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Diogenes Kinder Klassiker

Der kleine Nick


Achtzehn prima Geschichten
vom ›Asterix‹–Autor GOSCINNY
Deutsch von Hans–Georg Lenzen
Mit vielen Zeichnungen von SEMPÉ

Diogenes
Die Geschichten sind den französischen Originalausgaben
Le petit Nicolas, © 1960 Editions Denoël, Paris
Les vacances du petit Nicolas, © 1962 Editions Denoël, Paris, entnommen
Zehn der achtzehn Geschichten erschienen 1962 erstmals deutsch im
Sigbert Mohn Verlag, Gütersloh

Alle deutschen Rechte vorbehalten


Copyright © 1974 by
Diogenes Verlag AG Zürich
100/80/10/7
ISBN 3 257 00562 8
Inhalt

Vorwort von Hans–Georg Lenzen

Eine Erinnerung fürs Leben 9


Herr Hühnerbrüh 17
Das Fußballspiel 25
Der Schulrat war da 33
Rex 41
Der letzte Schultag 49
Bei uns entscheidet Papa 56
Der Strand ist Klasse 64
Der Tausendsassa 71
Die Klippen 79
Die Gymnastik 86
Minigolf 96
Wir haben Einkaufen gespielt 103
Wir sind wieder zu Hause 109
Dschoscho 117
Ein prima Blumenstrauß 125
Der Empfang für den Minister 134
Ich geh weg von zu Hause 143
Vorwort

Dieses Buch über den kleinen Nick ist aus dem Französi-
schen ins Deutsche übersetzt. Die Namen seiner Freunde
und seiner Lehrer auch; einmal, damit ihr beim Vorlesen
keinen Ärger mit der Aussprache habt, vor allem aber, weil
es den kleinen Nick und seine Freunde in allen Ländern
und an allen Schulen gibt. Auch bei uns.
Satzbau, Zeichensetzung und Rechtschreibung dieses Bu-
ches sind dem kleinen Nick angepaßt, nicht dem ›Kleinen
Duden‹. Wenn ihr also seine atemberaubenden Kettensätze
demnächst als neue Errungenschaft in euren Klassenaufsät-
zen verwendet, müßt ihr damit rechnen, daß eure Lehrer
diesen Bemühungen wenig Verständnis entgegenbringen.
Prima« ist ein prima Ausdruck. Er bezeichnet etwa dasselbe
wie »dufte« oder »Klasse« und ist immer ein Zeichen für
höchste Anerkennung, die man zu faul war, genauer zu be-
gründen. Vor der Verwendung im Deutschunterricht wird
gewarnt.
Der Verleger hält es für richtig, auf diese Umstände auf-
merksam zu machen, damit die Zensuren an euren Schulen
zum nächsten Herbst nicht schlagartig absinken. Klar?
Prima!
Hans–Georg Lenzen
Eine Erinnerung fürs Leben

Heute morgen sind wir alle ganz gern in die Schule gegan-
gen, weil heute das Foto von unserer Klasse gemacht wer-
den soll und es soll eine Erinnerung sein fürs ganze Leben,
hat unsere Lehrerin gesagt. Und sie hat gesagt, wir sollen
sauber und ordentlich gekämmt in die Schule kommen.
Ich hatte jede Menge Brillantine im Haar, als ich auf den
Schulhof kam. Die andern waren schon alle da und die Leh-
rerin schimpfte gerade mit Georg, der in seiner Marsbe-
wohner–Ausrüstung gekommen war. Georg hat einen sehr
reichen Papa, der ihm alle Spielsachen kauft, die er sich
wünscht. Und Georg hat zu unserer Lehrerin gesagt, er will
in seiner Mars–Ausrüstung fotografiert werden, basta, und
wenn nicht, dann geht er sofort wieder nach Hause.
Der Fotograf war auch da, er hatte seinen Apparat mitge-
bracht und die Lehrerin hat zu ihm gesagt er muß sich be-
eilen, sonst geht die ganze Rechenstunde drauf. Adalbert,
der Klassenerster ist und unserer Lehrerin ihr Liebling, hat
gesagt, das ist aber schade wenn wir kein Rechnen haben
und er hat Rechnen so gern und er hat seine Aufgaben alle
gemacht für heute. Franz, der der Stärkste von uns allen ist,
hat ihm eins mit der Faust auf die Nase geben wollen, aber
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Adalbert trägt eine Brille und man darf ihm nicht so oft
eine reinhauen wie man möchte. Unsere Lehrerin hat ange-
fangen zu schreien wir sind unerträglich und wenn wir
nicht sofort aufhören, wird überhaupt kein Foto gemacht
und wir gehen wieder in die Klasse.
Da hat aber der Fotograf gesagt: »Sachte, sachte, nur mit
der Ruhe. Ich weiß, wie man mit Kindern reden muß – es
wird schon klappen.«
Der Fotograf hat gesagt wir müssen uns in drei Reihen auf-
stellen: die erste Reihe sitzt auf der Erde, die zweite Reihe
steht und in der Mitte sitzt die Lehrerin auf einem Stuhl
und die dritte Reihe muß auf der Kiste stehen. Der hat
wirklich prima Ideen, der Fotograf.
Die Kisten, die haben wir aus dem Schulkeller geholt. Das
ist ein Mordsspaß gewesen, denn im Keller ist es nicht be-
sonders hell und Roland hat sich einen alten Sack über den
Kopf gezogen und hat immer gerufen: »Hu! Ich bin das Ge-
spenst!« Und da haben wir gesehen, daß die Lehrerin auch
runterkam. Sie sah nicht besonders freundlich aus und wir
haben gemacht, daß wir nach oben kamen mit unsern
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Kisten. Der einzige, der unten blieb war Roland. Er konnte
ja nicht sehen, was los war, weil er den Sack über dem Kopf
hatte und er hat immer noch gerufen: »Hu! Ich bin das Ge-
spenst!« Aber dann hat ihm jemand den Sack vom Kopf
gezogen, nämlich unsere Lehrerin und da hat er aber ge-
staunt, der Roland.
Auf dem Schulhof oben hat unsere Lehrerin dem Roland
sein Ohr losgelassen und hat die Hände vors Gesicht ge-
schlagen und gesagt: »Ihr seid ja ganz schwarz!« Und tat-
sächlich – wir hatten uns beim Quatschmachen im Keller
ein bißchen schmutzig gemacht. Unsere Lehrerin war
ziemlich böse, aber der Fotograf hat gesagt, es ist nicht
schlimm, wir haben Zeit, uns zu waschen und er stellt in-
zwischen die Kisten auf und den Stuhl, für die Aufnahme.
Adalbert war natürlich sauber im Gesicht, aber er war der
einzige – nein, Georg auch, weil er seinen Mars–Helm auf-
hatte, der so aussieht wie ein Einmachglas. »Da haben
Sie's«, hat Georg zur Lehrerin gesagt, »wenn alle so ge-
kommen wären wie ich, hätten wir jetzt kein Theater.« Ich
habe gesehen, daß die Lehrerin Lust gehabt hat, Georg die

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Ohren langzuziehen, aber sie konnte nicht dran, wegen
dem Einmachglas. So ein Marsmenschen–Kostüm ist doch
'ne tolle Sache!
Als wir uns gewaschen und gekämmt hatten, sind wir wie-
der auf den Hof rausgekommen. Wir waren vielleicht noch
ein bißchen schmutzig, aber der Fotograf hat gesagt, es
macht nichts, man sieht es gar nicht, nachher auf dem Fo-
to. »So«, hat der Fotograf gesagt, »und nun wollt ihr doch
gewiß ganz brav sein und eurer Lehrerin eine Freude ma-
chen, nicht wahr?« Wir haben gesagt, ja, nämlich 'wir ha-
ben unsere Lehrerin sehr gern. Sie ist ganz prima, außer
wenn wir sie wütend machen.
»Gut«, hat der Fotograf gesagt, »dann geht mal ganz lieb
und artig auf eure Plätze. Die Größten stellen sich auf die
Kisten, die Mittelgroßen stellen sich in die zweite Reihe
und die Kleinsten setzen sich in die erste.« Wir haben das
gemacht und der Fotograf hat unserer Lehrerin erklärt, daß
man bei Kindern alles erreichen kann, wenn man nur mit
Geduld vorgeht, aber unsere Lehrerin hat schon nicht mehr
zugehört, nämlich sie mußte uns trennen, denn es ist schon
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wieder rundgegangen, weil alle auf die Kisten wollten.
»Hier ist nur einer groß, und das bin ich und sonst keiner«,
hat der Franz geschrien und er hat alle runtergeboxt, die
auf die Kisten klettern wollten. Aber Georg wollte unbe-
dingt auch auf die Kiste und Franz hat ihm eins mit der
Faust auf das Einmachglas gegeben und da hat er sich ganz
schön weh getan, der Franz, und wir haben zu mehreren
versuchen müssen, Georgs Kopf aus dem Einmachglas
rauszumontieren, welches sich verklemmt hatte, aber wir
haben es geschafft.
Die Lehrerin hat gesagt, sie gibt uns jetzt die letzte Verwar-
nung und wenn die nichts nützt, dann haben wir Rechnen.
Da haben wir gewußt, wir müssen ruhig sein und wir haben
angefangen uns aufzustellen. Georg ist zu dem Fotografen
hin und hat gefragt: »Was ist'n das für'n Apparat?« Der Fo-
tograf hat süß gelächelt und hat gesagt: »Das ist der
schwarze Kasten – und hier kommt das kleine Vögelchen
raus, junger Mann.«
»Das scheint ja eine altmodische Kiste zu sein, Ihre Kame-
ra«, hat Georg gesagt. »Mein Papa hat mir 'ne automatische
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gekauft – mit Sonnenblende, Weitwinkel und Tele–
Objektiv, und ich habe jede Menge Zusatzlinsen!« Der Fo-
tograf hat dumm geguckt und er hat gar nicht mehr gelä-
chelt, sondern gesagt, Georg soll auf seinen Platz gehen.
»Haben Sie denn wenigstens einen automatischen Belich-
tungsmesser dran?« hat Georg gefragt. »Zum letzten Mal –
geh auf deinen Platz zurück!« hat der Fotograf geschrien
und er hat auf einmal ganz nervös ausgesehen.
Wir haben uns aufgestellt und ich habe mich auf die Erde
gesetzt, neben Otto. Otto ist mein Freund, er ist sehr dick
und hat dauernd Hunger und jetzt war er gerade dabei und
biß in sein Marmeladenbrot und der Fotograf hat gesagt er
soll aufhören zu essen, aber Otto hat geantwortet: »Soweit
kommt's noch – man wird ja wohl noch essen dürfen, wenn
man Hunger hat.« – »Steck das Brot weg!« hat die Lehrerin
geschrien und weil sie genau hinter ihm gesessen ist, hat
Otto einen Schrecken gekriegt, daß sein Butterbrot runter-
gefallen ist und es ist auf seine Bluse gefallen. »Da haben
wir's«, hat Otto gesagt und er hat versucht, die Marmelade
mit dem Brot von der Bluse abzukratzen. Die Lehrerin hat
gesagt, da ist nichts mehr zu machen und er soll sich in die
letzte Reihe stellen, damit man den Fleck auf der Bluse
nicht sieht. »Franz«, hat die Lehrerin gesagt, »du tauschst
deinen Platz mit deinem Kameraden.«
»Der Otto ist nicht mein Kamerad«, hat der Franz gesagt,
»und meinen Platz, den kriegt er nicht. Er kann sich ja
rumdrehen mit dem Rücken zum Apparat, dann ist der
Fleck nicht zu sehen und sein dickes Mondgesicht auch
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nicht.« Da ist die Lehrerin aber böse geworden und der
Franz muß zur Strafe einen Satz konjugieren: ›Ich darf
mich nicht weigern, meinen Platz einem Kameraden zu
überlassen, der sich die Bluse mit einem Marmeladenbrot
besudelt hat.‹ Der Franz hat nichts mehr gesagt, sondern er
ist von seiner Kiste runtergeklettert und in die erste Reihe
gegangen und Otto ist nach hinten gegangen. Das hat ein
bißchen Unordnung gegeben, besonders als die beiden sich
getroffen haben, denn der Franz hat dem Otto eins mit der
Faust auf die Nase gegeben und Otto wollte den Franz tre-
ten, aber der Franz ist ausgewichen – nämlich er ist sehr
flink, der Franz – und den Fußtritt hat zum Glück der
Adalbert abgekriegt, da wo er keine Brille hat. Adalbert hat
aber trotzdem angefangen zu heulen und er hat geschrien,
er kann nichts mehr sehen und immer sind alle gegen ihn
und er will am liebsten sterben. Die Lehrerin hat ihn ge-
tröstet und ihm die Nase geputzt und dann hat sie ihn wie-
der gekämmt und Otto muß hundertmal schreiben: ›Ich
darf meinen Kameraden, der eine Brille trägt und der mir
nichts Böses will, nicht schlagen!‹ »Geschieht dir ganz
recht«, hat Adalbert gesagt und da hat die Lehrerin sogar
ihm eine Strafarbeit aufgegeben. Adalbert ist so erstaunt
gewesen, daß er vergessen hat, zu heulen. Unsere Lehrerin
hat angefangen, lauter Strafarbeiten aufzugeben und wir
hatten alle einen Haufen Zeug
zum Schreiben auf, aber plötzlich hat sie gesagt: »So, und
jetzt könnt ihr euch entscheiden: wenn ihr ruhig und ver-
nünftig seid, heb ich die Straf arbeiten auf. Stellt euch an
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Dritte Reihe von links nach rechts: Martin (hat sich bewegt), Daniel, Meyer, Seghers, Kissner, Roland, Aldesleben, Otto, Markus, Hase,
Toussaint, Karlmann, Saalfrank.
Mitte: Ringfeld, Wilhelmi, Hannibal, Kutscher, Joachim, die Lehrerin, Adalbert, Nick, Farina, Franz, Gonzales, Schönwasser, Dickbeutel,
Fliegwein (weggeschickt, soll sich nochmal waschen).
Erste Reihe sitzend: Paul Bojaroff, Jakob Bojaroff, Max, Chlodwig, Braun, Büscher, Berg, Brunngraber, Hammes, Georg, Meinhahn, Schalm,
Ammacher.

eure Plätze und lächelt freundlich und dann macht der


Herr auch ein schönes Foto von uns allen.« Wir haben ge-
horcht, denn wir wollen ja unserer Lehrerin keinen Ärger
machen und wir haben uns hingestellt und haben freund-
lich gelächelt.
Aber aus der Erinnerung fürs Leben ist doch nichts gewor-
den, denn als wir fertig waren, haben wir gemerkt, daß der
Fotograf nicht mehr da war. Einfach abgehauen, ohne ein
Wort!

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Herr Hühnerbrüh

Heute hat unsere Lehrerin gefehlt. Wir hatten uns schon


aufgestellt auf dem Hof, zum Reingehn, da hat der Hilfsleh-
rer zu uns gesagt: »Eure Lehrerin ist krank.«
Und dann hat Herr Hühnerfeld, der Hilfslehrer, uns in die
Klasse geführt. Wir nennen ihn immer ›Hühnerbrüh‹ – na-
türlich nur, wenn er es nicht hört. Wir nennen ihn so, weil
er immer sagt: »Seht mir in die Augen!« und in der Hüh-
nerbrühe sind doch Augen. Ich hab zuerst auch nicht ver-
standen, wieso, aber die Großen haben es mir erklärt. Hüh-
nerbrüh hat einen großen Schnurrbart und seine Strafen
sind nicht von Pappe und man muß sich vorsehen. Wir wa-
ren ziemlich sauer, daß er die Aufsicht hat, aber es war
nicht so schlimm, nämlich wie wir in der Klasse waren, hat
er gesagt: »Ich kann nicht bei euch bleiben, ich habe mit
dem Herrn Rektor zu arbeiten. Also seht mir in die Augen
und versprecht mir, daß ihr brav und artig seid!« Wir ha-
ben ihm mit unseren Augen in seine Augen gesehen und
alles versprochen. Wir sind aber sowieso immer ziemlich
artig.
Ich glaube, Hühnerbrüh hat uns nicht so ganz getraut. Er
hat gefragt, wer Klassenerster ist. »Ich, Herr Hühnerfeld«,
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hat Adalbert ganz stolz gesagt. Es stimmt auch, daß Adal-
bert Klassenerster ist, er ist der Liebling von unserer Lehre-
rin und wir können ihn nicht gut leiden, aber wir dürfen
ihm nicht so oft eine reinhaun wie wir möchten, wegen sei-
ner Brille. »Schön«, hat Hühnerbrüh gesagt, »komm nach
vorne. Du setzt dich hier ans Lehrerpult und übernimmst
die Aufsicht über deine Kameraden. Ich komme ab und zu
mal herein und überzeuge mich davon, daß alles klappt.
Und ihr – seht eure Aufgaben nach!« Adalbert hat sich ganz
stolz an das Pult gesetzt und Hühnerbrüh ist raus. »Schön«,
hat Adalbert gesagt. »Wir haben jetzt Rechnen. Nehmt die
Hefte raus. Ich werde euch eine Aufgabe stellen.«
»Du hast ja 'nen Piep«, hat Chlodwig gerufen. »Chlodwig,
halt den Mund!« hat Adalbert geschrien und er hat wirklich
so getan als wenn er die Lehrerin ist. »Komm doch her,
wenn du 'n Kerl bist«, hat Chlodwig gerufen und da ist die
Türe aufgegangen und Hühnerbrüh ist reingekommen und
er hat zufrieden gelächelt. »Aha«, hat er gesagt, »ich habe
natürlich hinter der Tür gestanden und gehorcht. Du da
hinten – sieh mir in die Augen!« Chlodwig hat ihm in die
Augen gesehen, aber das, was er gesehen hat, hat ihm kei-
nen Spaß gemacht. »Du konjugierst zur Strafe den Satz: Ich
darf mich einem Kameraden gegenüber, der beauftragt ist,
die Aufsicht zu führen und der mir eine Rechenaufgabe zu
stellen beabsichtigt, nicht unhöflich betragen.« Wie er das
gesagt hat, ist er raus. Aber er hat uns versprochen, daß er
bald wiederkommt.

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Joachim hat gesagt, er paßt auf, wenn er wieder reinkommt
und wir sind alle einverstanden gewesen, nur Adalbert
nicht, der hat gerufen: »Joachim, geh auf deinen Platz!«
Joachim hat Adalbert die Zunge rausgestreckt und hat sich
an die Tür gesetzt und hat durchs Schlüsselloch geguckt.
»Keiner da?« hat Chlodwig gefragt und Joachim hat gesagt,
er sieht nichts. Da ist Chlodwig aufgestanden und hat ge-
sagt, jetzt muß Adalbert sein eigenes Rechenbuch aufessen
und das ist eine prima Idee gewesen. Adalbert, der hat ge-
schrien, nein, er trägt eine Brille. »Dann kannst du deine
Brille auch gleich mit aufessen«, hat Chlodwig gesagt und
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er hat unbedingt gewollt, daß Adalbert was ißt. Aber Georg
hat gesagt, wir wollen lieber keine Zeit verlieren mit sol-
chem Quatsch und vielleicht können wir Fußball spielen.
»Aber die Aufgaben!« hat Adalbert gerufen, nämlich, er war
nicht einverstanden mit Georgs Vorschlag, aber wir haben
uns nicht um ihn gekümmert, sondern wir haben uns zuge-
spielt und das geht prima zwischen den Bänken. Wenn ich
groß bin, kauf ich mir ein Klassenzimmer, nur zum Spielen!
Aber auf einmal hat einer geschrien und das war Joachim
und er hat auf der Erde gesessen und sich die Nase gehal-
ten. Das war Hühnerbrüh gewesen, der die Tür aufgemacht
hatte und Joachim hat ihn vielleicht nicht kommen sehn.
»Was hast du denn?« hat Hühnerbrüh gefragt und er hat
ganz erstaunt geguckt, aber Joachim hat nichts gesagt, son-
dern er hat nur immer ›Uije – uije‹ gemacht und da hat
Hühnerbrüh ihn auf den Arm genommen und ist mit ihm
nach draußen. Wir haben den Ball genommen und sind
schnell wieder auf unsere Plätze gegangen.
Hühnerbrüh ist wieder reingekommen mit Joachim, und
der hat eine ganz dicke Nase gehabt, Hühnerbrüh hat
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gesagt, es reicht ihm allmählich und wenn das so weiter-
geht, dann werden wir schon sehen, wohin das führt.
»Nehmt euch ein Beispiel an eurem Kameraden Adalbert«,
hat er gesagt. »Der ist folgsam und vernünftig.« Und dann
ist er wieder raus. Wir haben Joachim gefragt, wie das pas-
siert ist und er hat gesagt, er ist vielleicht eingeschlafen,
weil er so angestrengt durchs Schlüsselloch geguckt hat.
»Ein Bauer geht zum Markt«, hat Adalbert gesagt. »Er hat
in seinem Korb achtundzwanzig Eier, das Dutzend zu vier
Mark zweiundneunzig . . .«
»Du bist schuld, daß ich die Tür gegen die Nase gekriegt
hab«, hat Joachim gesagt. »Klar«, hat Chlodwig gerufen,
»und zur Strafe soll er sein Rechenbuch aufessen, mitsamt
dem Bauern und den Eiern und der Brille!« Adalbert hat
angefangen zu heulen und er hat zu uns gesagt, wir sind
ganz böse und er sagt es seinen Eltern und dann fliegen wir
alle von der Schule und da ist Hühnerbrüh schon wieder in
der Tür gestanden. Wir haben alle auf unseren Plätzen ge-
sessen und keiner hat was gesagt und Hühnerbrüh hat ge-

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schaut, weil Adalbert am Pult von unserer Lehrerin saß und
heulte. »Was ist denn nun schon wieder?« hat Hühnerbrüh
gefragt. »Jetzt fängst du auch schon an mit dem Theater!
Ihr macht mich noch verrückt! Jedesmal, wenn ich rein-
komme, macht ein anderer den Hanswurst. Seht mir in die
Augen – alle! Wenn ich wieder hereinkomme und ich finde
auch nur die geringste Unordnung vor, dann werde ich
rücksichtslos einschreiten!« Und dann ist er wieder raus.
Wir haben gesagt, jetzt ist aber Schluß, nämlich wenn der
Hilfslehrer wütend wird, dann verteilt er Strafen und die
sind ganz schön dick. Wir haben uns nicht mehr gerührt
und man konnte Adalberts Schluchzen hören und auch,
wie Otto kaut. Otto ist ein Klassenkamerad von mir, der
immer essen muß. Da haben wir aber ein Geräusch an der
Tür gehört, die Türklinke hat sich bewegt und dann ist die
Tür aufgegangen, ganz ganz langsam, und sie hat ge-
quietscht. Auf einmal hat einer geschrien: »Das ist Hüh-
nerbrüh!« Die Tür ist aufgegangen und Hühnerbrüh ist
reingekommen und er ist ganz rot gewesen. »Wer ist das
gewesen?« hat er gefragt. »Das war Nick«, hat Adalbert ge-
sagt. »Das ist nicht wahr, du dreckiger Lügner!« hab ich
gerufen und das ist auch wahr, daß das nicht wahr war, weil
es Roland war, der gerufen hat. »Du warst es! Du! Du!« hat
Adalbert geschrien und er hat angefangen zu heulen. »Du
hast eine Stunde Nachsitzen«, hat Hühnerbrüh zu mir ge-
sagt. Da hab ich auch angefangen zu weinen und ich habe
gesagt, das ist ungerecht und ich gehe ab von der Schule
und das wird noch Ärger geben. »Das ist gar nicht Nick
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gewesen, Herr Hühnerfeld«, hat Roland gesagt, »das war
Adalbert – Adalbert hat ›Hühnerbrüh‹ gerufen!«
»Das ist nicht wahr –ich habe nicht ›Hühnerbrüh‹ gerufen«,
hat Adalbert geschrien. »Jawohl – du hast ›Hühnerbrüh‹
gerufen, ich hab's genau gehört, wie du ›Hühnerbrüh‹ geru-
fen hast – ganz genau: ›Hühnerbrüh‹!«
»So, das genügt«, hat Hühnerbrüh geschrien, »ihr habt alle
Nachsitzen – alle!«
»Warum ich denn?« hat Otto gefragt, »ich hab doch nicht
›Hühnerbrüh‹ gesagt!«
»Ich will dieses lächerliche Wort nicht mehr hören, ver-
standen?« hat Hühnerbrüh geschrien und er war ganz ko-
misch aufgeregt. »Und ich komme nicht zum Nachsitzen«,
hat Adalbert geschrien, und er hat sich auf dem Boden ge-
wälzt und hat geheult und dann hat er wieder seinen
Schluckauf gekriegt und ist rot angelaufen und dann all-
mählich bläulich. Die andern in der Klasse haben auch fast
alle geschrien oder geheult und ich habe schon gedacht,
paß auf, gleich fängt Hühnerbrüh auch noch an. Aber da ist

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der Rektor reingekommen. »Was ist denn los, Hühnerbr –
Herr Hühnerfeld?« hat er gefragt, der Rektor. »Ich weiß
auch nicht, Herr Rektor«, hat Hühnerbrüh geantwortet.
»Der eine wälzt sich am Boden, dem andern blutet die Na-
se, wenn ich die Tür öffne und die andern brüllen – so et-
was habe ich noch nie erlebt. Noch nie!« Und Hühnerbrüh
ist sich mit der Hand durch die Haare gefahren und sein
Schnurrbart hat sich ganz toll gesträubt.
Am nächsten Morgen ist unsere Lehrerin wieder dagewe-
sen. Aber Hühnerbrüh hat gefehlt.

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Das Fußballspiel

Otto hat fast alle von unserer Klasse für heute nachmittag
zu dem leeren Platz hinbestellt, nicht weit von dem Haus
wo er wohnt. Otto – das ist mein Freund, er ist dick und hat
immer Hunger. Aber er hat uns hinbestellt, weil sein Vater
ihm einen neuen Fußball geschenkt hat und das gibt ein
richtig tolles Spiel heute nachmittag. Der Otto ist prima.
Wir sind um drei Uhr dagewesen auf dem Platz und wir
waren achtzehn. Wir mußten die Mannschaften aufstellen,
damit beide Mannschaften die gleiche Anzahl Spieler ha-
ben.
Mit dem Schiedsrichter, das war einfach. Wir haben Adal-
bert genommen. Adalbert ist Klassenerster und wir können
ihn nicht besonders gut leiden, aber weil er eine Brille trägt,
kann man ihn nicht richtig verhauen und für den Schieds-
richter ist das vielleicht gerade das richtige. Außerdem
wollte keiner den Adalbert in seiner Mannschaft haben,
nämlich im Sport, da kann er nichts und er weint immer
sofort. Aber es wurde schwierig, als Adalbert eine Triller-
pfeife haben wollte und der einzige, der eine hatte, war Ro-
land, nämlich sein Vater ist Polizist. Roland hat gesagt,

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nein, er kann seine Trillerpfeife nicht abgeben, nämlich sie
ist ein Familienstück, nichts zu machen. Schließlich haben
wir entschieden, daß Adalbert dem Roland Bescheid sagt
und Roland pfeift für Adalbert.
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»Na? Spielen wir jetzt endlich oder was? Ich krieg schon
wieder Hunger!« hat Otto geschrien. Aber da ist es erst
richtig schwierig geworden, nämlich weil Adalbert doch
Schiedsrichter war, sind wir siebzehn Spieler gewesen und
da war einer zuviel und es ging nicht auf. Aber wir haben es
rausgekriegt: Einer mußte Linienrichter sein und mit einer
kleinen Fahne winken, wenn der Ball aus dem Spielfeld
rausrollt. Wir haben Max gewählt. Ein Linienrichter für das
ganze Spielfeld ist natürlich nicht viel, aber Max kann sehr
schnell laufen, er hat lange magere Beine und große
schmutzige Knie. Max wollte nichts davon wissen, klar, er
wollte auch lieber mit dem Ball spielen und er hat uns ge-
sagt es geht nicht, er hat keine Fahne. Aber dann hat er ge-
sagt, gut, er will Linienrichter sein – aber nur für die erste
Halbzeit. Als Fahne hat er sein Taschentuch genommen,
welches ziemlich schmutzig war, aber na ja, er konnte ja
nicht wissen, als er von zu Hause weggegangen ist, daß er
sein Taschentuch als Fahne braucht.
»So – kann's jetzt losgehn?« hat Otto gerufen.
Jetzt war's ja leichter, weil wir nur noch sechzehn Spieler
gewesen sind. Aber wir mußten natürlich einen Mann-
schaftskapitän haben für jede Mannschaft. Natürlich woll-
ten alle Mannschaftskapitän sein. Nur Otto nicht, der woll-
te ins Tor gehen, nämlich er hat es nicht gern wenn er so
rumrennen muß. Wir waren alle einverstanden – Otto ist
gut als Torwart, er ist breit und der Ball kann nicht so leicht
an ihm vorbei. Aber damit blieben immer noch fünfzehn
Mannschaftskapitäne übrig und das ist viel zuviel.
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»Ich bin der Stärkste!« hat Franz geschrien, »ich muß
Mannschaftskapitän sein und wem das nicht paßt, dem hau
ich eins auf die Nase!«
»Kapitän bin ich, ich bin am besten ausgerüstet!« hat Georg
geschrien und Franz hat ihm eins mit der Faust auf die Na-
se gegeben. Trotzdem, es stimmt, daß Georg gut ausgerüs-
tet ist, sein Papa ist sehr reich und er hat ihm eine vollstän-
dige Fußballausrüstung gekauft, mit einem rot–weiß–
blauen Trikot. »Wenn ich nicht Mannschaftskapitän sein
darf«, hat Roland geschrien, »dann ruf ich meinen Papa
und der steckt euch alle ins Gefängnis!«
Das war ich, der schließlich die gute Idee gehabt hat, die
Kapitäne auszulosen mit einem Groschen. Das heißt: mit
zwei Groschen, nämlich der erste ist ins Gras gefallen und
wir haben ihn nicht wiedergefunden. Den Groschen hatte
Joachim gegeben und er war sauer, daß der Groschen weg
war und er hat angefangen zu suchen, obwohl Georg gesagt
hat Quatsch, sein Papa schickt ihm einen Scheck und er-
setzt ihm den Groschen. Und schließlich sind die beiden
Kapitäne gewählt worden – Georg und ich.
»Hört mal – ich hab aber keine Lust, zu spät zum Kaffee-
trinken zu kommen«, hat Otto gerufen. »Was ist denn –
spielen wir oder nicht?«
Jetzt mußten ja die Mannschaften aufgestellt werden. Es
war auch gar nicht so schwer, außer bei Franz. Georg und
ich, wir wollten beide den Franz in unserer Mannschaft
haben weil nämlich, wenn Franz den Ball hat, kann keiner
ihn aufhalten. Er spielt nicht besonders gut, der Franz, aber
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alle haben Angst vor ihm. Joachim war froh, weil er seinen
Groschen wiedergefunden hatte und wir haben ihn gebe-
ten, daß er den Groschen nochmal hochwirft für Franz und
der Groschen ist wieder ins Gras gefallen und war weg. Joa-
chim hat angefangen zu suchen und diesmal war er richtig
wütend und schließlich hat Georg den Franz doch gewon-
nen durch Streichhölzchen–Ziehen. Georg hat ihn als Tor-
wart eingesetzt, nämlich er hat sich gedacht, wenn Franz
im Tor ist, traut sich keiner ran, denn der Franz wird leicht
wütend. Otto hat schon wieder Kekse gegessen und er hat
zwischen den Steinen gesessen, wo sein Tor war. Er hat ein
Gesicht gemacht, daß man gleich sehen konnte, ihm paßt
das Ganze nicht. »Na was ist? Wird's bald, wie?« hat er ge-
schrien.
Wir haben uns aufgestellt. Weil wir nur sieben auf jeder
Seite waren, ist das nicht so einfach gewesen und es hat bei
beiden Mannschaften Krach gegeben. Fast alle wollten Mit-
telstürmer sein, nur Joachim hat als rechter Verteidiger
spielen wollen, weil er während des Spiels den Groschen
weiter suchen wollte, der lag da ungefähr in der Gegend.
In Georgs Mannschaft haben sie sich schnell zurechtgefun-
den, nämlich der Franz hat mit der Faust dazwischen ge-
hauen und die Spieler sind auf ihre Plätze gegangen ohne
viel zu sagen und sie haben sich die Nase gerieben. Wo der
Franz hinhaut, da wächst kein Gras mehr!
In meiner Mannschaft sind wir überhaupt nicht einig ge-
worden. Aber dann hat Franz gesagt, er kommt rüber und

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haut uns auch eins auf die Nase und da haben wir uns auf-
gestellt.
Adalbert hat zu Roland gesagt: »Los – pfeifen!« Und Ro-
land, der in meiner Mannschaft war, hat angepfiffen. Georg
ist aber nicht einverstanden gewesen, er hat gesagt es ist
gemein, daß seine Mannschaft gegen die Sonne spielen
muß und wir haben den Anstoß.
Ich habe zu ihm gesagt wenn ihm die Sonne nicht gefällt,
soll er die Augen zumachen, vielleicht spielt er dann besser.
Na, und dann haben wir uns gehauen und Roland hat auf
der Trillerpfeife geblasen.
»Ich hab doch nicht gesagt, daß du pfeifen sollst!« hat
Adalbert geschrien. »Der Schiedsrichter bin ich!« Das hat
Roland nicht gefallen und er hat gesagt, er hat Adalberts
Erlaubnis nicht nötig und er pfeift wann er Lust hat und
nee wirklich, das wäre ja noch schöner. Und dann hat er
gepfiffen wie'n Verrückter. »Du bist frech – ganz frech bist
du!« hat Adalbert geschrien und er hat angefangen zu heu-
len.

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»He – Jungens«, hat Otto aus seinem Tor gerufen.
Aber keiner hat auf ihn gehört. Ich hab mich weiter mit
Georg rumgehauen und hab ihm sein schönes blau–weiß–
rotes Trikot zerrissen und er hat gesagt, pöh, das macht gar
nichts, sein Papa kauft ihm eine Masse neue, und dann hat
er mich getreten, gegen die Schienbeine und richtig feste.
Und Roland ist hinter Adalbert hergerannt und der hat ge-
schrien: »Ich trage eine Brille – ich trage eine Brille!« Joa-
chim hat sich um gar nichts gekümmert sondern er hat sein
Geld gesucht, aber gefunden hat er nichts. Franz ist ganz
ruhig in seinem Tor geblieben, aber dann hat er genug ge-
habt und hat angefangen, jeden auf die Nase zu hauen, der
in seine Reichweite kam und das waren natürlich die aus
seiner Mannschaft. Wir sind alle rumgerannt und haben
geschrien und wir haben einen Mordsspaß gehabt und es
war dufte. »Halt, Jungens«, hat Otto gerufen.
Da ist der Franz aber wütend geworden. »Erst hast du uns
angemeckert, weil wir nicht spielen – jetzt laß uns gefälligst

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auch spielen! Und wenn du was zu sagen hast, dann warte
bis zur Halbzeit!«
»Was denn für 'ne Halbzeit?« hat Otto gesagt. »Mir ist ge-
rade eingefallen: wir haben ja gar keinen Ball! Ich hab ihn
zu Hause liegenlassen.«

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Der Schulrat war da

Unsere Lehrerin ist in die Klasse reingekommen, ganz ner-


vös. »Der Herr Schulrat ist in der Schule«, hat sie gesagt,
»ich verlasse mich auf euch, daß ihr brav seid und einen
guten Eindruck macht.« Wir, wir haben ihr versprochen,
daß wir uns gut benehmen. Aber eigentlich braucht unsere
Lehrerin sich keine Sorgen zu machen, denn wir sind fast
immer artig. »Ich mache euch darauf aufmerksam«, hat
unsere Lehrerin gesagt, »wir haben einen neuen Schulrat.
Der alte hatte sich schon etwas an euch gewöhnt, aber der
ist in Pension gegangen.« Und unsere Lehrerin hat uns eine
Menge Ermahnungen gegeben: wir sollen nicht sprechen,
ohne gefragt zu sein, wir sollen nicht ohne Erlaubnis lachen
und wir sollen vor allem nicht wieder Glasknicker über den
Boden rollen wie letztes Mal, als der Schulrat da war und
auf einmal ist er hingeschliddert und saß auf dem Boden.
Sie hat Otto verboten, zu essen während der Schulrat in der
Klasse ist und zu Chlodwig hat sie gesagt, er soll sich am
besten gar nicht bemerkbar machen. Chlodwig ist der
Schlechteste in der Klasse. Manchmal fragt man sich, ob die
Lehrerin uns wirklich für so dumm hält. Aber wir haben

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unsere Lehrerin sehr gern und wir haben ihr alles verspro-
chen.
Dann hat die Lehrerin nachgesehen, ob die Klasse auch
sauber ist und ob wir sauber sind und dann hat sie gesagt,
das Klassenzimmer ist sauberer als manche von uns. Und
dann hat sie Adalbert nach vorn geholt, damit er Tinte in
die Tintenfässer füllt, wenn der Herr Schulrat vielleicht ein
Diktat mit uns macht. Adalbert ist Klassenerster und unse-
rer Lehrerin ihr Liebling und er hat die große Flasche ge-
nommen und hat an der ersten Bank angefangen, da wo
Markus und Joachim sitzen. Aber da hat einer geschrien:
»Der Schulrat!« Adalbert, der hat so einen Schrecken ge-
kriegt, daß er die Tinte über die ganze Bank gegossen hat,
aber es ist bloß Spaß gewesen, der Schulrat war gar nicht da
und die Lehrerin ist sehr böse geworden. »Ich habe es ge-
nau gesehen, Chlodwig«, hat sie gesagt. »Du warst der Ur-
heber dieses dummen Scherzes. In die Ecke mit dir!«
Chlodwig hat angefangen zu weinen und er hat gesagt,
wenn er in der Ecke steht, sieht der Schulrat ihn sofort und
stellt ihm eine Menge Fragen und er weiß doch nichts und
dann hat er wieder geheult und hat gesagt, er hat es doch
gar nicht aus Spaß gemacht, nämlich er hat den Schulrat
richtig gesehen, wie er mit dem Rektor über den Hof ge-
gangen ist und das ist auch wahr gewesen und da hat die
Lehrerin gesagt na ja, für diesmal läßt sie es gut sein. Es war
nur blöd, weil jetzt die erste Bank ganz voll Tinte war und
die Lehrerin hat gesagt, wir müssen die Bank in die letzte
Reihe stellen, da sieht man es nicht so. Wir haben
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angefangen und das war eine komische Sache, weil wir alle
anderen Bänke verschieben mußten und wir haben viel
Spaß dabei gehabt und da ist der Schulrat reingekommen
und der Rektor auch.
Wir brauchten nicht mehr aufzustehen weil wir ja schon
standen und alle haben ganz erstaunte Gesichter gemacht.
»Das sind unsere Kleinen – sie . . . sie sind ein bißchen
durcheinander, wie mir scheint«, hat der Rektor gesagt.
»Allerdings«, hat der Schulrat gesagt. »Ich sehe schon, Herr
Kollege. Setzt euch, Kinder.« Wir haben uns alle hingesetzt,
aber weil wir die erste Bank schon rumgedreht hatten, sa-
ßen Markus und Joachim mit dem Rücken zur Tafel. Der
Schulrat hat unsere Lehrerin angesehen und hat gefragt, ob
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diese beiden Schüler immer so sitzen. Die Lehrerin hat ein
Gesicht gemacht wie Chlodwig, wenn er gefragt wird und er
weiß nichts, aber geheult hat sie nicht. »Ein kleiner Zwi-
schenfall . . .«, hat sie gesagt. Der Schulrat hat aber gar
nicht freundlich dreingeschaut. Er hat lange, borstige Au-
genbrauen gehabt, der Schulrat, ganz dicht über den Au-
gen. »Soviel Autorität sollte man freilich haben«, hat er ge-
sagt. »Los, Kinder – setzt die Bank wieder richtig an ihren
Platz.« Wir sind alle aufgesprungen und der Schulrat hat
angefangen zu schreien: »Doch nicht alle, nur ihr zwei!«
Markus und Joachim haben die Bank rumgedreht und ha-
ben sich hingesetzt. Dann hat der Schulrat süß gelächelt
und hat seine Hände auf die Bank gestützt. »So«, hat er
gesagt, »und womit hattet ihr euch gerade beschäftigt, als
ich kam?«
»Wir hatten die Bank rumgedreht«, hat Markus geantwor-
tet. »Jetzt ist aber Schluß – kein Wort mehr von der Bank!«
hat der Herr Schulrat gerufen und er hat ein Gesicht ge-
macht: daß man gleich weiß, er ist nervös. »Übrigens:

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warum habt ihr die Bank überhaupt rumgedreht?«
»Wegen der Tinte«, hat Joachim gesagt. »Tinte?« hat der
Schulrat gefragt und dann hat er seine Hände angesehen
und die sind ganz blau gewesen. Der Schulrat hat geseufzt
und hat seine Hände mit dem Taschentuch sauber ge-
macht, aber es ist nicht gut abgegangen.
Wir, wir haben den Schulrat angesehen und unsere Lehre-
rin und den Rektor und wir haben gewußt: das ist jetzt kein
Spaß und wir müssen auf Zack sein.
»Sie haben Schwierigkeiten mit der Disziplin, wie ich se-
he«, hat der Schulrat zu unserer Lehrerin gesagt. »Da muß
man eben ein wenig Elementarpsychologie anwenden.«
Und dann hat er sich zu uns rumgedreht und hat wieder
ganz süß gelächelt und seine Augenbrauen sind wieder
hoch über den Augen gestanden. »Ihr braucht euch nicht
vor mir zu fürchten, Kinder«, hat er gesagt. »Ich möchte
euer Freund sein. Ich weiß, ihr macht gern einen Scherz
und ich für meine Person lache auch sehr gern. Übrigens –
kennt ihr die Geschichte von den zwei Schwerhörigen? Ein
Schwerhöriger sagt zum anderen: ›Gehst du zum Angeln?‹
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Sagt der andere: ›Nein, ich geh zum Angeln!‹ Da sagt der
erste: ›Ach so – ich dachte, du gehst zum Angeln!‹« Es war
schade, daß die Lehrerin uns verboten hatte zu lachen,
denn wir haben uns ganz schön zusammenreißen müssen,
daß wir nicht losplatzten. Ich werde Papa den Witz heute
abend erzählen, der lacht nicht schlecht und ich weiß be-
stimmt, er kennt ihn noch nicht. Der Schulrat hat auch
sehr laut gelacht, aber der brauchte ja auch niemanden um
Erlaubnis zu fragen. Na, wie er gesehen hat, daß keiner von
uns lacht und daß sich nichts rührt, da hat er die Augen-
brauen wieder runtergezogen, hat ein paarmal gehustet
und dann hat er gesagt: »Also schön – genug gescherzt.
Und nun an die Arbeit.«
»Wir haben eine Fabel durchgesprochen«, hat die Lehrerin
gesagt, »›Der Rabe und der Fuchs‹!«
»Ausgezeichnet, sehr schön«, hat der Schulrat gesagt, »bit-
te, fahren Sie nur fort.« Unsere Lehrerin hat so getan wie
wenn sie in der Klasse herumsucht und dann hat sie mit
dem Finger auf Adalbert gezeigt und hat gesagt: »Du –
Adalbert, sag uns mal die Fabel auf.« Aber der Schulrat hat
mit der Hand gewedelt. »Erlauben Sie«, hat er gesagt, und
dann hat er auf Chlodwig gezeigt, »du da hinten – nein, du.
Sag mir die Fabel auf.« Chlodwig hat den Mund auf und zu
gemacht und dann hat er angefangen zu weinen. »Nanu?
Was hat er denn?« hat der Schulrat gefragt. Die Lehrerin
hat gesagt, man muß Rücksicht nehmen auf Chlodwig, weil
er so schüchtern ist und dann ist Roland drangekommen.
Roland ist ein prima Kamerad und sein Vater ist Polizist.
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Roland hat gesagt er kennt die Fabel nicht auswendig, aber
er weiß so ungefähr, um was es sich handelt. Und er hat
angefangen zu erklären, daß es eine Geschichte ist von ei-
nem Raben, der einen Roquefort im Schnabel hat. »Einen
Roquefort?« hat der Schulrat gefragt und er hat immer er-
staunter ausgesehen. »Quatsch«, hat Otto dazwischengeru-
fen, »es war ein Camembert.«
»Blödsinn«, hat Roland gesagt. »Den Camembert hätte er ja
gar nicht im Schnabel halten können –der fließt ja runter.
Und außerdem stinkt er.«
»Kann sein er stinkt, aber schmecken tut er prima«, hat
Otto gerufen. »Außerdem – das heißt nichts: Seife riecht
auch gut und man kann sie trotzdem nicht essen. Ich hab's
probiert – einmal und nicht wieder!«
»Pöh«, hat Roland geschrien, »du bist ja doof – und über-
haupt, das sag ich meinem Papa und dann gibt er deinem
Papa einen Haufen Protokolle!« Und dann haben sie sich
gehauen.
Wir sind alle aufgesprungen und haben mitgeschrien, au-
ßer Chlodwig, nämlich der hat hinten in seiner Ecke geses-
sen und weitergeheult. Und Adalbert ist inzwischen zur
Tafel gegangen und hat angefangen, das Gedicht aufzusa-
gen. Die Lehrerin, der Schulrat und der Rektor, die haben
geschrien: »Aufhören! . . Hinsetzen . . !« Und es war prima.
Auf einmal war Schluß und wir haben uns alle hingesetzt.
Der Schulrat hat sein Taschentuch genommen und hat sich
das Gesicht abgetrocknet, aber dabei hat er sich das ganze
Gesicht voll Tinte geschmiert und es war schade, daß wir
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nicht lachen durften, sondern wir haben warten müssen bis
zur Pause und das war nicht leicht.
Der Schulrat ist zu unserer Lehrerin hingegangen und hat
ihr die Hand geschüttelt. »Sie haben mein volles Mitgefühl,
verehrte Kollegin«, hat er gesagt. »Ich habe noch nie so
intensiv wie heute empfunden, welche Opfer unser Beruf
von uns verlangt. Verlieren Sie nicht die Geduld! Nur Mut!
Und: weiter so!« Und dann ist er raus, mit dem Rektor.
Wir haben unsere Lehrerin ja sehr gern, wirklich. Aber
manchmal ist sie doch ganz komisch und richtig ungerecht.
Sie hat uns alle nachsitzen lassen, dabei hat sie es doch nur
uns zu verdanken, daß der Schulrat ihr gratuliert hat.

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Rex

Heute als ich aus der Schule kam, bin ich hinter einem
kleinen Hund her. Er sah aus wie wenn er sich verlaufen
hätte, der kleine Hund, er war so allein und er hat mir sehr
leid getan. Ich habe gedacht, vielleicht ist der kleine Hund
froh, wenn er einen Freund findet, aber es war gar nicht so
einfach, ihn zu fangen. Ich habe gesehen daß er keine Lust
hat, mit mir nach Hause zu gehen und ich habe gedacht,
vielleicht gewöhnt er sich und ich habe ihm die Hälfte von
meinem Schokoladenkeks hingehalten. Der kleine Hund
hat die Hälfte gefressen wie nix und dann hat er mit dem
Schwanz gewackelt – in allen Himmelsrichtungen. Ich habe
ihn ›Rex‹ genannt, so hieß der Hund in dem Kriminalfilm
letzten Donnerstag.
Den Schokoladenkeks hat er ganz schnell gefressen, so
schnell wie mein Freund Otto – Otto ist ein Schulkamerad
von mir, der Dicke, der immer Hunger hat. Und dann ist er
ganz zufrieden hinter mir hergelaufen, der Rex. Ich habe
gedacht, fein, das wird eine Überraschung sein für Papa
und für Mama, wenn ich mit Rex nach Hause komme. Ich
kann Rex vielleicht allerhand beibringen und er kann das
Haus
41
42
bewachen und kann mir helfen, Verbrecher aufzuspüren
wie in dem Film letzten Donnerstag.
Also, das glaubt mir kein Mensch: wie ich nach Hause ge-
kommen bin und Mama hat Rex gesehen, da war sie gar
nicht einverstanden. Überhaupt nicht. Es lag vielleicht auch
ein bißchen an Rex, nämlich wie wir im Wohnzimmer wa-
ren, da ist Mama gekommen und hat mir einen Kuß gege-
ben und hat gefragt ob alles gut gegangen ist in der Schule
und ob ich keine Dummheiten gemacht habe. Aber dann
hat sie Rex gesehen und hat geschrien: »Wo hast du dieses
Tier her?« Ich habe gesagt, es ist ein armer kleiner Hund,
der sich verlaufen hat und er soll mir helfen, die Verbrecher
zu fangen. Aber Rex ist nicht still sitzengeblieben, sondern
ist auf den Sessel gesprungen und hat das Kissen zerbissen
– ausgerechnet in dem Sessel, wo nicht mal Papa sich rein-
setzen darf, außer wenn wir Besuch haben!
Mama hat immer weiter geschrien und sie hat gesagt, sie
hat mir ein für allemal verboten, Tiere mit ins Haus zu
bringen (das ist wahr, Mama hat es mir verboten damals,
als ich die Ratte mitgebracht hab). Sie hat gesagt, es ist viel
zu gefährlich und der Hund kann die Tollwut haben und
wenn er uns beißt, dann haben wir alle die Tollwut und sie
holt sofort einen Besen und wirft den Hund hinaus und sie
gibt mir eine Minute Zeit, daß ich ihn wegbringe.
Es hat allerhand Mühe gemacht, bis Rex das Kissen losge-
lassen hat, aber dann hat er immer noch ein Stück zwi-
schen den Zähnen gehabt. Ich weiß wirklich nicht, was er
an dem Zeug findet, der Rex. Dann hab ich ihn auf den Arm
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genommen und bin mit ihm raus in den Garten. Ich hatte
richtig Lust, zu heulen und nachher hab ich tatsächlich ge-
heult. Ich weiß nicht, ob Rex auch traurig gewesen ist,
nämlich er war damit beschäftigt, die kleinen Fetzen Wolle
von dem Kissen wieder auszuspucken, die er gefressen hat-
te.
Papa ist rausgekommen und er hat uns vor der Türe sitzen
sehen – ich hab geheult und Rex, der hat gespuckt. »Nanu«,
hat Papa gefragt, »was ist denn hier los?« Da habe ich Papa
alles erklärt: daß Mama nichts von Rex wissen will, wo Rex
doch mein Freund ist und er hilft mir die Verbrecher su-
chen und ich kann ihm Kunststücke beibringen und ich bin
sehr unglücklich. Ich habe wieder ein Stück geheult und
Rex hat sich am Ohr gekratzt, aber mit der Hinterpfote und
das ist ganz schön schwer, nämlich wir haben das mal in
der Schule versucht und keiner hat es fertiggebracht, außer
Max, aber der hat auch die längsten Beine.
Papa hat mir über den Kopf gestrichen und er hat gesagt,
Mama hat ganz recht, es ist gefährlich, einen fremden
Hund mit ins Haus zu nehmen, nämlich man weiß nicht,
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vielleicht ist er krank und dann beißt er uns und peng – auf
einmal läuft uns allen die Spucke aus dem Mund und wir
haben die Tollwut. Papa hat gesagt, wir lernen es später in
der Schule, daß Pasteur eine Medizin dagegen erfunden hat
und er ist ein Wohltäter der Menschheit und man kann
wieder gesund werden, aber es tut sehr weh. Ich habe ge-
sagt, Rex ist aber nicht krank, er frißt doch und ist ganz toll
intelligent. Da hat Papa den Rex angeguckt und hat ihm
den Kopf gekrault, so wie mir manchmal. »Wirklich«, hat
Papa gesagt, »er sieht ganz gesund aus, der Kleine.« Rex ist
gekommen und hat ihm die Hand geleckt. Das hat Papa
sehr gefallen. »Ein netter Kerl«, hat Papa gesagt und dann
hat er die Hand hingehalten und hat gesagt: »Pfötchen . . .
gib Pfötchen, komm schön . . . Pfötchen!« Und Rex hat ihm
Pfötchen gegeben und dann hat er ihm die Hand geleckt,
aber da mußte er sich schon wieder am Ohr kratzen. Er war
dauernd ganz toll beschäftigt, der Rex. Papa hat gelacht
und hat zu mir gesagt: »Na schön, bleib mal hier, ich bring
die Sache mit deiner Mutter schon in Ordnung«, und er ist
reingegangen. Papa ist prima! Während Papa die Sache mit
45
Mama in Ordnung brachte, habe ich mit Rex gespielt und
er hat schöngemacht und weil ich nichts zu fressen hatte
für ihn, hat er wieder angefangen, sich am Ohr zu kratzen –
der ist Klasse, der Rex!
Papa ist wieder rausgekommen, aber er sah nicht sehr fröh-
lich aus. Er hat sich zu mir auf die Treppe gesetzt und hat
mir den Kopf gekrault und dann hat er gesagt, Mama will
keinen Hund im Haus haben und jetzt schon gar nicht, wo
die Sache mit dem Sessel passiert ist. Ich habe wieder ge-
heult, aber da ist mir was eingefallen. »Wenn Mama den
Rex nicht im Haus haben will«, habe ich gesagt, »dann
können wir ihn doch im Garten halten.« Papa, der hat ei-
nen Augenblick nachgedacht und dann hat er gesagt, das
ist ein gute Idee und im Garten kann Rex nichts kaputt ma-
chen und er baut ihm sofort eine Hütte und ich habe Papa
einen Kuß gegeben.
Wir haben Bretter geholt vom Dachboden und Papa hat
sein Werkzeug zusammengesucht. Rex, der hat ein bißchen
an den Begonien gekaut, aber das war nicht so schlimm wie
mit dem Sessel, nämlich Begonien haben wir mehr als Ses-
sel.
Papa hat angefangen, die Bretter zu sortieren. »Paß mal
auf«, hat er gesagt, »das wird eine feine Hütte, ein richtiger
Palast für deinen Rex.«
»Und wir bringen ihm Kunststücke bei«, habe ich gesagt,
»und er bewacht das Haus.«
»Ja«, hat Papa gesagt, »und wir werden ihn dressieren, daß
er ungebetene Eindringlinge verscheucht – den Herrn
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Bleder zum Beispiel.« Herr Bleder ist unser Nachbar und er
und Papa, die ärgern sich immer gegenseitig. Wir haben
viel Spaß gehabt, Rex und ich und Papa! Schade, daß Papa
sich mit dem Hammer auf den Daumen geschlagen hat,
denn da hat er »au« geschrien und Mama ist rausgekom-
men. »Was macht ihr denn hier?« hat Mama gefragt. Da
habe ich ihr erklärt, Papa und ich, wir haben beschlossen,
daß wir Rex behalten und er bleibt im Garten, wo keine
Sessel sind und Papa baut ihm eine schöne Hütte und wir
dressieren ihn, damit er Herrn Bleder beißt und der wird
sich wundern. Papa hat nicht viel gesagt, nämlich er hat an
seinem Daumen gelutscht und hat Mama angeguckt. Mama
war aber gar nicht einverstanden. Sie hat gesagt, kommt
nicht in Frage, sie will nichts davon hören, und seht euch
mal an, was das Vieh mit meinen Begonien gemacht hat!
Rex, der hat sich aufgerichtet und ist zu Mama gelaufen
und er hat ganz toll mit dem Schwanz gewackelt und hat
wieder schöngemacht. Mama hat ihn angesehen und dann
hat sie sich gebückt und hat ihm den Kopf gestreichelt und
Rex hat ihr die Hand geleckt und da hat es geklingelt.
Papa ist zur Gartentür gegangen und hat aufgemacht und
ein Herr ist reingekommen. Er hat Rex gesehen und hat
gerufen: »Kiki – da bist du ja endlich! Ich habe dich schon
überall gesucht!«
»Würden Sie mir bitte sagen, mein Herr«, hat Papa gefragt,
»was Sie hier wollen?«
»Was ich will?« hat der Herr gesagt. »Ich will meinen Hund
wiederhaben! Kiki ist mir weggelaufen, als ich ihn raus ließ,
47
und man hat mir erzählt, daß ein kleiner Junge ihn mitge-
nommen hat – hierher.«
»Das ist nicht Ihr Kiki, der Hund heißt Rex«, habe ich ge-
sagt, »und wir brauchen ihn, wenn wir Verbrecher jagen,
wie in dem Film letzten Donnerstag und wir dressieren ihn,
damit er Herrn Bleder beißt!« Aber Rex, der hat sich ge-
freut und er ist zu dem Herrn gelaufen und ist auf seinen
Arm gesprungen. »Wer beweist mir denn, daß es Ihr Hund
ist?« hat Papa gesagt. »Das Tier ist uns zugelaufen!«
»Und das Halsband?« hat der Herr geantwortet, »das Hals-
band haben Sie wohl nicht gesehen, wie? Da steht mein
Name drauf – Julius Tremper mit genauer Anschrift. Ich
hätte wahrhaftig Lust, Sie zu verklagen! Komm, Kiki – also
nein, so was!« Und der Herr ist weggegangen. Mit Rex.
Wir waren alle ganz enttäuscht und Mama hat angefangen
zu weinen, aber Papa hat sie getröstet und er hat gesagt,
Nick bringt dir bestimmt bald wieder einen Hund mit.

48
Der letzte Schultag

Leicht gerührt ist der Herr Rektor vorne am Rednerpult


gestanden, und er hat gesagt, er fühlt sich bewegt, wenn er
daran denkt, daß wir jetzt alle auseinandergehen und er ist
sicher, daß wir seine Rührung teilen, und er wünscht uns
allen viel Freude für die Ferien und gute Erholung, denn
wenn der Unterricht wieder beginnt, dann ist der Spaß zu
Ende und der Ernst des Lebens tritt wieder an uns heran
und da war die Feier zu Ende.
Die Feier war prima. Wir mußten nicht so früh in die Schu-
le wie sonst, und jeder ist mit seinem Papa und seiner Ma-
ma gekommen und wir waren alle angezogen wie die
Clowns im Zirkus, blaue Anzüge und weiße Hemden aus
dem Zeug, das so glänzt wie Papas gute Krawatte, die Ma-
ma ihm gekauft hat – die grün–rote, aber er trägt sie nie,
damit er sie nicht schmutzig macht. Adalbert – der ist ja
verrückt, der Adalbert! Er hat weiße Handschuhe angehabt
und wir haben alle gelacht, nur Roland nicht, der hat ge-
sagt, sein Vater ist bei der Polizei und er trägt oft weiße
Handschuhe und da gibt es gar nichts zu lachen. Wir hat-
ten die Haare voll Brillantine, ganz glatt – ich hab ja einen

49
Scheitel – und saubere Ohren und saubere Fingernägel. Wir
sahen toll aus!
Wir haben schon alle auf die Feier gewartet und wir waren
ganz zappelig. Nicht so sehr wegen der Feier und wegen der
Preisverteilung, sondern weil hinterher die Ferien anfangen
und man braucht nicht mehr in die Schule. Ich habe Papa
schon immer gefragt, ob noch nicht bald Ferien sind und
wie lange es noch dauert und ob ich bis zum letzten Tag
zur Schule gehen muß, nämlich ein paar von meinen
Schulkameraden sind schon weg und das ist ganz unge-
recht und in der Schule ist ja sowieso nichts mehr los in
den letzten Tagen und ich bin so erschöpft und ich hab ein
bißchen geheult und Papa hat gesagt: »Halt den Mund! Du
machst mich noch verrückt!«
Wir haben fast alle eine Auszeichnung gekriegt. Adalbert
ist ja Klassenerster (und der Liebling von unserer Lehrerin)
und er hatte einen Preis in Rechnen, in Geschichte, in Erd-
kunde, in Rechtschreiben, in Grammatik, in Naturwissen-
schaften, in Führung und in Fleiß. Der spinnt ja, der Adal-
bert!
Franz, der ist sehr stark und er gibt seinen Schulkameraden
gern eins mit der Faust auf die Nase und er hat den Sport-
preis gekriegt. Otto hat die Auszeichnung für »regelmäßi-
gen Schulbesuch^ die kriegt man, wenn man immer da war.
Otto hat ihn auch wirklich verdient, den Preis, nämlich sei-
ne Mutter will nicht, daß er immer in der Küche herumsitzt
und wenn Otto schon nicht in der Küche sein darf, dann ist
es ihm egal und er geht sogar in die Schule. Georg, der mit
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dem reichen Vater, von dem er alles kriegt was er will,
Georg hat die Auszeichnung für ›Sauberkeit und Haltung‹
weil er immer so gut angezogen ist. Manchmal kommt er
im Cowboy–Kostüm in die Schule oder als Husar und das
ist prima – aber unsere Lehrerin hat es nicht so gern. Ro-
land hat einen Preis in Kunst, das kommt davon, daß er
eine Schachtel Buntstifte zum Geburtstag gekriegt hat.
Chlodwig ist der Schlechteste in der Klasse, aber er hat ei-
nen Buchpreis für ›kameradschaftliches Verhalten‹ gekriegt
und ich für ›Flüssigkeit im Ausdruck‹.

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Mein Papa hat sich gefreut, aber meine Lehrerin hat ihm
erklärt, der Preis bezieht sich leider mehr auf die Quantität
als auf die Qualität – ich habe das nicht verstanden, aber
Papa hat ein ganz komisches Gesicht gemacht. Ich muß
Papa mal fragen, was das heißt.
Unsere Lehrerin hat auch was gekriegt. Jeder von uns hat
ihr ein Geschenk gegeben, das unsere Eltern für sie gekauft
haben. Sie hat sich sehr gefreut, nämlich jetzt hat sie vier-
zehn Füllhalter und acht Puderdosen und sie hat gesagt,
soviel hat sie noch nie bekommen, nicht mal voriges Jahr.
Unsere Lehrerin hat uns allen einen Kuß gegeben und sie
hat gesagt, wir sollen unsere Hausarbeit für die Ferien or-
dentlich machen, brav sein, unseren Eltern gehorchen, uns
ausruhen und ihr eine Ansichtskarte schreiben und dann
ist sie gegangen. Wir sind alle zusammen aus der Schule
raus und unsere Eltern haben sich unterhalten.
»Ihrer hat aber gut gearbeitet!« haben sie gesagt und »Un-
serer ist ja auch viel krank gewesen . . .« Und sogar ». . .
unserer ist so schrecklich nachlässig, schade – er ist so be-

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gabt . . .«». . . als ich so alt war, war ich immer der Beste
inder Klasse, aber die Kinder von heute wollen ja nicht
mehr arbeiten, das kommt vom Fernsehen . . .« Und sie
haben uns über den Kopf gestrichen und auf die Schulter
geklopft –ich weiß nicht, wer alles – und dann haben sie
sich die Hände am Taschentuch abgerieben, wegen der
Brillantine.
Alle haben zu Adalbert hinübergeschaut, der hatte den
ganzen Arm voll Bücher, die er gewonnen hat, und einen
Lorbeerkranz auf dem Kopf. Der Rektor hat gesagt, er soll
sich nicht darauf ausruhn – ich glaube, es ist, weil der Lor-
beerkranz im nächsten Jahr wieder gebraucht wird und
Adalbert soll ihn nicht kaputtmachen, so ähnlich wie wenn
Mama sagt, ich soll nicht auf die Begonien treten im Gar-
ten. Georgs Papa hat den anderen Papas dicke Zigarren an-
geboten und sie haben alle gesagt: »Donnerwetter, die heb
ich mir auf für heute abend.« Die Mamas haben sich er-
zählt, was wir für Streiche gemacht haben das ganze Jahr
über und sie haben gelacht und wir haben uns gewundert,
nämlich als wir sie gemacht haben, die Streiche, da haben

53
unsere Mamas gar nicht gelacht, sondern sie haben uns
Ohrfeigen gegeben.
Meine Schulkameraden und ich, wir haben uns tolle Sachen
erzählt: was wir alles machen wollen in den Ferien. Aber
dann hat Chlodwig gesagt, er rettet wieder jemand, der er-
trinkt, wie voriges Jahr – so'n Quatsch! Ich habe gesagt, er
lügt, nämlich ich hab ihn doch im Schwimmbad gesehen
und er kann ja gar nicht schwimmen. Da hat Chlodwig mir
sein Buch auf den Kopf gehauen, das er als Preis gekriegt
hat für »kameradschaftliches Verhaltens Roland, der hat so
blöd gelacht und ich habe ihm eine Ohrfeige reingehauen
und er hat geheult und hat Franz getreten, aber der war es
gar nicht. Wir haben uns alle geschubst und gehauen und
es war Klasse, aber unsere Papas und Mamas haben das
gesehen und sind dazwischengelaufen und haben in das
Durcheinander reingefaßt und haben uns rausgezogen und
sie haben gesagt, es ist doch immer dasselbe mit uns und es

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ist eine Schande. Und dann sind wir alle nach Hause ge-
gangen.
Ich habe mir gedacht, prima: jetzt haben wir Ferien und die
Schule ist zu Ende – kein Unterricht mehr, keine Schular-
beiten mehr, keine Strafarbeiten und keine Pause – und da
habe ich gedacht, au Backe! Wieviel Monate sind das jetzt,
bis ich meine Kameraden wiedersehe und wir können kei-
nen Quatsch mehr machen und ich fühl mich bestimmt
ganz einsam.
»Na, Nicki«, hat Papa gesagt, »du sagst ja nichts? Jetzt sind
sie da, deine langersehnten Ferien!« Ich, ich hab angefan-
gen zu weinen und Papa hat gesagt, was ist denn jetzt wie-
der, und das ist ja nicht zu machen.

55
Bei uns entscheidet Papa

Jedes Jahr – das heißt letztes Jahr und das Jahr davor, denn
früher, das ist zu lange her und das weiß ich nicht mehr –
also jedes Jahr streiten sich Papa und Mama wie wild, wo-
hin wir im Urlaub fahren sollen, und dann fängt Mama an
zu weinen und sagt, sie geht zurück zu ihrer Mutter, und
ich muß auch weinen: Ich habe meine Oma sehr lieb, aber
bei ihr gibt es keinen Strand. Schließlich fahren wir aber
doch dahin, wo Mama hin will, und nicht zur Oma.
Gestern nach dem Abendbrot hat Papa uns ganz streng an-
geschaut, und er hat gesagt: »Nun hört mal gut zu! In die-
sem Jahr gibt es keine Diskussionen – ich entscheide! Wir
fahren ans Mittelmeer. Ich habe die Anschrift einer Villa in
Plage les Pins, die vermietet wird. Drei Zimmer, fließendes
Wasser, Elektrizität. Kommt mir ja nicht mit euren Hotels
und mit dem schauderhaften Hotelessen . . .«
»Sehr schön, mein Lieber«, hat Mama gesagt. »Ich glaube,
das ist eine gute Idee.«
»Prima!« habe ich gerufen, und ich bin immer rund um den
Tisch gelaufen, nämlich, wenn man sich freut, dann ist es
unheimlich schwer, brav auf seinem Platz sitzenzubleiben.

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Papa, der hat große Augen gemacht, so als ob er sich wun-
dert, und er hat gesagt: »Ach ja? Na gut!«
Mama hat den Tisch abgeräumt und inzwischen hat Papa
im Wandschrank seine Taucherbrille gesucht.
»Du wirst sehen, Nick«, hat Papa zu mir gesagt, »wir wer-
den unwahrscheinliche Unterwasserjagden veranstalten,
wir beide.«
Ich habe ein bißchen Angst gehabt, nämlich, ich kann noch
nicht so sehr gut schwimmen – wenn jemand mich richtig
aufs Wasser legt, kann ich den Toten Mann machen – aber
Papa hat gesagt, ich soll mir keine Sorgen machen, er bringt
mir das Schwimmen bei, er ist Bezirksmeister im Fahrten-
schwimmen gewesen, damals, als er noch jung war und er
könnte auch heute noch Rekorde brechen, wenn er nur die
Zeit zum Trainieren hätte.
»Papa nimmt mich mit auf Unterwasserjagd«, habe ich ge-
rufen, als Mama wieder aus der Küche kam.
»Sehr schön, mein Kleiner«, hat Mama gesagt. »Ich glaube
allerdings, im Mittelmeer sind nicht mehr soviel Fische. Da
sind zuviel Angler und Unterwasserjäger.«
»Das ist nicht wahr«, hat Papa gesagt und Mama hat ge-
sagt, er soll ihr nicht widersprechen in Anwesenheit des
Jungen und sie weiß, was sie sagt, weil sie es in einer Illus-
trierten gelesen hat und dann hat sie ihr Strickzeug ge-
nommen – ich weiß nicht, was es ist, aber sie strickt schon
seit vielen Tagen daran.

57
»Mann, da sehen wir ja ganz schön blöd aus, in voller Aus-
rüstung unter Wasser und kein Fisch da!« habe ich zu Papa
gesagt.
Papa ist gegangen und hat seine Taucherbrille wieder in
den Wandschrank gelegt, ohne was zu sagen. Ich war ein
bißchen sauer, nämlich das stimmt: ich geh so oft mit Papa
zum Angeln, aber nie fangen wir was. Papa ist wiederge-
kommen und hat seine Zeitung genommen.
»Ja, aber –«, habe ich gesagt. »Wo gibt's denn dann eigent-
lich Fische für die Unterwasserjagd?«
»Frag deine Mutter«, hat Papa geantwortet, »die große Ex-
pertin.«
»In der Nordsee, da gibt's welche, mein Kleiner«, hat Mama
gesagt.
Ich habe gefragt, ob die Nordsee weit weg ist von der Stelle,
wo wir hinfahren, aber Papa hat gesagt, wenn du in der
Schule ein bißchen besser aufgepaßt hättest, dann würdest
du nicht so dumme Fragen stellen. Und das ist ganz unge-
recht, denn wir haben keinen Unterricht in Unterwasser-
jagd. Aber ich habe nichts gesagt, ich habe schon gesehen,
Papa hat keine Lust, zu diskutieren.
»Wir sollten eine Liste vorbereiten und die Sachen auf-
schreiben, die wir mitnehmen müssen«, hat Mama gesagt.
»Kommt überhaupt nicht in Frage«, hat Papa gerufen. »Ich
fahr nicht wieder so in Urlaub wie voriges Jahr – der reinste
Möbelwagen! – Badehosen, Shorts, einfache Kleidung, ein
paar Wollsachen . . .«

58
». . . und die Töpfe, die elektrische Kaffeemaschine, die rote
Decke und etwas Geschirr . . .«, hat Mama gesagt.
Papa, der ist aufgesprungen, ganz wütend, er hat den Mund
auf– und zugemacht, aber er hat nichts mehr sagen kön-
nen, das hat Mama schon getan.
»Du weißt noch gut«, hat Mama gesagt, »was die Bleders
uns erzählt haben – von der Villa, die sie gemietet haben im
vorigen Jahr. Das ganze Geschirr bestand aus drei ange-
schlagenen Tellern, in der Küche gab es nur zwei kleine
Töpfe und einer davon hatte auch noch ein Loch. Sie haben
alles, was sie nötig hatten, noch mal kaufen müssen – na-
türlich zu Wucherpreisen.«

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»Ach, Bleder – der hat ja keine Ahnung«, hat Papa gesagt,
und er hat sich wieder hingesetzt.
»Kann sein«, hat Mama gesagt, »aber wenn du mal eine
Fischsuppe möchtest, die kann ich nicht in einem Topf ko-
chen, der ein Loch hat – ich meine, für den Fall, daß wir
tatsächlich mal Fisch zu sehen kriegen . . .«
Na, da hab ich ein bißchen weinen müssen, ist ja auch
wahr, wozu geht man denn ans Meer, wenn's da keine Fi-
sche gibt und ganz in der Nähe ist die Nordsee, wo es nur
so wimmelt von Fischen. Mama hat ihr Strickzeug fallen
lassen, sie hat mich auf den Arm genommen und sie hat
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gesagt, ich soll nicht traurig sein wegen der dummen Fische
und sie hat gesagt, du wirst sehen, wie schön das ist, wenn
du am Morgen aufwachst in deinem hübschen Zimmer und
du schaust aus dem Fenster und da ist das Meer.
»Na ja«, hat Papa erklärt, »das Meer . . . von der Villa aus
kann man das Meer nicht sehen, aber es ist nicht weit – nur
zwei Kilometer. Es war eben das letzte Sommerhaus, das in
Plage les Pins noch frei war.«
»Aber natürlich, mein Lieber, gewiß«, hat Mama gesagt.
Dann hat sie mir einen Kuß gegeben und ich habe auf dem
Teppich gespielt mit den beiden Glaskugeln, die ich dem
Franz in der Schule abgewonnen habe.
»Und der Strand?« hat Mama gefragt. »Steinstrand, wie?«
»Nein, meine Gnädigste, durchaus nicht«, hat Papa ganz
stolz gerufen. »Sandstrand – feiner weißer Sand! Und kein
einziger Stein, soweit man sehen kann!«
»Na, um so besser«, hat Mama gesagt, »dann kann Nick
wenigstens keine Steine übers Wasser flitschen lassen und
kann statt dessen was Vernünftiges tun. Seit du ihm das
beigebracht hast, ist er wie verrückt danach.«
Ich habe wieder angefangen zu heulen, nämlich, das
stimmt, ich lasse gern Steine übers Wasser flitschen und
das ist ganz prima; manchmal springen sie schon viermal
und es ist ganz gemein, mit mir in eine Villa zu fahren, wo
die Töpfe Löcher haben, weit weg vom Meer, wo es keine
Steine gibt und keine Fische.
»Ich geh zur Oma!« hab ich geschrien und mit dem Fuß
hab ich eine von den Glaskugeln von Franz weggestoßen.
61
Mama hat mich wieder auf den Arm genommen und sie hat
gesagt, ich soll nicht weinen, Papa ist eben derjenige in der
Familie, der die Ferien am nötigsten braucht und wenn es
da auch nicht so schön ist, wo er hinwill, müssen wir eben
mitfahren und so tun, als ob es uns auch gefällt.
»Aber . . ., aber . . ., aber . . .«, hat Papa gesagt.

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»Und ich will Steine flitschen lassen!« habe ich gerufen.
»Nächstes Jahr vielleicht«, hat Mama gesagt, »wenn Papa
sich für Vlieland entscheidet.«
»Für was?« hat Papa gefragt und hat den Mund aufge-
macht.
»Vlieland – vor Holland, wo die Nordsee ist, wo es viele
Fische gibt und ein hübsches kleines Hotel, direkt am
Strand . . . Sand– und Steinstrand!«
»Ich will nach Vlieland!« habe ich gerufen. »Ich will nach
Vlieland! «
»Du mußt vernünftig sein, mein Kleiner«, hat Mama ge-
sagt. »Hier entscheidet Papa, weißt du!«
»Aha – schon gut, ich habe verstanden«, hat Papa gesagt.
»Und wie heißt es, dein hübsches, kleines Hotel?«
»Strandblick, mein Lieber«, hat Mama gesagt.
Papa hat gesagt, in Ordnung, er schreibt hin und fragt, ob
noch Zimmer frei sind.
»Nicht nötig, mein Lieber«, hat Mama gesagt. »Ist schon
alles erledigt. Wir haben das Zimmer Nr. 29, mit Bad und
Blick aufs Meer.«
Und Mama hat gesagt, Papa soll ganz still sitzenbleiben,
denn sie muß sehen, ob der Pullover, den sie für ihn strickt,
in der Länge schon paßt. Ich glaube, es wird ziemlich kühl
abends auf Vlieland.

63
Der Strand ist Klasse

Am Strand haben wir viel Spaß. Ich habe viele neue


Freunde getroffen, Fred und Fruchthäuser und Kappe – der
hat 5ne Meise! – und Friedhelm und Fabian und Bremer
und Jens, aber der ist nicht in Urlaub, der ist hier aus der
Gegend. Und wir spielen zusammen und streiten uns und
dann sprechen wir nicht mehr miteinander – Klasse!
»Geh und spiel schön mit deinen kleinen Kameraden«, hat
Papa heute morgen gesagt. »Ich will mich ein wenig ausru-
hen und ein Sonnenbad nehmen.« Und er hat sich überall
Öl hingeschmiert und er hat gelacht und gesagt: »Ah –
wenn ich an die Kollegen denke, die jetzt hinterm Schreib-
tisch sitzen!«
Wir haben angefangen, mit Friedhelms Ball zu spielen.
»Spielt mal ein bißchen weiter drüben«, hat Papa gesagt,
als er sich eingeölt hatte und Peng – hat er den Ball auf den
Kopf gekriegt. Das hat Papa gar nicht gefallen, er ist richtig
wütend geworden und hat den Ball mit dem Fuß weggesto-
ßen, richtig feste und der Ball ist ins Wasser gefallen, ganz
weit draußen. Ein toller Schuß!
»Ist doch wahr, verflixt noch mal«, hat Papa gesagt. Fried-
heim, der ist weggerannt und dann ist er wiedergekommen,
64
mit seinem Papa. Friedhelms Papa, der ist ganz toll groß
und er hat ein böses Gesicht gemacht.
»Der war es, der da!« hat Friedhelm gesagt und er hat mit
dem Finger auf meinen Papa gezeigt.
»Aha, also Sie«, hat Friedhelms Papa zu meinem Papa ge-
sagt. »Sie haben den Ball meines Jungen ins Wasser gewor-
fen?«
»Klar«, hat mein Papa zu Friedhelms Papa gesagt. »Ins Ge-
sicht hab ich ihn gekriegt, den Ball.«
»Die Kinder sind hier am Strand, um sich auszutoben«, hat
Friedhelms Papa gesagt. »Wenn Ihnen das nicht paßt, dann
können Sie ja zu Hause bleiben. Aber jetzt holen Sie erst
mal den Ball wieder!«
»Hör nicht auf ihn«, hat Mama zu Papa gesagt. Aber Papa
hat doch lieber auf ihn gehört.

»Gut, schön«, hat er gesagt. »Ich hole ihn schon, Ihren


kostbaren Ball.«
»Ja«, hat Friedhelms Papa gesagt, »das würde ich an Ihrer
Stelle auch tun.«
Papa hat ziemlich lange gebraucht, den Ball zu holen, denn
der Wind hatte ihn schon ganz weit abgetrieben. Papa hat

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sehr müde ausgesehen, als er dem Friedhelm den Ball wie-
dergegeben hat und er hat zu uns gesagt:
»Hört mal, Kinder, ich möchte mich richtig ausruhen.
Müßt ihr denn unbedingt mit dem Ball spielen?«
»Na, was denn sonst zum Beispiel?« hat Kappe gefragt. –
Der ist vielleicht bescheuert!
»Woher soll ich das wissen?« hat Papa gesagt. »Irgendwas –
grabt Löcher! Löcher in den Sand graben, das macht Spaß.«
Wir haben gesagt, das ist eine prima Idee und wir haben
unsere Schaufeln geholt und Papa wollte sich wieder einö-
len, aber das ging nicht mehr, denn er hatte kein öl mehr in
der Flasche. »Ich kaufe mir neues Sonnenöl drüben im La-
den«, hat Papa gesagt und Mama hat gefragt, warum er sich
nicht einfach ein bißchen ausruht.
Wir haben angefangen, ein Loch zu graben, ein prima Loch,
groß und ganz tief. Papa ist zurückgekommen und ich habe
ihn gerufen und hab gesagt: »Willst du unser Loch sehen,
Papa?«

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»Sehr hübsch, mein Kleiner«, hat Papa gesagt und er hat
versucht, den Schraubverschluß von der Ölflasche mit den
Zähnen aufzumachen. Aber da ist ein Herr mit einer wei-
ßen Mütze gekommen und hat uns gefragt, wer uns erlaubt
hat, am Strand ein Loch zu graben. »Der da drüben«, haben
meine Freunde gerufen und sie haben auf Papa gezeigt. Ich
war schon ganz stolz, weil ich dachte, der Herr mit der
Mütze will Papa gratulieren zu der guten Idee. Aber der
Herr war gar nicht freundlich.
»Sie sind wohl nicht recht bei Trost, was? Den Flegeln sol-
che Flausen in den Kopf zu setzen!« hat der Herr geschrien.
Papa, der war damit beschäftigt, seine neue Ölflasche

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aufzuschrauben und er hat nur gefragt: »Na und?« Da hat
der Herr mit der Mütze erst richtig angefangen zu schreien:
unglaublich, wie verantwortungslos die Leute sind und man
kann sich ein Bein brechen, wenn man in das Loch fällt und
bei Flut verlieren die Nichtschwimmer den Boden unter
den Füßen und ertrinken und der Sand kann nachrutschen
und einer von uns kann verschüttet werden und es können
schreckliche Dinge passieren mit dem Loch und wir müs-
sen das Loch sofort wieder zuschaufeln.
»Na ja«, hat Papa gesagt, »macht das Loch wieder zu, Kin-
der.« Aber meine Freunde, die wollten nicht.
»Ein Loch graben«, haben sie gesagt, »das ist dufte. Aber
ein Loch zuschaufeln, das ist doof!«
»Kommt, wir gehen ins Wasser!« hat Fabian gerufen. Sie
sind alle weggelaufen, nur ich bin natürlich dageblieben,
denn Papa sah aus, als wenn er sich ärgert.
»Kinder! He! Kinder!« hat Papa gerufen, aber der Herr mit
der Mütze hat gesagt:
»Lassen Sie die Kinder in Ruhe und schaufeln Sie das Loch
zu – sofort, wenn ich bitten darf!« – und er ist weggegan-
gen.
Papa hat gestöhnt und er hat mir geholfen, das Loch zuzu-
schaufeln. Aber wir haben nur die eine kleine Schaufel ge-
habt und es hat ziemlich lange gedauert. Wir waren kaum
fertig, da hat Mama schon gerufen, es ist Zeit, zum Hotel
zurückzugehen zum Mittagessen, und wir müssen uns beei-
len, denn wenn wir zu spät kommen, kriegen wir nichts
mehr. »Hol deine Sachen zusammen, deine Schaufel, dei-
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nen Eimer, und dann komm«, hat Mama gesagt. Ich hab
meine Sachen geholt, aber den Eimer habe ich nicht gefun-
den.
»Macht nichts – los, gehen wir!« hat Papa gesagt. Aber da
habe ich angefangen zu weinen, richtig feste. So ein schö-
ner Eimer, ganz toll gelb und rot und man kann phantasti-
sche Kuchen damit backen.
»Nun mal langsam«, hat Papa gesagt. »Wo hast du den Ei-
mer denn hingetan?«
Ich habe gesagt, vielleicht ist er unten in dem Loch, das wir
gerade zugemacht haben. Papa hat mich angeschaut, als
wenn er mich durchhauen will und ich habe gleich noch
ein bißchen mehr geweint und Papa hat gesagt, also gut, er
sucht den Eimer, aber ich soll um Himmels willen mit der
Heulerei aufhören. Mein Papa – also wirklich, der ist un-
heimlich Klasse!
Weil wir ja nur die eine kleine Schaufel hatten, habe ich
ihm nicht helfen können und ich habe zugeschaut. Aber da
hat auf einmal hinter uns einer laut gebrüllt: »Sie haben es
wohl nicht nötig, meine Anordnungen zu befolgen, was?«
Papa hat einen richtigen Schreck gekriegt und wir haben
uns umgedreht und da stand der Herr mit der weißen Müt-
ze. »Ich glaube mich zu erinnern, daß ich Ihnen untersagt

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habe, Löcher zu graben«, hat er gesagt. Papa hat ihm er-
klärt, wir suchen meinen Eimer. »Na gut«, hat der Herr ge-
sagt, »aber das Loch muß sofort wieder zugeschaufelt wer-
den.« Er ist dageblieben und hat kontrolliert, ob Papa auch
gehorcht.
»Hör mal«, hat Mama zu Papa gesagt, »ich gehe schon mit
Nick ins Hotel zurück. Komm gleich nach,, wenn du den
Eimer gefunden hast;« Und wir sind los.
Papa ist erst sehr spät ins Hotel gekommen. Er war sehr
müde und hatte keinen Hunger mehr und er ist auch gleich
aufs Zimmer gegangen und hat sich hingelegt. Den Eimer
hat er nicht gefunden, aber das war nicht so schlimm, denn
ich habe gemerkt, daß ich ihn in meinem Zimmer gelassen
hatte. Am Nachmittag haben wir den Doktor holen müs-
sen, nämlich, Papa hat einen schlimmen Sonnenbrand. Der
Doktor hat zu Papa gesagt, er muß zwei Tage im Bett blei-
ben.
»Wie kann man sich nur so der Sonne aussetzen«, hat der
Doktor gesagt, »ohne sich den Körper einzuölen!«
»Ah«, hat Papa gesagt, »wenn ich an die Kollegen denke,
die jetzt zu Hause sitzen!«
Aber er hat gar kein freundliches Gesicht gemacht dabei.

70
Der Tausendsassa

Wir sind hier in Urlaub in einem Hotel und der Strand ist
ganz prima und das Meer auch, außer heute, nämlich, da
regnet es und das macht keinen Spaß, nee wirklich. Das
Dümmste am Regen ist, daß die Erwachsenen uns nicht
richtig behandeln und dann sind wir unerträglich und das
gibt jedesmal Geschichten. Ich habe eine Menge Freunde
im Hotel, Fred und Fruchthäuser und Kappe – der hat ei-
nen Stich! Und Friedhelm, der hat einen großen und star-
ken Papa, und Fabian und Bremer. Prima Kerle, aber so
richtig brav sind sie auch nicht immer.
Neulich zum Beispiel, beim Mittagessen, am Mittwoch, als
es Ravioli mit Schnitzel gab – nur nicht für den Papa und
die Mama von Bremer, die essen immer was Besonderes,
und die hatten Hummer –, da hab ich gesagt, ich möchte
an den Strand gehen. »Du siehst doch, es regnet«, hat Papa
gesagt. »Lieg mir nicht dauernd in den Ohren mit deinem
Unsinn. Du wirst mit deinen kleinen Freunden hier im Ho-
tel spielen.«
Ich habe gesagt, ich will ja gern mit meinen kleinen Freun-
den spielen, aber draußen am Strand, und Papa hat gesagt,
ob ich vielleicht was hintendrauf haben will vor allen
71
Leuten und weil ich nicht wollte, hab ich angefangen zu
weinen. Am Tisch von Fruchthäuser gab es auch schon
Tränen und die Mama von Fred hat zu Freds Papa gesagt,
das war eine komische Idee von dir, in so eine Gegend zu
fahren, wo es dauernd regnet. Und der Papa, von Fred hat
72
angefangen zu schreien, er war es nicht, der die Idee gehabt
hat und die blödeste Idee, die er in seinem Leben gehabt
hat, war die, zu heiraten.
Meine Mama hat zu Papa gesagt, bring den Kleinen nicht
zum Heulen. Papa hat gerufen, das fehlt gerade noch, ihm
wird alles in die Schuhe geschoben, und Friedhelm hat sei-
nen Pudding fallen lassen und sein Papa hat ihm eine Ohr-
feige gegeben. Es war ein ganz schöner Rummel im Speise-
saal und der Geschäftsführer vom Hotel ist gekommen und
hat gesagt, der Kaffee wird schon serviert, im Salon und er
geht und legt eine Schallplatte auf und dann hat er noch
gesagt, im Radio ist angekündigt worden, morgen ist strah-
lender Sonnenschein.
Im Salon hat Herr Laterner gesagt: »Ich werde mich mal
mit den Jungen beschäftigen.« Herr Laterner ist ein freund-
licher Herr, er macht gern Spaß und er schließt mit allen
Leuten Freundschaft. Er klopft jedem auf die Schulter, aber
meinem Papa hat das nicht gefallen, denn er hatte einen
tollen Sonnenbrand, und Herr Laterner hatte ihm richtig
feste auf die Schulter geklopft. An dem Abend, als Herr
Laterner sich verkleidet hat mit einem Vorhang und einem
Lampenschirm, da hat der Geschäftsführer vom Hotel zu
Papa gesagt, dieser Herr Laterner ist ein richtiger Tausend-
sassa. »Ich find ihn nicht besonders lustig«, hat Papa gesagt
und er ist hinauf gegangen und hat sich schlafen gelegt.
Frau Laterner, die mit Herrn Laterner hier ist, die sagt
überhaupt keinen Ton. Sie sieht immer ein bißchen müde
aus.
73
Herr Laterner ist aufgestanden, hat einen Arm hochgeho-
ben und hat gerufen: »Jungs! Alle mal herhören! Hinter mir
antreten, in einer Reihe! Fertig? In Richtung Speisesaal –
ohne Tritt – Marsch! Eins – zwei, eins – zwei, eins – zwei!«
Und Herr Laterner ist in den Speisesaal abmarschiert, aber
er ist sofort wieder zurückgekommen und er hat ziemlich
unfreundlich geschaut. »Was ist?« hat er gefragt. »Warum
seid ihr nicht mitmarschiert?«
»Weil wir lieber am Strand spielen wollen«, hat Kappe ge-
sagt – der hat wirklich einen Vogel!
»Aber nein – aber nein«, hat Herr Laterner gesagt, »man
muß ja wohl verrückt sein, sich durch und durch naßreg-
nen zu lassen, da draußen am Strand! Kommt nur mit – das
wird viel lustiger als draußen! Ihr werdet sehen – nachher
wünscht ihr euch, daß es immer regnet!« Und der Herr
Laterner hat ganz laut gelacht.
»Sollen wir gehen?« habe ich Friedhelm gefragt.
»O. K.!« hat Friedhelm gesagt, und wir sind gegangen, mit
den anderen.
Im Speisesaal hat Herr Laterner die Tische und Stühle an
die Seite gerückt und er hat gesagt, wir spielen Blindekuh.
»Wer ist als erster dran?« hat Herr Laterner gefragt und wir
haben alle gesagt, er ist als erster dran und er hat gesagt,
wir sollen ihm die Augen mit einem Taschentuch verbin-
den, aber als er unsere Taschentücher gesehen hat, hat er
lieber seines genommen. Dann hat er die Arme nach vorn
gestreckt und er hat gerufen: »Huhu – ich krieg euch – ich
fang euch – huhu!« Und er hat ganz laut gelacht.
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Ich kann unheimlich gut Dame spielen und ich habe lachen
müssen, als Fred zu mir gesagt hat, er schlägt jeden im
Damespiel und er ist Meister. Fred hat es nicht gefallen,
daß ich so gelacht habe, er hat gesagt, schön, wenn du so
schlau bist, wir werden ja sehen. Wir sind in den Salon ge-
gangen und haben dem Geschäftsführer gesagt, er soll uns
das Damespiel geben und die andern sind alle mitgekom-
men, nämlich, die wollten sehen, wer der Beste ist.
Aber der Geschäftsführer hat uns das Damespiel nicht ge-
ben wollen, er hat gesagt, das ist für die großen Leute und
wir verlieren bloß die Steine. Wir haben alle mit ihm gere-
det, hin und her, aber auf einmal hat jemand hinter uns
ganz laut gesagt: »Das gilt nicht! Ihr seid aus dem Speise-
saal rausgelaufen!« Das war Herr Laterner, der uns gesucht
hat, aber er hat uns nur gefunden, weil er die Augen nicht
mehr verbunden gehabt hat. Sein Gesicht ist ganz rot gewe-
sen und seine Stimme hat ein bißchen gezittert, wie bei
Papa, als er gesehen hat, wie ich mit seiner neuen Pfeife
Seifenblasen mache.

75
»Schön«, hat Herr Laterner gesagt, »wir wollen ein bißchen
leise spielen, weil eure Eltern ein Mittagsschläfchen halten.
Ich weiß ein phantastisches Spiel: wir nehmen alle Papier
und Bleistift, ich sage einen Buchstaben und danach
schreibt jeder fünf Ländernamen hin, fünf Tiernamen und
fünf Städtenamen. Wer verliert, der muß ein Pfand geben.«
Herr Laterner ist gegangen, Papier und Bleistifte holen und
wir sind in den Speisesaal gerannt und haben mit den Stüh-
len Autobus gespielt. Herr Laterner hat uns wieder zurück-
geholt – und ich glaube, er war schon ein bißchen ärgerlich.
»Los – in den Salon – alle!« hat er gerufen.
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»Wir fangen an mit dem Buchstaben A!« hat Herr Laterner
gesagt. »An die Arbeit!« Und er hat ganz schnell geschrie-
ben – komisch!
»Bei meinem Stift ist die Mine abgebrochen – das ist ganz
ungerecht!« hat Fruchthäuser geschrien und Fabian hat
gerufen: »Mann – der Bremer schreibt ab!«
»Ist ja nicht wahr, du dreckiger Lügner!« hat Bremer ge-
schrien und Fabian hat ihm eine Ohrfeige verpaßt. Bremer
war erst ein bißchen erstaunt, aber dann hat er Fabian ge-
treten und Fruchthäuser wollte mir meinen Bleistift weg-
nehmen, gerade als ich »Australien« schreiben wollte und
ich habe ihm eins mit der Faust auf die Nase gegeben und
da hat der Fruchthäuser beide Augen zugekniffen und ganz
wild um sich geschlagen und Friedhelm hat was abgekriegt.
Kappe hat auf einmal gerufen: »He, Jungs! Akazien, ist das
ein Land?« Wir sind alle ganz komisch laut gewesen und es
war prima, beinah wie auf dem Schulhof. Aber auf einmal –
peng – ist ein Leuchter auf den Boden gefallen. Der Ge-
schäftsführer vom Hotel ist sofort dagewesen, er hat ange-
fangen zu schreien und hat mit uns geschimpft und unsere
Papas und Mamas sind alle heruntergekommen in den Sa-
lon und sie haben sich mit uns gestritten und mit dem Ge-
schäftsführer. Herr Laterner, der war schon gar nicht mehr
dabei.
Am Abend hat Frau Laterner ihn erst gefunden, als es Zeit,
war zum Abendbrot. Der Herr Laterner hat draußen am
Strand gesessen, den ganzen Nachmittag im Regen, und
pudelnaß ist er gewesen.
77
Es stimmt schon, der Herr Laterner ist ein richtiger Tau-
sendsassa – als Papa ihn gesehen hat, wie er ins Hotel rein-
kam, da hat er so lachen müssen, daß er nicht mehr essen
konnte. Und das am Mittwoch – nämlich, da gibt es Fisch-
suppe.

78
Die Klippen

Klasse – wir machen einen Ausflug mit dem Schiff! Herr


und Frau Laterner kommen auch mit. Papa hat das nicht so
sehr gefallen, er kann Herrn Laterner nicht gut leiden, ich
weiß nicht warum. Herr Laterner verbringt seinen Urlaub
hier, er wohnt mit uns im gleichen Hotel. Er ist sehr lustig
und versucht immer, mit den Leuten Spaß zu machen. Ges-
tern ist er mit einer großen Pappnase und einem falschen
Schnurrbart in den Speisesaal reingekommen und er hat zu
dem Geschäftsführer vom Hotel gesagt, der Fisch war nicht
frisch. Ich hab ganz toll lachen müssen. Als Mama der Frau
Laterner erzählt hat, wir machen einen Ausflug zu den
Klippen, da hat Herr Laterner gleich gesagt: »Ausgezeich-
nete Idee! Wir kommen mit – da wird es nicht so eintönig
für Sie!« Aber nachher hat Papa zu Mama gesagt, so was
Blödes, das hat mir gerade noch gefehlt, dieser abgetakelte
Hanswurst verdirbt uns noch den ganzen Ausflug.
Wir sind schon ganz früh am Morgen vom Hotel wegge-
gangen und wir haben einen Picknick–Korb mitgenommen
mit kalten Schnitzeln, Butterbroten, hartgekochten Eiern,
Bananen und Apfelsaft – ganz prima! Und dann ist Herr
Laterner auch gekommen, mit einer weißen
79
80
Matrosenmütze – so eine möchte ich auch mal haben – und
er hat gesagt: »Na – alles klar? Alle Mann an Bord! Marsch!
Eins –zwei, eins – zwei, eins – zwei!« Papa hat ganz leise
was zu Mama gesagt und Mama hat ihn mit großen Augen
angeschaut.
Unten im Hafen habe ich schon gleich das Schiff gesehen –
ich war ein bißchen enttäuscht, nämlich, es war ziemlich
klein, das Schiff. Es hieß ›Martje‹ und der Schiffer hat ein
dickes rotes Gesicht gehabt und eine Baskenmütze auf –
keine Uniform mit goldenen Schnüren und Bändern, wie
ich mir gedacht hatte, denn das wollte ich meinen Freun-
den in der Schule erzählen, wenn ich wieder aus den Ferien
zurückkomme. Aber das macht nichts, ich erzähle es trotz-
dem, warum denn nicht!
»Na, Herr Kapitän«, hat der Herr Laterner gesagt, »an Bord
alles klar?«
»Sind Sie die Gruppe, die zu den Klippen will?« hat der
Schiffer gefragt, und dann sind wir in sein Schiff gestiegen.
Herr Laterner hat sich nicht hingesetzt, er ist stehen ge-
blieben und hat gerufen: »Leinen los! Heiß auf Großsegel –
volle Kraft voraus!«
»Wackeln Sie nicht so«, hat Papa gerufen. »Das Boot
schlägt um, und wir fallen alle ins Wasser!«
»O ja«, hat Mama gesagt, »bitte seien Sie vorsichtig, Herr
Laterner.« Und dann hat sie ein bißchen gelacht und hat
mich ganz fest bei der Hand genommen und sie hat gesagt,
hab keine Angst, mein Schatz. Aber ich hab überhaupt kei-

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ne Angst und das will ich auch den anderen in der Schule
so erzählen.
»Fürchten Sie nichts, meine liebe Dame«, hat Herr Laterner
zu meiner Mama gesagt, »Sie fahren mit einem alten See-
mann.«
»Sie sind Seemann gewesen – Sie?« hat Papa gefragt.
»Nee«, hat der Herr Laterner geantwortet, »aber ich hab zu
Hause auf der Kommode ein Flaschenschiff!« Und er hat
ganz laut gelacht und Papa auf den Rücken geklopft.
Der Schiffer hat nicht die Segel gehißt, wie Herr Laterner
befohlen hat, nämlich, das Schiff hat gar keine Segel ge-
habt. Nur ein Motor war da, und der machte pott–pott–pott
und roch genauso wie der Autobus, der bei uns zu Hause
vorbeifährt. Wir sind aus dem Hafen rausgefahren und da
waren schon ein paar kleine Wellen und das Schiff hat ge-
schaukelt – unheimlich prima!
»Wird das Meer auch ruhig sein?« hat Papa den Schiffer
gefragt. »Keine Sturmwolken am Horizont?«
Herr Laterner hat wieder angefangen, Spaß zu machen.
»Ich sehe schon«, hat er zu Papa gesagt, »Sie haben Angst,
seekrank zu werden!«
»Seekrank – ich?« hat Papa geantwortet. »Sie belieben zu
scherzen. Ich bin ein gestandener Seemann. Ich wette, Sie
sind früher seekrank als ich, Herr Laterner.«
»Angenommen«, hat Herr Laterner gesagt und er hat Papa
wieder ganz feste auf den Rücken geklopft, und Papa hat
ein Gesicht geschnitten, als wollte er dem Herrn Laterner
eins auf die Backe hauen.
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»Was ist das, Mama, seekrank?« habe ich gefragt.
»Wollen wir bitte von was anderem reden, mein Lieber«,
hat Mama geantwortet.
Die Wellen sind immer größer geworden und es hat mir
immer besser gefallen. Von da, wo wir waren, konnte man
das Hotel noch sehen, es sah ganz klein aus, aber ich habe
unser Badezimmerfenster gut sehen können, denn Mama
hatte ihren roten Badeanzug da hängenlassen, zum Trock-
nen. Man braucht ungefähr eine Stunde bis zu den Klippen.
Ein komischer Ausflug!
»Hören Sie mal«, hat Herr Laterner zu Papa gesagt, »ich
kenne einen schönen Witz: Zwei Landstreicher haben
Hunger und wollen Spaghetti essen . . .«
Schade, ich hab die Geschichte nicht verstehen können,
denn Herr Laterner hat sie Papa ganz leise ins Ohr gesagt.
»Nicht übel«, hat Papa gesagt, »aber kennen Sie den von
dem Arzt, der eine Verdauungsstörung heilen soll?« Und

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weil Herr Laterner den Witz nicht kannte, hat Papa ihn
erzählt, aber auch nur ganz leise. Die sind richtig blöd!
Meine Mama hat gar nicht zugehört, sie hat immer zum
Hotel hinübergesehen. Frau Laterner hat überhaupt nichts
gesagt, wie immer. Sie sieht richtig müde aus.
Vor uns konnten wir schon die Klippen sehen, sie waren
noch ziemlich weit weg und das sah Klasse aus, mit dem
weißen Schaum von den Wellen. Aber Herr Laterner hat
die Insel gar nicht angeschaut, sondern er hat Papa angese-
hen und er hat ihm erzählt, was er in einem Restaurant ge-
gessen hat, bevor er in Ferien fuhr – verrückte Idee! Und
Papa, der eigentlich nie Lust gehabt hat, sich mit Herrn
Laterner zu unterhalten, hat ihm erzählt, was es zu seiner
Erstkommunion zu essen gab. Von den Geschichten hab
ich allmählich richtig Hunger gekriegt. Ich hab Mama fra-
gen wollen, ob ich eines von den harten Eiern essen darf,
aber sie hat mich nicht gehört, denn sie hat sich die Ohren
zugehalten – ich glaube, weil es so windig war.
»Sie sehen ein bißchen blaß aus«, hat Herr Laterner zu Pa-
pa gesagt. »Wissen Sie, was Ihnen guttäte? Ein großes Glas
mit warmem Hammeltalg!«
»O ja«, hat Papa gesagt, »nicht übel. Besonders zu Austern
mit Schokoladensauce!«
Die Klippen, die sind schon ganz nahe gewesen.
»Wir werden gleich an Land gehen«, hat Herr Laterner zu
Papa gesagt. »Wetten: Sie trauen sich nicht was zu essen –
wie wär's mit einem kalten Schnitzel oder einem Butter-
brot, bevor wir anlegen?«
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»Aber sicher«, hat Papa geantwortet, »die Salzluft – die
macht Appetit!« Und Papa hat den Picknick–Korb genom-
men, hat sich rumgedreht und den Schiffer angeschaut.
»Wie wär's mit einem Butterbrot, bevor wir festmachen?«
hat Papa gefragt.
Na, ich kann's ja gleich erzählen: Wir sind überhaupt nicht
an Land gegangen. Als der Schiffer das Butterbrot gesehen
hat, ist er sehr sehr krank geworden, und wir mußten sofort
zum Hafen zurück.

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Die Gymnastik

Gestern haben wir einen neuen Gymnastiklehrer gekriegt.


»Ich heiße Hektor Schöffler«, hat er zu uns gesagt. »Und
ihr?«
»Wir nicht!« hat Fabian gerufen und da haben wir alle la-
chen müssen.
Ich war am Strand mit den anderen Freunden aus dem Ho-
tel: Fred, Fruchthäuser, Kappe – bei dem piept's! –
Friedhelm, Fabian und Bremer. Zur Gymnastikstunde
kommen auch noch eine Menge anderer Typen, aber die
sind vom Strandhotel und vom Hotel zur Brandung und wir
vom Strandblick, wir können die anderen nicht leiden.
Als wir aufgehört haben zu lachen, hat der Gymnastiklehrer
die Arme vor der Brust gekreuzt und man hat gesehen, was
er für Muskeln am Oberarm hat.
»Wollt ihr auch so starke Muskeln haben wie ich?« hat der
Gymnastiklehrer gefragt.
»Klar!« hat Friedhelm gerufen.
»Ich find so was nicht besonders gut«, hat Fruchthäuser
gesagt und Bremer hat gemeint, na ja, mal sehen, warum
nicht und er hätte auch ganz gern solche Pakete an den
Armen, dann könnte er die anderen in der Schule besser
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vertrimmen. Der Bremer fällt mir auf den Wecker, immer
muß er angeben! Der Gymnastiklehrer hat gesagt:
»Gut, wenn ihr schön brav seid und diesen Gymnastikkurs
mitmacht, dann habt ihr im September, wenn die Schule
wieder anfängt, auch so starke Muskeln.«
Dann hat der Gymnastiklehrer gesagt, wir sollen uns in ei-
ner Reihe aufstellen und Bremer hat zu mir gesagt:
»Wetten, daß du nicht so hoch in die Luft springen kannst
wie ich?« Und er ist gesprungen. Ich hab lachen müssen,
denn ich bin ganz groß im Hochsprung und ich habe es
ihm gezeigt.
»Kann ich auch – kann ich auch!« hat Fabian gerufen, aber
das war nicht viel. Fruchthäuser, der hat es ganz gut ge-
macht, jedenfalls besser als Fred. Wir haben alle unsere
Luftsprünge gemacht, überall, aber auf einmal hat einer
ganz laut auf einer Trillerpfeife gepfiffen.
»Hört ihr endlich auf?« hat der Gymnastiklehrer geschrien.
»Ich habe gesagt, ihr sollt euch aufstellen – ihr könnt noch
den ganzen Tag lang den Clown spielen!«
Wir haben uns aufgestellt, damit es keine Geschichten gibt,
und der Gymnastiklehrer hat uns gesagt, was wir machen
müssen, damit wir überall ganz toll starke Muskeln kriegen.
Er hat die Arme hochgestreckt und wieder runter – und
wieder hoch – und einer von den Typen vom Strandhotel
hat zu uns gesagt, euer Hotel ist der letzte Dreck.
»Das ist nicht wahr!« hat Friedhelm gerufen. »Unser Hotel
ist Klasse – euer Hotel ist mies!«

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»In unserem Hotel«, hat der Typ vom Strandhotel gesagt,
»gibt es jeden Abend Schokoladeneis.«
»Pöh!« hat einer vom Hotel zur Brandung gerufen, »das
kriegen wir schon mittags – und donnerstags gibt es Ome-
lette confiture!«
»Mein Papa«, hat Bremer gesagt, »der bestellt immer etwas
außer der Reihe und der Geschäftsführer gibt ihm alles, was
er will!«
»Lügner – ist ja gar nicht wahr!« hat einer von den Typen
vom Hotel zur Brandung gesagt.
»Seid ihr bald fertig mit eurer Unterhaltung?« hat der
Gymnastiklehrer gerufen. Er hat nicht mehr mit den Armen
rumgefuchtelt, sondern er hat sie vor der Brust gekreuzt.
Aber mit seinen Nasenflügeln hat er ganz komisch gewa-
ckelt – also, ich glaub ja nicht, daß man davon starke Mus-
keln kriegt!
Der Gymnastiklehrer hat sich mit der Hand das Gesicht
abgewischt und er hat gesagt, das mit den Armübungen
kommt später, und vielleicht fangen wir statt dessen mit
einem Spiel an. Der ist komisch, der Gymnastiklehrer!
»Zuerst machen wir einen Wettlauf«, hat er gesagt, »stellt
euch in einer Reihe auf – macht schon! Ihr startet auf Pfiff –
wer zuerst dort hinten bei dem Sonnenschirm ankommt,
der ist Sieger. Fertig?« Und der Gymnastiklehrer hat mit
der Trillerpfeife gepfiffen. Der einzige, der losgerannt ist,
das ist Kappe gewesen. Nämlich, wir anderen haben die
Muschel sehen wollen, die Fabian am Strand gefunden hat
und Bremer hat gesagt, er hat eine viel größere gefunden
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vor ein paar Tagen und er hat sie seinem Vater geschenkt
und der kann sich einen Aschenbecher daraus machen. Da
hat der Gymnastiklehrer seine Trillerpfeife in den Sand ge-
schmissen und er hat mit den Füßen darauf rumgetram-
pelt. Das letzte Mal, daß ich jemanden so wütend gesehen
habe, das war in der Schule, als Adalbert – das ist der Beste
in unserer Klasse und der Liebling unserer Lehrerin –, als
Adalbert seine Rechenarbeit wiederkriegte und er war nur
Zweiter.
»Wollt ihr euch jetzt endlich entschließen, zu tun, was ich
sage?« hat der Gymnastiklehrer gebrüllt.
»Sicher«, hat Fabian gesagt, »wir wollen ja mitlaufen bei
Ihrem Wettlauf – aber so eilig ist das ja schließlich auch
nicht.«
Der Gymnastiklehrer hat die Augen zugekniffen und die
Fäuste geballt und dann hat er den Kopf in den Nacken ge-
legt und ganz toll mit den Nasenflügeln gezittert. Danach
hat er uns wieder angeschaut und er hat ganz langsam und
ganz leise gesprochen.
»Gut«, hat er gesagt. »Wir fangen noch einmal von vorn an.
Alles fertig zum Start!«
»Nein!« hat Kappe gerufen. »Das ist ganz ungerecht! Ich
habe gewonnen – ich war zuerst am Sonnenschirm! Das ist
ungerecht und ich sag es meinem Papa!« Da hat er
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angefangen zu heulen und hat mit den Füßen im Sand ge-
stampft und dann hat er gesagt, wenn das so ist, dann haut
er ab. Und er ist gegangen und hat laut geheult, aber ich
glaube, es war gut, daß er abgehauen ist, denn der Gymnas-
tiklehrer hat ihn genauso angeschaut wie Papa das Hühner-
ragout, das der Kellner ihm gestern abend im Hotel serviert
hat.
»Kinder«, hat der Gymnastiklehrer gesagt, »Freunde – mei-
ne lieben Kleinen! Ich werde euch mal was sagen: wer jetzt
nicht tut, was ich sage, dem haue ich eine rein, daß er lange
Zeit dran denken wird!«
»Das dürfen Sie ja gar nicht!« hat einer gerufen. »Nur mein
Papa, meine Mama, mein Onkel Toni und Tante Josepha –
die dürfen mich verhauen!«
•› Wer hat das gesagt?« hat der Gymnastiklehrer gefragt.
•»Der da«, hat Fabian gesagt, und er hat auf einen von den
Typen aus dem Strandhotel gezeigt – so'n ganz kleinen.

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»Das ist nicht wahr, du dreckiger Lügner!« hat der Kleine
gerufen und Fabian hat ihm Sand ins Gesicht geworfen,
aber der Kleine hat ihm ganz schnell eins verpaßt. Ich
glaube, der Kleine muß schon mal Gymnastik gemacht ha-
ben, und Fabian war so erstaunt, daß er vergessen hat zu
heulen. Dann haben wir alle angefangen, uns zu hauen,
aber die vom Hotel zur Brandung und die vom Strandhotel,
das sind Verräter!
Als wir aufgehört haben, uns zu hauen, haben wir gesehen,
daß der Gymnastiklehrer im Sand sitzt. Er ist aufgestanden,
und er hat gesagt:
»Gut. Jetzt machen wir das nächste Spiel. Alle aufstellen –
Richtung Meer! Wenn ich das Zeichen gebe, rennt ihr alle
ins Wasser. Fertig? Los!«
Das hat uns gut gefallen – denn das Beste am Strand ist das
Meer und der Sand. Wir sind alle ganz schnell ins Wasser
gerannt und das Wasser war prima und wir/ haben uns

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gegenseitig naß gespritzt und wir sind mit den Wellen
hochgesprungen und der Bremer hat geschrien: »Seht mal,
ich! Seht mal! Ich! Ich kann kraulen!« Und wie wir uns um-
gedreht haben, haben wir gesehen, daß der Gymnastikleh-
rer nicht mehr da war.
Dafür ist heute auf einmal ein neuer Gymnastiklehrer da–
gewesen.
»Ich heiße Julius Meier«, hat er gesagt. »Und ihr?«

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Minigolf

Heute haben wir uns verabredet, wir gehen zum Minigolf.


Der Minigolf–Platz ist neben dem Laden, wo man Anden-
ken kaufen kann. Minigolf ist unheimlich prima – ich
werd's euch erklären: Es gibt im ganzen achtzehn Löcher,
und man kriegt Bälle und Schläger und man muß die Bälle
mit möglichst wenig Schlägen in die Löcher reinpfeffern.
Um zu den Löchern zu kommen, muß man durch Burgen
und Flüsse und Zickzackkurven durchspielen und über Hü-
gel und Stufen – toll! Nur das erste Loch, das ist ganz leicht.
Schade, daß der Mann vom Minigolf uns nur spielen läßt,
wenn wir in Begleitung eines Erwachsenen sind. Na ja, da-
rum haben wir – meine Freunde aus unserem Hotel, Fred,
Fruchthäuser, Kappe – der Spinner!, Friedhelm, Fabian und
Bremer – meinen Papa gefragt, ob er mit uns geht, Minigolf
spielen.
»Nein«, hat Papa gesagt. Er hat am Strand gesessen und
Zeitung gelesen.
»Los – kommen Sie doch! Seien Sie nett, nur einmal!« hat
Fred gesagt.
»Na los – los!« haben die anderen gerufen und ich habe
angefangen zu weinen und ich habe gesagt, wenn ich nicht
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Minigolf spielen darf, dann steige ich in ein Tretboot und
fahre ganz ganz weit übers Meer und komme niemals wie-
der.
»Das kannst du nicht«, hat Kappe gesagt – der ist ja be-
scheuert! – »ein Tretboot mieten kannst du auch nur in
Begleitung eines Erwachsenen.«
»Pöh!« hat Bremer gesagt, – der fällt mir auf den Wecker,
weil er immer angeben muß! »Ich brauch kein Pedalo,
nämlich, ich kann kraulen!«
Wir alle standen um Papa herum und haben gestritten, und
auf einmal hat Papa seine Zeitung in Fetzen gerissen und

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auf den Sand geworfen und er hat gesagt:
»Gut – in Ordnung. Ich nehme euch mit zum Minigolf.«
Mein Papa ist der beste Papa auf der Welt, ich habe es ihm
gesagt und ihm einen Kuß gegeben.
Der Mann vom Minigolf ist nicht besonders begeistert ge-
wesen, als er uns gesehen hat, und zuerst wollte er uns
nicht spielen lassen. Wir haben alle gerufen: »Los doch –
los doch!« Und der Mann vom Minigolf ist einverstanden
gewesen, aber Papa mußte die Aufsicht übernehmen.
Wir sind alle an den Anfang gelaufen, wo man ins erste
Loch spielen muß, das so leicht ist, und Papa, der bei allen

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Sachen so gut Bescheid weiß, hat uns gezeigt, wie man den
Schläger hält.
»Ich weiß schon«, hat Bremer gesagt und er hat gleich an-
fangen wollen zu spielen, aber Fabian hat gefragt, wieso
bist du denn Erster?
»Man muß nach der alphabetischen Liste vorgehen wie in
der Schule, wenn die Lehrerin uns prüft«, hat Fred gesagt,
aber ich war nicht einverstanden, nämlich, mein Name, der
kommt erst ganz hinten im Alphabet. In der Schule ist das
praktisch, aber beim Minigolf ist es ganz ungerecht. Dann
ist der Mann vom Minigolf gekommen und hat zu Papa
gesagt, wir müssen mit Spielen anfangen, es sind schon an-
dere Gäste da und warten darauf, daß sie Minigolf spielen
können.
»Kappe wird anfangen«, hat Papa gesagt. »Er ist der Ver-
nünftigste.«
Und Kappe ist nach vorn gekommen. Er hat mit dem
Schläger ganz toll gegen den Ball geschlagen und der Ball
ist in die Luft geflogen, über den Drahtzaun und gegen ein
Auto, das auf der Straße stand. Kappe hat angefangen zu
weinen und Papa hat den Ball geholt.
Es hat aber etwas gedauert, bis Papa wiedergekommen ist,
nämlich in dem Auto saß ein Herr, und der Herr ist aus
dem Auto gestiegen und hat mit Papa geredet. Er hat mit
den Händen herumgefuchtelt und eine Menge Leute sind
gekommen und haben zugeschaut und sie haben gelacht.
Wir wollten eigentlich weiterspielen, aber Kappe saß auf
dem ersten Loch, er hat geweint und gesagt, er steht nicht
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eher auf, bis er den Ball wieder hat und wir sind alle ganz
gemein. Und dann ist Papa mit dem Ball wiedergekommen,
und er hat kein besonders fröhliches Gesicht gemacht.
»Nun versucht mal, ein bißchen aufzupassen«, hat Papa
gesagt.
»O. K.«, hat Kappe gesagt. »Geben Sie mir den Ball.« Aber
Papa hat ihm den Ball nicht geben wollen, er hat zu Kappe
gesagt, das reicht, du spielst ein andermal weiter. Das hat
Kappe aber nicht gefallen, er hat um sich getreten und er
hat geschrien, er wird von uns benachteiligt und wenn das
so ist, geht er seinen Papa holen. Und er ist los.
»Gut, dann bin ich dran«, hat Friedhelm gesagt.
»O nein, Verehrtester«, hat Fruchthäuser gesagt, »ich wer-
de jetzt spielen.«
Da hat Friedhelm dem Fruchthäuser eines mit dem Schlä-
ger auf den Kopf gegeben, und Fruchthäuser hat Friedhelm
eine Ohrfeige gehauen, und da kam der Mann vom Mini-
golf angerannt.
»Hören Sie mal«, hat der Mann vom Minigolf gerufen, und
er hat Papa gemeint. »Verschwinden Sie endlich mit Ihrem
Kindergarten – da drüben stehen schon eine Menge Kun-
den, die spielen wollen!«
»Seien Sie mal etwas höflicher«, hat Papa gesagt, »die Kin-
der hier haben für das Spiel bezahlt – da werden sie ja wohl
auch spielen dürfen!«
»Bravo!« hat Fabian zu Papa gesagt, »geben Sie's ihm!« Und
meine Freunde waren alle für Papa, außer Fruchthäuser

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und Friedhelm, aber die waren ja beschäftigt, weil sie sich
verhauen haben, mit Ohrfeigen und mit dem Schläger.
»Ach nee – so ist das also?« hat der Mann vom Minigolf
gesagt. »Und wenn ich die Polizei rufe?«
»Aber bitte!« hat Papa gesagt. »Dann werden wir ja sehen,
wer recht bekommt.« Da hat der Mann vom Minigolf den
Polizisten gerufen, der auf der Straße stand.
»Ludwig!« hat der Mann vom Minigolf gerufen und der Po-
lizist ist gekommen.
»Was ist denn, Ewald?« hat er den Mann vom Minigolf ge-
fragt.
»Was ist?« hat der Mann vom Minigolf geantwortet. »Die-
ses Individuum hindert die anderen Leute am Spielen!«
»Jawohl«, hat ein Herr gerufen. »Jetzt warten wir hier
schon eine halbe Stunde und haben noch nicht mal das
erste Loch gemacht.«
»Haben Sie in Ihrem Alter denn nichts Besseres zu tun?«
hat Papa gefragt.

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»Genau!« hat der Mann vom Minigolf dazwischengerufen.
»Wenn Sie kein Interesse am Minigolf haben, dann verder-
ben Sie wenigstens nicht den anderen den Spaß!«
»Außerdem«, hat der Polizist gesagt, »hat sich eben ein
Herr bei mir beschwert, weil ein Minigolf–Ball die Karosse-
rie seines Wagens getroffen hat.«
»Was ist denn nun? Können wir jetzt das erste Loch ma-
chen oder nicht?« hat der Herr gefragt, der gewartet hat.
In dem Moment ist Kappe mit seinem Papa dazugekom-
men. »Der ist es – der da!« hat Kappe zu seinem Papa ge-
sagt und er hat auf meinen Papa gezeigt.
»So«, hat Kappes Papa gesagt, »es scheint, Sie wollen mei-
nen Sohn daran hindern, mit seinen kleinen Kameraden zu
spielen?«
Und da hat Papa angefangen zu schreien und der Mann
vom Minigolfplatz hat auch geschrien und der Polizist hat
mit der Trillerpfeife dazwischengepfiffen und schließlich
hat Papa uns weggeführt vom Minigolfplatz. Aber Bremer
war nicht einverstanden, nämlich, er hat gesagt, als keiner
hingeschaut hat, hat er das erste Loch gemacht, mit einem
Schlag, aber das ist bestimmt nicht wahr.
Weil wir beim Minigolf soviel Spaß gehabt haben, haben
wir uns verabredet, wir gehen morgen wieder hin und ma-
chen das zweite Loch. Ich weiß nur nicht, ob Papa damit
einverstanden ist und mit uns hingeht.

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Wir haben Einkaufen gespielt

Das schlimmste bei den Mädchen ist, daß sie nicht richtig
spielen können. Immer müssen sie gleich weinen, und dann
gibt es Theater.
Bei uns im Hotel sind drei.
Die drei Mädchen bei uns im Hotel heißen Isabella, Ma-
rianne und Gisela. Gisela, das ist die Schwester von meinem
Freund Fabian, und sie hauen sich immer. Fabian hat mir
erklärt, daß es sehr lästig ist, wenn man ein Mädchen als
Schwester hat und wenn das so weitergeht, dann läuft er
weg von zu Hause.
Wenn das Wetter schön ist und wir sind am Strand, dann
stören uns die Mädchen nicht. Sie spielen ihre blöden Spie-
le, backen eine Menge Kuchen aus Sand, erzählen sich Ge-
schichten und malen sich die Fingernägel rot mit Buntstif-
ten. Wir, meine Freunde und ich, wir machen unheimlich
tolle Sachen: Wettrennen, Springen, Fußball, und dann
schwimmen wir wieder, oder wir schlagen uns. Prima Sa-
chen, wirklich.
Aber wenn das Wetter nicht schön ist – das ist was anderes.
Nämlich, dann müssen wir zusammen im Hotel bleiben.

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Und gestern ist es gar nicht schön gewesen draußen, son-
dern es hat den ganzen Tag geregnet. Nach dem Essen – es
gab Ravioli, viel besser als Ragout – sind unsere Papas und
Mamas hinaufgegangen zur Mittagsruhe. Wir waren im
Salon und wir haben Karten gespielt, alle Freunde aus dem
Hotel, Fred, Fruchthäuser, Kappe, Friedhelm, Fabian und
Bremer. Wir sind ganz leise gewesen und wir haben auch
keinen Quatsch gemacht, nämlich, wenn es regnet, dann
verstehen unsere Papas und Mamas keinen Spaß. Und das
ist in diesen Ferien schon sehr oft passiert.
Auf einmal sind die drei Mädchen in den Salon gekommen.
»Wir wollen mit euch spielen«, hat Gisela gesagt.
»Laß uns in Ruhe, oder ich hau dir eins rein, Gisela–Tri–
sela!« hat Fabian gesagt. Das hat der Gisela gar nicht gefal-
len.
»Wenn wir nicht mit euch spielen dürfen, weißt du, was ich
dann tu, Fa–Fa?« hat Gisela gesagt. »Einfach: ich geh rauf
und erzähle es Papa und Mama und dann wirst du bestraft

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und deine Freunde werden auch bestraft und kriegen kei-
nen Nachtisch.«
»Schön«, hat Kappe gesagt – der Spinner! –, »ihr könnt mit
uns spielen.«
»Wer hat dich denn gefragt?« hat Fabian gesagt, da hat
Kappe angefangen zu heulen und er hat gesagt, er hat keine
Lust, bestraft zu werden und es ist ganz ungerecht und
wenn er keinen Nachtisch bekommt, dann bringt er sich
um. Wir haben ziemlich dumm dagesessen, wir haben ge-
dacht, der Kappe weckt mit dem Lärm am Ende noch unse-
re Papas und Mamas auf.
»Also – was spielen wir?« hat Marianne gefragt. Das ist die
Dicke, die mich immer an Otto erinnert, Otto, das ist mein
Freund aus der Schule, der dauernd ißt.
»Wir spielen Einkaufen«, hat Isabella gesagt.
»Du hast wohl 'ne Meise«, hat Fabian gesagt.
»Na gut, Fa–Fa«, hat Gisela gesagt, »ich geh jetzt und mach
Papa wach. Und du weißt, wie Papa ist, wenn man ihn auf-
weckt.« Da hat Kappe wieder angefangen zu heulen und er
hat gesägt, er will schon Einkaufen spielen. Fred hat gesagt,
er spielt nicht Einkaufen, lieber geht er rauf, Fabians Papa
aufwecken. Aber Fruchthäuser hat gesagt, er glaubt, heute
abend gibt es zum Nachtisch Schokoladeneis und da haben
wir alle gesagt, gut, einverstanden.
Gisela hat sich hinter den Tisch gestellt und auf den Tisch
hat sie die Karten gelegt und die Leuchter hat sie auch hin-
gestellt und sie hat gesagt, sie ist die Verkäuferin und der
Tisch soll die Theke sein und was auf dem Tisch ist, das
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sind die Sachen, die sie zu verkaufen hat und wir müssen
kommen und die Sachen kaufen.
»Genau«, hat Marianne gesagt, »und ich bin eine sehr
schöne und reiche Dame und ich habe ein Auto und einen
Haufen Pelze!«
»Genau«, hat Isabella gesagt, »und ich bin eine andere Da-
me, noch reicher und noch schöner, und ich habe ein Auto
mit roten Polstern wie das von Onkel Hans–Peter und
Schuhe mit hohen Absätzen!«
»Genau«, hat Gisela gesagt, »und Bremer, der muß der
Mann von Marianne sein.«
»Ich will aber nicht«, hat Bremer gesagt.
»Und warum willst du nicht?« hat Marianne gefragt.
»Du bist ihm zu dick, deshalb«, hat Isabella gesagt. »Er will
lieber mein Mann sein.«
»Das ist nicht wahr!« hat Marianne gesagt und sie hat Bre-
mer eine Ohrfeige gegeben und Kappe hat angefangen zu
heulen. Damit Kappe still war, hat Bremer gesagt, schön, er
ist eben der Mann, egal von wem.
»Gut«, hat Gisela gesagt, »jetzt können wir anfangen. Du,
Nick, du bist der erste Kunde, aber du mußt ganz arm sein,
du hast kein Geld, um dir was zum Essen zu kaufen. Und
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ich, ich bin dann ganz freundlich und gebe dir die ganzen
Sachen umsonst.«
»Ich tu nicht mehr mit«, hat Marianne gesagt. »Weil die
Isabella so häßlich zu mir ist, spreche ich nie mehr mit
euch!«
»Pöh – wie das Fräulein sich anstellt«, hat Isabella gesagt.
»Meinst du, ich weiß nicht, was du zu Gisela über mich
gesagt hast, als ich nicht dabei war?«
»Ah, du Lügnerin«, hat Marianne geschrien. »Hast du ver-
gessen, was du mir von Gisela erzählt hast?«
»Was hast du Marianne erzählt, Isabella?« hat Gisela ge-
fragt.
»Nichts – ich hab Marianne überhaupt nichts von dir er-
zählt, das habe ich erzählt!« hat Isabella gesagt.
»Unverschämt!« hat Marianne geschrien. »Du hast es mir
gesagt – vor dem Schaufenster mit dem schwarzen Badean-
zug mit den kleinen rosa Blumen drauf, der mir so gut ste-
hen würde – da hast du es mir gesagt. Weißt du noch?«
»Das ist nicht wahr!« hat Isabella geschrien. »Aber Gisela
hat mir alles gesagt, was du ihr am Strand von mir erzählt
hast!«

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»He, Mädchen«, hat Fabian gerufen. »Spielen wir jetzt end-
lich – ja oder nein?« Da hat Marianne zu Fabian gesagt, er
soll sich nicht in Sachen mischen, die ihn nichts angehen,
und sie hat ihn gekratzt.
»Laß meinen Bruder in Ruhe!« hat Gisela gerufen, und sie
hat Marianne an den Zöpfen gezogen und Marianne hat
angefangen zu schreien und sie hat Gisela eins reingehauen
und Fabian hat gelacht, aber Kappe hat schon wieder ge-
heult, und die Mädchen haben einen Riesenkrach gemacht
und unsere Papas und Mamas sind runtergekommen in den
Salon und sie haben gefragt, was denn jetzt schon wieder
los ist.
»Die Jungen«, hat Isabella gesagt, »die lassen uns über-
haupt nicht in Ruhe Einkaufen spielen!« Und da haben die
Erwachsenen gesagt, zur Strafe kriegen wir keinen Nach-
tisch.
Und Fruchthäuser, der hat recht gehabt: am Abend hat es
Schokoladeneis gegeben – ausgerechnet!

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Wir sind wieder Hause

Eigentlich bin ich ganz froh, daß wir wieder zu Hause sind,
nur: meine Freunde aus den Ferien sind nicht hier und
meine Freunde von hier sind noch in den Ferien und ich,
ich bin ganz allein und das ist ganz ungerecht und ich habe
angefangen zu weinen.
»Nein – aber nicht schon wieder!« hat Papa gesagt. »Ich
muß morgen wieder arbeiten und ich muß meine Ruhe
haben. Du machst mich verrückt mit deinem Geheul!«
»Aber, aber«, hat Mama zu Papa gesagt, »hab doch ein we-
nig Geduld mit dem Kleinen! Du weißt, wie Kinder sind,
wenn sie aus den Ferien kommen.« Mama hat mir einen
Kuß gegeben, aber dann hat sie sich das Gesicht abgewischt
und hat mir die Nase geputzt und sie hat gesagt, ich soll
vernünftig sein und schön spielen. Ich habe zu Mama ge-
sagt, ich möchte ja, aber ich weiß nicht, was ich tun soll.
»Du kannst doch mal eine Bohne wachsen lassen«, hat
Mama gesagt und sie hat mir erklärt, daß es wunderschön
ist: man nimmt einfach eine Bohne, legt sie auf ein Stück
feuchter Watte und dann kommt ein kleiner Keim heraus,
danach die Blätter und zuletzt wächst die Pflanze und wird
eine richtige Bohnenstaude und es ist sehr hübsch und Pa-
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pa wird es mir zeigen. Und dann ist Mama raufgegangen,
mein Zimmer aufzuräumen.
Papa lag im Wohnzimmer auf dem Sofa. Er hat ganz laut
geseufzt und er hat gesagt, ich soll etwas von der Watte aus
dem Badezimmer holen. Ich bin ins Badezimmer gegangen
und ich habe gar nicht viel umgeschmissen – das bißchen
Puder auf dem Boden ist ganz leicht wieder wegzumachen,
einfach mit ein bißchen Wasser. Ich bin wieder ins Wohn-
zimmer und ich hab zu Papa gesagt: »Hier ist der Watte,
Papa.«
»Es heißt die Watte, Nick«, hat Papa mir erklärt. Papa weiß
eine Menge Sachen und in meinem Alter war er der Erste in
der Klasse und ein Beispiel für seine Mitschüler. »Gut,
Nick«, hat Papa gesagt. »Und jetzt geh in die Küche und
hol eine Bohne!«
In der Küche habe ich aber keine Bohne gefunden. Auch
keinen Kuchen, nämlich, Mama hatte alles leergemacht, bis
auf den Weichkäse im Schrank, den hatte sie vergessen,
und deshalb müssen wir die Küchenfenster offenlassen.
Im Wohnzimmer hab ich zu Papa gesagt, ich habe keine
Bohne gefunden, und Papa hat gesagt: »Schade.« Er hat
weiter in seiner Zeitung gelesen. Ich habe geweint und ich
habe gerufen: »Ich will aber eine Bohne wachsen lassen!
Ich will aber eine Bohne wachsen lassen!«
»Nick«, hat Papa gesagt, »du kriegst gleich eins hinten
drauf!«
Also – das ist wirklich unheimlich ungerecht! Erst soll ich
eine Bohne wachsen lassen und dann ist keine Bohne da
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und ich soll dafür bestraft werden! Da habe ich aber wirk-
lich angefangen zu weinen und Mama ist gekommen und
als ich es ihr erklärt habe, hat sie gesagt:
»Geh zum Lebensmittelgeschäft an der Ecke, sie sollen dir
eine Bohne geben.«
»Richtig«, hat Papa gesagt. »Und laß dir Zeit!«
Ich bin zu Herrn Campani gegangen – das ist der Lebens-
mittelhändler an der Ecke und er ist unheimlich nett, näm-
lich, er gibt mir manchmal ein Bonbon. Aber diesmal hat er
mir nichts gegeben, der Laden war geschlossen und an der
Tür hing ein Zettel, und da stand drauf, es ist geschlossen
wegen der Betriebsferien.
Ich bin wieder zurückgerannt nach Hause, und Papa hat
immer noch auf dem Sofa gelegen, aber gelesen hat er nicht
mehr, sondern er hat die Zeitung über dem Gesicht gehabt.
»Campani hat geschlossen«, habe ich gerufen, »und ich hab
immer noch keine Bohne!«
Papa, der hat sich mit einem Ruck aufgesetzt.

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»Wie? Was? Was ist los?« hat er gefragt. Und da habe ich
ihm alles noch einmal erklären müssen. Papa ist sich mit
der Hand über das Gesicht gefahren, er hat sehr gestöhnt
und dann hat er gesagt, er kann auch nichts daran machen.
»Und was soll ich jetzt wachsen lassen?« habe ich gefragt.
»Was wächst denn noch auf die Watte?«
»Es heißt auf der Watte, nicht auf die Watte«, hat Papa ge-
sagt.
»Aber du hast doch gesagt, es heißt die Watte«, habe ich
geantwortet.
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»Nick!« hat Papa geschrien. »Schluß damit – geh auf dein
Zimmer und spiel was!«
Ich bin raufgegangen auf mein Zimmer und ich habe ge-
weint, und da habe ich Mama getroffen, die war gerade
beim Aufräumen.
»Nein, Nick, komm nicht rein«, hat Mama gesagt. »Geh
runter und spiel im Wohnzimmer. Warum läßt du keine
Bohne wachsen, wie ich dir gesagt habe?«
Unten im Wohnzimmer habe ich Papa schnell erklärt, be-
vor er anfangen kann zu schreien, daß Mama gesagt hat,
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ich soll runtergehen, und ich habe gesagt, wenn sie mich
weinen hört, ärgert sie sich bestimmt.
»Na gut«, hat Papa gesagt, »aber sei brav.«
»Und wo soll ich die Bohne herkriegen, die ich wachsen
lassen soll?« habe ich gefragt.
»Es heißt nicht die Bohne, es heißt . . .«, hat Papa angefan-
gen, aber dann hat er mich angeschaut, hat sich den Kopf
gekratzt und hat gesagt: »Geh in die Küche, hol dir Linsen –
das geht genausogut.«
Tatsächlich, Linsen sind in der Küche gewesen und ich war
schon unheimlich froh. Papa ist aufgestanden und hat mir
gezeigt, wie man die Watte feucht macht und wie man die
Linsen darauflegen muß.
»So – und jetzt legst du das Ganze auf eine Untertasse«, hat
Papa gesagt, »stellst es auf die Fensterbank, und dann
kommen auch schon bald die Keime und die Blätter.« Und
er hat sich wieder aufs Sofa gelegt.
Ich habe alles so gemacht, wie Papa gesagt hat und dann
habe ich gewartet. Aber ich habe keine Keime aus den Lin-
sen rauskommen sehen und ich habe mir überlegt, warum
es nicht geht. Ich habe es nicht rausgekriegt und bin zu
Papa gegangen.
»Was ist denn jetzt schon wieder?« hat Papa geschrien.
»Da kommen gar keine Keime aus den Linsen!« habe ich
gerufen.
»Willst du wirklich, daß ich dir eines draufhaue?« hat Papa
gerufen, und ich habe gesagt, ich geh weg von Zuhause und
ich bin sehr unglücklich und ich komme nie mehr wieder
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und das wird euch noch leid tun, und die Sache mit den
Linsen war ein ganz gemeiner Trick, und da ist Mama ganz
schnell ins Wohnzimmer heruntergekommen.
»Kannst du denn nicht ein bißchen geduldig mit dem Klei-
nen sein?« hat sie Papa gefragt. »Ich muß das Haus auf-
räumen und habe nicht die Zeit, mich mit ihm zu beschäf-
tigen, und mir scheint . . .«
»Mir meinerseits scheint«, hat Papa geantwortet, »daß ein
Mann auch mal etwas Ruhe beanspruchen kann!«
»Meine arme Mutter hatte schon recht«, hat Mama gesagt.
»Laß doch deine Mutter aus dem Spiel! Die hat mit dieser
Geschichte wahrhaftig nicht das mindeste zu tun!« hat Pa-
pa geschrien.
»So ist's recht«, hat Mama gesagt. »Beleidige nur meine
arme Mutter!«

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»Ich hätte deine Mutter beleidigt?« hat Papa geschrien.
Und Mama hat angefangen zu weinen und Papa ist im
Wohnzimmer auf– und abgegangen und hat geschrien und
ich, ich habe gesagt, wenn ihr nicht macht, daß die Linsen
sofort wachsen, dann bringe ich mich um – und da hat
Mama mir eins hintendrauf gegeben.
Wirklich – wenn die Eltern aus den Ferien zurückkommen,
sind sie unerträglich.

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Dschoscho

Wir haben einen Neuen in der Klasse. Heute nachmittag


ist unsere Lehrerin reingekommen mit einem kleinen Jun-
gen und der hat ganz rote Haare gehabt und Sommerspros-
sen und hellblaue Augen, genauso wie die Glaskugel, die
Max mir gestern in der Pause beim Knickerspielen abge-
wonnen hat, aber das war nicht richtig gewonnen, denn er
hat gepfuscht. »Liebe Kinder«, hat die Lehrerin gesagt, »ich
möchte euch einen neuen Kameraden vorstellen. Er ist
Ausländer und seine Eltern haben ihn auf unsere Schule
geschickt, damit er unsere Sprache lernt. Ich verlasse mich
auf euch – ihr müßt sehr freundlich sein zu ihm.« Und
dann hat unsere Lehrerin sich zu dem Neuen rumgedreht
und hat gesagt: »Nun sag mal deinen Kameraden, wie du
heißt.« Der Neue hat aber nicht verstanden, sondern er hat
nur gegrinst und wir haben gesehen, daß er prima Zähne
hat. »Der ist gut dran«, hat Otto gesagt – Otto ist mein
Klassenkamerad, der, der immer Hunger hat –, »was muß
der für Stücke abbeißen können, mit den Zähnen!« Wie der
Neue nichts gesagt hat, hat die Lehrerin gesagt er heißt
George Macintosh. »Yes«, hat der Neue gesagt,
»Dschorsche.«
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»Fräulein«, hat Max gefragt, »heißt er nun Georg oder
Dschorsche?« Die Lehrerin hat uns erklärt, er heißt Georg,
aber in seiner Sprache wird das anders ausgesprochen,
nämlich Dschorsche. »Gut«, hat Max gesagt, »dann nennen
wir ihn Jojo.«
»Nein«, hat Joachim gerufen, »du mußt es doch anders aus-
sprechen – Dschoscho.«
»Halt die Klappe, Dschoachim«, hat Max gesagt und da
mußten sie beide in der Ecke stehen.
Die Lehrerin hat Dschoscho neben Adalbert gesetzt. Adal-
bert hat den Neuen ganz mißtrauisch angeguckt, nämlich
Adalbert ist Klassenerster und unserer Lehrerin ihr Liebling
und er hat immer Angst, wenn ein Neuer kommt, daß der
vielleicht Erster wird und Liebling. Bei uns hat Adalbert
keine Angst – da weiß er, es kann nichts passieren.
Dschoscho hat sich hingesetzt und er hat immer noch ge-
grinst und seine Zähne gezeigt. »Schade, daß keiner seine
Sprache kann«, hat die Lehrerin gesagt. »Ich – ich kann
mich an einige Sätze erinnern, Fräulein«, hat Adalbert ge-
sagt. Aber wie Adalbert seine Sätze zu Dschoscho gesagt
hat, da hat Dschoscho ihn angeguckt und hat angefangen
zu lachen und hat mit dem Finger an die Stirn getippt.
Adalbert wußte gar nicht was los war, aber Dschoscho hat
recht gehabt, nämlich nachher haben wir es rausgekriegt,
was Adalbert zu ihm gesagt hat: daß er einen Schneider
hat, welcher sehr reich ist und der Garten seines Onkels ist
größer als der Hut seiner Tante. So was Verrücktes, der
Adalbert!
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Es hat zur Pause geläutet und wir sind alle raus, außer Joa-
chim, Max und Chlodwig, nämlich die durften nicht raus,
zur Strafe. Chlodwig ist der Schlechteste in unserer Klasse
und er hat niemals seine Aufgabe richtig gelernt und wenn
er dran war, hat er jedesmal keine Pause.
Draußen auf dem Hof sind wir alle um Dschoscho rumge-
standen. Wir haben ihn allerhand gefragt, aber er hat uns
nur immer angegrinst und seine Zähne gezeigt. Nachher
hat er was gesagt, aber wir haben nichts verstanden, es hat
sich angehört wie: ›Woanswouinswouin‹ – das war alles.
»Ich weiß, wie das kommt«, hat Georg gesagt – unser
Georg, der den reichen Vater hat und er geht sehr oft ins
Kino »das kommt weil er in Originalfassung spricht. Wenn
er Untertitel hätte, dann könnten wir ihn verstehen.«
»Vielleicht kann ich was übersetzen«, hat Adalbert gefragt
und er hat unbedingt seine Sätze anbringen wolle. »Pöh«,
hat Roland gesagt, »du Quatschkopf!« Das hat ihm sehr
gefallen, dem Neuen, er hat mit dem Finger auf Adalbert
gezeigt und hat gerufen: »you – Kuatsch–koup . . . Kuatsch–
koup«, und er hat sehr zufrieden ausgesehen. Adalbert ist
weggegangen und er hat geheult, aber Adalbert heult im-
mer. Wir haben gedacht, der ist prima, der Dschoscho und
ich habe ihm ein Stück von meiner Schokolade gegeben.
»Was treibt ihr denn für'n Sport bei euch zu Hause?« hat
der Franz ihn gefragt. Dschoscho, der hat natürlich nicht
verstanden, sondern hat immer weiter gerufen: »Kuatsch–
koup, Kuatsch–koup!« Aber unser Georg hat gesagt: »Blöde
Frage – Tennis natürlich.«
119
120
»Du Hanswurst«, hat der Franz geschrien, »was hast du
dich da reinzumischen?«
»Henswoast – Kuatsch–koup!« hat der Neue gerufen und
man hat gesehen, daß es ihm Spaß macht, mit uns zu spie-
len. Aber unser Georg hat sich geärgert über Franz. »Wer
ist ein Hanswurst?« hat er gefragt und das war schon falsch,
denn der Franz, der ist sehr stark und er gibt jedem eins
mit der Faust auf die Nase und jetzt bei Georg natürlich
auch: ›peng‹! Wie Dschoscho den Schlag gesehen hat, hat
er aufgehört, ›Kuatsch–koup‹ und ›Henswoast‹ zu rufen. Er
hat Franz angeguckt und hat gesagt: »Boxing? Sähr gout!«
Er hat die Fäuste vors Gesicht gehalten und ist immer um
Franz herumgetanzt wie die richtigen Boxer im Fernsehen
bei Chlodwig, nämlich wir haben noch keins aber ich
möchte so gern daß Papa eins kauft.
»Was ist denn mit dem los?« hat Franz gefragt. »Boxen will
er mit dir, du Trottel«, hat Georg gesagt und sich die Nase
gerieben. Franz hat gesagt, gut, und er hat versucht mit
Dschoscho zu boxen. Aber Dschoscho hat viel besser ge-
konnt als Franz und es ist komisch gewesen, nämlich der
Franz hat allerhand eingesteckt und er ist so wütend ge-
worden, der Franz, daß er geschrien hat: »Wie soll ich ihm
denn eine reinhauen, wenn er seine Rübe nicht stillhält!«
Und ›Petsch‹ hat er wieder eine gehabt und da saß er auf
dem Boden. Aber er ist nicht böse gewesen, der Franz. Er
ist aufgestanden und hat gesagt: »Du bist vielleicht 'ne
Nummer!«

121
»Kuatsch–koup, Henswoast, vielleisch–ne–Number«, hat
der Neue gesagt und wir haben gestaunt, wie schnell er ler-
nen kann. Aber dann war die Pause zu Ende und Otto hat
wieder gestöhnt, jetzt ist die Pause schon wieder vorbei
und man läßt ihm nicht mal richig Zeit, daß er seine vier
Brötchen mit Butter aufessen kann, die er von zu Hause
mitbringt.
Wie wir wieder in der Klasse waren, hat die Lehrerin
Dschoscho gefragt, ob er schön mit uns gespielt hat und da
ist Adalbert aufgestanden und hat gesagt: »Fräulein, die
bringen ihm lauter Schimpfwörter bei!«
»Das ist nicht wahr, du dreckiger Lügner«, hat Chlodwig
gerufen, wo er doch gar nicht draußen gewesen war in der
Pause. »Kuatsch–koup, Henswoast, drekische Lugner«, hat
Dschoscho ganz stolz gesagt.
Wir sind ganz still gewesen, nämlich wir haben gesehen,
daß die Lehrerin gar nicht einverstanden ist. »Ihr solltet
euch schämen«, hat sie gesagt, »daß ihr euch über einen
Kameraden lustig macht, der eure Sprache nicht be-
herrscht! Ich habe euch doch ausdrücklich gebeten, nett
und höflich zu sein – aber man kann sich nicht auf euch
verlassen. Ihr seid eine ganz ungezogene Bande!«
»Kuatsch–koup, Henswoast, drekische Lugner, unessogene
Bonde«, hat Dschoscho gesagt und er ist ganz stolz gewe-
sen, daß er soviel neue Wörter kennt.
Die Lehrerin hat ihn ganz groß angeschaut. »Aber
Dschorsche«, hat sie gesagt, »so was darf man doch nicht
sagen!«
122
»Sehen Sie, Fräulein? Was habe ich gesagt?« hat Adalbert
gerufen. »Wenn du nicht willst, daß ich dir zwei Stunden
Nachsitzen gebe, Adalbert, dann behalte deine Weisheiten
für dich!« hat die Lehrerin gerufen und Adalbert hat ange-
fangen zu heulen. Da hat einer geschrien:
»Alter Schwätzer!« aber die Lehrerin hat nicht rausgekriegt,
wer es war, zum Glück, denn sonst hätte ich eine Strafar-
beit gekriegt, aber Adalbert hat sich wieder auf der Erde
rumgewälzt und hat geschrien, alle sind gegen ihn und er
123
kann es nicht ertragen und er will am liebsten sterben und
die Lehrerin hat mit ihm rausmüssen, damit er sich beru-
higt und sich das Gesicht mit Wasser kühlt.
Wie die Lehrerin wieder reingekommen ist, hat sie ganz
erschöpft ausgesehen, aber zum Glück hat es geläutet und
die Schule war aus. Bevor sie rausging, hat sie den Neuen
nochmal angesehen und hat gesagt: »Ich möchte wissen,
was deine Eltern von mir denken werden.«
»Alte Schwetzer«, hat Dschoscho gesagt und hat ihr die
Hand gegeben.
Aber eigentlich braucht sich unsere Lehrerin keine Sorgen
zu machen, nämlich die Eltern von Dschoscho werden bald
merken, daß er schon am ersten Tag fast alles gelernt hat,
was man im täglichen Leben braucht.
Und richtig – Dschoscho ist am nächsten Tag nicht mehr
wiedergekommen.

124
Ein prima Blumenstrauß

Das war, als Mama Geburtstag hatte und ich hatte mir
vorgenommen, ich kaufe ihr ein Geschenk, wie jedes Jahr –
das heißt: voriges Jahr war das erste Mal, denn vorher war
ich noch zu klein.
Ich habe alles Geld aus meiner Sparbüchse genommen und
das war zum Glück 'ne ganze Menge, weil Mama mir ges-
tern noch was gegeben hat. Ich hab schon gewußt, was ich
Mama zum Geburtstag schenke: Blumen für die blaue Vase
im Salon, einen unheimlich großen, richtig dicken Blumen-
strauß.
Ich war schon ganz ungeduldig, daß die Schule zu Ende ist
und ich kann losrennen, mein Geschenk kaufen. Damit ich
das Geld nicht verliere, habe ich die ganze Zeit die Hand in
der Tasche behalten, sogar in der Pause beim Fußballspie-
len und das ging ganz gut, weil ich nicht im Tor bin. Otto
war im Tor – ein Klassenkamerad von mir, der Dicke – ich
hab schon von ihm erzählt. »Warum läufst du denn immer
mit einer Hand in der Tasche?« hat er gefragt. Ich habe ihm
erklärt, daß ich Blumen für meine Mama kaufen muß und
deshalb. Und da hat er gesagt, er findet es vernünftiger, was
zum Essen zu kaufen: Kuchen oder Bonbons oder eine
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Marzipanwurst. Aber ich hab nicht auf ihn gehört, weih das
Geschenk ja nicht für ihn ist und ich hab ihm ein Tor
reingeknallt und wir haben gewonnen – 44 : 32.
Als wir aus der Schule kamen, ist Otto mit mir zum Blu-
menladen. Er hat das Schokoladenbrötchen aufgegessen,
das er in der Grammatikstunde nicht ganz geschafft hat.
Wir sind in den Laden und ich habe mein ganzes Geld auf
den Ladentisch gelegt und habe zu der Dame gesagt, ich
will einen ganz dicken Blumenstrauß für meine Mama, aber
keine Begonien, nämlich Begonien haben wir jede Menge
im Garten und was soll ich da noch welche kaufen. »Wir
möchten etwas wirklich Gutes«, hat der Otto gesagt und er
hat seine Nase in die Blumen gesteckt, die im Schaufenster
standen, und hat versucht, ob sie auch gut riechen. Die
Dame hat mein Geld gezählt und hat gesagt dafür kann sie
mir nicht so sehr viel Blumen geben. Ich bin ziemlich ent-
täuscht gewesen, aber da hat die Dame mich angesehen
und hat ein bißchen nachgedacht und dann hat sie gesagt,
ich bin ein netter kleiner Junge und sie hat mir den Kopf
getätschelt und zuletzt hat sie gesagt sie will mal sehen,
was sich machen läßt. Sie hat ein paar Blumen genommen,
hierher und daher und dann hat sie eine Menge Grünzeug
dazugetan und das hat Otto sehr gefallen, er hat gesagt es
erinnert ihn an den Gemüse–Eintopf zu Hause. Der Blu-
menstrauß war prima und ganz dick und die Dame hat ihn
in durchsichtiges Papier gewickelt und das Papier hat rich-
tig geknistert und gekracht und sie hat gesagt, paß gut auf
unterwegs und trag ihn vorsichtig. Ich hab den Strauß
126
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genommen und als Otto fertig war mit dem Blumenrie-
chen, hab ich mich bedankt bei der Dame und wir sind
raus.
Ich war sehr zufrieden mit meinem Blumenstrauß und wir
haben Georg, Chlodwig und Roland getroffen, drei Schul-
kameraden von uns. »Da ist Nick«, hat Georg gerufen.
»Mensch – du siehst vielleicht doof aus mit deinen Blu-
men!« – »Du hast Glück, daß ich die Blumen festhalten
muß«, hab ich gesagt, »sonst hätte ich dir eine
reingehauen.« – »Gib mir doch die Blumen«, hat Otto ge-
sagt, »ich kann sie ja halten wenn du Georg eine rein-
haust,« Ich habe Otto den Blumenstrauß gegeben und da
hat Georg mir schon eine geklebt. Wir haben uns verhauen,
aber dann habe ich gesagt, halt, sonst komm ich zu spät
nach Hause und da haben wir aufgehört. Aber ich mußte
noch ein bißchen dableiben, denn auf einmal hat Chlodwig
gesagt: »Seht euch doch bloß den Otto an – jetzt steht der
mit den Blumen da und sieht doof aus!« Da hat Otto ihm
aber eins über den Kopf gegeben – mit dem Blumenstrauß.

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»Meine Blumen!« hab ich geschrien. »Ihr macht ja meine
Blumen kaputt!«
Und das ist auch wahr gewesen, Otto hat den Chlodwig
immer mit meinem Blumenstrauß über den Kopf gehauen
und die Blumen sind nur so herumgeflogen, weil das
durchsichtige Papier schon ganz zerrissen war und der
Chlodwig hat immer geschrien: »Das tut gar nicht weh! Das
tut gar nicht weh!«
Endlich hat der Otto aufgehört und Chlodwig, der hat den
ganzen Kopf voll grüner Blätter gehabt und er hat wirklich
ausgesehen wie ein Gemüse–Eintopf. Ich habe angefangen,
meine Blumen wieder einzusammeln und ich habe zu mei-
nen Klassenkameraden gesagt, sie sind ganz gemein. »Ist
auch wahr«, hat Roland gesagt, »es ist nicht nett, was ihr
mit Nickis Blumen gemacht habt!«
»Halt du doch die Klappe«, hat Georg geantwortet und
dann haben sie sich verhauen. Aber Otto, der ist wegge-
gangen, weil er Chlodwig angesehen hat mit seinem Kopf
wie ein Gemüse–Eintopf, nämlich da hat er Hunger ge-

129
kriegt, der Otto und er hat gedacht, vielleicht kommt er zu
spät zum Essen.
Ich bin auch weitergegangen mit meinen Blumen. Es waren
etwas weniger als vorher, das Grünzeug war nicht mehr da
und das Papier auch nicht, aber es war immer noch ein
prima Blumenstrauß und ein paar Schritte weiter habe ich
den Franz getroffen.
»Spielst du 'ne Partie Knicker?« hat er gefragt, der Franz.
Ich habe gesagt, ich kann nicht, ich muß nach Hause, mei-
ner Mutter die Blumen bringen. Aber der Franz hat gesagt,
es ist noch früh. Ich spiele auch gern mit Murmeln, ich
kann gut: ich ziele und – petsch, gewonnen. Fast immer.
Ich habe die Blumen auf den Bürgersteig gelegt und habe
angefangen mit Franz zu spielen. Es ist prima mit Franz, er
verliert oft. Das Dumme ist nur, wenn er verliert, wird er
wütend und er hat zu mir gesagt, ich habe ihn beschwindelt
und ich habe gesagt, das ist nicht wahr und er ist ein Lüg-
ner und da hat er mich gestoßen und ich bin auf dem Blu-
menstrauß gesessen und das ist nicht gut gewesen für die
Blumen. »Ich sage meiner Mama, was du mit ihren Blumen
gemacht hast«, hab ich zu Franz gesagt und da war er doch
ziemlich klein und hat mir geholfen, die Blumen rauszusu-
chen, die nicht soviel abgekriegt hatten. Ich kann den Franz
gut leiden – ein prima Kumpel, der Franz.
Ich bin weitergegangen und der Blumenstrauß ist nicht
mehr so groß gewesen, aber mit den Blumen die noch übrig
waren – das ging noch. Eine war ja ein bißchen geknickt,
aber die beiden andern waren sehr schön. Und da sah ich
130
Joachim auf seinem Fahrrad kommen. Joachim ist ein Klas-
senkamerad von mir und er hat ein Fahrrad.
Da hab ich mir aber vorgenommen, mich nicht mehr zu
schlagen, denn ich habe mir gedacht, wenn ich so weiter-
mache und streite mich mit allen Freunden, die ich auf der
Straße treffe, dann habe ich bald überhaupt keine Blumen
mehr für meine Mama. Was geht das überhaupt meine
Freunde an, wenn ich meiner Mama Blumen mitbringe?
Das kann ich machen wie ich will und überhaupt, die sind
nur neidisch, weil meine Mama sich freut und sie sagt zu
mir, ich bin ein lieber Junge und ich kriege einen prima
Nachtisch. Ich weiß überhaupt nicht, was die alle von mir
wollen – immer müssen sie mich ärgern!
»Servus, Nick«, hat Joachim gesagt. »Was geht dich mein
Blumenstrauß an?« habe ich geschrien, »kümmere dich um
deinen eigenen Quatsch!« Joachim hat gebremst und er hat
mich ganz groß angeguckt und hat gefragt: »Was für'n
Blumenstrauß?«

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»Der hier«, hab ich gesagt und habe ihm die Blumen ins
Gesicht geschmissen. Ich glaube das hatte er nicht erwartet,
der Joachim. Jedenfalls hat es ihm gar nicht gefallen und er
hat meine Blumen auf die Straße geschmissen und sie sind
auf das Dach von einem Auto gefallen, das gerade vorbei-
fuhr und weg waren sie – mit dem Auto.
»Meine Blumen!« habe ich geschrien. »Die Blumen für
meine Mama!«
»Keine Sorge«, hat Joachim gesagt, »ich nehm mein Fahr-
rad und fahr hinterher.« Er ist nett, der Joachim, aber er
fährt nicht sehr schnell, besonders wenn es bergauf geht.
Aber trotzdem, er trainiert feste und wenn er groß ist, fährt
er die Tour de France mit. Joachim ist zurückgekommen
und hat gesagt, er hat das Auto nicht einholen können und
er hat es aus den Augen verloren an einer Steigung. Aber er
hat mir eine Blume mitgebracht, die von dem Autodach
runtergeflogen ist. Ich habe Pech gehabt, es war die ge-
knickte.
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Joachim ist schnell weggefahren – zu ihm nach Hause geht
es ziemlich bergab. Und ich bin auch nach Hause mit mei-
ner Blume und die war ganz zerfleddert. Ich habe einen
dicken Kloß im Hals gehabt, wie wenn ich mein Fleißheft
mit nach Hause bringe mit lauter Fünfen drin. Ich hab die
Tür aufgemacht und habe gesagt: »Herzlichen Glück-
wunsch zum Geburtstag, Mama!« Und dann hab ich ange-
fangen zu weinen. Mama hat die Blume angeguckt und sie
hat ein bißchen erstaunt ausgesehen, aber dann hat sie
mich in den Arm genommen und hat mir einen Kuß gege-
ben und noch einen und ganz oft und dann hat sie gesagt
sie hat noch nie einen so schönen Blumenstrauß bekom-
men. Und dann hat sie die Blume ins Wohnzimmer ge-
stellt, in die große blaue Vase.
Ihr könnt sagen was ihr wollt – meine Mama, die ist prima!

133
Der Empfang für den Minister

Wir mußten alle auf den Schulhof rauskommen und der


Rektor hat zu uns gesprochen. »Liebe Kinder«, hat er zu
uns gesagt, »ich habe das Vergnügen, euch mitzuteilen, daß
der Herr Minister in unserer Stadt erwartet wird und daß er
uns die Ehre erweist, unsere Schule zu besuchen. Es ist
euch vielleicht nicht bekannt, daß der Herr Minister ein
Schüler dieser Schule gewesen ist. Er soll euch ein Beispiel
sein, ein Beispiel dafür, daß man durch Fleiß zu den höchs-
ten Ämtern aufsteigen kann. Ich möchte dem Herrn Minis-
ter einen Empfang bereiten, der für ihn unvergeßlich ist,
und ich hoffe, ihr alle helft mir dabei.« Und dann hat der
Rektor Chlodwig und Joachim reingeschickt und sie muß-
ten in der Ecke stehen, weil sie sich geschlagen haben.
Nachher hat der Rektor alle Lehrer und Erzieher um sich
versammelt und sie haben eine Besprechung gehabt. Der
Rektor hat gesagt, er hat schon ein paar sehr schöne Ideen
für den Empfang. Zuerst singen wir alle die Nationalhymne
und dann kommen drei unserer jüngsten Schüler und über-
reichen dem Minister Blumen. Er hat wirklich prima Ideen,
unser Rektor, und ich glaube, es wird eine feine Überra-
schung, denn der Minister rechnet bestimmt nicht damit,
134
daß er Blumen bekommt. Unsere Lehrerin hat ein bißchen
beunruhigt ausgesehn und ich habe gedacht, warum bloß?
Unsere Lehrerin ist in der letzten Zeit manchmal so nervös.
Der Rektor hat gesagt, wir können das alles gleich mal
durchprobieren und wir haben uns ganz toll gefreut, näm-
lich wir brauchten ja nicht in die Klasse zurück. Fräulein
Vanderberg, die Musiklehrerin, hat mit uns die National-
hymne geübt. Ich glaube, es hat nicht ganz so geklappt,
aber es war prima laut. Es stimmt schon, daß wir etwas
schneller fertig waren als die Großen. Die Großen waren
noch beim ›Tag des Ruhmes‹, da haben wir schon zum
zweiten Mal die ›blutbedeckten Fahnen‹ gesungen – außer
Roland, für den ist es egal, denn der kennt die Worte so-
wieso nicht und singt nur immer ›la la la‹. Na, und Otto,
der hat natürlich überhaupt nicht gesungen, weil er gerade
wieder ein Milchbrötchen gegessen hat. Fräulein
Vanderberg hat ganz toll mit den Armen gefuchtelt, damit
wir still sind. Und dann hat sie mit uns geschimpft und hat
gesagt, wir haben zu schnell gesungen, aber das war unge-
recht, denn in Wirklichkeit haben die Großen zu langsam
gesungen. Ich glaube, das war Roland, der sie richtig auf
Touren gebracht hat, nämlich der Roland macht immer die
Augen zu beim Singen und da hat er nicht gesehen, daß wir
aufhören sollten und er hat immer weitergesungen: »La la
la.« Unsere Lehrerin hat mit dem Rektor gesprochen und
mit Fräulein Vanderberg und der Rektor hat gesagt, die
Großen sollen allein singen und die Kleinen sollen nur so
tun. Wir haben das probiert und es ist sehr gut gewesen,
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nur nicht mehr so laut. Der Rektor hat zu Otto gesagt, er
braucht nicht solche Fratzen zu schneiden, wenn er so tut,
als ob er singt. Aber Otto hat gesagt, er tut nicht so, als ob
er singt, sondern er ißt sein Milchbrötchen und da hat der
Rektor geseufzt.
»Na schön«, hat er gesagt, der Rektor. »Nach der National-
hymne kommen die drei Kleinen.« Der Rektor hat uns an-
geschaut und dann hat er den Franz ausgesucht und Adal-
bert, der unser Klassenerster ist und der Liebling unserer
Lehrerin, und mich. »Schade, daß es keine Mädchen sind«,
hat der Rektor gesagt. »Man könnte sie in die Nationalfar-
ben kleiden oder könnte ihnen farbige Bänder ins Haar
flechten, das macht doch immer wieder einen festlichen
Eindruck.« Franz hat gesagt, wenn einer kommt und will
ihm farbige Bänder ins Haar flechten, der soll sich vorse-
hen, nämlich dann raucht's. Der Rektor hat sich ganz
schnell rumgedreht und hat Franz angeguckt, ein Auge
weit offen und das andere ganz zugekniffen, weil er die Au-
genbraue drübergezogen hat. »Was hast du gesagt?« hat
der Rektor gefragt. Aber unsere Lehrerin ist ganz schnell
dazwischen gekommen und hat gesagt: »Nichts, Herr Rek-
tor, er hat gehustet.« – »Das stimmt nicht, Fräulein«, hat
Adalbert gerufen, »ich hab's genau gehört, er hat gesagt . .
.« Aber die Lehrerin hat ihn nicht ausreden lassen, sondern
hat gesagt, er soll still sein, wenn er nicht gefragt ist.
»Siehst du wohl, du dreckiger Angeber«, hat Franz gesagt
und Adalbert hat angefangen zu heulen und hat gesagt,
immer sind alle gegen ihn und er ist so unglücklich und
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ihm ist schon wieder ganz schlecht und er sagt es seinem
Vater und dann wird man schon sehen, was passiert und
die Lehrerin hat zu Franz gesagt, er darf auch nicht spre-
chen ohne gefragt zu sein und der Rektor ist sich mit der
Hand über die Stirn gefahren, wie wenn er sich abtrocknen
wollte und er hat die Lehrerin gefragt, ob die interessante
Konversation jetzt vielleicht beendet ist und man kann wei-
termachen. Unsere Lehrerin, die ist ganz rot geworden,
aber das steht ihr gut, sie sieht dann beinah so nett aus wie
Mama. Aber bei uns wird eigentlich Papa öfter rot als Ma-
ma.
»Gut«, hat der Rektor gesagt, »also diese drei Kinder gehen
dem Herrn Minister entgegen und überreichen ihm die
Blumen. Jetzt brauchte ich irgendwas, was so aussieht wie
ein Blumenstrauß – nur für die Probe.« Herr Hühnerbrüh,
der Hilfslehrer, hat gesagt: »Ich habe eine Idee, Herr Rektor
–ich bin sofort zurück«, und er ist in die Schule gelaufen
und ist mit drei Staubwedeln zurückgekommen. Unser
Rektor hat ein bißchen überrascht ausgesehen, aber dann
hat er gesagt, na gut, für die Probe kann das schließlich
genügen. Hühnerbrüh hat jedem von uns dreien einen
Staubwedel in die Hand gegeben, dem Franz, dem Adalbert
und mir. »Gut«, hat der Rektor gesagt, »und jetzt bin ich
der Herr Minister und ihr, ihr kommt mir entgegen und
überreicht mir die Staubwedel.« Wir haben das gemacht
und haben ihm die Staubwedel gegeben. Der Rektor hat die
drei Staubwedel in der Hand gehabt, aber auf einmal ist er
wütend geworden. Er hat Georg angesehen und hat gesagt:
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»Du – da hinten! Ich habe gesehen, daß du gelacht hast. Du
sagst uns jetzt sofort, was es zu lachen gibt! Wird's bald?«
»Ich mußte so lachen, Herr Rektor«, hat Georg geantwor-
tet, »nämlich ich habe mir vorgestellt, wie Nick und Franz
und der dreckige Ranschmeißer Adalbert die bunten Bän-
der in den Haaren haben.«
»Du willst wohl eins mit der Faust auf die Nase haben?« hat
Franz gerufen und ich habe ganz schnell »ja« gerufen und
da hat Georg mir eine reingehauen. Wir haben angefangen,
uns zu verhauen, und die andern Kameraden haben mit-
gemacht, außer Adalbert, der hat sich wieder auf der Erde
rumgewälzt und hat geschrien, er ist kein dreckiger
Ranschmeißer und immer sind alle gegen ihn und sein Pa-
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pa beschwert sich beim Minister. Der Rektor hat mit den
Staubwedeln gefuchtelt und hat geschrien: »Aufhören! So-
fort aufhören!« Alles lief durcheinander und Fräulein
Vanderberg ist in Ohnmacht gefallen und es war prima.
Am nächsten Morgen ist der Minister gekommen und alles
hat gut geklappt. Aber wir haben ihn nicht gesehen, näm-
lich wir waren in der Waschküche vom Hausmeister und
der Minister hätte uns gar nicht besuchen können, denn
die Tür war zugesperrt.
Der Rektor hat vielleicht komische Ideen!

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Ich geh weg von Hause

Ich bin von zu Hause weggegangen! Ich spielte gerade im


Wohnzimmer und ich war ganz artig und auf einmal ist
Mama reingekommen und hat mit mir geschimpft, bloß
weil ich eine Flasche Tinte über den neuen Teppich ge-
schüttet habe. Ich habe angefangen zu weinen und ich habe
zu Mama gesagt, ich gehe weg von zu Hause und dann tut's
dir leid und Mama hat gesagt: »Jetzt hör auf damit, ich
muß noch einkaufen, sonst ist es zu spät«, und sie ist weg.
Ich bin in mein Zimmer raufgegangen, um alles zusam-
menzupacken, was ich brauche wenn ich weggehen will.
Ich hab meine Schulmappe genommen und hab gepackt:
zuerst das kleine rote Auto von Tante Eugenie, dann die
Lokomotive von dem Uhrwerk–Zug, mit dem einen Güter-
wagen, der noch übrig ist, nämlich die andern sind kaputt –
und ein Stück Schokolade, das noch vom Nachmittagskaf-
fee übrig–geblieben war. Und dann habe ich meine Spar-
büchse mitgenommen, man weiß nie – kann sein, ich
brauch mal Geld und dann hab ich was bei mir. Zum Glück
war Mama nicht da, denn Mama hätte mir bestimmt verbo-
ten, von zu Hause wegzugehen. Wie ich auf der Straße war,

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bin ich gerannt. Papa und Mama werden schrecklich trau-
rig sein und ich komme erst viel später wieder, wenn sie
schon ganz alt sind, so alt wie Oma – und dann bin ich
reich und habe ein großes Flugzeug und ein großes Auto
und einen eigenen Teppich, wo ich soviel Tinte
draufschütten kann wie ich will und dann freuen sie sich,
wenn sie mich wiedersehn.
Wie ich so gelaufen bin, bin ich an Ottos Haus vorbeige-
kommen. Otto ist mein Schulkamerad – der Dicke, der
immer Hunger hat, ich hab vielleicht schon von ihm er-
zählt. Otto hat vor der Haustür gesessen und er hat ein
Stück Lebkuchen gegessen. »Wo gehst du denn hin?« hat
Otto gefragt und er hat ein großes Stück von seinem Leb-
kuchen abgebissen. Ich habe ihm erklärt, daß ich von zu
Hause weggehe und ich habe gefragt, ob er nicht mitgehen
will. »Wenn wir wiederkommen«, habe ich gesagt, »– nach
vielen Jahren natürlich –, dann sind wir furchtbar reich und
haben Flugzeuge und Autos und unsere Papas und Mamas
freuen sich ganz toll, daß wir wieder da sind und dann
schimpfen sie bestimmt nicht mehr mit uns.« Aber Otto
hat keine Lust gehabt, mitzugehen. »Ich bin doch nicht
verrückt«, hat er gesagt. »Meine Mutter macht heute abend
Sauerkraut mit Speck und Würstchen – da kann ich doch
nicht weggehen.« Ich habe gesagt, auf Wiedersehen, Otto,
und er hat gewinkt, mit der Hand, die er frei hatte, nämlich
mit der andern mußte er ein Stück Lebkuchen in den Mund
schieben.

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An der Straßenecke habe ich ein bißchen gerastet, nämlich
durch Otto habe ich Hunger gekriegt und ich habe das
Stück Schokolade aufgegessen, weil ich dachte, das wird
mir Kraft geben für die Reise, denn ich will ganz weit weg,
wo Papa und Mama mich nicht finden, nach China oder
nach Norderney, wo wir voriges Jahr in Ferien waren und es
ist ganz toll weit weg von zu Hause und da gibt es Mu-
scheln und richtiges Meer.
Aber um ganz weit wegzugehen, muß man sich wahr-
scheinlich doch ein Auto kaufen oder ein Flugzeug. Ich ha-
be mich an den Straßenrand gesetzt und habe meine Spar-
büchse kaputtgemacht und das Geld gezählt. Für ein Auto
und für ein Flugzeug war es sowieso nicht genug, deshalb
bin ich in eine Konditorei gegangen und habe mir einen
Mohrenkopf mit Sahne gekauft – phantastisch!
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Wie ich den Mohrenkopf aufgegessen hatte, hab ich ge-
dacht, ach was, ich geh zu Fuß weiter, das dauert zwar län-
ger, aber ich brauch ja nicht pünktlich nach Hause und
nicht in die Schule, ich hab ja Zeit genug. An die Schule
hatte ich noch gar nicht gedacht und jetzt habe ich mir
vorgestellt, wie die Lehrerin morgen in der Klasse sagt:
»Der arme kleine Nick ist ganz allein in die weite Welt ge-
gangen und wenn er wiederkommt, dann ist er sehr reich
und hat ein Auto und ein Flugzeug.« Und dann sprechen
alle von mir und machen sich Sorgen um mich und Otto
wird es leid tun, daß er nicht mitgegangen ist und das ist
prima.
Ich bin immer weitergelaufen, aber ich hab schon angefan-
gen, müde zu werden und es ging auch nicht sehr schnell.
Ich muß erzählen, daß ich nicht so lange Beine habe wie
mein Freund Max, aber ich konnte mir ja schließlich nicht
die Beine von Max ausleihen. Wie ich darüber nachgedacht
hab, ist mir was eingefallen: ich könnte einen von meinen
Klassenkameraden fragen, ob er mir sein Fahrrad leiht. Ich
bin gerade an dem Haus vorbeigekommen, wo Chlodwig
wohnt. Chlodwig hat ein prima Fahrrad, ganz gelb und es
funkelt und blitzt nur so, aber es ist blöd, nämlich
Chlodwig leiht seine Sachen nicht gern her.
Ich habe an der Haustür geläutet und Chlodwig ist selbst
gekommen und hat mir die Tür aufgemacht. »Nanu, Nick«,
hat er gesagt. »Was willst du denn?«
»Dein Fahrrad«, hab ich gesagt, aber da hat Chlodwig ein-
fach die Tür zugemacht. Ich habe nochmal geläutet, aber
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Chlodwig hat nicht mehr aufgemacht und da habe ich mei-
nen Finger ganz lange auf dem Klingelknopf gelassen. Ich
habe gehört, wie Chlodwigs Mama von drinnen gerufen
hat: »Chlodwig – mach doch die Türe auf!« Chlodwig hat
die Türe aufgemacht, aber er war nicht so begeistert, wie er
gesehen hat, daß ich immer noch da bin. »Ich brauch dein
Fahrrad, Chlodwig«, hab ich gesagt. »Ich bin von zu Hause
weggelaufen und mein Papa und meine Mama werden sich
ganz toll Sorgen machen um mich und wenn ich wieder-
komme, nach vielen Jahren natürlich, dann bin ich ganz
reich und habe ein Auto und ein Flugzeug.« Chlodwig hat
gesagt, gut, wenn ich wieder da bin, dann kann ich ja mal
vorbeikommen, und wenn ich reich genug bin, verkauft er
mir vielleicht sein Fahrrad. Das hat mir nicht besonders
gepaßt, was Chlodwig gesagt hat, aber ich habe gedacht,
naja, ich muß eben sehen, daß ich Geld bekomme und
dann kann ich Chlodwig das Fahrrad abkaufen. Er ist ziem-
lich hinter dem Geld her, der Chlodwig.
Ich hab mir überlegt, wo ich das Geld herholen soll. Arbei-
ten konnte ich ja nicht, weil Samstag war. Da habe ich

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gedacht, vielleicht kann ich die Spielsachen verkaufen, die
ich in meiner Schulmappe habe, das Auto von Tante Euge-
nie und die Lokomotive und den Güterwagen, der einzige
der noch da ist, die andern sind kaputt. Auf der andern
Straßenseite ist ein Spielzeugladen gewesen und ich habe
mir gedacht, das muß die Leute doch interessieren. Ich bin
in den Laden rein und da war ein freundlicher Herr, der hat
mich angelächelt und hat gefragt: »Du möchtest dir sicher
etwas Hübsches kaufen, nicht wahr, kleiner Mann? Was
darf's denn sein? Ein Ball? Oder ein paar Glasknicker?« Ich
habe gesagt, ich will überhaupt nichts kaufen, sondern im
Gegenteil, ich will Spielsachen verkaufen. Und ich hab
meine Mappe aufgemacht und habe das Auto und die Lo-
komotive vor dem Ladentisch auf den Boden gestellt. Der
freundliche Herr hat sich über den Ladentisch gebeugt und
hat ein ganz erstauntes Gesicht gemacht. »Aber ich kaufe
doch keine Spielsachen, kleiner Mann! Ich verkaufe!« Da
hab ich ihn gefragt, wo er denn die Spielsachen findet, die
er verkauft, nämlich das würde mich mal interessieren.
»Aber . . . aber . . .«, hat er gesagt, der freundliche Herr,
»ich finde sie nicht – ich kaufe sie.«
»Na gut, dann kaufen Sie mir meine ab«, habe ich zu dem
Herrn gesagt. »Ja aber«, hat er wieder gemacht, der freund-
liche Herr, »du verstehst mich nicht: ich kaufe sie natür-
lich, aber nicht von dir. Ich kann sie dir wohl verkaufen,
aber ich kaufe die Spielsachen von der Spielzeugfabrik, und
du – eh – das heißt . . .« Und er hat gehustet und dann hat
er gesagt, er erklärt es mir später, wenn ich groß bin und es
148
verstehen kann. Er hat natürlich nicht gewußt, daß ich spä-
ter, wenn ich groß bin, kein Geld mehr nötig habe sondern
ich bin sehr reich und habe ein Auto und ein Flugzeug. Ich
habe angefangen zu weinen. Der Herr war sehr verlegen
und dann hat er hinter dem Ladentisch gesucht und hat
mir ein kleines Auto geschenkt und er hat gesagt, jetzt wird
es aber Zeit, daß ich gehe, es ist schon spät und er muß den
Laden schließen und solche Kunden wie ich haben ihm ge-
rade noch gefehlt, so kurz vor Feierabend. Ich bin raus aus
dem Laden mit dem kleinen Zug und den beiden Autos und
ich hab mich ganz toll gefreut.
Es war wirklich schon spät und es fing schon an dunkel zu
werden und auf der Straße waren keine Leute mehr und da
bin ich aber gerannt. Wie ich zu Hause angekommen bin,
hat Mama geschimpft, weil ich so spät zum Abendbrot
komme – immer dasselbe!
Aber ich habe mir vorgenommen: morgen geh ich weg von
zu Hause! Papa und Mama werden sich Sorgen machen und
ich komme erst nach vielen vielen Jahren wieder und dann
bin ich reich und hab ein Auto und ein Flugzeug!

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