Sie sind auf Seite 1von 16

WILHELM WADL

Britische Besatzung in Kärnten und in der Steiermark bis zum Jahresende 1945

Jänner 1945: Stand des alliierten Vormarsches; erschütternde Bilanz von 7 Jahren NS-
Herrschaft in Kärnten

Von allen vier alliierten Mächten waren die Briten hinsichtlich ihres Verhältnisses zur
Bevölkerung der besetzten Gebiete in der günstigsten Lage. Sie wurden von der überwältigenden
Mehrheit der Kärntner und Steirer augenblicklich als Befreier angesehen, obwohl das britische
Besatzungsregime bei aller Korrektheit wesentlich strenger war als etwa jenes der Franzosen. Die
Befreiung durch die Briten wurde von den meisten jedoch nicht so sehr als eine Befreiung von der
Nazidiktatur empfunden, sondern vielmehr als Befreiung von anderen Besatzungsmächten,
konkret gesprochen den jugoslawischen Verbänden in Kärnten und der Roten Armee samt ihren
Verbündeten in der Steiermark.
Hinsichtlich der Abgrenzung der britischen Besatzungszone ergaben sich bedingt durch die
Verschiebung der Ländergrenzen in der NS-Zeit1 erhebliche Probleme. Kärnten fiel in den Grenzen
des Reichsgaues, also einschließlich Osttirols, in den britischen Kontrollbereich. Bezüglich der
Steiermark setzten sich die Sowjets jedoch mit ihrer Forderung nach der Wiedererrichtung des
Burgenlandes durch und erreichten damit eine perfekte Abschirmung Ungarns von den
Westalliierten. Hinsichtlich Osttirols beharrten die Briten lange Zeit auf dessen Verbleib bei
Kärnten. Noch bei der Landtagswahl im November 1945 wurden daher im Bezirk Lienz
Abgeordnete für den Kärntner Landtag gewählt. Erst am 26. September 1947 kam es zum
Wiederanschluss Osttirols an Tirol, ohne dass dies an den Zonengrenzen etwas geändert hätte.2
Anders entschieden die Alliierten bezüglich des steirischen Ausseerlandes, das in der NS-Zeit dem
Reichsgau Oberdonau angeschlossen worden war. Mit seiner Rückgliederung an die Steiermark
am 14. September 1948 fiel dieses Gebiet auch in die britische Besatzungszone.
Nur in Kärnten konnten die Briten ihre Vorstellungen von alliierter Kontrolle von allem Anfang an
umsetzen, während sie den Großteil der Steiermark erst nach dem 24. Juli 1945 zu verwalten
begannen, also zu einem Zeitpunkt, als eine allmähliche Lockerung der Besatzungskontrolle schon
bevorstand. Hinsichtlich Kärntens stützen sich die folgenden Ausführungen vor allem auf lokale
Primärquellen3, weil hier über die unmittelbare Nachkriegszeit (abgesehen von zwei Publikationen
aus dem Jahr 1985)4 nur sehr wenig Literatur vorliegt. Hingegen ist die Steiermark v. a. durch die
engagierten Forschungen von Siegfried Beer und Stefan Karner sowie zahlreicher ihrer Studenten
schon sehr gut bearbeitet.5
Durch den alliierten Luftkrieg, der Südösterreich im Januar 1944 erreichte, und die schon im
Jahr zuvor einsetzenden Aktionen von Partisaneneinheiten wurde auch die Kärntner Bevölkerung
vom Krieg unmittelbar betroffen. Klagenfurt und Villach zählten zu den am stärksten vom

1
Bombenkrieg beeinträchtigten Orten Österreichs.6 Durch ihre Aktionen, die mehrere tausend
deutsche Sicherheitskräfte vom Fronteinsatz fernhielten, haben die Partisanen einen begrenzten
Beitrag zur Beseitigung der NS-Diktatur geleistet.7 Dabei nahmen sie schwere Opfer unter der
Zivilbevölkerung der betroffenen Gebiete bewusst in Kauf. Hinsichtlich ihrer politischen Ziele waren
die Partisanen, die sich Großteils aus Slowenen jenseits der Kärntner Grenzen, geflohenen
Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern zusammensetzten, jedoch keine österreichisch orientierte
Widerstandsbewegung, sondern kämpften für den Anschluss der befreiten Gebiete an

Jugoslawien.8 Im Frühjahr 1945 traten in Kärnten andere, bislang isoliert gewesene


Widerstandsgruppen unterschiedlicher politischer Ausrichtung miteinander in Kontakt und bauten
ein Netz von Vertrauensleuten im Bereich der Wehrmacht, der Exekutive und bei
Verkehrseinrichtungen auf. Schon seit Februar bestand auch Funkkontakt mit den Alliierten und
mit Vertretern der österreichischen Emigration in London. Alle diese Widerstandsgruppen waren
sich darin einig, dass die slowenischen Partisanen, über deren politische Ziele man Bescheid
wusste, nicht in die politische Nachkriegsordnung eingebunden werden sollten. Alle Bestrebungen
waren daher darauf ausgerichtet, eine möglichst rasche Besetzung Kärntens durch britische
Truppen zu erreichen und dadurch die Landeseinheit zu sichern. Einig war man sich auch darin,
einen unblutigen Umsturz im Rahmen einer Verhandlungslösung anzustreben.
Eine zentrale Rolle in diesen Verhandlungen, die zur Ablöse der nationalsozialistischen
Machthaber führen sollten, kam dem Gauhauptmann Meinrad Natmeßnig zu, der den Gauleiter
von Kärnten, Dr. Friedrich Rainer, am 4. Mai dazu überreden konnte, mit einer Abordnung von
Vertretern der demokratischen Parteien der Ersten Republik zusammenzutreffen. Am 5. Mai
bildete sich im Landhaus ein Provisorischer Vollzugsausschuss, dem zunächst nur
Sozialdemokraten (Hans Herke und Friedrich Schatzmayr), Christlichsoziale (Sylvester Leer und
Hans Großauer) und parteiungebundene Widerstandskämpfer (Julius Santer) angehörten. Schon
am folgenden Tag wurde dieser Ausschuss allerdings um Vertreter des ehemaligen Landbundes
erweitert und in Parteienverhandlungen eine Provisorische Landesregierung zusammengestellt, an
deren Spitze der sozialdemokratische Villacher Schuldirektor Hans Piesch trat. Diese bestand aus
zehn Mitgliedern (drei Sozialdemokraten, zwei Kommunisten, zwei Christlichsoziale, zwei
Landbündler und ein Parteiloser), wobei man allerdings die Regierungsbeteiligung der
Kommunisten zunächst geheimhielt.9
Obwohl es den Parteienvertretern gelungen war, sich die Unterstützung von Teilen der
Exekutive und der Wehrmacht zu sichern, war ihre Initiative dennoch mit einem hohen
persönlichen Risiko verbunden. In mehreren Verhandlungsrunden in Klagenfurt und in der
Gauleitervilla in Pritschitz fand Rainer immer wieder neue Ausflüchte, um seinen Rücktritt
hinauszuzögern (Rücksprache mit Hitlers Nachfolger Admiral Karl Dönitz, Fahrt nach Graz zu
Generalfeldmarschall Albert Kesselring). Entgegen schon gegebener Zusicherungen gab er in
Radioreden Durchhalteappelle aus und versuchte, seine Verhandlungspartner einzuschüchtern.

2
Am Nachmittag des 7. Mai überschritt ein erstes britisches Truppenkontingent - von
Abgesandten der Gailtaler Bevölkerung ermuntert - am Plöckenpass die Kärntner Grenze. Um
23.00 Uhr gab Rainer über den Rundfunk endlich seinen bedingungslosen Rücktritt bekannt, und
die Kärntner Landesregierung erließ eine Proklamation an die Kärntner Bevölkerung. In Klagenfurt
erwartete man am Morgen des 8. Mai sehnsüchtig das Eintreffen der Briten und hoffte, dass diese
der zweiten, im Anmarsch auf die Landeshauptstadt befindlichen Armee zuvorkommen würden.
Schon am 2. Mai hatte nämlich Marschall Josip Broz Tito seinen Truppen unter Bruch aller
Abmachungen mit den Alliierten den Vormarsch auf Triest und Klagenfurt befohlen, um die
jugoslawischen Gebietsansprüche durch einen militärischen Gewaltakt zu untermauern. Auf ihrem
Vormarsch nach Kärnten wurden die Jugoslawen im Gegensatz zu den Briten jedoch in schwere
Gefechte mit Wehrmachtseinheiten, Kroaten und Kosaken verwickelt. Schon am 5. Mai hatte
Generalleutnant Ferdinand Noeldechen, der Chef des in Klagenfurt stationierten Ersatzregiments
139, den Befehl erteilt, die Grenze Kärntens gegen Slowenien nach Möglichkeit bis zum Eintreffen
der Briten zu halten. Daher waren letztlich die Briten früher am Ziel, erreichten mit ihrer
Panzerspitze am 8. Mai um 10.30 Uhr das Stadtzentrum und hatten schon wichtige zentrale Plätze
besetzt, als die ersten jugoslawischen Einheiten um 15.00 Uhr in der Stadt eintrafen.10
Die Erwartungshaltung der Landesregierung an die britische Armee wird anschaulich durch eine
unterwürfige Ansprache des Landeshauptmannes illustriert, die am Vormittag des 8. Mai eiligst ins
Englische übersetzt, dann aber doch nicht gehalten wurde: „We are very happy that you will help
us to maintain the unity of the country ... I assure you that the provisional government will endeaver
to be on best terms with you and that the population of Carinthia will be extre- mely thankful to you

for the occupation of the country ...".11 Briten und Jugoslawen beschlagnahmten in der Folge
wichtige Gebäude der Landeshauptstadt, erließen Aufrufe zur Geltendmachung ihrer Ansprüche,
führten Entwaffnungen und Verhaftungen durch. Da die Landesregierung nicht bereit war, sich den
jugoslawischen Truppen zu unterstellen, wurde am 16. Mai 1945 im Festsaal des Klagenfurter
Gymnasiums ein „Volksbefreiungsausschuss für Slowenisch-Kärnten", also eine Gegenregierung,
ins Leben gerufen. Nach und nach strömten rund 20.000 jugoslawische Soldaten ins Land, die
eine schwere Belastung darstellten, weil sie sich im Gegensatz zu den Briten ausschließlich durch
Beschlagnahmungen versorgten. Anhand vorbereiteter Listen (teilweise auch spontan) wurden in
Klagenfurt und im Unterkärntner Raum mehrere hundert Personen verhaftet und teils über die
Grenze verschleppt. Von diesen verschwanden 91 namentlich bekannte österreichische
Staatsangehörige spurlos und fielen – wie wir heute wissen – Massenerschießungen zum Opfer
bzw. kamen in Anhaltelagern um.12
Die Briten reagierten auf die jugoslawische Truppenpräsenz zunächst mit militärischen
Drohgebärden. Feldmarschall Sir Harold Alexander warf seinem Verbündeten Marschall Tito
faschistische Eroberungspolitik vor. Amerikanische Truppeneinheiten rückten nach Oberkärnten
vor. Hinter den Kulissen begann ein hektischer diplomatischer Notenkrieg, und in Kärnten schien

3
eine Fortsetzung des Krieges unter gänzlich neuen Vorzeichen unmittelbar bevorzustehen. In
direkten Kontakten zwischen den Spitzen der alliierten Mächte wurde die Krise schließlich
beigelegt. Marschall Josef Stalin stellte die jugoslawischen Einheiten unter sowjetisches
Kommando und befahl ihren Rückzug, der zwischen 19. und 25. Mai mit britischer Unterstützung
abgewickelt wurde.
Die jugoslawischen Gebietsansprüche blieben davon jedoch unberührt und wurden in Kärnten
von der Befreiungsfront (osvobodilna fronta - OF), der politischen Organisation der
Partisanenbewegung, vehement vertreten. Eine Hauptaufgabe der Landespolitik der kommenden
vier Jahre war es daher, dieser Bedrohung der Landeseinheit zu begegnen. Dies geschah in
zweifacher Weise. In umfangreichen mehrsprachigen Memoranden wurde schon im Jahr 1945 auf
das Plebiszit des 10. Oktober 1920, die natürliche wirtschaftliche und geographische Einheit
13
Kärntens und den politischen Willen der großen Bevölkerungsmehrheit verwiesen.13 In breiter
Form sammelte man Argumente für die künftigen diplomatischen Verhandlungen. Wichtiger war
jedoch der Versuch einer umfassenden Wiedergutmachung des Unrechts, das der slowenischen
Volksgruppe in der NS-Zeit zugefügt worden war. Seit der ersten Sitzung der Provisorischen
Landesregierung waren daher die Rückführung der ausgesiedelten Slowenen auf ihre
rechtmäßigen Besitzungen sowie ein umfassender Maßnahmenkatalog zur rechtlichen
Absicherung der Minderheit zentrale Anliegen der Landespolitik.14 Unter maßgeblicher Mitarbeit
des slowenischen Landesrates Dr. Josef Tischler wurde im Herbst 1945 vor allem das Schulwesen
neu geordnet und mit der Einführung des obligatorischen zweisprachigen Unterrichtes in einem
klar umgrenzten Gebiet auf eine völlig neue Grundlage gestellt.15
Alle Initiativen zugunsten der Minderheit wurden von der Landesregierung gesetzt und von der
britischen Militärverwaltung befürwortet. Strikt abgelehnt wurde von den Briten jedoch jede
Amtssprachenregelung zugunsten der Minderheit, und zwar deshalb, weil sie darin ein territoriales
Präjudiz sahen.16 Auf das politische Forderungsprogramm der „osvobodilna fronta", die Kärnten
zum integrierenden Bestandteil Jugoslawiens erklärte, reagierte die Militärregierung Anfang Juli
strikt ablehnend und war dadurch eine wesentliche Stütze der Landespolitik: Die Grenzen
Österreichs seien jene vor dem Anschluss; über eine allfällige Veränderung entscheide allein eine
künftige Friedenskonferenz. Bis dahin übe die Militärregierung eine unparteiische Verwaltung aus,
könne jedoch keinerlei Forderungen von Leuten akzeptieren, die den Standpunkt vertreten, dass
ein Teil der Bevölkerung einem anderen Staat verpflichtet sei.17
Die Briten waren über die Probleme, welche sie im südlichen österreichischen Grenzraum
erwarten würden, schon seit 1944 gut informiert, und zwar durch Nachrichtenoffiziere, die mit dem
Fallschirm abgesprungen waren und sich zu den Partisanen durchgeschlagen hatten. In den
Geheimdienstberichten werden der geringe militärische Wert der Partisanenaktionen und ihre
mangelnde Unterstützung durch die Kärntner Slowenen betont. Die britischen politischen Planer
leiteten daraus den Schluss ab, dass die Sympathien der Bevölkerung für Jugoslawien trotz der

4
nationalsozialistischen Unterdrückung nicht höher seien, als sie es 1920 bei dem für Österreich
erfolgreichen interalliierten Plebiszit im Klagenfurter Becken gewesen waren.18
Dass die in Klagenfurt einrückenden britischen Truppen von einer Provisorischen
Landesregierung demokratischer Parteien empfangen wurden, sorgte für Verwirrung.
Selbstverwaltung war in den britischen Planungen nur auf unterster Ebene vorgesehen.
Angesichts des allgemeinen Chaos, der Hunderttausenden Soldaten und Flüchtlinge und der
akuten Konfrontation mit den Jugoslawen ließ man die Kärntner Landesregierung jedoch vorläufig
gewähren. Sie hat diese Chance wahrgenommen und in kürzester Zeit auf allen Ebenen der
Verwaltung politisch zuverlässige kommissarische Leiter eingesetzt. Im Bereich der Gemeinden
wurden etwa die letzten demokratisch gewählten Bürgermeister oder eine andere politisch
unbelastete Person des letzten Gemeindevorstandes vor 1934 herangezogen.
Seit 12. Mai amtierte im Landhaus, das die Briten beschlagnahmten, eine Alliierte
Militärregierung für Kärnten. Sie stand unter der Leitung von Oberstleutnant Donald G. H. Smith,
bestand aus 27 Offizieren und gliederte sich in eigene Abteilungen für Verwaltung, Gesetzgebung,
Finanzen, öffentliche Sicherheit, Gesundheitswesen, Wirtschaft, Verkehr und
Arbeitsmarktverwaltung.19 Die Militärregierung führte zunächst umfangreiche Recherchen über die
finanzielle, politische und wirtschaftliche Lage im Land durch. Der von der Landesregierung
eingesetzten Verbindungsstelle wurde auch ein politischer Fragenkatalog vorgelegt:
„Wie stellt sich die Kärntner Bevölkerung zur Provisorischen Landesregierung?
- Wie beurteilt die Bevölkerung die innere Lage Kärntens?
- Bestehen tatsächlich ernste Beschwerden gegenüber den Tito-Leuten?
- Bestehen separatistische Absichten gegenüber Wien?
- Wie beurteilt man das Verhältnis der hiesigen zur Wiener Regierung und ist man bereit, von
der Regierung Renner Anweisungen entgegenzunehmen?"20
Weitere Erhebungen betrafen das Minderheitenschulwesen vor 1938, Nationalitäten- und
Wahlstatistiken. Statistische Handbücher wurden angefordert. Trotz aller alliierten Planungen war
man also offenkundig über die konkreten Verhältnisse am Einsatzort nicht sonderlich genau
informiert, bemühte sich aber, einen umfassenden Überblick zu gewinnen.
Anfang Juni wurde die Landesregierung dann von der britischen Militärregierung aufgelöst und
in einen Konsultativen Landesausschuss umgewandelt, der lediglich beratende Funktion haben
sollte.21 Nunmehr nahmen die Briten das Heft selbst in die Hand, führten Massenverhaftungen
nationalsozialistischer Funktionäre durch und unterzogen alle künftigen öffentlichen
Funktionsträger neuerlich einem umfangreichen Auslese- und Prüfungsverfahren. Das Verhältnis
zwischen der Militärregierung und dem Landesausschuss wurde zunehmend unfreundlich. Im
Verwaltungsgang ergaben sich durch die zeitaufwendigen Übersetzungsarbeiten ungeheure
Verzögerungen. Die mit den lokalen Verhältnissen nicht vertrauten Ortskommandanten („town
mayors") agierten oft selbstherrlich und stifteten zusätzliche Verwirrung. Die Mitglieder des

5
Landesausschusses waren bei Dienstreisen in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, ja es kam
sogar zur Verhaftung einzelner Ausschussmitglieder. Mitte Juli überlegte der Landesausschuß
wegen der fortlaufenden Behinderung seiner Arbeit und unliebsamer Vorfälle im Zusammenhang
mit der Rückkehr der ausgesiedelten Slowenen seinen kollektiven Rücktritt.22 Urplötzlich kam es
jedoch zu einer grundlegenden Änderung der britischen Besatzungspolitik. Am 24. Juli überreichte
der neue Chef der Militärregierung, Oberst H. B. Simson, Landeshauptmann Piesch das
Ernennungsdekret zum Chef einer neuen Provisorischen Landesregierung.23 Dieses enthielt klare
Richtlinien über die Grundsätze der künftigen Besatzungspolitik: Bis zur Abhaltung freier Wahlen
werde eine Provisorische Landesregierung für Kärnten eingerichtet. In ihr seien alle anerkannten
politischen Parteien vertreten. Die Militärregierung behalte sich das Recht vor, die parteimäßige
Zusammensetzung der Landesregierung zu ändern sowie einzelne Mitglieder zu entfernen oder
neu zu ernennen. Sie erwarte, dass das Regierungsgremium kooperativ zusammenarbeite. Die
zentrale Forderung der Briten ist im Punkt 5 des Dekrets enthalten: „So long as recognition of the
Renner Government in Vienna is not accorded by H. M. Government, no attempt will be made by
the Provisional Government for Kärnten to communicate either directly or indirectly with the Renner
Government, nor will any Instructions be accepted from the Renner Government." Bei Einhaltung
dieser Vorgabe übertrugen sie der neuen Landesregierung die Exekutivgewalt im Rahmen der
Landesverwaltung, welche jedoch weiterhin der Kontrolle der Militärregierung unterstellt blieb. Eine
Abschrift der Sitzungsprotokolle sollte nach den Vorgaben des Ernennungsdekrets binnen zwölf
Stunden der Militärregierung übermittelt werden. An diesem Punkt zeigt sich die eklatante
Diskrepanz zwischen papierenen Normen und der Realität der Besatzungskontrolle am
deutlichsten. Die Amtssprache im Verkehr mit der Militärregierung war Englisch. Daher mussten
die Reinschriften zunächst übersetzt werden und langten nicht nach zwölf Stunden, sondern stets
erst nach einem Monat bei der Militärregierung ein. Daran änderte sich auch nichts, als die Briten
schon am 9. August verfügten, dass ihnen kurzgefasste Protokollauszüge genügen würden.24
Die parteimäßige Zusammensetzung der Landesregierung wurde von den Briten strikt
vorgegeben und entsprach ihren Vorstellungen vom politischen Stärkeverhältnis der Parteien (vier
Sozialisten, drei Vertreter der Volkspartei, ein Kommunist und ein Slowene). Die Kommunisten
pochten - wohl mit Blick auf die steirischen Verhältnisse - vergeblich auf eine stärkere
Berücksichtigung.25
Die wichtigste Vorgabe an das neue Gremium war jedoch, „dass die Landesregierung Kärntens
auf Anordnung der Militärregierung keinen Zusammenhang mit der Provisorischen Staatsregierung
in Wien haben soll und haben darf".26 Tatsächlich gab es seit dem Mai 1945 bis zur
Länderkonferenz im September keinerlei Kontakte zwischen Vertretern der Kärntner
Landesregierung und der Staatsregierung in Wien. Die gänzliche Isolierung Kärntens fand jedoch
schon Anfang August ihr Ende. Mit Zustimmung der Briten reiste am 5. August eine Kärntner
Regierungsdelegation nach Graz. In Kärnten wurde das Besatzungsregime schon in der ersten

6
Augusthälfte weiter gelockert. Da die Kärntner Landesregierung sich an die britischen Vorgaben
hielt und Kontakte mit Wien vermied, wurde ihr am 9. August zugestanden, dass ihr Wirkungskreis
die unmittelbare Bundesverwaltung und die autonome Landesverwaltung umfasse. In der Kärntner
Landesregierung wurde dies so interpretiert: „Die Gewalt der Staatsregierung ist durch den
Vertrauensakt der Militärregierung in einer Reihe von Belangen auf die Landesregierung
übergegangen, so dass diese auf dem Gebiete ihres Behördenwesens Hoheitsrechte setzen
kann."27 Die Briten beanspruchten lediglich Mitspracherechte in den Bereichen Bahn, Post und
Justiz. Daher kam es nun rasch zu zahlreichen Personalentscheidungen der Landesregierung in
staatlichen Hoheitsbereichen (Finanz, Schulverwaltung, Exekutive usw.), was nach 1945 zu
zahlreichen Auseinandersetzungen mit der Bundesverwaltung führen sollte.
Das wichtigste Ergebnis zweier Zusammenkünfte mit steirischen Regierungsvertretern in Graz
(5. August) und Friesach (1. September) war die Schaffung eines Landeswirtschaftsrates für
Kärnten, also einer sozialpartnerschaftlichen Institution zur Wirtschaftslenkung, die in der
Steiermark schon existierte.28 Über diesen beiden Landesgremien entstand im September unter
tatkräftiger Förderung der Wirtschaftsabteilung der Militärregierung ein gemeinsamer
Lenkungsausschuss, das sogenannte „Österreichische Wirtschaftskomitee", welches seinen Sitz in
Klagenfurt hatte. Aus der Sicht der Briten sollte dieses Gremium Wirtschaftskontakte zwischen den
westlichen Besatzungszonen herstellen, den Warenaustausch beleben und Bedarfsgüter
zielgerecht verteilen.29
Da der Hauptgegner aus der Sicht der Briten Jugoslawien war, lag der Schwerpunkt der
militärischen Präsenz in Kärnten, wo sich auch das Hauptquartier der britischen Truppen befand.
Dies vermittelte den Kärntnern zwar ein Gefühl von Sicherheit, brachte aber auch enorme
Belastungen. Anfang Juli 1945 wurde eine Grenzsperrzone eingerichtet, die Kärnten entlang der
Linie Lienzer Dolomiten - Gailtaler Alpen - Dobratsch - Drau bis Lippitzbach - Koralpe in zwei
Hälften teilte. Die Einreise in die südliche Sperrzone wurde sehr erschwert und war bis Frühjahr
1949 nur mit speziellen Erlaubnisscheinen möglich.30
Hunderte Hotels, Pensionen und Gasthöfe wurden jahrelang von den Briten requiriert,
desgleichen zahlreiche Wohnungen in den besten Lagen und viele Verwaltungsgebäude und
Schulen. Noch 1948 waren mehr als 20 Prozent der Kärntner Fremdenverkehrsbetriebe wegen
britischer Beschlagnahme nicht verfügbar, und die Zahl der Fremdenbetten lag deshalb erst bei 40
Prozent des Vorkriegsniveaus. Eine entscheidende Änderung trat darin erst 1950 ein.31 Da im
Landhaus die Militärregierung amtierte und im Sitzungssaal die Zensurstelle untergebracht war,
konnte der Kärntner Landtag erst 1948 wieder an seine traditionelle Wirkungsstätte zurückkehren.
Die Wohnungsbeschlagnahmen erfolgten ohne Rücksicht auf die politische Belastung der
Inhaber. Sie konzentrierten sich auf die besten Villengegenden Klagenfurts und den
Wörtherseeraum. Beschlagnahmt blieben jahrelang auch kirchliche und andere
rückstellungspflichtige Objekte, wie das neue Priesterhaus oder die Druckerei Carinthia. Die

7
betroffenen Haus- und Wohnungseigentümer schlössen sich bald zu einer „Notgemeinschaft der
Besatzungsopfer" zusammen und intervenierten ab 1950 immer nachdrücklicher bei der
Landesregierung und bei britischen Stellen.32 Seit 1952 gab es daher Überlegungen zum Bau von
Wohnsiedlungen für die Briten; die fertig ausgearbeiteten Projekte wurden dann aber durch den
Staatsvertrag hinfällig.
Die Besatzungskosten, welche von den Österreichern anfangs zur Gänze getragen werden
mussten, belasteten die ohnehin chaotischen Haushalte. Andererseits haben die Briten gerade im
Jahr 1945 das Ausbrechen einer Hungersnot in Kärnten mit umfangreichen
Lebensmittellieferungen verhindert. Plünderungen und Beschlagnahmen hatten die wenigen
verbliebenen Vorräte dezimiert. Kärnten war schon in Normaljahren nicht in der Lage, sich selbst
zu ernähren. Das Jahr 1945 brachte jedoch eine Missernte. Im Juni brach die Versorgung fast
völlig zusammen, und für Normalverbraucher gab es auf der Lebensmittelkarte nur noch 800
Kalorien pro Tag. Der Schwarzmarkt blühte auf, und mit Missgunst blickte so mancher auf die
Insassen der Flüchtlingslager, deren Versorgung viel gesicherter und ausreichend erschien.
Von Juni bis September 1945 stellten die Briten dann nur für Kärnten 13.400 t Getreide, 665 t
Mehl, 74 t Kaffee, 240 t Zucker, 211 t Speck und 14 t Seife zur Verfügung und kamen für 50
Prozent der Versorgung auf.33 Trotzdem blieb die Lage angespannt, denn noch im Herbst 1945
mussten in Kärnten 150.000 Menschen mehr ernährt werden als vor Kriegsbeginn. Immerhin
konnten die Lebensmittelrationen wieder angehoben werden, erreichten aber im Herbst (auf der
Normalverbraucherkarte) erst einen Nährwert von ca. 1350 Tageskalorien. Da für die hinreichende
Ernährung eines Erwachsenen jedoch 2400 Kalorien pro Tag erforderlich sind, waren große Teile
der Bevölkerung unterernährt und anfällig für Infektionskrankheiten.34
Mit großer Umsicht waren die Briten bemüht, Flüchtlingsströme nie dagewesenen Ausmaßes zu
kanalisieren. Im Weltkrieg war der Großteil der arbeitsfähigen einheimischen Bevölkerung zum
Kriegsdienst eingezogen worden. Um die Lücken auf dem Arbeitsmarkt zu schließen, rekrutierten
die NS-Machthaber in allen eroberten Ländern Tausende Zwangsarbeiter: Polen, Russen,
Ukrainer, Franzosen, Italiener und Angehörige vieler anderer Nationalitäten. Dazu kam, dass es in
Kärnten zwei große Kriegsgefangenenlager in Wolfsberg und Spittal35 sowie drei Außenlager des
KZ Mauthausen gab. Zehntausende Zivilarbeiter und Kriegsgefangene hielten sich bei Kriegsende
in Kärnten auf und wollten in ihre Heimatländer zurückkehren. Die Westeuropäer wurden in
organisierten Sammeltransporten relativ rasch über Italien in ihre Herkunftsländer gebracht.
Schwieriger war dies bei den Angehörigen osteuropäischer Nationalitäten, die teilweise nicht mehr
in ihre Heimat zurückkehren wollten. Auch zahlreiche ausgebombte Familien und verschickte
Kinder aus deutschen Städten hielten sich zu Kriegsende in Kärnten auf. In allen
Verwaltungszweigen gab es eine große Zahl an Reichsdeutschen, die nun ihre Stellungen
verloren. Die allgemeine Stimmung der Bevölkerung war im Jahr 1945 sehr feindlich gegen diese
Personengruppen und die Parole „Heim ins Reich!" oder - vornehmer ausgedrückt - das

8
Schlagwort von der „Heimführung der Reichsdeutschen" in aller Munde. Alle diesbezüglichen
Aktionen scheiterten jedoch zunächst an mangelnden Transportkapazitäten, doch wurden alle
Reichsdeutschen als quasi unerwünschte Ausländer listenmäßig erfaßt.36 Angesichts dieser
Stimmung in der Bevölkerung ist es nicht verwunderlich, dass gegenüber den Zehntausenden
Angehörigen fremder Truppenkörper und ihren Familien, die bei Kriegsende Kärnten überfluteten,
noch weniger Verständnis vorhanden war. Wegen der im Umfeld der Massenlager zwangsläufig
ausbrechenden Kleinkriminalität sah man in den Kosaken, Kroaten, slowenischen Domobranzen,
Ungarn, Weißrussen, Tschetniks und sonstigen mit Hitler ehemals Verbündeten eine Landplage.
Daher konnten die Briten bei den gewaltsamen Repatriierungsmaßnahmen durchaus auf die
Sympathie der lokalen Bevölkerung zählen. Ungefähr 50.000 Kosaken, 150.000 Kroaten und mehr
als 10.000 slowenische Heimwehrangehörige (Domobranzen) wurden gegen ihren Willen in ihre
Herkunftsländer verfrachtet und damit groß- teils in den Tod geschickt. Die Diskussion über die
Motive der Briten für diese grausame Aktion ist bis in die Gegenwart nicht verstummt.37 Andere mit
Hitler verbündete Truppeneinheiten durften hingegen in Kärnten bleiben und wurden für
Aufräumungs- und Erntearbeiten eingesetzt (Ungarn, Weißrussen usw.).
Ein bis in die Gegenwart akut gebliebenes Relikt des Jahres 1945 sind die Unmengen an
Waffen und Munition, die den Briten im Rahmen der Demobilisierung in die Hände fielen und
größtenteils in Seen und Flüssen versenkt wurden. Willkommener waren die ca. 50.000 Pferde, die
mit den ins Land einströmenden Truppen nach Kärnten gelangten, zunächst die Fluren kahlfraßen,
später aber teils in der Landwirtschaft zum Einsatz kamen und teils die Versorgungslücken bei
Fleisch für einige Zeit ausglichen.
Da die Wehrmachtsangehörigen sich noch Großteils in auswärtiger Kriegsgefangenschaft
befanden, entstand durch den Wegzug der ausländischen Zivilarbeiter und Kriegsgefangenen ein
ungeheurer Arbeitskräftemangel. In dieser Zwangslage fand die britische Militärregierung darin
einen Ausweg, dass sie 50.000 Kriegsgefangene (vor allem Angehörige der deutschen
Wehrmacht, aber auch viele Ungarn) unter Aufrechterhaltung der militärischen
Kommandostrukturen für den Arbeitseinsatz heranzog. Rund 25.000 von ihnen wurden als
Landarbeiter eingesetzt, 15.000 sorgten dafür, dass die Bahn- und Straßenverbindungen bis Mitte
Juli wieder weitestgehend intakt waren. Verkehrsfragen bildeten ein zentrales Anliegen der
Militärverwaltung. Die Wiedereröffnung der Großglockner-Hochalpenstraße am 27. Juni nach
sechs Jahren kriegsbedingter Sperre war zwar eher eine Propagandaaktion38, doch haben
ungarische Kriegsgefangene unter britischer Aufsicht zum Beispiel noch im Jahr 1945 die Steiner
Draubrücke mit 350 m Spannweite neu errichtet.39
Die Arbeitseinheiten wurden erst im Herbst 1945 nach der allmählichen Heimkehr entlassener
Wehrmachtsangehöriger langsam abgebaut, doch waren noch etwa 6000 von ihnen an der von
den Briten initiierten Holzaufbringungsaktion für den Winter 1945/46 beteiligt. Neben der
Nahrungsmittelversorgung war die Energieknappheit in den ersten Nachkriegswintern das größte

9
Problem. Da Kohle für den Hausbrand nicht zur Verfügung stand, mußten die Kärntner
Waldbesitzer 1945 ein großes Solidaritätsopfer erbringen. Mehr als eine halbe Million Festmeter
Brennholz wurden im Rahmen der „Holznotstandsaktion" geschlägert, eine fast ebenso große
Menge beschlagnahmte die Besatzungsmacht für ihre Bedürfnisse.40
Der Arbeitsmarkt war angespannt wie niemals zuvor. Im Oktober 1945 gab es einen
Fehlbestand von 15.000 Arbeitskräften. Alle Arbeitspflichtgesetze der NS-Zeit blieben daher weiter
aufrecht. Jeder Arbeitsplatzwechsel war verboten, es herrschte strikte Arbeitspflicht mit der
Möglichkeit zu Zwangseinweisungen auf unattraktive Arbeitsplätze in der Landwirtschaft.
Militärgerichte sprachen bei eigenmächtigem Verlassen eines Arbeitsplatzes harte Strafen aus.41
Schon im Mai errichteten die Briten am Standort aller Bezirksgerichte Kärntens alliierte
Militärgerichte. Diese ahndeten vor allem Verstöße gegen Anordnungen der Militärregierung,
waren jedoch monatelang auch für die normale Strafrechtspflege allein zuständig. In den ersten
Wochen stand die Nichtbeachtung der Reise- und Ausgangsbeschränkungen ganz im
Vordergrund. Ein besonderes Problem war das häufige Delikt „unerlaubter Waffenbesitz", für
welches drakonische Abschreckungsstrafen (bis zu zehn Jahre Gefängnis) verhängt wurden,
obwohl es sich oftmals nur um ganz normale Jagdwaffen handelte. Hohe Strafen wurden auch bei
Falschangaben auf Entnazifizierungs-Fragebögen ausgesprochen.42
Wegen der umständlichen Befragungen und Erhebungen im Rahmen der Entnazifizierung kam
es erst am 1. Oktober zur Wiedereröffnung der österreichischen Gerichte. Die erste
Strafverhandlung nach österreichischem Recht wurde überhaupt erst am 23. Oktober am
Klagenfurter Landesgericht durchgeführt.43
Bis Ende Juli waren schon 2300 Kärntner Nationalsozialisten verhaftet und in die
Internierungslager in Wolfsberg und Weißenstein eingeliefert worden.44 Die Entnazifizierung und
die Internierung vieler politisch Gleichgesinnter waren jedoch weitgehend kontraproduktiv.
Betrachtet man die oft erschreckende Memoirenliteratur ehemaliger Internierter, so begreifen sich
diese noch heute nicht als Funktionäre eines Unrechtsregimes, sondern sehen sich in einer

grotesken Verkehrung der Tatsachen selbst als politische Märtyrer und Verfolgte.45 Positive
Ansätze hinsichtlich der Entnazifizierung gab es am ehesten im Schulbereich. Da der Großteil der
Lehrer - ob freiwillig oder nicht - in der NS-Zeit politische Bindungen eingegangen war, mußte man
pragmatisch vorgehen. Ein Fünftel von ihnen wurde als schwer belastet entlassen. Ein Fünftel galt
als politisch unbelastet und drei Fünftel wurden trotz Parteimitgliedschaft im Dienst belassen, aber
versetzt. Der Schulbetrieb wurde erst im Oktober wiederaufgenommen. Besonderen Wert legten
die Erziehungsoffiziere der Militärregierung auf begleitende Maßnahmen wie Lehrerkonferenzen,
Umschulungskurse für Junglehrer, die rasche Heranbildung eines politisch unbelasteten
Nachwuchses und den Druck neuer Lehrbehelfe.46
Eines der wichtigsten Instrumente alliierter Kontrolle war der totale Zugriff auf Presse und
Rundfunk. Der NS-Gauverlag wurde am 7. Mai von Abgesandten der Provisorischen

10
Landesregierung übernommen. Die „Kärntner Nachrichten", das ehemalige Zentralorgan der
NSDAP, erschienen am 8. und 9. Mai als amtliche Zeitung der Kärntner Landesregierung.47 Am 10.
Mai sollte die Rückstellung an die kirchlichen Eigentümer erfolgen, doch besetzten Titopartisanen
die Druckerei. Diese mussten bald den Briten weichen, die ihrerseits die Druckerei
beschlagnahmten und ab 16. Mai die „Kärntner Nachrichten" als Tageszeitung herausbrachten.
Was der Bevölkerung darin mitgeteilt wurde, war streng vorselektiert. Hauptsächlich gab es
allgemeine zensurierte Berichte zur Weltlage, Anordnungen der Militärregierung, eine
umfangreiche Gerichtsberichterstattung zur Abschreckung vor weiteren Verstößen, Berichte über
die Verhaftung von Nazigrößen und den Stand der Internierungen. Viel Raum wurde in den Tagen
vom 19. bis 25. Mai auch dem britisch-jugoslawischen Konflikt gewidmet. Die Erklärungen
Feldmarschall Alexanders und amerikanischer Stellen wurden wörtlich abgedruckt, dies wohl
deshalb, weil gleichzeitig auch die jugoslawische Armee in Kärnten kurzfristig Zeitungen
herausbrachte.48 Nicht die mindeste Nachricht findet man hingegen über die
Zwangsrepatriierungen und über die politische Lage in Wien. Letzteres war auch ein Ausdruck der
„Chinesischen Mauer", welche die Briten zwischen ihrer Besatzungszone und der Renner-
Regierung errichteten. Während sogar das NSDAP-Gauorgan noch in den ersten Maitagen über
die Regierungsbildung in Wien berichtet hatte49, schwiegen die Briten die österreichische
Bundesregierung bis in den Oktober tot. Die völlige Abkapselung von Wien hatte auch
Auswirkungen auf die Kärntner Parteigründungen. Obwohl der Kärntner Landbundfunktionär
Vinzenz Schumy in Wien zu den Mitbegründern der ÖVP gehört hatte, kam es in Kärnten selbst
erst Anfang Juli zum politischen Zusammenschluss aller bürgerlichen Gruppierungen.50
Für die Briten war die Presse auch ein wichtiges Instrument der Entnazifizierung. Daher
brachten die Kärntner Nachrichten umfassende Berichte über Kärntner KZ-Insassen, die politische
Willkür im regionalen Raum, die Euthanasie in den Kärntner Krankenanstalten usw. Ab 20. Juli
erschien mit der „Koroška Kronika" auch eine von der Militärregierung herausgegebene
Wochenzeitung in slowenischer Sprache. Im Gegensatz zu anderen Besatzungsorganen wurde
dieses Blatt Ende 1945 nicht eingestellt, weil es die Briten benötigten, um der titokommunistischen
Propaganda der OF entgegenwirken zu können. Im Stab der künftigen britischen Militärregierung
befanden sich auch zwei Archivare des Public Record Office, nämlich Captain Edward Croft-
Murray und Captain Humphrey Brooke. Ihre Aufgabe, der sie sich ab dem 20. Mai mit großem
Eifer widmeten, war das Aufspüren und die Restitution verschleppter Kulturgüter aller Art.51
Diesbezüglich gab es in Kärnten außerordentlich viel zu tun, lagerte doch in der ehemaligen Abtei
Tanzenberg die Bibliothek der sogenannten Hohen Schule der NSDAP mit kostbarsten
Handschriften und Wiegendrucken aus ganz Europa (u. a. Rothschildbibliothek aus Paris, Kiewer
Zarenbibliothek).52 Nach monatelanger Inventarisierung organisierten die Briten im Dezember 1945
vor der Restitution sogar eine Ausstellung dieser Kulturschätze in der Klagenfurter Burg. Dazu
kamen umfangreiche Mobilien und Kulturgüter aus dem Besitz von Triestiner Juden, die in der

11
Brauerei Silberegg lagerten. Sehr hilfreich waren die britischen Kulturoffiziere aber auch für
heimische Institutionen. Sie organisierten Transport- und Mannschaftskapazitäten für den
Rücktransport der Archiv- und Museumsbestände aus den verschiedenen Bergelagern. Als
unparteiische Schiedsrichter führten sie auch eine rasche innerösterreichische Restitution durch
und ordneten die unverzügliche Rückstellung aller von den Nationalsozialisten enteigneten
kirchlichen Kulturgüter an. In Kärnten betraf dies hauptsächlich das Benediktinerstift St. Paul.
Erst nach den Länderkonferenzen im September wurden allmählich Kontakte zu Wien möglich.
Am 16. Oktober weilten Julius Raab und Leopold Figl „zu Besprechungen mit führenden Kreisen
der Wirtschaft und des politischen Wiederaufbaues in Klagenfurt".53 Es war dies der erste Besuch
von Bundespolitikern in Kärnten. Im Rahmen des Ende Oktober eröffneten Wahlkampfes bereisten
dann Bundespolitiker aller drei Parteien das Land. Zum Wahlkampfauftakt erfolgte auch eine erste
Liberalisierung im Pressebereich. Die politischen Parteien durften um die Herausgabe von
Zeitungen ansuchen, deren Auflagen allerdings infolge der strikten Papierkontingentierung niedrig
blieben. Alle kandidierenden Parteien erhielten auch beschränkten Zugang zu dem gänzlich unter
britischer Kontrolle stehenden Rundfunksender Klagenfurt. Im Gegensatz zu allen anderen
Bundesländern wurden in Kärnten vier Parteien zu den Wahlen zugelassen (SPÖ, ÖVP, KPÖ und
die Demokratische Partei54). Auch die „Befreiungsfront für Slowenisch-Kärnten" („Osvobodilna
fronta za Slovenško Korosko") wurde von den vier Besatzungsmächten am 6. November offiziell
als Partei anerkannt und zu den Wahlen zugelassen, nachdem ihr Obmann Dr. Josef Tischler den
Briten zugesichert hatte, im Wahlkampf auf jede Anschlussagitation zugunsten Jugoslawiens zu
verzichten. Dies führte jedoch unmittelbar darauf zu seinem Sturz. Die neue OF-Führung zog ihre
Wahlvorschläge von sich aus zurück und ging ganz auf Konfrontationskurs zur Besatzungsmacht
und zur Landesregierung.55 Sie empfahl ihren Mitgliedern Wahlboykott, ungültige Stimmabgabe
oder Stimmabgabe zugunsten der KPÖ. Das Ergebnis der gleichzeitig abgehaltenen Nationalrats-
und Landtagswahl war nahezu deckungsgleich. Im Landtag erhielt die SPÖ 18, die ÖVP 14, die
KPÖ drei Mandate und die DPÖ ein Mandat.56 Die Einschätzung des Kräfteverhältnisses der
Parteien durch die Briten anlässlich der Installierung der Provisorischen Landesregierung im Juli
1945 erwies sich somit als durchaus richtig.
Nach der Konstituierung des Landtages und der Landesregierung gingen britische Eingriffe in
das Verwaltungsgeschehen rasch zurück. Eine Durchsicht der Regierungsprotokolle des Jahres
194657 ergibt, dass in ihnen schon vor dem Zweiten Kontrollabkommen keinerlei direkte britische
Eingriffe mehr feststellbar sind. Mit dem Inkrafttreten des Zweiten Kontrollabkommens erlosch
auch die Vorlagepflicht hinsichtlich kurzer Protokollauszüge. Dennoch haben die Briten gerade in
Kärnten in einzelnen sensiblen Teilbereichen noch jahrelang sehr effektive
Überwachungsaufgaben wahrgenommen. Da die österreichische Exekutive wegen sowjetischer
Vorbehalte unbewaffnet bleiben musste, war die britische Präsenz in der Grenzsperrzone und bei
der Abriegelung der jugoslawischen Grenze unübersehbar. Die geheimdienstliche Überwachung

12
der OF-Funktionäre verstärkte sich ab 1946 erheblich, und Militärgerichte sprachen einige politisch
motivierte Verurteilungen aus.
Die strikte Brief- und Telefonzensur blieb weit über das Zweite Kontrollabkommen hinaus
aufrecht. Das Kärntner Landesarchiv verwahrt ein Konvolut von Mitschriften abgehörter Telefonate
vom Januar/Februar 1947, also dem zeitlichen Umfeld der Londoner
Staatsvertragsverhandlungen. Abgehört wurden damals Politiker aller Parteien (mit Schwerpunkt

KPÖ), aber auch führende Kräfte der Wirtschaft.58 Während die Pressezensur relativ mild
gehandhabt und die Vorlagepflicht im Frühjahr 1950 aufgehoben wurde, blieb der Rundfunk
gänzlich unter britischer Kontrolle, weshalb es in den Jahren von 1946 bis 1948 wiederholt zu sehr
emotional ausgetragenen Konflikten um die Vorzensur von Politikeransprachen kam.59

Anmerkungen

13
1
August Ernst, Pläne zur territorialen Neugliederung Österreichs im Jahre 1938 mit besonderer
Berücksichtigung Ostösterreichs, in: Siedlung, Macht und Wirtschaft. Festschrift Fritz Posch zum 70.
Geburtstag (= Veröffentlichungen des Steiermärkischen Landesarchives 12, Graz 1981), 465ff.
2
Kärntner Landesarchiv (fortan: KLA), Landesamtsdirektion (fortan: LAD), Sch. 3, Nr. 14.
3
KLA, LAD; Verbindungsstelle der provisorischen Landesregierung zur britischen Militärregierung
(fortan: Verbindungsstelle); Sammelaktion Zeitgeschichte; Sammlung A. Fritz und Pressearchiv.
4
August Walzl, Kärnten 1945. Vom NS-Regime zur Besatzungsherrschaft im Alpen-Adria-Raum
(Klagenfurt 1985); Wilhelm Wadl, Das Jahr 1945 in Kärnten. Ein Überblick (Klagenfurt 1985).
5
Siegfried Beer, Von der russischen zur britischen Besetzung der Steiermark. Berichte des
amerikanischen Geheimdienstes OSS aus dem Jahre 1945, in: Blätter für Heimatkunde 59 (1985),
103-120; Stefan Kartier, Die Steiermark im Dritten Reich 1938-1945. Aspekte ihrer politischen, wirt-
schaftlich-sozialen und kulturellen Entwicklung (Graz - Wien 1986); Alfred Ableitinger - Siegfried Beer -
Eduard G. Staudinger, Besatzungszeit in der Steiermark 1945-1955. Bericht über die 4.
Geschichtswerkstatt Graz 1991 (Graz - Esztergom - Paris - New York 1994); Friedrich Bouvier -
Helfried Valentinitsch (eds.), Graz 1945 (= Historisches Jahrbuch der Stadt Graz 25, Graz 1994);
Johann Andritsch (ed.), Judenburg 1945 in Augenzeugenberichten (= Judenburger Museumsschriften
XII, Judenburg 1994); Werner Tscherne, Die Steiermark im Jahr 1945, in: Zeitschrift des Historischen
Vereins für Steiermark 86 (1995), 7-21.
6
Siegfried Beer - Stefan Karner, Der Krieg aus der Luft. Kärnten und Steiermark 1941-1945 (Graz
1992), 155ff und 180ff.
7
Josef Rausch, Der Partisanenkampf in Kärnten im Zweiten Weltkrieg (= Militärhistorische
Schriftenreihe 39/40, Wien 1979), 82ff.
8
Wadl, Kärnten 1945,13f.
9
Walzl, Kärnten 1945,131ff; Wadl, Kärnten 1945, 28ff.
10
Walzl, Kärnten 1945, 173ff; Wadl, Kärnten 1945, 30ff.
11
KLA, Verbindungsstelle, Konv. A 2.
12
KLA, LAD, Sch. 2, Nr. 3: Amtliche Darstellung der Verschleppung von Zivilpersonen aus Kärnten
durch Angehörige der jugoslawischen Partisanenverbände (1952).
13
KLA, LAD, Sch. 1, Nr. 1; Robert Knight, Die Kärntner Grenzfrage und der Kalte Krieg, in: Carinthia I
175 (1985), 323ff.
14
KLA, LAD, Hs. 1: Erste Sitzung der Provisorischen Landesregierung v. 8. Mai 1945, 3.
15
Wadl, Kärnten 1945, 72ff.
16
KLA, LAD, Hs. 1: Dritte Sitzung des Konsultativen Landesausschusses für Kärnten v. 13. Juni 1945,
lf; Siebente Sitzung v. 27. Juni 1945, 13f.
17
KLA, LAD, Hs. 1: Siebente Sitzung des Konsultativen Landesausschusses v. 27. Juni 1945, lff., und
Elfte Sitzung v. 13. Juli 1945, 2.
18
Dušan Biber, Britanske misije ob Slovenskih etnifnih mejah [Britische Missionen über die
slowenischen ethnischen Grenzen], in: Borec 10 (Ljubljana 1984), 574-576; Knight, Kärntner
Grenzfrage, 325.
19
KLA, Verbindungsstelle, Konv. A 12.
20
Ebd., Konv. A 13.
21
KLA, LAD, Sch. 5, Nr. 17 b.
22
KLA, LAD, Hs. 1: Dreizehnte Sitzung des Konsultativen Landesausschusses v. 20. Juli 1945, lff.
23
KLA, LAD, Sch. 5, Nr. 17 c.
24
Ebd.
25
KLA, LAD, Hs. 1: Konstituierende Sitzung der Provisorischen Kärntner Landesregierung v. 25. Juli
1945, lf.
26
Ebd., Schlusssitzung des Konsultativen Landesausschusses v. 25. Juli 1945, 2.
27
Ebd., Siebente Sitzung der Provisorischen Kärntner Landesregierung v. 17. August 1945,1.
28
Ebd., Neunte Sitzung der Provisorischen Kärntner Landesregierung v. 5. September 1945, 3.
29
KLA, Österreichisches Wirtschaftskomitee, Sch. 1, Nr. 1 und 6; Sch. 3, Nr. 40.
30
Wadl, Kärnten 1945, 46.
31
Statistisches Handbuch des Landes Kärnten, Jg. 1 (1955), 54.
32
KLA, Sammelaktion Zeitgeschichte, Nr. 29.
33
Kärntner Nachrichten v. 11. Oktober 1945, 1.
34
Wadl, Kärnten 1945, 90ff.
35
Siehe dazu Alfred Elste, Die Parteien und ihre politische Einflußnahme auf Markt und Stadt (1918-
1955), in: 800 Jahre Spittal 1191-1991 (Spittal 1991), 155-257, bes. 234ff.
36
Wadl, Kärnten 1945, 79ff.
37
Stellvertretend für eine Vielzahl einschlägiger Veröffentlichungen seien angeführt: Josef Mackiewicz,
Die Tragödie an der Drau. Die verratene Freiheit (München 1988); Nikolai Tolstoy, Die Verratenen von
Jalta. Die Schuld der Alliierten vor der Geschichte (München 1978); Nikolai Tolstoy, The Minister and
the Massacres (London 1986), und Carol Mather, Aftermath of War. Everyone must go home (London
- Washington - New York 1992).
38
Kärntner Nachrichten v. 14. Juni 1945,1, und v. 4. Juli 1945,1.
39
Kärntner Nachrichten v. 7. Dezember 1945, 6.
40
Wadl, Kärnten 1945, 95 f.
41
Robert Freisinger, Arbeitskräfteverteilung in Kärnten, in: Kärntner Nachrichten v. 16. Oktober 1945, 2.
42
Kärntner Nachrichten v. 28. Mai 1945, 2; siehe auch: Siegfried Beer, Aus britischen Archiven, in:
Andritsch (ed.), Judenburg 1945, 167ff, bes. 206.
43
Kärntner Nachrichten v. 24. Oktober 1945, 5.
44
Kärntner Nachrichten v. 1. August 1945,1.
45
Siehe z. B. den Sammelband: Für Freiheit und Zukunft. Aus der Geschichte des Bauerntums in
Kärnten (Feldkirchen 21984), 92,107, 113f.
46
Wadl, Kärnten 1945, 71.
47
KLA, Sammlung A. Fritz, Z 16.
48
KLA, Sammelarchiv des Landesarchivs, Fasz. 18, Nr. 13-16 (Die Einheit. Organ der Arbeitereinheit
für Kärnten; Die Freiheit. Organ der Österreichischen Freiheitsfront).
49
Kärntner Zeitung v. 2. Mai 1945, 1.
50
Wadl, Kärnten 1945,107.
51
Ebd., 75f.
52
Gabriela Stieber, Die Bibliothek der „Hohen Schule des Nationalsozialismus" in Tanzenberg, in:
Carinthia I 185 (1995), 343-362.
53
Kärntner Nachrichten v. 17. Oktober 1945,1.
54
Peter Autengruber, Die Demokratische Partei Österreichs, in: Carinthia I 185 (1995), 377-414.
55
KLA, LAD, Sch. 3, Nr. 13.
56
Wadl, Kärnten 1945,112ff.
57
KLA, LAD, Hs 2.
58
KLA, LAD, Sch. 2, Nr. 5.
59
KLA, LAD, Sch. 6, Nr. 18.

Das könnte Ihnen auch gefallen