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net/publication/316212860
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"Prima - los geht's" - German Classroom Course for Children View project
All content following this page was uploaded by Luiza Ciepielewska - Kaczmarek on 24 September 2018.
1
Vgl. die Tabellen der «Kann-Deskriptoren» in http://www.goethe.de/Z/50/
commeuro/ 4040202.htm#a (= Leseverstehen) bzw. www.goethe.de/z/50/ commeuro
/d.htm (= Lesen).
2
Vgl. Madeline Lutjeharms. Leseverstehen. In: Helbig, Gerhard / Götze, Lutz / Henrici,
Gert / Krumm, Hans-Jürgen (Hgg.). Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales
Handbuch. Berlin / New York, de Gruyter: 901-908 (hier: S. 901).
Marina Foschi Albert / Marianne Hepp
3
Erdmann, Benno / Dodge, Raymond. Psychologische Untersuchungen über das Lesen auf
experimenteller Grundlage. Halle an der Saale, Niemeyer, 1898.
4
Vgl. Lutjeharms, zit. S. 906.
5
Dass Rezeption und Verstehen die zwei Seiten der Kommunikations-Medaille
darstellen, hat die bahnbrechende Studie von Hans Jürgen Heringer, Lesen lehren lernen.
Eine rezeptive Grammatik des Deutschen (Tübingen, Niemeyer 1989) gezeigt, auf die sich
viele der hier enthaltenen didaktischen Vorschläge direkt beziehen – oder auch
indirekt, d.h. durch Verweis auf das von Heringer inspirierte Lehrwerk für italophone
4
EINLEITUNG
DaF-Lerner Lettura e comprensione del testo in lingua tedesca von Hardarik Blühdorn und
Marina Foschi Albert (Pisa, Plus 2006).
6 S. u.a. die Aufsätze von Eva-Maria Willkop (2003), Anwendungsorientierte Textlinguistik.
Am Beispiel von Textsorten, Isotopien, Tempora und Referenzformen (in: «German as a foreign
language (GFL)» 3: 84-110. http://www.gfl-journal.de/3-2003/willkop.html), und
Paul R. Portmann-Tselikas (2000), Der Einfluss der Textlinguistik auf die
Fremdsprachendidaktik (in: Brinker, Klaus / Antos, Gerd / Heinemann, Wolfgang /
Sager, Sven F. Text- und Gesprächslinguistik, 1. Halbband. Berlin / New York, de
Gruyter: 830-842).
7 S. die Dokumentation in den Tagungsakten: Foschi Albert, Marina / Hepp,
5
Marina Foschi Albert / Marianne Hepp
Wie in Kapitel 2 dargelegt, wird der Begriff ‘Text zur Bezeichnung aller
sprachlichen Produkte benutzt, die Sprachverwendende / Lernende
empfangen, produzieren oder austauschen – sei es eine gesprochene
Äußerung oder etwas Geschriebenes. Es kann demnach keine Kommuni-
kation durch Sprache ohne einen Text geben; alle sprachlichen Aktivitäten
und Prozesse werden mit Blick auf die Beziehung der Sprachverwendenden /
Lernenden und ihrer Kommunikationspartner zum Text analysiert und
klassifiziert; dabei ist es ganz gleich, ob diese Beziehung als ein Produkt bzw.
als ein Gegenstand gesehen wird oder als ein Ziel bzw. als ein gerade
entstehendes Produkt. [...] Texte haben im sozialen Leben viele verschiedene
Funktionen und unterscheiden sich dementsprechend in Form und Inhalt.
Verschiedene Medien werden zu verschiedenen Zwecken verwendet.
Unterschiede in Medium, Zweck und Funktion führen zu entsprechenden
Unterschieden nicht nur im Kontext von Mitteilungen, sondern auch in deren
Organisation und Präsentation. Deshalb können Texte in verschiedene
Textsorten eingeteilt werden, die zu verschiedenen Genres gehören [...].
http://www.goethe.de/Z/50/commeuro/hinweis.htm
8
Portmann-Tselikas (2000), zit. S. 830.
9
Portmann-Tselikas (2000), zit. S. 831.
6
EINLEITUNG
7
Marina Foschi Albert / Marianne Hepp
Anlass zur Zusammenarbeit gaben die Kontakte zwischen uns und den
Kollegen der Adam Mickiewicz-Universität Poznań zur Planung einer
Arbeitssektion am XII. Internationalen Germanistenkongress Vielheit und
Einheit der Germanistik weltweit, der 2010 in Warschau stattfinden wird. Dank
sei an dieser Stelle Herrn Prof. Dr. Waldemar Pfeiffer und Frau Prof. Dr.
Barbara Skowronek ausgesprochen, die das Mai-Treffen junger Wissen-
schaftlerinnen aus Pisa und Posen ermöglicht haben, sowie Herrn Prof. Dr.
Horst Sitta, Universität Zürich, der seine langjährige Erfahrung als
Wissenschaftler und Lehrer in mehrsprachigen Ländern zugunsten junger
Kolleginnen und Kollegen erneut zur Verfügung gestellt hat. Dank gilt
auch der Leiterin des Pisaner Promovendenprogramms, Frau Prof. Dr.
Giovanna Marotta, für finanzielle Unterstützung, Frau Angela Suraci für
Hilfe bei der Gestaltung des Manuskripts und Herrn Prof. Dr. Enrico De
Angelis für Aufnahme der Kolloquiumsakten in seine Reihe «Jacques e i
suoi quaderni».
8
PLÄDOYER FÜR MEHR SCHRIFTLICHKEIT IM
FREMDSPRACHUNTERRICHT∗
∗
Der nachfolgende Beitrag hatte im Rahmen des Kolloquiums, das dieser Band
dokumentiert, die Aufgabe, das umfassende Thema (Schriftlichkeit, vor allem
Lesen) anzuschlagen. Es ging darum, die Würde der Schriftlichkeit heraus-
zustellen, ihre Notwendigkeit im Spracherwerbsprozess zu betonen und auf
Versäumnisse und Chancen in diesem Kontext hinzuweisen; nicht ging es darum,
Einzelthemen im Bereich Lesen und Leseverstehen in der DaF-Didaktik, dem Thema
also des Kolloquiums, zu behandeln. Dabei greift er ungeniert zurück auf
Zurückliegendes (eigenes und fremdes), das vielleicht nicht mehr originell, aber
darum nicht notwendig überholt ist. – Die hier abgedruckte Fassung ist
gegenüber der vorgetragenen geringfügig erweitert, ansonsten unverändert. Vor
allem ist der lockere Vortragston, wie er den Umgang in einer vertrauten Gruppe
bestimmt, beibehalten.
Horst Sitta
und wir müssen dem Bereich Schriftlichkeit (das heißt: Lesen und
Schreiben) einen höheren Stellenwert in der Lehre einräumen.
3. Sprachen werden gesprochen und geschrieben, sie bleiben dabei sie
selbst – Deutsch bleibt Deutsch, Italienisch bleibt Italienisch, ob es
gesprochen oder geschrieben wird. Aber die beiden Sprachformen
unterscheiden sich.
4. Wer einen höheren Rang für die Schriftlichkeit im Sprachunterricht
postuliert, muss sich der Frage stellen, was an Schriftlichkeit im
Unterricht Berücksichtigung erfahren soll. Hier sind sehr differenzierte
Antworten zu finden.
5. Lesen und Schreiben sollten unter dem Oberbegriff Schriftlichkeit
zusammengesehen werden. Das heißt auch: Praktizierte Rezeption
kann ihren Vorbildcharakter (und wenn nicht das: mindestens ihren
Modellcharakter) für Produktion entfalten.
10
PLÄDOYER FÜR MEHR SCHRIFTLICHKEIT
1
Ich greife mit diesen Gedanken auf weit zurückliegende Grundsatzdebatten
zurück. Was meinen eigenen Anteil an diesen Debatten angeht, verweise ich z.B.
auf Wolfgang Boettcher / Horst Sitta: Der andere Grammatikunterricht. München,
Wien, Baltimore (Urban und Schwarzenberg) 21981.
11
Horst Sitta
12
PLÄDOYER FÜR MEHR SCHRIFTLICHKEIT
Sie können sich – und mich – fragen: Was hat das mit unserem Thema
zu tun? Folgendes: Ich möchte nicht übertreiben, aber mir scheint doch
evident: Jede Methode hat ihren Preis. Sie fokussiert ihre Ziele
notwendigerweise sektoriell, das heißt auch: Sie nimmt bestimmte Sektoren
nicht oder mit geringerer Aufmerksamkeit ins Visier. In unserem Fall ist
der Preis die Missachtung der Kategorie Reflexion und die
Zurückdrängung des Teilgebiets Schriftlichkeit (das ist Lesen und
Schreiben).
Der Grammatik-Übersetzungsmethode war die Schriftlichkeit affin.
Ich bin in meinen Fremdsprachkenntnissen ein Produkt dieser Methode:
Ich habe die Matur in Russisch gemacht, kann noch heute relativ
problemlos Tolstoj auf Russisch lesen, hätte aber große Mühe, mir im
Restaurant des Hauptbahnhofs in Moskau ein Bier zu bestellen. In der Tat
beurteilt man unsere Leistungen, das Ergebnis des Unterrichts, den wir
erfahren haben, noch heute exakt auf diesem Feld. Man sagt: «Früher
konnte man mit dem, was man im Fremdsprachunterricht erworben hat,
nicht einmal ein Bier bestellen». Etwas allgemeiner, und ich sage es über
mich selbst: Wir konnten in den Fremdsprachen, die wir gelernt haben,
nicht gut hörend verstehen und nicht gut sprechen. Aber wir konnten ganz
gut lesen und nicht schlecht schreiben. Wir haben auch so manche schöne
Passage aus der Literatur auswendig gelernt, nicht freiwillig damals, nicht
gern, aber: Wir können sie heute noch und leben in so mancher, wie wir in
den Texten unserer muttersprachlichen Literatur leben.
Entsprechend affin ist die kommunikative Methode der Mündlichkeit.
Sie – meiner Einschätzung / meinen Vorurteilen nach die Kolleginnen aus
dem Westen mehr als die aus dem Osten – sind Produkte dieser Methode.
Dabei gilt: Sie, die Sie hier vor mir sitzen, haben im Deutschen als
Fremdsprache eine hohe Kompetenz erreicht. Sie wissen aber auch, dass –
mindestens bei böswilligen Zeitgenossen – das Urteil, das ich zuvor zitiert
habe, heute maliziös so lautet: «Früher konnte man mit dem, was man im
Fremdsprachunterricht erworben hat, nicht einmal ein Bier bestellen, heute
kann man nur noch das».
Auch hier: Vermeiden wir billige Polemik und Aussagen auf der Ebene
von Trivialdidaktik und Altherrensprachkritik. Was ich eigentlich sagen
will, ist: Ausgehend von dem Gedanken, dass in unserem Bereich immer
auch das Gegenteil richtig ist und dass wir (mindestens auch!) das vertreten
müssen, was im Moment nicht herrschende Mode ist, meine ich:
13
Horst Sitta
2
Vgl. zum Folgenden detaillierter etwa die Bemerkungen in Peter Gallmann /
Roman Looser / Horst Sitta: Schülerduden Grammatik, Mannheim, Leipzig, Wien,
Zürich 52006 passim.
14
PLÄDOYER FÜR MEHR SCHRIFTLICHKEIT
15
Horst Sitta
16
PLÄDOYER FÜR MEHR SCHRIFTLICHKEIT
3
Vgl. dazu und zum Folgenden: Peter Sieber / Horst Sitta: Mundart und
Standardsprache als Problem der Schule. Aarau / Frankfurt am Main / Salzburg 1986
(Sauerländer, Reihe Sprachlandschaft, Band 3), passim, vor allem Kap. 5.
17
Horst Sitta
– Der Plan wird realisiert im Text. Die Realisierung erfolgt Satz für Satz,
Abschnitt für Abschnitt. Das Schreiben ist nicht einfach ein
Ausformulieren von inhaltlichen und stilistischen Vorstellungen,
sondern ein echtes Umsetzen. Im Schreiben wird erst eine kohärente,
textuelle, stilistische, informatorische Ebene aufgebaut.
– Der Text wird überarbeitet, an den Zielen bzw. Intentionen gemessen
und eventuell korrigiert. Dieser Schritt braucht (wie der zweite) nicht
als gesonderte Handlung sichtbar zu werden: Überarbeitet wird ja
immer schon während des eigentlichen Schreibens, im Ausprobieren
verschiedener Möglichkeiten, z.T. sichtbar an Streichungen,
Korrekturen, Ergänzungen usw.
– Der Text wird als ‘fertig’ verabschiedet.
4
Dass es auch so etwas wie schriftlichkeitsorientierte mündliche Formen gibt, zeigen
die Bereiche des (mündlichen) Erzählens und Argumentierens. Hier muss für den
Sprecher auch ein Plan vorhanden sein, an dem sich die Entwicklung der
Erzählung, der Argumentation orientieren kann. Entsprechend kann die Schulung
solcher Formen des Mündlichen einen wichtigen Beitrag leisten zur Ausbildung
von Fähigkeiten für die Schriftlichkeit.
18
PLÄDOYER FÜR MEHR SCHRIFTLICHKEIT
Die Schriftsprache (ist) ein kompliziertes und für die Lösung zahlreicher
kognitiver Probleme kaum entbehrliches Werkzeugsystem, welches in der
menschlichen Evolution erst relativ spät entwickelt worden ist […]. Die
inneren Repräsentationen, die aus der Aneignung des sprachlichen
Werkzeugsystems erwachsen, dürften für den Grad der symbolisch-
bewusstseinsmäßigen Kompetenz von grundlegender Bedeutung sein: Dies
um so mehr, als die bei seiner Aneignung und dem Gebrauch ausgebildeten
Fähigkeiten offensichtlich in hohem Maße unspezifisch und damit auf ganz
andere Problembereiche übertragbar sind.
Ich verkenne übrigens nicht, dass das, was ich hier herausgestellt habe,
primär für den Mutterspracherwerb gilt – aber eben nicht nur. Noch
einmal erinnere ich hier an etwas, was ich in meiner Arbeit in Pisa schon
öfter herangezogen habe, die Unterscheidung von BICS und CALP bei J.
Cummins. Ausführlich vorgetragen findet sich eine Auseinandersetzung
mit seinen Überlegungen in dem oben angeführten Buch von Peter Sieber
/ Horst Sitta: Mundart und Standardsprache als Problem der Schule, 4. (z.T. auch
5
M. Giesecke Schriftsprache als Entwicklungsfaktor in Sprach- und Begriffsgeschichte. In: R.
Koselleck (Hrsg.): Historische Semantik und Begriffsgeschichte. Stuttgart 1979. S. 262 –
302) weist darauf hin, dass die volkssprachliche Fachprosa bis ins 16. Jahrhundert
vor allem als Gedächtnisstütze diente: Man musste, was man las, bereits erfahren
haben, um es zu verstehen. Erst durch die Bücher diente das Geschriebene zum
Aufbau von neuem Wissen, das man sich lesend aneignen konnte.
19
Horst Sitta
6
J. Cummins: The cross-lingual dimensions of language proficiency: Implications for bilingual
education and the optimal age issue. In: TESOL Quarterly 14/2 (1980), S. 175 – 187.
20
PLÄDOYER FÜR MEHR SCHRIFTLICHKEIT
Lerner CALP in L2 schneller erwerben als jüngere. Ihr L1-CALP ist weiter
entwickelt und lässt sich auf L2 übertragen.
3.3 Unterschiede in der Bewertung, die Sprechen und Schreiben bei den Sprachteil-
habern erfahren
Warum das alles? Ich habe Sie einen Umweg geführt, habe eine
Schleife gemacht und biege wieder auf meinen geraden Weg ein. Was ich
eigentlich sagen will, ist (zwei Punkte sind mir wichtig):
21
Horst Sitta
werten, wollte vor allem nicht das eine gegenüber dem anderen
abwerten. Wohl aber wollte ich darauf hinweisen, dass jede einseitige
Betonung eines solchen Oppositionspunktes ihre natürliche
Beschränkung hat und immer wieder überdacht werden muss.
– Vor diesem Hintergrund plädiere ich seit Langem für eine Aufwertung
von (in der Sprache unserer Oppositionspaare) Reflexion,
Schriftlichkeit, Distanzsprache. Sie sind auch wichtig, und das scheint
mir zu wenig gesehen zu werden. Schön, dass Sie hier zu einem
Kolloquium zum Thema Lesen zusammengekommen sind. So bitte ich
Sie (als diejenigen, die nicht nur schon jetzt große Verantwortung
innerhalb des Faches, z.B. in der Lehre, tragen, sondern in deren
Händen auch die Entwicklung des Faches liegt oder liegen wird – Sie
sind die Hochschullehrer von morgen –), in diese Richtung zu wirken.
7
NB: Das abstrakte Postulat «mehr Schriftlichkeit» bedeutet natürlich auf
unterschiedlichen Stufen des Spracherwerbs unterschiedliches Konkretes; auf
diese Problematik gehe ich hier nicht ein.
22
PLÄDOYER FÜR MEHR SCHRIFTLICHKEIT
8
Vgl. dazu Horst Sitta: Fachtexte im Deutschunterricht? Wozu? Welche? in: Martin Fix
/ Roland Jost (Hrsg.): Sachtexte im Deutschunterricht. Hohengehren (Schneider) 2005,
S. 150 – 159.
23
Horst Sitta
b) das Heil, Wohl, die Wohlfahrt, das Glück, die Erhaltung des Daseins
(sowohl des einzelnen als des ganzen Staates)
- als Liebkosungswort: mein Heil
- personif., Salus als Göttin des Heils und der Wohlfahrt übh.
c) das Leben, wenn es in Gefahr ist od. in Gefahr kommen soll
d) die Rettung vom Tode, von der Gefahr, vom Untergange usw.; das
Rettungsmittel
e) die Sicherheit vor Gefahr u. Untergang
II) insbes.
a) das (mündl. od. schriftl.) jmdm. gewünschte Wohlsein, der Gruß
b) die begrüßende Anrede in der Vorrede, die Widmung.
Wer übersetzen will, hat keine Chance, wenn er mit der Erwartung ins
Wörterbuch schaut, er könne dort die Lösung für sein lexikalisches
Problem finden – ein einziger Blick auf die oben zusammengestellten
Äquivalente zeigt ihm, dass er die nicht bekommt. Sein erster Schritt ist
vielmehr notwendig ein kreativer: Er muss eine Hypothese entwickeln von
der wahrscheinlichen Bedeutung des fraglichen Wortes; diese Hypothese
kann er dann mit Hilfe des Wörterbuchs überprüfen. Dazu sind
Wörterbücher da! (Den sinnvollen Umgang mit Lexika zu beherrschen
kann man als wichtigen «Kollateralnutzen» einer Aufwertung der
Übersetzung einschätzen). Im konkreten Fall hilft ihm der Ort, an dem er
den Text findet: Die Eingangspforte weist auf Grußcharakter des Wortes hin
(also IIa), dass es die Eingangspforte zu einer Klinik ist, legt eine Suche im
Bereich Ia nahe. Kommunikativ sinnvoll wären beide Möglichkeiten.
Vielleicht findet sich ja ein deutsches Äquivalent, das beide abdeckt? Oder
vielleicht kann man im Deutschen anstelle des einen Wortes zwei setzen?
Und wenn ich von «Suche» gesprochen habe, dann meine ich unter
anderem, dass man von einem Wörterbuch aus dem 19. Jahrhundert nicht
ungestraft Äquivalente tale quale übernehmen kann, sonst kommen
Formulierungen heraus, über die schon vor fünfzig Jahren Bruno Snell
(1955, S. 4) «schnödelte»: «Wenn euch, o Jünglinge, die Greise sich nähern,
erhebt euch von den Sitzen». Man muss auch an dieser Stelle wieder kreativ
sein, muss Lexeme wählen, die unserer Zeit gemäß sind und unseren
Normen. Und das ist ein hartes Stück sprachlicher Arbeit, die
gewissermaßen für den Moment durch eine gelungene Übersetzung
belohnt wird, aber darüber hinaus für immer Kräfte im Kopf entwickelt
und trainiert, die wichtig sind.
(b) Ein Gleiches gilt für Intrantibus. Nehmen wir an, die lexikalischen
Probleme im Zusammenhang mit diesem Wort seien gelöst; dann bleiben
die grammatischen. Es handelt sich im Lateinischen um den Dativ Plural
des Partizips Präsens Aktiv von intrare, wörtlich also etwa: den Eintretenden.
24
PLÄDOYER FÜR MEHR SCHRIFTLICHKEIT
Heil und Gesundheit den Eintretenden – ist das die optimale Möglichkeit, oder
wäre besser: denen, die eintreten / hereinkommen / hineingehen (also aus
unterschiedlicher Perspektive gesehen) / …; oder sollte man sagen: euch, die
ihr eintretet – etwas archaisch und der deutschen Syntax nicht eben leicht
abzuringen, aber doch mit dem Charme der Assonanz an das Dantesche
Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate – worauf die Begrüßungsformel an der
Heilanstalt ja geradezu kontradiktorisch Bezug nehmen könnte.
(c) Schließlich zum Pragmatischen: Dem gleichen Salus Intrantibus
begegnete ich jüngst an der Eingangspforte der Kirche zur Kreuz-
Erhöhung im böhmischen Svitavy (Zwittau). Dem gleichen? Eben nicht.
Die Bedeutungskomponente Gesundheit muss hier ausgeschlossen werden,
zu verstehen ist hingegen Heil im religiösen Sinne. Aber wie drückt man
das in unserer gottlos gewordenen Zeit in unserer Sprache aus? Ich breche
die Übung ab. Worauf es mir ankommt – an einem sehr banalen Beispiel:
Die Weise, wie der Lateinunterricht übersetzend mit einer Botschaft und
deren sprachlicher Gestaltung umgeht, mobilisiert im Lernenden (kann
mindestens mobilisieren) Kräfte, die bei jeder sprachlichen Arbeit dringend
benötigt werden.
2. Allgemeine und wenig bestrittene Auffassung ist wohl (wenn auch
eher nichtssagend):
3. Wenn mir eine freundliche Fee auf diesem Gebiet drei speziellere
Wünsche (und nur drei) freistellen würde, würde ich in folgende
Richtungen gern noch ein wenig weitergehen.
25
Horst Sitta
9
Vgl. dazu ausführlicher und grundsätzlicher: Wolfgang Boettcher / Horst Sitta:
Deutsche Grammatik III, Frankfurt am Main 1972 (Athenäum), und neuerlich:
Wolfgang Boettcher: Grammatik verstehen. Tübingen (Max Niemeyer Verlag) 2009,
Bd. III (= Niemeyer Studienbuch).
26
PLÄDOYER FÜR MEHR SCHRIFTLICHKEIT
Mir ist aber die Lektüre einschlägiger Texte auch wichtig als Arsenal für das
Schreiben (argumentativer Texte).
Dritter Wunsch: Ich setze mich auch ein für die Lektüre poetischer
Texte. Das impliziert: Unser Absolvent braucht die Fähigkeit, poetische
Sprache zu erkennen, vielleicht besser allgemeiner formuliert: die Fähigkeit,
Metaphern zu lesen. Das braucht er übrigens schon in der Alltagssprache:
Eine Äußerung wie das Kind mit dem Bade ausschütten ist eine Redewendung,
nicht eine wörtlich zu nehmende Anleitung zur Behandlung von
Säuglingen. Das ist nicht so einfach und braucht neben reicher Lektüre
(warum nicht in zweisprachigen Ausgaben?) auch reflexive Phasen. Die
Texte müssen sicher vorwiegend aus unserer Zeit sein – Dürrenmatt,
Frisch von mir aus; auch Brecht kann man noch zu unserer Zeit rechnen.
Es sollten aber auch ältere Texte sein, von Goethe natürlich, von
Hölderlin, warum nicht von Ringelnatz. Zum Beispiel:
Mein Arbeitsplatz
ist nicht mein Arbeitsplatz
denn mein
ist ein besitzanzeigendes Fürwort.
Generäle lieben
kleine Jungen
und Schokolade
27
Horst Sitta
Kleine Jungen
lieben Generäle
und Schokolade.
Das ist doch einfach schön, und noch dazu leicht zu verstehen. Ich
weiß natürlich, was sich dagegen sagen lässt. Aber es kann ja – wie gesagt –
ein Lesen mit Übersetzung sein – geführt durch einen Lehrer, der diese
Texte liebt – das ist allerdings eine condicio sine qua non. Und er muss nicht
übertreiben: Es genügt ja, in jeder Lektion ein solches Gedicht an die Wand
zu projizieren und eine Stunde hängen zu lassen. Ich breche ab.
Ich gestehe: Eigentlich ist mir, dem Linguisten, das Schreiben viel
näher als das Lesen, über das ich hier vorwiegend gesprochen habe. Daher
zum Schreiben wenigstens eine kurze Bemerkung, zu rechtfertigen
vielleicht dadurch, dass – jedenfalls für mich – Lesen und Schreiben sich
zueinander so verhalten wie addieren und subtrahieren, multiplizieren und
dividieren, ausatmen und einatmen, Systole und Diastole.
Mit dem Schreiben ist es ja bekanntlich nicht gut bestellt: Die
Schreibfähigkeit unserer jungen Leute sowohl im Gymnasium als auch an
der Universität lässt nach allgemeiner Auffassung zu wünschen übrig. Das
gilt vor allem in textueller Hinsicht (weniger in syntaktischer, lexikalischer
oder morphologischer), und es gilt für das Schreiben in der Muttersprache
wie in der Fremdsprache. Die kritischen Urteile betreffen in erster Linie
das argumentative Schreiben, d.h. die Fähigkeit, einen zusammen-
hängenden Text zu verfassen, in dem argumentiert (nicht erzählt oder
beschrieben) wird, und hier zum Ersten die allgemeine Denkfähigkeit,
besser: die Beherrschung allgemeiner Denkgesetze, zum Zweiten die
Strukturierung (vor allem längerer) Texte und zum Dritten die
Formulierungskraft. Die Urteile nehmen an Schärfe zu, je länger und
komplexer die Texte werden, um die es geht. Für mich liegt es – jenseits
28
PLÄDOYER FÜR MEHR SCHRIFTLICHKEIT
BIBLIOGRAPHISCHE HINWEISE
29
TEXTLINGUISTIK ALS SEMINAREINHEIT IN DER
AUSLANDSGERMANISTIK∗
1. VORBEMERKUNGEN
∗
Für die kritischen Anregungen zum Text bedanken wir uns bei Prof. Dr. Margot
Heinemann.
1 Neuland (2006, S. 20).
2 Bartmiński (1998, 2004, 2006).
Waldemar Czachur / Kinga Zielińska
32
TEXTLINGUISTIK ALS SEMINAREINHEIT
geworfen werden. Das philologische Studium (die erste und zweite Stufe)
besteht jeweils aus den grundlegenden Inhalten (primär Fremdsprachen-
erwerb) und fachspezifischen Inhalten, darunter sprachwissenschaftlichen,
literaturwissenschaftlichen, kulturwissenschaftlichen und glottodidaktischen
Elementen. Da uns die linguistische Komponente interessiert, soll hier auf
die Inhalte und die zu erwartenden Ergebnisse (Fertigkeiten und
Kompetenzen) eingegangen werden. Die Studierenden sollen folgende
Inhalte vermittelt bekommen: die Ebenen der Sprachanalyse, die
allgemeinen linguistischen Strömungen, den Einfluss von gesellschaftlichen
Faktoren auf die Sprachveränderung, die theoretischen Ansätze der
kontrastiven Analyse und ihre Anwendung. Erwartet wird nach dem
Abschluss der ersten universitären Stufe, dass die Studierenden u.a. die
Termini und Methoden für die Analyse von Texten und Diskursen
anwenden sowie die Strukturen der Textbildung beschreiben können. In
der zweiten Stufe sollen u.a. folgende Inhalte vermittelt werden:
Angewandte Linguistik (Psycho- und Soziolinguistik), Fremdsprachen-
erwerb, interkulturelle Kommunikation. Erwartet wird, dass die
Absolventen fähig sind, eine geeignete Analysemethode für die Erfassung
und Beschreibung von sprachlichen Phänomenen zu wählen und
anzuwenden, Texte zu übersetzen sowie die Mechanismen der
interkulturellen Kommunikation zu verstehen.
Geht man davon aus, dass die «Kommunikation durch Texte erfolgt»8
und dass der Text einen Zugang zur sprachlichen und kulturellen
Wirklichkeit eröffnet, so kann hier mit dem Blick auf die Richtlinien
festgehalten werden, dass den textlinguistischen Seminaren in der
philologischen Ausbildung in der Auslandsgermanistik eine äußerst
wichtige Aufgabe zukommt. Oder anders formuliert: Nur wenn man in das
philologische, also auslandsgermanistische Curriculum textlinguistische
Seminare einbindet, können die gesetzten Ziele erreicht werden.
33
Waldemar Czachur / Kinga Zielińska
34
TEXTLINGUISTIK ALS SEMINAREINHEIT
3.1 Theoriebezogenheit
35
Waldemar Czachur / Kinga Zielińska
3.2 Analysebezogenheit
36
TEXTLINGUISTIK ALS SEMINAREINHEIT
3.3 Textkompetenzbezogenheit
13
Dass dieser Prozess die Gefahr der Interferenz mit sich bringt, wird hier nicht
weiter diskutiert (Wawrzyniak 1975, 1978, 2003), Bilut-Homplewicz (2004),
Heinemann (2009).
37
Waldemar Czachur / Kinga Zielińska
38
TEXTLINGUISTIK ALS SEMINAREINHEIT
39
Waldemar Czachur / Kinga Zielińska
eine durchaus erfolgreiche Disziplin [ist]. Sie hat sich seit ihren Ursprüngen
Ende der 60er Jahre zumindest in Europa unangefochten etabliert – offenbar
so gut, dass allein im deutschsprachigen Raum in den letzten fünf Jahren eine
Vielzahl von Einführungen in dieses Fach erschienen sind20.
19
Dazu mehr bei Lewandowska (2008).
20 Antos (2007, S. 8).
40
TEXTLINGUISTIK ALS SEMINAREINHEIT
BIBLIOGRAPHISCHE HINWEISE
41
Waldemar Czachur / Kinga Zielińska
42
TEXTLINGUISTIK ALS SEMINAREINHEIT
43
LESEVERSTEHEN – EIN STIEFKIND DER (FREMDSPRACHEN-)
DIDAKTIK? ZUM LESEVERSTEHEN IM DAF-ANFÄNGER-
UNTERRICHT FÜR KINDER UND JUGENDLICHE IN POLEN
1 Die Grundschule wurde von 8 Jahren auf 6 Schuljahre gekürzt, es wurde ein
Fremdsprachencurricula. Katowice, S. 8.
Luiza Ciepielewska
2. LESEVERSTEHEN IM DAF-ANFÄNGERUNTERRICHT
3
Müller, Stephanie (2007). Chancen und Potenziale der Neuen Medien. Mit Medien unsere
Kinder fordern und fördern. In: «Frühes Deutsch» 12, S. 9.
4 Vgl.www.statista.com.
46
LESEVERSTEHEN - EIN STIEFKIND
47
Luiza Ciepielewska
48
LESEVERSTEHEN - EIN STIEFKIND
Wie man sieht, ist das Lesen in der Fremdsprache mit vielen Faktoren
verbunden. Daher sind für die Lernenden «wirksame Hilfen zur
Aktualisierung und Strukturierung ihres Vorwissens und eine gute
Einbettung von Lesetexten in Situationen und Kontexte besonders
wichtig»13. Dazu bedarf es vor allem aber geeigneter Texte.
Die Auswahl der Texte richtet sich nach dem Leser. Ein bestimmter
Themenkatalog wird den Kleinkindern, ein anderer den Jugendlichen und
wiederum ein anderer den Erwachsenen vorgeschlagen. Die
Differenzierung sollte noch weiter gehen (u.a. Geschlecht, Interessen,
Erfahrungen), was aber oftmals aus praktischen Gründen im Unterricht
unmöglich wird. Wenigstens aber als häusliche Lektüre (im Rahmen der
Hausaufgabe, sei es ein Mal oder auch öfter im Schulhalbjahr) sollte es den
Lernenden überlassen werden, die Wahl des Lesetextes selbst zu
bestimmen. Das kurstragende Element in jedem Schulunterricht ist jedoch
das Lehrwerk. Den Lernenden sowie selbst den Lehrern wird hier
hinsichtlich der Textauswahl wenig Freiraum überlassen. Butzkamm
bemängelte schon 2004 die Lehrwerke hinsichtlich der dort enthaltenen
Lesetexte, indem er Folgendes sagte: «Statt guter Texte liefern manche
Lehrwerke einen bunten Materialschwindel, der mehr vorstellen will, als er
ist. Anscheinend wird in die Verpackung mehr investiert als in die Texte,
12 Mehr dazu bei: Scherfer, Peter (1990). Vom Nutzen des Vorwissens im
Vokabelunterricht. In: «Der fremdsprachliche Unterricht» 104, S. 30-34.
13
Huneke, Hans-Werner / Steinig, Wolfgang (2005). Deutsch als Fremdsprache. Eine
Einführung. Berlin, S. 115.
49
Luiza Ciepielewska
die doch das Kernstück des Unterrichts sein müssten»14. Auch heute, wenn
man fünf Jahre später nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Lehrwerke zur
Hand nimmt, stechen sie vor allem durch ihr neu bearbeitetes Layout
hervor. Die Texte bleiben aber auf der Strecke. Es scheint, als ob die
Lehrwerkautoren bei der Textauswahl nur darum bemüht wären, dem vom
Bildungsministerium bestimmten Themenkatalog gerecht zu werden. Es
braucht auch keinen zu wundern, wenn solche nichts sagenden Texte, für
die Anfängerstufe meist präpariert, bei Lernenden auf Desinteresse stoßen:
Quelle: Delfin, S. 19
Obwohl Kast schon vor 15 Jahren darauf aufmerksam machte, hat sich
wenig getan: Auch beim Einsatz der literarischen Texte in den Lehrwerken
werden sie heute noch zu Wortschatz- und Grammatikübungen, zur
Behandlung landeskundlicher Themen oder, wie unten das Beispiel zeigt,
zum Üben der Sprechmelodie ausgeschlachtet15. Das einzige, wozu in
diesem Fall der Text von Bertolt Brecht anleitet, steht in der
Übungsanweisung darunter «Erzählen Sie den Text nach, oder lernen Sie
ihn auswendig.»16
14 Butzkamm, Wolfgang (2004). Lust zum Lehren, Lust zum Lernen. Eine neue
Methodik für den Fremdsprachenunterricht. Tübingen/Basel, S. 352.
15 Vgl. Kast, Bernd (1994). Literatur im Anfängerunterricht. In: «Fremdsprache
50
LESEVERSTEHEN - EIN STIEFKIND
51
Luiza Ciepielewska
52
LESEVERSTEHEN - EIN STIEFKIND
Verfasser den Leser als Mitautoren des Textes sieht. Demnach gibt es keine
nur eine richtige Interpretation eines Textes. Es gibt so viele
Interpretationen wie viele Leser es gibt. «Jeder Leser deutet die Offenheit
des literarischen Textes im Rückgriff auf eigene lebensweltliche
Erfahrungen und eigenes lebensweltliches Handeln».19 Kast stellt insgesamt
28 Vorschläge für den kreativen handlungsorientierten Umgang mit Texten
zusammen, von Transformation, über das Schreiben eines Dialogs /
Tagebuchs über das Versetzen des Textes in eine andere Textsorte, die
Niederschrift einer Rezension bis zur Vorbereitung eines Interviews mit
einer der Figuren und dem Sich-Hineinversetzen in dieselbe, usw.20. Der
Ablauf eines solchen Unterrichts hängt in großem Maße von der
Kreativität der Lernenden ab und ermöglicht die von Kast postulierten
«kulturspezifischen Erfahrungen und Wahrnehmungen der Lernenden»21
zu berücksichtigen. Auch bei Stellung der Fragen soll das bekannte
Schema: Lehrer fragt – Lernende antworten – Lehrer korrigiert durchbrochen
werden. Den Lernenden soll die Möglichkeit eingeräumt werden, sich mit
anderen Lernenden gegenseitig Fragen zu stellen. Butzkamm macht darauf
aufmerksam, dass wenn der Lehrer nicht nur persönliche Fragen stellt,
sondern auch persönliche Antworten formuliert und eigene Erlebnisse
preisgibt, ihm die Schüler folgen werden22.
Lehrer müssen erst einmal lernen, ein wohldurchdachtes Fragenetz über einen
Text zu werfen. Die Schüler erfahren dabei, wie man einen Text systematisch
erarbeitet und für sich fruchtbar macht. Keineswegs jedoch darf man sie daran
gewöhnen, stets die Fragen des Lehrers abzuwarten und ihm die Initiative zu
überlassen».23
3. Abschließende Bemerkungen
11, S. 6.
22 Vgl. Butzkamm, Wolfgang (2004). Lust zum Lehren, Lust zum Lernen. Eine neue
53
Luiza Ciepielewska
Die Fertigkeit, die es erlaubt, aus einem Gedicht eine Keule zu machen,
nennt man Interpretation [...]. Überhaupt, diese klugen Kritiken! Da fragt
man sich denn, warum der Dichter nicht gleich Kritik geschrieben hat, statt
den Umweg über das Kunstwerk zu nehmen26.
11, S. 4.
26 Butzkamm, Wolfgang (2004). Lust zum Lehren, Lust zum Lernen. Eine neue
54
LESEVERSTEHEN - EIN STIEFKIND
BIBLIOGRAPHISCHE HINWEISE
Butzkamm, Wolfgang (2004). Lust zum Lehren, Lust zum Lernen. Eine
neue Methodik für den Fremdsprachenunterricht. Tübingen/Basel.
Huneke, Hans-Werner / Steinig, Wolfgang (2005). Deutsch als
Fremdsprache. Eine Einführung. Berlin.
Iluk, Jan (1998). Entwicklung der Sprachfertigkeiten aus der Sicht der neuesten
Fremdsprachencurricula. Katowice.
Kast, Bernd (1994). Literatur im Anfängerunterricht. In: «Fremdsprache
Deutsch» 11, S. 4-13.
Kost, Claudia R. (2008). Kontextualisiertes Lesen im Anfängerunterricht DaF:
Das Beispiel eines multimedialen Ansatzes. Abrufbar unter:
www.forumdeutsch.ca.
Müller, Stephanie (2007). Chancen und Potenziale der Neuen Medien. Mit
Medien unsere Kinder fordern und fördern. In: «Frühes Deutsch» 12, S. 9-12.
Scherfer, Peter (1990). Vom Nutzen des Vorwissens im Vokabelunterricht.
In: «Der fremdsprachliche Unterricht» 104, S. 30-34.
LEHRWERKE
55
LESEVERSTEHENSSTRATEGIEN BEI DER ANALYSE KAUSALER
STRUKTUREN IM THEORETISCHEN KURS LINGUA TEDESCA 1
0. VORWORT
(a) Auf der Ebene der theoretischen Reflexion über didaktische Methoden
wird diskutiert, wie die Grammatik im Unterricht angewandt werden
3
Vgl. dazu Bausch, Karl-Richard (Hg.) (1979). Beiträge zur didaktischen Grammatik.
Probleme, Konzepte, Beispiele. Königstein; Boettcher, Wolfgang / Sitta, Horst (1978).
Der andere Grammatikunterricht. München/Wien/Baltimore; Eichler, Wolfgang /
Nold, Günter (2007). Sprachbewusstheit. In: Beck, Bärbel / Klieme, Eckhard (Hg.).
Sprachliche Kompetenzen – Konzepte und Messung. Weinheim, S. 63-82.
4
Vgl. dazu Bausch, Karl-Richard (1993). Neuere Tendenzen und Erkenntnisse für das
Fach ‹Deutsch als Fremdsprache›. In: Rubrecht, Rubi / Ryan, Edda (Hg.). Prisma
Special Edition. A Collection of Papers Presented at Workshops held at KONTAKT ‘91,
Regina, S. 5-33; Götze, Lutz (1999). Eine funktionale Grammatik für Deutsch als
Fremdsprache. In: Skibitzki, Bernd / Wotjak, Barbara (Hg.). Linguistik und Deutsch als
Fremdsprache. Festschrift für Gerhard Helbig zum 70. Geburtstag. Tübingen, S. 81-94;
Helbig, Gerhard (1999). Was ist und was soll eine Lern(er)-Grammatik?. In: DaF 2, S.
103-112; Helbig, Gerhard (2003). Kognitive Linguistik – Bemerkungen zu Anliegen und
Ansätzen, zu Auswirkungen und Problemen (II). In: DaF 1, S. 24-31.
5 Vgl. Rall, Marlene (2001). Grammatikvermittlung. Zit., S. 886.
6 Vgl. ibidem.
58
LESEVERSTEHEN
59
Sabrina Ballestracci
gebracht werden. Häufig ist z.B. die Kombination von Begriffen und
Methoden aus der Dependenz-Verb-Grammatik mit jenen aus der
Textgrammatik, der Pragmatik und dem Kulturvergleich8.
Von diesen Reflexionen geht auch der vorliegende Beitrag aus: Anhand
eines empirischen Versuchs, der an der Pisaner Fakultät Lingue e Letterature
Straniere mit italophonen Studierenden des zweiten Semesters im
Grundstudium (Sommersemester 2009) durchgeführt wurde, wird
dargelegt, wie das Lernen der grammatischen Regeln zur Entwicklung von
Verstehensstrategien beim Lesen authentischer Texte in deutscher Sprache
beiträgt. Die Darstellung gliedert sich in drei Kapitel: Kap. 1. beschreibt die
Gestaltung des DaF-Unterrichts an unserer Fakultät und den Einsatz von
Grammatikvermittlung und Lesen in der didaktischen Praxis mit
besonderem Bezug auf den untersuchten grammatischen Bereich; im Kap.
2. werden das Verfahren und die Ergebnisse des Versuchs illustriert, der
bei den Pisaner DaF-Universitätsstudierenden durchgeführt wurde; Kap. 3.
beschäftigt sich mit der Beschreibung der didaktischen Implikationen, die
sich aus den gewonnenen Versuchsergebnissen ableiten lassen.
Die Kurse von Lingua Tedesca an der Pisaner Fakultät Lingue e Letterature
Straniere bestehen aus zwei Typen von Lehrveranstaltungen: aus den
Sprachkursen, d.h. den Lektoratskursen, bei denen Grammatik, Phonetik,
Lese- und Hörverstehen sowie «Freies Schreiben» geübt werden, und aus
einem sprachwissenschaftlichen Kurs, der der Vermittlung von theore-
tischen Kenntnissen über die Struktur und die Verwendung der deutschen
Sprache gewidmet ist.
In beiden Lehrveranstaltungstypen spielt das Lesen eine wichtige Rolle,
wobei dieses nicht als eine isolierte rezeptive Sprachkompetenz, d.h. als
«die Fähigkeit des Dekodierens gedruckter fremdsprachlicher Texte»9,
interpretiert wird, sondern als Wahrnehmungs- und Kognitionsprozess, bei
dem auch andere sprachliche und kognitive Kompetenzen bzw.
8Vgl. ibidem.
9 Neuner, Gerd (1980). Lesen und Leseverstehen im kommunikativen Fremdsprachen-
unterricht. In: von Faber, Helm / Eichheim, Hubert / Maley, Alan (Hg).
Leseverstehen im Fremdsprachenunterricht. Protokoll eines Werkstattgesprächs des Goethe-
Instituts Paris und des British Council Paris. München, S. 98-111, hier S. 100.
60
LESEVERSTEHEN
Stuttgart, S. 399.
61
Sabrina Ballestracci
13
Vgl. Lewandowski, Theodor (Hg.) (19946). Linguistisches Wörterbuch. Heidelberg /
Wiesbaden. S. 656.
14 «La lettura rappresenta un processo di ipotesi che poggiano su basi grammaticali
Leseverstehens für Deutsch als Fremdsprache. O. S. Der zitierte Satz bezieht sich
62
LESEVERSTEHEN
63
Sabrina Ballestracci
erfolgt die Einführung des Begriffs der Verbvalenz, verstanden als die
«Fähigkeit [des Verbs], syntaktische Leerstellen zu eröffnen, die durch
bestimmte Satzgliedkategorien gefüllt werden müssen, wenn das Verb als
Prädikat im Satz dient».17 Auf das Modell der Valenzgrammatik stützt sich
die nachfolgende Beschreibung der Funktion der Satzglieder. Bei der
formalen Unterscheidung zwischen Satzglied, Attribut und Wortgruppe
greift man hingegen auf Begriffe der Textgrammatik von Weinrich zurück:
Eine gewisse Aufmerksamkeit wird dabei jenen Strukturen gewidmet, die
als Satzglieder oder Attribut vorkommen können, d.h. Nominalklammern,
Adjunktklammern, Präpositionalphrasen und Pronomina. In den letzten
Unterrichtssitzungen werden hingegen die Sprachmittel der deutschen
Sprache vermittelt, die zum Ausdruck der räumlichen, zeitlichen und
kausalen Kohärenz dienen. Dabei werden Begriffe der traditionellen
Grammatik (Präposition, Adverb, Konjunktion), der Textgrammatik
(Verbalklammer, Nominalklammer), sowie neuerer Ansätze wie zum
Beispiel der Duden-Grammatik sowie der IDS-Grammatikbeschreibungen
(Zeit-, Raum- und Kausalangaben) mit einbezogen.
64
LESEVERSTEHEN
grammatischer Bereich, bei dem sich das Auftreten solcher Strategien mit
einer gewissen Evidenz untersuchen lässt, ist jener der kausalen Kohärenz.
Die Studierenden haben zum Zeitpunkt der Untersuchung das Ende des
ersten Studienjahres erreicht, d.h. im Unterricht sind ihnen bereits die
wichtigsten Grundstrukturen des Deutschen vermittelt worden, so dass sie
mehr oder weniger imstande sein sollten, diese Strukturen in Originaltexten
zu erkennen.
Der Bereich der kausalen Kohärenz stellt auch deswegen ein
interessantes Untersuchungsfeld dar, weil deren Bearbeitung nicht nur die
grammatischen Kenntnisse, sondern auch das Weltwissen aktiviert: Durch
kausale Verhältnisse werden nicht nur grammatische Relationen, sondern
auch Ereignisse der Wirklichkeit in einen logischen Zusammenhang
gestellt. Hier ist das Verhältnis zwischen grammatischer Kompetenz und
Weltwissen ein sehr enges und subtiles: Einerseits ermöglichen die
erlernten Strukturen den Studierenden, sich beim Textverstehen eine
Orientierung zu verschaffen; andererseits benützen die Lerner ihr
Weltwissen, um die Bedeutung von Strukturen, die sie noch nicht kennen
oder nicht erkennen können zu inferieren.
Beim Versuch wurden die Rezeption und die Produktion der kausalen
Verknüpfungsmittel durch Studierende des zweiten Semesters innerhalb
eines achtstündigen Moduls zur kausalen Kohärenz untersucht. Dabei
werden nicht nur – traditionell ausgedrückt – kausale Verhältnisse im
engeren Sinne, sondern auch finale und konditionale Zusammenhänge als
kausal interpretiert18.
Das Experiment besteht aus drei Phasen:
65
Sabrina Ballestracci
66
LESEVERSTEHEN
40
30
20
10
0
*
er …z u
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/d
en
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sw
de
Graphik 1. Anzahl und Typologie der verwendeten Strukturen bei der Übersetzung
italienischer Sätze ins Deutsche
Als Beispiel dafür gilt der Fall des Wortes damit, das zweimal auftritt,
nicht aber als finale Konjunktion sondern als kausales Adverb bei der
Übersetzung der italienischen Präpositionalphrase per questo motivo (aus
diesem Grund) benützt wird. Bsp.:
Piove forte. PER QUESTO MOTIVO Luca è rimasto a casa tutto il giorno.
Es stark regnet. DAMIT Luca den ganzen Tag zu Hause geblieben ist. (St.
10)
Es regnet stark. DAMIT ist Luca zu hause geblieben. (St. 17)
67
Sabrina Ballestracci
Dabei lässt sich das Auftreten einer Interferenz aus der Muttersprache
erkennen, da das Italienische eine einzige Struktur (se) hat, wo das Deutsche
wenn für Konditionalsätze und ob für indirekte Fragen besitzt.
Bei der Übersetzung deutscher Sätze ins Italienische (Graphik 2) lässt
sich weiter feststellen, dass die Lerner auch Schwierigkeiten bei der
Verwendung italienischer kausaler Strukturen haben. Dabei hat es den
Anschein, dass sie über ein beschränktes sprachliches Instrumentarium
kausaler Sprachmittel verfügen. Einige Strukturen werden mit relativ großer
Häufigkeit benützt, wie beispielsweise die kausalen Präpositionalphrasen per
questo / per questo motivo / per questa ragione (18), die kausale Präposition per
(17) und die konditionalen Adverbien allora / così (16). Unter den
Konjunktionen sind das finale affinché (9) und die kausalen Bindewörter
poiché / dato che (9) die am häufigsten vorkommenden Ausdrucksmittel.
In einigen normwidrigen Fällen lässt sich vermuten, dass das Problem
eher bei der Interpretation der deutschen Struktur als bei der Übersetzung
durch das richtige italienische Wort liegt, wodurch es auch erklärbar
scheint, dass in 17 Fällen keine Übersetzung erstellt wurde. Zu den nicht
übersetzten Strukturen gehören die finalen Konjunktionen damit (4) und
um…zu (2), die kausale Konjunktion denn (3), das kausale Adverb deswegen
(3), das finale Adverb dazu (3) und das konditionale Adverb dann (2).
Interessante Strategien lassen sich bei den Übersetzungen der finalen
Konjunktion damit und des finalen Adverbs dazu beobachten, wobei
italienische Strukturen, die zur Kausalität im weiteren Sinne gehören,
verwendet werden, um finale Verhältnisse auszudrücken:
Ich möchte viel Geld verdienen. DAZU muss ich sehr viel arbeiten.
Vorrei guadagnare molti soldi. PER QUESTO MOTIVO dovrei lavorare molto
di più. (St. 10)
68
LESEVERSTEHEN
Graphik 2. Aufgabe b. Anzahl und Typologie der verwendeten Strukturen bei der
Übersetzung deutscher Sätze ins Italienische
69
Sabrina Ballestracci
70
LESEVERSTEHEN
20Ibidem.
21 Dabei werden auch kontrastive Beobachtungen zum Deutschen und
Italienischen angestellt; die Beschreibung der Ähnlichkeiten und Unterschiede
geht hier aber nicht in die Tiefe der syntaktischen Strukturen, deren Darstellung
Gegenstand des zweiten akademischen Jahres ist, sondern betrifft vor allem den
Vergleich von Ausdruckskategorien bzw. -modalitäten.
71
Sabrina Ballestracci
22 Dabei handelt es sich um ein kleines Korpus von Texten, das für die
Studierenden am Anfang des akademischen Jahres zur Verfügung gestellt wird.
Das Korpus enthält jedes Jahr ungefähr 20 Texte verschiedener Textsorten, u.a.
Werbetexte, Zeitungsartikel, Gedichte, Erzählungen, Märchen, Gebrauchs-
anweisungen.
72
LESEVERSTEHEN
73
Sabrina Ballestracci
Graphik 3. Aufgabe a. Anzahl und Typologie der verwendeten Strukturen bei der
Übersetzung italienischer Sätze ins Deutsche
Graphik 4. Aufgabe b. Anzahl und Typologie der verwendeten Strukturen bei der
Übersetzung deutscher Sätze ins Italienische
Bei der Auseinandersetzung mit dem Text zeigt sich hingegen ein
positives Phänomen. Die Möglichkeit, sich auf einen Kontext zu beziehen,
74
LESEVERSTEHEN
erweist sich für die Lerner als ein hilfreiches Mittel zur korrekten
Interpretation des ausgedrückten kausalen Verhältnisses: Bei der
Textanalyse und beim «Freien Schreiben» werden die bei der Übersetzung
normwidrig verwendeten Strukturen als normkonform erkannt bzw.
benutzt. Im rezeptiven Teil sollen die Studierenden nicht nur die kausalen
Strukturen, die im Text vorkommen, unterstreichen, sondern auch die
kausalen Verhältnisse beschreiben, die durch diese Strukturen zwischen
den im Text auftretenden Ereignissen geschaffen wurden. Dabei bereitet
ihnen das Erkennen kausaler Strukturen diesmal keine allzu großen
Schwierigkeiten mehr: Fast alle Studierenden sind jetzt imstande, kausale
Strukturen zu erkennen, die sie im vorhergehenden Test nicht als solche
identifizieren konnten, z.B.: die Bestimmung des Bezugsereignisses bei
Adverbien wie daher, deswegen. Beim «Freien Schreibens» werden mehr als
doppelt so viele Strukturen (47) verwendet wie im produktiven Teil des
ersten Tests (23).
Große Schwierigkeiten haben hingegen noch einige Probanden: Das
Auftreten von Generalisierungsphänomenen bestätigt hier, dass die
ermittelten Strukturen noch nicht ganz verinnerlicht sind. Andere
Schwierigkeiten kommen außerdem bei der Übersetzung besonderer
kausaler Strukturen vor (z.B. ital. gerundio).
Aus der Analyse der Antworten auf die theoretische Frage zum Begriff
«Kausalität» ergibt sich, dass fast alle Studierenden zu diesem Zeitpunkt
imstande sind, eine klare Definition von Kausalität zu liefern.
75
Sabrina Ballestracci
23Siehe dazu Sitta, Horst (2000). «Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…». In:
Foschi Albert, Marina / Hepp, Marianne (Hg.). Germanistische Linguistik und
Spracherwerb an den italienischen Universitäten. Pisa, S. 107-124.
76
LESEVERSTEHEN
BIBLIOGRAPHISCHE HINWEISE
77
Sabrina Ballestracci
Helbig, Gerhard (1999). Was ist und was soll eine Lern(er)-Grammatik? In:
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Helbig, Gerhard (2003). Kognitive Linguistik – Bemerkungen zu Anliegen
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Fremdsprache. Ein internationales Handbuch. Handbücher zur Sprach- und
Kommunikationswissenschaft. Berlin/New York. 2 Bd., Bd. II/2, S. 901-908.
Neuner, Gerd (1980). Lesen und Leseverstehen im kommunikativen
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gesprächs des Goethe-Instituts Paris und des British Council Paris. München, S. 98-
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Roche, Jochen (2005). Fremdsprachenerwerb Fremdsprachendidaktik.
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Sitta, Horst (2000). «Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…». In:
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Fremdsprache. Eine empirische Untersuchung am Beispiel der italienischsprachigen
Schweiz. Tübingen.
Weinrich, Harald (1993). Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim
/ Leipzig / Wien / Zürich.
78
DIE SEMIOTISCHE ANALYSE DER WERBETEXTE ALS
DIDAKTISCHE STRATEGIE ZUR FÖRDERUNG DES
LESEVERSTEHENS
1
Eggert (2007:67).
2
Vgl. hierzu Adamczak-Krysztofowicz (2003: 96).
3
Adamczak-Krysztofowicz (2003: 81).
4
Adamczak-Krysztofowicz (2003: 96).
80
SEMIOTISCHE ANALYSE
81
Gabriela Goraça
Die Übungen vor und nach dem Lesen, die für die Projektarbeit mit
Werbetexten vorgeschlagen worden sind, ähneln den Übungen, die im
traditionellen DaF-Unterricht in Polen angewandt werden.
5
Komorowska (1999: 161).
6
Vgl. hierzu Komorowska (1999: 189).
82
SEMIOTISCHE ANALYSE
The semiological approach […] suggests that the meaning of an ad does not
float on the surface just waiting to be internalized by the viewer, but is built
up out of the ways that different signs are organized and related to each
other, both within the ad and through external references to wider belief
systems. More specifically, for advertising to create meaning, the reader or the
viewer has to do some ‘work’. Because the meaning is not lying there on the
page, one has to make an effort to grasp it9.
Das Gesagte erhellt, dass die Werbung durch den Einsatz von
unterschiedlichen Zeichen, die miteinander verbunden und einander
angepasst sind, auf das Unterbewusstsein des potenziellen Kunden wirkt.
Der Mensch behält das Produkt nämlich besser im Kopf, wenn er es z.B.
mit bestimmter Musik und entsprechenden Bildern assoziieren kann. Die
Kombination von sprachlichen und außersprachlichen Zeichen macht
Werbung zur spezifischen und zugleich effektiven Art der
Kommunikation.
Die semiotische Analyse von Werbetexten sollte demnach sowohl die
Beschreibung der Zeichen als auch ihre Wirkung umfassen. Daher muss die
Auswertung von Reklametexten bezüglich aller Zeichensysteme auf zwei
Ebenen erfolgen; und zwar auf einer denotativen wie auf einer
konnotativen Dimension.
7
Bernsau (2009: 2).
8 Es wurden auch musikalische Elemente in die semiotische Analyse einbezogen,
da mediale Texte ebenfalls in Betracht gezogen werden. Werbetexte liest man
beispielsweise auch im Fernsehen und diesen Prozess begleitet sehr oft Musik.
Neben den musikalischen Mitteln werden in der Analyse aus demselben Grunde
prosodische sowie körpersprachliche Elemente berücksichtigt.
9 Leiss et al. (1990: 201-202).
83
Gabriela Goraça
In der denotativen Dimension werden die Fragen nach der Form und
dem Aufbau des Zeichens gestellt. Auf der konnotativen Ebene werden
dagegen Assoziationen, versteckte Mitteilungen, der eigentliche Sinn der
Werbebotschaft ausgewertet10.
Bevor man jedoch einzelne Zeichen analysiert, sind noch die
Werbeziele, Werbesender und Werbeempfänger zu nennen. Diese
Informationen determinieren nämlich die Art und Weise, wie die Werbung
konstruiert und mit welchen Mitteln sie ausgedrückt wird.
Werbeziele sollten in engem Zusammenhang mit der Werbungsart
genannt werden. Zu den Hauptarten der Werbung, welche die Ziel-
bestimmung bedingen, gehören: kommerzielle Werbung (mit dem
wesentlichsten Ziel zu verkaufen), politische Werbung (mit dem Ziel, z.B.
zur Wahl einer Partei zu überzeugen) sowie soziale Werbung (mit dem Ziel,
soziales Verhalten oder gesellschaftliche Einstellungen zu ändern). Danach
werden die Werbesender beschrieben. Hierzu sollten sowohl Primärsender
als auch Sekundärsender in Betracht gezogen werden. Unter Primärsender
werden das werbende Unternehmen und die Werbeagentur verstanden,
unter Sekundärsender alle in der Werbung auftretenden Schauspieler.
Schließlich ist noch auf die Zielgruppe der Werbung hinzuweisen, wobei
die Eigenschaften der Empfänger (wie Geschlecht, Alter, Hobby, Gesund-
heitszustand, Beruf, Ausbildung, usw.) ausführlich dargelegt werden
sollten11.
84
SEMIOTISCHE ANALYSE
Es ist somit empfehlenswert, bei der semiotischen Analyse, die mit den
Schülern bzw. Studenten durchgeführt wird, zuerst von den allgemeinen
Informationen auszugehen, die sich auf den Aufbau des Textes beziehen
und dann erst zu Einzelheiten zu kommen (d.h. vor allem zur Frage,
welche Bedeutung die Struktur des Textes hat).
Das Wort in der Reklame ist mächtig. Daher ist oder sollte die Sprache
in Werbung variabel und interesseerweckend sein. Zwar wird manchmal
von der Werbesprache gesprochen, doch sollte sie nicht als eine
Fachsprache, sondern eher als eine eigenständige Varietät oder eine
Sondersprache aufgefasst werden12.
In der semiotischen Analyse sind auf der denotativen Ebene folgende
Fragen zu stellen:
12
Vgl. hierzu Stöckl (2007: 238).
13
vgl. hierzu Schatte (2009: 6).
85
Gabriela Goraça
Zunächst ist es somit relevant, den Aufbau und die Struktur des Textes
zu analysieren und dann erst zur Rhetorik und zu der Bedeutung der
angewandten Strukturen und demnach auch zu Funktionen der Sprache zu
kommen. Hierzu sollten folgende rhetorische Mittel der Werbetexte
(beispielsweise in Bezug auf ihre Funktionen) charakterisiert werden:14
14
Vgl. Stöger (2004: 27).
15 «Der Spiegel» Nr. 33/11.08.08, S. 34-35.
16 «Der Spiegel» Nr. 33/11.08.08, S. 13.
17 «Mobil. Das Magazin der Deutschen Bahn» Nr.09/2008, S. 97.
18 http://www.youtube.com/watch?v=p9hFbO2NoY8&NR=1 (26.04.2009).
19 «Mobil. Das Magazin der Deutschen Bahn» Nr. 09/2008, S. 97.
20 SP Nr. 33/11.08.08, S. 1 f.
21 SP Nr. 33/11.08.08, S. 159.
86
SEMIOTISCHE ANALYSE
eine bestimmte Bedeutung in einem Kode wiederzugeben, die auf andere Art
und Weise nicht wiedergegeben werden kann (poetische Funktion)22.
22
Vgl. hierzu Crystal (1997: 8 übersetzt von mir.).
23
Vgl. hierzu Fritz (1994:176 ff.).
24 Vgl. hierzu Kita (1999: 142).
25 Heringer (2004: 86).
87
Gabriela Goraça
26 Chandler (1994).
88
SEMIOTISCHE ANALYSE
3. ZUSAMMENFASSUNG
27
Vgl. hierzu Pfeiffer (2001: 122).
89
Gabriela Goraça
BIBLIOGRAPHISCHE HINWEISE
90
BILDLESEN – WIE ES IN DEN ERSTEN TEXTPRODUKTIONEN
ITALOPHONER LERNER REALISIERT WIRD
1. EINLEITUNG
2. ZU TEXT
92
BILDLESEN
eine begrenzte Folge von sprachlichen Zeichen, die in sich kohärent ist und
die als Ganzes eine erkennbare kommunikative Funktion signalisiert.2
93
Marc Träbert
Verben normalerweise implizit ist, aber in der Form es gibt expliziert wird.
94
BILDLESEN
EXIST R1 W1 → R25
3. ZU RAUM
5 R2 fasst hier alle weiteren Referenten (Frau, Kind) als eine Entität zusammen.
95
Marc Träbert
96
BILDLESEN
Mit Ausdrücken wie im Vordergrund und auf der rechten Seite werden
Objekte bildbezogen lokalisiert, während die anderen Ausdrücke sich allein
auf abgebildete Objekte beziehen. Objektbezogene und bildbezogene
Lokalisierungen wechseln also den Referenzrahmen.
97
Marc Träbert
(1) Es gibt ein Haus. (2) Drei Personen machen ein Picknick unter den Bäumen
keine Kohärenz vor: (1) ist eine nicht-lokale, (2) hingegen eine lokale
Angabe.
Das Korpus befindet sich noch im Aufbau. Insofern besteht die
eigentliche Arbeit darin, diese Analysekriterien im Hinblick auf zu
formulierende Könnensstufen zusammenzufügen. Die im Folgenden
präsentierten Ergebnisse zeugen von dieser Arbeit.
98
BILDLESEN
99
Marc Träbert
100
BILDLESEN
Hinsichtlich der Verben fällt zunächst der häufige Gebrauch von es gibt
auf, z.B. Es gibt eine house. Bei Gruppe 1 schließt sich an es gibt in über 60%
der Fälle auch kein räumlicher Ausdruck an. Bei der Fortgeschrittenen--
gruppe ist das Verhältnis umgekehrt. Knapp 65% der Verwendungen von
es gibt stehen in Zusammenhang mit räumlichen Ausdrücken (z.B. in der
Parkplatz gibt es ein Auto).
Eine Erklärung dafür kann in dem noch wenig entwickelten Lexikon
der Anfänger liegen. Eine andere Erklärung kann mit der Valenz der
benutzten Verben zusammenhängen. Auf die Verben fliegen, fahren, sitzen
mit insgesamt 14 Verwendungen folgen bis auf zwei Fälle räumliche
Ausdrücke. Auch das Verb sein als Alternative zu es gibt wird in beiden
Gruppen zu jeweils 70% räumlich verwendet. Allerdings wurden Sätze wie:
101
Marc Träbert
hängt. Anscheinend ist den Lernern klar, dass EXIST eine referentielle
Einführung darstellt. In 45 von 97 Fällen wurde es gibt mit indefiniten
Artikel (im Singular) «normkonformerweise» zur Einführung eines
Referenten verwendet.9 Dagegen kam es gibt nur fünfmal mit definiten
Artikel als Einführung eines Referenten vor (Gruppe 1: 3x; Gruppe 2: 2x).
In keinem Fall wurde der erste Referent am Textbeginn «fälschlicherweise»
mit einem definiten Artikel eingeführt. Der erste Satz lautete also niemals
wie Es gibt das Haus. Zudem wurde in keinem Fall der indefinite Artikel für
einen referentiell wiederaufgenommenen Referenten benutzt. Es wurde
also niemals formuliert
Es gibt ein Haus. In der Nähe von einem Haus ist ein Auto.
Hingegen wurde mit allen Verben außer es gibt rigoros der definite
Artikel verwendet, und das hauptsächlich in lokalen Ausdrücken. Es wurde
also zur Einführung von Auto formuliert:
Es gibt ein Haus. In der Nähe von dem Haus ist das Auto.
Eine Erklärung dafür müsste sicherlich von zwei Seiten ansetzen: zum
einen von der Muttersprache Italienisch her und zum anderen bezüglich
des Performanzaspektes bei der Textproduktion. Hier kann es sein, dass
andere, eher wortgenerierende Entscheidungen beim Überprüfen und
Redigieren der mentalen und materiellen Textrepräsentation getroffen
werden mussten, z.B. bei der Formulierung einer lokalen Angabe, und die
Funktionalität des Artikels dabei sozusagen unter den Tisch fiel. Auf eine
weitere mögliche Ursache macht Studer (2001) aufmerksam. Der
bestimmte Artikel könnte von den Lernern «gewissermaßen als ein
Prototyp des Artikels» (S. 371) aufgefasst werden, wodurch sich indirekt auch
wieder die Wort-für-Wort-Übersetzung der Lerner bestätigen würde und im
übrigen auch eine nicht-textbezogene didaktische Praxis. Vor dem
Hintergrund der oben erwähnten Valenz als didaktisches Mittel folgt daraus,
dass ein übungsbezogenes didaktisches Verwendungsverbot von es gibt die
Lerner zwar zur Formulierung von lokalen Angaben «zwingt» und damit die
Wahrscheinlichkeit von lokaler und thematischer Kohärenz erhöht, aber
dabei der Text hinsichtlich der Artikelfunktion Gefahr läuft inkohärent zu
werden. Bei dem Lernziel der Vermittlung von räumlichen Verben und
Präpositionen ist also Valenz ein Mittel und die referentielle Artikelfunktion
ein zu beachtender Aspekt, der ein weiteres Lernziel sein kann. Ein solches
102
BILDLESEN
Das beschriebene Bild (s. nächste Seite; Abb. 5) wurde von den
Probanden durch die Referenz auf folgende räumliche Kontexte versucht
in Sprache zu fassen. Die Zahlen in Abb. 4 zeigen, wie oft ein Kontext mit
einem räumlichen Ausdruck sprachlich realisiert wurde. So wurde z.B. in
der Gruppe 1 der Kontext f) Weg nur einmal räumlich kohärent (s.
Definition, Kap. 4) formuliert.
i) Haus und k) Wiese wurden meist als erste Referenten eingeführt, so dass
insbesondere das Haus in der Folge als Relatum und nicht mehr als
(lokales) Thema diente.
In Gruppe 1 bestand die Tendenz, die Kontexte mit in oder in der Nähe
zu beschreiben. Dies betrifft hauptsächlich die Kontexte a) Personen auf
der Wiese, h) Vögel und Himmel (je mit in) und g) Auto (mit in der Nähe).
Das führte zu Ausdrücken wie Eine Familie spazire gheen in dem Wiese
(gemeint wird: Eine Familie geht auf der Wiese spazieren!). In beiden Gruppen
fehlt die Präposition auf , bzw. ist der Umgang mit ihr sehr unsicher.
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Marc Träbert
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BILDLESEN
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Marc Träbert
In diese bild sieht man eine Hause mit drei Fensten, und in der rehan es gibt eine
Auto.10
Es gibt drei und zwei Bäume und under es gibt drei Personen.
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BILDLESEN
(1) Es gibt Haus mit 4 Fenste und der Weg. (2) Ein Auto neben das Haus.
(3) Es gibt 3 Bäume. (4) Die Wiese ist viele Blume.
(5) Es gibt Leute unter die Bäume. (6) Es gibt 2 familie. (7) Ein Kind mit seine
Mutter und sein Father spazieren gehen.
(8) Es gibt die Vögel i himmel. (P06)11
Bringt man in Satz (2) und Satz (5) die jeweiligen Referenz
wiederaufnehmenden Elemente ins Vorfeld, werden die referentiellen
Strukturen dieses Textes sehr viel klarer, also: Es gibt Haus mit 4 Fenste und
der Weg. Neben dem Haus ein Auto. Es gibt drei Bäume. [...] Unter die Bäume es gibt
Leute. Abgesehen von fehlenden Elementen, zeigt sich, dass das Festhalten
an der SVO-Struktur, Kohärenz beeinträchtigt. Es lässt sich aber in der
Gruppe 1 bei drei von 10 Texten beobachten, dass lokale Angaben ins
Vorfeld gebracht werden. Allerdings hier durchweg nicht referentiell
wiederaufnehmend. In der Gruppe 2 werden in 10 von 15 Texten lokale
Angaben ins Vorfeld gebracht, hier immer in wiederaufnehmender
Funktion. Ich werte dies als Entwicklungstendenz, die sich positiv mit der
Vermittlung von Pronominaladverbien beeinflussen lässt.
Im folgenden Beispiel ist es nicht nur die SVO-Struktur, die Kohärenz
beeinträchtigt, sondern ein Zusammennehmen von Referenten anhand
eines übergeordneten Aspektes.
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Marc Träbert
(1) Es gibt eine Hause. (2) Die Hause hat vier Fenste. (3) Est gibt ein Auto.
(4) Es gibt drei Bäume. (5) Es gibt acht personen. (6) Die personen sind über die
Wiese. (7) Der Weg fließt bis Nach die Hause. (8) Die Blume ist in die Wiese. (9)
Es gibt ein Barbecue. (10) Der Himmel ist weiß.
(11) Es gibt vier Männer, und vier Fräu. (12) Der Bild ist schwarz und weiß.
(13) Die Vogel sind in der Himmel.
(14) Das Auto ist in der Nähe von die Hause. (15) Drei personen sind in der
Nähe von die Baume. (16) Drei personen sind in der Nähe von zwei Baume und
ein Barbecue. (P11)
So sind in (5) die acht Personen über das gesamte Bild verteilt. Das
Kriterium, nach dem hier thematische Kohärenz, aber eben nicht lokale
Kohärenz, entsteht, lässt sich mit Quantität umschreiben. In (11) werden
diese Personen weiter spezifiziert nach dem Kriterium Geschlecht. Auch hier
ist es so, dass die Frauen und Männer in jeweils gemischten Gruppen über
das Bild verteilt sind. In diesem Fall wurde nicht einmal versucht, über
textliche Nähe Kohärenz herzustellen. Offenbar ist dieser Lerner sehr auf
die Objekte im Bild fixiert, und möchte sie möglichst vollständig erwähnen
und verorten, was sich in seinen weiteren Bildbeschreibungen als Prinzip
der Textstrukturierung fortsetzt.
Während im P06-Text räumliche Situationen zu einem Thema etabliert
werden, indem Objekte, die auf dem Bild eine Situation bilden, sprachlich
räumlich-kohärent realisiert werden, ist der P11-Text gänzlich nicht-
situativ, weil hier nicht nach räumlichen Kriterien gruppiert wird. Ein
weiterer weitgehend nicht-situativer Text entstand durch das Fokussieren
auf Formulierungen von Relativsatzstrukturen. Das Textbildungsprinzip
war hier also weder objekt-, noch bildorientiert, sondern syntaxbezogen.
Diese Texte sind eher Ausnahmen. Die Regel sind situativ entwickelte
Themen. In Gruppe 1 sind fünf von 10 Texten zumindest durch textliche
Nähe situativ angelegt. In Gruppe 2 sind acht von 15 Texte im obigen
Sinne situativ.
Bei drei Texten in der Gruppe 2 wird noch ein anderes Prinzip
deutlich. Indem durch quantitative Gruppierung möglichst viele Referenten
erwähnt werden, die dann mit einander in räumliche Relation gebracht
werden, entsteht der Eindruck, als wolle sich der Schreiber zunächst einen
Überblick verschaffen, um dann eher situativ die Referenten miteinander
zu verbinden. Oft entstehen hier sprachliche Schwierigkeiten, die
eingeführten Referenten wiederaufzunehmen, was bei drei Texten zu
Interpretationsproblemen führt. Diesen Typ kann man analytisch-
synthetisch nennen.
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BILDLESEN
7. ZUSAMMENFASSUNG
In den bisher untersuchten Texten stellte sich die Präposition in als der
Favorit heraus. Allerdings fällt es den Lernern offenbar schwer, auch mit in
dynamische Relationen auszudrücken. Das liegt oft an einem geeigneten
Verb, aber auch an dynamische Kontexte ausdrückende Präpositionen. Vor
allem wurden bei schwer zu identifizierenden Objekten einerseits
Ausdrucksschwierigkeiten oder gar -blockaden beobachtet (Gruppe 1),
andererseits aber auch recht kreative und syntaktisch komplexe
Formulierungen (Gruppe 2). Identifizierung wurde als ein Mittel des Lernziels
der Vermittlung von räumlichen Ausdrücken vorgeschlagen. Weitere
Vorschläge waren Pronominaladverbien und die Nutzung von Verbvalenz
unter Berücksichtigung der referentiellen Funktion des Artikels. Zur
Etablierung und auch Verbindung von Themen wurde die textliche Nähe als
schwächstes Mittel erkannt, welches möglicherweise Kennzeichen einer
ersten Könnensstufe ist. In beiden Gruppen ist die SVO-Struktur am
häufigsten. Im Unterschied zur Gruppe 1 können in Gruppe 2 aber viele
Lerner diese Struktur zu Gunsten von lokal-kohärenter Formulierungen
aufbrechen. Ein weiteres Mittel zur Herstellung von Kohärenz ist mit
Gruppierungen anhand z.B. quantitativer Aspekte gegeben. Im
Allgemeinen wurden durch die Trennung von lokaler und thematischer
Kohärenz situative, nicht situative und analytisch-synthetische Text-
bildungsmuster unterschieden. Bildbezogenheit und Objektbezogenheit
scheinen in den Lernertexten die einzigen Möglichkeiten zu sein, mit
räumlichen Ausdrücken Themen explizit miteinander zu verbinden. Diese
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Marc Träbert
BIBLIOGRAPHISCHE HINWEISE
110
BILDLESEN
111
Marc Träbert
(Hg.). Sprachkontakt, - vergleich, - variation. Festschrift für Gottfried Kode zum 65.
Geburtstag. Niemeyer.
Vater, Heinz (1996). Einführung in die Raum-Linguistik. 3. Aufl. Hürth:
Gabel (Kölner linguistische Arbeiten - Germanistik 24).
112
KOGNITION UND EMOTION BEI
REZEPTIONSSPEZIFISCHEN LERNPROZESSEN
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KOGNITION UND EMOTION
Gehirn bereits repräsentiert ist» (Lenk 2004: 22). Das heißt, die
Wahrnehmung, Speicherung und Verarbeitung geschieht auf der Grundlage
bereits vorhandener Schemata.
Von dem konstruktiven Charakter mentaler Repräsentation wird auch
in der aktuellen Textrezeptionsforschung ausgegangen (vgl. Mazza 2001,
Schramm 2001); und betrifft insbesondere die Einflussnahme von
Emotionen:
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Sabine Hoffmann
Betrachten wir nun aus dieser Perspektive das Lesen, gehört zu der
ersten Ebene das Mitlernen bzw. Mitlesen von Wörtern, das mit der
visuellen Wahrnehmung der Wortform, des Wortkörpers beginnt. Hier ist
auch das Wiedererkennen im Sinne von Mustererkennen möglich, ohne
dass zunächst explizit Bedeutungskategorien aufgebaut werden.
Anschließend helfen intralinguale, interlinguale und extralinguale Hinweise
und – wie oben schon erwähnt – Vorwissen, den Sinn auf der Textebene
zu erschließen. Allerdings kommt es dabei nicht, wie Rieder mehrfach
betont, zum Erwerb im Sinne von einer Speicherung im Langzeit-
gedächtnis. Die Wörter werden nur in dem Maße perzipiert, wie es für die
116
KOGNITION UND EMOTION
Texterschließung notwendig ist (Rieder 2002: 22). Sie verlassen damit den
vorbewussten Zustand, indem sich eine primäre Bedeutungsstruktur
aufbaut. Aber nur eine Verarbeitung der Wortbedeutung in höheren
Schichten der assoziativen Areale garantiert einen vielseitigen Zugriff auf
das gespeicherte Wissen und macht es wieder bewusst abrufbar (Lenk
2004: 294f., Rieder 2002: 40), denn die weitergehende Verflechtung durch
wesentliche Merkmale im Gehirn löst die Bedeutung von ihrem
kontextuellen Erklärungsrahmen:
Da der Fokus des Lesers primär auf der Textbedeutungsebene liegt, bewegt
sich der Erschließungsprozess auf der Ebene des mentalen Modells der
Textbedeutung und nicht auf der Denotationsebene. Um überhaupt
lexikalisches Bedeutungswissen aufzubauen, ist demnach ein zusätzlicher,
aktiver Schritt des Lerners von der Textbedeutungsebene zur
Wortbedeutungsebene notwendig (Rieder 2002: 38, Hervorhebung im
Original).
Fallbeispiele
117
Sabine Hoffmann
01 H was hat dir das proJEKT in bezug auf das DEUTSCHlernen gebracht, also
auch im vergleich zum wintersemester? bist du deinem ziel, VIEL und gut
deutsch zu sprechen näher gekommen? gibt es einen teil in der arbeit, der
dir in bezug auf dein lernziel, auf DIESES lernziel, besonders nützlich (.)
erscheint?
02 V certamente, perché magari uno leggendo più volte diverse diversi
argomenti:, cercando su internet impari soprattutto la comprensione dei
testi, e: anche a parlare diciamo magari:, a leggere dei testi con una migliore
pronunzia.
03 H quindi mm il discorso che, e di di leggere i testi e poi anche, quanto ho
capito, gli esercizi di:, quelli abbiamo fatto alla fine di lettura e: ti hanno
aiutato a avvicinarti a questo obiettivo di parlare meglio
04 V sì.
05 H o questi sono i due momenti che secondo te sono più utili´
06 V sì.
07 H ok, ähm, hast du lernfortschritte bemerkt? und ähm WIE hast du die
gemerkt? come hai notato che hai fatto progressi?
08 V (--) me l’ha fatto notare: e federica quando leggevo, che all’inizio: e poi
09 H quindi grazie a un commento di federica?
10 V sì, sì, sì.
11 H e altri momenti in cui hai notato:
12 V (--) no perché magari quando ho incominciato a cercare su internet o a
leggere il mio testo capivo di più di quello che: avrei capito all’inizio.
13 H cioè l’avevi: dici e: conoscevi più parole´
14 V conoscevo più parole´
aus 2. Fok. Interview Valerio
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KOGNITION UND EMOTION
03 H e e c’è un momento in cui c’è una, un esercizio o qualche cosa che tu hai
notato che era particolarmente utile per questo?
04 G sì, il fatto di dovere, per esempio, preparare la e: appunto la la mia
relazione e quindi, il diciamo, il dover e: diciamo appunto cercare le le
nuove parole perché diciamo era un un argomento fino ad ora mai
trattato in tedesco em e quindi diciamo ho conosciuto nuove parole e poi
rileggendole e: comunque, lavorando sempre sulle stesse parole alla fine
diciamo questo questo questa parte di vocabolario e: diciamo l’ho fatta
mia.
aus 2. Fok. Interview Geraldo
Durch die Gruppe hat der Student konkrete Hinweise für den eigenen
Lernprozess erhalten und diese für sich verwertet:
09 H ((…))
[quindi ti hanno corretto e ti è sembrato utile questo discorso]
10 G [sì, sì, sì] perché non non mi accorgevo io di appunto di fare questi errori,
invece così sono diciamo cosciente em e poi anche perché diciamo non ho
lavorato soltanto sul sul sulla mia relazione, ma anche su quella di altre
persone e quindi
11 H sei stato il tecnico di tutti diciamo. ((ride))
12 G e quindi, diciamo ho potuto anche vedere un po’ anche come come
scrivono gli altri, confrontare anche come scrivo io e quindi poi vedere
anche corrette tutte le relazioni, vedere anche gli errori e:, magari ho visto
e: cioè, un errore che io non non facevo, però diciamo non avevo fatto,
non ci avevo mai pensato, magari ho visto:, l’ho visto: fatto in un’altra
relazione e l’ho visto corretto e ho pensato e: diciamo che: che potevo farlo
anche io perché non: ecco
13 H quindi vedendo gli errori degli altri o le cose degli altri tu ti sei autocorretto´
sì.
14 G
aus 2. Fok. Interview Geraldo
119
Sabine Hoffmann
120
KOGNITION UND EMOTION
sul, ho notato, ho notato che: nelle prove di lettura, anche dopo, cioè avevo
quell’interesse a leggere e a: migliorarmi e proprio anche le prove di lettura
sono state fondamentali per me perché ho capito che leggendo più volte
una cosa, un un testo si impara sia a pronunciarle e si si ricordano poi le
parole, anche oggi durante la lezione mi è venuta una parola che ho usato
nel testo che ho scritto e che è unsicherheit quindi cioè molti nuovi concetti
sono: entrati nella mia testa e e poi anche la presentazione, non ho avuto
così tanta ansia, devo dire la verità, anche: anche se c’erano due insegnanti
comunque non è stato così trAgico poi.
anche la riflessione, tu dici, sul diario ha è un aiuto per
17 H [per pensare anche]
[p