Entdecken Sie eBooks
Kategorien
Entdecken Sie Hörbücher
Kategorien
Entdecken Sie Zeitschriften
Kategorien
Entdecken Sie Dokumente
Kategorien
Ulrich Harten
Physik
Eine Einführung für Ingenieure und Naturwissenschaftler
Die Darstellung von manchen Formeln und Strukturelementen war in einigen elektronischen
Ausgaben nicht korrekt, dies ist nun korrigiert. Wir bitten damit verbundene Unannehmlich-
keiten zu entschuldigen und danken den Lesern für Hinweise.
Ergänzendes Material zu diesem Buch finden Sie auf www.springer.com und auf der
Internetseite zum Buch unter www.physik.hs-mannheim.de/physikbuch
Springer Vieweg
© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht aus-
drücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das
gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die
Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk be-
rechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der
Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann
benutzt werden dürften.
Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in
diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch
die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des
Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen
und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral.
Diese Auflage wurde komplett neu und in Farbe gesetzt. Dadurch ergab sich die Möglichkeit, an
vielen Stellen kleine und größere Änderungen vorzunehmen und neue, bunte Bilder einzufügen.
In der Mechanik gibt es nun ein Kapitel, wie sie mal was auf Ihrem Smartphone ausprobieren
können. In der Elektrizitätslehre habe ich das Buch an den üblichen Vorlesungsverlauf (erst
werden die elektrischen Felder behandelt und dann die Stromkreise) angepasst.
Ich danke allen Lesern, die Fehlerhinweise gegeben haben. Die Betreuung dieses Buches beim
Verlag lag wieder in den Händen von Frau Kollmar-Thoni und Frau Hestermann-Beyerle. Ihnen
gilt mein besonderer Dank für die vielfältigen Hilfen.
Ulrich Harten
Frühjahr 2017
VII
Vorwort
Die Naturgesetze galten schon, als die Erde noch wüst und leer war. Verstöße gegen sie werden
nicht bestraft, sie sind gar nicht erst möglich. Wer verstehen will, was um ihn herum passiert
oder gar technische Prozesse oder Maschinen entwickeln will, die auch tun, was sie sollen, der
muss die Naturgesetze kennen. Die fertige Maschine wird sich erbarmungslos an sie halten.
Dieses Buch will Studienanfängern, die sich im Nebenfach mit Physik zu befassen haben, ein
leidliches Verständnis der wichtigsten physikalischen Gesetze vermitteln. Dies ist absichtsvoll
so vorsichtig formuliert, denn leider sind die meisten Gesetze keineswegs einfach zu verstehen.
Quantenphysik und Relativitätstheorie sind weitgehend ausgespart, denn hier kann der, der
sich nur nebenbei mit Physik beschäftigt, nur ein sehr oberflächliches Verständnis erwerben
und für den Ingenieur sind diese Gebiete praktisch ohne Bedeutung.
Die „klassische“ Physik ist schwierig genug. Die Erfahrung zeigt, dass schon die Newton´sche
Mechanik Studienanfängern große Schwierigkeit bereitet. Zu verlockend ist die anschauliche
Mechanik, die noch auf Aristoteles zurückgeht und sich vielleicht so auf den Punkt bringen
lässt: Ein Gegenstand bewegt sich immer in die Richtung, in die er gezogen wird. Das ist selbst
in einfachen Alltagssituationen falsch, und dies zu verstehen erfordert schon einiges Abstrak-
tionsvermögen. Es erfordert außerdem die Bereitschaft, sich auf einige Mathematik einzulassen,
auf die in der Physik nicht verzichtet werden kann.
Es geht mir mit diesem Buch also vor Allem um das Verstehen scheinbar einfacher Dinge. Ein so
relativ kurzes Lehrbuch kann keine Vollständigkeit beanspruchen. Die Stoffauswahl orientiert
sich an dem, was typischerweise an einer Fachhochschule gelehrt wird, ist aber natürlich auch
persönlich gefärbt. Mancher Dozent wird also in seiner Vorlesung auch Themen behandeln,
die in diesem Buch nur knapp erwähnt sind. Besteht dann weiterer Lesebedarf, so gibt es sehr
gute “dicke” Physikbücher, im Springer Verlag den „Gerthsen“ und den „Hering“, die dann
weiterhelfen, sonst aber vielleicht wieder zu viel des Guten sind.
Unentbehrlich beim Lernen sind Rechenbeispiele und Übungsaufgaben. Wenn es schon Physik
sein muss, so hätte der Student sie gerne an Beispielen aus seinem Fachgebiet erläutert. Dies hat
aber Grenzen, denn da wird es schnell zu kompliziert für den Anfang. Ich habe mich bemüht,
anschauliche Beispiele, die vor Allem an Alltagserfahrungen anknüpfen, zu finden.
Viele Zusammenhänge in der Physik lassen sich am besten an bewegten Bildern veranschau-
lichen. Auf einer Internetseite zu diesem Buch (www.physik.hs-mannheim.de/physikbuch) gebe
ich Ihnen ständig aktualisierte Hinweise auf solche Animationen im Internet.
Inhaltsverzeichnis
1 Grundbegriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.1 Physikalische Größen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
1.1.1 Physikalische Größen und ihre Einheiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
1.1.2 SI Einheitensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.1.3 Dimensionskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.2 Mengenangaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.2.1 Masse und Stoffmenge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.2.2 Dichten und Gehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
1.3 Statistik und Messunsicherheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.3.1 Messfehler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.3.2 Mittelwert und Streumaß. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.3.3 Messunsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.3.4 Fehlerfortpflanzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.4 Vektoren und Skalare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
1.5 Wichtige Funktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1.5.1 Winkelfunktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1.5.2 Exponentialfunktion und Logarithmus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
1.5.3 Potenzfunktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
1.5.4 Algebraische Gleichungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
1.6 Fragen und Übungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
5 Wärmelehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
5.1 Die Grundlegenden Größen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
5.1.1 Wärme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
5.1.2 Temperatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
5.1.3 Temperaturmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
5.1.4 Wahrscheinlichkeit und Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
5.1.5 Die Entropie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
5.1.6 Wärmekapazität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
5.2 Das ideale Gas.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
5.2.1 Die Zustandsgleichung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
5.2.2 Partialdruck. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
5.2.3 Die Energie im Gas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
5.3 Transportphänomene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
5.3.1 Wärmeleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
5.3.2 Konvektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
5.3.3 Wärmestrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
5.3.4 Diffusion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
5.3.5 Osmose. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
5.4 Phasenumwandlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
5.4.1 Umwandlungswärmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
5.4.2 Schmelzen oder Aufweichen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
5.4.3 Schmelzen und Gefrieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
5.4.4 Lösungs- und Solvatationswärme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
5.4.5 Verdampfen und Kondensieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
5.4.6 Luftfeuchtigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
5.4.7 Zustandsdiagramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
5.4.8 Absorption und Adsorption. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
5.5 Wärmenutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
5.5.1 Warum kostet Energie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
5.5.2 Zustandsänderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
5.5.3 Der Ottomotor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
5.5.4 „Echte“ Wärmekraftmaschinen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
5.5.5 Wärme- und Entropiehaushalt der Erde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
5.6 Fragen und Übungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
6 Elektrizitätslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
6.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
6.1.1 Ladung und Strom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
6.1.2 Kräfte zwischen Ladungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
6.1.3 Elektrisches Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
6.1.4 Feld und Spannung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
6.1.5 Das elektrische Potential. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
6.2 Materie im elektrischen Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
6.2.1 Influenz und elektrische Abschirmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
XI
Inhaltsverzeichnis
7 Optik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
7.1 Elektromagnetische Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
7.1.1 Der strahlende Dipol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
7.1.2 Spektralbereiche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
7.1.3 Wellenausbreitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
7.2 Geometrische Optik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
7.2.1 Lichtbündel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
7.2.2 Spiegelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
7.2.3 Brechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
7.2.4 Dispersion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
7.2.5 Linsen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
7.2.6 Abbildung durch Linsen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
7.2.7 Abbildungsgleichungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
7.2.8 Dicke Linsen und Objektive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
7.2.9 Das Auge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
7.2.10 Optische Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
7.3 Intensität und Farbe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
7.3.1 Strahlungs- und Lichtmessgrößen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
7.3.2 Optische Absorption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
7.3.3 Farbsehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
7.4 Wellenoptik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
7.4.1 Polarisiertes Licht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
7.4.2 Interferenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
7.4.3 Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
7.4.4 Dünne Schichten und Beugungsgitter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
7.4.5 Beugungsfiguren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
7.5 Quantenoptik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
7.5.1 Das Lichtquant. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
7.5.2 Energiezustände und Spektren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
7.5.3 Laser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
7.5.4 Röntgenstrahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
7.6 Elektronenoptik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
7.6.1 Elektronenbeugung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
7.6.2 Elektronenmikroskope. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
7.6.3 Die Unschärferelation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
7.7 Fragen und Übungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
Anhang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380
Hinweise zum Gebrauch des Buches
Lernen ist Arbeit. Darum passt ein Schreib- sollte zumindest versucht werden, sie selbst zu
tisch besser zum Lehrbuch als ein Ohrensessel. lösen. Die Übungsaufgaben sind nach Schwie-
Für die Physik gilt das in besonderem Maße, rigkeitsgrad sortiert: (I) leicht; (II) mittel; (III)
denn sie macht Gebrauch von der Mathema- schwer. Weitere Kontrollfragen gibt es auf der
tik. Formeln im Kopf umzuformen und auszu- Internetseite.
rechnen, grenzt an Leichtsinn. Darum hält der Vieles in der Physik lässt sich nicht beant-
Kundige stets Bleistift, Papier, Taschenrechner worten ohne die Kenntnis einzelner Natur-
und Radiergummi griffbereit. und Materialkonstanten. Nur wenige ver-
dienen es, auswendig gelernt zu werden; den
Kleingedrucktes darf der eilige Leser überschlagen,
Rest schlägt man nach. Was der Inhalt dieses
ohne gleich befürchten zu müssen, dass er den Faden
verliert. Er verzichtet lediglich auf etwas Butter zum
Buches verlangt, findet sich im Anhang.
Brot. Zu diesem Buch gibt es eine Internetseite.
Sie enthält Hinweise auf interessante andere
Merke Internetseiten. Manche Zusammenhänge
lassen sich viel besser anhand von bewegten
Was so markiert ist, gehört zum Bildern verstehen, die der Buchdruck nicht
Grundwissen. bieten kann. Deshalb wird in einigen Bild-
unterschriften auf die Internetseite hingewie-
sen („Animationen im Web“). Eine PDF-Seite
Lernen erschöpft sich nicht im Aufnehmen vorge-
druckter Gedankengänge: Es erfordert eigenes Tun.
dort enthält Links zu passenden Animationen,
die frei im Internet verfügbar sind. Außerdem
finden Sie auf der Internetseite Multiple-Choi-
Rechenbeispiel 1.1: Wie geht das? ce-Fragen, die sie zusätzlich zur Lernkontrolle
Aufgabe: Man sollte gleich probieren, verwenden können.
die Aufgabe selbst zu lösen. Sie finden die Internetseite am schnells-
Lösung: Hier wird die Lösung ten, indem sie bei www.Springer.de in die Kata-
ausführlich beschrieben. logsuche die ISBN-Nummer des Buches ein-
geben. Sie gelangen dann auf die Katalogseite
des Buches, auf der sie auf „weitere Informa-
In Kürze tionen“ klicken können oder sie gehen direkt
Diese Lerntabellen am Ende der Kapitel fassen
zur Internetadresse: www.physik.hs-mannheim.
den Inhalt noch einmal zusammen und sollen
insbesondere bei der Prüfungsvorbereitung de/physikbuch
helfen.
Halbwertszeit T1/2 : Zeit, in der die
Hälfte des Wissens
zerfällt [s]
a Jahr
A Ampère (Stromeinheit)
A Fläche(-ninhalt)
A0 Amplitude (einer Schwingung)
a, b, c Vektoren
a,(a) Beschleunigung, (Betrag)
a ,(a )
z z
Zentralbeschleunigung (bei einer Kreisbewegung)
B,(B) magnetische Flussdichte, (Betrag)
b Bildweite (Optik)
e Euler´sche Zahl
e0 Elementarladung
E Elastizitätsmodul
E,(E) elektrische Feldstärke, (Betrag)
g Fallbeschleunigung
g Gegenstandsweite (Optik)
G Gravitationskonstante, elektrischer Leitwert
v,(v) Geschwindigkeit, (Betrag)
h Stunde
h Höhe, Planck´sches Wirkungsquantum
hcv Wärmeübergangskoeffizient (Konvektion)
∆h Höhenunterschied
H,(H) magnetische Feldstärke
XVI Liste der Formelzeichen
J Trägheitsmoment
j Teilchenstromdichte
j Q Wärmestromdichte
J Joule (Energieeinheit)
k Kompressibilität
k, kB Bolzmannkonstante
k(λ) Extinktionskonstante (Optik)
K Kelvin (Temperatureinheit)
kg Kilogramm (Masseneinheit)
l , ∆l Länge, Längenänderung
leff effektiver Hebelarm
L,(L) Drehimpuls, (Betrag)
L Induktivität
m Masse
m magnetisches Moment
m Meter (Längeneinheit)
min Minute
M molare Masse
n Brechungsindex (Optik)
n Anzahldichte, Anzahl der Mole
N Anzahl
N Newton (Krafteinheit)
N A Avogadro-Konstante, Logschmidt-Zahl
p Druck
p D Dampfdruck
p,(p) Impuls, Dipolmoment, (Betrag)
P Leistung
Pa Pascal (Druckeinheit)
Q, q Ladungsmenge
Q Wärmemenge, Kompressionsmodul
r Abstand, Radius
R elektrischer Widerstand, Strömungswiderstand
R C kapazitiver Widerstand
R i Innenwiderstand
R L induktiver Widerstand
R Gaskonstante, Reflexionsvermögen (Optik)
R e Reynold-Zahl
s Sekunde (Zeiteinheit)
s Standardabweichung
s Strecke
s 0 Anfangsort
t Zeit
T1/2 Halbwertszeit
T Schwingungsdauer, Periode
T Temperatur
XVII
Liste der Formelzeichen
T Tesla (Magnetfeldeinheit)
T,(T) Drehmoment, (Betrag)
u atomare Masseneinheit
u(X) Messunsicherheit der Größe X
U elektrische Spannung, innere Energie
Ueff , Ieff Effektivwerte von Spannung und Strom
v 0 Anfangsgeschwindigkeit
V Volt (Spannungseinheit)
V Volumen
V n Molvolumen
V S spezifisches Volumen (Kehrwert der Dichte)
w Energiedichte
W Watt (Leistungseinheit)
W Arbeit
Wel elektrische Energie
Wkin kinetische Energie
Wpot potentielle Energie
Z Kernladungszahl
α linearer Ausdehnungskoeffizient
α Absorptionsvermögen
α, β, γ Winkel
β Volumenausdehnungskoeffizient
βgrenz Grenzwinkel der Totalreflexion
Γ Vergrößerung (Optik)
δ Dämpfungskonstante (Schwingungen)
ε Energiedichte
ε 0 elektrische Feldkonstante
ε r relative Permittivität (Dielektrizitätskonstante)
η Nutzeffekt, Wirkungsgrad, Viskosität
λ Wellenlänge, Wärmeleitfähigkeit, Widerstandsbeiwert (Strömung)
µ elektrische Beweglichkeit
µ 0 magnetische Feldkonstante
µGl Gleitreibungskoeffizient
µ H Haftreibungskoeffizient
µ m Massenschwächungskoeffizient (Röntgenstrahlen)
µ r relative Permeabilität
ρ Massendichte
ρ Reflexionsvermögen (Optik)
ρ spezifischer elektrischer Widerstand
ρ D Dampfdichte
σ elektrische Leitfähigkeit
σ mechanische Spannung, Oberflächenspannung
σ Strahlungskonstante (Optik)
τ Zeitkonstante
Φ magnetischer Fluss, Strahlungsfluss (Optik)
φ 0 Phasenwinkel (gesprochen: fi)
ω = 2π∙f Kreisfrequenz
ω Öffnungswinkel (Optik)
Ω Ohm (Einheit des elektrischen Widerstandes)
1 1
Grundbegriffe
1.1 Physikalische Größen – 2
1.1.1 Physikalische Größen und ihre Einheiten – 2
1.1.2 SI Einheitensystem – 4
1.1.3 Dimensionskontrolle – 5
1.2 Mengenangaben – 6
1.2.1 Masse und Stoffmenge – 6
1.2.2 Dichten und Gehalte – 7
70
60
0
senschaft; sie beruht auf Messung und Experiment.
50
0
40
0
Daraus folgt eine intensive Nutzung mathemati-
30
0
20
0
scher Überlegungen, denn Messungen ergeben
10
0
0
Zahlenwerte, und die Mathematik ist primär für den 6
Umgang mit Zahlen erfunden worden. Die Natur ist 5
damit einverstanden. Selbst rechnet sie zwar nicht, 4
S3D
aber wenn der Mensch ihre Gesetzmäßigkeiten ein- 3
2
fach und korrekt beschreiben will, dann tut er dies
1
am besten mit Hilfe mathematischer Formeln und
0
Kalküle. 0 10 20 30
40 50 60
9,PRO±
Das Produkt Gewichtskraft mal Hubhöhe gibt Alle Materie besteht aus Atomen, die sich, von
1 die Hubarbeit, also eine Energie W. Ihr gebührt wenigen Ausnahmen abgesehen, zu Molekülen
demnach die Einheit: zusammenlegen. Ein natürliches Maß für die Menge
einer Substanz wäre die Anzahl N ihrer Moleküle.
kg ⋅ m m2 m 2
1N ⋅ m=1 ⋅ m=1kg ⋅ 2 =1kg ⋅ Freilich, Moleküle sind klein und entsprechend zahl-
s 2 s s
reich; zu handlichen Mengen gehören unhandlich
Woraus folgt, dass auch das Produkt Masse große Anzahlen, weit über 1020. Um sie zu vermei-
mal Geschwindigkeitsquadrat v 2 die Dimen- den, hat man in das Système International d'Unités
sion einer Energie besitzt. In der Tat gilt für die eine spezielle, zu N proportionale Grundgröße ein-
Bewegungsenergie: gefügt: die Stoffmenge n mit der Einheit Mol („abge-
kürzt“ mol). Die Proportionalitätskonstante heißt
1
Wkin = m ⋅ v 2. Avogadro-Konstante N A = 6, 0220 ⋅1023mol−1.
2
Hier zeigt sich freilich auch eine Schwäche der
Dimensionsanalyse: Reine Zahlenfaktoren wie hier Merke
das ½ vermag sie nicht zu erkennen.
Die Stoffmenge n ist die Anzahl der Mole, ein
Maß für die Anzahl der Teilchen in einer Probe:
1.2 Mengenangaben 1 mol = 6,0220·1023 Teilchen.
spezifische Größen:
55Massendichte ρ = m (oft angegeben in
1.2.2 Dichten und Gehalte g ) V
cm3
V
55Kehrwert = = spezifisches Volumen
Volumen, Masse und Stoffmenge sind Kenngrößen m
einzelner Substanzproben, eines silbernen Löffels 55Stoffmengendichte = n
V
etwa, eines Stücks Würfelzucker, einer Aspirin-Ta- 55Kehrwert = V = molares Volumen =
blette; sie sind keine Kenngrößen von Substanzen n
Molvolumen
wie Silber, Saccharose oder Acetylsalicylsäure. Vom
Wasser wurde schon gesagt, dass ein Liter eine Masse
von 1000 g hat; beim Silber sind es 10,5 kg und bei der
Saccharose 1586 g. Zwei Liter wiegen jeweils doppelt Für die Verkehrstüchtigkeit eines Autofahrers spielt
soviel und 0,5 l die Hälfte. Der Quotient aus Masse es eine erhebliche Rolle, ob er gerade eine halbe
und Volumen ist substanztypisch. Man nennt ihn Flasche Bier oder eine halbe Flasche Schnaps getrun-
ken hat. Jeder Doppelkorn enthält mehr Alkohol als
Masse m
Dichte ρ = das stärkste Bockbier. Was ist damit gemeint? Spiritu-
Volumen V
osen sind Mischungen, im Wesentlichen aus Alkohol
Manchmal empfiehlt sich der Name Massendichte, und Wasser; die wichtigen Geschmacksstoffe, die
um deutlich von der z. B. Kirschwasser von Himbeergeist unterscheiden,
spielen mengenmäßig kaum eine Rolle. Zur Kenn-
Stoffmenge
Stoffmengendichte = zeichnung eines Gemisches kann einerseits der
Volumen
Gehalt dienen
zu unterscheiden. Wenn man diese mit der Avogad-
Teilmenge
ro-Konstanten multipliziert, erhält man die Gehalt =
Gesamtmenge
Teilchenanzahl
Teilchenanzahldichte = Als Quotient zweier Mengen ist er eine reine Zahl
Volumen
und lässt sich darum auch in Prozent angeben. Beim
Die Kehrwerte der ersten beiden Dichten bekommen Blutalkohol bevorzugt man das um einen Faktor
Namen. Massenbezogene Größen heißen üblicher- 10 kleinere Promille, bei Spuren von Beimengun-
weise „spezifisch“, also gen das ppm; die drei Buchstaben stehen für „parts
per million“, also 10−6. Hochentwickelte Spuren-
Volumen 1
spezifisches Volumen Vs = = analyse dringt bereits in den Bereich ppb ein, „parts
Masse Dichte
per billion“; gemeint ist 10−9, denn im Angelsächsi-
Der Kehrwert der Stoffmengendichte müsste korrekt schen entspricht „billion“ der deutschen Milliarde
„stoffmengenbezogenes Volumen“ genannt werden. (=109) und nicht der Billion (=1012). Die Summe
Das ist zu umständlich, darum spricht man lieber aller Gehalte einer Mischung muss notwendiger-
vom weise eins ergeben.
Auf welche Mengenangabe sich ein Gehalt
Volumen
Molvolumen Vn = , bezieht, ist zunächst noch offen; man muss es dazu
Stoffmenge
sagen. Der
8 Kapitel 1 · Grundbegriffe
1 Massengehalt =
Masse des gelosten Stoffes
Die Stoffmengendichte des reinen Alkohols ist
Masse der Losung
dann
wird zuweilen als „Gew.%“ bezeichnet, als „Gewichts- g
790
prozent“ – und der n l = 17,18 mol .
=
V 46
g l
Volumen des gelosten Stoffes mol
Volumengehalt =
g
Volumen der Losun
Im Schnaps ist aber nur 40 % des Volumens
als „Vol.%“, als „Volumenprozent“ also. Der Alkohol, also ist hier die Stoffmengendichte
um den Faktor 0,4 kleiner:
Stoffmenge des
gelosten Stoffes
Stoffmengengehalt = g
Stoffmenge der Losung n
790
l = 6, 87 mol .
= 0, 4 ⋅
ist dem Teilchenanzahlgehalt gleich, denn die Avoga- V 46
g l
mol
dro-Konstante steht im Zähler wie im Nenner, kürzt
sich also weg. Einen Stoffmengengehalt bezeich-
net man auch als Stoffmengenanteil oder als „At.%“
(Atomprozent). ppm und ppb werden üblicherweise
nur bei Stoffmengengehalten verwendet (und nach 1.3 Statistik und Messunsicherheit
neuester Empfehlung am besten gar nicht).
Andererseits gibt es die Möglichkeit, eine Kon- 1.3.1 Messfehler
zentration mit einer Einheit anzugeben, wenn man
gelösten Stoff und Lösungsmittel mit unterschiedli- Kein Messergebnis kann absolute Genauigkeit für
chen Mengengrößen beschreibt. Gebräuchlich ist die: sich in Anspruch nehmen. Oftmals ist schon die
Messgröße selbst gar nicht präzise definiert. Wenn
c = Stoffmenge des gelosten Stoffes
Molaritat ein Straßenschild in Nikolausberg behauptet, bis
ungsmittels
Volumen des Losu
Göttingen seien es 4 km, dann genügt das für die
in Mol pro Liter und die: Zwecke des Straßenverkehrs vollauf. Gemeint ist so
etwas wie „Fahrstrecke von Ortsmitte bis Stadtzen-
b = Stoffmenge des gelosten Stoffes
Molalitat trum“. Wollte man die Entfernung auf 1 mm genau
gsmittels
Masse des Losung
angeben, müsste man zunächst die beiden Ortsan-
in Mol pro Kilogramm. gaben präzisieren, z. B. „Luftlinie von der Spitze der
Wetterfahne auf der Klosterkirche von Nikolaus-
berg bis zur Nasenspitze des Gänseliesels auf dem
Rechenbeispiel 1.1: Schnaps Brunnen vor dem alten Rathaus in Göttingen“. Der
Aufgabe: Wie groß ist die Stoffmengendichte messtechnische Aufwand stiege beträchtlich und
des Alkohols in einem Schnaps mit 40 Vol.%? Die niemand hätte etwas davon. Insbesondere auch bei
Dichte des Äthylalkohols (C2H5OH) ist 0,79 g/ml. der Genauigkeit eines Messverfahrens muss man
Lösung: Die Stoffmengendichte des reinen Aufwand und Nutzen gegeneinander abwägen.
Alkohols kann zum Beispiel als Anzahl
der Alkoholmoleküle in Mol pro Liter Merke
Alkohol angegeben werden. Dazu muss die
Massendichte durch die Molmasse M des Messfehler: Differenz zwischen Messwert und
Äthylalkohols geteilt werden. Laut Anhang grundsätzlich unbekanntem wahren Wert der
ergibt sich die Molmasse zu: Messgröße.
M (C2H 5OH ) = 2 ⋅ M (C ) + 6 ⋅ M ( H ) + M (O )
≈ 24g / mol + 6g / mol + 16g / mol = 46g / mol Messfehler lassen sich in zwei große Gruppen ein-
teilen: die systematischen und die zufälligen Fehler.
1.3 · Statistik und Messunsicherheit
9 1
Wenn man sein Lineal auf ein Blatt Karopapier legt, innerhalb einer Ernte von einem ganz bestimmten
sieht man zumeist eine deutliche Diskrepanz zwi- Feld streuen die Durchmesser verschiedener Erbsen
schen den beiden Skalen; Papier ist kein gutes Mate- deutlich. Deshalb kann nur nach einer mittleren
rial für Längenmaßstäbe. Wer sich trotzdem auf Größe gefragt werden.
sein Blatt Karopapier für eine Längenmessung ver- Nach alter Regel bestimmt man den Mittelwert
lässt, macht einen systematischen Fehler, weil die <x> einer Reihe von Messwerten xi dadurch, dass
Skala nicht genau stimmt. Grundsätzlich gilt das für man sie alle zusammenzählt und das Resultat durch
jede Längenmessung, für jede Messung überhaupt. ihre Anzahl n dividiert:
Auch Präzisionsmessinstrumente können Eichfeh- n
< x >= (x1 + … + xn) = ∑xi .
1 1
ler ihrer Skalen nicht vollständig vermeiden. Um
n n i=1
sie in Grenzen zu halten, müssen z. B. Händler ihre
Waagen von Zeit zu Zeit nacheichen lassen. Aber Der Index i läuft von 1 bis n, er kennzeichnet den
auch in Messverfahren können systematische Fehler einzelnen Messwert. Nun wird niemand alle zig-
implizit eingebaut sein. Hohe Temperaturen wird tausend Erbsen einer Ernte einzeln ausmessen, um
man oft etwas zu niedrig messen, da der Messfüh- den Mittelwert <dw> des Durchmessers zu bestim-
ler seine Temperatur erst angleichen muss und der men. Man begnügt sich mit einer Stichprobe. Zum
Benutzer vielleicht nicht die Geduld aufbringt, lange Beispiel wurden bei n = 12 willkürlich aus einer
genug zu warten. Tüte herausgegriffenen Erbsen die Quotienten
xi = di/mm gemessen und in der folgenden Werte-
Merke tabelle zusammengestellt:
x1 x2 x3 x4 x5 x6 x7 x8 x9 x10 x11 x12
Systematischer Fehler: prinzipieller Fehler des
Messverfahrens oder Messinstruments, z. B. 7, 5 7, 9 7, 6 8, 2 7, 4 8, 0 8, 0 7, 9 7, 6 7, 7 7, 2 7, 5
Eichfehler – sie treten immer wieder gleich auf, Daraus errechnet sich der Mittelwert der Stichprobe
sind also reproduzierbar. zu <x> = 92,5/12 = 7,71.
Merke
Systematische Fehler sind schwer zu erkennen; man
muss sich sein Messverfahren sehr genau und kri- Mittelwert = Quotient aus Summe und Anzahl
tisch ansehen. der Messwerte:
Der zufällige Fehler meldet sich selbst, wenn man n
< x >= (x1 + …+ xn) = ∑xi .
eine Messung wiederholt: Die Ergebnisse weichen 1 1
n n i=1
voneinander ab. Letzten Endes rührt diese Streuung
von Störeffekten her, die man nicht beherrscht und
zum großen Teil nicht einmal kennt.
unmittelbar liefern, weil sie positive wie negative Kreise). Weiterhin kann man zu jedem Messpunkt
1 Vorzeichen haben und sich zu Null aufaddieren; so einen Streubalken (der leider meistens unsinniger-
ist letzten Endes der Mittelwert definiert. Die Qua- weise als Fehlerbalken bezeichnet wird) zeichnen,
drate (xi -<x>)² sind aber wie alle Quadratzahlen der die Standartabweichung angibt.
grundsätzlich positiv. Wenn man sie addiert, durch
n-1 teilt und noch die Wurzel zieht, bekommt man
die sogenannte Standardabweichung: 1.3.3 Messunsicherheit
s=
∑ (xi− < x >)2 , Wurde zum Beispiel im Physikpraktikum ein
n −1 bestimmter Messwert x gemessen, so ist die Frage
zu stellen: wie zuverlässig ist der nun? Beantwortet
der Einfachheit halber sind hier die Grenzen der wird diese Frage mit der Angabe einer Messunsicher-
Summe nicht mitgeschrieben worden. Dass durch heit u(x). Damit sagt man folgendes: der unbekannte
n−1 und nicht durch n dividiert wird, liegt daran, wahre Wert der Größe liegt mit hoher Wahrschein-
dass man mindestens zwei Messwerte braucht, um lichkeit zwischen x − u(x) und x + u(x). Deshalb
einen Mittelwert ausrechnen zu können. schreibt man zum Beispiel für eine Längenmessung
Manche Taschenrechner erlauben, s mit einem hin: Der Abstand d beträgt
einzigen Tastendruck auszurechnen.
Die Standardabweichung lässt sich für jede Mess- d = (10, 4 ± 0, 2)cm
reihe angeben. In Diagrammen wie der . Abb. 1.3
wird man zunächst die Mittelwerte auftragen (rote 10,4 cm ist der Messwert und 0,2 cm ist die absolute
Messunsicherheit. Man kann die Messunsicherheit
auch auf den Messwert beziehen und bekommt dann
2,0
die relative Messunsicherheit:
u(d ) 0, 2
= = 0, 019
Elastizität des Blutes /P1
d 10, 4
Diese wiederum kann man in Prozent ausdrücken
1,5 und dann schreiben:
d = 10, 4 ⋅ (1 ± 1, 9%) cm
Merke
1,0
U3
U] U] Â H]
\
U\ U\ Â H\
. Abb. 1.4 Hinweisschild für einen Hydrantendeckel in
der Straße. Der Deckel befindet sich 1,2 Meter vor dem Schild U[ U[ Â H[
und 9,5 Meter nach rechts versetzt
symbolisiert wird. Auch gerichtete physikalische keine Lage. Die sie symbolisierenden Pfeile dürfen
1 Größen haben ja neben der Richtung einen Betrag: beliebig auf dem Papier herum geschoben werden –
den Betrag der Geschwindigkeit, die Stärke der Kraft, allerdings nur parallel zu sich selbst, denn das ändert
usw. Ein Vektor a kann als Produkt seines Betrages ihre Komponenten nicht. Eine Ausnahme bildet der
a und des Einheitsvektors in seiner Richtung ea Ortsvektor: Er muss beim Koordinaten-Nullpunkt
geschrieben werden. Dabei wird die Einheit der phy- beginnen und darf nicht parallelverschoben werden,
sikalischen Größe immer dem Betrag zugeordnet. denn dann endet er nicht im Punkt P.
Wenn in diesem Buch gelegentlich einfach der Buch- Die Achsen eines Koordinatensystems werden
stabe ohne Vektorpfeil geschrieben wird, so ist dann durch Einheitsvektoren in den Achsenrichtungen ex ,
immer der Betrag des Vektors gemeint, also a = a . e y und ez festgelegt. Die Komponenten eines Vektors
Ein Einheitsvektor ist ein dimensionsloser Vektor mit in diesen Richtungen können somit als Produkt
Betrag eins, hat also keine Einheit. Bei der Multipli- dieser Einheitsvektoren mit den Koordinaten des
kation eines Vektors mit einer positiven Zahl wird Vektors geschrieben werden (. Abb. 1.7). Im Falle
sein Betrag um diesen Faktor geändert, seine Rich- des Ortsvektors r(P) sind diese Koordinaten iden-
tung ändert sich nicht. tisch mit den Koordinaten des Punktes P. Es ist zu
beachten, dass die Koordinaten anders als der Betrag
Merke eines Vektors auch negativ sein können. Sie sind aber
auch physikalische Größen, haben also eine Einheit.
Ein Vektor a ist das Produkt aus (skalarem) Ist das Koordinatensystem einmal festgelegt, so ist
Betrag a und dem Einheitsvektor ea : der Vektor durch diese drei Koordinaten (im Raum)
vollständig beschrieben.
a = a ⋅ ea = ax 2 + a y 2 + az 2 ⋅ ea
Merke
F D D] \
E
D\
D F DE D[
[
. Abb. 1.6 Vektoraddition. Vektoren werden zumeist . Abb. 1.7 Vektorzerlegung. Zerlegung des räumlichen
durch einen übergesetzten Vektorpfeil gekennzeichnet. Vektors a in die drei senkrecht aufeinander stehenden
Animation im Web Komponenten a x , a y und a z
1.4 · Vektoren und Skalare
15 1
Es ist gebräuchlich, die Koordinaten eines Vektors in Vektoren darf man auch miteinander multiplizie-
eine Spalte untereinander zu schreiben. Dies verrin- ren, und da geschieht Erstaunliches: Die Mathematik
gert den Schreibaufwand: fragt nämlich zurück, was denn bitte herauskommen
solle, ein Skalar oder ein Vektor. Möglich ist beides –
a
x und die Physik beansprucht sogar beide Möglich-
a = a y keiten, denn das mathematische Produkt eines Orts-
az vektors und einer Kraft (beide Vektoren) kann eine
Energie ergeben, einen Skalar also (7 Abschn. 2.2.3),
Im Prinzip kann man zwei Vektoren mit Bleistift, es kann aber auch ein Drehmoment ergeben, und das
Lineal und Winkelmesser auf dem Papier addieren; ist ein Vektor (7 Abschn. 2.2.5). Was steckt mathema-
in der Praxis wüsste man es freilich oftmals gerne tisch dahinter?
genauer, als auf diesem Wege möglich. Wie addiert Formal kennzeichnet
man das skalare Produkt S
man zwei Vektoren mit dem Taschenrechner? Dazu zweier Vektoren A und B mit einem Malpunkt zwi-
muss man ihre Koordinaten kennen und es gilt dann: schen ihnen:
c = a + b = (ax + bx) ⋅ ex + (a y + by ) ⋅ e y + S = A⋅ B
a + b
x x Die Mathematik wünscht, den Winkel α zwischen A
(az + bz ) ⋅ ez = a y + by und B zu kennen, und bestimmt dann:
a + b
z z
S = A ⋅ B = A ⋅ B ⋅ cosα
Merke
Daraus folgt für die Grenzfälle: Stehen A und B senk-
recht aufeinander, ist ihr Skalarprodukt null – zeigen
Vektoraddition: sie in diegleiche
Richtung, ist S das Produkt ihrer
graphisch durch Aneinanderlegen der Beträge A ⋅ B . Im Allgemeinen liegt S also irgendwo
Vektorpfeile; dazwischen. Und was sagt man dem Taschenrech-
rechnerisch durch Addition der Koordinaten. ner? Wenn man die zweimal drei Komponenten der
beiden Vektoren ausmultipliziert, bekommt man
neun Produkte von je zwei Komponenten:
In kartesischen Koordinaten bildet ein Vektor mit
seinen Komponenten rechtwinklige Dreiecke; das S = A ⋅ B = ( Ax + Ay + Az ) ⋅ (Bx + B y + Bz )
vereinfacht quantitative Rechnungen: Man kann = Ax ⋅ Bx + Ax ⋅ By + Ax ⋅ Bz +
sowohl die Winkelfunktionen Sinus und Kosinus als
auch den Lehrsatz des Pythagoras leicht anwenden; Ay ⋅ Bx + Ay ⋅ B y + Ay ⋅ Bz +
allerdings muss man diesen um die dritte Vektor-
Az ⋅ Bx + Az ⋅ By + Az ⋅ Bz
komponente erweitern. Der Betrag a des Vektors
a beträgt Nun stehen in kartesischen Koordinaten aber alle
Komponenten, deren Indizes ungleich sind, senk-
a = ax 2 + a y 2 + az 2 recht aufeinander. Folglich geben ihre skalaren Pro-
dukte null, so dass nur die drei Paare der Diagona-
Die Multiplikation eines Vektors mit einer Zahl len von oben links nach unten rechts übrigbleiben:
ändert seinen Betrag um diesen Faktor. Bei diesem
S = Ax ⋅ Bx + Ay ⋅ B y + Az ⋅ Bz = Ax ⋅ Bx +
Satz muss man aufpassen: Multiplikation mit einer
negativen Zahl kehrt außerdem die Richtung des Ay ⋅ B y + Az ⋅ Bz
Vektors um.
16 Kapitel 1 · Grundbegriffe
Merke $
1
Skalares Produkt zweier Vektoren:
%
S = A ⋅ B = A ⋅ B ⋅ cos α
= Ax ⋅ Bx + Ay ⋅ By + Az ⋅ Bz.
$
U
Į V
F
U
$
$
E s
. Abb. 1.10 Winkel im Bogenmaß: α =
D r
. Abb. 1.9 Vektorielles Produkt zweier Vektoren; der
Produktvektor (Flächen A) steht senkrecht auf jedem der
Lange s des Kreisbogens
beiden Ausgangsvektoren (den Kanten der Rechtecke) Winkel α = .
Radius r des Kreises
Rechtecks ist demnach das vektorielle Produkt der Als Quotient zweier Längen ist der Winkel eine
beiden Seiten: dimensionslose Zahl. Trotzdem wird ihm zuweilen
die Einheit Radiant (rad) zugeordnet, um daran zu
A1 = a × b erinnern, dass diese Zahl einen Winkel repräsentie-
ren soll. Die Umrechnung von Winkelgrad in Bogen-
maß ist leicht zu merken: 360° entsprechen 2π rad,
1.5 Wichtige Funktionen d. h. 1°= 0,01745 rad (. Abb. 1.11).
Die Funktionen Sinus und Kosinus erlauben,
1.5.1 Winkelfunktionen Schwingungen mathematisch zu beschreiben. Lässt
man einen Punkt auf einer Kreisbahn umlaufen
Bei den Multiplikationen der Vektoren spielen die ( . Abb. 1.12), so kann man den Fahrstrahl, d. h.
beiden Winkelfunktionen Sinus und Kosinus eine die Punkt und Zentrum verbindende Gerade,
Rolle. Der Vollständigkeit halber sei hier an ihre als Hypotenuse der Länge A 0 eines rechtwink-
Definitionen im rechtwinkligen Dreieck erinnert: ligen Dreiecks mit dem Winkel α am Zentrum,
55 Sinus = Gegenkathete/Hypotenuse der Ankathete x2 und einer Gegenkathete mit der
55 Kosinus = Ankathete/Hypotenuse Länge x1 auffassen:
55 Tangens = Gegenkathete/Ankathete
55 Kotangens = Ankathete/Gegenkathete x1(α) = A0 sin α und x2(α) = A0 cos α.
Die Umkehrfunktionen zu den Winkelfunktio- Läuft der Punkt mit konstanter Geschwindigkeit um,
nen werden Arkusfunktionen genannt. Beispiels- so wächst α proportional zur Zeit t:
weise gilt: wenn sin α = a, dann gilt α = arcsin
a. Winkel misst man üblicherweise fernab von α(t) = ω ⋅ t
Dezimalsystem und SI in Winkelgrad : 90° Für
den rechten, 180° Für den gestreckten und 360°
Für den Vollwinkel „einmal herum“. Mathema-
tik und Physik bevorzugen aber das Bogenmaß. Į Į Į
Man bekommt es, indem man um den Schei- Į
tel des Winkels α einen Kreis mit dem Radius r
schlägt. Die Schenkel schneiden aus ihm einen
2 = 360˚ = 180˚ = 90˚ 1 = 57,3˚
Kreisbogen der Länge s heraus ( . Abb. 1.10 ), 2
der sowohl zu α wie zu r proportional ist. Dement- . Abb. 1.11 Zur Umrechnung von Winkelgrad in
sprechend definiert man Bogenmaß
18 Kapitel 1 · Grundbegriffe
3 \ H [ 3 \ H±[
2 2
1 1
–4 –3 –2 –1 0 1 2 3 [ –3 –2 –1 0 1 2 3 4 [
–1 –1
Aus mathematischen Gründen können Exponenten umrechnen (davon wird in 7 Abschn. 8.2.5 noch
1 nur reine Zahlen ohne physikalische Einheit sein; genauer die Rede sein). Die Eigenschaft, bei vorgege-
analog lassen sich auch nur dimensionslose Zahlen bener Schrittweite unabhängig vom Ausgangspunkt
logarithmieren. Wenn eine Exponentialfunktion nun um einen festen Faktor abzufallen oder anzusteigen,
aber Wachstum oder Abbau beschreiben soll, dann ist Kennzeichen der e-Funktion.
muss die Zeit t mit einer entsprechenden Einheit im
Exponenten erscheinen. Sie kann dies nur zusammen Merke
mit einem Divisor τ, der ebenfalls in einer Zeitein-
heit zu messen sein muss. Je nach den Umständen Kennzeichen der Exponentialfunktion:
werden ihm Namen wie Relaxationszeit, Zeitkons- Änderungsgeschwindigkeit proportional zum
tante, Eliminationszeit oder Lebensdauer gegeben. Momentanwert.
Selbstverständlich darf er durch einen Faktor λ = 1/τ
ersetzt werden:
Eine wichtige Rolle spielt der Logarithmus in
t
y(t) = e τ = eλ⋅t. manchen Diagrammen. Im Anhang findet sich
eine Tabelle für den Dampfdruck pD des Wassers in
Nach Ablauf einer Zeitkonstanten, also nach einer Abhängigkeit von der Temperatur. Trägt man diesen
Zeitspanne Δt=τ, hat sich der Exponent x gerade Zusammenhang in gewohnter Weise, d.h. in linearem
um 1 vergrößert. Die Wachstumsfunktion exp(x) ist Maßstab, auf, so bekommt man das linke Teilbild der
dann auf das e-fache ihres Ausgangswertes angestie- . Abb. 1.16. pD steigt ab 50 °C rasch an, löst sich aber
gen, die Abklingfunktion exp(-x) auf den e-ten Teil bei tieferen Temperaturen kaum von der Abszisse. In
abgefallen. Dieses Verhalten ist nicht auf die Faktoren solchen Fällen empfiehlt es sich, längs der Ordinate
e und 1/e beschränkt. Die Schrittweite x½ = ln 2 hal- nicht die Dampfdrücke pD selbst aufzutragen, sondern
biert den Wert der abfallenden e-Funktion, gleich- die (z. B. dekadischen) Logarithmen ihrer Maßzah-
gültig, von welchem x aus dieser Schritt getan wird len {pD} (. Abb. 1.16, rechtes Teilbild, rechte Skala).
(. Abb. 1.15). Entsprechend lässt sich die Lebens- Nun kann man nicht verlangen, dass jedermann
dauer τ eines radioaktiven Präparates leicht in die die Werte des dekadischen Logarithmus im Kopf hat.
gebräuchlichere Deshalb ist es üblich, nicht sie an die Ordinate zu
schreiben, sondern die Messwerte selbst (. Abb. 1.16,
Halbwertszeit T½ = τ ⋅ ln 2 = 0, 693 ⋅ τ rechtes Teilbild, linke Skala). Man spricht dann von
einer logarithmischen Skala und von einem Dia-
gramm in einfach-logarithmischer Darstellung, im
\
\ a b S'
S' OJ
S' N3D
N3D
N3D
100 2
\ 200
2
10 1
100
\
\ 1 0
2
[ [ [ 0 50 100 ˚C 0 50 100 ˚C
Temperatur
. Abb. 1.15 Charakteristik der e-Funktion. Die
Schrittweite x½ ist eine für den Abfall der e-Funktion . Abb. 1.16 Logarithmischer Maßstab. Dampfdruckkurve
charakteristische Größe: sie halbiert die Ordinate unabhängig des Wassers in linearem und in logarithmischem Maßstab
von dem Punkt, von dem aus der Schritt getan wird (Einzelheiten im Text)
1.5 · Wichtige Funktionen
21 1
Gegensatz zur doppelt-logarithmischen, bei der beide Quadratwurzel, der Fläche AQ des Quadrats und die
Achsen logarithmisch geteilt sind. dritte, die Kubikwurzel, des Würfelvolumens VW :
In einfach-logarithmischer Darstellung wird die 1 1
Dampfdruckkurve des Wassers fast zur Geraden. a = AQ = AQ 2 = 3 VW = VW 3.
Damit signalisiert sie, dass der Dampfdruck fast
exponentiell mit der Temperatur ansteigt. Wieso? Kehrwerte ganzer Zahlen im Exponenten entspre-
Der dekadische Logarithmus einer Exponential- chen Wurzeln. So kann man auch mit gebrochenen
funktion entspricht bis auf einen konstanten Faktor Exponenten rechnen: eine Zahl z mit dem Exponen-
ihrem Exponenten und damit auch dessen unabhän- ten 0,425 = 17/40 bedeutet die 40. Wurzel der 17.
giger Variablen: Potenz:
17
lg eax = 0, 434 ⋅ a ⋅ x. z 0, 425 = z 40 = 40 z17 .
Trägt man aber z = x⋅Konstante linear gegen x auf, so Da muss man schon einen Taschenrechner zu Hilfe
erhält man eine Gerade. Folglich ergibt eine Expo- holen.
nentialfunktion in einfach-logarithmischer Darstel- Nur der Vollständigkeit halber sei hier noch
lung ebenfalls eine Gerade. einmal erwähnt: Negative Exponenten bezeichnen
Wie in einschlägigen Schulbüchern nachzulesen, Kehrwerte:
gilt ganz allgemein für alle Logarithmen, also auch
z−3 = 1 / z 3.
für die natürlichen zur Basis e:
Für die graphische Darstellung einer Potenzfunktion
ln(a ⋅ b) = ln a + ln b; bietet sich die doppelt-logarithmische Auftragung an.
Das geht so: man logarithmiert y = xn auf beiden
einer Multiplikation zweier Zahlen entspricht die Seiten und erhält:
Addition ihrer Logarithmen. Dies ist für Umformun-
gen von Bedeutung. lg y = lg(x n) = n ⋅ lg(x)
Merke
ln(a ⋅ b) = ln(a) + ln(b)
a n ⋅ a m = a n+m
m
1.5.3 Potenzfunktionen (a n ) = a n⋅m
1
a−n =
Ein Quadrat der Kantenlänge a besitzt die Fläche an
AQ = a², der entsprechende Würfel das Volumen a
1
n =na
VW = a3. Bei den Potenzfunktionen steht die unab-
hängige Variable in der Basis und nicht im Exponen-
ten wie bei den Exponentialfunktionen. Für die
Potenzen selbst gelten aber die gleichen Rechenregeln. 1.5.4 Algebraische Gleichungen
Generell gibt es zur Potenz zwei Umkehrfunk-
tionen, den bereits besprochenen Logarithmus und Eine Gleichung bleibt als Gleichung erhalten, wenn
die Wurzel. Die Kantenlänge a ist die zweite, die man auf beiden Seiten das Gleiche tut, die gleichen
22 Kapitel 1 · Grundbegriffe
p2
Größen addiert oder subtrahiert, mit den gleichen und addiert die sog. quadratische Ergänzung :
1 Größen multipliziert oder potenziert usw. Nach
4
p2 p2
diesem Schema lassen sich Gleichungen umformen x2 + p ⋅ x + = − q.
4 4
und nach einer gewünschten Größe auflösen. Defi-
nitionsgemäß ist der elektrische Widerstand R der Jetzt kann man nämlich nach dem Schema
Quotient aus elektrischer Spannung U und elektri-
schem Strom I: (a + b) 2 = a 2 + 2ab + b 2
(Auflösung nach I). Etwas schwieriger wird es, wenn (auch negative Größen liefern positive Quadrate;
die Größe, nach der aufgelöst werden soll, nicht nur Quadratwurzeln sind deshalb beide Vorzeichen
in der ersten, sondern auch in der zweiten Potenz erlaubt). Jetzt lässt sich nach x auflösen:
vorkommt. Eine solche quadratische Gleichung
1 p2
bringt man zunächst in ihre Normalform x =− p± − q.
2 4
x 2 + p ⋅ x + q = 0. Eine quadratische Gleichung hat demnach
55 zwei Lösungen, wenn p² > 4q
Sodann subtrahiert man q: 55 eine Lösung, wenn p² = 4q
55 keine Lösung, wenn p² < 4q (jedenfalls keine
x 2 + p ⋅ x = −q reelle)
Messunsicherheiten
Messungen sind nie beliebig genau. Weicht der gemessene Wert vom tatsächlichen Wert der Größe bei jeder Messung um
den gleichen Betrag ab, so spricht man von einem systematischen Fehler. Streuen die Messwerte bei wiederholter Messung
um einen Mittelwert, so spricht man von einem zufälligen Fehler. Ein mathematisches Maß für diese Streuung ist die Stan-
dardabweichung s, eine Schätzung für die Messunsicherheit die Standardabweichung des Mittelwertes.
Absolute Messunsicherheit u(x); x: Messwert
Bedeutet: Der wahre Wert der Größe befindet sich sehr wahrscheinlich zwischen
den Werten x − u(x) und x + u(x) .
Fehlerfortpflanzung Regel 1: Bei Multiplikation oder Division von Messwerten addieren sich die relati-
ven Messunsicherheiten.
Regel 2: Bei Addition oder Subtraktion von Messwerten addieren sich die absoluten
Messunsicherheiten.
1.5 · Wichtige Funktionen
23 1
. Tab. 1.2 Fortsetzung
1
∑ (xi −〈x〉)2
Standardabweichung des Mittelwertes s(〈x〉) = ⋅ i =1
n n −1
Vektoren
Viele physikalische Größen wie z. B. die Geschwindigkeit oder die Kraft haben nicht nur einen bestimmten Wert, sondern
auch eine Richtung. Solche beschreibt man mathematisch durch Vektoren und man kann sie durch Pfeile im Raum veran-
schaulichen. Die Länge des Pfeils entspricht dem Betrag der Größe. Mit Hilfe eines Koordinatensystems kann man Vekto-
ren durch Zahlen ausdrücken, im dreidimensionalen Fall durch drei Koordinaten. Vektoren kann man mit einer Zahl mul-
tiplizieren. Die Länge des Pfeils (der Betrag) ändert sich dabei um diesen Faktor. Ist der Faktor negativ, so dreht der Pfeil in
die entgegengesetzte Richtung. Man addiert Vektoren durch Aneinandersetzen der Pfeile. Die Vektoraddition e rmöglicht
auch, Vektoren in Komponenten zu zerlegen, die zum Beispiel in die Koordinatenrichtungen weisen (s. . Abb. 1.9). Es gibt
zwei verschiedene Möglichkeiten, Vektoren miteinander zu multiplizieren.
Betrag
a = ax 2 + a y 2 + az 2
Skalarprodukt
a ⋅ b = a ⋅ b ⋅ cos α = ax ⋅ bx + a y ⋅ by + az ⋅ bz
Vektorprodukt
a × b = a ⋅ b ⋅ sin α ; a × b steht senkrecht auf a und b
Halblogarithmische Auftragung 1
ln N (t) = − ⋅ t
τ
In der halblogarithmischen Auftragung ergibt sich eine fallende Gerade mit der
Steigung −1/τ.
Logarithmusfunktion (zur Basis e) y = ln x Umkehrfunktion zu ex
p-q-Formel x2 + p ⋅ x + q = 0
1 p2
x1/ 2 = − p± −q
2 4
24 Kapitel 1 · Grundbegriffe
Messunsicherheit
1.3: (II): Wenn der Zuckerfabrik ungewaschene
Rüben angeliefert werden, zieht sie vom
gemessenen Gewicht einen Anteil als
Erfahrungswert ab. Systematischer oder
zufälliger Fehler, relativer oder absoluter
Fehler?
1.4: (II): Welche der beiden Regeln
der Fehlerfortpflanzung gilt nur
näherungsweise?
25 2
V
verwendet.
W Merke
W Ungleichförmige Bewegung
momentane Geschwindigkeit:
. Abb. 2.1 Steigungsdreiecke. Zur graphischen
Ermittlung der Geschwindigkeit: Alle zu der gleichen Geraden ds(t)
v(t) =
gezeichneten Steigungsdreiecke sind einander ähnlich; die dt
Quotienten ihrer Katheten sind gleich
Bei einer gekrümmten Kurve muss man die Stei- Differentiell kleine Dreiecke kann man weder zeich-
gungsdreiecke so klein zeichnen, dass die Krüm- nen noch ausmessen. Die Richtung der differentiell
mung ihrer „Hypotenusen“ nicht mehr auffällt, streng kleinen Hypotenuse stimmt aber mit der Richtung
genommen also unendlich klein. In der Mathematik einer Tangente überein, die am Ort des Dreiecks
spricht man von einer Grenzwertbildung und schreibt: an der Kurve anliegt. Die Tangente ist eine Gerade,
ihre Steigung kann also wie besprochen mit einem
∆s
v = lim Steigungsdreieck bestimmt werden (. Abb. 2.2).
∆t →0 ∆t
Auf diese Weise lässt sich das ganze s(t)-Diagramm
Man kann diesen Vorgang auch so beschreiben: grundsätzlich Punkt für Punkt in seine Ableitung,
man lässt Δt zum unendlich kleiner Differential das v(t)-Diagramm überführen. Die . Abb. 2.3 gibt
dt schrumpfen und Δs schrumpft dann auch zum ein Beispiel hierfür: Ein Vorortzug startet um 7.48
unendlich kleinen ds. Das Verhältnis der beiden Uhr und beschleunigt auf eine Geschwindigkeit von
bleibt dabei aber immer endlich: Der Differenzen- 60 km/h. Um 7.55 Uhr bremst er wegen einer Bau-
quotient Δs/Δt einer zeitlich konstanten Geschwin- stelle ab auf 30 km/h und bleibt um 8.00 Uhr am
digkeit v0 geht in den Differentialquotienten ds/dt nächsten Bahnhof stehen. Das obere Teilbild zeigt
über. Die momentane und zeitabhängige die Position des Zuges als Funktion der Zeit. Das
untere Teilbild geometrisch betrachtet die Steigung
ds(t)
Geschwindigkeit v(t) = des Graphen des oberen Teilbilds zu jedem Zeit-
dt
punkt. Den Verlauf der Geschwindigkeit kann man
im Prinzip ungefähr mit Lineal und Bleistift aus dem
oberen Teilbild ermitteln. Man nennt so etwas gra-
GV phisches Ableiten und manchmal ist das ganz nütz-
GW lich. Will man es genau wissen, muss man natür-
V
t0
W PLQ
Unbestimmtes Integral:
. Abb. 2.4 Graphische Integration zur Bestimmung des t
Weg-Zeit-Diagramms. Einzelheiten im Text F (t) = ∫ f (τ )dτ + F0
t0
integrieren aber numerisch. Das funktioniert etwa wie die Geschwindigkeit, so ändert sie nur deren
so, wie wenn man den Funktionsgraphen auf Mil- Betrag, die Geschwindigkeit nimmt zu. Zeigt der
limeterpapier malt und dann die Kästchen unter Beschleunigungsvektor genau entgegengesetzt zur
2 dem Graphen auszählt. Je genauer man die Fläche Geschwindigkeit, so ändert sich ebenfalls nur deren
wissen will, umso kleiner muss man die Kästchen Betrag, sie wird kleiner. In beiden Fällen spricht
machen, umso mehr hat man auch zu zählen. Com- man von einer Bahnbeschleunigung. Im anderen
puter können sehr schnell zählen. Extrem steht a senkrecht auf v und ändert als
Nun hat eine Bewegung stets auch eine Richtung Radialbeschleunigung nur deren Richtung, nicht
im Raum, eine Geschwindigkeit ist darum ein Vektor. den Betrag. Jede andere Beschleunigung lässt sich
Bis hierher wurde dies unterschlagen und immer nur als Vektor in eine radiale und eine tangentiale Kom-
der Betrag der Geschwindigkeit betrachtet, der sich ponente zerlegen.
eben aus der Ableitung des Betrages der zurückge-
legten Strecke ergibt. Wer den genauen Verlauf der Merke
Fahrt beschreiben will, muss zum Ortsvektor greifen.
Eine Funktion r (t) = rx(t) ⋅ ex + ry (t) ⋅ e y + rz (t) ⋅ ez Beschleunigung: Änderungsgeschwindigkeit
kann den Ort des Zuges zu jedem Zeitpunkt genau der Geschwindigkeit
festlegen. Die Geschwindigkeit ergibt sich dann aus
dv d 2s
der Änderung des Ortsvektors mit der Zeit, also aus a= = 2,
dt dt
seiner Ableitung:
dr (t) SI-Einheit: m/s2;
dr (t) drx(t) dr (t)
v= = ⋅ ex + y ⋅ e y + z ⋅ ez Bahnbeschleunigung: a parallel oder
dt dt dt dt
entgegengesetzt zu v ,
Radialbeschleunigung: a senkrecht zu v .
2.1.2 Beschleunigung
Das Weg-Zeit-Diagramm des Vorortzuges von
Im Sprachgebrauch des Alltags wird das Wort . Abb. 2.3 oben sagt über Kurven im Bahndamm
„beschleunigt“ meist lediglich im Sinn von „schnell“ nichts aus, also auch nichts über etwaige Radialbe-
verwendet; im Sprachgebrauch der Physik ist jede schleunigungen; ihr kann nur die Bahnbeschleuni-
Bewegung „beschleunigt“, die ihre Geschwindigkeit gung entnommen werden. Grundsätzlich muss man
ändert, ob sie nun schneller wird oder langsamer oder dazu s(t) zweimal nach der Zeit differenzieren oder
auch nur in eine andere Richtung schwenkt. Die physi- das Geschwindigkeit-Zeit-Diagramm der . Abb. 2.3
kalische Größe Beschleunigung a ist die Änderungs- unten einmal. Das Ergebnis zeigt . Abb. 2.5: in den
geschwindigkeit der Geschwindigkeit v . Sie ist also Bahnhöfen, auf freier Strecke und in der Baustelle ist
der erste Differentialquotient der Geschwindigkeit
nach der Zeit t und folglich der zweite des Weges s :
PV
dv d 2s
D
a= = 2 .
dt dt
Damit liegt auch ihre Einheit fest:
m/s m
1 = 1 2 = 1m ⋅ s−2.
s s
Jede Beschleunigung hat eine Richtung, a ist also
ein Vektor, der sich obendrein noch mit der Zeit zu
ändern pflegt: a(t) . Der allgemeine Fall ist immer
denkbar kompliziert. Es gibt aber einfache Grenz- . Abb. 2.5 Beschleunigungs-Zeit-Diagramm des
fälle. Hat die Beschleunigung die gleiche Richtung Vorortzuges von . Abb. 2.3 (nur Bahnbeschleunigung)
2.1 · Kinematik (Bewegung)
31 2
a = 0, überall dort nämlich, wo sich die Geschwin-
PV
D
digkeit nicht ändert, ob der Zug nun steht oder nicht
(v = konstant). Positiv wird die Beschleunigung nur
in der einen Minute des Anfahrens, negativ nur in
den beiden Bremsperioden vor der Baustelle und vor
dem Zielbahnhof, denn hier nimmt v ab.
Keine Bahnbeschleunigung kann längere Zeit
unverändert anhalten; die Folge wären übergroße a
Geschwindigkeiten. Für ein paar Sekunden geht es
PV
aber schon, beim freien Fall zum Beispiel. Wenn
Y
man die Luftreibung vernachlässigen darf, fallen
alle Gegenstände auf Erden mit der gleichen Erd-
oder auch Fallbeschleunigung g ≈ 9,81 m/s 2 zu
Boden; sie führen eine gleichförmig beschleunigte
Bewegung aus.
b
Merke
a = konstant
V
vektoriell.
Wie man am linken Teilbild der . Abb. 2.9 sieht,
steht die Eigengeschwindigkeit vb des Bootes im
PV
Y
9I 9I
9E E 9E 9J
9J
P
V
=
wurde ( . Abb. 2.11). Den höchsten Punkt ihrer
Bahn erreicht sie zu dem Zeitpunkt t1, in dem die
Geschwindigkeit in z-Richtung gerade verschwindet:
D W
v0x = v0 ⋅ cos 30° = 13 m/s , die
Startgeschwindigkeit in senkrechter Richtung
2 ist
v0z = v0 ⋅ sin 30° = 7, 5 m/s . In der senkrechten
Richtung haben wir also genau die gleiche
Situation wie im Rechenbeispiel 2.2. Der
senkrechte Anteil der Auftreffgeschwindigkeit
Y
Die Winkelgeschwindigkeit ω und die Winkel- Welche Radialbeschleunigung braucht ein Mas-
beschleunigung α können auch als Vektor definiert senpunkt, der auf einer Kreisbahn mit konstanter
werden. Welche Richtung bleibt zum Beispiel bei Kreisfrequenz umlaufen soll? Radiusvektor r und
2 einer Rotation eines Gegenstands mit konstanter Bahngeschwindigkeit v stehen senkrecht aufeinan-
Winkelgeschwindigkeit konstant? Radiusvektor und der, rotieren also mit der gleichen Kreisfrequenz ω .
Bahngeschwindigkeit eines Teils ändern ja ständig Beide drehen sich in der (kleinen) Zeitspanne Δt um
ihre Richtung. Konstant bleibt aber die Richtung den gleichen (kleinen) Winkel Δφ (. Abb. 2.15). Um r
der Drehachse. Sie wird deshalb als Richtung für die in seine neue Lage zu bringen, muss ihm das (kleine)
Winkelgeschwindigkeit gewählt, und zwar so, dass Wegstück ∆s vektoriell addiert werden. Es steht im
die Rotation im Uhrzeigersinn läuft, wenn man in die Wesentlichen senkrecht auf r ; es tut dies sogar streng,
Richtung der Winkelgeschwindigkeit ω sieht. Dies wenn man es differentiell klein werden lässt ( ds ).
entspricht wieder der Rechtsschraubenregel. Win- Dann fällt es mit dem ebenfalls differentiell
kelgeschwindigkeit ω , Radiusvektor r und Bahn- kleinen Kreisbogen zusammen, so dass man seinen
geschwindigkeit v stehen demnach in einer Weise Betrag
senkrecht aufeinander, wie die . Abb. 2.14 dies per-
spektivisch darzustellen versucht. ds = r ⋅ dϕ
Formal hängen sie über das Kreuzprodukt
schreiben darf. Ganz analog braucht die Bahnge-
v = ω×r
schwindigkeit v eine zu ihr senkrecht zu addierende
miteinander zusammen. Entsprechend wird auch Zusatzgeschwindigkeit dv mit dem Betrag
die Richtung der Winkelbeschleunigung α so defi-
niert, dass sich bei ungleichförmiger Rotation für die dv = v ⋅ dφ
Tangentialbeschleunigung
dv ist radial nach innen, also antiparallel zum
at = α × r Radiusvektor r gerichtet. Die genauso gerichtete
Radialbeschleunigung ist
ergibt.
dv
Wie eingangs erwähnt, ist eine ständig auf das ar = .
dt
Zentrum der Kreisbahn gerichtete und zeitlich, aber
nicht räumlich konstante Radialbeschleunigung ar
Ursache und Voraussetzung einer Kreisbewegung
(sie darf nicht mit der tangentialen Beschleunigung
at aus der letzten Formel verwechselt werden). Wie 9
sich eine rotierende Masse diese Zentralbeschleu-
nigung besorgt, muss an im Moment noch offen
bleiben. Auf jeden Fall ist eine Kreisbewegung auch V
U
dann eine (ungleichförmig) beschleunigte Bewe-
gung, wenn sie „mit konstanter Geschwindigkeit“
erfolgt. Nicht die Bahngeschwindigkeit ist konstant,
sondern die Winkelgeschwindigkeit.
. Abb. 2.15 Zur Kreisbewegung. Der Gegentand läuft
gegen den Uhrzeiger und befindet sich auf seiner Bahn rechts
(„3 Uhr“). Der Vektor v der Bahngeschwindigkeit zeigt nach
Ȧ oben und steht senkrecht auf dem Radiusvektor r . Beide
drehen sich in der (kleinen) Zeitspanne Δt um den (kleinen)
Y
Winkel Δφ. Dazu müssen zu r das (kleine) Wegstück Δ s
mit Δs = r·Δφ und zu v die (kleine) Zusatzgeschwindigkeit
U
Δ v mit Δv = v·Δφ vektoriell addiert werden. Für kleiner
werdendes Δφ steht die Geschwindigkeitsänderung Δ v (der
. Abb. 2.14 Der Vektor der Winkelgeschwindigkeit weist Übersichtlichkeit halber im Bild nicht eingezeichnet) immer
in Richtung der Drehachse senkrecht zur Bahnebene genauer senkrecht auf v
2.1 · Kinematik (Bewegung)
39 2
Für ihren Betrag gilt: 2.1.5 Relativ oder Absolut?
v ⋅ dϕ v2
ar = = v⋅ω = , Vermutlich sind Sie stolzer Besitzer eines Smart-
dt r
phones. Damit haben sie ein bemerkenswertes Mess-
v gerät für Bewegung. Zunächst einmal können Sie
da ja ω = .
r eine App herunterladen (zum Beispiel Google Maps
oder Ähnliches), mit der sie ihre Position feststellen
Merke können. Das geht aber nur draußen, denn sie brau-
chen GPS-Empfang. Wir lernen daraus: eine Position
Drehbewegung (um eine raumfeste Achse): kann man nur relativ zu einem Koordinatensystem
Drehwinkel φ angeben. In diesem Falle liefern die GPS Satelliten ein
Winkelgeschwindigkeit ω = dφ/dt mit der Erde verbundenes Koordinatensystem mit
Winkelbeschleunigung α = dω/dt Breiten- und Längengraden. Sie können auch eine
die Vektoren ω und α zeigen in Richtung der App herunterladen, die ihnen die Geschwindigkeit
Drehachse ihres Smartphones angibt (solche Apps heißen typi-
Bahngeschwindigkeit im Abstand r: v = ω × r , scherweise Tachometer-App). Auch hier müssen
v = ω⋅r sie draußen sein und ein GPS-Signal empfangen,
Tangentialbeschleunigung im Abstand r : damit das funktioniert. Denn auch Geschwindig-
at = α × r , at = α ⋅ r keiten können nur relativ zu einem Koordinatensys-
v2
Radialbeschleunigung im Abstand r: ar = tem oder Objekt (hier die Erde) angegeben werden.
r
Es gibt auch eine App für die Beschleunigung ihres
Smartphones (schön ist: 3D Compass (Android)
bzw. Magnetmeter (IOS) von plaincodeTM; zeigt
Rechenbeispiel 2.5: Beschleunigt Beschleunigung und Magnetfeld als Vektor).
Aufgabe: Wie groß ist die Winkelge- Und nun passiert etwas Sonderbares: diese App
schwindigkeit der Erde? Welche Radialbe- funktioniert ohne GPS. In ihrem Smartphone gibt
schleunigung erfährt ein Mensch am Äquator? es einen Sensor, genauer gesagt drei Sensoren für
(Radius der Erde: 6,38⋅106 m) die drei Raumrichtungen, die die Beschleunigung
Lösung: Die Erde dreht sich mit konstanter direkt messen. Beschleunigung ist also etwas Abso-
Winkelgeschwindigkeit einmal am Tag um ihre lutes, dass nicht relativ zu etwas anderem angegeben
Achse. Die Winkelgeschwindigkeit entspricht wird. Warum das so ist, wissen die Physiker nicht.
also der Kreisfrequenz: Dass es so ist, ist aber wesentliche Voraussetzung für
die Newtons Theorie der Mechanik, die wir im Fol-
2π 2π
ω= = = 7, 27 ⋅10−5 s−1. genden besprechen. Einen Haken hat der Beschleu-
24 h 86400 s
nigungssensor aber: er zeigt auch etwas an, wenn
Daraus ergibt sich eine das Smartphone gar nicht beschleunigt ist. Er misst
Bahngeschwindigkeit am Äquator von nämlich auch die Schwerkraft und dafür ist er über-
v = ω ⋅ r = 464 m/s = 1670 km/h. Die Radialbe- haupt im Gerät. Er sagt den Gerät, wo unten ist, und
v2 damit, wie es das Display orientieren muss. Warum
schleunigung ist also ar = = 0, 034 m/s 2 . kein Messgerät zwischen Schwerkraft und Beschleu-
r
Sie ist zum Glück viel kleiner als die nigung unterscheiden kann, wissen die Physiker
Fallbeschleunigung g. Wäre sie größer als g, so auch nicht. Diese Tatsache ist wesentliche Grund-
würde man davonfliegen (7 Abschn. 2.5.2). lage der allgemeinen Relativitätstheorie von Ein-
Bevor Newton seine Mechanik entwickelt hatte, stein, die wir in diesem Buch aber nicht besprechen.
galt es als schwerwiegendes Argument gegen Dann gibt es noch eine App, die die Winkelgeschwin-
eine Drehung der Erde, dass man bei so hohen digkeit ihres Smartphones angibt, also anzeigt, wie
Geschwindigkeiten doch wegfliegen müsste. schnell es sich dreht. Und wieder brauchen wir dafür
das GPS-Signal nicht. Der entsprechende Sensor
40 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper
2.2.1 Kraft ,
,
pond (kp) gegeben. Den Anforderungen moderner
Messtechnik genügt diese Einheit aber nicht mehr, ,
denn leider erweisen sich Gewichtskräfte als ortsab-
hängig: In Äquatornähe wiegt ein Liter Wasser etwas
weniger als in Polnähe. Die SI-Einheit der Kraft heißt
Newton, abgekürzt N. Ihre Definition kann erst in )
7 Abschn. 2.3.1 besprochen werden. Bis dahin muss
. Abb. 2.19 Lineares Kraftgesetz II. Graph für eine
genügen, dass es in Newton geeichte Kraftmesser zu Schraubenfeder mit linearem Kraftgesetz: linearer
kaufen gibt. Zusammenhang zwischen Federlänge l und Kraft F
Eine Schraubenfeder
der Länge l0 dehnt sich
unter einer Zugkraft F mit dem Betrag F um Δl auf
l(F) = l0+Δl(F). Geeichte Federwaagen folgen dabei sondern nur ein linearer Zusammenhang. Er gibt im
dem linearen Kraftgesetz Diagramm ebenfalls eine Gerade; sie läuft aber nicht
durch den Nullpunkt, besitzt vielmehr einen Achsen-
F = D ⋅ ∆l abschnitt (. Abb. 2.19).
Die Schwerkraft (Gewichtskraft) zieht immer
oder auch nach unten; so ist „unten“ definiert. Durch Seil
und Rolle kann ihre Wirkung aber leicht in jede
F
l(F ) = l0 + . gewünschte Richtung umgelenkt werden, wie
D
. Abb. 2.20 zeigt. Kräfte sind eben Vektoren. Zwei
Hier bezeichnet D die Federkonstante, eine Kenn- entgegengesetzt gleiche horizontale Kräfte, nach
größe der jeweiligen Schraubenfeder. Ihre Längen- . Abb. 2.21, erzeugt durch zwei gleiche Gewichte an
änderung Δl und ihre Dehnung Δl/l0 sind also über den Enden eines Seiles, heben sich auf; das System
die Federkonstante D der angreifenden Kraft F pro- bleibt in Ruhe, es herrscht Gleichgewicht . Das
portional; im Diagramm gibt jede Proportionalität System bleibt auch dann in Ruhe, wenn man das
eine Gerade durch den Nullpunkt des Achsenkreuzes
(. Abb. 2.18). Zwischen F und der gesamten Länge
l der Feder besteht hingegen keine Proportionalität,
,
) )*
)*
)
) )
)K
±)
)*
)K
)*
)K )
. Abb. 2.23 Vektoraddition
der Kräfte am Beispiel der
−F werden durch die Gegenkraft
Abb. 2.16. Die Kräfte FG und
der Halterung der Rolle Fh kompensiert
FG m Merke
= 9, 81 2
m s
Reibung behindert Bewegungen;
2 setzen. Arten der Reibung: Haftreibung, Gleitreibung,
Wäre die Erde eine mathematische Kugel mit rollende Reibung, innere Reibung.
homogen verteilter Massendichte, so wäre die letzte
Gleichung überall auf der Erdoberfläche mit dem
gleichen Zahlenwert gültig. Tatsächlich gilt aber in
Djakarta FG/m = 9,7818 m/s² und am Nordpol FG/m Verschiedene Reibungsarten können gleichzeitig
= 9,8325 m/s². Wer das Kapitel, das den freien Fall auftreten. Ein Auto lässt sich nur deshalb lenken,
behandelte (s.7 Abschn. 2.1.2), noch gut in Erinne- weil seine Räder in Fahrtrichtung rollen, quer dazu
rung hat, dem sollten diese Zahlenwerte bekannt vor- aber von der Haftreibung in der Spur gehalten
kommen: sie sind die der (in m/s2 gemessenen) Fall- werden. Tritt der Fahrer so heftig auf die Bremse,
beschleunigung g. Das lässt einen Zusammenhang dass die Räder blockieren, dann gibt es nur noch
vermuten. In der Tat gilt Gleitreibung ohne Vorzugsrichtung, und das Fahr-
zeug bricht aus.
FG = m ⋅ g. Da Reibung auf einer komplizierten Wech-
selwirkung der Moleküle an der Grenzfläche der
Nur macht diese Gleichung im Moment noch Schwierigkeiten Reibpartner beruht, gibt es keine so ganz präzise
bei den Einheiten. Das 7 Abschn. 2.3.1 wird sie lösen.
formulierbaren Gesetzmäßigkeiten für Reibungs-
kräfte. Ungefähre gibt es aber schon; sie sollen
hier am Beispiel der Reibung zwischen zwei festen
2.2.3 Reibungskraft Oberflächen betrachtet werden. Eine Kiste möge
auf einer Rampe stehen, die langsam mit wach-
Eine im Alltag lebenswichtige Kraft ist die Reibungs- sendem Winkel φ gekippt wird (. Abb. 2.26). Auf
kraft. Gehen kann der Mensch nur, wenn seine Füße die Kiste wirken zwei Kräfte: die Schwerkraft, die
fest genug am Boden haften, um die zur Bewegung man sich am Schwerpunkt angreifend denken kann
notwendigen Kräfte zu übertragen. Übersteigen sie (Schwerpunktsatz, 7 Abschn. 2.3.1), und die Kraft,
die Kräfte der Haftreibung, so gleitet der Mensch aus. die die Rampe auf die Kiste ausübt. In . Abb. 2.26
Gebiete verminderter Haftreibung gelten geradezu sind beide Kräfte jeweils zerlegt in Komponenten
sprichwörtlich als Gefahrenzonen: Man kann jeman- parallel und senkrecht zur Rampe. Dies ist sinn-
den „auf 's Glatteis führen“. voll, weil sich die senkrechten
Komponenten FN
Ist die Haftreibung einmal überwunden, so (Schwerkraft) und FU (Rampe) immer gerade kom-
meldet sich beim ausgleitenden Menschen die (etwas pensieren. Sonst würde die Kiste entweder in der
geringere) Gleitreibung. In der Verkehrstechnik Rampe versinken oder davonfliegen. Wesentlich
ersetzt man sie, um Antriebskraft zu sparen, durch sind also die parallelen
Komponenten, die Hang
die (noch geringere) rollende Reibung der Räder auf abtriebskraft F
H (Schwerkraft) und die Haftrei-
Straße oder Schiene. Schmiermittel schließlich legen bungskraft FR (Rampe). Zunächst bleibt die Kiste
einen Flüssigkeitsfilm zwischen Achse und Achsla- auf derRampe in Ruhe, weil FR die Hangabtrieb-
ger und tauschen dort die Gleitreibung ein gegen die skraft FH kompensiert (. Abb. 2.26 a)). Irgendwann
innere Reibung in Fluiden wie Öl und Fett. Beson- ist aber ein Grenzwinkel φg erreicht, bei dem die
ders gering ist die innere Reibung in Gasen; die Gleit- Kiste ins Rutschen kommt. Dann erreicht nämlich
bahn der . Abb. 2.48 nutzt dies aus. Reibung hindert die Haftreibungskraft den größten Wert FRH , der
Bewegungen. Sie erzeugt eine Reibungskraft, die bei zwischen Kiste und Rampe auftreten kann. Es
der Haftreibung der angreifenden Kraft entgegen- leuchtet ein, dass FRH von der Beschaffenheit der
steht und mit ihr wächst, und bei den anderen Rei- Rampenoberfläche und der Kiste abhängt. Insbe-
bungen der Geschwindigkeit entgegensteht und mit sondere hängt FRH aber von der Kraft ab, mit derdie
dieser wächst. Kiste auf die Rampe gedrückt wird, also von FN ,
2.2 · Kraft, Drehmoment, Energie
45 2
Haftreibungskoeffizient wie erwartet stark von der
)8 Beschaffenheit der Oberflächen abhängt, bemer-
kenswerter Weise aber praktisch gar nicht von der
)5 Größe der Auflagefläche.
)+
Hat sich die Kiste erst einmal gelöst, so rutscht sie
)* beschleunigt herunter,
den nun wirkt nur noch Gleit-
)1 reibungskraft FRGl (. Abb. 2.26 b)). Für sie gilt eine
ganz ähnliche Beziehung wie für die Haftreibung:
ij
D
FRGl = αGl ⋅ FN
der Komponente der Gewichtskraft senkrecht zur FB = FA − FR
Rampe. Es gilt näherungsweise:
Auf freier Strecke, bei konstanter Geschwindigkeit,
FRH = αH ⋅ FN kompensiert der Motor nur noch die Reibung. Beim
Regentropfen
ersetzt die Gewichtskraft den Motor.
µ H heißt Haftreibungskoeffizient. Man kann ihn Weil
FG rascher mit dem Durchmesser wächst als
leicht aus dem Grenzwinkel
αg ermitteln, bei dem FR , fallen dicke Tropfen schneller als kleine (Sto-
die Hangabtriebskraft FH gerade gleich der maxi- kes´sches Gesetz, 7 Abschn. 3.5.2).
malen Haftreibungskraft ist. Wegen
FH = FG ⋅ sin αg = µH ⋅ FN = µH ⋅ FG ⋅ cos αg Rechenbeispiel 2.6: Haftreibung zwischen
Rad und Straße
gilt Aufgabe: Wie groß muss der Reibungsko-
effizient zwischen unserem Kleinwagen aus
µH = tan αg Beispiel 2.9 und der Straße mindestens sein,
um die der Motorleistung entsprechende
Ein typischer Wert ist µH ~ 0,4, entsprechend φg ~ Beschleunigung auch wirklich zu erreichen?
22°, wie jeder leicht mit zum Beispiel einem Lineal Lösung: In Beispiel 2.10 hatten wir die
und einem Radiergummi im Schreibtischexperi- notwendige Kraft berechnet (2570 N). Das
ment nachprüfen kann. Versuche zeigen, dass der
46 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper
(
= m ⋅ g sin 30° − µ ⋅ cos 30° ) . Abb. 2.27 Flaschenzug (Einzelheiten im Text)
= m ⋅ g ⋅ 0, 24 ⇒ a = 2, 36 m/ss2
W = FG ⋅ ∆h
2
K
Merke
Ein Musterbeispiel für ständige Umwandlung kine-
tischer Energie in potentielle und umgekehrt liefert mechanische Energie: Wmech = Wpot + Wkin
das Fadenpendel (. Abb. 2.32). Die erste Auslenkung bleibt bei vernachlässigbarer Reibungen
von Hand hebt den Schwerpunkt der Kugel um die erhalten
Hubhöhe Δh an, erhöht also die potentielle Energie um
2 )
)
O
O
l1 ⋅ F1 = l2 ⋅ F2
. Abb. 2.38 Hebel 4. Auch die Federwaage kann schräg
am Hebel angreifen
die Bedingung des Gleichgewichts, die Bedingung
dafür, dass der Hebel ruhig bleibt und sich nicht
bewegt.
Die letzte Gleichung ignoriert, dass Kräfte und
Hebelarme Vektoren sind; sie kann sich das leisten,
weil sie nur einen Sonderfall
zu beschreiben braucht: )Y
horizontale
Hebelarme l und vertikale Gewichts-
))
kräfte F , also rechte Winkel zwischen l und F .
Beim Unterarm gilt das nicht; selbst wenn er waage-
ȕ
recht gehalten wird, zieht der Bizeps, abhängig von
der Position des Oberarms, im Allgemeinen schräg )K
nach oben (. Abb. 2.37). Im Modellversuch kann
. Abb. 2.39 Komponentenzerlegung der Federkraft
man diesen Fall dadurch nachbilden, dass man die
FF; nur die Vertikalkomponente Fv hat Bedeutung für das
Federwaage ebenfalls schräg nach oben ziehen lässt,
Hebelgesetz
mit einem Winkel ß zwischen ihr und dem Hebel-
arm (. Abb. 2.38). Dann hat nur
die vertikale Kom-
ponente Fv der Federkraft F Bedeutung für das Fv = FF ⋅ sin ß; Fh = FF ⋅ cos ß.
Hebelgesetz,
während die horizontale Komponente
Fh lediglich den Hebel zu dehnen versucht und Dadurch bekommt das Hebelgesetz die Gestalt
letztlich vom Achslager aufgefangen werden muss
(. Abb. 2.39). Das Kräftedreieck ist rechtwinklig und l1 ⋅ Fv1 = l2 ⋅ Fv2
erlaubt darum, die Beträge der Komponenten mit
den Winkelfunktionen Sinus und Kosinus unmittel- und ausmultipliziert die Form
bar auszurechnen:
l1 ⋅ F1 ⋅ sin ß1 = l2 ⋅ F2 ⋅ sin ß2.
leff = l ⋅sin ß.
Merke
O ȕ
Allgemeine Form des Hebelgesetzes:
2 OHII ∑T = 0 .
Merke
Rechenbeispiel 2.11: Oktoberfest
In der einfachsten Form des Hebelgesetzes Aufgabe: Welche Kraft muss der Bizeps einer
stehen entweder „Kraft“ und „Last“ für deren Kellnerin auf dem Oktoberfest ungefähr
Komponenten senkrecht zum Hebelarm oder entwickeln, wenn sie in jeder Hand sechs volle
„Kraftarm“ und „Lastarm“ für die effektiven Maßkrüge trägt? Ein voller Krug hat eine Masse
Hebelarme. von etwa 2 kg. Die Maße der Arme entnehme
man . Abb. 2.33.
Lösung: Der Bizeps sitzt am kürzeren Hebel
Unabhängig von diesen beiden Deutungen bietet die und muss die zehnfache Gewichtskraft
Mathematik ihr vektorielles Produkt zweier Vektoren aufbringen:
an. Die Physik folgt dem Angebot und definiert eine
⋅12 kg ⋅ g = 1177 N
neue physikalische Größe, das 30 cm
F=
30 mm
Drehmoment T = l × F
Es steht senkrecht auf l und F und liegt demzufolge
parallel zur Drehachse.
2.2.7 Die Grundgleichungen der Statik
Merke
Die Überlegungen des vorigen Kapitels unter-
Drehmoment: Vektorprodukt aus Hebelarm stellen als selbstverständlich, dass die Position
und Kraft der Achse, um die sich ein Hebel drehen kann, im
Raum unverrückbar festliegt. Wie man das tech-
T = l ×F nisch erreicht, wurde nicht gesagt, in den Zeichnun-
gen nur angedeutet. Mit etwas Phantasie kann man
etwa . Abb. 2.35 Folgendes entnehmen: Zwei quer
Soll der Hebel nicht beschleunigt sein, so müssen am linken Ende des Hebels befestigte Achsstummel
sich Drehmoment und Gegendrehmoment gegen- stecken drehbar in passenden Löchern des Lager-
seitig kompensieren: klotzes, der selbst über eine nicht gezeichnete Hal-
terung zunächst vermutlich mit einem Tisch, am
∑ T = 0 Ende aber mit dem Erdboden starr verbunden ist.
Versucht nun eine von außen angreifende Kraft den
2.2 · Kraft, Drehmoment, Energie
55 2
Hebel wegzuziehen, so hält der Lagerklotz den Hebel 2.2.8 Gleichgewichte
dadurch fest, dass er durch winzige elastische Verfor-
mungen auf die Achsstummel die dort erforderliche Regen Gebrauch vom Hebelgesetz macht zunächst
Lagerkraft ausübt. Warum aber war es im vorigen einmal die Natur, etwa bei den Skeletten der Wir-
Kapitel erlaubt, diese Lagerkraft mit keinem Wort beltiere und den zugehörigen Muskeln; regen
zu erwähnen? Gebrauch macht aber auch die Technik, z. B. bei den
Wichtigste physikalische
Größe beim Hebel ist Balkenwaagen, die zwei von massenproportionalen
das Drehmoment T , im vorigen Kapitel als Kreuz- Gewichtskräften erzeugte Drehmomente miteinan-
produkt
aus Hebelarm l und Kraft F beschrieben: der vergleichen. Die Waage der Justitia, auch Apo-
T = l × F . Der Hebelarm reicht von der Drehachse thekerwaage genannt (. Abb. 2.41), besitzt einen
bis zur Kraftwirkungslinie. Nun greift eine Lagerkraft genau in der Mitte gelagerten zweiarmigen Hebel,
allemal an der Achse an. Folglich liefert sie mangels den Waagebalken. Die Gleichheit der Hebelarme ist
Hebelarm kein Drehmoment; folglich kann das hier unerlässlich; jede Abweichung würde zu einem
Hebelgesetz ohne Lagerkräfte formuliert werden. systematischen Fehler führen. Das Wiegegut wird
Damit der Hebel aber auch wirklich im statischen dann mit passenden Stücken aus einem Gewichts-
Gleichgewicht ist, muss auch noch das gelten, was in satz verglichen. Moderne Waagen freilich zeigen
7 Abschn. 2.2.1 formuliert wurde: die Summe aller ihren Messwert elektronisch an und verraten nicht,
an den Hebel angreifenden Kräfte muss Null sein. wie sie das machen.
Die Summe der Kraft, die das Gewicht ausübt und Im Gleichgewicht geht die Apothekerwaage in
der Kraft, die die Federwaage ausübt, sind aber in Ruhestellung, Waagebalken horizontal. Unbelastet
. Abb. 2.36 keineswegs Null, da die Kraft der Feder- tut sie dies auch. Wieso eigentlich?
waage doppelt so groß ist. Also muss das Lager mit
einer nach unten gerichteten Kraft, die hier genauso
groß ist, wie die Kraft des Gewichts, für den Aus-
gleich sorgen. Täte das Lager dies nicht, so würde der
Hebel nach oben weg schlagen.
Entsprechend sind in den . Abb. 2.35 bis 2.38
die Lagerkräfte eingezeichnet. Nur in der Situation
von . Abb. 2.34 hat das Lager nichts zu tun (außer
natürlich den Hebel zum Teil zu tragen, aber dessen
Gewicht sollte ja vernachlässigbar sein).
Bei Kräften und Drehmomenten denkt man
instinktiv immer auch an Bewegungen, die sie ja
grundsätzlich auslösen können, die in der Statik
aber ausdrücklich ausgeschlossen werden. Häuser
und Brücken sollen schließlich stehen bleiben und
nicht einstürzen. Dazu müssen sich alle Kräfte F
und Drehmomente T gegenseitig aufheben:
∑F = 0 und ∑ T = 0.
Merke
Die Bedingungen der Statik:
∑ F = 0;
∑T = 0 .
. Abb. 2.41 Einfache Balkenwaage
56 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper
Hängt man irgendeinen Gegenstand nacheinan- Ein Waagebalken nimmt seine Ruhestellung auch
der an verschiedenen Punkten auf, und zieht man dann ein, wenn beide Waagschalen gleiche Lasten
von jedem Aufhängepunkt eine Gerade senkrecht tragen und mit ihnen entgegengesetzt gleiche Dreh-
2 nach unten, so treffen sich alle Geraden in einem momente erzeugen. Hat aber z. B. die linke Waag-
Punkt, dem Schwerpunkt (. Abb. 2.42). Bei der schale ein Übergewicht (. Abb. 2.44), so neigt sich
Gewichtskraft darf man so tun, als sei die gesamte der Waagebalken auf ihrer Seite und schiebt seinen
Masse eines Gegenstands in seinem Schwerpunkt Schwerpunkt nach rechts heraus. Das bedeutet effek-
konzentriert; man bezeichnet ihn deshalb auch als tiven Hebelarm, Gegendrehmoment und neues
Massenmittelpunkt. Er kann außerhalb des Gegen- Gleichgewicht. Durch seine Schräglage zeigt der
stands liegen, z. B. beim Hufeisen. Der Mensch kann Waagebalken aber „Ungleichgewicht“ im Sinne von
seinen Schwerpunkt sogar durch Körperbewegun- „Ungleichheit der Gewichte“ in den beiden Waag-
gen verlagern, auch nach außen. Einem vorzüglichen schalen an. Lenkt man den Waagebalken durch
Hochspringer gelingt es möglicherweise, ihn unter kurzes Antippen aus, so führt ihn das rücktrei-
der Latte hindurch zu mogeln (. Abb. 2.43); das spart bende Gegendrehmoment wieder in die Ausgangs-
Hubarbeit. lage zurück, ob horizontal oder schräg. Man spricht
Wenn es die Halterung erlaubt, versucht jeder immer dann von einem stabilen Gleichgewicht,
Schwerpunkt von sich aus, unter den Unterstüt- wenn Störungen „von selbst“ rückgängig gemacht
zungspunkt zu kommen. Dann hat die Gewichtskraft werden.
keinen effektiven Hebelarm mehr und erzeugt kein Ganz anders verhält sich ein Spazierstock,
Drehmoment. Der Waagebalken der Balkenwaage den man auf seine Spitze zu stellen versucht.
wird deshalb so konstruiert und aufgehängt, dass er
dieses Ziel zu erreichen erlaubt und sich dabei waa-
gerecht stellt. Dazu muss der Unterstützungspunkt 8
über den Schwerpunkt gelegt werden. 6
$ %
% $
6
. Abb. 2.44 Apothekerwaage. Außerhalb des
Gleichgewichtes liegt der Schwerpunkt S des Waagebalkens
nicht unter dem Unterstützungspunkt U und erzeugt deshalb
ein rücktreibendes Drehmoment. Der Ausschlag der Waage
. Abb. 2.42 Schwerpunkt. Der Schwerpunkt und damit ihre Empfindlichkeit sind umso größer, je leichter
S eines frei hängenden Gegenstands begibt sich der Balken, je länger die Hebelarme und je kleiner der
unter den Aufhängepunkt Abstand des Schwerpunktes vom Unterstützungspunkt sind
. Abb. 2.43 Fosbury-Flop. Bei einem optimal ausgeführten Fosbury-Flop rutscht der Schwerpunkt des Springers knapp unter
der Latte hindurch
2.2 · Kraft, Drehmoment, Energie
57 2
V
6
2.3 Dynamik der linearen Bewegung Um nun das 1. Newton´sche Gesetz auf der Erd-
oberfläche experimentell zu verifizieren, muss man
2.3.1 Die Newton´schen Gesetze zunächst die Gewichtskraft des Probekörpers exakt
2 kompensieren, ohne seine Bewegungsfreiheit allzu
sehr einzuschränken. Das gelingt mit einer geraden
„Unten“ ist die Richtung der Fallbeschleunigung Fahrbahn, die sich genau horizontal justieren lässt,
ebenso wie die der Gewichtskraft. Sollte zwischen sodass von der Gewichtskraft keine Komponente
beiden ein ursächlicher Zusammenhang bestehen? in Fahrtrichtung übrig bleibt. Ferner muss man die
Dann dürfte es kein Privileg der Schwerkraft sein, bremsenden Kräfte der Reibung vernachlässigbar
Beschleunigungen auszulösen; andere Kräfte klein machen, indem man gut schmiert. Bewährt hat
müssten dies, parallel zu ihren eigenen Richtun- sich ein hohler Vierkant als Fahrbahn; er wird auf
gen, ebenfalls können. Dann brauchte aber auch eine Kante gestellt und bekommt in festen Abständen
ein kräftefreier Gegenstand nur auf Beschleuni- feine Löcher in beiden oberen Flächen (. Abb. 2.48).
gungen zu verzichten und nicht, wie in der Statik, Luft, in den am andern Ende verschlossenen Vierkant
auf jede Bewegung überhaupt. Eine gleichför- eingepresst, kann nur durch diese Löcher entweichen
mige mit konstanter Geschwindigkeit bliebe ihm und hebt einen lose aufgelegten Metallwinkel so weit
gestattet. an, dass er den Vierkant nirgendwo berührt: er gleitet
praktisch reibungsfrei auf einem Luftpolster. Um
Merke seine Bewegungen auszumessen, postiert man längs
der Gleitbahn an meherern Positionen (die wir mit
1. Newton´sches Gesetz: s bezeichnen wollen) Lichtschranken, die mit elek-
Ein kräftefreier Gegenstand behält seine trischen Stoppuhren die Zeitpunkte t feststellen, zu
Geschwindigkeit unverändert bei. denen der Gleiter bei ihnen vorbeikommt.
1. Beobachtung: Wie immer man den Gleiter
im Einzelfall angestoßen hat, man findet
Δs~Δt, also konstante Geschwindigkeit, in
Dies wird allerdings nur der Beobachter bestätigen, Übereinstimmung mit dem 1. Newton´schen
der sich selbst mit konstanter Geschwindigkeit durch Gesetz.Um eine konstante Antriebskraft auf
den in 7 Abschn. 2.1.5 erwähnten absoluten Raum den Gleiter auszuüben, lenkt man eine kleine
bewegt. Man sagt: der Beobachter befindet sich dann Gewichtskraft über Faden und Rolle in Gleit-
in einem Inertialsystem. Was es damit genauer auf richtung um (. Abb. 2.48). Dabei muss man die
sich hat, besprechen wir erst in 7 Abschn. 2.5. Wenn Reibung im Rollenlager niedrig halten
wir auf der Erdoberfläche stehen, sind wir so einiger-
maßen in einem Inertialsystem. Eigentlich bewegen
wir uns mit der Erddrehung einmal am Tag im Kreis
herum. Damit ist aber eine so kleine Beschleunigung
verbunden, dass man genauer messen müsste, als es
nun beschrieben werden soll, um die Auswirkungen
dieser Beschleunigung festzustellen. Vorsorglich sei
aber hier schon festgestellt:
Merke
Schwerpunktsatz:
Der Schwerpunkt eines Gegenstands bewegt
Mit der Grundgleichung der Mechanik im Kopf sich so, als wäre die gesamte Masse in
kann man nun auch nach den wirksamen Kräften ihm vereinigt und als würden alle auf den
bei dem in 7 Abschn. 2.1.3 besprochenen schiefen Gegenstand wirkenden Kräfte in ihm angreifen.
Wurf fragen, vorsichtshalber allerdings nicht nach
dem komplizierten Muskelspiel des Kugelstoßers.
Als Beispiel soll eine Steinkugeln schleudernde Das 2. Newton´sche Gesetz erhält also die genau-
Kanone aus alter Zeit genügen (. Abb. 2.49). Vor ere Form:
dem Schuss steckt die Kugel im Kanonenrohr; ihre
Gewichtskraft FG wird von der Kanone und ihrem ∑ Fi = m ⋅ as
i
Gestell übernommen. Wenn die Treibladung explo-
diert, übt der Druck der heißen Verbrennungsgase Die Kräftesumme ist die uns schon aus der Statik
zusammen mit dem Kanonenrohr eine Kraft FK ( 7 Abschn. 2.2.1 ) bekannte resultierende Kraft
auf die Kugel aus, die dieser eine Beschleunigung und as ist die Beschleunigung des Schwerpunk-
a in Richtung der Rohrachse erteilt, zusätzlich tes. Dass die Bewegung des Schwerpunktes nicht
aber auch
die Gewichtskraft F G kompensiert. Die davon abhängt, wo die Kräfte am Gegenstand
Kraft FK der Kanone und Beschleunigung liegen angreifen, ist keineswegs selbstverständlich. Dass
also nicht parallel, wie . Abb. 2.49 etwas übertrie- es so ist, liegt am 3. Newton´schen Gesetz, von dem
ben darstellt. Sobald die Kugel aber das Rohr ver- jetzt die Rede sein soll. Auf eine Herleitung des
lassen hat, verteilt sich der Explosionsdruck nach Schwerpunktsatzes soll in diesem Buch verzich-
allen Seiten, die Kanone gibt auch keine Unterstüt- tet werden.
zung mehr und die Kugel unterliegt (Luftreibung
vernachlässigt) wieder nur noch der Schwerkraft:
Die Beschleunigung a dreht (ziemlich schlag-
artig) ihre Richtung von schräg nach oben in senk- Rechenbeispiel 2.12: Die Kraft auf den
recht nach unten. Die hohe Geschwindigkeit folgt Kleinwagen
dem nur gemächlich, die Kugel folgt einer flachen Aufgabe: Unser Kleinwagen aus Beispiel 2.9
Wurfparabel. (m = 1000 kg) beschleunigt in 10 Sekunden
Der Einfachheit halber wurde bisher angenom- von Null auf 130,8 km/h. Welche Kraft wirkt
men, dass die Kanonenkugel oder ein Ball eine reine dabei auf ihn?
Translationsbewegung im Sinne von 7 Abschn. 2.1.3 Lösung: Nach der Grundgleichung der
absolvieren: alle Teile bewegen sich mit der glei- Mechanik ist:
chen Geschwindigkeit und Beschleunigung. Das
wäre ein seltener Glücksfall. Tatsächlich wird ein 130, 8 km/h 36, 3 m/s
F = m⋅ a = m⋅ = m⋅ = 3633 N
10 s 10 s
Ball praktisch immer auch rotieren und zuwei-
len wird im Sport ein solcher „Drill“ des Balles
2.3 · Dynamik der linearen Bewegung
61 2
2.3.2 Kraft = Gegenkraft ist eine Reibungskraft, die eine hinreichende Rauigkeit
von Boden und Schuhsohle voraussetzt. Es mag nun
Wenn ein Gegenstand auf einen anderen eine Kraft überraschen, das die Kraft, die das Männchen auf den
ausübt, gibt ihm das keine Vorrechte; der andere Wagen ausübt, genau so groß ist wie die Kraft, die der
Gegenstand übt nämlich auf den einen auch eine Wagen auf das Männchen ausübt (die schrägen Pfeile),
Kraft aus, mit gleichem Betrag, aber in entgegenge- obwohl doch das Männchen den Wagen zieht und
setzter Richtung. Man sagt dazu: nicht umgekehrt. In diesem speziellen Fall können
wir das aber sogar aus dem 2. Newton´schen Gesetz
Merke ableiten. Das geht so: Wir bezeichnen die Kräfte mit
Nummern; also zum Beispiel die Kraft, die die Straße
3. Newton´sches Gesetz: Kraft gleich auf
das Männchen ausübt (vorderster roter Pfeil), ist
Gegenkraft (actio = reactio): Die von zwei F31 und die Kraft, die der Wagen auf das Männchen
Gegenständen aufeinander ausgeübten ausübt, ist F21 . Genauer soll das hier nur die horizon-
Kräfte sind gleich groß und einander tale Komponente sein, denn wir wollen nun Gleichun-
entgegengesetzt. gen für die nach vorn gerichtete Beschleunigung a
von Wagen und Männchen aufstellen. Die Beschleu-
nigung ist für beide gleich, da sie miteinander verbun-
Für Drehmomente gilt das übrigens auch. den sind. Nach dem 2. Newton´schen Gesetz gilt nun
Dieses Gesetz bereitet erfahrungsgemäß Schwie- für das Männchen:
rigkeiten, da es in vielen Fällen der Intuition wie-
derspricht. Wir betrachten noch einmal das Männ- F31 + F21 = m1 ⋅ a
chen, das in . Abb. 2.29 einen Bollerwagen zieht und
schauen uns die Kräfte genauer an (. Abb. 2.50). Die F31 ist größer als F21 (horizontale Komponente) und
Abbildung zeigt die wichtigsten Kräfte auf den Mann, deshalb ist die Summe der beiden Kräfte nach vorn
der zieht (rote Pfeile) und die Kräfte auf Bollerwagen gerichtet wie die Beschleunigung. Für den Wagen gilt:
und Straße. Im Bild wegelassen sind die senkrechten
Kräfte: die Schwerkraft auf den Mann und eine senk- F12 + F32 = m2 ⋅ a.
recht nach oben gerichtete Kraft, die die Straße auf den
Mann (und den Wagen) ausübt, sodass diese nicht im F32 ist die Summe der Reibungskräfte, die die Straße
Boden versinken. Der Mann zieht am Seil und dieses auf die Räder ausübt. Für Männchen und Wagen
überträgt eine Kraft auf den Wagen, der sich daraufhin zusammengenommen gilt noch:
in Bewegung setzt. Aber auch der Wagen übt über das
Seil auf den Mann eine Kraft aus. Kappte man das Seil, F31 + F32 = (m1 + m2) ⋅ a .
so fiele er vornüber. Die Kraft zum ziehen des Wagens
muss sich der Mann wiederum von der Straße besor- Diese letzte Gleichung sagt uns die entscheidende
gen. Stünde er auf Glatteis, so bekäme er den Wagen Bedingung, die erfüllt sein muss, damit das Männ-
nicht vom Fleck. Diese Kraft auf den Fuß des Mannes chen den Wagen beschleunigen kann: die Reibungs-
kraft, die die Straße auf das Männchen ausübt, muss
größer sein als die Reibungskraft, die die Straße auf
die Räder des Wagens ausübt. Das geht nur, weil der
Wagen auf Rädern rollt. Wären die Bremsen des
Wagens angezogen, sodass das Männchen den Wagen
hinter sich her schleifen müsste, so hätte es keine
Chance, wenn der Wagen schwerer als es selbst ist.
Wir können nun einmal die ersten beiden Glei-
. Abb. 2.50 Kraft und Gegenkraft. Die wichtigen Kräfte
chungen addieren:
auf den Mann (in rot) und die jeweiligen Gegenkräfte auf den
Wagen und den Boden (in schwarz) F31 + F21 + F12 + F32 = (m1 + m2) ⋅ a.
62 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper
Diese Gleichung muss nun aber gleich der dritten halten, und die schreiben ihm das so vor. Dieser Tat-
Gleichung sein. Das geht nur, wenn tatsächlich gilt: bestand wird mathematisch mit einer sog. Bewe-
gungsgleichung beschrieben. Sie ist eine Gleichung
2 F21 + F12 = 0. für den Ortsvektor r (t) des Balles (genauer gesagt:
dessen Schwerpunkt), die dieser zu jedem Zeitpunkt
Damit haben wir nachgerechnet, das jedenfalls die t erfüllen muss. Lösungen der Bewegungsgleichung
horizontalen Komponenten der Kräfte zwischen sind also Funktionen der Zeit. Das Rezept zum Auf-
Wagen und Männchen entgegengesetzt gleich sein stellen einer Bewegungsgleichung ist im Prinzip
müssen, wie es das 3. Newton´sche Gesetz behaup- einfach: Mannehme die Grundgleichung der Mecha-
tet. Das gilt aber auch für alle anderen Kräfte und ihre nik m ⋅ a = F und setze die Kraft als Funktion des
Gegenkräfte im Bild. Ortes hinein:
Die Erde zieht den Mond mit einer Kraft an, die
d2
ihn auf seiner Bahn hält. Aber der Mond zieht auch m⋅ r (t) = F (r (t))
dt 2
die Erde mit einer (entgegengesetzt gleichen) Kraft
an, der beispielsweise das Wasser der Meere nach- Dies ist eine Gleichung für die Funktion r (t), in der
gibt und so Ebbe und Flut produziert. Auch hier gilt auch eine Ableitung, in diesem Fall die zweite, der
Kraft gleich Gegenkraft. Das kann nun aber nicht aus Funktion vorkommt. Man nennt sie Differentialglei-
dem 2. Newton´schen Gesetz abgeleitet werden. Das chung. Wie man mit Differentialgleichungen fertig
3. Newton´sche Gesetz ist ein Gesetz aus eigenem wird, ist Sache der Mathematik und braucht darum
Recht. Wir werden noch lernen, dass es eng mit dem hier nicht besprochen zu werden. Die Lösungen der
Impulserhaltungssatz zusammenhängt, den wir in wichtigsten Differentialgleichungen der Physik kann
7 Abschn. 2.3.4 kennenlernen werden. man nachschlagen.
Für den Ball hängt die Gewichtskraft gar nicht
vom Ort ab. Das macht die Bewegungsgleichung
Frage: Was übt eigentlich die Kraft aus, besonders einfach. Bei genauerem Hinsehen sind es
die unseren Kleinwagen aus Beispiel 2.12 ja drei Gleichungen, für jede Koordinate des Orts-
beschleunigt? vektors eine, nämlich:
Dumme Frage! Der Motor natürlich. Oder?
d2
Der Motor ist ja Teil des Autos und fährt mit. m⋅ r (t) = 0
dt 2 x
Würde er die das Auto beschleunigende Kraft
ausüben, wäre das so wunderbar wie der Graf
d2
Münchhausen, der sich am eigenen Zopf aus m⋅ r (t) = 0
dt 2 y
dem Sumpf zieht. Die Kraft muss schon von
außen kommen, also von der Straße. Der Motor
d2
übt über die Räder eine Kraft auf die Straße m⋅ r (t) = −m ⋅ g
dt 2 z
aus. Die Gegenkraft beschleunigt das Auto. Sie
beruht auf der Reibung zwischen Rädern und Die Gewichtskraft wirkt nur senkrecht nach unten
der Straße. Auf eisglatter Fahrbahn nützt der und das Koordinatensystem wurde hier so gewählt,
stärkste Motor nichts. dass dies die zur z-Achse entgegengesetzte Richtung
ist. Die Mathematik sagt, dass die ersten beiden Glei-
chungen nur durch Funktionen erfüllt werden, die
entweder gar nicht oder linear von der Zeit abhängen.
2.3.3 Bewegungsgleichung Die dritte Gleichung wird nur durch ein Polynom
2. Grades erfüllt, also durch eine Parabelfunktion;
Wirft man einen Ball, so wird dieser nie zick-zack daher die Wurfparabel. Die Bewegungsgleichung(en)
durch die Luft sausen, sondern immer brav auf einer schreibt dem Ball durchaus nicht genau vor, wo er
Wurfparabel entlang fliegen. Er kann nicht anders, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt zu befinden
denn er muss sich an die Newton´schen Gesetze hat. Nur wenn auch noch die Anfangsbedingungen
2.3 · Dynamik der linearen Bewegung
63 2
festliegen, wenn bekannt ist, wo und mit welcher immer seine Bewegung ändern will, muss etwas
Geschwindigkeit sich der Ball zum Zeitpunkt t = 0 haben, wovon er sich abstoßen kann.
bewegt, ist die weitere Flugbahn durch die Bewe- Für quantitative Überlegungen eignet sich der
gungsgleichung eindeutig vorgegeben. in . Abb. 2.51 skizzierte Versuch. Zwei Wägelchen
In dieser Betrachtung wurde, wieder einmal, mit den Massen m1 und m2 stehen (reibungsfrei)
die Reibung vernachlässigt. Ihre Berücksichtigung auf ebener Bahn, eine gespannte Sprungfeder zwi-
würde die Bewegungsgleichung und ihre Lösun- schen sich. Diese drückt auf die beiden Wagen mit
gen deutlich komplizierter machen. Ferner ist die betragsgleichen, aber entgegengesetzt gerichteten
Gewichtskraft nur näherungsweise vom Ort unab- Kräften:
hängig. Auf dem Sportplatz gilt das vorzüglich, bei
einem Satelliten, der um die Erde läuft, aber ganz F1 = −F2
und gar nicht. Für ihn steht auf der rechten Seite der
Bewegungsgleichung das Gravitationsgesetz: Ein Zwirnsfaden hält die Wagen zusammen; er liefert
die Gegenkräfte, die das ganze System in Ruhe halten.
d2 m⋅ME r
m ⋅ 2 r (t) = −G ⋅ Brennt man den Faden mit der Flamme eines Streich-
dt r2 r
holzes durch, so fahren die Wagen auseinander, für
Dies ist ein System von drei voneinander abhängigen kurze Zeit beschleunigt, bis die Feder entspannt
Differentialgleichungen. Seine Lösungen sind Ellip- herunterfällt:
sen- oder Kreisbahnen. Alle Satelliten und Planeten
halten sich daran. m1 ⋅ a1 = F1 = −F2 = −m2 ⋅ a2
Die Diskussion der wichtigen Bewegungs-
gleichungen schwingender Gegenstände folgt in Die Kräfte fallen rasch auf null; gleiches gilt für die
7 Abschn. 4.1.2. beiden Beschleunigungen. Doch wie deren zeitliche
Verläufe auch immer aussehen, sie führen zu einer
Endgeschwindigkeit
2.3.4 Impuls t t
1 1
1
v = ∫ a(t) dt = ⋅ ∫ F (t) dt.
Wer vor Freude in die Luft springt, gibt der Erde m
t0 t0
einen Tritt. Das macht ihr nichts aus, denn sie besitzt
die größte Masse, die in der Reichweite des Men- Das Integral über F wird Kraftstoß genannt. Auf
schen überhaupt vorkommt. Ein startendes Flug- einen Gegenstand der Masse m überträgt es den
zeug kann sich nicht von der Erde abstoßen; es saugt
mechanischen Impuls p = m ⋅ v
Luft aus der Umgebung an und bläst sie in gerichte-
tem Strahl nach hinten weg. Eine Mondrakete findet mit der Einheit kg·m/s; er ist ein Vektor.
keine Luft mehr vor; sie verwendet für den gleichen Solange eine Kraft andauert, ändert sie den Impuls
Zweck die Verbrennungsgase ihres Treibstoffs. Wer des Gegenstands mit der „Änderungsgeschwindigkeit“
Y Y
64 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper
folgt
∑ p =konstant
Die Mitglieder eines abgeschlossenen Systems
können zwar Impuls untereinander austauschen, sie
können aber Impuls weder schaffen noch vernichten.
Impuls wird bei jedem Stoß ausgetauscht, und
Stöße gibt es viele in der Welt, nicht nur beim Boxen . Abb. 2.52 Stoßpendel. Haben beide Kugeln gleiche
und beim Fußball. Elektronen stoßen mit Mole- Masse, so übernimmt die gestoßene von der stoßenden
külen (Gasentladung, s. 7 Abschn. 6.2.5), Moleküle Impuls und kinetische Energie vollständig
2.3 · Dynamik der linearen Bewegung
65 2
Teilen der zweiten Gleichung durch die erste führt zu
v + u = V + U .
Einsetzen in den Impulssatz ergibt dann für die
beiden Geschwindigkeiten nach dem Stoß:
v(m − M ) + 2 ⋅ M ⋅ V
u= ,
m+M
V (M − m) + 2 ⋅ m ⋅ v
U= .
m+M
. Abb. 2.53 Pendelkette. Auf der einen Seite fliegen stets
ebenso viele Kugeln ab, wie auf der anderen Seite auftreffen Nach der Rechnung sind bei elastischem Stoß zweier
(gleiche Kugelmassen vorausgesetzt) Gegenstände die Endgeschwindigkeiten eindeu-
tig durch die Anfangsgeschwindigkeiten und die
Stoß berühren, liegt in der Größenordnung Millise- Massen festgelegt. Haben beide Gegenstände gleiche
kunden; sie ist so kurz, dass mehrere Stöße allemal Massen (m = M) und befindet sich der eine vor dem
nacheinander erfolgen. Stoß in Ruhe (V = 0), so überträgt die erste Kugel in
Dass die beiden Stahlkugeln der . Abb. 2.52 den der Tat ihren Impuls beim Stoß vollständig auf die
Impulssatz erfüllen, leuchtet unmittelbar ein. Der zweite:
wäre freilich auch zufrieden, wenn die Kugeln nach u = 0 und U = v.
dem Stoß beisammen blieben und sich gemein-
sam wegen ihrer jetzt doppelten Masse mit halber Ungleiche Stoßpartner ergeben ein komplizierteres
Geschwindigkeit zur Seite bewegten. Warum tun Ergebnis; erst bei extrem ungleichen Massen wird
sie das nicht? Stoßpartner müssen nicht nur auf die es wieder einfach: Der Ball, der beim Squash gegen
Erhaltung des Impulses achten, sondern auch auf die die Wand gedonnert wird, kommt wegen m ≪ M
Erhaltung der Energie. Stahlkugeln tun dabei etwas mit (praktisch) der gleichen, aber entgegengesetzt
Übriges: Sie sorgen sogar dafür, dass die vor dem Stoß gerichteten Geschwindigkeit zurück (V = −v).
vorhandene kinetische Energie auch nach dem Stoß Wie schon erwähnt, stellt der elastische Stoß einen
kinetische Energie bleibt. Dieser sog. elastische Stoß idealisierten Grenzfall dar. Streng genommen gibt es
stellt einen Grenzfall dar, der ein wenig idealisiert ihn nicht, denn auch bei den besten Stahlkugeln geht
ist und sich darum relativ leicht durchrechnen lässt. im Stoß immer noch ein wenig kinetische Energie in
Um die Schreibarbeit etwas zu erleichtern, sollen Wärme über. Das nennt man inelastischen Stoß. Er
die Massen zweier stoßender Kugel mit m und M lässt sich nur dann berechnen, wenn der Verlust an
bezeichnet werden, ihre Geschwindigkeiten in x- kinetischer Energie genau bekannt ist. Einfach wird
Richtung vor dem Stoß mit v und V und nach dem es erst wieder in dem anderen Grenzfall, dem sog.
Stoß mit u und U. Dann verlangt der Impulssatz vollständig inelastischen Stoß (oder unelastischen
Stoß), bei dem die Stoßpartner aufeinander kleben
m ⋅ v + M ⋅V = m ⋅ u + M ⋅U
bleiben – experimentell realisierbar beispielsweise
und der auf die kinetische Energie reduzierte durch ein Stückchen Kaugummi dort, wo sich die
Energiesatz beiden Kugeln berühren. Dann wird ihre gemeinsame
Geschwindigkeit vom Impulssatz bestimmt:
m(v 2 − u 2) = M (V 2 − U 2).
m ⋅ v + M ⋅V
Umstellen der Glieder liefert u =U =
m+M
m(v − u) = M (V − U )
Der Energiesatz legt dann fest, wie viel Wärme durch
und plastische Verformung des Kaugummis entwickelt
wird. Dieser Stoß heißt vollständig inelastisch, weil
m(v 2 − u 2) = M (V 2 − U 2).
bei ihm am meisten Wärme entwickelt wird.
66 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper
Frage: Was ist schlimmer? Mit 50 km/h gegen Kraft gleich Masse mal Beschleunigung (des Schwer-
die Wand fahren oder frontal mit einem mit eben- punkts). Da liegt nun die Vermutung nahe: Wenn
falls 50 km/h fahrenden gleich schweren Auto man eine Rotation aus der Ruhe anwerfen
will, dann
2 zusammenstoßen? braucht man ein Drehmoment T (7 Abschn. 2.2.6).
Antwort: Nehmen wir an, es handele sich in Und was dann passiert, sagt ein Gleichung:
beiden Fällen um einen unelastischen Stoß. Das Auto
bleibt dann an der Wand stehen und die gesamte T = ? ⋅ α,
kinetische Energie des Autos entfaltet ihre zerstöre- Drehmoment gleich Irgendwas mal Winkelbeschleu-
rische Wirkung. Aber auch die beiden frontal zusam- nigung. Für welche physikalische Größe steht das
menstoßenden Autos bleiben stehen. Da sie sich mit Fragezeichen?
gleicher Masse und Geschwindigkeit entgegengesetzt Um diese Frage zu beantworten, soll zunächst nur
bewegt haben, war der Gesamtimpuls vor der Kol- ein kleiner Teil des rotierenden Gegenstands betrach-
lision Null. Also muss er es danach auch noch sein. tet werden, der die Masse Δm haben möge. Dieser Teil
Für das einzelne Auto ist die Wirkung also genau die- befinde sich im Abstand r von der Drehachse und
selbe. Schlimmer ist der Frontalzusammenstoß nur, zufällig soll gerade auf diesen Teil eine resultierende
weil zwei Autos betroffen sind. Kraft F wie in . Abb. 2.54 wirken. Das bedeutet dann
einerseits, dass er tangential beschleunigt wird:
F = ∆m ⋅ at,
Rechenbeispiel 2.13: Zorniges Kind
Aufgabe: Ein Kleinkind, welches in da F senkrecht zum Ortsvektor r steht. Andererseits
einem leichtgängigen Kinderwagen sitzt wirkt auf Δm ein Drehmoment mit Betrag T = r ⋅ F .
(Gesamtmasse Kind plus Kinderwagen: 10 kg) Es darf auch geschrieben werden:
werfe seine volle Nuckelflasche (250 g) mit
T = r ⋅ F = r ⋅ ∆m ⋅ at = r 2 ⋅ ∆m ⋅ α
vN = 2 m/s in Fahrtrichtung aus dem Wagen.
Wenn der Kinderwagen zunächst in Ruhe war, denn für die Winkelbeschleunigung α gilt at = r ⋅ α,
welche Geschwindigkeit hat er nun? wie in Abschn. 2.1.4 besprochen. Für diesen Teil des
Lösung: Der Gesamtimpuls war vor dem Gegenstands ist also das Fragezeichen r 2 ⋅∆m , und
Wurf Null, also muss er es danach auch für jeden anderen Teil natürlich auch. Es bleibt nur,
noch sein. Der Wagen wird sich also alle zusammenzuzählen. Für einen Gegenstand mit
entgegengesetzt zur Wurfrichtung mit einer kontinuierlicher Massenverteilung bedeutet dies
Geschwindigkeit vW bewegen, für die gilt: eine Integration über infinitesimal kleine Massen-
0, 25 kg
elemente dm:
250 g ⋅ vN = −10 kg ⋅ vW ⇒ vW = ⋅v
10 kg N T = α ⋅ ∫ r 2 ⋅ dm
= 0, 05 m/s.
wobei T nun das resultierende Drehmoment auf den
Gegenstand ist. Die Winkelbeschleunigung α kann vor
das Integral, weil sie für alle Teile des starren Gegen-
2.4 Dynamik der Rotation stands gleich ist. Das Integral bekommt einen Namen:
Tragheitsmoment
J = ∫ r 2 ⋅ dm.
2.4.1 Das 2. Newton´sche Gesetz in
neuem Kleid
) P
Wenn man eine lineare Bewegung des Schwerpunk-
tes aus der Ruhe anwerfen
will, braucht man eine
U
resultierende Kraft F . Was dann passiert, sagt das
2. Newton´sche Gesetz:
F = m ⋅ as, . Abb. 2.54 Dynamik der Rotation (siehe Text)
2.4 · Dynamik der Rotation
67 2
Im Detail erweist es sich als eine etwas vertrackte gilt, kann nach alledem nicht mehr verwundern.
physikalische Größe; darum soll ihm ein eigenes Für den oben betrachteten Teil Δm des rotierenden
7 Abschn. 2.4.3 gewidmet werden. Gegenstands gilt ja:
Man darf in vielen wichtigen Fällen das Ganze als
1 1
Vektorgleichung schreiben: ∆Ekin = ∆m ⋅ v 2 = ∆m ⋅ r 2 ⋅ ω 2.
2 2
T = J ⋅α Integration über den ganzen Gegenstand liefert dann
die obige Gleichung.
Die Vektoren T und α zeigen dann gemeinsam in
Richtung der Drehachse. Merke
Diese Grundgleichung der Rotation ist nichts
anderes als das 2. Newton´sche Gesetz. Es hat nur ein Die wichtigsten Analogien sind in der
anderes „mathematisches Kleid“ bekommen, das für folgenden Tabelle zusammengestellt:
die Behandlung von Drehbewegungen besser geeig- lineare Bewegung Rotation
net ist. Wegstrecke s Drehwinkel φ
Die Analogie zur linearen Bewegung kann noch Geschwindigkeit v
Winkelgeschwindigkeit ω
etwas weiter gerieben werden. Mit der Definition des Beschleunigung a
Winkelbeschleunigung α
Impulses p = m ⋅ v ließ sich dort die Grundgleichung
dp Kraft F Drehmoment T
F = m ⋅ a umschreiben zu F = (wenn die Masse Masse m Trägheitsmoment J
dt
konstant ist). Es liegt deshalb nahe, für die Rotation Impuls p = m ⋅ v Drehimpuls L = J ⋅ ω
einen dp dL
F = m⋅ a = T = J ⋅α =
dt dt
Drehimpuls L = J ⋅ ω
1 1
Wkin = m ⋅ v 2 Wkin = J ⋅ ω2
2 2
zu definieren, der dann der Bedingung
dω dL
T =J⋅ =
dt dt
folgt (wenn J konstant ist). Ohne äußeres Drehmo- 2.4.2 Dynamik der Kreisbewegung
ment bleibt der Drehimpuls demnach konstant. Im
abgeschlossenen System gilt deshalb neben dem Im Weltraum gibt es fast schon „Gedrängel“, aller-
schon bekannten Impulssatz auch ein Drehimpuls- dings nur in einem schmalen Ring rund 36.000 km
erhaltungssatz. Er hat zuweilen recht überraschende über dem Äquator: dort versammeln sich alle Nach-
Konsequenzen, von denen einige in den nächsten richten- und Wettersatelliten der Erde. Man nennt
Kapiteln besprochen werden sollen. sie geostationär, weil ein jeder senkrecht über seinem
Punkt auf der Erde stehen bleibt, d. h. mit der glei-
Merke chen Winkelgeschwindigkeit um die Erde läuft, mit
der sich diese selber dreht. Warum Äquator, warum
Drehimpuls L = J ⋅ ω 3,6·107 m?
Grundgleichung der Rotation:
Wer auf einer Kreisbahn laufen will, braucht eine
dL
Zentripetalbeschleunigung az , die ständig zum
T = J ⋅ α oder T =
dt Mittelpunkt des Kreises zeigt, sich also mitdreht.
7 Abschn. 2.1.4 hatte für ihren Betrag
v2
Dass für die in einer Rotation enthaltene kinetische az = ω 2 ⋅ r =
r
Energie die Formel
ergeben (ω = Winkelgeschwindigkeit, v = Bahnge-
1
Ekin = J ⋅ ω 2 schwindigkeit, r = Radius der Kreisbahn). Nach der
2
Grundgleichung der Mechanik muss az von einer
68 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper
ebenfalls ständig zum Mittelpunkt des Kreises zei- nur Zugkräfte in ihrer eigenen Richtung übertra-
genden Kraft geliefert werden. Sie heißt Zentripetal- gen (. Abb. 2.60). Die Passagiere brauchen für ihre
kraft und hat den Betrag Kreisbahn eine horizontale Zentripetalkraft Fz ;
2 v2
die Ketten müssen sie liefern, mit der waagerech-
Fz = m ⋅ az = m ⋅ ω 2 ⋅ r = m . ten Komponente ihrer Zugkraft. Diese Kompo-
r
nente existiert nur, wenn die Gondeln nach außen
Der Hammerwerfer auf dem Sportplatz muss sie mit schwenken, und die Ketten schräg nach oben ziehen
seinen Muskeln aufbringen und über das Seil des (. Abb. 2.60, rechtes Kräftedreieck). Gerade unter
„Hammers“ auf diesen übertragen. physikalischen Laien ist es sehr gängig zu sagen:
auf die Passagier wirkt eine nach außen gerichtete
Merke Zentrifugalkraft, die die Gondeln nach außen zieht.
Eine sorgfältige Betrachtung zeigt leider, dass diese
Kreisbahn: Zur Zentripetal(Zentral) an sich so anschauliche Vorstellung ihre Tücken hat.
beschleunigung az gehört eine zum Zentrum Tatsächlich ist ja nichts und niemand da, der diese
hin gerichtete Kraft ausübt. Die Zentrifugalkraft ist eine sogenannte
Zentripetalkraft mit Betrag Trägheitskraft oder Scheinkraft, die es strenggenom-
Fz = m ⋅ az = m ⋅ ω 2 ⋅ r . men nur in beschleunigten Bezugssystemen gibt. Das
wird in 7 Abschn. 2.5.2 besprochen.
Auch alle Teile eines rotierenden Gegenstands
Die geostationären Satelliten können sich ihre Zent- bewegen sich auf Kreisbahnen und müssen von
ripetalkraft nur von der Gravitation holen. Die aber Zentripetalkräften auf ihnen gehalten werden. Der
zeigt zum Zentrum der Erde; deren Mittelpunkt ist Gegenstand muss genug Festigkeit haben, diese Zen-
Mittelpunkt der Kreisbahn, ob der Satellit nun über tripetalkräfte aufbringen zu können. Bei sehr schnell
die Pole läuft oder anderswo. Geostationär kann er rotierenden Turbinen ist das keine Selbstverständ-
sich freilich nur in einer Äquatorbahn aufhalten; alle lichkeit. Hat das Turbinenrad ernsthafte Material-
anderen Bahnen überstreichen verschiedene geogra- fehler oder wurde es falsch berechnet, kann es aus-
phische Breiten. einander fliegen wie eine Bombe.
In Satellitenhöhe darf man für die Fallbeschleu-
nigung nicht mehr den erdnahen Wert g ansetzen,
man muss das Gravitationsgesetz F = G·m·M/r2 Rechenbeispiel 2.14: Geostationäre Bahn
bemühen (s. 7 Abschn. 2.2.2, G = Gravitationskon- Aufgabe: Sind geostationäre Satelliten wirklich
stante, M = Masse der Erde). Vom geostationären 36000 km über dem Äquator? (Nutzen Sie die
Satelliten wird die Kreisfrequenz ωE = 2π/24 h ver- Tabellen im Anhang.)
langt, mit der die Erde rotiert. Daraus folgt für den Lösung: Die oben angegebene Gleichung für
Betrag der Zentripetalkraft: die Zentripetalkraft lässt sich nach r3 auflösen:
m⋅M G⋅M
Fz = m ⋅ ωE2 ⋅ r = G . r3 = .
r2 ωE2
2π
Es ist: ωE = = 7, 27 ⋅10−5 s−1 ; G = 6,68 ⋅
G ist eine Naturkonstante, M und ωE sind fest vorge- 24 h
geben, also kann die Bedingung „geostationär“ nur 10-11 m³/kg⋅s; M = 5,97 ⋅ 1024 kg. Damit ergibt
von einem einzigen Bahnradius erfüllt werden. Die sich: r³ = 7,54 ⋅ 1022 m³ und r = 4,22 ⋅ 104 km.
Satelliten müssen sich drängeln. Will man die Höhe über dem Äquator wissen,
Mit weniger Aufwand als eine Raumfähre muss man noch den Erdradius von rE = 6,38 ⋅
dreht ein Kettenkarussell seine Passagiere im Kreis 103 km abziehen und kommt tatsächlich auf
herum. Dabei schwenken die Gondeln nach außen; 3,58 ⋅ 104 km.
die Ketten, an denen sie hängen, können wie Seile
2.4 · Dynamik der Rotation
69 2
2.4.3 Trägheitsmoment Der Rechentrick besteht darin, sich den Zylinder aus
lauter Rohren in der Art einer Zwiebel zusammen-
Das Trägheitsmoment J eines vorgegebenen gesetzt zu denken. Jedes dieser Rohre mit Radius r
Gegenstands lässt sich nicht als einfacher Messwert und infinitesimaler Wandstärke dr hat eine Masse
angeben, denn es hängt nicht nur von der Gestalt
des Gegenstands ab, davon, wie er seine Masse im dm = 2π ⋅ r ⋅ dr ⋅ l ⋅ ρ
Raum verteilt, sondern auch von der Lage und der
Richtung der Drehachse. Dadurch wird J formal zu wobei l die Länge des Rohres und ρ die Dichte des
einem Tensor mit neun Komponenten und einem Materials ist. Das Trägheitsmoment ist:
besonderen Thema für Lehrbücher der Mathematik.
Der Physiker hält sich am besten zunächst einmal dJ = r 2 ⋅ dm = 2π ⋅ r 3 ⋅ dr ⋅ l ⋅ ρ
an übersichtliche Sonderfälle. Der einfachste ist
eine punktförmige Masse m die auf einer Kreisbahn Nun muss nur noch ein einfaches Integral über die
mit Radius R umläuft. Definitionsgemäß hat sie ein Radiusvariable r von 0 bis zum Zylinderradius R aus-
Trägheitsmoment J = m ⋅ R 2 . Die gleiche Formel geführt werden, die
ergibt sich auch für ein Rohr, das um seine Längs-
1 1
achse rotiert, denn auch bei ihm befindet sich die J = π ⋅ R 4 ⋅ l ⋅ ρ = m ⋅ R 2. .
2 2
ganze Masse im gleichen Abstand von der Mittel-
achse, nämlich dem Radius des Rohres. Bei einem liefert, da die Masse des Zylinders m = π ⋅ R 2 ⋅ l ⋅ ρ ist.
homogen mit Masse gefüllten Zylinder, der ebenfalls Man könnte den Zylinder natürlich auch um eine
um die Mittelachse rotiert, muss das Trägheitsmo- Querachse rotieren lassen. Dann ist die Rechnung
ment niedriger sein, da ja hier die Masse im Mittel viel schwieriger und es kommt eine andere Formel
näher an der Drehachse ist. Hier gilt es, das Integral: heraus. Die Tabelle . Abb. 2.55 gibt einige Formeln
für einfache Gegenstände und verschiedene Achsen,
J = ∫ r 2 ⋅ dm die durch den Schwerpunkt des jeweiligen Gegen-
stands gehen.
tatsächlich auszurechnen. Im allgemeinen Fall ist das Ist die Drehachse aus dem Schwerpunkt heraus
ein keineswegs triviales Problem der Mathematik. Das parallelverschoben um einen Abstand a, so muss zu
Integral ist für den Zylinder mit einen Trick relativ diesen Werten für das Trägheitsmoment noch ein
leicht zu lösen. Es kommt heraus, dass das Trägheits- Term m ⋅ a 2 dazuaddiert werden (Satz von Steiner).
moment gerade halb so groß ist wie beim Rohr, also: Das ist plausibel, denn dann läuft auch noch der
Schwerpunkt auf einer Kreisbahn um die Drehachse
1
J = m ⋅ R 2 . herum.
2
' 5
-VP5 -VP5 -VP5 -VP/ -VP/
-V P 5 / -V P 5 / -VP/
. Abb. 2.55 Trägheitsmomente einiger symmetrischer Gegenstandbezüglich verschiedener Achsen durch den Schwerpunkt
70 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper
m ⋅ aS = FH − FR
)8
Die Normalkomponenten F N und F U kompen-
sieren sich ja weg wie bei der Kiste auf der Rampe
)+
)5 (7 Abschn. 2.2.3). Für die Winkelbeschleunigung ist
nun Drehmoment und Trägheitsmoment bezüg-
)1
lich der Symmetrieachse durch den Schwerpunkt
)* zuständig:
T R ⋅ FR
α= S =
J S 1 mR 2
. Abb. 2.56 Rollender Zylinder. Kräfte auf einen
2
herabrollender Zylinder. Je nachdem, wo man sich die
Das Problem liegt nun darin, dass die Reibungskraft
Drehachse hindenkt, liefert die Reibungskraft oder die FR unbekannt ist. Zwei Gleichungen für die drei
Hangabtriebskraft das Drehmoment auf den Zylinder Unbekannten aS, α und FR reichen nicht. Das Wissen,
dass es eine Rollbewegung ist, liefert aber noch einen
Zusammenhang zwischen aS und α:
Drehachse ist ja die Berührlinie. Die dort angreifende
Reibungskraft FR trägt nicht zum Drehmoment bei. aS = α ⋅ R
1
Zu dem Trägheitsmoment laut Tabelle m ⋅ R 2 ist
2 Stöpselt man diese drei Gleichungen zusammen, so
gemäß Steiner´schem Satz ein Term m ⋅ R 2 dazu zu kommen natürlich dieselben Gleichungen für α und
addieren. Die Winkelbeschleunigung ist dann: als heraus, die in der ersten, eben etwas schnelleren
Betrachtung gewonnen wurden. Dies zu prüfen, sei
T R ⋅ FH 2 FH
α= = = dem Leser als Übung überlassen.
J 3
m⋅ R 2 3 m⋅ R
Die Rollbewegung ist zwar schon deutlich kom-
2
plizierter als die einfache Drehung um eine raum-
Der Schwerpunkt befindet sich im Abstand R von feste Achse, aber die Bewegung eine starren Gegen-
der momentanen Drehachse und erfährt die (Tan- stands kann noch viel komplizierter sein. Man denke
gential-)Beschleunigung an die Pleuelstange in einem Kolbenmotor. Welche
wilden Bewegungen hier die momentane Dreh-
2 FH
aS = α ⋅ R = . achse macht, muss nur der Maschinenbauingenieur
3 m
wissen und das lernt er (hoffentlich) in der Techni-
Würde der Zylinder nicht rollen, sondern reibungs- schen Mechanik.
frei rutschen, so wäre seine Beschleunigung gerade
F
aS = H . Rollend ist er langsamer, da die Drehbe-
m Rechenbeispiel 2.17: Wettlauf zwischen
wegung gegen die Trägheit des Trägheitsmomentes Rohr und Walze
beschleunigt werden muss. Wäre das Trägheitsmo- Aufgabe: Beim Wettlauf gewinnt die Walze, da
ment größer, wäre die Beschleunigung noch gerin- sie bei gleicher Masse und Radius das kleinere
ger. Dies wird in einem beliebten Vorlesungsversuch Trägheitsmoment hat. Um welchen Faktor ist
demonstriert, in dem man einen homogenen Zylin- die Winkelbeschleunigung der Walze größer?
der und ein Rohr gleicher Masse und gleichen Radius Lösung: Das Trägheitsmoment der Walze
auf einer schiefen Ebene miteinander um die Wette 3
bezüglich der Berührlinie ist m ⋅ R 2 , das des
rollen lässt. Wer gewinnt? 2
Rohres 2m ⋅ R 2. Das Trägheitsmoment der
Natürlich lässt sich alles auch mit der Idee der
zusammengesetzten Bewegung (lineare Bewegung Walze ist also um einen Faktor 3 4 kleiner, ihre
plus Rotation um den Schwerpunkt) ausrechnen. Winkelbeschleunigung also um 4 3 größer.
Auch das soll geschehen: Für die Beschleunigung des
Schwerpunktes liefert der Schwerpunktsatz:
72 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper
2.4.5 Drehimpulserhaltung
(7 Abschn. 2.4.2). Diese Komponente existiert nur, Bezugssystem selber vor. Aber da ist er der einzige
wenn die Gondeln nach außen schwenken, und die im ganzen Stadion. Alle anderen müssen sagen: Da
Ketten schräg nach oben ziehen (. Abb. 2.60, rechtes hält einer mit seinen Muskeln den Hammer auf einer
Kräftedreieck). Der Passagier hingegen kann nun Kreisbahn, und plötzlich lässt er los; folglich fliegt der
folgendes sagen: Ich sitze in einem rotierenden, also Hammer mit seiner momentanen Bahngeschwindig-
beschleunigten Bezugssystem, auf mich wirkt außer keit ab, tangential zum Kreis – wie die Funken von
meiner vertikalen Gewichtskraft FG eine horizontale einer Schleifscheibe (. Abb. 2.61).
Trägheitskraft, die Zentrifugalkraft Ff = −m ⋅ ar . Von den Fliehkräften rotierender Bezugssysteme
Beide addieren sich zu einer schräg nach unten und macht die Technik eifrig Gebrauch. Ein Beispiel ist
außen gerichteten Gesamtkraft, der die Kette
folgen die Zentrifuge. Die Bestandteile einer Suspension
muss (. Abb. 2.60, linkes Kräftedreieck). FZ und Ff lassen sich im Schwerefeld der Erde voneinan-
haben die gleichen Beträge, nach der gleichen Formel der trennen, wie z. B. die Blutsenkung beim Arzt
zu berechnen. Von der Zentrifugalkraft darf nur der zeigt. Das braucht aber Zeit und lässt sich wesent-
mitbewegte Beobachter im rotierenden Bezugssys- lich beschleunigen, wenn man für seine Probe die
tem reden, der Zaungast im ruhenden Bezugssystem Gewichtskraft durch die Fliehkraft einer Zentrifuge
sieht nur die Zentripetalkraft. ersetzt. Auch sie ist massenproportional. Mit hohen
Drehzahlen können durchaus handliche Geräte
Merke
tatsächlich 1,80 m groß war, beträgt der Das wird zuweilen auch Prinzip von d´Alembert
Abbildungsmaßstab ungefähr 1: 80. Im Bild ist genannt. Das dynamische Problem ist damit auf ein
eine Gondel etwa 36 mm von der vertikalen Problem der Statik zurückgeführt. Das erfreut den
Drehachse entfernt, das entspräche in der Maschinenbauer, denn in der Statik kennt er sich
Natur einem Bahnradius von ca. 3 m. Da aber sehr gut aus. Die erste Gleichung liefert die Beschleu-
der Vater näher an der Kamera stand als das nigung des Schwerpunktes und die zweite die Win-
Karussell, dürfte die Annahme r ≈ 4 m korrekter kelbeschleunigung. Damit weiß man alles, was man
sein. Aus der Schräglage der Gondel ergibt über die Beschleunigung des Gegenstands wissen
sich für das Verhältnis von Zentripetalkraft zu kann.
Fz 17 Und wie ist das nun mit dem beschleunigten
Gewichtskraft = = 1, 2 . Das ist auch
FG 14 Bezugssystem, das zu jeder Trägheitskraft gehört?
das Verhältnis der dazugehörigen Beschleu- Der Ingenieur kümmert sich nicht darum, denn
nigungen. Die Radialbeschleunigung ist also seine Regel funktioniert auch, wenn er nicht über
ca. ar = 12 m/s 2. In 7 Abschn. 2.1.4 haben Bezugssysteme nachdenkt.
v2
wir gelernt, dass ar = = r ⋅ ω 2 . Damit Da dies ein Physikbuch ist, soll aber einmal
r darüber nachgedacht werden. Das ist auch gar nicht
ergibt sich für die Winkelgeschwindigkeit:
schwer. Bei genauerem Hinsehen verfährt der Inge-
a
ω = r = 1, 7 s-1 . Das entspricht etwa 16
r
nieur nämlich genau so wie in der zweiten Betrach-
Umdrehungen pro Minute. tung der Rollbewegung in 7 Abschn. 2.4.4. Er denkt
sich die Bewegung aus einer Translation des Schwer-
punktes und einer Rotation um den Schwerpunkt
zusammengesetzt und schreibt für jede Teilbewe-
2.5.3 Trägheitskräfte in der
gung die Bewegungsgleichungen für aS bzw. α hin.
technischen Mechanik Man sieht das gleich, wenn man die Grundgleichun-
gen für das dynamische Gleichgewicht ausschreibt:
Der Ingenieur muss Probleme lösen, zuweilen recht
komplizierte. Da hilft es ihm, feste Regeln zu haben, −m ⋅ aS + ∑ Fi = 0 und − J S ⋅ α + ∑ Ti = 0.
wie Probleme anzugehen sind. Für die Berechnung i i
der Dynamik eines starren Körpers (der Maschinen- Nur wird hier statt von Newton´schem Gesetz
bauer spricht von Kinetik), besteht diese Regel in der und Bewegungsgleichung von d´Alembert´schem
Formulierung eines dynamischen Gleichgewichts; Prinzip und dynamischem Gleichgewicht geredet.
und das geht so: Jede Profession pflegt ihr eigenes Fachchinesisch.
78 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper
Lineare Bewegung
2 Im einfachsten Fall kann die Bewegung eines Körpers in einem Weg-Zeit-Diagramm dargestellt werden (. Abb. 2.3 oben).
Die Geschwindigkeit des Körpers entspricht dann der Steigung des Graphen in diesem Diagramm (. Abb. 2.3 unten).
Man berechnet sie durch Differenzieren des Weges s(t) nach der Zeit t. Umgekehrt kann man aus der Geschwindigkeit v(t)
durch Integrieren den zurückgelegten Weg ermitteln. Die Geschwindigkeit ist genau genommen ein Vektor v (t),
da sie nicht nur einen Betrag, sondern auch eine Richtung hat. Bei der Berechnung von Relativgeschwindigkeiten muss
man daher oft zur Vektoraddition greifen (. Abb. 2.9). Wenn die Geschwindigkeit von der Zeit abhängt, ist der Körper
beschleunigt. Die Beschleunigung a berechnet sich durch Differenzieren der Geschwindigkeit nach der Zeit und ist auch
ein Vektor. Die Beschleunigung ist immer in Richtung der sie verursachenden Kraft gerichtet. Diese Richtung stimmt in
vielen Fällen (z. B. schiefer Wurf, Kreisbewegung) nicht mit der Richtung der Geschwindigkeit ü
berein.
Konstante Geschwindigkeit ∆s s: Weg [m]
Weg v= t: Zeit [s]
∆t
v: Geschwindigkeit [m/s]
s(t) = v ⋅ t + s0
s0: Anfangsort [m]
Konstante Beschleunigung ∆v a: Beschleunigung [m/s²]
Geschwindigkeit a= v0: Anfangsgeschwindigkeit
∆t
Weg [m/s]
v(t) = a ⋅ t + v0
a 2
s(t) = t + v0 ⋅ t + s0
2
. Tab. 2.1 Fortsetzung
Drehmoment
Eng mit dem Begriff der Kraft verwandt und bei Drehbewegungen wichtig ist das Drehmoment T „gleich Kraft mal Hebel-
arm“. Soll ein starrer Körper um eine Achse in Rotation versetzt werden, so kommt es nicht nur darauf an, welche Kraft F
man ausübt, sondern auch in welchem Abstand von der Drehachse (mit welchem Hebelarm l) die Kraft angreift.
Drehmoment T = F ⋅ leff T:
Drehmoment [Nm]
l:V ektor von der Drehachse zum Angriffs-
T = l ×F punkt der Kraft
leff: e ffektiver Abstand des Angriffspunktes
der Kraft von der Drehachse [m]
„Last mal Lastarm gleich Kraft mal F1 ⋅ leff = F2 ⋅ leff F1: Last-Kraft [N]
Kraftarm“ 1 2
leff : Lastarm [m]
1
Gleichgewicht Die Vektorsumme aller Kräfte und Drehmomente muss Null sein
Grundgleichung der Mechanik
Zentral in der Mechanik ist das 2. Newton´sche Gesetz: Ist die Vektorsumme aller Kräfte ungleich null, so wird er beschleu-
nigt. Die Beschleunigung hat also immer genau die Richtung der resultierenden Kraft und hängt auch noch von der Masse
m ab.
Jede Beschleunigung erfordert eine
F = m⋅ a F : Kraftvektor [N]
resultierende Kraft
m: Masse [kg]
a : Beschleunigungsvektor
[m/s]
Arbeit
Der Begriff der Arbeit ist wesentlich für das Berechnen von Energiewerten
Arbeit gleich Kraft mal Weg W = F ⋅ ∆s W: Arbeit [J, Joule]
F: Kraft [N]
s1
Δs: Weg [m]
W= ∫ F (s ) ⋅ ds
s2
Energie
Eine wichtige Größe in der Physik, deren Bedeutung weit über die Mechanik hinausreicht, ist die Energie. Energie wird
nicht erzeugt und nicht verbraucht, sie bleibt erhalten (Energieerhaltungssatz). Die Summe aus potentieller und kineti-
scher Energie in der Mechanik bleibt aber nur dann konstant, wenn keine Reibungskräfte wirken. Reibung wandelt kine-
tische Energie in Wärmeenergie um, weshalb alle mechanischen Geräte eines Antriebes bedürfen, um nicht stillzustehen.
Der Antrieb führt dem Gerät laufend eine gewisse Energie pro Zeit zu. Dies wird angegeben als Leistung
. Tab. 2.1 Fortsetzung
Impuls
2 Bei der Betrachtung von Stößen ist der Impuls von Interesse. Wirken keine äußeren Kräfte, so bleibt er in einem System
von Kugeln zum Beispiel erhalten (Impulserhaltungssatz). So kann man verstehen, was bei Stößen passiert.
Impuls p = m⋅v
p: Impuls kg ⋅ m
s
Impulserhaltung dp
F= ; Impulserhaltung: ohne äußere Kraft F bleibt der Impuls erhalten.
dt
Rotation starrer Körper
Für Drehbewegungen kann das 2. Newton´sche Gesetz auch mit Drehmoment, Winkelbeschleunigung und Trägheitsmo-
ment formuliert werden (s. 7 Abschn. 2.4.1). Das Trägheitsmoment hängt von der Form und Massenverteilung im Körper
ab und von der Lage der Drehachse (. Abb. 2.55).
Winkelbeschleunigung dω
α= ω: Winkelgeschwindigkeit [ 1 ]
Tangentialbeschleunigung dt s
r: Radius
at = α ⋅ r
Trägheitsmoment J: Trägheitsmoment[kg·m2]
J= ∫ r 2 ⋅ dm ;
spezielle Formeln in . Abb. 2.55
Steinerscher Satz J A′ = J A + m ⋅ a2 a: Distanz, um die die Achse
parallelverschoben wird
m: Gesamtmasse des Körpers
JA, JA´: Trägheitsmoment vor
und nach dem
Verschieben der Achse
Grundgleichung
T = J ⋅α T : Drehmoment [N·m]
Drehimpuls
L = J ⋅ω L: Drehimpuls [ kg ⋅ m ]
2
Drehimpulserhaltung
dL
T= ; ohne äußeres Drehmoment bleibt der Drehimpuls erhalten.
dt
2.6 Fragen und Übungen 4. Ein Stein wird von der gleichen Höhe
fallengelassen, von der ein Ball horizontal
? Verständnisfragen geworfen wird. Wer hat die höhere
1. Die mittlere und die momentane Geschwindigkeit beim Auftreffen auf den
Geschwindigkeit sind meist verschieden. Boden?
Für welche Bewegung sind sie gleich? 5. Weil es in Ruhe ist, wirken keine Kräfte auf
2. Kann ein Auto um die Kurve fahren ohne das Auto. Was ist falsch an dieser Aussage?
beschleunigt zu sein? 6. Sie sägen einen Besen im Schwerpunkt
3. Sie werfen einen Ball geradewegs nach durch. Sind die beiden Teile gleich schwer?
oben in die Luft. Welche Werte haben die 7. Wenn Sie von einem Stuhl aufstehen,
Geschwindigkeit und die Beschleunigung müssen Sie sich erst etwas nach vorn
im höchsten Punkt der Bahn? beugen. Warum geht es nicht anders?
2.6 · Fragen und Übungen
81 2
8. Warum muss man vorsichtig bremsen, 0 auf 200 km/h. Wie ungefähr verhalten
wenn man auf einer rutschigen Fahrbahn sie die Motorleistungen der Autos
fährt? zueinander?
9. Warum muss man beim Anfahren mit dem 17. Ein Wagen auf einer Luftschiene bewegt
Fahrrad stärker in die Pedale treten, als sich mit 0,5 m/s, als die Luft plötzlich
wenn man mit konstanter Geschwindigkeit abgeschaltet wird. Der Wagen kommt nach
fährt? einem Meter zum Stehen. Das Experiment
10. Wer übt auf wen eine größere Kraft aus: die wird wiederholt, aber nun bewegt
Erde auf den Mond oder der Mond auf die sich der Wagen mit 1 m/s, als die Luft
Erde? Wer ist stärker beschleunigt? abgeschaltet wird. Wie lang ist der
11. Eine konstante Kraft wird auf einen Bremsweg nun?
Wagen ausgeübt, der sich anfänglich 18. Stellen Sie sich vor, Regen fällt vertikal in
in Ruhe auf einer Luftschiene befindet. einen offenen Wagen, der auf geradem
Die Reibung zwischen dem Wagen und Weg mit zu vernachlässigender Reibung
der Schiene sei vernachlässigbar. Die eine horizontale Strecke entlang rollt.
Kraft wirkt in einem kurzen Zeitintervall Ändert sich seine Geschwindigkeit?
und bringt dem Wagen auf seine 19. Eine Person versucht mit einem Ball
Endgeschwindigkeit. Wie lange muss einen großen hölzernen Bowlingkegel
eine halb so große Kraft auf den Wagen umzuwerfen.
ausgeübt werden, um die gleiche Die Person hat zwei Bälle gleicher Größe
Geschwindigkeit zu erreichen? und Masse – einer ist aus Gummi, der
12. Betrachten Sie eine Person, die sich in andere aus Knete. Der Gummiball springt
einem nach oben beschleunigenden zurück, während der Knetball am Kegel
Fahrstuhl befindet. Ist die nach oben hängen bleibt.
gerichtete Kraft, die vom Fahrstuhlboden Welcher Ball kippt den Kegel am
auf die Person ausgeübt wird, größer, wahrscheinlichsten um?
kleiner oder gleich der Gewichtskraft der 20. Ist es möglich, dass ein Körper Impuls,
Person? aber keine kinetische Energie hat? Oder
13. Wenn eine Rakete startet, steigt sowohl umgekehrt?
ihre Geschwindigkeit als auch ihre 21. Ist ein Stoß zwischen zwei Körpern
Beschleunigung bei konstanter Schubkraft denkbar, bei dem die gesamte Kinetische
der Triebwerke. Warum ist das so? Energie verloren geht?
14. Warum ist es einfacher, einen Berg einen 22. Ein Lehmklumpen wird gegen eine Wand
Zickzack-Weg hoch zu wandern als einfach geworfen und bleibt dort kleben. Was
gerade hoch zu gehen? passiert mit seinem Impuls? Gilt der
15. Ein Block, der sich anfänglich in Ruhe Impulserhaltungssatz?
befindet, wird losgelassen, um eine 23. Wie groß ist die Winkelgeschwindigkeit des
reibungslose Rampe hinunter zu Sekundenzeigers einer Uhr?
rutschen. Am Boden erreicht er eine 24. Muss ein resultierendes Drehmoment
Geschwindigkeit v. wirken, wenn ein Körper rotiert?
Um am Boden eine doppelt so hohe 25. In einem Seifenkistenrennen rollten Autos
Geschwindigkeit (2v) zu erreichen, um wie ohne Antrieb einen Hügel hinunter. Wie
viel Mal so hoch müsste eine neue Rampe sollten die Räder optimaler Weise sein?
sein? Groß oder klein, leicht oder schwer? Oder
16. Ein Auto beschleunigt von 0 auf 100 km/h ist es egal?
in 15 s. Ein anders beschleunigt in 15 s von
82 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper
26. Eine Eiskunstläuferin steht auf einem Punkt 2.7: (III): Ein Stein fällt in 0,3 s an einem 2 m
auf dem Eis (Annahme: keine Reibung) hohen Fenster vorbei. Aus welcher Höhe
und dreht sich mit ausgestreckten Armen. über der Fensteroberkante wurde der
2 Wenn sie ihre Arme anzieht, verringert Stein fallen gelassen?
sie ihr Massenträgheitsmoment, und ihre
Winkelgeschwindigkeit erhöht sich, so dass zusammengesetzte Bewegung
ihr Drehimpuls erhalten bleibt. Wie ist es 2.8: (I): Wie muss der Bootsführer in . Abb. 2.9
mit der kinetischen Energie? steuern, wenn er möglichst schnell ans
andere Ufer kommen will?
v Übungsaufgaben 2.9: (II): Regentropfen, die auf die
((I): leicht; (II): mittel; (III): schwer) Seitenfenster eines fahrenden Zugs
Beschleunigung treffen, hinterlassen eine schräg
2.1: (I): Ein rasanter Sportwagen kommt in 6 laufende Spur auf dem Fenster. Ein
Sekunden „auf Hundert“ (100 km/h). Wie durchschnittlicher Regentropfen fällt
groß ist die mittlere Beschleunigung im senkrecht mit etwa 8 m/s und die Spur
Vergleich zum freien Fall? auf dem Fenster habe einen Winkel von
2.2: (I): Sie lassen einen Stein in einen Brunnen 60° zur Senkrechten. Wie schnell fährt der
fallen und hören es nach 2 Sekunden Zug, Windstille vorausgesetzt?
„platschen“. Wie tief ist der Brunnen? 2.10: (II): Wie viel weiter als auf der Erde kann
2.3: (I): Aus welcher Höhe muss man einen eine Person auf dem Mond springen, wenn
Dummy zu Boden fallen lassen, wenn sie mit gleichem Absprungwinkel und
man den Aufprall eines Motorradfahrers gleicher Absprunggeschwindigkeit springt?
simulieren will, der mit 50 km/h auf eine Die Fallbeschleunigung auf dem Mond ist
Mauer fährt? etwa ein Sechstel derjenigen auf der Erde.
2.4: (I): Ein Auto beschleunigt in 6 s von 2.11: (II): Mit welcher Anfangsgeschwindigkeit
12 m/s auf 25 m/s. Wie groß ist die v0 muss ein „Hammer“ unter 45°
Beschleunigung? Welche Strecke legt das abgeworfen werden, wenn er 72 m
Auto in dieser Zeit zurück? weit fliegen soll? (Luftreibung darf
2.5: (II): Ein stehendes Polizeiauto nimmt vernachlässigt werden).
die Verfolgung eines mit konstanten 2.12: (II): Ein Känguru auf der Flucht macht 6 m
110 km/h zu schnell fahrenden weite und 1.5 m hohe Sprünge. Wie groß
Autos in dem Moment auf, in dem ist die horizontale Fluchtgeschwindigkeit?
das Auto am Polizeiauto vorbeifährt.
Nach 700 m hat die Polizei das Auto Kraft
eingeholt. Angenommen, die Polizei 2.13: (I): Der statistische Einheitsmensch wiegt
hat konstant beschleunigt: wie groß „70 Kilo“. Wie groß ist seine Gewichtskraft?
war die Beschleunigung? Wie lang hat 2.14: (I): Wie viel Kraft spart die schiefe Ebene
die Aufholjagt gedauert? Mit welcher der . Abb. 2.25 quantitativ?
Geschwindigkeit erreicht das Polizeiauto 2.15: (II): Angenommen, die Gewichtskraft
das andere Auto? des Flaschenzuges von Abb. 2.27 könnte
2.6: (II): Ein Mensch gleitet aus und schlägt gegenüber den 10 kN der Gewichtskraft
mit dem Hinterkopf auf den Boden. Dem F1 der Last vernachlässigt werden.
Wievielfachen der Erdbeschleunigung ist a. Welche Kraft F belastet die Decke,
der Schädel ausgesetzt? Zur Abschätzung wenn das freie Ende des Seiles
sei angenommen: freier Fall aus 1,5 m senkrecht nach unten gezogen wird?
Höhe; konstante Verzögerung beim b. Wird die Decke stärker belastet, wenn
Aufschlag auf einer Strecke von 5 mm. man, wie gezeichnet, schräg zieht, oder
weniger stark?
2.6 · Fragen und Übungen
83 2
2.16: (II): Durch welche konstruktiven (60 N) beschleunigt. Welche Arbeit W
Maßnahmen lässt sich die Empfindlichkeit verrichtet die Kraft im Zeitraum zwischen
einer Balkenwaage erhöhen? der 5. und der 10. Sekunde (jeweils
2.17: (I): Ist Super-Reibung mit einem Reibungs- inklusive)?
koeffizienten größer als eins möglich? 2.25: (II): Jane, nach Tarzan Ausschau haltend,
2.18: (II): Ein Kind rutscht eine Rutsche mit 28° rennt so schnell sie kann (5,6 m/s), greift
Winkel zur Horizontalen genau mit der sich eine senkrecht herunterhängende
halben Beschleunigung herunter die Liane und schwingt nach oben. Wie hoch
es ohne Reibung hätte. Wie groß ist der schwingt sie? Spielt die Länge der Liane
Reibungskoeffizient zwischen Kind und eine Rolle?
Rutsche? 2.26: (II): Ein 17 kg schweres Kind rutscht eine
2.19: (II): Ein Seil liegt auf einem Tisch. Dabei 3,5 m hohe Rutsche und kommt unten
hängt ein Ende des Seils an der Tischkante mit einer Geschwindigkeit von 2,5 m/s an.
herab. Das Seil beginnt zu rutschen, wenn Wie viel Wärmeenergie wurde aufgrund
der herabhängende Teil des Seils 20 % der der Reibung freigesetzt?
gesamten Seillänge ausmacht. Wie groß 2.27: (III): Wenn Sie auf Ihrer Personenwaage
ist der Reibungskoeffizient zwischen Seil stehen wird die Feder in ihr um 0,5 mm
und Tisch? zusammengedrückt und die Waage
2.20: (II): Ein Fahrradfahrer fährt auf einer zeigt eine Gewichtskraft von 700 N. Nun
abschüssigen Straße (5° gegen die springen Sie aus 1 m Höhe auf die Waage.
Horizontale) mit konstanten 6 km/h. Was für einen maximalen Ausschlag zeigt
Angenommen, die Reibungskraft die Waage jetzt? Tipp: benutzen Sie den
(Luftwiderstand) ist genau proportional Energiesatz.
zur Geschwindigkeit, also FR = k ⋅ v , wie
groß ist dann die Konstante k? Die Masse zum Impulssatz
des Fahrradfahrers samt Fahrrad sei 80 kg. 2.28: (I): Was ist „schlimmer“: gegen
eine Betonwand fahren, oder mit
Energie und Leistung einem massegleichen Auto frontal
2.21: (I): Wie viel Zeit hat man, um seine 70 kg zusammenstoßen, dass mit der gleichen
die 16 Stufen je 17 cm eines Stockwerkes Geschwindigkeit fährt?
hoch zu schleppen, wenn man dabei 2.29: (II): Bei einem Verkehrsunfall fahren
500 W umsetzen will? Wer leichter ist, zwei massegleiche Wagen aufeinander.
muss schneller sein. Wie viel Energie wird bei unelastischem
2.22: (I): Auch ein sparsamer Haushalt setzt Stoß durch verbogenes Blech in Wärme
heutzutage leicht 200 kWh elektrische umgesetzt, wenn
Energie im Monat um. Wie viele Sklaven a. der eine Wagen auf den stehenden
hätte ein alter Römer halten müssen, anderen auffährt?
wenn er sich diese Energie über b. beide Wagen mit gleichen Geschwin-
Fahrradergometer bei einem 12-Stunden- digkeiten frontal zusammenstoßen?
Arbeitstag und 100 W mittlerer Leistung 2.30: (III): Ein Polo (Masse 1000 kg) fährt auf
pro Sklave hätte besorgen wollen? einen S-Klasse Mercedes (2200 kg) auf, der
2.23: (I): Welchen Kleinhandelswert hat die mit angezogenen Bremsen auf der Straße
kinetische Energie eines Tankers von steht. Dadurch werden beide Autos
rund 200.000 Tonnen, der 15 Knoten zusammen 2,8 m nach vorn geschoben.
läuft? (1 Knoten = 1 Seemeile/Stunde, 1 Der Reibungskoeffizient zwischen den
Seemeile = 1,852 km) Rädern des Mercedes und der Straße sei
2.24: (II): Eine zur Zeit t = 0 ruhende Masse 0,7. Mit welcher Geschwindigkeit ist der
(2 kg) wird von einer konstanten Kraft Polo aufgefahren?
84 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper
2.31: (II): Eine Explosion lässt ein Objekt in zwei 2.37: (I): In Rechenbeispiel 2.10 wurde
Teilen auseinander fliegen, von denen ausgerechnet, dass die Kraft zum
eines 2 mal so schwer ist wie das andere. Beschleunigen eines Kleinwagens 2750 N
2 Wenn insgesamt eine Energie von 6000 J beträgt. Welches Drehmoment muss der
freigesetzt wurde, wie viel kinetische Motor auf jedes Rad ausüben, wenn der
Energie bekommt jedes Teil mit? Raddurchmesser 66 cm beträgt.
2.32: (II): Zwei gleiche Schlitten mit Masse 2.38: (II): Die drei Rotorblätter eines
m1 = m2 = 20 kg stehen direkt Hubschraubers sind jeweils 3,75 m
hintereinander im Schnee. Eine lang und 160 kg schwer. Sie sind
Katze (mK = 5 kg) springt mit einer näherungsweise dünne Stangen. Wie
Geschwindigkeit (relativ zur Erde) groß ist das Trägheitsmoment des Rotors?
von 6 m/s von dem einen Schlitten Welches Drehmoment muss der Motor
auf den anderen. Infolgedessen ausüben, wenn der Rotor in 8 s von
bewegen sich die Schlitten auseinander Null auf 5 Umdrehungen pro Sekunde
(Reibung vernachlässigt); Mit welchen gebracht werden soll?
Geschwindigkeiten? 2.39: (II): Eine Walze mit einer Masse von 2 kg
und einem Durchmesser von 20 cm rollt
Trägheitskräfte mit einer Schwerpunktsgeschwindigkeit
2.33: (I): Wie reagiert der Abgleich einer von 1 m/s. Wie groß ist ihre kinetische
Balkenwaage auf die Trägheitskräfte eines Energie?
beschleunigten Bezugssystems? 2.40 (II): Ein Karussell mit 4,2 m Durchmesser
2.34: (II): Ein Passagier in einem Flugzeug, das rotiert mit einer Winkelgeschwindigkeit
gerade auf Starterlaubnis wartet, nimmt von 0,8 s-1. Es hat ein Trägheitsmoment
seine Armbanduhr an einem Ende und von 1760 kg⋅m2. Vier Personen, jede mit
lässt sie senkrecht herunterbaumeln. Das einer Masse von 65 kg, stehen neben
Flugzeug bekommt die Starterlaubnis und dem Karussell und steigen plötzlich auf
beschleunigt. Dabei schwenkt die Uhr aus den Rand. Wie groß ist die Winkelge-
der senkrechten um ca. 25° nach hinten. schwindigkeit jetzt?
Nach 18 Sekunden mit etwa konstanter
Beschleunigung hebt das Flugzeug ab.
Wie groß ist seine Startgeschwindigkeit?
Drehbewegung
2.35: (I): Welche Drehfrequenz und
welche Kreisfrequenz, welche
Bahngeschwindigkeit und welche
Winkelgeschwindigkeit hat die Erde auf
ihrer Bahn um die Sonne? (Erdbahnradius
im Anhang).
2.36: (II): Tarzan will, an einer Liane hängend,
über einen Abgrund schwingen. Er kann
sich maximal mit einer Kraft von 1400 N
an der Liane festhalten. Welche maximale
Geschwindigkeit am tiefsten Punkt
seines Flugs kann er aushalten ohne
abzustürzen? Tarzan habe eine Masse von
80 kg und die Liane sei 4,8 m lang.
85 3
Mechanik deformierbarer
Körper
3.2 Festkörper – 87
3.2.1 Struktur der Festkörper – 87
3.2.2 Verformung von Festkörpern – 88
3.2.3 Viskoelastizität – 90
3.3 Hydrostatik – 91
3.3.1 Stempeldruck – 91
3.3.2 Schweredruck – 93
3.3.3 Auftrieb – 95
3.3.4 Manometer – 97
3.3.5 Pumpen – 98
3.3.6 Kompressibilität – 98
3.4 Grenzflächen – 99
3.4.1 Kohäsion – 99
3.4.2 Adhäsion – 102
Der „starre Körper“ ist eine Fiktion: Auch der härteste zusammenschließen können. Wie sie dies tun,
„feste Körper“ lässt sich noch verbiegen und mit der warum sie dies tun, ist Thema der Chemie. Deren
nötigen Gewalt auch zerbrechen. Demgegenüber Formeln sagen, welche Atome in welchen Anzah-
passt eine Flüssigkeit ihre Form dem Gefäß an, in len welche Moleküle bilden. Die zugehörigen Bin-
dem sie sich befindet; sie behält aber ihr Volumen dungskräfte sind weit schwächer als die Kernkräfte.
bei und bestimmt danach ihre Oberfläche. Ein Gas Bei chemischen Reaktionen wird deshalb auch weit
3 schließlich füllt (unter Laborbedingungen, nicht weniger Energie umgesetzt als bei Kernreaktionen.
in astronomischem Maßstab) sein Gefäß vollstän- Kohlekraftwerke müssen wesentlich mehr Brenn-
dig und gleichmäßig aus. Eben weil Flüssigkeiten stoff verfeuern und entsorgen als Kernkraftwerke.
und Gase keine eigene Form besitzen, lassen sie Moleküle sind klein, selbst Billionen liefern noch
sich etwa durch Strömung in Röhren relativ leicht keine sichtbaren Krümel. Makroskopische Gegen-
transportieren. stände entstehen nur, weil sich Moleküle zu großen
Komplexen zusammenlegen können. Die dabei auf-
tretenden Bindungskräfte sind freilich so schwach,
3.1 Die Aggregatzustände dass man sie mit Hammer und Meißel oder auch
mit reiner Temperaturerhöhung überwinden kann.
Die Materie dieser Erde besteht aus Atomen. Jedes Wenn Wasser verdampft, treten einzelne Moleküle
Atom besitzt eine lockere Elektronenhülle, die seinen durch die Oberfläche der Flüssigkeit in den Dampf-
Durchmesser bestimmt, und einen vergleichsweise raum über. Auch diese Phänomene tragen zur Viel-
kleinen Atomkern, der seine Masse bestimmt. Der falt der Substanzen bei. Ob Nebel oder Regen, ob
Kern enthält Protonen und Neutronen. Protonen Hagelkorn, Tropfen oder Schneeflocke, ob Pfütze,
sind positiv elektrisch geladen, Elektronen negativ Raureif oder Glatteis, immer handelt es sich um
und Neutronen sind ungeladen (neutral); der Kern die gleichen H2O-Moleküle, nur in verschiedenen
kann demnach seine Hülle durch elektrische Kräfte Aggregatzuständen. Ein Festkörper ist formsta-
an sich binden, denn Ladungen entgegengesetzten bil; verbiegt man ihn nur leicht, so kehrt er elas-
Vorzeichens ziehen sich an. Diese Kräfte würden tisch in seine Ausgangsform zurück. Überfordert
aber die positiven Protonen auseinander treiben, man seine mechanische Festigkeit, so zerreißt, zer-
denn Ladungen gleichen Vorzeichens stoßen sich bricht, zerkrümelt er. Eine Flüssigkeit besitzt keine
ab. Es gibt aber noch stärkere Kernkräfte zwischen eigene Form; sie passt sich dem Gefäß an, in das
Protonen und Neutronen, die die Atomkerne doch sie eingefüllt wurde. Wasser braucht dazu allen-
zusammenhalten. Balance kann nur in bestimm- falls Sekunden, Kochkäse Stunden, antiken Gläsern
ten Kombinationen erreicht werden; Atome, Atom- haben zweitausend Jahre noch nicht genügt, wider
kerne existieren nur von den rund hundert chemi- den Augenschein ist ein Glas kein Festkörper in der
schen Elementen. strengen Definition der Aggregatzustände (s. dazu
Bis zum Element Nr. 83, dem Wismut, gibt auch 7 Abschn. 5.4.2). Eine vorgegebene Flüssigkeits-
es stabile Atomkerne, ab Nr. 84 (Polonium) zer- menge kennt ihr Volumen und behält es bei, wenn
fallen alle Kerne nach einer gewissen Zeit in klei- man sie umgießt. Die Molekülabstände liegen in
nere, sind also radioaktiv. Elemente bis Nr. 92, der gleichen Größenordnung wie bei Festkörpern,
dem Uran, kommen in der Natur vor, die Trans- die Dichten also auch. Ein Gas füllt dagegen jedes
urane müssen künstlich hergestellt werden. Stabile Volumen gleichmäßig aus, das man ihm als Gefäß
Atomkerne überdauern Jahrmilliarden; die schwe- anbietet (jedenfalls gilt das im Meter-Maßstab,
ren Elemente der Erde sind irgendwann einmal solange die Schwerkraft keine nennenswerte Rolle
im Innern eines Sternes oder durch Sterneexplo- spielt). Im Gas treffen sich die Moleküle nur noch
sion entstanden. Die Vielfalt der Substanzen ist nur selten, Kräfte zwischen ihnen können sich kaum aus-
möglich, weil sich die wenigen Atomsorten in den wirken. Die Abstände sind groß, die Dichten norma-
unterschiedlichsten Kombinationen zu Molekülen lerweise um Zehnerpotenzen geringer.
3.2 · Festkörper
87 3
Merke
Aggregatzustände:
55fest: formstabil bis zur Festigkeitsgrenze
55flüssig: nicht form-, wohl aber
volumenstabil
55gasförmig: weder form- noch volumenstabil
das die ringförmigen Moleküle des Benzols, ohne eines Drahtes unter Zug. Man darf ein lineares Kraft-
jeden Bindungspartner die 6-zählige, hexagonale gesetz erwarten (s. . Abschn. 2.2.1): Proportionali-
Kristallstruktur des Graphits (. Abb. 3.3 rechts). tät zwischen Längenänderung Δl und angreifender
Graphit ist schwarz und so weich, dass man mit ihm Kraft F. Weiterhin wird Δl mit der Ausgangslänge l0
schreiben kann. Kohlenstoff kann aber auch kubisch zu- und mit der Querschnittsfläche A des Drahtes
kristallisieren. Dann ist er glasklar durchsichtig und abnehmen. Also:
3 härter als jedes andere Mineral; man kann Glas mit
1 l0
ihm ritzen. Aus einleuchtendem Grund bezeich- ∆l = ⋅ ⋅F
E A
net man die zugehörige Struktur als Diamantgitter
(.Abb. 3.3 links). Der Quotient Δl/l0 bekommt den Namen Dehnung,
Die Eigenschaften eines Festkörpers hängen der Quotient F/A=σ heißt (mechanische) Spannung.
nicht nur von der Natur seiner Bausteine ab, sondern Sind Spannung und Dehnung einander proportional,
auch von der Struktur des Kristallgitters. Dessen so erfüllen sie das Hook´sche Gesetz
Bausteine müssen keine Atome sein wie beim Dia-
∆l
manten oder Ionen wie beim Kochsalz, ganze Mole- σ = E⋅ ,
l0
küle sind ebenfalls erlaubt, wie beispielsweise bei Eis
und Schnee. Auch die großen Moleküle des Insulins die Proportionalitätskonstante E heißt Elastizitäts-
kann man mit einiger Mühe zu Kristallen zusam- modul.σ und E haben die gleiche Einheit N/m2, denn
menlegen und sogar Viren, die im Grenzbereich zur die Dehnung ist eine dimensionslose Zahl. Die Elas-
lebenden Materie angesiedelt sind. tizitätsmodule gängiger Metalle liegen in der Grö-
ßenordnung 1011 N/m2.
0,1QP
a b
. Abb. 3.3 Diamant (links) und Graphit (rechts); zwei unterschiedliche Kristallmodifikationen des Kohlenstoffs
3.2 · Festkörper
89 3
20
Hooke'scher
107 1P2
Bereich
15
ı
10
Spannung
0
0 1 2 3 ∙10–3 4
¨O
Dehnung . Abb. 3.5 Stufenversetzung. In den oberen Teil des
O
Kristalls hat sich, vier Gitterabstände weit, eine zusätzliche
Netzebene vertikal eingeschoben; unter ihrem Ende ist das
. Abb. 3.4 Spannungs-Dehnungs-Diagramm vom Kupfer
Gitter dadurch ein wenig aufgeweitet worden. Oberhalb
und unterhalb der Zeichenebene setzt sich die Versetzung in
gleicher Weise im Kristall fort: sie zieht sich wie ein Schlauch
Erhöht man die Spannung über die sog. Elastizitäts-
durch den Kristall hindurch. Springen die beiden markierten
grenze hinaus, so nimmt die Dehnung überpropor- Gitterbausteine nach rechts, so verschiebt sich die Versetzung
tional zu (. Abb. 3.4): Der Draht beginnt zu fließen um einen Netzebenenabstand nach links
und kehrt nach Entlastung nicht zur alten Ausgangs-
länge zurück, er hat sich plastisch gedehnt. Dem sind
aber Grenzen gesetzt; irgendwann reißt der Draht. nennt das eine Stufenversetzung). Hier kann eine
Manche Substanzen lassen sich fast gar nicht plas- ganze Atomreihe senkrecht zur Zeichenebene relativ
tisch verformen; wird ihre Elastizitätsgrenze über- leicht, z. B. nach rechts, in die Lücke hineinspringen
schritten, so brechen sie wie Glas. Man nennt sie und so die Versetzung um einen Atomabstand nach
spröde. links verschieben. Ist nach diesem Mechanismus
eine Stufenversetzung quer durch den Kristall hin-
Merke durchgewandert, so ist dessen unterer Bereich gegen-
über dem oberen um einen Atomabstand abgeglitten.
Elastische Verformungen sind reversibel Zur plastischen Verformbarkeit gehören demnach
(umkehrbar), plastische irreversibel bewegliche Versetzungen. Diese können sich aber an
(unumkehrbar). anderen Gitterfehlern wie Fremdatomen oder Ein-
schlüssen festhaken: Gusseisen ist spröde, es enthält
mehrere Prozent Kohlenstoff; schmiedbarer Stahl
Bei plastischer Verformung müssen ganze Bereiche dagegen meist weniger als 0,1 %.
eines Kristalls gegeneinander verschoben werden. Die Bruchfestigkeit hängt nicht nur von den
Das geht nur, wenn Gitternachbarn sich voneinan- Eigenschaften des Materials selbst ab. Schon winzige
der trennen und mit neuen Nachbarn wieder zusam- Kerben in der Oberfläche können sich verhängnis-
menlegen, ein schier unmöglicher Vorgang, wäre voll auswirken, weil nämlich die oberflächenna-
der Kristall perfekt gebaut, hätte also ausnahmslos hen Anteile einer Zugkraft ein Drehmoment auf die
jeder Gitterbaustein wirklich alle Nachbarn, die ihm Kerbenspitze ausüben (. Abb. 3.6a). Es wächst auch
nach der Struktur zustehen. Tatsächlich springt ein noch, je weiter es die Kerbe einreißt. Dünne Stäbe,
Baustein innen nur in eine benachbarte Leerstelle, auf Stauchung beansprucht, knicken ein. Wieder
in einen aus irgendwelchen Gründen gerade nicht wirkt ein Drehmoment auf die Knickstelle; wieder
besetzten Gitterplatz. wächst es, je weiter das Material nachgibt, weil dann
Besondere Bedeutung haben hier linienförmige der effektive Hebelarm größer wird (. Abb. 3.6b).
Anordnungen gleichartiger Leerstellen der Art, Knickung bedeutet Biegung. Ein gebogener Stab
wie sie . Abb. 3.5 etwas schematisch skizziert (man wird auf der Außenseite gedehnt, auf der Innenseite
90 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper
te r
ksei e
Druc rale Fas
t
neu ite
se
Zug
. Abb. 3.7 Neutrale Faser. Bei der Biegung ändert die neutrale Faser ihre Länge nicht
3.3 · Hydrostatik
91 3
)
) )
3.3 Hydrostatik
3.3.1 Stempeldruck
Merke
Kraft F
Last )
Druck p=
Flache A
Volumen“; sie wird Volumenarbeit genannt. Das kleinen) Gewichtskraft dFG. Hat der Zylinder die
Herz des Menschen leistet Volumenarbeit. Querschnittsfläche A, so gehört zu der Schicht das
55 Volumen dV = A·dh,
Merke 55 die Masse dm = ρ ·dV = ρ ·A·dh (ρ = Dichte der
Flüssigkeit) und die
V1 55 Gewichtskraft dFG = g·dm = g·ρ·A dh
Volumenarbeit W = ∫ p(V )dV (g = Fallbeschleunigung). Die Kraft erzeugt den
V0 (differentiell kleinen)
55 Druck dp = dFG/A = g ·ρ ·dh.
Volumenarbeit wird auch von den Turbinen eines Mit steigender Wassertiefe summieren sich alle Bei-
Pumpspeicherwerkes geleistet (. Abb. 3.13), wenn sie träge zum Druck der einzelnen Schichten. Grund-
in der Nacht, wo die Kapazität des Kraftwerkes nicht sätzlich muss man nun damit rechnen, dass die
ausgelastet ist, überschüssigen „Strom“, überschüs- Dichte ρ selbst vom Druck abhängt und darum mit
sige elektrische Energie also, dazu benutzen, Wasser der Wassertiefe h zunimmt: ρ = ρ(h). Der Zusam-
in ein hochgelegenes Becken zu pumpen. Die dabei menhang zwischen Druck p und h kann deshalb all-
als Volumenarbeit geleistete Hubarbeit kann in der gemein nur als Integral geschrieben werden:
Verbrauchsspitze am nächsten Nachmittag wieder in
elektrische Energie zurückverwandelt werden (aller- p(h) = g ⋅ ∫ ρ (h) dh
dings nicht ohne einige Reibungsverluste).
Wasser ist freilich praktisch inkompressibel; es
ändert seine Dichte mit dem Druck fast gar nicht.
3.3.2 Schweredruck Dann verkümmert das Integral zum Produkt
pg(h) = r ⋅ g ⋅ h + ps
3
TiefeK
(. Abbildung 3.15). In offenen Gewässern erzeugt schon
die Lufthülle der Erde einen solchen Stempeldruck.
Etwas anders verhält es sich mit dem Schwere-
druck in Gasen, zum Beispiel mit dem Luftdruck 3VDruck3
in der Erdatmosphäre, der ja auf dem Gewicht der . Abb. 3.15 Stempeldruck. Dem Schweredruck überlagert
Atmosphäre beruht. Da anders als bei Flüssigkei- sich ein etwa vorhandener Stempeldruck ps additiv
ten die Dichte eines Gases stark druckabhängig ist,
variiert mit der Höhe beides: Druck und Dichte. Durchblutung; folglich muss ein Regelsystem dafür
Das führt dazu, dass der Druck nicht linear mit der sorgen, dass Druckschwankungen im Kopf, wie sie
Höhe abnimmt, sondern exponentiell (Barometri- Lageänderungen zunächst hervorrufen, in wenigen
sche Höhenformel). Sekunden aufgefangen werden. Krankhafte Störun-
Wer taucht, registriert den Schweredruck des gen können die Einstellung des Solldrucks merklich
Wassers als Überdruck gegenüber dem Atmosphä- verzögern oder gar Regelschwingungen auslösen
rendruck von rund 105 Pa, den er an Land gewohnt (. Abb. 3.16)
ist. Die Atemmuskulatur muss mit dem Überdruck Ideale Flüssigkeiten besitzen keine Scherfestig-
fertig werden, solange der Sportler mit „Schnorchel“ keit. Infolgedessen müssen ihre freien Oberflächen
taucht, die Atemluft also unter Normaldruck dicht immer horizontal stehen. Täten sie es nicht, bekäme
über der Wasseroberfläche ansaugt. Das geht nur in die Gewichtskraft eine Komponente parallel zur
geringer Tiefe. Wer weiter hinunter will, muss eine Oberfläche, der die Flüssigkeit nachgeben müsste.
Pressluftflasche mitnehmen und vorsichtig wieder Dies gilt auch, wenn in kommunizierenden Röhren
auftauchen, denn sonst bekommt er Schwierigkeiten die Oberfläche durch Gefäßwände unterbrochen ist:
mit bei höherem Druck zusätzlich im Blut gelöster Eine ruhende Wasseroberfläche liegt immer senk-
Luft (Henry-Dalton-Gesetz, siehe 7 Abschn. 5.4.8). recht zu der angreifenden Schwerkraft. Insofern
Immerhin steigt der hydrostatische Druck im Wasser bilden die Meere keine ebenen Oberflächen aus,
alle zehn Meter um rund 105 Pa. sondern Ausschnitte aus einer Kugeloberfläche. See-
leute wissen das: Von einem entgegenkommenden
Merke Schiff tauchen zuerst die Mastspitzen über der Kimm
auf, und der Mann im Mastkorb entdeckt sie früher.
Schweredruck:
von der Gewichtskraft einer Flüssigkeit (Dichte
ρ) erzeugter Druck; er steigt mit der Tauchtiefe Rechenbeispiel 3.2: Wasserturm
h: p(h) = ρ ·g·h. Aufgabe: In flachen Gegenden sieht man
zuweilen einen Wasserturm in der Landschaft
stehen. Er enthält im oberen Teil einen großen
Auch die Blutgefäße des Menschen bilden eine Wassertank. Zweck der Konstruktion ist es, am
„geschlossene Dose“ im Sinn der Überlagerung von Fuße des Turms in den umgebenden Häusern
Schwere- und Stempeldruck. Steht der Mensch auf- einen Überdruck des Wassers am Wasserhahn
recht, so ist der Blutdruck in den Füßen notwendiger- zu erzeugen. Wie hoch muss der Turm in etwa
weise höher als im Kopf; liegt er horizontal, so sind sein, damit der Überdruck das Dreifache des
beide Drücke ungefähr gleich. Das Gehirn braucht Luftdrucks beträgt?
für seine Funktion aber unbedingt eine gleichmäßige
3.3 · Hydrostatik
95 3
3.3.3 Auftrieb
Lösung: Es gilt die Faustformel: alle 10 m
Wassertiefe steigt der Druck um ein Bar bzw. Jeder Gegenstand wird, wenn man ihn unter Wasser
1000 hPa. Genaues Nachrechnen liefert: taucht, von allen Seiten zusammengedrückt. Weil
∆p = ρw ⋅ g ⋅10 m = 1000 kg/m3 ⋅ 9, 81 m/s2 ⋅10 m aber der Schweredruck mit der Wassertiefe zunimmt,
übt er von unten eine größere Kraft auf den Gegen-
= 9, 81⋅10 4 Pa = 981 hPa.
stand aus als von oben: die Differenz liefert den Auf-
Der Wasserturm muss also etwa 30 m hoch trieb, eine der Gewichtskraft entgegen, also auf-
sein. Man kann den Druck am Wasserhahn aber wärts gerichtete Kraft FA. Ihr Betrag entspricht der
auch mit einer Pumpe aufrechterhalten. Heute Gewichtskraft g·mf der vom Tauchkörper verdräng-
sind die Wassertürme fast alle außer Betrieb. ten Flüssigkeit (archimedisches Prinzip), ist also
Den Druck mit elektrischen Pumpen aufrecht seinem Volumen Vk und ihrer Dichte ρf proportional.
zu erhalten ist anscheinend günstiger. Dies soll hier ohne Begründung einfach nur festge-
stellt werden. Für geometrisch einfache Sonderfälle
lässt es sich leicht nachrechnen; es allgemein herzu-
12 leiten, bedarf allerdings einer Integration.
Torr
80 Merke
10
70
Auftrieb FA = g ⋅ m f = Vk ⋅ ρf ⋅ g
a
8 60
100
Ein Gegenstand, der mehr wiegt als die von ihm ver-
Blutdruck SN3D
∆p = ρ ⋅ g ⋅ ∆h.
¨K
3.3.5 Pumpen ist gering, denn die Massendichte lässt sich durch
äußeren Druck nur geringfügig erhöhen; sie liegt
Mit einer Kammer, die periodisch ihr Volumen ändert, in der Größenordnung von einigen Tonnen/
kann man pumpen; zwei Ventile braucht man auch Kubikmeter.
noch dazu. Technisch einfach ist die Kolbenpumpe Ganz anders bei einem Gas. Seine Dichte liegt
(. Abb. 3.21), die abgesehen von notwendigen Dich- leicht um drei Zehnerpotenzen niedriger (normale
3 tungen ganz aus Metall gefertigt werden kann. Die Zimmerluft: ca. 1,2 kg/m3). Die Moleküle halten
Ventile haben den zunächst nur pendelnden Strom großen Abstand voneinander und treffen sich
der Flüssigkeit oder des Gases in eine Vorzugsrich- in ihrer thermischen Bewegung nur kurz. Zwi-
tung zu steuern. Dazu muss ihre Bewegung mit der des schen ihnen ist viel Platz. Daraus folgt eine hohe
Kolbens koordiniert werden, zwangsweise durch eine Kompressibilität.
entsprechende Mechanik oder eleganter dadurch, dass Gasmoleküle bewegen sich thermisch, ohne eine
die entsprechend konstruierten Ventile vom Strom des Richtung zu bevorzugen. Auf Gefäßwandungen, die
Fördergutes im richtigen Takt mitgenommen werden. ihren Bewegungsdrang einschränken, üben die einen
Jeder Kolben braucht eine Dichtung gegenüber Druck dadurch aus, dass sie bei jedem Stoß auf die
seinem Zylinder, ein technisch keineswegs einfach zu Wand Impuls übertragen. Das geschieht umso öfter,
lösendes Problem. Darum ersetzt man zuweilen den je mehr sie sind, je größer ihre Anzahl N, genauer:
Kolben durch eine biegsame Membran, die hin und ihre
her gebogen wird (Membranpumpe, . Abb. 3.22).
Anzahl N
Nach ähnlichem Prinzip arbeiten Herzen, nur ver- Anzahldichte n =
Gasvolumen V
wendet die Natur weitaus raffinierteres Baumaterial:
Muskeln, die sich auf Kommando zusammenziehen. ist. Jeder Einzelimpuls ist aber auch der Masse m
des einzelnen Moleküls proportional. Zusammen-
genommen bedeutet das eine Proportionalität des
3.3.6 Kompressibilität Druckes p zur Massendichte ρ des Gases und eine
umgekehrte Proportionalität zu dessen spezifischen
Die Moleküle der Festkörper und Flüssigkeiten Volumen Vs = 1/ρ. Das lässt sich auch so schreiben:
kommen sich bis zur Berührung nahe; freien Platz
zwischen ihnen gibt es kaum. Die Kompressibilität p ⋅ Vs = const.
Merke
dp
Kompressionsmodul Q = −V ⋅
dV
. Abb. 3.24 Kohäsion. Die zwischenmolekularen Kräfte
wirken im Innern der Flüssigkeit allseitig, behindern aber
bereits das Eintreten eines Moleküls in die letzte Lage unter
der Oberfläche und vor allem den Übertritt in den Gasraum
3.4 Grenzflächen
. Abb. 3.26 Wasserläufer. Die Wirkung der . Abb. 3.27 Messung der Oberflächenspannung mit
Oberflächenspannung erscheint wie eine Haut auf dem Hilfe eines eingetauchtes Ringes und einer Federwaage;
Wasser, die das Insekt trägt (© focus finder – Fotolia.com) Einzelheiten im Text
3.4 · Grenzflächen
101 3
Der Faktor 2 rührt daher, dass die Haut eine Haut
ist: sie hat nicht nur eine Oberfläche „nach außen“,
sondern auch eine zweite (praktisch ebenso große)
„nach innen“, d. h. mit Blickrichtung zur Zylinder-
achse. Die zur Schaffung der neuen Oberfläche ΔA
. Abb. 3.29 Der „Tropf“. Die Oberflächenspannung hält
nötige Energie ΔW beträgt
einen Tropfen am Röhrchen fest, weil dieser beim Abfallen
zunächst zusätzlich Oberfläche für einen Zylinder vom
∆W = σ ⋅ ∆A = 2π ⋅ σ ⋅ d ⋅ ∆x. Röhrchendurchmesser schaffen müsste
Für die Waage bedeutet dies eine Zusatzkraft Wodurch wird sie bestimmt? An einem Röhrchen
mit den Außendurchmesser d kann sich ein Tropfen
∆W
Fσ = 2π ⋅ σ ⋅ d = . festhalten, weil er beim Abfallen erst einmal zusätz-
∆x
liche Oberfläche schaffen muss, und zwar für einen
Die Messung von Fσ erlaubt also, die Oberflächen- Zylinder mit dem Umfang d·π (. Abb. 3.29). Dazu
spannung σ zu bestimmen. Die Rechnung zeigt gehört die Kraft
zugleich, dass sich eine gespannte Flüssigkeitsla-
melle nicht so verhält wie eine Gummihaut oder eine Fσ = π ⋅ d ⋅ σ
Feder: Fσ ist unabhängig von x, die Kraft wächst nicht
mit der Dehnung. (hier tritt der Faktor 2 der Seifenblase nicht auf, denn
Bei Patienten, die „ihre Tropfen nehmen“oder im Gegensatz zu ihr ist der Tropfen „massiv“; das
eine Infusion bekommen, dient die Oberflächen- beim Abfallen erzeugte Stückchen Zylinder hat nur
spannung zur Dosierung von Medikamenten eine Oberfläche, die nach außen). Der Tropfen reißt
(. Abb. 3.28). Dabei verlässt man sich darauf, dass ab, sobald sein Volumen VT so groß geworden ist,
alle vom Schnabel der Flasche fallenden Tropfen dass seine Gewichtskraft
zumindest so ungefähr die gleiche Größe haben.
FG = ρ ⋅ g ⋅ VT
I = dV = A ⋅ vm
Volumenstromstarke
dt
Dabei ist A die Querschnittsfläche des Rohres und vm
die mittlere Strömungsgeschwindigkeit. Die Einheit
der Volumenstromstärke ist m³/s. Da dieser Volu-
menstrom überall im Rohr gleich sein muss, strömt
die die Flüssigkeit dort, wo die Querschnittsfläche
kleiner ist, schneller. Die Strecke Δx (. Abb. 3.35),
die die Flüssigkeit in einer Zeit t zurücklegt, ist
entsprechend größer. Es gilt die so genannte
Kontinuitätsgleichung:
vm1 ⋅ A1 = vm2 ⋅ A2
Der eine fährt in das Rohr hinein und drückt mit Teilen durch ΔV liefert eine Druckdifferenz:
einer Kraft F1 = p1 ⋅ A1 in das Rohr. Er leistet dabei
1 1
die Volumenarbeit ∆p = p1 − p2 = ρ ⋅ vm2 2 − ρ ⋅ vm12.
2 2
W1 = p1 ⋅ A1 ⋅ ∆x1 = p1 ⋅ ∆V Umstellen liefert eine Summe, die an beiden Rohr-
enden gleich ist:
Am anderen Ende wird der Kolben gegen die Kraft
1 1
F2 = p2 ⋅ A2 herausgedrückt und die Flüssigkeit p1 + ρ ⋅ vm12 = p2 + ρ ⋅ vm2 2
2 2
leistet an ihm die Arbeit
Diese Formel sagt etwas Bemerkenswertes: Dort, wo
W2 = p2 ⋅ A2 ⋅ ∆x2 = p2 ⋅ ∆V die Geschwindigkeit hoch ist, also das Rohr eng, ist
der Druck klein, und dort, wo die Geschwindigkeit
(. Abbildung. 3.36). Ist hineingesteckte und heraus- klein ist, der Druck hoch. Da man es intuitiv viel-
kommende Arbeit gleich? leicht umgekehrt vermutet hätte, wird dies das Hyd-
Nein! Denn da das Rohr verengt, muss die Flüs- rodynamische Paradoxon genannt (. Abb. 3.37).
sigkeit schneller werden, ihre kinetische Energie wird Wird der Querschnitt wieder größer und die Flüs-
größer. Diese kinetische Energie muss von der Volu- sigkeit langsamer, so steigt der Druck auch wieder
menarbeit geliefert werden, sodass weniger Arbeit an. Man kann auch allgemeiner sagen:
(aber mehr kinetische Energie) herauskommt, als
1
hineingesteckt wurde: p + ρ ⋅ v 2 = konstant entlang eines Stromfadens.
2
W1 − W2 = ∆Ekin = (ρ ⋅ ∆V ) ⋅ (vm2 2 − vm12 )
1
Dies gilt nicht nur für Strömung in einem Rohr,
2
sondern für jede beliebige Strömung und nennt
sich der Bernoulli-Effekt . Der Zusammen hang
9P wird zuweilen auch so formuliert: Der Druck p wird
¨9
9P
)
$ )
$
3
$ $
3
¨ [ ¨ [
¨ [ ¨ [
. Abb. 3.35 Schneller an der Engstelle. Ein . Abb. 3.36 Bernoulli-Effekt. Wo die Strömung schneller
Volumenelement ΔV strömt durch ein Rohr. Ist das Rohr ist, ist der Druck kleiner.
enger, so strömt es schneller.
106 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper
nimmt die Zähigkeit kontinuierlich ab. Ein Festkör- Als Folge ihrer Viskosität entwickelt jede strö-
per aber schmilzt: bei einer ganz bestimmten Tem- mende Flüssigkeit Reibungskräfte gegen die Strö-
peratur bricht sein Kristallgitter plötzlich zusammen, mung, die diese bremsen; eine Pumpe muss die Rei-
die Substanz wechselt am Schmelzpunkt abrupt vom bungskräfte kompensieren, indem sie einen erhöhten
festen in den flüssigen Aggregatzustand und kehrt Eingangsdruck aufrecht erhält. Ein Druckabfall Δp
später beim Abkühlen genauso abrupt wieder in den längs der Röhre wird gebraucht, um die Volumen-
3 festen Zustand zurück. stromstärke I gegen den
∆p
Stromungswiderstand R=
3.5.3 Reale Strömung durch Rohre I
aufrechtzuerhalten (Einheit Ns/m5). Den Kehrwert
Das Gedankenexperiment des vorigen Kapitels ist 1/R bezeichnet man als Leitwert.
so übersichtlich, weil die einfache Geometrie für
ein lineares Geschwindigkeitsprofil sorgt. Schon Merke
bei der Strömung durch Rohre wird es komplizier-
ter: Auch hier haftet die Flüssigkeit an der Wand Druckdifferenz ∆p
Strömungswiderstand R =
und fließt dann konsequenterweise am schnellsten Volumenstromstärke I
in der Rohrmitte. Im kreisrunden Rohr nimmt das
Geschwindigkeitsprofil die Form eines Rotations-
paraboloides an, wenn die Strömung laminar ist, Im Fall laminarer Strömung ist R oft vom Druck
das Profil ist abgeflachter bei turbulenter Strömung unabhängig. Dann ist I proportional zu Δp und es
(. Abb. 3.40). besteht eine formale Analogie zum ohm´schen
Wirbel und Fluktuationen schaffen gegenüber Gesetz der Elektrizitätslehre (s. 7 Abschn. 6.3.3).
laminarer Strömung zusätzliche Reibungsflächen Einen elektrischen Widerstand, definiert als
zwischen Flüssigkeitsschichten und setzen so ver- Quotient von elektrischer Spannung und elektrischer
mehrt kinetische Energie in Wärme um. Turbulente Stromstärke, nennt man ohmsch, wenn er von Strom
Strömung wird durch die Viskosität also stärker und Spannung unabhängig ist. Flüssigkeiten, die das
gebremst und ist deshalb in Rohren ungünstiger. ohmsche Gesetz der Hydrodynamik erfüllen, heißen
newtonsch. Manche Flüssigkeit wie zum Beispiel
Dispersionen, in denen feste Teilchen eingemischt
sind (Farben, Blut), sind nicht newtonsch. Bei ihnen
wächst Δp überproportional zu I an.
In zwei Punkten unterscheiden sich die wan-
dernden Teilchen in der Flüssigkeitsströmungen
allerdings markant von den Elektronen im elektri-
schen Strom: Elektronen sind sehr viel kleiner als
Moleküle, und es gibt nur eine Sorte von ihnen. Auf
ihrem Marsch durch den Draht stoßen die Elektro-
nen so gut wie gar nicht mit Artgenossen zusammen,
sondern weit überwiegend mit den Gitterbausteinen
des Metalls. Flüssigkeitsmoleküle stehen sich immer
nur gegenseitig im Weg. Das hat zwei Konsequen-
zen: Erstens hängt ein elektrischer Widerstand von
einer Materialkenngröße des Drahtes ab, in dem die
. Abb. 3.40 Geschwindigkeitsprofil einer in einem
Elektronen laufen (von der Resistivität nämlich), ein
kreisrunden Rohr strömenden Flüssigkeit. Oben: bei
laminarem Strom ein Rotationsparaboloid, dessen ebener
Strömungswiderstand aber nicht von einer Material-
Schnitt eine Parabel ist. Unten: bei turbulenter Strömung eigenschaft der Röhre, sondern der Flüssigkeit (von
flacht das Profil ab der Viskosität nämlich). Zum andern driften im
3.5 · Hydrodynamik
109 3
Draht alle Elektronen mit der gleichen Geschwindig- ernsthaft für einen Betrunkenen in kalter Winter-
keit (ebenes Geschwindigkeitsprofil); die elektrische nacht, denn Alkohol erweitert die Blutgefäße, wirkt
Stromstärke ist darum der Elektronenanzahl direkt also dem physiologischen Regelprozess entgegen.
proportional und damit auch der Querschnittsflä- Das Gesetz von Hagen-Poiseuille gilt freilich nur
che des Drahtes, unabhängig von dessen Form; Flüs- für laminare Strömung. In der Technik sind Strö-
sigkeitsmoleküle haften an der Wand und driften mungen überwiegend turbulent. Ob eine Strömung
umso schneller, je weiter sie von ihr weg sind: die laminar oder turbulent sein wird, kann mit der Rey-
Strömungsgeschwindigkeit wächst mit dem Wand- nolds-Zahl Re abgeschätzt werden:
abstand, d. h. mit dem Rohrdurchmesser.
ρ ⋅ vm ⋅ 2r
Im einfachen Fall eines Rohres mit der Länge l Re =
η
und einer kreisförmigen Querschnittsfläche vom
Radius r gilt bei laminarer Strömung das Gesetz von Hierin ist ρ die Dichte der Flüssigkeit. Liegt diese
Hagen-Poiseuille dimensionslose Zahl Re für die betrachtete Strömung
über ca. 2200, so ist mit turbulenter Strömung zu
πr 4 ∆p A2 ∆p
I= ⋅ = ⋅ rechnen. Die Strömung von Öl in einer Hydraulik
8η ∆l 8π ⋅ η ∆l
oder von Blut im Blutkreislauf ist eher laminar, denn
Die Gleichung leuchtet ein. Es kann nicht überra- die Flüssigkeit sind zäh und die Rohrdurchmesser
schen, wenn die Volumenstromstärke direkt pro- und Strömungsgeschwindigkeiten eher klein. Die
portional zum Druckgefälle ist und umgekehrt pro- Strömung von Luft in einer Klimaanlage oder von
portional zur Zähigkeit. Weiterhin wächst die im Wasser in einer Kühlung ist turbulent, denn die Vis-
Rohr vorhandene Flüssigkeitsmenge proportio- kosität ist klein, Rohrdurchmesser und Strömungs-
nal zu dessen Querschnittsfläche und somit zum geschwindigkeit eher groß.
Quadrat des Radius. Genau so wächst, des paraboli- Bei turbulenter Strömung durch ein Rohr (Länge
schen Geschwindigkeitsprofils wegen, aber auch die l; Radius r) ist der Strömungswiderstand überhaupt
maximale Strömungsgeschwindigkeit in der Rohr- nicht mehr von dem Volumenstrom unabhängig.
mitte und mit ihr die mittlere Geschwindigkeit. Hier gibt man üblicherweise die Druckdifferenz Δp
Beide Effekte zusammen liefern einen Anstieg der als Funktion der mittleren Strömungsgeschwindig-
Stromstärke mit dem Quadrat der Fläche und mit keit vm an und bekommt einen in etwa quadratischen
der vierten Potenz des Radius. Den Zahlenfaktor Zusammenhang:
bekommt man allerdings nur durch mathematisch-
l 2
formale Integration. ∆p = λ ⋅ ⋅ ρ ⋅ vm
4⋅r
Die vierte Potenz im Zähler signalisiert eine
ungemein starke Abhängigkeit der Stromstärke und Der Zusammenhang ist nur in etwa quadratisch,
des Widerstandes vom Radius der Röhre: Nur 20 % denn der Widerstandsbeiwert λ des Rohrs enthält
Aufweitung verdoppeln schon Strom und Leitwert! alle Kompliziertheiten der turbulenten Strömung
Das erlaubt der Natur, mit kleinen Änderungen des und kann auch etwas von der Strömungsgeschwin-
Durchmessers von Adern die Durchblutung eines digkeit abhängen. Insbesondere hängt er aber von der
Organs wirksam zu steuern. Bei der Haut ist das für Rauhigkeit der Rohrwände ab, denn diese beeinflusst
die Regelung der Körpertemperatur wichtig. Die vom wesentlich die Ausbildung der Turbulenzen. Schreibt
Organismus entwickelte Wärme muss ja unbedingt man das Gesetz von Hagen-Poiseuille für die lami-
an die Umgebung abgegeben werden, und zwar exakt nare Strömung in gleicher Form, so ergibt sich:
und nicht nur einigermaßen, denn auf längere Zeit
8⋅η ⋅l
kann der Körper keine Wärme speichern. Darum ∆p = v
r2 m
ziehen sich die Blutgefäße der Haut bei Kälte ein
wenig zusammen, vermindern kräftig die Durch- Δp proportional zu vm ist das „ohmsche“ Verhal-
blutung und senken so mit der Oberflächentempe- ten der laminaren Strömung. Δp proportional zu
ratur die Wärmeabgabe. Täten sie es nicht, könnte 1/r2 ist die oben diskutierte starke Abhängigkeit des
der Mensch erfrieren. Diese Gefahr besteht ganz Strömungswiderstandes vom Radius, die auf das
110 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper
3
a b
. Abb. 3.41 Stromlinienförmig. Der Bereich turbulenter Strömung ist hinter einem Ball (oben) größer als hinter einem
stromlinienförmigen Gegenstand (unten)
der Tragfläche aber scharf nach oben abknicken. trotzdem, die der Übersichtlichkeit halber in der
Scharfes Abknicken der Stromlinien bedeutet Zeichnung weggelassen wurde. Entscheidend ist,
einen hohen Druckgradienten senkrecht zu den dass nun die Luft im Bereich der Tragfläche nach
Stromlinien. Dieser Druckgradient liefert die für unten abgelenkt wird. Der Rückstoß treibt das Flug-
das Umlenken der Luft notwendige Kraft. Weit zeug nach oben. Der nun vorhandenen Auftriebs-
weg von der Tragfläche herrscht Luftdruck. An kraft entsprechen die Druckverhältnisse an der Trag-
der Hinterkante der Tragfläche herrscht wegen des fläche. Ein gekrümmter Stromlinienverlauf erfordert
Druckgradienten also starker Unterdruck. Unter- wie gesagt ein Druckgefälle senkrecht zur Strömung,
druck bedeutet hohe Strömungsgeschwindigkeit das die Kraft zum Umlenken der Luft aufbringt. An
(der Bernoulli-Effekt rückwärts sozusagen). Auf- der Außenseite der Krümmung ist der Druck höher
grund der inneren Reibung kann die Luft so nah als an der Innenseite. Die Oberseite der Tragfläche
an der Tragfläche aber gar nicht so schnell strömen liegt an der Innenseite der Stromlinienkrümmung.
und dies führt zum Einrollen eines Anfahrwirbels Der Druck oben an der Tragfläche ist deshalb kleiner
(. Abb. 3.42 mittleres Bild). Ein solcher Wirbel hat als der umgebende Luftdruck. An der Unterseite, die
einen Drehimpuls, den er mit sich fort trägt. Da der außen an der Krümmung liegt, ist der Druck höher.
Drehimpuls bei der Wirbelentstehung aber erhalten Das passt auch mit dem Bernoulli – Effekt zusam-
bleiben muss, bildet sich gleichzeitig ein entgegen- men, denn oberhalb der Tragfläche strömt die Luft
gesetzt rotierender Wirbel, der die ganze Tragflä- schneller als unterhalb: das ergibt der Wirbel um
che umströmt und damit das ganze Stromlinienbild die Tragfläche. Weiter hinten hinter der Tragfläche
um die Tragfläche herum grundlegend verändert und schon außerhalb der Zeichnungen in . Abb.
(. Abb. 3.42 rechtes Bild). Nun kann die Luft an der 3.42 krümmen sich die Stromlinien wieder zurück
hinteren Tragflächenkante glatt abströmen. Eine nach oben in ihre alte Bahn vor der Tragfläche. Man
gewisse kontinuierliche Wirbelbildung gibt es dort kann also sagen, dass die Luft das Flugzeug „trägt“.
. Abb. 3.42 Fliegen. Das Ablösen eines Anfahrwirbels verändert drastisch die Strömung um die Tragfläche und bedingt den
Auftrieb
3.5 · Hydrodynamik
113 3
Druck
Druck kann durch einen Stempel (Kolben) in einer Pumpe erzeugt werden, entsteht aber auch durch das Eigengewicht
der Flüssigkeit (Schweredruck). Je tiefer man im Wasser taucht, umso höher wird der Schweredruck. Für Wasser gilt: je
10 m Wassertiefe bewirken etwa 1 bar Schweredruck. Bemerkenswerterweise hängt der Schweredruck nicht von der Gefäß-
form ab.
Druck
F
p: Druck
N
p= 2 = Pa, Pascal
A m
105 Pa ≈ 1 bar = 760 mmHg F: Kraft [N]
A: Stempelfläche [m2]
Schweredruck p = ρ⋅g⋅h
kg
ρ: Dichte der Flüssigkeit 3
m
g: Fallbeschleunigung m
s 2
Strömung
Soll eine Flüssigkeit durch ein Rohr strömen, so muss sie mit einer Druckdifferenz Δp zwischen den Rohrenden durch
das Rohr gedrückt werden. Dies liegt an der inneren Reibung in der Flüssigkeit, die ihr eine Zähigkeit η verleiht. Es gelten
ähnliche Beziehungen wie im elektrischen Stromkreis. Wird ein Rohr dünner, so erhöht sich dort die Strömungsgeschwin-
digkeit (Flüssigkeiten sind praktisch inkompressibel) und zugleich sinkt dort der Druck (Hydrodynamisches Paradoxon).
Überschreitet die Strömungsgeschwindigkeit eine bestimmte Grenze, wird die Strömung turbulent und der Strömungswi-
derstand steigt stark an.
Volumenstromstärke 3
∆V I: Volumenstromstärke m
I= s
∆t
114 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper
. Tab. 3.1 Fortsetzung
3 $ $
2$ $ (Querschnittsflächen)
$
Mechanische Schwingungen
und Wellen
Der Mensch informiert sich über den momentanen Zehntelsekunde falsch geht, ist gar nicht mal so sehr
Zustand seiner Umwelt mit Hilfe seiner 5 Sinne. Die gut. Aber sie hält ihren relativen Fehler bei ~10–6. Ein
beiden am besten entwickelten Sinne benutzen zur Zollstock von 1 m Länge müsste bei gleicher Präzi-
Informationsübertragung Wellen: der Gesichtssinn sion auf ein Tausendstel Millimeter genau sein.
die elektromagnetischen des Lichtes, das Gehör die
mechanischen des Schalls. Wellen transportieren
Energie, aber keine Materie. Ein Empfänger nimmt 4.1.2 Harmonische Schwingungen
diese Energie auf und beginnt dann zu schwingen.
4 Ein besonders einfach zu verstehendes schwingungs-
fähiges Gebilde in der Mechanik ist das Federpen-
4.1 Mechanische Schwingungen del der . Abb. 4.1a. Es besitzt einen Klotz mit der
Masse m, der längs einer Schiene (beispielsweise
4.1.1 Alles was schwingt
$0 $0
Das Pendel einer alten Standuhr kann schwingen,
eine Klaviersaite auch; beide sind dafür gebaut. Ein [
Dachziegel ist das nicht. Trotzdem kann er sich
lockern und, wenn er im Wind klappert, eine Art
von Schwingung ausführen. Die Vielfalt all dessen,
was da schwingen kann, ob es das nun soll oder nicht,
ist so groß, dass man bei allgemeinen Betrachtungen
) '[
gern auf die farblose Bezeichnung schwingungsfähi-
ges Gebilde oder Oszillator ausweicht.
Das Pendel der Standuhr kann man schwingen
sehen. Eine Quarzuhr und auch Computer bekom-
men ihren Takt von einem kleinen schwingenden
Quarzkristall vorgegeben. Der ist gut verpackt und
nicht zu sehen. Aber nicht nur Gegenstände können
schwingen, sondern auch zum Beispiel der Luftdruck
in einer Schallwelle oder das elektromagnetische Feld
in einer Lichtwelle. Die Physik der Schwingungen
kann durchaus kompliziert werden.
Ein schwingungsfähiges Gebilde kann schwin-
gen, muss aber nicht. Ein jedes besitzt eine Ruhe-
lage, in der es beliebig lange verharrt, wenn es nicht
gestört wird. Wird es gestört, so muss es seine Ruhe-
lage in mindestens einer Richtung verlassen können,
meistens sind es aber zwei: rechts-links, oben-unten,
vorn-hinten, hoch-tief, stärker-schwächer, hin und
zurück. Manchen Pendeln sind noch mehr Richtun-
gen erlaubt.
Wenn ein Pendel schwingt, kommt es in regel-
mäßigen Zeitabständen an seiner Ruhelage vorbei.
Die Bewegung wiederholt sich periodisch, die Zeit-
abstände der Wiederholung heißen Periode der
Schwingung. Uhren werden auf Konstanz dieser
Zeitabstände hin gezüchtet, mit beachtlichem Erfolg. . Abb. 4.1 Federpendel; Ablauf einer Schwingungsdauer;
Eine Armbanduhr, die am Tag um nicht mehr als eine Animation im Web
4.1 · Mechanische Schwingungen
119 4
nach Art des Luftkissenfahrzeugs der . Abb. 2.48 von Eine Schwingungsdauer T ist abgelaufen. Von nun
7 Abschn. 2.3.1) „reibungsfrei“ streng horizontal ab wiederholt sich der ganze Vorgang periodisch,
gleiten kann, dies aber zunächst nicht tut, weil er d. h. in immer der gleichen Weise, in immer glei-
von einer Schraubenfeder in seiner Ruhestellung chen Zeitspannen.
x = 0 gehalten wird. Dort kann er bleiben, kräftefrei, Diese Bewegung der Masse kann mit einer Sinus-
denn die Feder ist entspannt, und die Gewichtskraft funktion beschrieben werden:
wird von der Schiene aufgefangen.
2π
Um das Pendel in Gang zu setzen, kann man den x(t) = A0 ⋅ sin ( ⋅ t + ϕ0) = A0 ⋅ sin (ω ⋅ t + ϕ0),
T
Klotz per Hand zur Seite ziehen (. Abb. 4.1b), ihm
also eine Auslenkung x (hier = A0) verpassen. Dabei (. Abbildung 4.2). Man könnte auch die Kosinus-
spannt man die Feder. Sie soll dem linearen Kraft- funktion nehmen. Eine solche Bewegung, die durch
gesetz des 7 Abschn. 2.2.1 gehorchen, also entspre- Kosinus oder Sinus beschrieben wird, nennt man
chend ihrer Federkonstanten D den Pendelkörper harmonische Schwingung.
mit der Kraft
Merke
F (x) = −D ⋅ x
Die Winkelfunktionen Sinus und Kosinus
in Richtung Ruhelage zurückziehen. Die Kraft beschreiben harmonische Schwingungen.
bekommt ein negatives Vorzeichen, da sie immer
entgegen der Auslenkung x wirkt: sie ist eine rück-
treibende Kraft. Lässt man den Klotz bei der Aus- Für die Schwingungsdauer T eines Pendels ist es
lenkung A0 los, so verlangt die Grundgleichung gleichgültig, ob man sie von Umkehrpunkt zu
der Mechanik, also das 2. Newton´sche Gesetz (s. Umkehrpunkt (auf der gleichen Seite), von Null-
7 Abschn. 2.3.1.), dass sich der Klotz nach links in durchgang zu Nulldurchgang (in gleicher Richtung)
Bewegung setzt, und zwar mit der Beschleunigung oder irgendeiner Auslenkung dazwischen zur nächs-
ten gleichen danach zählt. Den Kehrwert der Schwin-
F ( A0) −A0 ⋅ D
a0 = = . gungsdauer f = 1/T nennt man die Frequenz der
m m
Schwingung. Sie gibt an, wie viel Perioden in einer
Folge: Die Auslenkung x wird kleiner, der Betrag Sekunde ablaufen und hat die SI-Einheit 1/s = s–1.
der rücktreibenden Kraft F(x) auch. Aber die nach Es ist üblich, diese Einheit Hertz zu nennen und mit
links gerichtete Geschwindigkeit v(t) wird größer, Hz abzukürzen.
bis der Klotz seine Ruhelage x = 0 erreicht. Dort
bleibt der Klotz aber nicht stehen, sondern läuft, für Merke
den Moment kräftefrei, mit momentan konstanter 1
Einheit der Frequenz: 1 Herz = 1 Hz =
Geschwindigkeit weiter nach links, als Folge seiner s
Trägheit (. Abb. 4.1c). Von da ab wird die Schrau-
benfeder gestaucht, x und F wechseln ihre Vorzei-
chen, und die Kraft bleibt, jetzt nach rechts gerichtet,
rücktreibende Kraft. Sie bremst den Pendelkör-
7
per ab, bis er im linken Umkehrpunkt der Schwin-
[
Da die Mathematiker der Sinusfunktion eine Periode Definitionsgemäß ist beim Federpendel die
von 2π gegeben haben, steht in der Klammer der Beschleunigung a gleich der zweiten Ableitung
Sinusfunktion nicht einfach die Frequenz vor der d2x/dt2 der Auslenkung nach der Zeit. Die Formel
Zeitvariable t, sondern Frequenz mal 2π: ω = 2π⋅f; für die rücktreibende Kraft F = −D ⋅ x führt zusam-
sie wird Kreisfrequenz genannt. Der Name kommt men mit der Grundgleichung der Dynamik (2. New-
daher, dass eine Kreisbewegung mit Winkelge- ton´sches Gesetz) auf die Gleichung:
schwindigkeit ω, auf eine Bewegungsrichtung pro-
d 2x F D
jiziert, eine Schwingung mit Kreisfrequenz ω ergibt = = − ⋅ x(t)
4 (. Abb. 1.14). Vor der Sinusfunktion steht die Amp-
dt 2 m m
litude A0. Sie entspricht gerade der maximalen Aus- Eine Gleichung, die neben der Variablen (hier x) auch
lenkung aus der Ruhelage x = 0, den die Sinusfunk- einen ihrer Differentialquotienten enthält, heißt Dif-
tion wird maximal eins. In der Klammer steht noch ferentialgleichung. Tatsächlich ist diese Gleichung
der Phasenwinkel φ0, der bestimmt, wo die Schwin- nichts anderes als die Bewegungsgleichung von
gung bei der Zeit t = 0 startet. Meistens interessiert 7 Abschn. 2.3.3 für dieses Federpendel. Die Lösung
dieser Phasenwinkel nicht. einer solchen Gleichung ist nicht einfach eine Zahl,
sondern eine Funktion x(t). Diese Lösungsfunktion
Merke beschreibt eben gerade die Bewegung des Pendels.
Der Mathematiker löst eine Differentialgleichung
Kenngrößen der Harmonischen Schwingung: mit Scharfsinn, Phantasie und festen Regeln; der
55Amplitude = Maximalausschlag mathematische Laie, auch der Physiker, schlägt die
55Schwingungsdauer T Lösung in entsprechenden Büchern nach. Im vorlie-
1 genden Fall geht es um die Schwingungsdifferential-
55Frequenz f =
T gleichung in ihrer einfachsten Form. Sie wird durch
55Kreisfrequenz ω = 2π ⋅ f
eine Sinusfunktion x(t) = A0 ⋅ sin(ω ⋅ t) gelöst (es darf
auch der Kosinus sein und es darf auch noch ein Pha-
senwinkel φ0 in der Klammer stehen). Davon über-
Die Amplitude, mit der das Federpendel schwingt, zeugt man sich durch Ableiten und Einsetzen. Es gilt:
kann man offenbar frei wählen. Man startet die wenn
Bewegung eben mit einer mehr oder weniger starken
x(t) = A0 ⋅ sin(ω ⋅ t)
Auslenkung. Auch der Startpunkt der Schwingung,
also der Phasenwinkel, kann frei gewählt werden. dann
Die Schwingungsdauer sucht sich das Pendel aber
dx(t)
selbst. Wie lange dauert nun eine Schwingungsdauer = v(t) = A0 ⋅ ω ⋅ cos(ω ⋅ t)
dt
T? Soviel kann man sich denken: Je größer die Masse
m des Pendelkörpers ist, desto langsamer kommt sie und
in Bewegung und wieder heraus. In einer Formel
d 2 x(t)
für T wird man m über dem Bruchstrich erwar- = a(t) = −A0 ⋅ ω 2 ⋅ sin(ω ⋅ t) = −ω 2 ⋅ x(t)
dt 2
ten. Umgekehrt, je stärker die Feder, desto schneller
die Schwingung: In der Formel für T wird man die Den Faktor ω bei jeder Ableitung schleppt die Ket-
Federkonstante D unter dem Bruchstrich vermuten. tenregel der Differentiation herein.
Dass freilich In der letzten Gleichung muss nun nur noch
ω 2 = D / m gesetzt werden, und die Schwingungs-
m
T = 2π ⋅ differentialgleichung steht da. Also löst die Sinus-
D
funktion die Differentialgleichung wenn
herauskommt, kann man sich auf solche Weise nicht
2π D
überlegen; da muss man rechnen. ω= = ω0 =
T m
4.1 · Mechanische Schwingungen
121 4
gesetzt wird. ω0 nennt man die Eigenkreisfrequenz harmonisch und eine Rechnung entsprechend der
oder charakteristische Kreisfrequenz des Pendels. obigen liefert:
Das Federpendel schwingt gemäß einer Sinus-
g
funktion, also harmonisch, weil die rücktreibende ω0 =
l
Kraft proportional zur Auslenkung ist. Ohne dieses
funktioniert die ganze Rechnung nicht. Eine Schwin- Bemerkenswerterweise hängt die Kreisfrequenz also
gung kann immer noch herauskommen, aber keine nur von der Pendellänge l und der Fallbeschleuni-
harmonische. gung g ab, aber nicht von der Masse m.
Eben deswegen ist das technisch so einfache In einem Experiment kann man sich leicht über-
Fadenpendel, also ein mit langem Faden irgendwo zeugen, dass die Schwingungsdauer bei großen Aus-
aufgehängter Stein, genau betrachtet, kein har- lenkungswinkeln aber auch noch von der Amplitude
monisch schwingendes Gebilde. Das Fadenpen- abhängt. Dies ist ein untrügliches Zeichen für eine
del zweigt seine rücktreibende Kraft F von der nicht harmonische Schwingung, denn bei der Sinus-
Gewichtskraft F G der Pendelmasse ab, und da funktion sind Amplitude und Frequenz völlig unab-
besteht keine Proportionalität zum Auslenkwin- hängig voneinander.
kel α, sondern zu dessen Winkelfunktion sin(α)
(. Abb. 4.3). Bei sehr kleinen Winkeln macht das
Rechenbeispiel 4.1: Fahrwerksfeder
freilich nichts aus; sin(4,4°) = 0,076719 ist gegen-
Aufgabe: Eine vierköpfige Familie mit einer
über 4,4° im Bogenmaß (= 0,076794) erst um
Gesamtmasse von 200 kg steigt in ihr Auto mit
ein Promille zurückgeblieben, da darf man noch
einer Masse von 1200 kg. Das Auto senkt sich
sin(α) = α setzen, vorausgesetzt, man drückt den
um 3 cm. Wie groß ist die Federkonstante der
Winkel α in Bogenmaß aus ( . Abb. 1.11 ). Für
vier Fahrwerksfedern zusammengenommen?
kleine Winkel schwingt das Fadenpendel doch fast
Mit welcher Frequenz beginnt das Auto zu
schwingen, wenn es durch ein Schlagloch
fährt?
Lösung: Die zusätzlich Gewichtskraft beträgt
200 kg ⋅ 9,81 m/s2 =1962 N. Die Federkonstante
1962 N
ist also: D = = 6, 54 ⋅ 104 N/m.
3 ⋅ 10-2 m
Į Bei einer Gesamtmasse von 1400 kg
ist dann die Eigenfrequenz des Autos:
O
1 D
f0 = = 1,1Hz.
2π m
. Abb. 4.6 Einschwingvorgänge brauchen nicht weniger Zeit als das Ausschwingen. (a) schwache Dämpfung; (b) nahezu
aperiodische Dämpfung (hier ist die Amplitude um den Faktor 5 überhöht gezeichnet)
4.1 · Mechanische Schwingungen
125 4
Der Phasenwinkel φ schiebt die zugehörige Teil-
schwingung in die richtige Position auf der Zeit-
achse. Am besten lässt man sich die Summe von
$
einem Computer nicht nur ausrechnen, sondern
gleich als Kurve auf den Bildschirm aufzeichnen.
Dabei handelt es sich keineswegs um eine mathe-
matische Spielerei; die Überlagerung von Schwin-
$ gungen hat durchaus praktische Bedeutung, wie sich
noch herausstellen wird.
In besonders einfachen Fällen kann man auch
ohne Rechnung herausfinden, was bei einer Über-
$ lagerung von Schwingungen herauskommen muss,
etwa bei der Addition zweier Sinusschwingungen
gleicher Amplitude und Frequenz, d. h. bei
Merke Merke
Nicht harmonische Schwingungen können als Wellen transportieren Energie, aber keine
Überlagerung harmonischer Schwingungen Materie.
aufgefasst werden.
. Abb. 4.12 Fourier-Analyse und Synthese. Oberes Teilbild: Zeichnungen der ersten 26 Fourier-Glieder des vorgegebenen
Profils; unteres Teilbild: Synthese – die Fourier-Glieder werden nacheinander von rechts nach links aufaddiert. (Computer-
Rechnung und -Zeichung von W. Steinhoff ); Animation im Web
Wasserwellen. Wie schnell eine Welle läuft, hängt 4.2.2 Harmonische Seilwellen
vom Medium ab, in dem sie sich ausbreitet.
Schallwellen und Wasserwellen sind mechani- Nehmen wir ein Seil oder einen Gummischlauch,
sche Wellen. Für unsere Sinneswahrnehmung noch binden ein Ende irgendwo fest, spannen es etwas,
ganz wichtig sind Lichtwellen. Das sind elektro- und lenken das andere Ende kurz seitlich aus, so läuft
magnetische Wellen, in denen nichts mechanisch diese Auslenkung das Seil entlang zum angebunde-
schwingt, sondern elektrische und magnetische nen Ende, wird dort reflektiert und kommt wieder
Felder (. Abb. 4.17). Das ist schon viel abstrakter zurück. Das ist eine rudimentäre Seilwelle. Wie sie
und wird im 7 Kap. 6 und 7 näher erklärt. entsteht, versteht man am besten, wenn man sich das
Vielleicht noch abstrakter ist die Welle, die in Seil als Abfolge von Federn und Massen vorstellt, wie
. Abb. 4.18 zu sehen ist. Es handelt sich um eine in . Abb. 4.19 dargestellt.
Aufnahme einer Metallkristalloberfläche mit Die Massen können ihre Ruhelage in Richtung
einem Rastertunnelmikroskop. Auf der Oberfläche des Seils verlassen (. Abb. 4.20 oben) oder senkrecht
ist ein Kreis von Atomen angeordnet. Im Inneren dazu (. Abb. 4.20 unten).
dieses Kreises sieht man ringförmige Wellen. Diese In beiden Fällen gibt es eine in die Ruhelage rück-
Wellen entsprechen der Aufenthaltswahrschein- treibende Kraft. Ist die Masse senkrecht zum Seil aus-
lichkeit von Leitungselektronen an der Kristall- gelenkt (man nennt dies auch eine transversale Aus-
oberfläche. In der Quantenmechanik haben auch lenkung), so wird sie von der Zugspannung im Seil
Teilchen wie Elektronen Wellencharakter. Diese zurückgezogen. Da die Masse aber träge ist, wird sie
quantenmechanischen Wellen beschreiben die nicht nur bis zur Ruhelage zurücklaufen, sondern wie
Aufenthaltswahrscheinlichkeit an verschiedenen bei einer Schwingung darüber hinaus. So entsteht
Orten. In 7 Abschn. 7.6 und 8.1.2 werden wir darauf die Welle. Ist die Masse in Richtung des Seils aus-
zurückkommen. gelenkt (man spricht auch von einer longitudinalen
Wellen aller Wellenarten werden durch ihre Auslenkung), so treibt sie die Federkraft der benach-
Amplitude, Frequenz, Ausbreitungsgeschwindigkeit barten Federn wieder in die Ruhelage. Auch so ent-
und Wellenlänge beschrieben und folgen den glei- steht eine Welle im Seil, eine so genannte longitu-
chen mathematischen Regeln. Um diese kennen zu dinale Welle (Auslenkung in Ausbreitungsrichtung
lernen, betrachten wir nun eine ebenfalls gut sicht- die Wellen). Die Welle mit transversaler Auslenkung
bare mechanische Welle, die Seilwelle. heißt transversale Wellen (Auslenkung senkrecht
4.2 · Wellen
129 4
8
Spannung
a)
Amplitude
Merke
Ausbreitungsgeschwindigkeit = Wellenlänge
mal Frequenz
c =λ⋅ f
für die Ausbreitungsgeschwindigkeit auf einem Seil Wir sehen: je schwerer das Seil, umso langsamer die
mit der Zugspannung F0, der Querschnittsfläche A, Wellen; je höher die Zugspannung oder das Elastizi-
der Massendichte ρ und dem Elastizitätsmodul E tätsmodul umso schneller ist die Wellen.
seien hier nur ohne Ableitung angegeben: Es gibt auch Situationen, da hat eine Welle zwei
verschiedene Geschwindigkeiten. Das tritt dann auf,
F0
transversaleWelle : ct = , wenn die oben beschriebene Ausbreitungsgeschwin-
A⋅ ρ
digkeit auch noch von der Frequenz beziehungsweise
der Wellenlänge abhängt. Das ist zum Beispiel bei
E
longitudinaleWelle : cl = . einer Wasserwelle der Fall:
ρ
g ⋅λ
cWasser = mit g = Fallbeschleunigung.
Ȝ 2π
Man spricht dann von Dispersion. Sie wird in der
W Optik noch sehr wichtig, denn auch bei Lichtwel-
[ len in Glas tritt diese Wellenlängenabhängigkeit
die Ausbreitungsgeschwindigkeit auf. Dort wie hier
W 7 nimmt die Ausbreitungsgeschwindigkeit mit stei-
[
gender Frequenz (sinkender Wellenlänge) ab. Einen
interessanten Effekt hat diese Wellenlängenabhän-
W 7 gigkeit bei kurzen Wellenzügen („Wellenpaketen“).
[
. Abbildung 4.22 Zeigt ein solches Wellenpaket, das
auch nicht näherungsweise durch eine Sinusfunk-
W 7
[ tion beschrieben werden kann, denn eine Sinus-
funktion reicht ja von minus unendlich bis plus
W 7 unendlich.
[ Ähnlich wie bei der Fourier-Analyse, die wir
bei den Schwingungen kennen gelernt haben, kann
Ȝ F 7 man sich das Wellenpaket aber aus vielen Sinus-
. Abb. 4.21 Welle. Eine Welle läuft in der
funktionen (harmonischen Wellen) verschiede-
Schwingungsdauer T um eine Wellenlänge λ weiter: ner Frequenz und Wellenlänge zusammengesetzt
Fortpflanzungsgeschwindigkeit c = λ·f denken. Diese vielen Wellen haben wegen der
132 Kapitel 4 · Mechanische Schwingungen und Wellen
. Abb. 4.23 Phasenflachen für eine ebene Welle, eine 4.2.4 Stehende Wellen
Kugelwelle und eine Zylinderwelle
Merke
ȥ
Û Û
ȥ ȥ
S
Û Û
ȥ
1
4.2.5 Schallwellen
Es gibt nicht nur eindimensionale stehende
Wellen. Im Hörsaal werden gerne die „Chladni- Druckwellen in Luft, aber auch in anderen Gasen, in
schen Klangfiguren“ gezeigt (. Abb. 4.27). Ein qua- Flüssigkeiten und Festkörpern bezeichnet man als
dratisches Blech ist mit einer Schraube in der Mitte Schall. In Gasen und Flüssigkeiten sind das immer
an einem schwingungsfähigen Elektromagneten longitudinale Wellen, so wie es die . Abb. 4.16 zeigt.
befestigt. Wird dieser mit passenden Frequenzen Im Festkörper können Schallwellen auch transver-
angeregt, so bilden sich auf dem Blech komplizierte sal sein.
Schwingungsstrukturen aus. Die Schwingungskno- Schallwellen im Frequenzbereich von etwa 16 Hz
ten können mit aufgestreutem Sand sichtbar gemacht bis etwa 16 kHz kann der Mensch hören; man nennt
werden, der sich an ihnen sammelt. sie Hörschall. Schwingungen kleinerer Frequenz
Es gibt auch dreidimensionale stehende Wellen, werden als Bewegungen empfunden, unterhalb von
unter anderem in einem Bereich, wo man sie viel- 3 Hz lassen sie sich unmittelbar abzählen; in der
leicht nicht erwartet. Da in der Quantenphysik die Akustik nennt man sie Infraschall. Die obere Hör-
Aufenthaltswahrscheinlichkeit von Teilchen auch grenze hängt vom Lebensalter ab und geht mit den
Wellencharakter hat, kann auch sie stehende Wellen Jahren zurück. Schall, dessen Frequenz über der Hör-
ausbilden. In . Abb. 4.18 in 7 Abschn. 4.2.1 hatten grenze liegt, heißt Ultraschall.
136 Kapitel 4 · Mechanische Schwingungen und Wellen
v v
f = f0 − = f 0 ⋅ 1 −
c c 1 1 1 λ0 c
f = = = ⋅ = f0 ⋅
λ c ⋅ T0 − v ⋅ T0 T0 1 − v 1−
v
c c
Merke
und hinter der Quelle:
Als Doppler-Effekt bezeichnet man
c c 1 1 1
f = = = ⋅ = f0 ⋅ die Frequenzverschiebung, die ein
λ c ⋅ T0 + v ⋅ T0 T0 1 + v 1+
v
Wellenempfänger bei einer Relativge-
c c
schwindigkeit zwischen Wellenquelle und
Ist v /c sehr viel kleiner als eins, so kann man diese Wellenempfänger wahrnimmt.
Terme in eine Taylorreihe entwickeln und erhält
näherungsweise:
1 v
f = f0 ⋅ ≈ f 0 ⋅ 1 + Delphine können mit der „Schall – Radar“ -Methode
v c
1− nicht nur die Position eines Objektes feststellen, sie
c
und können auch die Doppler Verschiebung des reflek-
1 v tierten Schallsignals wahrnehmen und damit grob
f = f0 ⋅ ≈ f 0 ⋅ 1 − , die Geschwindigkeit bestimmen. Kardiologen
v c
1+
c können das gleiche mit ihrem Ultraschallgerät: es
140 Kapitel 4 · Mechanische Schwingungen und Wellen
Harmonische Schwingungen
Harmonische Schwingungen werden durch eine Sinusfunktion oder Kosinusfunktion beschrieben. Nichtharmonische
Schwingungen können mathematisch immer als eine Überlagerung solcher sinusförmiger Schwingungen aufgefasst wer-
den. Mechanische Schwingungen sind praktisch immer durch Reibungskräfte gedämpft (. Abb. 4.4). In einfachen Fällen
klingt die Amplitude exponentiell ab. Durch periodisches Anstoßen des schwingenden Systems kann diese Dämpfung
kompensiert werden. Der Oszillator führt dann eine erzwungene Schwingung mit der Frequenz aus, mit der er angestoßen
wird. Entspricht diese Frequenz seiner Eigenfrequenz, so liegt Resonanz vor und der Oszillator schwingt besonders stark
(. Abb. 4.7).
Harmonische Schwingungen A0: Amplitude [m]
x(t) = A0 ⋅ sin 2π ⋅t f: Frequenz [Hz (Hertz)]
T
= A0 ⋅ sin(2π ⋅ f ⋅ t) T = 1/f: Schwingungsdauer,
Periodendauer [s]
= A0 ⋅ sin(ω ⋅ t)
ω =2π ⋅ f: Kreisfrequenz [1/s]
gedämpfte Schwingung δ: Dämpfungskonstante [1/s]
x(t) = A0 ⋅ e−δ⋅t ⋅ sin(ω ⋅ t)
Pendel
Welche Schwingungsdauer sich einstellt, hängt beim harmonischen schwingenden Oszillator nur von seiner Bauart ab.
Beim Federpendel wird die Schwingungsdauer von der Masse und der Federkonstante bestimmt.
Federpendel ω0: charakteristische Frequenz
D
Fadenpendel ω0 = D: Federkonstante [N/m]
m m: Masse
g: Fallbeschleunigung
g l: Fadenlänge
ω0 =
l
Harmonische Wellen (Schall, Licht)
Mechanische Wellen breiten sich in einem Medium (Luft, Wasser, Festkörper) aus. Dabei transportieren sie Energie, aber
keine Materie. An jedem Ort in der Welle schwingen die Teilchen des Mediums. Schwingen sie senkrecht zur Ausbreitungs-
richtung der Welle, so spricht man von einer transversalen Welle, schwingen sie in Ausbreitungsrichtung, so spricht man
von einer longitudinalen Welle. Die Frequenz f der Welle wird von der erzeugenden Quelle bestimmt. Die Ausbreitungs-
geschwindigkeit c hingegen, mit der Wellenberge und -täler fortschreiten, ist für das Medium charakteristisch. Der Ener-
gietransport der Welle wird durch die Intensität beschrieben, die proportional zum Quadrat der Amplitude ist. Präzise
gesprochen ist sie eine Energiestromdichte und gibt an, wie viel Energie in einer bestimmten Zeit durch eine bestimmte
Fläche senkrecht zur Ausbreitungsrichtung hindurch tritt. Ist die Quelle der Welle punktförmig, so sinkt die Intensität um-
gekehrt proportional zum Abstand r von der Quelle ins Quadrat
I ~ 1/r2.
Phasengeschwindigkeit c =λ⋅ f m
c: Phasengeschwindigkeit
s
λ: Wellenlänge [m]
f: Frequenz [Hz]
Polarisation Transversal – Auslenkung senkrecht zur Ausbreitungsrichtung der Welle
Longitudinal – Auslenkung parallel zur Ausbreitungsrichtung der Welle
Intensität
Intensität I einer Welle: Energiestromdichte
J
2
m ⋅ s
142 Kapitel 4 · Mechanische Schwingungen und Wellen
. Tab. 4.1 Fortsetzung
quadratisches Abstandsgesetz
1
I ~ 2 , r: Abstand von einer punktförmigen Quelle
r
Schall
Schall ist eine longitudinale Druckwelle (Ausbreitungsgeschwindigkeit: in Luft ca. 330 m/s; in Wasser: ca. 1500 m/s). Das
menschliche Ohr ist empfindlich für Frequenzen etwa zwischen 16 Hz und 16 kHz und kann Schallintensitäten über ca.
4 12 Größenordnungen hinweg wahrnehmen. Dieser gewaltige Intensitätsbereich ist möglich, da das Ohr in etwa logarith-
misch reagiert. Entsprechend wird die Lautstärke im logarithmischen Pegelmaß angegeben. Eine Erhöhung der Intensität
um einen Faktor 100 (das bedeutet eine Erhöhung der Amplitude des Schalldrucks um einen Faktor 10) entspricht einer
Pegelerhöhung um 20 dB.
Schallwellen haben in Medien unterschiedlicher Dichte und Härte unterschiedliche Ausbreitungsgeschwindigkeiten. Tritt
eine Schallwelle von einem in ein anderes Medium über, so wird deshalb ein Teil von ihr an der Grenzfläche zwischen den
Medien reflektiert. Dieser Effekt ist die Basis der Sonographie, die mit Hilfe reflektierter Ultraschallwellen (nichthörbarer
Schall hoher Frequenz) ein Bild vom Inneren eines Werkstücks oder des Körpers erzeugt. Bewegen sich Schallquelle, Emp-
fänger oder auch eine reflektierende Grenzfläche, so treten Frequenzverschiebungen auf (Doppler-Effekt). Auch dies kann
technisch genutzt werden, um zum Beispiel die Strömungsgeschwindigkeit von Flüssigkeiten in Rohren oder von Blut im
Körper zu messen.
Schallpegel Für die Schallausbreitung gilt weitgehend L: Schallpegel [dB (SPL)]
das Gleiche wie in der Optik für Licht
I: Intensität J
(Brechungsgesetz, Reflexionsgesetz). m 2⋅s
Aber: Schall ist eine longitudinale Welle.
I
L = 10 ⋅ lg -12
10 W/m 2
Wärmelehre
5.1 Die Grundlegenden Größen. – 147
5.1.1 Wärme – 147
5.1.2 Temperatur – 148
5.1.3 Temperaturmessung – 149
5.1.4 Wahrscheinlichkeit und Ordnung – 151
5.1.5 Die Entropie – 151
5.1.6 Wärmekapazität – 152
5.1.1 Wärme
Festkörper und in der Flüssigkeit auch noch poten- des Gegenstands und seiner inneren Beschaffen-
tielle Energie in der Abweichung aus der Gleichge- heit abhängt, muss hier ein besseres Maß gefun-
wichtslage. Diese Energie wollen wir in diesem Buch den werden. Letztlich geht es darum, die „Stärke“
thermische Energie oder genauer thermische innere der thermischen Bewegung anzugeben. Es hat sich
Energie U dieses Gegenstandes nennen. Die gesamte herausgestellt, dass dafür die Energie schon das
innere Energie eines Gegenstandes umfasst auch richtige Maß ist, aber nicht die des ganzen Gegen-
noch die Bindungsenergie oder chemische Energie. standes, sondern die mittlere Energie der einzelnen
Zuweilen wird die thermische Energie auch Wärme, Atome oder Moleküle. Genauer gesagt: Die absolute
Wärmeenergie oder Wärmeinhalt genannt. Das führt Temperatur T ist proportional zur mittleren kineti-
leicht zu Verwirrung. Denn streng genommen (und schen Energie der Schwerpunktbewegung der ein-
5 so soll es auch in diesem Buch sein) ist die Wärme zelnen Moleküle. In der thermischen Bewegung
Q jegliche Energie, die von einem Gegenstand auf tauscht jedes Molekül laufend kinetische Energie
einen anderen übertragen wird, außer es handelt sich mit den Nachbarn aus, deshalb muss zeitlich gemit-
dabei um mechanische Arbeit. Das ist eine durchaus telt werden. Als Formel geschrieben:
etwas verworrene Begriffsbildung, an die man sich
3 m
gewöhnen muss. Klar ist aber: alle Begriffe bezeich- k ⋅ T = 〈 v 2〉
2 b 2
nen Energien und werden in Joule gemessen. Die
thermische innere Energie des Menschen beträgt Hier bezeichnet die spitze Klammer eine zeitliche
bei einer Masse von 75 kg etwa 10.000 kJ, voraus- Mittelung und m die Masse des Moleküls. Die abso-
gesetzt, er hat die normale Körpertemperatur. Man lute Temperatur wird in Kelvin (Einheitszeichen: K)
könnte ihn auch so weit abkühlen, ihm Wärme ent- gemessen und nicht in Joule, deshalb taucht in der
ziehen, bis sich die Moleküle nicht mehr bewegen. Formel ein Umrechnungsfaktor, die Boltzmann-
Dann befände er sich am absoluten Temperaturnull- Konstante kb auf. Die typische Zimmertempera-
punkt und die thermische Energie wäre null. tur beträgt knapp 300 Kelvin, die mittlere kinetische
Auch wenn der Mensch nur ruhig im Bett liegt, Energie eines Moleküls ist wegen seiner geringen
liefert sein Stoffwechsel weitere Wärme an den Masse sehr klein. Deshalb hat auch die Boltzmann-
Körper, die der Mensch durch Wärmeleitung, Schwit- Konstante einen sehr kleinen Wert:
zen und Wärmestrahlung laufend wieder abgeben
J
muss, um seine Temperatur und seine innere Energie kb = 1, 38 ⋅10−23
K
konstant zu halten. Dieser Grundumsatz unseres
Normmenschen beträgt etwa 80 W, also 80 Joule in Dass vor der Boltzmann-Konstante noch ein Faktor
jeder Sekunde, soviel wie eine helle Glühbirne. 3/2 steht, hat praktische Gründe, die wir später ver-
stehen werden.
Merke
Merke
Der Begriff thermische Energie oder
thermische innere Energie (U) bezeichnet Die absolute Temperatur T ist ein Maß für
die Energie, die in der thermischen die Stärke der thermischen Bewegung. Sie
Wimmelbewegung der Atome und Moleküle ist proportional zur mittleren kinetischen
steckt. Mit Wärme (Q) bezeichnet man Energie, Energie der einzelnen Moleküle. Die Einheit
die von einem Gegenstand auf einen anderen heißt Kelvin (1 K). Am absoluten Temperatur-
übertragen wird nullpunkt T = 0 K gibt es keine thermische
Bewegung mehr. Kälter geht es nicht.
5.1.2 Temperatur
Sie werden nun vielleicht einwenden, dass es in
Wie warm oder wie kalt ein Gegenstand ist, kann ihrem Zimmer nur 20 Grad warm ist und nicht
an seiner thermischen inneren Energie bemes- 300 Grad heiß. Im täglichen Leben wird die Tem-
sen werden. Da diese aber auch von der Größe peratur in Grad Celsius gemessen, in einer Skala,
5.1 · Die Grundlegenden Größen.
149 5
die schon älter ist und sich an den Eigenschaften 5.1.3 Temperaturmessung
des Wassers orientiert (0 °C: schmelzen; 100 °C:
kochen). Die absolute Temperatur mit der Kelvin- Die kinetische Energie eines Moleküls kann man
Skala orientiert sich direkter an der Physik dahin- nicht im Mikroskop nachgucken. Wie misst man also
ter. Am absoluten Temperaturnullpunkt bei 0 K Temperatur? Man nutzt aus, dass bestimmte Mate-
gibt es gar keine thermische Bewegung mehr, kälter rialeigenschaften von der Temperatur abhängen. Der
geht es nicht, negative absolute Temperaturen gibt Klassiker ist die thermische Ausdehnung. Ein Metall-
es also nicht. In Grad Celsius gemessen liegt der stab der Länge l0 zum Beispiel ändert seine Länge ein
absolute Temperaturnullpunkt bei −273,15 °C. wenig um Δl, wenn sich seine Temperatur ändert:
Praktischerweise haben aber beide Temperatur-
skalen die gleiche Gradeinteilung, eine Tempera- ∆l = α ⋅ l0 ⋅ ∆T
turdifferenz von 1 °C ist also auch eine Temperatur-
differenz von 1 K. Man kann deshalb beide Skalen Hierbei ist α der lineare Ausdehnungskoeffizient des
leicht in einander umrechnen: wenn T die abso- Materials. Der Effekt ist klein, der Ausdehnungsko-
lute Temperatur und t dieselbe Temperatur in Grad effizient in der Größenordnung von 10−5 K−1. Ein
Celsius ist, so gilt: 1 Meter langer Stab würde sich also bei einem Grad
Temperaturerhöhung nur um ein hundertstel Milli-
K °C
T =t⋅ + 273,15 K und t = T ⋅ − 273,15°C meter ausdehnen. Will man daraus ein Thermome-
°C K
ter machen, so nimmt man eine Flüssigkeit in einem
kleinen Glasbehälter, auf den eine feine Kapillare auf-
Merke gesetzt ist, in der die Flüssigkeit hochsteigt, wenn sie
sich ausdehnt. So werden auch kleine Volumenän-
Die Kelvin-Skala zählt vom absoluten derungen gut sichtbar.
Nullpunkt der Temperatur aus. Man erhält ihre
Volumenänderung: Bei einer Volumenänderung dehnt sich die
Maßzahl, indem man die der Celsius-Skala um
Flüssigkeit in alle drei Raumrichtungen aus, der Volumenaus-
273,15 erhöht. dehnungskoeffizient ist deshalb dreimal so groß wie der lineare:
∆V = 3 ⋅ α ⋅ V0 ⋅ ∆T
Lässt man eine schöne heiße Tasse Kaffee stehen, Ein anderer Trick ist es, zwei Streifen aus verschiede-
so wird der Kaffee kalt. Genauer: Er hat nach einer nen Metallen mit verschiedenen Ausdehnungskoeffi-
Weile die gleiche Temperatur wie das Zimmer drum- zienten aneinanderzukleben. Dieser Bimetallstreifen
herum. Dies ist eine zentrale Eigenschaft der Tem- ist bei der Temperatur, bei der er zusammengeklebt
peratur: innerhalb eines Gegenstandes und zwischen wurde, gerade, verbiegt sich aber zur einen oder
Gegenständen, die irgendwie miteinander in Kontakt anderen Seite, wenn die Temperatur kleiner oder
sind, gleicht sich die Temperatur über kurz oder lang größer wird (. Abb. 5.2).
an. Die thermische Bewegung sorgt dafür, dass sich
die thermische Energie gleichmäßig auf alle Atome
und Moleküle verteilt. Wie lange dieses Angleichen
der Temperatur dauert, hängt davon ab, wie schnell
sich die Wärme in einem Gegenstand und zwischen
Gegenständen ausbreitet. Diesen Wärmetransport
besprechen wir in 7 Abschn. 5.3.
Merker
7 7 7
Gegenstände, die in thermischem Kontakt . Abb. 5.2 Ein Bimetallstreifen biegt sich bei Änderung
sind, gleichen ihre Temperatur an. der Temperatur wie gezeichnet, wenn sich das linke Metall
stärker ausdehnt als das rechte
150 Kapitel 5 · Wärmelehre
Das ist ein recht starker Effekt, der genutzt Infrarotlichts. Zur genauen Temperaturmessung
werden kann, Ventile zu betätigen (Thermostat- muss man noch einen Faktor für die Strahlungs-
ventil am Heizkörper) oder elektrische Schal- eigenschaften der Oberfläche eingeben. Kennt man
ter zu schließen (Thermostaten in Zimmern oder diesen nicht, so wird die Messung ungenau. Es gibt
Waschmaschinen). in der Technik noch einige weitere Messverfah-
Die Ausdehnungsthermometer sind bis auf die ren, deren Besprechung wir uns hier aber schen-
Bimetallvariante eher selten geworden, denn meis- ken wollen.
tens möchte man gern eine elektronische Anzeige
der Temperatur. Dann verwendet man zur Tempe-
raturmessung die Temperaturabhängigkeit der elek- Rechenbeispiel 5.1: Stahlbrücke
5 trischen Leitfähigkeit von Metallen oder Halbleitern. Aufgabe: Der freitragende Teil einer
Man wickelt also zum Beispiel einen feinen Metall- Stahlbrücke sei bei 20 °C 200 m lang. Wie
draht auf eine kleine Spule und misst seinen elektri- viel Längenspiel müssen die Konstrukteure
schen Widerstand. Mit steigender Temperatur steigt einplanen, wenn die Brücke Temperaturen
sein Widerstand, da die stärkere thermische Bewe- von – 20 °C bis + 40 °C ausgesetzt ist? Der
gung den Fluss der Elektronen behindert. Über einen Ausdehnungskoeffizient von Eisen beträgt
weiten Temperaturbereich ist der Zusammenhang 12 ⋅ 10−6 K−1.
zwischen Temperatur und Widerstand linear. Aber Lösung: Da die Kelvinskala die gleiche
wie bei der thermischen Ausdehnung ist der Effekt Gradeinteilung hat wie die Celsiusskala,
klein. Man braucht eine recht empfindliche Elektro- könnte man die Einheit des Ausdehnungs-
nik. Bei einem Halbleiterelement ist die Tempera- koeffizienten auch in C−1 schreiben. Die
turabhängigkeit des Widerstandes viel stärker und Schrumpfung der Brücke im kältesten Fall
umgekehrt: mit steigender Temperatur nimmt der wäre: ∆l = α ⋅ 200 m ⋅ (-20°C) = -4, 8 cm , die
Widerstand ab. Der Zusammenhang ist leider gar Ausdehnung ∆l = α ⋅ 200 m ⋅ 40°C = 9, 6 cm.
nicht linear, sodass hier ins Thermometer noch ein Es muss also insgesamt ein Spielraum von
Mikroprozessor zum Umrechnen hinein muss. 14,4 cm eingeplant werden.
Eine interessante, aber teurere Methode der
Temperaturmessung ist die Messung der Wärme-
strahlung (7 Abschn. 5.3.3). Jeder Gegenstand, der
nicht gerade am absoluten Temperaturnullpunkt
ist, strahlt elektromagnetische Wellen im Infraroten
ab. Wie stark er strahlt und welche Wellenlängen die
Wellen haben, hängt von der Temperatur ab. Mit
einem Empfänger, der das messen kann, kann man
also die Temperatur bestimmen. Diese Messung geht
berührungslos und sehr schnell, da man gar nicht
mehr warten muss, bis das Thermometer seine Tem-
peratur an die des Gegenstandes angeglichen hat.
Die Messung hat aber auch ihre Tücken, auf die in
7 Abschn. 5.3.3 eingegangen wird.
. Abbilldung 5.3 zeigt drei Thermometer, die
die drei besprochenen Messmethoden verwenden.
Das linke Ausdehnungsthermometer mit einge-
färbtem Alkohol wird kaum noch verwendet. In der
Mitte sieht man ein typisches Industriethermome-
. Abb. 5.3 Thermometer: klassisches
ter, das einen elektrischen Widerstand in der Sen- Flüssigkeitsthermometer (links), elektrisches
sorspitze hat. Das rechte Thermometer misst die Widerstandsthermometer (Mitte) und
Intensität des von einem Gegenstand ausgestrahlten Strahlungsthermometer (rechts)
5.1 · Die Grundlegenden Größen.
151 5
5.1.4 Wahrscheinlichkeit und Aber wie ist es mit dem Menschen? Der ist doch
Ordnung ein hoch komplex organisiertes System von Mole-
külen, also sehr unwahrscheinlich? Der Mensch hat
An einer heißen Kaffeetasse kann man gut die Hände einen Trick: er nimmt ständig Energie in sehr geordne-
wärmen, den Wärme fließt bereitwillig von heiß nach ter Form (zum Beispiel Schwarzwälder Kirschtorte) zu
warm. Dass man aber mit seien Händen den Kaffee sich und gibt sie in sehr ungeordneter Form wieder ab.
wieder zum Kochen bringt, wird niemals passieren. Damit ist weniger das Resultat auf der Toilette gemeint,
Der Energiesatz hätte nichts dagegen, aber trotzdem sondern mehr die Wärmeenergie, die der Mensch
fließt Wärme nie von warm nach heiß. Warum? ständig abgibt (100 bis 200 Joule pro Sekunde). Diese
Es liegt an der Wahrschevinlichkeit. Alles strebt Energie bezieht er aus der Schwarzwälder Kirsch-
in den Zustand mit der höchsten Wahrscheinlich- torte. Dadurch erhöht der Mensch die Unordnung
keit. So ist die Wahrscheinlichkeit definiert. Jeder der Umgebung, um bei sich selbst die hohe Ordnung
kennt es von seinem Schreibtisch: Unordnung ist aufrecht zu erhalten oder noch zu erhöhen. Mensch
wahrscheinlicher als Ordnung. Das gilt auch in und Umgebung zusammengenommen bleiben aber
der Natur: ein System aus vielen Teilen wird sich tatsächlich auf dem Weg zu höherer Unordnung.
so lange wandeln, bis es den wahrscheinlichsten Wärme ist kinetische Energie in ungeordneter
Zustand, und das ist der Zustand höchsten Unord- Form. Sie lässt sich nicht ohne weiteres in geordnete
nung, erreicht hat. Dann befindet es sich im ther- Bewegung, so wie sie ein Motor zur Verfügung stellt,
modynamischen Gleichgewicht und verändert umwandeln. Auch der Motor muss dazu Energieträger
sich nicht mehr. Auf dem Weg ins thermodynami- in einer geordneteren Form, wie zum Beispiel Benzin,
sche Gleichgewicht gibt es keinen Umweg zurück verwenden. Einfach nur der Umgebung Wärme ent-
in einen unwahrscheinlicheren Zustand. Das ist das ziehen und daraus mechanische Arbeit gewinnen geht
Gesetz der großen Zahl. Ein System mit wenigen nicht. Ein solcher Motor könnte dann ja zum Beispiel
Teilen, sagen wir zwei Würfel, mit denen gewür- eine Klimaanlage betreiben, die Wärmeenergie endlos
felt wird, kann auch mal in einen unwahrschein- von kalt nach warm transportiert und damit alles vom
lichen Zustand kommen; dass zum Beispiel beide wahrscheinlicheren Zustand wegtreibt.
Würfel die gleiche Zahl zeigen. Würfelt man mit
zehn Würfeln, so müsste man schon an die zehn
Millionen mal würfeln, um eine reelle Chance zu 5.1.5 Die Entropie
haben, dass alle Würfel einmal die gleiche Zahl
zeigen. Würfelt man mit einer Million Würfeln, kann Die Wahrscheinlichkeit des Zustandes eines Systems
man sicher sein, dass das wahrscheinlichste Ergeb- ist also eine sehr wichtige Größe, wenn man den
nis, dass nämlich alle Zahlen in etwa gleich oft vor- Ablauf thermischer Prozesse verstehen will. Deshalb
kommen, immer eintritt. Die Gegenstände unserer wird ihr eine eigene physikalische Größe gewidmet:
Umgebung bestehen aus mindestens 1020 Atomen. die Entropie. Sie ist ein Maß für diese Wahrschein-
Da kann man völlig sicher sein, dass sie zielstrebig lichkeit. Es würde über den Rahmen dieses Buches
ihrem wahrscheinlichsten Zustand entgegengehen. hinausgehen, wenn hier genau erklärt wurde, wie
Ein wichtiger Punkt ist, dass im thermodynami- man Wahrscheinlichkeiten eigentlich misst oder
schen Gleichgewicht die Temperatur überall gleich berechnet, um dann eine neue physikalische Größe
ist. Deshalb wird der Kaffee auf die Dauer die Tem- definieren zu können. Hier seien nur die wichtigsten
peratur der Hände haben und nicht wieder anfangen Eigenschaften der Entropie aufgeführt:
zu kochen. Wie lange es aber dauert, bis Kaffee und 55 die Entropie eines Gegenstands steigt mit der
Hände im thermodynamischen Gleichgewicht sind, Wahrscheinlichkeit seines Zustandes. Ein von
das hängt von den Details ab; wie gut zum Beispiel der Umwelt völlig isolierter Gegenstand strebt
die Kaffeetasse isoliert. Es kann sehr lange dauern. in den Zustand mit höchster Wahrschein-
Seit dem Urknall sind schon 14 Milliarden Jahre ver- lichkeit, seine Entropie steigt also an. Sie
gangen und trotzdem ist das Weltall noch lange nicht sinkt niemals. Hat sein Zustand die höchste
im wahrscheinlichsten Zustand. Wahrscheinlichkeit erreicht, so ist er im
152 Kapitel 5 · Wärmelehre
thermodynamischen Gleichgewicht und seine In leidlicher Näherung ist die erzielte Tempera-
Entropie bleibt konstant. turerhöhung ΔT (zu messen in Kelvin) der zugeführ-
55 Die Entropie ist als mengenmäßige Größe ten Wärme Q (zu messen in Joule) proportional. Die
definiert. Macht man den Gegenstand doppelt Beziehung
so groß, ohne ihn sonst wie zu verändern,
Q = C ⋅∆T
verdoppelt sich seine Entropie. Deshalb kann
man sagen: der Gegenstand enthält eine definiert die Wärmekapazität C eines bestimmten
gewisse absolute Menge Entropie. festen, flüssigen oder auch gasförmigen „Gegenstands“.
55 Unordnung ist wahrscheinlicher als Ordnung. Zu ihr gehört die Einheit J/K. Je mehr Atome ein
Die Entropie flüssigen Wassers ist höher als Gegenstand enthält, umso größer ist seine Wärmeka-
5 die Entropie von zu Eiskristallen gefrorenem pazität, denn man braucht mehr Energie, wenn mehr
Wasser, denn in der Flüssigkeit sind die Atome Atome in stärkere Bewegung versetzt werden sollen.
ungeordnet. Ein Elefant ist größer als ein Kaninchen; für die Wär-
55 Überträgt man Wärme von einem Gegenstand mekapazitäten der beiden gilt das auch. Bezieht man
auf einen anderen, so wird auch Entropie C auf die Masse m des Gegenstands, so erhält man die
übertragen. Zugeführte Wärme verstärkt die
atomare Wimmelbewegung und erhöht damit c = C
spezifischeWarmekapazitat
m
die Unordnung und die Entropie. Genau gilt:
J
eine Wärmemenge Q, die einem Gegenstand, Einheit : 1 ;
der die Temperatur T hat, zugeführt wird, kg ⋅ K
erhöht dessen Entropie um bezieht man C auf die Stoffmenge n, erhält man die
Q C
∆S = molare Warmekapazitat
cn =
T n
Den Umstand, dass im isolierten System die Entro- J
Einheit : 1 .
pie (also die Wahrscheinlichkeit des Zustandes) nicht mol ⋅ K
sinken kann, bezeichnet man als zweiten Hauptsatz
der Thermodynamik, also: Die beiden werden zuweilen nicht ganz korrekt, aber
kürzer „spezifische Wärme“ und „Molenwärme“
∆S ≥ 0 im isolierten System.
genannt. Diese sind bei Elefant und Kaninchen in
Mit der Größe Entropie kann man sehr handfest etwa gleich, da beide aus ähnlichem Körpergewebe
arbeiten und rechnen. Das tun vor allem die Chemi- bestehen.
ker, die wissen wollen, wie Stoffe miteinander che-
misch reagieren. Auch dies bestimmt die Entropie. Merke
In diesem Buch wird die Entropie bei den Phasen-
übergängen wieder auftauchen, denn die sind auch 55 Wärmekapazität
chemische Reaktionen; und beim Wirkungsgrad von
Q J
Dampfturbinen. C= Einheit :1
∆T K
55 spezifische Wärmekapazität
5.1.6 Wärmekapazität
C J
c= Einheit :1
m kg ⋅ K
Ein Tauchsieder soll Wasser erwärmen, also dessen
Temperatur erhöhen. Dazu holt er elektrische 55 molare Wärmekapazität
Energie „aus der Steckdose“, setzt sie in thermische
Energie um und gibt sie an das Wasser weiter, in dem C J
cn = Einheit :1
n mol ⋅ K
sie mikroskopisch betrachtet als kinetische Energie in
der Wimmelbewegung der Atome gespeichert wird.
5.1 · Die Grundlegenden Größen.
153 5
Wärmemengen bestimmt man im Kalorimeter ; O
indem man die Temperaturänderung einer Subs-
tanz mit bekannter Wärmekapazität misst. Favori-
8
sierte Kalorimetersubstanz ist das Wasser, in abge-
messener Menge eingefüllt in ein Gefäß mit guter
Wärmeisolierung. Bewährt haben sich die Dewar-
Gefäße (sprich: Djuar), doppelwandige Glasflaschen
mit evakuierter Wandung (. Abb. 5.4): Als thermi-
sche Bewegung von Molekülen ist Wärme an Materie
gebunden, Vakuum unterbindet jede Wärmelei-
tung. Im Haushalt bezeichnet man Dewar-Gefäße
als Thermosflaschen.
In keinem Physikpraktikum fehlt ein Kalorime-
terversuch. In der Regel wird die Wärmekapazität
einer Substanz bestimmt. Entweder wird elektrisch
mit einem Tauchsieder eine bestimmte Wärmemenge
zugeführt und die Temperaturerhöhung gemessen.
Oder es wird eine Mischungstemperatur bestimmt. . Abb. 5.5 Kalorimeter. Zur Bestimmung der spezifischen
Für alle Messungen braucht man ein gut gegen Wärmekapazität des Wassers (Einzelheiten im Text)
Wärmeaustausch isoliertes Gefäß, ein Kalorimeter.
Auch bei guter Isolation hat das Kalorimeter (+ Ther- I0 und setzt (wie in 7 Abschn. 6.3.2 erläutert werden
mometer + Rührer) selbst eine bestimmte Wärme- wird) die elektrische Energie
kapazität CW, die bei der Rechnung berücksichtigt
W = U 0 ⋅ I 0 ⋅ ∆t
werden muss.
Es gibt dann zwei Messmethoden: in die Wärmemenge Q um. Diese heizt die Flüssigkeit
1) Man führt einer Flüssigkeit (Masse mFl) mittels entsprechend ihrer spezifischen Wärmekapazität cFl
eines Tauchsieders (elektrischen Widerstandes) eine bis zur Endtemperatur T1 auf:
bestimmte elektrische Energie zu wie in . Abb. 5.5
Q = mF1 ⋅ cF1 ⋅ (T1 − T0).
dargestellt.
Legt man für die Zeitspanne Δt eine elektrische Allerdings hat das Kalorimeter selbst (Gefäß + Ther-
Spannung U0 an den Tauchsieder, so fließt der Strom mometer + Heizwendel) auch eine gewisse Wärme-
kapazität CW, die bei genauer Rechnung berücksich-
tigt werden muss:
Q = (mF1 ⋅ cF1 + CW ) ⋅ (T1 − T0).
Im Rechenbeispiel 5.2 wird das am Beispiel des
Wassers durchgerechnet.
2) Ermittelung einer Mischtemperatur
Ist die spezifische Wärmekapazität des Wassers,
nämlich
c(H 2O) = 4,18J/(g ⋅ K),
bekannt, so können die Wärmekapazitäten anderer
. Abb. 5.4 Dewar-Gefäß (Thermosflasche), Substanzen nach folgendem Schema ausgemessen
doppelwandiges Gefäß mit guter Wärmeisolation. Der
werden: Man hängt zum Beispiel einen Kupferring
Zwischenraum zwischen den beiden Wänden ist evakuiert,
um Wärmeverluste durch Wärmeleitung zu reduzieren; die
(Masse mK) zunächst in siedendes Wasser (Tem-
Wände sind verspiegelt, um Wärmeverluste durch Strahlung peratur T3) und bringt ihn dann in kälteres Wasser
zu reduzieren. Dewar-Gefäße können „implodieren“ und in einem Kalorimeter; dessen Temperatur steigt
gehören deshalb in einen stabilen Behälter dadurch von T1 auf T2. Die dafür notwendige Wärme
154 Kapitel 5 · Wärmelehre
muss der Ring durch Abkühlung geliefert haben. Der Grundumsatz mit einer Geschwindigkeit von etwa
Kupferring liefert also die Wärmemenge: 1 K pro Stunde aufheizen. Viel schneller kann Fieber
aus rein wärmetechnischen Gründen nicht steigen.
QK = mK ⋅ cK ⋅ (T3 − T2).
Mensch und Tier beziehen die zum Leben not-
Wasser und Kalorimeter erhalten die Wärmemenge: wendige Energie aus der Nahrung, also aus kompli-
zierten organischen Molekülen. Diese bestehen aber
QW = (m (H 2O) ⋅ c(H 2O) + CW ) ⋅ (T2 − T1)
im Wesentlichen aus Atomen des Kohlenstoffs (C)
Wegen der Energieerhaltung (wenn das Kalorimeter und des Wasserstoffs (H). Letzten Endes werden sie
hinreichend gut isoliert) sind diese beiden Wärme- in Kohlendioxid (CO2) und in Wasser (H2O) über-
mengen gleich: geführt, d. h. mit Sauerstoff (O) aus der Atmung
5 QW = QK
oxydiert. Der Weg der chemischen Umsetzung ist
kompliziert und läuft in vielen Einzelschritten ab; zu
Das lässt sich dann nach der spezifischen Wärmeka- jedem gehört eine Energieumwandlung. Schließlich
pazität von Kupfer ck auflösen: und endlich wird aber immer thermische Energie
daraus, und zwar insgesamt genau so viel wie bei
(c(H 2O) ⋅ m(H 2O) + CW ) ⋅ (T2 − T1)
ck = . schlichter Verbrennung in einem Ofen; auf den Ener-
mk (T3 − T2)
giesatz ist Verlass. Deshalb kann man ganz unabhän-
Die Mischtemperatur T2 berechnet sich gemäß: gig von einem lebenden Organismus den Brennwert
von Nahrungsmitteln im Laboratorium messen, den
ck ⋅ mk ⋅ T3 + (c (H 2O) ⋅ m (H 2O) + CW ) ⋅ T1 Betrag der chemischen Energie also, die bei der Oxy-
T2 = .
ck ⋅ mk + c (H 2O) ⋅ m (H 2O) + CW dation z. B. eines Pfeffersteaks frei wird; Beispiele:
2300 kJ bei 100 g Schokolade, 188 kJ bei 100 g Bier.
Rechenbeispiel 5.3 gibt ein Beispiel zum Einsatz
dieser Formeln.
Im Zusammenhang mit Wärme und der in Rechenbeispiel 5.2: Nachgemessen
Lebensmitteln enthaltenen Energie taucht zuweilen Aufgabe: Wasser wird mit einem Tauchsieder
noch eine alte Energieeinheit auf, die an die spezifi- im Dewar-Gefäß aufgewärmt. Im Experiment
sche Wärme von Wasser angepasste Einheit Kalorie wurden die folgenden Werte ermittelt:
(cal), definiert zu: m=200 g, U0=10 Volt, I0=4,7 Ampere, Δt=50 s,
T1=18,3 °C, T2=21,1 °C. Kommt der Wert für die
1 cal = 4,1840 J.
Wärmekapazität des Wassers c(H2O) tatsächlich
Sie gehört nicht zu den SI-Einheiten und verschwin- wie oben angegeben heraus? Der Wasserwert
det deshalb allmählich von der Bildfläche. des Kalorimeters sei vernachlässigbar.
Leben braucht Energie; es setzt Energie um und Anmerkung: Ein Volt mal Ampere entspricht
das nicht nur, wenn man sich bewegt, also mecha- einem Watt.
nische Arbeit produziert. Auch im Schlaf hat der Lösung:
Mensch noch einen Grundumsatz von etwa 80 W, Q U ⋅ I ⋅ ∆t 47 W ⋅ 50s
c(H 2O) = = 0 0 =
also ungefähr 80W ⋅ 24 ⋅ 60 ⋅ 60 s=6, 91MJ pro Tag m ⋅ ∆T m (T2 − T1) 200 g ⋅ 2, 8 K
oder auch 1650 kcal/Tag. Er ist erforderlich, um = 4, 2
J
lebenswichtige Funktionen wie Atmung und Herz- g⋅K
schlag, aber auch die Körpertemperatur aufrechtzu-
erhalten. Der Mensch besitzt ferner eine Wärmeka-
pazität; da er im Wesentlichen aus Wasser besteht,
darf man bei 70 kg Körpermasse getrost schreiben: Rechenbeispiel 5.3: Kalorimeter
Aufgabe: Eine Probe mit einer Masse von mP =
C(Mensch) ~ 70 kcal/K ~ 0, 3 MJ/K.
46 g und einer Temperatur von TP = 100 °C
Das heißt nun wieder: Könnte man einen Men- wird in ein Kalorimeter, dass 200 g Wasser bei
schen völlig wärmeisolieren, so würde ihn sein
5.2 · Das ideale Gas.
155 5
3139 J
cP = = 0, 893 J/gK. 5.2 Das ideale Gas.
46g ⋅ 76, 4 K
N
so weit entfernt, dass diese anziehenden Kräfte ver- p = kB ⋅ ⋅ T.
V
nachlässigt werden können.
Bei einem idealen Gas wird außerdem noch Eine genauere Rechnung (siehe zum Beispiel:
angenommen, dass das Volumen der Pingpong- Gerthsen: Physik, Springer-Verlag) zeigt, dass die
Bälle viel kleiner ist als die Zwischenräume zwischen Proportionalitätskonstante gerade die Boltzmann-
ihnen. Auch das ist bei Gasen meistens erfüllt. Für Konstante kB ist.
dieses ideale Gas kann nun eine wichtige Zustands- Damit das so hinkommt, stand in der Definition
gleichung gefunden werden. Das geht so. der Temperatur in 7 Abschn. 5.1.2 der Faktor 3/2.
Verdoppelt man die Zahl N der Moleküle des Man schreibt die so gewonnene Gleichung übli-
Gases in einem Behälter mit Volumen V, verdoppelt cherweise etwas anderes hin. Für die Stoffmenge gibt
5 man also die Gasmenge im Behälter, so verdoppelt man die Zahl der Mole n an statt der Zahl der Teil-
sich auch die Häufigkeit, mit der die Moleküle an chen N. Das Volumen schreibt man auf die andere
die Wände des Behälters trommeln. Damit verdop- Seite. So erhalten wir:
pelt sich auch die mittlere Kraft auf die Wände, also
der Druck. Das gleiche passiert auch, wenn man das p ⋅V = kB ⋅ N A ⋅ n ⋅ T = R ⋅ n ⋅ T .
Volumen bei gleicher Molekülzahl halbiert, denn
dann haben die Moleküle kürzere Wege von Wand zu Boltzmann-Konstante mal Avogadro-Konstante
Wand. Der Druck p ist also proportional zur Anzahl- (Zahl der Teilchen in einem Mol) nennt man die uni-
dichte N/V der Moleküle im Gas: verselle Gaskonstant R:
N J
p~ . R = kB ⋅ N A = 8, 31
V mol ⋅ K
Verdoppelt man die mittlere Geschwindigkeit der
Moleküle im Gas, so passiert zweierlei. Zum einen Merke
stoßen die Moleküle doppelt so häufig mit den
Wänden, da sie doppelt so schnell durch den Behäl- Gasgesetz (Zustandsgleichung der idealen Gase)
ter sausen. Zum anderen werden die Stöße heftiger.
p ⋅ V = N ⋅ kB ⋅ T = n ⋅ R ⋅ T
Doppelter Impuls (das ist Masse mal Geschwin-
digkeit) bedeutet doppelte Kraft bei einem Stoß, so kB = Boltzmann-Konstante = 1,38·10–23 J K–1
lehrt uns das zweite Newton´sche Gesetz. Durch R = allgemeine Gaskonstante = 8,31 J mol–1 K–1
beide Effekte zusammen wird der Druck insgesamt
viermal so groß, er ist also proportional zur mittleren
Geschwindigkeit ins Quadrat:
Der Quotient V/n ist das Molvolumen Vn. Unter Nor-
p ~ v 2. malbedingungen, d. h. einem Druck p = 101,3 kPa
und der Temperatur T = 0 °C, beträgt das Molvolu-
Die mittlere Geschwindigkeit ins Quadrat ist aber men eines idealen Gases 22,4 l/mol, bei Zimmertem-
wiederum proportional zur mittleren kinetischen peratur etwa 24 l/mol.
Energie der Moleküle und damit proportional zur Hat man ein Gas nicht auf Normalbedingun-
absoluten Temperatur T des Gases: gen, so kann man mit dem Gasgesetz leicht auf diese
umrechnen, denn es verlangt bei einer abgeschlosse-
p ~T nen Gasmenge, dass p·V proportional zu T, dass also
p·V/T konstant sein muss. Daraus folgt zum Beispiel
Der Druck ist also einerseits proportional zur für die Umrechnung des Volumens in zwei Zustän-
Anzahldichte und andererseits proportional zur den 1 und 2:
Temperatur T. Das bedeutet, der Druck ist propor-
T2 p1
tional zum Produkt aus beidem: V2 = V
T1 p2 1
5.2 · Das ideale Gas.
157 5
Wichtig für alle Berechnungen mit der Zustandglei-
chung ist: in der Gleichung steht die absolute Tempe- wir zwei Dinge tun: die Temperaturen in
ratur in Kelvin. Ist die Temperatur zunächst in Grad absolute Temperaturen umrechnen (273 K
Celsius gegeben, so muss sie erst noch umgerechnet addieren) und zum Überdruck den Luftdruck
werden. (101 kPa) addieren, um auf den Gesamtdruck
Reales Gas: Nicht ganz so ideale Gase folgen der Zustands- zu kommen. Dann bekommen wir:
gleichung von van der Waals (Johannes Diderik van der 313 K
p2 = ⋅ 301 kPa = 333 kPa . Das entspricht
Waals, 1837–1923) 283 K
dann wieder einem Überdruck von 233 kPa.
( p + a/V 2) ⋅ (V − b) = n ⋅ R ⋅ T .
Das ist ein Anstieg um immerhin 15 %. Deshalb
Sie berücksichtigt mit der Materialkenngröße a die anzie- soll man Reifendrücke immer im kalten
henden Kräfte, die auch zwischen Gasmolekülen auftreten
Zustand messen.
und auf diese ähnlich wirken wie eine Erhöhung des äuße-
ren Druckes. Der Einfluss wächst, wenn die Moleküle dich-
ter zusammenrücken, wenn also das Molvolumen abnimmt.
Andererseits steht dieses Molvolumen der thermischen Bewe-
gung der Moleküle nicht voll zur Verfügung; sie sind ja keine
5.2.2 Partialdruck
ausdehnungslosen Punkte im Sinn der Mathematik, sondern
kleine Kügelchen mit einem Eigenvolumen. Mit der zweiten Dass sich Luft im Wesentlichen aus Stickstoff und
Materialkenngröße b wird es von V abgezogen. Mit sinken-
aus Sauerstoff zusammensetzt, dass diese Elemente
der Dichte der Gasteilchen verlieren beide Korrekturglieder
an Bedeutung: Das van-der-Waals-Gas nähert sein Verhalten
zweiatomige Moleküle bilden, die Atome der Edel-
immer mehr dem des idealen Gases an. gase aber für sich allein bleiben, kümmert das Gasge-
setz nicht: Ihm sind alle Moleküle gleich, und Atome
hält es auch für Moleküle. Ihm geht es nur um deren
Rechenbeispiel 5.6: Wie viele Moleküle in Anzahl N. Bei einem Gasgemisch aus n Kompo-
einem Atemzug? nenten darf man deren Molekülanzahlen N1 bis Nn
Aufgabe: Ungefähr wie viele Moleküle atmet darum einfach aufaddieren:
man bei einem 1 Liter – Atemzug ein? n
Lösung: Luft unter Normalbedingungen p ⋅V = (N1 + N 2 +…+ N n) ⋅ kBT = kBT ⋅ ∑ Ni
ist in guter Näherung ein ideales Gas. i=1
Das Molvolumen (6,02 ⋅ 1023 Moleküle) Auch das Produkt aus Druck p und Volumen V auf
ist also 22,4 l. Man atmet also etwa der linken Seite der Gleichung darf man den Kom-
11 ponenten zuordnen. Dies tut man vor allem für den
⋅ 6 ⋅1023 = 2, 7 ⋅1022 Moleküle ein.
22, 41 Druck:
n
( p1 + p2 +…+ pn) ⋅V = kBT ⋅ ∑ Ni
i=1
Rechenbeispiel 5.7: Reifendruck Jeder Molekülsorte steht das gesamte Volumen V zur
Aufgabe: Ein Reifen ist bei 10 °C auf einen Verfügung; also trägt jede Komponente mit dem Par-
Überdruck von 200 kPa aufgepumpt. tialdruck pi ihren Anteil zum Gesamtdruck p bei:
Nachdem das Auto 100 km gefahren ist, ist die n
Reifentemperatur auf 40 °C gestiegen. Welcher p = p1 + p2 +…+ pn = ∑ pi .
Überdruck herrscht nun im Reifen? i=1
Lösung: Das Volumen des Reifens bleibt in Definitionsgemäß stehen die Partialdrücke unter-
p p einander in den gleichen Verhältnissen wie die
etwa konstant. Wir haben also: 1 = 2 .
T1 T2 Molekülanzahlen:
Um diese Formel nutzen zu können, müssen
p1 : p2 : p3 = N1 : N 2 : N3.
158 Kapitel 5 · Wärmelehre
I Q = A ⋅ hcv ⋅∆T
absoluten Temperaturnullpunkt). Daher strahlt alles, die Wellenlänge 10 µm heraus. Das liegt im „fernen
was wärmer als 0 K ist, elektromagnetische Wellen, Infrarot“. Solches Licht kann man mit Wärmebildka-
also Licht im weitesten Sinne, ab. Und elektromagne- meras fotografieren (. Abb. 5.11). In normalen Digi-
tische Wellen transportieren Energie. Daher spricht talkameras sind auf einem etwa 5 × 4 mm großen Sili-
man von Wärmestrahlung. Unsere Augen sind auf ziumchip einige Millionen lichtempfindliche Dioden
das Sonnenlicht adaptiert, also auf die Strahlung eines (siehe auch 7 Abschn. 6.7.4) angeordnet. In Wärme-
5800 K heißen Gegenstandes. Die Wellenlänge dieses bildkameras (man spricht auch von Thermogra-
sichtbaren Sonnenlichtes liegt bei 0,5 µm. Genauer phie), die meist für Infrarotlicht mit Wellenlängen
ergibt sich eine Wellenlängenverteilung, ein Spekt- zwischen 8 µm und 13 µm empfindlich sind, geht es
rum, das die . Abb. 5.10 zeigt. Je niedriger die Tempe- viel komplizierter zu. Auf dem Silizium-Chip werden
5 ratur des Gegenstandes ist, umso größer sind die Wel- durch Ätztechnik etliche Quadratmikrometer große
lenlängen, mit denen er strahlt. Die . Abb. 5.10 zeigt, freistehende Brücken aus einem leitfähigen Material
dass eine 3000 K heißer Glühdrahtes in einer Glüh- gebaut, die von der Infrarotstrahlung erwärmt ihre
birne am stärksten um eine Wellenlänge von 1 µm Leitfähigkeit ändern (Mikrobolometer). Auf einem
strahl, also jenseits des sichtbaren roten Lichtes im Chip sind aber bestenfalls 100000 solcher Brücken,
sogenannten Infrarot. Daher ist die Glühbirne ein so die Auflösung einer Wärmebildkamera ist also viel
ineffizienter Spender sichtbaren Lichtes, kann aber schlechter. Durch Glas geht diese Infrarotstrah-
gut als Infrarotleuchte einen steifen Hals erwärmen. lung gar nicht hindurch, deshalb ist die Objektiv-
Es gibt einen sehr einfachen Zusammenhang zwi- linse aus dem Halbleiter Germanium gefertigt. Das
schen der Temperatur und der Wellenlänge, bei der alles macht Wärmebildkameras zehn- bis hundert-
ein Gegenstand am stärksten strahlt, das mal teurer als Kameras für sichtbares Licht. In der
Technik eingesetzt werden sie vor allem auf Baustel-
2898 µm ⋅ K
Wien − Verschiebungsgesetz λmax = . len zur Kontrolle der Wärmeisolation von Gebäuden
T
und in Fabriken zur Kontrolle elektrischer Strom-
Setzt man nun hier die Oberflächentemperatur kreise auf Überhitzung.
eines Menschen ein, also ca. 300 K, so kommt für Die . Abb. 5.11 zeigt ein Falschfarbenbild,
jedem Farbton ist eine Temperatur zugeordnet. Die
Kamera sieht eigentlich nur Helligkeitsstufen, die
von der Elektronik in Temperaturen umgerechnet
werden. Dahinter steckt das wichtigste Gesetz für die
/
. Abb. 5.11 Wärmebild des Autors. Die Brille ist relativ kalt,
die Infrarotstrahlung von den dahinter liegenden wärmeren
Augen dringt nicht durch das Glas. Der Mund ist auch relativ
. Abb. 5.10 Spektrum der Wärmestrahlung für drei kalt, weil ich gerade eingeatmet habe. Die Skala zeigt an,
verschiedene Temperaturen. Animation im Web welcher Grauton zu welcher Temperatur gehört
5.3 · Transportphänomene.
163 5
Wärmestrahlung, das Stefan-Boltzmann-Gesetz. Es
gibt an, welche Strahlungsleistung einen Gegenstand durch die Weiten des Weltalls schwebt. Das 15 °C
bei einer bestimmten Oberflächentemperatur insge- kalten Zimmer strahlt ja auch auf ihn zurück,
samt abstrahlt: und zwar mit: P = 1, 5 m 2 ⋅ σ ⋅ (288 K )4 = 585 W.
Nur die Differenz von 161 W lässt den
P = ε ⋅ A⋅ σ ⋅T 4
Menschen frieren. Diese Verlustleistung
Hier ist A die Oberfläche des Gegenstandes und σ eine entspricht recht genau den 149 W,
Naturkonstante, die Stefan-Boltzmann-Konstante: die durch Konvektion verloren gehen
(Rechenbeispiel 5.9)
σ = 5, 67 ⋅10−8W/m 2 ⋅ K 4.
Merke
Rechenbeispiel 5.10: Der Mensch friert
noch mehr
Diffusion: Transport von Molekülen durch
Aufgabe. Außer durch Konvektion verliert der
thermische Bewegung.
nackte Mensch Wärme auch durch Strahlung.
Wie viel?
Lösung: Die meisten Menschen sind zwar
Letztlich gibt es immer dann Diffusion, wenn ein
nicht schwarz, aber doch in guter Näherung
Konzentrationsgefälle vorliegt, Moleküle an einem
ein schwarzer Strahler. Die Stefan-Bolzmann-
Ort häufiger sind als am Nachbarort. Man beschreibt
Gleichung kann also direkt angewendet werden:
das wie bei einer Temperatur mit Konzentrations-
P = 1, 5 m 2 ⋅ σ ⋅ (306 K ) = 746 W . Diese
4
änderung pro Länge (einem Konzentrationsgra-
gewaltige Strahlungsleistung lässt den dienten) ∆c / ∆x . Und entsprechend wie bei der
Menschen aber nur erkalten, wenn er einsam Wärmeleitung ist der Teilchenstrom der Diffusion
proportional zu diesem Konzentrationsgradienten
164 Kapitel 5 · Wärmelehre
∆c
IT = D ⋅ A ⋅
∆x
Merke
Merke
Lösungsmittel können Fremdmoleküle beträcht-
lich dichter packen als Gase unter Normalbedin-
Osmotischer Druck: durch Osmose über einer gungen; osmotische Drücke sind entsprechend
selektiv-permeablen Membran mögliche hoch. Lebende Organismen müssen ihrer selek-
(potentielle) Druckdifferenz. tiv-permeablen Membranen wegen auf die Dichten
der osmotisch wirksamen Teilchen in ihren ver-
schiedenen Gefäßen achten und der Arzt zuwei-
len auch. Wollte man einem Unfallpatienten, weil
Es kann lange dauern, bis sich dieser Grenzwert posm gerade nichts Besseres zur Hand ist, seinen Blut-
wirklich einstellt; zudem platzt die Membran nicht verlust durch Leitungswasser ersetzen, so brächte
selten vorher. Insofern kann man posm als „poten- man ihn auf der Stelle um: Die roten Blutkörper-
tiellen“ Druck bezeichnen, der oft gar nicht erreicht chen sind die Zusammensetzung des Blutplasmas
wird. Trotzdem lohnt es sich, nach einer Formel zu gewohnt, ihr eigener Inhalt hat die entsprechende
suchen, die ihn auszurechnen erlaubt. Dabei zeigt Konzentration. Kommen sie in reines Wasser, so
sich überraschenderweise, dass es letztendlich nur dringt dies durch ihre Oberflächenmembran ein
auf die Stoffmengendichte (Molarität) n/V (oder die und bringt sie zum Platzen. Umgekehrt werden
Anzahldichte N/V) der gelösten Moleküle ankommt, sie von einer zu konzentrierten Lösung ausge-
nicht auf deren Natur und auf die der Moleküle des trocknet. Bei mikroskopisch kleinen Zellen geht
Lösungsmittels auch nicht (nur muss die Membran das schnell. Blutersatzmittel müssen deshalb iso-
beide Sorten voneinander unterscheiden können). tonisch zum Blut sein, d. h. die gleiche Stoffmen-
Aus quantitativer Rechnung, die hier nicht vor- gendichte osmotisch wirksamer Teilchen haben.
geführt werden soll, folgt als gute Näherung die Für den osmotischen Druck ist es allerdings gleich-
van´t-Hoff-Gleichung gültig, welche Moleküle ihn erzeugen, sofern sie
die Membran nur nicht durchdringen können. Die
n
posm = R ⋅T Haut der roten Blutkörperchen vermag z. B. die
V
Ionen des Kochsalzes von Wassermolekülen zu
Sie liefert den potentiellen osmotischen Druck einer unterscheiden. Deshalb kann die berühmte phy-
Lösung gegenüber reinem Lösungsmittel. Stehen sich siologische Kochsalzlösung im Notfall als Blut-
an der Membran zwei Lösungen gegenüber, so kann ersatz dienen
5.4 · Phasenumwandlungen.
167 5
Schnee kann schmelzen (Übergang von fest nach
Rechenbeispiel 5.12: Kochsalzlösung flüssig), Wasser zu Eis erstarren (Übergang von
Aufgabe: Wie groß ist der osmotische flüssig nach fest); Wasser kann verdampfen (Über-
Druck der physiologischen Kochsalzlösung gang von flüssig nach gasförmig) und Wasserdampf
(0,9 Gewichtsprozent NaCl) bei kann kondensieren (Übergang von gasförmig nach
Körpertemperatur? Holen Sie sich die flüssig). Wer gut beobachtet, sieht aber auch, dass
notwendigen Daten für die molare Masse von Schnee an sonnigen Wintertagen verschwindet, ohne
NaCl aus dem Anhang. zu schmelzen: Er sublimiert (Übergang von fest nach
Lösung: Wir wenden die van-t´Hofft-Gleichung gasförmig). Auch der Übergang in Gegenrichtung
n wird Sublimation genannt.
an: posm = ⋅ R ⋅ T .
V Die Alchimisten des Mittelalters waren bitter
R = 8, 31 J/(mol ⋅ K); T = 37°C = 310 K. enttäuscht, als sie bei dem Versuch, viele kleine Dia-
wir brauchen die molare Masse: manten zu einem großen zusammenzuschmelzen,
M(Na) = 23,0 g/mol; M(Cl) = 35,5 g/mol; also wertlose Krümel von Graphit erhielten. Kohlenstoff
M(NaCl) = 58,5 g/mol. kommt ja in diesen beiden Kristallisationsformen vor
Die physiologische Kochsalzlösung (s. 7 Abschn. 3.2.1) und kann grundsätzlich von der
enthält 0,9 Gewichtsprozent NaCl in einen in die andere übergehen (in die des Diamanten
H2O. Da ein Liter Wasser recht genau ein allerdings nur unter extrem hohem Druck). Analoges
Kilogramm Masse hat, bedeutet das 9 g/ gilt für viele andere Substanzen auch. Alle diese einer
Liter Kochsalz. Dann ist die Molarität: Substanz möglichen Erscheinungsformen bezeichnet
n(NaCl)
=
9 g/Liter
= 0,154 mol/Liter .
man in der Thermodynamik als Phasen. Zwischen
V M (NaCl) ihnen gibt es Phasenübergänge; die wichtigsten sind
Es sind aber beide Ionensorten osmotisch die Wechsel der Aggregatzustände.
wirksam, was den Wert für die Osmose Die anziehenden Kräfte zwischen den Molekülen
n(Ionen) reichen nicht weit. In Gasen spielen sie der großen
verdoppelt: = 0, 308 mol/Liter . Damit
V Molekülabstände wegen nur eine untergeordnete
folgt:
Rolle. Wenn sie als gar nicht vorhanden angesehen
posm = 793 J/Liter = 7, 9 ⋅105 J/m3 = 0, 79 MPa . werden dürfen, spricht man vom idealen Gas. Mole-
Das ist achtmal höher als der Luftdruck. küle einer Flüssigkeit spüren dagegen die Kräfte
Spült man sich die Nase mit Leitungswasser, der Kohäsion sehr deutlich und bilden ihretwegen
bekommt man diesen hohen Druck sehr Tropfen. In Festkörpern geben sie den Gitterbaustei-
unangenehm zu spüren. Man nimmt also besser nen sogar feste Plätze vor, um die sie nur ein wenig
eine Salzlösung. Im Körper kompensieren sich schwingen dürfen. Bei der Sublimation werden Mole-
die osmotischen Drücke weitgehend. küle gegen diese Kräfte voneinander getrennt. Das
kostet Energie; sie muss als Sublimationswärme von
außen zugeführt werden. Bei späterer Kondensation
5.4 Phasenumwandlungen. zu Wasser und anschließender Kristallisation zu Eis
wird sie in zwei Schritten wieder frei. Umwandlungs-
5.4.1 Umwandlungswärmen wärmen (auch latente Wärme genannt) treten bei
allen Phasenübergängen in der einen oder anderen
Richtung auf. . Abbildung 5.15 nennt ihre Namen.
H2O kommt in der Natur in allen drei Aggregat-
zuständen vor, als Eis oder Schnee, als Wasser und Merke
als Wasserdampf. Dies weiß jeder. Allenfalls muss
man erwähnen, dass Wasserdampf ein unsicht- Zu Phasenumwandlungen gehören
bares Gas ist. Wolken und Nebel enthalten bereits Umwandlungsenergien (. Abb. 5.15).
flüssiges Wasser, zu kleinen Tröpfchen kondensiert.
168 Kapitel 5 · Wärmelehre
. Abb. 5.16 Wärmepumpe. Ein Kühlmittel wird vom Kompressor (links) auf hohen Druck gebracht und gibt beim
Kondensieren Wärme ab (rechts). Es strömt dann durch ein feines Loch, verliert Druck und nimmt beim Verdampfen Wärme auf
(links). Links wird es kalt, rechts warm.
5.4 · Phasenumwandlungen.
169 5
Druck der Flüssigkeit dort wieder abgesenkt und der Je tiefer also die Temperatur, umso größer die Ent-
Stoff verdampft erneut. So wird ständig Wärme aus ropieänderung in der Umgebung durch die Zufuhr
dem Kühlschrank heraus gepumpt und innen kann der Umwandlungswärme. Bei einer ganz bestimmten
sich eine niedrige Temperatur halten. Temperatur, eben 0 °C, ist beim Erstarren die Entro-
pieerhöhung in der Umgebung gerade genauso groß
wie die Entropieabsenkung im Wasser. Unter 0 °C
5.4.2 Schmelzen oder Aufweichen? erstarrt Wasser, denn dann wird dadurch insgesamt
die Entropie erhöht. Über 0 °C bleibt Wasser flüssig,
Ein Glasbläser sitzt neben einem etwa 1100 °C heißen denn ein Erstarren würde die Entropie insgesamt
Ofen. In dem Ofen befindet sich ein Behälter mit absenken und das erlaubt die zweite Hauptsatz der
orange glühendem zähflüssigem Glas. Mit einem Thermodynamik nicht. Deswegen ist für Wasser 0 °C
Rohr-Ende nimmt der Glasbläser einen dicken eine ganz besondere Temperatur, bei der eine Pha-
Tropfen Glas und kann nun durch Blasen in das Rohr senumwandlung stattfindet.
zum Beispiel eine Flasche formen. Das geht, weil Na gut, und warum wird das Glas dann langsam
das Glas beim Kälterwerden langsam immer fester fest? Die Moleküle im Glas bleiben auch beim Erstar-
wird, bis es bei knapp 800 °C seine endgültige Form ren ungeordnet. Glas ist ein so genanntes amorphes
erreicht. Mit Wasser ginge das nicht. Wasser bleibt bis Material. Glas besteht im Wesentlichen aus Sili-
0 °C dünnflüssig und erstarrt dann schlagartig zu Eis. ziumoxid SO2. Diese Moleküle wollen eigentlich
Eigentlich leuchtet das Verhalten des Glases mehr auch einen Kristall bilden, einen Quarzkristall. Die
ein: mit sinkender Temperatur nimmt die thermi- Bildung eines Quarzkristalls ist aber ein sehr lang-
sche Bewegung kontinuierlich ab und die anziehen- samer Prozess. Das Abkühlen beim Glasbläser geht
den Kräfte zwischen den Molekülen können diese zu schnell. Deswegen bleiben dort die Siliziumoxid
immer fester aneinander binden. Warum erstarrt – Moleküle auch beim Erstarren in einem ungeord-
Wasser so plötzlich? neten Zustand. Im thermodynamischen Gleichge-
Das hat etwas mit der Entropie zu tun. Wie wir wicht wäre Siliziumoxid bei Zimmertemperatur
in 7 Abschn. 5.1.5 gelernt haben, ist die Entropie ein einen Kristall. Glas ist also nicht im thermodynami-
Maß für die Wahrscheinlichkeit des Zustandes eines schen Gleichgewicht sondern in eine