Sie sind auf Seite 1von 2

„Das Kunstwerk in Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit <Zweite Fassung>, pp.

350-
384.
GS 7, Nachträge, pp. 370-371. Nota al pie 12 al apartado XII:

12 Das proletarische Klassenbewußtsein, welches das erhellteste ist, verändert, nebenbei gesagt, die
Struktur der proletarischen Masse grundlegend. Das klassenbewußte Proletariat bildet eine
kompakte Masse nur von außen, in der Vorstellung seiner Unterdrücker. In dem Augenblick, da es
seinen Befreiungskampf aufnimmt, hat seine scheinbar kompakte Masse sich in Wahrheit schon
aufgelockert. Sie hört auf, unter der Herrschaft bloßer Reaktionen zu stehen; sie geht zur Aktion
über. Die Auflockerung der proletarischen Massen ist das Werk der Solidarität. In der Solidarität
des proletarischen Klassenkampfs ist der tote, undialektischc Gegensatz zwischen Individuum und
Masse abgeschafft; er besteht nicht für den Genossen. So entscheidend daher die Masse für den
revolutionären Führer auch ist, so besteht dessen größte Leistung nicht darin, die Massen nach sich
zu ziehen, sondern immer wieder in die Massen sich einbeziehen zu lassen, um immer wieder einer
von Hunderttausenden für sie zu sein. - Der Klassenkampf lockert die kompakte Masse der
Proletarier auf; eben derselbe Klassenkampf aber komprimiert die der Kleinbürger. Die Masse als
undurchdringliche und kompakte, wie sie Le Bon und andere zum Gegenstand ihrer
«Massenpsychologie» gemacht haben, ist die kleinbürgerliche. Das Kleinbürgertum ist keine
Klasse; es ist in der Tat nur Masse und zwar eine umso kompaktere, je größer der Druck ist,
welchem es zwischen den heiden feindlichen Klassen der Bourgeoisie und des Proletariats
ausgesetzt ist. In dieser Masse ist in der Tat das emotionale Moment bestimmend, von dem in der
Massenpsychologie die Rede ist. Aber gerade dadurch bildet diese kompakte Masse den Gegensatz
zu den einer kollektiven Ratio gehorchenden Kaders des Proletariats. In dieser Masse ist in der Tat
das reaktive Moment bestimmend, von dem in der Massenpsychologie die Rede ist. Aber eben
dadurch bildet diese kompakte Masse mit ihren unvermittelten Reaktionen den Gegensatz zu den
proletarischen Kaders mit ihren Aktionen, welche durch eine Aufgabe, und sei es die momentanste,
vermittelt werden. So tragen die Manifestationen der kompakten Masse durchweg einen panischen
Zug –es sei, daß sie der Kriegsbegeisterung, dem Judenhaß oder dem Selbsterhaltungstrieb
Ausdruck geben.– Ist der Unterschied zwischen der kompakten, nämlich kleinbürgerlichen, und der
klassenbewußten, nämlich proletarischen, Masse einmal geklärt, so ist auch seine operative
Bedeutung klar. Anschaulich gesagt erweist diese Unterscheidung ihr Recht nirgends besser als in
den keineswegs seltenen Fällen, wo das, was ursprünglich Ausschreitung einer kompakten Masse
war, in Folge einer revolutionären Situation vielleicht schon nach dem Ablaufe von Sekunden zur
revolutionären Aktion einer Klasse geworden ist. Das Eigentümliche solcher wahrhaft historischen
Vorgänge besteht darin. daß die Reaktion einer kompakten Masse in ihr selbst eine Erschütterung
hervorruft, welche sie auflockert und ihr erlaubt, ihrer selbst als einer Vereinigung klassenbewußter
Kaders innezuwerden. Was ein solcher konkreter Vorgang in gedrängtester Frist enthält, ist nichts
anderes, als was in der Sprache der kommunistischen Taktiker «die Gewinnung des
Kleinbürgertums» heißt. An der KlarsteIlung dieses Vorgangs sind diese Taktiker selbst noch in
anderem Sinn interessiert. Denn unzweifelhaft hat ein zweideutiger Begriff der Masse, der
unverbindliche Hinweis auf ihre Stimmung wie er in der revolutionären Presse Deutschlands üblich
gewesen ist, Illusionen befördert, die dem deutschen Proletariat zum Verhängnis geworden sind.
Dagegen hat sich der Faschismus diese Gesetze –mag er sie durchschaut haben oder nicht–
ausgezeichnet zunutze gemacht. Er weiß: je kompakter die Massen sind, die er auf die Beine bringt,
desto mehr Chance, daß die konterrevolutionären Instinkte des Kleinbürgertums ihre Reaktionen
bestimmen. Das Proletariat seinerseits aber bereitet eine Gesellschaft vor, in der weder die
objektiven noch die subjektiven Bedingungen zur Formierung von Massen mehr vorhanden sein
werden.

Das könnte Ihnen auch gefallen