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Werkstoffe, Uhrenpriifungen und Priifgerate Schriftenreihe der Gesellschaft fiir ZeitmeSkunde und Uhrentechnik Achter Band Herausgegeben vom Vorsitzenden Fr. A. Kames, Berlin und Schriftfiihrer Prof. Dr.-Ing. H. Bock, Hamburg Berlin 1937 VERLAG DER DEUTSCHEN UHRMACHER-ZEITUNG Deutsche Verlagswerke Strauf, Vetter & Co Legierungen fiir Unruh und Spiralfeder — Invar, Elinvar, Nivarox Wir kommen nun zu einigen Teilen der Uhr, die be- sondere Anforderungen an die physikalischen Eigenschaften der verwendeten Legierungen stellen. Es sind dies die Unruh und die Unruhfeder, in der Uhrmacherei im all- gemeinen einfach ,Spiralfeder” genannt. Fir diese Teile ist bekanntlich vor allem eine méglichst weit- gehende Unempfindlichkeit gegen Tempe- ratureinfliisse anzustreben. Bei der Unruh selbst ist es bei Temperaturschwankungen in erster Linie die ther- mische Ausdehnung, die zu einer Anderung des Tragheits- momentes und damit zu Gangabweichungen fiihrt, bei der Spiralfeder auBerdem die Veranderung des Elastizitits- moduls mit der Temperatur. Die Veranderungen des Trag- heitsmomentes der Unruh hat man durch die verschiedensten Konstruktionen, bei denen insbesondere die Bimetall-Wirkung ausgenutzt wurde, auszugleichen versucht. Es eriibrigt sich, auf diese oft sehr sinnreichen Konstruktionen einzugehen. Von der stahltech- nischen Seite ergibt sich “eat die Méglichkeit, helfend einzugreifen durch die Verwendung von Legie- rungen, deren thermischer Ausdehnungskoeffizient im Bereich der Raum- temperatur unverdndert bleibt, d. h. die sich bei leichtem Erwarmen oder L Abkiithlen weder merk- 70 20 30% 30 B07 80 90 100 lich ausdehnen noch zu- % Nickel Me sammenziehen. Abb. 8 Abb. 8. iRuadebuen geoattaienion der Eisen- zeigt die Veranderung des thermischen Ausdehnungskoeffizienten mit steigendem Nickelgehalt. Bei 36% Nickel fallt der Ausdehnungs- koeffizient auf einen scharf ausgepragten Mindest- wert ab. Den Verlauf der Ausdehnung dieser mit ,In- dilatans” oder ,Invar” bezeichneten Legierungen zeigt die Abbildung 9. Die Ausdehnung ist in der Nahe der Raum- temperatur sehr gering; erst bei hdheren Temperaturen, die fiir Uhren nicht in Frage kommen, wird sie starker. we mS SRADTSRIEN 141 Eine weitere Verbesserung des Ausdehnungs- koeffizienten erhalten diese Legierungen durch ein Abschrecken von 800 bis 1000°. Durch eine Kaltverformung wird der Ausdehnungskoeffizient noch weiter herabgesetzt und kann sogar negativ werden. Der behandelte Werkstoff besitzt bei Raumtemperatur keinen vollstandig stabilen Gefiigeaufbau. Insbesondere bei héherem Kohlenstoff-Gehalt zeigen sich nach den Unter- suchungen von Guillaume‘) im Laufe der Zeit blei- bende Langeninderungen, die als Alterung bezeichnet werden. Diese bleibenden Langenanderungen sind unan- genehmer als eine geringe thermische Ausdehnung, da sie nicht durch Kompensation aufgehoben werden kénnen. Fiir die Herstellung von Prazisionsuhren wird daher der Werk- stoff einem mehr oder weniger verwickelten kiinstlichen Alterungsverfahren unterworfen, das in langdauernden Er- warmungen auf etwa 100° mit verzégerter Abkiihlung, Wechsel-Erwarmungen, Erschiitterungen usw. besteht und das das Ziel verfolgt, die unter Normalbedingungen in langen Zeiten eintretenden Anderungen vorwegzunehmen. Nach Guillaume’) sind diese Alterungserscheinungen auf die Ausscheidung von Karbiden zuriickzufiihren. Sie kénnen verringert werden, wenn man den Kohlenstoffgehalt so gering wie méglich halt, oder auch dadurch, dab ”7gewy infin man. den Kohlenstoff “20 1 1 7 durch Zusatz karbid- | | /Fiaheisen yegliit bildender Elemente, #@|—} 4+ — z. B. Titan, von | | vornherein in Form A — von stabilen Karbiden Al | abbindet, die sich | 7 |_| in der metallischen | _/ Grundmasse nicht auf- 7 Ieee fey ore Die Spiralfe- Qo 50 10 150 200 250 30 350° Temperatur der wird bel dem de sap. 4, “aisdehanngslineve voit tub tit brauchlichen Uhren 36% Ni (Invar) aus gehartetem und angelassenem Kohlenstofistahl, bei billigeren Werken wohl auch aus kaltgewalztem Stahl, der lediglich blau angelassen Ch. Ed. Guillaume, Rev. Mét. 25 (1928) S. 35. 142 wird, hergestellt. Fiir ihre Verarbeitung gilt das schon fiir die Zugfeder Gesagte. Ein erheblicher Nachteil des Kohlenstoffstahls liegt zu- nichst in seiner Magnetisierbarkeit; kommt eine derartige Feder in ein starkes magnetisches Feld, so kann es vorkommen, daB die einzelnen Lagen einander anziehen und unter Umstinden sogar aneinanderkleben. Dies fiihrt selbst- verstindlich zu schweren Gangstérungen und zum Stehen- bleiben der Uhr. Da der Federstahl im geharteten Zustand auBerdem seinen Magnetismus nicht leicht verliert, bleibt dieser Zustand auch erhalten, wenn das 4uBere magnetische Kraftfeld zu wirken aufgehért hat. Ein weiterer Nachteil des gewéhnlichen Federstahls ist die bereits erwihnte Temperaturabhangigkeit der elastischen Eigenschaften. Bei einer Unruh aus Messing mit einer Stahl-Spiralfeder bedingt eine Temperaturzunahme um 1°C bereits eine Verzégerung um etwa 11 Sekunden in 24 Stunden. Von dieser Verzégerung gehen nur etwa 1,5 Sekunden zu Lasten der VergréBe- rung des Tragheitsmomentes der Unruh. Die restlichen 9,5 Sekunden = 86,5 % sind durch die Verdnderung der Federkonstante”, d. h. auf die Anderung der Lange und des Querschnittes der Unruhfeder und die Veranderung ihres Elastizitatsmoduls zuriickzufiihren. Man hat sich daher bemiiht, einen Federwerkstoff zu finden, dessen Elastizi- titsmodul bei Tempe- raturveranderung gleich bleibt. — Man fand die Lésung wieder auf dem Gebiete der Eisen- Nickel - Legierungen. Eine Legierung mit 36% Nickel und einem Zu- satz von 12% Chrom, die ebenfalls von Guillaume’) entwickelt wurde und in der Uhren- technik allgemein als gy, 9) xnderung des lestizithtsmodule mit uElinvar” bekannt ist, der Temperater Zunahme aes Elastizitatsmoduls in % Abnahme 2 4) Ch. Ed. Guillaume, Recherches Métrologiques sur les Aciers en Nickel, Paris 1927. 143 zeichnet sich dadurch aus, da in dem in Betracht kom- menden Temperaturgebiet die Anderung des Elastizitats- ma8es praktisch gleich Null ist {vgl. Abb. 10). Auch in diesem Falle erstreckt sich das anormale Ver- halten des Werkstoffes nur auf die niedrigeren Temperaturen, die hier allerdings allein in Betracht kommen, Die Elinvar- Legierungen erhalten noch Zusdétze von Mangan und Wolfram zur Erhdhung der Streckgrenze. Da diese Legie- rungen nicht durch Abschrecken gehartet werden kénnen, erfolgt die Hartung durch Kaltwalzen. Eine eindeutige Erklarung des bevorzugten Verhaltens der Legierungen mit etwa 30 bis 40% Nickel ist noch nicht ge- funden worden, Vielleicht ist sie in der Art der Bindung der Nickel- und Eisenatome zu suchen, die so beschaflen ist, daB die kinetische Bewegungsenergie der kleinsten Teilchen durch geringe Erwairmung und Abkiihlung wenig verandert wird. Einen weiteren Schritt in der Entwicklung des Materials fiir Unruhfedern bedeutet ein Elinvar-Material, dessen Harte durch Ausscheidungshartung noch erhéht werden kann, Das ist das von der Firma Heraeus entwickelte wNivarox"), das etwa folgende Zusammensetzung besitzt: Nickel 30 %, Beryllium 1,0 %, Wolfram oder Molybdan 6 bis 8%, Rest Eisen. Diese Legierung ist ziemlich unmagnetisch und kann infolge ihres Beryllium-Gehaltes durch Ausschei- dungshartung gehartet werden’). Auf diesem Wege kénnen im iibrigen auch Invar-Legierungen ausschei- dungshartend gemacht werden. Stahl fiir Achsen, Triebe, Zapfen Die sonst in Uhren vorhandenen Stahlteile wie Achsen, Zapfen, Triebe und dgl. werden aus blankgezogenen Drahten oder Stangen herausgearbeitet, die entweder aus hartbarem Kohlenstoffstahl mit Kohlenstoffgehalten zwischen 0,4 und 1%, gegebenenfalls mit geringen Zusitzen von Mangan, be- stehen und unmittelbar gehartet werden kénnen, oder aus weichem FluBeisen, das durch Erhitzen in Kohlenstoff abgebenden Mitteln, neuerdings vorwiegend in Cyanid- Hartebadern, oberflachlich aufgekohlt und dann gehartet wird. 5) R. Straumann, Festschrift der Heraeus-Vacuumschmelze (Hanaw 1933), S. 408. °) Siche hierzu: Vortrag von W. Rohn auf der gleichen Tagung, veréffentlicht in dem vorliegenden Bd. VIII S. 176ff. 144 Zur Erleichterung der Bearbeitung finden vielfach A ut o- matenstahle Verwendung, die einen erhdhten Schwefel- und Phosphorgehalt besitzen, Das Ge- fiige eines solchen z 27 Stahles zeigt Abb. 11. ce os — Die zeilenférmig - : eingelagerten Sullid- le | einschliisse bewirken, [oe a daB bei der Be- , : / arbeitung der Span | - 17) kurz wegbricht, und | _ daB die bearbeiteten Le | __ = | Teile eine saubere F egy glatte Oberflache be- 2 : kommen. coe ee Dem — Schwefel- re i gehalt des Auto- . matenstahls ist in einer Arbeit von 7 ““ H Stamm _ iiber die ,,Haltbarkeit der Gle fiir Uhren und Feingerat‘?) ein wesentlicher EinfluB auf die Haltbarkeit des Uhrenéles zu- geschrieben worden. Es wurde uns vor einigen Wochen die Bitte iibermittelt, im Rahmen dieses Vor- trages auch auf diese Frage —_ einzugehen. Da Unterlagen hier- iiber bei uns nicht vorlagen, sind einige Abb. 11. Einschliisse im Automatencisen (oben) vergleichende Ver im Vergleich zum Schliffbild yon Weicheisen suche mit normalem FluBeisen und ver- ") H, Stamm, Schriftenreihe der Gesellschaft fiir ZeitmeB- kunde und Uhrentechnik, Bd. 5 (1933), S. 4 bis 37. v0 145 schiedenen Automatenstahlen beziiglich ihres Einflusses auf die Haltbarkeit der Ole durchgefithrt worden. Es wurde. dazu insbesondere das von H. Stamm’) entwickelte K urz- prifverfahren verwendet. Die fiir die Schmierung der Uhrenlager verwendeten Ole sollen von den Schmierstellen nicht abwandern und eine. méglichst hohe Alterungsbestandigkeit besitzen. Mineraléle wandern stark ab, tierische Ole werden in ihrer an sich ge- ringen Alterungsbestandigkeit durch Metallstaub, Verunreini- gungen, Warme, Licht und andere Einfliisse noch weiter un- giinstig beeinfluBt. Die bisher iiblichen Uhrendle, die Ver- schnitte der beiden Olsorten darstellen, geben daher ganz allgemein noch keine befriedigende Lésung des Schmier- problems. Es scheint jedoch, soweit Laboratoriums-Priifmethoden,, insbesondere auch die von H. Stamm’) angefiihrte Schnell- methode, eine Bewertung erlauben, da durch die Verwen- dung des neuen synthetischen Gles, das die Firma Cuypers & Stalling unter der Bezeichnung ,,Type 1929" her- ausgebracht hat, beachtenswerte Fortschritte auf diesem Ge- biete erzielt wurden. Dieses 6l zeigte bei unseren Versuchen bei Verwendung von Kérner-Lagerschrauben aus normalem wie auch aus Automatenstahl gleich gute Eigenschaften ich der Haftfestigkeit und Alterungsbestandigkeit. Ein ungiinstiger Einflu8 des Gefiigeaufbaues von Automatenstahl auf dieses Schmiermittel konnte jedenfalls nicht ermittelt werden. Die wenigen Versuche, die in der kurzen zur Ver- fiigung stehenden Zeit durchgefiihrt werden konnten, lassen ein abschlieBendes Urteil tiber diese Frage noch nicht zu. Wenn sich ein schddlicher Einflu8 des Schwefels im Auto- matenstahl tatsdchlich herausstellen sollte, blicbe von der Werkstoffseite her zu versuchen, ob sich nicht Automaten- stahle, die nicht auf der Basis von Schwefel, sondern an- deren Zusatzen wie z. B. Selen aufgebaut sind, in dieser Beziehung giinstiger verhalten. Untersuchung iiber Stahl fiir Gongstaibe Der Werkstoff der Stahlstabe fiir Gongschlagwerke ist vor einiger Zeit Gegenstand eingehender Untersuchung im Kaiser-Wilhelm-Institut fiir Eisenforschung gewesen'). Die 8) A. Pomp und B. Zapp, Mitt. K. W. Inst. Eisenforsch. 15 (1933), S. 21/35. 146 fiir diese Gongs ver- wendeten Stahlstabe 77 werden aus blank- , poliertem, gezogenem & %| Stahldraht hergestellt, ‘8 der aus unlegiertem §& 2 Kohlenstofistahl mit § etwa 1% Kohlenstoff S46 besteht. § Die Untersuchung von Staben, die trotz gleicher Zusammen- setzung und Festigkeit oO 0 60 80 ta ted ry Anlakdouer in min und gleicher Form und Ei h Abb, 12, BinfluB dos Anlassens auf die Klang- inspannung sehr ver- dauer von Gongstaben (nach A. Pom p und schiedene Klangfarben B. Zapp) und Klangdauer auf- wiesen, ergab einen recht bemerkenswerten Einflu8B des Gefiiges und des inneren Spannungs- zustandes, Beziiglich der Gefiigeausbildung erwies sich ein méglichst feines Gefiige, insbesondere eine feine und ‘gleichmaBige Verteilung der Karbide, als giinstig fiir die Klangeigenschaften. Die fiir die Klangwirkung wichtige Klangdauer 1a8t sich, wie Abb. 12 zeigt, durch Anlassen der kaltgezogenen Stabe sehr betrachtlich steigern, W&hrend ein nicht angelassener Stab nur einen kurz abklingenden dumpfen Ton ergibt, nimmt mit steigender AnlaBtemperatur und -zeit die Klangdauer dadurch zu, daB die im Werkstoff vom Ziehvorgang her ver- bliebenen inneren Spannungen durch das Anlassen ausgelést und gemildert werden. Erst wenn die AnlaBtemperatur zu einer Erweichung des Werkstoffes fiihrt, d. h. oberhalb 400° AnlaBtemperatur, tritt bei langerem Anlassen wieder eine Verschlechterung ein. Die giinstigste Art der Behandlung liegt in Ubereinstimmung mit der praktischen Erfahrung be i 300 bis 350° AnlaBtemperatur. Das Ergebnis der umfangreichen Untersuchungen, auf die hier im einzelnen nicht eingegangen werden kann, zeigt, wie durch planmaBige Untersuchungen fiir einen bestimmten Verwendungszweck das Beste aus einem gegebenen Werkstoff herausgeholt werden kann. * 10° 147

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