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342 ZGL 30.

2002, 342–355

Shinji Watanabe

Zur Deixis von kommen, bringen und mitbringen1

In this article the author examines the condition under which the deictic constraint of
kommen, bringen and mitbringen is canceled. As for kommen, it is claimed that the con-
dition of the cancellation stated in Rauh (1981), i.e., an explicit co-occurrence of a
GOAL-phrase, can be applied only to unintentional kommen but not to intentional kom-
men. It is further claimed that for bringen, an explicit co-occurrence of a GOAL-phrase
either with a dative or PP complement suffices for a cancellation of the deictic con-
straint, while for mitbringen only a dative complement is valid for the cancellation. Fi-
nally, the author argues the cancellations in terms of the semantics of the verbs.

1. Einleitung
2. Deiktische Bedingung von kommen
3. Deiktische bzw. nichtdeiktische Verwendungsweise von kommen bei Di Meola (1994)
4. Intentionalität
5. Bedingung der Neutralisierung von kommen
6. Paraphrasemöglichkeit von nichtintentionalem kommen
7. Bedingung der Neutralisierung von bringen und mitbringen
8. Neutralisierung und Aspekte der Semantik von kommen, bringen und mitbringen
9. Schlußbemerkung
10. Literatur

1. Einleitung
Bestimmte Verben im Deutschen sind bekannt dafür, daß sie deiktischen Cha-
rakter aufweisen. Sie werden daher manchmal als deiktische Verben bezeich-
net. Die am häufigsten erwähnten deiktischen Verben sind gehen und kommen.
Allerdings haben auch bringen und mitbringen deiktischen Charakter, obwohl
ihnen weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird. Der deiktische Charakter die-
ser Verben liegt darin, daß für ihren Gebrauch bestimmte Bedingungen erfüllt
sein müssen, zu denen Elemente gehören, die mit deiktischen Ausdrücken zu-
sammenhängen: Sprecher (ich), Hörer (du), Sprechzeit (jetzt) und der Ort, wo
sich der Sprecher zur Sprechzeit befindet (hier).2 Die deiktischen Verben sind
aber von den üblichen deiktischen Ausdrücken wie ich, hier und jetzt zu unter-
scheiden, weil die letzteren, nicht aber die ersteren referieren. Die Funktion

1 Der kommen behandelnde Teil dieses Aufsatzes ist eine überarbeitete Version von
Watanabe (1986, 1993, 1994), der (mit)bringen thematisierende eine überarbeitete
Version von Watanabe (1985). Bei den Herausgebern bedanke ich mich herzlich für
wertvolle Hinweise und Anregungen.
2 Auch geben und nehmen werden manchmal als deiktische Verben bezeichnet. Aber
diese Verben sind m.E. nicht deiktisch, weil sie in bezug auf die Person keine Be-
schränkung aufweisen. (i) und (ii) sind z.B. beide akzeptabel:
(i) Ich habe ihm das Buch gegeben/genommen.
(ii) Er hat mir das Buch gegeben/genommen.

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der Sprechsituation ist also anders. Bei den deiktischen Verben hängt sie mit
der Gebrauchsbedingung zusammen, bei den übrigen deiktischen Ausdrücken
dagegen mit dem Gelingen der Referenz.3
Die deiktischen Verben verhalten sich aber nicht immer deiktisch. Sie las-
sen sich unter bestimmten Voraussetzungen auch dann gebrauchen, wenn die
deiktische Bedingung nicht erfüllt ist. Der vorliegende Aufsatz setzt sich nun
zum Ziel, in bezug auf kommen, bringen und mitbringen die Voraussetzungen
herauszufinden, unter denen die deiktische Bedingung aufgehoben wird. Die
Aufhebung der deiktischen Bedingung wird in diesem Aufsatz, Rauh (1981)
folgend, abkürzend Neutralisierung genannt. Das Ergebnis wird dann mit
einigen Aspekten der Semantik der Verben in Zusammenhang gebracht. Der
größte Teil dieses Aufsatzes ist der Untersuchung von kommen gewidmet, weil
die Neutralisierung von kommen bei weitem am kompliziertesten ist. Es wird
sich aber herausstellen, daß die Bedingungen der Neutralisierung für kommen,
bringen und mitbringen zwar nicht identisch sind, aber miteinander zusammen-
hängen. Im übrigen werden nur solche Fälle in Betracht gezogen, in denen die
Verben die konkrete Bewegung eines Menschen bezeichnen.

2. Deiktische Bedingung von kommen


In bezug auf das englische Bewegungsverb come bemerkt Fillmore (1972), daß
für seinen Gebrauch wenigstens eine der folgenden Bedingungen erfüllt sein
muß:
(A) Der Sprecher ist zur Sprechzeit am Zielort.
(B) Der Sprecher ist zur Referenzzeit am Zielort.
(C) Der Hörer ist zur Sprechzeit am Zielort.
(D) Der Hörer ist zur Referenzzeit am Zielort.
Mit welcher Deixis die jeweiligen Bedingungen von (A) bis (D) in Zusammen-
hang stehen, ist aber unterschiedlich: Levinson (1983, 84) bemerkt, (1) anfüh-
rend, in dem nur (B) erfüllt sein soll: „Such a usage is still ultimately deictic, in
that it makes reference to participant-role, but it is not directly place-deictic (in
that there is no anchorage to the location of the present speech event).“
(1) When I am in the office, you can come to see me.
Nach Levinson würde dann ferner (A) mit Personal-, Temporal- und Lokal-
deixis (ich, jetzt und hier), (C) mit Personal- und Temporaldeixis (du und jetzt)
und (D) nur mit Personaldeixis (du) in Zusammenhang stehen.
Rauh (1981) weist nun an Fillmore (1972) anschließend darauf hin, daß
diese Bedingung im Prinzip auch für kommen gilt: (2) ist z.B. akzeptabel, wenn
Bedingung (A) und/oder (B) erfüllt ist, d.h., der Zielort ist entweder der Ort,

3 Man könnte in dieser Hinsicht wohl sagen, daß der deiktische Charakter von deik-
tischen Verben sekundärer Natur ist.

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wo sich der Sprecher zur Sprechzeit befindet = (A) (wenn der Sprecher dort
bleibt, um den Hörer zu treffen, dann ist (B) gleichzeitig erfüllt), oder z.B. der
Ort, an den sich der Sprecher gleich begibt, um den Hörer zu treffen = (B) (in
diesem Fall ist (A) nicht erfüllt):4
(2) Kommen Sie gleich! (am Telefon)
Über den Status dieses deiktischen Charakters von kommen bemerkt Di Meola
(1994, 41) übrigens zutreffend: „Das Ziel der Bewegung ist in der deiktischen
Bedeutung des Verbs kommen bereits enthalten.“
Soweit scheint die deiktische Bedingung von kommen mit derjenigen von
come genau übereinzustimmen. Aber bei näherer Betrachtung kann man Un-
terschiede feststellen. Rauh bemerkt nämlich, daß, auch wenn keine der oben
angeführten deiktischen Bedingungen erfüllt ist, sich kommen im Gegensatz zu
come gebrauchen läßt, sobald im Satz explizit eine GOAL-Angabe vorkommt.
Wo sich der Sprecher bzw. der Hörer wann befindet, ist dann für den Ge-
brauch von kommen irrelevant. Somit verhält sich kommen nicht mehr deik-
tisch. Rauh (1981, 59) nennt diese Aufhebung der deiktischen Bedingung
neut ral i zat i on of dei cti c c h a ra c t e r, der ich hier folge. (3a–c) sind von
Rauh (1981, 58ff.) angeführte Beispiele, in denen die Neutralisierung in Kraft
ist: Sie sind akzeptabel, auch wenn der Sprecher bzw. der Hörer sich weder
in der Vergangenheit noch zur Sprechzeit noch in der Zukunft am Zielort be-
findet:
(3a) Bill kommt von London nach New York.
(3b) Der Händler kommt jeden Samstag von Hamburg nach Göttingen.
(3c) Ich bin noch nie nach Japan gekommen.
(4a–d) sind weitere Beispiele für Neutralisierung, die Dramen entnommen
sind. Auch hier ist die deiktische Bedingung nicht erfüllt. Sie sind trotzdem ak-
zeptabel, weil nach Rauh bei Vorhandensein einer expliziten GOAL-Angabe
die Neutralisierung in Kraft ist:
(4a) Wie komme ich nun am besten in das Café Klubs? (Rund, 110)
(4b) Bis zur Wache bin ich gar nicht gekommen. Die Polizei ist schon da.
(Drei, 74)
(4c) Du brauchst nicht drängen, du kommst schon zum Wagen. (Mutter, 51)
(4d) Bis wir auf den eigentlichen Kriegsschauplatz kommen, wird’s wohl be-
trächtlich länger dauern. (Worte, 12)
Rauhs Behauptung trifft aber nicht immer zu. Es gibt nämlich Fälle, in denen
der Gebrauch von kommen auch dann nicht akzeptabel ist, wenn im Satz ex-
plizit eine GOAL-Angabe vorkommt. (5a–c) sind Beispiele, in denen keine der

4 Bei (1) kann übrigens Bedingung (D) nicht erfüllt sein, weil sich der Hörer nicht
selbst am Zielort befinden kann, wenn er ankommt. Auch (C) nicht, weil gleich im-
pliziert, daß der Hörer den Ort verläßt, wo er sich jetzt befindet.

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deiktischen Bedingungen erfüllt sein soll. Die Sätze müßten aber nach Rauh
mit einer expliziten GOAL-Angabe akzeptabel sein. Dennoch sind sie es nicht:
(5a) *Kommen Sie gleich zum Bahnhof und erkundigen sich danach!
(Der Sprecher befindet sich nicht am Bahnhof.)
(5b) *Ich habe mich entschlossen, an Ihrer Stelle zur Konferenz zu kommen.5
(5c) *Seine Frau hat ihn gebeten, dafür zu irgendeinem Fachmann zu kommen.
Daraus folgt, daß eine explizite GOAL-Angabe keine ausreichende Bedingung
für die Neutralisierung ist.6 Es muß noch ein anderer Faktor beteiligt sein.
Was steuert also den Unterschied zwischen der Akzeptabilität von (3) und (4)
einerseits und der Inakzeptabilität von (5) andererseits? Mit anderen Worten,
warum ist die Neutralisierung bei (3) und (4) möglich und warum bei (5) nicht?
Bevor ich aber darauf eingehe, soll erörtert werden, was Di Meola (1994), der
gehen und kommen ausführlich behandelt, zum oben skizzierten Problem zu
bemerken hat.

3. Deiktische bzw. nichtdeiktische Verwendungsweise von kommen bei


Di Meola (1994)
Di Meola unterscheidet in bezug auf kommen, das eine konkrete Bewegung be-
zeichnet, zwischen einer deiktischen und einer nichtdeiktischen Verwendungs-
weise7. Für die deiktische Verwendungsweise führt er aber nur einzelne Fälle an
und geht auf das wesentliche Problem nicht ein: was für ein Merkmal hat die
deiktische Verwendungsweise von kommen, durch das sie sich von der nicht-
deiktischen Verwendungsweise unterscheidet? Das gleiche Problem besteht
auch bei seiner Betrachtung der nichtdeiktischen Verwendungsweise von kom-
men, die er anhand von Merkmalen in folgende vier Klassen subklassifiziert:
Tab. 1: (Di Meola1994, 62)

1. Weg +aktiv +intentional +unbedingt +fokussiert


2. Hindernis +aktiv +intentional - unbedingt +fokussiert
3. Zufall +aktiv - intentional - unbedingt +fokussiert
4. Transport - aktiv - intentional - unbedingt +fokussiert

5 Die Konferenz sei noch nicht eröffnet und der Hörer gehe nicht zur Konferenz.
6 Di Meola (1994, 66) bemerkt, daß die Neutralisierung nicht nur durch eine GOAL-
Angabe, sondern auch durch eine SOURCE- bzw. PATH-Angabe möglich ist. Dies
ist m.E. richtig, aber es scheint eine gewisse Beschränkung zu bestehen, worauf ich
hier nicht eingehe.
7 Di Meola spricht von ‚deiktischer bzw. nichtdeiktischer Verwendungsweise von
kommen‘. Es ist aber wichtig zu unterscheiden zwischen deiktischem kommen und
dem in der Situation gebrauchten kommen, in der die deiktische Bedingung erfüllt
ist. Denn nichtdeiktisches kommen ist natürlich ebenfalls in der Situation zu gebrau-
chen, in der die deiktische Bedingung erfüllt ist. ‚deiktische bzw. nichtdeiktische
Verwendungsweise von kommen‘ ist im Sinne von deiktischem bzw. nichtdeikti-
schem kommen zu verstehen.

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(6a–d) sind jeweilige Beispiele von Di Meola (1994, 64ff.); aber wiederum ist
nicht erörtert, was für einen Charakter diese vier Klassen gemeinsam ha-
ben, durch den sie sich von der deiktischen Verwendungsweise unterscheiden
lassen:
(6a) Entschuldigen Sie, wie komme ich zur nächsten Telefonzelle? (1. Weg)
(6b) Wie bist du bloß ohne Schlüssel in die Wohnung gekommen? (2. Hindernis)
(6c) Bei der Party ist er neben Petra zu sitzen gekommen. (3. Zufall)
(6d) Der Krebskranke im letzten Stadium kam in eine Spezialklinik. (4. Trans-
port)
Auf das folgend wiedergegebene Diagramm 1 hinweisend bemerkt Di Meola
(1994, 60) allerdings zur Unterscheidung zwischen deiktischem und nichtdeik-
tischem kommen: „Die drei wichtigsten Verwendungsweisen des Verbs kommen
lassen sich durch ein Diagramm zusammenfassend darstellen“.

Annäherung Ankunft Ankunft


(deiktisch) (deiktisch) (nichtdeiktisch)
Diagramm 1

Das Diagramm zeigt aber nicht, was zwischen deiktischem und nichtdeikti-
schem kommen unterscheidet, weil ‚Ankunft‘ in beiden vorkommt. Di Meola
läßt also die Antwort auf die Frage offen, worin der Unterschied zwischen den
beiden Verwendungsweisen von kommen liegt. Nun komme ich zu unserer
Antwort, die in den folgenden Abschnitten ausführlich erörtert werden soll.
Die Antwort lautet zusammengefaßt:
i) Es gibt ein intentionales und ein nichtintentionales kommen.
ii) Die Neutralisierung tritt nur beim nichtintentionalen kommen in Kraft.

4. Intentionalität
Darauf, daß für kommen die Intentionalität auf irgendeine Weise eine Rolle
spielt, weisen schon einige vorangegangene Aufsätze hin. Schmidt (1966, 40)
z. B. beobachtet, daß (7) zwei Sinne haben kann, nämlich (8a) und (8b):
(7) Mein Bruder kommt nach Leipzig.
(8a) ‚Mein Bruder trifft in Leipzig ein‘ (etwa: um uns zu besuchen)
(8b) ‚Mein Bruder wird nach Leipzig versetzt, nimmt in Leipzig seinen Wohnsitz.‘
Er bemerkt diesbezüglich: „Die beiden Aussagen beruhen auf dem unter-
schiedlichen kommunikativen Wert des Verbs kommen, dessen aktuelle Bedeu-
tung ‚irgendwohin gelangen‘ einmal als vom Subjekt intendierter Vorgang auf-
gefaßt werden kann, während im zweiten Falle zu dieser Bedeutung der
Nebensinn hinzutritt, daß der Vorgang nicht auf einem eigenen Willensent-
schluß des Subjekts beruht, sondern durch andere Faktoren bestimmt ist.“

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Schmidts Bemerkung zum Willensentschluß und zur Semantik von kommen ist
aufschlußreich, aber er bringt die Zweideutigkeit nicht mit dem deiktischen
Charakter von kommen in Zusammenhang.
Auch Rauh (1981, 63) führt Schmidt (1966) folgend ein Beispiel an, in
dem es um eine Versetzung geht: Wenn die Subjektperson bei einer Versetzung
den Ort frei wählen kann und sich z.B. für Berlin entscheidet, wird gehen wie
in (9a) verwendet. Wenn die Subjektperson dagegen den Ort nicht selbst wäh-
len kann, wird kommen wie in (9b) verwendet. Gehen bezeichnet also nach
Rauh eine intentionale, kommen eine nichtintentionale Bewegung:
(9a) Ich gehe nach Berlin.
(9b) Ich komme nach Berlin.
Rauh zieht aber nur solche Fälle wie (9) in Betracht, in denen die Bewegung
(hier des Versetztwerdens) abstrakt ist, und untersucht nicht, wie die Intentio-
nalität mit der Neutralisierung von kommen zusammenhängt.
Ferner erwähnt auch Di Meola (1994) Intentionalität, wie in der oben zi-
tierten Tabelle 1 zu sehen ist. Aber die Intentionalität betrifft bei ihm nicht die
Unterscheidung zwischen deiktischem und nichtdeiktischem kommen, son-
dern die Subklassifizierung innerhalb von nichtdeiktischem kommen: Weg,
Hindernis mit [+intentional] gegen Zufall, Transport mit [-intentional]. Für Di
Meola ist die Intentionalität also nicht das Kriterium für die Unterscheidung
zwischen deiktischem und nichtdeiktischem kommen.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der Zusammenhang zwischen
dem deiktischen Charakter von kommen und der Intentionalität, dem ich mich
nun zuwende, nicht genügend erforscht worden ist. Ich beginne mit der Ein-
führung der Untersuchung von Shirooka (1984), der die Intentionalität an-
hand formeller Kriterien syntaktisch-kollokationell bestimmt.
Shirooka (1984) teilt Verben im Satz mit menschlichem Subjekt in inten-
tionale und nichtintentionale Verben ein: Intentionale Verben lassen den Im-
perativ zu, können als Verb im zu-Infinitiv von sich entschließen, bitten, ver-
sprechen, auffordern, befehlen usw. vorkommen, aber nicht im Präsens mit dem
Satzadverb hoffentlich, wenn die Subjektperson die erste Person darstellt.
Nichtintentionale Verben weisen die umgekehrte Akzeptabilität auf. Das Ver-
hältnis ist in Tabelle 2 zusammengefaßt:

Tab. 2:

int. VERB nichtint. VERB


Imperativ OK *
X entschließt sich, zu VERB OK *
X bittet Y, zu VERB OK *
Hoffentlich + VERB (im Präsens) + ich * OK

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Gehen z. B. zählt zu den intentionalen Verben, gelangen dagegen zu den nicht-


intentionalen, wie die Akzeptabilität von (10a–c) und (11) zeigt:
(10a) Gehen/*gelangen Sie zum Ufer!
(10b) Er hat sich entschlossen, zum Ufer zu gehen/*gelangen.
(10c) Er hat mich gebeten, zum Ufer zu gehen/*gelangen.
(11) Hoffentlich *gehe/gelange ich zum Ufer.
Es ist hier zu betonen, daß die eingeführte Intentionalität nicht gleichzusetzen
ist mit der außersprachlichen Absicht, die die Subjektperson hat. Im Fall von
(11) z.B. hat die Subjektperson die Absicht, das Ufer zu erreichen. Aber das
hängt natürlich nicht damit zusammen, daß es sich hier um nichtintentionales
Verb gelangen handelt. Die Nichtintentionalität ist hier formell durch die syn-
taktische Konstruktion gewährleistet.8

5. Bedingung der Neutralisierung von kommen


Nun soll gezeigt werden, daß kommen sowohl als intentionales als auch nicht-
intentionales Verb zu gebrauchen ist und daß die Neutralisierung nur bei nicht-
intentionalem kommen in Kraft tritt. Es ist zunächst naheliegend, daß kommen
als intentionales Verb gebraucht werden kann: (12a–c) sind akzeptabel, weil in
ihnen formell gewährleistet ist, daß das kommen intentionales kommen ist:
(12a) Kommen Sie gleich zum Büro! Hier wartet jemand! (am Telefon)
(12b) Er hat sich endlich entschlossen, morgen zum Treffen zu kommen. Ich bin
froh, daß ich ihn dort begrüßen kann.
(12c) Ich kann hier leider nicht weg. Aber ich bitte jemanden, sofort zu dir zu
kommen. (am Telefon).

8 Di Meola (1994) scheint die Intentionalität anders zu definieren. Di Meola (1994,


51) bemerkt nämlich in bezug auf [+intentional] (vgl. die oben angeführte Tabelle 1)
folgendes: „Der Trajektor hat eine eigenständige Entscheidung getroffen und be-
wegt sich in Richtung eines selbst gesetzten Ziels.“ Für Di Meola scheint das Krite-
rium von [intentional] also zu sein, ob die Subjektperson in der außersprachlichen
Realität die Absicht hat, das Ziel zu erreichen. So verstanden ist es naheliegend,
(6a–b) als [+intentional] zu analysieren. Di Meola (1994, 70) bemerkt allerdings in
bezug auf [-intentional] der 4. Verwendungsweise von nichtdeiktischem kommen, die
in der oben angeführten Tabelle 1 angegeben ist, folgendes: „Der Wille des Bewe-
gungsträgers ist (.. . . .) gänzlich irrelevant. (.. . . .) So kann man sich z.B. vorstellen,
daß ein Verletzter hofft, so schnell wie möglich zur Behandlung ins Krankenhaus zu
kommen. Es ist aber m.E. nicht angemessen, solch eine passive Bewegung als [+in-
tentional] zu bezeichnen, da der Trajektor gar nicht die Möglichkeit hat, aus eige-
nem Antrieb seinen Willen in die Tat umzusetzen.“ Diese Bemerkung entspricht im
Grunde genommen dem Inbegriff meiner Definition. Aber wenn für [-intentional]
der außersprachliche Wille irrelevant ist, müßte er es auch für [+intentional] sein,
für dessen Kriterium er aber gerade diesen außersprachlichen Willen annimmt. Di
Meolas Unterscheidung zwischen [+intentional] und [-intentional] basiert also m.E.
nicht auf einem einheitlichen Kriterium.

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In diesen Beispielen ist wenigstens eine der deiktischen Bedingungen erfüllt,


und sie sind akzeptabel. Aber (5a–c), hier wiederholt als (13a–c), haben eigent-
lich die gleiche formelle Konstruktion wie (12a–c), sind aber im Gegensatz zu
(12a–c) inakzeptabel, weil in ihnen die deiktische Bedingung nicht erfüllt ist:
(13a) *Kommen Sie gleich zum Bahnhof und erkundigen sich danach!
(Der Sprecher befindet sich nicht am Bahnhof.)
(13b) *Ich habe mich entschlossen, an Ihrer Stelle zur Konferenz zu kommen.
(13c) *Seine Frau hat ihn gebeten, dafür zu irgendeinem Fachmann zu kommen.
Daraus folgt, daß bei intentionalem kommen die Neutralisierung trotz der ex-
pliziten GOAL-Angabe nicht in Kraft tritt, wenn die deiktische Bedingung
nicht erfüllt ist.
Kommen kann nun aber auch als nichtintentionales Verb verwendet wer-
den: (14) ist akzeptabel. Hier ist kommen mit der Konstruktion hoffentlich +
Präsens (in erster Person) als nichtintentionales kommen zu definieren.
(14) Hoffentlich komme ich zum Bahnhof, wenn ich diesen Weg nehme.
In diesem Beispiel ist die deiktische Bedingung nicht erfüllt. Der Satz ist aber
trotzdem akzeptabel. Daraus ist zu schließen, daß die Neutralisierung bei
nichtintentionalem kommen mit einer expliziten GOAL-Angabe in Kraft tritt.

6. Paraphrasemöglichkeit von nichtintentionalem kommen


Kommen in (4a–d), hier wiederholt als (15a–d), in denen die deiktische Bedin-
gung nicht erfüllt ist, ist also als nichtintentionales zu interpretieren:
(15a) Wie komme ich nun am besten in das Café Klubs?
(15b) Bis zur Wache bin ich gar nicht gekommen. Die Polizei ist schon da.
(15c) Du brauchst nicht drängen, du kommst schon zum Wagen.
(15d) Bis wir auf den eigentlichen Kriegsschauplatz kommen, wird’s wohl be-
trächtlich länger dauern.
Wie ist aber diese Interpretation zu bestätigen? Kommen ist hier nicht in einer
formellen Konstruktion gebraucht, die die Nichtintentionalität gewährleistet.
Daß es sich hier um ein nichtintentionales kommen handelt, kann aber indirekt
anhand einer Paraphrase durch gelangen gezeigt werden.
Gelangen zählt eindeutig zu den nichtintentionalen Verben, wie oben an-
hand (10a–c) und (11) festgestellt wurde: Kommen in (15a–d) läßt sich nun
durch gelangen ohne wesentliche Bedeutungsänderung ersetzen, wie (16a–d)
zeigen, obwohl diese Sätze nicht so natürlich und geläufig klingen wie die mit
kommen.9 Daraus ist aber der Schluß zu ziehen, daß es sich hier um nichtinten-
tionales kommen handelt:

9 Diese Unnatürlichkeit stellt hier kein Problem dar, weil sie semantischer Natur ist,
die mit der Intentionalität nichts zu tun hat.

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(16a) (?)Wie gelange ich nun am besten in das Café Klubs?


(16b) (?)Bis zur Wache bin ich gar nicht gelangt. Die Polizei ist schon da.
(16c) (?)Du brauchst nicht drängen, du gelangst schon zum Wagen.

(16d) (?)Bis wir auf den eigentlichen Kriegsschauplatz gelangen, wird’s wohl be-

trächtlich länger dauern.


Auch das kommen in den von Rauh angeführten Beispielen (3a–c), unten wie-
derholt als (17a–c), müßte ein nichtintentionales kommen sein, wenn es in einer
Situation auftritt, in der die deiktische Bedingung nicht erfüllt ist:
(17a) Bill kommt von London nach New York.
(17b) Der Händler kommt jeden Tag von Hamburg nach Göttingen.
(17c) Ich bin noch nie nach Japan gekommen.
In diesen Beispielen ist aber das Ersetzen von kommen durch gelangen unmög-
lich. Dies kommt daher, daß kommen gleichsam eine passivische Lesart hat,
wie Schmidt (1966: 39f.), Rauh (1981: 63f.) und Di Meola (1994: 69f.) bemer-
ken.10 (17a–c) sind ohne wesentliche Bedeutungsänderung durch eine entspre-
chende Passivkonstruktion zu paraphrasieren, wie (18) zeigt:
(18a) Bill wird von London nach New York versetzt/geschickt.
(18b) Der Händler wird jeden Tag von Hamburg nach Göttingen geschickt.
(18c) Ich bin noch nie nach Japan versetzt/geschickt worden.

7. Bedingung der Neutralisierung von bringen und mitbringen


Die Neutralisierung durch explizite GOAL-Angabe tritt nicht nur bei nichtin-
tentionalem kommen, sondern auch bei bringen und mitbringen in Kraft.11 Es
soll zuerst erwähnt werden, daß die beiden Verben die gleiche deiktische Be-
dingung aufweisen wie kommen, wenn eine GOAL-Angabe nicht explizit vor-
kommt: Sie sind nämlich ohne GOAL-Angabe im Prinzip nur dann zu gebrau-
chen, wenn wenigstens eine der deiktischen Bedingungen erfüllt ist. (19) ist
z. B. akzeptabel, wenn Bedingung (A) und/oder (B) erfüllt ist, d.h., der Zielort
ist entweder der Ort, wo sich der Sprecher jetzt befindet (=A) (wenn der Spre-
cher dort bleibt, um den Hörer zu treffen, dann ist Bedingung (B) gleichzeitig
erfüllt), oder z.B. der Ort, wohin der Sprecher sich gleich begibt, um den
Hörer zu treffen (=B):
(19) Ich bringe die Unterlagen (mit). (am Telefon)

10 Das Passiv ist eindeutig nichtintentional zu verstehen, wie folgende Beispiele zeigen:
(i) *Werde nach Japan versetzt/geschickt!
(ii) Hoffentlich werde ich nach Japan versetzt/geschickt.
11 Die Intentionalität spielt bei (mit)bringen keine Rolle, da es ohnehin nur als inten-
tionales Verb zu gebrauchen ist, wie (i) und (ii) zeigen:
(i) Bringen Sie das Buch (mit)!
(ii) *Hoffentlich bringe ich das Buch (mit).

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Die GOAL-Angabe bei (mit)bringen läßt sich nun in zwei Typen klassifizie-
ren: i) die Präpositionalphrase und ii) das Dativobjekt. Diese Unterscheidung
spielt bei der Möglichkeit der Neutralisierung von mitbringen eine entschei-
dende Rolle.
Zu bringen: Die Neutralisierung tritt bei bringen in Kraft, solange die
GOAL-Angabe explizit vorkommt, sei es mit einer PP oder einem Dativ-
objekt.12 So sind z.B. (20a–b), in denen die deiktische Bedingung nicht erfüllt
sein soll, akzeptabel, weil der Zielort explizit vorkommt:
(20a) Können Sie mich zum Bahnhof bringen? (PP)
(20b) Bringen Sie Ihrer Frau diese Blumen! (Dativobjekt)
Abgesehen davon, daß kommen, das eine konkrete Bewegung bezeichnet, kein
Dativobjekt als GOAL-Angabe zuläßt, verhält sich bringen also in bezug auf
die Neutralisierung genauso wie nichtintentionales kommen.
Zu mitbringen: Mitbringen weist eine unterschiedliche Akzeptabilität auf13:
Das Dativobjekt, nicht aber die PP veranlaßt die Neutralisierung. Die Situation
in (21a–b) ist beispielweise die gleiche wie in (20a–b). (21b) ist nun akzeptabel
wie (20b), während (21a) im Gegensatz zu (20a) nicht akzeptabel ist:
(21a) *Können Sie mich zum Bahnhof mitbringen? (PP)
(21b) Bringen Sie Ihrer Frau diese Blumen mit! (Dativobjekt)

8. Neutralisierung und Aspekte der Semantik von kommen, bringen und


mitbringen
In diesem Abschnitt wird gezeigt, daß die Unterscheidung von intentionalem
bzw. nichtintentionalem kommen auch semantisch begründet ist, und daß fer-
ner die Neutralisierungen von kommen, bringen und mitbringen in bestimmter
semantischer Hinsicht miteinander systematisch zusammenhängen.
Vendler (1967) klassifiziert bekanntlich Verben in 4 Klassen: ‚state‘, ‚ac-
tivity‘, ‚accomplishment‘ und ‚achievement‘, wobei die letzteren zwei Katego-
rien hier von Relevanz sind. Die accomplishment-Verben wie das Beispiel draw
a circle bezeichnen sowohl die Tätigkeit als auch das punktuelle Ereignis, das

12 Fillmore (1997, 89) macht diesbezüglich auf eine interessante Erscheinung des eng-
lischen Verbs bring aufmerksam: „I suspect that in some dialects ‚bring‘ has no deic-
tic components at all, but merely a destination-oriented verb having much the same
syntactic nature as ‚deliver‘.“
13 Die Semantik von bringen und mitbringen ist im übrigen anders gestaltet. Bei bringen
ist der Zweck der Fortbewegung der Subjektperson die Beförderung des Akkusativ-
objekts, während bei mitbringen die Beförderung beiläufig geschieht. Dies ist in fol-
genden Sätzen zu sehen:
(i) Ich bin gekommen, um dir die Blumen zu bringen/*mitzubringen.
(ii) Ich bin gekommen, um deinem Bruder etwas zu geben. Aber ich habe dir auch et-
was *gebracht/mitgebracht.

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352 ZGL 30.2002, 342–355

aus dieser Tätigkeit resultiert, während die achievement-Verben wie die, reach,
find nur das punktuelle Ereignis bezeichnen.14
Die Verben des Gelangens wie gelangen, eintreffen, erreichen, ankommen,
die zu den nichtintentionalen Verben zählen, sind als achievement-Verb zu
klassifizieren. Diese Verben bezeichnen nur das punktuelle Ereignis des Errei-
chens des Zieles, aber nicht die Fortbewegung, die zum Erreichen des Zieles
führt. Nichtintentionales kommen zählt auch zu dieser Verbklasse.15 Intentio-
nales kommen dagegen gehört zu den accomplishment-Verben. Dieses kommen
bezeichnet nicht nur das Erreichen des Zieles, sondern auch die vorhergehende
Tätigkeit der Fortbewegung. Für intentionales kommen wie in (22) ist dann
eher gehen ein Synonym, in der Hinsicht, daß beide Verben intentionale Ver-
ben sind und beide eine Fortbewegung bezeichnen.
(22) Gehen/kommen Sie bitte zum Büro!
Gehen stellt aber gleichzeitig ein Antonym zu intentionalem kommen dar, in
dem Sinne, daß, wie Fillmore (1972: 4f.) in bezug auf go und come bemerkt, ge-
hen source-orientiert, kommen goal-orientiert ist. Di Meola (1994:192ff.) ver-
weist auch auf die Antonymie. Zum (22) entsprechenden Fall vermerkt er z. B.
die Opposition der deiktischen Bedingung und des Blickwinkels.
Kommen scheint also unter den Verben im Deutschen in dem Punkt einen
Sonderstatus zu haben, daß es sowohl zu den accomplishment- als auch zu den
achievement-Verben zählt. Es gibt wohl im Deutschen kaum ein Verb, das
diese Eigenschaft zeigt. Das englische Verb find gehört aber anscheinend zu
dieser Klasse, wenn Leisi (1975, 106) bemerkt: „Ebensowenig können wir je-
mand auffordern: „Finde!“, da finden immer heißt: ‚zufällig, wenn auch nach
Anstrengung, finden.‘ Hier scheint das englische to find vom deutschen ver-
schieden zu sein, da man es auch als Wunsch (Will you find me a taxi?) und als
Versprechen (I’ll find a chair for you) hören kann.“
Zur Unterscheidung von intentionalem und nichtintentionalem kommen
läßt sich auch in bezug auf die Rollensemantik bemerken, daß sie sich bei in-
tentionalem kommen aufs Agens, bei nichtintentionalem kommen aufs Patiens
bezieht. Ich vermute außerdem, daß die Unterscheidung auch syntaktisch
relevant ist, d.h., in bezug auf die sogenannte Ergativhypothese. Grewendorf
(1989:179) klassifiziert ankommen als unaccusative-Verb. Das nichtintentio-

14 Über Vendlers Klassifikation gibt es allerdings mehrere Auffassungen. Diese Be-


merkung sei also als eine Annährung zu verstehen. Vgl. Dowty (1979, 51ff.) und
Verkuyl (1994, 33ff.)
15 Die Wahrnehmung der Fortbewegung muß allerdings bei nichtintentionalem kom-
men und gelangen vorhanden sein, weil das GOAL mit einer Richtungsangabe be-
zeichnet wird. Diese Fortbewegung wird aber nicht als Tätigkeit wahrgenommen.
Bei ankommen wird dagegen die Fortbewegung überhaupt nicht wahrgenommen,
weil das GOAL mit einer Ortsangabe bezeichnet wird.
(i) Ich bin ans Ufer gekommen/gelangt/*angekommen.
(ii) Ich bin am Ufer *gekommen/*gelangt/angekommen.

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S. Watanabe, Zur Deixis von kommen, bringen und mitbringen 353

nale kommen ist m.E. auch als unaccusative-Verb zu betrachten, intentionales


kommen dagegen als unergative-Verb. Ob intentionales kommen allerdings als
unergative-Verb zu betrachten ist, hängt von der Definition der Ergativität ab,
z. B., ob die Verben wie gehen, laufen auch zu unergativen-Verben zu zählen
sind. Zu diesem Punkt sind weitere Untersuchungen notwendig.
Ich habe im übrigen oben drei Lesarten von kommen angeführt: 1) die mit
gelangen, 2) die mit der Passivkonstruktion paraphrasierbare und zuletzt 3) die
mit gehen in der Synonymie/Antonymie stehende. Diese 3 Lesarten haben alle
das semantische Merkmal [+GELANGEN] gemeinsam, das eine lexikalische
Bedeutung im Sinne von Schmidt (1966) ausmacht.16 Dabei ist kommen, das
mit gelangen paraphrasierbar ist, m.E. semantisch am einfachsten, weil zu die-
ser Lesart von kommen keine weitere semantische Nuancierung hinzugefügt
ist. Zu den anderen zwei Lesarten dagegen kommt außer der Bedeutung des
Erreichens des Zieles als kontextuelle Bedeutung eine passivistische bzw. in-
tentionale Fortbewegung hinzu.
Nun ziehe ich auch bringen und mitbringen in Betracht und erörtere zwei
semantische Eigenschaften in Zusammenhang mit der Neutralisierung. Er-
stens: Im letzten Abschnitt wurde erwähnt, daß die Bedingung der Neutrali-
sierung von bringen im Grunde genommen gleich der von nichtintentionalem
kommen ist. Das läßt sich wohl darauf zurückführen, daß in der Semantik von
bringen nichtintentionales, mit gelangen kompatibles kommen enthalten ist,
dessen Semantik, wie ich gerade erwähnt habe, am einfachsten ist. Diese An-
nahme ließe sich auch durch die Existenz eines Funktionsverbgefüges des Typs
zur Aufführung bringen/kommen/gelangen unterstützen. Hier ist kommen mit
gelangen austauschbar und die kausale Beziehung wird durch bringen ausge-
drückt. Bringen stellt also das Kausativum von nichtintentionalem kommen
dar, das sich aufs Patiens bezieht, wie ich oben angemerkt habe.
Zweitens: Bei nichtintentionalem kommen und bringen tritt die Neutrali-
sierung in Kraft, solange die GOAL-Angabe explizit vorkommt, während bei
intentionalem kommen und mitbringen die deiktische Beschränkung strenger
ist. Dieser Unterschied hängt damit zusammen, ob das jeweilige Verb mit ei-
nem anderen Verb in einer bestimmten synonymisch-antonymischen Relation
steht: Ich habe oben anhand (22) bemerkt, daß intentionales kommen mit
gehen in einer synonymisch-antonymischen Relation steht (die Antonymie be-
stand nach Fillmore (1972) und Di Meola (1994) nur in der Deixis und dem
Blickwinkel). Die Lücke des Gebrauches, die bei intentionalem kommen wegen
der deiktischen Beschränkung entsteht, kann also mit gehen gefüllt werden.

16 Allerdings betrachtet Schmidt (1966, 40) selbst das Merkmal ‚irgendwohin gelan-
gen‘ als aktuelle Bedeutung (vgl. das im 4. Abschnitt angeführte Zitat). Dies kommt
daher, daß er eine weitere Verwendung von kommen in Betracht zieht, die sich mit
sich nähern paraphrasieren läßt und das Merkmal [+GELANGEN] nicht haben
kann. Diese Verwendung lasse ich aber hier außer acht, weil sie im Grunde genom-
men nur ohne GOAL-Angabe möglich ist und immer deiktisch gebraucht wird. (vgl.
Di Meola (1994, 48f.) und sein im 3. Abschnitt zitiertes Diagramm 1)

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354 ZGL 30.2002, 342–355

Das gleiche gilt auch für mitbringen: Die Lücke, die wegen der Unmöglichkeit
der Neutralisierung mit einer PP entsteht, wie im Fall von (21a), wird mit mit-
nehmen gefüllt, wie (23) zeigt:17
(23) Können Sie mich zum Bahnhof mitnehmen? (PP)
Das Verhältnis von gehen zu intentionalem kommen ist also mit dem von mit-
nehmen zu mitbringen identisch.18 Bei nichtintentionalem kommen und bringen
dagegen gibt es kein entsprechendes Verb, das in der gleichen synonymisch-
antonymischen Relation steht. Bei bringen kommt übrigens auch nehmen nicht
in Frage, weil nehmen im Gegensatz zu mitnehmen die Verwendung im Zusam-
menhang mit der Beförderung nicht zuläßt, wie (24) zeigt:
(24) *Können Sie mich zum Bahnhof nehmen? (PP)
Es sei ferner anzumerken, daß natürlich auch nichtintentionales kommen und
bringen mit z.B. wegkommen und wegbringen in einer bestimmten synony-
misch-antonymischen Relation stehen, aber die Relation ist anders als die, die
zwischen intentionalem kommen und gehen bzw. mitbringen und mitnehmen
besteht.

9. Schlußbemerkung
In diesem Aufsatz wurden die deiktischen Verben kommen, bringen und mit-
bringen in bezug auf die Bedingungen untersucht, die ihren deiktischen Cha-
rakter aufheben. Das Ergebnis war, daß bei kommen die Neutralisierung durch
eine explizite GOAL-Angabe nur bei nichtintentionalem kommen in Kraft
tritt, bei bringen durch eine explizite GOAL-Angabe anhand der Präpositio-
nalphrase und des Dativobjekts und bei mitbringen nur anhand des Dativ-
objekts. Die Neutralisierung der untersuchten Verben wurde dann mit einigen
semantischen Eigenschaften in Zusammenhang gebracht.
Zum Schluß sei angemerkt, daß in diesem Aufsatz nicht die Variante von
kommen einbezogen wurde, die in der indirekten Rede bzw. in der Fiktion und
ferner in der Situation vorkommt, in der der Zielort die homebase darstellt.
In diesen Fällen kann unter bestimmten Voraussetzungen intentionales kom-
men gebraucht werden, auch wenn die deiktische Bedingung nicht erfüllt ist.
Das heißt, die Neutralisierung kann auch bei intentionalem kommen in Kraft

17 Das GOAL ist bei mitnehmen auch durch ein Dativobjekt zu bezeichnen, wie folgen-
der Satz zeigt:
(i) Nehmen Sie Ihrer Frau diese Blumen mit! (Dativobjekt)
In diesem Fall sind also sowohl mitbringen wie auch mitnehmen zu gebrauchen. Im
übrigen gilt das, was in der Anmerkung 13 zu mitbringen bemerkt wurde, auch für
mitnehmen.
18 Es sei dahingestellt, ob die deiktische Eigenschaft von mitnehmen gleich der von ge-
hen ist.

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treten. Diese Erscheinung ist aber eine interne Besonderheit des intentionalen
kommen, und widerlegt nicht den Schluß, daß die Neutralisierung zwar bei
nichtintentionalem, nicht aber bei intentionalem kommen möglich ist.

10. Literatur:
Di Meola, Claudio (1994): Kommen und gehen. Tübingen. (Linguistische Arbeiten 325).
Dowty, David R. (1979): Word Meaning and Montague Grammar. Dordrecht/Boston/
London.
Fillmore, Charles J. (1972): How to know whether you’re coming or going. In: Descrip-
tive and Applied Linguistics 5. Tokyo. I.C.U. S. 2-17.
Fillmore, Charles J. (1997): Lectures on Deixis. Stanford, Calif.
Grewendorf, Günther (1989): Ergativity in German. Dordrecht/Providence.
Leisi, Ernst (1975): Der Wortinhalt. Heidelberg (UTB 95).
Levinson, Stephan C. (1983): Pragmatics. Cambridge.
Rauh, Gisa (1981): On coming and going in English and German. In: Papers and Studies
in Contrastive Linguistics 13. S. 53–68.
Schmidt, Wilhelm (1966): Lexikalische und aktuelle Bedeutung. Berlin.
Shirooka, Keiji (1984): Zur Problematik der Absichtsverben und der absichtsfreien Ver-
ben. In: Doitsu Bungaku (Deutsche Literatur, Organ der japanischen Gesellschaft
für Germanistik) 73. S. 138–149.
Vendler, Zeno (1967): Linguistics in philosophy. Ithaca, N.Y.
Verkuyl, H. (1993): A Theory of Aspectuality. Cambridge.
Watanabe, Shinji (1985): Zur semantischen Analyse von mitnehmen, mitbringen und
bringen. (japanisch) In: Doitsu Bungaku (Deutsche Literatur, Organ der japani-
schen Gesellschaft für Germanistik) 75. S. 108–115.
Watanabe, Shinji (1986): Zur Neutralisierung des deiktischen Charakters von kommen.
(japanisch) In: Shi Gengo (Dichtung und Sprache) 29. S. 1–11. Universität Tokio.
Watanabe, Shinji (1993): Zur Neutralisierung der deiktischen Eigenschaft von kommen.
Ms. Universität Osaka.
Watanabe, Shinji (1994): Zur Deixis und Semantik von kommen. (japanisch) In: Doitsu
Bungaku (Deutsche Literatur, Organ der japanischen Gesellschaft für Germani-
stik) 93. S. 125–135.

Quelle der Beispiele:


Rund = Ödön von Horvath: Rund um den Kongreß. In: Gesammelte Werke 3. Edition
Suhrkamp.
Drei = Bertolt Brecht: Die Dreigroschenoper. Edition Suhrkamp.
Mutter = Bertolt Brecht: Mutter Courage und ihre Kinder. Edition Suhrkamp.
Worte = Arthur Schnitzler: Komödie der Worte. In: Das dramatische Werk. Bd. 1. Fi-
scher Verlag.

Adresse des Verfassers:


Prof. Shinji Watanabe, Faculty of Language and Culture, Osaka University, 1–8 Machi-
kaneyama, 560–0043 Toyonaka, Japan, e-mail: shinji@lang.osaka-u.ac.jp

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