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Glattwasserwiderstand 16.

März 2009

Strömungsmechanische Grundlagen zum Glattwasserwiderstand


von Schiffen

1 Der Begriff des Schiffswiderstandes und seine Aufteilung

1.1 Bedeutung des Schiffswiderstandes

Bei der Projektierung von Schiffen wird der Schiffswiderstand in verschiedene Komponenten aufgeteilt,
deren Berechnung oder Bestimmung jeweils getrennt nach verschiedenen Verfahren erfolgt, die alle unter-
schiedliche physikalische Effekte modellieren. Dabei besteht die Schwierigkeit, dass der Schiffswiderstand
heute immer noch nur sehr ungenau mit theoretischen Verfahren berechenbar ist. Dies liegt daran, dass

• der Widerstand des Schiffes selbst extrem klein ist (wir haben im Schiffbau cw- Werte von etwa
0.03-0.05 , also etwa 1/10 von dem der Automobilbauer)
• der Widerstand eines Schiffes als extrem kleine Differenz zweier sehr grosser Kräfte in Erscheinung
tritt, wenn wir das Schiff gedanklich am Hauptspant auseinanderschneiden.

Dazu folgendes Zahlenbeispiel: Ein Schiff mit 200m Länge hat ca. 20000t Wasserverdrängung und bei
22.5kn (das sind ca. 11.6m/s) einen Widerstand von 1000 kN. Würde man ein Modell im Masstab 1:20
dieses Schiffes bauen, dann würde die Wasserverdrängung des Modelles immerhin 2.5t betragen, Die
Modellgeschwindigkeit beträgt dann 2.6 m/s. Der Widerstand des Modelles wäre dann nur noch 0.125
kN. Die Leistung, die benötigt wird, um das Modell mit der Geschwindigkeit von 2.6m/s fortzubewegen
beträgt dann nur 325 Watt. Mit dieser geringen Leistung könnte man ausser im Wasser kein Objekt
dieser Grösse fortbewegen, was zeigt, dass der Widerstand des Schiffes verglichen mit seiner Masse
extrem gering ist. (Wie die einzelnen Grössen des Zahlenbeispiels auf den Modellmasstab umgerechnet
werden, wird im Abschnitt Modellgesetze behandelt).
Weiterhin wird deutlich, wie gering der Schiffswiderstand ist, wenn wir den hydrostatischen Druck,
z.B. auf das Stevenrohr des obigen Schiffes mit 1450mm Durchmesser, Mitte Welle 3.50 m getaucht,
ausrechnen: Der hydrostatische Druck in 3.50m Wassertiefe beträgt:
P = ρgh = 1.025 · 9.81 3.5kN/m2 = 35.2kN/m2 (1)
2
Mit der Querschnittsfläche von 1.65m liefert das eine Kraft von 58 kN, also etwa 6% des Gesamtwi-
derstandes von 1000 kN, obwohl die gesamte benetzte Fläche des Schiffes etwa 6000m2 beträgt, und
das oben behandelte Stevenrohr nur 0.27% Anteil an der gesamten benetzten Fläche hat. Daran wird
deutlich:

• Bezogen auf die hydrostatischen Druckkräfte ist der Schiffswiderstand ausserordentlich klein. Da-
durch wird seine exakte Bestimmung sehr schwierig.

1.2 Zweckmässiger Widerstandsbegriff: Glattwasserwiderstand

Daher bleibt noch heute als einzige Möglichkeit einer zuverlässigen Bestimmung des Schiffswiderstandes
der Modellversuch. Dies scheint zunächst etwas archaisch, aber weiter unten wird diese Frage einge-
hend diskutiert. Von daher ist es zwangsläufig konsequent, wenn die Widerstandsaufteilung so, wie sie
für die Modellversuche zweckmässig ist, erfolgt.
Grundsätzlich beschreiben wir den Widerstand zunächst in Anteilen, die vertragsrelevant sind.
Dies sind Anteile, die nachher mit den Modellversuchen dazu dienen, die Vertragsgeschwindigkeit nach-
zuweisen (sie folgen daher nur begrenzt physikalischen, sondern mehr praktischen Erwägungen). Die
Summe dieser Widerstandsanteile nennen wir Glattwasserwiderstand. Dieser beinhaltet alle relevan-
ten Komponenten einer ungestörten, stationären Geradeausfahrt des Schiffes:

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• Wellenwiderstand
• Reibungswiderstand
• Anhängewiderstand
• Windwiderstand durch Eigenfahrtwind

Dazu müssen die Umgebungsbedingungen genau definiert werden, typischerweise lauten sie laut Bau-
vertrag:

• Aussenhaut werftneu unbewachsen


• tiefes Wasser
• keine Wellen
• kein Wind (Bf0) oder geringer Wind von vorn (Bf3)
• Seewasserdichte typischerweise 1025kg/m3 , Temperatur 15 Grad. Ausnahme: Ostsee mit 1005kg/m3 .

Oben aufgezählte Bedingungen bezeichnet man mit Trial Design, entsprechend die für diese Bedin-
gungen ermittelte Widerstandskurve. Die bei diesem Zustand mit einer bestimmten Leistung erzielbare
Geschwindigkeit nennt man Trial Design Speed.

1.3 Service-Zuschläge

Diese oben vorgenommene Unterteilung hat - wie gesagt - keinerlei physikalische Bedeutung, denn die zu-
grunde gelegten Bedingungen sind doch sehr idealisiert und kommen praktisch kaum vor. Daher schlägt
man auf diese Trial Design-Kurve eine sogenannte Sea-Margin auf, mit der man berücksichtigt, dass
später im Betrieb des Schiffes zusätzliche Widerstände auftreten (z.B. Bewuchs, Wind, Seegang etc.).
Die Sea-Margin berücksichtigt die Zusatzwiderstände aber nur pauschaliert mit etwa 10-15% je nach
Werft und Reederei. Gleichzeitig kann die Hauptmaschine niemals dauerhaft mit 100% Leistung be-
trieben werden, weswegen man zusätzlich zur Sea Margin noch eine Engine Margin vorhält, die in
der Größenordnung 85% bis 90% liegt. Damit ergibt sich dann die zu installierende Motorleistung PS
für Servicebedingungen aus der Trial-Leistung PT r (also Trial- Design- Bedingungen) wie folgt, wenn
zusätzlich ηS der Wirkungsgrad von Wellenleitung und Getriebe ist:

1 + SM/100 1
PS = PT r (2)
EM/100 ηS

Damit wird pauschal der Tatsache Rechnung getragen, dass die Dienstgeschwindigkeit auch unter
Annahme realistischer Betriebsbedingungen erreicht bzw. gehalten werden kann. Weitere Zusatzwi-
derstände werden im allgemeinen nicht betrachtet, so dass das Schiff für einen Zustand entworfen oder
optimiert wird, in dem es später nur selten fährt. Als seriöser Linienentwerfer wird man aber folgende
Zusatzwiderstände immer mit berücksichtigen, da sie erhebliche Ausmasse annehmen können:

• Flachwasser
• Wind
• Kurshalten
• Seegang
• Andere Schwimmlage

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Manchmal werden spezielle Zusatzwiderstände wie Eisfahrt, Schleppnetze, Trossenzug etc. ebenfalls
berücksichtigt. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der Schiffswiderstand insgesamt in zwei Anteile
zerfällt, nämlich

• Glattwasserwiderstand (Trial Design)


• Zusatzwiderstände in Service- Bedingungen (Flachwasser, Wind, Seegang etc.)

Zunächst wird die Ermittlung des Glattwasserwiderstandes behandelt. Dieser besteht neben Zusat-
zwiderstandsanteilen (wie z.B. Eigenfahrtwind) vor allem aus zwei Komponenten:

• dem Wellenwiderstand
• dem Reibungswiderstand

Diese beiden Komponenten werden im folgenden behandelt.

2 Reibungsfreie Flüssigkeiten und Wellenwiderstand

2.1 Reibungsfreie Flüssigkeiten

Reibungsfreie Flüssigkeiten spielen gerade bei Fragen des Schiffswiderstandes eine erhebliche Rolle. Dies
liegt daran, dass ein wesentlicher Widerstandsanteil bei Schiffen eben der Wellenwiderstand ist, der sich
aus der Tatsache ableiten lässt, dass Schiffe an der Grenzfläche zweier Medien (nämlich Wasser und Luft)
fahren und somit eine freie Oberfläche (nämlich die Wasseroberfläche) vorhanden ist, an der sich Wellen
bilden können. Die im Nachlauf der Schiffe vorhandene Wellenenergie muss vom Schiff erzeugt worden
sein, und daher trägt die Wellenbildung erheblich mit zum Schiffswiderstand bei. Nun ist der Einfluss
der Reibung auf die Effekte, die mit der Wellenbildung an der freien Oberfläche zusammenhängen, im
allgemeinen (Ausnahme: brechende Wellen, schlechter Abstrom am Spiegel) meist so gering, dass man
die komplizierten Grundgleichungen der Strömungsmechanik erheblich vereinfachen kann, wenn man
folgendes voraussetzt:

• Reibungsfreiheit
• Rotorfreiheit
• Inkompressibilität

Eine Strömung, für welche diese Eigenschaften gelten, nennt man Potentialströmung, eben weil sich für
jeden Punkt der Strömung ein Potential angeben lässt.

2.2 Die Bedeutung der Kontinuitätsgleichung

Eine wichtige Grundgleichung der Potentialströmung ist die Kontinuitätsgleichung, hier an einer Rohr-
strömung erklärt:
V2

v1 A3
v1
A1 A2
A2
v2
v3

Abbildung 1: Erläuterung der Konti-Gleichung für Innen- und Außenströmung

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Wenn die Strömung in einem Rohr veränderlichen Querschnittes inkompressibel ist, bleibt die Dichte
erhalten und kann als konstant angesetzt werden. Wenn die Strömung reibunsgfrei ist, wird keine Energie
an die Wand abgegeben. Da die Gesamtmasse erhalten bleiben muss, ergibt sich ein einfacher Zusam-
menhang: Die Masse, die pro Zeiteinheit durch den Querschnitt strömt, bleibt erhalten und beträgt
jeweils:
ṁ = ρA1 v1 = ρA1 v2 = ρA3 v3 (3)
Das bedeutet, dass die Geschwindigkeit zunimmt, wenn der Querschnitt abnimmt. Das Produkt aus
Querschnittsfläche und Geschwindigkeit ist konstant. Für das schematisch dargestellte Schiff rechts
bedeutet das, dass die lokale Geschwindigkeit an der breitesten Stelle des Schiffes grösser sein muss als
vor dem Schiff, eben weil das Schiff analog zur Rohrströmung der Strömung den Querschnitt versperrt.
Für die Umströmung des Schiffes lässt sich daraus folgende einfache Erkenntnis ableiten: Je breiter das
Schiff an einer bestimmten Stelle ist (oder je grösser die Spantfläche gemäss der Spantarealkurve) desto
schneller ist dort die lokale Strömungsgeschwindigkeit. Umgekehrt gilt: Je schmaler das Schiff an einer
bestimmten Stelle, desto langsamer ist dort die lokale Strömungsgeschwindigkeit. Das bedeutet für den
Linienentwurf: Will man die Strömung an einer bestimmten Stelle beschleunigen, muss man die Linien
dort verbreitern. Will man die Strömung künstlich verzögern, muss man die Linien lokal einziehen.

2.3 Energieformen und Bernoulli- Gleichung

Generell kann in Strömungen Energie in verschiedenen Formen gespeichert oder vorhanden sein. Typi-
sche Energieformen sind:

• Höhenenergie (z.B. Klosettkasten)


• Druckenergie (z. B. Luftballon)
• kinetische Energie (z.B. Rohrströmung)

Diese Energieformen können in einander umgewandelt werden: Beispielsweise Höhenenergie in kinetische


Energie nach Betätigen der Klosettspülung oder Druckenergie in kinetische, wenn man den gefüllten
Luftballon öffnet. Alle Energieformen sind ineinander umwandelbar, und wenn wir die Voraussetzungen
der Potentialströmung als gegeben ansehen (keine Dissipation), dann sind sie auch verlustfrei ineinander
konvertierbar. Daher bleibt entlang eines Stromfadens die Summe aller Energien eine Konstante (die
sogenannte Bernoulli- Konstante), solange diesem Stromfaden keine Energie von aussen zugeführt wird
(z.B. bei einem Propeller). Allgemein ausgeschrieben bedeutet das ( vgl. Abb. 1):
p1 1 p2 1 p3 1
+ v12 + gh1 = + v22 + gh2 = + v32 + gh3 (4)
ρ 2 ρ 2 ρ 2
Mit Hilfe der Konti- und der Bernoulli- Gleichung ist nun auf anschauliche Weise das Phänomen der
Wellenbildung erklärbar.

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2.4 Primärwellenbildung am Schiff

Abbildung 2: Wellenbildung an einem idealisierten Schiff, aus Saunders: Hydrodynamics in Ship design

Wir betrachten ein Schiff entsprechend Abb. 2. Oben ist die Form des Schiffes in Wasserlinienansicht ge-
zeigt, in der Mitte die Geschwindigkeit und unten der Druck in der Wasserlinie. Die Wasserlinie ist dabei
eine Linie konstanter Höhe h, daher bleibt dieser Anteil in der Bernoulli- Gleichung für die Wasserlinie
(nicht für die Wasseroberfläche!) konstant. An der Wasseroberfläche herrscht der Luftdruck p∞ ; das
2
Schiff bewegt sich nach rechts mit der Geschwindigkeit U∞ , der Staudruck beträgt 1/2ρU∞ . Betrachten
wir zunächst den Bug des Schiffes: Eine Stromlinie, die genau senkrecht auf den Bug trifft, setzt ihre ge-
samte kinetische Energie in Druckenergie um, vorne am Bug entsteht Staudruck. Das bedeutet, dass die
lokale Geschwindigkeit am Bug des Schiffes zunächst kleiner ist als die Fahrgeschwindigkeit des Schiffes.
In der Wasserlinie entsteht also ein Überdruck ∆p am Bug, vgl. Abb. 2, unten. Da das Schiff nun breiter
wird, nimmt nach der Konti- Gleichung die Geschwindigkeit zu und der Druck muss daher abnehmen.
An einer ausgezeichneten Stelle ( in Abb. 2 ist diese mit Neutral Point bezeichnet) beträgt der Druck
gerade wieder p∞ . Weiter nach hinten nimmt die Breite des Schiffes zu und die Geschwindigkeit da-
her ebenfalls, der Druck nimmt weiter ab. Das Druckminimum entsteht etwa an der vorderen Schulter
oder kurz davor. Analoges gilt für die hintere Schulter, an der ebenfalls ein Druckminimum entsteht. In
idealer Strömung liegt hinten wieder ein Staupunkt, so dass dort wieder der Staudruck erreicht wird.
Nun wurde bisher eine Wasserlinie der Höhe h angenommen, so dass in der Bernoulli- Gleichung
der Term gh eine Konstante ist. Damit muss sich zwangsläufig eine Änderung der Geschwindigkeit in
einer Änderung des Druckes niederschlagen. Dies führt aber auf einen Widerspruch, denn an der Was-
seroberfläche muss immer Luftdruck herrschen. Zudem ist die Wasseroberfläche immer Stromlinie.
Das bedeutet, dass die ursprüngliche Ruhe- Wasserlinie - wie in Abb. 2, oben gezeichnet nun nicht
mehr Stromlinie sein kann. Überall an der verformten Wasseroberfläche, die Stromlinie ist, muss der
Luftdruck p∞ . herrschen. Da nun der p/ρ-Term der Bernoulli-Gleichung eine Konstante ist, muss sich
die Höhe h der Stromlinie ändern, damit die Bernolli-Gleichung erfüllt ist. An Stellen, an denen der
Druck aufgrund geringer lokaler Geschwindigkeit wächst (z.B. am Bug), muss die Höhe h der Stromli-
nie zunehmen: Es entsteht ein Wellenberg. Umgekehrt muss dort, wo die Geschwindigkeit hoch ist, die
Höhe h abnehmen, es entsteht also ein Wellental. Diese Erkenntnis ist für den Linienentwurf von grosser
Bedeutung, denn es gilt in Erweiterung des bereits oben Gefundenen: Will man einen Wellenberg be-
seitigen oder verringern, dann muss man die Strömung an einer bestimmten Stelle beschleunigen, wozu
die Linien dort zu verbreitern sind. Will man ein Tal verkleinern, muss man die Strömung künstlich
verzögern, d.h. die Linien müssen lokal eingezogen werden.
Das so entstehende Wellensystem, das permanent mit dem Schiff mitfährt, liefert jedoch noch kei-
nen direkten Beitrag zum Wellenwiderstand (lediglich einen indirekten, weil Trimm und Tauchung des
Schiffes unmittelbar beeinflusst werden). Man nennt es daher Primärwellensystem. Erst dadurch, dass
man die einzelnen Maxima/Minima als bewegte Druckpunkte auffassen kann, die jeweils ein sogenanntes
Sekundärwellensystem bilden, kommt der Wellenwiderstand zustande. Obwohl das Primärwellensy-
stem also keinen Beitrag zum Wellenwiderstand liefert, führt eine Verringerung desselben immer zu einer

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Verringerung des Wellenwiderstandes, weil die einzelnen Extrema abgebaut werden. Abb. 3 zeigt das
Wellensystem eines realen Schiffes im Modellversuch und der CFD-Rechnung. Man erkennt deutlich,
dass die am Elemantarschiff gewonnenen Erkenntnisse qualitativ übertragbar sind.

Modellversuch

CFD−Rechnung (Kelvin) v=21kn, Fn=0.284

Abbildung 3: Wellenbildung an einem realen Schiff, Modellversuch und CFD-Rechnung

3 Sekundäres Wellensystem

Abbildung 4: Kelvin- Wellenbildung eines bewegten Druckpunktes, aus Saunders: Hydrodynamics in


Ship design

Nach einer berühmten Arbeit von Lord Kelvin wirft ein einzelner, bewegter Druckpunkt an der Was-
seroberfläche das in Abb. 4 gezeichnete Wellensystem auf. Es besteht aus

• divergierenden Längswellen, konkav nach aussen verformt bezüglich des bewegten Druckpunktes.
Die konkav nach aussen verformten Berge kreuzen die Fortschrittsrichtung unter einem Winkel
von 19.47 Grad. Diesen Winkel nennt man auch den Kelvin´schen Öffnungswinkel.
• Einer Serie von konvex verformten Querwellen, welche die divergierenden Längswellen an den
Enden treffen.

Um das Wellensystem aus divergierenden Längswellen und Querwellen aufrecht zu erhalten, muss diesem
ständig Energie zugeführt werden. Die Energie des Wellensystems ist dabei gleich der an der Flüssig-
keit geleisteten physikalischen Arbeit der Wellenwiderstandskraft, die auf den wandernden Druckpunkt
einwirkt.

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Die entstehenden Wellen werden am besten durch Trochoidenmodelle angenähert. Danach ergibt sich
für die Wellenlänge λ (Lw in Abb. 4 als Funktion der (Schiffs)Geschwindigkeit)
2π 2
λ= v = 2πFn2 L (5)
g

wenn Fn = √v die Froude- Zahl ist. Die Wellenperiode beträgt:


gL

s
2πλ
T = (6)
g

Die im Wellensystem enthaltene Energie ist abhängig vom Quadrat der Wellenhöhe: Daher ist es immer
besser, wenn Schiffe viele kleine Wellen im Nachlauf haben als wenige hohe. Gleichzeitig zeigen elemen-
tare Überlegungen, dass der Wellenwiderstand etwa mit der Potenz 6 der Geschwindigkeit ansteigen
muss. Je schneller also das Schiff, um so mehr Mühe muss man sich geben, den Wellenwiderstand gering
zu halten.
Diese Überlegungen lassen sich nun derart auf ein reales Schiff übertragen, dass jedes Extremum des
Primärwellensystems gleichzeitig als bewegte Druckstörung angesehen werden kann, die wiederum ein
Sekundärwellenssystem bewirkt.

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3.1 Wellenbild und wichtige Interferenzen

Abbildung 5: Wesentliche Interferenzen des Primärwellensystems, aus Saunders: Hydrodynamics in Ship


design

Abb. 5 zeigt schematisch an einem simplifizierten Schiff den Zusammenhang zwischen Primär- und
Sekundärwellensystem. Am Bug entsteht, wie oben ausgeführt, ein Wellenberg, der ein Wellensystem
der Wellenlänge
λ = 2πFn2 L (7)
stromabwärts erzeugt. An der vorderen Schulter entsteht nun aufgrund des Primärwellensystems ein
Wellental, das ebenfalls die genannte Wellenlänge hat. Gleiches gilt für die hintere Schulter. Am Ende
des Schiffes entsteht wieder Staudruck, d.h. ein Wellenberg, dessen Sekundärwellensystem ebenfalls die
genannte Wellenlänge hat. Nun ist bekannt, dass es bei verschiedenen Wellensystemen gleicher Länge
besonders günstig ist, wenn sich Berge mit Tälern (oder umgekehrt) überlagern. Ungünstig ist es immer
dann, wenn sich Berge mit Bergen oder Täler mit Tälern überlagern. Man spricht dann von einer
günstigen/ungünstigen Interferenz.
Zunächst erscheint in Ab. 5 die Interferenz zwischen Bug- und Heckwelle wichtig, da sie (bei gegebe-
ner Geschwindigkeit) nur von der Schiffslänge beeinflusst wird. Damit ergeben sich sofort Schiffslängen,

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die bei bestimmten Geschwindigkeiten günstig sind. Oder, normiert, ergeben sich von vorne herein Frou-
dezahlen, die besonders günstig sind, und solche, die man besser vermeidet. Günstig ist eine Schiffslänge
immer dann, wenn sie ein ungerades Vielfaches von λ/2 ist:

L 1
= 1.5, 2.5, 3.5, 4.5, 5.5, ..... = (8)
λ 2πFn2

Daraus ergibt sich für Fn : r


λ 1
Fn = (9)
L 2π
Damit ergeben sich günstige Fn wie folgt:

L/Lambda | Fn
-------------+-----------
0.5 | 0.564
1.5 | 0.325
2.5 | 0.252
3.5 | 0.213
4.5 | 0.188

Von den besonders günstigen Froude- Zahlen wiederum hat Fn = 0.252 (entsprechend 5/2λ) eine be-
sondere Bedeutung, wie noch gezeigt wird.
Entsprechend sind Froude- Zahlen von vorne herein ungünstig, wenn die Schiffslänge ein ganzzahliges
Vielfaches der Wellenlänge ist, weil dann immer der Berg der Heckwelle mit dem Berg der Bugwelle
zusammenfällt. Ungünstige Froude- Zahlen sind also:

L/Lambda | Fn
-------------+-----------
1.0 | 0.399
2.0 | 0.282
3.0 | 0.230
4.0 | 0.199

Fälschlicherweise wird der mit der Froudezahl von 0.564 assoziierten Geschwindigkeit die Bezeichnung
Rumpfgeschwindigkeit zugeordnet, was aber theoretisch nicht haltbar ist. Aus oben gesagtem ergibt
sich, dass es bestimmte Froudezahlen gibt, die besonders günstig sind (sogenannte Hollow Froude-
Zahlen) und dass es welche gibt, die besonders ungünstig sind (sogenannte Hump Froude- Zahlen).
Deren Bedeutung für den Schiffswiderstand darf man nicht unterschätzen: Viele erfolgreiche Designs
laufen bei Hollow- Froudezahlen, und viele Schiffe, die ihrer Werft und den Kunden nur Ärger bereitet
haben, sind Hump- Schiffe.
Natürlich kann man sich nicht immer die Länge aussuchen, und man hat auch bei schlechten Froude-
Zahlen noch Möglichkeiten der Optimierung: Eine weitere, sehr wichtige Interferenz ist die zwischen
Bugwelle und vorderer Schulter: Aus Abb. 5 wird deutlich, dass an der vorderen Schulter immer ein Tal
sein muss. Da vorne am Bug (Vorsicht: Ein Bugwulst verschiebt das Maximum der Bugwelle ca. einen
halben Spant im 20er Raster nach achtern) immer ein Berg ist, ergibt sich für eine optimale Interferenz
zwischen Bugwellenberg und dem Tal der vorderen Schulter, dass der Abstand Bug- vordere Schulter
genau λ betragen muss. Da die hintere Schulter ebenfalls ein Tal erzeugt, ist eine optimale Länge des
parallelen Mittelschiffes (also Abstand vordere- hintere Schulter) gerade λ/2. Für das Hinterschiff gilt
analog, dass der Abstand Spiegelkante (wo man den Berg ansetzen kann) zur hinteren Schulter ebenfalls
λ betragen muss. Man kommt dann zu dem Idealschiff der Froudezahl 0.252 (entsprechend 5/2λ):

• λ für den Abstand Bug- Vordere Schulter

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• λ/2 für den Abstand vordere - hintere Schulter


• λ für den Abstand Spiegel- hintere Schulter

Das ergibt in der Summe 5/2λ. Viele erfolgreiche Schiffe wurden nach diesem Prinzip entworfen, die
sich dann gegenüber Wettbewerbern durch extrem geringen Widerstand auszeichnen. Dabei sollte man
bedenken, dass man die oben aufgestellten Forderungen nicht immer in Reinkultur einhalten kann. Am
wichtigsten scheint die Interferenz zwischen Bugwelle und vorderer Schulter zu sein. Ist diese perfekt,
dann ist der Abstand vordere - hintere Schulter weniger wichtig, da bereits zwei Wellensysteme zur
gegenseitigen Auslöschung gebracht wurden. Danach ist die Interferenz zwischen Heckwelle und hinterer
Schulterwelle wichtig, damit im Nachlauf möglichst Auslöschung stattfindet.

0.9

0.8

0.7
CW/CW(Fn=0.5)

0.6

0.5

0.4

0.3

0.2

0.1

0
0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5
Froude Number

Abbildung 6: Relativer Verlauf des Wellenwiderstandsveiwertes als Funktion der Froudezahl

Abb. 6 zeigt schematisch etwa den relativen Verlauf des Wellenwiderstandsbeiwertes über der Froude-
Zahl. Deutlich erkennt man an den Ondulationen der Kurve die Hump - und die Hollow- Froude- Zahlen.

Abbildung 7: Wellenbilder eines Fn = 0.252 Schiffes, links, sowie eines Fn = 0.282- Schiffes, rechts

Abb. 7 zeigt, wie sich eine gute und eine schlechte Interferenz auf das Gesamtwellensystem auswirkt.
Rechts sieht man ein Schiff der Froudezahl 0.282, also gerade L = 2λ. Am Heck erkennt man deutlich,
dass sich alle Täler auf einer Höhe treffen: Das Querwellensystem vom Heck, das Längswellensystem vom
Heck und das System der hinteren Schulter. Aufgrund der ungünstigen Länge kann auch das Bugwellen-
system nicht verschwinden. Links dagegen sieht man ein Schiff der Froude-Zahl 0.252. Deutlich erkennt
man, dass sich das Längswellensystem nahezu perfekt auslöscht. Allerdings verbleiben im Nachlauf noch

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deutliche Anteile des vom Spiegel hervorgerufenen Querwellensystems. Dieses Beispiel zeigt, dass man
durch eine vernünftige Wahl der Schiffslänge und gutem Grundkonzept eine wesentliche Voraussetzung
für einen geringen Wellenwiderstand schafft.

3.2 Verbessern des Wellenbildes durch künstliche Interferenz

Abbildung 8: Wellenbilder eines Fn = 0.25 Schiffes, links, sowie eines Fn = 0.4- Schiffes, rechts

In vielen Fällen, insbesondere bei schnelleren Schiffen, lassen sich günstige Interferenzen nicht immer
erzielen. Darüber hinaus muss man bedenken, dass eine Auslöschung oder Verminderung von Wellen
durch Interferenz des Primärwellensystems immer nur die drittbeste Lösung sein kann. Dies liegt dar-
an, dass jedes Extremum des Primärwellenssystems als ein wandernder Druckpunkt aufgefasst werden
kann, der ein Sekundärwellensystem hervorruft. Von daher lautet die immer beste Lösung, keines der
lokalen Maxima/Minima besonders gross werden zu lassen (z.B. Bugwelle durch intelligente Bugge-
staltung minimieren, geringes Schultertal durch weiche Schulter etc.). Als zweitbeste Lösung gibt es
immer die Möglichkeit, ein Wellensystem durch künstliches Aufbringen eines weiteren Wellensystems
zu bekämpfen. Dies wird am Beispiel eines 0.25 Froude- Zahl Schiffes (vgl. Abb. 8, links) und am Bei-
spiel eines 0.4-Froudezahl-Schiffes (vgl. Abb. 8, rechts) gezeigt. Die Bugwelle erzeugt dabei vorne ein
Sekundärwellensystem der Wellenlänge
λ = 2πFn2 L (10)
Aufgrund des Sekundärwellensystems der Bugwelle entsteht im Abstand λ vom Bug ein Berg, der
mit dem Schultertal zusammenfallen kann und so im Nachlauf eine Auslöschung bewirkt. Allerdings
entsteht auch im Abstand λ/2 vom Bug ein Wellental. Dieses Wellental bleibt auch dann erhalten,
wenn der darauffolgende Berg durch günstige Interferenz ausgelöscht wird. Nun ist es günstiger, den
Bugwellenzyklus bereits am ersten Tal zu bekämpfen, um dieses ebenfalls zum Verschwinden zu bringen.
Dies ist möglich, wenn durch lokale Formgebung des Schiffes dafür gesorgt wird, dass gerade an der
Stelle, wo das Tal der Bugwelle (eben aufgrund des Sekundärwellensystems) entstehen will, ein Berg
superponiert wird. Das wird (vgl. dazu Abschnitt Primärwellenbildung an einem Elementar-
Schiff ) dadurch erreicht, dass die Form an der betreffenden Stelle entsprechend eingezogen wird. Diese
Erkenntnis äussert sich oft darin, dass die schnelleren Schiffe vorne leicht bis stärker hohle Wasserlinien
haben (vgl. Abb. 8). Als Faustregel kann man etwa sagen, dass der Wendepunkt der KWL etwa da
liegen sollte, wo das Tal der Bugwelle zu liegen kommt.
Dieses hier beschriebene Konzept verdeutlicht aber die konsequente Anwendung des oben beschrie-
benen allgemeinen Prinzips:

• Man entferne Verdrängung an den Stellen, wo sich Täler befinden, und umgekehrt füge man
Verdrängung an den Stellen hinzu, an denen sich Berge befinden.

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4 Reibungsbehaftete Strömung

4.1 Grenzschichtmodell

Bisher wurde als Sonderfall die Potentialströmung behandelt. Hierbei wurde vorausgesetzt, dass die
Strömung

• reibungsfrei
• rotorfrei
• inkompressibel

ist. Damit konnte - wie oben gezeigt - das Problem der Wellenbildung und damit der Wellenwider-
stand hinreichend genau erklärt werden. Für den Gesamtwiderstand sind aber noch mindestens zwei
Widerstandsanteile maßgeblich, die sich nur durch die reibungsbehaftete (=viskose) Strömung erklären
lassen:

• Der Reibungswiderstand
• der viskose Druckwiderstand (oft Formwiderstand genannt).

Abbildung 9: Geschwindigkeitsprofile an einem Körper in realer und in Potentialströmung, nach: Saun-


ders, Hydrodynamics in Ship Design

Beide lassen sich nur aufgrund der wesentlichen Eigenschaften von viskosen (=reibungsbehafteten) Flui-
den erklären. Der wesentliche Unterschied zwischen Potentialströmung und einem viskosen Fluid wird
anhand von Abb. 9 deutlich: Bei einer idealisierten Flüssigkeit ist der Gradient der Geschwindigkeit
auf der Körperoberfläche unendlich, weil das Fluid nicht die Haftungsbedingung erfüllen muss (und
kann). Bei Berücksichtigung der Viskosität muss das Fluid hingegen auf der Körperoberfläche haften,
und es muss dort ein endlicher Geschwindigkeitsgradient entstehen (vgl. Abb. 9, unten). Besonders
brilliant wird das Problem der reibungsbehafteten Strömungen grosser Re-Zahl (die meisten schiffbau-
lichen Strömungsprobleme fallen darunter) durch die von L. Prantdl entwickelte Grenzschichttheorie

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dargestellt: Man stellt sich dabei vor, dass in einiger Entfernung vom Schiff die Potentialströmung
Gültigkeit hat, und dass man viskose Effekte näherungsweise nur in der sogenannten Grenzschicht, d.h.
im unmittelbar wandnahen Bereich, berücksichtigen muss. Dadurch werden die strömungsmechanischen
Grundgleichungen kollossal vereinfacht, da

• der Aussenbereich der Strömung durch die viel einfacher zu behandelnde Potentialströmung quasi
vorgegeben wird und man somit Aussenbereich und Grenzschicht getrennt behandeln kann.
• die Grenzschicht als extrem klein gegen die sonstigen Körperabmessungen angenommen werden
kann. Dadurch existiert lediglich ein Druckgradient in Laufrichtung der Strömung, nicht aber
senkrecht dazu.

Abbildung 10: Geschwindigkeitsprofile an einem Körper in realer und in Potentialströmung, nach: Saun-
ders, Hydrodynamics in Ship Design

Abb. 10 zeigt schematisch ein Geschwindigkeitsprofil unter Annahme einer Grenzschichtdicke. Man
erkennt deutlich, dass der Wert der Geschwindigkeit innerhalb der Grenzschicht vom Wert 0 auf den Wert
der Aussenpotentialströmung ansteigt. Von besonderer Bedeutung ist hier der Geschwindigkeitsgradient
an der Körperoberfläche, weil er in direktem Zusammenhang mit dem Reibungswiderstand des Körpers
steht. Man nennt den Gradienten an der Körperoberfläche
∂u
τ =µ (11)
∂y y=0

multipliziert mit der kinematischen Zähigkeit des Fluides die Wandschubspannung, und das Integral der
Wandschubspannung über den ganzen Körper ist dessen Reibungswiderstand. Damit zerfällt das Pro-
blem der Berechnung des Reibungswiderstandes darin, den Gradienten der Geschwindigkeitsverteilung
der Grenzschicht zu bestimmen. Dazu ist es erforderlich, erst einmal die Geschwindigkeitsverteilung in
der Grenzschicht selbst zu bestimmen. Dabei spielt der Druckgradient der Aussenpotentialströmung die
entscheidende Rolle, wie wir noch sehen werden. Zunächst wird aber, um ein Verständnis für das Ver-
halten der Grenzschicht zu entwickeln, die Strömung an einer ebenen Platte (also ohne Druckgradient)
erläutert.

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4.2 Beziehungen der ebenen laminaren Plattengrenzschicht

Abbildung 11: Grenzschicht und Geschwindigkeitsprofile an einer ebenen Platte, nach: Saunders, Hy-
drodynamics in Ship Design

Abb. 11 zeigt schematisch die Verhältnisse an einer ebenen, tiefgetauchten dünnen Platte. Bemerkens-
wert ist bei dieser Art von Strömung, dass der Druckgradient der Aussenströmung 0 ist (da sich der
Druck nicht ändert). Wird die Platte hinreichend langsam umströmt, dann bildet sich zunächst eine
laminare Grenzschicht aus. Später wird gezeigt werden, dass die laminare Grenzschicht immer eine
mögliche Lösung der Grenzschichtgleichungen ist, die aber oberhalb bestimmter Re-Zahlen nicht mehr
stabil ist dann und in die turbulente Grenzschicht übergeht. An der Wand haftet die Strömung, und
die Geschwindigkeitsverteilung nimmt in der Grenzschicht bis nach aussen auf den Wert der Aussenpo-
tentialströmung zu. Aus dem Gleichsetzen von Trägheits- und Reibungskräften in der Strömug erhält
man
U ρU 2
µ 2 = (12)
δ l
wenn U die Geschwindigkeit der Aussenströmung, l die Platten- oder Lauflänge, δ die Grenzschichtdicke
beutet. Mit der Beziehung
µ
ν= (13)
ρ
folgt daraus für die Grenzschichtdicke r
νl
δ = cδ (14)
U
wobei cδ noch eine zunächst freie Konstante ist. Nun ist die Definition einer Grenzschichtdicke im
Prinzip vollkommen willkührlich, da sich der Übergang der Grenzschicht in die Aussenpotentialströmung
asymptotisch vollzieht. Praktisch ist dies aber bedeutungslos, da die Geschwindigkeit in der Grenzschicht
schon nach kurzem Wandabstand die der Aussenströmung erreicht. Man hat sich daher darauf geeinigt,
als Grenzschichtdicke denjenigen Wandabstand zu definieren, in dem die Strömungsgeschwindigkeit sich
nur noch um 1% von der Aussenströmung unterscheidet. Nach Blasius findet man dann für die Dicke
der laminaren Plattengrenzschicht: r
νl
δ=5 (15)
U
Die mit der Plattenlänge l dimensionslos gemachte Grenzschichtdicke beträgt:
δ 5
=√ (16)
l Rel
Die Grenzschicht wird also relativ dünner, je grösser die auf die Plattenlänge l bezogene Re-Zahl ist.
Man kann sich die Grenzschichtdicke auch auf die Lauflänge der Strömung x bezogen denken, dann

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wird die Grenzschicht nach hinten mit x dicker. Damit kann man auch den Widerstand der Platte
abschätzen. Die Wandschubspannung war
∂u
τ =µ (17)
∂y y=0

Mit der Grenzschichtdicke δ lässt sich der Geschwindigkeitsgradient annähern:


∂u U
= (18)
∂y y=0 δ

Damit wird die mit ρU 2 dimensionslos gemachte Wandschubspannung etwa, wenn die obige Beziehung
für die Grenzschichtdicke eingesetzt wird:
r
τ0 µ 1
2
=c = c√ (19)
ρU ρU l Re
Dabei ist c wieder eine Proportionalitatätskonstante. Die dimensionslose Wandschubspannung hängt
also lediglich von der Re-Zahl ab. Der Widerstand der Platte beträgt blτ0 , wenn b die Plattenbreite
bedeutet. Der Widerstandsbeiwert der Platte wird dann:
1
cw = c √ (20)
Re
wobei aus der exakten Lösung von Blasius die Konstante c zu 1.328 bestimmt wurde. Damit ergibt sich
das Widerstandsgesetz der ebenen, längsangeströmten Platte zu
1.328
cw = √ (21)
Re

Der Widerstandsbeiwert (nicht der Widerstand !) nimmt also mit 1/ Re ab.
Als wesentliche Grösse der Grenzschichttheorie wird oft die sogenannten Verdrängungsdicke der
Grenzschicht δ1 angegeben. Sie beträgt
Z ∞
U δ1 = (U − u)dy (22)
y=0

wobei u die Geschwindigkeitsverteilung in der Grenzschicht ist. Die Verdrängungsdicke gibt an, um
welchen Betrag die Stromlinien der Aussenströmung durch die Bildung der Grenzschicht nach aussen
verschoben werden. Für manche schiffbaulichen Probleme (z.B. Hydromassenberechnung) empfiehlt es
sich, die Geometrie (z.B. Spanten) um den Einfluss der Verdrängungsdicke zu korrigieren. Für das
Blasius-Profil (ebene laminare Plattengrenzschicht) ergibt sich die Verdrängungsdicke zu
1.72
δ1 = q (23)
νl
U

bzw. dimensionslos:
δ1 1.72
=√ (24)
l Rel

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4.3 Laminare Grenzschicht mit Druckgradient, Ablösung

Abbildung 12: Grenzschicht und Geschwindigkeitsprofile an einem Körper mit Druckgradient, der zur
Ablösung führt, nach: Saunders, Hydrodynamics in Ship Design

Im Gegensatz zur reinen Plattengrenzschicht haben technische Strömungen, insbesondere solche um


Schiffe, immer einen Druckgradienten, der die Strömung treibt. Dabei kann die Strömung entweder

• beschleunigt sein, d.h. der Druck nimmt ab (negativer Druckgradient)


• verzögert sein, d.h. der Druck nimmt zu (positiver Druckgradient).

Beschleunigte Strömung liegt meist im Vorschiff vor, da (s. Konti- Gleichung) die Versperrung zu-
nimmt. Hinten, wo das Schiff schmaler wird, findet man meist verzögerte Strömung. Die Verzögerung
der Strömung ist um so heftiger (vgl. auch hierzu die Konti- Gleichung), je stumpfer der Körper geformt
ist. Verzögerte Strömung ist besonders empfindlich, da sie unter bestimmten Bedingungen vom Körper
ablösen kann und dadurch einen heftig höheren Widerstand bewirkt. Der Mechanismus der Ablösung ist
schematisch in Abb. 12 angedeutet. Die Grenzschicht muss gegen den äusseren Druckgradienten arbeiten
und den Druckberg überwinden. Wenn die Strömung in der Grenzschicht zuviel Energie abgeben hat,
kann sie nicht mehr gegen den Druckgradienten anströmen, sie löst von der Wand des Körpers ab und
wird durch den Druckgradienten entgegen der eigentlichen Strömungsrichtung getrieben. Der Vorgang
ist etwa vergleichbar mit einem Achterbahn- Wagen, der durch seinen Eigenschwung keinen höheren
Berg hinauffahren kann als der, von dem er gestartet ist. Verliert der Wagen unterwegs Energie, dann
kann er auch diesen Berg nicht herauffahren und fährt gegen die ursprüngliche Fahrtrichtung zurück.
Die Ablösebedingung der Grenzschicht ist verschwindende Wandsschubspannung:
∂u
τ =µ =0 (25)
∂y y=0

Diese Bedingung ist identisch mit einem Geschwindigkeitsprofil, das exakt senkrecht auf dem Körper
steht und keinen Gradienten an der Wand hat, z.B. das Profil E an der mit separation point bezeich-
neten Stelle in Abb. 12. Im weiteren Verlauf der Strömung kommt es dann zu Rückströmungen und im
schlimmsten Fall zu offenen Totwassergebieten.

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Abbildung 13: Abgelöste Strömung an einem Kreiszylinder, nach: Schlichting, Grenzschichttheorie

Abb. 13 zeigt eine solche Ablösung an einem Kreiszylinder. Man erkennt deutlich das Anwachsen
der Grenzschicht unmittelbar vor der Ablösung sowie das Gebiet der Rückströmung, das dann in einem
Wirbel endet. Ablösungen an Schiffen sind insbesondere deshalb fatal und auf jedem Fall zu vermeiden,
da

• der Widerstand durch die Ablösung extrem zunimmt. Dies liegt daran, dass der Druck, der auf
den Körper wirkt, sich gegenüber dem Zustand ohne Ablösung heftig vermindert und so hinter
der Ablösung weniger Kraft auf den Körper ausgeübt wird, diese Kraft aber eigentlich benötigt
würde, um die von der vorderen Körperhälfte bewirkte Kraft zu kompensieren. Besonders stark
widerstandsvermehrend wirkt eine Ablösung dann, wenn Gebiete des Körpers betroffen sind, die
einen hohen Normalenvektoranteil in der Strömungsrichtung haben.
• Die abgelöste Strömung bildet ein extrem inhomogenes Strömungsfeld, dass dann insgesamt mit
der Hauptströmung nach hinten in den Propeller schwimmt (Man stelle sich den Propellerzu-
strom hinter dem Kreisszylinder aus Abb. 13 vor, wenn der Propeller etwa am rechten Bildrand
angeordnet wäre). Dies bewirkt schlechten Wirkungsgrad des Propellers und ausserdem störende
Geräusche und Vibrationen.

Ablösungen der Strömung sind auf jeden Fall zu vermeiden. Damit eine Strömung ablöst, müssen fol-
gende Bedingungen vorhanden sein:

• Es muss ein positiver Druckgradient vorhanden sein.

• der Druckgradient muss entweder so gross sein und/oder die Strömung muss vorher soviel Energie
abgegeben haben, dass es zu einem Geschwindigkeitsprofil verschwindender Wandschubspannung
kommt.

Möglichkeiten, Ablösung zu vermeiden, sind folgende:

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Abbildung 14: Verschiedene Ablösungsformen an Hinterschiffen

• Man muss die Linien im Hinterschiff ausreichend schlank gestalten, um grosse Stumpfheit zu
vermeiden. Je geringer die Stumpfheit, desto geringer der Druckgradient. Bei der Vermeidung
von Ablösung kommt es (und hier hinkt das oben besprochene Achterbahn- Modell etwas) aus-
schliesslich auf den Druckgradienten an. Man sieht das in Abb. 13 daran, dass die Strömung
unmittelbar hinter dem Äquator, wo sofort ein steiler positiver Druckgradient vorhanden ist,
ablöst. Eingedenk der Konti- Gleichung liefert das die Regel: Geringe Änderung der Form entlang
der Stromlinien bedeutet geringe Druckgradienten.
Abb. 14, Mitte, zeigt eine Linienablösung aufgrund zu geringer Stumpfheit des Hinterschiffes:
Man erkennt, dass die Strömung nicht mehr über die Wellenhose strömen kann und dort auf der
ganzen Linie ablöst. Abb. 14 rechts zeigt eine Ablösung an einem Twin- Skeg- Hinterschiff mit
einigermassen schlanken Wasserlinien, wo aber der positive Druckgradient durch den Diffusor-
Effekt zwischen den Skegs erheblich verstärkt wird. Links ist das analoge Ablösungsszenario bei
einem Einschrauber zu sehen. Die Bilder zeigen auch, wie man im Schifbau Ablösung praktisch
sichtbar macht: Durch einen sogenannten Farbanstrichversuch. Dort, wo die Farbe nicht verläuft,
ist die Wandschubspannung 0, also Ablösung. Die Intensität des Verlaufens (sprich: die Länge) ist
ein Maß für die Geschwindigkeit.

Stromlinie passiert mehrere lokale Unterdruckgebiete


Jedesmal wird dabei Energie durch Reibung abgegeben.

Abbildung 15: Energieverluste der Strömung durch Reibung am Beispiel einer ausgezeichneten Strom-
linie eines Mehrzweckfrachters

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• Man muss dafür sorgen, dass die Strömung auf ihrem Weg nach hinten möglichst wenig Energie
abgibt. Dazu muss man grosse lokale Beschleunigungen vermeiden. Je gesünder eine Stromlinie
ist, um so grösser ist der Druckgradient, gegen den sie im Hinterschiff noch anströmen kann. Dies
zeigt Abb. 15: Man sieht, dass schon im Bugbereich des Schiffes die Stromlinie, die unter den
Boden geht, ein heftiges Unterdruckgebiet passieren muss. Das bedeutet hohe lokale Geschwin-
digkeit und erhebliche Energiedissipation. Die gleiche Stromlinie muss im Hinterschiff ebenfalls
ein ausgeprägtes Unterdruckgebiet passieren, dort wird ebenfalls erheblich Energie dissipiert. Nun
muss die Stromlinie gegen einen positiven Druckgradienten anströmen und löst kurz danach ab,
eben weil das energetische Niveau der Strömung nur noch sehr gering ist. Daraus folgt die Re-
gel: Man muss eine Ablösung nicht nur unmittelbar vor ihrem Entstehen (also Verschwinden der
Wandschubspannung) bekämpfen, sonder unter Umständen schon erheblich weiter stromaufwärts.

Die laminare Grenzschicht lässt sich rechnerisch gut mit Integralverfahrem behandeln, hierzu wird aber
auf weiterführende Literatur (z.B. Schlichting, Grenzschichttheorie) verwiesen. Im Schiffbau haben wir
nun wegen der geringen Zähigkeit des Wassers (ν = 1.188E − 6) selbst bei Schleppmodellen Re-Zahlen,
die erheblich grösser sind als z.B. an einem Flugzeug in der Grossausführung, nämlich etwa 6 − 12E6.
Von daher spielen laminare Grenzschichten und laminare Ablösung an naturgrossen Schiffe überhaupt
keine Rolle, und bei Modellversuchen nur in folgenden Fällen:

• Bei extrem langsamen Schleppgeschwindigkeiten kann die laminare Anlaufstrecke das Ergebnis
verfälschen.
• An Modellrudern kann es unter Umständen zu Laminarablösung an der Vorderkante kommen, die
ebenfalls das Ergebnis verfälscht.
• An Modellpropellern kann es ebenfalls zur Laminarablösung an der Vorkante kommen.

Löst die Strömung tatsächlich laminar ab, kann es zu zwei verschiedenen Szenarien kommen:

• Ist die lokale Re-Zahl bezogen auf die Grenzschichtdicke ausreichend gross (etwa groesser als 125),
dann kommt es zum turbulenten Wiederanliegen der Strömung hinter einer kurzen, laminaren
Ablöseblase. Dies ist meist nicht schlimm, da sich der Widerstand in diesem Fall nicht heftig
erhöht.
• Sonst kommt es zu einem Aufplatzen der Ablöseblase mit dahinterliegendem Totwasser. Dieser
Fall ist extrem schlecht, da er zu einer dramatischen Erhöhung des Widerstandes führt.

Abbildung 16: Laminare Ablösung und turbulente Ablösung im Vergleich, nach: Saunders, Hydrodyna-
mics in Ship Design

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4.4 Instabilität der laminaren Grenzschicht, turbulenter Umschlag

Wie oben ausgeführt, bildet die laminare Grenzschicht immer eine mögliche Lösung der Grenzschicht-
gleichungen. Gleichfalls läßt sich für jede Strömung mit positiven Druckgradienten eine laminare Ablösung
berechnen, die überraschenderweise unabhängig von der Re- Zahl ist, d.h. bei vorgegebener Aussenpo-
tentialströmung liegt die laminare Ablösung immer an der gleichen Stelle, unabhängig von der Grösse der
Anströmung. Dies widerspricht scheinbar praktischen Beobachtungen, wonach eine Strömungsablösung
sehr wohl von der Re-Zahl abhängt (vgl. dazu auch Abb. 16).
Der Grund für diesen Widerspruch ist der, dass die laminare Strömung immer eine mögliche Lösung
der Grenzschichtgleichungen darstellt, die aber unter bestimmten Bedingungen nicht mehr stabil ist und
dann in die andere mögliche Grenzschichtart, die turbulente Grenzschicht, übergeht. Durch Beobach-
tung findet man (z.B. für eine Plattenströmung), dass bei stetiger Steigerung der Geschwindigkeit (und
damit der Re-Zahl) die laminare Grenzschicht ab einer bestimmten Stelle dann in die turbulente Grenz-
schicht übergeht und dass bei weiterer Steigerung der Anströmgeschwindigkeit die sogenannte laminare
Anlaufstrecke immer weiter abnimmt. Ein wesentliches Kriterium für den Umschlag laminar- turbulent
ist also die Reynoldszahl. Die Frage des Umschlages laminar- turbulent lässt sich dabei im wesentlichen
auf die Frage der Stabilität der laminaren Grenzschicht zurückführen. Der erste brauchbare Ansatz
zur Berechnung der Stabilität der laminaren Grenzschicht stammt von Tollmien und Schlichting. Die
grundlegenden Idee dabei ist, der Grenzschichtströmung Störwellen zu überlagern und zu prüfen, ob
diese Störungen weiter angefacht werden oder ob sie abklingen. Für die Stromfunktion einer solchen
Störung wird dann der Ansatz
ψ(x, y, t) = ϕ(y)ei(αx−βt) (26)
Hierbei ist α ein rein reelle Grösse, wobei λ = 2π/α die Wellenlänge der Störung ist. β ist komplex,
wobei der Realteil die Kreisfrequenz der Schwingung bedeutet, und der Imaginärteil über die Anfachung
(bei positivem Imaginärteil) oder Dämpfung der Schwingung (bei negativen Imaginärteil) entscheidet.
Setzt man den Ansatz für die Störungsbewegung in die Grenzschichtgleichungen ein, dann erhält man
letzten Endes eine Differentialgleichung 4. Ordnung für die Amplitudenfunktion ϕ. Man kann nun für
verschiedene, normierte Störungen αδ als Funktion der lokalen, mit der Grenzschichtdicke normierten
Re-Zahl U δ/ν berechnen und als sogenannte Indifferenzkurve auftragen (vgl. z.B. Abb. 17). Das ist die
Grenzkurve, für den der Imaginärteil von β gerade 0 wird.

Abbildung 17: Instabilitätsdiagramm des laminaren Grenzschichtprofils der ebenen Platte nach Tollmien,
aus: Grenzschichttheorie

Diese Untersuchungen sind mathematisch ausserordentlich kompliziert, und es wird hierzu auf wei-

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terführende Literatur verwiesen. Hier beschränken wir uns darauf, einige wesentliche Ergebnisse der
Stabilitätstheorie laminarer Grenzschichten zu erläutern:

• 1. Das Wendepunktkriterium. Es besagt, dass Geschwindigkeitsprofile mit Wendepunkt insta-


bil sind. Dies ist nicht nur eine notwendige Bedingung, wie zunächst vermutet wurde, sondern auch
eine hinreichende. Praktisch ist das Wendepunktkriterium eminent wichtig, da das Vorhandensein
eines Wendepunktes eng mit dem Druckgradienten verknüpft ist. Nach der Grenzschichttheorie
(vgl. dazu auch Abb. 12) haben nämlich Grenzschichtprofile in beschleunigter Strömung (also bei
negativem Druckgradienten) keinen Wendepunkt, die Profile in verzögerter Strömung (also bei
positivem Druckgradienten) aber sehr wohl. Das bedeutet, dass sich beschleunigte Strömung
generell stabilisierend auf die laminare Grenzschicht auswirkt, verzögerte Strömung aber desta-
bilisierend. Daraus folgt, dass bei einem umströmten Körper die Lage des Druckminimums ent-
scheidenden Einfluss auf das Instabilwerden hat. Es gilt die einfache Regel, dass in erster grober
Näherung die Lage des Druckminimums die Umschlagstelle bestimmt, in der Art, dass der Um-
schlag kurz hinter dem Druckminimum liegt.
• Für neutrale Störungen (also auf der Indifferenzkurve) ist bei Grenzschichtprofilen deren Fort-
pflanzungsgeschwindigkeit immer kleiner als die Maximalgeschwindigkeit der Grundströmung.
Das bedeutet, dass im Innern der Grenzschicht eine sogenannte kritische Schicht existiert, für die
gilt: U − c = 0.

Die kritische Reynoldszahl kann für ein gegebenes Grenzschichtprofil ein für alle mal berechnet werden.
(vgl. dazu Schlichting, Grenzschichtheorie, oder Krüger, Instationäre Grenzschichteffekte an Tragflügel-
profilen). Für das Blasius-Profil (ebene Plattenströmung, vgl. Abb. 17) ergibt sich die kritische Re- Zahl
(das ist der am weitesten links liegende Wert der Instabilitätskurve) zu

U δ1
Rekrit = = 420 (27)
ν
(hier auf die Verdrängungsdicke δ1 bezogen. Bezüglich der Grenzschichtdicke beträgt die kritische Re-
Zahl 1260, und mit der Beziehung für die Dicke der laminaren Grenzschicht findet man
p
Reδ = 5 Rex (28)

als Zusammenhang zwischen der auf die Grenzschicht und auf die Lauflänge bezogene Re-Zahl. Dar-
aus ergibt sich als kritische Re- Zahl bezüglich der Lauflänge etwa 6 · 104 . Nach Messungen liegt der
tatsächliche Umschlagspunkt aber bei Re- Zahlen von 3.5 · 105 bis 106 , was mindestens einer kritischen
Re- Zahl bezüglich der Verdrängungsdicke von 950 entspricht, also weiter stromabwärts. (entsprechend
einer auf die Grenzschichtdicke bezogenen kritischen Re- Zahl von 2800). Dies ist auch vernünftig, denn
das erstmalige Auftreten einer Instabilität führt noch nicht sofort zum Umschlag, sondern die Störun-
gen müssen erst eine gewisse Anfachung erreicht haben, bevor der Umschlag stattfindet. Eine derartige
Anfachungsrechnung ist aber mathematisch ausserordentlich kompliziert, und es wird auf weitergehende
Literatur verwiesen. Hier genügt es, sich folgende grundlegende Zusammenhänge zu vergegenwärtigen:

• Der Instabilitätspunkt der Grenzschicht liegt stromabwärts kurz hinter dem Druckminimum.
• Der turbulente Umschlagspunkt liegt stromabwärts vom Instabilitätspunkt.
• Liegt der berechnete Umschlagspunkt vor der laminaren Ablösung, wird die Strömung turbulent
und löst nicht ab. Liegt der laminare Ablösepunkt vor, bevor die Strömung umgeschlagen ist, dann
löst sie auch laminar ab, wobei folgende Szenarien auftreten können:
– Laminare Ablösung mit turbulentem Wiederanliegen
– Laminare Ablösung mit aufplatzender Blase

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Abbildung 18: Druckverteilung und Lage von laminarer Ablösung, Instabilitätspunkt und Umschlags-
punkt fuer ein HSVA MP 73-25 in Grossausführung und für den Masstab 25

Abb. 18 zeigt die Lage von Druckminimum, laminarer Ablösung, Instabilitätspunkt und Umschlagspunkt
für ein HSVA MP 73- 25- Profil mit 15 Grad Anstellwinkel. Man erkennt, dass für die Grossausführung
die Strömung turbulent wird, bevor sie umschlägt (mittleres Bild), und dass für das Modell die Strömung
laminar ablöst (unten). Ferner erkennt man, daß sich alles wesentliche unmittelbar hinter dem Druck-
minimum abspielt.

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4.5 Turbulente Grenzschichten

Abbildung 19: Geschwindigkeitsprofile in turbulenter Grenzschicht, nach: Saunders, Hydrodynamics in


Ship Design

Wie oben gezeigt, kann die laminare Grenzschicht unter bestimmten Bedingungen in die turbulen-
te Grenzschicht umschlagen. Diese ist offensichtlich wesentlich stabiler als die laminare Grenzschicht.
Das liegt daran, dass durch die Turbulenz (Geschwindigkeitsschwankungen in den drei Raumrichtun-
gen) ein Energietransport innerhalb des Geschwindigkeitsprofiles stattfindet, das daher auch wesentlich
gleichmässiger ist (vgl. dazu auch Abb. 19) Der Turbulenzgrad der Strömung drückt die Schwankungs-
breiten der Geschwindigkeit in der Grenzschicht aus:
r
100 1 2
Tu = (ū + v̄ 2 + w̄2 ) (29)
U 3
Die bei turbulenter Strömung auftretenden Querbewegungen der Flüssigkeitsteilchen sind mit entspre-
chenden Beschleunigungen verbunden, so dass scheinbare Schubspannungen auftreten. Man nennt dies
auch turbulente Scheinzähigkeit. Mit der Annahme, dass die Quergeschwindigkeit der Flüssigkeits-
teilchen
du
δu = l (30)
dy

Abbildung 20: Zur Definition des Prandtlschen Mischungsweges, aus: Grenzschichttheorie

(vgl. auch Abb. 20) wobei l der sogenannte Prandtlsche Mischungsweg und du/dy die Ableitung des
Geschwindigkeitsprofiles ist, dann ergibt sich für die Wandschubspannung:
du 2
τ = ρ(l ) (31)
dy
Wesentlich dabei ist die Erkenntnis, dass bei turbulenten Grenzschichten die scheinbare Schubspannung
proportional dem Quadrat der Geschwindigkeit ist. Hierbei handelt es sich nicht um Reibung im eigent-
lichen Sinne der laminaren Strömung, die bei turbulenter Strömung auf einen sehr dünnen Film an der
Wand begrenzt ist.

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Damit wird ein wesentliches Charakteristikum der turbulenten Grenzschicht offensichtlich: Sie ist
stabiler als die laminare Grenzschicht, aber der Widerstand eines Körpers in turbulenter Grenzschicht
ist grösser als in laminarer, da der Impulsaustauch innerhalb der Grenzschicht Energie kostet. Anders
als bei der laminaren Grenzschicht ist die theoretische Behandlung der turbulenten Grenzschicht nur
unter Zuhilfenahme experimenteller Ergebnisse möglich. Trotzdem sollen zumindest für die ebene Platte
einige Ergebnisse angegeben werden, da sie später noch benötigt werden: Als Geschwindigkeitsverteilung
ergibt sich für die turbulente Plattengrenzschicht

u  y  17
= (32)
U δ
Die Grenzschichtdicke der turbulenten Grenzschicht der ebenen Platte beträgt:
 − 51
Ux
δ(x) = 0.37x (33)
ν

Die Verdrängungsdicke beträgt


 − 15
Ux
δ(x) = 0.036x (34)
ν
Für die Wandschubspannung ergibt sich:

τ0  ν  41
= 0.0225 (35)
ρU 2 Uδ

Danach nimmt also die Grenzschichtdicke bei turbulenter Strömung mit der Potenz x4/5 der Lauflänge
zu, bei laminarer Grenzschicht war die Grenzschichtdicke proportional zu x1/2 . Für der Reibungswider-
stand der ebenen Platte der Länge l und der Breite b ergibt sich danach:
Ul −1
W = 0.036ρU 2 bl( ) 5 (36)
ν
Daraus erkennt man., dass der Widerstand der Platte bei turbulenter Strömung proportional ist zu
U 9/5 und zu x4/5 , wohingegen bei der laminaren Strömung die Potenzen U 3/2 und x1/2 sind. Das zeigt
deutlich, dass der Widerstand bei turbulenter Strömung erheblich höher ist als bei laminerer und wirft
die Frage auf, was in der Praxis günstiger ist.

4.6 Reibungswiderstand gegen viskosen Druckwiderstand - ein Vergleich

Abbildung 21: Laminare und Turbulente Ablösung an einer Kugel nach Prandtl. Aus Grenzschichttheo-
rie.

In seinem berühmt gewordenen Experiment mit zwei Kugeln (vgl. Abb.21) zeigt Prandtl klar den Un-
terschied zwischen Reibungswiderstand und viskosem Druckwiderstand auf. Die Umströmung der Kugel
auf der linken Seite bleibt bis zur deutlichen Ablösung kurz nach dem Äquator laminar. Die Kugel auf

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der linken Seite hat zwar bis zur Ablösung einen geringen Reibungswiderstand, eben weil die lamina-
re Strömung einen deutlich geringeren Widerstand als die turbulente Strömung hat. Auf der rechten
Seite wird durch einen Stolperdraht die turbulente Strömung erzwungen. Diese hat zwar eine erheblich
höheren Reibungswiderstand, aber weil die turbulente Grenzschicht stabiler ist als die laminare, löst sie
erst viel später ab. Der viskose Druckwiderstand ist wesentlich geringer, eben weil das Totawassergebiet
hinter der Kugel viel kleiner ist. In der Summe zeigt sich, dass der Gesamtwiderstand bei turbulenter
Strömung viel geringer ist, eben weil der viskose Druckwiderstandsanteil bei Laminarablösung extrem zu
Buche schlägt (als Konsequenz haben z.B. alle Golfbälle geriffelte Oberflächen, um turbulente Strömung
und damit geringen Widerstand zu erzwingen). Zusammengefasst lässt sich folgendes sagen:

• Bei laminarer Grenzschicht ist der Reibungswiderstand erheblich geringer als bei turbulenter
Grenzschicht
• Bei turbulenter Grenzschicht ist der viskose Druckwiderstand geringer, wenn es sonst zur Lami-
narablösung kommt.

Oben wurde ausgeführt, dass schiffbauliche Strömungen praktisch immer turbulent sind. Laminar-
strömungen sind - aus oben erwähnten Gründen - möglichst zu vermeiden. Natürlich können auch
turbulente Strömungen ablösen, mit der Konsequenz eines dann erheblichen Widerstandes. Dies ist
natürlich zu vermeiden. Dabei gelten die gleichen Regeln wie bereits oben diskutiert.

4.7 Reibungsgesetz für schiffbauliche Plattenströmung

Wie später noch gezeigt wird, ist die ebene Plattenströmung für die schiffbauliche Widerstandsprogno-
se von entscheidender Bedeutung. Daher haben sich gerade Schiffbauer (Kempff, Schoenherr) immer
wieder mit der (meist experimentellen) Bestimmung der Plattenreibung befasst. Unter schiffbaulicher
Plattenströmung soll hier die Plattenströmung bei extrem grossen Reynolds- Zahlen bis weit über 109
verstanden werden. Wesentliche Einflüsse dabei sind die laminare Anlaufstrecke und die Rauhigkeit der
Platte. Für die laminare Plattenströmung ergab sich als Widerstandsbeiwert:
1.328
cw = √ (37)
Re
Für die turbulent umströmte Platte ergab sich als Widerstandsbeiwert:

cw = 0.074(Re)−1/5 (38)

Diese Formel ist nach Messungen bis Re- Zahlen von etwa 107 gültig, was für viele technische Anwendun-
gen nicht ausreichend ist. Will man zu deutlich höheren Re- Zahlen übergehen, dann reicht das für die
turbulente Plattengrenzschicht angesetzte 1/7-Profil nicht mehr aus und man muss zu einem logarithmi-
schen Ansatz übergehen. Die entsprechenden Berechnungen sind ausserordentlich kompliziert, und für
die vorliegenden Zwecke reicht es aus, das Ergebnis, nämlich die Plattenreibungslinie von Schoenherr
anzugeben:
1
√ = 4.13log(Re · cF 0 ) (39)
cF 0
wobei cF 0 der Widerstandsbeiwert der Platte bedeutet.

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Abbildung 22: Verschiedene Reibungslinien in logarithmischer Darstellung, nach: Saunders, Hydrody-


namics in Ship Design

Die Schoenherr- Reibungslinie entstand durch umfangreiche Auswertung von Messungen und auf-
grund theoretischer Berechnungen und stellt die erste, standardisierte Reibungslinie in Schiffbau (1947
von der ATTC = American Towing Tank Conference angenommen). Abb. 22 gibt einen Überblick über
die verschiedenen Reibungslinien in einfach logarithmischer Darstellung, die auch die Schoenherr- Li-
nie enthält. Mit der Zeit reichte der durch die Schoenherr- Linie abgedeckte Re- Zahl- Bereich nicht
mehr aus, und es wurde aufgrund umfangreicher weiterer Untersuchungen die sogenannte ITTC 1957-
Plattenreibungslinie entwickelt, die noch heute gültig ist:
0.075
cF 0 = (40)
(logRe − 2)2

Diese Reibungslinie wird heute international zur Berechnung des Reibungswiderstandes von Schiffen
(Modell und Grossausführung) verwendet, obwohl sie nur eine ingenieurmässige, praktische Näherung
ist. Eigentlich ist der oben verwendete Begriff Reibungslinie irreführend, denn bei der ITTC57- Linie
handelt es sich nicht mehr allein um eine Linie reiner Plattenreibung. Sie enthält etwa 12% Zuschlag auf
die reine Plattenreibung. Hierfür gibt es keine plausible physikalische Begründung ausser der, dass damit
der eigentliche Zweck der Reibungslinie, nämlich die Extrapolation vom Modell auf die Grossausführung,
besser erfüllt wird. Daher heisst die ITTC1957- Linie auch nicht Reibungslinie, sondern Korrelationslinie.

5 Ähnlichkeitsgesetze zwischen Modell und Grossausführung

5.1 Allgemeines

Oben wurde angedeutet, dass heute immer noch die einzig akzeptierte, zuverlässige Bestimmung des
Schiffswiderstandes durch Modellversuche ist. Dabei muss man aber akzeptieren, dass das Modellver-
suchswesen ausschliesslich von einer Menge wohlaufeinander abgestimmter, empirischer Korrekturen
lebt, deren einziger Sinn darin besteht, dass man im Laufe der Zeit viel Erfahrung mit den Korrek-
turen gewonnen hat. Hätte man die gleiche Energie darauf verwendet, ein ähnliches Korrekturschema
für Widerstandsberechnungen (z.B. mit Hilfe von CFD- Verfahren) zu etablieren, würde man heute
den Widerstand rechnerisch ermitteln. Es gibt aber gute Gründe, warum ein Modellversuch allgemein
akzeptiert wird:

• Das Procedere des Modellversuches ist klar und eindeutig geregelt, so dass es keine Diskussionen
über Verfahrensfragen gibt.

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• Eine Versuchsanstalt gilt als neutrale Institution hoher Kompetenz, und weder Werft noch Reeder
bezweifeln die Prognose der Versuchsanstalt, wohingegen die Reederei sofort Gegenargumente
sammeln würde, wenn die Werft die Prognose rechnerisch machen würde.

Modellversuche unterliegen klaren Regeln, und daher ist es unbedingt notwendig, die Ähnlichkeitsgesetze
zu diskutieren, die zwischen Modell und Grossausführung vorliegen. Eine wesentliche Schwäche der
Modellversuche ist es nämlich, dass nicht alle benötigten Ähnlichkeitsgesetze auch eingehalten werden
können. Dabei geht es im wesentlichen um die Relation der drei SI- Grundeinheiten m, kg, s zwischen
Modell und Grossausführung.

5.2 Geometrische Ähnlichkeit

Wir nehmen an, dass von einem naturgrossen Schiff ein Modell des Masstabes λ gebaut wird. Damit
wird der Masstab λ:
LSchif f
λ= (41)
LM odell
Dabei wird der Masstab λ meist aus der Überlegung heraus festgelegt, dass die Versuchsanstalt einen
passenden Propeller für das Modell auf Lager hat. Damit ergibt sich für den Masstab:
DpSchif f
λ= (42)
DpM odell
Damit das Modell dem Schiff ähnlich ist, müssen sich auch Breite und Tiefgang im Masstab λ ändern.
Damit wird klar, dass für die SI- Einheit m der Umrechnungsmasstab λ beträgt. Eine geometrische
Strecke des Modelles ergibt sich also zu:
1
strM odell = strSchif f (43)
λ
Entsprechendes gilt für Flächen, welche die SI- Einheit m · m haben:
1
areaM odell = areaSchif f (44)
λ2
Entsprechend für Volumina:
1
volM odell = volSchif f (45)
λ3
Für die zweite SI- Einheit, nämlich kg ergibt sich die Umrechnung aufgrund der Tatsache, dass das
spezifische Gewicht für Modell und Grossausführung gleich sein soll, da das Modell im gleichen Medium
wie das grosse Schiff fährt. Damit ergibt sich für die Einheit kg der gleiche Umrechnungsmasstab wie
für das Volumen, Für die Masse gilt:
1
mM odell = mSchif f (46)
λ3
Damit stehen für zwei der drei gesuchten SI- Einheiten sowie allen daraus abgeleiteten Grössen Umrech-
nungsformeln zur Verfügung. Es verbleibt noch die Einheit s. Da diese etwas mit dynamischen Vorgängen
zu tun hat, ist klar, dass die Umrechnung nicht wie bei den anderen Grössen ohne zusätzliche Bedingung
vonstatten gehen kann.

5.3 Froudesche Ähnlichkeit: Schwerebedingte Kräfte (Wellen)

Ein wichtiges Änhlichkeitsgesetz ergibt sich daraus, dass an Schiff und Modell die Wellen - und die
damit zusammenhängenden Kräfte ähnlich sein sollen. Bei durch Wellen bedingten Kräften handelt
es sich um Kräfte, die von der Schwerkraft beeinflusst sind. Wesentliche Kenngrösse hierbei ist die

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Erdbeschleuningung g. Diese soll für Modell und Grossausführung ähnlich sein. Die Erdbeschleunigung
hat die SI- Einheit m/s2 . Da für die Einheit m der Umrechnungsmasstab λ gilt, muss daher für die
Einheit s bei Einhaltung der Ähnlichkeit der schwerebedingten Kräfte der Ähnlichkeitsmasstab lauten:
1
tM odell = √ tSchif f (47)
λ

Modellzeiten sind also um den Faktor √1λ kürzer. Damit sind Umrechnungsfaktoren für alle SI- Einheiten
bekannt. Nun kann auch die Frage beantwortet werden, wie schnell ein Modell fahren muss, damit die
Wellen und deren Kräfte der Grossausführung ähnlich sind. Da die Geschwindigkeit die Einheit m/s
hat, ergibt sich aus oben gefundenem:

λ 1
vM odell = vSchif f = √ vSchif f (48)
λ λ

Daraus ergibt sich das sogenannte Froudesche Ähnlichkeitsgesetz:

• Für Schiff und Modell sind Wellen und wellenbedingte Kräfte ähnlich, wenn die Froudeschen
Zahlen von Schiff und Modell
v
Fn = √ (49)
gL
gleich sind.

Aus analogen Überlegungen ergibt sich der Masstab der Drehzahlen:



nM odell = λ · nSchif f (50)

Hierbei sei schon vorab angemerkt, dass es für die praktische Durchführung der Modellversuche
√ aus-
serordentlich nützlich ist, dass die Schleppgeschwindigkeit des Modelles um den Faktor 1/ λ geringer
ist als die der Grossausführung. Weiterhin wird der Kräftemasstab (SI- Einheit: kg · m/s2 benötigt. Er
ergibt sich zu:
1
FM odell = 3 FSchif f (51)
λ
Analog für Drehmomente:
1
QM odell = 4 QSchif f (52)
λ
Und schliesslich für Leistungen (Q · n):
1
PM odell = PSchif f (53)
λ7/2
Für andere, hier nicht angegebene Grössen kann der Umrechnungsmasstab leicht ermittelt werden, wenn
die einzelnen Umrechnungsmasstäbe der zugrunde liegenden SI- Einheiten entsprechend miteinander
verknüpft werden.

5.4 Reynoldsche Ähnlichkeit: Zähigkeitsbedingte Kräfte (Reibung)

Ein weiteres wichtiges Ähnlichkeitsgesetz ergibt sich daraus, dass am Modell die Reibungseffekte und
die damit zusammenhängenden Kräfte ähnlich sein sollen. Analog wie bei der Ähnlichkeit der schwere-
bedingten Kräfte bedeutet das nun, dass die kinematische Zähigkeit ν an Schiff und Modell gleich sein
muss. Die kinematische Zähigkeit hat die Einheit m2 /s, und damit ergibt sich für den Umrechnungs-
masstab der Zeit:
tSchif f = λ2 tM odell (54)

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Das bedeutet, dass Modellzeiten um den Faktor λ2 kürzer sind als Zeiten der Grossausführung. Nun
sind wieder Umrechnungsmasstäbe für alle SI- Einheiten bekannt, und es kann die Relation zwischen
Schiffs- und Modellgeschwindigkeit angegeben werden:
vM odell = λvSchif f (55)
Offensichtlich ist es für die praktische Durchführung der Modellversuche ungünstig, wenn die Geschwin-
digkeit des Modelles um den Faktor λ grösser sein muss als die des naturgrossen Schiffes. Für die
Drehzahlen ergibt sich:
1
nSchif f = 2 nM odell (56)
λ
Bei Schiff und Modell sind zähigkeitsbedingte Kräfte ähnlich, wenn die Reynoldschen Zahlen
vL
Re = (57)
ν
gleich sind.

5.5 Einhaltung von Froudescher und Reynoldscher Ähnlichkeit

Aufgrund der Froudeschen Ähnlichkeit ergibt sich für die Modellgeschwindigkeit


1
vM odell = √ vSchif f (58)
λ
wohingegen die Reynoldsche Ähnlichkeit verlangt:
vM odell = λvSchif f (59)
Dieser Widerspruch ist nur zu lösen, wenn die Versuche in einem anderen Medium als Wasser durch-
geführt werden könnten. Dabei müsste für die kinematische Zähigkeit des Modellfluids gelten:
1
νM odell = νSchif f (60)
λ3/2
Da es kein Fluid gibt, das diese Bedingungen erfüllen kann, bedeutet das, dass nicht beide Ähnlichkeiten
gleichzeitig eingehalten werden können. Es gibt nun zwei Gründe, warum man sich für die Froudesche
Ähnlichkeit entscheidet:

• Es erscheint einfacher, den Reibungswiderstand rechnerisch zu extrapolieren als den Wellenwider-


stand. Dies liegt daran, dass der Wellenwiderstand erheblich von Details der Schiffsform abhängt,
wohingegen man eher hoffen kann (und die Praxis zeigt, dass es so ist) den Reibungswiderstand
durch eine allgemeine Rechenvorschrift zu bestimmen.
• Versuche lassen sich offenbar erheblich einfacher nach der Froudeschen Ähnlichkeit durchführen
als nach der Reynoldschen, eben weil die Geschwindigkeiten und Drehzahlen technisch sinnvollere
Werte annehmen.

Daher werden heute noch alle Modellversuche nach der Froudeschen Methode durchgeführt.

6 Das Froudesche Prinzip zur Extrapolation des Schiffswider-


standes aus Modellversuchen

6.1 Grundlagen des Prinzips

Eigentlich müssten Froudesche und Reynoldsche Ähnlichkeit gleichzeitig eingehalten werden, was aber
physikalisch nicht möglich ist. Froude stellte das nach ihm benannte Ähnlichkeitsgesetz auf und setzte

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den Schiffswiderstand aus zwei Anteilen zusammen:

RT = RF 0 (Re) + RR (F n) (61)

Dabei sollte RF 0 der nur von der Reynoldszahl abhängige Reibungswiderstand sein, und RR der von
der Froudezahl abhängige Restwiderstand. Diese Aufteilung des Widerstandes ist physikalisch falsch,
da der ebenfalls von der Re- Zahl abhängige viskose Druckwiderstand RV D auftritt, der einmal durch
die Dreidimensionalität der Strömung und durch eventuell vorhandene Ablösungen bedingt ist. Dieser
Anteil wird bei der Froudeschen Hypothese überhaupt nicht berücksichtigt.
Das Konzept von Froude bestand darin, den Reibungswiderstandsanteil aufgrund von Plattenversu-
chen (eine Reibungslinie wie Schoenherr oder ITTC57 gab es ja erst viel später) zu berechnen und für
die Großausführung zu extrapolieren. Der Gang der Froudeschen Methode lief dann wie folgt:

• Ein Modell wird im Masstab λ gebaut und bei der Modellgeschwindigkeit vM = vS / λ geschleppt.
Der Gesamtwiderstand des Modelles RT wird gemessen und folgendermassen normiert:
RT,M
cT,M = ρ 2
(62)
2 M SM
v

Dabei bedeutet vM die Modellgeschwindigkeit und SM die benetzte Oberfläche des Modelles.
• Danach wird aufgrund von Plattenreibungsversuchen der Reibungswiderstandsbeiwert CF 0 be-
stimmt. Der Restwiderstandsbeiwert ergibt sich dann aus

cR,M = cT,M − cF 0,M (63)

• Danach wird aufgrund der Plattenreibungsversuche


√ der Reibungswiderstand der Grossausführung
bei der Geschwindigkeit VS = VM λ bestimmt
• Der Gesamtwiderstandsbeiwert des naturgrossen Schiffes ergibt sich dann zu:

cT,S = cF 0,S + cR,M (64)

weil Froude davon ausging, dass bei Einhaltung der Froudeschen Ähnlichkeit der Restwiderstands-
beiwert vom Modell direkt auf die Grossausführung übertragen werden kann.
• Den Widerstand der Grossausführung erhält man dann zu:
ρ
RT,S = cT,S vS 2 SS (65)
2

6.2 Fehler und Unzulänglichkeiten der Froudeschen Methode

Im wesentlichen sind es zwei Effekte, die bei der Anwendung der Froudeschen Methode problematisch
sind:

• Die Schwierigkeit, den Reibungswiderstand auf das naturgrosse Schiff aufgrund der Plattenver-
suche zu extrapolieren. Dies zeigte sich zunächst bei den ersten Anwendungen der Froudeschen
Methode, aber durch Grossausführungsmessungen (Korvette Greyhound) und von Kempf (HSVA
1927) an schiffbaulichen Aussenhautplatten konnte das Problem nach und nach beseitigt wer-
den. Seit der Einführung der ITTC1957 Reibungslinie kann man aber das Problem als im inge-
nieurmässigen Sinne abgeschlossen betrachten.
• Der viskose Druckwiderstand wird von der Froudeschen Methode nicht erfasst. Weil, und das ist
eine ganz fundamentale Tatsache, die Modellgeschwindigkeit nach Froudescher Ähnlichkeit heftig
kleiner ist als nach Reynoldscher Ähnlichkeit, ist die Modell- Reynoldszahl etwa um den Faktor

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100 kleiner als die der Grossausführung (wenn man davon ausgeht, dass typische Schiffsmodelle
etwa im Masstab 22 gebaut werden). Da die Grenzschichtdicke mit dem Reziproken der Re- Zahl
zunimmt, bedeutet dass, dass die Grenzschicht des Modelles verglichen mit der Grossausführung
erheblich zu dick ist. Dazu folgendes Zahlenbeispiel, abgeschätzt an der ebenen Plattenströmung:
Ein Schiffsmodell eines 200 m Schiffes im Masstab 25 soll in der Grossausführung 22 kn laufen.
Das ergibt eine Grossausführungsreynoldszahl von:
200 · 11.32
Re = = 1.906E9 (66)
1.188E − 6
Für das Modell ergibt sich entsprechend:
8 · 2.264
Re = = 1.523E7 (67)
1.189E − 6
Die Grenzschichtdicke der ebenen Platte, turbulente Strömung, ergab sich zu:
 − 51
Ux
δ(x) = 0.37x (68)
ν
Damit ergibt sich für die Grossausführung eine Grenzschichtdicke von etwa 1.031 m, für das Modell
ergibt sich eine Grenzschichtdicke von 0.108m. Entsprechend der Froudeschen Ähnlichkeit dürfte
aber die Grenzschichtdicke am Modell nur 1/25 derjenigen der Grossausführung betragen, also nur
0.041m. Damit ist die Modellgrenzschicht in diesem etwa um den Faktor 2.6 dicker als sie nach
der Froudeschen Ähnlichkeit sein sollte. Das bedeutet, dass im Modellversuch alle Reibungseffekte
merklich überzeichnet werden. Viskoser Druckwiderstand geht aber in den Restwiderstandsbeiwert
mit ein, und daher werden viskose Effekte direkt auf die Grossausführung übertragen. Das ist zwar
physikalisch völlig falsch, aber von ingenieurmässigen Standpunkt aus betrachtet nicht tragisch, da
dann die Prognose konservativ ausfällt und man den Widerstand der Grossausführung überschätzt.

Die Froudesche Methode wird aber heute noch verwendet, obwohl das zugrunde liegende physikalische
Modell eigentlich falsch ist. Dies liegt daran, dass theoretische Verbesserungen der Froudeschen Methode
in so aufwendigen Experimenten münden, dass sie wirtschaftlich nicht gerechtfertigt wären und zum
anderen daran, dass heute soviel Erfahrung mit der Froudeschen Methode vorliegt, dass von kompetenten
Versuchsanstelten brauchbare Prognosen erstellt werden können.

6.3 Verbesserungen der Froudeschen Methode

6.3.1 Der Modell- Schiffs- Korrelationszuschlag

Es wurde schon festgestellt, dass die Aufteilung des Widerstandes in Rest- und Reibungswiderstand
physikalisch falsch ist und dazu führt, dass in bestimmten Fällen Widerstandsanteile falsch übertragen
werden. Nun liegen mit der Froudeschen Methode aber mehr als 100 Jahre Versuchserfahrung vor, und
die Versuchsanstalten, die solche Prognosen routinemässig erstellen, erhalten von den Werften meist
Rückmeldung über die Ergebnisse der Grossausführungen. Diese Messungen werden ständig ausgewertet,
und so ist im Laufe der Zeit aufgrund einer Vielzahl von ausgewerteten Messungen der sogenannte
Modell- Schiffs- Korrelationszuschlag hinzugekommen. Damit wird jetzt der Gesamtwiderstandsbeiwert:
cT,S = cF 0,S + cR,M + cA (69)
Dabei ist CA ein spezifischer Wert jeder Versuchsanstalt, und in der richtigen Annahme für CA liegt
die Kompetenz (und damit auch der Wettbewerbsvorteil) einer guten Versuchsanstalt. Daher erfährt
man nie genau, wovon CA nun tatsächlich abhängt und wie es angesetzt wird. Es gehen aber wohl
mindestens die Schiffslänge und der Blockkoeffizient in den Wert von CA ein. Damit werden heute im
ingenieursmässigen Sinne brauchbare Vorhersagen des Schiffswiderstandes erzielt, obwohl die Methode
nach wie vor auf einer falschen Aufteilung des Widerstandes beruht.

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6.3.2 Formfaktormethode nach Hughes/Prohaska

Die grundlegende Idee dieser Verbesserung der Froudeschen Methode besteht darin, den viskosen Druck-
widerstand durch einen individuellen Formfaktor k zu berücksichtigen:
cT,S = cF 0,S (1 + k) + cR,M (70)
Dabei wird der Reibungswiderstand nach wie vor durch die bewährte Plattenreibungslinie angenähert,
und der viskose Druckwiderstand wird durch einen für jede Schiffsform individuell zu bestimmenden
Formfaktor erfasst. Es liegt auf der Hand, dass die Formfaktormethode vom theoretischen Ansatz her
erheblich genauer ist als die Froudesche Methode, eben weil die Widerstandsaufteilung physikalisch
richtiger ist. Dazu ist es nötig, den Formfaktor mit ausreichender Genauigkeit bestimmen zu können.
Dafür gibt es folgende Möglichkeiten:

• Man kann ein tiefgetauchtes Doppelkörpermodell schleppen. Damit misst man den doppelten
gesamten zähigkeitsbedingten Widerstand. Der Formfaktor ergibt sich dann nach Subtraktion der
Plattenreibung. Dieses Verfahren wendet man in der Praxis nicht an, weil das Doppelkörpermodell
wirtschaftlich in keinem Verhältnis zur Verbesserung der Prognosegenauigkeit steht.
• Man kann den Formfaktor auf theoretische Weise bestimmen. Dazu dient folgende Überlegung:
man kann zeigen (Inui/Sharma), dass für mässig grosse Froudezahlen (d.h. etwa unter 0.3) gilt:
cW = cFn 4 (71)
Dabei bedeutet cW der Wellenwiderstandsbeiwert und c eine Proportionalitätskonstante. Damit
kann man schreiben:
cT = (1 + k)cF 0 + cFn 4 (72)
oder:
cT Fn 4
= (1 + k) + c (73)
cF 0 cF 0
Damit läuft die Bestimmung des Formfaktors folgendermassen: Man schleppt bei sehr kleinen
Geschwindigkeiten und trägt cT /cF 0 gegen Fn4 /cf 0 auf. Die lineare Extrapolation ergibt für Fn = 0
ergibt dann den Formfaktor 1 + k.

Zunehmnder Einfluss
CT/CF0

des Wellenwiderstandes

1+k

Fn**4/CF0

Abbildung 23: Bestimmung des Formfaktors nach Prohaska

Abb. 23 zeigt prinzipiell die Vorgehensweise bei der Formfaktorbestimmung in graphischer Form.

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Dazu ist zu bemerken, dass der Formfaktor auf beide beschriebenen Arten schlecht bestimmbar ist.
Die Möglichkeit des tiefgetauchten Doppelmodelles steht aus wirtschaftlichen Gründen nicht wirklich
zur Debatte, und die zweite Möglichkeit der theoretischen Bestimmung des Formfaktors scheitert aus
mehreren Gründen:

• Bei den geringen Schleppgeschwindigkeiten sind die Messsungen ausserordentlich unzuverlässig,


eben weil die Kräfte so klein sind. Zum anderen spielt dann auch die laminare Anlaufgrenzschicht
eine Rolle, welche die Messungen ebenfalls verfälscht.

• Bei den heutigen, modernen Schiffsformen, insbesondere solchen mit oberflächendurchstossenden


Abströmwülsten und/oder getauchten Spiegeln ist es eben nicht so, dass für Fn gegen 0 auch
der Wellenwiderstand gegen 0 geht. Gerade bei langsamen Geschwindigkeiten bewirken solche
Bugwülste oft erbebliche Wellen, die dazu führen, daß die Ergebnisse im Grenzübergang Fn gegen
0 stark streuen.

Daraus folgt, dass die praktische Bestimmung des Formfaktors entweder wirtschaftlich unsinnig oder
praktisch unmöglich ist. Aus diesem Grund wird die Formfaktormethode weltweit nicht angewendet,
und weil sie nicht angewendet wird, liegen auch keine Erfahrungen, die dann in verbesserte cA - Werte
münden würden, vor. So bleibt - auch wenn sie vom theoretischen Ansatz her unkorrekt ist- aus rein
ingenieurmässig- praktischen Erwägungen heraus die Froudesche Methode die heute verwendete. Al-
lerdings, und das wird weiter unten diskutiert, bekommt die Formfaktormethode für die theoretische
Vorhersage des Widerstandes mit Hilfe von direkten CFD- Berechnungen heute wieder neue Bedeutung.

7 Theoretische Vorhersage des Schiffswiderstandes

7.1 Allgemeines

Oben wurde angedeutet, dass heute noch die Modellversuche die brauchbarsten Möglichkeiten der Er-
mittlung des Schiffswiderstandes darstellen. Nun kann aber ein Projektingenieuer auf der Werft nicht
erst den Modellversuch, der etwa eine Zykluszeit von 4 Wochen (einschliesslich Modellfertigung) hat
abwarten, bis er den Widerstand seines Schiffes kennt. So gibt es also eine Vielzahl von Verfahren, die
es erlauben, mehr oder weniger genau den Schiffswiderstand ohne Modellversuch vorherzusagen. Dabei
hängen die Verfahren wesentlich davon ab, welche Details des Schiffes vom Verfahren her berücksichtigt
werden können.

7.2 Prognose aufgrund bekannter Vergleichsschiffe

Das Verfahren beruht darauf, daß man von einem Vergleichsschiff des Gesamtwiderstand kennt und
davon ausgeht, dass das zu projektierende Schiff einen änhlichen Restwiderstandsbeiwert haben wird.
Der Widerstand des Vergleichsschiffes ist als Funktion der Schiffsgeschwindigkeit bekannt:
ρ
RT (vs ) = cT (vs ) vS2 S (74)
2
Nach der Froude’schen Hypothese wird der Widerstandsbeiwert cT folgendermaßen aufgeteilt:

cT = cF 0 + cR (75)

Dabei bedeutet cF 0 den Reibungswiderstandsbeiwert nach der ITTC57 Reibungslinie:


0.075
cF 0 = (76)
(log10(Re) − 2)2

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Dabei ist Re die Reynoldszahl, die wie folgt definiert ist:


vs L
Re = (77)
ν
Dabei ist L die Länge des benetzten Schiffes, also einschließlich Bugwulst. Bei den Prognoseverfahren
ist es ausreichend genau, Lpp oder Lwl zu benutzen, bei Modellversuchen wird diese Länge angegeben.
ν ist die kinematische Zähigkeit des Wassers wie folgt:

• 1.1882 E-06 für Seewasser, 1025 kg/m3 Dichte


• 1.1241 E-06 für Tankwasser im Modellversuch

Die Froudezahl des zu projektierenden Schiffes beträgt:


v
Fn = √ (78)
gL
Für diese Froudezahl wird nun der Widerstandsbeiwert cT des Vergleichsschiffes durch Interpolation er-
mittelt, wobei man den Widerstand des Vergleichsschiffes vorher um Zusatzwiderstandsanteile bereinigt
haben muss. Dann wird der Reibungswiderstandsbeiwert cF 0 nach der ITTC-Reibunglinie berechnet
und durch Subtraktion erhält man dann den Restwiderstandsbeiwert cR . Dieser wird zusammen mit
dem für das Projekt berechneten Reibungswiderstandfbeiwert cF 0 der neue Widerstandsbeiwert cT , wo-
bei sich dann mit der Geschwindigkeit des Projektes und der benetzten Fläche der Widerstand ergibt.
Manchmal reicht es nicht aus, nur ein Vergleichsschiff zu verwenden, sondern man nimmt mehrere, die
das Projekt einschachteln und interpoliert dann entsprechend.

7.3 Prognose aufgrund der Admiralitätsformel

Die sogenannte Admiralitätsformel basiert ebenfalls darauf, dass von einem vorhandenen Vergleichsschiff
der Widerstand (eigentlich: die Antriebsleistung) bekannt ist. Die Formel wurde von der britischen
Admiralität als Prognoseverfahren entwickelt. Danach ergibt sich für die Antriebsleistung eines Schiffes:
2
∆ 3 vs3
PD = (79)
CP
Dabei ist ∆ das Deplacement in t, vs die Schiffsgeschwindigkeit und CP ist eine Konstante, die aus einem
Vergleichsschiff gewonnen wird. Analog für den Widerstand ergibt sich folgender Zusammenhang:
2
∆ 3 vs2
RT = (80)
CR
Der Widerstand hängt danach quadratisch, die Leistung von der dritten Potenz der Geschwindigkeit
ab. Man kann die Formel nun für ein Schiff mit bekanntem Widerstand auswerten und erhält damit die
Konstante CR , die man dann zur Bestimmung des Widerstandes des Projektes einsetzen kann.
Naturgemäß ist die Formel nicht sehr genau und hat eigentlich fast nur noch historische Bedeutung.
Sie kann aber für einfache Abschätzungen verwendet werden. Es gibt in der Praxis allerdings noch eine
Anwendung: Bei der Auswertung von Probefahrten wird die Formel benutzt, um die Verdrängungs-
unterschiede zwischen Modellversuch und Probefahrtszustand des Schiffes zu berücksichtigen. Daraus
entsteht dann eine Korrektur der Antriebsleistung.

7.4 Prognose aufgrund bekannter Standard- Serien

Manchmal hat man kein passendes Vergleichsschiff zur Verfügung, um den Restwiderstandsbeiwert zu
ermitteln. Dann kann man sogenannte Standard -Serien benutzen, um eine Abschätzung des Wi-
derstandes zu erhalten. Diese Standardserien beruhen darauf, daß verschiedene Autoren jeweils eine

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Vielzahl von systematisch variierten Schiffen geschleppt und dann den Restwiderstandsbeiwert durch
Regression von verschiedenen Formparemetern abhängig gemacht haben:

cR = f (Fn , L, B, T, S, LCB, cB , cM , ....) (81)

Der Reibungswiderstandsbeiwert wird dann nach der ITTC- Linie bestimmt. Die Methodik hat den
Vorteil, dass man eine Widerstandsabschätzung ohne genauere Kenntnis eines Vergleichsschiffes nur
aufgrund einiger Hauptabmessungen machen kann. Der Nachteil liegt darin, dass die Prognosen meist
nicht sehr genau sind und sehr stark streuen.

Resistance Overview
1500

1000
Rt in kN

500

0
19 19.5 20 20.5 21 21.5 22 22.5 23
Speed in Knots

HSVA TRIAL DESIGN Holtrop/Mennen Series 60


Guldh/Harv Lap/Keller

Abbildung 24: Vergleich der Prognosen verschiedener Widerstandsverfahren mit dem tatsächlichen Wi-
derstand (rot)

Abb. 24 zeigt einen Vergleich verschiedener Widerstandsverfahren mit dem tatsächlichen Schleppwi-
derstand (rot). Man erkennt, dass zwei Verfahren den Widerstand einigermassen treffen, die zwei anderen
versagen völlig. Meist liegt das daran, dass das LCB heute deutlich weiter hinten liegt als in den hin-
terlegten Serien. Bei anderen Projekten kann die Situation dann aber ganz anders sein, dass nämlich
die beiden Verfahren, die den Widerstand hier gut einschachteln, dann versagen, wohingegen die beiden
anderen dann den Widerstand brauchbar vorhersagen. Daher kann man solche Verfahren nur benutzen,
wenn man sie anhand von Vergleichschifen vorher kalibriert hat. Hat man aber Vergleichsschiffe, dann
kann man auch den Restwiderstandsbeiwert direkt übetragen, wenn man sein Schiff kennt.
Diese Verfahren liegen heute alle in programmierter Form innerhalb unseres Methodenbanksystems
vor, so dass hier darauf verzichtet wird, den jeweiligen Rechengang anzugeben. Die Originalarbeiten
können dem Literaturverzeichnis der jeweilgen Methode entnommen werden. Wesentliche Verfahren
sind:

• HOLTROP/MENNEN: Ein robustes Verfahren, dass aber meist zu hohe Widerstände liefert.
• GULDHAMMER/HARVALD: Ebenfalls ein robustes Verfahren, dass eher zu kleine Widerstände
liefert.

• LAP/KELLER: Empfindliches Verfahren, das aber ganz gut trifft, wenn es funktioniert.

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• SFB98 : Brauchbares Verfahren für flache, breite, langsame Schiffe

Es gibt noch viele weitere Verfahren, aber man muss, wie gesagt, praktisch erproben, wie genau die
Verfahren sind. Heute ist es meist besser, den Widerstand aufgrund von Vergleichschiffen zu bestimmen,
wobei man mit Hilfe von CFD- Rechnungen prüfen kann, inwieweit das Vergleichsschiff brauchbar ist.

7.5 Prognose aufgrund von CFD - Berechnungen

Unter CFD- Berechnungen werden Potentialströmungsberechnungen mit nicht linearer Randbedingung


an der Wasseroberfläche verstanden. RANSE- Berechnungen sind noch zu langsam und aufwendig, um
damit routinemässig Widerstände berechnen zu können. Allerdings ist auch heute noch - eben wegen
der eingangs geschilderten Schwierigkeiten - der Schiffswiderstand auf theoretischem Wege nur schlecht
theoretisch berechenbar. Was allerdings mit CFD- Methoden heute gut berechnet werden kann, sind
Widerstandsdifferenzen, z.B. wenn eine Schiffsform geändert wird. Dies liegt daran, dass sich numeri-
scher und systembedingter Fehler (z. weil die Theorie überfordert ist) durch die Differenzbildung heben.
Dadurch ist es heute möglich, durch Kombination mit einem (oder mehreren bekannten) Vergleichsschif-
fen den Widerstand eines Projektes sehr genau vorauszusagen, so dass die üblichen Standard- Serien
heute nahezu überflüssig geworden sind. Sinnvollerweise wird für die Berechnung des Schiffswiderstandes
eine andere als die Froudesche Widerstandsaufteilung gewählt, da die CFD- Rechnung vom theoreti-
schen Standpunkt aus betrachtet mehr hergibt als ein Modellversuch. Für den Gesamtwiderstand wird
folgende Aufteilung vorgeschlagen:
Sdyn
RT = (1 + k) · RF 0 · + RW + RA,V gl. (82)
S0
In dieser Widerstandsaufteilung bedeuten:

• RW : Der direkt berechnete Wellenwiderstandsbeiwert der CFD- Rechnung, entweder durch Druck-
integration der Körperpaneele oder durch Wellenschnittverfahren.
• RF 0 : Der Reibungswiderstand, berechnet nach der ITTC57 Reibungslinie.
• k: Der Formfaktor, berechnet mit Hilfe der Druckverteilung auf der Aussenhaut. Wenn u¯2p das
quadratische Mittel der Geschwindigkeit aller Körperpaneele ist, dann lautet der Formfaktor:

u¯2p
1+k = , (83)
U2
wenn U die Schiffsgeschwindigkeit ist. Damit wird ein individueller Formfaktor berechnet, der die
lokalen Geschwindigkeitserhöhungen auf der Aussenhaut berücksichtigt.
Sdyn
• S0 : Ebenfalls wie der Formfaktor ein viskoser Wechselwirkungsanteil, der die Änderung der
benetzten Oberfläche von S0 nach Sdyn durch Trimm, Tauchung und Wellen berücksichtigt.
• RA,V gl. : Ein Korrekturanteil ähnlich dem Modell- Schiffs- Korrelationszuschlag. Dieser Anteil
wird aus dem als bekannt vorausgesetzten Widerstand eines Vergleichsschiffes gewonnen.

Dann ist der Gang der Rechnung folgender: Vorausgesetzt wird, dass eines oder auch mehrere Ver-
gleichsschiffe mit bekanntem Widerstand existieren. Selbstverständlich kennt man auch für das Projekt
und das Vergleichsschiff die Schiffsform. Wenn das Projekt die Länge LP roj hat, ergibt sich als Masstab

LP roj
λ= (84)
Lvergl

Man führt nun mit dem Vergleichsschiff einen numerischen Modellversuch im Masstab λ durch und be-
rechnet sich mit Hilfe eines CFD- Verfahrens nach obiger Aufteilung den Schiffswiderstand. Gleichzeitig

Stefan Krueger (TKB) kruegers@fsg-ship.de


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Glattwasserwiderstand 16. März 2009

macht man mit den bekannten Widerstandswerten eine Prognose für den Masstab λ. Dies ist leicht
möglich, wenn man so vorgeht wie unter Punkt Prognose aufgrund bekannter Vergleichsschiffe
beschrieben, wobei in diesem Fall das Ergebnis exakt richtig sein muss, denn das Vergleichsschiff ist ja
eine nur um den Faktor λ geänderte Kopie. Nun bestimmt man sich aus dem Vergleich des mit Hilfe
von CFD- berechneten Widerstandes und dem umgerechneten Widerstand die Korrektur RA,V gl Man
muss natürlich darauf achten, dass für die Geschwindigkeiten von Projekt und Vergleichsschiff ebenfalls
das Froudesche Ähnlichkeitsgesetz einzuhalten ist. Dann berechnet man mit exakt dem gleichen CFD-
Gitter den Widerstand des Projektes nach oben angegebener Aufteilung und setzt die vorher ermittel-
ten Korrektur RA,V gl an. Damit erhält man meist eine recht gute Vorhersage des Widerstandes für das
gegebene Projekt, vor allem dann, wenn man das Verfahren mit mehreren Vergleichsschiffen durchführt,
die das Projekt einschachteln.

Stefan Krueger (TKB) kruegers@fsg-ship.de


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