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2002, 342–355
Shinji Watanabe
In this article the author examines the condition under which the deictic constraint of
kommen, bringen and mitbringen is canceled. As for kommen, it is claimed that the con-
dition of the cancellation stated in Rauh (1981), i.e., an explicit co-occurrence of a
GOAL-phrase, can be applied only to unintentional kommen but not to intentional kom-
men. It is further claimed that for bringen, an explicit co-occurrence of a GOAL-phrase
either with a dative or PP complement suffices for a cancellation of the deictic con-
straint, while for mitbringen only a dative complement is valid for the cancellation. Fi-
nally, the author argues the cancellations in terms of the semantics of the verbs.
1. Einleitung
2. Deiktische Bedingung von kommen
3. Deiktische bzw. nichtdeiktische Verwendungsweise von kommen bei Di Meola (1994)
4. Intentionalität
5. Bedingung der Neutralisierung von kommen
6. Paraphrasemöglichkeit von nichtintentionalem kommen
7. Bedingung der Neutralisierung von bringen und mitbringen
8. Neutralisierung und Aspekte der Semantik von kommen, bringen und mitbringen
9. Schlußbemerkung
10. Literatur
1. Einleitung
Bestimmte Verben im Deutschen sind bekannt dafür, daß sie deiktischen Cha-
rakter aufweisen. Sie werden daher manchmal als deiktische Verben bezeich-
net. Die am häufigsten erwähnten deiktischen Verben sind gehen und kommen.
Allerdings haben auch bringen und mitbringen deiktischen Charakter, obwohl
ihnen weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird. Der deiktische Charakter die-
ser Verben liegt darin, daß für ihren Gebrauch bestimmte Bedingungen erfüllt
sein müssen, zu denen Elemente gehören, die mit deiktischen Ausdrücken zu-
sammenhängen: Sprecher (ich), Hörer (du), Sprechzeit (jetzt) und der Ort, wo
sich der Sprecher zur Sprechzeit befindet (hier).2 Die deiktischen Verben sind
aber von den üblichen deiktischen Ausdrücken wie ich, hier und jetzt zu unter-
scheiden, weil die letzteren, nicht aber die ersteren referieren. Die Funktion
1 Der kommen behandelnde Teil dieses Aufsatzes ist eine überarbeitete Version von
Watanabe (1986, 1993, 1994), der (mit)bringen thematisierende eine überarbeitete
Version von Watanabe (1985). Bei den Herausgebern bedanke ich mich herzlich für
wertvolle Hinweise und Anregungen.
2 Auch geben und nehmen werden manchmal als deiktische Verben bezeichnet. Aber
diese Verben sind m.E. nicht deiktisch, weil sie in bezug auf die Person keine Be-
schränkung aufweisen. (i) und (ii) sind z.B. beide akzeptabel:
(i) Ich habe ihm das Buch gegeben/genommen.
(ii) Er hat mir das Buch gegeben/genommen.
der Sprechsituation ist also anders. Bei den deiktischen Verben hängt sie mit
der Gebrauchsbedingung zusammen, bei den übrigen deiktischen Ausdrücken
dagegen mit dem Gelingen der Referenz.3
Die deiktischen Verben verhalten sich aber nicht immer deiktisch. Sie las-
sen sich unter bestimmten Voraussetzungen auch dann gebrauchen, wenn die
deiktische Bedingung nicht erfüllt ist. Der vorliegende Aufsatz setzt sich nun
zum Ziel, in bezug auf kommen, bringen und mitbringen die Voraussetzungen
herauszufinden, unter denen die deiktische Bedingung aufgehoben wird. Die
Aufhebung der deiktischen Bedingung wird in diesem Aufsatz, Rauh (1981)
folgend, abkürzend Neutralisierung genannt. Das Ergebnis wird dann mit
einigen Aspekten der Semantik der Verben in Zusammenhang gebracht. Der
größte Teil dieses Aufsatzes ist der Untersuchung von kommen gewidmet, weil
die Neutralisierung von kommen bei weitem am kompliziertesten ist. Es wird
sich aber herausstellen, daß die Bedingungen der Neutralisierung für kommen,
bringen und mitbringen zwar nicht identisch sind, aber miteinander zusammen-
hängen. Im übrigen werden nur solche Fälle in Betracht gezogen, in denen die
Verben die konkrete Bewegung eines Menschen bezeichnen.
3 Man könnte in dieser Hinsicht wohl sagen, daß der deiktische Charakter von deik-
tischen Verben sekundärer Natur ist.
wo sich der Sprecher zur Sprechzeit befindet = (A) (wenn der Sprecher dort
bleibt, um den Hörer zu treffen, dann ist (B) gleichzeitig erfüllt), oder z.B. der
Ort, an den sich der Sprecher gleich begibt, um den Hörer zu treffen = (B) (in
diesem Fall ist (A) nicht erfüllt):4
(2) Kommen Sie gleich! (am Telefon)
Über den Status dieses deiktischen Charakters von kommen bemerkt Di Meola
(1994, 41) übrigens zutreffend: „Das Ziel der Bewegung ist in der deiktischen
Bedeutung des Verbs kommen bereits enthalten.“
Soweit scheint die deiktische Bedingung von kommen mit derjenigen von
come genau übereinzustimmen. Aber bei näherer Betrachtung kann man Un-
terschiede feststellen. Rauh bemerkt nämlich, daß, auch wenn keine der oben
angeführten deiktischen Bedingungen erfüllt ist, sich kommen im Gegensatz zu
come gebrauchen läßt, sobald im Satz explizit eine GOAL-Angabe vorkommt.
Wo sich der Sprecher bzw. der Hörer wann befindet, ist dann für den Ge-
brauch von kommen irrelevant. Somit verhält sich kommen nicht mehr deik-
tisch. Rauh (1981, 59) nennt diese Aufhebung der deiktischen Bedingung
neut ral i zat i on of dei cti c c h a ra c t e r, der ich hier folge. (3a–c) sind von
Rauh (1981, 58ff.) angeführte Beispiele, in denen die Neutralisierung in Kraft
ist: Sie sind akzeptabel, auch wenn der Sprecher bzw. der Hörer sich weder
in der Vergangenheit noch zur Sprechzeit noch in der Zukunft am Zielort be-
findet:
(3a) Bill kommt von London nach New York.
(3b) Der Händler kommt jeden Samstag von Hamburg nach Göttingen.
(3c) Ich bin noch nie nach Japan gekommen.
(4a–d) sind weitere Beispiele für Neutralisierung, die Dramen entnommen
sind. Auch hier ist die deiktische Bedingung nicht erfüllt. Sie sind trotzdem ak-
zeptabel, weil nach Rauh bei Vorhandensein einer expliziten GOAL-Angabe
die Neutralisierung in Kraft ist:
(4a) Wie komme ich nun am besten in das Café Klubs? (Rund, 110)
(4b) Bis zur Wache bin ich gar nicht gekommen. Die Polizei ist schon da.
(Drei, 74)
(4c) Du brauchst nicht drängen, du kommst schon zum Wagen. (Mutter, 51)
(4d) Bis wir auf den eigentlichen Kriegsschauplatz kommen, wird’s wohl be-
trächtlich länger dauern. (Worte, 12)
Rauhs Behauptung trifft aber nicht immer zu. Es gibt nämlich Fälle, in denen
der Gebrauch von kommen auch dann nicht akzeptabel ist, wenn im Satz ex-
plizit eine GOAL-Angabe vorkommt. (5a–c) sind Beispiele, in denen keine der
4 Bei (1) kann übrigens Bedingung (D) nicht erfüllt sein, weil sich der Hörer nicht
selbst am Zielort befinden kann, wenn er ankommt. Auch (C) nicht, weil gleich im-
pliziert, daß der Hörer den Ort verläßt, wo er sich jetzt befindet.
deiktischen Bedingungen erfüllt sein soll. Die Sätze müßten aber nach Rauh
mit einer expliziten GOAL-Angabe akzeptabel sein. Dennoch sind sie es nicht:
(5a) *Kommen Sie gleich zum Bahnhof und erkundigen sich danach!
(Der Sprecher befindet sich nicht am Bahnhof.)
(5b) *Ich habe mich entschlossen, an Ihrer Stelle zur Konferenz zu kommen.5
(5c) *Seine Frau hat ihn gebeten, dafür zu irgendeinem Fachmann zu kommen.
Daraus folgt, daß eine explizite GOAL-Angabe keine ausreichende Bedingung
für die Neutralisierung ist.6 Es muß noch ein anderer Faktor beteiligt sein.
Was steuert also den Unterschied zwischen der Akzeptabilität von (3) und (4)
einerseits und der Inakzeptabilität von (5) andererseits? Mit anderen Worten,
warum ist die Neutralisierung bei (3) und (4) möglich und warum bei (5) nicht?
Bevor ich aber darauf eingehe, soll erörtert werden, was Di Meola (1994), der
gehen und kommen ausführlich behandelt, zum oben skizzierten Problem zu
bemerken hat.
5 Die Konferenz sei noch nicht eröffnet und der Hörer gehe nicht zur Konferenz.
6 Di Meola (1994, 66) bemerkt, daß die Neutralisierung nicht nur durch eine GOAL-
Angabe, sondern auch durch eine SOURCE- bzw. PATH-Angabe möglich ist. Dies
ist m.E. richtig, aber es scheint eine gewisse Beschränkung zu bestehen, worauf ich
hier nicht eingehe.
7 Di Meola spricht von ‚deiktischer bzw. nichtdeiktischer Verwendungsweise von
kommen‘. Es ist aber wichtig zu unterscheiden zwischen deiktischem kommen und
dem in der Situation gebrauchten kommen, in der die deiktische Bedingung erfüllt
ist. Denn nichtdeiktisches kommen ist natürlich ebenfalls in der Situation zu gebrau-
chen, in der die deiktische Bedingung erfüllt ist. ‚deiktische bzw. nichtdeiktische
Verwendungsweise von kommen‘ ist im Sinne von deiktischem bzw. nichtdeikti-
schem kommen zu verstehen.
(6a–d) sind jeweilige Beispiele von Di Meola (1994, 64ff.); aber wiederum ist
nicht erörtert, was für einen Charakter diese vier Klassen gemeinsam ha-
ben, durch den sie sich von der deiktischen Verwendungsweise unterscheiden
lassen:
(6a) Entschuldigen Sie, wie komme ich zur nächsten Telefonzelle? (1. Weg)
(6b) Wie bist du bloß ohne Schlüssel in die Wohnung gekommen? (2. Hindernis)
(6c) Bei der Party ist er neben Petra zu sitzen gekommen. (3. Zufall)
(6d) Der Krebskranke im letzten Stadium kam in eine Spezialklinik. (4. Trans-
port)
Auf das folgend wiedergegebene Diagramm 1 hinweisend bemerkt Di Meola
(1994, 60) allerdings zur Unterscheidung zwischen deiktischem und nichtdeik-
tischem kommen: „Die drei wichtigsten Verwendungsweisen des Verbs kommen
lassen sich durch ein Diagramm zusammenfassend darstellen“.
Das Diagramm zeigt aber nicht, was zwischen deiktischem und nichtdeikti-
schem kommen unterscheidet, weil ‚Ankunft‘ in beiden vorkommt. Di Meola
läßt also die Antwort auf die Frage offen, worin der Unterschied zwischen den
beiden Verwendungsweisen von kommen liegt. Nun komme ich zu unserer
Antwort, die in den folgenden Abschnitten ausführlich erörtert werden soll.
Die Antwort lautet zusammengefaßt:
i) Es gibt ein intentionales und ein nichtintentionales kommen.
ii) Die Neutralisierung tritt nur beim nichtintentionalen kommen in Kraft.
4. Intentionalität
Darauf, daß für kommen die Intentionalität auf irgendeine Weise eine Rolle
spielt, weisen schon einige vorangegangene Aufsätze hin. Schmidt (1966, 40)
z. B. beobachtet, daß (7) zwei Sinne haben kann, nämlich (8a) und (8b):
(7) Mein Bruder kommt nach Leipzig.
(8a) ‚Mein Bruder trifft in Leipzig ein‘ (etwa: um uns zu besuchen)
(8b) ‚Mein Bruder wird nach Leipzig versetzt, nimmt in Leipzig seinen Wohnsitz.‘
Er bemerkt diesbezüglich: „Die beiden Aussagen beruhen auf dem unter-
schiedlichen kommunikativen Wert des Verbs kommen, dessen aktuelle Bedeu-
tung ‚irgendwohin gelangen‘ einmal als vom Subjekt intendierter Vorgang auf-
gefaßt werden kann, während im zweiten Falle zu dieser Bedeutung der
Nebensinn hinzutritt, daß der Vorgang nicht auf einem eigenen Willensent-
schluß des Subjekts beruht, sondern durch andere Faktoren bestimmt ist.“
Schmidts Bemerkung zum Willensentschluß und zur Semantik von kommen ist
aufschlußreich, aber er bringt die Zweideutigkeit nicht mit dem deiktischen
Charakter von kommen in Zusammenhang.
Auch Rauh (1981, 63) führt Schmidt (1966) folgend ein Beispiel an, in
dem es um eine Versetzung geht: Wenn die Subjektperson bei einer Versetzung
den Ort frei wählen kann und sich z.B. für Berlin entscheidet, wird gehen wie
in (9a) verwendet. Wenn die Subjektperson dagegen den Ort nicht selbst wäh-
len kann, wird kommen wie in (9b) verwendet. Gehen bezeichnet also nach
Rauh eine intentionale, kommen eine nichtintentionale Bewegung:
(9a) Ich gehe nach Berlin.
(9b) Ich komme nach Berlin.
Rauh zieht aber nur solche Fälle wie (9) in Betracht, in denen die Bewegung
(hier des Versetztwerdens) abstrakt ist, und untersucht nicht, wie die Intentio-
nalität mit der Neutralisierung von kommen zusammenhängt.
Ferner erwähnt auch Di Meola (1994) Intentionalität, wie in der oben zi-
tierten Tabelle 1 zu sehen ist. Aber die Intentionalität betrifft bei ihm nicht die
Unterscheidung zwischen deiktischem und nichtdeiktischem kommen, son-
dern die Subklassifizierung innerhalb von nichtdeiktischem kommen: Weg,
Hindernis mit [+intentional] gegen Zufall, Transport mit [-intentional]. Für Di
Meola ist die Intentionalität also nicht das Kriterium für die Unterscheidung
zwischen deiktischem und nichtdeiktischem kommen.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der Zusammenhang zwischen
dem deiktischen Charakter von kommen und der Intentionalität, dem ich mich
nun zuwende, nicht genügend erforscht worden ist. Ich beginne mit der Ein-
führung der Untersuchung von Shirooka (1984), der die Intentionalität an-
hand formeller Kriterien syntaktisch-kollokationell bestimmt.
Shirooka (1984) teilt Verben im Satz mit menschlichem Subjekt in inten-
tionale und nichtintentionale Verben ein: Intentionale Verben lassen den Im-
perativ zu, können als Verb im zu-Infinitiv von sich entschließen, bitten, ver-
sprechen, auffordern, befehlen usw. vorkommen, aber nicht im Präsens mit dem
Satzadverb hoffentlich, wenn die Subjektperson die erste Person darstellt.
Nichtintentionale Verben weisen die umgekehrte Akzeptabilität auf. Das Ver-
hältnis ist in Tabelle 2 zusammengefaßt:
Tab. 2:
9 Diese Unnatürlichkeit stellt hier kein Problem dar, weil sie semantischer Natur ist,
die mit der Intentionalität nichts zu tun hat.
(16d) (?)Bis wir auf den eigentlichen Kriegsschauplatz gelangen, wird’s wohl be-
10 Das Passiv ist eindeutig nichtintentional zu verstehen, wie folgende Beispiele zeigen:
(i) *Werde nach Japan versetzt/geschickt!
(ii) Hoffentlich werde ich nach Japan versetzt/geschickt.
11 Die Intentionalität spielt bei (mit)bringen keine Rolle, da es ohnehin nur als inten-
tionales Verb zu gebrauchen ist, wie (i) und (ii) zeigen:
(i) Bringen Sie das Buch (mit)!
(ii) *Hoffentlich bringe ich das Buch (mit).
Die GOAL-Angabe bei (mit)bringen läßt sich nun in zwei Typen klassifizie-
ren: i) die Präpositionalphrase und ii) das Dativobjekt. Diese Unterscheidung
spielt bei der Möglichkeit der Neutralisierung von mitbringen eine entschei-
dende Rolle.
Zu bringen: Die Neutralisierung tritt bei bringen in Kraft, solange die
GOAL-Angabe explizit vorkommt, sei es mit einer PP oder einem Dativ-
objekt.12 So sind z.B. (20a–b), in denen die deiktische Bedingung nicht erfüllt
sein soll, akzeptabel, weil der Zielort explizit vorkommt:
(20a) Können Sie mich zum Bahnhof bringen? (PP)
(20b) Bringen Sie Ihrer Frau diese Blumen! (Dativobjekt)
Abgesehen davon, daß kommen, das eine konkrete Bewegung bezeichnet, kein
Dativobjekt als GOAL-Angabe zuläßt, verhält sich bringen also in bezug auf
die Neutralisierung genauso wie nichtintentionales kommen.
Zu mitbringen: Mitbringen weist eine unterschiedliche Akzeptabilität auf13:
Das Dativobjekt, nicht aber die PP veranlaßt die Neutralisierung. Die Situation
in (21a–b) ist beispielweise die gleiche wie in (20a–b). (21b) ist nun akzeptabel
wie (20b), während (21a) im Gegensatz zu (20a) nicht akzeptabel ist:
(21a) *Können Sie mich zum Bahnhof mitbringen? (PP)
(21b) Bringen Sie Ihrer Frau diese Blumen mit! (Dativobjekt)
12 Fillmore (1997, 89) macht diesbezüglich auf eine interessante Erscheinung des eng-
lischen Verbs bring aufmerksam: „I suspect that in some dialects ‚bring‘ has no deic-
tic components at all, but merely a destination-oriented verb having much the same
syntactic nature as ‚deliver‘.“
13 Die Semantik von bringen und mitbringen ist im übrigen anders gestaltet. Bei bringen
ist der Zweck der Fortbewegung der Subjektperson die Beförderung des Akkusativ-
objekts, während bei mitbringen die Beförderung beiläufig geschieht. Dies ist in fol-
genden Sätzen zu sehen:
(i) Ich bin gekommen, um dir die Blumen zu bringen/*mitzubringen.
(ii) Ich bin gekommen, um deinem Bruder etwas zu geben. Aber ich habe dir auch et-
was *gebracht/mitgebracht.
aus dieser Tätigkeit resultiert, während die achievement-Verben wie die, reach,
find nur das punktuelle Ereignis bezeichnen.14
Die Verben des Gelangens wie gelangen, eintreffen, erreichen, ankommen,
die zu den nichtintentionalen Verben zählen, sind als achievement-Verb zu
klassifizieren. Diese Verben bezeichnen nur das punktuelle Ereignis des Errei-
chens des Zieles, aber nicht die Fortbewegung, die zum Erreichen des Zieles
führt. Nichtintentionales kommen zählt auch zu dieser Verbklasse.15 Intentio-
nales kommen dagegen gehört zu den accomplishment-Verben. Dieses kommen
bezeichnet nicht nur das Erreichen des Zieles, sondern auch die vorhergehende
Tätigkeit der Fortbewegung. Für intentionales kommen wie in (22) ist dann
eher gehen ein Synonym, in der Hinsicht, daß beide Verben intentionale Ver-
ben sind und beide eine Fortbewegung bezeichnen.
(22) Gehen/kommen Sie bitte zum Büro!
Gehen stellt aber gleichzeitig ein Antonym zu intentionalem kommen dar, in
dem Sinne, daß, wie Fillmore (1972: 4f.) in bezug auf go und come bemerkt, ge-
hen source-orientiert, kommen goal-orientiert ist. Di Meola (1994:192ff.) ver-
weist auch auf die Antonymie. Zum (22) entsprechenden Fall vermerkt er z. B.
die Opposition der deiktischen Bedingung und des Blickwinkels.
Kommen scheint also unter den Verben im Deutschen in dem Punkt einen
Sonderstatus zu haben, daß es sowohl zu den accomplishment- als auch zu den
achievement-Verben zählt. Es gibt wohl im Deutschen kaum ein Verb, das
diese Eigenschaft zeigt. Das englische Verb find gehört aber anscheinend zu
dieser Klasse, wenn Leisi (1975, 106) bemerkt: „Ebensowenig können wir je-
mand auffordern: „Finde!“, da finden immer heißt: ‚zufällig, wenn auch nach
Anstrengung, finden.‘ Hier scheint das englische to find vom deutschen ver-
schieden zu sein, da man es auch als Wunsch (Will you find me a taxi?) und als
Versprechen (I’ll find a chair for you) hören kann.“
Zur Unterscheidung von intentionalem und nichtintentionalem kommen
läßt sich auch in bezug auf die Rollensemantik bemerken, daß sie sich bei in-
tentionalem kommen aufs Agens, bei nichtintentionalem kommen aufs Patiens
bezieht. Ich vermute außerdem, daß die Unterscheidung auch syntaktisch
relevant ist, d.h., in bezug auf die sogenannte Ergativhypothese. Grewendorf
(1989:179) klassifiziert ankommen als unaccusative-Verb. Das nichtintentio-
16 Allerdings betrachtet Schmidt (1966, 40) selbst das Merkmal ‚irgendwohin gelan-
gen‘ als aktuelle Bedeutung (vgl. das im 4. Abschnitt angeführte Zitat). Dies kommt
daher, daß er eine weitere Verwendung von kommen in Betracht zieht, die sich mit
sich nähern paraphrasieren läßt und das Merkmal [+GELANGEN] nicht haben
kann. Diese Verwendung lasse ich aber hier außer acht, weil sie im Grunde genom-
men nur ohne GOAL-Angabe möglich ist und immer deiktisch gebraucht wird. (vgl.
Di Meola (1994, 48f.) und sein im 3. Abschnitt zitiertes Diagramm 1)
Das gleiche gilt auch für mitbringen: Die Lücke, die wegen der Unmöglichkeit
der Neutralisierung mit einer PP entsteht, wie im Fall von (21a), wird mit mit-
nehmen gefüllt, wie (23) zeigt:17
(23) Können Sie mich zum Bahnhof mitnehmen? (PP)
Das Verhältnis von gehen zu intentionalem kommen ist also mit dem von mit-
nehmen zu mitbringen identisch.18 Bei nichtintentionalem kommen und bringen
dagegen gibt es kein entsprechendes Verb, das in der gleichen synonymisch-
antonymischen Relation steht. Bei bringen kommt übrigens auch nehmen nicht
in Frage, weil nehmen im Gegensatz zu mitnehmen die Verwendung im Zusam-
menhang mit der Beförderung nicht zuläßt, wie (24) zeigt:
(24) *Können Sie mich zum Bahnhof nehmen? (PP)
Es sei ferner anzumerken, daß natürlich auch nichtintentionales kommen und
bringen mit z.B. wegkommen und wegbringen in einer bestimmten synony-
misch-antonymischen Relation stehen, aber die Relation ist anders als die, die
zwischen intentionalem kommen und gehen bzw. mitbringen und mitnehmen
besteht.
9. Schlußbemerkung
In diesem Aufsatz wurden die deiktischen Verben kommen, bringen und mit-
bringen in bezug auf die Bedingungen untersucht, die ihren deiktischen Cha-
rakter aufheben. Das Ergebnis war, daß bei kommen die Neutralisierung durch
eine explizite GOAL-Angabe nur bei nichtintentionalem kommen in Kraft
tritt, bei bringen durch eine explizite GOAL-Angabe anhand der Präpositio-
nalphrase und des Dativobjekts und bei mitbringen nur anhand des Dativ-
objekts. Die Neutralisierung der untersuchten Verben wurde dann mit einigen
semantischen Eigenschaften in Zusammenhang gebracht.
Zum Schluß sei angemerkt, daß in diesem Aufsatz nicht die Variante von
kommen einbezogen wurde, die in der indirekten Rede bzw. in der Fiktion und
ferner in der Situation vorkommt, in der der Zielort die homebase darstellt.
In diesen Fällen kann unter bestimmten Voraussetzungen intentionales kom-
men gebraucht werden, auch wenn die deiktische Bedingung nicht erfüllt ist.
Das heißt, die Neutralisierung kann auch bei intentionalem kommen in Kraft
17 Das GOAL ist bei mitnehmen auch durch ein Dativobjekt zu bezeichnen, wie folgen-
der Satz zeigt:
(i) Nehmen Sie Ihrer Frau diese Blumen mit! (Dativobjekt)
In diesem Fall sind also sowohl mitbringen wie auch mitnehmen zu gebrauchen. Im
übrigen gilt das, was in der Anmerkung 13 zu mitbringen bemerkt wurde, auch für
mitnehmen.
18 Es sei dahingestellt, ob die deiktische Eigenschaft von mitnehmen gleich der von ge-
hen ist.
treten. Diese Erscheinung ist aber eine interne Besonderheit des intentionalen
kommen, und widerlegt nicht den Schluß, daß die Neutralisierung zwar bei
nichtintentionalem, nicht aber bei intentionalem kommen möglich ist.
10. Literatur:
Di Meola, Claudio (1994): Kommen und gehen. Tübingen. (Linguistische Arbeiten 325).
Dowty, David R. (1979): Word Meaning and Montague Grammar. Dordrecht/Boston/
London.
Fillmore, Charles J. (1972): How to know whether you’re coming or going. In: Descrip-
tive and Applied Linguistics 5. Tokyo. I.C.U. S. 2-17.
Fillmore, Charles J. (1997): Lectures on Deixis. Stanford, Calif.
Grewendorf, Günther (1989): Ergativity in German. Dordrecht/Providence.
Leisi, Ernst (1975): Der Wortinhalt. Heidelberg (UTB 95).
Levinson, Stephan C. (1983): Pragmatics. Cambridge.
Rauh, Gisa (1981): On coming and going in English and German. In: Papers and Studies
in Contrastive Linguistics 13. S. 53–68.
Schmidt, Wilhelm (1966): Lexikalische und aktuelle Bedeutung. Berlin.
Shirooka, Keiji (1984): Zur Problematik der Absichtsverben und der absichtsfreien Ver-
ben. In: Doitsu Bungaku (Deutsche Literatur, Organ der japanischen Gesellschaft
für Germanistik) 73. S. 138–149.
Vendler, Zeno (1967): Linguistics in philosophy. Ithaca, N.Y.
Verkuyl, H. (1993): A Theory of Aspectuality. Cambridge.
Watanabe, Shinji (1985): Zur semantischen Analyse von mitnehmen, mitbringen und
bringen. (japanisch) In: Doitsu Bungaku (Deutsche Literatur, Organ der japani-
schen Gesellschaft für Germanistik) 75. S. 108–115.
Watanabe, Shinji (1986): Zur Neutralisierung des deiktischen Charakters von kommen.
(japanisch) In: Shi Gengo (Dichtung und Sprache) 29. S. 1–11. Universität Tokio.
Watanabe, Shinji (1993): Zur Neutralisierung der deiktischen Eigenschaft von kommen.
Ms. Universität Osaka.
Watanabe, Shinji (1994): Zur Deixis und Semantik von kommen. (japanisch) In: Doitsu
Bungaku (Deutsche Literatur, Organ der japanischen Gesellschaft für Germani-
stik) 93. S. 125–135.