatsorganisationsrecht lehren, Baden-Baden 2016, S. 39 (58).
9 Haft, Juristische Lernschule, Anleitung zum strukturierten Jurastudium, München
2010, S. 327.
10 Gerhard/Heidkamp/Spinner/Sommer/Sprick/Simonsmeier/Schneider, Vorlesung,
in: Schneider/Mustafic (Hrsg.), Gute Hochschullehre: Eine evidenzbasierte Orien-
tierungshilfe, Berlin 2015, S. 13 (18).
77
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Barbara Lange
78
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Juristisches Lernen in privaten Arbeitsgruppen fördern
____________________
13 So auch deutlich Roth, Bildung braucht Persönlichkeit, Wie Lernen gelingt, Stutt-
gart 2011, S. 299, zu Kleingruppenunterricht: »Der eigentliche Wissensfortschritt
ist hingegen gering zu veranschlagen.« Der wahre Wert liege in der hohen ge-
dächtnisstützenden Wirkung des praktischen Tuns.
14 Kooperativ und kollaborativ werden häufig synonym verwendet. Soweit unter-
schieden wird, wird unter kollaborativ das gemeinsame Erarbeiten (Fokus auf
Lernprozess) und unter kooperativ das gemeinsame Erreichen eines Lernergebnis-
ses, das auch auf der Erledigung unterschiedlicher Teilaufgaben beruhen kann,
verstanden. Die private Arbeitsgruppe im Jurastudium ist danach eher zum kolla-
borativen Lernen zu zählen.
15 S. weiterführend Lipowski, Unterricht, in: Wild/Möller (Hrsg.), Pädagogische Psy-
chologie, 2. Aufl., Berlin 2015, S. 69 (89).
79
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Barbara Lange
80
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Juristisches Lernen in privaten Arbeitsgruppen fördern
mentation auf höherem Niveau führen.21 Studien zeigen weiter die Verbes-
serung kritischen Denkens und die Verbesserung des intellektuellen Ni-
veaus von Fragen, was im Hinblick auf juristische Inhalte besonders wert-
voll erscheint.22 Eine umfangreiche Meta-Analyse zeigte eine verbesserte
Ausdauer bei kooperativem Lernen im Vergleich zum Einzellernen.23 Bei
Arbeitsgruppen außerhalb des Unterrichts, die sich privat zur Nachberei-
tung von Vorlesungen gebildet hatten, wurden ebenfalls positive Auswir-
kungen auf den Lernerfolg festgestellt.24 Neben kognitiven Effekten auf das
Problemlösen wurden auch Effekte auf sozial-emotionale Variablen festge-
stellt.25 Privat organisierte Arbeitsgruppen sind – der Natur der Sache nach
– kaum Gegenstand von Studien. Es besteht jedoch Einigkeit, dass die ge-
nannten positiven Effekte im Grunde auch auf private Arbeitsgruppen über-
tragbar sind, wenn bestimmte Erfolgsbedingungen beachtet werden.
____________________
21 Hilger/Lübbert/Pretzen/Reinartz/Theißen/Schneider (Fn. 20), S. 42.
22 Seel/Hanke (Fn. 3), S. 642, mit Verweis auf Studien von Marbach-Ad/Sokolove,
Can undergraduate biology students learn to ask higher level questions?, Journal
of Research in Science Teaching 2000, 854 (854 ff.), u. McCreary/Golde/Koeske,
Peer instruction in the general chemistry laboratory, Assessment of student learn-
ing, Journal of Chemical Education 2006, 804 (804 ff.). Ob sich die Ergebnisse
dieser Studien aus den Naturwissenschaften tatsächlich im Bereich der Rechtswis-
senschaft bestätigen, wäre zu untersuchen.
23 Johnson/Johnson/Stanne, Cooperative Learning Methods, A Meta-Analysis,
abrufbar unter https://www.researchgate.net/profile/David_Johnson50/publica-
tion/220040324_Cooperative_learning_methods_A_meta-analy-
sis/links/00b4952b39d258145c000000/Cooperative-learning-methods-A-meta-
analysis.pdf; Springer/Stanne/Donovan, Effects of small-group learning on under-
graduates in science, mathematics, engineering and technology: A meta-analysis,
Review of Educational Research 1999, 21 (21 ff.).
24 O´donnell/Danserau, Learning from lectures, Effects of cooperative review, Jour-
nal of Experimental Education 2010, 116 (116 ff.).
25 Seel/Hanke (Fn. 3), S. 642 m.w.N.
81
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Barbara Lange
I. Lernen verstehen
____________________
26 Renkl, Wissenserwerb, in Wild/Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, 2.
Aufl., Berlin 2015, S. 3 (23).
27 Auch in der Ausbildungsliteratur, so z.B. Mann (Fn. 5), Rn. 12.
28 Weiterführend Huber, Lernen in Gruppen/Kooperatives Lernen, in: Mandl/Fried-
rich (Hrsg.), Handbuch Lernstrategien, Göttingen 2006, S. 261 (261 ff.).
29 Schubiger (Fn. 4), S. 13 f.
30 So zutreffend Gerholz, Förderung von Lernkompetenz über Texte – illustriert am
Beispiel der Learning News, ZDRW 2015, 215 (215 ff.).
82
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Juristisches Lernen in privaten Arbeitsgruppen fördern
83
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Barbara Lange
84
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Juristisches Lernen in privaten Arbeitsgruppen fördern
85
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Barbara Lange
86
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Juristisches Lernen in privaten Arbeitsgruppen fördern
biete) für Arbeitsgruppen, der sich entweder bereits in den Räumen befindet
oder jeweils kurzfristig ausgeliehen werden kann, angesichts der Möglich-
keiten des Online-Zugriffs zur Verfügung gestellt werden sollte, kann si-
cher unterschiedlich beurteilt werden. Als Lernraum geeignet sind kleinere,
moderne Räume mit einer gewissen Ausstattung wie z.B. Whiteboard, Flip-
chart, Smartboard oder Pinnwand.47 Eine wesentliche Erleichterung der
Planung wird durch die Möglichkeit einer verlässlichen Raumreservierung
durch die Arbeitsgruppen geboten.48
Zum Aspekt »Wer mit wem?« wurde das Angebot virtueller Plattformen
zur Suche von geeigneten Lernpartnern diskutiert. Solche Angebote sind
vereinzelt vorhanden, entweder zentral und fachübergreifend wie in Biele-
feld49 oder fakultätsbezogen wie z.B. das Forum Privat-AG Gründung an
der Juristischen Fakultät Münster.50 Die Universität Freiburg betreibt eine
ständige Lerngruppenbörse sowie eine besondere Lerngruppenbörse im
Rahmen des jährlichen Ex-o-Rep-Workshops.51 An der Universität zu Köln
(Recht Aktiv) können Studierende onlinebasiert über ILIAS Arbeitsgrup-
penmitglieder finden, indem sie an einer nach lernpsychologischen Aspek-
ten konzipierten Umfrage teilnehmen, so dass andere registrierte Studie-
rende Kommilitonen kontaktieren können, die ähnliche oder dieselben Vor-
stellungen von ihrer Arbeitsgemeinschaft haben.52 Eine Initiative von ge-
genwärtigen und ehemaligen Jurastudierenden der Freien Universität und
der Humboldt Universität Berlin hat universitätsübergreifend das Projekt
JUREXIT (Juristisches Examen im Team Berlin-Brandenburg) initiiert,
ebenfalls mit einer digitalen Lerngruppenbörse.53
____________________
47 Dazu Frank/Fröhlich/Striewisch, Es ist wie im Wohnzimmer, aber trotzdem Uni,
Lernräume für eine Kultur der Kommunikation und Kooperation gestalten, in: Eg-
ger/Karber/Wustmann (Hrsg.), Forschungsgeleitete Lehre in einem Massenstu-
dium, Bedingungen und Möglichkeiten in den Erziehungs- und Bildungswissen-
schaften, Wiesbaden 2014, S. 127 (127 ff.).
48 Eine Online-Raumreservierung ist z.B. an der Juristischen Fakultät Tübingen un-
ter https://www.jura.uni-tuebingen.de/studium/besserlernen möglich.
49 Die MitLernZentrale der Universität Bielefeld (Projekt: Richtig einsteigen),
http://uni-bielefeld.de/zll/abteilungen/peerlearning/studierende/lernpartnerbo-
erse.html.
50 Unter www.unirep-online.de.
51 S. https://portal.uni-freiburg.de/jura/ex_o_rep/lerngruppen.
52 http://www.rechtaktiv.jura.uni-koeln.de/14670.html.
53 Zu finden unter https://jurexit.de/digitale-lerngruppenboerse/.
87
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Barbara Lange
____________________
54 Zur Einführung für Studierende knappe Ausführungen bei Bergmans (Fn. 7), S. 96
ff.; Lange, Mit der privaten Arbeitsgemeinschaft zum Erfolg, Der Wirtschaftsfüh-
rer 2.2012, 2 (2 ff.). Zur Arbeitsgruppe zur Vorbereitung auf eine Klausur Ma-
yer/Oesterwinter (Fn. 7), Rn. 758 ff. Ausführliche Anleitungen zu Arbeitsgruppen
im Jurastudium ter Haar/Lutz/Wiedenfels, Prädikatsexamen, Der selbständige
Weg zum erfolgreichen Examen, 4. Aufl., Baden-Baden 2016, S. 53 ff.; Lange,
Jurastudium erfolgreich, 8. Aufl., München 2015, S. 307 ff.; Deppner/Feihle/Leh-
nert/Röhner/Wappler, Examen ohne Repetitor, 4. Aufl., Baden-Baden 2017, S. 27
ff. u. 47 ff. Einzelbeiträge befassen sich vor allem mit der Arbeitsgruppe zur Exa-
mensvorbereitung wie Klose/Küster/Radde, Mit der Arbeitsgruppe zum Prädikat,
ZJS 2016, 270 (270 ff.). Mehrere Lehrvideos der FU Berlin sowie Trainingsauf-
gaben zum Lernen in Arbeitsgruppen unter http://www.fu-berlin.de/sites/studien-
beratung/e-learning/lernmodule/studienverlauf/index.html (Lernen in Arbeits-
gruppen, Gruppen richtig organisieren, Online Zusammenarbeit für Gruppen,
Kommunikationsregeln für die Gruppenarbeit).
55 Zutreffend bemerkt auch Mann (Fn. 5), Rn. 12, dass viele Studierende den Nutzen
privater Arbeitsgruppen erst in der Examensvorbereitungsphase erkennen.
56 S. Multrus/Majer/Bargel/Schmidt, Studiensituation und studentische Orientierun-
gen. 13. Studierendensurvey an Universitäten und Fachhochschulen, Langfassung,
Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bonn 2017, abrufbar unter
https://www.bmbf.de/pub/Studierendensurvey_Ausgabe_13_Hauptbericht.pdf.,
S. 44 u 46. Die diesbezüglichen Ergebnisse sind seit Jahren unverändert.
57 Bleckmann, Grundlagen und Themen einer kritischen Rechtsdidaktik, Kritische
Justiz 2016, 305 (315) m.w.N.
88
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Juristisches Lernen in privaten Arbeitsgruppen fördern
Hierbei geht es um den Aspekt »Was soll womit in der Arbeitsgruppe ge-
lernt werden«. Zunächst ist hilfreich, dass Studierende erkennen, dass es
ganz unterschiedliche Arbeitsgruppen-Typen gibt, und Studierende sich die
Notwendigkeit der konkreten Zielsetzung für die eigene private Arbeits-
gruppe bewusst machen. Ob exemplarisch Lernpläne mit konkreten Lerni-
nhalten zur Verfügung gestellt werden sollen, kann kontrovers diskutiert
werden. Ein gewichtiges Gegenargument ist, dass es zum Sinn und Zweck
einer privat organisierten Arbeitsgruppe gehört, sich selbst zu organisieren
und die entsprechenden Arbeitspläne selbst zu erstellen. Lernergebnisse
____________________
58 Bleckmann (Fn. 57), S. 315. Verpflichtende private Arbeitsgruppen zum Aus-
gleich für mögliche Unsicherheiten seitens Studierender aus bildungsfernen
Schichten schlagen vor Feltes/Ruch, Bildungsreserven nutzen, Plädoyer für die
aktive Förderung von Studierenden aus hochschulfernen Milieus am Beispiel der
Juristenausbildung, in: Hilgendorf/Rengier (Hrsg.), FS Heinz, Baden-Baden 2012,
S. 909 (919); auch Zumbach/Astleitner, Effektives Lehren an der Hochschule,
Stuttgart 2016, S. 74, weisen unter Berufung auf entsprechende Studien darauf
hin, dass Studierende, die in erster Generation an einer Hochschule sind, von einer
Kultur der Zusammenarbeit und Vernetztheit besonders profitieren; Rzadkowski,
Recht wissenschaftlich, Baden-Baden 2018, S. 350 f., schildert im empirischen
Teil die Bedeutung der Lerngruppe für eine mit B10 bezeichnete Studierende: »Sie
entschließt sich, »mitzuziehen« und macht während des gemeinsamen Lernens die
Erfahrung, dass ihr das interaktive Lernen besonders liegt. Die Veränderung be-
steht also darin, dass die Distanz zum Studium sich in ein zunehmendes Engage-
ment wandelt. Dabei spielt die Lerngruppe als Erfahrungsraum eine besondere
Rolle – sie fordert B10 durch den sozialen Druck, den sie wahrnimmt, heraus,
gleichzeitig findet sie im gemeinsamen Lernen einen Rahmen, der ihr »extrem
viel« hilft.«
89
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Barbara Lange
erhöhen sich schon dadurch, dass die zu besprechenden Fälle selbst heraus-
gesucht werden. Dazu kommt, dass sowohl genaue Anleitungen zur Erstel-
lung von Lernplänen59 als auch zahlreiche Muster-Lernpläne in der Litera-
tur60 und im Internet61 vorhanden sind. Diese Pläne können als Orientie-
rungshilfe dienen und müssen dann auf die individuellen Bedürfnisse zuge-
schnitten werden. Es ist daher nicht erforderlich, inhaltliche Lernpläne zur
Verfügung zu stellen, sondern es reicht aus, wenn seitens der Lehre auf sol-
che schon vorhandene Beispiele, Muster und Vorlagen hingewiesen wird.
Eine inhaltliche Unterstützung könnte auch das Angebot von geeigneten
und lehrreichen Fällen (Fallpools) darstellen, wobei dies von schlichten
Fundstellenhinweisen bis zur Verfügungstellung von Musterlösungen ge-
hen kann. Soweit hier seitens der Lehre ein Angebot für private Arbeits-
gruppen erwogen wird, würde es jedoch ausreichen, Hinweise und Links
auf aufbereitete Entscheidungsrezensionen der Ausbildungszeitschriften,
auf das JuS-Tutorium und die in der JuS erschienenen Übungsklausuren zu
geben62 sowie gegebenenfalls eine Liste mit geeigneten Fallösungsbüchern
für Anfänger, Fortgeschrittene und Examenskandidaten einzustellen.63 Es
erscheint daher nicht nötig, dass jede Fakultät besondere Fallpools für pri-
vate Arbeitsgruppe vorhält.
____________________
59 Eine Anleitung für Arbeitsgruppen zur Examensvorbereitung in 10 Schritten bietet
die Universität Freiburg unter https://portal.uni-freiburg.de/jura/ex_o_rep/down-
load/praesentation-ex-o-rep-workshop. Siehe auch das System Juralernplan unter
www.juralernplan.de.
60 Deppner/Feihle/Lehnert/Röhner/Wappler (Fn. 54), S. 195 ff. (6 Lernpläne); ter
Haar/Lutz/Wiedenfels (Fn. 54), S. 175 ff. (Muster-AG-Plan für das Erste Staats-
examen).
61 So die fünf Beispiel-Lernpläne unter https://portal.uni-freiburg.de/jura/ex_o_rep/l
erngruppen, der Vorschlag einer Planung zur Vorbereitung auf das Erste Juristi-
sche Staatsexamen in Hamburg unter https://www.jura.uni-hamburg.de/me-
dia/studium/hex/lernplan-exorep.pdf; Musterlernpläne zur Vorbereitung an der
HU Berlin unter https://jurexit.de/vorbereitung-des-reps/lernplaene/; der Vor-
schlag eines Lernplans für eine private Arbeitsgruppe zur Vorbereitung auf das
bayerische Examen unter http://www.michaelforster.net/ag_plan.html.
62 Z.B. auf das Material von www.unirep-online.de der Universität Münster.
63 Lange, Jurastudium erfolgreich (Fn. 54), enthält eine Auflistung von Fallsamm-
lungen nach Rechtsgebieten und Studienphasen getrennt auf S. 296 ff. sowie eine
Literaturliste zur Methode der Fallbearbeitung in den einzelnen Rechtsgebieten
auf S. 304 ff.; besonders geeignet auch das Werk von Preis/Prütting/Sachs/Wei-
gend, Die Examensklausur, 6. Aufl., München 2017.
90
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Juristisches Lernen in privaten Arbeitsgruppen fördern
III. Die Reflexion über das Lernen, das Juristische Lernen und über das
Juristische Lernen in Gruppen fördern
91
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Barbara Lange
darüber nachdenken, welche Tätigkeiten hilfreich sind und wie der Arbeits-
prozess gestaltet und modifiziert werden muss.69 Erforderlich ist eine stän-
dige Reflexion über das »Wie wird wozu in unserer Arbeitsgruppe ge-
lernt?«. Eigenständige Veranstaltungen mit dem Fokus auf den Themen
Lernen, Juristisches Lernen, Lernen in Gruppen oder der Einbezug dieser
Themen in die Fachveranstaltung gibt es nur an manchen Fakultäten. Eher
ist das Thema Lernen Gegenstand kurzer Ratschläge zum richtigen Studie-
ren im Rahmen der Vorlesung oder der Anfängerarbeitsgemeinschaften.70
Solche – aus Sicht der Studierenden in plötzlichem Wechsel zur Inhaltsver-
mittlung stehenden – der Auflockerung dienende väterliche oder mütterli-
che Ratschläge haben jedoch den Nachteil, dass sie wenig verinnerlicht
werden, weil die Studierenden in diesem Moment entweder Rat gar nicht
erwarten oder nicht zu brauchen meinen. Daneben erfolgen Ratschläge zum
Lernen häufig geballt in verblockten Orientierungsphasen, die sich hierfür
ebenfalls nur bedingt eignen.71 Einen deutlich höheren Wirkungsgrad haben
Veranstaltungen, die Studierenden die Erfolgsfaktoren für effektives Grup-
penlernen praxisnah vermitteln und auch selbst erfahren lassen. Allerdings
werden diese Effekte vor allem dann erzielt, wenn solche Veranstaltungen
von Juralehrenden geleitet und mit konkreten fachlichen Inhalten verbun-
den werden.72 Erst die Kenntnis und das Verstehen der Erfolgsfaktoren von
____________________
69 Lipowsky (Fn. 15), S. 89.
70 Seiwerth, Aktivierung und lernförderliche Lehre in der Falllösungs-Arbeitsge-
meinschaft, ZDRW 2017, 196 (204), erzählt zu Beginn jeder Stunde »kurz etwas
allgemein über effizientes Studieren, […] über den Zweck von häuslicher Arbeit,
über verschiedene Lernstrategien […], über die Möglichkeit, statt Papier-Kartei-
karten digitale Karten (z.B. bei www.repetico.de) zu erstellen, die sich auf jedem
Endgerät wiederholen lassen, über geeignete Lehrbücher, den Sinn und Unsinn
inhaltlich vorgefertigter Karteikarten, eine geeignete Ausbildungszeitschrift oder
die Arbeit am Sachverhalt mit Skizzen und Zeitstrahlen.« Auf diese Weise werden
in seinem Unterricht sicher mehr Anregungen gegeben als üblich, allerdings be-
dürfen diese »Erzählungen« dann der Umsetzung und Reflexion durch die Studie-
renden.
71 Hierzu Lange, Stärkung der Studierkompetenz in der Studieneingangsphase –
Werkstattbericht über das Kompetenztraining für Studierende und den Fachdidak-
tik-Workshop Gut lehren und lernen für AG-Leiter, in: Brockmann/Pilniok
(Hrsg.), Studieneingangsphase in der Rechtswissenschaft, Baden-Baden 2014,
S. 376 (381).
72 Zu entsprechenden Veranstaltungen s. ausführlich die Beiträge in Bleckmann (Fn.
34); s.a. Jäger/Speierer, Individuelle Förderung in Regensburg durch REGINA –
Zielgerichtetes und selbstorganisiertes Lernen in der Studieneingangsphase durch
92
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Juristisches Lernen in privaten Arbeitsgruppen fördern
____________________
»Wahrnehmen-Austauschen-Üben«, in: Brockmann/Pilniok (Hrsg.), Studienein-
gangsphase in der Rechtswissenschaft, Baden-Baden 2014, S. 408 (408 ff.), u.
Lohse/Zwickel, Juristisches Kompetenztraining in der Studieneingangsphase – ein
Werkstattbericht, in: Brockmann/Pilniok (Hrsg.), Studieneingangsphase in der
Rechtswissenschaft, Baden-Baden 2014, S. 431 (431 ff.); Lange (Fn. 71), S. 394
ff., stellt ein halbtägiges Modul »Erfolgreiche private Arbeitsgemeinschaften« im
Rahmen eines mehrtägigen Kompetenztrainings vor.
73 Solche Blockveranstaltungen müssen nach Frenzel, Medienkritik zu Bleckmann
(Hrsg.), Selbstlernkompetenzen im Jurastudium, Stuttgart 2015, ZDRW 2017, 57
(59), aber freiwillig bleiben, da die spätere Tätigkeit eine metakognitive Haltung
und reflexive Fähigkeiten voraussetze und Studierende nicht zum Jagen getragen
werden sollten.
74 Dies setzt allerdings die Bereitschaft und Lehrkompetenz der Lehrenden zur In-
tegration von gelingender Kleingruppenarbeit als Unterrichtsform voraus.
93
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Barbara Lange
94
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Juristisches Lernen in privaten Arbeitsgruppen fördern
ten, die ohne das erforderliche Verständnis nicht umgesetzt werden kön-
nen.79 Zur Rückkoppelung ist die Etablierung von Feedback-Systemen hilf-
reich, um die Erfahrungen der Studierenden auszuwerten.
E. Ergebnisse
____________________
79 Literaturnachweise s. Fn. 54.
80 So Faust (Fn. 2), S. 19: »Eine private Lerngruppe von drei bis vier Leuten ist eine
der effektivsten Arten zu lernen, die es gibt.«
95
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Barbara Lange
der Mut fehlt, den Einstieg in private Arbeitsgruppen erleichtert. Die Inten-
sität der konkreten Förderung und Unterstützung ist im Dialog mit allen
Beteiligten eines Fachbereichs zu diskutieren und transparent zu machen
96
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Motivation im Jurastudium
Die demotivierende Wirkung von Studienbedingungen und Fachkultur und
was wir tun können, um die Identifikation mit dem Fach zu erhöhen
Frank Bleckmann*
A. Einführung
Das Verhalten der Menschen lässt sich aus einer konstruktivistischen Per-
spektive als ein Prozess der Abarbeitung intern erzeugter Handlungsanlässe
beschreiben. Dieser Prozess vollzieht sich entsprechend selbstgebildeter
Strukturen in Auseinandersetzung mit den Irritationen der natürlichen und
sozialen Umwelt. Die Steuerung dieses Prozesses lässt sich – so Kahneman
– analytisch differenzieren in ein schnelles, emotionales und weitgehend
unbewusstes, und ein langsames, bewusstes und sich gedanklich vollzie-
hendes Regulationssystem.1 Diese Differenzierung ist lediglich analytisch,
weil außer in Grenzbereichen ein einheitlicher Prozess mit einer unter-
schiedlich starken Inanspruchnahme beider Regulationssysteme abläuft.2
Lernen ist dann die Veränderung dieser Regulationssysteme. Das kann so-
wohl die Weltkonstruktion und -wahrnehmung (Handlungsanlass?) wie
auch die Verhaltenspragmatik (Wie abarbeiten?) betreffen.
Die Konsequenz eines konstruktivischen Verständnisses des Lernprozes-
ses als Selbstsubstitution psychischer Strukturen führt zum einen zu einer
____________________
* Dr. jur., M.Phil. (Cantab); Richter am Landgericht Freiburg i. Br. und Leiter einer
Referendar-AG im Zivilrecht; 2010–2014 Abordnung als Dozent an den Fachbe-
reich Rechtswissenschaft der Universität Konstanz; 2013 Zertifikat für Hoch-
schuldidaktik; 2012 Fellow für Innovationen in der Hochschullehre.
1 S. Kahneman, Schnelles Denken, langsames Denken, 24. Aufl., München 2012,
S. 32 ff.
2 Der Hirnforscher Roth sieht noch eine dritte Instanz am Werk, nämlich das Vor-
bewusste, das als Aufmerksamkeitsfilter des Bewusstseins wirke, potentielle Be-
wusstseinsinhalte mitführe und frühere Entscheidungen und Erfahrungen bereit-
halte, so dass auch ein intuitives Entscheiden möglich werde, s. Roth, Persönlich-
keit, Entscheidung und Verhalten, Warum es so schwierig ist, sich und andere zu
ändern, Stuttgart 2007, S. 195 ff. Allerdings unterscheidet er beim Lernen dann
insoweit nur zwischen kognitiv-intellektuellem Lernen und emotionalem Lernen,
s. Roth (Fn. 2), S. 222 ff.
97
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Frank Bleckmann
Entzauberung der Lehre, die feststellen muss, wie tief die Schlucht zwi-
schen intendierten Lernzielen und realen Lerneffekten ist (Stichwort: Lehr-
/Lern-Kurzschluss). Eine echte Lernbegleitung funktioniert nur mit der Be-
reitschaft, den Studierenden offen zu begegnen, ihren Fragen zu folgen und
ständig ehrliche und konstruktive Rückmeldungen zu geben.
Ein konstruktivistisches Verständnis führt zum anderen zu einem neuen
Interesse an den Bedingungen der Möglichkeit erfolreichen Lernens jen-
seits einer bloßen Darstellung der Sache, das sich am Lernprozess der Stu-
dierenden orientiert (Stichwort: Lernerzentrierung, Unterstützung selbstre-
gulierten Lernens).
Die Erkenntnisse der Kognitionspsychologie und Verhaltensökonomie
über die Rolle unterschiedlicher Regulationssysteme für das menschliche
Verhalten machen deutlich, dass es neben der Sache selbst und ihrer An-
wendung zur Problemlösung, dem Gegenstand kognitiv-intellektuellen Ler-
nens, auch um eine Adressierung und Reflexion der emotionalen Anteile im
Lernprozess gehen muss.3 Sonst bleibt das Wissen blass und die Praxis un-
verstanden. Das hat bereits vor 200 Jahren Pestalozzi (1746 – 1827) unüber-
troffen auf den Punkt gebracht mit seiner Forderung nach einer ganzheitli-
chen Bildung »mit Kopf, Herz und Hand.«
Wie die Lernziele auf der Sachebene grundsätzlich auf eine Integration
von Wissen, Fertigkeiten und Einstellungen/Haltungen4 abzielen sollten, so
sind auf der Reflexionsebene neben metakognitiven Strategien auch das
emotionale Erleben und die Möglichkeiten emotionaler Regulation zu the-
matisieren. Kulow hat dazu vor etwa 15 Jahren ein Büchlein für Studierende
verfasst: »Jura … mit Gefühl«.5 Heute wird das Thema in Veranstaltungen
____________________
3 S. z.B. für die Medizin Shapiro, The feeling physician: educating the emotions in
medical training, EJPCH 2013, 310 (310 ff.), oder für die Geowissenschaften van
der Hoeven Kraft/Srogi/Husman/Semken/Fuhrman, Engaging Students to Learn
Through the Affective Domain: A new Framework for Teaching in the Geosci-
ences, Journal of Geoscience Education 2011, 71 (71 ff.).
4 Für Lernziele in der Medizin s. z.B. International Training And Education Center
for Health, Writing Good Learning Objectives, 2010, abrufbar unter https://care-
acttarget.org/sites/default/files/file-upload/resources/TIG%204%20Learning%20
Objectives%202010.pdf (letzter Abruf am 1.9.2018), insb. S. 5: »The affective
domain is important to address when training health care providers, as the provid-
ers’ values, emotions, attitudes, and beliefs can have a great impact on the type of
care provided.«
5 Kulow, Jura … mit Gefühl! Motiviert und ohne Stress lernen, Stuttgart 2004.
98
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Motivation im Jurastudium
____________________
6 Kompetenzzentrum für juristisches Lernen und Lehren, Reflexive Praxis, 2017,
abrufbar unter http://www.kjll.jura.uni-koeln.de/10756.html (letzter Abruf am
1.9.2018).
7 Siehe z.B. Schubert-Henning, Toolbox – Lernkompetenz für erfolgreiches Studie-
ren, Bielefeld 2007.
8 Ausnahmen insoweit Eickelberg, Didaktik für Juristen, Wissensvermittlung, Prä-
sentationtechnik, Rhetorik, München 2017, S. 31 ff., und Frenzel, Variationen für
das Staatsorganisationsrecht in der Lehre, in: Krüper/Pilniok (Hrsg.), Staatsorga-
nisationsrecht lehren, Baden-Baden 2016, S. 39 (40 ff.), die dem Thema Motiva-
tion immerhin knapp drei Seiten widmen.
9 In diesem Sinne z.B. Foerste, Eingangs- und Zwischenprüfungen, Forschung &
Lehre 2015, 298 (298 ff.).
10 Für die motivationale Wirkung eines Planspiels s. z.B. Reiß, Projekt »Planspiel
Strafprozessrecht – von der Tat zum Urteil«, ZDRW 2014, 150 (157 f.); für legal
clinics s. Paal, Legal Clinics als Element der universitären Juristenausbildung,
AnwBl 2017, 956 (957); für forschendes Lernen z.B. Frey, Forschendes Lernen
im Bereich der rechtlichen Fragen der Erneuerbaren Energien – ein Werkstattbe-
richt am Beispiel der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, ZDRW 2014,
251 (259).
11 Ministerium der Justiz NRW, Ursachen des Studienabbruchs im Studiengang
»Jura/Staatsexamen«, 2018, abrufbar unter https://www.justiz.nrw.de/JM/schwer
99
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Frank Bleckmann
____________________
punkte/juristenausbildung/gutachten_studienabbruch_jura/index.php (letzter Ab-
ruf am 1.9.2018).
12 Heublein/Hutzsch/Kracke/Schneider, Die Ursachen des Studienabbruchs in den
Studiengängen des Staatsexamens Jura, Eine Analyse auf Basis einer Befragung
der Exmatrikulierten vom Sommersemester 2014, DZHW-Projektbericht, Hanno-
ver 2017, abrufbar unter http://www.dzhw.eu/pdf/21/dzhw-gutachten-ursachen-
studienabbruch-staatsexamen-jura.pdf (letzter Abruf am 1.9.2018), S. 45.
13 Dresel/Lämmle, Motivation, in: Götz (Hrsg.), Emotion, Motivation und selbstre-
guliertes Lernen, 2. Aufl., Stuttgart 2017, S. 80 (81).
14 S. Roth (Fn. 2), S. 243.
100
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Motivation im Jurastudium
101
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Frank Bleckmann
____________________
18 Lai/Chan/Wong, A study of intrinsic motivation, achievement goals and study
strategies of Hong Kong Chinese secondary students, Australian Association for
Research in Education, AARE Conference Paper, Adelaide 2006, abrufbar unter
https://www.aare.edu.au/publications-database.php/5124/a-study-of-intrinsic-mo
tivation-achievement-goals-and-study-strategies-of-hong-kong-chinese-secondar
(letzter Abruf am 1.9.2018).
19 Das übersieht m.E. Ulrich, Gute Lehre in der Hochschule: Praxistipps zur Planung
und Gestaltung von Lehrveranstaltungen, Heidelberg 2016, S. 21, der in vielen
Fällen ein Oberflächenlernen für sinnvoll hält, weil er davon auszugehen scheint,
dass Anwendungswissen oberflächlich, also mnemotechnisch, zu erreichen sei.
20 Broemel/Stadler, Lernstrategien im Jurastudium, JURA 2014, 1209 (1214 ff.).
102
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Motivation im Jurastudium
____________________
21 Halloun/Hestenes, The initial knowledge state of college physics students, Amer-
ican Journal of Physics 1985, 1043 (1043 ff.).
22 Gruschka, Was bedeutet es, das Verstehen zu lehren?, in: Bleckmann (Hrsg.),
Selbstlernkompetenzen im Jurastudium, Bedeutung – Praxis – Perspektiven, Stutt-
gart 2015, S. 65 (68).
23 Dresel/Lämmle (Fn. 13), S. 89.
103
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Frank Bleckmann
____________________
24 Dresel/Lämmle (Fn. 13), S. 90.
104
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Motivation im Jurastudium
____________________
25 Deci/Ryan (Fn. 16), S. 227.
26 Deci/Ryan (Fn. 16), S. 229; Ryan/Deci, Self-determination theory and the facilita-
tion of intrinsic motivation, social development, and well-being, American Psy-
chologist 2000, 68 (70 f.).
105
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Frank Bleckmann
Aus der Theorie und den ihr zugrundeliegenden empirischen Befunden er-
geben sich einige Hinweise für die Gestaltung von Lehr-/Lernsituationen.
Global geht es dabei um die Verbesserung des Autonomie- und Kompe-
tenzerlebens sowie des Gefühls der sozialen Eingebundenheit. Daraus las-
sen sich folgende Empfehlungen ableiten:30
____________________
27 Eine Liste der Publikationen findet sich unter Ryan/Deci/Robertson Hoefen, sdt –
Self-Determination Theory, 2018, abrufbar unter http://selfdeterminationthe-
ory.org/publications (letzter Abruf am 1.9.2018); Krapp, Psychologische Bedürf-
nisse und Interesse, Theoretische Überlegungen und praktische Schlussfolgerun-
gen, in: Vollmeyer/Brunstein (Hrsg.), Motivationspsychologie und ihre Anwen-
dung, Stuttgart 2005, S. 23 (23 ff.).
28 Ryan/Deci, Self-determination theory, Basic psychological needs in motivation,
development, and wellness, New York 2017, S. 123 ff.
29 Die Betrachtung der Motivation der Lehrenden und ihre Bedeutung für das Lernen
wäre ein weiteres – wichtiges – Thema; s. z.B. Roth/Assor/Kanat-May-
mon/Kaplan, Autonomous motivation for teaching: How self-determined teaching
may lead to self-determined learning, Journal of Educational Psychology 2007,
761 (761 ff.).
30 S. Schiefele/Streblow, Motivation aktivieren, in: Mandl/Friedrich (Hrsg.), Hand-
buch Lernstrategien, Göttingen 2006, S. 232 (238 ff.); Dresel/Lämmle (Fn. 13), S.
128 ff.; Ferris/Huxley-Binns, Putting Theory into Practice: Designing a curricu-
lum according to self-determination theory, The International Journal of Pedagogy
and Curriculum 2013, 1 (1 ff.); Ferris, Uses of values in legal education,
Cambridge 2015, S. 117 ff.
106
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Motivation im Jurastudium
Autonomie:31
Kompetenzerleben:
107
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Frank Bleckmann
Soziale Eingebundenheit
____________________
34 Schwartz/Hess/Sparrow (Fn. 32), S. 187.
35 Schwartz/Hess/Sparrow (Fn. 32), S. 105.
108
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Motivation im Jurastudium
I. Autonomie
109
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Frank Bleckmann
von großer Bedeutung sind, während die fachbezogenen Inhalte als Tätigkeitsmo-
tive eine geringere Rolle spielen.«40
Auch die eigene Identifizierung mit dem Fach ist gering ausgeprägt. Wäh-
rend immerhin 29 % der Abbrecher erneut Jura studieren würden, wenn sie
noch einmal vor der Studienfachwahl stünden, sind nur 49 % der Absolven-
ten davon überzeugt, das richtige Fach studiert zu haben – 31 % würden auf
keinen Fall noch einmal Jura studieren.41
»In den Rechtswissenschaften und Medizin beschreiben 90 % bzw. 88 %
der Studierenden ihr Fach durch hohe Leistungsnormen.«42 Das muss nicht
per se schlecht sein. Allerdings zeigt sich eine einseitig leistungsbezogene
Arbeitskultur »unter allen Fachgruppen ebenfalls am deutlichsten in den
Rechtswissenschaften.«43 Das sind schlechte Voraussetzungen für kreative
Freiräume, die eigenverantwortlich genutzt werden können. Dazu kommt:
»Auf den Erwerb eines umfangreichen Faktenwissens legen die Rechtswissenschaf-
ten und Medizin aus Sicht ihrer Studierenden einen zu großen Wert: 72 % (Rechts-
wissenschaften) und 75 % (Medizin) der Studierenden dieser Fächer fühlen sich
damit überfordert. Ähnlich bewerten sie die Arbeitsintensität: Hier halten 76 % der
Studierenden der Rechtswissenschaften und 68 % in der Medizin die Ansprüche aus
ihrer Sicht für überzogen. […] In den Natur- und Ingenieurwissenschaften halten
61 % bzw. 57 % die geforderte Arbeitsintensität für überzogen […].«44
Im 12. Studierendensurvey wurde die Stoffmenge von 53 % der Jurastudie-
renden – auch das der Spitzenwert aller Fächergruppen – als starke Belas-
tung empfunden.45
»[…] [D]as Bemühen, die eigene Orientierung in der Vielfalt der Fachinhalte zu
finden, führt bei einem vergleichsweise großen Teil der Studierenden (31 %) in den
Rechtswissenschaften zu Belastungen.«46
____________________
40 Heublein/Hutzsch/Kracke/Schneider (Fn. 12), S. 42.
41 Heublein/Hutzsch/Kracke/Schneider (Fn. 12), S. 54 f.
42 Multrus/Majer/Bargel/Schmidt (Fn. 36), S. 26.
43 Multrus/Majer/Bargel/Schmidt (Fn. 36), S. 27.
44 Multrus/Majer/Bargel/Schmidt (Fn. 36), S. 29.
45 Ramm/Multrus/Bargel/Schmidt (Fn. 37), S. 187.
46 Multrus/Majer/Bargel/Schmidt (Fn. 36), S. 56.
110
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Motivation im Jurastudium
II. Kompetenz
Nur 27 % der Jurastudierenden geben an, den Lernstoff gut oder sehr gut
organisieren zu können. Damit schreiben sie sich die geringste Organisati-
onskompetenz aller befragten Fächer zu. Spitzenreiter sind hier die Medizi-
ner mit 40 %, dann kommen die Sozialwissenschaftler mit 36 %.47
Größere Schwierigkeiten machen der Umgang mit den Leistungsanfor-
derungen (76 %), die Prüfungsvorbereitung (69 %) und die Erstellung
schriftlicher Arbeiten (48 %).48
»In den Rechtswissenschaften verursachen leistungsbezogene Aspekte am häufigs-
ten Belastungen: Durch die Leistungsanforderungen fühlen sich 78 % der Studie-
renden stark belastet, durch die Prüfungsvorbereitungen 73 %.«49
In allen genannten Bereichen nehmen die Jurastudierenden die Spitzenstel-
lung aller Fächergruppen ein.
Zur geringen Frequenz eines lernorientierten Feedbacks (nicht einer blo-
ßen Leistungsüberprüfung), zur Fehlerkultur und zur geringen Wahrschein-
lichkeit positiver Rückmeldungen bedarf es kaum empirischer Belege. Dass
immer noch Klausuren geschrieben, benotet und zurückgegeben werden,
ohne sie ausführlich zu besprechen, in der Korrektur eine Fehlerdiagnose
durchzuführen und Lernempfehlung zu geben, ist didaktisch unverständ-
lich. Dass Korrektoren nur selten ausführlich geschult sind und im Rahmen
von Mehrfachkorrekturen ihre Standards angleichen bzw. durch Stichpro-
ben ernsthaft kontrolliert werden, ist unprofessionell. Dass fehlerhafte Bei-
träge in Veranstaltungen einfach ignoriert werden und durch den Aufruf des
nächsten Studierenden mit der richtigen Antwort für ein Gespräch verloren-
gehen, statt sie als wertvollen Beitrag und Ausgangspunkt für Nachfragen
aufzuklären, vergibt die zentralen Vorteile von Präsenzveranstaltungen.
Und dass man das Staatsexamen in seiner derzeitigen Ausgestaltung durch-
____________________
47 Multrus/Majer/Bargel/Schmidt (Fn. 36), S. 20.
48 Ramm/Multrus/Bargel/Schmidt (Fn. 37), S. 180.
49 Multrus/Majer/Bargel/Schmidt (Fn. 36), S. 56. Diese Werte lagen im 12. Studie-
rendensurvey noch bei 48 und 51 % (Ramm/Multrus/Bargel/Schmidt (Fn. 37), S.
187). Da sich der Unterschied in den Werten in ähnlicher Größenordnung durch
alle Fächer zieht, ist davon auszugehen, dass die Form der Erhebung oder Zusam-
menfassung der Ergebnisse sich verändert hat. In beiden Erhebungen handelt es
sich bei den Werten der Rechtswissenschaften aber jeweils um die Spitzenwerte
der Fächergruppen.
111
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Frank Bleckmann
____________________
50 Schwab, Juristische Staatsprüfungen und das Grundgesetz, Stoffüberfülle, Block-
versagen, Exotenklausuren, strenge Noten, Originalabdruck einer Klageschrift,
Hamburg 2005.
51 Ramm/Multrus/Bargel/Schmidt (Fn. 37), S. 180.
52 Multrus/Majer/Bargel/Schmidt (Fn. 36), S. 44 f.
53 Multrus/Majer/Bargel/Schmidt (Fn. 36), S. 44 f.
54 Ramm/Multrus/Bargel/Schmidt (Fn. 37), S. 180.
55 Multrus/Majer/Bargel/Schmidt (Fn. 36), S. 50.
112
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Motivation im Jurastudium
113
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Frank Bleckmann
____________________
61 Multrus/Majer/Bargel/Schmidt (Fn. 36), S. 46.
62 Heublein/Hutzsch/Kracke/Schneider (Fn. 12), S. 57.
63 Ramm/Multrus/Bargel/Schmidt (Fn. 37), S. 180
64 Heublein/Hutzsch/Kracke/Schneider (Fn. 12), S. 55.
65 Heublein/Hutzsch/Kracke/Schneider (Fn. 12), S. 61.
66 Heublein/Hutzsch/Kracke/Schneider (Fn. 12), S. 63; das ist freilich nicht auf
Deutschland beschränkt, sondern gilt auch für die USA, s. Organ/Jaffe/Bender,
Helping Law Students Get the Help They Need: An Analysis of Data Regarding
114
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Motivation im Jurastudium
IV. Konsequenzen?
Man sieht einmal mehr: Die Lage ist düster – und das schon seit langem.
Dabei darf man nicht den Fehler machen, das alles als ein Problem der Stu-
dienbedingungen in einem Massenstudienfach oder allein als didaktisches
Problem zu sehen. Fachkultur und Studienbedingungen sind eng miteinan-
der verflochten. Die Studienbedingungen sind das notwendige Setting für
die Sozialisation in die besondere juristische Fachkultur.67 Und diese Fach-
kultur ist eng verbunden mit der gesellschaftlichen Bedeutung und Stellung
der Juristen. Es ist in keiner Weise überraschend, dass das neue Gutachten
zum Studienabbruch im Staatsexamensstudiengang Jura von der Politik in
Auftrag gegeben wurde. Die juristischen Fakultäten haben keinerlei Inte-
resse an Selbsterkenntnis oder Selbstkritik. Sie werden sich, wie bisher
auch, darin gefallen, als Bad Guy an den Universitäten dem Zeitgeist die
Stirn zu bieten, der in Zeiten wirtschaftlicher Expansion, Pensionswelle und
sinkenden Absolventenzahlen zunehmend mehr an Lehre und erfolgreicher
Humankapitalbildung interessiert zu sein scheint.
Wenn die Politik etwas ändern will, dann hat sie durch das Gutachten
einige Anregungen bekommen. Über einzelne Vorschläge kann man durch-
aus kontrovers diskutieren, der Kern der Analyse aber deckt sich weitge-
hend mit den Erkenntnissen, die sich auch aus der Selbstbestimmungstheo-
rie der Motivation ableiten lassen. Das Gutachten nennt zwei zentrale
Punkte:
1. »Leistungsaspekte sind für die Staatsexamens-Studiengänge Jura wesentliche In-
dikatoren für das Bestehen von Abbruchrisiken. […] Am Leistungsstand lassen sich
damit nicht nur Abbruchrisiken abschätzen, sondern auch der Bedarf an besserer
Studienvorbereitung bzw. an Präventions- und Interventionsmaßnahmen im Stu-
dium ableiten.«68 Daraus folgt ohne weiteres, »dass eine angemessene Prävention
des Studienabbruchs auf bessere Anforderungsbewältigung ausgerichtet sein
muss.«69
____________________
Law Students’ Reluctance to Seek Help and Policy Recommendations for a Vari-
ety of Stakeholders, The Bar Examiner 2015, 9 (9 ff.).
67 S. Böning, Jura studieren, Eine explorative Untersuchung im Anschluss an Pierre
Bourdieu, Weinheim 2017, S. 250, und Walter, Propädeutikum zur Juristensozia-
lisation, myops 2017, Heft 29, 44 (44 ff.).
68 Heublein/Hutzsch/Kracke/Schneider (Fn. 12), S. 87.
69 Heublein/Hutzsch/Kracke/Schneider (Fn. 12), S. 53.
115
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Frank Bleckmann
Die Stärkung der Autonomie des Lerners durch Sinnangebote, die der Sache
und seinem Lernen persönliche Bedeutung geben und ihm so ermöglichen,
sich mit der Sache und seiner Tätigkeit zu identifizieren, erhöht nicht nur
____________________
70 Heublein/Hutzsch/Kracke/Schneider (Fn. 12), S. 87 f.
71 Heublein/Hutzsch/Kracke/Schneider (Fn. 12), S. 85 f.
116
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Motivation im Jurastudium
117
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Frank Bleckmann
Die Ethik ist die Reflexionstheorie der Moral. Die Moral stellt diejenigen
Kriterien bereit, die im sozialen Verkehr über Achtung und Nichtachtung
von Handlungen und im Ergebnis auch Personen entscheiden.76 Achtung,
Respekt und soziale Anerkennung sind ein menschliches Grundbedürfnis.
Missachtung – oder, noch stärker, Verachtung – durch andere ist eine sozi-
ale Sanktion und führt im Extremfall zum Beziehungsabbruch und Aus-
schluss aus der entsprechenden Bezugsgruppe. Moral ist freilich ein schar-
fes Schwert. Wird sie thematisiert, geht es um viel. Und wer dieses Schwert
führt, steht leicht in Gefahr, sich selbst damit zu verletzen. Luhmann kommt
deshalb in seiner berühmten Hegel-Preis-Rede zu dem Schluss: »Ange-
sichts dieser Sachlage ist es die vielleicht vordringlichste Aufgabe der
Ethik, vor Moral zu warnen.«77 Aber: Ohne Moral geht es auch nicht.
____________________
75 Bleckmann/Raupach, Same Same But Different – Praxisbezüge in der Ausbildung
von JuristInnen und MedizinerInnen, in: Pilniok/Brockmann (Hrsg.), Die juristi-
sche Profession und das Jurastudium, Baden-Baden 2017, S. 107 ( 137 ff.).
76 Luhmann, Soziologie der Moral, in: Horster (Hrsg.), Die Moral der Gesellschaft,
Berlin 2008, S. 56 (104 ff.)
77 Luhmann, Paradigm lost, Über die ethische Reflexion der Moral, in: Horster
(Hrsg.), Die Moral der Gesellschaft, Berlin 2008, S. 253 (266).
118
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Motivation im Jurastudium
Während der akademischen Ethik der Ruch der Rationalität und emotio-
naler Distanz anhaftet, steht die Moral voll im Leben. Bewerten wir uns
selbst, geht es um Scham, Schuld und Reue auf der einen, Stolz auf der
anderen Seite. Bewerten wir andere, fühlen wir Ärger, Empörung, Verach-
tung oder Schadenfreude auf der einen, Bewunderung, Respekt oder Mitleid
auf der anderen Seite. Was auch immer wir fühlen: Das, worum es geht, ist
uns nicht mehr egal. »Fühlen heißt Involviertsein.«78 Und damit wird es für
die Didaktik spannend.79
Aber: Ist es legitim, einen Lehr-/Lerngegenstand zu moralisieren? Stu-
dierende gezielt zu emotionalisieren? Voraussetzung für eine verantwor-
tungsvolle moralische Ansprache ist, dass die maßgeblichen Wertungen of-
fen gelegt und kritisierbar gemacht werden. Dazu gehört auch ein Perspek-
tivenwechsel zwischen den beteiligten Handlungsträgern. Unter diesen Be-
dingungen ist auch eine moralische Skandalisierung zulässig, denn wie
schon Thomas von Aquin – Papst Gregor I. zitierend – feststellte: »Mit grö-
ßerer Wucht stellt sich die Vernunft dem Bösen entgegen, wenn Zorn ihr
dienstbar zur Hand geht.«80 Mit anderen Worten: Es darf nicht beim Zorn
bleiben. Aber er darf der Ausgangspunkt und die Triebfeder sein für die
Mühen der Vernunft. Diese kritische Reflexion muss man freilich auch von
den Studierenden einfordern. Hier geht es dann zentral z.B. um die Tren-
nung von Recht und Moral.81
Dazu kommt: Es ist nicht zuletzt für die Beziehung zu den Lernenden
wichtig, sich als Person erkennbar zu machen, die eigene Wertgrundlage als
Berufsträger mit professionellem Anspruch sichtbar werden zu lassen. Es
ist eine Frage der Professionalität als Dozierender, ob man sich diesen Fra-
gen stellt und seine moralischen Urteile anderen gegenüber glaubhaft ver-
treten kann.
Moral und die damit zusammenhängenden Emotionen werden hier zu-
nächst nur didaktisch genutzt, um den emotionalen Gehalt des Lerngegen-
standes zu erhöhen, die Studierenden als moralische Akteure anzusprechen
____________________
78 Heller, Theorie der Gefühle, Hamburg 1981, S. 19.
79 S. Abenoza/Arjona, Emotions and the frontiers of legal education, The Law Tea-
cher 2017, 453 (453 ff.).
80 Thomas von Aquin, STh II-II, q. 158, a. 1.
81 Im Rahmen professionsethischer Vorgaben s. dazu Schneider, Richterliche Ethik
im Spannungsfeld zwischen richterlicher Unabhängigkeit und Gesetzesbindung,
Berlin 2017, S. 62 ff. u. 320 ff.; zu den Auswirkungen auf rechtliche Argumenta-
tionen s. Fleischer, Ehrbarer Kaufmann – Grundsätze der Geschäftsmoral – Re-
putationsmanagement: Zur »Moralisierung« des Vorstandsrechts und ihren Gren-
zen, DB 2017, 2015 (2015 ff.).
119
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Frank Bleckmann
und die Bedeutsamkeit der Sache selbst wie der damit zusammenhängenden
professionellen Entscheidungen vor Augen zu führen. Diese Punkte berüh-
ren sowohl den Bereich der Autonomie des Lerners, insbesondere die per-
sönliche Wertschätzung und Wichtigkeit von Handlungen und Handlungs-
zielen, als auch – bei ethischen Fragen offensichtlich – der sozialen Einbin-
dung und der Anerkennung innerhalb der Bezugsgruppe. Ziel ist es, die Stu-
dierenden zu befähigen, ihr Wissen und Können mit den eigenen morali-
schen Prinzipien in Einklang bringen.
Wie moralisiert man einen Lehr-/Lerngegenstand? Es lassen sich zum
einen Verbindungen zu einer allgemeinen Moral herstellen: Die allermeis-
ten Menschen wollen – von ihren Mitmenschen im Großen und Ganzen an-
erkannt – in einer gerechten Welt leben. Führt man Ungerechtigkeiten vor
Augen oder moralisch zweifelhaftes Verhalten, lässt sich damit in der Regel
bereits arbeiten.82
Fragt man nach den spezifischen Gruppennormen der späteren Berufs-
träger eines Studienfaches, führt das zu den Regeln, die Professionalität
verbürgen. Als Professionalität werden üblicherweise die von Angehörigen
eines Berufsstandes erwartete Fachkompetenz und die Beachtung von spe-
zifischen Verhaltensnormen bezeichnet. Diese Verhaltensnormen manifes-
tieren sich in einer impliziten oder schriftlich niedergelegten Berufsethik.83
Eine alte Tradition der Berufsehre besteht im Handwerk. Eine starke ethi-
sche Tradition besteht bei den Medizinern, die mit dem hipokratischen Eid
eine besondere Form gefunden hat. Im Studium gehören Veranstaltungen
zur medizinischen Ethik zum Pflichtprogramm. In anderen Fächern werden
eigenständige Wahlveranstaltungen z.B. zur Wirtschaftsethik und – noch
selten – zur Technikethik angeboten, fachübergreifend auch zur Wissen-
schaftsethik. Teilweise werden die entsprechenden Fragestellungen von den
Berufsordnungen der freien Berufe abgedeckt, so bei den Ärzten, Rechts-
anwälten, Wirtschaftsprüfern, Psychotherapeuten usw. Teilweise haben Be-
rufsverbände Ethikrichtlinien verabschiedet (z.B. die »Ethischen Grunds-
ätze des Ingenieurberufes« d. VDI). In der Ausbildung thematisiert werden
sie (noch) selten. Im Übrigen bemüht man sich inzwischen weithin um die
Definition eines Begriffs der Professionalität, insbesondere bei den helfen-
den Berufen in der Pflege, sozialen Arbeit und bei Lehrern. Daraus ergeben
sich fachspezifische Anknüpfungspunkte, die zumeist die besonderen Pro-
____________________
82 Als didaktisches Modell dazu siehe die Konstanzer Methode der Dilemma-Dis-
kussion (KMDD): Lind, Moral ist lehrbar, 3. Aufl., Berlin 2015.
83 So zuletzt zur richterlichen Ethik Schneider (Fn. 81).
120
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Motivation im Jurastudium
blemkonstellationen des Berufes abbilden. Das betrifft zum einen die Be-
ziehung zwischen Klient und Berufsträger, die Zusammenarbeit der Berufs-
träger untereinander und die gesellschaftliche Rolle der Profession, mitun-
ter auch die Gefährdungslagen innerhalb der Organisationen, in denen sie
arbeiten. Es lassen sich die Normen unterscheiden, die ein kompetentes und
fachlich richtiges Handeln lege artis definieren und diejenigen, die das Ver-
halten im Übrigen dirigieren.
Ich möchte entsprechend zwei Wege zur Moralisierung des Lehr-/Lern-
gegenstandes vorschlagen: Die Thematisierung der Gerechtigkeitsfrage in
Veranstaltungen und die Nutzung von Biographien für die Moralisierung
und anschließende ethischer Reflexion. Aber bevor ich das tue, möchte ich
noch einen anderen Gedanken vorwegschicken:
Das Judiz ist eine praktische Fähigkeit. Es wird üblicherweise als durch die
juristische Ausbildung anhand einer Vielzahl von Wertungen und Wer-
tungszusammenhängen geschulte intuitive Einschätzung von Fällen durch
das Vorbewusste verstanden. Man spürt, was im Ergebnis herauskommen
müsste. Bei einem guten Judiz hält die intuitive Antwort der juristischen
Rekonstruktion und Prüfung des Falles nach praktischen Maßstäben – also
im Sinne der h.M., zuvörderst der Rechtsprechung – stand. Ein gutes Judiz
gilt als persönliche Qualität eines Juristen und führt üblicherweise zu pro-
fessioneller Anerkennung.
Alternativ könnte man das unverbildete Judiz freilich auch als emotio-
nale, vorrechtliche Kontrollinstanz konzeptualisieren, als Störgröße, die ei-
ner allzu angepassten Regelbildung und Fallentscheidung entgegenwirken
kann. Das würde voraussetzen, dass man seine emotionale Reaktion auf ei-
nen Fall zunächst wahrnimmt und auch für wichtig – und richtig – hält.
Dieses alternative, individuelle, emotionale Judiz kann Sprungbrett sein
und vor allem die Kraft geben, gerade gegen eine h.M. zu argumentieren,
was in der Regel einen hohen Aufwand bedeutet und häufig hohe Frustrati-
onstoleranz voraussetzt. Im täglichen Geschäft eines Rechtsanwenders (An-
walt oder Richter) ist regelmäßig zu entscheiden, wieviel Zeit für den je-
weiligen Fall aufgewendet werden soll. Diese Entscheidung folgt üblicher-
weise der individuellen Motivationslage des Professionellen. Man könnte
das – parallel zu den formalen bzw. faktischen Annahmeverfahren der
Rechtsmittelgerichte – als ein persönliches Annahmeverfahren bezeichnen.
121
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Frank Bleckmann
____________________
84 Zum Verhältnis von Varietät und Redundanz im Rechtssystem s. Luhmann, Das
Recht der Gesellschaft, Berlin 1993, S. 19, 290 u. 358.
122
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Motivation im Jurastudium
abzielen.85 Reflexivität ist aber auch ein zentraler Ansatzpunkt für berufs-
ethische Kompetenzen, von denen später noch die Rede sein wird.86
123
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Frank Bleckmann
____________________
88 Mietzel, Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens, 9. Aufl., Göttingen
2017, S. 26 ff.
89 Klingovsky/Kossack, Selbstsorgendes Lernen gestalten, Bern 2007.
90 LG Arnsberg 14. 11. 2003, 2 O 294/02, NJW 2004, 232, und OLG Hamm
4.6.2005, 3 U 16/2004, NJW 2005, 295; dazu zu Recht kritisch Adams/Merten,
Zur Haftung des Zigarettenherstellers, EWiR 2004, 935 (935 ff.).
124
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Motivation im Jurastudium
125
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Frank Bleckmann
____________________
97 Reisch/Oehler, Behavioral Economics: Eine neue Grundlage für die Verbraucher-
politik?, Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 2009, 30 (30 ff.).
98 Finn/Schrodt/Witt/Elledge/Jernberg/Larson, A Meta-Analytical Review of
Teacher Credibility and its Associations with Teacher Behaviors and Student Out-
comes, Communication Education 2009, 516 (516 ff.).
99 Hattie, Hattie Ranking: 252 Influences And Effect Sizes Related To Student
Achievement, 2018, abrufbar unter https://visible-learning.org/hattie-ranking-in-
fluences-effect-sizes-learning-achievement/ (letzter Abruf am 1.9.2018).
126
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Motivation im Jurastudium
127
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Frank Bleckmann
könnten, z.B. im Bereich einer law clinic oder im Praktikum.100 Als eine
alternative Unterrichtsgestaltung – und das soll hier vorgeschlagen werden
– lassen sich Biographien verwenden.101 Anders als z.B. Fälle standeswid-
rigen Verhaltens von Rechtsanwälten, Gehörsverstöße durch die Gerichte
oder Fehlurteile aufgrund eines unprofessionellen Verhaltens der beteilig-
ten Berufsgruppen,102 machen Biographien deutlich stärkere Identifikati-
onsangebote.103 Dabei können Biographien im Unterricht mit ganz unter-
schiedlicher Zielsetzung eingesetzt werden.104 Hier geht es vor allem um
den (professionsethischen) Gehalt biographischer Episoden oder der ge-
samten Berufspraxis. Es sollten aber nicht nur die exzeptionellen Berufs-
und Lebenswege, die professionellen Sondersituationen im Vordergrund
stehen, sondern auch die Normallagen beruflicher Praxis thematisiert wer-
den. Nicht jeder kann sich mit Anita Augspurg, Elisabeth Seibert, Robert
H. Jackson, Gustav Radbruch oder Fritz Bauer identifizieren, nicht jeder
____________________
100 Chavkin, Experience is the only teacher: bringing practice to the teaching of eth-
ics, in: Robertson/Corbin/Tranter/Bartlett (Hrsg.), The ethics project in legal edu-
cation, New York 2011, S. 52 (52 ff.), u. Nicolson, Learning in justice: ethical
education in an extra-curricular law clinic, in: Robertson/Corbin/Tranter/Bartlett
(Hrsg.), The ethics project in legal education, New York 2011, S. 171 (171 ff.).
101 S. z.B. die Werke von Stolleis (Hrsg.), Juristen, München 2001; Röwekamp, Juris-
tinnen, Lexikon zu Leben und Werk, Baden-Baden 2005; Grundmann/Riesen-hu-
ber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten
ihrer Schüler, Band 1, Berlin 2007; Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutsch-
sprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band
2, Berlin 2010; Kritische Justiz (Hrsg.), Streitbare Juristen, Band 1, Baden-Baden
1988; Kritische Justiz (Hrsg.), Streitbare JuristInnen, Band 2, Baden-Baden 2016.
102 Neben den Fällen, die mit den Namen Harry Wörz, Gustl Mollath oder Rudolf
Rupp verbunden sind, den zweifelhaften Entscheidungen in den Fällen Hoeneß
oder Ecclestone, sind ein besonders krasses Beispiel, das regelmäßig erhebliche
Betroffenheit auslöst, die Wormser Prozesse um Kindesmissbrauch und ihr Vor-
läufer in den USA, das McMartin-Verfahren, 1995 verfilmt unter dem Titel »Unter
Anklage« (orig. Indictment: The McMartin Trial).
103 Sharp, »Represent a murderer … I'd never do that!« How students use stories to
link ethical development and identity construction, in: Robert-
son/Corbin/Tranter/Bartlett (Hrsg.), The ethics project in legal education, New
York 2011, S. 33 (33 ff.).
104 Z.B. zur Erhöhung der Lernpersistenz der Studierenden durch die Kenntnis der
biographischen Schwierigkeiten auch berühmter Naturwissenschaftler beim Ler-
nen und bei der Arbeit s. Ahn/Luna-Lucero/Lamnina/Nightingale/Novak/Lin-Sieg-
ler, Motivating Students' STEM Learning Using Biographical Information, Inter-
national Journal of Designs for Learning 2016, 71 (71 ff.).
128
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Motivation im Jurastudium
die Aktualität der Wege von Karl Larenz105 oder Otto Palandt106 erkennen.
Auch ganz normale Juristen in unterschiedlichen Berufsfeldern sollten eine
Rolle spielen. Kurz: Es geht um Helden, Schurken und ganz normale Leute.
Bei der Beschäftigung mit Biographien sollten die Studierenden die fol-
gende Leitfrage beantworten:
Was nehmen Sie für sich positiv oder negativ aus dieser Biographie
mit? Was ist vorbildlich, was abschreckend? Warum?
Was ergibt sich daraus für ihr späteres Verhalten im Beruf?
Wovon hängt es ab, ob sich so verhalten werden?
Können Sie heute dafür schon etwas tun?
Was könnte der Grund dafür sein, wenn Sie sich nicht so verhalten?
____________________
105 Siehe insb. die Kontroverse zwischen Bernd Rüthers und Claus-Wilhelm Canaris
über die zutreffende Bewertung der Darstellung des wissenschaftlichen Lebens-
werkes von Karl Larenz: Canaris, Karl Larenz (1903–1993), in: Grundmann/Rie-
senhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Be-
richten ihrer Schüler, Band 2, Berlin 2010, S. 263 (263 ff.); Rüthers, Personenbil-
der und Geschichtsbilder – Wege zur Umdeutung der Geschichte?, JZ 2011, 593
(593 ff.); Canaris, »Falsches Geschichtsbild von der Rechtsperversion im Natio-
nalsozialismus« durch ein Porträt von Karl Larenz? Wider einen Versuch »unbe-
grenzter Auslegung« eines wissenschaftlichen Textes, JZ 2011, 879 (879 ff.);
Rüthers, Die Risiken selektiven Erinnerns – Antwort an C.-W. Canaris, JZ 2011,
1149 (1149 ff.), und dazu der Beitrag von Jakobs, Sehr geehrter Herr Canaris,
myops 2012, Heft 14, 6 (6 ff.).
106 Siehe dazu die Initiative »Palandt umbenennen«, abrufbar unter palandtumbenen-
nen.de (letzter Abruf 1.9.2018), und die Reaktion durch den C.H. Beck-Verlag, s.
Legal Tribune Online, Palandt bleibt Palandt, C.H. Beck-Verlag wird BGB-Kom-
mentar nicht umbenennen, 15.11.2017, abrufbar unter https://www.lto.de/recht/n
achrichten/n/palandt-bleibt-palandt-hinweis-vita-im-werk/ (letzter Abruf am
1.9.2018).
129
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Frank Bleckmann
130
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Motivation im Jurastudium
____________________
113 Podszun, Wertfreies Subsumieren in der Examensmühle, Legal Tribune Online
vom 26.5.2018, abrufbar unter https://www.lto.de/recht/studium-referendariat/s/n
s-unrecht-ausbildung-jura-studium-politik-verstaendnis-rechtsstaat/ (letzter Abruf
am 1.9.2018).
114 Anbieten würde sich eine Behandlung auch – mit je anderem Schwerpunkt – im
Referendariat, beim Berufseinstieg und im Bereich der Fortbildung.
115 Steinke, Die Justiz ist nie unpolitisch, Süddeutsche Zeitung, 18.9.2017, abrufbar
unter http://www.sueddeutsche.de/bildung/rechtswissenschaften-die-justiz-ist-
nie-unpolitisch-1.3667719 (letzter Abruf am 1.9.2018).
116 CDU/CSU/SPD, Ein neuer Aufbruch für Europa – Eine neue Dynamik für
Deutschland – Ein neuer Zusammenhalt für unser Land Koalitionsvertrag zwi-
schen CDU/CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, abrufbar unter
https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/koalitionsvertrag_2018.pdf?fil
e=1 (letzter Abruf am 1.9.2018), S. 123.
131
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Frank Bleckmann
E. Zusammenfassung
Die emotionale Seite des Lernens wird regelmäßig als wichtig erkannt und
benannt, wird aber selten operationalisiert und ist kaum didaktisch hand-
lungsleitend. Im Bereich der Motivation gibt die Selbstbestimmungstheorie
der Motivation von Ryan und Deci vergleichsweise konkrete Hinweise,
welche Rahmenbedingungen eingehalten werden müssen, um gut zu lehren.
So lassen sich die drei Grundbedürfnisse – Autonomie, Kompetenzerleben
und soziale Eingebundenheit – fast als Checkliste heranziehen, um die ei-
gene Unterrichtsplanung zu überprüfen. Überprüft man den gesamten Stu-
diengang und berücksichtigt die Fachkultur, werden die desaströsen Rah-
menbedingungen deutlich. Vor allem:
»Im Jurastudium hat sich bislang keine Tradition eines lebendigen Diskurses zwi-
schen Lehrenden und Studierenden weder in noch neben den Lehrveranstaltungen
____________________
117 Snyder, On tyranny, Twenty lessons from the twentieth century, New York 2017,
S. 38 ff.
118 S. Bleckmann, Wissenschaftlichkeit in der Studieneingangsphase, in: Kra-
mer/Kuhn/Putzke (Hrsg.), Schwerpunkte im Jurastudium, Stuttgart 2015, S. 77
(102 f. u. 110 f.).
132
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Motivation im Jurastudium
entwickelt. Damit kann sich das vielfältige und nicht zu ersetzende Potenzial sol-
cher Gespräche nicht entfalten. Die direkte Kommunikation schafft Verbindlich-
keit, verstärkt die Studienmotivation und verhilft durch das unmittelbare Erleben
der Lehrende als Akteure der juristischen Fachkultur zum Aufbau eines eigenen
Fachhabitus.«119
Daran fehlt es am dringlichsten. Es ist schwer nachvollziehbar und wohl
nur sozialisationstheoretisch zu erklären, warum für so viele Kollegen an
der Universität der Kontakt mit den Studierenden eine so geringe Priorität
hat.
Zur Erhöhung der persönlichen Bedeutsamkeit des Faches und der Iden-
tifikation damit – einem wesentlichen Problem, das von der Abbrecher-Stu-
die herausgearbeitet wurde – habe ich drei Alternativen vorgeschlagen:
Eine Einübung reflexiver Praktiken, eine Thematisierung der Gerechtigkeit
und das Arbeiten mit Biographien. Idealiter lassen sich die Ansätze ver-
schränken und verstärken sich dann gegenseitig. Sie lassen sich als Kurzin-
tervention gestalten oder als ganze (Grundlagen-/Schlüsselqualifikations-)
Veranstaltung konzipieren. Dieses Feld weiterhin unbeachtet und unbear-
beitet zu lassen, können wir uns nicht leisten, wenn uns die Studierenden
am Herzen liegen. Und wenn sie uns am Herzen liegen, dann lässt sich das
an einer entsprechenden Lehre aufweisen und muss für die Studierenden
auch erfahrbar sein. Bisher ist es das augenscheinlich nicht. Das muss an
die Grundfesten des Lehrethos eines jeden Hochschullehrers gehen. Aber
gibt es das überhaupt? Kombiniert man bei Google die Begriffe »Berufs-
ethik« und »Richter« oder »Anwalt«, findet man ohne weiteres die entspre-
chenden Diskussionen und Grundlagenpapiere. Kombiniert man »Berufs-
ethik« und »Hochschullehrer«, findet sich – nichts. Das bringt es auf den
Punkt.
____________________
119 Heublein/Hutzsch/Kracke/Schneider (Fn. 12), S. 85.
133
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Rechtsvergleichung und juristisches Lernen
Zu Parallelen zwischen Rechtsvergleichung und juristischer
Methodenkompetenz (Fallbearbeitung und wissenschaftliches Arbeiten)
Martin Zwickel*
Der praktisch tätige Jurist muss heute, nicht zuletzt wegen der Internationa-
lisierung und der Europäisierung des Rechts, mehr und mehr rechtsverglei-
chend arbeiten. In auffälligem Kontrast dazu steht die noch immer margi-
nale Bedeutung der Rechtsvergleichung im juristischen Studium.1 Beklagt
wird, die deutsche Juristenausbildung sei provinziell.2 Sie orientiere sich
allein am nationalen deutschen Recht. Zudem verhindere das deutsche
Staatsexamenssystem jegliche Anerkennung von im rechtsvergleichenden
Bereich erbrachten Studienleistungen. Ein Baustein einer derart internatio-
nalisierten Juristenausbildung könnte ein verstärkter Einsatz der Rechtsver-
gleichung in der Juristenausbildung sein. Dies ist aber nur dann sinnvoll,
wenn es gelingt, juristisches Lernen und rechtsvergleichendes Arbeiten zu
verbinden. Nur dadurch wird es möglich sein, der Rechtsvergleichung den
____________________
* Dr.Martin Zwickel, Maître en droit ist Akademischer Oberrat an der Friedrich-
Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er leitet dort die Serviceeinheit
»Lehre und Studienberatung«.
1 Für das deutsche Recht Bartsch, Rechtsvergleichung als Ergänzungsstudium, JZ
1966, 560 (560 f.); für das französische Recht Fauvarque-Cosson, L´enseigne-
ment du droit comparé, R.I.D.C. 2-2002, 293 (293 ff.); anders ist das in Europa
z.B. in Italien (Fusaro, L´Italie, in: Mekki (Hrsg.), Réformer l´enseignement du
droit en France à la lumière des systèmes étrangères, Paris 2017, S. 123 (123 f.),
und Luxemburg (Ancel, L´enseignement du droit au Luxembourg, in: Mekki
(Hrsg.), Réformer l´enseignement du droit en France à la lumière des systèmes
étrangères, Paris 2017, S. 144 (150)).
2 So unlängst Lorenz, Reform des Jurastudiums – Zurück in die Provinz, Legal Tri-
bune Online vom 3.1.2017, abrufbar unter https://www.lto.de/persis-
tent/a_id/21647/ (letzter Abruf am 1.9.2018); schon früher Kötz, Alte und neue
Aufgaben der Rechtsvergleichung, JZ 2002, 257 (257 ff.).
135
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Martin Zwickel
136
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Rechtsvergleichung und juristisches Lernen
137
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Martin Zwickel
____________________
JuS 1999, 1084 (1084 ff.), und Rösler, Rechtsvergleichung als Erkenntnisinstru-
ment in Wissenschaft, Praxis und Ausbildung, JuS 1999, 1186 (1186 ff.).
9 Grossfeld, Rechtsvergleichung, Wiesbaden 2001, S. 66: »Das Wichtigste an der
Rechtsvergleichung ist die Wirkung auf den Rechtsvergleicher selbst. Sie verän-
dert ihn, ob er will oder nicht.«
10 In diesem Sinne auch Koch/Magnus/Winkler von Mohrenfels, IPR und Rechtsver-
gleichung, 4. Aufl., München 2010, § 13, Rn. 7; Augenhofer (Fn. 8), S. 206; Jun-
ker, Rechtsvergleichung als Grundlagenfach, JZ 1994, 921 (924): »[…] kann die
Rechtsvergleichung Übersteigerungen und Überspitzungen aufdecken.«
11 S. dazu nur das Werk von Stadler, Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch
Abstraktion: eine rechtsvergleichende Studie zur abstrakten und kausalen Gestal-
tung rechtsgeschäftlicher Zuwendungen anhand des deutschen, schweizerischen,
österreichischen, französischen und US-amerikanischen Rechts, Tübingen 1996.
12 Baer, Verfassungsvergleichung und reflexive Methode: Interkulturelle und in-
tersubjektive Kompetenz, ZaöRV 2004, 735 (739).
13 Fauvarque-Cosson, The Rise of Comparative Law: a Challenge for Legal Educa-
tion in Europe, Leuven 2007, S. 3; Kötz, Comparative Law in Germany today,
R.I.D.C. 1999, 753 (767); Baer (Fn. 12), S. 757.
14 Grossfeld, Rechtsmethoden und Rechtsvergleichung, RabelsZ 1991, 4 (15).
138
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Rechtsvergleichung und juristisches Lernen
1. Rechtsvergleichung
____________________
15 Lambert, Congrès de Paris, LGDJ, 1905, vol. 1, 60.
139
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Martin Zwickel
b) Rechtsvergleichende Methode
Ein derart »echtes rechtsvergleichendes Arbeiten« kann dabei v.a. über die
Verwendung rechtsvergleichender Methoden erfolgen. Die rechtsverglei-
chende Methode schlechthin gibt es bis heute nicht.17 Als Ausgangspunkt
rechtsvergleichenden Arbeitens hat sich in Deutschland aber mittlerweile
das auf Rabel18 zurückgehende Prinzip der Funktionalität herausgebildet.19
Auch wenn die funktionale Rechtsvergleichung immer wieder kritisiert
wird,20 soll sie hier als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen dienen,
denn in der Praxis der Rechtsvergleichung hat sich bislang keine andere
Methode behaupten können.
____________________
16 Kritisch zum Begriff Kischel (Fn. 8), S. 5.
17 Junker (Fn. 10), S. 922; Blanc-Jouvan, Réflexions sur l'enseignement du droit
comparé, R.I.D.C. 1988, 751 (754).
18 S. nur Rabel, Aufgabe und Notwendigkeit der Rechtsvergleichung, Rheinische
Zeitschrift für Zivil- und Prozessrecht 1924, 279 (279 f.).
19 Kötz (Fn. 13), S. 755.
20 Tschentscher, Dialektische Rechtsvergleichung – Zur Methode der Komparistik
im öffentlichen Recht, JZ 2007, 807 (807 ff.), mit der Forderung nach dialektischer
Rechtsvergleichung weitgehend ohne neutrale Länderberichte. Eine Zusammen-
fassung der Kritik findet sich bei Piek, Die Kritik an der funktionalen Rechtsver-
gleichung, ZEuP 2013, 60 (60 ff.).
140
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Rechtsvergleichung und juristisches Lernen
2. Juristisches Lernen
____________________
21 Michaelis, The Functional Method of Comparative Law, in: Reimann/Zimmer-
mann (Hrsg.), The Oxford Handbook of Comparative Law, Oxford 2008, S. 339
(368).
22 Sog. tertium comparationis; s. hierzu Sacco/Rossi, Einführung in die Rechtsver-
gleichung, 3. Aufl., Baden-Baden 2017, S. 60 f.; Zweigert/Kötz, Einführung in die
Rechtsvergleichung, 3. Aufl., Tübingen 1996, S. 44.
23 Zu den einzelnen Kompetenzen s. Zwickel/Lohse/Schmid, Kompetenztraining
Jura, Berlin/Boston 2014, S. 3 ff.
141
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Martin Zwickel
____________________
24 Lange, Jurastudium erfolgreich, 8. Aufl., München 2015, S. 247: »[…] muss die
Methode der Fallbearbeitung als eigener Studienschwerpunkt in das Studium ein-
geplant werden.«
25 Zu dieser Herausforderung an die rechtswissenschaftliche Fachdidaktik s. Pilniok,
Rechtswissenschaftliche Fachdidaktik als Reflexion der Rechtswissenschaft, in:
Griebel/Gröblinghoff (Hrsg.), Von der juristischen Lehre, Baden-Baden 2012, S.
17 (27 f.)
26 Schimmel/Basak/Reiß, Juristische Themenarbeiten, 3. Aufl., Heidelberg 2017, S.
1.
27 Zu diesen Zusatzveranstaltungen s. Neumayer, Rechtsvergleichung als Unter-
richtsfach an deutschen Universitäten, in: FS Zweigert, Tübingen 1981, S. 501
(509); Fauvarque-Cosson (Fn. 1), S. 305 f.
142
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Rechtsvergleichung und juristisches Lernen
____________________
28 Schimmel/Basak/Reiß (Fn. 26), S. 196.
143
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Martin Zwickel
Schritt 2: Abstraktion
144
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Rechtsvergleichung und juristisches Lernen
griff zu finden, der Minderung und den französischen Begriff für ein funk-
tional identisches Rechtsinstitut mit umfasst.30 Derartiges könnte beispiels-
weise der Begriff »Reduzierung des Preises bei Mängeln der Kaufsache«
leisten. Während im Rahmen der Rechtsvergleichung vielfach eine Auswei-
tung des im nationalen Recht geläufigen Begriffes erfolgen muss, um auch
ausländische Rechtsinstitute abdecken zu können, kommt es im Rahmen
der Fallbearbeitung eher zu einer abstrahierenden Einengung eines Begrif-
fes auf die normative Formulierung des Gesetzes.31 Bei der Bearbeitung des
vorliegenden Falles müsste der Bearbeiter den lebensnahen Begriff der
Preisreduzierung in den juristischen Begriff der Minderung übersetzen.
Die durch die funktionale Rechtsvergleichung erzwungene Bildung abs-
trakter Oberbegriffe (tertium comparationis), die verhindern soll, dass der
Vergleich durch die Brille des Rechts des Heimatlandes erfolgt,32 schult den
Fallbearbeiter also für die zwingend zu leistende Übersetzung von Sachver-
haltsbegriffen in juristische termini technici.
Schritt 3: (Mikro-)Vergleich
Im nächsten Schritt folgt nun der eigentliche Vergleich. Erst jetzt könnte
der Rechtsvergleicher die Regelungsgegenstände miteinander vergleichen.
In unserer Beispielsaufgabe würde nun der Wortlaut des § 441 BGB dem
des Art. 1223 Code civil gegenübergestellt werden. Zum genauen Vorgehen
i.R.d. Vergleichs bleibt die funktionale Methode aber relativ dünn. Eine
konkrete Handlungsanweisung erfolgt nicht.33 Anders ist dies in anderen
Disziplinen, wo eine dezidierte Vergleichslehre, die Komparatistik (engl.
____________________
30 Zur Arbeit mit diesen Oberbegriffen s. Zweigert/Kötz (Fn. 22), S. 44; Sacco/Rossi
(Fn. 22), S. 60 f.
31 Sehr deutlich wird dieser Vorgang bei Schwacke, Juristische Methodik mit Tech-
nik der Fallbearbeitung, 5. Aufl., Stuttgart 2011, S. 66 f.: »Der Rechtsanwendende
steht also vor der sprachlichen Aufgabe, das Norm- und Sachverhaltsaussagen
gleichsam inhaltlich die Farbe des jeweils anderen Bezugsobjekts annehmen.«
32 Zweigert/Kötz (Fn. 22), S. 44.
33 Kischel (Fn. 8), S. 97; Fauvarque-Cosson (Fn. 13), S. 7, spricht sich für die Fest-
legung von Grundprinzipien der Rechtsvergleichung als Mittelweg zwischen tie-
fem Eintauchen in den rechtsphilosophischen Methodendiskurs und unreflektier-
ter, praktischer Rechtsvergleichung aus.
145
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Martin Zwickel
____________________
34 Fauvarque-Cosson (Fn. 13), S. 6, spricht davon, die Bedeutung des Vergleichs
werde im rechtlichen Bereich unterschätzt.
35 Junker (Fn. 10), S. 922.
36 Junker (Fn. 10), S. 922.
37 So z.B. Engisch, Einführung in das juristische Denken, Stuttgart u.a. 1977, S. 56:
Subsumtion als Einordnung eines Sachverhalts in die Klasse der durch den Rechts-
begriff bezeichneten Fälle.
38 Rösler (Fn. 8), JuS 1999, 1084 (1086).
39 Auf die Parallele zwischen Fallrechtsvergleichung i.S.v. Engisch und dem angel-
sächsischen Fallrechtsdenken wird zu Recht von Maschke (Maschke, Gerechtig-
keit durch Methode, Heidelberg 1993, S. 202) hingewiesen.
40 Maschke (Fn. 39), S. 203: »Konkretes wird mit Konkretem verglichen.«
41 Kischel (Fn. 8), S. 94.
146
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Rechtsvergleichung und juristisches Lernen
Genauso wie für den Rechtsvergleicher können sich, bei oder vor der
Durchführung dieses Vergleichs, Auslegungsfragen stellen. Die Auslegung
hilft sowohl für die Fallbearbeitung als auch für die Rechtsvergleichung da-
bei, das zutreffende Vergleichsmaterial aufzufinden. So kann sich in unse-
rem einfachen Beispielsfall i.R.d. Fallbearbeitung etwa die Frage nach der
Bedeutung des Begriffs »Erklärung der Minderung« stellen. Auch in der
rechtsvergleichenden Arbeit ist die Bedeutungsklärung von Begriffen Vo-
raussetzung der Vergleichbarkeit.
Im Rahmen des Auslegungsvorganges im nationalen Recht können schließ-
lich, ungeachtet der Streitfrage nach der Zulässigkeit rechtsvergleichender
Auslegung deutschen Rechts,42 rechtsvergleichende Erkenntnisse zumin-
dest als Argumentationshilfen eine Rolle spielen.43
____________________
42 Grundlegend hierzu Zweigert, Rechtsvergleichung als universale Interpretations-
methode, RabelsZ 1949/50, 5 (5 ff.); Häberle, Grundrechtsgeltung und Grund-
rechtsinterpretation im Verfassungsstaat, JZ 1989, 913 (916 ff.), qualifiziert die
Rechtsvergleichung als fünfte Auslegungsmethode, sieht diese im Verfassungs-
recht aber nicht als zulässig an, wenn die Einebnung kultureller Identität des ein-
zelnen Verfassungsstaates droht.
43 Zippelius, Juristische Methodenlehre, 10. Aufl., München 2006, S. 58 u. 86 f.
147
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Martin Zwickel
Diese kurze und sicher holzschnittartige Betrachtung erlaubt uns zwei Fest-
stellungen:
148
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Rechtsvergleichung und juristisches Lernen
____________________
47 Fauvarque-Cosson (Fn. 13), S. 6.
48 In diesem Sinne auch Sacco/Rossi (Fn. 22), S. 19.
49 Rösler (Fn. 8), JuS 1999, 1186 (1191).
149
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Martin Zwickel
1. Vorbemerkungen
Denkbar ist dies aber nur dann, wenn echte Rechtsvergleichung stattfindet.
Nur wenn auch wirklich ein Vergleichsvorgang durch die Studierenden er-
folgt, können die oben erwähnten Vorteile im Hinblick auf Falllösungstech-
nik und wissenschaftliches juristisches Arbeiten eintreten. Die vom Wis-
senschaftsrat geforderte Einbeziehung ausländischer Dozentinnen und Do-
zenten (Auslandsrechtskunde) ist nicht zielführend. Dies gilt auch für ab
und an bereits jetzt in den Vorlesungen zu findende theoretische Ausfüh-
rungen zur Rechtsordnung eines bestimmten Landes ohne Durchführung
eines wirklichen Rechtsvergleichs. Vielmehr muss gerade die Verknüpfung
von juristischer Arbeitsmethodik und rechtsvergleichendem Arbeiten statt-
finden.
Derart betriebene Rechtsvergleichung beruht aber auch auf solider nati-
onaler Rechtsdogmatik. Daher ist m.E. darauf zu achten, dass gerade in der
Anfangsphase des juristischen Studiums rechtsvergleichendes Arbeiten
nicht überbewertet wird. Der rechtsvergleichende Anteil sollte stets nur ein
Zusatzanteil sein. Nur dann kann die Rechtsvergleichung nämlich dabei
helfen, das Wesentliche an der eigenen, nationalen Rechtsdogmatik und Ar-
beitsmethodik zu erkennen und führt nicht zu Überforderungssituationen.
Bei der Suche nach einer Rechtsgrundlage kann die Frage so aus-
geweitet werden, dass (freilich mit Hilfestellung) nicht nur deut-
sche, sondern auch ausländische Rechtsgrundlagen über ihre Funk-
tion aufzufinden sind.
Im Rahmen der Zurückführung von im Sachverhalt verwendeten
Begriffen auf Rechtsbegriffe kann die in die umgekehrte Richtung
erfolgende Bildung abstrakter rechtsvergleichender Oberbegriffe
thematisiert und geübt werden.
Beim eigentlichen Vergleichsvorgang schließlich bietet sich ein
Vergleich des Sachverhalts nicht nur mit einer deutschen Rechts-
grundlage, sondern auch mit einer ausländischen Rechtsgrundlage
150
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Rechtsvergleichung und juristisches Lernen
151
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Martin Zwickel
1. Zu klärende Vorfragen
152
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Rechtsvergleichung und juristisches Lernen
b) Erforderliche Sprachkenntnisse
Als äußerst problematisch erweist sich immer wieder die Anerkennung von
im Ausland bzw. auf rechtsvergleichender Basis erbrachten Studienleistun-
gen. Soll eine wirkliche Verankerung der Rechtsvergleichung im juristi-
schen Curriculum erfolgen, so müssten die juristischen Fakultäten größere
Anstrengungen als bisher unternehmen, um eine Einbeziehung im Ausland
oder in rechtsvergleichenden Veranstaltungen erbrachter Studienleistungen
in das juristische Curriculum zu ermöglichen. Denkbar wäre eine solche
Öffnung insbesondere im Bereich der Grundlagenfächer55 und der juristi-
schen Schwerpunktbereiche.
____________________
53 Für eine solche Kombination Neumayer (Fn. 27), S. 509.
54 Koch/Magnus/Winkler von Mohrenfels (Fn. 10), § 13, Rn. 21.
55 Schon in den siebziger Jahren wurde in Großbritannien mit Erfolg ein Modell er-
probt, nach dem das Grundlagenfach römisches Recht durch eine Einführung in
das französische oder das deutsche Recht ersetzt wurde, s. Cohn, Rechtsverglei-
chung im englischen Rechtsunterricht, JZ 1971, 726 (726 ff.).
153
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Martin Zwickel
Zudem stellt sich, bevor über eine curriculare Verankerung der Rechtsver-
gleichung nachgedacht werden kann, die Frage, ob das juristische Curricu-
lum überhaupt Raum für rechtsvergleichende Inhalte belässt oder ob zwin-
gend eine Reduktion des Pflichtfachstoffes erforderlich ist. Hierzu gehen
die Meinungen auseinander: Teils wird angenommen, eine Umgestaltung
des Curriculums biete die Chance zu einer Entrümpelung des Rechtsstudi-
ums.56 Entgegengehalten wird, es sei wohl das »Zurechtstutzen der natio-
nalen Rechtswissenschaft zu einer Art Bonsai-Jurisprudenz« beabsichtigt.57
So pauschal lässt sich die Frage nach einer zwingenden Reduktion des
Pflichtfachstoffes aber m.E. nicht beantworten, hängt sie doch maßgeblich
von entsprechenden Vorlieben ab. Wichtiger als die wohl endlose Diskus-
sion um den juristischen Pflichtfachstoff ist aus meiner Sicht die Suche nach
dem Pflichtfachstoff, der sich ohnehin bereits für die rechtsvergleichende
Vermittlung besonders eignet. Anzusetzen wäre für diese Suche wohl im
Europarecht, im Völkerrecht und im internationalen Privatrecht.58 In diesen
Fächern könnte zunächst versucht werden, langsam rechtsvergleichende In-
halte einfließen zu lassen. Zudem könnte die Rechtsvergleichung in Grund-
lagenfächer Einzug halten. Erst in einem zweiten Schritt wäre dann zu klä-
ren, ob der Pflichtfachstoff in all seinen Verästelungen im derzeitigen Um-
fang beibehalten werden muss.
Gedacht werden sollte aber auch an eine intraförderale Rechtsverglei-
chung. Möglich ist dies z.B. im öffentlichen Recht, wo oftmals, auch in der
juristischen Ausbildung, Landes- und Bundesrecht nebeneinander zur An-
wendung zu bringen ist.
Die oben angesprochenen Punkte zeigen deutlich, dass derzeit zwei
Wege einer verstärkten Integration rechtsvergleichender Inhalte in die Ju-
ristenausbildung gangbar sind:
Der erste Weg besteht aus einer tiefgreifenden Um- und Neukon-
zeption der Juristenausbildung.
____________________
56 Befürwortend Kötz (Fn. 13), S. 768, u. Kötz (Fn. 2), S. 257, der eine umfassende
Reform der deutschen Juristenausbildung einfordert.
57 Martinek, Buchbesprechung von Schlechtriem, Schuldrecht Allgemeiner Teil, Tü-
bingen 1992, JZ 1993, 196 (196).
58 Zur Berücksichtung derartiger vertikaler Bezüge der Rechtsvergleichung s. Rei-
mann, Beyond National Systems: A Comparative Law for the International Age,
Tul. L. Rev. 2001, 1103 (1104); Fauvarque-Cosson (Fn. 1), S. 304.
154
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Rechtsvergleichung und juristisches Lernen
____________________
59 Junker (Fn. 10), S. 921 ff.
155
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Martin Zwickel
156
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Rechtsvergleichung und juristisches Lernen
E. Fazit
____________________
66 In diesem Sinne auch Rheinstein (Fn. 44), S. 189: »Aus den Rahmenbedingungen
des heutigen Rechtsstudiums ergibt sich somit, dass gegenwärtig nur die funktio-
nelle Rechtsvergleichung als Element der allgemeinen Juristenausbildung in Be-
tracht kommt.«
67 Descartes, Règles utiles et claires pour la direction de l'esprit en la recherche de la
vérité: avec des notes math. de Pierre Costabel, La Haye 1977, S. 61.
157
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Grundlagen des juristischen Lernens
Jörn Griebel*
A. Einleitung
Der vorliegende Beitrag basiert auf einem Vortrag, der anlässlich der ersten
der beiden Tagungen zum juristischen Lernen im Herbst 2016 gehalten
wurde. Darin ging es primär um die Frage, inwieweit es wissenschaftlich
belegte Kernthesen dazu gibt, wie Lernen im Jurastudium gelingt. Weiter
sollte eine Diskussion dazu angestoßen werden, welche Veranstaltungsfor-
men zur Vermittlung entsprechender Inhalte am sinnvollsten sind.
Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildete dabei das in allen Phasen
des Jurastudiums relevante Szenario des Selbstlernens:1 Eine Studentin/ein
Student sucht sich ohne Anleitung durch Dozenten anhand selbst ausge-
wählter Quellen ein bestimmtes Fach zu erarbeiten. Wie sollte sie/er hier
vorgehen, um in diesem Prozess Kenntnisse und Fähigkeiten nachhaltig zu
erwerben?2 Die Betonung liegt dabei auf dem Begriff der Nachhaltigkeit,
da die Anforderungen der Ersten Juristischen Prüfung ebenso wie die einer
späteren juristischen Berufstätigkeit es verlangen, Wissen möglichst dauer-
haft zu erwerben und Fähigkeiten nachhaltig zu beherrschen. Dabei handelt
____________________
* Der Autor ist Professor für Öffentliches Recht und Internationales Wirtschafts-
recht an der Universität Siegen.
1 Zum Begriff der Selbstlernkompetenz auch Lange, Ein Plädoyer für Blockveran-
staltungen zur Förderung von Selbstlernkompetenzen im Jurastudium, in: Bleck-
mann (Hrsg.), Selbstlernkompetenzen im Jurastudium, Stuttgart 2015, S. 147 (148
f.); Reimer/Zwickel, E-Learning und Selbstlernkompetenzen im Jurastudium –
Medienpädagogische und juristische Perspektiven, in: Bleckmann (Hrsg.), Selbst-
lernkompetenzen im Jurastudium, Stuttgart 2015, S. 115 (118); Kulow schlägt als
alternative Bezeichnung zur Selbstlernkompetenz den der Neugier vor, Rechtsdi-
daktik, Neurobiologie und »Selbstlernkompetenzen« – einige kurze Thesen, in:
Bleckmann (Hrsg.), Selbstlernkompetenzen im Jurastudium, Stuttgart 2015, S. 85
(96).
2 Hierzu auch Roth/Bellhäuser/Schmitz, Selbstreguliertes Lernen im Jurastudium –
eine Schlüsselkompetenz, in: Bleckmann (Hrsg.), Selbstlernkompetenzen im Ju-
rastudium, Stuttgart 2015, S. 100 (100 ff.).
159
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Jörn Griebel
____________________
3 S. beispielhaft Lange, Jurastudium erfolgreich, 8. Aufl., München 2015; Haft, Ein-
führung in das Juristische Lernen – Unternehmen Jurastudium, 7. Aufl., Bielefeld
2015; Haft/Kulow, Lernen mit dem Kopf – Trainieren mit dem Computer, Stutt-
gart u.a. 2007; Bergmans, Lern- und Arbeitstechniken für das Jurastudium, Stutt-
gart u.a. 2013; ter Haar/Lutz/Wiedenfels, Prädikatsexamen, 4. Aufl., Baden-Baden
2016.
4 Ein bedeutsamer Schritt kann in dem von Bleckmann herausgegebenen Tagungs-
band zu »Selbstlernkompetenzen im Jurastudium«, Stuttgart 2015, gesehen wer-
den.
5 S. zur Lerntypenlehre etwa ter Haar/Lutz/Wiedenfels (Fn. 4), S. 31 ff., u. Berg-
mans (Fn. 3), S. 65; insoweit scheint die Neurobiologie bislang keine Belege zu
erbringen, dass sich Menschen nach ihren Wahrnehmungskanälen sortieren las-
sen.
6 Hierzu auch Bergmans (Fn. 3), S. 66 ff.; hier scheint es, als sei derjenige, der Jura
mittels entsprechender Techniken zu lernen versucht, ebenso verloren wie jemand,
der Entsprechendes im Hinblick auf eine Sprache versucht.
160
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Grundlagen des juristischen Lernens
____________________
7 Dieser Eindruck entsteht etwa bei der Lektüre von Niederle, 500 Spezial-Tipps für
Juristen, 14. Aufl., Altenberge 2018.
8 S. beispielhaft hierfür ein von der Legal Tribune Online herausgegebenes und von
Scheu verfasstes Online-Angebot mit dem Titel »Hätt’ mir das einer am Anfang
gesagt... – 100 Tipps für Jurastudierende«, abrufbar unter https://www.lto.de/
jura/e-book-100-tipps-fuer-euer-jura-studium/ (letzter Abruf am 1.9.2018); ange-
merkt sei dabei, dass besagter Text viele Aussagen enthält, denen man durchaus
zustimmen kann. Entsprechende Texte enthalten teilweise aber auch Aussagen,
die problematisch sind; ähnliche Vorbehalte müssen auch für Ratbebervideos zum
Jurastudium, die auf YouTube etc. abrufbar sind, gelten.
9 S. etwa Kotulla/Rolfsen, Studienerfolg ist planbar, Iurratio 2012, 158; s.a. Andreas
Voßkuhle in einem Interview mit Der Tip, Nr. 430, 22. Juli 2010, abrufbar unter
http://pdf.tipbt.de/430.pdf (letzter Abruf am 1.9.2018).
161
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Jörn Griebel
oder Theorie, keinen Meinungsstreit und insg. keine Problematik, die von
durchschnittlich begabten Studierenden – Interesse und Willen vorausge-
setzt – nicht verstanden werden kann. Recht wird von Menschen geschaffen
und ist damit von diesen im Grundsatz auch verstehbar. Von der Mathema-
tik unterscheidet es sich im Übrigen grundlegend, als 1+1 in der Juristerei
»bei vertretbarer Argumentation« auch 3 ergeben kann.
Gleichwohl kann das Jurastudium nicht als leicht betrachtet werden. Es
ist anspruchsvoll, weil die einzelnen zu erlernenden Rechtsgebiete komplex
sind und sich deren Denklogiken dem Lerner erst ganz allmählich erschlie-
ßen. Diese Schwierigkeit ist auch unmittelbar damit verbunden, dass die
Prüfungsordnungen einen solch umfangreichen Katalog von Themen als
Prüfungsfelder ausweisen, dass man berechtigterweise von einer »Stoff-
fülle« sprechen kann.
Jura ist weiter anspruchsvoll, weil man juristisches Wissen nicht einfach
pauken bzw. auswendig lernen kann. Das Verstehen der Inhalte steht klar
im Vordergrund, und da es viel zu verstehen gibt, muss auch Ausdauer,
Disziplin und Fleiß vorhanden sein. Das Verstehen braucht seine Zeit, und
die muss sich jeder Studierende auch nehmen.
Hinzu kommt, dass es gilt, die vorhandenen Kenntnisse an einem Fall zu
beweisen, so dass auch noch die Fähigkeit zur Entwicklung einer vertretba-
ren Lösung bei (unbekannten) Fallproblemen hinzukommt. Neben das ju-
ristische Wissen tritt damit auch das juristische Können.
Und letztlich gilt es das in unterschiedlichem Maße gebotene Struktur-
und Detailwissen sowie die geforderten Fähigkeiten wie eingangs beschrie-
ben »nachhaltig« zu erwerben, da man sich in der höchst anspruchsvollen
Ersten Juristischen Prüfung beweisen muss.
Die Aufgabe, diese Herausforderungen zu bewältigen, fällt im Wesentli-
chen den Studierenden zu. Soweit man Absolventen fragt, wie viel des vor-
handenen Examenswissens sie glauben, sich selbst erarbeitet zu haben und
wie viel von Dozenten in Veranstaltungen erworben zu haben, dann sind
die Aussagen doch recht eindeutig: Sofern man nicht sogar für sich in An-
spruch nimmt, kompletter Autodidakt gewesen zu sein, so wird doch jeden-
falls der eigene Anteil am Prozess des Wissenserwerbs (im Selbst- oder
Gruppenstudium) als äußerst hoch eingeschätzt.10
____________________
10 S. etwa Scheu (Fn. 8), Tipp 13: »Jura ist nun mal ein Selbststudium«.
162
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Grundlagen des juristischen Lernens
Inwieweit ist es möglich, Wissen zu erwerben, für das man sich nicht inte-
ressiert? Bei vielen Studierenden werden wesentliche Teile der Schulzeit
von der Erfahrung geprägt worden sein, dass dies durchaus geht, und viel-
____________________
11 Dies gilt natürlich nur, wenn man vom Schlafen absieht, welches im Sinne der
Konsolidierungsprozesse hoffentlich auch in ausreichender Weise geschieht, s.
hierzu unten C.V.
12 Dabei sei angemerkt, dass der Verfasser die Freiheit zur selbstgewählten und au-
thentischen Unterrichtsmethode sehr schätzt und auch anderen belassen möchte.
163
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Jörn Griebel
leicht sogar mit Erfolg. In der Tat ist es möglich, auch mit Gleichgültigkeit
überschaubare Inhalte mit Fleiß und dem Einsatz von Wiederholungen zu
lernen und jedenfalls kurzfristig zu speichern. Viele werden sogar die Er-
fahrung gemacht haben, dass selbst unter großem Stress oder gar mit Angst
auch noch gelernt werden kann, und ggfs. wurde dies sogar als besonders
effektiv wahrgenommen. Im Hinblick auf solche Lernerfahrungen muss
man sich jedoch die Frage stellen, wie viel auf diesem Wege gelerntes Wis-
sen auch heute noch tatsächlich vorhanden ist und ob diese Überzeugung
die Grundlage für ein nachhaltiges Lernen voraussetzendes Jurastudium
sein kann.
Die Neurobiologie13 hat zu dieser Frage in den letzten 15 bis 20 Jahren
Erkenntnisse zutage gefördert, die den angesprochenen Lernerfahrungen di-
ametral widersprechen. Hüther bringt diese Erkenntnisse mit den folgenden
Worten auf den Punkt: »Wir lernen nur das, was für uns wichtig ist.«14 Das
hingegen, was dem Lerner nicht wichtig ist, muss sich dieser mühevoll er-
arbeiten, und wenn er dieses Wissen nicht regelmäßig wiederholt, verflüch-
tigt es sich sogleich.15 Betrachtet man von Neurobiologen verfasste Texte
zum Lernen, so spielt darin die Motivation und emotionale Haltung des
Lerners gegenüber dem Lernstoff eine entsprechend zentrale Rolle.16 Im
____________________
13 Mit der Möglichkeit bildgebender Verfahren, die es erlauben, dem menschlichen
Gehirn bei Wahrnehmungsprozessen zuzusehen, hat sich die Gehirnforschung zu
Recht als Leitwissenschaft aller sich mit Bildungsprozessen befassenden Wissen-
schaften entwickelt. Zu den verschiedenen Methoden des funktionellen Neuroima-
ging siehe Spitzer, Lernen, Berlin 2007, S. 37 ff.; angemerkt sei dabei allerdings,
dass es nicht um eine unreflektierte Übernahme aller neurobiologischen Kennt-
nisse gehen kann. So sieht etwa Kulow (Fn. 1), S. 87 ff., die Rolle der Neurobio-
logie als Leitwissenschaft kritisch und lehnt diese ab.
14 Hüther, Was wir sind und was wir sein könnten, Frankfurt am Main 2012, S. 92.
15 Siehe dazu auch Roth, Möglichkeiten und Grenzen von Wissensvermittlung und
Wissenserwerb – Erklärungsansätze aus Lernpsychologie und Hirnforschung, in:
Caspary (Hrsg.), Lernen und Gehirn, 7. Aufl., Freiburg 2011, S. 54 (65).
16 Auch wenn die Themen Emotion und Motivation noch getrennt werden könnten,
sollen sie hier gemeinsam behandelt werden, s. hierzu etwa in populärwissen-
schaftlichen Veröffentlichungen Spitzer (Fn. 13), S. 157 ff. u. 175 ff.; Korte, Wie
Kinder heute lernen, 2. Aufl., München 2011; Hüther, Wie lernen Kinder? Vo-
raussetzungen für gelingende Bildungsprozesse aus neurobiologischer Sicht, in:
Caspary (Hrsg.), Lernen und Gehirn, 7. Aufl., Freiburg 2011, S. 70 (70 ff.); s. zum
Thema Motivation generell auch Haft/Kulow (Fn. 3), S. 18 ff.
164
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Grundlagen des juristischen Lernens
____________________
17 Anschaulich Spitzer, Medizin für die Schule – Plädoyer für eine evidenzbasierte
Pädagogik, in: Caspary (Hrsg.), Lernen und Gehirn, 7. Aufl., Freiburg 2011, S. 28.
18 Spitzer (Fn. 13), S. 165 f.
19 Hüther (Fn. 16), S. 75 f.; Spitzer (Fn. 13), S. 175 ff.
20 Spitzer (Fn. 13), S. 176 ff.; Korte (Fn. 16), S. 40 f.
165
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Jörn Griebel
und der für das Lernen optimal zu sein scheint.21 Er stellt sich dann ein,
wenn die gewählte Herausforderung im Verhältnis zur Leistungsfähigkeit
des Einzelnen steht, und erlaubt es, überkonzentriert bei der Sache zu blei-
ben und in diesem Prozess auch nachhaltig zu lernen.
Wer die beschriebene Primärmotivation, d.h. das unmittelbare Interesse
für den Lernstoff, nicht aufweist, zumindest aber insoweit Sekundärmoti-
vation besitzt, als ein bestimmtes Berufsziel oder ähnliches verfolgt wird,
verfügt über die Grundlage, das entscheidende Interesse am Recht im Laufe
des Studiums zu entwickeln.22 Ganz schwer haben es hingegen die Studie-
renden, die keine dieser Formen intrinsischer Motivation aufweisen, son-
dern etwa von ihrer Familie ins Studium geschickt wurden oder mangels
anderweitiger Interessen Jura aus Not studieren. Sie sind entsprechend nicht
oder allenfalls extrinsisch motiviert, was einer inneren Gleichgültigkeit ge-
genüber dem Stoff gleichkommt, und so werden es diese Studierenden sehr
schwer haben. Gleiches gilt für die nicht wenigen Studierenden, die auf-
grund vieler im Studium erfahrener Rückschläge irgendwann den Traum,
als Jurist arbeiten zu wollen, aufgeben und nur noch den Abschluss anstre-
ben. Auch hier fehlt die positive Emotion in einem Maße, dass man Zweifel
anmelden darf, dass die große Herausforderung der Ersten Juristischen Prü-
fung erfolgreich bewältigt werden kann.
Neben solche Defizite in der inneren Haltung treten zudem weit verbrei-
tete Ansichten, die ebenfalls im diametralen Gegensatz zum Gebot des
nachhaltigen Lernens stehen. Die Maxime, Prüfungen mit möglichst wenig
Aufwand gerade so zu bestehen, ist hier ebenso zu nennen wie die Ansicht,
im Grundstudium gelte es lediglich, die Klausuren irgendwie zu erschlagen,
da das eigentlich Wichtige ja doch nur das Examen und die hierfür relevante
Vorbereitungszeit beim kommerziellen Repetitor sei. Beides wird einen da-
von abhalten, bereits die ersten Semester zu einem grundständigen Studium
zu nutzen. In der Examensvorbereitung kommt dann das »auf Lücke
____________________
21 Geht zurück auf Csíkszentmihályi, Flow – Das Geheimnis des Glücks, Stuttgart
1992, anschaulich beschrieben bei Burow, Positive Pädagogik, Weinheim 2011,
S. 63 f.; s. zudem Korte (Fn. 16), S. 41 ff.
22 Hier sei angemerkt, dass es nur selten so sein wird, dass ein Studierender von An-
fang an ein auf den Stoff fokussiertes Interesse aufweist, da die wenigsten auf-
grund von Vorwissen (Rechtskunde in Schule oder Ausbildung) bereits ein Bild
von den Inhalten des Jurastudiums und damit eine Vorstellung davon haben, was
sie erwartet; hierzu auch Haft/Kulow (Fn. 3), S. 18.
166
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Grundlagen des juristischen Lernens
167
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Jörn Griebel
Es dürfte deutlich geworden sein, dass es sich bei dem hier behandelten
Thema nicht um eine zu praktizierende Lernmethode handelt. Vielmehr
geht es um Haltungen, die gleichsam wie eine Rahmenbedingung des Ler-
nens dieses begünstigen oder behindern kann. Und damit ist die Thematik
auch im Hinblick auf ihre Vermittlung problematisch, zeigt sie doch bei-
spielsweise den angesprochenen Studierenden, die infolge der Frustrationen
des Studiums erklären, niemals mehr juristisch arbeiten zu wollen und nur
noch irgendwie ihren Abschluss machen zu wollen, auf welch schwierigem
Weg sie sich mangels echten Interesses an dem Stoff befinden. Nun ist aber
die Haltung nicht nur das Problem eines jeden Einzelnen, sondern vielmehr
auch die Aufgabe der jeweiligen Bildungseinrichtung, in der Begeisterung
und Interesse für die Materien von Vorbildern vorgelebt werden sollten, um
so auf die noch nicht interessierten Studierenden überzuspringen. Versagt
die Bildungseinrichtung in dieser Hinsicht, dann ist es in der Tat die allei-
nige Aufgabe eines jeden Studierenden, das Feuer für die Juristerei zu schü-
ren.28
Nachdem deutlich geworden ist, dass positive Emotion den Lernprozess er-
heblich begünstigt, soll auf ein weiteres Prinzip eingegangen werden, dass
gelingende Lernprozess erheblich beeinflusst: Das Prinzip, wonach Wissen
zu Wissen kommt. Es ist eine alte Weisheit, dass man sich neues Wissen
am besten merken kann, wenn man Vorwissen besitzt, an das das neue Wis-
sen andocken kann. Dies bestätigt auch die Lernforschung.29 Daraus folgt
zum einen, dass man sich gerade im Hinblick auf die effektive Gestaltung
der Examensvorbereitung bereits im Grundstudium darum bemühen sollte,
ein konsolidiertes Struktur- und Detailwissen verbunden mit der Beherr-
schung des juristischen Handwerks aufzubauen. Zum anderen gilt es, sich
zu überlegen, in welcher Weise man an ein zu erlernendes Rechtsgebiet
herangeht. Dabei ist es sinnvoll, zunächst allgemeine Informationen zu
sammeln und so Strukturverständnis aufzubauen. Ein erster Überblick, der
Umfang und Grenzen des Gebiets, die Interessen, welche die Regeln zu ver-
mitteln suchen, die Rechtsquellen und die Bedeutung des Methodenrechts
in diesem Bereich etc. zu verstehen sucht, wird eine solide Basis dafür bil-
____________________
28 Haft/Kulow (Fn. 3), S. 17.
29 Spitzer (Fn. 13), S. 283; Spitzer (Fn. 17), S. 31.
168
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Grundlagen des juristischen Lernens
169
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Jörn Griebel
dies wie folgt: »Je intensiver wir uns mit Inhalten beschäftigen, desto eher
hinterlassen sie Spuren im Gedächtnis.«32 Was damit gemeint ist, soll, in-
spiriert durch einen Vortrag von Spitzer, anhand eines kurzen Experiments,
welches im Rahmen der TIMSS-Studie, einem Vorläufer der PISA-Studie,
durchgeführt wurde, erläutert werden:
Zwei Schülergruppen erhielten zunächst Frontalunterricht zur Bruch-
rechnung. Danach wurde die erste Gruppe mit Übungsblättern zur Bruch-
rechnung versorgt, die aktiv durchgearbeitet werden mussten. Die zweite
Gruppe wurde hingegen in zwei Untergruppen geteilt. Diese bekamen die
Aufgabe, sich für die jeweils andere Untergruppe Aufgaben zur Bruchrech-
nung auszudenken und selbst die von der jeweils anderen Gruppe ausge-
dachten Aufgaben zu lösen. Das Ergebnis war noch viel brisanter, als man
erwartet hatte. Man ging davon aus, dass die zweite Gruppe in einer später
durchgeführten Prüfung zur Bruchrechnung aufgrund der gewählten Vor-
gehensweise im Durchschnitt besser abschneiden würde als die erste
Gruppe. Dass jedoch der schlechteste Schüler der zweiten Gruppe immer
noch besser sein würde als der beste Schüler der ersten Gruppe, hatte man
nicht erwartet.
Das Ergebnis gibt einem nicht nur im Hinblick auf die Art und Weise,
wie hierzulande an Schulen und Hochschulen zumeist gelehrt wird, zu den-
ken. Es belegt auch, dass es auch bei konkurrierenden Formen des aktiven
Lernens (zu denen auch die Bearbeitung von Übungsblättern zählt) unter-
schiedliche Grade an Verarbeitungstiefe erreicht werden. Je intensiver die
Herausforderung und Auseinandersetzung mit dem Stoff, desto höher der
Grad des gewonnenen Verständnisses. So gibt es keine bestimmte Methode
des optimalen Lernens, es kommt letztlich darauf an, eine möglichst inten-
sive Auseinandersetzung mit dem zu lernenden Stoff und damit eine hohe
Reflexionstiefe zu erreichen. Solange dies der Fall ist, ist die eingesetzte
Lernmethode gleichgültig. Reflexionstiefe ist damit der gemeinsame Nen-
ner, anhand dessen die Effektivität der gewählten Lernmethoden zu messen
ist.
In anderen Worten geht es darum, über den zu lernenden Stoff nachzu-
denken, was einem bei Jura als einem Verständnisfach sehr entgegen
kommt. Soweit man Vorlesungen besucht, legt man die Grundlage für Re-
flexionstiefe, indem man im besten Fall die Vorlesung vorbereitet, jeden-
____________________
32 Spitzer (Fn. 13), S. 6.
170
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Grundlagen des juristischen Lernens
falls aber aufmerksam zuhört und die Inhalte zeitnah nach der Vorlesung
mit Kommilitonen durchspricht, Fragen klärt oder für Rückfragen beim Do-
zenten festhält.33 Wer in der Erwartung einer späteren Diskussion der Vor-
lesungsinhalte eine Vorlesung besucht, ist automatisch deutlich aufmerksa-
mer.
Ein solches Vorgehen ist allerdings nur die Basis für eine Steigerung der
Verarbeitungstiefe mittels des weitergehenden Studiums von Gesetzestex-
ten und Lehrbüchern bzw. Kommentaren. Wenn man Sekundärliteratur,
speziell Lehrbücher, liest und ggf. auch markiert, dann ist die dabei erzielte
Verarbeitungstiefe zumeist sehr begrenzt.34 Diese steigert man erheblich,
wenn man die relevante Information in ein eigenes Verständnissystem, etwa
in Gestalt eines langsam wachsenden Karteikarten-Systems, überträgt.35
Die Erarbeitung eines solchen eigenen Systems oder auch Skripts, in dem
man sich durch den Aufbau, die Gestaltung, den Grad der festgehaltenen
Details etc. Rechenschaft darüber legt, ob man die Inhalte verstanden hat,
steigert die Verarbeitungstiefe erheblich und trägt damit auch zum Erwerb
konsolidierten Wissens bei. Dabei sollte man speziell als Studierender im
Grundstudium immer darauf achten, die Aussagen in eigenen Worten zu
formulieren, da man nur so erkennt, ob man einen Aspekt wirklich verstan-
den hat.
Ein anderer Weg, der eine hohe Verarbeitungstiefe gewährleistet, besteht
in der Ausarbeitung von Mindmaps, die die diversen Ober- und Unterstruk-
turen eines Rechtsgebiets abbilden und auch Details (Problemkonstellatio-
nen/Problemdiskussion) festhalten können. Hier hat Haft bereits sehr früh
und ohne die heutigen neurobiologischen Erkenntnisse zum Lernen weg-
weisende Hilfestellungen gegeben.36 Das Erstellen und Kreieren solcher
Übersichten verlangt ebenfalls, dass ihr Schöpfer die Aussagen der Lehrbü-
cher zu den Strukturen eines Bereichs oder einer Fragestellung herausfiltern
und sinnvoll zueinander in Beziehung setzen kann.
____________________
33 Hierzu eingehender und anschaulich Bergmans (Fn. 3), S. 98.
34 Als Beleg hierfür kann auch eine Studie angeführt werden, nach der die klassi-
schen Lerntechniken der Studierenden, wie etwa das Lesen und Markieren eines
Textes, nur geringe Lerneffekte zeitigen, s. Dunlosky/Rawson/Marsh/Nathan/Wil-
lingham, Improving Students‘ Learning With Effective Learning Techniques: Pro-
mising Directions From Cognitive and Educational Psychology, Psychological
Science in the Public Interest 2013, 4 (4 ff.).
35 S. hierzu insb. Lange (Fn. 3), S. 223 ff.
36 Haft (Fn. 3), S. 194 ff.
171
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Jörn Griebel
Wie sich speziell auch im obigen Beispiel der TIMSS-Studie gezeigt hat,
gibt es Grade von Verarbeitungstiefe, die andere weit übertreffen. Indem
sich die Schüler der zweiten Gruppe in die Rolle des Lehrers versetzten und
Aufgaben konstruieren mussten, haben sie mit die höchste Stufe erreicht,
namentlich das Lernen durch Lehren, wenngleich auch nur mittelbar in Ge-
stalt von Prüfungsaufgaben. Ebenso wie für das Lehren muss man beim
Konstruieren von Aufgaben die Materie sehr gut verstanden haben, sonst
gelingt es nicht. Es zeigt, dass das gemeinsame Auseinandersetzen mit ei-
nem Problem bzw. dessen Diskussion und Erforschung einen so hohen Grad
an Verarbeitungstiefe gewährleistet, dass ein nachhaltiges Lernen dieser In-
halte sehr wahrscheinlich wird. Daher ist auch zu regelmäßig und effektiv
abgehaltenen Lerngemeinschaften zu raten, bei denen jeder Teilnehmer die
Erläuterung einer bestimmten Thematik übernimmt oder den anderen hilft,
einen unbekannten, vom Moderator bereits vorab anhand einer (hoffentlich
guten) Lösungsskizze durchgearbeiteten Fall zu lösen.37 Und ganz nebenbei
geben sich die Gruppenmitglieder gegenseitig eine psychologisch wichtige
Rückenstärkung, die hilft, auch die schwierigen Phasen eines Studiums ge-
meinsam durchzustehen.38 Leider ist das Jurastudium so gestaltet, dass man
im Wesentlichen Einzelkämpfer ausbildet. Davon zeugt die immer noch
völlig unzureichende Berücksichtigung von Gruppenprojekten, wie etwa
Moot Courts, oder die Zurückdrängung von Hausarbeiten (aus Angst vor
Täuschungen), die hinsichtlich der Kommunikationsfähigkeit und auch
Teamfähigkeit unheimlich positive Effekte zeitigen und eine Aufwertung
erfahren sollten.
All die aufgeführten Beispiele einzusetzender Lernmethoden zeigen,
dass man alleine oder in Gruppen unterschiedliche Methoden nutzen kann,
um Reflexionstiefe zu erreichen und damit effektives Lernen zu gewähr-
leisten. Der Maßstab für Effektivität ist dabei aber immer das über das
Nachdenken erreichte Verständnis der zu lernenden Inhalte. Eine hohe Re-
flexionstiefe erreicht man allerdings nur mit aufwendigen Methoden. Deren
Einsatz erscheint jedoch alternativlos, wenn man konsolidiertes Wissen und
Können anstrebt.
____________________
37 Im Hinblick auf die Gestaltung solcher Arbeitsgemeinschaften sehr empfehlens-
wert ist Lange (Fn. 3), S. 307 ff.; zu den positiven Effekten solcher Lerngruppen
zudem Kotulla/Rolfsen (Fn. 9), S. 160.
38 Dazu auch Kotulla/Rolfsen (Fn. 9), S. 160; dabei sei angemerkt, dass sich in sol-
chen Gruppen die berufsrelevanten »Schlüsselqualifikationen« viel stärker entwi-
ckeln, als dies in speziellen Schlüsselqualifikations-Veranstaltungen der Fall
wäre.
172
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Grundlagen des juristischen Lernens
IV. Wiederholen
Wie bereits im Kontext der Bedeutung der Emotion angedeutet, ist das Wie-
derholen oft das Kreuz derjenigen, die ohne Interesse und Leidenschaft ler-
nen. Aber auch für die, die es da leichter haben, hilft wiederholen, damit
sich das Wissen fest im Gehirn konsolidiert. Wiederholen macht insoweit
den Unterschied zwischen dem Zustand, in dem man etwas zwar schon ein-
mal gehört hat, aber dies auf eine Frage hin nicht abrufen kann, und dem
Zustand, in dem dies infolge konsolidierten Wissens gelingt.
Die Bedeutung der Wiederholung wird regelmäßig sehr zurecht betont.39
Wie angedeutet muss diese aber in Abhängigkeit vom Grad der Emotion für
die Thematik und der eingesetzten Verarbeitungstiefe betrachtet werden. Je
höher das Interesse am Stoff war, und je mehr Reflexionstiefe sich hinter
einer erarbeiteten Karteikarte versteckt, desto geringer ist der Bedarf an
Wiederholung. Ein Workshopteilnehmer berichtete einmal überzeugend,
dass er eine von ihm gestaltete Karteikarte gar nicht mehr anschauen müsse,
weil er deren Inhalt auch ohne Wiederholung beherrsche. Je nach innerer
Haltung und betriebenem Aufwand bei der Erstellung der Karteikarte ist
dies gut erklärbar. Vor diesem Hintergrund ist auch die Zahl der Wieder-
holungsdurchläufe nicht abstrakt definierbar. Sie hängt vielmehr von den
individuellen Bedürfnissen des Einzelnen ab. Und es kommt auf die Fähig-
keit des Lerners an, ein Gefühl dafür zu gewinnen, wie viele Wiederho-
lungsdurchgänge es braucht, bis eine Frage sitzt. Bei einem schematischen
Vorgehen mit definierter Zahl an Wiederholungsdurchgängen in länger
werdenden Abständen macht man sich ggfs. mehr Mühe als erforderlich.
In diesem Kontext zeigt sich auch, dass eine über die Gestaltung von
Karteikarten oder einem Skript erlangte Reflexionstiefe zugleich der Wie-
derholung dient. Auch wenn die abermalige Lektüre eines Textes sicherlich
zusätzliche Erkenntnisgewinne bringen würde, so ist doch oft nicht die Zeit
hierfür vorhanden. Mit Karteikarten etc. lässt sich zeitsparender und effizi-
enter lernen.
____________________
39 Haft/Kulow (Fn. 3), S. 26; ter Haar/Lutz/Wiedenfels (Fn. 3), S. 151 ff.; Lange (Fn.
3), S. 238; Bergmans (Fn. 3), S. 70 f.
173
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Jörn Griebel
Betrachtet man die bisherigen Thesen, so wird deutlich, dass es nicht nur
über die Haltungen und konkreten Methoden nachzudenken gilt, auch das
weitere Umfeld des Lernens, der ruhige Lernort, die sinnvollen Lernzeiten
oder die Ernährung sind wichtige Themen. Besonders bedeutsam erscheint
daneben auch das Thema »Schlaf und Ruhephasen«, da es hier wiederum
jüngere Erkenntnisse aus der Neurobiologie hervorzuheben gilt.40
Lernen ist ein aktiver, bewusster Prozess. Im Schlaf kann nichts Neues
gelernt werden.41 Und doch ist der (ausreichende) Schlaf für Lernprozesse
ebenso zentral wie alle zuvor angesprochenen Aspekte. Das während des
Tages gelernte Wissen wird im Schlaf im Langzeitspeicher des Gehirns
konsolidiert.42 Betrachtet man mittels bildgebender Verfahren die Hirntä-
tigkeit eines Schlafenden, so sieht man, dass der Hippokampus die gelern-
ten Informationen an den Kortex zur nachhaltigen Konsolidierung weiter-
gibt.43 Dies kommt auch in dem Bild zum Ausdruck, dass der Hippokampus
im Schlaf als der Lehrer des Kortex fungiere.44 Der Schlaf hat damit eine
besonders wichtige Funktion für das Lernen. So wird deutlich, dass ein Ler-
ner nie am Schlaf sparen sollte:
»Wer sich den Schlaf raubt, um zu lernen, der stört den im Kopf eingebauten Lehr-
meister bei der Arbeit, d.h. beim nächtlichen Repetieren dessen, was tagsüber ge-
lernt wurde.«45
Dies wirft ein neues Bild auf all die Kommilitonen, die sich damit brüsten,
nur wenige Stunden zu schlafen, um hinreichend fleißig sein zu können,
falscher kann man es nicht machen. Vielmehr gilt es sehr darauf zu achten,
dass der nächtliche Schlaf ungestört und in ausreichendem Maße ermöglicht
wird. Entsprechendes gilt tagsüber für Pausen und Ruhephasen, die je nach
individuellem Bedarf ebenfalls unterschiedlich lang sein müssen. Hier gibt
es keine Patentrezepte, jeder Einzelne muss sich selbst dahingehend erfor-
schen, wie das Zusammenspiel von effektivem Lernen und Ruhezeiten zu
gestalten ist. Und wahrscheinlich gibt es bei effektiven Lernprozessen auch
____________________
40 Dazu insb. Spitzer (Fn. 13), S. 121 ff.
41 Spitzer (Fn. 13), S. 1 f.; Korte (Fn. 16), S. 73.
42 S. etwa Rinck, Lernen, Stuttgart 2016, S. 107 f.
43 Spitzer (Fn. 13), S. 123 ff.
44 Spitzer (Fn. 13), S. 125.
45 Spitzer (Fn. 13), S. 132.
174
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Grundlagen des juristischen Lernens
den Moment, in dem nichts Neues mehr aufgenommen werden kann und
jeder zusätzliche Eifer nicht nur verschwendet wäre, sondern auch das Ler-
nen des behandelten Stoffes stört. Teilweise wird dieser Punkt bei sechs
Stunden intensiven Lernens ohne Pause als erreicht angesehen.46 Bei aller
Vorsicht mit festen Vorgaben scheint dies ein sinnvoller Richtwert zu sein,
der sicherlich aber mehr für die Phase der Examensvorbereitung gilt.
Die hier präsentierte Liste der zentralen Parameter des juristischen Lernens
ist bereit jetzt unvollständig, besonders würde dies aber gelten, wenn man
nicht zumindest kurz auf die Notwendigkeit des Lernens abstrakter Inhalte
im Lichte der Fallklausur als der vorrangigen Prüfungsform hinwiese. Der
Beitrag von Kuhn in diesem Band widmet sich u.a. dieser Thematik in be-
sonderer Weise.47 Strukturwissen und auch Detailkenntnisse werden in der
Ersten Juristischen Prüfung insbesondere in Gestalt von Fällen abgefragt,
anhand derer es das juristische Handwerk zu beweisen gilt. Es nützt also
nichts, wenn man zwar in der Lage wäre, die Probleme eines Rechtsbereichs
in Aufsatzform darzulegen, dieses Wissen aber nicht in Gestalt einer Fall-
lösung auf einen konkreten Sachverhalt anwenden könnte.48 Die Verpa-
ckung des Wissens in einer Falllösung ist damit ebenfalls zentraler Lernge-
genstand, wobei hier die Komponente des Einübens in den Vordergrund
tritt.49 Dies verlangt, dass man sich einerseits sehr bewusst die Hinweise
zum Aufbau und den gebräuchlichen Formulierungen etc. vermerkt, um
diese dann zusammenhängend zu studieren und ein Bild von den Regeln
der »Verpackung« zu erhalten und diese effektiv üben zu können. Zum an-
deren muss neben den Anspruch, die Inhalte »verstehen« zu wollen, immer
auch die Frage treten, in welchen Konstellationen die jeweilige Problematik
in einer Klausur auftauchen könnte und wie diese sodann in eine gutachter-
liche Lösung zu integrieren wäre.
____________________
46 Haft/Kulow (Fn. 3), S. 15 f.
47 S. Kuhn, Anregungen für ein effektives Selbststudium anhand von Fällen sowie
für die richtige Lektüre und die Gestaltung von Lehrbüchern, in diesem Band, S.
9 (9 ff.).
48 Hierzu auch Haft/Kulow (Fn. 3), S. 12 f.
49 Hierzu mit zahlreichen weiterführenden Hinweisen auch Zwickel/Lohse/Schmid,
Kompetenztraining Jura, Berlin 2014.
175
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Jörn Griebel
Wie man die praktische Übung am besten gestaltet, ist Gegenstand inten-
siver Debatten unter Dozenten. Teilweise wird angeraten, eine Vielzahl
früherer Examensklausuren in universitären oder kommerziellen Klau-
surenkursen zu schreiben. Es ist sicherlich wichtig und richtig, sich mit den
Anforderungen, die in Examensklausuren gestellt werden, auseinanderzu-
setzen. Hier lassen sich wichtige Erfahrungen hinsichtlich Zeitmanage-
ment, dem Umgang mit unbekannten Sachverhalten, stilistischer Ansätze
etc. gewinnen. Gleichzeitig sollte man aber nicht annehmen, dass man ge-
rade über eine Vielzahl geschriebener Klausurenkursklausuren die gebote-
nen breiten Strukturkenntnisse erwerben könnte. Haft beschreibt einen sol-
chen Ansatz als »eine besonders aufwendige und zeitraubende Art des Ge-
henlernens durch permanentes Stolpern.«50 Und so gilt es, sich Übungs-
möglichkeiten zu suchen, die für das jeweilige Themengebiet angemessen
sind und in zeitlicher Hinsicht nicht ausufern.
176
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Grundlagen des juristischen Lernens
____________________
52 Zu entsprechenden Überlegungen etwa auch Strasser-Gackenheimer, Selbstlern-
kompetenz fördern in der Lernberatung – ein Impuls aus der Beratungspraxis eines
»Massenstudiengangs«, in: Bleckmann (Hrsg.), Selbstlernkompetenzen im Jura-
studium, Stuttgart 2015, S. 221 (221 ff.).
53 Für Kurse im Grundstudium allerdings nicht vor dem Ende des ersten Semesters
spricht sich Lange (Fn. 1), S. 165, aus.
54 Zu Kursangeboten für Examenskandidaten s. Broemel (Fn. 31), S. 188 ff.
55 S. insb. Lange (Fn. 2), S. 166, die zurecht darauf hinweist, dass solche Veranstal-
tungen erst dann wirklich sinnvoll sind, wenn die Studierenden für zumindest ei-
nige Wochen studiert haben, was auch die Integration solcher Veranstaltungen in
die Erstsemesterbegrüßung in Frage stellt.
56 Lange (Fn. 1), S. 164 f.
57 Zu einer sehr durchdachten und erprobten Konzeption auch Lange (Fn. 1), S. 154
ff. u. 160 ff.
177
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Jörn Griebel
E. Fazit
178
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Grundlagen des juristischen Lernens
oder mit Studienkollegen über die Fragen diskutiert. All dies ist aufwendig
und doch ohne Alternative, wenn man ein guter Jurist mit möglichst guten
Examina werden möchte.
Wiederholung ist das Kreuz derer, die nicht bereits mit Begeisterung ler-
nen. Gleichzeitig werden aber auch die interessierten Studierenden nicht
immer alles gleich behalten, speziell nicht die vielen Details. Und so gilt es,
sich zu überlegen, wie und in welchen Abständen man am besten wiederholt
und wie viele Durchgänge es jeweils braucht, um konsolidiertes Wissen zu
erwerben. Karteikarten bilden dabei eine ausgezeichnete Basis für effekti-
ves Wiederholen.
Und letztlich sind Ruhephasen, insb. der nächtliche Schlaf, für das Ler-
nen von besonderer Bedeutung, da gerade in Tiefschlafphasen Informatio-
nen aus dem Hippokampus in den Langzeitspeicher des Großhirns weiter-
geleitet werden. Vor diesem Hintergrund muss man sich tatsächlich fragen,
wie viel es bringt, wenn sich Einzelne damit rühmen, 10 Stunden und mehr
am Tag zu lernen. Wer sich keine Zeit zur Erholung nimmt, lernt vorder-
gründig viel, nachhaltig aber wenig.
Die eigentliche Kunst des Lernens besteht wohl auch darin, zu erkennen,
wann und wie das eigene Gehirn optimal aufnahmefähig ist und wann eine
Sache nachhaltig gelernt wurde, so dass sie nicht weiter wiederholt werden
muss. So verstanden ist Lernen auch ein Prozess, der nicht von Anfang an
optimal funktionieren kann und der erst über viele positive Lernerfahrungen
zu einem effektiven eigenen Lernstil reift.58
So hat sich insgesamt gezeigt, dass unser Gehirn grundlegend anders
funktioniert als der Speicher eines Computers.59 Wissen konsolidiert sich
im Langzeitspeicher des Gehirns in Abhängigkeit von Interesse und Begeis-
terung für die Materie, dem Grad des Nachdenkens über die Lerninhalte,
dem Vorhandensein und dem Umfang von Vorwissen und dem Wiederho-
len gelernter Inhalte. Man muss eben gerade kein Gedächtniskünstler sein,
um Jura erfolgreich abzuschließen.
Die Gesamtschau all dieser Aussagen deutet an, dass man Lernen nicht
einfach lehren kann. Man kann nur dazu ermutigen und Anregungen geben,
sich mit der Thematik des Lernens zu befassen und eine positive Haltung
zu der großen Herausforderung des Jurastudiums und der Ersten Juristi-
schen Prüfung einzunehmen. Aber bereits ein solches Engagement kann für
____________________
58 In diesem Sinne auch Haft (Fn. 24), S. 9.
59 So auch Haft/Kulow (Fn. 4), S. 9.
179
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Jörn Griebel
180
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tagungsforum
Tagung »Juristisches Lernen«*
9. und 10. September 2016, Schloss Gracht und 28. und 29. April 2017,
Schloss Gracht
»Ius est ars boni et aequi – Das Recht ist die Kunst der guten Ordnung und
der Billigkeit« lautet die klassische Definition des Rechts von Celsus in den
Digesten.1 Zur Präzisierung des Erlernens dieser »juristischen Kunst« traf
zunächst am 9. und 10. September 2016, auf Einladung von Prof. Dr. Bar-
bara Dauner-Lieb und Prof. Dr. Jörn Griebel, im schönen Ambiente von
Schloss Gracht, ein kleiner Kreis von 13 fachdidaktisch Interessierten zu-
sammen. Ein Dank für die Ermöglichung dieses Austausches gilt den Or-
ganisatoren sowie der Heinz Nixdorf Stiftung und der Hanns Martin
Schleyer-Stiftung für die großzügige Unterstützung, welche im Rahmen der
Universitas-Initiative »Interdisziplinäre Dozentenkolloquien Wissenschaft
und Praxis« erfolgte.
Gleich zu Beginn der Tagung wurden die Teilnehmerinnen und Teilneh-
mer gebeten, die für sie wichtigsten Komponenten des juristischen Lernens
zu benennen. Dabei zeigten sich drei Blöcke, die sich letztlich allesamt drei
zentralen Determinanten des juristischen Lernens zuordnen lassen: Juristi-
sches Lernen besteht demnach aus einer möglichst optimalen Kombination
____________________
* Martin Zwickel hat den Berichtsteil zur 1. Tagung verfasst, während Jörn Griebel
für den Bericht zur 2. Tagung verantwortlich ist.
** Dr. Martin Zwickel, Maître en droit ist Akademischer Oberrat an der Friedrich-
Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er leitet dort die Serviceeinheit
»Lehre und Studienberatung«.
*** Jörn Griebel ist Inhaber der Professur für Öffentliches Recht und Internationales
Wirtschaftsrecht an der Universität Siegen.
1 D. 1,1,1 pr.
181
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Martin Zwickel/Jörn Griebel
____________________
2 Nach Stadler/Broemel, Lerntechniken und Lernstrategien im Jurastudium, in:
Brockmann/Pilniok (Hrsg.), Studieneingangsphase in der Rechtswissenschaft, Ba-
den-Baden 2014, S. 37 (63 ff.), die das »Streben nach dem strategischen Tiefen-
lerner« als Ziel benennen.
182
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tagungsforum
tion kann, nach Auffassung der Diskutanten v.a. durch Einbindung der Stu-
dierenden in Gruppen, durch Feedbacksysteme und die Erlangung von
Selbstbestimmtheit im Lernprozess erhöht werden. Im Bereich der Rolle
der Dozentinnen und Dozenten wurden Schwerpunkte einer Unterstützung
des juristischen Lernens in einer klareren Trennung zwischen Wissenser-
werb und Wissensanwendung durch die Lehrenden und in einem Verdeut-
lichen der Niveaustufen der Rechtsanwendung gesehen. So könnte in Fall-
lösungen und Fallbesprechungen verstärkt klargestellt werden, an welcher
Stelle Wissenselemente einfließen und wie dieses juristische Wissen erwor-
ben werden kann. Nicht abschließend diskutiert werden konnte die Bedeu-
tung der Veranschaulichung der unterschiedlichen Rechtsanwendungssphä-
ren (Gerichte, Wissenschaft, juristische Prüfungen) für das juristische Ler-
nen. So wurde in den Diskussionen angesprochen, die Entscheidung von
rechtlichen Konfliktsituationen erfolge bei Gericht anders als in der Wis-
senschaft und in juristischen Prüfungen.3 Unklar blieb dabei aber v.a. das
Ausmaß der Unterschiede, beziehen Gerichte doch wissenschaftliche Er-
kenntnisse maßgeblich in ihre Entscheidungsfindung ein und enthalten ju-
ristische Prüfungen doch in erheblichem Umfang wissenschaftliche Ele-
mente in Form von Streitständen.
Diese drei zentralen Betätigungsfelder der Unterstützung des juristischen
Lernens (Förderung der strategisch-intrinsischen Motivation für erfolgrei-
ches Lernen, Berücksichtigung der Metasphäre des juristischen Lernens, d.
h. die Rolle der Dozentinnen und Dozenten als »Lernautoritäten«, Aufbau
juristischer Lernunterstützung auf neurobiologischen Erkenntnissen) soll-
ten sodann im zweiten Block der Tagung vertieft werden. Die Impulsvor-
träge und die Diskussionen betrafen nunmehr Detailfragen des juristischen
Lernens, d.h. die diversen Facetten des juristischen Lernens. Nachdem be-
reits im Eingangsteil vielfach die Bedeutung der praktischen Falllösung für
das juristische Lernen unterstrichen worden war, baute Prof. Dr. Tomas
Kuhn diese Lerntechnik – jeweils aus Sicht der Studierenden und der Do-
zenten – in Form von Tipps zur Falllösung (Rolle des Studierenden) und
von Strategien zur Fehlervermeidung (Rolle des Korrektors) sowie Hinwei-
sen zur Optimierung der Nutzung von Lehrbüchern bzw. der Lehrbuchge-
staltung aus. Seine Ausführungen zu »Strategien zur Fehlervermeidung« –
mit zahlreichen, die Hintergründe konkreter Klausurfehler aufzeigenden
Beispielen – machten die Bedeutung der Analyse von Klausurfehlern für
____________________
3 S. hierzu bereits Bleckmann, Einführung, in: Bleckmann (Hrsg.), Selbstlernkom-
petenzen im Jurastudium, Stuttgart 2015, S. 7 (9 ff.).
183
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Martin Zwickel/Jörn Griebel
____________________
4 A.A. wohl Kuhn, Konsequenzen aus Fehlern in Klausurbearbeitungen für die ju-
ristische Lehre, in: Griebel/Gröblinghoff (Hrsg.), Von der juristischen Lehre, Ba-
den-Baden 2012, S. 105 (106), der davon ausgeht, Fehlerkategorien sollten nicht
vorgegeben werden.
184
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tagungsforum
____________________
5 Z.B. im Hinblick auf ein studienintegriertes Selbststudium (s. dazu allgemein
Schulmeister, Auf der Suche nach Determinanten des Studienerfolgs, in: Brock-
mann/Pilniok (Hrsg.), Studieneingangsphase in der Rechtswissenschaft, Baden-
Baden 2014, S. 72 (202)).
6 So bereits Reimer/Zwickel, E-Learning und Selbstlernkompetenzen im Jurastu-
dium, in: Bleckmann (Hrsg.), Selbstlernkompetenzen im Jurastudium, Stuttgart
2015, S. 115 (128).
185
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Martin Zwickel/Jörn Griebel
Die Folgetagung fand sodann am 28. und 29. April 2017 abermals auf
Schloss Gracht statt. Auch sie wurde erst durch die großzügige finanzielle
Unterstützung der Heinz Nixdorf Stiftung und der Hanns Martin Schleyer-
____________________
7 Für ein entsprechendes Plädoyer s. Lange, Ein Plädoyer für Blockveranstaltungen
zur Förderung von Selbstlernkompetenzen im Jurastudium, in: Bleckmann
(Hrsg.), Selbstlernkompetenzen im Jurastudium, Stuttgart 2015, S. 147 (147 ff.).
8 Zu Überlegungen zu Formaten der Vermittlung juristischer Problemlösungsfähig-
keit s. Steffahn, Methodik und Didaktik der juristischen Problemlösung, Erlangen
2014, S. 266 ff.
9 BVerfG 17.7.1984, 1 BvR 816/82, BVerfGE 67, 213 (227).
186
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tagungsforum
Stiftung ermöglicht, welche die Tagung wie zuvor im Rahmen der Univer-
sitas-Initiative »Interdisziplinäre Dozentenkolloquien Wissenschaft und
Praxis« förderten.
Die ersten zwei Beiträge unterfielen dem Themenblock »Selbststudium«.
Den Auftakt hierzu machte Mahdad Mir Djawadi mit einem Beitrag zum
»Verhältnis von Vorlesung und Selbststudium«. In seinem Vortrag ging es
dem Referenten um das den juristischen Curricula zugrundeliegende zeitli-
che Verhältnis von Präsenzveranstaltungen (insbesondere Vorlesungen,
d.h. hier verstanden als eine Veranstaltung, in der auf abstraktem Niveau
Wissen dargelegt wird) zu den Selbstlernzeiten. Im Zentrum stand dabei die
Frage, ob sich bessere Examensnoten über effektiver genutzte Selbstlern-
zeiten bei gleichzeitig reduzierten Vorlesungszeiten realisieren ließen.
Der Beitrag wurde mit der provokanten Feststellung eingeleitet, dass die
Examensergebnisse seit Jahren auf niedrigem Niveau stagnierten. Dies sei
insbesondere daran abzulesen, dass nach wie vor mehr als die Hälfte der
Examenskandidatinnen und -kandidaten in den Staatsprüfungen mit ausrei-
chend oder schlechter abschnitten. Dies ist besonders bemerkenswert, wenn
man bedenkt, dass sich bei der Gesamtschau aller universitären Studien-
gänge in Deutschland über die letzten Jahrzehnte Notenverbesserungen um
eine volle Notenstufe nachweisen lassen.
Vor diesem Hintergrund wurde zunächst die Bedeutung des Selbststudi-
ums aus einer Betrachtung insbesondere der konstruktivistischen Lerntheo-
rie abgeleitet. Danach kann ein Lernerfolg nicht durch einen Lehrer erreicht
werden, dieser hängt vielmehr vom einzelnen Lerner ab, von dessen Vor-
wissen, der Lernbereitschaft etc. Lernen ist danach ein zutiefst subjektiver,
vom jeweiligen Individuum abhängiger Prozess. Diese Annahme wurde
durch Verweis auf gegenwärtige Erkenntnisse der Neurowissenschaften,
insbesondere der wichtigen Rolle des limbischen Systems beim Lernen,
weiter untermauert. Anschließend ging Djawadi auf das INVO-Modell
(Modell der individuellen Voraussetzungen erfolgreichen Lernens) der
Lernpsychologen Hasselhorn und Gold ein. Unter Bezugnahme auf dieses
Modell wurde verdeutlicht, dass die Einwirkungsmöglichkeiten zur Verbes-
serung der individuellen Lernleistung sehr viel überschaubarer sind, als ge-
meinhin angenommen. Als einen wichtigen und positiv beeinflussbaren Er-
folgsfaktor wurde der planmäßige Einsatz von Lernstrategien herausgear-
beitet.
Der Selbstlernprozess habe dabei im Hinblick auf den Einsatz von Lern-
strategien sowohl eine kognitive wie auch eine metakognitive Seite. Plan-
mäßiges Vorgehen und Durchhaltevermögen spielten ebenso eine Rolle wie
187
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Martin Zwickel/Jörn Griebel
188
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tagungsforum
189
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Martin Zwickel/Jörn Griebel
190
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tagungsforum
191
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Martin Zwickel/Jörn Griebel
192
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tagungsforum
193
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Martin Zwickel/Jörn Griebel
gend, oft zeigten sich hier auch Widerstände sowohl bei den AG-Leitenden
wie auch den Lehrstühlen, für die diese tätig würden. Weiter erfolge zu sel-
ten eine didaktische Ausbildung der Leitenden von Arbeitsgemeinschaften.
Eine Teillösung dieser Probleme könne etwa über eine fakultätsinterne
Gesamtkonzeption erreicht werden, die die Ziele ebenso klärt, wie die je-
weiligen Rollen, Inhalte der Arbeitsgemeinschaften und die jeweiligen Ver-
antwortlichkeiten. Eine solche Konzeption könnte auch die systematische
didaktische Fortbildung von AG-Leitenden miteinschließen.
Zum Abschluss des Beitrags wurde vereinbart, die Sammlung und Ana-
lyse von Problemen und Lösungen im Nachgang der Tagung fortzuschrei-
ben und zu vervollständigen.
Den letzten Themenblock zu »Lernen und Emotion« gestaltete Frank
Bleckmann mit einem Beitrag zum Thema »Motivation im Jurastudium«.
Dabei ging es zentral um die motivationalen Wirkungen von Studienbedin-
gungen und Fachkultur. Einleitend wurden zunächst der Begriff der Moti-
vation und ihre Rolle im Lernprozess, insbesondere für den Einsatz von
Lernstrategien, die ein Tiefenlernen unterstützen, erläutert. Im Anschluss
an die inzwischen empirisch gut belegte Selbstbestimmungstheorie der Mo-
tivation von Ryan/Deci10 wurden die unterschiedlichen Regulationsformen
intrinsischer und extrinsischer Motivation erläutert. Aus dieser Theorie er-
geben sich für eine eher selbstbestimmte Form der Motivation, die als be-
sonders lernförderlich identifiziert wurde, folgende Faktoren: »Autono-
mie«, »Kompetenzerleben« sowie »soziale Einbindung und Anerkennung«.
Daraus zog Bleckmann folgende Schlüsse für eine motivierende Studienor-
ganisation:
Das Studium solle im Sinne eines Autonomieempfindens zunächst so or-
ganisiert sein, dass es jedem einzelnen der Studierenden erlaube, der behan-
delten Materie persönliche Bedeutsamkeit beizumessen, z.B. durch die Her-
stellung von Anwendungsmöglichkeiten und Alltagsbezügen, die Erhöhung
des emotionalen Gehaltes und eine Begründung für die anstehende Lernak-
tivität. Der Lernprozess solle Handlungsspielräume für eigenes Entscheiden
und Möglichkeiten zur Selbststeuerung gewähren. Weiter wäre eine Mitbe-
stimmung bei Lernzielen, -gegenständen und -aktivitäten förderlich, ebenso
wie die gemeinsame Entwicklung von Maßstäben für den Lernerfolg. Da-
mit werde die Möglichkeit von Selbstbewertungen geschaffen, die Voraus-
setzung für die autonome Gestaltung des Lernprozesses sei. Im Hinblick
____________________
10 Ryan/Deci, Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für
die Pädagogik, ZfPäd 1993, 223 (223 ff.).
194
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tagungsforum
195
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Martin Zwickel/Jörn Griebel
196
https://doi.org/10.5771/9783845294384
Generiert durch Bibliothekssystem Universität Hamburg, am 01.07.2021, 12:48:28.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.