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Clemens Jäger

Thomas Heupel Hrsg.

Management
Basics
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre –
dargestellt im Unternehmenslebenszyklus
FOM-Edition

FOM Hochschule für Oekonomie & Management

Reihe herausgegeben von


FOM Hochschule für Oekonomie & Management, Essen, Deutschland
Dieses Werk erscheint in der FOM-Edition, herausgegeben von der FOM Hochschule für
Oekonomie & Management.

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/12753


Clemens Jäger · Thomas Heupel
(Hrsg.)

Management Basics
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre –
dargestellt im Unternehmenslebenszyklus
Hrsg.
Clemens Jäger Thomas Heupel
FOM Hochschule für Oekonomie & FOM Hochschule für Oekonomie &
Management Management
Essen, Deutschland Essen, Deutschland

ISSN 2625-7114 ISSN 2625-7122  (electronic)


FOM-Edition
ISBN 978-3-658-11228-8 ISBN 978-3-658-11229-5  (eBook)
https://doi.org/10.1007/978-3-658-11229-5

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lierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Lektorat: Angela Meffert

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Geleitwort der Hochschulleitung

Seit der Gründung der FOM Hochschule für Oekonomie & Management im Jahr 1991
steht der Transfer von Theorie und Praxis im Vordergrund der akademischen Ausbildung.
Die Studiengänge der FOM überwinden die Trennung von beruflichen und akademi-
schen Ausbildungsangeboten. Durch eine praxisorientierte Lehre können die Studieren-
den arbeitsmarktkonform ausgebildet werden und erhalten Unterstützung beim Transfer
der erlernten akademischen Inhalte in die Berufspraxis. Die Studierenden schätzen
dabei den intensiven Austausch mit ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen, die
unmittelbare Betreuung durch ihre Lehrenden sowie die stets praxisorientierte Lehr- und
Lernumgebung einer modernen und attraktiven Präsenzlehre, welche es erlaubt, den situ-
ativen und persönlichen Bedürfnissen der berufstätigen Studierenden gerecht zu werden.
Diese sogenannte FOM-Transferdidaktik ist inzwischen zu einem konstitutiven Konzept-
merkmal unserer Studiengänge geworden.
Viele Jahre erfolgreicher Lehre an der FOM Hochschule haben dabei gezeigt: Die
Herstellung von Synergien zwischen Beruf und Studium im Rahmen einer kompetenz-
orientierten Lehre ist aus Sicht des Arbeitsmarktes und auch aus motivationaler und lern-
psychologischer Perspektive ein klarer Vorteil. In Zeiten lebenslangen Lernens ist es
ein essenzieller Erfolgsfaktor, Wissen aus einem Kontext lösen, es mit Wissen aus einer
anderen Lernumgebung – z. B. dem Arbeitsplatz – zu vernetzen und es auf weitere, neue
Kontexte anwenden zu können.
Ende 2011 wurde – als wesentliche Ergänzung der bis dato bestehenden FOM-­
Publikationsreihen – mit der FOM-Edition eine wissenschaftliche Schriftenreihe der
Hochschule im Springer Gabler Verlag begründet. Die Besonderheit der Titel in den
Rubriken Lehrbuch und Fallstudienbuch liegt darin, dass den Studierenden die Lehr-
inhalte von Modulen in der zuvor gekennzeichneten und speziell für das berufs-
begleitende Studium aufbereiteten Form/Didaktik angeboten werden. Die FOM ergreift
mit der Herausgabe eigener Studienbücher die Initiative, der Zielgruppe der ausbildungs-
oder berufsbegleitend Studierenden bislang nicht erhältliche, passgenaue Lehrmittel zur
Verfügung zu stellen. Die Bände der FOM-Edition haben sich schnell etablieren kön-
nen und werden auch von anderen Hochschulen genutzt. Wegen der guten Resonanz
der Lehr- und Fachbücher wurde die FOM-Edition um weitere Formate ergänzt. So

V
VI Geleitwort der Hochschulleitung

werden auch praxisorientierte Fachbücher verlegt, die in Abgrenzung zu den wissen-


schaftlich-theoretischen Fachbüchern den Praxistransfer der FOM fokussieren und kon-
krete Handlungsimplikationen transportieren. Zudem ergänzt seit 2017 die International
Series, über die mit englischsprachigen Titeln die Internationalisierungsstrategie der
Hochschule flankiert wird, das Portfolio.
Mit dem vorliegenden Buch „Management Basics“ wird eine Lücke im Angebot
geschlossen: Das systematische und interdisziplinäre Grundlagenwerk für den Einstieg
in das wirtschaftswissenschaftliche Studium. Ich danke allen Kolleginnen und Kolle-
gen, die über mehrere Jahre an diesem Werk mitgearbeitet haben. Das vorliegende Buch
hat die Chance, ein wesentliches Fundament der Reihe zu werden und kann mit seiner
besonderen „Storyline“ des zu gründenden Unternehmens auch sehr gut und motivierend
bearbeitet werden. Es mildert daher auch die Einstiegshürde in ein qualifizierendes und
anspruchsvolles akademisches Studium auf eine kurzweilige, dynamische und didaktisch
ansprechende Weise ab.

Ich wünsche allen Studierenden eine bereichernde Lektüre.

Prof. Dr. Burghard Hermeier


Rektor der FOM Hochschule
Vorwort

Während man bei vielen Studiengängen an anderen Universitäten und Hochschulen


zunächst eine Vielzahl von einzelnen Fächern besucht, die sich erst nach und nach
wie Puzzleteile zu einem größeren Bild zusammensetzen, geht die FOM Hochschule
hier einen ganz anderen Weg. Das umfassende Grundlagenfach „Management Basics“
eröffnet die Vorlesungsreihe der betriebswirtschaftlichen Studiengänge und möchte
den Studierenden durch die gemeinsame Gründung eines Unternehmens betriebs-
wirtschaftliche Zusammenhänge direkt erlebbar machen: Von der Geschäftsidee über die
Gründungsphase bis hin zur Schieflage und zum Turnaround – Sie entwickeln mit Ihren
Kommilitoninnen und Kommilitonen einen Business Plan. Sie diskutieren und bewerten
alternative Geschäftskonzepte. Darüber hinaus lernen Sie Marketingkonzepte, alternative
Finanzierungsformen und vieles mehr kennen.
Auf diesem soliden Fundament bauen dann die späteren Fächer der Folgesemester
auf. Durch diesen „Gang durchs breite Feld“ erleben Sie die Fächer des sich anschlie-
ßenden grundständigen betriebswirtschaftlichen Studiengangs nicht als ein „Insel-
hopping“ von Themenfeld zu Themenfeld. Alles lässt sich in ein größeres Ganzes
einbeziehen und die Verbindungslinien der Module werden Ihnen schnell offenkundig.
Das, was seit vielen Jahren an der FOM Hochschule erfolgreich von zahlreichen
Dozierenden an den knapp 30 Hochschulzentren gelehrt wird, wurde in diesem Buch
durch viele Fachexperten partizipativ zusammengetragen und durch das Autorenteam
im Sinne eines geschlossenen Buches überarbeitet und inhaltlich verbunden. Es ist nicht
das Buch der Herausgeber, es ist das Buch all jener Dozierenden, die als fachlich aus-
gewiesene Kolleginnen und Kollegen das Konzept Management Basics an den FOM
Hochschulzentren mittragen. Dieses Buch und auch das bundesweit eingesetzte Folien-
skript konnten nur entstehen, weil wir es als „unsere gemeinsame Sache“ verstehen und
alle ihre Expertisen als Bausteine zum größeren Ganzen bereitwillig eingebracht haben.
An dieser Stelle sei den Autoren für die Erstellung der verschiedenen Kapitel zu dan-
ken: Prof. Dr. Dr. habil. Eric Frère und Prof. Dr. Alexander Zurek (Finanzierung),
Prof. Dr. Dr. Peter Kürble (Marketingkonzepte), Prof. Dr. Michael Göke (Angebot und
Nachfrage), Prof. Dr. Jens Schmittmann (Grundlagen HGB), Prof. Dr. Andreas Lühn

VII
VIII Vorwort

(Grundlagen Steuern), Gernot Keller und Prof. Dr. Thomas Kümpel (Aufbau der ­Kosten-
und Leistungsrechnung), Prof. Dr. Thomas Heupel und David Schrey (Wachstums-
finanzierung), Prof. Dr. Christian Hose (Risikomanagement), Prof. Dr. Volker Lombeck
(Liquiditäts- und Risikomanagement), Prof. Dr. Sebastian Krause (Insolvenzrecht),
sowie Prof. Dr. Frank Winnenbrock (Turnaround-Management) und Prof. Dr. ­Norbert
Lamar (Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung). Nicht zu vergessen sind auch alle in
der Koordinierung dieses Werks sehr engagierten Personen. Besonders zu nennen ist
hier Prof. Dr. Alexander Florenz, der über eine Entstehungszeit von nunmehr fast vier
Jahren unermüdlich die Koordination mit übernommen hat. Sämtliche Grafiken wurden
FOM-intern durch Nico Dunczyk und Ann-Kristin Hensen überarbeitet, sodass sie „aus
einem Guss“ sind. Das Buch wurde bewusst als „Skriptum“ angelegt, damit die Stu-
dierenden es auch als eine umfassende Mitschrift zu ihrem Einstiegsfach Management
Basics begreifen. Herr Kai Enno Stumpp hat aufseiten des FOM Publikationswesens die
Fäden in der Hand gehalten und Frau Angela Meffert hat aufseiten des Springer Gabler
Verlags in Wiesbaden großartig das Lektorat koordiniert. Ihnen allen gilt unser herzlicher
Dank!
Wir wünschen Ihnen, liebe Studierende, viel Freude bei der Lektüre und Erfolg
bei der Anwendung. Freuen Sie sich auf einen spannenden Einstieg in Ihr Studium
und die grundlegende Auseinandersetzung mit den Themenfeldern Management und
­Unternehmertum.

Prof. Dr. Dr. habil. Clemens Jäger


Dekan Betriebswirtschaftslehre
Prof. Dr. Thomas Heupel
Prorektor für Forschung
Inhaltsverzeichnis

Teil I  Grundlagen
1 Management Basics: Unternehmerische Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . 3
Saša Petković und Thomas Heupel
2 Produkt-/Unternehmenslebenszyklus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Thomas Heupel

Teil II  Gründungsphase des Produkt- und Unternehmenslebenszyklus


3 Geschäftsidee & Business Plan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Thomas Heupel
4 Finanzierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
Eric Frère und Alexander Zureck
5 Marketingkonzepte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
Peter Kürble
6 Angebot und Nachfrage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
Michael Göke
7 Grundlagen HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Jens M. Schmittmann
8 Grundlagen Steuern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
Andreas Lühn

Teil III  Wachstumsphase des Produkt- und Unternehmenslebenszyklus


9 Aufbau der Kosten- und Leistungsrechnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
Gernot Keller und Thomas Kümpel
10 Wachstumsfinanzierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
Thomas Heupel und David Schrey

IX
X Inhaltsverzeichnis

Teil IV  Reifephase des Produkt- und Unternehmenslebenszyklus


11 Risikomanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
Christian Hose
12 Liquiditätsmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
Volker Lombeck

Teil V  Sättigungsphase des Produkt- und Unternehmenslebenszyklus


13 Insolvenzrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
Sebastian Krause
14 Turnaround-Management. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
Frank Winnenbrock

Teil VI  Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung


15 Überblick und grundlegende Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
Norbert Lamar
16 Bruttoinlandsprodukt (BIP) als zentrale Größe
gesamtwirtschaftlicher Betrachtungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
Norbert Lamar
17 Zur Aussagefähigkeit und Interpretation des BIP. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
Norbert Lamar
Über die Herausgeber

Prof. Dr. Dr. habil. Clemens Jäger  ist Professor und Dekan
an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management in
Essen. Ferner doziert er langjährig an Hochschulen und Uni-
versitäten in Australien, Bosnien, den Niederlanden, Spanien
und Ungarn. In seinen Funktionen verantwortet er diverse
nationale und internationale Kooperationen zwischen Unter-
nehmen und Hochschulen. Speziell die Pflege und kontinuier-
liche Weiterentwicklung dieser Kooperationen ist eines seiner
primären Betätigungsfelder.
Im Rahmen seiner forschenden Tätigkeit beschäftigt sich
der studierte Wirtschaftswissenschaftler und Informatiker
unter anderem mit Frühwarnindikatoren im Rahmen der
Restrukturierung und Sanierung von Unternehmen.

Prof. Dr. Thomas Heupel  ist hauptberuflicher Dozent und


seit 2009 zudem Prorektor für Forschung an der FOM
Hochschule für Oekonomie & Management, Essen. Seine
­
Forschungsschwerpunkte liegen in den Feldern Erfolgs- und
Kostencontrolling, Automotive Industry, Ökologische Öko-
nomie sowie dem Management von KMU.

XI
Teil I
Grundlagen
2 Teil I  Grundlagen

Im ersten Teil von „Management Basics“ wollen wir Sie für Unternehmertum ganz all-
gemein begeistern. Um selbst (auch wenn dies hier nur gedanklich ist) leitend als Unter-
nehmer tätig zu werden, müssen Sie vom Unternehmergeist angesteckt und inspiriert
sein. Dies ist der „Entrepreneur“, der sich auf Grundlage seiner Idee selbstständig macht.
Ihm wollen wir folgen und seine Geschäftsidee „reif machen“. Im Rahmen von Kap. 1
sollen Sie als Studierende des Themenfeldes Ökonomie & Management ganz allgemein
an „unternehmerische Fragestellungen“ sowie „Entrepreneurship und Unternehmergeist“
mit all seiner Aufbruchsstimmung herangeführt werden.
Lassen Sie sich aktiv auf die Idee der Unternehmensgründung ein, so können
wir uns auf eine Reise der Unternehmensentwicklung machen. Dazu werden wir
Ihnen im Kap. 2 mit dem „Produkt- und Unternehmenslebenszyklus“ die Phasen der
­Unternehmensentwicklung aufzeigen und Ihnen zugleich auch die Grundkonzeption des
Buches vorstellen. Im Rahmen des zweiten Kapitels werden Ihnen daher die Struktur
und der Aufbau des Buches noch einmal dezidiert beschrieben. Die Herausgeber lassen
Sie dann aber mit dem Lesestoff nicht allein. Wir melden uns zwischen den Teilen noch
mal zu Wort, um Ihnen auch weiter Geleit durch das Buch zu geben. Wir hoffen sehr,
dass Sie sich mit unseren Hinweisen und Orientierungshilfen einen guten Weg durch das
breite Themenspektrum bahnen können.
Alle Kapitel des Buches können auch direkt einzeln angesteuert werden, aus Sicht
der Herausgeber lohnt sich aber zuvor der strukturierte Einstieg. Sobald Sie einen
Gesamtüberblick gewonnen haben, sind natürlich auch Studium und Nachbereitung
ausgewählter Themenfelder sinnvoll. Literaturhinweise am Ende eines jeden Kapitels
machen Sie mit der vertiefend zu bearbeitenden Literatur vertraut.
Management Basics: Unternehmerische
Fragestellungen 1
Saša Petković und Thomas Heupel

S. Petković 
University of Banja Luka, Banja Luka, Bosnia and Herzegovina
E-Mail: sasa.petkovic@ef.unibl.org
T. Heupel (*) 
FOM Hochschule für Oekonomie & Management, Essen, Deutschland
E-Mail: thomas.heupel@bcw-gruppe.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 3
C. Jäger und T. Heupel (Hrsg.), Management Basics, FOM-Edition,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-11229-5_1
4 S. Petković und T. Heupel

Inhaltsverzeichnis

Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Warum muss es Kapitäne und Steuerleute geben, die andere darin anleiten, ein
gemeinsames Ziel zu erreichen? So könnte man wohl die Fragestellung rund um Unter-
nehmertum und Gründung verdeutlichen. Es muss beide Gruppen geben: Die einen, die
risikobereit sind, Verantwortung übernehmen, Aufbruchsstimmung verbreiten und neue
Ideen schöpfen und auf der anderen Seite all jene, die ihre Arbeitskraft gerne in ein Unter-
nehmen einbringen, um Produkte oder Dienstleistungen zu erstellen. Es braucht beide!
Aber mit Management Basics und der Entwicklung eines Geschäftsmodells adressie-
ren wir zunächst die Gründer. All jene, die leistungsbereit und weniger risikoscheu sind.
Diese Personen wollen mit Innovationen in Prozessen, Produkten oder Dienstleistungen
neue Wege gehen. Dies nicht zuletzt auch, um hiermit Geld zu verdienen und Gewinne
zu realisieren. Formalziel des Unternehmens ist schließlich die Gewinnerzielung und
-maximierung. Sie kennen eine ganze Menge an erfolgreichen, inspirierenden Menschen.
Denken Sie z. B. an Richard Branson (Gründer von Virgin Atlantic), Bill Gates (Gründer
von Microsoft), Marc Zuckerberg (Gründer von Facebook) oder auch Ingvar Kamprad
(Gründer von Ikea).
Sie alle haben eine Geschäftsidee auf ihre Möglichkeit zur Umsetzung geprüft,
anschließend ein Geschäftsmodell dazu konzipiert und dieses erfolgreich weiter-
entwickelt. Ziel ist es dabei oftmals, eine noch neues Themen- und Anwendungsfeld, in
dem neueste Erkenntnisse der Wissenschaft in die betriebliche Anwendung und Nutzung
überführt werden, zu erschließen. Und dies muss ein Gründer (Entrepreneur) erkennen
und gestalten.
Bevor wir uns ganz konkret der Gründung widmen, wenden wir uns noch dem Wesen
des Entrepreneurs und Entrepreneurships zu.
Der heutzutage gebräuchliche Begriff Entrepreneur impliziert grundsätzlich (Unter-
nehmer-)Geist, Fleiß und Ideen (vgl. Siropolis 1995). Im selben Maße wie die unter-
nehmerischen Tätigkeiten komplexer geworden sind, hat sich das Konzept des
Entrepreneurs über die Zeit weiterentwickelt. Zu Beginn der Industriellen Revolu-
tion galten Entrepreneure als eine Art Zwischenhändler, in den seltensten Fällen als
„Produzenten“ (vgl. Fayolle 2007). Der Begriff Entrepreneur wird gemeinhin für jede
Person verwendet, die ein bestimmtes Unternehmen leitet, unabhängig davon, wer des-
sen Eigentümer ist. In der Vergangenheit hatte der Begriff Entrepreneur eine engere
Bedeutung und bezeichnete in der Regel nur solche Personen, die ihr eigenes Unter-
nehmen gegründet hatten. Das bedeutet, dass der Entrepreneur eine Person ist, die das
Risiko von Geschäftsvorhaben steuert und übernimmt.
Der Begriff „Entrepreneur“ stammt vom Französischen „entreprendre“, was so
viel bedeutet wie „unternehmen, beginnen, einleiten“. In der einschlägigen Literatur
­existieren verschiedene Definitionen: „According to Casson (1987) it is assumed that
the term entrepreneur was introduced into economy by Richard Cantillon in 1755“
1  Management Basics: Unternehmerische Fragestellungen 5

(Bremer 2009, S. 12). An anderer Stelle heißt es: „An entrepreneur, by definition, shifts
resources from the sector of low productivity and income, into the sector of high producti-
vity and income“ (Drucker 1991, S. 4). Jedenfalls würden die meisten heute bestehenden
­Unternehmen ohne Entrepreneure – also Menschen, die dazu neigen Risiken zu über-
nehmen und unternehmerische Tätigkeiten eigenhändig zu starten – nicht existieren.
Bereits im 19. Jahrhundert definierte Jean-Baptiste Say den Entrepreneur als eine Per-
son, die ökonomische Ressourcen aus einem Bereich niedriger Produktivität in einen
Bereich hoher Produktivität und höheren Ertrags verschiebt (vgl. Say 1855). Joseph
Schumpeter schrieb, dass die Funktion von Entrepreneuren die Reformation oder Revo-
lution von Produktionsweisen ist (vgl. Schumpeter 1934). Sie erreichen dies durch die
Ausschöpfung einer Erfindung (oder genereller gesprochen) eine bisher nicht genutzte
technologische Möglichkeit, neue Ware zu produzieren bzw. eine alte Ware auf eine neue
Art und Weise zu reproduzieren. Mithilfe einer Errichtung neuer Produktabsatzmög-
lichkeiten und die Reorganisation einer Industrie, generiert der Entrepreneur Wert durch
Innovation. Frank Hyneman Knight, einer der Gründer der sogenannten Chicagoer Schule
in der Wirtschaft (vgl. Knight 1921), versucht anhand der Lehre französischer Ökonomen
den Entrepreneur als eine Person zu definieren, die freiwillig Risiken übernimmt und Pro-
fit macht: als eine Belohnung für das Risiko (Fälle mit vorhersehbarer Wahrscheinlich-
keit und möglicher Versicherung) und als eine Belohnung für die Unsicherheit (Fälle mit
unvorhersehbarer Wahrscheinlichkeit und unmöglicher Versicherung).
Stam (2008) erklärt, dass in der gängigen Literatur zum Entrepreneurship die Rol-
len des Entrepreneurs in den ökonomischen Veränderungen mannigfaltig sind, sodass der
Entrepreneur folgendermaßen beschrieben werden kann:

• Eine Person, die immer mit Unsicherheit behaftet ist (vgl. Knight 1921);
• Innovator (vgl. Schumpeter 1934);
• der Branchenführer (vgl. Schumpeter 1934);
• Verteiler von Ressourcen auf unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten (vgl. Schultz
1975);
• Vermittler: eine Person, die die Aufmerksamkeit auf die Möglichkeiten lenkt (vgl.
Kirzner 1973, 1997);
• Organisator und Koordinator von ökonomischen Ressourcen (vgl. Marshall 1890);
• Entscheidungsträger (vgl. Casson 2003).

Nach Shepherd und Wiklund (2005) glaubt Stevenson, dass die Verfolgung von Möglich-
keiten den wichtigsten Bestandteil von Entrepreneurship ausmacht. Obwohl sich die
Definition des Entrepreneurs über die Zeit veränderte, bleibt eine Konstante in allen
Definitionen bestehen: Das Verständnis eines Entrepreneurs und einer Person, die Risi-
ken trägt, sind sehr eng miteinander verbunden.
Der Begriff Entrepreneurship wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts „geformt“ und
beschreibt eine Aktivität, die von Entrepreneuren ausgeführt wird (vgl. Drucker 1991).
Innovation beinhaltet nicht ausschließlich neue technische und technologische Lösungen,
6 S. Petković und T. Heupel

sondern ebenso neue Wege, existierende Ressourcen zu verwenden. Damit wird diesen
Ressourcen ein „ökonomischer“ Wert zuteil, welcher darüber hinaus von den Abnehmern
dieser Produkte und Dienstleistungen wahrgenommen und akzeptiert wird. Entrepreneur-
ship lässt sich weiterhin in großen Unternehmen (Corporate Entrepreneurship oder Intra-
preneurship), Banken, Krankenhäuser, Universitäten und Nichtregierungsorganisationen
in der Form des sogenannten Intrapreneurships wiederfinden.
Die kleine, unternehmerische Gesellschaft ist diejenige, welche (zusätzlich zur
Erfüllung von identifizierten Bedürfnissen bzw. Möglichkeiten und der Erstellung neuer
Werte) drastische Veränderungen in ihrem eigenen Wachstum und ihrer Entwicklung
erfährt. Gewöhnlich schlägt sich dies in exponentiellen Wachstums- und Entwicklungs-
raten nieder, die an der Zunahme von Investitionen, Arbeitsplatzschaffung und Profit-
wachstum gemessen werden. Viele Studien haben gezeigt, dass die Industrieländer,
welche Entrepreneurship und die Entwicklung des KMU-Sektors gefördert haben, ein
größeres wirtschaftliches Wachstum verzeichnen konnten (vgl. Schmitz 1989; Acs 1992;
Audretsch und Thurik 2000).
Schumpeter hinterließ durch seine Definition der Begriffe Entrepreneur und Entre-
preneurship (1934) deutliche Spuren. Er schrieb sehr umfangreich über die Beziehung
zwischen dem Entrepreneur und Innovationen, ebenso wie über die Rolle des Entre-
preneurs beim Erkennen von Chancen.
Entrepreneurship ist der Grundstein sozialen Fortschritts und Wohlbefindens jedes
Einzelnen. Als ein entscheidendes Kriterium für Kreativität repräsentiert Entrepreneur­
ship, zusätzlich zu Land, Arbeit, Kapital und Technologie, die Kunst eben diese zu kom­
binieren, um schließlich neue Produkte, Dienstleistungen und weitere ökonomische und
soziale Tätigkeiten herzustellen. Es lässt sich daher sagen, dass zusätzlich zu natürlichen
Faktoren, Arbeit, Kapital und Technologie, Entrepreneurship der wichtigste Erfolgs-
faktor im Unternehmen ist. Entrepreneurship kann daher als eine Reihe von mensch-
lichen Aktivitäten definiert werden, in deren Durchführung Ressourcen kombiniert
werden, um ein spezielles Geschäftsergebnis zu erzeugen.
Ein Zusammenhang von Entrepreneurship und sozialem Fortschritt, also wirtschaft-
liches Wachstum, wurde in einigen Studien abgebildet (vgl. Van Stel et al. 2005; Acs
1992; Audretsch und Thurik 2000; Wennekers und Thurik 1999). Entrepreneure unter-
scheiden sich von „üblichen“ Geschäftsinhabern bzw. Managern durch ihr visionäres
Denken. Immer ein Auge auf die Zukunft gerichtet, betrachten sie Innovationen syste-
misch als Instrument des Wandels und verändern zudem in vielen Fällen ihre bisherigen
Verhaltensmuster. Innovationskraft und die Bereitschaft Neuerungen (oder neue Wege
existierende Ressourcen zu kombinieren) zu akzeptieren, platzieren Entrepreneure unter
den sogenannten Vorreitern von Veränderungen.
Neben der Auswirkung auf das Wirtschaftswachstum, welche durch die Nutzung des
Entrepreneurships verursacht wird, zeigen Risikogeschäfte, die von Entrepreneuren ein-
gegangen werden, häufig einen Vektor starker struktureller, politischer, technologischer
sowie sozialer Veränderungen an. „These profound changes generate uncertainty and insta-
bility, which in turn creates the opportunity of creation of new economic activities“ (­Fayolle
2007, S. 19). Ausgehend von der Logik permanenter, struktureller Veränderungen wird das
1  Management Basics: Unternehmerische Fragestellungen 7

Konzept Entrepreneurship zu einer Philosophie, die nicht nur für die neuen, gewöhnlich
kleinen Unternehmen, aber auch für große Unternehmen, Regierungseinrichtungen, Uni-
versitäten und Organisationen aller drei Sektoren gilt. Drucker (1991) war einer der ers-
ten Autoren, der diesen Trend verzeichnete und argumentierte, dass heutige Unternehmen,
insbesondere große Unternehmen, den Trend zu schnellem Wandel und Innovation schlicht
nicht überstehen werden, wenn sie selber nicht Entrepreneurkompetenz erwerben.

Arten von Entrepreneurship


Entrepreneurship ist nicht exklusiv mit kleinen Unternehmen und neu gegründeten
KMUs verknüpft. Wir treffen Entrepreneurship auch im Unternehmens-, Regierungs-
und Non-Profit-Sektor an. Kleine Unternehmen leisten einen sehr signifikanten Beitrag
zum Entrepreneurship, da sie eine Quelle ausschlaggebender, innovativer Aktivitäten und
insbesondere radikaler Innovationen sind. Sie verkörpern daher ein wichtiges Instrument
des wirtschaftlichen Wandels (vgl. Acs 1992; Baumol 1993).
Für eine gute wirtschaftliche Entwicklung ist es sehr wichtig, dass alte Ideen von
neuen Ideen abgelöst werden und dass alte Produkte, Dienstleistungen und Prozesse
durch neue, bessere und effizientere ersetzt werden. Neue Ideen und Innovationen wer-
den häufig in neuen und kleinen Unternehmen entwickelt, die stark gewachsen sind und
oft neue Industrien begründeten. In den meisten Fällen haben diese Unternehmen weiter-
hin das Konzept des Entrepreneurships angewendet, um die Führungsposition auf dem
Weltmarkt zu erkämpfen. „Many of the best known and most successful Swedish compa-
nies such as IKEA, SKF, Tetra Pak, Aga and Electrolux were established and developed
from individual innovations“ (vgl. Shepherd und Wiklund 2005, S. 1).
Es gibt diverse Klassifikationen von Entrepreneurship. Die dabei gängigsten Klassi-
fikationen lauten externes Entrepreneurship (Entrepreneurship), d. h. Entrepreneurship in
den KMUs, und Corporate Entrepreneurship (Intrapreneurship).

Literatur

Acs, Z. (1992). Small business economics: A global perspective. Challenge, 35(6), 38–44.
Audretsch, D., & Thurik, A. (2000). Capitalism and democracy in the 21st century: From the
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Baumol, W. (1993). Entrepreneurship, management and the structure of payoffs. Cambridge: MIT
Press.
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­styles. Business Intelligence Journal, 2(1), 9–41.
Casson, M. (2003). The entrepreneur. An economic theory (2. Aufl.). Cheltenham: Elgar.
Drucker, P. F. (1991). Innovation and entrepreneurship: Practice and principles (2. Aufl.).
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Fayolle, A. (2007). Entrepreneurship and new value creation. The dynamic of the entrepreneurial
process. Cambridge: Cambridge University Press.
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8 S. Petković und T. Heupel

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Knight, F. H. (1921). Risk, uncertainty and profit. Boston: Hart Schaffer & Mark.
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Schumpeter, J. (1934). The theory of economic development. Cambridge: Harvard University
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Shepherd, D. A., & Wiklund, J. (2005). Entrepreneurial small businesses. A resource-based
­perspective. Cheltenham: Elgar.
Siropolis, N. C. (1995). Small business management (4. Aufl.). Zagreb: Mate.
Stam, E. (2008): Entrepreneurship and Innovation Policy. In: Jena Economic Research
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Van Stel, A. J., Carree, M. A., & Thurik, A. R. (2005). The effect of entrepreneurial activity on
national economic growth. Small Business Economics, 24, 311–321.
Wennekers, A. R. M., & Thurik, A. R. (1999). Linking entrepreneurship and economic growth.
Small Business Economics, 13(1), 27–55.

Prof. Dr. Saša Petković  ist assoziierter Professor an der Fakultät für
Wirtschaftswissenschaften der Universität Banja Luka (Bosnien und
Herzegowina). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den
Bereichen Entrepreneurship, Ökonomie und Management von KMU,
theoretische Ökonomie und Entrepreneurship im wissenschaftlichen
Bereich. Er hat 28 Beiträge in wissenschaftlichen Fachzeitschriften
und zu wissenschaftlichen Konferenzen sowie acht Monographien
(vier davon im Springer-Verlag) veröffentlicht. Forschungsaufent-
halte führten ihn u. a. in die USA und nach Großbritannien, China,
Brasilien, Spanien, Deutschland, Österreich, Holland, Bulgarien,
Slowenien, Serbien, Ungarn sowie Kroatien. Neben seiner Arbeit an
der Fakultät ist er seit 1999 als Projektmanager für die Ent-
wicklungsorganisation CARE International Balkans tätig.

Prof. Dr. Thomas Heupel ist hauptberuflicher Dozent und seit


2009 zudem Prorektor für Forschung an der FOM Hochschule für
Oekonomie & Management, Essen. Seine Forschungsschwerpunkte
liegen in den Feldern Erfolgs- und Kostencontrolling, Automotive
Industry, Ökologische Ökonomie sowie dem Management von
KMU.
Produkt-/Unternehmenslebenszyklus
2
Thomas Heupel

T. Heupel (*) 
FOM Hochschule für Oekonomie & Management, Essen, Deutschland
E-Mail: thomas.heupel@bcw-gruppe.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 9
C. Jäger und T. Heupel (Hrsg.), Management Basics, FOM-Edition,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-11229-5_2
10 T. Heupel

Inhaltsverzeichnis

Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Das Lehrbuch Management Basics soll die größeren betriebswirtschaftlichen


Zusammenhänge anhand des Unternehmenslebenszyklus aufzeigen (Abb. 2.1). Indem
wir ein Unternehmen von der Wiege bis zur Bahre begleiten, können wir die ver-
schiedenen betriebswirtschaftlichen Facetten einzeln betrachten und zunächst isoliert
dargestellte Themenfelder wie „Finanzierung“, „Marketing“, „Kostenrechnung“, „Steuern“
etc. wachsen dann für uns als Teile eines größeren Bildes zusammen.
Um das Konzept dieses Buches zu verstehen, müssen wir zunächst begreifen, dass
Zyklen immanent zum einzelbetrieblichen Wirtschaften und zur Ökonomie als Ganzes
gehören. Aus diesem Grunde möchten wir Sie zunächst mit den Zyklen der Ökonomie
vertraut machen.

Abb. 2.1   Der Unternehmenslebenszyklus


2 Produkt-/Unternehmenslebenszyklus 11

Die Zyklen in der Ökonomie1


Wissen Sie noch, als mit dem iPhone das erste Smartphone auf den Markt kam und
für Apple eine große Erfolgsgeschichte begann? Bis zu diesem Zeitpunkt telefonierte
man noch mit klobigen Geräten. Zu groß für kleine Hosentaschen und mit deutlich
reduziertem Funktionsumfang. Die konventionellen Mobilfunktelefone wurden durch
­
das iPhone und die Möglichkeiten, auf das Internet zugreifen zu können und Musik zu
hören, deutlich revolutioniert.
Bereits Anfang des neuen Jahrtausends hatte Steve Jobs als CEO von Apple die Idee,
einen Multi-Touch-Bildschirm zu entwickeln. Dieser Bildschirm – auf dem man direkt
Eingaben machen konnte – war zunächst für ein Tablet gedacht. Steve Jobs erkannte
aber, dass sich die Welt mit der Nutzung dieser Technologie durch mobile Telefone noch
viel drastischer verändern würde. Mit dieser Erkenntnis wurde 2004 mit der Entwicklung
des späteren iPhones bei Apple begonnen. Nach intensiver Entwicklungszeit und der
Anmeldung von zahlreichen Patenten wurde die erste iPhone-Generation am 9. Januar
2007 auf der Macworld Conference & Expo in San Francisco vorgestellt. Steve Jobs
persönlich lobte in seiner Produktpräsentation die einfach zu bedienende und ­trotzdem
extrem funktionelle Benutzeroberfläche. Am 29. Juni 2007 startete der Verkauf des
iPhone. Bis heute sind 18 Generationen des iPhone entwickelt worden.
Dieses sehr plakative Einstiegsbeispiel kennzeichnet einen Produktlebenszyklus, der
sich allerdings in sehr unterschiedlicher Länge und Intensität vollziehen kann. Aber nicht
nur die Betriebswirtschaftslehre kennt Zyklen. Auch die Volkswirtschaftslehre betrachtet
die weltwirtschaftliche Entwicklung und versucht seit Langem, die vielen verschiedenen
zyklischen Schwankungen zu erklären.
Aber machen wir uns selbst ein Bild: Wenn wir beispielsweise die Weltwirtschafts-
entwicklung von 1970 bis heute mit ihren „Ups & Downs“ betrachten, so zeigt Abb. 2.2,
dass Wachstum und Konjunktur eng miteinander verknüpft sind.
Es gilt als empirisch bestätigt, dass diese Schwankungen unregelmäßig erfolgen und
schwer prognostizierbar sind. Außerdem schwanken die meisten makroökonomischen
Daten (wie z. B. Einkommen, Gewinne, Investitionen, Konsum, Bruttoinlandsprodukt)
gemeinsam, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß (vgl. Mankiw und Taylor 2008,
S. 820 f.). Die Schwankungen werden von den Wirtschaftsakteuren als Änderungen der
allgemeinen Wirtschaftslage wahrgenommen, was wiederum Einfluss auf deren eigene
Disposition hat (vgl. Schumpeter 1961, S. 9).
Aber nicht nur die Konjunktur verläuft immer wieder in zyklischen Bewegungen,
auch bei großen technologischen Entwicklungen werden von den Wirtschaftswissen-
schaften wellenförmige Verläufe gesehen. Der russische Wirtschaftswissenschaftler

1Dieses Kapitel basiert auf einem Beitrag des Autors zum Thema „Zyklen in der Ökonomie –
folgen Konjunktur und Produktentwicklung zyklischen Gesetzmäßigkeiten?“ (vgl. Hoch und
Heupel 2010).
12 T. Heupel

Abb. 2.2   Entwicklung der Weltwirtschaft. (Quelle: In Anlehnung an OECD 2018, S. 12)

Nikolai Kondratjew2 entwickelte in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts eine


Theorie zur zyklischen Wirtschaftsentwicklung. In seiner Theorie der langen Wellen
beschreibt Kondratjew die durch Innovationen hervorgerufenen Technologiesprünge
(z. B. damals Eisenbahn, später dann Computer). Diese lassen sich ökonomisch auch
erklären, weil Investoren in neuen Technologien rentable Zukunftsbereiche sehen. Ihre
Investitionen führen zu ersten Erträgen, die weitere Investoren anlocken. In der Folge
kommt es zur Entwicklung von zahlreichen Produkten und Dienstleistungen. Die neue
Technik löst damit einen Boom aus. Dies wiederholt sich mit dem Eintritt einer Folge-
technologie, da sich nach und nach die Entwicklungsgeschwindigkeit abkühlt und eine
dann neue Technologie das bis dahin führende Verfahren ablöst.
Seine Theorie belegte Kondratjew mithilfe empirischer Daten aus Deutschland,
Frankreich, England und den USA und stellte die durchschnittliche Zyklusdauer mit
ca. 40 bis 60 Jahren fest. Der Wissenschaftler konnte damals bereits zweieinhalb sol-
cher langen Wellen feststellen, wobei er davon ausging, dass sich die dritte Welle Ende
der 1920er-Jahre ihrem Ende zuneigen würde, was schließlich mit dem Börsencrash und
der Weltwirtschaftskrise auch eintraf.3 Weitere Technologien und Zyklen sind d­ iesen
seither gefolgt. Abb. 2.3 gibt diese wieder. Heute ist das Thema „Industrie 4.0“ bzw.

2Geboren 1892, nach achtjähriger Haft vom Stalinregime 1938 hingerichtet.


3Kondratjew geriet in Konflikt mit Stalins doktrinärem Kommunismus, der den Tod des Kapitalis-
mus vorhersagte, während Kondratjew aus seiner Forschung heraus zutreffend einen Aufschwung
prognostizierte.
2 Produkt-/Unternehmenslebenszyklus 13

Abb. 2.3   Idealisierte Darstellung von Kondratjew im Zeitverlauf. (Quelle: in Anlehnung an


Händler 2005, S. 27)

„Digitale Transformation“ in aller Munde. Von diesen und dem „Internet of Things“ und
den sich bietenden Möglichkeiten wird wohl ein weiterer Kondratjew ausgehen.
Auch bei den auf einer Technologie basierenden Produkten lassen sich ähnliche
Trendentwicklungen sozusagen auf Mikroebene beobachten.
Dieser unterhalb einer Technologieentwicklung liegende Produktlebenszyklus mit
seinen vier Phasen soll nachfolgend verdeutlicht werden. Die hier zugrunde liegen-
den Theorien basieren auf den Arbeiten von Vernon (1966). Bei der Produktlebens-
zyklus-Analyse wird der komplette Zeitraum, in dem ein Produkt Auswirkungen auf ein
Unternehmen hat, betrachtet.
Die Entwicklung eines Produktes – von der Wiege bis zur Bahre – kann in vier
Schritte differenziert werden: Nach der Entwicklung des Produktes folgt zunächst die
Einführung (1), dann das Wachstum (2), die Reife/Sättigung (3) und schließlich die
Degeneration (4).
Je nachdem, in welcher Phase sich das Produkt dabei befindet, werden (Norm-)Stra-
tegien entwickelt (z. B. beim bekannten Vier-Felder-„Boston-Portfolio“ vgl. Müller-­
Stevens und Lechner 2005, S. 255 f.). Der Verlauf der Kurve in Abb. 2.1 zeigt, dass der
Umsatz in der Einführungsphase relativ langsam ansteigt, in der Wachstumsphase und
der Reifephase jedoch erheblich zunimmt. Nach seinem Höhepunkt in der Sättigungs-
phase nimmt er in der Degenerationsphase wieder ab, bis das Produkt aus dem Markt
ausscheidet oder sich der Umsatz auf niedrigem Niveau einpendelt. In der Literatur
wird vor der Einführungsphase oft die vorgelagerte Entwicklungsphase des Produktes
14 T. Heupel

erwähnt, in welche Forschung und Entwicklung sowie Testläufe fallen, sodass schon
(teils erhebliche) Kosten anfallen, bevor es zu Erlösen kommt. Am Ende dieser Phase
wird das ­Produkt auf den Markt gebracht, wobei auch hier zunächst die Kosten die ersten
Umsätze übersteigen, da umfangreiche Verkaufspolitik betrieben wird. In der Wachstums-
phase wird dann meist der erste Gewinn erzielt. Diese Tatsache lockt die Konkurrenz auf
den Markt. In der Reifephase wird das höchste Absatzvolumen erreicht. Es kommt zum
Preisverfall, da immer mehr Wettbewerber gleichartige Produkte in den Markt bringen.
Die Sättigungsphase bildet den Wendepunkt des Produktlebenszyklus mit dem Umsatz-
maximum. Die Verkaufsmengen und Umsätze gehen zurück. In der Degenerations-
phase wird das Produkt aufgrund sinkender Umsätze bzw. negativer Deckungsbeiträge
­(Brutto-Erfolge) aus dem Markt genommen (vgl. Pufahl 2006, S. 105).
Kommen wir nun aber zum Lebenszykluskonzept, dem das vorliegende Lehrbuch
Management Basics folgt. Auch bei einem Unternehmen können wir die vorbezeichneten
Phasen vorfinden:

1. Die Gründungsphase: Unmittelbar bei Markteintritt muss das neue Unternehmen


durch Werbung und Public Relations auf sich aufmerksam machen. Wer als erster in
einem noch neuen Markt Akzeptanz findet, hat gute Chancen, die nächsten Phasen zu
erreichen. Aufgrund der bereits aufgelaufenen Kosten für die Marktanalyse, Produkt-
entwicklung und die Werbung für das neue Unternehmen werden aber noch keine
Gewinne erzielt. Die Gründungsphase ist beendet, wenn der Break-Even erreicht ist,
die Erlöse des Unternehmens also die eigenen Kosten erstmals übersteigen.
2. Die Wachstumsphase: Innerhalb der sich anschließenden Wachstumsphase werden
meist (erstmals) Gewinne erzielt, obwohl die Ausgaben für weitere Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter, neue Vertriebs- oder auch Produktionsstandorte sowie für vertrieb-
liche Maßnahmen anhaltend hoch sind. Diese Phase ist durch starkes Wachstum
gekennzeichnet und die Wettbewerber werden auf diese positive Entwicklung auf-
merksam. Sie versuchen daraufhin, mit eigenen Produkten ein „Stück vom Kuchen“
abzubekommen. Aus diesem Grunde wird für das Unternehmen die Preis- und
Konditionenpolitik wichtiger.
3. Die Reifephase: Die nachfolgende Reifephase ist im Regelfall die profitabelste Phase
im Lebenszyklus eines Unternehmens. Das Unternehmen ist in der Branche bekannt
und wird von den Kundinnen und Kunden geschätzt. Man befindet sich im engen Dia-
log mit der Kundschaft und versucht, neuen technologischen Entwicklungen und den
Bedürfnissen der Kundschaft durch Modifikationen des Geschäftsmodells bzw. der
Produkte im Produktionsprogramm gerecht zu werden.
Aufgrund der zunehmenden Konkurrenz wird zwar der Wettbewerbsdruck in der
Branche auch für das von uns betrachtete Unternehmen größer, sodass der Preis an
Bedeutung gewinnt. Da aber das Unternehmen, das als erstes den Markt betreten hat,
auch über Größendegressionseffekte verfügt (sogenannte „Economies of Scale“),
kann es diesen Kampf zunächst gut durchstehen.
4. Die Sättigungsphase mit anschließender Degeneration: Nach der zuvor
beschriebenen positiven Entwicklung tritt erfahrungsgemäß irgendwann die Sättigung
2 Produkt-/Unternehmenslebenszyklus 15

der Märkte ein. Die Technologie wird durch eine neue abgelöst und das Produktions-
programm unseres Unternehmens hat kein Marktwachstum mehr und folglich gehen
Umsätze und Gewinne zurück. Durch verschiedene Modifikationen kann man nun
versuchen, mehr Kundschaft zu gewinnen. Beispiele dafür sind McDonald’s oder
Coca-Cola, die durch die stetige Modifikation und Erweiterung der Produkte das
Absatzniveau halten können. In aller Regel aber endet die Sättigungsphase, wenn
die Umsatzerlöse die Deckungsbeitragsgrenze wieder unterschreiten, wenn also
keine Erfolgsbeiträge mehr erzielt werden können. An diesen sehr negativen Moment
schließt dann unmittelbar die Degeneration an: Der Markt schrumpft und der Umsatz-
rückgang kann nicht selten auch durch gezielte Marketingmaßnahmen nicht mehr
abgefangen werden.

Eine Alternative zur Elimination des unprofitablen Geschäftsbereichs bietet sich allen-
falls durch den Relaunch (Rekonsolidierungsphase). Es kann erwogen werden, der
bestehenden Technologie durch eine Modifikation einen neuen Aufschwung zuzuführen.
Das würde das Unternehmen (oder den Geschäftsbereich) am Leben erhalten.
Die daraus abgeleitete Aufgabe des Marketings in unserem betrachteten Unternehmen
ist es daher, die eigenen Produkte im Lebenszyklus zu überwachen, Schwachstellen zu
entdecken und mit geeigneten Strategien gegenzusteuern. Des Weiteren muss ein aus-
gewogenes Produktprogramm hinsichtlich der Lebenszyklusphasen geschaffen werden,
sodass möglichst jedes strategische Segment besetzt ist (vgl. Vollmuth 2006, S. 75). Die
Produktentwicklung sollte rechtzeitig mit der Entwicklung neuer Produkte beginnen, die
als Ersatz für die ausscheidenden Produkte in den Markt gebracht werden. Ebenso sollten
auf dem Markt ausreichend Produkte in der Wachstums- oder Reifephase platziert sein,
um mit dem erwirtschafteten Cashflow Investitionen und Innovationen zu finanzieren.
Nachdem wir Ihnen die „Story-Line“ unseres Buches vorgestellt haben, haben Sie
hoffentlich Gefallen daran gefunden, nun ein Geschäftskonzept zu entwickeln. So wollen
wir mit dem „Business Plan einer neuen Geschäftsidee“ beginnen.
Viel Spaß und Erfolg!

Literatur

Händler, E. (2005). Kondratieffs Welt. Moers: Brendow & Sohn.


Hoch, G., & Heupel, T. (2010). Zyklen in der Ökonomie. DIAGONAL, Zeitschrift der Universität
Siegen, 31, 63–79.
Mankiw, N. G., & Taylor, M. P. (2008). Grundzüge der Volkswirtschaftslehre (4. Aufl.). Stuttgart:
Schäffer-Poeschel.
Müller-Stevens, G., & Lechner, C. (2005). Strategisches Management (3. Aufl.). Stuttgart: Schäf-
fer-Poeschel.
OECD. (2018). OECD Economic Outlook, 2018(1). Paris: OECD Publishing.
Pufahl, M. (2006). Vertriebscontrolling (2. Aufl.). Wiesbaden: Gabler.
Schumpeter, J. A. (1961). Konjunkturzyklen (Bd. 1). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Vernon, R. (1966). Product Cycle. The Quarterly Journal of Economics, 80(2), 190–207.
Vollmuth, H. (2006). Controllinginstrumente (4. Aufl.). Freiburg: Haufe.
16 T. Heupel

Prof. Dr. Thomas Heupel ist hauptberuflicher Dozent und seit


2009 zudem Prorektor für Forschung an der FOM Hochschule für
Oekonomie & Management, Essen. Seine Forschungsschwerpunkte
liegen in den Feldern Erfolgs- und Kostencontrolling, Automotive
Industry, Ökologische Ökonomie sowie dem Management von
KMU.
Teil II
Gründungsphase
des Produkt- und Unternehmenslebenszyklus
18 Teil II  Gründungsphase des Produkt- und Unternehmenslebenszyklus

Eine erfolgreiche Gründung setzt eine bestechende Geschäftsidee voraus. In den fol-
genden Kap. 3 bis 8 werden Sie daher zunächst mit verschiedenen Kreativitätstechniken
vertraut gemacht. Diese können Sie (z. B. innerhalb einer Gruppe bzw. dem Gründungs-
team) einsetzen, um alternative Geschäftsideen zu entwickeln. Aus diesen kann dann
anschließend mithilfe eines Bewertungsverfahrens (z. B. Scoring-Verfahren) eine Selek-
tion der besten und konsensfähigen Geschäftsidee erfolgen. Mit dieser kann es dann wirk-
lich losgehen. Hierfür wird der Business Plan geschrieben und bei einem potenziellen
Kapitalgeber werden finanzielle Mittel eingeworben. Erst wenn diese Hürden genommen
wurden, kann die echte Gründungsphase starten.
Unmittelbar bei Markteintritt muss das Unternehmen dann durch Werbung und Pub-
lic Relations auf das neue Produkt aufmerksam machen. Wer als erster im Markt star-
tet, hat gute Chancen, „Vorzugsgewinne“ als „First Mover“ zu generieren. Es gibt
demgegenüber aber auch Beispiele im Wirtschaftsleben, wo die bessere Technologie
aufgrund einer nur stiefmütterlich geführten Werbekampagne bei Produktstart von der
technologisch unterlegenen Konkurrenz überholt wurde. So war beispielsweise bei den
Videorecordern das Videosystem 2000 technologisch ausgereifter als die VHS-Techno-
logie. Allerdings waren der machtvolle Markteintritt und geschickteres Agieren der
Anbieter der schwächeren Technologie marktbestimmend. In dieser ersten Phase treten
die Unternehmen mit hohem Aufwand (z. B. großem Werbebudget) in Vorlage, auch die
Umsätze steigen allmählich an. Aufgrund der aufgelaufenen Kosten für die Produktent-
wicklung und die Kommunikationspolitik werden aber noch keine Gewinne erzielt. Die
Gründungsphase ist beendet, wenn der Break-Even erreicht ist, die Erlöse also die Kos-
ten erstmals übersteigen.
Im Rahmen der folgenden Abschnitte lernen Sie die verschiedenen Aspekte eines
Business Plans kennen (Kap. 3), können verschiedene Formen der Finanzierung (Kap. 4)
differenzieren und werden dazu angeleitet, ein Marketingkonzept (Kap. 5) zu ent-
wickeln. Sind Sie erfolgreich mit Ihrem Produkt auf dem Markt angekommen, so treffen
dort Angebot und Nachfrage (Kap. 6) aufeinander und Sie müssen sich mit den Grund-
lagen HGB (Kap. 7) sowie den Grundlagen Steuern (Kap. 8) beschäftigen.
Geschäftsidee & Business Plan
3
Thomas Heupel

T. Heupel (*) 
FOM Hochschule für Oekonomie & Management, Essen, Deutschland
E-Mail: thomas.heupel@bcw-gruppe.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 19
C. Jäger und T. Heupel (Hrsg.), Management Basics, FOM-Edition,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-11229-5_3
20 T. Heupel

Inhaltsverzeichnis

3.1 Geschäftsidee, die Person des Gründers und das Team. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21


3.2 Der Business Plan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
3.2.1 Management Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
3.2.2 Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
3.2.3 Produkte/Anwendung und Herstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
3.2.4 Markt und Wettbewerb. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
3.2.5 Marketing und Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
3.2.6 Management und Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
3.2.7 Finanz-/Dreijahresplanung – Wirtschaftlichkeitsberechnungen &
Finanzübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
3.2.8 Chancen und Risiken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
3.2.9 Finanzbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

Nun geht es los! Wir benötigen eine Geschäftsidee, die wir im Rahmen dieses Kapi-
tels zu einem strukturierten Business Plan ausarbeiten wollen. Ein potenzieller Kapital-
geber möchte das „Business-Modell“ bzw. die „Geschäftsidee“ aussagekräftig dargestellt
bekommen. Wenn Sie dieses Kapitel bearbeitet haben, werden Sie die Struktur eines
Business Plans kennen. Sie werden dann wissen, welche Anforderungen an das grün-
dende Team gestellt werden und welche formalen Voraussetzungen Sie bei der Erstellung
des Business Plans beachten müssen. Wir wollen also den Grundstein legen für ein lan-
ges Geschäftsleben unserer Idee. Dies wird mit dem bereits erläuterten Lebenszyklus
deutlich. Hier stehen wir nun ganz am Anfang (Abb. 3.1)!

Nach Abschluss dieses Kapitels können Sie die folgenden Fragen beantworten
• Wie können Sie eine Geschäftsidee systematisch verfolgen und was kenn-
zeichnet erfolgreiche Geschäftsmodelle?
• Welches Vorhaben und welches Ziel verfolgt der Business Plan?
• In welche Unterpunkte lässt sich ein Business Plan fassen und warum sollten
Sie dieser Sachlogik im Aufbau folgen?
• An welchen Adressatenkreis richtet sich der Business Plan und welche
Anforderungen haben diese?
• Welcher Nutzen entsteht für das Unternehmen und bestehen besondere
Anforderungen organisatorischer, technischer oder rechtlicher Art?

Und noch ein wichtiger Hinweis: Auch als didaktisches Mittel sollten Sie für die-
ses Kapitel gerne eine Gruppe bilden und verschiedene Ideen mit Hilfe von Kreativi-
tätstechniken entwickeln. Dabei lernen Sie auch die neuen Kommilitoninnen und
3  Geschäftsidee & Business Plan 21

Abb. 3.1   Der Lebenszyklus – als Ganzes

­ ommilitonen kennen, mit denen Sie das Modul „Management Basics“ besuchen. Sie
K
sind danach auch als Gruppe vertraut und können als Team Ihre Gründungsidee in den
weiteren Sitzungen gemeinsam entwickeln. Dabei beginnen wir mit drei oder vier Ideen-
skizzen, von denen Sie dann eine fokussieren und mittels der Nutzwertanalyse bewerten.
Und nun viel Spaß!

3.1 Geschäftsidee, die Person des Gründers und das Team

Wenn Sie sich mit Ihrer Gruppe aus vier bis sechs Personen vertraut gemacht haben
und gemeinsam erste Ideen für ein Geschäftsmodell entwickeln – und auch wieder ver-
werfen – dann wird Ihnen sicher auffallen, dass die verschiedenen Mitglieder der Gruppe
auch unterschiedliche Fähigkeiten aufweisen. Und das ist gut so! Wären alle im Team
gleich, so würde es keinen kritischen Diskurs geben und die verschiedenen Aufgaben
würden nicht von verschiedenen Personen mit individuellen Fähigkeiten auch gerne über-
nommen. Denken Sie dabei vielleicht an eine Segelcrew, die gemeinsam in See sticht. Es
muss einen Kapitän geben und andere Teammitglieder müssen auch eine „Halse“ oder
„Wende“ einleiten und Segel setzen bzw. Spaß daran haben, abends etwas gekocht zu
haben. Wir beschäftigen uns daher zunächst mit den Menschen – den Gründern. Erst
22 T. Heupel

dann wollen wir uns mit der Struktur des Business Plans und den verfügbaren Instrumen-
ten zur Erstellung eines solchen Schriftstücks beschäftigen.
„Unternehmensgründer bauen auf, schaffen Wert, fördern Wachstum sowie
Beschäftigung und treiben die technologische Entwicklung voran!“ (vgl. Konrad 2005,
S. 1). Als Grundlage für das unternehmerische Handeln im vorgenannten Sinn nennt
Braukmann drei Zielklassen (vgl. Braukmann und Schneider 2007, S. 157 ff.). Die erste
Zielklasse ist die Phase der Gründungssensibilisierung, in welcher eine erste ernsthafte
Auseinandersetzung mit dem Thema erfolgt. Hieran anschließend erfolgt die Gründungs-
mündigkeit (zweite Zielklasse). Diese ist erreicht, wenn der Entschluss zur Gründung
gefallen ist und die Person bereit ist, sich entsprechend weiter zu qualifizieren. Es folgt
die dritte Zielklasse: Das Erreichen der Gründungskompetenz im Sinne einer beruflichen
Handlungskompetenz. Dies bedeutet, dass die Umsetzung unmittelbar bevorsteht, ein
Konzept erstellt ist und der Gründer relevante Risiken einschätzen kann.
Was bedeutet dies nun konkret für uns als Gründerperson? In einem jungen Alter
von 18 bis 25 Jahren gründen nur wenige. Zumeist verfügen wir noch nicht über aus-
reichende Erfahrungen und haben auch noch keinen Kapitalstock gebildet. Erst mit
zunehmendem Alter fassen wir den Mut, selbst Unternehmerin oder Unternehmer zu
werden. Vielleicht sehen wir andere Menschen in unserem Lebensumfeld, die im Job
Karriere machen und fühlen uns benachteiligt. Wir haben doch auch große Fähigkeiten
und werden in unserem Unternehmen nicht „entdeckt“. Zudem verfügen wir über immer
mehr Wissen. Vielleicht haben wir uns durch ein Studium und ein paar Jahre Praxis-
erfahrung weiterqualifiziert. Wir haben Kenntnis über den Markt und haben auch schon
aus Misserfolgen gelernt. Vor diesem Hintergrund kann die Gründung in einer „Periode
der Wahlfreiheit“ zwischen 27 und 38 Sinn machen. Zudem sind wir in diesem Alter
zumeist noch ungebunden. Zu Beginn dieser Zeitspanne müssen wir noch nicht für eine
Familie und Kinder mitdenken. Sehr viel Energie kann auf die Existenzgründung gelenkt
werden und wir können von früh bis spät an unserer Geschäftsidee „schrauben“.
Lassen wir diesen Altersabschnitt jedoch vorbeiziehen, so lässt die „Gründungs-
energie“ auch wieder nach. Wir haben vielleicht selbst in der Zwischenzeit Karriere
gemacht und wir haben dabei ein Einkommensniveau erreicht, hinter welches wir in den
ersten Jahren nach Gründung wieder zurücktreten müssten. Vor diesem Hintergrund ist
für uns mit Gründung auch Risiko verbunden. Auch unsere zeitlichen Ressourcen sind
durch private Aktivitäten (nicht nur Familie) deutlich eingeschränkter. Vielleicht sind wir
mit Vereinsarbeit, Ehrenämtern oder auch der Pflege von Familienangehörigen zeitlich
beansprucht und können daher nicht mehr uneingeschränkt Zeit in eine „neue Zukunft“
investieren.
Vielleicht können Sie an diesen wenigen Ausführungen ersehen, dass es eine „gute
Zeit der Gründung“, die sogenannte „Periode der Wahlfreiheit“ gibt. Diese wird auch
von Abb. 3.2 grafisch dargestellt.
Der Gründer muss die Kraft des „Wollens“ und des „Könnens“ auch mit seinen
persönlichen Eigenschaften hinterlegen können. Damit wird deutlich, dass der Faktor
Persönlichkeit des Gründers besonders entscheidend für den Erfolg des Unternehmens
3  Geschäftsidee & Business Plan 23

Abb. 3.2   Die Periode der Wahlfreiheit – Wann ist der richtige Gründungszeitraum?

ist. Zu den Persönlichkeitsmerkmalen und Motiven erfolgreicher Gründer zählen laut


mehreren Autoren die Eigenschaften Leistungsmotivation, Machtstreben, Unabhängig-
keitsstreben, Machbarkeitsdenken und Risikobereitschaft (vgl. beispielsweise Klandt
2005, S. 20 f.). Weiter ist neben der Persönlichkeit des Gründers auch sein Umfeld zu
betrachten, denn der Gründungszeitraum und gerade das Management des Unternehmens
sind sehr zeit- und ressourcenintensiv (vgl. Konrad 2005, S. 59; Klandt 2006, S. 29 ff.).
Entscheidend für den Erfolg eines Geschäftsmodells ist auch – wie zuvor bereits
angeführt – die Zusammensetzung des Gründungsteams. Vielleicht haben Sie das
auch bereits in der Gruppenarbeit mit den anderen Studierenden so erlebt. Gerade die
Verzahnung der verschiedenen Studiengänge in Management Basics führt hier Stu-
dierende unterschiedlicher Disziplinen zusammen. Würden nur Betriebswirte alleine
miteinander reden, so könnten diese sicherlich betriebswirtschaftliche Fragestellungen
erfolgreich miteinander erörtern. Für eine innovative Idee bedarf es aber sicherlich
auch der Beteiligung von Ingenieuren, Wirtschaftspsychologen, Medienwirten und Teil-
nehmenden aus anderen fachlichen Disziplinen. Wie es auch die Abb. 3.3 darstellt, kön-
nen durch ein heterogenes Gründerteam die Schwächen der einzelnen Teammitglieder
kompensiert und verschiedene Fähigkeiten synergetisch kombiniert werden. Andererseits
impliziert Teamarbeit aber immer auch Abstimmungsbedarf. Es muss zwischen den ver-
schiedenen Perspektiven und den individuellen Zielvorstellungen immer auch moderiert
werden und Entscheidungsprozesse dauern durch vielfältige Abstimmungsrunden auch
länger. Instabilitäten im Gründerteam können dann zugleich auch zum Scheitern des
gesamten Gründungsvorhabens führen.
24 T. Heupel

Abb. 3.3   Vor- und Nachteile von Teamstrukturen

Nachdem wir uns nun zunächst um die Akteure der Geschäftsmodell-Entwicklung


gekümmert haben, wird der nächste Abschn. 3.2 das eigentliche Dokument – den Busi-
ness Plan – adressieren.

3.2 Der Business Plan

Was versteht man unter einem Business Plan und wozu dient er? Business Plan bedeutet
wörtlich übersetzt „Geschäftsplan“, was seiner großen Bedeutung im Geschäftsleben
kaum gerecht wird. Schwetje und Vaseghi fassen zusammen: „Im Prinzip kann ein Busi-
ness Plan als ein Dokument verstanden werden, das Ihr Geschäftsvorhaben als Ganzes
vermarktet, nämlich an potenzielle Kapitalgeber sowie an Ansprechpartner, auf deren
Unterstützung sie unternehmerisch angewiesen sind“ (Schwetje und Vaseghi 2005,
S. 1). „Wie der Name schon impliziert, wird ein Planungsdokument erstellt, das eine
bestimmte Geschäftsidee unter kommerziellen Gesichtspunkten analysiert und auf-
bereitet. Der Business Plan fokussiert den Autor auf die wesentlichen Komponenten,
die für eine erfolgreiche Umsetzung notwendig sind. Der Business Plan stellt damit
ein Entscheidungsdokument dar, aufgrund dessen finanzielle Mittel bereitgestellt wer-
den“ ­(Paxmann und Fuchs 2005, S. 15 f.). Ottersbach definiert allgemein: „Ein Business
Plan ist die Niederschrift von Zielen und deren Umsetzungsstrategien eines bestehenden
oder zu gründenden Unternehmens. Er kann die Planung des Unternehmens als Ganzes
oder von Teilbereichen zum Gegenstand haben. Der Business Plan kann eingedeutscht
auch als Geschäfts- oder Projektplan bezeichnet werden“ (Ottersbach 2007, S. 1). Laut
3  Geschäftsidee & Business Plan 25

­ tutely gibt ein Business Plan „im Allgemeinen den aktuellen Stand einer Organisation
S
wieder und legt eine Gesamtstrategie des Unternehmens für etwa fünf Jahre mit einem
detaillierten Betriebsplan und -budget für ein Jahr im Voraus fest“ (Stutely 2007, S. 34).
Bei genauer Betrachtung der vorgenannten Definitionen lassen sich verschiedene
Zwecke von Businessplänen ableiten (vgl. Willer 2007, S. 7; Stutely 2007, S. 36):

• Planung, d. h. die gedankliche Vorwegnahme der Umsetzung z. B. eines Geschäfts-
konzepts.
• Entscheidungsunterstützung, d. h. die Beurteilung zum Zweck einer Umsetzungsent-
scheidung.
• Finanzierungsersuchen, d. h. die Akquise von Kapital oder Fördergeldern für ein
­Vorhaben durch Vorstellung bei potenziellen Kapitalgebern.
• Kommunikation, d. h. die Bereitstellung von Informationen an potenzielle Unter-
stützer, z. B. Kapitalgeber.
• Kontrolle, d. h. die Abweichungsanalyse, die Erfolgskontrolle.

Zusammenfassend ergibt sich, dass Businesspläne sowohl externe als auch interne Zwe-
cke haben. Extern dient ein Business Plan als Visitenkarte des Unternehmens oder der
Geschäftsidee (vgl. Arnold 2006, S. 22). Der Business Plan soll beim Adressaten Inte-
resse wecken und diesen vom Erfolgspotenzial überzeugen (vgl. Ottersbach 2007,
S. 17). Intern stellt ein Business Plan ein Instrument der betrieblichen Unternehmens-
führung und -planung dar. Durch das Aufstellen eines Business Plans wird der Unter-
nehmer gezwungen, sich betriebswirtschaftlich detaillierter mit seiner Geschäftsidee
auseinanderzusetzen. Im Falle einer Existenzgründung stellt der Business Plan die
Entscheidungsgrundlage für den angehenden Unternehmer dar, ob sich eine Existenz-
gründung überhaupt lohnt. Zudem dient der Business Plan dem Unternehmer nach der
Unternehmensgründung weiterhin „als Planungsinstrument zur Erfolgskontrolle, als
Frühwarnsystem für unternehmensgefährdende Entwicklungen und als Entwicklungs-
hilfe für anstehende unternehmensbezogene Entscheidungen“ (Ottersbach 2007, S. 16).
Diese Aufgaben visualisiert auch die Abb. 3.4.
Der Business Plan wird demnach als zentrales Instrument zur Planung und Kapitalbe-
schaffung für Unternehmensgründungen verwendet (vgl. Nagl 2009, S. 13 f.; Schwetje
und Vaseghi 2005, S. 2; Streuck 1999, S. 12; Gillmann und White 2001, S. 11). Er eignet
sich als ein bedeutsames Instrument zur Planung und Strukturierung komplexer betriebs-
wirtschaftlicher Vorhaben. Darüber hinaus dient der Business Plan während und nach
der Realisierung als Controlling-Instrument, um die Erreichung der definierten Ziele
zu überprüfen und Gründe für mögliche Abweichungen zu ermitteln (vgl. Paxmann
und Fuchs 2005, S. 14–16; Nagl 2009, S. 13; Polichnei 2007, S. 172). Der Business
Plan hilft, Risiken frühzeitig zu erkennen, und verhindert, dass wesentliche Aspekte für
die Realisierung übersehen werden. Der Business Plan dient als Planungsinstrument im
Sinne einer erweiterten Machbarkeitsanalyse und Entscheidungsgrundlage. Er führt alle
relevanten Informationen und Faktoren zusammen, beschreibt die nötigen Maßnahmen
26 T. Heupel

Abb. 3.4   Was leistet der Business Plan?

und gibt Auskunft über die Chancen und Risiken, Stärken und Schwächen sowie die
Kosten und den zu erwartenden Nutzen.
Angesichts der vielfältigen Aufgaben von Businessplänen und den damit verbundenen
unterschiedlichen Adressaten ist es wichtig, bei der Erstellung jedes Business Plans indi-
viduell zu überlegen: Wozu soll das Dokument dienen und welche Adressaten sollen
angesprochen werden? „Jede Zielgruppe hat gewisse Anforderungen, Bedürfnisse und
Kenntnisse, die in keiner anderen Situation exakt gleich ausfallen. Demnach sind diese
individuellen Faktoren von einem Business Plan zu berücksichtigen, wenn er vom Leser
auch richtig verstanden werden soll“ (Paxmann und Fuchs 2005, S. 53). Zwei wichtige
Informationen sind vor diesem Hintergrund konkret zu adressieren. So geht es einerseits
um die möglichst exakte Kennzeichnung einer (innovativen) Geschäftsidee. Andererseits
muss der Business Plan auch die Stufen zur Zielerreichung als unabdingbaren Weg der
Geschäftsentwicklung darstellen. Diese Darstellung von „Was“ und „Wie“ folgt einer
eigenen stringenten Logik. Diese immer gleiche und typische Struktur eines Business
Plans soll nachfolgend explizit dargestellt werden.
Aufbau eines Business Plans: Business Pläne sind vergleichbar mit Bewerbungs-
schreiben. Auch ein Business Plan soll beim Leser Interesse wecken und etwas
erreichen. In beiden Fällen kommt es auf die Form und den ersten Eindruck an. Allen
Businessplänen ist gemeinsam, dass sie die Erfolgsaussichten der Geschäftsidee im
Markt inhaltlich begründen und überzeugend präsentieren müssen.
3  Geschäftsidee & Business Plan 27

Das Geschäftskonzept sollte also:

• inhaltlich marktfähig, plausibel und realistisch sein sowie


• formal selbstbewusst, qualifiziert und kompetent dargestellt werden (vgl. Ottersbach
2007, S. 13).

Paxmann und Fuchs argumentieren daher: „Auch wenn jeder Business Plan im Detail ein-
zigartig ist, so ist die Vorgehensweise zur Erstellung doch gewissen Regelmäßigkeiten
unterworfen. Genau aus diesem Grund muss man eine erprobte Anleitung mit Erfahrungs-
werten nicht immer wieder erneut erfinden“ (Paxmann und Fuchs 2005, S. 21).
Versetzen wir uns in die Lage eines Bankangestellten, der zu Beginn einer neuen
Woche gleich drei Businesspläne durcharbeiten soll, so ist diese Anforderung umso mehr
verständlich. Der Prüfende möchte Vertrautheit vorfinden und zügig in einer gewohnten
Struktur die Fakten aufarbeiten. Bezüglich des inhaltlichen Aufbaus und der Struk-
tur eines Business Plans gelten daher bestimmte Elemente als Standard, jedoch können
diese, wie bereits beschrieben, je nach Adressat und Zielsetzung variieren. Zu Beginn
steht in aller Regel eine Management Summary. In den weiteren Abschnitten folgt eine
Betrachtung des Unternehmens, der Organisation und des Personals, ein Überblick
über das Vorhaben, der Ziele und Strategien, des Leistungsangebots, des Zielmarktes,
des Einsatzes von Marketing und Vertrieb, der Chancen und Risiken sowie der Stärken
und Schwächen des Unternehmens. Den Abschluss bilden eine Zeitplanung und ein
umfassender Finanzteil (vgl. Nagl 2009, S. 16; Paxmann und Fuchs 2005, S. 105 ff.;
Struck 2001, S. 20–21; Berry 1999, S. 14). Diese einzelnen Abschnitte zeigt auch die
Abb. 3.5.
Mittels der Management Summary zeigt die Ausarbeitung dem potenziellen Fremd-
kapitalgeber, wie intensiv sich der Gründer mit der Planung des Vorhabens auseinander-
gesetzt hat. Im vorderen qualitativen Teil des Business Plans werden B­ ranchenanalysen,
der Marketingplan sowie die geplante Produktion und das Managementteam ­vorgestellt
und beschrieben. Die Bank prüft die Konsistenz der Angaben sowie die potenzielle
Umsetzbarkeit der Geschäftsidee im Markt. Während sich dieser Teil im externen

Abb. 3.5   Kapitel des


Business Plans
28 T. Heupel

Bereich auf die Entwicklung der Konjunktur, der Branche, sowie auf andere relevante
Marktteilnehmer beschränkt, zeigt die sich anschließende interne Analyse die Ent-
wicklung des eigenen Unternehmens auf. Im zahlenmäßigen Teil des Business Plans
wird anhand von Hochrechnungen geprüft, ob die Annahmen des verbalen Teils plausi-
bel erscheinen.
Im Zahlenteil gibt es daher unterschiedliche Berechnungen mit den jeweils spezi-
fischen Betrachtungsweisen. So zeigt beispielsweise die Liquiditätsplanung an, ob das
Unternehmen jederzeit seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen kam. Durch eine
Sensitivitätsanalyse können mittels Veränderungen der Parameter Einnahmen/Ausgaben
oder Erträge/Aufwendungen unterschiedliche Szenarien dargestellt werden. Es kann also
überprüft werden, wie stabil diese Planungen sind und somit auch eine Bewertung des
Risikos vorgenommen werden. Entscheidend ist hier auch, dass mit der ersten Prüfung
kein Ende der Risikobewertung vorliegt, sondern eine regelmäßige Überprüfung statt-
findet.
Im Rahmen dieser zahlenmäßigen Darstellung werden zudem die Rentabilität, die
Investitionen, die Finanzierung und der geplante Liquiditätsverlauf dargestellt. Der Busi-
ness Plan hat zum einen interne Funktionen, wie die Durchführung eines Soll-/Ist-Ver-
gleichs. Zum anderen soll er die Entscheidungsgrundlage für eine Geschäftsbeziehung
mit verschiedenen externen Interessengruppen bilden. In der Darstellung des „Zahlen-
teils“ geht es daher speziell um das Risiko des Investments aus Sicht der Bank als
Fremdkapitalgeber. Um das Risiko identifizierbar und bewertbar zu machen, nutzt das
Kreditinstitut als Basis die standardisierten Zahlen-Tabellen des Business Plans.
Wir folgen nun dem strukturellen Aufbau des Business Plans und führen die einzelnen
Abschnitte noch einmal explizit aus.

3.2.1 Management Summary

Denken wir noch einmal an den Bankangestellten, der am Montagmorgen nach einem
entspannenden Wochenende die Motivation finden muss, sich durch gleich mehrere
Businesspläne zu kämpfen. Wie gut würde es dann für einen Antragsteller aussehen,
wenn dieser gleich mit einer fulminanten Einleitung das Interesse weckt? Und genau
darum geht es. Die vorangestellte „Executive Summary“ oder auch „Management Sum-
mary“ soll eine positive Einstimmung für das gesamte Dokument bieten. Sie stellt damit
nicht alleine eine Einleitung dar, sondern soll zugleich auch eine kompakte Übersicht
über den gesamten Plan geben. Alle Informationen, die für den Adressatenkreis rele-
vant sind, werden komprimiert und prägnant auf einer Seite dargestellt. Im Mittelpunkt
stehen hierbei die Darstellung der Unternehmensziele, die Identifikation der kritischen
Erfolgsfaktoren und der mögliche Nutzen des Vorhabens für die potenziellen Käufer.
Alleinstellungsmerkmale sind hier genauso herauszustellen wie Lieferbeziehungen und
Marktzugänge. Dem Adressaten sollen in kurzer und prägnanter Form die Vorteile, die
Chancen und der Nutzen des gesamten Vorhabens verdeutlicht werden. Auch werden
3  Geschäftsidee & Business Plan 29

Aussagen über die benötigten Ressourcen und die verfolgten Ziele getroffen. Zudem
soll dem Adressatenkreis ein Überblick über die Struktur des Leistungs- und Produkt-
portfolios gegeben werden. Dies schließt die angebotenen Produkte oder Dienst-
leistungen in gleichen Maße wie den angebotenen Service mit ein (vgl. Nagl 2009,
S. 40 ff.; Schwetje und Vaseghi 2005, S. 67 ff.; Pruss et al. 2003, S. 57 ff.).

Zusammenfassende Schlüsselfragen zum Abschnitt „Management Summary“


Nur in Kurzform sollten alle wichtigen Aspekte des Business-Modells schon einmal
genannt werden, um das Bild rund darzustellen:

• Wer sind die Kunden und was ist das fokussierte Ziel des Business Plans?
• Mit welchen Alleinstellungsmerkmalen kann hier gepunktet werden?
• Worin liegt demnach die eigene Unique Selling Proposition (USP) im Hinblick
auf das Produkt und gegenüber den Wettbewerbern?
• Welche wesentlichen Entwicklungsschritte sind vor der Markteinführung noch
erforderlich?
• Wie ist die Marktsituation und welche Märkte und Segmente sollen konkret
bedient werden?
• Wie soll der Marktzugang erreicht werden und wie groß ist das Marktpotenzial?
• Wie sieht die Umsatz- und Gewinnplanung der Maßnahmen für die nächsten
drei bis fünf Jahre aus?
• Wie hoch ist der Investitionsbedarf?
• Welche Stärken/Schwächen sowie Chancen/Risiken birgt die geplante
Geschäftsidee?

3.2.2 Unternehmen

Nachdem die Geschäftsidee in ihrem Kern dargestellt wurde, muss die Struktur und Aus-
gestaltung des Unternehmens nun als hierfür passend dargestellt werden. So muss die
gewählte Rechtsform zu der Art der Leistungserstellung passen. Vergleichbar zu den ver-
schiedenen Anlässen, zu denen Sie eingeladen werden und zu welchen Sie Ihre Kleidung
passend wählen müssen, muss auch die Rechtsform als „Gewand des Unternehmens“ zu
der Struktur der Organisation und den betrieblichen Prozessen ausgestaltet sein. Neben
dem Unternehmensprofil, welches durch die Rechtsform und das Produktprogramm zu
kennzeichnen ist, müssen auch die Besitzverhältnisse geklärt sein. So kann es aus Gründen
des Marktzugangs durchaus infrage kommen, bereits von Anfang an ein bereits etabliertes
Unternehmen mit Anteilen zu beteiligen. Hierdurch kann einerseits die Aufbauphase deut-
lich reduziert werden und andererseits gelingt es dem neu gegründeten Unternehmen so
viel schneller, ein konstantes Absatzvolumen zu erreichen. Auch kann es sinnvoll sein, Lie-
feranten und Absatzhelfer oder Absatzmittler mit in den Herstellungs- und Absatzprozess
30 T. Heupel

einzubeziehen. Folgt man dem Leitsatz „Konzentriere dich auf deine Kernkompetenzen“,
so kann die komplette Übernahme einer sehr tiefen Wertschöpfungsstruktur in der
Gründungsphase extrem komplex und für das kleine Gründungsteam nicht koordinierbar
werden. Hier ist es wiederum wertvoll, mit bereits etablierten Partnern zu arbeiten. Neben
Beteiligungen sind auch vertragliche Vereinbarungen ein legitimes Mittel zur Bindung.
Gleich zu Beginn des Business Plans sollten auch die Ziele etwas konkreter gefasst
werden. Sind diese in der Executive Summary schon grob adressiert worden, so müssen
sie nun gemäß der SMART-Regel (Ziele sind S=spezifisch, M=messbar, A=achievable,
erreichbar, R=realistisch und T=time framed, zeitlich bestimmt zu fassen) operationa-
lisiert werden. Auch erwartet der Leser Aussagen dazu, wie die gesteckten Ziele stra-
tegisch erreicht werden sollen. Alle vorgenannten Aspekte fast die Abb. 3.6 auch noch
einmal zusammen.
Einen kleinen Exkurs muss man an dieser Stelle – zu Beginn – auch noch einbringen.
Der Festlegung der konkreten und operationalisierbaren Ziele geht noch eine größere
strategische Rahmensetzung voraus. So wird die Gründung eines eigenen Unternehmens
zumeist von einer umfassenden Leitidee – einer Vision – angetrieben. Der Gründer möchte
mit seinem neuen Geschäftsmodell etwas erreichen. Vergleichbar einem Fixstern, dem der
Gründer handlungsleitend folgt, ist eine Vision eine Projektion, dem das Handeln folgt.
Eine nähere verbale Fassung erhält dieser antreibende Charakter zumeist im „Leitbild des
Unternehmens“! In diesem werden in Schlagsätzen grundlegende Richtlinien des unter-
nehmerischen Handelns fixiert. Ähnlich den „Leitplanken“ einer Straße, auf denen sich ein
Fahrzeug seinem Ziel nähert, erhalten die Mitarbeiter hier auch einen Handlungsrahmen.
Ziele schließlich sind dann die erste operationalisierte Ebene des Führungskonzeptes.
Sie sind in Ausmaß, Zeit und Ort fixiert und sind intersubjektiv auch nachprüfbar. Dabei
können Unternehmensziele, von Bereichs- und Funktionalzielen unterschieden werden.
Dies visualisiert auch Abb. 3.7.

Abb. 3.6   Darstellung des Unternehmens


3  Geschäftsidee & Business Plan 31

Abb. 3.7   Vision –
Unternehmensleitbild –
Unternehmensziele

Zusammenfassende Schlüsselfragen zum Abschnitt „Unternehmen“


• Was sind die angestrebten Unternehmensziele und mit welcher Strategie sollen
diese wirkungsvoll erreicht werden?
• Wer ist der Firmengründer und welche weiteren Personen sind involviert?
• Welche Rechtsform passt zur Gründungsidee?
• Sind zur Herstellung des Produktionsprogramms auch externe Partner zwingend
erforderlich?
• Werden andere Unternehmen beteiligt und zu welchem Zecke geschieht dies?

3.2.3 Produkte/Anwendung und Herstellung

Kern einer neuen Geschäftsidee ist zumeist ein völlig neues Produkt oder eine innova-
tive Dienstleistung. Es muss daher deutlich werden, welcher Nutzen durch das hier zu
finanzierende Geschäftskonzept, insbesondere aber durch das innovative Produkt gene-
riert wird und, falls es bereits vergleichbare Produkte auf dem Markt gibt, wie sich das
eigene Produkt von denen der Wettbewerber abhebt. Diese Alleinstellungsmerkmale
können in der Qualität, im Preis, in den technologischen Eigenschaften oder im Design
liegen. Neue Technologien oder gänzlich neue Verfahren stellen einen unternehmens-
spezifischen Wettbewerbsvorteil dar und sollten z. B. durch Patente und Schutzrechte
gesichert werden. Auch ist bei der Entwicklung von neuen Produkten die zeitliche Kom-
ponente und damit der Zeitpunkt des Markteintritts für den Leser des Business Plans
sehr bedeutsam. Nicht, dass es hier einen Wettstreit zwischen Konkurrenten gibt, den nur
einer gewinnen kann („the winner takes it all“). In den meisten Fällen kann der erste im
Markt „Vorzugsgewinne“ abschmelzen und erreicht durch größere Stückzahlen schneller
die „Economies of Scale“ als der Marktverfolger.
Basierend auf dem Ihnen schon bekannten Produktlebenszyklus können die wichti-
gen Stufen „Einführung“ bis „Degeneration“ explizit betrachtet werden. Die Einführung
eines Produktes ist in der Regel durch Neugier-Käufer und die frühen Erfolge durch das
32 T. Heupel

Marketing gekennzeichnet. Demgegenüber stehen jedoch auch hohe Investitionen für die
Entwicklung des Produktes und erste Werbekampagnen.
In der sich anschließenden Wachstumsphase treten dann zumeist auch Konkurrenten
in den Markt ein und der Wettbewerb setzt mit einem ersten Preiskampf ein. Der Umsatz
der Produkte kann zwar zunächst für alle Marktteilnehmer noch steigen, aber eine starke
Expansion im Markt ist oftmals mit dem Eintritt von weiteren Anbietern verbunden. Dies
führt sodann zu einem Preiskampf und einer geringeren Umsatzrendite bei steigenden
Absatzzahlen. In der sich anschließenden Reifephase eines Produktes fallen die Absatz-
zahlen und die Umsatzrentabilität sinkt. In dieser Phase sollte der Vertriebsweg des
­Produktes optimiert werden und das Instrument der Differenzierung sollte geprüft wer-
den. In der nachfolgenden Sättigungsphase können preispolitische Maßnahmen erwogen
werden. Die Degenerationsphase schließt den Lebenszyklus des Produktes ab. Ursäch-
lich hierfür ist, dass neue technologisch bessere oder gar überlegene Produkte in den
Markt eintreten und die Bedürfnisse der Kunden durch Ersatzprodukte befriedigt werden
(vgl. Hoch und Heupel 2010, S. 63 ff.).
Neben der zuvor beschriebenen Kennzeichnung des Kundennutzens und der Positio-
nierung im Wettbewerb durch besondere Leistungsmerkmale muss dieser Abschnitt des
Business Plans auch Aussagen zur Forschung und Entwicklung des Produktes, zu seiner
Herstellung, der angestrebten Produktqualität sowie zum Angebotspreis treffen. Die zu
adressierenden Punkte werden von der Abb. 3.8 noch einmal zusammengefasst.

Abb. 3.8   Darstellung von Markt und Kundennutzen


3  Geschäftsidee & Business Plan 33

Zusammenfassende Schlüsselfragen zum Abschnitt Produkte/Anwendung und


Herstellung
• Um was für ein Produkt handelt es sich konkret?
• Wie ist der Entwicklungsstand des Produkts und welche notwendigen Ent-
wicklungsschritte stehen an? Wie sind die technische Machbarkeit und die
Wirtschaftlichkeit zu beurteilen?
• Welche Kundenbedürfnisse werden durch das Produkt gezielt erfüllt?
• Welche Vorteile bietet das Produkt für den Kunden und welche Alleinstellungs-
merkmale sind gegeben?
• Welche Wettbewerbsverbote gibt es und bestehen Patente oder andere Schutz-
rechte?
• Wie wird das Lieferungs- und Leistungsprofil des Produktes aussehen?
• Wie fügt sich das Produkt in das gesamte Produktportfolio des Unternehmens
ein?
• Welcher Umsatzbeitrag kann mit dem Produkt erzielt werden?

3.2.4 Markt und Wettbewerb

Die Zielmarktanalyse ist ein wesentliches Element eines Business Plans. Wer sind die
Käufer und was hat der Markt längerfristig zu bieten? Ist es ein Wachstumsmarkt oder
hat hier der Verdrängungswettbewerb bereits eingesetzt? In diesem Teil erfolgt zunächst
die Definition des relevanten Marktes und dessen Segmentierung in potenzielle Ziel-
gruppen sowie die Ableitung des Marktpotenzials. Die Marktanalyse dient als Aus-
gangsbasis für alle weiteren Überlegungen. Eine klare Definition des relevanten Marktes
ist der erste wichtige Schritt, um das Unternehmen zu positionieren. Auch müssen Aus-
sagen hinsichtlich der zukünftigen Marktentwicklung getroffen werden. Die Prognose der
Marktsituation sollte sich auch im Business Plan wiederfinden. Der hierbei betrachtete
Planungszeitraum sollte etwa drei bis fünf Jahre betragen. Dafür werden detaillierte Infor-
mationen hinsichtlich des künftigen Marktwachstums, aktuelle Entwicklungen, spezi-
fische Markteigenheiten, die Bedürfnisse potenzieller Kunden, die Wettbewerber und
deren Stellung im Markt sowie Informationen über weitere wichtige Marktteilnehmer
benötigt. Die vorstehenden Schritte werden in der Abb. 3.9 auch noch einmal adressiert.
Beruhend auf diesen Informationen sollte eine Analyse von Stärken (Strengths)
und Schwächen (Weaknesses), sowie Chancen (Opportunities) und Risiken
(Risks) = (SWOT-Analyse) des Vorhabens erfolgen, um kritische Erfolgsfaktoren zu
identifizieren. Weiter gilt es, Ziele und Strategien ausgehend von den Ergebnissen der
Markt- und SWOT-Analyse zu entwickeln. Übliche strategische Ziele können zum
­Beispiel Umsatz, Gewinn, Wachstum, Marktanteile oder Absatzmengen sein.
34 T. Heupel

Abb. 3.9   Der Markt und die Segmentierung

Neben der SWOT-Analyse ist aber auch ein weiteres Analyseinstrument sehr gut ein-
zusetzen. Dies ist das Fünf-Kräfte-Modell (Five-Forces-Modell) von Porter. Hier wird
explizit danach gefragt, von woher die aktuelle Wettbewerbssituation des Unternehmens
beeinträchtigt werden kann. So können mächtige Lieferanten oder auch Kunden einen
erheblichen Einfluss auf die Position unseres Unternehmens im Markt ausüben. Den-
ken Sie beispielsweise an die beiden Konkurrenten Boeing und Airbus. Beide Flug-
zeughersteller buhlen um die Gunst der großen Fluglinien und wollen hier Flugzeuge
absetzen. Zugleich aber sind sie von wichtigen Zulieferern abhängig, die nicht schnell
ersetzt werden können. Die Lieferanten der Flugzeugbranche müssen sehr spezielle
Zertifizierungen aufweisen, die nicht viele Unternehmen im Markt beibringen kön-
nen. Zudem ist die Branche einer sehr hohen Wettbewerbsintensität ausgesetzt. Diese
neuen Marktteilnehmer (neue Konkurrenten) oder neuen Produkte (Substitute) kön-
nen die Marktstellung des eigenen Unternehmens verändern. Um dies an dem bereits
begonnenen Beispiel des Flugzeugherstellers wiederum darzustellen, sei auf die bald
startende chinesische Flugzeugproduktion verwiesen. China wird mit einer eigenen Flug-
zeugherstellung in das Mittelstrecken-Segment einsteigen und hier zunächst Boeing und
Airbus im Heimatmarkt verdrängen.
Als fünfte Kraft kann zudem die „Rivalität“ in der Branche identifiziert werden. Ist
der Markt gesättigt, so werden die Mitwettbewerber alles daransetzen, um auch weiter-
hin ihr „Stück vom Kuchen“ abzubekommen. Das Instrument der Five Forces wird von
der Abb. 3.10 noch einmal grafisch visualisiert.
3  Geschäftsidee & Business Plan 35

Abb. 3.10   Analysetools – Das 5-Forces Modell

Zusammenfassende Schlüsselfragen zum Abschnitt Marktumfeld und Zielkunden


• Was ist der relevante Zielmarkt und welche Marktsegmente sollen bearbeitet
werden?
• Wie groß ist der Zielmarkt und wie sieht das Marktpotenzial aus?
• Wie sieht die Absatzprognose für die künftigen fünf Jahre aus?
• Wie soll die Positionierung des Unternehmens im Zielmarkt erfolgen?
• Welche Markteintrittsbarrieren sind vorhanden?
• Wie viele Mitwettbewerber gibt es im Markt?
• Bestehen Alleinstellungsmerkmale?
• Welche grundsätzliche Wettbewerbsstrategie wird verfolgt?
• Welche Stärken und Schwächen weisen die Hauptwettbewerber im Markt auf?
• Welche Stärken und Schwächen zeichnen das eigene Unternehmen im Wett-
bewerb aus?
• Zeichnen sich politische, ökonomische, soziale oder technologische Ver-
änderungen im Zielmarkt ab?

3.2.5 Marketing und Vertrieb

Auf Basis der letzten beiden Abschnitte bauen Sie nun Marketing- und Vertriebs-
pläne auf. Was ist aber zunächst unter Marketing und Vertrieb zu verstehen? Mef-
fert umschreibt Marketing „als die bewusste marktorientierte Führung des gesamten
36 T. Heupel

­ nternehmens oder marktorientiertes Entscheidungsverhalten in der Unternehmung“


U
(Meffert et al. 2008, S. 8). Er definiert Marketing als die Planung, Koordination und
Kontrolle aller auf die aktuellen und potenziellen Märkte ausgerichteten Unternehmens-
aktivitäten. Die Marketingaktivitäten sind in einem strategischen und in einen operativen
Teil zu unterscheiden. Das strategische Marketing befasst sich mit der Festlegung von
Zielen für einen Planungszeitraum und definiert die dazu erforderlichen Maßnahmen.
Die strategischen Marketingziele müssen mit den übergeordneten Unternehmenszielen
im Einklang stehen. Im operativen Marketing hingegen, werden die Entscheidungen
über den Einsatz der Marketinginstrumente – auch Marketing Mix genannt – getroffen.
Der Marketing Mix ist die Gestaltung und Abstimmung der Produkt-, Preis-, Vertriebs-
und Kommunikationspolitik. Diese operativen Maßnahmen zielen auf einen eher kurz-
fristigen Zeitraum von etwa einem Jahr ab. Der Marketing Mix befasst sich mit den
folgenden Fragestellungen:

• Produktpolitik: Welche Eigenschaften haben die angebotenen Produkte, um die


Kundenbedürfnisse zu erfüllen?
• Preispolitik: Welcher Preis kann berechnet werden und welche Ziele werden mit der
Preisstrategie verfolgt?
• Vertriebspolitik: Wie gelangen die Produkte zu den Kunden?
• Kommunikationspolitik: Mit welchen Kommunikationsmitteln werden die Produkt-
vorteile an die Kunden vermittelt?

Diese oft auch als „4 Ps“ bezeichneten Aktionsfelder des Marketings (Product, Price,
Place und Promotion) sind in der Abb. 3.11 auch noch einmal grafisch dargestellt.

Abb. 3.11   Der Marketing Mix


3  Geschäftsidee & Business Plan 37

Betrachten wir neben dem Marketing auch das Wirkungsfeld „Sales“ so lässt sich dies
konkret vom Marketing abgrenzen. Nach Philip Kotler ist Vertrieb genau genommen eine
Unterfunktion der Distribution im Marketing Mix (vgl. Kotler et al. 2006, S. 68 ff.). Das
würden wir auch in der vorstehenden Grafik einfach wiederfinden. Man würde „Sales“
dann als eine der vier Säulen des Marketings definieren. Aber ist das so? Und war diese
Sichtweise immer schon so geprägt?
Vor einigen Jahren war Marketing noch eine relativ neue Disziplin in Deutsch-
land und der Vertrieb war die dominantere Disziplin. Schrieb Gutenberg noch über die
drei grundlegenden Disziplinen Produktion, Absatz und Finanzierung, wurde mit dem
„Sales-“ oder auch „Vertriebsgedanken“ die Kundenorientierung in den 1980er-Jahren
entdeckt. Aktives Verkaufen würde diese Grundhaltung gut kennzeichnen und das
Marketing war vor diesem Hintergrund in seinen Anfängen für „bunte Prospekte“ und
Werbematerialien zuständig. Es gibt auch heute noch Firmen, die diese Grundhaltung
weiter tradiert haben und so denken. In zunehmend komplexeren Märkten mit austausch-
baren Produkten wurde es für den Vertrieb aber immer schwieriger, den Absatz zu leis-
ten. Nun schlug die Stunde des Marketings: Dieses entwickelte wirksame Methoden und
Werkzeuge, um die Produkte und Dienstleistungen weit effektiver zu platzieren. In dieser
Zeit wechselte also der Lead zum Marketing, die für die Inszenierung des größeren Gan-
zen zuständig wurden. Vertrieb wird nunmehr stark auf die distributive Aufgabe redu-
ziert. Neben der Option mittels des direkten Vertriebs die Waren und Dienstleistungen
unmittelbar selbst an den Kunden zu distribuieren, können hier auch Absatzmittler und
Absatzhelfer eingesetzt werden. Beispielsweise kann der Großhandel eine Lager- und
Verteilfunktion in den Markt hinein übernehmen und Einzelhändler können sich bei
erklärungsbedürftigen Produkten um die Information des Kunden und das Service-
geschäft kümmern.
Aber neben dem indirekten Vertrieb über Partner haben sich in den letzten Jahren
zahlreiche weitere Optionen für den Hersteller ergeben, im Rahmen eines direkten Ver-
triebs selbst mit dem Endkunden in Verbindung zu treten. Insbesondere das Internet
macht hier den Marktzugang ohne große Barrieren und das kostspielige Aufbauen von
Handelsstrukturen möglich.
Eine solche Vertriebswege-Entscheidung wird auch durch die Abb. 3.12 illustriert.
Am besten wird man aber der Beziehung von Marketing und Sales gerecht, wenn
man die wechselseitige Zusammenarbeit als Zusammenspiel kennzeichnet. Marke-
ting und Vertrieb legen zusammen fest, mit welcher Marketingstrategie und mit wel-
chem Vertriebskonzept die strategischen Ziele umgesetzt und erreicht werden können.
Die benötigten Grundlageninformationen zur Erstellung des Marketing- und Vertriebs-
plans müssen zum größten Teil nicht neu recherchiert werden, sondern sind den voran-
gegangenen Abschnitten zum Business Plan zu entnehmen.
38 T. Heupel

Abb. 3.12   Alternative Vertriebswege

• Marketingplan: Im Rahmen des Marketingplans sollen die verschiedenen geplanten


Marketingmaßnahmen chronologisch geordnet aufgelistet sowie die wahrlich
geplante zeitliche Dauer und die zu den unterschiedlichen Zeitpunkten anfallenden
Kosten quantifiziert werden.
• Vertriebsplan: Vertrieb und Marketing sind in einem engen Zusammenhang zu
begreifen. Die Vertriebsstrategie basiert auf der Marketingstrategie und setzt diese
in operative Vertriebsziele um. Im Rahmen des Vertriebsplans soll die aktuelle Ver-
triebssituation kurz geschrieben und anschließend analog zum Marketingplan eine Art
Umsetzungsfahrplan dargestellt werden. Wichtig ist, dass die Datenbasis und Struktur
des Vertriebsplans mit der des Marketingplans übereinstimmt. Die Vertriebsstrategie
basiert auf der Marketingstrategie und setzt diese in operative Vertriebsziele um. Im
Rahmen des Vertriebsplans soll die aktuelle Vertriebssituation kurz geschrieben und
anschließend analog zum Marketingplan eine Art Umsetzungsfahrplan dargestellt
werden. Wichtig ist, dass die Datenbasis und Struktur des Vertriebsplans mit der des
Marketingplans übereinstimmt.
3  Geschäftsidee & Business Plan 39

Zusammenfassende Schlüsselfragen zum Abschnitt Marketing und Vertriebsplan


• Welche Marketingziele und welche Marketingstrategien werden verfolgt?
• Welche quantitativen und qualitativen Ziele können angegeben werden?
• Welche operativen Maßnahmen sind geplant?
• Welches Marketingbudget wird durch die Maßnahmen verursacht?
• Welche Vertriebsstrategie wird verfolgt?
• Welche Maßnahmen im Sinne eines Customer Relationship werden ergriffen?
• Wie soll die Vertriebsorganisation ausgestaltet sein?
• Welche Absatzmengen und Umsatzziele sollen erreicht werden?

3.2.6 Management und Organisation

Unter dem Punkt Organisation gilt es im Falle eines Business Planes zu klären, wie die
Aufbau- und Ablauforganisation im geplanten Unternehmen zu strukturieren sind. Hier
müssen Entscheidungen hinsichtlich des Personals getroffen werden. Insbesondere im
Kreise des Gründungsteams müssen hier die Verantwortungen geklärt und die Zuständig-
keiten festgelegt werden. Wer weist durch die entsprechende Vita die notwendigen
Kompetenzen für ein Arbeitsfeld auf und kann auch in einer Ausbaustufe der Unter-
nehmensentwicklung Mitarbeiter anleiten? Mit der Unterscheidung von Aufbau- und
Ablauforganisation ist es aus Studierendensicht oft nicht einfach. Ein Bild kann hier
den Zugang erleichtern: Wenn Sie sich eine Landkarte vorstellen und von oben (aus der
„Vogelperspektive“) auf die Straßen und Häuser einer Stadt herabblicken, so haben Sie
ein besseres Verständnis für die Aufbauorganisation. Hier wird die Struktur festgelegt.
Wenn Sie dann mit Ihrem Auto oder auch als Fußgänger durch die Stadt fahren oder
gehen wollen, so regeln Ampeln und Schilder den Verkehr und die Zuständigkeiten. Wer
hat Rot und wer darf gehen? Vergleichbar ist es auch mit der Ablauforganisation. In ihr
werden Zuständigkeiten und Weisungsbefugnisse der Stelleninhaber geregelt.
Neben der Struktur des Unternehmens wünscht sich der Adressatenkreis des Business
Plans auch Aussagen zum Management. Wer nimmt hier die Geschäftsführung war und
wie sind die Leitungspersonen qualifiziert?

3.2.7 Finanz-/Dreijahresplanung –
Wirtschaftlichkeitsberechnungen & Finanzübersicht

Die abschließenden Abschnitte des Business Plans (Abschn. 3.2.7 bis Abschn. 3.2.9)


wenden sich gezielt dem Zahlenwerk zu. Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten
Aussagen zu allen wichtigen Bereichen getroffen wurden, muss dies nun systematisch
und konsistent in ein Zahlenwerk überführt werden. Ziel jeden ökonomischen Handels
ist die Gewinnmaximierung (Formalziel des Unternehmens). Von daher müssen nicht nur
40 T. Heupel

die Ausführungen, sondern auch die Darstellung von Kosten und Erlösen überzeugen.
Wesentlich ist daher, ob der nicht unbedeutende zeitliche und finanzielle Aufwand am
Ende auch „Früchte trägt“. „Die Finanzplanung, wie sie in einem Unternehmen gemacht
wird, ist für alle Unternehmen wesentlich. Der Prozess des Zusammentragens der Plan-
daten versetzt das Management in die Lage, Schwachstellen oder sich bietende Möglich-
keiten viel schneller zu erkennen, als es sonst geschehen würde“ (vgl. Schwetje und
Vaseghi 2005, S. 117). Zunächst stellt sich dabei die Frage, in welchem Maße finanzielle
Mittel zur Verfügung stehen und wie hoch der zu deckende Kapitalbedarf in Summe ist.
Hieraus lassen sich die Finanzierungslücke und die extern zu beschaffenden Finanz-
mittel ableiten. Zu deren Ermittlung müssen die im vorderen Teil des Business Plans
getroffenen Aussagen zu Umsatz, Kosten und Investitionen in konkrete Zahlen gefasst
werden. Diese münden dann in eine Umsatzplanung, eine Kostenplanung und schließlich
in eine Investitionsplanung ein.

• Umsatzplanung: Der Umsatz lässt sich aus dem Produkt von Menge und Preis
ermitteln. Hierzu müssen Annahmen zu den Absatzvolumina der nächsten Jahre
getroffen und zugrunde gelegt werden. Wichtig ist dabei, dass die Zahlenwerte auch
zu den verbalen Ausführungen passen. „Die Umsatzschätzungen müssen fundiert
und plausibel sein, um eine realistische Planung aufzustellen. Der Grundsatz des
‚vorsichtigen Kaufmanns‘ gilt hier besonders“ (Schwetje und Vaseghi 2005, S. 132).
Die zugrunde liegenden Zahlen, Daten und Fakten stehen dabei in einem unmittel-
baren Zusammenhang zu den Abschnitten „Produkte/Anwendung und Herstellung“
(Abschn. 3.2.3), „Markt und Wettbewerb“ (Abschn. 3.2.4) und „Marketing und Ver-
trieb“ (Abschn. 3.2.5).
• Kostenplanung: Auch der Kostenabschätzung kommt vor dem Hintergrund von
starken Wettbewerbsumfeldern, kurzen Lebenszyklen der Produkte und erheblichem
technologischen Fortschritt eine nicht unbedeutende Rolle zu. Durch eine profunde
Kostenabschätzung können im Zeitverlauf Soll-Ist-Vergleiche durchgeführt werden
und im Falle von Abweichungen können rechtzeitig auch Gegenmaßnahmen ein-
geläutet werden. Zudem ermöglicht die Kostenabschätzung die Ermittlung von kurz-
fristigen Preisuntergrenzen und die Angabe von erwünschten Zielpreisen.
• Investitionsplanung: Diese beschäftigt sich vor dem Hintergrund der geplanten
Mengenvolumina mit den notwendigen Sachinvestitionen. Diese müssen sehr sorg-
fältig geplant werden, da die Mittelbindung langfristig ist und in dieser Zeitspanne
auch Risiken zu tragen sind. Unter Beachtung all dieser Restriktionen muss eine
Investition dann vorteilhaft sein, damit man bei alternativen Anlageoptionen die freien
finanziellen Mittel in diese Investition lenkt. Im Business Plan müssen daher die
geplanten Investitionen, die zu erwartende Rendite, die Dauer des Armortisationszeit-
raums sowie die steuerlichen Auswirkungen dezidiert dargestellt werden. Hinzu treten
auch Aussagen zu technologischen und finanziellen Risiken, die mit dem Investitions-
objekt verbunden sind.
3  Geschäftsidee & Business Plan 41

In dem Abschn. 3.2.7 soll dem Adressaten ein Überblick über den zeitlichen Ablauf des
Vorhabens gegeben werden. Dazu kann das Vorhaben in einzelne Phasen unterteilt werden.
Weiter können für den Abschluss oder das Erreichen bestimmter Teilziele Meilensteine defi-
niert werden. Ein Meilenstein kann den Abschluss einer Phase darstellen, eine Phase kann
jedoch auch mehrere Meilensteine enthalten. Anhand dieser lassen sich im Realisierungs-
prozess Abweichungen frühzeitig erkennen und Korrekturmaßnahmen ableiten.
Die Finanzplanung stellt einen weiteren wesentlichen Teil des Business Plans dar.
Diese gibt dem Adressaten einen Überblick des zu erwartenden Investitionsumfangs
sowie der zu erwartenden laufenden Aufwendungen und Umsätze. Den Kern der Finanz-
planung bilden die Erfolgsplanung und die Liquiditätsplanung. Aus diesen vorstehenden
Teilplanungen können zudem wertvolle Kennzahlen abgeleitet und für eine weiter-
führende Kontrolle systematisch genutzt werden. Auch kann der Kapitalbedarf kon-
kretisiert werden. Für externe Adressaten sollte zudem eine Planbilanz Bestandteil der
Finanzplanung sein.

Zusammenfassende Schlüsselfragen zum Abschnitt Finanz-/Dreijahresplanung


• Welche Einnahmen und Ausgaben sind zu erwarten?
• Welche eigenen finanziellen Mittel stehen dem Gründer oder dem Gründungs-
team zur Verfügung?
• Ist die Budgetplanung als realistisch zu beurteilen?
• Welche Verkaufspreise sind realistisch und mit welchen Erlösschmälerungen ist
zu rechnen?
• Welche Absatzzahlen sind in den nächsten Jahren zu erwarten?
• Welche externen Einflüsse können die Planungsgrundlage negativ beein-
trächtigen?
• Welche Ressourcenkosten werden anfallen und sind bei den Einsatzfaktoren
Kostensteigerungen zu erwarten?
• Wird das Preisniveau der angebotenen Produkte oder Dienstleistungen im
Planungshorizont stabil bleiben oder ist hier mit einem Preisverfall aufgrund
von Verdrängungswettbewerb zu rechnen?
• Bei welcher Absatzmenge wird der Break-even-Punkt erreicht. Ist dies eine eher
optimistische oder eine belastbare Vorausschau?
• Welche Ein- und Auszahlungen resultieren aus der Investition?
• Welche Zinszahlungen resultieren aus der Investition und ist das Zinsniveau in
einer Anschlussfinanzierung als stabil zu kennzeichnen?
• Wie gestalten sich die Abschreibungen?
• Welche Risiken sind mit der Investition verbunden?
42 T. Heupel

3.2.8 Chancen und Risiken

Jedes neue Geschäftsmodell bricht in eine unsichere Zukunft auf und ist daher zwin-
gend auch mit Risiken verbunden. Vor diesem Hintergrund sollten eine Risikoab-
schätzung und eine Prognose der zukünftigen Entwicklung unternommen werden. Hier
bietet sich insbesondere eine Szenario-Analyse an, da dies die Gegenüberstellung von
alternativen Szenarien ermöglicht. Treten in der Zukunft gleich mehrere korrelierte
negative ­Einflussfaktoren zutage, die sich negativ auf das Betriebsergebnis auswirken,
so ist dies als „Worst-Case-Szenario“ zu kennzeichnen. Treten hingegen mehrere posi-
tive Ereignisse ein, die einander verstärken und positive Effekte auslösen, so ist dies als
„Best-Case-Szenario“ zu kennzeichnen. Der normale mittlere Verlauf einer Investition
wird hingegen als „Middle-Case“ bezeichnet. Diese drei Szenarien werden auch von der
Abb. 3.13 dargestellt.
Risiken sind dabei nicht nur im Unternehmen selbst (endogene Risiken) zu finden.
Oftmals gehen Veränderungen und abgeleitete Konsequenzen auch von exogenen Fak-
toren außerhalb des Unternehmens aus. Aufgrund von veränderbaren Umfeldfaktoren
können sich Kostensteigerungen ergeben und eine Ressourcenverknappung oder
aber rechtliche Änderungen können zu zeitlichen Verzögerungen mit vertraglichen
­Strafzahlungen (Pönalen) führen. Neben diesen Umfeldrisiken können auch operative

Abb. 3.13   Die Szenario-Analyse


3  Geschäftsidee & Business Plan 43

Risiken im Tagesgeschäft – z. B. durch technische Störungen und menschliches Versagen


verursacht – auftreten und das Betriebsergebnis schmälern. In der Literatur werden, bei
­systematischer Betrachtung, acht Risiken unterschieden:

• Marktrisiken
• Personalrisiken
• Wirtschaftliche Risiken
• Technische Risiken
• Finanzrisiken
• Vermögensrisiken
• Umweltrisiken und
• Administrative Risiken

Chancen hingegen können sich durch positive Umfeldveränderungen wie z. B. recht-
liche Regelungen oder positive Zukunftserwartungen ergeben. Auch ein steigendes
Einkommensniveau oder positive Konjunkturzahlen können das Konsumverhalten von
Verbrauchern nachhaltig beeinflussen und die dem Business Plan zugrunde liegenden
Planungen und Absatzannahmen maßgeblich übersteigen.

Zusammenfassende Schlüsselfragen zum Abschnitt Chancen und Risiken


• Welche außerordentlichen Umfeldveränderungen können das Geschäftsmodell
positiv oder aber negativ tangieren?
• Wie hoch ist die Eintrittswahrscheinlichkeit der identifizierten Risiken und gibt
es potenzielle Vermeidungs- oder aber Verminderungsstrategien?

3.2.9 Finanzbedarf

Konnten Sie Ihre Geschäftsidee umfassend und konsistent in den Abschn. 3.2.1 bis
Abschn. 3.2.8 darstellen, so müsste nun auch schlüssig der hierzu notwendige Finanz-
bedarf festzulegen sein. Das gesamte Vorhaben wird einen Investitionsbedarf mit sich
bringen und in den verschiedenen Plänen (Kosten-, Umsatz-, Investitionspläne etc.)
haben Sie sicher auch selbst eine detailliertere Vorstellung über die finanziellen Res-
sourcen gewonnen, die Sie einerseits als Eigenkapital selbst einbringen, die aber oft
auch zu größeren Teilen von Banken bereitgestellt werden müssen. Und zu dieser
Kapitalgewinnung dient auch der erarbeitete Business Plan. Die Bezifferung des exakt
benötigten Fremdkapitalbedarfs stellt damit ein zwingendes Ergebnis der gesamten Pla-
nung dar und sollte vom Ergebnis her hier keinen der Leser „überraschen“.
44 T. Heupel

Abschließend sind auch noch ein paar allgemeine Anforderungen an die Ausfertigung
eines Business Plans zu stellen:

• Formale Anforderungen: Er sollte vor allem knapp und einfach zu lesen sein, da die
Adressaten im heutigen Zeitalter der Informationsüberflutung in der Regel ohnehin zu
viel Material zu bewältigen haben. Hilfreich sind aussagekräftige Überschriften und
kurze Zusammenfassungen am Ende von größeren Teilen. Besonders der Einstieg in
einen Business Plan sollte fesselnd und schlüssig beschrieben werden. Kurze Sätze
sowie übersichtliche Bilder, Grafiken und Diagramme kennzeichnen ein aussage-
kräftiges Dokument. Hinsichtlich des Umfanges erscheinen rund 20 Textseiten für
den eigentlichen Text angemessen. Es kann und sollte auch im Bedarfsfall ein Anhang
genutzt werden.
• Erfolgskriterien von Businessplänen: Was macht einen Business Plan erfolg-
reich? Alle vorstehenden inhaltlichen, strukturellen und formalen Hinweise und ihre
Berücksichtigung zahlen auf den Erfolg des Business Plans ein. Ergänzt wird diese
Listung von Erfolgskriterien um das Schlagwort „Belastbarkeit“ der getroffenen Aus-
sagen und „Stringenz“ der Argumentation. Fundierte Analysen sind ebenso unabding-
lich wie eine plausible und realistische Darstellung und Bewertung. Nur durch die
Angabe von belastbaren Zahlen, Daten und Fakten wird ein Vertrauensverhältnis zum
Adressatenkreis aufgebaut. Gelingt es darüber hinaus, „Kausalketten“ in die Argu-
mentation und die „Storyline“ der Geschäftsidee hinein zu verankern, so kann das
Konzept überzeugen und begeistern.

Mit dem nun fertigen Business Plan wird die Bewerbung um finanzielle Mittel ­möglich.
Das nachfolgende Kap. 4 wendet sich den verschiedenen Formen der Finanzierung
­konkret zu.

Literatur

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Prof. Dr. Thomas Heupel ist hauptberuflicher Dozent und seit


2009 zudem Prorektor für Forschung an der FOM Hochschule für
Oekonomie & Management, Essen. Seine Forschungsschwerpunkte
liegen in den Feldern Erfolgs- und Kostencontrolling, Automotive
Industry, Ökologische Ökonomie sowie dem Management von
KMU.
Finanzierung
4
Eric Frère und Alexander Zureck

E. Frère 
Isf Institute for Strategic Finance, Essen, Deutschland
E-Mail: eric.frere@fom-isf.de
A. Zureck (*) 
Isf Institute for Strategic Finance, Essen, Deutschland
E-Mail: alexander.zureck@fom-isf.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 47
C. Jäger und T. Heupel (Hrsg.), Management Basics, FOM-Edition,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-11229-5_4
48 E. Frère und A. Zureck

Inhaltsverzeichnis

4.1 Finanzierung vs. Finanzwirtschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48


4.2 Schnittstellen des Finanzmanagements. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
4.3 Investition vs. Finanzierung: Cashflows . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
4.4 Finanzwirtschaftliches Zielsystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
4.5 Ziele der Kapitalgeber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
4.6 Finanzierungsalternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
4.7 Eigenkapital. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
4.8 Fremdkapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
4.9 Außenfinanzierungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
4.10 Kreditfinanzierung – Wichtige Merkmale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
4.11 Kreditfinanzierungsprozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
4.12 Kreditzinssatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
4.13 Kunden- und Lieferantenkredit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
4.14 Kontokorrentkredit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
4.15 Avalkredit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
4.16 Factoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
4.17 Leasing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

Die Finanzierung eines Unternehmens ist in jeder Unternehmensphase von Bedeutung.


Ein Unternehmen kann ohne eine solide finanzielle Basis weder gegründet noch geführt
und weiterentwickelt werden. Die Finanzierung hat maßgeblichen Einfluss auf viele
­Entscheidungen im Unternehmen. Im engeren Sinne umfasst der Begriff Finanzierung
alle Maßnahmen, die der Bereitstellung von Kapital dienen. Es wird dabei zwischen
Eigen- und Fremdkapital unterschieden. Das Eigenkapital stammt von den Eigentümern
(z. B. Aktionären) des Unternehmens und das Fremdkapital von außenstehenden Drit-
ten (z. B. Banken). Im übertragenen Sinne ist die Hauptaufgabe der Finanzierung, in das
Unternehmen hineinfließende Zahlungsströme mit aus dem Unternehmen herausfließen-
den Zahlungsströmen auszugleichen. Die Aufrechterhaltung einer ständigen Zahlungs-
fähigkeit ist dabei das Hauptziel.

4.1 Finanzierung vs. Finanzwirtschaft

Mit dem Begriff Finanzwirtschaft werden alle Maßnahmen zur Planung, Steuerung und
Kontrolle der Zahlungsströme umschrieben. Somit ist die Finanzierung eine Funktion
der Finanzwirtschaft und entspricht der Kapitalbeschaffung. Weitere Funktionen sind die
Investition und der Zahlungsverkehr. Die Investition ist die Kapitalverwendung. Jedes
Unternehmen muss das beschaffte Kapital sinnvoll im Unternehmen verwenden. Dieser
Zusammenhang wird auch in der Abb. 4.1 grafisch dargestellt.
4 Finanzierung 49

Abb. 4.1   Begriffsabgrenzung Finanzwirtschaft

Grundsätzlich sollten die Erträge aus der Investition immer höher als die
Finanzierungskosten sein. Der Zahlungsverkehr ist die dritte Funktion der Finanz-
wirtschaft. Im Fokus des Zahlungsverkehrs steht die Kapitalverwaltung. Die
Kapitalverwaltung umfasst die Abwicklung der Einnahmen und Ausgaben des Unter-
nehmens. Hierbei geht es vor allem um den Geldtransfer zwischen allen Stakeholdern
(= Interessensgruppen wie z. B. Lieferanten, Kunden, Mitarbeiter etc.) des Unternehmens.
Ein Unternehmen sollte stets in der Lage sein, allen Zahlungsverpflichtungen termin-
gerecht und vollumfänglich nachkommen zu können. Sobald ein Unternehmen dies nicht
mehr kann, ist es illiquide. Illiquidität ist der häufigste Insolvenzgrund in Deutschland
(Staab 2015, S. 6–7). Hierbei spielt es keine Rolle, ob das Unternehmen Gewinne oder
Verluste macht bzw. über mehr Vermögen als Schulden verfügt. Einzig und allein die
Zahlungsfähigkeit ist von Interesse. Hieraus lassen sich folgende Ziele der Finanzwirt-
schaft ableiten:

• Liquiditätssicherung,
• Rentabilitätssteigerung,
• Aufrechterhalten der finanziellen Sicherheit,
• Aufrechterhalten der finanziellen Unabhängigkeit.

Das Unternehmen muss darauf achten, dass es sämtliche Zahlungen an und von Sta-
keholdern beachtet. Zudem müssen Fremdkapitalzinsen und Gewinnerwartungen der
Fremd- bzw. Eigenkapitalgeber berücksichtigt werden.
50 E. Frère und A. Zureck

4.2 Schnittstellen des Finanzmanagements

Das Finanzmanagement hat im Unternehmen Schnittstellen mit nahezu allen Bereichen.


Ausgewählte Schnittstellen sind:

• Konzernentwicklung,
• Mergers & Acquisitions (M & A),
• Steuern,
• Controlling,
• Recht,
• Liegenschaften,
• Versicherung und
• Rechnungswesen.

Die Konzernentwicklung kann in der Praxis sowohl extern als auch intern erfolgen.
Durch den Zukauf oder Verkauf (M & A = Mergers & Acquisitions) von Unternehmen
bzw. Unternehmensteilen kann der Konzern strategisch relevante Geschäftsfelder
besetzen oder solche, die nicht mehr zur strategischen Ausrichtung passen, abstoßen.
Zudem kann das Unternehmen organisch durch Investitionen in die eigenen Ressourcen
wachsen. Hierzu zählen u. a. Investitionen in Maschinen oder in Humankapital, um z. B.
in der Produktion oder im Rechnungswesen effizienter zu arbeiten.
Unternehmen zahlen unterschiedliche Steuern. Entweder müssen die Steuern sofort
oder zu einem späteren Zeitpunkt bezahlt werden. Im Rahmen des Finanzmanagements
muss stets darauf geachtet werden, dass ausreichend liquide Mittel zur Verfügung stehen,
um die Steuerschulden zu begleichen.
Im Controlling werden für alle Unternehmensteile Erträge, Kosten und daraus resul-
tierende Gewinne geplant, gesteuert und kontrolliert. Dabei können nur tatsächlich zur
Verfügung stehende Ressourcen berücksichtigt werden. Das Finanzmanagement liefert
dabei Informationen zu in der Vergangenheit geleisteten Zahlungen.
Zwischen den Themenbereichen Versicherung und Finanzmanagement gibt es eben-
falls einige Schnittstellen. Zum einen muss ein Unternehmen für seine Absicherung
Versicherungsprämien zahlen. Zum anderen kann das Unternehmen sich mit speziellen
Versicherungen z. B. gegen Zahlungsausfälle absichern. In gewissen Fällen zahlt die Ver-
sicherung, sobald ein Kunde seine Verbindlichkeiten nicht bedienen kann.
Das Finanzmanagement hängt vom EDV-gestützten Rechnungswesen ab. Ein effizien-
tes Rechnungswesen ist notwendig, um fundierte Finanzentscheidungen treffen zu können.
Das Rechnungswesen bereitet alle zahlungsrelevanten Daten auf. Die Analyse der auf-
bereiteten Daten ist die Basis für Finanzentscheidungen. Die Daten aus dem Rechnungs-
wesen sind vor allem für die strategische Finanz- und Investitionsplanung von Bedeutung.
Das Unternehmen beschafft sich Kapital, um es dann beispielsweise in Liegen-
schaften zu investieren. Liegenschaften sind bebaute und unbebaute Grundstücke. Nach
4 Finanzierung 51

der Investition hat das Unternehmen laufende Ausgaben für die Liegenschaften, z. B. für
Grundsteuern. Zeitgleich erzielt es aus der Investition Einnahmen, wenn das Grundstück
beispielsweise an eine andere Firma verpachtet wurde.
Ein Unternehmen kann sich in allen Bereichen nur dann weiterentwickeln und wach-
sen, wenn für die geplanten Vorhaben die finanziellen Ressourcen vorhanden sind.
Aus diesem Grund ist das Finanzmanagement in allen Bereichen eines Unternehmens
von Bedeutung. Das Unternehmen kann sich ohne ein solides Finanzmanagement nicht
weiterentwickeln.

4.3 Investition vs. Finanzierung: Cashflows

Der Cashflow gehört im finanzwirtschaftlichen Kontext zu den wichtigsten Steue-


rungsgrößen. Der Cashflow ist eine dynamische Kennzahl und gibt Auskunft über die
Liquiditätslage des Unternehmens: Es handelt sich um den innerhalb eines bestimmten
Betrachtungszeitraums erzielten Zufluss an liquiden Mitteln. Der Umsatz aus dem Ver-
kauf der eigenen Produkte und Dienstleistungen ist der wichtigste Geldzufluss für ein
Unternehmen.
Cashflows sind Kassenüberschüsse in einer bestimmten Periode. Im Rahmen der
finanzwirtschaftlichen Disposition werden Kassenüberschüsse auf Monats- oder bei
großen Unternehmen auch auf Wochen- und Tagesbasis berücksichtigt. Ein Kassenüber-
schuss ist die Differenz zwischen den betrieblich erwirtschafteten Einzahlungen und
Auszahlungen in einer gewissen Periode.
Die wichtigste Einzahlung basiert auf den Umsatzerlösen aus dem Verkauf der eige-
nen Produkte und Dienstleistungen. Zu den wichtigsten Ausgaben im betrieblichen
Kontext zählen die Materialausgaben für die Herstellung der eigenen Produkte, Personal-
ausgaben, Zinsen für Fremdkapitalgeber, wie z. B. Banken, und Gewinnbeteiligungen
bzw. Dividenden für die Eigenkapitalgeber sowie betrieblich bedingte Steuern und
Abgaben. Die Differenz zwischen allen Einzahlungen und Auszahlungen ist dann der
Cashflow.
Mit dem Cashflow aus einer Periode kann das Unternehmen Verbindlichkeiten tilgen,
neue Investitionen tätigen oder an die Anteilseigner Gewinne ausschütten. Mit einem
hohen Cashflow hat das Unternehmen einen großen Spielraum für operative und strate-
gische Entscheidungen. Der Cashflow gehört daher zu den wesentlichen Kennzahlen zur
Beurteilung der Innenfinanzierungskraft eines Unternehmens.
Eine Investition beginnt immer mit einer Auszahlung und eine Finanzierung führt
anfangs immer zu einer Einzahlung. Bei der Investition folgen dann normalerweise
Einzahlungen in unterschiedlichen Höhen. Die Höhe richtet sich nach dem jeweiligen
Umsatz des Unternehmens. Dieser ist dabei von unterschiedlichen Faktoren abhängig
und ist in der Regel nicht beständig über mehrere Perioden. Bei der Finanzierung folgen
oftmals Auszahlungen in gleicher Höhe. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die meis-
52 E. Frère und A. Zureck

ten Darlehen im betrieblichen Kontext Annuitätendarlehen1 mit gleichbleibenden Raten


sind. Bei solch einem Darlehen bleibt die Annuität konstant, wobei sich die Annuität
dabei aus Zins und Tilgung zusammensetzt. Die Zinsen werden während der Laufzeit
weniger und die Tilgung nimmt zu.

4.4 Finanzwirtschaftliches Zielsystem

Eine Finanzentscheidung hängt im Wesentlichen von mehreren Faktoren ab. Bei allen
Finanzentscheidungen sind die folgenden Aspekte zu beachten und abzuwägen:

• Rentabilität,
• Sicherheit,
• Liquidität und
• Unabhängigkeit.

Vor jeder Finanzentscheidung steht fest, dass nicht alle Faktoren in gleicher Art und
Weise berücksichtigt werden können. Dies führt zwangsläufig zu Zielkonflikten.
Vor allem Investoren sind an einer angemessenen Verzinsung ihrer Anlage interessiert.
Sie achten deshalb oftmals primär auf den Faktor Rentabilität. Die Rentabilität ist dabei
der Quotient einer Erfolgskennzahl im Verhältnis zum eingesetzten Kapital. Viele Unter-
nehmen nutzen die Rentabilität als Steuerungsgröße für die Messung ihres betrieblichen
Erfolgs.
Die Zielkonflikte bestehen dabei zwischen Rentabilität und Liquidität sowie Sicher-
heit (Entscheidungsdreieck). Eine Investition kann nicht zugleich rentierlich und liquide
sowie sicher sein. Umso liquider eine Investition ist, desto geringer ist tendenziell die
Rentabilität. Investitionen mit langer Überlassungsdauer, wie z. B. Investitionen in
Immobilien, bieten dem Unternehmen als Kapitalnehmer einen besseren Planungs-
horizont. Die längere Kapitalbindung ermöglicht es dem Unternehmen, das Kapital wie-
derum selbst rentierlicher zu investieren.
Aus Unternehmenssicht ist der Faktor Liquidität besonders wichtig. Das vorrangige
Ziel eines Unternehmens sollte es sein, dass es zu jeder Zeit seinen Zahlungsver-
pflichtungen fristgerecht und vollumfänglich, inklusive aller Zins- und Tilgungs-
leistungen, nachkommen kann. Das Unternehmen hat immer mit den Gefahren von
Unterliquidität bzw. Illiquidität zu kämpfen. Unterliquidität beschreibt dabei die Gefahr,

1Ein Annuitätendarlehen wird mit gleichbleibenden Zahlungen bedient. Die Zahlungen umfassen
Zins- und Tilgungsleistungen. Zu Laufzeitbeginn sind die Zinsleistungen für gewöhnlich größer als
die Tilgungsleistungen. Die Zinslast berechnet sich auf Basis der verbleibenden Restschuld. Diese
nimmt mit jeder Tilgungsleistung ab, sodass während der Darlehenslaufzeit die Tilgungsleistungen
im Vergleich zu den Zinsleistungen aufgrund der in Summe gleichbleibenden Zahlungen steigt.
4 Finanzierung 53

dass das Unternehmen vorübergehend nicht zahlungsfähig ist und es zu kurzfristigen


Zahlungsstockungen kommt. Die Illiquidität entspricht der dauerhaften Zahlungs-
unfähigkeit gemäß § 17 der InsO. Die Zahlungsunfähigkeit ist der Hauptgrund für
Insolvenzen in Deutschland. Sie sind selten rentabilitätsbedingt, sondern oftmals liquidi-
tätsbedingt. Unternehmen überwachen die Liquidität u. a. mithilfe der drei Liquiditäts-
grade. Die Aussagekraft der Liquiditätsgrade hängt von unterschiedlichen Faktoren, wie
z. B. der Branche, ab.
Der Faktor Sicherheit bezieht sich im unternehmerischen Kontext auf die finan-
ziellen Risiken. Es besteht dauerhaft die Gefahr für ein Unternehmen, dass es Verluste
erzielt. Verluste sind die Konsequenz aus einer Abweichung zwischen tatsächlicher und
gewünschter Entwicklung. Risiken gehören zum unternehmerischen Alltag, um einen
entsprechenden Unternehmensmehrwert generieren zu können. Allerdings sollte ein
Unternehmen Risiken nur in einem gewissen Umfang eingehen unter Beachtung von
Rentabilität und Liquidität. Dieses Spannungsfeld zwischen Rentabilität, Liquidität und
Risiko ist dauerhaft vorhanden.
Finanzielle Risiken sind für ein Unternehmen das Gegenparteirisiko, das Markt-
preisrisiko, das Liquiditätsrisiko und das operationelle Risiko. Ein Unternehmen sollte
immer damit rechnen, dass ein Vertragspartner seinen Verpflichtungen nicht nach-
kommt. Dieses Risiko wird als Gegenparteirisiko bezeichnet. Der Marktwert kann sich
infolge veränderter Marktpreise verändern. Weitere zu beachtende Risiken sind das Zins-
änderungsrisiko, Aktienkursrisiko, Währungsrisiko und Volatilitätsrisiko. Das Liquidi-
tätsrisiko wird auch Refinanzierungsrisiko genannt. Das Unternehmen muss damit
rechnen, dass eine Refinanzierung gar nicht oder nur zu teureren Konditionen möglich
ist. Ein operationelles Risiko ist ein externes Risiko, welches sich intern auf das Unter-
nehmen auswirkt. Eine grafische Übersicht der identifizierten Risiken bietet Abb. 4.2.
Der Faktor Unabhängigkeit ist für viele Unternehmer ein weiterer wichtiger Fak-
tor in Bezug auf die finanzwirtschaftlichen Entscheidungskriterien. Mit Blick auf die
Unabhängigkeit ist das wichtigste Ziel, dass die Dispositionsfreiheit und die Flexibili-
tät für den Unternehmer aufrecht gehalten werden. Oftmals ist es so, dass mit der
Kapitalaufnahme neue Mitspracherechte (z. B. durch Eigenkapitalgeber) geschaffen
werden.
Die finanzwirtschaftlichen Zielsetzungen sollen nicht alleine betrachtet werden. Sie
stehen in direktem Zusammenhang mit der allgemeinen Unternehmenszielsetzung. Diese
sieht in der Regel die Maximierung des Marktwerts des Eigenkapitals vor. Aus diesem
Grund gilt als ableitbares Ziel für alle Investitionsentscheidungen eine möglichst ren-
table Verwendung des Eigen- und Fremdkapitals herbeizuführen, und somit eine mög-
lichst günstige Aufnahme von Eigen- und Fremdkapital. Nebenbedingungen sind die
Sicherstellung der Liquidität und die Gewährleistung der Flexibilität.
54 E. Frère und A. Zureck

Abb. 4.2   Finanzwirtschaftliche Risiken. (Quelle: In Anlehnung an Becker 2016, S. 21)

4.5 Ziele der Kapitalgeber

Eigen- und Fremdkapitalgeber verfolgen unterschiedliche Ziele. Eigenkapitalgeber stel-


len dem Unternehmen Beteiligungskapital zur Verfügung. Im Fokus steht für Eigen-
kapitalgeber somit die Wertsteigerung und Rentabilität der Anteile. Daneben spielen
noch Kontrolle und Einflussmöglichkeiten eine wichtige Rolle. Für einen Eigenkapital-
geber ist ein Unternehmen nur dann interessant, wenn das Unternehmen möglichst
dauerhaft Gewinne abwirft. Hierfür muss das Unternehmen wachstumsorientiert und
innovativ bleiben.
Das Verhältnis zwischen Unternehmen und Fremdkapitalgeber ist ein Schuldverhält-
nis. Dabei leihen die Kapitalgeber dem Unternehmen Kapital und erwarten eine dafür
ordnungsgemäße Zins- und Tilgungsleistung seitens des Unternehmens. Die Verzinsung
richtet sich dabei an die Bonität des Unternehmens aus. Je schlechter die Bonität, desto
höher das Risiko und damit auch der Zinssatz, den die Fremdkapitalgeber verlangen. Die
Rückzahlung ist vertraglich vereinbart. Fremdkapitalgeber haben keine direkte Kont-
rolle und Einflussmöglichkeiten auf das Unternehmen. Allerdings könnten sie durch die
Besetzung von Schlüsselpositionen, z. B. im Aufsichtsrat, Einfluss auf das Unternehmen
nehmen. Zudem sichern sie sich durch sogenannte Negativ- bzw. Kreditklauseln Ein-
flussmöglichkeiten.
Die Eigenkapitalgeber haben ein Interesse an der nachhaltigen Wertsteigerung ihres
Anteils am Unternehmen bzw. des Shareholder Values. Die Einflussfaktoren bezogen
4 Finanzierung 55

auf den Shareholder Value sind im Shareholder-Value-Konzept beschrieben (Rappaport


1986). Der Shareholder Value wird auf Basis heutiger Barwerte aller zukünftigen Cash-
flows einer Periode berechnet.

4.6 Finanzierungsalternativen

Zur Finanzierung eines Unternehmens stehen grundsätzlich verschiedene Alternativen


zur Verfügung. Die Finanzierungsalternativen können nach Finanzierungsformen oder
nach Finanzierungsinstrumenten systematisiert werden. Die Systematisierung der
Finanzierungsalternativen erleichtert im Unternehmen das Finanzmanagement, da die
Planung, Steuerung und Kontrolle der Zahlungsströme vereinfacht wird.
Bei der Systematisierung von Finanzierungsformen spielen der Finanzierungs-
anlass, die Kapitalüberlassungsdauer, die Finanzmittelherkunft und die rechtliche
Stellung der Kapitalgeber eine wichtige Rolle. Der Finanzierungsanlass orientiert
sich an der Unternehmensreife. Es erfolgt eine Differenzierung zwischen Gründungs-
finanzierung, Wachstumsfinanzierung, Finanzierung in der Reifephase, Refinanzierung
und Sanierungsfinanzierung. Mit Blick auf die Kapitalüberlassungsdauer wird zwischen
kurzfristiger Finanzierung, mittelfristiger Finanzierung und langfristiger Finanzierung
unterschieden. Bei einer Finanzierung mit einer Laufzeit von bis zu einem Jahr spricht
man von kurzfristiger Finanzierung. Mittelfristige Finanzierungen haben eine Laufzeit
von einem Jahr bis zu fünf Jahren. Langfristige Finanzierungen haben Laufzeiten von
mehr als fünf Jahren. Im Kontext zur Finanzmittelherkunft unterscheidet man zwischen
Außenfinanzierung und Innenfinanzierung. Nach der rechtlichen Stellung des Kapital-
gebers wird zwischen Eigenfinanzierung, Fremdfinanzierung und hybrider Finanzierung
differenziert. Hybride Finanzierungen heißen oft auch Mezzanine-Finanzierungen.
Bei der Systematisierung nach Finanzierungsinstrumenten unterscheidet man zwi-
schen Außenfinanzierung und Innenfinanzierung. Bei der Außenfinanzierung kommt
neues Kapital von außen in das Unternehmen und bei der Innenfinanzierung wurde das
Kapital vom Unternehmen selbst erwirtschaftet. Eine erste grobe Differenzierung dieser
beiden grundlegenden Finanzierungsarten bietet Abb. 4.3.

Abb. 4.3   System der Finanzierungsarten. (Quelle: In Anlehnung an Becker 2016, S. 129)


56 E. Frère und A. Zureck

Zur Außenfinanzierung gehören die Beteiligungsfinanzierung (Eigenkapital), Mez-


zanine-Finanzierung (Hybridkapital) und Kreditfinanzierung (Fremdkapital). Die
Beteiligungsfinanzierung kann u. a. erfolgen durch Gesellschaftereinlagen, Erwerb von
GmbH-Anteilen oder die Emission von Aktien. Im Bereich der Mezzanine-Finanzie-
rung stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Ausgewählte Möglichkeiten
sind z. B. Nachrangdarlehen, Wandelanleihen, Optionsanleihen, Genussrechte oder stille
Beteiligungen. Im Bereich der Kreditfinanzierung stehen ebenfalls unterschiedliche
Varianten zur Verfügung. Gängige Finanzinstrumente im Bereich der Kreditfinanzierung
sind Lieferantenkredite, Bankkredite, sonstige Darlehen oder Anleihen. Zur Innen-
finanzierung gehören die Finanzierung aus dem Umsatzprozess und die Finanzierung aus
der Vermögensumschichtung. Die Finanzierung aus dem Umsatzprozess erfolgt durch
die Einbehaltung von Gewinnen, Finanzierung aus Abschreibungen und Finanzierung
aus Rückstellungen. Die Finanzierung aus Vermögensumschichtung erfolgt durch Des-
investitionen, Reduzierung der Kapitalbindung oder Sale-and-lease-back.
Die Innenfinanzierung bietet die Möglichkeit, den Kapitalbedarf aus finanzwirtschaft-
lich relevanten Vorgängen innerhalb des Unternehmens zu decken. Allerdings ist die
genaue Höhe der zur Verfügung stehenden Finanzmittel zum Teil ungewiss. Hinzu
kommt, dass die Überlassungsfristen oft ebenfalls ungewiss sind. Die Finanzierungs-
vorgänge entstehen im Unternehmen zum Teil laufend und sind oft erst am Ende einer
Abrechnungsperiode erkennbar. Die Außenfinanzierung ermöglicht die Aufnahme von
Eigenkapitalgebern und Fremdkapitalgebern. Die Kapitalgeber kommen grundsätzlich
von außerhalb des Unternehmens, sodass das Unternehmen immer neues Kapital erhält.
Sofern Kapital von außen in das Unternehmen kommt, sind die Beträge und die Über-
lassungsfristen exakt abgegrenzt. Im Rahmen des Finanzmanagements sind die Einzel-
akte der Finanzierung zu vorher vereinbarten Zeitpunkten einfach zu bestimmen.
Die in diesem Abschnitt ausgeführte Differenzierung findet sich auch in Abb. 4.4
­wieder.

Abb. 4.4   Arten der Innenfinanzierung. (Quelle: In Anlehnung an Becker 2016, S. 245)


4 Finanzierung 57

4.7 Eigenkapital

Das Eigenkapital stammt von den Eigentümern eines Unternehmens. Eigenkapital


begründet ein Beteiligungsverhältnis. Es steht dem Unternehmen normalerweise
unbefristet zur Verfügung. Es gilt auch als Haftkapital für Verluste, die ein Unternehmen
erwirtschaftet. Der Haftungsumfang ist von der Gesellschaftsart abhängig. Bei Personen-
gesellschaften, z. B. KG oder OHG, haftet der Eigenkapitalgeber in Höhe seiner Einlage
oder zusätzlich mit seinem gesamten Privatvermögen. So gibt es beispielsweise bei einer
KG immer einen Komplementär und einen Kommanditisten. Der Komplementär haftet
vollumfänglich in der Höhe seiner Einlage und zusätzlich mit seinem Privatvermögen. Der
Kommanditist hingegen haftet nur mit seiner Einlage. Bei einer Kapitalgesellschaft, z. B.
GmbH oder AG, haftet der Eigenkapitalgeber immer nur in Höhe seiner Kapitaleinlage.
Im Vergleich zu Fremdkapitalgebern haben Eigenkapitalgeber Mitspracherechte und
sind so in die unternehmerischen Entscheidungen involviert. Als Maßstab für das Inte-
resse der Eigenkapitalgeber gilt das Shareholder-Value-Konzept (Rappaport 1986). Der
Eigenkapitalgeber ist an einer nachhaltigen Steigerung des Marktwerts seines Anteils
interessiert. Das Eigenkapital steht dem Unternehmen grundsätzlich zeitlich unbegrenzt
zur Verfügung. Aus Investorensicht ist Eigenkapital somit illiquide und mit Risiken ver-
sehen, woraus sich u. a. die höhere Renditeforderung der Eigenkapitalgeber im Vergleich
zu den Fremdkapitalgebern ableiten lässt.
Der Eigenkapitalgeber partizipiert am Unternehmenserfolg in zweifacher Art und
Weise. Zum einen spiegelt sich der unternehmerische Erfolg in einem steigenden Markt-
wert für seine Anteile wider. Zum anderen schütten Unternehmen Teile der erzielten
Gewinne an die Anteilseigner aus. Sofern ein Unternehmen keine Gewinne erwirt-
schaftet, erhält der Eigenkapitalgeber auch kein Entgelt. Er muss vielmehr damit rech-
nen, dass der Marktwert seines Anteils an Wert verliert.
Steuerlich werden Eigen- und Fremdkapital ebenfalls unterschiedlich behandelt.
Eigenkapitalzinsen können Unternehmen prinzipiell nicht steuerlich geltend machen.
Sofern ein Unternehmen also Gewinne erwirtschaftet, müssen diese vollumfänglich ver-
steuert werden. Welche Steuern abzuführen sind, hängt von der jeweiligen Rechtsform
des Unternehmens ab. Kapitalgesellschaften müssen in der Regel die Kapitalertrags-
steuer und die Gewerbesteuer abführen. Aus der Steuerperspektive ist ein Unternehmen
demnach daran interessiert, den Gewinn möglichst gering zu halten, um so die Steuerlast
zu senken.
In welchem Umfang ein Unternehmen Eigenkapital erhält, hängt immer von der
finanziellen Kapazität und/oder der Bereitschaft bisheriger und neuer Kapitalgeber ab,
dem Unternehmen neues Kapital zur Verfügung zu stellen. Solange das Unternehmen
die Kapitalgeber überzeugen kann, dass langfristig Gewinne erwirtschaftet werden,
sind diese bereit, dem Unternehmen Eigenkapital zur Verfügung zu stellen. Ob ein
Unternehmen langfristig Gewinne erwirtschaftet, hängt im Wesentlichen mit von der
Konkurrenzfähigkeit der eigenen Produkte und Dienstleistungen ab.
58 E. Frère und A. Zureck

4.8 Fremdkapital

Neben dem Eigenkapital nimmt das Fremdkapital einen hohen Stellenwert im Kontext
der Unternehmensfinanzierung ein. Das Fremdkapital ist ein Außenfinanzierungsinstru-
ment. Fremdkapital wird dem Unternehmen von externen Dritten zur Verfügung gestellt.
Für die meisten Unternehmen sind Banken der wichtigste Fremdkapitalgeber. Im Ver-
gleich zum Eigenkapital steht dem Unternehmen das Fremdkapital nur befristet zur Ver-
fügung. Entsprechende Zins- und Tilgungsleistungen werden vertraglich festgehalten.
Fremdkapital begründet ein Schuldverhältnis. Aus diesem Grund verpflichtet sich der
Schuldner, sprich das Unternehmen, dem Gläubiger gegenüber die vertraglichen Zins-
und Tilgungsleistungen zu erbringen. Der Gläubiger verpflichtet sich ebenfalls, alle
vertraglich festgehalten Vereinbarungen einzuhalten. Der Gläubiger hat keine weiteren
Ansprüche, als den vereinbarten Zins, an etwaigen Gewinnen des Unternehmens.
Im Vergleich zum Eigenkapitalgeber haftet ein Fremdkapitalgeber im Insolvenzfall
nicht. Vielmehr wird der Fremdkapitalgeber im Insolvenzfall vorrangig behandelt. Im
Insolvenzfall werden zunächst die Fremdkapitalgeber aus der noch vorhandenen Masse
befriedigt. Fremdkapitalgeber verfügen im Vergleich zu Eigenkapitalgebern über Perso-
nal- und Realsicherheiten. Die vorhandenen Sicherheiten lassen die Fremdkapitalgeber
im Insolvenzfall besser dastehen, da sie die Sicherheiten bei ausbleibenden Zahlungen
für Zins und Tilgung verwerten können. Sofern eine Sicherheit einen höheren Wert
hat und bei der Verwertung ein die Restforderung übersteigender Erlös für die Sicher-
heit erzielt wird, darf der Fremdkapitalgeber den Überschuss nicht behalten. Er ist viel-
mehr verpflichtet, diesen dem Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Zusammengefasst
betrachtet, hat ein Fremdkapitalgeber keinen Anspruch an das Vermögen des Unter-
nehmens. Er hat immer nur Anspruch auf die Rückzahlung seiner Forderung und den
vertraglich vereinbarten Zins.
Anders als der Eigenkapitalgeber hat der Fremdkapitalgeber kein Recht auf Mit-
bestimmung. Allerdings lassen sich in der Praxis Fremdkapitalgeber in unterschied-
lichem Umfang Mitspracherechte einräumen. Hierfür gibt es unterschiedliche
Möglichkeiten, so kann der Fremdkapitalgeber über Covenants entsprechende Sanktio-
nen vereinbaren. Als mögliche Sanktionen kommen ein höherer Zinssatz oder die früh-
zeitige Fälligstellung der Forderung infrage. Sofern der Schuldner allen vertraglichen
Vereinbarungen nachkommt, hat der Gläubiger keine Möglichkeit, die Forderung früh-
zeitig fällig zu stellen. Aus diesem Grund ist Fremdkapital für Unternehmen, zeitlich
betrachtet, besonders gut planbar. Zinsen stellen steuerlich einen Aufwand dar. Des-
halb wirken sich Zinsen unmittelbar gewinnmindernd aus. Aus diesem Grund kann die
Fremdkapitalaufnahme bei Unternehmen auch aus steuerlichen Gründen erfolgen, um
die Steuerlast zu reduzieren.
Im Vergleich zum Eigenkapitalgeber hat der Fremdkapitalgeber kein unmittel-
bares Interesse am Unternehmen und dessen Dienstleistungen bzw. Produkten. Für den
Fremdkapitalgeber ist es ausschlaggebend, ob das Unternehmen in der Lage ist, seinen
4 Finanzierung 59

Zins- und Tilgungsverpflichtungen nachzukommen. Aus diesem Grund ist der Umfang
für neues Fremdkapital begrenzt. Ein Unternehmen kann nur seiner Bonität und seinen
vorhandenen Sicherheiten entsprechendes Fremdkapital erhalten.

4.9 Außenfinanzierungsmöglichkeiten

Mit Blick auf den vorangegangenen Abschnitt ist ein rein fremdfinanziertes Unter-
nehmen per se ausgeschlossen, da dies ein zu großes Risiko für jegliche Fremdkapital-
geber darstellen würde. Es gibt keine genauen Vorgaben, wie das Verhältnis von
Eigenkapital zu Fremdkapital sein könnte. Allerdings gibt es verschiedene Regeln, die
die Relation versuchen zu optimieren. Die Eigenkapitalgeber fungieren demnach immer
als Risikokapitalgeber.
Allen voran stehen in diesem Zusammenhang die horizontalen Finanzierungsregeln.
Diese erfordern ein bestimmtes Verhältnis zwischen Vermögensstruktur und Kapital-
struktur. Demnach gibt es Empfehlungen, wie gewisse Vermögensgestände eines
Unternehmens finanziert sein sollten. Die sogenannte „Goldene Finanzierungsregel“
empfiehlt, dass Fremdkapital nur so lange zur Finanzierung von Vermögensgegenständen
verwendet werden sollte, wie diese Vermögensgegenstände dem Unternehmen zur Ver-
fügung stehen. Orientierungsgröße ist dabei immer die gewöhnliche Nutzungsdauer für
einen Vermögensgegenstand.
In der Praxis wird für die Kapitalstrukturierung oftmals auf die „Goldene Bilanz-
regel“ zurückgegriffen. Hierbei wird zwischen lang- und kurzfristigen Bindungen dif-
ferenziert. Demnach muss langfristig gebundenes Vermögen mit langfristigem Kapital
finanziert werden. Zum langfristig gebundenen Kapital zählt das gesamte Anlagever-
mögen. Hinzu kommen noch die langfristig gebundenen Teile des Umlaufvermögens.
Das langfristig gebundene Kapital soll möglichst mit Eigenkapital oder mit langfristigem
Fremdkapital finanziert werden. Ziel hierbei ist die Fristenkongruenz von Vermögens-
und Kapitalstruktur.
Betrachtet man in diesem Zusammenhang die Außenfinanzierungsmöglichkei-
ten noch einmal konkret, so handelt es sich bei der Eigenfinanzierung immer um eine
Beteiligungsfinanzierung. Das Beteiligungskapital sollte vom Unternehmen immer für
die Finanzierung langfristig gebundenen Kapitals verwendet werden, d. h. zur Finan-
zierung von Anlagevermögen und langfristig gebundenem Umlaufvermögen (z. B. dem
sogenannten „eisernen Bestand“). Das Eigenkapital kann dann um langfristig zur Ver-
fügung stehendes Fremdkapital ergänzt werden. Hierfür kommen allen voran langfristige
Darlehen infrage oder beispielsweise Schuldscheindarlehen und Obligationen. Das nicht
langfristig gebundene Umlaufvermögen sollte mit kurzfristigem Fremdkapital finanziert
werden. Am Geld- und Kapitalmarkt können Unternehmen auf kurzfristige Bankkredite
zurückgreifen, welche sich gerade in Phasen niedriger Zinsen anbieten.
Zu diesen zählen u.  a. Kontokorrentkredite, Diskontkredite, Lombardkredite,
Akzeptkredite oder Avalkredite. Unternehmen können im Bereich des kurzfristigen
60 E. Frère und A. Zureck

Fremdkapitals zudem auf Kredite aus dem Waren- und Leistungsverkehr zurückgreifen.
Beispiele hierfür sind Lieferantenkredite und Kundenkredite. Kundenkredite können
z. B. Anzahlungen oder Zahlungen in Vorkasse sein.
Generell können Unternehmen die Vermögens- und Kapitalstruktur optimieren, wenn
sie auf Sonderformen der Finanzierung zurückgreifen. Zu den Sonderformen der Finan-
zierung zählen u. a. das Leasing und Factoring. Beide Formen werden später detailliert
vorgestellt.

4.10 Kreditfinanzierung – Wichtige Merkmale

Die Kreditfinanzierung ist eine Außenfinanzierung in Form von Fremdkapital. Es exis-


tieren sechs wesentliche Merkmale anhand derer der Kredit differenziert werden kann:
Fristigkeit des Fremdkapitals, Quelle des Fremdkapitals, Verwendung des Fremdkapitals,
Formen des Fremdkapitals, Entgelt des Fremdkapitals und Rückzahlung des Fremd-
kapitals (siehe auch Abb. 4.5).

• Das erste Unterscheidungsmerkmal für Fremdkapital ist die Fristigkeit des Kapitals.
Es wird zwischen kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Fremdkapital unter-
schieden. Fremdkapital mit einer Laufzeit von bis zu einem Jahr ist kurzfristiges
Fremdkapital. Zum kurzfristigen Fremdkapital zählen beispielsweise Kontokorrent-
kredite, Kundenanzahlungen oder Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung. Für
Unternehmen, für die die Vorschriften des HGB gelten, ist die Fristigkeit für kurz-
fristiges Fremdkapital in § 268 Abs. 5 Satz 1 HGB festgehalten.
Die Fristigkeit für langfristiges Fremdkapital ist ebenfalls für die Unternehmen, für
die das HGB gilt, in § 285 Nr. 1 HGB geregelt. Demnach sind alle Verbindlichkeiten

Abb. 4.5   Merkmale der Kreditfinanzierung


4 Finanzierung 61

mit einer Restlaufzeit von mehr als fünf Jahren langfristiges Fremdkapital. Zum lang-
fristigen Fremdkapital zählen neben klassischen Bankdarlehen auch Rückstellungen.
Allen voran zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang die Pensionsrückstellungen,
die meist einen großen Anteil an den langfristigen Verbindlichkeiten eines Unter-
nehmens ausmachen. Neben den genannten Finanzierungsinstrumenten zählen auch
Schuldscheindarlehen und Anleihen zum langfristigen Fremdkapital.
Die Fristigkeit für mittelfristiges Fremdkapital ist im Gesetz nirgends explizit
genannt. Allerdings ergibt sich die Fristigkeit aus den zuvor genannten Fristigkeiten
für kurzfristiges und langfristiges Fremdkapital. Demnach hat mittelfristiges Fremd-
kapital eine Restlaufzeit zwischen einem und fünf Jahren.
• Das zweite Unterscheidungsmerkmal für Fremdkapital ist die Quelle des ­Kapitals.
Fremdkapital kann dem Unternehmen von unterschiedlichen Kapitalgebern zur Ver-
fügung gestellt werden. Der wichtigste Fremdkapitalgeber ist für die meisten Unter-
nehmen die Bank. Allerdings ist die Bank oft nicht der einzige Fremdkapitalgeber
eines Unternehmens. Viele Unternehmen nutzen zur Finanzierung auch von Liefe-
ranten eingeräumte Lieferantenkredite zur Finanzierung. Bezahlt ein Kunde im Vor-
aus oder leistet er eine Anzahlung für ein Produkt oder eine Dienstleistung erhält
das Unternehmen einen Kundenkredit. Ein Kundenkredit ist ebenfalls Fremdkapital.
Neben Banken können andere Unternehmen und auch Privatpersonen Darlehensgeber
sein. Insbesondere in Konzernen gewähren die einzelnen zum Konzern gehörenden
Tochterunternehmen sich oft untereinander Darlehen, da diese Art der Refinanzierung
meist günstiger ist, als eine entsprechende Refinanzierung über ausstehende
Dritte. In der Praxis kommt es zudem regelmäßig vor, dass das Unternehmen vom
Gesellschafter ein Darlehen gewährt bekommt. In diesem Fall stellt der Gesellschafter
als Privatperson dem Unternehmen einen Kredit zur Verfügung. Ein weiterer mög-
licher Finanzier für Unternehmen ist der Staat. Staatliche Kredite sind oft günstiger
als Kredite von Banken oder anderen Finanziers, da der Staat mit der Kreditvergabe
ein bestimmtes Ziel verfolgt. So kann es beispielsweise sein, dass der Staat eine
gewisse Branche oder Technologien vorantreiben oder gezielt Arbeitsplätze in einem
Unternehmen fördern möchte.
• Das dritte Unterscheidungsmerkmal für Fremdkapital ist die Verwendung des Kapi-
tals. Fremdkapital kann zur Beschaffung von Anlagevermögen, zur Beschaffung von
Umlaufvermögen oder zur Überbrückung mittel- oder langfristiger Finanzierun-
gen genutzt werden. Sofern das Fremdkapital der Beschaffung von Anlagevermögen
dient, handelt es sich um einen Investitionskredit. Investitionskredite sind meist lang-
fristige Verbindlichkeiten, die beispielsweise zur Maschinenfinanzierung genutzt wer-
den. Banken vergeben Investitionskredite nur, wenn ein Unternehmen entsprechende
Kreditsicherheiten zur Absicherung der Forderung stellen kann. Häufig ist das finan-
zierte Objekt selbst die entsprechende Sicherheit. Generell unterscheidet man bei
Kreditsicherheiten zwischen Personal- und Realsicherheiten. Zu den Personalsicher-
heiten zählen z. B. die Bürgschaft und Garantien. Zu den Realsicherheiten zählen der
Eigentumsvorbehalt, das Pfandrecht, die Sicherungsübereignung, die Sicherungs-
62 E. Frère und A. Zureck

abtretung und das Grundpfandrecht. Grundpfandrechtlich abgesicherte Darlehen wer-


den oft auch als Realkredite bezeichnet, da sie besonders lange Laufzeiten haben und
der Finanzierung von unbeweglichen Vermögen, wie z. B. Immobilien, dienen.
Darlehen für die Beschaffung von Umlaufvermögen sind Betriebsmittelkredite. Sie
dienen der Finanzierung von Waren und Rohstoffen, die das Unternehmen für die
Produktion benötigt. Betriebsmittelkredite haben kurze oder gar keine feste Lauf-
zeit, da das Unternehmen die Darlehen meist direkt nach dem Verkauf der erzeugten
Produkte tilgt. Aus diesem Grund werden Betriebsmittel in der Praxis oft durch ein-
geräumte Kreditlinien auf dem Kontokorrentkonto finanziert.
Zwischenfinanzierungen dienen der Überbrückung unterschiedlicher Laufzeiten.
Sofern in einem Unternehmen auf kurze Sicht mehrere Darlehen auslaufen, kann es
für ein Unternehmen sinnvoll sein, nicht jedes einzelne Darlehen zu verlängern, son-
dern die einzelnen Darlehen zu einem großen Darlehen zu bündeln. Durch diese Bün-
delung können Unternehmen zum Teil Kosten einsparen, da nicht für jedes einzelne
Darlehen, sondern für alle zusammen, eine Kreditsicherheit gestellt werden muss.
Jede weitere Sicherheitenstellung verursacht u. a. Zusatzkosten in Form von Notar-
und/oder Gutachterkosten.
• Das vierte Unterscheidungsmerkmal von Fremdkapital ist die Form des Fremd-
kapitals. Bei der Form des Fremdkapitals wird zwischen Geldkredit, Sachkredit
und Kreditleihe unterschieden. Geldkredite sind Kredite, die einem Kreditnehmer
in Zahlungsmitteln in der eigenen oder in einer fremden Währung gewährt werden.
Der Kreditnehmer leistet an den Kreditgeber Zins- und Tilgungszahlungen. Sach-
kredite sind normalerweise Geldkredite. Allerdings sind Sachkredite im direkten
Vergleich zu Geldkrediten mit Kreditsicherheiten abgesichert. Bei der Kreditleihe
fließen direkt keine Zahlungsmittel. Bei einer Kreditleihe stellt in der Regel eine
Bank ihrem Kunden die eigene Kreditwürdigkeit zur Verfügung. Die Kreditleihe
dient meist der Absicherung eines Geschäfts, das der Kunde mit einem Dritten ein-
gegangen ist. Sofern der Kunde allen vertraglichen Verpflichtungen nachkommt, zahlt
er der Bank für die Kreditleihe nur ein Entgelt. In jenem Fall, dass der Kunde sei-
nen Verpflichtungen nicht mehr nachkommt, zahlt die Bank an den Dritten. Gleich-
zeitig nimmt sie ihren Kunden in die Haftung und fordert das an den Dritten gezahlte
Kapital zurück. Avalkredite sind die in der Praxis am häufigsten vorkommenden
­Kreditleihen.
• Das fünfte Unterscheidungsmerkmal von Fremdkapital ist das Entgelt des Fremd-
kapitals. Fremdkapital begründet ein Schuldverhältnis, sodass der Kreditgeber vom
Kreditnehmer für den zur Verfügung gestellten Kredit eine entsprechende Verzinsung
erhält. Die Form der Verzinsung kann dabei im Kreditvertrag individuell gestaltet
werden. In der Praxis gibt es sowohl Kredite mit festen Zinssätzen als auch Kredite
mit variablen Zinssätzen. Allerdings sind Mischformen ebenso möglich. Feste Zins-
sätze bieten eine gute Kalkulationsbasis und werden nicht durch sich allgemein ver-
ändernde Zinsniveaus beeinflusst. Variable Zinssätze bieten den Vorteil, dass sie bei
einem allgemein sinkenden Zinsniveau auch sinken. Allerdings ist dies auch ein
4 Finanzierung 63

Risiko bei allgemein steigenden Zinsen. Aus diesem Grund sollte ein Unternehmen
immer die allgemeinen Veränderungen des Zinsniveaus beachten, wenn neue Dar-
lehensverträge mit Kreditgebern geschlossen werden. Variable Zinssätze orientieren
sich an Leitzinssätzen, wie z. B. EURIBOR oder LIBOR.
• Das letzte Unterscheidungsmerkmal von Fremdkapital ist die Rückzahlung des
Fremdkapitals. Es gibt im Wesentlichen drei verschiedene Darlehensarten: End-
fälliges Darlehen, Tilgungsdarlehen und Annuitätendarlehen. Beim endfälligen Darle-
hen leistet der Kreditnehmer während der Laufzeit keine Tilgung. Die Zinslast bleibt
konstant, da sich die Restschuld während der Laufzeit nicht verändert. Die Zins-
zahlungen können dabei individuell vereinbart werden. Üblich sind monatliche oder
jährliche Zinszahlungen. Die Restschuld bildet generell die Basis für die Berechnung
des zu leistenden Zinses. Bei Tilgungsdarlehen bleiben während der Laufzeit die
Tilgungsleistungen konstant. Die Zinsbelastung sinkt über die Laufzeit, da mit jeder
Tilgungsleistung die Restschuld kleiner wird. Das Unternehmen hat zu Beginn des
Darlehens die größte Kapitallast zu tragen. Zum Ende des Darlehens ist die Belastung
gering, da die Restschulden immer kleiner werden und damit nur noch wenige Zin-
sen gezahlt werden müssen. In der Praxis werden am häufigsten Annuitätendarlehen
vergeben. Bei Annuitätendarlehen bleiben die zu zahlenden Raten über die Laufzeit
konstant. Man spricht hier von einer gleichbleibenden Annuität. Die Annuität umfasst
alle Zins- und Tilgungsleistungen für ein Jahr, sodass die Annuität also die Jahres-
rate bildet. Zu Beginn ist der Zinsanteil bei einem Annuitätendarlehen deutlich höher
als der Tilgungsanteil. Da die Zinsen bei einem Annuitätendarlehen ebenfalls auf der
noch verbleibenden Restschuld basieren, nimmt der Zinsanteil während der Laufzeit
ab, währenddessen der Tilgungsanteil immer größer wird.

4.11 Kreditfinanzierungsprozess

Der Kreditfinanzierungsprozess ist aufgrund gesetzlicher Vorgaben bei allen Banken


recht ähnlich. Normalerweise findet zunächst ein Kreditgespräch statt, in dem über
Kredithöhe, Verwendungszweck des Kredits, Zeitpunkt der Bereitstellung, Kreditlaufzeit,
Kreditrückzahlung und Kreditsicherheiten gesprochen wird. Nach dem Kreditgespräch
richtet das kreditsuchende Unternehmen einen schriftlichen Antrag an die Bank. Der
Kreditantrag enthält Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Gesamtrückzahlungsbetrag
inkl. Zinsen und sonstige Kosten, Rückzahlungsmodalitäten (Höhe, Anzahl und Fällig-
keit der Raten), Sollzinssatz und sonstige Kreditkosten, anfänglicher effektiver Jahres-
zinssatz und Angaben zur Art sowie zum Umfang der Kreditsicherheiten.
Nachdem die Bank den Kreditantrag erhalten hat, prüft sie die Kreditwürdigkeit des
Unternehmens. Im Verlauf der Kreditwürdigkeitsprüfung erstellt die Bank ein internes
Rating für das Unternehmen. Die Kreditwürdigkeitsprüfung ist essenziell im Kredit-
vergabeprozess, da ohne eine tief gehende Bonitätsprüfung kein Kredit vergeben wer-
den kann und darf. Die Ratingnote ist wichtiger Bestandteil für die Bestimmung des
64 E. Frère und A. Zureck

Kreditzinssatzes. Die Ratingnote ist eine Aussage über die zukünftige Fähigkeit eines
Unternehmens, seinen Zahlungsverpflichtungen für Zins und Tilgung vollständig und
termingerecht nachzukommen. Die ermittelte Ratingnote spiegelt die Ausfallwahrschein-
lichkeit wider.
Im Rahmen der Kreditwürdigkeitsprüfung werden kreditstrukturspezifische und
kreditnehmerspezifische Risikokomponenten genauer betrachtet. Die Kreditstruktur hat
direkten Einfluss auf die Ausfallwahrscheinlichkeit. Im Rahmen der kreditstrukturspezi-
fischen Überprüfung werden vier verschiedene Parameter genauer betrachtet: Ausfall-
wahrscheinlichkeit des Kredits, Verlust bei Ausfall, ausstehende Forderung bei Ausfall
und die Laufzeit des Darlehens. Bei der kreditnehmerspezifischen Überprüfung werden
sowohl qualitative als auch quantitative Faktoren berücksichtigt. Qualitative Faktoren
sind im Wesentlichen Eigenschaften des Kreditnehmers, die nicht zählbar sind. Hierzu
zählen z. B. der Unternehmensstandort oder die Managementqualifikationen. Quantita-
tive Faktoren sind zählbare Faktoren, wie z. B. Umsätze oder Erträge.
Nach der Kreditwürdigkeitsprüfung erhält das Unternehmen, sofern durch das Rating
begründet, eine schriftliche Kreditzusage. Die Kreditzusage enthält meistens noch ein-
mal zusammenfassend die wesentlichen Rahmendaten. Nach der Kreditauszahlung
beginnt die Kreditkontrolle. In regelmäßigen Abständen überprüft die Bank, ob sich
wesentliche Rahmenbedingungen seit der Kreditvergabe verändert haben. Die Bank kann
so frühzeitig auf Veränderungen reagieren und im Rahmen der Kreditüberwachung auf
verschiedene Maßnahmen zur Rettung zurückgreifen. Zunächst kann die Bank mit dem
Unternehmen über die veränderte Situation sprechen. Die Ursachen können so identi-
fiziert und angegangen werden. Sofern die bei der Kreditgewährung hereingenommenen
Kreditsicherheiten an Wert verloren haben, kann die Bank eine Nachbesicherung des
Darlehens verlangen. In jedem Falle ist es jedoch ratsam für eine Bank, konstruktiv mit
dem Unternehmen an einer Lösung zu arbeiten. Weder die Bank noch das Unternehmen
haben etwas von einer Insolvenz des Unternehmens. Die Bank erhält oftmals im regulä-
ren Insolvenzverfahren nur einen Bruchteil des Kreditbetrags zurück.

4.12 Kreditzinssatz

Banken vergeben Kredite an Unternehmen und erhalten dafür Zinsleistungen. Der Zins-
satz hängt dabei von den Bedingungen am Geld- und Kapitalmarkt (Verhältnis von
Angebot und Nachfrage nach Kapital) ab. Weitere wesentliche Einflussfaktoren sind die
Kreditlaufzeit und das unternehmensspezifische Ausfallrisiko. Im Ergebnis entspricht der
Zinssatz dem Preis für das zu leihende Geld.
Der Kreditzinssatz hängt von diversen Faktoren ab. Die Basis der Zinssatzkalkulation
bildet dabei der risikolose Fremdkapitalkostensatz. Der risikolose Fremdkapitalkosten-
satz beinhaltet u. a. die Inflationsprämie und die Laufzeitrisikoprämie. Der risikolose
Zinssatz spiegelt die Rendite wider, die ein Investor ohne ein Risiko einzugehen erzielen
kann. Für die Zinskalkulation wird ein fristenkonformer Marktzinssatz verwendet. Die
Frist richtet sich nach der Kreditlaufzeit.
4 Finanzierung 65

Neben dem risikolosen Zins hat die Kundenbonität einen wesentlichen Einfluss auf
den Kreditzinssatz. Die Kundenbonität umfasst die Standardrisikokosten und die Eigen-
kapitalkosten. Die Kundenbonität hängt vor allem durch die zur Verfügung stehenden
Sicherheiten, vom Kreditnehmer akzeptierten Covenants und dem Rating eines Unter-
nehmens ab. Umso schlechter das Rating ist, desto höher sind die Standardrisikokosten.
Verschiedene quantitative und qualitative Faktoren wirken sich auf das Unter-
nehmensrating aus. Ein wichtiger Faktor im Bereich der quantitativen Faktoren ist der
Cashflow, der Auskunft über die Liquiditätslage des Unternehmens gibt. Der Cashflow
zeigt an, ob das Unternehmen seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen kann.
Ergänzend zu Liquiditätskennzahlen werden für das Rating Rentabilitätskennzahlen
herangezogen. Beispiele sind hier die Umsatzrentabilität, Eigenkapitalrentabilität oder
Gesamtkapitalrentabilität.
Ein weiterer das Unternehmensrating beeinflussender Faktor ist das Working Capi-
tal, welches eine wesentliche Kennzahl ist. Bei der Berechnung werden vom Umlauf-
vermögen die kurzfristigen Verbindlichkeiten abgezogen. Das Working Capital zeigt
somit an, wie viel vom Umlaufvermögen langfristig finanziert ist. Insbesondere kapital-
intensive Unternehmen sollten nicht ihr gesamtes Umlaufvermögen kurzfristig finanzie-
ren, da ihre Kapitalkosten in Krisenzeiten möglicherweise stark steigen können. Zudem
sollte das Unternehmen in Krisenzeiten über eine solide Eigenkapitalbasis verfügen.
Eine Kennziffer für die Eigenkapitalbasis ist die Eigenkapitalquote. Sie sollte im Durch-
schnitt vor allem bei kleineren Unternehmen bei mindestens 25 % liegen.
Neben den quantitativen Faktoren spielen qualitative Faktoren beim Rating eine wich-
tige Rolle. Hierunter fallen alle nicht oder nur eingeschränkt messbaren Kennzahlen.
Deren genauer Einfluss auf das Rating ist nur schwer im Detail zu beziffern. Der Ein-
fluss auf die Ratingnote hängt vom Unternehmen und der Bank selbst ab.
Sobald die Bank einen Kredit auszahlt, steht ihr der Betrag nicht liquide zur Verfügung.
Sie muss sich daher in der Regel selbst neues Kapital beschaffen. Dieses fließt ebenfalls in
Form der Liquiditätsrisikoprämie mit in die Kalkulation des Kreditzinssatzes ein.
Des Weiteren muss bei der Kalkulation des Zinssatzes die Bankeffizienz berück-
sichtigt werden. Die Bank muss entsprechende Deckungsbeiträge zur Finanzierung des
Bankbetriebs, wie z. B. Ausgaben für die Geschäftsräume, erwirtschaften.
Zuletzt möchte die Bank mit der Kreditvergabe einen Gewinn erwirtschaften. Aus
diesem Grund wird nun noch eine Gewinnmarge in den Kreditzinssatz einkalkuliert. Die
Gewinnmarge ist oftmals der einzige Bestandteil des Kreditzinssatzes, über den der Ban-
ker mit dem kreditsuchenden Unternehmen verhandeln kann. Alle anderen Faktoren die-
nen im Wesentlichen der Kostendeckung der Bank.

4.13 Kunden- und Lieferantenkredit

Unternehmen erhalten Fremdkapital nicht nur von Banken. Kunden und Lieferanten kön-
nen ebenfalls als Kreditgeber fungieren. Kundenkredite und Lieferantenkredite sind in
der Regel kurzfristige Kredite und zählen zu den Handelskrediten. Um welche Kreditart
66 E. Frère und A. Zureck

es sich handelt, hängt von der Lieferung und der Bezahlung ab. Sofern die Bezahlung
nach der Lieferung erfolgt, ist der Handelskredit ein Lieferantenkredit. Erfolgt die
Bezahlung der Ware oder Dienstleistung schon vor der Lieferung, so handelt es sich um
einen Kundenkredit.
Anzahlung, Teilzahlung, Vorkasse oder Vorauszahlung sind Beispiele für einen
Kundenkredit. Bei einem Kundenkredit erhält der Lieferant bereits vor der Liefe-
rung einen Teil des Kaufpreises. Kundenkredite kommen häufig bei Auftragsprodukten
und Großprojekten vor und sind für den Lieferanten eine Finanzierungshilfe. In man-
chen Fällen fordert ein Lieferant vom Kunden Vorkasse, da die Bonität des Kunden für
­alternative Zahlarten zu schlecht ist. Die Vorkasse stellt eine gute Absicherung gegen-
über Zahlungsausfällen von Kunden mit schlechter Bonität dar. Prinzipiell sind Kunden-
kredite in der Praxis jedoch selten.
Der Kundenkredit hat mehrere Vorteile. Eine Zwischenfinanzierung kann entfallen,
sodass das Unternehmen weitere Einsparungen realisiert. In Abhängigkeit von der Ver-
handlungsmacht des Kreditnehmers, kann ein Kundenkredit sehr schnell gewährt
werden. Ein Grund hierfür ist die Formlosigkeit des Kundenkredits. Ein gewährter
Kundenkredit kann für gewöhnlich nicht gekündigt werden. Der Kundenkredit hat somit
eine Finanzierungsfunktion und vermindert das unternehmerische Risiko. Neben den
Vorteilen bestehen beim Kundenkredit auch gewisse Nachteile. Sofern ein Unternehmen
auf einen Kundenkredit zurückgreifen möchte, wird es für seine Produkte und Dienst-
leistungen möglicherweise nur einen geringeren Preis erzielen. Im Vergleich zu ande-
ren Finanzierungsmöglichkeiten sind die Kapitalkosten relativ hoch. Zudem besteht die
Gefahr, dass das Unternehmen abhängig von seinen Kunden wird.
Lieferung gegen Rechnung, Kauf auf Ziel oder Kaufpreisstundung sind Beispiele für
einen Lieferantenkredit. Bei einem Lieferantenkredit erhält der Kunde zunächst die Ware
oder Dienstleistung, bevor er sie bezahlen muss. In Deutschland und der europäischen
Union haben Kunden normalerweise 30 Tage Zeit die Rechnung zu bezahlen. Lieferan-
ten räumen Kunden, die die Rechnung schneller bezahlen, häufig Skonto ein. Kunden,
die ihre Rechnung binnen zehn oder 14 Tagen begleichen, erhalten vom Lieferanten
die Möglichkeit, Skonto vom Rechnungsbetrag abzuziehen. Das Skonto entspricht den
normalerweise anfallenden Zinsen. Lieferantenkredite sind im Vergleich zu anderen Kre-
diten teuer.
Folgendes Beispiel veranschaulicht die Kosten eines Lieferantenkredites.
„Ein Lieferant schreibt in seine Rechnungen: Zahlungsbedingungen: 10 Tage mit
2 % Skonto oder 30 Tage netto“. Ein Kunde hat Waren mit einem Rechnungsbetrag von
100.000 EUR erhalten und überlegt, wann er bezahlen soll. Wie hoch ist der Zinssatz
dieses Lieferantenkredites?“ Die Antwort finden Sie in Abb. 4.6.
Ähnlich wie beim Kundenkredit bestehen auch beim Lieferantenkredit gewisse
Vor- und Nachteile. Die Kreditgewährung beim Lieferantenkredit ist ebenfalls schnell.
Gründe hierfür sind die Bequemlichkeit, die Formlosigkeit und die einfache Kredit-
prüfung. Die meisten Lieferantenkredite sind durch einen Eigentumsvorbehalt
4 Finanzierung 67

Abb. 4.6   Beispielrechnung
für einen Lieferantenkredit

abgesichert. Unternehmen müssen von Banken eingeräumte Kreditlinien nicht in


Anspruch nehmen. In Krisenzeiten haben sie zudem die Chance, eingeräumte Kredit-
linien von Banken in Anspruch zu nehmen, obwohl sie bei Banken kein weiteres Kapital
mehr beziehen könnten. Unternehmen können Lieferantenkredite normalerweise aus den
laufenden Umsätzen bedienen. Ebenso wie Kundenkredite sind Lieferantenkredite rela-
tiv teuer. Zudem besteht die Möglichkeit, dass Unternehmen von Lieferanten abhängig
­werden.

4.14 Kontokorrentkredit

Der Kontokorrentkredit ist für viele Unternehmen ein wichtiges Finanzierungsinstrument


zur kurzfristigen Refinanzierung im Fremdkapitalbereich. Das Unternehmen verein-
bart mit der Bank eine Kreditlinie. Bis zu dieser Kreditlinie kann das Unternehmen das
Kontokorrentkonto überziehen. Das Unternehmen zahlt Sollzinsen immer nur für den
tatsächlich in Anspruch genommenen Kredit und nicht für die insgesamt eingeräumte
Kreditlinie. Der Sollzinssatz für einen Kontokorrentkredit liegt für gewöhnlich weit über
dem Sollzinssatz für langfristige Darlehen.
Der Kontokorrentkredit wird in der Regel zur Finanzierung betrieblicher Umsatz-
prozesse verwendet. Hierzu zählt u. a. die Beschaffung von Rohstoffen, Hilfsstoffen und
Betriebsstoffen. Generell verfügt das Unternehmen über eine bessere Liquiditätslage und
kann die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel besser disponieren. Darüber hinaus
besteht die Möglichkeit, Skontovorteile zu nutzen.
Solange ein Unternehmen richtig mit einem Kontokorrentkredit umgeht, ist die-
ser ein wichtiges Finanzierungsinstrument. Allerdings kann ein Kontokorrentkredit bei
falscher Verwendung negativen Einfluss auf das Unternehmensrating haben. Beispiele
hierfür sind eine dauerhaft zu hohe Inanspruchnahme oder sogar Überziehungen der
genehmigten Kreditlinie. Für das Unternehmen besteht die Gefahr, dass die Kreditlinie
nicht verlängert wird.
Bei der Inanspruchnahme eines Kontokorrentkredits werden zwischen genehmigter
und geduldeter Überziehung differenziert. Die genehmigte Überziehung ist die Konto-
korrentlinie bis zu der das Unternehmen ohne weitere Genehmigung das Konto-
korrentkonto überziehen darf. Die Bank kann eine über die genehmigte Überziehung
hinausgehende Inanspruchnahme des Kontokorrentkredits dulden. In diesem Fall spricht
man von einer geduldeten Überziehung.
68 E. Frère und A. Zureck

Der Sollzinssatz für den Kontokorrentkredit orientiert sich am Geldmarktzinssatz.


Auf dem Geldmarktzinssatz werden in der Regel 3 bis 5 % p. a. aufgeschlagen. Es kann
eine Kreditprovision bzw. Bereitstellungsprovision in Höhe von 3 bis 4 % der Kreditlinie
hinzukommen. Diese Provision ist nur fällig, wenn die Kreditlinie nicht in Anspruch
genommen wird. Kreditprovision bzw. Bereitstellungsprovision werden nicht bei allen
Kontokorrentkrediten berechnet. Sofern ein Unternehmen in den Bereich der geduldeten
Überziehung rutscht, werden auf dem Zinssatz der genehmigten Überziehung 2,5 bis
4,5 % p. a. aufgeschlagen. Daneben zahlt jedes Unternehmen für ein Kontokorrentkonto
die Kontoführungsgebühren sowie etwaiges Porto und Spesen (Barauslagen).
Die Schnelligkeit der Kapitalbeschaffung ist bei einem Kontokorrentkredit sehr hoch.
Sie hängt im Wesentlichen von der Bestellung der Sicherheiten ab. Ein Kontokorrent-
kredit kann mit allen Personensicherheiten und Sachsicherheiten besichert werden. Die
Laufzeit eines Kontokorrentkredits beträgt in der Regel sechs bis zwölf Monate. In der
Praxis werden Kontokorrentlinien bei gleichbleibender Bonität des Unternehmens meist
automatisch prolongiert, sodass es faktisch keine Laufzeit gibt. Wie bei allen anderen
Krediten auch richtet das kreditsuchende Unternehmen einen Kreditantrag an die Bank.
Zudem erfolgt eine Sicherheitenstellung. Zusammenfassend bietet der Kontokorrent-
kredit die Vorteile, dass er schnell zu beantragen ist, die Verwendung flexibel ist und
Kosten nur bei Inanspruchnahme entstehen. Nachteilig am Kontokorrentkredit sind
die hohen Kosten. Die Kosten sind zudem variabel, sodass die Kalkulationsgrundlage
schlecht ist.

4.15 Avalkredit

Der Avalkredit ist kein Kredit im klassischen Sinne. Im Gegensatz zu einem klassischen
Kredit erhält das Unternehmen bei einem Avalkredit keine Zahlungsmittel. Das Kredit-
institut verbürgt sich für das Unternehmen und somit werden Zahlungsansprüche Drit-
ter gegen das Unternehmen besichert. Das Kreditinstitut erhält für die Bürgschaft bzw.
Garantie eine Provision. Weitere Kosten entstehen für das Unternehmen nicht, sofern
das Unternehmen allen Verpflichtungen nachkommt. Demnach ist der Avalkredit eine
Kreditleihe und keine Geldleihe. Normalerweise erhalten nur Unternehmen mit einer
erstklassigen Bonität einen Avalkredit. Aus diesem Grund steigt das Vertrauen in Unter-
nehmen, die von ihrer Bank einen Avalkredit gestellt bekommen.
In der unternehmerischen Praxis sind Avalkredite insbesondere bei Importgeschäften
von Bedeutung. Die Bank verbürgt sich beispielsweise gegenüber den Zollbehörden,
damit das Unternehmen keinen direkten Liquiditätsabfluss für importbezogene Auf-
wendungen hat. Der Avalkredit offeriert dem Unternehmen somit die Möglichkeit, Zölle
oder Steuern für den Import später zu bezahlen.
Die Provision für den Avalkredit kann von der Bank individuell festgesetzt werden.
Im Allgemeinen liegt die Avalprovision zwischen einem Prozent und 3,5 % pro Jahr.
Im Gegensatz zu Zinsen ist die Avalprovision in der Regel bei Kreditzusage fällig. Die
Schnelligkeit der Kapitalbeschaffung ist beim Avalkredit sehr hoch, da keine direkte
4 Finanzierung 69

Beschaffung von Zahlungsmitteln erfolgt. Die Hinterlegung von Kreditsicherheiten ist


beim Avalkredit untypisch. Die Laufzeit des Avalkredits ist abhängig vom Kreditzweck.
Weder die Bank noch das Unternehmen können den Avalkredit während der Lauf-
zeit kündigen. Die Bank stellt dem Unternehmen eine Bürgschaftsurkunde oder eine
Garantieurkunde aus. Zusammenfassend liegen die Vorteile des Avalkredits in der Boni-
tätserhöhung gegenüber Dritten, Schonung der liquiden Mittel und den ausbleibenden
Zinszahlungen. Beim Avalkredit nachteilig ist, dass der Kreditnehmer die Avalprovision
auch entrichten muss, wenn er allen Verpflichtungen nachkommt.

4.16 Factoring

Das Unternehmen erbringt eine Dienstleistung oder verkauft ein Produkt, sodass das
Unternehmen eine Forderung gegenüber seinem Kunden hat. Anstatt darauf zu war-
ten, dass der Kunde die Forderung begleicht, verkauft das Unternehmen die Forde-
rung an eine Factoring-Gesellschaft. Alle aus der Forderung resultierenden Rechte und
Pflichten gehen in der Regel mit dem Verkauf auf die Factoring-Gesellschaft über. Das
Unternehmen erhält einen Teil der Forderung direkt und verbessert dadurch die eigene
Liquiditätslage.
Es gibt verschiedene Arten des Factorings. Beim offenen Factoring informiert das
Unternehmen seinen Kunden, dass die Forderung an eine Factoring-Gesellschaft ver-
kauft wird. Beim stillen Factoring wird der Kunde nicht über den Verkauf der Forde-
rung informiert. Ein Unternehmen, z. B. ein Zahnarzt, hat eine offene Forderung
gegenüber seinem Patienten, dem Schuldner. Der Zahnarzt verkauft diese Forderung an
die Factoring-Gesellschaft. Diese wird zum neuen Gläubiger des Schuldners, also dem
Patienten des Zahnarztes. Beim offenen Factoring leistet der Patient seine Zahlungen
nicht an den Zahnarzt, sondern an die Factoring-Gesellschaft. Beim stillen Factoring
leistet der Patient seine Zahlungen an den Zahnarzt. Der Zahnarzt leitet die Zahlungen
wiederum an die Factoring-Gesellschaft weiter.
Es gibt im Wesentlichen drei Funktionen des Factorings: Delkrederefunktion, Dienst-
leistungsfunktion und Finanzierungsfunktion. Das Factoring ist eine umsatzkongruente
Finanzierung. Sobald ein Unternehmen eine offene Forderung gegenüber einem Kunden
hat, fließt dem Unternehmen Liquidität zu. Das Unternehmen muss nicht darauf warten,
dass eine Forderung später beglichen wird und es erst dann einen Umsatz verbuchen
kann. Nachdem die Factoring-Gesellschaft die Forderung des Unternehmens angekauft
hat, zahlt sie normalerweise binnen weniger Tage dem Unternehmen einen Teil der For-
derung aus. Für gewöhnlich behält die Factoring-Gesellschaft 5 bis 20 % der Forderung
als Sicherheitsabschlag ein. Der Sicherheitsabschlag verbleibt auf einem Sperrkonto und
wird dem Unternehmen nach Begleichung der Rechnung durch den Debitor oder dem
Eintritt des Delkrederefalles gutgeschrieben. Die Gutschrift erfolgt zwischen 90 und
120 Tagen nach Fälligkeit der Forderung. Dies umschreibt die Finanzierungsfunktion des
Factorings. Das Unternehmen erhält schnell Liquidität, die schnell wieder in den Unter-
nehmensprozess einfließen kann.
70 E. Frère und A. Zureck

Eine Factoring-Gesellschaft kauft für gewöhnlich nicht jede Forderung an. Die Bonität
des Schuldners sowie dessen Kunden werden bei jeder Forderung überprüft. Die Bonitäts-
prüfung ist hierbei vergleichbar mit der Bonitätsprüfung im Zuge einer normalen Kredit-
vergabe. In Summe spielt sowohl die Bonität des Unternehmens als auch die Bonität der
Kunden des Unternehmens eine Rolle, ob ein Forderungsverkauf möglich ist oder nicht.
Das Delkredererisiko ist das Forderungsausfallrisiko. Beim echten Factoring über-
nimmt das Delkredererisiko die Factoring-Gesellschaft. In jenem Fall, dass der Schuld-
ner seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann, trägt nicht das Unternehmen
das Forderungsausfallrisiko, sondern die Factoring-Gesellschaft. Aufgrund des Risiko-
transfers ist das echte Factoring deutlich teurer als das unechte Factoring. Das unechte
Factoring ist somit eher ein normales Kreditgeschäft.
Das Unternehmen kann mit der Factoring-Gesellschaft vertraglich vereinbaren, dass
weitere Leistungen neben dem reinen Forderungsverkauf übernommen werden. Das
Unternehmen kann auf diese Art und Weise den Verwaltungsaufwand im eigenen Unter-
nehmen reduzieren. Factoring-Gesellschaften übernehmen in der Praxis beispielsweise
die Debitorenbuchhaltung inklusive der Rechnungsstellung, das Mahnwesen und das
Inkasso.
Das Unternehmen zahlt für das Factoring an die Factoring-Gesellschaft ein Entgelt.
Das Entgelt umfasst Sollzinsen, eine Risikoprämie und eine Factoring-Gebühr. Das Ent-
gelt hängt dabei von der Bonität des Unternehmens und dessen Kunden, der in Summe
verkauften Forderungen und den durch die Factoring-Gesellschaft übernommenen
zusätzlichen Dienstleistungen ab.
Zusammenfassend bietet das Factoring-Unternehmen mehrere Vorteile. Das Unter-
nehmen kann schneller arbeiten, da die Refinanzierung schneller erfolgt. Dies fördert
u. a. die Rentabilität, da das Unternehmen seine Kapazitäten besser ausschöpfen kann.
Ja nachdem welche zusätzlichen Dienstleistungen von der Factoring-Gesellschaft
übernommen werden, kann das Unternehmen im Verwaltungsbereich umfangreiche
Einsparungen erzielen. Zudem verbessert sich augenscheinlich die Bilanz des Unter-
nehmens, da der Forderungsbestand verringert und die Liquiditätsposten verbessert wer-
den. Den Vorteilen stehen wenige Nachteile gegenüber. Das Unternehmen gibt sich in
eine gewisse Abhängigkeit von der Factoring-Gesellschaft. Zudem sind viele Kunden mit
einem Forderungsverkauf nicht einverstanden, sodass die Kundenbeziehung durch Facto-
ring leiden kann. Viele Kunden schließen aus diesem Grund generell einen Forderungs-
verkauf in ihren AGBs aus.

4.17 Leasing

Leasing ist ein Fremdfinanzierungsinstrument. Das Leasing ist ein mietähnliches Ver-
hältnis, das die Nutzung von Investitionsgütern und Konsumgütern umfasst. Beim
Leasing erhält das Unternehmen direkt keine Zahlungsmittel in Form eines Kredits.
Allerdings werden dem Unternehmen die Leasingobjekte zur Nutzung überlassen. Aus
4 Finanzierung 71

diesem Grund ist das Leasing kein klassisches Fremdfinanzierungsinstrument, sondern


eine Sonderform der Finanzierung.
Als Leasinggeber fungieren unterschiedliche Anbieter. Es gibt sowohl unabhängige
Anbieter als auch Leasinggesellschaften, die zu einer Bank oder zu einem Hersteller
gehören. Sofern der Leasingvertrag mit einem Hersteller geschlossen wird, spricht man
von direktem Leasing. Wenn ein unabhängiger Dritter Leasinganbieter das Leasingobjekt
erwirbt und dem Leasingnehmer zur Nutzung zur Verfügung stellt, handelt es sich um
indirektes Leasing.
Prinzipiell unterscheidet man in der Praxis zwischen zwei verschiedenen Arten des
Leasings. Das Operate Leasing entspricht im Wesentlichen einem Mietvertrag. Der Ver-
trag ist beidseitig unter Einhaltung einer bestimmten Frist kündbar. Beim Operate Lea-
sing trägt der Leasinggeber das Investitionsrisiko, die Kosten für die Veralterung und
die Abnutzung des Leasingobjekts sowie sonstige Risiken in Verbindung zum Leasing-
objekt. Das Gesamtrisiko liegt somit beim Leasinggeber, sodass dieser das Leasingobjekt
bilanzieren und entsprechend abschreiben darf.
Beim Operate Leasing zahlt das Unternehmen während der Laufzeit des Leasing-
vertrags einen festen Betrag für die Nutzung des ihm überlassenen Leasingobjekts. Der
Leasinggeber beschafft das Leasingobjekt somit vor der Überlassung mit seinen eigenen
finanziellen Mitteln. Aus diesem Grund umfasst die Leasingrate die Kosten für den Wert-
verlust des Leasingobjekts während der vertraglich festgelegten Nutzungsdauer. Hinzu
kommt ein Aufschlag für die Verwaltung und die Gewinnmarge für den Leasinggeber.
Normalerweise gibt der Leasingnehmer das Leasingobjekt zu Vertragsende zurück an
den Leasinggeber.
Das Finance Leasing entspricht eher einer Finanzierung und bietet dem Leasing-
nehmer weniger Vorteile. Zwischen dem Leasinggeber und dem Leasingnehmer wird
eine Grundmietzeit vereinbart, die sich meist auf 40–90 % (Voll- und Teilamortisation)
der gewöhnlichen Nutzungsdauer des Leasingobjekts beläuft. Weder Leasinggeber
noch Leasingnehmer können den Leasingvertrag während der Grundmietzeit kündi-
gen. Der Wertverlust des Leasingobjekts wird dabei entweder teilweise oder vollständig
durch die Leasingraten amortisiert. Aus diesem Grund trägt hier im Wesentlichen der
Leasingnehmer das Gesamtrisiko, sodass das Leasingobjekt bei ihm bilanziert und
abgeschrieben wird.
Ein Unternehmen kann aus diversen Gründen einen Leasingvertrag abschließen. In
der Praxis entscheiden sich Unternehmen auch aus steuerlichen Gründen oftmals für
Leasing. Leasingraten sind steuerlich betrachtet Aufwand, sodass sie direkt den Gewinn
des Unternehmens mindern. Darüber hinaus ist es für viele Unternehmen buchhalterisch
einfacher, da die Leasingrate alle ansonsten anfallenden Einzelbuchungen vereint. Als
Beispiel kommt hierfür das Leasing eines Firmenfahrzeugs in Betracht, das oftmals eine
Mischform der beiden zuvor genannten Leasingarten ist.
Leasinggesellschaften haben bei der Anschaffung von Leasingobjekten oftmals
einen Vorteil im Vergleich zu Einzelkunden. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass
die Leasinggesellschaft besonders gute Einkaufkonditionen erhält. Dies ist zumeist der
72 E. Frère und A. Zureck

Fall, wenn die Leasinggesellschaft eine große Menge eines Leasingobjekts erwirbt.
Zum anderen verfügen die meisten Leasinggesellschaften über einen guten Zugang zum
Kapitalmarkt, sodass die Finanzierungskosten für die Leasinggesellschaft oftmals niedri-
ger als für den Einzelkunden sind.
Eine Sonderform des Leasings ist Sale-and-lease-back. Sale-and-lease-back spielt im
Besonderen mit Blick auf Immobilien eine wichtige Rolle. Ein Unternehmen verkauft
hierbei seine Immobilie und erhält dafür Liquidität. Je nachdem wie lange die Immobilie
im Eigentum des Unternehmens ist, deckt das Unternehmen mit dem Verkaufserlös
gegebenenfalls stille Reserven auf. Für den über dem Buchwert liegenden Teil des Ver-
kaufserlöses muss das Unternehmen Steuern zahlen. Unmittelbar nach dem Verkauf der
Immobilie mietet das Unternehmen die Immobilie langfristig zurück. Somit wird das
Unternehmen beim Sale-and-lease-back Mieter der Immobilie, die es vorher als Eigen-
tümer besaß.
Das Leasing bietet dem Unternehmen generell den Vorteil, dass die Leasingrate als
Aufwand angesetzt werden kann. Dies ist allerdings nur möglich, wenn das Leasing-
objekt beim Leasinggeber bilanziert wird (Operate Leasing). Das Unternehmen benötigt
allerdings insgesamt weniger Kredite und liquide Mittel. Aus diesem Grund erhöht es
in Summe optional seinen Finanzierungsspielraum und damit seine allgemeine Unter-
nehmensauslastung. In der Leasingrate sind oftmals noch Zusatzleistungen inkludiert.
Hierzu zählt u. a. die Wartung des Leasingobjekts.
Da die Leasinggesellschaft das Leasingobjekt bestmöglich gegen einen Wertverlust
schützen muss, sind oftmals die Zusatzkosten für das Leasing recht hoch. Das führt im
Wesentlichen dazu, dass die Ausgaben für Leasing oft höher als für eine Eigen- bzw.
Fremdfinanzierung sind. Zudem verringert sich der Handlungsspielraum für das Unter-
nehmen, da es an den Leasingvertrag gebunden ist.

Literatur

Becker, H. P. (2016). Investition und Finanzierung. Wiesbaden: Springer Fachmedien.


Rappaport, A. (1986). Creating shareholder value: The new standard for business performance.
New York: Free Press.
Staab, J. (2015). Die 7 häufigsten Insolvenzgründe erkennen und vermeiden. Wiesbaden: Springer
Fachmedien.

Weiterführende Literatur

Olfert, K. (2013). Finanzierung (16. Aufl.). Herne: Kiehl.


Olfert, K. (2015). Investition (13. Aufl.). Herne: Kiehl.
Pape, U. (2015). Grundlagen der Finanzierung und Investition (3. Aufl.). Berlin: De Gruyter
Oldenbourg.
Perridon, L., Steiner, M., & Rathgeber, A. W. (2012). Finanzwirtschaft der Unternehmung
(16. Aufl.). München: Vahlen.
4 Finanzierung 73

Prof. Dr. Dr. habil. Eric Frère  lehrt an der FOM Hochschule für
Oekonomie & Management seit 1998 insbesondere Finanzwirt-
schaft, Corporate Finance, International Entrepreneurship und Inter-
national Finance. Er ist Dekan im Fachbereich BWL II sowie
Direktor des isf Institute for Strategic Finance der FOM Hochschule.
Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann studierte Eric
Frère Volkswirtschafts- und Betriebswirtschaftslehre an der Julius-
Maximilians-Universität in Würzburg und der Albertus-Mag-
nus-Universität zu Köln. Anschließend promovierte er an der
Ruhr-Universität Bochum am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik beim
seinerzeitigen Präsidenten des Rheinisch-Westfälischen Instituts für
Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen.
Nach Tätigkeiten beim Credit Commercial de France (CCF),
Bayer UK und Bankhaus Lampe KG ist er seit mehr als 20 Jah-
ren selbstständiger Unternehmensberater für Corporate Finance
und Asset Management. In dieser Funktion hat er u. a. mehrere
Börsengänge im geregelten Markt platziert und Venture-Capital-/
Private-Equity-Finanzierungen sowie strukturierte Finanzierungen
realisiert. Er ist Mitglied einiger Aufsichtsräte und Beiräte.
2001 wurde er zum Professor berufen und erhielt 2012 an der
University of West Hungary in Sopron seine Habilitation. 2016
erhielt er die Ehrendoktorwürde Dr. h.c. von der Universität Banja
Luka.

Prof. Dr. Alexander Zureck ist seit Januar 2018 hauptberuflich


Lehrender an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management
und zudem Wissenschaftlicher Koordinator des isf Institute for Stra-
tegic Finance der FOM. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zäh-
len die digitale Transformation im Finanzsektor, Small Business &
Retail Banking und Financial Literacy. Daneben berät er kleine und
mittlere Unternehmen in betriebswirtschaftlichen Fragen.
Nach einer Tätigkeit in einem Essener Marktforschungsunter-
nehmen im Bereich der Marktanalyse arbeitete Alexander Zureck
als Kundenberater für Privatkunden und Gewerbetreibende in einem
Kreditinstitut.
Im Anschluss an sein Bachelor- und MBA-Studium an der FOM
Hochschule für Oekonomie & Management wurde er 2016, ebenfalls
berufsbegleitend, an der Masaryk-Universität in Brünn promoviert.
In seiner Dissertation beschäftigte er sich im Bereich der Behavioral
Finance mit Investments in den europäischen Profifußball.
Marketingkonzepte
5
Peter Kürble

P. Kürble (*) 
FOM Hochschule, Essen, Deutschland
E-Mail: peter.kuerble@fom.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 75
C. Jäger und T. Heupel (Hrsg.), Management Basics, FOM-Edition,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-11229-5_5
76 P. Kürble

Inhaltsverzeichnis

5.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
5.2 Marketingkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
5.2.1 Situationsanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
5.2.2 Erarbeitung der strategischen Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
5.2.2.1 Formulierung von Marketingzielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
5.2.2.2 Entwicklung von Marketingstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
5.2.2.3 Kalkulation des Marketingbudgets. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
5.2.2.4 Festlegung und Umsetzung der Einzelmaßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . 92
5.2.2.5 Produktpolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
5.2.2.6 Kontrahierungspolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
5.2.2.7 Distributionspolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
5.2.2.8 Kommunikationspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
5.2.3 Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

5.1 Einleitung

Der nachfolgende Abschnitt beschäftigt sich mit dem Marketingkonzept. Der Begriff-
lichkeit des Konzepts folgend handelt es sich hierbei um einen Entwurf, die Skizzierung
eines Vorhabens, mithin einen groben Plan. Dieser grobe Plan ist in Abb. 5.1 dargestellt.
In der ersten Phase, der Situationsanalyse, findet die Beschreibung des unter-
nehmerischen Umfeldes statt. Damit wird der Idee gefolgt, dass das Angebot eines Pro-
duktes oder einer Dienstleistung im Markt nur dann erfolgreich sein kann, wenn dem
Unternehmen dieser Markt und die dort vorherrschenden ökonomisch relevanten Fakto-
ren vorab bekannt sind und es sein Angebot daran entsprechend anpassen kann. Diese
Gedankenfolge wird auch als Market-based View bezeichnet und Michael E. Porter zählt
zu seinen prominentesten Vertretern.
Aufbauend auf diese Analyse, die eher einen kontinuierlichen denn einen diskreten
Verlauf haben soll, um zu überprüfen, ob sich die Rahmenbedingungen für das Unter-
nehmen vielleicht verändert haben, findet im Rahmen von Phase zwei die Erarbeitung
der strategischen Grundlagen statt. In diesem Zusammenhang geht es

• um die Entwicklung von Marketingzielen, die regelmäßig in ökonomische bzw.


psychologische Ziele unterteilt werden können,
• um Marketingstrategien, die als Weg zum Ziel definiert werden können und
• schließlich um die Festlegung des mit dem Ziel eng verknüpften Marketingbudgets.
Dabei sei angemerkt, dass in der Realität das Marketingbudget weniger am Ziel
festgemacht wird, als fälschlicherweise als prozentualer Anteil an einer beliebig
gewählten Erfolgsgröße, wie beispielsweise dem Umsatz.

In der dritten Phase, der Durchführungsphase, werden die für die Zielerreichung not-
wendigen Maßnahmen bestimmt, die im Marketing als marketingpolitische Instru-
5 Marketingkonzepte 77

mente bzw. 4 Ps bezeichnet werden. Diese vier marketingpolitischen Instrumente


­Produktpolitik, Kontrahierungspolitik, Distributionspolitik und Kommunikationspolitik
gehen mit ihren englischen Bezeichnungen Product, Price, Place, Promotion auf McCar-
thy (1960) zurück, der die zugrunde liegende Idee von Gutenberg weiterentwickelt hat.
Die Unterteilung in vier Instrumente bezieht sich in erster Linie auf Industriegüter-
märkte. Für Dienstleistungsmärkte gelten seit etwa den 1980er-Jahren sieben Ps als
übliche Einteilung. Die vier Ps werden um die Ausstattungspolitik (Physical Facility),
die Prozesspolitik (Process) und die Personalpolitik (Personnel) ergänzt (Magrath
1986). Neben der notwendigen Bedingung, der grundsätzlichen Betrachtung aller Instru-
mente, kommt als hinreichende Bedingung die Zusammenführung der Instrumente zum
sogenannten Marketing-Mix hinzu. Damit ist eine möglichst optimale Abstimmung der
einzelnen, sich gegenseitig in ihrer Wirkung beeinflussenden, Instrumente aufeinander
gemeint. Schließlich findet als letzter Schritt im Rahmen der Durchführungsphase die
Schaffung der Implementierungsvoraussetzungen statt. Hiermit sind u. a. organisatori-
sche Voraussetzungen gemeint (Abb. 5.1).
Bevor en détail auf das Konzept eingegangen wird, muss zunächst der Begriff des
Marketings definiert werden, sodass den nachfolgenden Erläuterungen ein einheit-
liches Begriffsverständnis zugrunde liegt. In seinen Ursprüngen zu Beginn des letzten
Jahrhunderts lag der Begriff Marketing im Englischen nur als Verb vor. Der Terminus
beschrieb im Wesentlichen die Herausforderung der Distribution bzw. des Vertriebs von
Produkten und Dienstleistungen. Damals zeichneten sich Märkte in erster Linie dadurch

Abb. 5.1   Marketingkonzept und marktorientierte Unternehmensplanung. (Quelle: In Anlehnung


an Lippert 2006, S. 6)
78 P. Kürble

aus, dass es sich um Verkäufermärkte handelte. Daher bestand die Problematik weni-
ger darin, sich im intensiven Wettbewerb der Produktinnovationen und des Information
Overloads zu bewegen, als vielmehr darin, möglichst optimale Lösungen für die Zur-
verfügungstellung von Waren finden zu können. Seit dieser Zeit hat sich die Situation
auf den Märkten insofern gewandelt, als fast ausschließlich internationale, fragmentierte
Käufermärkte vorzufinden sind, auf denen Unternehmen unter hohem Wettbewerbsdruck
kundenorientiert tätig sind. Darüber hinaus reagieren auch die Kunden selbst nicht mehr
so homogen, wie es in früheren Zeiten der Fall war. So wird heute oft vom sogenannten
hybriden Konsumenten gesprochen, der dann, wenn es ihm richtig und wichtig erscheint,
eine am Preis orientierte Kaufentscheidung fällt und eher der Maxime Geiz ist geil folgt.
In anderen Situationen richtet er sich gerade nicht nach dem Preis, sondern möglicher-
weise nach dem Image eines Produktes und ist bereit, dafür viel Geld auszugeben. Das
geflügelte Wort vom Porschefahrer, der bei Aldi einkauft, kann stellvertretend für die-
ses Phänomen angebracht werden. Wichtig ist an dieser Stelle aber, dass es auch der
Hartz-4-Empfänger sein kann, der sich eine Dauerkarte seines Lieblingsvereins kauft.
Hybride Konsumenten sind also nicht nur unter den wohlhabenden Kunden zu finden,
sondern auch unter denen, die am Existenzminimum leben.
Vor diesem Hintergrund hat sich auch das Betätigungsfeld des Marketings deutlich
ausgeweitet, sodass als eine mögliche aktuelle Definition des Marketings Folgendes fest-
gehalten werden kann: „Marketing is the activity, set of institutions, and processes for
creating, communicating, delivering, and exchanging offerings that have value for cus-
tomers, clients, partners, and society at large“ (American Marketing Association 2012).
Auf der Grundlage dieser Definition lassen sich folgende Merkmale des Marketings
ableiten:

1. Marketing ist die Leitidee einer markt- und kundenorientierten Unternehmens-


führung. Vor diesem Hintergrund hat sich Marketing von der funktionalen Ebene
einer betriebswirtschaftlichen Disziplin hin zu einer Metaebene mit verstärkt leiten-
den Aspekten entwickelt, ohne jedoch die operative Ebene verlassen zu haben. Ins-
besondere diese Entwicklung schien vor dem Hintergrund sich stark verändernder
exogener Faktoren, dem sogenannten Unternehmensumfeld, wichtig (siehe u. a. Mef-
fert et al. 2015).
2. Einer dieser exogenen Faktoren bezieht sich auf die bereits zuvor angesprochene
Entwicklung der meisten Märkte vom Verkäufermarkt hin zum Käufermarkt. Wäh-
rend beim Verkäufermarkt der Verkäufer in der komfortablen Situation ist, dass die
angebotene Menge kleiner als die nachgefragte Menge ist und dieser Nachfrage-
überhang zu steigenden Preisen führt, zeichnet sich ein Käufermarkt dadurch aus,
dass die angebotene Menge größer ist als die nachgefragte Menge (Angebotsüber-
hang) und damit in der Regel sinkende Preise verbunden sind. Dies gilt umso mehr,
zumindest aus Sicht der Konsumenten, als dass die meisten Produkte relativ homo-
gen sind. Vor diesem Hintergrund des Angebotsüberhangs und der Homogenität von
Gütern muss die Unternehmensaktivität auf den Kundennutzen ausgerichtet sein, um
5 Marketingkonzepte 79

s­trategische Wettbewerbsvorteile erzielen zu können. Dem Kunden muss vermittelt


werden, warum das betreffende Produkt am besten zur Befriedigung seiner Bedürf-
nisse geeignet ist. Die Vermittlung dieser Botschaft wird durch die Orientierung des
Produktes an den Bedürfnissen des Kunden erleichtert.
3. Vergleichbar mit anderen betriebswirtschaftlichen Disziplinen ist auch das Marketing
inzwischen zumindest theoretisch so weit professionalisiert, dass ein systematischer
Planungs- und Entscheidungsprozess institutionalisiert und durchgeführt wird.
4. Da dem Marketing die Produktpolitik zugeordnet wird, liegt ein Großteil der Ver-
antwortung für den betriebswirtschaftlichen Erfolg in einer kreativen und innovati-
ven Problemlösung, stellen doch Produkte letztlich nichts anderes als Möglichkeiten
der Problemlösung für den Kunden dar. Um unternehmerisches Wachstum generie-
ren zu können, muss es Unternehmen gelingen, einen dauerhaften Innovationsprozess
zu etablieren. Heutzutage werden hierzu häufig Kunden in den Innovationsprozess
eingebunden. Diese Vorgehensweise wird als Open Innovation bezeichnet, da
die Unternehmensgrenzen verschwimmen und Externe am eigentlich internen
Innovationsprozess beteiligt werden.
5. Marketing umfasst die Integration sämtlicher Marketingaktivitäten auf allen Ebenen
des Unternehmens. Wie bereits angesprochen, besteht das Marketing neben einer stra-
tegischen Komponente insbesondere im operativen Bereich aus mindestens vier Ins-
trumenten. Aus diesem Grund sind in Unternehmen mitunter alle Abteilungen und
Mitarbeiter in unterschiedlicher Form und Ausprägung Teil der marketingpolitischen
Ausrichtung. Dies umso mehr, als es dem Unternehmen gelingen muss, nach außen
einen möglichst einheitlichen Auftritt zu gestalten, sodass beispielsweise Außen-
dienstmitarbeiter auf dem gleichen Kenntnisstand sind wie der Innendienst oder Mit-
arbeiter in den Produktentwicklungsabteilungen bzw. den Werbeabteilungen eines
Unternehmens.

Vom Verkäufer- zum Käufermarkt


Die Weiterentwicklung des Marketings zeigt sich besonders deutlich, wenn das Trans-
aktionsmarketing aus den Zeiten der Verkäufermärkte mit dem Beziehungsmarketing
heutiger Käufermärkte verglichen wird (s. Abb. 5.2).
Seit über vier Jahrzehnten ist zu erkennen, dass der reine Verkauf von Produkten
nicht mehr zielführend ist. Vielmehr müssen Unternehmen begreifen, dass die Kontakt-
phase mit dem Kunden deutlich vor dem Kauf beginnt und deutlich nach dem Kauf
endet. Nun hängt die Notwendigkeit einer solchen Betrachtung in hohem Maße von
der zu betrachtenden Branche, dem Produkt und dem Kunden ab, der angesprochen
werden soll: Der Kauf von Brot im Einzelhandel hat ein anderes Niveau des Aufbaus
von Kundenbeziehungen als der Kauf eines Autos. In beiden Fällen aber kann der Wett-
bewerb dafür sorgen, dass der Kunde ohne Weiteres den Anbieter und das Produkt wech-
selt. In beiden Fällen ist also die Beziehung zum Kunden wichtig, insbesondere dann,
wenn es sich aus Sicht des Kunden um homogene Güter handelt. Damit hat sich das
Beziehungsmarketing nicht nur das Marketingziel von der reinen Kundenakquisition
80 P. Kürble

Abb. 5.2   Transaktions- vs. Beziehungsmarketing

gesetzt, sondern es deutlich ausgeweitet auf die Kundenbindung und mögliche -rück-
gewinnung.
Dementsprechend ist für das Unternehmen nicht mehr allein die Frage relevant, wel-
ches Preis-Leistungs-Verhältnis sinnvoll zu sein scheint, sondern auch, in welcher Form
eine Interaktion mit dem (potenziellen) Kunden stattfinden kann. Insbesondere in der
heutigen Zeit der mobilen Endgeräte wird davon ausgegangen, dass der Kunde über
mehrere Kommunikationskanäle angesprochen werden kann und seine Produkte über
mehrere Kanäle beziehen möchte. Dies fordert Unternehmen ein hohes Maß an Flexibili-
tät in der Interaktion ab. Insbesondere die sozialen Netzwerke im Rahmen des Internets
zeigen, dass Unternehmen mit den Kunden in Dialog treten müssen (siehe hierzu Kürble
und Lischka 2018). Während offline lediglich ein Monolog in eine Richtung möglich ist,
das Unternehmen also beispielsweise über einen TV-Werbespot Kontakt mit dem Kun-
den aufnimmt, kann der Kunde online und von sich aus Kontakt mit dem Unternehmen
aufnehmen. Damit ist das Unternehmen gefordert, eine entsprechende zeitliche und
inhaltliche Flexibilität aufrecht zu erhalten. Auch wenn die Bedeutung sogenannter Shit-
storms im Internet nicht überschätzt werden sollte, ist es doch angeraten, geäußerte nega-
tive Kritik ernst zu nehmen und darauf zu reagieren.
Schließlich wirkt sich diese Entwicklung auch auf die ökonomischen Erfolgs- und
Steuerungsgrößen aus: Wenn Kunden immer differenzierter betrachtet werden müssen,
dann muss sich dies in der Berechnung des Erfolgs deutlich machen: Ein hohes Maß
5 Marketingkonzepte 81

an Differenzierung und Segmentierung bringt regelmäßig steigende Kosten mit sich,


sodass genau überlegt werden muss, welchem Kunden welche Form von Aufmerksam-
keit gewidmet werden sollte.
Während es im Rahmen des Transaktionsmarketings ausreicht, den Deckungsbeitrag
zu ermitteln, fordert eine differenzierte Betrachtung eine Zuordnung des Deckungsbei-
trags auf den Kunden und letztlich auch eine Bestimmung des ökonomischen Wertes
eines Kunden: Kein Unternehmen kann auf Dauer bestehen, wenn die Kosten pro Kunde
den aus der Geschäftsbeziehung mit ihm resultierenden Ertrag übersteigen.

Kundenbezogene Aspekte im Käufermarkt


Um inhaltliche Verwirrungen im weiteren Verlauf zu vermeiden, werden, bevor das
Marketingkonzept im Detail dargestellt wird, verschiedene Begrifflichkeiten geklärt.
Zunächst sei festgehalten, dass als Bedürfnis im Marketing ein Mangelzustand
beschrieben wird, den der Nachfrager zu beseitigen versucht. Die Maslow’sche Bedürf-
nispyramide (Maslow 1981) zählt hier sicherlich zu den bekanntesten Konzepten, mit
denen versucht wird, die menschlichen Bedürfnisse in eine sinnhafte Hierarchie einzu-
ordnen, auch wenn gerade dieses Konzept zu denjenigen gehört, die mitunter am meisten
missverstanden wurden. So stehen dort auf der untersten Ebene der Pyramide physio-
logische Bedürfnisse des Menschen, wie Hunger und Durst. Diese Bedürfnisse sind der
Tatsache geschuldet, dass der Mensch als biologisches System die zur Erhaltung dieses
Systems notwendigen Tätigkeiten durchführen muss. Hunger ist beispielsweise zwar
notwendig, um den Körper mit den richtigen Nährstoffen zu versorgen, allerdings ist die-
ses Bedürfnis erst einmal nicht auf ein bestimmtes Objekt (Produkt) bezogen: Hunger
kann mit einer Vielzahl von Nahrungsmitteln gestillt werden. In dem Moment, in dem
von einem Produktbezug gesprochen werden kann, dem Konsumenten also klar wird,
dass er seinen Hunger z. B. mit Bananen stillen möchte, wird aus ökonomischer Sicht
von einem Bedarf gesprochen. Dieser Bedarf wird dann zur Nachfrage, wenn er mit ent-
sprechender Kaufkraft und Zeit verbunden ist. Dies bedeutet letztlich nichts anderes,
als dass sich der Bedarf auf dem Markt also im vorliegenden Fall z. B. im Einzelhandel
konkretisiert. Zu einem Kauf kommt es dann, wenn das Angebot schlichtweg verfügbar
ist. Wie wichtig die Unterscheidung zwischen Bedürfnis, Bedarf und Nachfrage ist, wird
insbesondere dann klar, wenn berücksichtigt wird, dass zwischen diesen drei Begrifflich-
keiten auch zeitliche Differenzen liegen können, es sich mithin also um einen Prozess
handelt. Dadurch entstehen für das Marketing die Möglichkeit und die Notwendigkeit,
den gesamten Prozess entsprechend der Vorstellungen des Unternehmens zu begleiten
und den Konsumenten dazu zu bringen, das eigene Produkt am Point of Sale (POS) zu
berücksichtigen (Abb. 5.3).
Im Zuge des Kaufentscheidungsprozesses kann angenommen werden, dass der
Kunde, wenn auch nicht immer bewusst, die für ihn ermittelbaren Kosten für den Kauf
eines Produktes dessen Nutzen gegenüberstellt. Der Kunde entscheidet sich dann für
den Kauf eines Produktes, wenn dessen Nutzen größer ist als die Kosten. Zu den Kosten
82 P. Kürble

Abb. 5.3   Konzeptualisierung der Wertgenerierung. (Quelle: In Anlehnung an Kotler et al. 2007,


S. 43)

lassen sich neben den monetären Kosten, also im einfachsten Fall der auf dem Produkt
befindliche Kaufpreis, auch Kosten für die Zeit identifizieren, die ökonomisch gerne als
Opportunitätskosten bezeichnet und schließlich Kosten für den psychischen und physi-
schen Aufwand der Beschaffung. Damit sind zum einen die nervlichen Anstrengungen
gemeint, die der Kunde aufbringen muss, um das Produkt kaufen zu können und
andererseits die körperlichen Kosten, die bisweilen darin bestehen, ein Mobiltelefon zu
halten und die zum Kauf notwendigen Daten per Zeigefinger einzutippen. Das Bewusst-
machen insbesondere der letzten beiden Kosten kann dazu führen, dass das Unternehmen
über Möglichkeiten der Reduzierung dieses Beschaffungsaufwandes nachdenkt, die vor-
her so nicht diskutiert worden sind. Es zeigt sich heutzutage in hohem Maße, dass Unter-
nehmen versuchen, insbesondere den physischen und psychischen Aufwand des Kunden
zu reduzieren, mithin das Einkaufen dadurch angenehmer machen, dass beispielsweise
die Waren zugesandt werden. Dies ist ein Grund, warum der Einkauf über das Internet
boomt und Unternehmen wie Amazon in Deutschland einen Umsatz generieren, der noch
vor dem von Rossmann, Ikea, Karstadt oder Tchibo liegt (EHI 2012).
Diesen Kosten steht der Nutzen gegenüber, den der Kunde aus dem Gebrauch des
Produktes zieht.
Hier spielt zum einen das Produkt selbst eine Rolle, denn letztlich kauft ein Kunde ein
Produkt genau deswegen, weil es einen bestimmten Nutzen erfüllt. Die zuvor erwähnte
Banane würde beispielsweise den Hunger stillen und damit ein gewisses Niveau an Nut-
zen aus sich selbst heraus erfüllen. Über das eigentliche Produkt hinaus kann Nutzen
zum einen durch das Image des Produktes generiert werden, weswegen Unternehmen
sehr oft versuchten, einen Markennamen für ein Produkt zu etablieren. Zum anderen
können sowohl produktbegleitende Dienstleistungen als auch der damit verbundene Mit-
arbeiterkontakt im Verkauf den Nutzen eines Produktes deutlich steigern. Als Beispiel
für produktbegleitende Dienstleistungen seien Beratungen genannt, die durch das Per-
sonal vor, während oder nach dem Kauf stattfinden können. Andererseits stellt auch der
5 Marketingkonzepte 83

Mitarbeiter selbst ein Nutzenpotenzial dar, wenn er beispielsweise über das vom Kunden
benötigte Know-how und/oder Empathie verfügt und es dem Mitarbeiter damit gelingt,
eine persönliche Beziehung zum Kunden aufzubauen. Insbesondere bei Geschäftskunden
ist dies ein wichtiger Erfolgsfaktor.
Die bereits angesprochene grundlegende Eigenschaft eines Produktes, die diesem
innewohnt und derentwegen ein Kunde ein Produkt kauft, erzeugt den Grundnutzen: Die
erwähnte Banane sättigt. Dies ist eine inhärente Eigenschaft, mit der sich das Bedürf-
nis des Hungers stillen lässt. Darüber hinaus gehende Eigenschaften, die andere Bedürf-
nisse erfüllen, werden als Zusatznutzen bezeichnet. So kann es für den Kunden wichtig
sein, eine bestimmte Banane einer bestimmten Firma kaufen zu wollen, weil er damit
möglicherweise eine bestimmte Qualität verbindet. Würde diese Banane zusätzlich noch
nachhaltig angebaut werden und unter fairen Arbeitsbedingungen geerntet werden, so
könnte es sogar sein, dass der Kunde nicht nur für sich selber einen Zusatznutzen daraus
zieht, weil er sein Gewissen beruhigt, sondern der Kauf eines solchen Obstes auch einen
sozialen Nutzen erzielt, der eine Symbolwirkung auf andere Kunden hat. Der Vertrieb
ökologisch nachhaltig angebauter oder fair gehandelter Produkte funktioniert genau nach
diesem Prinzip. Mitunter ist die Problemlösungseigenschaft des Produktes, also sein
Grundnutzen, geringer als bei anderen Produkten. Dieser Nachteil wird aber durch einen
Vorteil beim Zusatznutzen aufgewogen. Das Fairphone beispielsweise mag vielleicht
nicht so viele Basisfunktionen besitzen wie andere Smartphones. Dafür zeichnet es sich
aber dadurch aus, dass alle Bauteile durch den Kunden austauschbar sowie im Vergleich
mit Komponenten von Konkurrenzprodukten langlebig sind und den Mitarbeitern in den
Produktionsstätten eine faire Entlohnung zuteilwird (fairphone 2015).
Die Unterscheidung nach verschiedenen Nutzen, die von Produkten erfüllt werden
können, macht auch deutlich, dass es durchaus Situationen geben kann, in denen die
persönliche Einschätzung des Zusatznutzens wichtiger ist als die des Grundnutzens.
Das Kaufverhalten des zuvor bereits angesprochenen hybriden Konsumenten lässt sich
dadurch weitgehend erklären: Je nach Einschätzung des Produktes wird entweder der
Grundnutzen oder der Zusatznutzen für die Entscheidung relevant. Wer ein teures Auto
fahren möchte, achtet beim Autokauf eher auf den Zusatznutzen, wer ein preiswertes
Auto fahren möchte, eher auf den Grundnutzen. Aus Sicht des Marketings findet an die-
ser Stelle keine Bewertung der verschiedenen Kaufverhalten statt: Subjektives Nutzen-
empfinden entzieht sich einer objektiven Bewertung. Das Marketing kann Kenntnisse
über individuelle Einschätzungen aber für die zielgerechte Vermarktung des Produktes
nutzen. Nach der Darstellung der wesentlichen marketingtechnischen Grundlagen wird
nun das Marketingkonzept in Gänze vorgestellt.

5.2 Marketingkonzept

Das Marketingkonzept versteht sich, wie in Abschn. 5.1 bereits angedeutet, als ein skiz-
zierter Plan, also eine grundlegende Orientierung in Bezug auf das, was im weiteren Ver-
lauf detailliert festgelegt werden muss. Das Ziel eines Marketingkonzepts besteht darin,
84 P. Kürble

dem weiteren Vorgehen eine durchdachte Grundlage zu geben, einen roten Faden aufzu-
zeigen und durch die logische Ableitung der unterschiedlichen, aufeinander aufbauenden
Schritte eine spätere Kontrolle und gegebenenfalls Korrektur zu ermöglichen.
Im Folgenden werden nun die einzelnen Phasen des Marketingkonzepts vorgestellt.
Dabei muss das Ziel der Darstellung im Rahmen dieses Aufsatzes sein, einen Überblick
zu geben und die einzelnen Schritte grob vorzustellen, ohne dabei auf jeden Aspekt im
Einzelnen eingehen zu können. Die Komplexität der Thematik würde genügend Raum
lassen, um ganze Bibliotheken zu füllen. Für eine vertiefende Darstellung sei deshalb auf
die angegebene weiterführende Literatur verwiesen.

5.2.1 Situationsanalyse

Die Situationsanalyse gehört zu den umfangreichsten und wichtigsten Punkten im Rah-


men des Marketingkonzepts. Sie bildet die Basis für das weitere Vorgehen. Dabei gilt,
dass versucht werden muss, alle für das Unternehmen ökonomisch relevanten Aspekte
zu erfassen und entsprechend ihrer Bedeutung für die unternehmerische Entscheidung
zu gewichten. Am Ende der Analyse soll darauf basierend eine Entscheidung für die stra-
tegische Ausrichtung und damit für die operative Umsetzung getroffen werden können.
Die Analyse folgt stets der Grundorientierung vom Allgemeinen zum Speziellen bzw.
vom Großen zum Kleinen. Das bedeutet, dass am Anfang die Abgrenzung des relevan-
ten Marktes vorgenommen werden muss. Der relevante Markt wird beschrieben als der
Markt, in dem das Unternehmen tätig ist (Meffert et al. 2008, S. 185 ff.). So trivial diese
Definition klingt, so schwierig kann die Abgrenzung sein. Die Problematik besteht ins-
besondere darin, eine zu enge Abgrenzung zu verhindern sowie mögliche Konkurrenten
oder Konkurrenzprodukte rechtzeitig zu erkennen. Es soll das verhindert werden, was
der Schreibmaschinenbranche geschah, als sie verkannte, dass der PC eine Bedrohung
für die gesamte Branche darstellt. Hierfür lassen sich zahlreiche weitere Beispiele fin-
den: die Handy-Branche, die das Unternehmen Apple nicht als Konkurrenten wahrnahm,
bis das Apple-Smartphone den Markt revolutionierte, oder etwa die Kamera-Branche,
die das gleiche Produkt ebenfalls nicht rechtzeitig berücksichtigte und heute nur noch
geringfügig mehr als ein Nischendasein für professionelle Fotografen fristet. Diese Bei-
spiele machen auch deutlich, dass die einmal vorgenommene Abgrenzung einer ständi-
gen Überprüfung bedarf, um rechtzeitig drohende Konkurrenz oder Substitute erkennen
und (präventiv) darauf reagieren zu können. Die Festlegung des relevanten Marktes ist
Grundvoraussetzung für die Nutzung der PEST-Analyse (Farmer und Richmann 1965)
sowie für Porters Analyse der Marktattraktivität mithilfe der Five Forces (Porter 2013).
Nach der Abgrenzung des relevanten Marktes gilt es festzustellen, ob sich dieser
Markt möglicherweise in Segmente unterteilen lässt. Zur Identifikation von Teilmärkten
kann eine Vielzahl verschiedener Instrumente angewandt werden (Freter 2008, S. 90 ff.).
Wird eine Unterscheidung in Bezug auf den Kunden vorgenommen, können beispiels-
weise demografische Daten hilfreich sein. Hierzu zählen u. a. Alter und Geschlecht,
5 Marketingkonzepte 85

Familienstand, Haushaltsgröße und Familienlebenszyklus. Insbesondere das Alter


ist aufgrund seiner einfachen Ermittlung und relativ eindeutigen Zuordnung ein sehr
beliebtes Kriterium: So kann festgestellt werden, dass beispielsweise die Beliebtheit von
TV-Sendern oder TV-Programmen mitunter vom Alter abhängt. Hier zeigt sich allerdings
auch die Problematik dieses Kriteriums: Zum einen sind die Altersgrenzen in der Reali-
tät nicht bei allen Personen gleichzusetzen und zum anderen können Sehgewohnheiten
die Altersgrenzen als Kriterium überlagern: Der Mensch ist in hohem Maße ein Gewohn-
heitstier (Markowitsch 2007, S. 56). Dies gilt nicht nur für den Kauf von Gütern, son-
dern ebenso für den Fernsehkonsum. Manche Zuschauer sehen schon in jungen Jahren
den ZDF-Fernsehgarten, andere sehen auch in höherem Alter noch Zeichentrickfilme.
Ein einzelnes Kriterium ist für eine exakte Abgrenzung demnach selten ausreichend.
Auch funktioniert nicht jedes Kriterium in jedem Markt gleichermaßen gut: So ist die
Unterscheidung nach dem Geschlecht in der Bekleidungsbranche in der Regel ein sehr
wirksames Kriterium, in der Nahrungsmittelbranche hingegen weniger.
Neben den demografischen Kriterien lassen sich noch geografische, sozioöko-
nomische, psychografische und verhaltensorientierte Kriterien unterscheiden. Im
Rahmen der psychografischen Kriterien kann insbesondere die Abgrenzung nach
dem Lebensstil hervorgehoben werden, die das Problem der fehlenden Aussagekraft
eines einzigen Kriteriums dadurch zu heilen versucht, dass der Lebensstil ein Kons-
trukt ist, welches versucht, aus der Kombination verschiedener Kriterien eine trenn-
scharfe Abgrenzung vorzunehmen. Banning (1987) nutzt beispielsweise als Ansatz die
sogenannte Selbstkonzepttheorie. Nach Banning kann der Lebensstil als theoretisches
Konstrukt der Verhaltensforschung definiert werden, das der Erklärung komplexer, rela-
tiv stabiler und vom Selbstkonzept gesteuerter Verhaltensmuster von Individuen und
Gruppen dient. Das Selbstkonzept wiederum ist eine hauptsächlich kognitiv geprägte
Ausgestaltung der Persönlichkeit, die sich ihrerseits aus Motiven, Gefühlen, Werten,
Wissen und Zielen zusammensetzt. Der Mensch ist bestrebt, aus seiner Kenntnis um die
ihn umgebende Welt (Weltbild) und seiner Erkenntnis um ihn selbst (Selbstbild) mithilfe
seines Selbstkonzepts eine möglichst dauerhafte Abstimmung von Selbst- und Weltbild
zu erreichen. Da das Selbstbild u. a. beschreibt, wie der Mensch gerne wäre, nutzt er
Produkte, um diesem Selbstbild möglichst zu entsprechen: Glaubt ein Konsument, er
befinde sich in einer leistungsorientierten Gesellschaft, in der Sportlichkeit eine wich-
tige Eigenschaft ist und möchte er Teil dieser Gesellschaft sein, dann wird er dazu nei-
gen, seine eigene Sportlichkeit entweder durch den Besuch eines Sportvereins, den Kauf
eines sportlichen Autos und/oder das Tragen möglichst sportlicher Uhren, Kleidung oder
Schuhe zum Ausdruck zu bringen. Dies kann für eine Gesellschaft insgesamt oder auch
nur für Bezugsgruppen gelten, denen der Kunde sich zugehörig fühlt. Die sogenannten
Sinus-Milieus unterteilen die deutsche Bevölkerung beispielsweise nach der sozialen
Lage und der Grundorientierung. Letztere kann entweder traditionell, modern/individuell
oder neu sein, während die soziale Lage in Unterschicht, Mittelschicht und Oberschicht
unterteilt wird. In diesem Konstrukt ergeben sich dann Milieus wie beispielsweise das
prekäre Milieu, welches z. B. eine geringe Bildung aufweist.
86 P. Kürble

Der Vorteil der Lebensstil-Konstrukte liegt aber nicht nur in ihrer Zusammenfassung
verschiedener Segmentierungskriterien und damit in einer tendenziell treffenderen
Beschreibung der Zielgruppe. Darüber hinaus bestechen die Lebensstil-Konstrukte durch
die daraus resultierenden exakteren Möglichkeiten der Beschreibung unternehmens-
interner strategischer Geschäftseinheiten (SGE), der Analyse der Marketingsituation und
der Definition der Marketingproblemstellung.
SGE zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie für einzelne Marktsegmente
gebildet werden und dort unabhängig von anderen organisatorischen Einheiten des
Unternehmens tätig sein können. Die Bertelsmann AG unterscheidet beispielsweise die
strategischen Geschäftseinheiten RTL Group, Random House und Gruner + Jahr, nach
den Märkten Fernsehen und Radio, Buchverlage, Zeitschriften und Zeitungen, die dort
als strategische Geschäftsfelder (SGF) geführt werden. Die Unterteilung und Benennung
von SGE in einem Unternehmen und unter der Führung eines Unternehmens kommt im
Grunde der Bildung einer Abteilung gleich und ergibt insgesamt nur dann Sinn, wenn
zwischen den unabhängigen SGE für das Unternehmen Synergieeffekte existieren. Dies
ist im Medienmarkt in hohem Maße der Fall: Dort kann eine einmal generierte Infor-
mation sowohl über Fernsehen und Radio als auch über Zeitungen und Zeitschriften
sowie bei längerer Relevanz auch über Buchverlage vertrieben werden. Die Erzielung
von Synergieeffekten (Economies of Scope) führt in dieser Branche zu der dort zu
beobachtenden Konzentration.
Die Analyse der Marketingsituation für das ausgewählte Segment besteht in der
Anwendung der üblichen Analyseinstrumente. Insbesondere ist an dieser Stelle die Aus-
arbeitung einer SWOT-Matrix angezeigt (s. Abb. 5.4).

Abb. 5.4   SWOT-Matrix. (Quelle: In Anlehnung an Kürble 2015, S. 44)


5 Marketingkonzepte 87

Die SWOT-Matrix gehört zu den wichtigsten Instrumenten in der BWL. Sie vereint
die interne mit der externen Analyse, wie es Portfolioanalysen machen, ist dabei aber
deutlich differenzierter und in den aus ihr resultierenden Empfehlungen bei der richtigen
Anwendung wesentlich exakter.
Die interne Analyse, die mit den Begrifflichkeiten der Stärken und Schwächen
(Strengths and Weaknesses) erfasst wird, kann in Form eines Polaritätenprofils aufgebaut
sein und besteht im Vergleich mit dem stärksten Konkurrenten. In Abhängigkeit von der zu
bearbeitenden Problematik müssen die Kriterien identifiziert werden, die für die Ermittlung
der Stärken und Schwächen wichtig sind. Hier gibt es keine abschließende Liste oder Emp-
fehlung. Die Erfahrungen aus der praktischen Anwendung machen jedoch deutlich, dass
zum einen nur die Festlegung der Stärken und Schwächen durch Externe zielführend ist,
da es den eigenen Mitarbeitern an der notwendigen kritischen Distanz zum Unternehmen
fehlt, und dass zum anderen auch nur solche Faktoren aufgenommen werden sollten, die
extern überprüfbar sind. Neben den Vertriebsmitarbeitern, die die Sichtweise der Kunden
annehmen können und eine entsprechende Marktkenntnis haben sollten, ist es aus den
erwähnten Gründen oft sinnvoll, einen Berater und/oder Kunden bei der Ermittlung der
Faktoren und umso mehr bei der folgenden Bewertung der Faktoren einzubeziehen.
Die externe Analyse, die Ermittlung der Chancen und Risiken (Opportunities
and Risks), kann mithilfe der PEST(EL)-Analyse und den Five Forces erfolgen. Das
­Ergebnis der internen und externen Analyse wird dann in der SWOT-Matrix zusammen-
getragen. Dabei werden die Stärken und Schwächen mit den Chancen und Risiken
kombiniert. Aus den sich daraus ergebenden vier Feldern lassen sich schließlich Hand-
lungsempfehlungen ablesen.1 So wird beispielsweise bei Handlungsalternativen in einem
ST-Feld tendenziell davon ausgegangen, dass ein Absichern der Stärken wichtig ist. Der
Bekanntheitsgrad eines etablierten Unternehmens in einem Markt ist gegenüber drohen-
den Newcomern normalerweise hoch. Der hohe Bekanntheitsgrad (Stärke) muss dann
genutzt werden, sich gegen das Eindringen von Newcomern (Risiko) zu behaupten, in
dem u. a. die kommunikationspolitischen Aktivitäten verstärkt werden.
Die Handlungsempfehlungen müssen nun eventuell gewichtet werden, da sich im
Normalfall eine Vielzahl von Empfehlungen ableiten lässt. Eine Gewichtung kann
beispielsweise anhand der zeitlichen Dringlichkeit erfolgen oder aber anhand der
notwendigen finanziellen oder organisatorischen Aufwendungen. Die ausgewählte Hand-
lungsempfehlung beschreibt schließlich die Marketingproblemstellung, die beispiels-
weise in einem Ausbau des Bekanntheitsgrades, einer Verbesserung des Images oder der
Erschließung einer neuen Zielgruppe bestehen kann. Die Umsetzung dieser Empfehlun-
gen erfolgt mithilfe der operativen Instrumente des Marketings, also den sogenannten Ps,
die kombiniert den Marketing-Mix ergeben.

1Für eine genauere Darstellung s. Kürble (2015).


88 P. Kürble

5.2.2 Erarbeitung der strategischen Grundlagen

Abb. 5.1 folgend schließt an die Analysephase die Planungsphase an. Diese besteht aus
drei Schritten:

• Formulierung von Marketingzielen,


• Entwicklung von Marketingstrategien und
• Kalkulation des Marketingbudgets.

5.2.2.1 Formulierung von Marketingzielen


Unmittelbar aus der Ableitung der Handlungsempfehlung der vorab angesprochenen
SWOT-Matrix ergibt sich die Formulierung von Marketingzielen. Im Marketing las-
sen sich zwei Zielrichtungen unterscheiden: zum einen die marktpsychologischen Ziele
und zum anderen die marktökonomischen Ziele. Während marktpsychologische Ziele
gemeinsam haben, dass sie an den geistigen Verarbeitungsprozessen des (potenziellen)
Kunden orientiert sind, haben die marktökonomischen Ziele gemeinsam, dass sie nur
erfüllt sein können, wenn ein konkreter Leistungsübergangsprozess, also beispielsweise
ein Kauf, stattfindet. Natürlich müssen in einem Unternehmen unter Umständen mehrere
Ziele parallel verfolgt werden. Grundsätzlich sollte aber sichergestellt sein, dass die Ziele
sich nicht widersprechen, es also nicht zu einem Zielkonflikt kommt. Auch wenn das
Marketing als betriebswirtschaftliche Disziplin die ökonomischen Ziele im Fokus haben
muss, so muss sich ein Großteil der Aufmerksamkeit auf die psychologischen Ziele kon-
zentrieren. Es ist elementar zu verstehen, dass die ökonomischen Ziele ohne Erfüllung
der psychologischen Ziele nicht erreicht werden können. Dies gilt insbesondere für ein
bestimmtes psychologisches Ziel: den Bekanntheitsgrad. Der Bekanntheitsgrad ist die
notwendige Bedingung für die Erzielung von Erfolg, insbesondere, aber nicht nur, für
Markenprodukte. Ähnliches kann für das Image oder die Kundenzufriedenheit als weitere
psychologische Ziele vermutet werden. Kunden kaufen Produkte eher bei Unternehmen,
mit denen sie zufrieden sind und denen sie ein positives Image zuschreiben. Die Proble-
matik der Akzeptanz monetärer Investitionen in nicht-monetäre Ziele besteht zum einen
darin, dass Unternehmen auch existieren können, ohne psychologische Ziele zu berück-
sichtigen: Ein Image baut sich automatisch auf. Darüber hinaus führt zum anderen ein
positives Image auch nicht zwingend zum Kauf. Kaufentscheidungen unterliegen derart
vielen vom Unternehmen nicht zu kontrollierenden Einflüssen, dass es keinen zwingen-
den Zusammenhang zwischen der Erfüllung psychologischer und ökonomischer Ziele
gibt. Daraus aber zu schließen, dass auf die Berücksichtigung dieser Ziele verzichtet wer-
den kann, ist ökonomisch ineffizient: Da sich ein Image sowieso aufbaut, stellt sich nur
die Frage, ob dieser Prozess vom Unternehmen zielgerichtet begleitet oder dem Zufall
überlassen wird. Es darf vermutet werden, dass die erste Variante die effizientere ist.
Auch für die Marketingziele gilt, unabhängig davon, ob es sich um marktpsychologische
oder marktökonomische Ziele handelt, dass sie möglichst SMART formuliert sein sollen,
also spezifisch, messbar, akzeptiert, realistisch und terminiert. Für marktpsychologische
5 Marketingkonzepte 89

Ziele bedeutet dies, dass beispielsweise der Bekanntheitsgrad in einem für die Mit-
arbeiter akzeptablen Veränderungsniveau und Veränderungszeitraum festgelegt wird, z. B.
eine Steigerung des Bekanntheitsgrades um zehn Prozent innerhalb der nächsten zwölf
Monate. Idealerweise ist mit der Steigerung des Bekanntheitsgrades auch eine Steigerung
des Absatzes verbunden, für den dann in gleicher Art Ziele formuliert werden.

5.2.2.2 Entwicklung von Marketingstrategien


Da Strategien, zumindest in ihrer einfachsten Definition, als der Weg zum Ziel
beschrieben werden können, folgen strategische Überlegungen immer nach der Identi-
fikation der angestrebten Ziele. Sie werden auf den verschiedensten Ebenen des Unter-
nehmens festgelegt und können je nach Sinnhaftigkeit für ein Unternehmen in der Gänze
formuliert werden, oder aber explizit für einzelne Strategische Geschäftseinheiten. Je
nach Zuständigkeit können die Ziele dann im Sinne einer Zielpyramide von der obers-
ten Unternehmensebene bis zu den einzelnen Mitarbeitern hinuntergebrochen werden.
So kann beispielsweise das Ziel, ein möglichst exklusives Image aufzubauen, durch eine
Differenzierungsstrategie verfolgt werden. Innerhalb der strategischen Überlegungen
müsste dann, in Abhängigkeit von der vorab ausgewählten Zielgruppe, definiert wer-
den, worin die Differenzierung bestehen könnte. Es kann sich u. a. um eine besondere
Qualität, ein besonderes Design, eine besondere Individualität, einen besonderen Service
oder Ähnliches handeln. Da es sich bei der Differenzierungsstrategie um eine der Wett-
bewerbsstrategien nach Porter handelt, der Fokus der Betrachtung also auf dem Wett-
bewerb und damit auf den Konkurrenzunternehmen liegt, muss eine Differenzierung
darin bestehen, sich von anderen Unternehmen abzugrenzen. Auch hier zeigt sich wieder,
wie wichtig die vorab durchgeführte Marktanalyse inklusive der SWOT-Analyse und der
SWOT-Matrix sein kann. Genau dort werden Stärken und Schwächen im Vergleich zum
stärksten Wettbewerber festgelegt und Handlungsempfehlungen gegeben.
Im Rahmen der Analyse wurde bereits angesprochen, dass Marktsegmente identi-
fiziert werden könnten. Wenn dies der Fall ist, dann kann die Marktsegmentierung eine
strategische Option sein. Dabei steht die grundlegende Frage im Vordergrund, ob die
Auswahl eines Teilmarktes ökonomisch sinnvoller ist als die Bearbeitung des Gesamt-
markts. Dies ist zum einen dann der Fall, wenn das Unternehmen nach der Segmen-
tierung erfolgreicher ist als vorher und setzt zum anderen voraus, dass sich Teilmärkte
dergestalt bilden lassen, dass die Teilmärkte in sich homogen und in Abgrenzung zu
anderen Teilmärkten möglichst heterogen sind. Bezogen auf ein konkretes Unternehmen
bedeutet dies, dass das vom Unternehmen angebotene Produkt eine eindeutig zu identi-
fizierende Zielgruppe adressiert: Bietet z. B. ein Unternehmen Damenschuhe an, so ist
die Wahrscheinlichkeit klein, dass der Absatz gegebenenfalls gleichzeitig angebotener
Herrenschuhe darunter leidet. Oft finden solche Differenzierungen nach Zielgruppen erst
im Laufe eines Unternehmenszyklus und/oder im Laufe der Entwicklung des Marktes
statt, weil sich unterschiedliche Nutzungsgewohnheiten oder -notwendigkeiten heraus-
kristallisieren. Dies gilt für Nahrungsmittel genauso wie für elektronische Geräte:
Heutzutage gibt es glutenfreie, laktosefreie oder vegane Produkte, ­ Mobiltelefone in
90 P. Kürble

unterschiedlichen Größen und Ausstattungen oder Kaffeevollautomaten mit den unter-


schiedlichsten Variationsmöglichkeiten. Um Kannibalisierungseffekte möglichst zu
vermeiden, also zu verhindern, dass eine neue Produktvariation die Nutzung des
ursprünglichen Produktes ersetzt, müssen die Unterschiede derart ausgestaltet sein, dass
damit eine möglichst neue Zielgruppe erreicht oder ein neuer Nutzen erfüllt wird. Dar-
über hinaus muss es noch gelingen, eine möglichst deutliche Abgrenzung von anderen
Unternehmen in diesem Marktsegment zu generieren, sodass weder innerhalb des Unter-
nehmens die Kunden abwandern, noch Kunden an andere Unternehmen verloren werden.
Diese Überlegungen lassen sich in der STP-Strategie zusammenfassen.
Die STP-Strategie (Segmenting, Targeting, Positioning) kombiniert verschiedene
Überlegungen, die zeitlich nachgelagert von Unternehmen in Märkten getroffen werden
können und stellt eine mögliche Vorgehensweise in der Entwicklung von Strategien dar
(Kotler und Bliemel 2001, S. 415 ff.). Die drei Elemente der STP-Strategie lassen sich
entsprechend Abb. 5.5.

Aufteilung des Gesamtmarktes in homogene Käufergruppen (Segmenting)


Dieser Schritt wurde bereits in der Marktanalyse vorgenommen und kann sich in seinem
letzten Schritt auf den Teilmarkt beziehen, der nun noch nach weiteren Kriterien genauer
untersucht wird.

Auswahl der Zielmärkte (Targeting)


Der Segmentierung folgt die Bewertung der Segmente in Bezug auf ihre ökonomische
Attraktivität und die anschließende Auswahl. Entsprechend besteht das Resultat in

Abb. 5.5   STP-Strategie
5 Marketingkonzepte 91

einer Single-Segment-Strategie, einer Multi-Segment-Strategie oder einer Gesamt-


markt-Strategie (also quasi einer Zero-Segment-Strategie). Auch dieser Teil der Strategie
kann in den Grundzügen im Rahmen der Analyse vorgenommen werden. Allerdings fin-
det nun eine deutlich zielorientiertere Betrachtung statt, sodass die Analyse noch weiter
verfeinert und den ausgewählten Zielen entsprechend angepasst wird.

Marktpositionierung (Positioning)
Die Marktpositionierung ist eigentlich eine unabhängige Strategie, die sowohl das
Ergebnis als auch das Ziel aller anderen Überlegungen sein kann. Die Positionierung fin-
det immer im Kopf des (potenziellen) Kunden statt und wird in ihrem Ergebnis als Image
bezeichnet. Dies ist deutlich von der Identität zu unterscheiden: Die Identität des Unter-
nehmens (Corporate Identity) kann definiert werden als die Beschreibung des Unter-
nehmens davon, wie es sich selbst sieht und von anderen gerne gesehen werden möchte.
Das Image hingegen ist das Ergebnis dessen: Die (potenziellen) Kunden entwickeln auf-
grund der Aktivitäten des Unternehmens ein bestimmtes Bild von den Eigenarten und
Besonderheiten des Unternehmens. Es wurde bereits zuvor angesprochen, dass sich das
Image auch entwickelt, wenn das Unternehmen nicht aktiv versucht, es zu steuern. Der
Prozess von der Identität hin zum Image wird schließlich als Positionierung bezeichnet.
Die grafische Darstellung einer Positionierung findet in Form eines mehrachsigen Rau-
mes statt (der Einfachheit halber oft zweiachsig), wo auf den Achsen die aus Kunden-
sicht relevanten Eigenschaften der Leistung abgetragen werden, also beispielsweise
bei Fernsehsendern Unterhaltung und Information. Der Kunde wird dann aufgefordert,
die Unternehmen (oder Produkte eines Unternehmens) in dem Eigenschaftsraum abzu-
tragen, sodass beispielsweise Sendern wie der ARD und dem ZDF ein anderes Unter-
haltungs-Informations-Verhältnis zugeschrieben wird als ProSieben oder RTL.
In Abhängigkeit von der angestrebten Positionierung werden in der folgenden Phase 4
die geeigneten Marketingmaßnahmen festgelegt.

5.2.2.3 Kalkulation des Marketingbudgets


Vorab muss noch die Kalkulation des Marketingbudgets erfolgen. Die Budgetierung
kann hier als „Prozess zur Erstellung und Kontrolle von formalzielorientierten, wert-
mäßigen Vorgaben mit festgelegtem Verbindlichkeitsgrad und festgelegtem zeitlichen
Horizont für dezentrale Unternehmenseinheiten“ (Meffert et al. 2015, S. 783) verstanden
werden. Es existiert sowohl theoretisch als auch praktisch eine Vielzahl von Ansätzen,
um das Marketingbudget festzulegen. Tatsächlich haben sich in der Realität insbesondere
solche Ziele durchgesetzt, die sich an ökonomischen Größen wie dem Umsatz, Absatz
oder Gewinn festmachen lassen und das Budget dann als prozentualen Anteil formu-
lieren. Diese Vorgehensweise ist zumindest logisch äußerst fragwürdig. Da Erfolgsgrö-
ßen nur vergangenheitsbezogen sein können, das Marketingbudget aber für zukünftige
Aktivitäten geplant werden muss, stellt sich die nicht ganz triviale Frage, warum bei-
spielsweise ein niedriger Umsatz in der Vergangenheit zu einem niedrigen Marketing-
budget in der Zukunft führen sollte. Vielmehr muss doch insbesondere in solchen Fällen
92 P. Kürble

mehr Geld in das Marketing investiert werden, um die Kaufanreize bei den (potenziellen)
Kunden zu stärken. Zumindest das Kommunikationsbudget sollte immer antizyklisch
geplant werden.

5.2.2.4 Festlegung und Umsetzung der Einzelmaßnahmen


Die Festlegung der Maßnahmen findet im Marketing im Rahmen des Marketing-Mix
statt. Hiermit ist gemeint, dass die angewandten Maßnahmen oder Instrumente auf-
einander abgestimmt werden müssen, um zu einem optimalen Ergebnis zu führen. Im
Folgenden werden die vier Ps für das Industriegütermarketing überblickartig vorgestellt
(für das Dienstleistungsmarketing siehe u. a. Kürble 2015).

5.2.2.5 Produktpolitik
Im Rahmen der Produktpolitik geht es um das Herz des Marketings: Ohne ein Produkt
gäbe es nichts, worüber zu berichten wäre. Entsprechend ist die Bedeutung der Produkt-
politik und damit der Entscheidung für das im Markt anzubietende Produkt existenziell.
Sie ist die erste Entscheidung, die im operativen Marketing getroffen werden muss. Je
nach Branche liegt die Misserfolgsquote bei der Einführung der Produkte im Markt bei
über 90 v. H. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ausgerechnet das eigene Produkt im
Markt langfristig durchsetzen kann, ist also relativ gering. Dennoch oder gerade des-
wegen lanciert allein die Lebensmittelindustrie in Deutschland pro Jahr etwa 30.000
neue Produkte (Klawitter 2009).
Marketingtechnisch betrachtet ist die Produktpolitik ein relativ komplexes Ins-
trument und kann beschrieben werden als alle Aktivitäten, die sich mit der Erstellung
einer marktgerechten Leistung beschäftigen. Sie kann, wie in Abb. 5.6 dargestellt, in
eine sachliche und eine zeitliche Struktur unterteilt werden. Produkte durchleben nach
der Einführung in den Markt einen Zyklus, an dessen Ende aus (meist) ökonomischen
Gründen die Elimination steht. Der Startpunkt und der Endpunkt sind bei jedem Pro-
dukt gegeben. Wie jedoch aus der Diskussion um den Produktlebenszyklus bekannt ist,
kann der Verlauf zwischen diesen beiden Fixpunkten sowohl in seiner Form als auch
in seiner Dauer extrem variieren. Im Rahmen der Produktpolitik bieten sich die Modi-
fikation und die Differenzierung als zwei Maßnahmen an, über die im weiteren Verlauf
noch diskutiert wird, die sich aber grundsätzlich dadurch auszeichnen, dass das Produkt
in irgendeiner Form verändert wird.
In der Waagerechten der Matrix aus Abb. 5.6 ist die sachliche Struktur der Produkt-
politik dargestellt, die ihrerseits die Elemente beschreibt, aus denen sich das Produkt
in seiner Summe zusammensetzt und die quasi als Stellschrauben entlang des Produkt-
lebenszyklus genutzt werden können. So kann sich beispielsweise eine Veränderung des
Produktes im Rahmen einer Modifikation auf das Design beziehen, das aktuellen Vor-
stellungen der Konsumenten angepasst wird, oder auf die Verpackung, die aus recht-
lichen Gründen verändert werden muss. Entsprechend ist die Matrix der Abb. 5.6 zu
lesen.
5 Marketingkonzepte 93

Abb. 5.6   Struktur der Produktpolitik. (Quelle: In Anlehnung an Kürble 2015, S. 58)

Zeitliche Struktur
Die zeitliche Struktur beginnt mit der Innovation. Als Innovation werden Inventionen
bezeichnet, die in einen Markt eingeführt werden und einen Neuheitsgrad aufweisen,
dessen Dimensionen vielfältig diskutiert werden können. Es lassen sich die Subjekt-
dimension, die Intensitätsdimension, die Zeitdimension und die Raumdimension unter-
scheiden (Koppelmann 2001, S. 145).
In Bezug auf die Subjektdimension stellt sich die Frage, für wen ein Produkt ein
neues Produkt darstellt. In Bezug auf den Nachfrager wird diese Fragestellung vor dem
Hintergrund einer andersartigen Bedürfnisbefriedigung wichtig. Ein Tablet-PC ist aus
Sicht eines PC-Herstellers keine wirkliche Innovation, da die Bestandteile denen eines
Home-PC gleichen. Allerdings ergeben sich für den Nutzer neue, weil flexiblere Ein-
satzmöglichkeiten beispielsweise in der Präsentation eigener Leistungen im Rahmen der
Kundenbesuche von Außendienstmitarbeitern.
Im Zusammenhang mit der Intensitätsdimension kann zwischen radikalen und inkre-
mentellen Innovationen unterschieden werden. Radikale Innovationen sind beispiels-
weise solche Leistungen, die bisher nicht existiert haben und Bedürfnisse auf eine neue
Art befriedigen. Meist entwickeln sich dadurch neue Märkte, wie dies beispielsweise bei
Personal-Computern der Fall ist. Auf der anderen Seite gibt es inkrementelle Innovatio-
nen, die auf ein bereits bestehendes Konzept aufbauen. In diesem Zusammenhang wer-
den zu einem späteren Zeitpunkt die Modifikation und die Differenzierung besprochen.
Neben der Intensität ist auch die Zeitdimension zu beachten. Hier stellt sich die Frage,
wie lange nach der Markteinführung ein Produkt noch als eine Innovation bezeichnet
werden kann. Je nach Markt können Wettbewerber das Produkt sehr schnell imitieren,
94 P. Kürble

es sei denn, es besteht gegebenenfalls ein rechtlicher Schutz vor Imitation. Entsprechend
unterschiedlich sind die Möglichkeiten des Unternehmens, Monopolgewinne zu erzielen
und damit die Möglichkeit zu haben, die Investitionen in Forschung und Entwicklung
wieder ausgleichen zu können. Zu geringe Zeiträume für Monopolgewinne lassen das
Forschungsbestreben der Unternehmen sinken, sodass es unter Umständen staatlicher-
seits gewollt sein kann, dass ein Schutz für eine Innovation aufgebaut wird, wie dies
beispielsweise im Pharmamarkt der Fall ist, wo patentrechtlicher Schutz die Möglich-
keit des Ausgleichs von Forschungskosten erlaubt. Die räumliche Dimension kann ins-
besondere mit der Wasserfallstrategie in Verbindung gebracht werden: Dabei handelt
es sich um die zeitlich verzögerte Einführung eines Produktes in mehr oder weniger
unabhängige (ausländische) Märkte. Die Sinnhaftigkeit eines solchen Vorgehens ist in
hohem Maße von den Eigenschaften des Produktes abhängig: Digitalisierte Produkte
sind in den meisten Fällen in sehr geringen Zeitspannen weltweit verbreitet, sodass hier
eine (künstliche) zeitlich verzögerte Einführung durch das Unternehmen keinen Sinn
ergeben würde.
Der grundlegende Prozess der Innovation beginnt in der Regel mit der Ideensuche und
-gewinnung, der die Wirtschaftlichkeitsanalyse, die Produktentwicklung, der Produkttest
und die Einführung folgen. Inzwischen wird in vielen Fällen versucht, den (potenziellen)
Kunden möglichst frühzeitig in den Prozess einzubinden. Insbesondere im B2B-Markt
kann dies bereits bei der Ideengenerierung geschehen, sodass die Wahrscheinlichkeit,
dass das Produkt nach der Einführung in den Markt erfolgreich ist, gesteigert werden
kann. Dieser Ansatz wird als Open Innovation bezeichnet und kann beispielsweise in
Form von Workshops oder Gewinnspielen stattfinden.
Sobald das Produkt im Markt ist, tritt es in Konkurrenz zu anderen Produkten und
wird in realer Umgebung vom Nutzer getestet. Mitunter werden die Erfahrungen, die
dabei gemacht werden, von Unternehmen genutzt, das Produkt den Bedürfnissen der
Kunden anzupassen. Diese Möglichkeit der Produktvariation wird als Modifikation
bezeichnet. Dabei kann es sich um funktionale Veränderungen handeln, um geschmack-
liche oder optische. An dieser Stelle wird von Up Grading, Side Grading oder Down
Grading gesprochen, wenn bei einem Produkt Eigenschaften hinzugefügt werden, es
sich lediglich um optische Veränderungen handelt oder das Produkt um sich in der Praxis
nicht bewährte Eigenschaften reduziert wird. Wichtig ist, dass bei der Modifikation das
neue Produkt an die Stelle des alten Produktes tritt.
Neben der Modifikation kann, zu einem etwas späteren Zeitpunkt im Produktlebens-
zyklus, darüber nachgedacht werden, neben dem eigentlichen Produkt weitere Produkt-
varianten anzubieten, die gegebenenfalls andere Zielgruppen ansprechen. Diese Variante
in der zeitlichen Struktur der Produktpolitik wird als Produktdifferenzierung bezeichnet.
Neben funktionalen Eigenschaften können auch ästhetische oder symbolische Eigen-
schaften dem Produkt hinzugefügt und dann parallel angeboten werden: Neben den
Fischstäbchen von Iglo gibt es Schlemmerfilets oder Feinschmecker. Auch innerhalb der
Produktlinie gibt es dann verschiedene Varianten; beispielsweise Vollkorn-Fischstäbchen
oder Omega-3-Fischstäbchen. In allen Fällen handelt es sich zwar um Fisch, der wird
5 Marketingkonzepte 95

den Kunden aber in verschiedenen Varianten für verschiedene Zielgruppen oder auch
verschiedene Bedürfnissituationen angeboten.
Am Ende des Produktlebenszyklus steht die Elimination. Dabei handelt es sich um
die Entfernung von Produkten aus dem Angebotsprogramm. Die Entscheidung zur Ent-
fernung sollte möglichst an objektiven Kriterien festgemacht werden; die subjektive Ein-
schätzung insbesondere eines Produktmanagers ist naturgemäß eher zu wohlwollend
und tatsächlich gehört die Entscheidung um eine Elimination auch aus diesen Gründen
mit zu den schwierigsten Entscheidungen in einem Unternehmen. Als Kriterien können
u. a. ökonomische Kriterien wie ein negativer Deckungsbeitrag relevant sein oder, im
Rahmen der psychologischen Kriterien, eine Imageschädigung. 2015 wurde beispiels-
weise aufgedeckt, dass VW in den USA bezüglich der Abgaswerte seiner Dieselkraft-
wagen getäuscht hat. Da Dieselfahrzeuge in den USA tendenziell eher einen schlechten
Ruf haben und gerade von VW versucht wurde, dieses negative Bild zu ändern, ist eine
solche Aufdeckung aus Sicht des Verbrauchers eine Bestätigung der bisherigen Ein-
schätzung von Dieselfahrzeugen und dürfte das völlige Ende der Dieselfahrzeuge (ins-
besondere von VW) in den USA bedeuten. Die Elimination von Produkten muss nicht
zwingend eine endgültige Entscheidung sein. Es finden sich zahlreiche Beispiele für
Produkte, die nach mehreren Jahren Pause wieder in den Markt eingeführt wurden und
durchaus erfolgreich sind: Der BMW Mini wäre eines dieser Beispiele.

Sachliche Struktur
Wie Abb. 5.6 zeigt, setzt sich die sachliche Struktur aus dem Produktkern, dem Design,
der Verpackung, der Markierung und den produktbegleitenden Dienstleistungen
zusammen.
Der Produktkern beschreibt den eigentlichen Nutzen des Produktes, also weswegen
der Kunde das Produkt kauft. Dies ist z. B. bei einem Auto der individuelle Transport
zwischen zwei Punkten, beim Smartphone die Möglichkeit der Kommunikation oder
bei Mineralwasser das Löschen des Durstes. Damit erfüllt der Produktkern den Grund-
nutzen eines Produktes und stellt die notwendige Bedingung für den Kauf und den
Konsum dar. Aus Sicht des Kunden ist die Qualität der Erfüllung des Grundnutzens aus-
schlaggebend für die Kaufüberlegung: So akzeptiert er in bestimmten Fällen eine eher
niedrige Qualität, beispielsweise scheint es den meisten Kunden egal zu sein, dass auf
einer Tiefkühlpizza Analogkäse und Kunstschinken sein können und der Geschmack von
Geschmacksverstärkern kommt. In anderen Fällen ist dem Kunden eine hohe Qualität
wichtig, beispielsweise dann, wenn es sich um Gesichtscreme handelt.
Neben dem Produktkern spielt das Design eine wichtige Rolle für die Nutzung
und den (Ver-)Kauf eines Produktes. Es lassen sich hinsichtlich der Kombination
aus Farbe, Form, Material, Klang und Geruch drei Dimensionen unterscheiden: die
produktumgangsbezogene Dimension, die wahrnehmungsbezogene Dimension und die
sozial-semantische Dimension. Während die beiden ersten Dimensionen den Erbauungs-
nutzen befriedigen und damit für den Kunden selbst wichtig sind, bezieht sich die letzte
Dimension auf den Geltungsnutzen und spielt auf die Bedeutung des Produktes in Bezug
96 P. Kürble

auf die Außenwirkung an. Die produktumgangsbezogene Dimension behandelt die Pro-
blematik der Nutzungssituation und versucht zu klären, ob der Kunde das Produkt ent-
sprechend seiner Gewohnheiten, Fähigkeiten und Fertigkeiten möglichst einfach nutzen
kann. Die wahrnehmungsbezogene Dimension bezieht sich auf die persönlichen Empfin-
dungen des Kunden bei der Nutzung. Die Produkte von Apple bedienen in hohem Maße
diese Dimension, denn es geht weniger um die eigentliche Nutzung, also die produkt-
umgangsbezogene Dimension, die dem Apple-Nutzer mitunter aufgrund der fehlenden
Kompatibilität mit Office-Produkten eher erschwert wird, sondern es geht um die Haptik
und Optik der Produkte: Ein iMac ist optisch schöner als die Produkte der Wettbewerber
und ein iPhone haptisch besser.
Im Rahmen der Verpackung interessiert das Marketing insbesondere die absatz-
wirtschaftliche Funktion, die neben der technischen und ökologischen Funktion unter-
schieden werden kann. Dabei wird grundsätzlich zwischen der Verkaufsverpackung,
der Umverpackung und der Transportverpackung getrennt. Während die Verkaufs-
verpackung notwendig ist, um dem Kunden das Produkt in einer für ihn akzeptablen
Weise anzubieten (sowohl quantitativ als auch qualitativ), dient die Umverpackung
marketingtechnischen Aspekten. So kann beispielsweise eine Tiefkühlpizza nur in einer
durchsichtigen Plastikfolie angeboten werden. Um die Pizza aber möglichst ansprechend
darzustellen, umgeben die Unternehmen das Produkt mit einer stabilen Pappverpackung,
auf der zum einen Produktinformationen abgebildet werden können, zum anderen aber
auch das Produkt selbst in einer bevorzugten Art abgelichtet wird.
Hier wird die absatzwirtschaftliche Funktion angesprochen, die ihrerseits in eine
Informationsleistung, eine Verkaufsleistung und eine Verwendungsleistung unterschieden
werden kann. Die Informationsleistung besteht im Wesentlichen aus den Informatio-
nen, die gesetzlich vorgeschrieben auf einer Verpackung enthalten sein müssen, wie
beispielsweise bei Lebensmitteln das Mindesthaltbarkeits- oder Verfallsdatum. Die Ver-
kaufsleistung beschreibt u. a. die schon angesprochene Abbildung des Produktes auf der
Verpackung. Insbesondere bei Lebensmitteln wird die Abbildung häufig um zusätzliche
Produkte ergänzt, um dem Käufer ein Bild der Nutzungssituation zu vermitteln. Damit
der Käufer nicht annehmen darf, dass sich das Produkt genau so auch in der Verpackung
findet, wird der Hinweis Serviervorschlag hinzugefügt. Die Verwendungsleistung einer
Verpackung besteht schließlich darin, dass dem Kunden mitgeteilt wird, wie er das Pro-
dukt zubereiten muss, um es verwenden zu können, oder dass die Verpackung in der
Lage ist, dem Kunden bei der Verwendung zu helfen: So unterstützt die Konturenform
einer Verpackung den Kunden bei der Nutzung, sei es, weil Griffmulden helfen, die Ver-
packung zu greifen oder weil Sprühköpfe die Nutzung erleichtern.
Als Nächstes spielt die Markierung eine wichtige Rolle. Hierbei handelt es sich
um die Frage der Namensgebung für das Produkt. In manchen Fällen ist diese Ent-
scheidung sehr wichtig für den Erfolg des Produktes, in anderen Fällen spielt der Name
nur eine untergeordnete Rolle. Letzteres gilt insbesondere bei C-Gütern im B2B-Markt.
Heftklammern, Tackerklammern oder DIN-A4-Papier für Drucker brauchen keinen
besonderen Namen, da der Bezug des Kunden zu dem Produkt eher gering ist und der
5 Marketingkonzepte 97

Kunde auf den Grundnutzen fokussiert. Bei Pkw, Schmuck, Smartphones oder Klei-
dung kann die Bezeichnung grundlegend für den Erfolg sein, da andere Aspekte als der
Grundnutzen für den Kunden eine entscheidende Rolle spielen. Die Namensgebung ist
aber wenigstens für die unternehmensinterne Nutzung sinnvoll, da das Produkt im Unter-
nehmen erfasst werden muss. Letztlich kann im Rahmen der Namensgebung über die
Frage diskutiert werden, ob das Produkt einen Namen bekommen soll, der als Marken-
name schutzwürdig und wirksam ist; schutzwürdig in Bezug auf die Prüfung durch das
Patentamt, sodass der Name nicht von anderen Unternehmen genutzt werden darf, aber
insbesondere wirksam in Bezug auf die Differenzierung im Markt. So kann ein Auto
in Deutschland zwar Pajero genannt werden, in Spanien wäre das sicherlich weniger
erfolgreich. Dort ist der Begriff vulgärsprachlich in Gebrauch, die Akzeptanz durch die
Kunden wäre eher gering. Ob eine Marke tatsächlich die Funktion einer Marke erfüllt,
hängt aber weniger vom rechtlichen Schutz ab, als vielmehr von ihrer Akzeptanz: Kun-
den müssen den Produktnamen wenigstens kennen, ihn auf jeden Fall auch wertschätzen,
damit sie bereit sind, ihn als Markennamen zu akzeptieren und einen entsprechenden
Preis zu zahlen. Erst dann lohnt sich die Investition in eine Marke. Die Toilettenpapier-
marke Charmin lässt sich als sehr gutes Beispiel dafür anführen, dass die Kenntnis um
einen Produktnamen nicht zwingend zur umsatzsteigernden Wertschätzung führt. Mar-
ken lassen sich im Rahmen einer Markenarchitektur nach dem Umfang ihrer Bedeutung
unterteilen: Einzelmarken auf der untersten Ebene beziehen sich entsprechend ihres
Namens auf ein einzelnes Produkt. Häufig finden sich Einzelmarken bei der Neuein-
führung eines Produktes. Mitunter ziehen Unternehmen die Bildung von Einzelmarken
aber auch dauerhaft einer Zuordnung vor. So arbeitet beispielsweise das Unternehmen
Ferrero mit einer Vielzahl von Einzelmarken, wie u. a. Nutella. Der Vorteil einer sol-
chen Idee (und je nach Zuordnung einer Strategie) liegt oft darin begründet, dass die
Auswirkungen eines Misserfolges bei einer Einzelmarke nur auf die einzelne Marke zu
spüren sind, andere Marken des Unternehmens sind davon nicht betroffen. Die Nach-
teile einer Einzelmarke liegen im damit verbundenen hohen Kommunikationsauf-
wand, um die Marke bekannt zu machen. Einzelmarken lassen sich zu Familienmarken
zusammenfassen, so wie dies beispielsweise bei Apple mit dem iPhone, dem iMac,
dem iPad oder dem iPod geschehen ist, oder aber wie es Beiersdorf bei Nivea zeigt.
Der Vorteil für das Unternehmen liegt darin, dass die kommunikationspolitischen Auf-
wendungen deutlich niedriger sind als bei einer Einzelmarke, da die Kunden das Pro-
dukt leicht zuordnen können. Der Nachteil liegt darin, dass negative Ereignisse bei
einem Produkt einer Familienmarke negative Auswirkungen auf die anderen Produkte
der Markenfamilie haben könnten. Oberhalb der Familienmarke kann die Dachmarke
angesiedelt werden. Bei der Dachmarke handelt es sich immer um den Unternehmens-
namen, der als Orientierung für den Kunden dienen kann, so wie dies beispielsweise
bei Haribo, Henkel oder Dr. Oetker der Fall ist. Sofern die Dachmarke als Markierung
auf den Beschaffungsmarkt zielt, beispielsweise zur Rekrutierung neuer Mitarbeiter,
wird von einer Unternehmensmarke gesprochen. Die Unternehmensmarke ist also in
Bezug auf den Namen identisch zur Dachmarke, hat aber eine andere Zielgruppe und
98 P. Kürble

wird damit auch unterschiedlich kommuniziert: Die Anzeigen der Firma Henkel für
neue Mitarbeiter hat einen völlig anderen Auftritt, als die Anzeige für ein Produkt der
gleichen Firma auf dem Absatzmarkt. Die Etablierung eines Markennamens ist nicht
immer sinnvoll. Zum einen gibt es Branchen, in denen die Einführung eines Marken-
produktes vom Verbraucher abgelehnt wird, weil das Produkt aus Sicht der Kunden nicht
dafür geeignet ist (Markenbereitschaft), zum anderen bedeutet die Etablierung von Mar-
ken einen enormen dauerhaften Kommunikationsaufwand. Dieser Aufwand lohnt sich
nur, wenn es dem Unternehmen gelingt, eine entsprechende Zahlungsbereitschaft beim
Kunden zu erzielen. Sonst stehen dem zusätzlichen Aufwand keine entsprechenden Ein-
nahmen gegenüber. Ideal ist die Erzielung einer Situation der monopolistischen Konkur-
renz, sodass die Preiselastizität der Nachfrage relativ gering ist und das Unternehmen
Monopolgewinne realisieren kann. Für den Kunden, der generell eher dazu neigt, Pro-
dukte zu kaufen, die er schon kennt, und den Suchaufwand möglichst gering zu halten,
bedeuten Markenprodukte eine bevorzugte Einkaufssituation.
Abschließend sind die produktbegleitenden Dienstleistungen zu diskutieren. Ihre
Bedeutung hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen und es findet sich heutzutage
kaum noch ein Produkt, welches ohne ein Mindestmaß an Dienstleistungen auskommt.
Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten Dienstleistungen und ihre Eigenschaften zu
beschreiben. Um die besonderen Aspekte von Dienstleistungen im Rahmen der Produkt-
politik deutlich zu machen, seien drei Aspekte hervorgehoben: Die Immaterialität,
die Integration des externen Faktors und das Uno-actu-Prinzip. Da Dienstleistungen
immateriell sind, der Kunde sie also nicht sehen oder anfassen kann, ist die Einschätzung
über die Qualität von Dienstleistungen für ihn schwierig, es fehlt an Anhaltspunkten.
Darüber hinaus muss der Kunde in die Dienstleistung integriert werden, da sie nur in
Zusammenarbeit mit ihm erbracht werden kann. Der Haarschnitt funktioniert nur, wenn
der Kunde an dem Prozess beteiligt ist und auch die Autoreparatur funktioniert nur, wenn
der Kunde seinen Wagen vorab in die Werkstatt bringt. Schließlich findet der Konsum
der Dienstleistung zum Zeitpunkt der Erstellung statt. Da Dienstleistungen immateriell
und damit nicht lagerfähig sind, kann die Dienstleistung nur zu dem Zeitpunkt in
Anspruch genommen werden, da sie angeboten wird. Der Haarschnitt lässt sich nicht
verschieben, wenn der Kunde nicht da ist, findet er nicht statt. Die Blinddarmoperation
kann auch nur in dem Moment durchgeführt werden, da der Kunde auf dem Operations-
tisch liegt.
Die angesprochenen Eigenschaften bestimmen die Erweiterung des Marketing-Mix
um drei Instrumente (Prozesspolitik, Ausstattungspolitik und Personalpolitik) und zeigen
auf, warum die Überzeugung des Kunden bei einer Dienstleistung mitunter anders funk-
tionieren muss als bei Sachgütern. Produktbegleitende Dienstleistungen ergänzen das
eigentlich zu erwerbende Produkt beispielsweise im Rahmen des Kaufprozesses durch
Beratungsleistung. So kann der Kunde vor dem eigentlichen Kauf Beratung in Anspruch
nehmen, um fehlende Informationen zum Produkt zu bekommen und sich in seiner Ent-
scheidung sicherer zu werden. Dies findet heutzutage häufig über das Internet statt, wo
der Kunde sich die notwendige Information holt und diese gegebenenfalls zur ­Grundlage
5 Marketingkonzepte 99

seiner Verhandlungen im Rahmen des eigentlichen Kaufs nutzt. Die Dienstleistung wäre
in diesem Fall die Zurverfügungstellung der Information im Internet. Gleiches gilt für
die Phase nach dem Kauf. Auch hier kann Beratung beispielsweise im Rahmen von
Reklamationen oder Schulungen zur Nutzung des Produktes stattfinden.
Wie anfänglich beschrieben, besteht die Aufgabe der Produktpolitik nun darin, die
sachliche und zeitliche Struktur so zusammenzuführen, dass das einzelne Produkt mög-
lichst optimal betreut wird. Darüber hinaus wäre dann noch über das Produktprogramm
zu diskutieren, welches u. a. mit der BCG-Matrix analysiert werden kann, um mögliche
Schwachstellen über alle Produkte hinweg erkennen zu können.

5.2.2.6 Kontrahierungspolitik
Die Kontrahierungspolitik umfasst alle Vereinbarungen über das Entgelt des Leistungs-
angebotes (Meffert et al. 2015, S. 437). Die im Deutschen genutzte Begrifflichkeit der
Kontrahierungspolitik soll dabei deutlich machen, dass es sich hierbei nicht nur um
die Entscheidungen über den (Markt-)Preis handelt, sondern um alle Lieferungs-, Zah-
lungs- und Kreditierungsbestimmungen, wie Rabatte, Boni und Skonti, Zahlungsziele
oder Garantiebestimmungen. Auch wenn das Ergebnis der Überlegungen im Rahmen
der Kontrahierungspolitik monetäre Größen betrifft, so müssen dennoch auch die Ein-
flussfaktoren der nichtmonetären Größen in die Kalkulation einbezogen werden. Wird
doch die endgültige Entscheidung für den optimalen Preis auch davon beeinflusst, wel-
che Preise und Konditionen die Wettbewerber setzen und welche Zahlungsbereitschaft
bei den Kunden vorliegt. Aus diesem Zusammenspiel von Kosten für das Unternehmen,
Marktpreisen anderer Unternehmen und den Vorstellungen und Wahrnehmungen der
Kunden ergibt sich der preispolitische Spielraum. Aus Sicht eines Kunden wird schließ-
lich die Wahl für das Produkt getroffen, dessen Nutzen im Verhältnis zu den Kosten am
höchsten ist. Diese Nutzendifferenz wird als Nettonutzen bezeichnet. Da der Nettonutzen
für jedes relevante Angebot im Markt ermittelt werden muss und dann das günstigste
Angebot gewählt wird, wird auch vom relativen Nettonutzen gesprochen.
Entsprechend der Einteilung des preispolitischen Spielraums gibt es drei Heran-
gehensweisen an die Ermittlung des optimalen Preises: unter Berücksichtigung unter-
nehmerischer Ziele, der (möglichen) Reaktion der Konkurrenz und der Verhaltensweisen
der Kunden.
Werden die unternehmerischen Ziele berücksichtigt, so kann im klassischen Sinne
die mikroökonomische Sichtweise eingenommen werden, wonach Unternehmen ihren
Gewinn maximieren wollen. Unter Berücksichtigung der Produktions- und Kosten-
funktionen kann der Preis für das Produkt zwischen einem Betriebsminimum, also der
Deckung der durchschnittlichen variablen Kosten und einem Betriebsoptimum, also der
Deckung der gesamten Durchschnittskosten, gefunden werden. Die alleinige Orientie-
rung an der eigenen Kostenfunktion kann dazu führen, dass das Produkt teurer angeboten
werden muss als bei den Wettbewerbern, z. B. deswegen, weil beim eigenen Unter-
nehmen die Betriebsgrößenvorteile (Economies of Scale) nicht in gleichem Umfang aus-
genutzt werden können, wie bei den Wettbewerbern. Damit wäre das Unternehmen im
100 P. Kürble

Markt nicht wettbewerbsfähig. Aus diesem Grund muss die Sichtweise häufig umgekehrt
und gerade in wettbewerbsintensiven Märkten das Target Costing angewandt werden,
bei dem das Unternehmen vom Marktpreis ausgehend unter Berücksichtigung einer
eigenen Marge die zugehörigen Zielerlöse und Zielkosten ermittelt. Hierzu finden dann
produktionsseitig unternehmensinterne Anpassungsprozesse statt und die Aktivitäten
werden daraufhin überprüft, inwieweit es möglich ist, Kosten zu reduzieren. Dies kann
im Zusammenhang mit dem Supply Chain Management beispielsweise dazu führen, dass
Kosten auf die Lieferanten oder nachgelagerten Abnehmer abgewälzt werden, so wie
dies mit den Lagerkosten bei Just-in-time-Systemen der Fall ist.
Die Berücksichtigung der Konkurrenz führt zu den mikroökonomischen Markt-
modellen des Monopols, Oligopols oder Polypols, wobei in der Realität das Oligo-
pol am häufigsten zu beobachten ist, wie z. B. bei Lebensmitteldiscountern, Energie-,
Mineralöl- oder Medienunternehmen. Insbesondere im Oligopol muss von einer hohen
Reaktionsverbundenheit unter den Wettbewerbern ausgegangen werden, sodass eine
mögliche Preissenkung bei einem Unternehmen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer
Preisreaktion der anderen Unternehmen führen wird. Daraus leiten sich zwei Prozesse
ab: Entweder führen die Unternehmen einen solchen Preiskampf weiter, bis eines der
Unternehmen aufgibt und aus dem Markt ausscheiden muss (ruinöse Konkurrenz) oder
die Unternehmen einigen sich stillschweigend auf einen für alle akzeptablen Preis (fried-
liches Oligopolverhalten). Auch wenn Letzteres offiziell nach § 1 des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verboten ist, findet diese Vorgehensweise in der
Realität vergleichsweise häufig statt. Nicht umsonst deckte das Bundeskartellamt in den
letzten fünf Jahren 48 Verstöße gegen das Kartellverbot auf, u. a. bei Herstellern von Ins-
tant-Cappuccino (2011), Schienenherstellern (2012), Herstellern von Drogerieartikeln
(2013), deutschen Großbrauereien (2014) und Fertiggaragenherstellern (2015) (Bundes-
kartellamt o. J.).
Die Betrachtung der Kundenseite führt dazu, dass im Ergebnis eine Nachfrage-
funktion zu beobachten ist, welche die Reaktion der Kunden auf einen bestimmten
Preis zeigt. Allerdings gilt diese Reaktion nur unter Ausschluss aller anderen möglichen
Einflussfaktoren, wie beispielsweise dem gelernten Preisniveau oder kurzfristigen Ein-
flüssen durch Framing. Es muss mindestens darüber diskutiert werden, inwieweit neben
dem zu zahlenden Preis beim Kunden auch darüber Anreize zum Kauf zu schaffen sind,
dass verschiedene Zahlungsmöglichkeiten modelliert werden (z. B. in Form von Raten-
zahlungen oder Anzahlungen), Preisreduktionen durchgeführt werden (z. B. in Form von
Rabatten, Boni oder Skonti) oder nicht-monetäre Faktoren betrachtet werden, welche die
Kosten aus Kundensicht ebenfalls beeinflussen. Hierbei kann es sich z. B. um Opportuni-
tätskosten oder Informationskosten handeln: Wenn die Beschaffung eines Produktes mit
einem hohen zeitlichen Aufwand verbunden ist, beispielsweise dadurch, dass der Kunde
erst zur Einkaufstätte fahren muss, dann ist der Erwerb des gleichen Produktes über das
Internet unter Umständen eine Alternative, weil es nicht so zeitintensiv ist und der Kunde
damit Kosten sparen kann. Dies ist insbesondere vor der subjektiv immer knapper wahr-
genommenen freien Zeit ein sehr wichtiges Argument für Kunden. Gleiches gilt für die
5 Marketingkonzepte 101

Beschaffung von Information: Die meisten (privaten) Kunden werden in einem ersten
(und oft einzigen) Schritt die benötigte Information über das Internet beziehen, indem
sie einen Suchdienst nutzen. Auch hier grenzen die Kunden ihren Informationsaufwand
dadurch ein, dass sie nur wenige der Meldungen tatsächlich durchlesen, weswegen es
für Unternehmen elementar wichtig ist, in den Suchergebnissen möglichst weit oben zu
erscheinen.

5.2.2.7 Distributionspolitik
Die Distributionspolitik, die in der Realität in etwa mit dem Begriff Vertrieb gleich-
zusetzen ist, beschäftigt sich mit der Frage, wie das fertige Produkt oder die Dienst-
leistung zur richtigen Zeit in der richtigen Qualität und Quantität und am richtigen Ort
angeboten werden kann. Dabei sind zwei wesentliche Ausprägungen zu unterscheiden:
Einerseits befasst sich die Distributionspolitik mit der logistischen Komponente des Pro-
blems, also der Frage des Transports und des Aufbaus von gegebenenfalls notwendigen
Lagern. Andererseits befasst sie sich mit der akquisitorischen Komponente, der Frage der
Absatzkanalstruktur, die grundlegend in direkten und indirekten Absatz unterschieden
werden kann. Aufgrund des grundlegenden Charakters dieses Beitrags soll der Fokus
auf der akquisitorischen Komponente liegen, die im Weiteren vorgestellt wird. Hierzu
zählt neben der reinen organisatorischen Beschäftigung mit der Thematik auch die kom-
munikative Komponente: Einerseits muss die Frage beantwortet werden, welche Organe
sinnvollerweise zwischen produzierendem Unternehmen und Kunde stehen können, zum
anderen muss aber auch geklärt werden, in welcher Form diese Organe mit dem Kunden
kommunizieren dürfen und können: Kann sich das Unternehmen darauf verlassen, dass
der Handel das ihm überlassene Produkt auch wirklich adäquat bewirbt, oder müssen
Mitarbeiter aus dem eigenen Unternehmen das Produkt vertreiben, damit sichergestellt
werden kann, dass der Kunde die Information bekommt, die das Unternehmen für sinn-
voll erachtet? Diese Vertriebsform kann grundsätzlich in drei Varianten unterschieden
werden: Den persönlichen Verkauf, den distanzpersönlichen oder mediengestützten Ver-
kauf und den unpersönlichen bzw. mediengeführten Verkauf.
Im persönlichen Verkauf wird zwischen dem POS beim Kunden, dem POS beim
Anbieter oder dem wechselnden POS unterschieden. Bei Ersterem kann es sich z. B. um
den Besuchsverkauf handeln, wie er von Versicherungen mitunter angeboten wird, wenn
der Außendienstmitarbeiter des Unternehmens den Kunden zu Hause besucht, um ihn in
gewohnter Umgebung beraten zu können. Mit Letzterem ist beispielsweise der Laden-
verkauf gemeint, wie er im Lebensmitteleinzelhandel vorkommt. Die dritte Variante
beschreibt u. a. Varianten wie den Messeverkauf.
Der distanzpersönliche Verkauf kann in Telefonverkauf und Videokonferenzver-
kauf unterschieden werden. Während der Telefonverkauf sowohl im B2C- als auch im
B2B-Sektor angewandt wird, ist der klassische Videokonferenzverkauf nur im B2B-Sek-
tor zu finden. Der Telefonverkauf kann sowohl zur Vorbereitung auf den Besuch eines
Außendienstmitarbeiters, zur Generierung neuer Kunden oder aber nach dem Kauf als
Nachfassaktion dienen.
102 P. Kürble

Der unpersönliche Verkauf umfasst u.  a. den klassischen Versandhandel, das


TV-Shopping oder E-Commerce. Unter E-Commerce wird hier verstanden, dass Handel
über das Internet betrieben wird, wobei es egal ist, ob es sich um Geschäfts- oder Privat-
kunden handelt.
Begrifflich lassen sich mögliche Teilnehmer entlang des Vertriebsweges in Absatz-
mittler und Absatzhelfer unterscheiden. Die Absatzmittler sind rechtlich und wirtschaft-
lich selbstständig und unmittelbar an der Verteilung der Produkte und Dienstleistungen
beteiligt. Sie erwerben Eigentum an der Ware und verkaufen sie ohne wesentliche Ver-
änderung an den Kunden weiter, wie beispielsweise im Handel üblich. Die Absatz-
helfer sind eher indirekt und unterstützend an der Distribution beteiligt. Sie erwerben
kein Eigentum an der Ware, wie beispielsweise Speditionen. Da der Kunde heutzu-
tage üblicherweise nicht mehr nur über einen Absatzkanal angesprochen wird, son-
dern mehrere Kanäle genutzt werden müssen, wird oft von Multichannel-Management
gesprochen. Abb. 5.7 zeigt die Möglichkeiten bei der Festlegung der Absatzkanal-
struktur, die im Rahmen der Vertriebskanalpolitik diskutiert wird.
Die Strukturen der Absatzkanäle können dabei in eine vertikale und eine horizon-
tale unterteilt werden. Bei der vertikalen Struktur handelt es sich um die zuvor bereits
angesprochene Entscheidung über die direkte oder indirekte Absatzkanalstruktur. Der
direkte Vertrieb beschreibt hierbei, dass das Unternehmen direkten Kontakt zum Kun-
den hat, also keine Absatzstufe zwischen dem Abnehmer und dem Unternehmen steht.
Entsprechend beschreibt der indirekte Vertrieb, dass mindestens eine Stufe zwischen
Unternehmen und Kunden tätig ist. Die Vorteile eines direkten Vertriebs, die g­ leichzeitig

Abb. 5.7   Entscheidungstatbestände bei der Festlegung der Absatzkanalstruktur. (Quelle: In


Anlehnung an Meffert et al. 2015, S. 519)
5 Marketingkonzepte 103

die Nachteile des indirekten Vertriebs sind und umgekehrt, liegen insbesondere in der
Möglichkeit der Kundenbindung, dem Zugang zu Marktinformationen, der höhe-
ren Flexibilität in der Marktbearbeitung und der Unabhängigkeit von Händlern. Die
Nachteile sind die fehlende oder wenigstens zeitlich aufwendiger zu installierende
Marktpräsenz, die Kapitalbindung und die fehlenden Effizienzgewinne durch Bedarfs-
bündelung. Ein großer Vorteil des Handels hingegen liegt aus Sicht eines produzieren-
den Unternehmens darin, dass durch die vom Handel verursachte Bedarfsbündelung
Effizienzgewinne möglich sind. Es lassen sich grundsätzlich die Marktcharakteristika,
Herstellercharakteristika, Produktcharakteristika und Vertriebscharakteristika unter-
scheiden, die in der Summe eher für die Wahl eines direkten oder indirekten Vertriebs
stehen. So spricht eine geringe Nachfragerkonzentration eher für einen indirekten Ver-
trieb, weil die Ware dann an vielen verschiedenen Orten angeboten werden muss, was
in der Regel für die produzierenden Unternehmen effizienter über den Handel gelöst
werden kann. Handelt es sich andererseits um ein Unternehmen, welches einen starken
Markennamen hat, so kann es sich unter Umständen leisten, einen direkten Vertrieb auf-
zubauen, da die Kunden einerseits bereit sind, für den Erwerb des Produktes (zeitliche)
Kosten auf sich zu nehmen und andererseits die Marge bei starken Markennamen so
groß ist, dass ein direkter Vertrieb aufgebaut werden kann. Ähnliches gilt für die mög-
liche Komplexität des Produktes bzw. des damit verbundenen Services. Ist dieser sehr
hoch, das Produkt also beratungsintensiv, dann spricht dies eher für einen direkten Ver-
trieb, da die eigenen Mitarbeiter die notwendige Beratung tendenziell besser sicher-
stellen können als externe Personen. Wäre andererseits die Verfügbarkeit geeigneter
Vertriebspartner sehr hoch, so könnte der indirekte Vertrieb eine Alternative sein.
Auf der jeweiligen Stufe des Absatzkanals können dann noch einmal Breite und
Tiefe unterschieden werden. Mit der Breite des Absatzkanals wird die Art der Absatz-
mittler je Absatzstufe, die Betriebsform, beschrieben. Die Betriebsformen des Han-
dels beschreiben die Zusammenfassung von Unternehmen nach einem oder mehreren
Merkmalen, beispielsweise nach den Kundengruppen (Einzelhandel, Großhandel)
(Kenning 2013). Die Tiefe des Absatzkanals gibt den Betriebstyp und die Anzahl der
einzusetzenden Absatzmittler in der jeweiligen Betriebsform an. So kann im Rahmen
des Großhandels zwischen Sortimentsgroßhandel, Spezialgroßhandel, Streckengroß-
handel, Zustellgroßhandel, Cash & Carry-Großhandel und Rack-Jobber unterschieden
werden, während beim Einzelhandel in Nachbarschaftsmarkt, Fachgeschäft, Discounter,
SB-Warenhaus, klassisches Warenhaus, klassischen Versandhandel (auch Internet) und
ambulanten Handel getrennt wird (Becker 2012, S. 531 ff.).
Bei der Auswahl der Absatzmittler kann zwischen intensiver, exklusiver und selek-
tiver Distribution unterschieden werden. Im ersten Fall werden alle Absatzmittler ein-
geschaltet, die grundsätzlich in Betracht kommen. Insbesondere bei Massengütern, die
einer möglichst breiten Kundengruppe zugeführt werden sollen, ist die intensive Dis-
tribution sinnvoll, sodass eine Ubiquität möglich ist. Diese Variante findet sich z. B. bei
Gütern des täglichen Bedarfs. Die exklusive Distribution bezieht sich auf die bewusste
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mengenmäßige Begrenzung von Handelsbetrieben, sofern dies aufgrund der Exklusivi-


tät des Produktes sinnvoll ist. In diesen Fällen erhält das Produkt seine Wertigkeit auch
über den Distributionskanal. Bei der selektiven Distribution findet, ähnlich wie bei der
exklusiven Distribution, eine Auswahl statt. Sie beruht aber nicht auf der Erzeugung
künstlicher Knappheit, sondern auf den Anforderungen an das Unternehmen z. B. in
Bezug auf eine mögliche Beratungsintensität oder notwendige räumliche Nähe zum
Kunden. Unternehmensübergreifende Konzepte der Vertriebskanalpolitik sind beispiels-
weise ECR (Efficient Consumer Response) und SCM (Supply Chain Management).
ECR ist insbesondere in Zusammenarbeit mit dem Handel eine Koordinationsmethode
der Aktivitäten über alle Elemente der Wertschöpfungskette hinweg, bei der die Bedürf-
nisse des Kunden im Vordergrund stehen und das sogenannte Pull-Prinzip verfolgt wird:
Die Nachfrage des Endkunden steuert die vorgelagerten Prozesse der Beschaffung, Pro-
duktion und des Absatzes der jeweiligen Produkte. Notwendige Bedingung dafür ist der
Fluss relevanter Informationen im Rahmen des ECR-Koordinations- und Kooperations-
konzeptes von der Nachfrageseite in die vorgelagerten Wertschöpfungsstufen.
Neben der Entscheidung für die Absatzkanalstruktur muss auch eine Entscheidung
für die unternehmensinterne Organisationsstruktur getroffen werden. Hier können ver-
schiedene Stellen unterschieden werden: der Vertriebsleiter, der Außendienstmitarbeiter,
der Innendienstmitarbeiter, der Kundendienstmitarbeiter, das Weboffice oder der Key
Account Manager.
Der Vertriebsleiter sollte idealerweise drei Funktionen erfüllen: Er sollte Organisator
des Vertriebspersonals sein, Fürsprecher des Vertriebspersonals und Werkzeugmacher
(Winkelmann 2012, S. 49). Als Organisator organisiert er die Unternehmensressourcen
und versucht dafür Sorge zu tragen, dass die Verkäufer mit maximaler Produktivität
verkaufen. Hiermit ist nicht zwingend gemeint, dass Mitarbeiter möglichst viel arbei-
ten, sondern dass Mitarbeiter zufrieden sind, damit sie produktiv sein können. Dies
bedeutet heutzutage immer häufiger, dass ein akzeptiertes Verhältnis von Arbeitszeit und
Freizeit existiert (Work-Life-Balance). Insbesondere Außendienst