Sie sind auf Seite 1von 14

www.ssoar.

info

Regionalität als Rationalität: die argumentative


Konstruktion von Regionen
Felgenhauer, Tilo

Veröffentlichungsversion / Published Version


Zeitschriftenartikel / journal article

Empfohlene Zitierung / Suggested Citation:


Felgenhauer, T. (2015). Regionalität als Rationalität: die argumentative Konstruktion von Regionen. Europa Regional,
21.2013(1-2), 47-59. http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-429469

Nutzungsbedingungen: Terms of use:


Dieser Text wird unter einer Deposit-Lizenz (Keine This document is made available under Deposit Licence (No
Weiterverbreitung - keine Bearbeitung) zur Verfügung gestellt. Redistribution - no modifications). We grant a non-exclusive, non-
Gewährt wird ein nicht exklusives, nicht übertragbares, transferable, individual and limited right to using this document.
persönliches und beschränktes Recht auf Nutzung dieses This document is solely intended for your personal, non-
Dokuments. Dieses Dokument ist ausschließlich für commercial use. All of the copies of this documents must retain
den persönlichen, nicht-kommerziellen Gebrauch bestimmt. all copyright information and other information regarding legal
Auf sämtlichen Kopien dieses Dokuments müssen alle protection. You are not allowed to alter this document in any
Urheberrechtshinweise und sonstigen Hinweise auf gesetzlichen way, to copy it for public or commercial purposes, to exhibit the
Schutz beibehalten werden. Sie dürfen dieses Dokument document in public, to perform, distribute or otherwise use the
nicht in irgendeiner Weise abändern, noch dürfen Sie document in public.
dieses Dokument für öffentliche oder kommerzielle Zwecke By using this particular document, you accept the above-stated
vervielfältigen, öffentlich ausstellen, aufführen, vertreiben oder conditions of use.
anderweitig nutzen.
Mit der Verwendung dieses Dokuments erkennen Sie die
Nutzungsbedingungen an.
Tilo Felgenhauer: Regionalität als Rationalität. Die argumentative Konstruktion von Regionen

Regionalität als Rationalität.


Die argumentative Konstruktion von Regionen
Tilo Felgenhauer

Zusammenfassung Abstract
Aktuelle Ansätze der Sozial- und Kulturgeographie erforschen Regionality as rationality. The argumentative con-
Räume, Orte und Regionen als Produkte alltäglicher Praxis. struction of regions.
Vom vermeintlich festen Boden oder physisch-materiellem Current approaches in social and cultural geography research
Rahmen sozialer Phänomene wandelt sich „der Raum“ selbst spaces, places and regions as products of day-to-day practice.
zum Ergebnis sozialer Bedeutungsbelegungen und Konstrukti- From the supposedly solid ground or physical/material context
onsleistungen. Im Sinne des „linguistic turn“ in den Sozial- und of social phenomena, “space” itself is transformed into the
Geisteswissenschaften bilden Sprache, Kommunikation und result of social construction. In the sense of the “linguistic turn”
Interaktion dabei wesentliche Produktionsinstanzen. in the social sciences and humanities, language, communica-
Auf diese ontologische Neuausrichtung mit einer pauschalen tion and interaction are essential instances of the production of
Relativierung und Erkenntnisskepsis hinsichtlich der Wirklich- space and place.
keit räumlicher Phänomene zu antworten, greift zu kurz. Answering this new ontological orientation with relativism
Aktuelle Ansätze der Kultur- und Sozialgeographie haben es and epistemological scepticism towards the reality of spatial
sich deshalb zur Aufgabe gemacht, Möglichkeiten zu erkunden, phenomena would be inadequate. Current approaches of
wie die alltägliche Konstruktion der räumlichen Wirklichkeit cultural and social geography have therefore made it their task
methodisch rekonstruiert werden kann (z.B. in Form von to explore possibilities how the day-to-day construction of
Diskurs, Narration, Argumentation). spatial reality can be reconstructed methodically (e.g. in the
Das Argumentieren als alltägliche Praxis, das „Geben und form of discourse, narration and argumentation).
Verlangen von Gründen“ (Brandom), eröffnet hier einen Argumentation as a day-to-day practice, the “giving and
besonderen analytischen Zugang, da im Zuge des Argumentie- asking for reasons” (Brandom), opens up a particular analyti-
rens und Begründens neben dem offensichtlichen Aussagenin- cal approach, since in the process of argumentation and
halt auch die Geltungsbedingungen und die Konsequenzen von justification not only the apparent content of the statements is
Aussagen ausgedrückt und verhandelt werden. In Zeugnissen expressed and negotiated, but also their conditions for validity
bzw. Auszügen der Alltagssprache (z.B. Interviewtranskripte, and their consequences.
Dokumente, Medieninhalte) zeigen sich Belege für sowohl In extracts from day-to-day language (e.g. interview tran-
problematische als auch unhinterfragte, für strittige und scripts, documents, and the media) there are examples of
unstrittige Annahmen über die Gestalt und Beschaffenheit problematic and unquestioned, both disputable and indisputa-
räumlicher Einheiten wie Orte, Regionen oder Territorien. Der ble assumptions about the shape and nature of spatial units
Beitrag möchte zeigen, wie in Argumenten zumeist implizite, such as places, regions or territories. It emerges that in argu-
raumkonstituierende Logiken als Schlussregeln des Argumen- ments there are generally implicit space-constituting logical
tierens fungieren. Der soziale Austausch von Argumenten stellt rules which function as rules of inference in argumentation.
somit eine wichtige Praxis der Reproduktion von raumbezoge- The social exchange of arguments therefore represents an
nem Wissen dar. important practice of the reproduction of space-related
knowledge.
Argumentationsanalyse, Sozialgeographie, Regionalisierung, regiona-
le Identität Argumentation analysis, social geography, regionalisation, regional
identity

47
Europa Regional 21, 2013 (2015) 1-2

Einleitung Besonders deutlich wird die Verknüpfung oberflächlich verhandelten Problemlagen


Region und regionale Identität bilden ak- von Region, gedacht als nahräumliche Be- um Raum, Region und Identität hinaus
tuell nicht mehr nur Kernthemen der hu- ziehung und Vernetzung, mit einem Ver- methodisch vordringen zu den tiefer lie-
mangeographischen Forschung. Sie sind ständnis von Region als Wert im Bereich genden alltagsweltlichen Grundannah-
in alltäglichen, politischen, ökonomi- des moralischen Konsums, welcher häu- men über die Existenz und Beschaffen-
schen, sogar moralischen Diskursen und fig als regionaler Konsum (s. u.a. Schmid heit des vermeintlichen Objektes Region,
Praxiskontexten angekommen. Dabei ist u. Gäbler 2012) ausbuchstabiert wird. des Wertes regionaler Identität?
regionale Identität nicht nur ein Phäno- Nähe und Transparenz von Produktion, Im Folgenden wird – im Anschluss an
men unserer Zeit, eine Mode, ein Merk- Vertrieb und Konsumtion begründen in eine knappe Darstellung des Forschungs-
mal oder eine Tatsache, sondern wird zu- der Vorstellung der Akteure Solidaritäts- standes zum Thema – ein ausgewählter
nehmend als eigenständiger Wert ange- verhältnisse, begünstigen ökologische sprachanalytischer Zugang zu den Prak-
sehen. Dies ist für den kritischen Kaufentscheidungen und stehen außer- tiken des „Region-Machens“ vorgestellt.
Sozialgeographen bemerkenswert. dem für einen Konsum von Regionalität Es wird dabei der Fokus auf den Aus-
Die Region bildet aus Sicht der Akteu- als spezifische (Produkt-)Qualität. tausch von Argumenten in der politi-
re die zentrale Ebene, auf der etwa poli- Diese wenigen Beispiele verdeutlichen schen, ökonomischen und medialen Pra-
tisch-administrative Entscheidungen und bereits die Perspektive einer konstrukti- xis gelegt, um das Wissen der Akteure
Strategien verhandelt werden. Sie bildet vistischen Sozialgeographie auf Region über die Region und über regionale Iden-
das Gegenmittel gegen „Bürgerferne“, und Regionalität. Der Begriff der „alltäg- tität analytisch zu „extrahieren“. Dabei
welche typischerweise mit dem Toponym lichen Regionalisierung“ (Werlen 1997b; wird deutlich, dass Region, Nähe und
„Brüssel“ oder „Berlin“ adressiert wird, 1999) betont das Gemachte der Region – Identität mehr bedeuten als das, was in
weil sich umgekehrt „Bürgernähe“ nicht natürliche Grenzen, sondern sozia- scheinbar nüchternen Argumenten, etwa
scheinbar ganz selbstverständlich aus le, kulturelle, politische und ökonomische für und gegen eine Gemeindegebietsre-
räumlicher Nähe ergibt. „Vor Ort sein“, Praktiken bringen die Region und regio- form, oder in der Debatte um eine zu
mit den Leuten reden, gemeint ist von nale Identitäten hervor (s. stellv. Paasi schützende Kulturlandschaft, vorgetra-
Angesicht zu Angesicht, bildet eine 2003). Gerade die zahlreichen Konzepte gen wird. Denn stets wird im Argumen-
Grundvoraussetzung für politischen Er- regionalen Marketings zeigen die Abhän- tieren grundlegendes raumbezogenes
folg. Es meint aber neben dieser eher gigkeit der Region von individueller und Weltwissen reproduziert: Die Region
praktischen Ansprechbarkeit, der Mög- institutioneller Initiative, von der koope- wird als Unterscheidungsmittel herange-
lichkeit zur einfachen Kontaktaufnahme rativen Entwicklung von Perspektiven zogen (hier/dort, innen/außen, wir/sie),
und damit zum basisdemokratischen und von der formellen und informellen ihr wird eine Essenz zugeschrieben (We-
Austausch, bereits auch eine eigenstän- Abstimmung zwischen den Akteuren. sen und Eigencharakter der Region) und/
dige Grundqualität der regionalen Ver- Die (kritische) Beobachtung der Prak- oder sie wird als historisches Kontinuum
bundenheit, ein Bewusstsein. tiken, welche die Region alltäglich her- konstruiert (auf ihrem Weg vom histori-
Im ökonomischen Feld zeigt sich eine stellen, zeigt schnell, dass „Region“ nicht schen Ursprung zum Telos in der Zu-
ähnliche Logik, die auch durch die jünge- einfach einen unmittelbar zugänglichen kunft).
ren Ansätze der Wirtschaftsgeographie Nahraum oder ein materielles Setting Die folgenden Ausführungen handeln
reflektiert wird. Informelle Kontakte un- meinen kann – die Region ist nicht per se von einer Methode, die gleichzeitig eine
ter den Akteuren regionaler Cluster-Öko- „echter“ und „näher“ als etwa die Nation. Perspektive ist. Das Ziel des Beitrags be-
nomien, der so genannte „Buzz“ (Stor- Diese Bedeutung von etwas „Nahem“, steht darin, die raumbezogenen Gehalte
per u. Venables 2004), bleiben an mög- „Echtem“, „Vertrautem“ und „Durchschau- des Argumentierens in schematisieren-
lichst vielfältige Face-to-Face-Situationen barem“ erlangt das Regionale vor allem der und interpretierender Form zu er-
rückgebunden. So erweist sich das Regi- durch Praktiken des Sprechens und Sym- schließen. Die Suche nach Region und re-
onale gerade im Kontext der Globalisie- bolisierens. „Region“ ist weder selbster- gionaler Identität findet hierbei nicht jen-
rung als Motor und Triebfeder von Inno- klärend noch kann sie mit den Sinnen als seits des Sprachlichen „im Raum“ statt,
vation – einerseits durch die unkompli- Objekt wahrgenommen werden. Sie ist sondern es wird ein Zwischenraum be-
zierte „realräumliche“, alltagspraktische immer auf eine kommunikative Abstrak- leuchtet, und zwar der Raum „zwischen
Vernetzung von Akteuren und die lokale tionsleistung angewiesen, auf eine Idee, den Zeilen“ raumbezogener, raumthema-
Verbreitung von Wissen. Andererseits auf eine Vorstellung, die der gemein- tisierender Argumentationen. Damit soll
aber auch hier auf der Ebene einer abs- schaftlichen Konstruktion und individu- verdeutlicht werden, welche Möglichkei-
trakteren regionalen Identität, welche ellen Aneignung bedarf. ten der argumentative Austausch den Ak-
sich zunehmend als unabhängiger Mar- Wie aber kann man ausgehend von der teuren über das bloße Benennen und
keting-Gegenstand und als Wettbewerbs- Annahme der Konstruiertheit von Re- Festlegen räumlicher Wirklichkeiten hi-
faktor erweist. gion und regionaler Identität über die naus eröffnet und welchen Grenzen und

48
Tilo Felgenhauer: Regionalität als Rationalität. Die argumentative Konstruktion von Regionen

praktischen Regulierungen diese Praxis gen die wissenschaftliche Rationalität. „Macht“ als Erklärung jedenfalls nicht aus
gleichzeitig unterliegt. Darin zeigt sich Die Konstruktion von Raum ist zwar In- – mit Macht allein wären allenfalls politi-
auch, dass nicht nur materielle Settings, terpretations-, aber damit noch nicht Pri- sche Festlegungen und deren ausdrück-
bestehende Machtkonstellationen und vatsache. Sie ist jenseits subjektiver In- liche Deklarationen („Dies ist Territorium
fest gefügte diskursive Präskriptionen für tention stets an soziale Übereinkunft ge- A. Dort verlaufen seine Grenzen.“) be-
die alltägliche Erzeugung des Regionalen bunden. Ein Konstruktivismus, der diese schreibbar. Und selbst wenn man die Prä-
von Bedeutung sind, sondern dass es Prämisse setzt, ist kein pauschaler Rela- misse einer „Allmacht der Macht“ akzep-
ebenso wichtige Fähigkeiten und Prakti- tivismus, sondern eine Theorie der hand- tiert, bleibt die Frage bestehen, wie sich
ken des Begründens sind, die eine be- lungs- und bedeutungsbezogenen Relati- alltäglich Räumlichkeiten en detail repro-
stimmte unter vielen möglichen Weisen vierung. duzieren und aus welchen Elementen sol-
der Regionskonstruktion soziale Wirk- Entgegen dem Missverständnis einer cherlei Raumkonstruktionen bestehen.
lichkeit werden lassen. scheinbar universalen Kontingenz Konkrete, sozialisierte und internalisier-
sprachlicher Raumkonstruktionen gilt es te linguistische Fähigkeiten sind hier zu
Sprache, Konstruktivismus und anzuerkennen, dass Sprache und deren untersuchen. Wir lernen z.B. im Laufe un-
Raum: (k)ein ‚fester Boden‘? strukturierter und strukturierender Cha- serer Sozialisation ganz selbstverständ-
Raum und Räumlichkeit werden in der rakter einen verpflichtenden und binden- lich zu verstehen, woraus eine Aussage
handlungszentrierten Sozialgeographie den Charakter für die Sprecher und Hö- folgt und was aus ihr wiederum folgt. Wir
und in der neuen Kulturgeographie als rer haben. Dies gilt zum Einen für die ex- lernen, was implizit mit ausgedrückt ist
soziale Konstruktion betrachtet (s. stellv. ternen, machtgeladenen Zwänge und und welche unausgesprochenen Konse-
Werlen 1997a; 1997b; 1999; Gregory „Sagbarkeiten“, die durch vermeintlich quenzen es hat, eine Aussage zu formu-
1995; Zierhofer 2002). Dies bedeutet fest gefügte Diskursverhältnisse (vgl. Wo- lieren oder zu akzeptieren. Das Komple-
eine ontologische Neubestimmung. Raum dak et al. 1998; Richner 2007; Mattis- xe der Sprache besteht also nicht so sehr
ist nicht mehr Substanz und Objekt, ist sek 2008; Mattissek u. Glasze 2009; in ihrer Bezeichnungsfunktion für außer-
nicht mehr ein Oberbegriff für die gegen- Marxhausen 2010; mit Bezug auf regio- sprachliche Gegenstände, sondern in der
ständliche Welt. Raum bildet nicht mehr nale Identität: Paasi 2013) bzw. Rahmun- Möglichkeit qua Sprache komplexe Be-
die gedachte materielle, äußere Hülle des gen (zu „framing“ s. z.B. Porter u. Hulme deutungsgeflechte nicht nur zu erschaf-
Sozialen. Stattdessen verlagert sich die 2013) erzeugt werden. Hegemoniale fen, sondern sozial zu stabilisieren. Um
Perspektive hin zu einem kontingenten, Deutungen des Räumlichen – z.B. territo- das zu beschreiben und zu erklären, muss
gemachten Raum, der erst durch soziale riale Grenzverläufe, Bedeutungszuwei- zum Machtbegriff der von der poststruk-
Praktiken geschaffen wird. Insbesondere sungen an bestimmte Orte, die Raumbin- turalistischen Theorie kritisierte Begriff
symbolisierende Praktiken der Konstruk- dung von Normen – sind Ausdruck der der Rationalität hinzutreten. Wie gezeigt
tion des Räumlichen sind in den letzten Macht konkreter Akteure. Aus dis- werden soll, ist die Idee einer sprachli-
Jahren in den Fokus der Sozialgeographie kurstheoretischer Sicht sind sie aber chen Rationalität ein viel versprechender
gerückt. Die Sprache (vgl. Schlottmann auch als (post-)strukturelle Formen zu Ausgangspunkt für die Untersuchung des
2005; Micheel u. Meyer zu Schwabedis- verstehen, die sich gegenüber den Sub- Verhältnisses von Sprache und Raum ins-
sen 2005; Felgenhauer 2007; Harendt jekten und deren Willensakten scheinbar gesamt.
u. Sprunk 2011; Kremer 2013) und das verselbständigen und reproduzieren. Von Mit Bezug auf Jürgen Habermas (1995
Visuelle (s. stellv. Miggelbrink u. wissenschaftlicher Seite wird dieses Phä- [1980]) oder Robert Brandom (2000;
Schlottmann 2009) bilden hier For- nomen gemeinhin mit Rückgriff auf die 2001) können insbesondere Begrün-
schungsschwerpunkte. Kategorie der Macht erklärt. Diese dungspraktiken als „Kitt“ des Gesell-
Die Basisthese der gesellschaftlichen scheint sich dabei von einer akteursge- schaftlichen verstanden werden. In Be-
Konstruktion des Räumlichen eröffnet bundenen Ressource in ein allgegenwär- gründungen und Argumenten wird un-
neue Sichtweisen, birgt aber auch die Ge- tiges Medium zu verwandeln, zum letzt- strittiges, gesellschaftlich geteiltes
fahr, aus der Kontingenz des Räumlichen lich überall aktiven „Fluidum“. Sie wird Wissen reproduziert, indem es für die
im gleichen Moment auf dessen Beliebig- damit aber begrifflich unspezifisch, gera- Untermauerung strittiger Aussagen ein-
keit und willkürliche Wählbarkeit zu de dann, wenn man „Macht“ im post- gesetzt wird. Das kann in expliziter Form
schließen. Subjektive Bedeutungsbele- strukturalistischen Sinne sowohl von (ausgesprochene Begründungen für strit-
gungen von Räumen, Orten und Regionen Subjektintentionen als auch von klassi- tige Behauptungen), aber auch implizit
scheinen dann frei erfolgen zu können, schen Strukturmustermodellen loslösen (unausgesprochene Geltungsbedingun-
wenn erst einmal über deren Konstrukt- will. gen für Argumente) erfolgen.
status aufgeklärt wurde. Genau das aber Um die Bindungskraft und die Binnen- Greift man diese Perspektive von sozi-
steht nicht nur im Gegensatz zu unserer struktur sprachlicher Praktiken der algeographischer Seite auf, müsste man
alltäglichen Intuition, sondern auch ge- Raumkonstruktionen zu erklären, reicht thematisch von der materiellen Raumbin-

49
Europa Regional 21, 2013 (2015) 1-2

dung (klassische geographische Erklä- wendige Voraussetzung, dass die Dis- hofften Effekt – etwa der intersubjektiven
rungsweise) und der rein machtbasierten kursteilnehmer die Praxis der kohären- Überzeugungskraft, der Legitimation des
Erklärung des Räumlichen zur sozialen ten sprachlichen Äußerung als Grund- eigenen Handelns oder der Auslösung ei-
und sprachlichen Verbindlichkeit über- form beherrschen und die Prinzipien nes erwünschten Anschlusshandelns an-
gehen. Die entsprechende These lautet, kennen, nach denen Argumente, Prämis- derer. Genau durch diese relative prakti-
dass der „feste Boden“ der empirischen sen, Implikationen und Schlussfolgerun- sche Strenge sind Argumente umgekehrt
Raumforschung zwar nicht mehr in ei- gen kommuniziert werden können. Ge- vergleichsweise gut analytisch zugäng-
nem naturalistischen bzw. essentialisti- nau diese Praxis und dieses Wissen gilt lich. Es ist dazu notwendig, die Satz- und
schen Raumbegriff gewonnen werden es mit Bezug auf räumliche Argumenta- Wortebene in den Blick zu nehmen, also
kann. Wohl aber kann die relative „Fes- tionsgegenstände und Thematiken in den relativ kleine Textumfänge zum Gegen-
tigkeit“ (als Verbindlichkeit) sprachlicher Blick zu nehmen. Unter der allgemeinen stand der Analyse zu machen.
Rationalität angenommen und sozialgeo- Prämisse der sozialen Konstruktion der Wie diese Analyse genau erfolgen kann,
graphisch erforscht werden: Argumente, räumlichen Wirklichkeit bildet Argumen- hat Stephen Toulmin (1996 [1958]) mit
die sich thematisch auf Raum beziehen, tieren als Praxis den spezifischen For- seinem mittlerweile klassisch zu nennen-
verknüpfen auf regel- und normengelei- schungsgegenstand. den Argumentationsschema aufgezeigt.
tete Weise das explizite und implizite In der philosophischen Tradition Witt-
Raumwissen der Argumentierenden. Argumentationstheorie und gensteins stehend, geht es ihm um den
Die wissenschaftliche Annahme der Ra- Argumentationsanalyse alltäglichen Gebrauch von Argumenten
tionalität und Verbindlichkeit der Spra- Argumentieren als Praxis der Konstruk- und nicht um die rein logische Struktur
che ist plausibel, weil sie, und dies soll im tion von Raum ist ebenso vorausset- (s. z.B. bei Salmon 1983). Es geht um Ar-
Folgenden gezeigt werden, immer auch zungs- wie konsequenzenreich. Argu- gumentieren als eine Tätigkeit, die sozi-
alltägliche Interpretationsprozesse anlei- mente sind Träger eines umfangreichen ale Bedeutungen hervorbringt, dabei
tet. Der interpretativ arbeitende Sozial- impliziten (Welt-)Wissens, vor dessen aber gleichzeitig bestehende gemeinsa-
forscher darf den Akteuren sprachliche Hintergrund sie erst verständlich und me, geteilte Wissensbestände mobilisiert.
Kohärenz, Rationalität und Argumentati- plausibel erscheinen können. Das Argu- Im Prinzip geht es immer um die Rück-
onsfähigkeit unterstellen, weil diese oft, mentieren ist im Alltag eine relativ streng führung von etwas Strittigem auf ver-
nicht immer, auch von den Alltagshan- regulierte Praxis. Wir lassen uns als Ar- meintlich unstrittige Prämissen bzw.
delnden selbst gegenseitig unterstellt gumentierende alltäglich auf eine Viel- Gründe. Dieser Schritt von einem logi-
werden. Damit ist nicht gemeint, dass das zahl von Regeln ein. Die „reflexiven Kos- schen zu einem sozialen Argumentations-
„bessere“, logischere oder klarere Argu- ten“ (Kopperschmidt 2000, S. 66), die verständnis passt zur sprachkonstrukti-
ment stets erkannt und anerkannt wird. das Argumentieren stets mit sich bringt, vistischen Neuausrichtung der Sozialgeo-
Es ist aber bei allen Diskursen eine not- stehen im Verhältnis zum Nutzen und er- graphie – es geht bei der Analyse immer
um alltägliche, nicht wissenschaftliche
(Raum-)Argumente. Es geht um die Be-
Die Struktur von Argumenten obachtung, nicht die Bewertung argu-
mentativer Praktiken.
Data Claim/Conclusion Wie sehen nun Alltagsargumente aus
(begründender Fakt) (Behauptung) und wie kann man sie aufschlüsseln?
... denn er kommt aus Frankfurt. Rolf spricht deutsch, ...
Toulmin weist vier Grundelemente aus,
die zusammen eine argumentative Struk-
Warrant (Schlussregel) tur bilden. Um sich diese Elemente zu
Innerhalb Deutschlands wird deutsch vergegenwärtigen, soll das folgende ein-
gesprochen. Rolf kommt aus Frankfurt.
Frankfurt liegt in Deutschland. Also spricht fache, aber geographisch durchaus vor-
Rolf deutsch.
aussetzungsvolle Argument aufgeschlüs-
selt werden: „Rolf spricht deutsch, denn er
kommt aus Frankfurt“.
Unter „Claim“ (oder „Conclusion“; Be-
Backing (Hintergrund)
Die geographische Herkunft bestimmt über hauptung bzw. Schlussfolgerung) wird
die individuelle sprachliche Sozialisation.
die zentrale Behauptung verstanden, die
mit dem Argument untermauert werden
IfL 2014
Quelle: nach TOULMIN 1996 [1958], S. 93/95, verändert
Entwurf: T. Felgenhauer
Grafik: T. Zimmermann
soll: „Rolf spricht deutsch“. Dies wird dann
mit einem Fakt begründet, der als „Data“
Abb. 1: Die Struktur von Argumenten bezeichnet wird: (Rolf spricht deutsch)

50
Tilo Felgenhauer: Regionalität als Rationalität. Die argumentative Konstruktion von Regionen

„denn er kommt aus Frankfurt“. Das ent-


scheidende Element des Arguments bil- Argumentationsschema: Regionale Verankerung als Aus-
det aber die unausgesprochene „Schluss- weis von Zuverlässigkeit und Sicherheit
regel“ (Warrant), welche die Antwort auf
Data Data/Claim Claim/Conclusion
die Frage birgt, warum eigentlich die Be-
Das Geschäftsmodell Nähe liegt im Ge- Dieser Gedanke
gründung (Data) die Behauptung (Claim) der Sparkassen sieht I schäftsmodell der II macht sie zu zuver-
die Konzentration auf Sparkassen begrün- lässigen und sicheren
plausibel stützt. Diese Schlussregel könn- die Förderung der det. Banken.
Region vor.
te etwa lauten: „Innerhalb Deutschlands
wird deutsch gesprochen. Rolf kommt aus
Frankfurt. Frankfurt liegt in Deutschland.
Also spricht Rolf deutsch“. Mit der Katego- Warrant Warrant
rie der Schlussregel macht man das zu- Die Förderung der Region steht für ein Räumliche Nähe bedeutet Sicherheit und
allgemeines Prinzip der Nähe. Zuverlässigkeit.
meist implizite, logisch erscheinende
Schlussprinzip des Sprechers möglichst
lückenlos explizit. Während die Schluss-
regel gewissermaßen Zwischenschritte Backing
der Argumentation offen legt, rekurriert Räumliche Nähe ...
die Kategorie des „Backing“ auf grundle- ... fördert die Intensität von persönlichen Kontakten.
... begünstigt damit die Ausbildung von Vertrauen.
gendere Basisprinzipien oder ein allge- ... entspricht sozialer Nähe und einer engen ökonomischen Bindung.
meineres Hintergrundwissen. Im genann-
ten Beispiel könnte es sich um die allge- IfL 2014
Entwurf: T. Felgenhauer
mein in unserem kulturellen Kontext Quelle: nach TOULMIN 1996 [1958], S. 93/95, verändert Grafik: T. Zimmermann

verbreitete Annahme handeln, dass die


Abb. 2: Argumentationsschema: Regionale Verankerung als Ausweis von Zuverlässigkeit
geographische Herkunft auch über die und Sicherheit
sprachliche Sozialisation entscheidet.
Diese Annahme hat zwar keinen Geset- unterbrochen werden (z.B. Exkurse, Be- Generalisierung eines expliziten Grund-
zescharakter, dürfte aber Teil eines „nor- schreibungen, reine Willensbekundun- satzes der Sparkassen. Aus der „Förde-
malen“ (besser: normalisierenden) All- gen, metaphorische Ausschmückungen rung der Region“ wird auf ein grundle-
tagsverständnisses sein. Neben diesen u.v.a.). Das Beispiel zeigt außerdem, wie gendes Prinzip der Nähe in Bezug auf die
vier Grundelementen führt Toulmin noch voraussetzungsvoll der gedankliche Geschäftspraxis der Sparkassen geschlos-
die Kategorie des „Operators“ (ebd., S. Schritt vom Data (Grund) zur Conclusion sen. Besonders interessant aber ist
92) ein, der die Stärke des Zusammen- (Schlussfolgerung) sein kann. Es handelt Schritt zwei (Abb. 2, rechts oben), wel-
hanges zwischen Data und Claim aus- sich um die Aussage eines Vertreters der cher aus diesem Nähe-Prinzip, gedacht
drückt, z.B.: „zwingend“, „wahrscheinlich“ deutschen Sparkassen, der diese als regi- als räumliche Nähe (Region), auf die Zu-
oder „normalerweise“ folgt Aussage A aus onal verankerte, besondere und verläss- verlässigkeit und Sicherheit der Sparkas-
B. Außerdem werden von den Argumen- liche Institutionen darstellt (zit. in der sen schließt. Dies ist nur plausibel, wenn
tierenden manchmal Ausnahmebedin- Börsen-Zeitung, 16.03.2012): man mit räumlicher Nähe noch wesent-
gungen angegeben, die den Geltungsbe- „Nähe liegt im Geschäftsmodell der lich mehr meint – was aber nicht genau-
reich des Arguments begrenzen: z.B. Aus Sparkassen begründet, denn es sieht er expliziert wird. Zum Beispiel wäre
A folgt B, „es sei denn…“. die Konzentration auf die Förderung denkbar, dass räumliche Nähe regelmä-
An dem einfachen Beispiel wird bereits der Region vor. Dieser Gedanke macht ßige und einfache Face-to-Face-Kontakte
deutlich, dass die Methode Argumente sie zu zuverlässigen und sicheren Ban- zwischen Bankmitarbeitern und Kunden
aufschlüsselt und nicht bewertet. Man ken.“ ermöglicht – das persönliche Gespräch,
muss der Logik des Arguments nicht zu- Das Argument besteht aus zwei Teilen. welches durch räumliche Nähe ermög-
stimmen, um mit Hilfe des Schemas seine Das erste Argument steckt im ersten Satz. licht wird, könnte für Vertrauen und Zu-
Struktur zu erkennen. Der zweite Satz beinhaltet dann den grö- verlässigkeit stehen. Oder aber die regi-
Ein zweites Beispiel zeigt, dass reale ßeren, weil voraussetzungsvolleren argu- onale Wirtschaft wird insgesamt als
Argumente zumeist keine so reine, klare, mentativen Schritt. Deshalb ist es sinn- „gesund“, „stabil“ und „transparent“ be-
reduzierte und „disziplinierte“ Struktur voll, das Argument in seine zwei Teil- wertet im Unterschied zu den komplexen
aufweisen, sondern oftmals zwischen argumente aufzugliedern (I und II in und unkontrollierbaren globalen Vernet-
verschiedenen Behauptungen „springen“, Abb. 2). zungen der Finanzwirtschaft. Auch dies
unterschiedliche Schlussregeln vermen- Der erste Schritt (Abb. 2, links oben) würde den Schritt von räumlicher Nähe
gen oder durch nichtargumentative Rede besteht in einer Verallgemeinerung und zu Zuverlässigkeit und Sicherheit erklä-

51
Europa Regional 21, 2013 (2015) 1-2

ren. Es könnte außerdem eine Verbin- Schultz 2004), ist aber gleichwohl aktu- tag) und biographische Schwerpunkte
dung zwischen Real- und Regionalwirt- ell noch nicht in den Status einer allseits (einzelne historische mitteldeutsche Per-
schaft impliziert sein. Das Nahe ist das etablierten und immer klar verständli- sönlichkeiten). Sie ist – vor allem mit
vermeintlich „Echte“ und damit das Ge- chen Regionsbezeichnung gelangt. Auch Blick auf ihre Anfangsphase – ein Beispiel
genstück zum „Virtuellen“ der Börsenge- die individuelle Identifikation mit Mittel- für die diskursiv intensiv verhandelte,
schäfte mit ihren abstrakten, flüchtigen deutschland scheint eher eine Ausnah- und gleichwohl planvolle Konstruktion
Zahlenkolonnen. meerscheinung darzustellen (vgl. Fel- und Beförderung einer regionalen Einheit
Mögliche Gegenargumente zu dem Ar- genhauer et al. 2005, S. 58). Deutschland Mitteldeutschlands.
gument ließen sich etwa mit dem Grund- und die Bundesländer bilden im Ver- Zur genauen Analyse wurden Diskurs-
satz der Diversifizierung begründen. Im gleich zu Mitteldeutschland nicht nur auf ausschnitte aus den Diskussionen um die
Sinne der Risikostreuung und der Wahr- administrativer, sondern auch auf alltäg- Geschichte, die geographische Gestalt und
nehmung globaler Renditechancen könn- licher Ebene eine gemeinhin stärkere Be- um den Eigencharakter Mitteldeutsch-
te auch die geographische Dispersität der zugsinstanz für die Alltagspraxis (vgl. lands gewählt, wie sie die Konzeption und
Aktivitäten des Finanzinstitutes ange- ebd.). Es besteht eine gewisse Vagheit, Produktion der Reihe „Geschichte Mittel-
strebt werden. Die Region als eng gesetz- welche geographischen Umrisse Mittel- deutschlands“ begleitet haben2.
ter Handlungsrahmen könnte auch eine deutschland aufweist und welcher land- Hier lässt sich beispielhaft nachvollzie-
übertrieben einseitige Abhängigkeit von schaftliche und kulturelle Charakter der hen, wie Argumentieren als „Geogra-
regionalwirtschaftlichen Kreisläufen be- Region zugeschrieben werden kann. Eine phie-Machen“ funktioniert und wie die
deuten. distanzlogische, im Wortsinne geo-met- sprachliche Verstetigung und Institutio-
Wie auch immer man die Plausibilität rische Variante (die vermessene Mitte nalisierung von Regionen (modellhaft)
von Argumenten wie dem oben erörter- Deutschlands) konkurriert mit (erneuer- verlaufen kann. Das folgende Beispiel
ten bewerten mag – sie stehen für typi- ten) historischen Deutungen (Mittel- zeigt, wie ein Mitglied des die Konzepti-
sche Annahmen über die räumlichen Bin- deutschland als Land der Reformation, on und Produktion begleitenden Kurato-
dungen sozialer und wirtschaftlicher Ver- das mitteldeutsche Industriegebiet im riums der Sendereihe für die Richtigkeit
hältnisse, die einen elementaren Be- südlichen Sachsen-Anhalt bzw. Westsach- und Sinnfälligkeit des gewählten regiona-
standteil unseres Alltagswissens bilden. sen, oder Mitteldeutschland als Drei-Län- len Erzählrahmens (= Sendegebiet des
Obwohl die eigentliche Gültigkeit dieser der-Einheit von Sachsen, Sachsen-Anhalt MDR) der Serie argumentiert:
Argumente wissenschaftlich wohl kaum und Thüringen). „Für uns ist Mitteldeutschland ein Ge-
nachweisbar ist, sind sie mit ihrem impli- Vor dem Hintergrund dieser Kontin- schichtsraum und gleichzeitig ein Na-
ziten Bezug auf Intuitionen, Vermutungen genz wurde im DFG-Projekt1 „Mittel- turraum. Man braucht sich nur eine
und „Faustregeln“ des Alltags oftmals für deutschland“ die Frage gestellt, wie sich physische Landkarte Deutschlands an-
die Alltagshandelnden selbst überzeu- die Region unter den Bedingungen der zusehen, um diese relativ geschlosse-
gend. raumzeitlichen Entankerung, der Globa- ne Einheit herauszubekommen. Es ist
Um aber nicht nur die Binnenlogik von lisierung der Lebenszusammenhänge, aber auch ein Raum, der durch eine
Argumenten mit der auf wenige Sätze be- konstituiert. Wie werden insbesondere lange Geschichte zumindest die Ten-
schränkten Argumentationsanalyse auf- seit dem Ende der DDR Regionen und denz gehabt hat, zu einer territoria-
zuschlüsseln, sondern auch die Kontexte Identitäten wiederbelebt oder neu ge- len Einheit zusammenzuwachsen.“
und Wandlungen zu untersuchen, in de- schaffen? Für Mitteldeutschland hat der In dieser kurzen Sequenz sind zwei Argu-
nen raumbezogene Argumentationen ein- MDR (Mitteldeutscher Rundfunk) als Re- mente enthalten, welche die Existenz Mit-
gebettet sind, soll im Folgenden eine um- gionalprogramm für Sachsen-Anhalt, teldeutschlands belegen sollen. Das erste
fassendere Untersuchung vorgestellt Sachsen und Thüringen eine besondere Teilargument mobilisiert die Autorität
werden. Diese hat mit dem Diskurs um Position in diesem Prozess inne. Unter der Kartographie, um die Realität Mittel-
Mitteldeutschland als eine wieder ent- anderem hat dessen großes TV-Projekt deutschlands zu begründen.
deckte Region zu tun. „Geschichte Mitteldeutschlands“ als Mit- Das Interessante hierbei ist, dass das
tel der Identitätsbildung fungiert. Die Argument eigentlich nur in der Aufforde-
Argumentieren als Praxis der Sendereihe wird seit 1999 ausgestrahlt rung besteht, sich eine Karte anzusehen
Raum- und Identitätskonstruk- und behandelt(e) verschiedenste thema- und daraus unmittelbar die Evidenz der
tion tische (Politik, Kultur, Religion und All-
Das Beispiel Mitteldeutschland ist beson- 2 Die qualitative Studie des Redaktionsprozesses
bezieht sich auf Publikationen, Interviews, Feldnotizen
ders gut geeignet, das Werden einer Re- 1 Das Projekt wurde zwischen 2001 und 2005 unter der und Berichte des Kuratoriums „Geschichte
Leitung von Benno Werlen am Lehrstuhl Sozialgeo- Mitteldeutschlands“, in dem nicht nur die Produzenten
gion im sozialen Sinne zu beobachten. graphie der Universität Jena durchgeführt. Das des MDR, sondern zahlreiche Persönlichkeiten aus
Die Region hat als Idee eine durchaus lan- gesammelte und ausgewertete Material repräsentiert Wirtschaft, Politik und Kultur jährlich die Arbeiten am
Diskursausschnitte, Dokumente und Interviews der Projekt und dessen regionale Ausrichtung kommen-
ge Tradition (vgl. Rutz 2001; John 2001; Jahre 1997 bis 2003. tiert haben.

52
Tilo Felgenhauer: Regionalität als Rationalität. Die argumentative Konstruktion von Regionen

ten von Natur- und Kulturraum hervor-


Argumentationsschema: Mitteldeutschland als Naturraum bringen wird.
An dem zitierten Beispiel kann man gut
Data Claim/Conclusion erkennen, welche impliziten Annahmen
„Man braucht sich nur eine phy- „Für uns ist Mitteldeutschland ein ...
sische Landkarte Deutschlands Naturraum.“ über Raum in Argumenten ausgedrückt
anzusehen, um diese relativ werden und auf welche Weise dies ge-
geschlossene Einheit herauszu-
bekommen.“ schieht. Man kann sich vorstellen, wie im
Prinzip unhinterfragtes Wissen über
Raum, Regionen und Orte im Argumen-
Warrant
Ist eine räumliche Einheit auf einer physischen Karte erkennbar, handelt es sich um einen Naturraum. tieren (mit-)geteilt und als gemeinhin un-
strittig akzeptiert wird. Der quasi-natür-
liche Charakter des Räumlichen wird auf
sprachlich-argumentative Art hervorge-
Backing bracht.
Naturräume „ergeben“ sich aus physischen Karten. Aber es gibt auch spannende Brüche
Physische Karten sind eindeutige Repräsentationen der natürlichen Wirklichkeit.
Regionale Einheiten sind reale Naturräume. und Wechsel in Raumargumentationen.
Die Argumentationsanalyse kann helfen,
IfL 2014
Entwurf: T. Felgenhauer als sozialgeographischer Beobachter
Quelle: nach TOULMIN 1996 [1958], S. 93/95, verändert Grafik: T. Zimmermann
nicht der Beiläufigkeit, mit der solche
Abb. 3: Argumentationsschema: Mitteldeutschland als Naturraum Wechsel bisweilen geschehen, zu erlie-
gen, sondern sie als markante Wende-
Aussage selbst zu schlussfolgern. Es wird Die Schlussregel verdeutlicht, dass Ge- und Wegpunkte im Diskurs zu erkennen.
also genaugenommen vom Argumentie- schichte als Verwirklichungs- und Erfül- Dies soll mit einem zweiten Beispiel, wel-
ren zum Zeigen und (Ein-)Sehen überge- lungsinstanz regionaler Einheiten ange- ches demselben Kontext entnommen ist,
gangen. Das zweite Argument (Abb. 4) sehen wird. Diese Sichtweise ist ver- verdeutlicht werden.
postuliert eine teleologische Figur, wel- gleichbar mit der klassischen Geographie Was man im vorherigen Beispiel sehen
che besagt, dass sich eine historische Carl Ritters aus dem 19. Jahrhundert, konnte, waren mehr oder minder über-
Konvergenz der mitteldeutschen Teilräu- nach der die zeitliche Entwicklung die zeugende Argumente für die Behauptung,
me abzeichnet. kulturhistorisch „vorgesehenen“ Einhei- dass Mitteldeutschland als real vorhan-
dener historischer und natürlicher Rah-
men gelten könne, in dem Geschichte me-
dial präsentiert werden soll. Diese Recht-
Argumentationsschema: Mitteldeutschland als fertigungssituation „kippt“ offenbar im
Geschichtsraum Verlaufe des Diskurses im Kuratorium
„Geschichte Mitteldeutschlands“ in eine
Data Claim/Conclusion neue argumentative Haltung, welche den
„Es ist ... ein Raum, der durch eine „Für uns ist Mitteldeutschland ein Institutionalisierungs- und Verfestigungs-
lange Geschichte zumindest die Geschichtsraum.“
Tendenz gehabt hat, zu einer moment markiert. Das folgende Argu-
territorialen Einheit zusammenzu-
wachsen.“ ment zeigt an, dass Mitteldeutschland als
regionaler Rahmen im Gremium allge-
mein akzeptiert ist und der noch im vor-
Warrant
herigen Beispiel versuchten Begründung
Ein historischer Raum zeichnet sich durch die Tendenz aus, dass seine Teilräume im Verlauf der
Geschichte „zusammenwachsen“. Dies trifft auf Mitteldeutschland zu, deshalb ist es ein Geschichts- gar nicht mehr bedarf. Das Beispiel ist
raum.
dabei nicht als direkte Erwiderung auf
Beispiel 3 und 4 zu verstehen. Es wurde
erst später vorgebracht. Ein Kuratori-
Backing umsmitglied stellt hier die Frage der
Die Geschichte einer Region folgt evolutionistischen und teleologischen Prinzipien. Plausibilität des regionalen Erzählrah-
Regionalgeschichte ist mit biologischen Prozessen („Zusammenwachsen“) vergleichbar.
mens der Serie aus seiner Sicht vom Kopf
auf die Füße, indem er sagt:
IfL 2014
Quelle: nach TOULMIN 1996 [1958], S. 93/95, verändert
Entwurf: T. Felgenhauer
Grafik: T. Zimmermann „Es wird nur wenige Themen geben,
die ausschließlich mitteldeutsch sind.
Abb. 4: Argumentationsschema: Mitteldeutschland als Geschichtsraum Damit können wir keine 38 Folgen

53
Europa Regional 21, 2013 (2015) 1-2

umgekehrte Struktur des Arguments im


Argumentationsschema: Die Transformation allgemeiner Vergleich zu Argument 3 und 4, weil mit
Themen in mitteldeutsche Themen dem Argumentationswechsel ein ent-
scheidender Schritt der sprachlichen Ver-
Data Claim/Conclusion festigung der Idee der Region vollzogen
„Es wird nur wenige Themen „Also müssen wir umgekehrt ran-
geben, die ausschließlich mittel- gehen und sagen, wie können wir bzw. markiert wird.
deutsch sind. Damit können wir die allgemeinen gesellschaft-
keine 38 Folgen machen.“ lichen, menschlichen Fragen in
der Geschichte spezifisch mittel-
deutsch anbieten?“ Während zunächst noch Argumente für
die Auswahl des regionalen Erzählrah-
mens gesucht werden mussten (Abb. 3
Warrant u. 4), kann dieser nunmehr vorausge-
Wenige Themen sind regional einzigartig. Der regionale Rahmen soll aber nicht verändert werden.
Deshalb müssen allgemeine Themen innerhalb der (vorausgesetzten) Region gesucht und als setzt werden (Abb. 5). Die inhaltliche
regional präsentiert werden.
Ausarbeitung der geschichtlichen The-
men ändert nichts mehr am gesetzten
räumlichen Rahmen. Der gedachte
räumliche Container füllt sich auch dann
Backing
Regionen (Mitteldeutschland) existieren als Raumausschnitte geschichtsunabhängig. Der festste-
mit historischem Inhalt, wenn sich die-
hende räumliche Rahmen (die Region) kann beliebig nach seinem natürlichen, kulturellen und histo- ser Inhalt zunächst nicht substantiell
rischen „Inhalt“ befragt werden. Container (Region) und Inhalt (Geschichte) existieren im Prinzip
unabhängig voneinander. von dem anderer Container unterschei-
det. Während Argument 3 und 4 noch
IfL 2014
Entwurf: T. Felgenhauer für die Anerkennung von Besonderheit
Quelle: nach TOULMIN 1996 [1958], S. 93/95, verändert Grafik: T. Zimmermann
werben, wirbt Argument 4 für die Pro-
Abb. 5: Argumentationsschema: Die Transformation allgemeiner Themen in mitteldeutsche duktion von Besonderheit. Dieser Mo-
Themen ment der Umkehrung der Rechtferti-
gungslogik kann als Wendepunkt im In-
machen. Also müssen wir umgekehrt ungewohnt. Das Argument findet ent- stitutionalisierungsprozess der Region
herangehen und sagen, wie können sprechend allgemeinen Zuspruch. als Konstruktion angesehen werden –
wir die allgemeinen gesellschaftlichen, Das Interessante an dem Argument ist zumindest im Hinblick auf den unter-
menschlichen Fragen in der Geschich- weniger die Sprecherintention, welche suchten Handlungskontext. Die Region
te spezifisch mitteldeutsch anbieten? vielleicht darin liegt, die Idee einer Regi- in ihrer angenommenen geographischen
Und das ist doch unsere Aufgabe“ on Mitteldeutschland voranzubringen, in- Gestalt wandert vom Claim zum Data.
(Beifall). dem die langwierige Diskussion um Mit- Sie wandelt sich vom Behaupteten zum
Die Schlussregel expliziert die Binnenlo- teldeutschlands Besonderheit durch den Vorauszusetzenden. Sie ist nicht mehr
gik des Arguments: Wenn der Rahmen Argumentationswechsel abgekürzt wird. begründungsbedürftig, muss nicht mehr
Mitteldeutschland gesetzt ist, dann sollte Das Spannende daran ist die in raumbe- erdacht, erkannt oder reflektiert wer-
die Sendereihe nicht nur genuin mittel- grifflicher Hinsicht diametrale, logisch den, sondern ist nunmehr selbst voraus-
deutsche historische Phänomene zeigen,
sondern auch allgemeine, regionsüber-
Argumentationswechsel im Kontext „Geschichte Mittel-
greifende Themen als mitteldeutsch bzw. deutschlands“
in ihrer mitteldeutschen Ausprägung prä-
sentieren. Das Backing baut auf wichtige Data Claim/Conclusion
sozial etablierte und allgemein akzeptier- Natur, Geographie der Region
Geschichte, Argument, Abb. 3+4
te Prinzipien der Raumkonstruktion auf: Kultur usw.
Es wird unterstellt, dass die Region als (= regional)

Objekt und Container logisch unabhängig


von Kultur und Geschichte existiert. Der Claim/Conclusion Data
Sprecher geht davon aus, dass der regio- Natur, Geographie der Region
Geschichte, Argument, Abb. 5
nale Rahmen der Geschichtserzählung Kultur usw.
(= regional)
konstant bleibt auch beim Wechsel des
thematischen „Containerinhalts“. Dieser
IfL 2014
naturalistisch-objektivistische Regions- Quelle: eigener Entwurf
Entwurf: T. Felgenhauer
Grafik: T. Zimmermann

begriff ist für ein abendländisch-westlich


sozialisiertes Auditorium sicherlich nicht Abb. 6: Argumentationswechsel im Kontext „Geschichte Mitteldeutschlands“

54
Tilo Felgenhauer: Regionalität als Rationalität. Die argumentative Konstruktion von Regionen

gesetzt, begründungsliefernd und hand- te, sondern werden als unhinterfragte Wissen auf, indem sie nach Geltungsbe-
lungsleitend. Tatsachen zur Stützung anderer Behaup- dingungen und Konsequenzen von Aus-
Diese Analyse sollte nicht als Kritik tungen verwendet – das thematische sagen fragt. Unter welchen Umständen
missverstanden werden im Sinne des Spektrum reicht, wie vorgestellt, von der wird eine Aussage von den kommunizie-
Nachweises der „Künstlichkeit“ Mittel- medialen Aufbereitung der Geschichte bis renden Subjekten als akzeptabel behan-
deutschlands im Unterschied zu ver- zur Sicherheit von Kreditinstituten. Ana- delt und welche Folgerungen entstehen
meintlich „echten“ Regionen. Alle Regio- lytisch gesehen finden sich räumliche aus dieser Aussage. Diese Fragen dienen
nen sind gemachte Regionen, und sie sind Setzungen im Data (Grund), im Warrant der „Extraktion“ geographischer, raum-
letztlich auf sprachliche Weise konstru- (Schlussregel) und vor allem im Backing bezogener Annahmen im Kommunika-
iert. Das Beispiel Mitteldeutschlands ist eher als in der eigentlich zu fundierenden tionsinhalt.
nur deswegen von besonderem wissen- Behauptung (Claim). Im Alltag ist die Die Argumentationsanalyse kann sen-
schaftlichen Interesse, weil sich die Ver- Geographie primär ein Mittel, Argumen- sibilisieren für diese impliziten räumli-
festigung, Institutionalisierung und Rei- tationen zu begrenzen als dass über ver- chen Setzungen und für den sozial ver-
fikation der Region als soziales Konstrukt meintliche geographische Fakten selbst bindlichen Charakter der argumentativen
aktuell (bzw. in der jüngeren Vergangen- gestritten würde. Die Argumentations- Alltagssprache insgesamt. In ihrem genu-
heit) beobachten lässt. Allein dies unter- analyse ist als Explikationsinstrument für inen Zugang kann und soll sie dies zu-
scheidet Mitteldeutschland von bereits implizites Wissen geeignet, das Implizite nächst unter Absehung von kontextuellen
stärker im Alltagswissen verankerten des Räumlichen aufzudecken, und auch Bedingungen und vermeintlichen Spre-
und weitgehend unhinterfragten Regi- Voraussetzungen herauszuarbeiten, de- cherintentionen tun.
onskonstrukten wie etwa „Sachsen“ (vgl. nen die Interagierenden unausgespro- Dabei gilt es allerdings anzuerkennen,
Luutz 2002). Ebenfalls sei mit dem Hin- chen zustimmen, zumeist ohne diese zu dass der Methode in ihrer Anwendbar-
weis auf die Unterschiedlichkeit der bei- reflektieren oder zu kritisieren. keit und Erklärungskraft auch klare Gren-
den Argumente (vgl. Abb. 6) keine Ein- Aber nicht nur implizites Raumwissen zen gesetzt sind. Die Akteure erweisen
schätzung der Konsistenz der Argumente wird mit Hilfe der Argumentationsanaly- sich zumeist als „undiszipliniert“, wenn
abgegeben. Die Argumentation ist hier se offengelegt, sondern es werden auch sie argumentieren: Data und Claim sind
nur als reale Alltagspraxis, nicht als Ge- Argumentationswechsel sichtbar, die nicht immer gleich sichtbar und zuweis-
genstand irgendwelcher „Logiktests“ von dann auch einen Wechsel in der Bedeu- bar. Argumente beziehen sich oft nicht
Interesse. Es geht allein um die Beobach- tung des Räumlichen markieren. Der aufeinander, werden unterbrochen oder
tung des Etablierungsprozesses einer Re- Wechsel von begründungsbedürftig zu abgelöst durch andere sprachliche Prak-
gion. Diese Beobachtung, welche mit Hil- begründungsliefernd, vom Strittigen zum tiken (Erzählen, Beschreiben, Befehlen,
fe der Argumentationsanalyse struktu- Unstrittigen ist hier von besonderem In- reines Behaupten etc.)3. Argumentieren
riert wurde, ließe sich durch eine teresse. Dieser lässt sich insbesondere ist anstrengend, es behindert die Routi-
umfassende Diskursanalyse als komple- dann identifizieren, wenn räumliches ne, die „reflexiven Kosten“ (Kopper-
mentäre Makrobetrachtung sinnvoll er- Wissen ausnahmsweise noch nicht in den schmidt 2000, S. 66) sind hoch.
gänzen. Bereich der unhinterfragten Prämissen Außerdem kann die Argumentations-
abgesunken ist bzw. sich genau dieser analyse selbst nicht den Kontext der Ar-
Ergebnisse Schritt erst in einem Argumentations- gumentationssituation analysieren – die-
Die vorgestellten Beispiele haben gezeigt, wechsel vollzieht (s. Bsp. Mitteldeutsch- ser müsste mit anderen Methoden ergän-
dass Raum den Argumentierenden zu- land). zend erhoben werden. Dann könnte
meist begründungsliefernd denn begrün- beispielsweise gefragt werden, wie das
dungsbedürftig erscheint (Ausnahme: Ar- Möglichkeiten und Grenzen Auditorium auf das Argument reagiert.
gumente in Abb. 3 und 4). Raum er- raumbezogener Argumentations- Wie wird es akzeptiert? In welcher sozi-
scheint meist als beiläufige Kategorie, analyse alen Situation wird argumentiert? Hier
deren Bedeutung durch Prozesse sprach- Die vorgestellten Analysebeispiele haben bedarf es einer erweiterten Datenbasis.
licher Sozialisation vermittelt wird. Es verdeutlicht, dass es bei der Argumenta- So können beispielsweise im Falle von
sind eher implizite Raumlogiken und un- tionsanalyse stets um die Beobachtung Gremiensitzungen video-ethnographi-
terschwellige Verräumlichungen, die da- von argumentativer Praxis, nicht um die sche Untersuchungen (vgl. Heath u. Luff
für sorgen, dass Themen und Gegenstän- analytische Bewertung der Argumente 2000; Knoblauch 2006; Laurier u. Phi-
de der Argumentation räumlich erschei- geht. Es geht nicht um logische Konsis- lo 2006; Bohnsack 2009) mehr als den
nen und so erst zu räumlichen Phäno- tenz, sondern um implizites Alltagswis-
3 Daraus folgt, dass auch nicht alle Formen der
menen gemacht werden. Raum und Regi- sen, zu dessen Explikation die Argumen- sprachlichen Raumkonstruktion stets mit dem Begriff
on sind gemeinhin nicht selbst die zen- tationsanalyse angewendet wird. Die Ar- des Argumentativen erfasst sind (vgl. Kremer 2013, S.
182). Es sind jedoch oftmals unterschiedliche Formen
tralen Streit- und Argumentationspunk- gumentationsanalyse deckt implizites der Raumbezugnahme in einem Argument verwoben.

55
Europa Regional 21, 2013 (2015) 1-2

Anteil des eigentlichen Argumentierens – z.B. durch neuere Ansätze der Praxis- „technisch rational“ in „sozial vernünftig“
innerhalb des komplexen sozialen Ge- theorie – genau nicht intendiert ist (vgl. übersetzt wird im Sinne einer Einsicht in
samtgeschehens erfassen. Nicht nur die Reckwitz 2008; Lippuner 2005, S. 51ff.; „Sachzwänge“ (Schelsky, zit. v. Fischer
Sprecherin, auch die Zuhörer sind selbst- Gäbler (im Druck)). 2004, 1666) – oder ob sich argumentati-
verständlich aktiv und kommunikativ Neben dem (im-)materiellen Setting ve Praktiken gerade als Reflexions- und
während und im Anschluss an eine vor- von argumentativer Praxis kann außer- Kontrollinstanz gegenüber technischen
gebrachte Argumentation. Non-verbale dem der Blick auf den weiteren sozialen Raumkonstruktionen behaupten können.
Kommunikationsinhalte wie Körperbe- Kontext der Argumentationssituation ge- Als letzter Punkt ist die Rückbindung
wegungen, Mimik/Gestik, Aspekte der richtet werden, indem institutionalisier- der Argumentationsanalyse an aktuelle
Proxemik und das materielle Setting (z.B. te Machtbeziehungen und Akteursnetz- Entwicklungen in der humangeographi-
Sitzordnung) erzeugen eigene Mikrogeo- werke erhoben werden. Hierbei gilt es zu schen Theoriebildung zu nennen. Hier
graphien, welche das Videomaterial ab- beachten, dass die Interpretation argu- können an dieser Stelle nur zwei von vie-
bildet und die beispielsweise mit einer so mentativer Praxis nicht vorschnell durch len denkbaren Anschlüssen angedeutet
genannten „Partiturtranskription“ erfasst Spekulationen über subjektive Intentio- werden.
werden können (vgl. Weihe et al. 2008). nen, „hidden agendas“ und organisatio- Ein erster Aspekt bezieht sich auf die
Diese Form der Datenaufbereitung er- nale Rollen strukturiert wird. Deshalb weitere raumbegriffliche Differenzierung
möglicht – allerdings mit einem beträcht- sollte die Einbeziehung des Kontextes des Analyserahmens. Jessop et al. (2008)
lichen Aufwand – die Untersuchung der erst in einem zweiten Schritt auf die kon- schlagen beispielsweise vor, „sociospati-
mit dem Argumentieren in Verbindung textfreie Interpretation folgen. al relations“ mit Hilfe der Grundkatego-
stehenden Praktiken, indem jede an der Mit Blick auf die Grenzen der Methode rien „territory“, „place“, „scale“ und „net-
Kommunikationssituation Teilnehmende der Argumentationsanalyse stellt sich works“ aufzuschlüsseln. Im Sinne einer
mit ihrem bewussten und unbewussten auch die Frage, ob sich Kommunikation empirischen Unterscheidung von argu-
Tun erfasst wird. Damit wird neben den in der Spätmoderne immer sinnvoll auf mentativen Raumkonstruktionsweisen
körperbezogenen Artikulations- und In- die Artikulationen von menschlichen wäre die Frage zu stellen, a) welche der
teraktionsformen vor allem auch die Ver- Sprechersubjekten beschränken lässt. genannten Grundkategorien in Argumen-
laufsdynamik des Geschehens sichtbar. Eine empirische Erweiterung mit Blick ten und insbesondere in deren Schluss-
Dieser Situationsbezug der empiri- auf das digitale Zeitalter würde anerken- regeln Verwendung finden und b) inwie-
schen Betrachtung wird von neuen De- nen, dass nicht nur Interaktionen zwi- weit Argumente gerade ihre Überzeu-
batten um die (Re-)Fokussierung des Ma- schen Personen, sondern auch zwischen gungskraft aus gelungenen Transfers
teriellen ausdrücklich betont (Überblicke Personen und technischen Systemen für zwischen diesen (und anderen) Grund-
geben Kazig u. Weichhart 2009; Kirsch spätmoderne Gesellschaften kennzeich- begriffen beziehen – etwa wenn in politi-
2012). Es gilt aber jeweils genau zu be- nend sind. Digitale Zeichensysteme4 schen Diskursen von einer Rhetorik des
stimmen, wie das so genannte „Materiel- (Code) können linguistisch gesehen zwar „territory“ zu einer Rhetorik des „place“
le“ in das Forschungsdesign integriert nicht autonom Argumente erzeugen. übergegangen wird.
wird. Während das Grundargument der Wohl aber kann die digitale Sprache mit Ein theoretischer Bezug zwischen dem
Anerkennung einer Widerständigkeit und ihrer strengen Strukturierung, ihrer al- singulären Akt des Argumentierens und
Relevanz des Nicht-Sprachlichen (z.B. gorithmisch kontrollierten Konsistenz so genannten „Makroverhältnissen“ ließe
Körperlichen) für eine Bereicherung des und ihrer logischen Widerspruchsfreiheit sich herstellen, indem nach der gesell-
Methodenspektrums sehr fruchtbar er- als rational bezeichnet werden (vgl. schaftshistorischen Varianz raumbezoge-
scheint, ergeben sich aus erkenntnisthe- Roelcke 2008). Deshalb könnten sich ner Deutungs- und Argumentationsmus-
oretischer Sicht auch problematische As- empirisch Verbindungen zwischen einer ter gefragt würde. Im Begriff der „gesell-
pekte. So darf die verstärkte Fokussie- technischen und einer argumentativen schaftlichen Raumverhältnisse“ (Werlen
rung materieller Aspekte nicht Rationalität zeigen, etwa wenn Raumkon- 2010 und in diesem Heft) wird davon
verwechselt werden mit einem simplen struktionslogiken geographischer Infor- ausgegangen, dass es bestimmte Grund-
Vervollständigungsargument. Mit „mate- mationssysteme (GIS) Eingang in politi- modi der Verschränkung von Raum und
rial turn“ kann nicht gemeint sein, dass sche Diskurse finden5. Dann stellt sich Gesellschaft gibt, die vom jeweiligen his-
es nun um eine ergänzend und außerdem beispielsweise die Frage, ob das Attribut torischen Stand von Technik, Wissen und
zu untersuchende Materialität ginge, wel- Alltagshandeln abhängen. Die von Wer-
che die sprachzentrierten Ansätze 4 Zur Untersuchung einer von Software und Code
len postulierte neolithische, industrielle
schlicht „verpassen“. Eine solche Sicht- geprägten Welt siehe z.B. Dodge/Kitchin 2005. und digitale Revolutionierung dieser Ver-
5 Ansätze für dieses Thema sind in der kritischen
weise würde einem naiven, streng zwi- Diskussion um Ausschluss und Teilhabe des
schen Sprachlichem und Materiellem un- politischen Subjekts an (geo)technischen 6 Genauer heißt es: „Der Mensch ist den Zwängen
Strukturierungsprozessen erkennbar (s. z.B. Elwood unterworfen, die er selbst als seine Welt und sein
terscheidenden Empirismus erliegen, der 2006; Elwood/Leszczynski 2012). Wesen produziert“ (Schelsky 1961, S. 17f).

56
Tilo Felgenhauer: Regionalität als Rationalität. Die argumentative Konstruktion von Regionen

hältnisse würde demnach auch für die chen Formen sprachlicher Rationalität Elwood, S. (2006): Negotiating Know-
raumbezogenen Deutungs- und Argu- anerkennt und zur Explikation des sozial ledge Production: The Everyday Inclu-
mentationsmuster maßgeblich sein, über geteilten Wissens über die Region heran- sions, Exclusions, and Contradictions of
die die jeweilige Gesellschaft verfügt bzw. zieht. Damit lassen sich Erklärungen lie- Participatory GIS Research. The Profes-
verfügen kann. fern, je nach empirischem Beispiel, für sional Geographer 58 (2), S. 197-208.
die Attraktivität und Bindungskraft der Elwood, S. u. A. Leszczynski (2013):
Schluss: Die Bindungskraft der Region genauso wie für Institutionalisie- New spatial media, new knowledge
Sprache und die Konstitution von rungshindernisse, eine vielleicht man- politics. Transactions of the Institute of
Regionen gelnde Alltagsrelevanz oder unzureichen- British Geographers 38 (4), S. 544-559.
Wie kann die vorgestellte Herangehens- de Identitätsstiftung. Felgenhauer, T., M. Mihm u. A. Schlott-
weise zu den grundlegenderen Debatten In diesem Zusammenhang bestimmt mann (2005): The Making of Mittel-
in der konstruktivistischen Sozial- und sich auch das Verhältnis von Analyse und deutschland. On the Function of implic-
Kulturgeographie beitragen, in denen praktischer Verwertung. Auch wenn die it and explicit symbolic Features for
aktuell vor allem rationalitätskritische, analytische Haltung des Interpreten bei Implementing Regions and Regional
poststrukturalistische, macht- und dis- der Anwendung der Argumentationsana- Identity. In: Geografiska Annaler 87, H.
kursorientierte Ansätze dominieren? lyse neutral sein soll, müssen die Ergeb- 1, S. 45-60.
Differenz und Pluralität – die Schlüs- nisse der wissenschaftlichen Analyse Felgenhauer, T. (2007): Geographie als
selbegriffe poststrukturalistischer Kul- gleichwohl nicht bei der reinen Beschrei- Argument. Eine Untersuchung regiona-
turgeographie – lassen die räumliche bung und unkritischen Bestandsaufnah- lisierender Begründungspraxis am Bei-
Welt zumeist entweder als reines Ne- me stehen bleiben. Argumentationsana- spiel „Mitteldeutschland“. Stuttgart.
beneinander gleichberechtigter, aber un- lyse ist nicht nur als eine Art linguistische Fischer, P. (2004): Philosophie der Tech-
verbundener Sinnwelten oder aber als Formenlehre zu verstehen. Selbstver- nik. München.
machtbasierte Widerstands- bzw. Unter- ständlich kann eine außerwissenschaft- Gäbler, K. (im Druck): Gesellschaftlicher
werfungskonstellation erscheinen. Dass liche Aufklärung und Sensibilisierung Klimawandel. Eine Sozialgeographie der
Akteure aber einander überzeugen wol- hinsichtlich räumlicher Setzungen und ökologischen Transformation. Stuttgart.
len und dass sie unter Umständen diffe- Typisierungen befördert werden – Medi- Gregory, D. (1995): Imaginative Geogra-
rente Grundannahmen, Positionen und ations- und Planungsprozesse wären phies. In: Progress in Human Geogra-
Geographien tatsächlich ausdrücken, Zielkontexte eines möglichen Transfers. phy 19, H. 4, S. 447-485.
verstehen und sich aneignen können – Nicht die Konvergenz, aber die Transpa- Habermas, J. (1995 [1980]): Vorstudien
das wird im Detail erst mit einem argu- renz widerstreitender Positionen könnte und Ergänzungen zur Theorie des kom-
mentationstheoretischen Zugang nach- erlangt werden mit der Problematisie- munikativen Handelns. Frankfurt.
vollziehbar. Neben der Grobkategorie rung des scheinbar Unproblematischen Harendt, A. u. D. Sprunk (2011): Erzählter
der Machtressourcen gibt es ganz offen- und Selbstverständlichen und als Sicht- Raum und Erzählraum: (Kultur)Raumkon-
sichtlich immer auch Elemente sprach- barmachung des unausgesprochen Un- struktion zwischen Diskurs und Perfor-
licher Verbindlichkeit und Rationalität, terstellten. Gerade raumbezogenes Wis- manz, Social Geography 6, H. 1, S. 15-27.
die zur (Re-)Produktion von Geographi- sen scheint in hohem Maße solch einer Heath, C. u. P. Luff (2000): Technology
en im Allgemeinen und von Regionen im Explikation und Bewusstmachung zu be- in Action. Cambridge.
Speziellen beitragen. Gründe für stritti- dürfen. Jessop, B., N. Brenner u. M. Jones (2008):
ge Behauptungen und die Kenntnisse Theorizing sociospatial relations, Envi-
der Akteure über Voraussetzungen und Literatur ronment and Planning D: Society and
Geltungsbedingungen von Argumenten Bohnsack, R. (2009): Qualitative Bild- Space 26, S. 389-401.
fungieren als normierte und sozial kon- und Videointerpretation. Opladen. John, J. (2001): Gestalt und Wandel der Mit-
trollierte „Wissensgeneratoren“. Nur die- Brandom, R. (2000): Expressive Ver- teldeutschland-Bilder. In: John, J. (Hrsg.):
jenigen Akteure, die mit ihren Argumen- nunft. Begründung, Repräsentation Mitteldeutschland. Begriff − Geschichte −
ten gekonnt an gemeinsam geteilte und diskursive Festlegung. Frankfurt. Konstrukt. Rudolstadt, S. 17-68.
Überzeugungen und Wissensbestände Brandom, R. (2001): Begründen und Be- Kazig, R. u. P. Weichhart (2009): Die
anschließen, können die Verbindlichkeit greifen. Eine Einführung in den Infe- Neuthematisierung der materiellen
und Überzeugungskraft von Argumen- rentialismus. Frankfurt. Welt in der Humangeographie, Berich-
ten sozial nutzbar machen. Dodge, M., R. Kitchin (2005): Codes of te zur deutschen Landeskunde 83, H. 2,
Deshalb kann die Konstruktion einer life: identification codes and the ma- S. 109-128.
Region als gemeinschaftliche, überindivi- chine readable world. Environment Kirsch, S. (2012): Cultural Geography I:
duell verbindliche Idee besser verstan- and Planning D: Society and Space 23 Materialist turns, Progress in Human
den werden, wenn man die alltagsweltli- (6), S. 851-881. Geography 37, H. 3, S. 433-441.

57
Europa Regional 21, 2013 (2015) 1-2

Knoblauch, H. (2006): Videography. Fo- Paasi A. (2003) Region and place: region- economy. In: Journal of Economic Ge-
cused Ethnography and Video Analysis. al identity in question. In: Progress in ography 4, H. 4, S. 351-370.
In: Knoblauch, H., B. Schnettler, J. Raab Human Geography 27, H. 4, S. 475-485. Toulmin, S. (19962 [1958]): Der Ge-
u. H.-G. Soeffner (Hrsg.): Video Analy- Paasi, A. (2013): Regional Planning and brauch von Argumenten. Weinheim.
sis: Methodology and Methods. Frank- the Mobilization of ‘Regional Identity’: Weihe, A., T. Pritzlaff, T. Felgenhauer
furt u.a., S. 69-83. From Bounded Spaces to Relational u. B. Baumgarten (2008): Wie wird in
Kopperschmidt, J. (2000): Argumentati- Complexity. In: Regional Studies 47, H. politischen Gremien entschieden? Kon-
onstheorie. Eine Einführung. Hamburg. 8, S. 1206-1219. zeptionelle und methodische Grundla-
Kremer, D. (2013): Orts(re)konstruktio- Porter, K. u. M. Hulme (2013): The gen der Gremienanalyse. In: Politische
nen. Analyse der Mikrostruktur ortsbe- emergence of the geoengineering de- Vierteljahresschrift. Zeitschrift der
zogener Argumentationsmuster in Er- bate in the UK print media: a frame Deutschen Vereinigung für politische
innerungsnarrativen Bamberger Ein- analysis. In: The Geographical Journal Wissenschaft 49, H. 2, S. 339-359.
wohner. Berichte. Geographie und 179, H. 4, S. 342-355. Werlen, B. (1997a3): Gesellschaft, Hand-
Landeskunde 87, H. 2, S. 175-193. Reckwitz, A. (2008): Praktiken und Dis- lung und Raum. Grundlagen hand-
Laurier, E. u. C. Philo (2006): Natural kurse. Eine sozialtheoretische und lungstheoretischer Sozialgeographie.
Problems of Naturalistic Video Data. In: methodologische Relation. In: Kalthoff, Stuttgart.
Knoblauch, H., B. Schnettler, J. Raab u. H., S. Hirschauer u. G. Lindemann Werlen, B. (1997b): Sozialgeographie
H.-G. Soeffner (Hrsg.): Video Analysis: (Hrsg.): Theoretische Empirie. Zur Re- alltäglicher Regionalisierungen. Band
Methodology and Methods. Frankfurt levanz qualitativer Forschung. Frank- 2: Globalisierung, Region und Regiona-
u.a., S. 181-190. furt, S. 188-209. lisierung. Stuttgart.
Lippuner, R. (2005): Raum – Systeme – Richner, M. (2007): Das brennende Werlen, B. (19992): Sozialgeographie all-
Praktiken. Zum Verhältnis von Alltag, Wahrzeichen. Zur geographischen Me- täglicher Regionalisierungen. Band 1:
Wissenschaft und Geographie. Stuttgart. taphorik von Heimat. In: Werlen, B. Zur Ontologie von Gesellschaft und
Luutz, W. (2002): Region als Programm – (Hrsg.): Sozialgeographie alltäglicher Raum. Stuttgart.
zur Konstruktion sächsischer Identität Regionalisierungen, Bd. 3: Ausgangs- Werlen, B. (2010): Epilog. In: Werlen, B.:
im politischen Diskurs. Baden-Baden. punkte und Befunde empirischer For- Gesellschaftliche Räumlichkeit 2 – Kon-
Marxhausen, C. (2010): Identität – Re- schung. Stuttgart, S. 271-295. struktionen geographischer Wirklich-
präsentation – Diskurs. Eine hand- Roelcke, T. (1999): Fachsprachen. Berlin. keiten. Stuttgart, S. 321-338.
lungsorientierte linguistische Diskurs- Rutz, W. (2001): Mitteldeutschland. Po- Wodak, R., R.De Cillia, K. Reisigl, K.
analyse zur Erfassung raumbezogener litisch geprägter Wandel eines geogra- Liebhart, K. Hofstätter u. M. Kargl
Identitätsangebote. Stuttgart. phischen Begriffes im 20. Jahrhundert. (1998): Zur diskursiven Konstruktion
Mattissek, A. (2008): Die neoliberale In: Meck, S. u. P. Klussmann (Hrsg.): Ge- nationaler Identität. Frankfurt.
Stadt. Diskursive Repräsentationen im sellschaft und Kultur. Neue Bochumer Zierhofer, W. (2002): Speech acts and
Stadtmarketing deutscher Großstädte. Beiträge und Studien 1. Festschrift für space(s): Language pragmatics and the
Bielefeld. Dieter Voigt. Münster, S. 335-358. discursive constitution of the social. In:
Mattissek, A. u. G. Glasze (2009): Dis- Salmon, W. (1983): Logik. Stuttgart. Environment & Planning D: Society and
kursforschung in der Humangeographie. Schelsky, H. (1961): Der Mensch in der Space 34, H. 8, S. 1355-1372.
In: Mattissek, A. u. G. Glasze (Hrsg.): wissenschaftlichen Zivilisation. Köln/
Handbuch Diskurs und Raum. Theorien Opladen.
und Methoden für die Humangeographie Schlottmann, A. (2005): RaumSprache
sowie die sozial- und kulturwissenschaft- – Ost-West-Differenzen in der Bericht-
liche Raumforschung. Bielefeld, S. 11-59. erstattung zur deutschen Einheit. Eine
Micheel, M. u. F. Meyer z. Schwabedissen, sozialgeographische Theorie. Stuttgart.
(2005): Sprache und Raum – zu Mecha- Schmid, H., u. K. Gäbler (2012) (Hrsg.):
nismen sprachlich-rhetorischer Raum- Perspektiven sozialwissenschaftlicher
konstruktionen. Die Beispiele Leipzig Konsumforschung. Stuttgart.
und Erzgebirge. In: Berichte zur deut- Schultz, H.-D. (2004): Der „Stein des An- Dr. habil. Tilo Felgenhauer
Friedrich-Schiller-Universität Jena
schen Landeskunde 79, H. 4, S. 411-435. stoßes“ (Riehl): „Mitteldeutschland“.
Institut für Geographie
Miggelbrink, J. u. A. Schlottmann Antworten der klassischen Geographie. Abt. Sozialgeographie
(2009): Visuelle Geographien – ein Edi- In: Berichte zur deutschen Landeskun- Löbdergraben 32
torial, Social Geography 4 (Special Is- de 78, H. 3, S. 371-399. 07743 Jena
sue „Visual Geographies – Visuelle Storper, M. u. A. Venables (2004): Buzz: Tilo.Felgenhauer@uni-jena.de
Geographien“), S. 13-24. face-to-face contact and the urban

58
Tilo Felgenhauer: Regionalität als Rationalität. Die argumentative Konstruktion von Regionen

Résumé Peзюме
Tilo Felgenhauer Тило Фельгенхауэр
Le régionalisme en tant que rationalisme. La structuration Региональность как рациональность. Аргументативная
argumentative des régions конструкция регионов
Les principes actuels de géographie sociale et culturelle étu- Современные подходы в социальной и культурной геогра-
dient les espaces, les communes et les régions en tant que pro- фии предполагают изучение пространств, местностей и
duits d’une pratique quotidienne. Depuis la terre supposée регионов как продуктов повседневной практики. Из пред-
ferme ou le cadre physique et matériel des phénomènes so- полагаемого физико-материального контекста социаль-
ciaux, l’”espace” se transforme lui-même en résultat des bases ных явлений «пространство» само превращается в резуль-
de signification et des actions de structuration. Au sens du тат социально значимых конструкций. Для целей «линг-
“tournant linguistique” des sciences sociales et cognitives, la вистического поворота» (linguistic turn) в общественных и
langue, la communication et l’interaction constituent des ins- гуманитарных науках язык, коммуникации и взаимодей-
tances de production essentielles. ствия являются важными инстанциями производства про-
Il serait insuffisant de répondre à cette réorientation ontolo- странства.
gique par une relativisation et un scepticisme forfaitaire au ni- Недостаточно ответить на эту онтологическую переори-
veau de la réalité des phénomènes spatiaux. Les théories ac- ентацию паушальной релятивизацией и скепсизом, отно-
tuelles de la géographie culturelle et sociale se sont donc don- сительно реальности пространственных явлений. Поэто-
né pour mission de voir quelles étaient les possibilités de му современные подходы культурной и социальной гео-
reconstituer méthodologiquement la structure quotidienne de графии взяли на себя задачу изучить пути и возможности
la réalité spatiale (par exemple sous forme de discours, narra- методической реконструкции пространственной реально-
tion, argumentation). сти (например, в виде дискурса, повествования, аргумен-
L’argumentation en tant que pratique courante, le fait de тации). Аргументация как повседневная практика
“donner et d’exiger des raisons” (Brandom) permet en l’occur- (Brandom) даёт здесь возможность применения особого
rence un accès analytique particulier car, au cours de cette ar- аналитического подхода, поскольку в ходе аргументации
gumentation et motivation, en plus du contenu évident des as- и обоснований наряду с очевидным содержанием выска-
sertions, on exprime et on négocie aussi les conditions de vali- зываний выражаются и обсуждаются также условия и по-
dité et les conséquences de ces assertions. Dans des следствия их применения.
témoignages ou des citations en langage commun (par exemple В выдержках из повседневной речи (например, записи
transcriptions d’interviews, documents, contenus médiatique), интервью, документы, медиа-контент) демонстрируются
on trouve des mentions d’hypothèses hasardeuses ou non re- доказательства как проблематичных, так и непререкае-
mises en question, contestées ou incontestées, concernant la мых, спорных и бесспорных предположениий о форме и
structuration et la nature des unités spatiales telles que les характере пространственных единиц, таких как местно-
communes, les régions ou les territoires. Il s’avère que des lo- сти, регионы или территории. Получается, что в качестве
giques la plupart du temps implicites et constitutives des es- ключевых выводов аргументации главным образом функ-
paces font la plupart du temps office de règles d’argumentation. ционируют имплицитные пространственные логики. Со-
L’échange social d’arguments constitue ainsi une pratique im- циальный обмен аргументами представляет собой таким
portante de la reproduction d’un savoir faisant référence à l’es- образом важную практику репродукции пространственно-
pace. го знания.

Analyse d‘argumentation, géographie sociale, régionalisation, identité Аргументативный анализ, социальная география, регионализа-
régionale ция, региональная идентичность.

59

Das könnte Ihnen auch gefallen