Sie sind auf Seite 1von 11

See discussions, stats, and author profiles for this publication at: https://www.researchgate.

net/publication/226073371

Krankheitstypische Gegen�bertragungsreaktionen

Article  in  Psychotherapeut · May 2004


DOI: 10.1007/s00278-004-0357-2

CITATION READS

1 381

2 authors:

Aglaja Stirn Norbert J. Hartkamp


Goethe-Universität Frankfurt am Main Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
24 PUBLICATIONS   766 CITATIONS    61 PUBLICATIONS   808 CITATIONS   

SEE PROFILE SEE PROFILE

Some of the authors of this publication are also working on these related projects:

Psychological distress - SCL-90-r-S View project

Interpersonelles Integratives Modellprojekt für Flüchtlinge: Ein interkulturelles Kurzzeit-Hilfsprogramm für Flüchtlinge mit psychischen
Störungen zur Unterstützung und Förderung der Integration in die Arbeits- und Sozialwelt Interpersonal Integrative Model Project for
Refugees (IIMPFR): An Intercultural Short-Term Psychotherapy Program for Refugees with Mental Disorders for the Treatment of Mental
Disorders and the Support of the Integration into the Social and Working Environment View project

All content following this page was uploaded by Norbert J. Hartkamp on 30 May 2014.

The user has requested enhancement of the downloaded file.


Originalien

Psychotherapeut 2004 · 49:203–212 Aglaja Stirn1 · Norbert Hartkamp2


DOI 10.1007/s00278-004-0357-2 1 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie,Johann-Wolfgang-Goethe-Universität,Frankfurt am Main
Online publiziert: 3.Februar 2004 2 Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie,Heinrich-Heine-Universität,Düsseldorf
© Springer-Verlag 2004

Krankheitstypische
Gegenübertragungs-
reaktionen

W ahrnehmung und Nutzung des Ge-


genübertragungserlebens durch den The-
doch nicht um personale Übertragungs-
angebote, sondern um die Übertragung
durch Therapeuten thematisiert. Zirka
10 Jahre später stellten Arbeiten (Russel
rapeuten sind nicht nur in der Differenzi- apersonaler Partialobjektbeziehungen, u. Snyder 1963; Tourney et al. 1966) einen
aldiagnostik hilfreich,der reflektierte Um- fühlen sich Therapeuten oft auf diffuse Zusammenhang zwischen der vom Pati-
gang damit ist auch ein wichtiges Mittel Weise aktiviert,gefordert,beunruhigt,be- enten gezeigten manifesten Feindseligkeit
zur Gestaltung und Führung des thera- sorgt,bedroht,verwirrt,gelähmt oder zu- und der vom Therapeuten erlebten Ängst-
peutischen Prozesses. Obwohl es durch- nichte gemacht (Rudolf 2000). In allen lichkeit fest.Eine der wenigen experimen-
aus verschiedene Auffassungen zum Be- maßgeblichen Lehrbüchern zur psycho- tellen Forschungen zum Thema (Körner
griff der Gegenübertragung gibt (Stirn therapeutischen Medizin, Psychoanalyse 1988) belegte einen Einfluss der Persön-
2002), so herrscht doch Einigkeit darü- und Psychosomatik sowie in vielen psy- lichkeitsstruktur (von Vortragenden) auf
ber,dass die Gegenübertragung ein affek- chodynamisch orientierten Schriften wird das Gegenübertragungserleben (von Zu-
tives und kognitives Geschehen umfasst, immer wieder die Ansicht vertreten, be- hörenden).Dies wird von einer rezenteren
das im Therapeuten,in Reaktion auf sein stimmte Krankheitsbilder seien mit ge- Arbeit (Mclntyre u.Schwartz 1998) bestä-
Erleben des Patienten,wachgerufen wird. wissen,typischen Gegenübertragungsre- tigt: Depressive bzw.Borderlinepatienten
Da sich die seelische Störung des Patien- aktionen verbunden.Hiermit wird inten- lösten bei Therapeuten Unterschiede in
ten in je unterschiedlichen affektiven und diert, den Therapeuten auf das Auftreten den Affekten, den Handlungstendenzen,
interaktionellen Mustern sowie in unter- gewisser Gefühle aufmerksam zu machen, der manifesten Angst und den kognitiven
schiedlichen unbewussten Phantasien die dieser nach sorgfältiger Analyse und Attributionen aus. Lieberz und Porsch
ausprägt, sind auch die Übertragungen Supervision – vor allem auch der eigenen (1997) stellten für schizoide Patienten eine
nicht nur individuell, sondern je nach Persönlichkeitsanteile am Gegenübertra- 90%ige Diagnosesicherheit dank der aus-
Krankheitsbild unterschieden.Daher wird gungsgeschehen – als wichtiges diagnos- gelösten Gegenübertragung fest (vgl.
ebenso das Gegenübertragungserleben tisches Kriterium verwenden kann und Hartkamp u. Heigl-Evers 1995). In einer
von Krankheitsbild zu Krankheitsbild va- die somit hilfreich für seinen Therapie- weiteren breit angelegten empirischen
riieren. Die Entsprechung von Übertra- plan und die Entscheidung für die Art sei- Studie fand Faller (1999) heraus, dass de-
gungsangebot und Gegenübertragung ist ner Interventionen sind. Auch wenn, wie pressive Patienten eher günstige,uninten-
aus dem psychotherapeutischen Gesche- Thomä und Kächele (1985) in ihrem Über- sive und persönlichkeitsgestörte Patien-
hen allgemein bekannt: So antwortet der blick zur psychoanalytischen Prozessfor- ten hingegen eher ungünstige und inten-
Therapeut im Falle eines personalen schung feststellen,eingehende und vor al- sive Gegenübertragungsgefühle auslös-
Übertragungsangebots in einer Szene lem empirische Erforschung der unter- ten.Auch spielten die Gegenübertragungs-
ebenfalls mit szenischen Bildern als Ge- schiedlichen Gegenübertragungsgefühle gefühle eine deutliche Rolle bei der Indi-
genübertragungsphantasie. Er erlebt ob- noch ausstehen, wird das Phänomen in kationsstellung für Psychotherapie.
jektgerichtete Emotionen und Handlungs- der Literatur immer wieder beschrieben: Schließlich haben Hartkamp et al. (2002)
impulse, die ihm selbst und seiner Bezie- F. E. Fiedler hatte bereits 1951 die aus un- einen Zusammenhang zwischen interper-
hung zum Patienten eine relativ klare Kon- zureichend analysierter Gegenübertra- sonellen Problemen von Patienten und
tur geben. Handelt es sich seitens des Pa- gung entstehende Fehlwahrnehmung von dem subjektiven affektiven Erleben des
tienten (z. B. bei frühen Störungen) je- Patienten und therapeutischen Prozessen Patienten durch den Therapeuten belegt,

Psychotherapeut 3 · 2004 | 203


Originalien

der sich bereits in den ersten Wochen ei- wie dem selbstverletzenden Verhalten und peuten auf Distanz zu halten und ihn zu
ner Behandlung herausbildet und im Fort- der posttraumatischen Belastungsstö- kontrollieren, können sich beim Thera-
gang der Therapie noch an Deutlichkeit rung, vorstellen. Die Beschreibung von peuten Gefühle der Verärgerung oder
gewinnt.Im psychoanalytischen Verständ- klinisch relevantem typischem Erleben auch der Hilflosigkeit bemerkbar machen.
nis werden die unbewussten Anteile der kann natürlich nicht die Analyse der indi-
Gegenübertragung betont.Demgegenüber viduellen komplexen Zusammenhänge Depression
geht die interpersonelle Theorie davon von Therapie,Setting,Patient und Thera-
aus, dass generalisierbare Muster von peut ersetzen. Depressive Patienten erzeugen im thera-
emotionalem Einfluss und interpersonel- peutischen Gegenüber oftmals Impulse
len Reaktionen,die in vergleichbarer Wei- Gegenübertragungsreaktionen zu helfen, zu versorgen oder zu beschüt-
se von Therapeuten wie auch von den be- bei neurotischen Störungen zen,besonders,wenn es sich um Patienten
deutenden Bezugspersonen eines Patien- handelt,die in gesunden Zeiten meist zu-
ten erlebt werden, als „objektive“ Gegen- Angststörungen verlässig und hilfsbereit, leistungswillig
übertragung (Kiesler 2001) beschrieben und sozial engagiert erscheinen.Der The-
werden können. Dieses Konzept konnte Angst ist ein verbreitetes Symptom bei rapeut fühlt sich zu hohem Engagement
allerdings in einer Studie aus jüngster Zeit unterschiedlichen psychischen Störun- und großer Aktivität veranlasst.Wenn es
(Hafkenscheid 2003) nur eine partielle Be- gen.Wo „Angst“ als Symptom im Vorder- sich um eine neurotisch-konflikthaft be-
stätigung erfahren. Insgesamt erscheint grund steht,hat diese ihre psychologische dingte Depressivität handelt,werden – we-
die empirische Forschung zu Gegenüber- Signalfunktion verloren. Dies ist meist gen der Einwirkung unbewusster Strafim-
tragungsphänomenen weiterhin noch als dann der Fall,wenn die Angstsymptoma- pulse – solche Bemühungen in der Regel
lückenhaft. Dies hängt nicht so sehr mit tik vor dem Hintergrund gestörter Ich- wenig bewirken. In diesen Fällen können
der prinzipiellen Unzugänglichkeit des funktionen oder ausgeprägt pathologi- im Therapeuten Schuldgefühle und In-
Forschungsgegenstandes oder mit dem scher Objektbeziehung zu Stande kommt. suffizienzgefühle entstehen,mit Übernah-
Fehlen adäquater Methodik zusammen, Im Patienten entsteht dann mit seinen hil- me der Selbstvorwürfe des Patienten.Die
sondern möglicherweise eher damit,dass fesuchenden,anklammernden Anteilen – selbstquälerische Seite des depressiven
Psychotherapeuten sich hier, wie auch in sehr ausgeprägt bei der Angstneurose,wie Patienten, seine Selbstentwertung und
anderen Bereichen,nicht gerne selbst zum sie z. B. Herzangstneurotiker entwickeln -verachtung sowie masochistisch anmu-
Gegenstand der forschenden Beobach- (König 1993), – der Wunsch, den Thera- tende Tendenz zur Selbstbestrafung und
tung machen. Im Folgenden wird ein peuten in der Funktion eines mächtigen -beschädigung stellen zum einen große
Überblick über einige ausgewählte,in der und idealisierten Objekts fest zu halten. Anforderungen an die Tragfähigkeit des
Praxis häufige Krankheitsbilder mit ih- Gleichzeitig besteht jedoch beim Patien- Therapeuten (Rudolf 2000, S. 180), zum
ren in der Literatur immer wieder be- ten die starke misstrauische Befürchtung, anderen ist es vielfach auch nötig, dem
schriebenen Gegenübertragungen gege- der Therapeut werde diesem Ideal nicht hierin verborgenen aggressiven Anteil
ben. Hiermit soll dem Therapeuten eine entsprechen. In der Gegenübertragung durch konsequente demonstrierende und
diagnostische Hilfe für die tägliche Arbeit können diese Einstellung und die Angst- klärende Interventionen zu begegnen.
an die Hand gegeben werden. Natürlich symptomatik zu Impulsen führen,den Pa- Mitunter können auch die übergroße Be-
kann das bei den einzelnen Krankheits- tienten schonen oder schützen zu wollen; ziehungssensibilität und Sanftheit von De-
bildern vorgestellte Gegenübertragungs- typischerweise wird dies aber im Verlauf pressiven heftige Gegenübertragungsre-
erleben nur als Leitidee gelten, die ver- von Aggressionen abgelöst, wenn der Pa- aktionen auslösen. Der Therapeut kann
sucht das für die jeweiligen Störungen tient zu hohe Ansprüche an den Thera- den Impuls haben, den Patienten fester
Prototypische (Rosch 1978) zu erfassen, peuten als umfassend verfügbares Objekt anzufassen,„abzuhärten“,konfrontations-
das aber immer nur in jeweils konkreten stellt.Manche Angstpatienten neigen auch freudiger zu machen. Da diese Impulse
Formen existiert, die sich mehr oder we- dazu, ihre Angst nicht mit Vermeidungs- natürlich nicht agiert werden,kann es im
niger vom Prototypischen unterscheiden. verhalten zu beantworten, sondern mit Therapeuten dann zu Schuldgefühlen we-
Die von uns vorgenommene Auswahl er- manchmal unüberlegt und impulsiv er- gen seiner „ungebührlichen“ Aktivitäts-
hebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, scheinender,forcierter Aktivität zu über- und Aggressivitätsmotivation kommen
sondern bedingt sich aus den folgenden tönen. Eine Form solcher Aktivität kann (Ahrens 1997, S. 278). Besonders heftig
Umständen:Vorgestellt werden die unse- beispielsweise ein kontraphobischer Rede- kann die Gegenübertragung bei präsui-
res persönlichen Wissens und unserer per- schwall sein. Hier kann es der Therapeut zidalen oder suizidalen Patienten sein.
sönlichen Recherche nach am häufigsten zunächst durchaus als angenehm empfin- Hier kann sich der Therapeut in seinen
beschriebenen Krankheitsbilder, einge- den,zuzuhören.In dem Maße,in dem ihm eigenen Ängsten und Selbstwertproble-
grenzt nach Kriterien klinischer Relevanz. jedoch deutlich wird, dass die forcierte men bis hin zur Manifestation eigener To-
Zudem haben wir uns um Aktualität be- Aktivität des Patienten diesem dazu dient, desgedanken herausgefordert fühlen.Ta-
müht,indem wir Gegenübertragungsreak- ein Sich-Einlassen auf die Therapie, das bachnick (1961) spricht hier von einer Ge-
tionen von sich gegenwärtig in der Dis- Bearbeiten von wichtigen Themen zu ver- genübertragungskrise: Der Therapeut
kussion befindlichen Krankheitsbildern, hindern, dass es darum geht, den Thera- kann aus eigenen,zunächst unbewussten

204 | Psychotherapeut 3 · 2004


Zusammenfassung · Abstract

Gegenübertragungsgefühlen heraus zum Psychotherapeut 2004 · 49:203–212


„Spiegelbild“ des Suizidalen werden.Eine DOI 10.1007/s00278-004-0357-2
© Springer-Verlag 2004
besondere Gefahr sehen wir in der Ver-
leugnung der Suizidalität des Patienten. Aglaja Stirn · Norbert Hartkamp
Dazu kann es insbesondere dann kom-
men,wenn ihre Wahrnehmung dem The- Krankheitstypische Gegenübertragungsreaktionen
rapeuten infolge der in ihm wach gerufe-
nen Affekte und Gedanken unerträglich Zusammenfassung
wird.Kind (1986,1987) unterstreicht,dass Typische Gegenübertragungen der wichtigsten, plädiert der Beitrag für die Wichtigkeit der um-
die Gegenübertragung bei suizidalen Pa- psychotherapeutisch bedeutsamen Krankheits- fassenden Analyse der Gegenübertragung.Hier-
tienten von projektiv-identifikatorischen gruppen (Neurosen,psychosomatische Erkran- durch wird dem Therapeuten der Umgang mit
Vorgängen bestimmt wird, die sich darin kungen,somatopsychische Störungen,Persön- den vielfältigen Gegenübertragungsgefühlen er-
ausprägen können, dass der Therapeut lichkeitsstörungen,Sucht und Traumata) werden leichtert,und diese werden zu einem wichtigen
das Gefühl hat, überflüssig zu sein oder beschrieben.Die hier vorgenommene Auswahl differenzialdiagnostischen Werkzeug für die täg-
für den Patienten nichts mehr tun zu kön- stützt sich zum einen auf die lange Tradition kli- liche Praxis.
nen. nischer Beschreibungen und zum anderen auf
die zunehmende empirische Sicherung des Phä- Schlüsselwörter
Zwangsstörungen nomens.Auch wenn es aufgrund der unter- Gegenübertragung · Psychotherapeutische
schiedlichen Krankheitsebenen zu Mischungen Medizin · Psychosomatik
Zwangsneurotisch strukturierte Patien- im Gegenübertragungserleben kommen kann,
ten stehen oft zu Unrecht in dem Ruf, sie
seien langweilig und uninteressant.Gele-
gentlich geht von ihnen sogar eine be- Countertransference reactions as specific for the different psychic illnesses
stimmte Art eines verführerischen „Char-
mes“ aus, durch den der Therapeut sich Abstract
„einwickeln“, d. h. dem Patienten gegen- Characteristic countertransferences of the most it is suggested that a precise analysis facilitates a
über in eine untergeordnete Position ge- important groups of psychotherapeutically rele- therapist’s dealing with the various countertrans-
raten lässt. Dieser „Charme“ besteht bei- vant diseases (neurotic,psychosomatic,somato- ference feelings and makes countertransference
spielsweise in der zunächst augenschein- psychic disorders,personality disorders and trau- an important differential diagnostic tool for the
lich bestehenden Bereitwilligkeit oder mas) are presented.The choice made is derived daily practice.
dem „Fleiß“ des Patienten. Andererseits from the long tradition of clinical description and
kann sich ein Therapeut durch das Intel- the increasing amount of empirical evidence Keywords
lektualisieren und das Zurückhalten von about the phenomenon.Even if due to the diffe- Countertransference · Psychotherapeutic
Gefühlen seitens des Patienten argumen- rent levels on which a disease may function a mix- medicine · Psychosomatics
tativen Machtkämpfen ausgesetzt sehen, ing of different countertransferences may occur,
die lange Zeit ohne Therapiefortschritte
andauern können. Zwanghaftigkeit und
das Bemühen, den Therapeuten interak-
tionell zu kontrollieren, können jedoch
auch Langeweile und Missmut hervorru-
fen. Dies gilt besonders für Therapeuten,
denen der Umgang mit der Affektisolie-
rung zwanghafter Patienten schwer fällt;
ein kompetenter Umgang mit Affektisolie-
rung setzt ja vor allem eine gute Fähigkeit
zur Identifizierung eigener Affekte in der
Gegenübertragung, aber auch der Affek-
te des Patienten voraus. Ein weiterer
Grund kann das Unterlaufen der Therapie
sein,das sich in einer fügsam-bereitwilli-
gen Haltung zeigt, die scheinbar zu Ein-
sichten führt,ohne dass jedoch wirkliche
Veränderungen zustande kommen. Erst
durch das Zulassen-Können von Gefüh-
len, eben auch gerade der Aggressionen,
mit denen der Therapeut dann umgehen

Psychotherapeut 3 · 2004 | 205


Originalien

muss, kann sich Fortschritt einstellen. In nösen Angeboten des Patienten verfüh- kennzeichnet.Ihr emotionales Leben tritt
der Gegenübertragung können sich dann ren ließ und dann von diesem zurückge- daher oft in Form körperlicher Befind-
heftige aggressive und sadistische Gefüh- wiesen oder allein gelassen wird. Es soll- lichkeiten und ihrer Störungen zu Tage;
le oder Impulse einstellen (Lang 1998). te hier deutlich gemacht werden, dass, diese körperlichen Symptome werden von
Dies kann zu einem Macht-Ohnmacht- wenn von „Verführung“ gesprochen wird, den Patienten typischerweise auch in den
Spiel führen,z.B.wenn ein Therapeut auf- es nicht um eine Verführung geht,die bei- Behandlungsmittelpunkt gestellt.Der kör-
grund einer unzureichend verstandenen spielsweise zu körperlichen Zärtlichkei- perliche Ausdruck von ursprünglich Emo-
und aggressiven Gegenübertragung dem ten führt. Sich in dieser Weise verführen tionalem kann unterschiedlich erfolgen,je
Patienten unnötig barsch,streng oder ver- zu lassen, wäre zweifelsohne eine Über- nach Strukturniveau der Störung.Psycho-
nachlässigend begegnet. schreitung berufsethischer Grenzen, die somatisch Kranke stellen eine Form der
zu Recht strafbewehrt ist. Die „Verfüh- Objektbeziehung her,die vom Therapeu-
Hysterie rung“, die hier angesprochen ist, besteht ten einen spezifischen Umgang mit sei-
demgegenüber vor allem darin, dass sich ner Gegenübertragung erfordert: Oft ver-
Hysterische Symptombildung wird in der ein Therapeut zu Beziehungsphantasien langen Patienten vom Therapeuten eine
Literatur oft als vielgestaltig, bunt und verführen lässt, die von Gedanken über uneingeschränkte Aufmerksamkeit, ihre
schillernd beschrieben; der kognitive Stil lustvolle Gemeinsamkeit bestimmt sind. Symptomatik betreffend.Tatsächlich steht
von hysterischen Patienten wird als „im- Im Falle der hysterischen Persönlichkeiten die Störung der Beziehung zwischen Be-
pressionistisch“ (Shapiro 1991) und ori- würde ein solches Sich-Verführen-Lassen handler und Patient oft geradezu im Mit-
entiert am unmittelbar Beeindruckenden übersehen, dass das Anliegen des Patien- telpunkt; in der Regel entzündet sie sich an
beschrieben. In der älteren psychiatri- ten ja nicht ein Erwachsen-Sexuelles ist, der früher oder später auftretenden Dis-
schen Literatur wurden hysterische Pati- sondern dass es vielmehr um die Siche- krepanz in den jeweiligen Ursachenüber-
enten oft auch als „unnatürlich“ oder „un- rung einer Halt gebenden, quasi „elterli- zeugungen: Der Behandler, initial oft ein
echt“ beschrieben (Rümke 1935).Diese Art chen“ Beziehung geht. Grund für diese somatisch tätiger Arzt,vermutet nach feh-
der Präsentation dient aus einer psycho- Enttäuschung kann auch das vorangegan- lendem Nachweis organischer Erklärun-
dynamischen Sicht dazu,sich des Gegen- gene Sich-Einlassen auf die Idealisierung gen psychogene Ursachen, der Patient
übers in der Beziehung zu versichern, in- sein und das anschließende Gefühl „da- nimmt weiter organische Ursachen an,
dem man ihm zu gefallen sucht. Sofern rauf hineingefallen sein“ (Küchenhoff weil nur diese für ihn eine Legitimierung
dieses unbewusste Anliegen nicht wahrge- 2000,S.245).Hysterische Störungen sind seiner Beschwerden bedeuten. Wenn der
nommen wird, können diese Patienten immer auch durch eine Veränderung des Behandler, um dem sich in der Gegen-
aufgrund der vom Therapeuten so erleb- „Selbst-Systems“ gekennzeichnet (Ment- übertragung einstellenden Gefühl der Ver-
ten Vagheit,„Unreife“ und Ungenauigkeit zos 1991), und die Reflektion der hysteri- geblichkeit und dem daraus folgenden Är-
oder der „konfus inszenierten“ Sympto- schen Verführungsbereitschaft hilft, die ger zu entgehen, immer wieder erneut
matik leicht Unmut, also Verärgerung, enormen Ich-Ideal-Probleme hysterischer eine beschwerdegesteuerte organische Di-
wachrufen (vgl.Carp 1971).In spezifische- Patienten zu erkennen. Durch deren Nei- agnostik durchführt,so trägt dies wesent-
rer Weise ist dieses Erleben von Haas gung, es dem Therapeuten „recht ma- lich zur Chronifizierung dieser Patienten
(1988) als „hysteriformes Gegenübertra- chen“, ihm gefallen zu wollen, kann die bei (Henningsen et al. 2002). Die häufi-
gungsgefälle“ beschrieben worden, das Therapie lange Zeit laufen,ohne dass sich gen Arztwechsel („doctor-shopping“) die-
sich zwischen den Polen der verwirren- tatsächlich etwas ändert. Durch die hohe ser Patienten sind in der Regel Folge ei-
den Faszination einerseits und der gereiz- Abwehr- und Verdrängungsneigung ist nes unzureichenden Umgangs mit den
ten Enttäuschung andererseits aufspan- der Therapeut gefordert,sehr taktvoll mit Gegenübertragungsgefühlen des Behand-
ne.Ähnliche Affekte entstehen auch durch seinen Kommentaren umzugehen, um lers (Smith 1995). Wenn es zu einem the-
die unbewusste Technik des Patienten, nicht eine bestehende Abwehr weiter zu rapeutischen Prozess kommt,stellen sich
also die Abwehr, mit der Verschiebung stärken. Berichtet wird auch Verwirrung in der Gegenübertragung oftmals Leere
vom Wesentlichen abzulenken.Diese Ver- und Vernebelung der Wahrnehmung des und Langeweile ein, die auch im Festhal-
schiebung führt dazu,dass mentale Inhal- Therapeuten durch die Neigung zur Emo- ten der Patienten an scheinbarer Konflikt-
te eine unangemessene, zu geringe oder tionalität und Dramatisierung hysteri- losigkeit ihrer Person und ihres Lebens
übersteigerte Bedeutung erhalten; dies scher Patienten. begründet sein mögen; dahinter verber-
kann im Gegenüber Gefühle der Verwir- gen sich Harmoniewünsche und Verleug-
rung, der Ungeduld oder eben auch der Gegenübertragungsreaktionen nung eines möglichen Traumas. Genau-
Verärgerung wachrufen.Nicht selten ent- bei psychosomatischen Störungen so kann aber auch ein im Therapeuten
stehen Verärgerung oder Enttäuschung in entstehender Ärger oder eine Abwehr von
der Gegenübertragung, wenn sich der Somatoforme Störungen Gefühlen, wie Ohnmacht und Hilflosig-
Therapeut in eine unbewusste Inszenie- keit, aber auch von Phantasien der All-
rung einer ödipalen Beziehungsdynamik Patienten mit somatoformen Störungen macht und der magischen Heilungskraft,
involvieren ließ.Dies impliziert,dass sich sind häufig durch eine geringe Fähigkeit zu Gegenübertragungskomplikationen
ein Therapeut, zunächst von den libidi- zur emotionalen Selbstwahrnehmung ge- führen (Haustein 2000).Intensive Gegen-

206 | Psychotherapeut 3 · 2004


übertragungsgefühle manifestieren sich Anorexie sind die Schuldgefühle im Sin- gen, die speziellen Aspekte von Übertra-
auch auf der körperlichen Ebene und sind ne einer unbarmherzigen Selbstanklage. gung und Gegenübertragung bei körper-
wichtige Indikatoren für Aspekte des af- Entsteht als deren Folge im Therapiepro- lichen Krankheiten seien eher durch die
fektiven Geschehens, das vom Patienten zess eine Über-Ich-Übertragung,so kann Persönlichkeitsmerkmale der Betroffenen
abgespalten wurde. Aufgabe des Thera- der Psychotherapeut verführt sein, mit bestimmt als durch die Krankheit selbst.
peuten ist es, solche Affekte im Sinne von der Patientin entweder rüde, streng, un- Dennoch besteht für den Therapeuten
Bion zu containen, zu entgiften und auf konziliant und vorwurfsvoll umzugehen. hier eine besondere Notwendigkeit mit
tolerable und bedeutsame Weise dem Pa- Dies mag gelegentlich sogar auch in man- seinen eigenen Todesvorstellungen und
tienten zurückzugeben, damit dieser sie chen sehr direktiven Therapien als me- Krankheitsängsten umzugehen. Und
wieder in sein affektives Erleben einbau- thodisch geboten rationalisiert werden. wenn diese nicht integriert, sondern le-
en und die Verbindung zu dem körperli- Oder der Psychotherapeut kann sich im diglich abgewehrt werden, kann es im
chen Ort seiner Affekte wieder herstellen Bemühen,dem „Verdammungsurteil“ der Therapeuten beispielsweise zu Omnipo-
kann (Meurs u. Cluckers 1999). Dies ge- Patientin zu entgehen,vergeblich um „al- tenzgefühlen,das körperliche Leiden hei-
schieht beispielsweise durch die Metho- lerzarteste Einfühlung und behutsamstes len zu können,kommen,selbst wenn dies
de der selektiv-expressiven,emotional au- Verständnis“ bemühen (Heigl-Evers u. bedeutet,das offenkundig Unabweisliche
thentischen Antwort (Heigl-Evers u. Ott Weidenhammer 1988) Bei der Bulimie zu verleugnen. Besonders zu Anfang ei-
2002) Auch Patienten mit hypochondri- kann in Bezug auf die Gegenübertra- ner psychotherapeutischen Zusammen-
scher Störung können im Therapeuten gungsreaktionen das für Depressionen arbeit wird der Therapeut in die Heilungs-
aufgrund ihres entmachtenden Bezie- Ausgeführte gelten. Ekel als Gegenüber- phantasien des Patienten einbezogen und
hungsangebots heftige Gegenübertra- tragungsreaktion kann auftreten, wenn muss diese auch teilen,damit es überhaupt
gungsgefühle, wie Kränkung, Wut oder sadistische Impulse beim Patienten vor- zum Aufbau einer Beziehung kommen
sogar Hass („Der soll sich zum Teufel handen sind. Aggressionen sind typisch, kann.Wenn nun die Krankheit weiter fort-
scheren, mir ist völlig egal, was aus ihm wenn der Therapeut sich vom Patienten in schreitet, müssen Therapeut und Patient
wird!“), hervorrufen. Das Einlassen auf eine machtlose Position gedrängt fühlt sich die Krankheit und mitunter die un-
das hinter dem Wutaffekt liegende Gefühl, und trotz seines Bemühens die Rolle des ausweichliche Todesfolge sowie auch die
als Therapeut zu versagen,führt zur Mög- Bösen zugeteilt bekommt,der dem Patien- eigene Ohnmacht diesbezüglich eingeste-
lichkeit, die Hilflosigkeit des Hypochon- ten „noch das letzte Quäntchen Autono- hen. Der Therapeut erlebt im Patienten
ders mitzufühlen (konkordante Gegen- mie“ nimmt. Hier zeigt sich auch der Wi- seine eigene Endlichkeit und mit ihr die
übertragung; Ahrens 1997). derstand des Essstörungsgeschehens Unausweichlichkeit des Schicksals; dies
(Stirn 1996). Im Fall der Adipositas sieht kann zu aversiven, aggressiven oder de-
Essstörungen sich der Therapeut typischerweise einer pressiven Gegenübertragungsgefühlen
gierigen,„aussaugenden“ und „unersätt- führen.Hier besteht die größte technische
Die Gegenübertragung bei Essstörung lichen“ Beziehungsgestaltung ausgesetzt Schwierigkeit für den Therapeuten darin,
weist viele Gemeinsamkeiten mit der bei und kann so leicht zu resignativen bis ag- eigene Krankheits- und Todesängste nicht
narzisstischen Störungen und bei Sucht- gressiv-vorwurfsvollen Gegenübertragun- auf den Patienten zu projizieren, um sie
erkrankungen auf. Diese Störungen wer- gen neigen (Ahrens 1997, S. 463) dort zu bekämpfen,sondern sie bei sich zu
den in einem nachfolgenden Abschnitt bearbeiten und sie in integrierter Form
behandelt; hier sollen zunächst die Aspek- Gegenübertragungsreaktionen an den Patienten zurückzugeben (Rudolf
te im Vordergrund stehen,die uns für das bei somatopsychischen Störungen 2000, S. 339 f.).
Krankheitsbild spezifischer erscheinen.
Einen wichtigen Anteil an der Psychody- Körperliche Krankheit, besonders dann Artifizielle Störungen und
namik bei anorektischen Störungen hat wenn sie chronisch verläuft oder wenn sie vorsätzliche Selbstbeschädigung
ein Autonomie-Abhängigkeits-Konflikt. mit einer möglichen Lebensbedrohung
Das Verweigern der Nahrungsaufnahme verbunden ist,konfrontiert den Menschen Bei den artifiziellen Störungen ist eine pa-
dient oftmals unbewusst dem Ziel, sich mit seiner Endlichkeit und auch mit der – thologische Interaktion zwischen Arzt
der eigenen Autonomie zu versichern und allen biomedizinischen Fortschritten trot- und Patient eines der wesentlichen Stö-
sich dem Drängen anderer („Jetzt iss doch zenden – Unmöglichkeit, Gefährdungen rungscharakteristika (Eckhardt 1992),
endlich mal was!“) zu verweigern. Dies des psychophysischen Selbst dauerhaft zu denn ohne das Mitagieren der Behandler
kann in der Therapie leicht ebenfalls zu vermeiden. Dieses Konfrontiert-Sein mit könnte sich eine solche Störung niemals
einem Machtkampf führen,der in der Ge- einer Grenze des Machbaren, mit der zu ihrem Vollbild entwickeln. Typischer-
genübertragung zwischen aggressiven schicksalshaft verlaufenden Eigengesetz- weise geht es hier um narzisstisch-gran-
und sadistischen Impulsen und anderer- lichkeit schwerer Erkrankungen stellt auch diose Phantasien,aber auch um Schuldge-
seits der Sorge über das Verhungern der den Psychotherapeuten, der in die Be- fühle und unerkannte sadistische Impul-
Patientin mit ausgeprägten Impulsen,die handlung von Patienten mit schweren kör- se,die beispielsweise eine vorschnelle In-
Patientin schützen zu wollen, schwankt. perlichen Erkrankungen involviert ist,vor dikationsstellung zu einer eingreifenden
Ein weiteres wesentliches Moment bei der besondere Probleme. Nun kann man sa- medizinischen Maßnahme motivieren.

Psychotherapeut 3 · 2004 | 207


Originalien

Wenn sich nach solch einer Vorgeschich- und seine synthetischen Fähigkeiten ver- Gegenübertragungsgefühle und Protest-
te schließlich der Verdacht einer Artefakt- liert (Sachsse 1994,S.53).Ursächlich dafür impulse wecken oder auch Empfindun-
krankheit stellt und erhärtet,so kann eine dürften am ehesten eine Dominanz pro- gen von Langeweile bis hin zur Schläfrig-
aggressive Verurteilung die Folge sein oder jektiv-identifiaktorischer und interaktio- keit, die ihm die Wahrnehmung eigenen
eine prompte Entlassung eines Patienten neller Abwehrvorgänge sein. Das Bezie- Ärgers ersparen.In Reaktion auf eine idea-
aus der Behandlung als eine Form des hungsmuster der dissoziativen Störung lisierende Übertragung kann der Thera-
„Ungeschehenmachens“. Eine besondere ähnelt dem der artifiziellen Störung. In peut das Bedürfnis verspüren, den Pati-
Aufmerksamkeit in der Behandlung von der Gegenübertragung dominiert das Ge- enten vorzeitig und uneinfühlsam darauf
Patienten mit artifiziellen Störungen ver- fühl des Getäuschtwerdens und der Hilf- aufmerksam zu machen, dass er nicht so
dient der Umstand,dass sich manche die- losigkeit; dies kann dann mit einer schnel- grandios ist, wie er vom Patienten gese-
ser Patienten in bestimmten, besonders len Beendigung der Beziehung einherge- hen wird. Ebenso kann er aber auch ver-
krisenhaft zugespitzten Zuständen dem hen. Ähnlichkeiten bestehen zu den Ge- führt werden, eine Idealisierung zu lange
Tod eher verbunden fühlen als dem Le- genübertragungsreaktionen bei trauma- bestehen zu lassen,so dass eine struktur-
ben, d. h. die Vorstellung möglicherweise tisierten Patienten. bildende umwandelnde Verinnerlichung
nicht mehr zu sein,wird als tröstend oder nicht erfolgen kann.Aus unbemerkt und
erlösend empfunden. Dies erfordert eine Gegenübertragungsreaktionen unreflektiert gebliebenem Ärger und
besondere Aufmerksamkeit, sowohl die bei Persönlichkeitsstörungen Kränkungsgefühlen des Therapeuten ent-
in der Gegenübertragung auftretenden stehen nicht selten untergründige, d. h.
Abwehrmechanismen wie auch die Über- Persönlichkeitsstörungen gehören mit ca. vom Therapeuten offen geäußerte, aber
Ich-Analyse betreffend. Retterphantasi- 9% in der Erwachsenenbevölkerung (Sa- unbemerkt bleibende, schädliche Inter-
en, Opferungsbereitschaft und Erhaben- muels et al. 2002) zu den häufigsten psy- aktionsschleifen, die gerade bei narziss-
heitsgefühle gegenüber anderen (Kolle- chischen Störungen. Zu dieser Störungs- tisch gestörten Persönlichkeiten mit dem
gen, Mitmenschen) können sich einstel- gruppe zählen sehr unterschiedliche kli- hohen Risiko eines vorzeitigen Therapie-
len, aber auch übersteigerte Geduld als nische Bilder (s. dazu Tress et al. 2002), abbruchs verbunden sind (Junkert-Tress
Abwehr der tatsächlich entstehenden Ge- denen auch vielfältige Gegenübertra- et al. 2000).
fühle von Aggression und Hoffnungslo- gungsreaktionen entsprechen. Wir be- Wichtig im Umgang mit narzisstischen
sigkeit.Werden die todesorientierten Ten- schränken uns in der vorliegenden Arbeit Persönlichkeitsstörungen sind eine em-
denzen des Patienten jedoch nicht geleug- daher auf eine Auswahl von Persönlich- pathische,verstehende,aber auch respekt-
net, so kann es dem Therapeuten gelin- keitsstörungen, die uns klinisch bedeut- volle Grundhaltung und die Bereitschaft,
gen, Normalität, Realität und Struktur in sam erscheint. die häufig wütende oder auch hilflose Ge-
das therapeutische Geschehen einzubrin- genübertragung zu kontrollieren,d.h.,sie
gen,die auch bezüglich seiner eigenen Po- Narzisstische Persönlichkeitsstörungen auf ihren Stellenwert im therapeutischen
sition stabilisierend wirken können (Wil- Prozess zu untersuchen.Oftmals ist es da-
lenberg 1994).Vorsätzliche Selbstbeschä- Störungen des Narzissmus sind bei un- bei für den Therapeuten hilfreich,sich zu
digungen finden sich oft im Kontext de- terschiedlichen psychogenen Störungen vergegenwärtigen,dass die manchmal un-
pressiver Störungen oder schwerer Per- von Bedeutung. Bei der definitorisch eng erträgliche Grandiosität und Entwer-
sönlichkeitsstörungen. Das Gegenüber- umrissenen narzisstischen Persönlich- tungsneigung der Patienten für diese not-
tragungserleben ist somit v.a. von den zu keitsstörung steht auf Seiten des Patienten wendig ist,um sich vor quälenden Gefüh-
Grunde liegenden Störungen bestimmt. das Bemühen im Vordergrund,eine eige- len der Aussichtslosigkeit und der Scham-
Zu besonderen Gegenübertragungs- ne Selbstidealisierung bei gleichzeitiger angst zu bewahren.
schwierigkeiten können vorsätzliche Entwertung des Gegenübers aufrechtzu-
Selbstbeschädigungen vor allem dann erhalten. Diese Selbstidealisierung steht Borderlinepersönlichkeitsstörungen
führen, wenn sie mehr oder weniger un- dabei in engem Zusammenhang mit Be-
bewusst dazu dienen,ein Gegenüber inter- fürchtungen, in beschämender Weise Für die Behandlung von Borderlinepati-
aktionell zu drangsalieren,zu quälen oder könnte das eigene Ungenügen offenbar enten ist charakteristisch, dass in der Re-
zu bestrafen. Hier kann schnell im The- werden.Häufig kommt es im Kontakt mit gel massive, wechselnde Gegenübertra-
rapeuten die Bereitschaft entstehen, sich diesen Patienten zu heftigen Gegenüber- gungsgefühle auftreten,die oft nur schwer
eines solchen Patienten zu entledigen oder tragungsreaktionen.Kohut (1979) folgend auszuhalten sind.Sie schwanken von Ver-
ihm mit übergroßer Härte zu begegnen. lassen sich zwei Typen charakteristischer wirrung (Giovacchini 1988) oder Bewun-
Gelegentlich wird bei Patienten mit selbst- Übertragung unterscheiden: die Spiegel- derung und Leergefühlen bis hin zu
verletzendem Verhalten und ausgepräg- übertragung und die idealisierende Über- Schläfrigkeit oder Hass (Gabbard 1991)
ter Ich-Schwäche beschrieben,dass sie im tragung. Die Spiegelübertragung ist da- und dem Bedürfnis, den Patienten loszu-
Therapeuten ebenfalls die Entwicklung durch gekennzeichnet, dass der Patient werden (Senf u. Broda 1996, S. 301). Mcln-
einer „Ich-Schwäche“ induzieren, der den Therapeuten nicht als eigene Person tyre und Schwartz (1998) fanden bei The-
dann seinen Affekten und Impulsen so gelten lässt. Dies kann im Therapeuten rapeuten von Borderlinepatienten Gegen-
wenig gewachsen ist wie die Patienten, aus Kränkung resultierende aggressive übertragungstendenzen, die dadurch ge-

208 | Psychotherapeut 3 · 2004


kennzeichnet waren,den Patienten zu kri- Kontaktverhalten.Lebhaftes Agieren,Ag- beide dauerhaft das Gefühl haben,„noch
tisieren, lächerlich zu machen, strafend gressionsausbrüche und Suizidimpulse nicht so weit“ zu sein.
mit ihm umzugehen und sich emotional sind Ausdruck der fehlenden Affektinte-
zu distanzieren. Die aggressiven Reaktio- gration. Aufgrund der kommunikativen Suchterkrankungen
nen auf den Patienten dienen dabei meist Unbeholfenheit in der Gruppe der schi-
der Abwehr eigener depressiver Reaktio- zoiden Störungen zusammen mit Deper- Bei den Suchterkrankungen handelt es
nen der Ohnmacht und Hilflosigkeit.Wei- sonalisations- und Derealisationserleb- sich um eine heterogene Gruppe von Stö-
terhin können abwertende Reaktionen, nissen, ausgeprägten hypochondrischen rungen. Die Annahme, Suchterkrankun-
die masochistische Unterwerfung, wie Phänomenen oder bizarren Perversionen gen liege eine einheitliche „Suchtstruk-
auch die Wiederbelebung archaischer Ich- kommt es bei der diagnostischen Daten- tur“ zu Grunde,lässt sich heute nicht mehr
Ängste,auch durch die Konfrontation mit erhebung leicht zu interaktionellen aufrecht erhalten (vgl. Stetter 2000b). So
dem Hass der Borderlinepatienten ent- Schwierigkeiten und somit zu negativer wie die ätiologischen Faktoren, die süch-
stehen (Rohde-Dachser 1979). Bei stark Gegenübertragung in Diagnostik und tiges Verhalten begründen,höchst unter-
regredierten Patienten zeigt die Übertra- Therapie. Es besteht die Gefahr der Ver- schiedlich sind,so sind es auch die unter-
gung dieser Patienten viele primitive schiebung diagnostischer Ettikettierung schiedlichen Formen des Gegenübertra-
Merkmale und Charakteristika von so- auf Seiten des Untersuchers in das schi- gungserlebens. Wesentlich erscheint uns
wohl maligner,zu weiterer Funktionsein- zoide Spektrum. Wiederum stellt gerade hier zweierlei: Zum einen stellen sich Pa-
schränkung führender, als auch benig- die negative Gegenübertragung,die schi- tienten mit einer Suchterkrankung oft-
ner, integrationsfördernder Regression. zoide Patienten signifikant häufiger aus- mals mit einer ihre Sucht verdeckenden
Entsprechend können auch die Gegen- lösen als nichtschizoide,ein wichtiges di- „Präsentiersymptomatik“ vor. Der Can-
übertragungsreaktionen sowohl malig- agnostisches Kriterium für diese Struktu- nabisabhängige erscheint als Borderline-
ne wie benigne Merkmale aufweisen.Ma- ranteile dar (Lieberz u. Porsch 1997). persönlichkeitsstörung,der Alkoholkran-
ligne Regression in der Gegenübertra- ke als narzisstisch persönlichkeitsgestört
gung kann beispielsweise dazu führen, Abhängige Persönlichkeitsstörungen oder an einer Angststörung leidend. Die
dass es zu sexuellen Grenzüberschreitun- vorrangige Aufgabe des Psychotherapeu-
gen durch Therapeuten kommt (Gabbard Die abhängige Persönlichkeitsstörung ist ten besteht hier also darin, die Suchter-
1994; Moggi et al. 1992). Die Begegnung die unter Frauen häufigste Pesönlichkeits- krankung wahrzunehmen und adäquat
mit dem Patienten auf einem tiefer regre- störung (Maier et al.1992).Sie ist dadurch zu diagnostizieren.In diesem Prozess kön-
dierten Niveau fordert die Fähigkeit des gekennzeichnet,dass die Betreffenden sich nen unerkannt bleibende Gegenübertra-
Therapeuten heraus, viele der unerträg- in kleineren oder größeren Lebensent- gungsschwierigkeiten, die beispielsweise
lichen Anteile des Patienten anzunehmen scheidungen passiv auf andere verlassen. in eigenen süchtigen Neigungen begrün-
und zu ertragen sowie selbst im Dienst Die Störung ist ferner durch große Tren- det sind, dazu führen, dass die Diagnose
des anderen zu regredieren und gleich- nungsangst,Gefühle der Hilflosigkeit und einer Suchtkrankheit nicht erfolgt und
zeitig nicht das therapeutische und be- Inkompetez,durch eine Neigung,sich den damit aber auch eine angemessene Be-
obachtende Ich zu verlieren (Kadyrow Wünschen anderer unterzuordnen sowie handlung des Patienten nicht erfolgen
1996). durch ein Versagen gegenüber den Anfor- kann (vgl. Bilitza 1996). Zum zweiten ist
derungen des täglichen Lebens gekenn- es sicherlich so, dass Suchterkrankungen
Schizoide Persönlichkeitsstörungen zeichnet. Da sich diese Patienten instru- immer noch weithin vorwiegend als mo-
mentell inkompetent und auf ein sie füh- ralische Verfehlung angesehen werden
Schizoide Patienten neigen zur Verbin- rendes Gegenüber angewiesen fühlen (vgl. Stetter 2000a). Dies kann dazu füh-
dung von Fremdheitsgefühlen und Ent- („ich kann das nicht alleine“), sind sie in ren, suchtkranken Patienten mit einer
fremdungserlebnissen mit einem auffäl- der Therapie oft initial sehr kooperativ pädagogisierend-moralischen Haltung zu
lig vermeidendem Kontakt- und Bin- und tragen dabei gleichzeitig ihr Abhän- begegnen,die sich dann in entwertenden
dungsverhalten.Als Variante können sich gigkeitsmuster in die Therapie hinein.Im Äußerungen, strengem Verhalten oder
auch kämpferische und narzisstische Züge Verlauf der Therapie kommt es dann nicht Unbarmherzigkeit gegenüber dem Pati-
miteinander verbinden, in denen kom- selten zu einer Frustration des Therapeu- enten darstellt.
munikative Züge aktiv zerstört werden ten, wenn die Patienten dieses Muster Die häufigsten Gegenübertragungen
und die Objektbeziehung geprägt ist von nicht aufgeben. Dies kann beim Thera- sind einerseits, dass die Verleugnung
einseitiger Selbstbezogenheit, fehlender peuten Ärger bis hin zu hasserfüllten Ge- durch eine Identifikation mit dem Pati-
Empathie und Unfähigkeit zu Abhängig- fühlen wachrufen (Poggi u. Ganzarain enten übernommen wird und man das
keit und Vertrauen. Eine dritte Variante 1983). In Abwehr solcher aggressiver Af- Ausmaß süchtiger Pathologie unter-
mischt Vermeidungs- und Kampfverhal- fekte kann es umgekehrt dazu kommen, schätzt. Gelegentlich entstehen in Thera-
ten und ist vor allem durch gravierende dass die Abhängigkeit des Patienten nicht peuten im Umgang mit süchtigen Patien-
Mängel hinsichtlich der Affekt- und Im- hinreichend thematisiert wird, und es so ten auch „Rettungsfantasien“; aufgrund
pulssteuerung geprägt.Abriss,Misslingen zu unangemessen langen Behandlungen solcher Helfer-Größen-Ideen lassen sol-
und distanzlose Nähe prägen hier das kommt, in denen Therapeut und Patient che Therapeuten den Patienten ein Über-

Psychotherapeut 3 · 2004 | 209


Originalien

maß an Zuwendung zukommen,das meist nicht zu diskutierenden Schwierigkeiten, wie Wilson und Lindy (1994) sind die häu-
dann in der Enttäuschung des Therapeu- traumatische Ereignisse zuverlässig zu er- figsten Gegenübertragungsreaktionen von
ten endet,die hoch gesteckten Ziele nicht innern (Schwarz et al. 1993; Southwick et Psychotherapeuten,die mit traumatisier-
erreicht zu haben. al. 1997; Harvey u. Bryant 2000) als kaum ten Patienten arbeiten, die Überreaktion
Nicht selten ist auch zu beobachten, lösbare Aufgabe erscheinen. Nicht selten oder die Vermeidung.Daraus ergeben sich
dass sich Therapeuten durch eine zu wird in der traumatherapeutischen Lite- für Fischer und Riedesser (1998) folgende
strenge Über-Ich-Haltung vor Entwertung ratur die Auffassung vertreten, eine neu- Muster:
durch den Patienten schützen. Dies kann trale Haltung des Therapeuten könne re-
dazu führen, dass Patienten entwertend traumatisierend wirken. Dies erschwert 1. Ärger, Furcht oder Vermeidung
behandelt werden,dass ihnen in einer mo- es dem Psychotherapeuten,der sich diese durch Fehlsteuerung der Empathie,
ralisierenden Haltung die „Schuld“ für Maxime zu eigen macht,allerdings erheb- 2. Rückzug aus der Empathie mit Intel-
ihre Erkrankung zugeschrieben wird und lich, die mit traumaassoziierten Störun- lektualisierung,
sie in unangemessener Weise strenger als gen häufig verbundenen Schuld- und 3. Empathieverdrängung mit Rückzug
andere Patienten behandelt werden (Bi- Schamkonflikte oder auch die mit ihnen und Distanzierung oder
litza 1996). verbundenen triebhaften Konflikte in den 4. Grenzvermischung mit Überengage-
Blick zu nehmen und kann dann dazu bei- ment und gegenseitiger Abhängig-
Gegenübertragung tragen, dass auf Seiten des Therapeuten keit zwischen Patienten und Thera-
bei traumatisierten Patienten durch Identifikation mit den unbewusst peuten.
bleibenden Anteilen des Patienten Gefüh-
In den letzten Jahren haben psychische le von Schuld entstehen,die beispielswei- Diskussion
Traumata als pathogene Faktoren bei un- se in Erscheinung treten als
terschiedlichen Störungen und Erkran- In unserer Arbeit haben wir für einige kli-
kungen vermehrte Aufmerksamkeit ge- ▂ sekundäre Überlebensschuld, nisch relevante Störungsbereiche typische
funden. Dabei werden mit dem Begriff ▂ „Zuschauerschuld“ (Danieli 1988), Gegenübertragungen beschrieben. Die
„Trauma“ z. T. psychische Extrembelas- ein Trauma nicht verhindert zu ha- Beschreibungen stützen sich vor allem auf
tungen bezeichnet, wie sie in der Folge ben, oder klinische Literatur und nur z.T.auf empi-
krimineller Angriffe, wie einer Vergewal- ▂ Schuldgefühl, wenn therapeutische rische Studien. Dies liegt daran, dass die
tigung, oder als Auswirkung von Unfäl- Prozess beim Patienten nicht so empirische Erforschung von Gegenüber-
len oder Naturkatastrophen entstehen, rasch voran schreitet, wie der Thera- tragungserleben weit gehend noch in ih-
z.T.werden jedoch auch chronisch belas- peut es wünscht. ren Anfängen steht.Damit ist verbunden,
tende oder schädliche Umweltbedingun- dass die empirischen Befunde weitestge-
gen als „traumatisch“ gekennzeichnet.Als Die Konfrontation mit der Realität des hend noch der Replikation und der Über-
Trauma werden zum einen bestimmte Traumas kann beim Therapeuten Ab- prüfung bedürfen. Es liegen zwar inzwi-
psychische Erlebensweisen bezeichnet scheu, Entsetzen, Hilflosigkeit und Angst schen viel versprechende methodische
(„traumatische Angst“),zum anderen aber auslösen. Der Therapeut kann sich über- Forschungsansätze vor; es bedarf aber aus
auch bestimmte, objektive Gegebenhei- wältigt fühlen; hierdurch können Gefüh- unserer Sicht noch einer größeren Bereit-
ten („Kriegstrauma“). In einer erhebli- le von Ohnmacht, Hilflosigkeit und In- schaft von Psychotherapeuten sich in
chen Ausweitung des Traumabegriffes ge- kompetenz (Peichl 2000), aber auch Är- selbstverständlicher Weise zum For-
genüber früheren Fassungen bezieht das ger auf Täter, Opfer und die Gesellschaft schungsgegenstand zu nehmen.Insbeson-
DSM-IV auch Umstände ein,in denen je- insgesamt (Fischer u.Riedesser 1998) ent- dere wäre die Erforschung der affektiven
mand mit bedrohlichen Ereignissen, die stehen.In einem Versuch,als unerträglich Dimensionen des Gegenübertragungser-
eine andere Person betrafen, in Berüh- empfundene Affekte zu vermeiden, kann lebens und der Dimension des Bindungs-
rung kommt, ohne selbst, beispielsweise es zu einer „Einfühlungsverweigerung“ verhaltens von Patienten und Therapeut
als Opfer oder Zeuge, in diese Ereignisse kommen, im Verlauf der Therapie zur in Relation zur Gegenübertragung per-
einbezogen zu sein. Die damit verbunde- Identifikation mit dem Opfer bzw. dem spektivisch aussichtsreich. Fraglos kann
ne konzeptuelle und klinische Unschärfe Aggressor wie auch zu Omnipotenzge- es einer solchen Übersicht nicht gelingen,
ist zu Recht kritisiert worden (vgl.McNal- fühlen, dass jedes Trauma zu bewältigen die Vielschichtigkeit abzubilden,die durch
ly 2003),und diese Unschärfe trägt – auch sei (Rudolf 2000, S. 273 f.). Wenn eigene, individuumspezifische Besonderheiten,
wegen der Ideologisierung der Trauma- nicht hinreichend bewältigte traumati- durch eine je eigene Biographie,evtl.auch
diskussion (vgl. Kernberg 2000) – zu ty- sche Erfahrungen reaktiviert werden, durch die vorhandene Komorbidität be-
pischen Gegenübertragungsschwierigkei- kann dies dazu führen, dass therapeuti- stimmt wird.Wir können in dieser Über-
ten bei. So sehen sich Therapeuten ange- sche Grenzen verloren gehen,möglicher- sicht auch nicht dem Umstand Rechnung
sichts vermuteter psychophysischer Ex- weise, da in projektiver Weise dann am tragen, dass jedwede Gegenübertragung
trembelastung oftmals vor der Schwierig- Patienten ein Wiedergutmachungsversuch nicht nur eine individuelle intrapsychi-
keit,Realität und Phantasie klar zu unter- unternommen wird,der eigentlich der ei- sche, sondern auch eine interpersonelle
scheiden. Dies muss angesichts der hier genen Person gilt.Nach Wilson (1989) so- Kompromissbildung darstellt (Brenner

210 | Psychotherapeut 3 · 2004


1985). Mithin trägt nicht nur der Patient können diagnostischer Art sein, und sie kön- Hartkamp N, Heigl-Evers A (1995) Feinstrukturen einer ana-
lytischen Supervision.Z Psychosom Med Psychoanal
durch seine Störung zur Ausbildung des nen sich im therapeutischen Prozess auf die 41:253–267
Gegenübertragungserlebens bei,sondern Aufklärung des aktuell unbewusst gebliebe- Hartkamp N, Schmitz N, Schulze-Edinghausen A, Ott J,Tress
genauso der Therapeut mit seinen Wahr- nen Beziehungsgeschehens richten.Be- W (2002) Spezifisches Gegenübertragungserleben und
interpersonelle Problembeschreibung in psychodyna-
nehmungsstereotypien,affektiven Bereit- obachtung und Analyse der Gegenübertra- mischer Psychotherapie.Nervenarzt 73:272–277
schaften und unbewussten Konflikten. gung sind ein wichtiges Element zur Herstel- Harvey AG, Bryant RA (2000) Memory for acute stress disor-
Auch bei der Betrachtung des Patien- lung einer tragfähigen Beziehung, deren Er- der symptoms: a two-year prospective study.J Nerv
Ment Dis 188:602–607
ten können wir verschiedene Perspekti- halt und Weiterentwicklung.Es ist daher von Haustein J (2000) Zur analytischen Beziehung und Behand-
ven einnehmen – die Symptomperspekti- Nutzen, die wichtigsten krankheitstypischen lungstechnik bei psychosomatischen Patienten.Forum
ve, den Blickwinkel der interpersonellen Gegenübertragungsreaktionen zu kennen. Psychoanal 16:261–278
Heigl-Evers A, Ott J (2002) Die psychoanalytisch-interaktio-
Problematik, der neurotischen Konflikt- nelle Methode: Theorie und Praxis, 4.Aufl.Vandenhoeck
haftigkeit und der ichstrukturellen Defi- Korrespondierender Autor & Ruprecht, Göttingen
zite sowie den der individuellen Tempera- Dr. med. Aglaja Stirn Heigl-Evers A,Weidenhammer B (1988) Der Körper als Be-
deutungslandschaft.Die unbewußte Organisation der
mentsausprägungen.Ein Patient kann sich Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, weiblichen Geschlechtsidentität.Huber, Bern
z. B. mit einer narzisstischen Persönlich- Klinikum der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Henningsen P, Hartkamp N, Loew T, Sack M, Scheidt CE, Ru-
keitsstörung,einer neurotischen Depres- Heinrich Hoffmann Straße 10, dolf G (2002) Somatoforme Störungen.Leitlinien und
Quellentexte.Schattauer, Stuttgart
sion und einer Essstörung darstellen. 60528 Frankfurt am Main
Junkert-Tress B,Tress W, Hildenbrand G et al.(2000) Der Be-
Solch eine klinische Komplexität wird not- E-Mail: stirn@em.uni-frankfurt.de handlungsabbruch – ein multifaktorielles Geschehen.
wendigerweise auch zu komplexen Mi- Psychother Psychosom Med Psychol 50:351–365
Interessenkonflikt: Keine Angaben Kadyrow IM (1996) Übertragung und Gegenübertragung in
schungen im Gegenübertragungsgesche- der psychoanalytischen Behandlung eines stark regre-
hen führen.Wir sind aber gleichwohl der dierten Patienten.Z Psychoanal Theorie Prax 9:200–209
Auffassung, dass sich auch unter diesen Literatur Kiesler DJ (2001) Therapist countertransference: in search of
common themes and empirical referents.J Clin Psychol
klinischen Verhältnissen, das für die je- 57:1053–1063
weiligen Störungsanteile Prägnante und Ahrens S (Hrsg) (1997) Lehrbuch der psychotherapeuti- Kernberg OF (2000) „Wahrscheinlich werden in der nächs-
schen Medizin.Schattauer, Stuttgart ten Generation schwere Persönlichkeitsstörungen häu-
Typische wiederfinden lässt.Insofern sind Bilitza KW (1996) Abhängigkeitserkrankungen, Sucht.In: figer sein.“ Otto F.Kernberg im Gespräch mit Ulrich
wir auch nicht der von einzelnen Autoren Senf W, Broda M (Hrsg) Praxis der Psychotherapie.Thie- Streeck.Psychother Dialog 4:84–89
vertretenen Ansicht,„Gegenübertragung“ me, Stuttgart Kind J (1986) Manipuliertes und aufgegebenes Objekt.Zur
Brenner C (1985) Countertransference as compromise for- Gegenübertragung bei suizidalen Patienten.Forum
sei allenfalls als Störung der therapeuti- mation.Psychoanal Q 54:155–163 Psychoanal 2:228–239
schen Beziehung oder als Ausdruck man- Carp EA (1971) Über das Praecox- und Hysteriegefühl.Psy- Kind J (1987) Strukturabhängige Gegenübertragungs-
gelnder Professionalisierung zu verstehen chother Psychosom 19:232–239 schwierigkeiten bei suizidalen Patienten.Forum Psy-
Danieli Y (1988) Treatments survivals and children of survi- choanal 3:215–226
(Grawe 1998). vals of the nazi holocaust.In: Ochberg FM (ed) Post- König K (1993) Gegenübertragungsanalyse.Vandenhoeck &
Aus unserer Sicht, aus der Sicht einer traumatic therapy and victims of violence.Brunner & Ruprecht, Göttingen
psychoanalytischen,psychodynamischen Mazel, New York, pp 278–295 Körner J (1988) Die Induktion der Gegenübertragung – eine
Eckhardt A (1992) Artifizielle Krankheiten (selbstmanipu- experimentelle Studie.In: Heigl-Evers A, Brocher TH,
Therapie, halten wir im Gegenteil an der lierte Krankheiten) – Eine Übersicht.Nervenarzt Fürstenau P et al.(Hrsg) Die Balintgruppe in Klinik und
Ansicht fest, dass es sinnvoll ist, das Ge- 63:409–415 Praxis, Bd 2.Springer, Berlin Heidelberg New York,
genübertragungserleben zu beachten und Ellis A (2001) Rational and irrational aspects of counter- S.193–211
transference.J Clin Psychol 57:999–1004 Kohut H (1979) Die Heilung des Selbst.Suhrkamp, Frankfurt
die Gegenübertragung als ein wichtiges Faller H (1999) Das emotionale Erleben des Therapeuten aM
Instrument sowohl in der Diagnostik als und die Indikationsstellung für Psychotherapie.Eine Krause R, Lütolf P (1989) Mimische Indikatoren von Übertra-
auch in der Gestaltung des therapeuti- empirische Untersuchung zur Gegenübertragung im gungsvorgängen – Erste Untersuchungen.Z Klin Psy-
diagnostischen Prozeß.Psychotherapeut 44:25–33 chol 18:55–67
schen Prozesses zu nutzen. In unserer Fiedler FE (1951) A method of objective quantification of Küchenhoff J (2000) Hysterie.In: Rudolf G (Hrsg) Psychothe-
Sicht fühlen wir uns auch bestärkt durch certain countertransference attitudes.J Clin Psychol rapeutische Medizin und Psychosomatik.Thieme, Stutt-
Versuche kognitiver oder rational-emo- 7:101–107 gart, S 240–246
Fischer G, Riedesser P (1998) Lehrbuch der Psychotraumato- Lang H (1998) Psychodynamik der Zwangsstörungen.In:
tiver Therapeuten, das Konzept der Ge- logie.Reinhardt, München Ambühl HR (Hrsg) Psychotherapie der Zwangsstörun-
genübertragung auch für ihre therapeuti- Gabbard GO (1991) Technical approaches to transference gen.Krankheitsmodelle und Therapiepraxis.Thieme,
sche Herangehensweise nutzbar zu ma- hate in the analysis of borderline patients.Int J Psycho- Stuttgart, S 39–49
anal 72:625–637 Leahy RL (2001) Overcoming resistance in cognitive thera-
chen (Leahy 2001; Ellis 2001; Sanders u. Gabbard GO (1994) Psychotherapists who transgress sexual py.Guilford, New York
Wills 1999). boundaries with patients.Bull Menninger Clin Lieberz K, Porsch U (1997) Gegenübertragung bei schizoi-
58:124–135 den Störungen.Psychother Psychosom Med Psychol
Giovacchini PL (1988) Bewilderment and the borderline 47:46–51
Fazit für die Praxis phenomenon.Psychoanal Inq 8:398–421 Maier W, Lichtermann D, Klingler T, Heun R (1992) Preva-
Grawe K (1998) Psychologische Therapie.Hogrefe, Göttin- lences of personality disorders (DSM-III-R) in the com-
Gegenübertragungserleben ist einerseits gen munity.J Personal Disord 6:187–197
Haas JP (1988) Bemerkungen zum sog.„Hysterie-Gefühl“. Mclntyre SM, Schwartz RC (1998) Therapists‘ differential
subjektiv, andererseits existieren bestimmte Nervenarzt 59:92–98 countertransference reactions toward clients with ma-
krankheitstypische Gegenübertragungsreak- Hafkenscheid A (2003) Objective countertransference: do jor depression or borderline personality disorder.J Clin
tionen.Sie bedürfen der eingehenden Analy- patients‘ interpersonal impacts generalize across thera- Psychol 54:923–931
pists? Clin Psychol Psychother 10:31–40 McNally JR (2003) Progress and controversy in the study of
se, bevor aus ihnen klinische Folgerungen ge-
posttraumatic stress disorder.Annu Rev Psychol
zogen werden können.Solche Folgerungen 54:229–252

Psychotherapeut 3 · 2004 | 211


Fachnachricht

Mentzos S (1991) Hysterie.Zur Psychodynamik unbewusster Tress W,Wöller W, Hartkamp N, Langenbach M, Ott J (2002) Internetdatenbank Frauenge-
Inszenierungen.Fischer, Frankfurt Persönlichkeitsstörungen.Leitlinie und Quellentext.
Meurs P, Cluckers G (1999) Psychosomatic symptoms, embo- Schattauer, Stuttgart sundheit
diment and affect – weaving threads to the affectively Willenberg H (1994) Countertransference in factitious disor-
experienced body in therapy with a neurotic and a bor- der.Psychother Psychosom 62:129–134 Die Bundeszentrale für gesundheitliche
derline child.J Child Psychother 25:71 – 91 Wilson JP (1989) Trauma, transformation and healing.An in-
Moggi F, Bossi J, Bachmann KM (1992) Sexueller Mißbrauch tegrative approach to theory, research and post-trau- Aufklärung stellt ab sofort eine Internet-
in therapeutischen Beziehungen.Nervenarzt matic therapy.Brunner & Mazel, New York datenbank „Frauengesundheit und Ge-
63:705–709 Wilson JP, Lindy JD (eds) (1994) Countertransference and sundheitsförderung“ online zur Verfü-
Peichl J (2000) Verstrickungen in der Übertragung und Ge- treatment of PTSD.Guilford Press, New York
genübertragung bei der Therapie von Traumapatien- Winnicott DW (1949) Hate in the countertransference.Int J gung, die gemeinsam mit dem
ten.Psychotherapeut 45:366–376 Psychoanal 30:69–74 Bundesministerium für Gesundheit und
Poggi RG, Ganzarain R (1983) Countertransference hate.Bull Soziale Sicherung (BMGS) erarbeitet
Menninger Clin 47:15–35
Rohde-Dachser C (1979) Das Borderline-Syndrom.Huber, wurde. Unter www.bzga.de/frauenge-
Bern sundheit ist ein breites Themenspektrum
Rosch E (1978) Principles of categorization.In: Rosch E, an frauenspezifischen Gesundheitsinfor-
Lloyd BB (eds) Cognition and categorization.Hillsdale,
New Jersey, pp 27–48 mationen aus dem In- und Ausland abruf-
Rudolf G (2000) Psychotherapeutische Medizin und Psycho- bar.
somatik.Thieme, Stuttgart
Rümke HC (1935) Allgemeine psychologische und psycho-
analytische Auffassungen über Hysterie.Psychiatr Neu- Dies ist die erste bundesdeutsche Wissen-
rol Bl 39:487–531 schaftsdatenbank in diesem Bereich, die auch
Russel PD, Snyder WU (1963) Counselor anxiety in relation internationale Daten berücksichtigt.Experten
to amount of clinical experience and quality of affect
demonstrated by clients.J Consult Psychol 27:358–363 sowie Forschende können sie als Zugang zu
Sachsse U (1994) Selbstverletzendes Verhalten.Psychody- aktuellen, verlässlichen Daten und inhaltlichen
namik – Psychotherapie.Vandenhoeck & Ruprecht, Informationen zu relevanten Fragen der Frau-
Göttingen
Samuels J, Eaton WW, Bienvenu OJ, Brown CH, Costa PT, Ne- engesundheit nutzen.Für 26 ausgewählte Ge-
stadt G (2002) Prevalence and correlates of personality sundheitsthemen, wie z.B.Krebs, Aids, Sucht
disorders in a community sample.Br J Psychiatry oder Gewalt, werden Literaturangaben, Daten-
180:536–542
Sanders D,Wills F (1999) The therapeutic relationship in quellen, Organisationen und Linklisten für die
cognitive therapy.In: Feltham C (ed) Understanding the Regionen Deutschland, Europa, USA und Inter-
counselling relationship.Sage, London national angegeben.Derzeit sind mehr als
Schwarz ED, Kowalski JM, McNally RJ (1993) Malignant
memories: post-traumatic changes in memory in adults 2000 Einträge in der Datenbank enthalten, die
after a school shooting.J Trauma Stress 6:545–553 kontinuierlich aktualisiert werden.Aufbau und
Senf W, Broda M (1996) (Hrsg) Praxis der Psychotherapie. Inhalt dieser Internetdatenbank entsprechen
Thieme, Stuttgart
Shapiro D (1991) Neurotische Stile.Vandenhoeck & Ru- dem interdisziplinären und integrativem An-
precht, Göttingen satz in der Frauengesundheitsforschung, bei
Smith S (1995) Dealing with the difficult patient.Postgrad dem medizinische, psychologische und gesell-
Med J 71:653–657
Southwick SM, Morgan CA, Nicolaou AL, Charney DS (1997) schaftliche Aspekte berücksichtigt werden.
Consistency of memory for combat-related traumatic
events in veterans of Operation Desert Storm.Am J Quelle:
Psychiatry 154:173–177
Stetter F (2000a) Psychotherapie von Suchterkrankungen. Bundeszentrale für gesundheitliche
Teil 1: Von der Diagnostik zur Motivationstherapie.Psy- Aufklärung, Köln
chotherapeut 45:63–71 http://www.bzga.de
Stetter F (2000b) Psychotherapie von Suchterkrankungen.
Teil 2: Beiträge verschiedener Psychotherapierichtun- voelker-albert@bzga.de
gen.Psychotherapeut 45:141–152
Stirn A (1996) Ohnmacht – Annäherung – Abgrenzung.Eine
sprachinhaltsanalytische Untersuchung mit der Metho-
de des Zentralen Beziehungskonfliktthemas nach Lu-
borsky an drei essgestörten Patientinnen.VAS, Frank-
furt
Stirn A (2002) Gegenübertragung.Vom veränderten Um-
gang mit einem zentralen Begriff.Psychotherapeut
47:48–58
Tabachnick N (1961) Countertransference crisis in suicidal
attempts.Arch Gen Psychiatry 4:64–70
Thomä H, Kächele H (1985) Lehrbuch der psychoanalyti-
schen Therapie, Bd I.Grundlagen.Springer, Berlin Hei-
delberg New York
Tourney G, Bloom V, Lowinger PL, Schorer C, Auld F, Grisell J
(1966) A study of psychotherapeutic process variables
in psychoneurotic and schizophrenic patients.Am J
Psychother 20:112–124

212 | Psychotherapeut 3 · 2004

View publication stats

Das könnte Ihnen auch gefallen