Herausgegeben von
MANFRED CLAUSS
Jörg Fündling
Sulla
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-534-15415-9
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zur Reihe 7
Vorwort des Autors 9
Prolog: Ein Abschied 13
I. Der Senator 17
Unsolider Durchschnitt 17
Schlagzeilen 29
In der zweiten Reihe 43
Hohe Einsätze 54
II. Der Kriegsherr .. 69
Flucht nach vorne 69
Siege ohne Ende 78
Der Fuchs und der Löwe 95
HI. Der Konterrevolutionär 113
Ein soziales Experiment . . . . * 113
Tanz auf dem Vulkan 135
Der Lotse geht von Bord 148
Demontage 156
Anhang
Anmerkungen 167
Verzeichnis der Abkürzungen 187
Zu den Quellen 191
Literaturverzeichnis *9^
Zeittafel 199
Register 201
A b b
- , : L Cor
neliusSulla(7). P o r t r ä t 5 ü s t e ~
6
' M a r m o r R o
™ . Vatikanische Museen
Vorwort zur Reihe
„Gestalten der Antike" - die Biographien dieser Reihe stellen heraus-
ragende Frauen und Männer des politischen und kulturellen Lebens jener
Epoche vor. Ausschlaggebend für die Auswahl war, dass die Quellenlage
es erlaubt, ein individuelles Porträt der jeweiligen Personen zu entwerfen,
und sie konzentriert sich daher stärker auf politische Persönlichkeiten. Sie
ist gewiss auch subjektiv, und neben den berühmten „großen Gestalten"
stehen interessante Personen der Geschichte, deren Namen uns heute viel-
leicht weniger vertraut sind, deren Biographien aber alle ihren je spezi-
fischen Reiz haben.
Die Biographien zeichnen spannend, klar und informativ ein allgemein-
verständliches Bild der jeweiligen „Titelfigur". Kontroversen der For-
schung werden dem Leser nicht vorenthalten. So geben auch Quellenzitate
- Gesetzestexte, Inschriften, Äußerungen antiker Geschichtsschreiber,
Briefe - dem Leser Einblick in die „Werkstatt" des Historikers; sie vermit-
teln zugleich ein facettemreiches Bild der Epoche. Die Darstellungen der
Autorinnen und Autoren zeigen die Persönlichkeiten in der Gesellschaft
und Kultur ihrer Zeit* die das Leben, die Absichten und Taten der Pro-
tagonisten ebenso prägt wie diese selbst die Entwicklungen beeinflussen.
Die Lebensbeschreibungen dieser ^Gestalten der Antike" machen Ge-
schichte greifbar.
In chronologischer Reihenfolge werden dies sein:
Hatschepsut (1479-1457)+ von den vielen bedeutenden Königinnen
Ägyptens nicht nur die bekannteste, sondern auch die wichtigste, da sie
über zwei Jahrzehnte die Politik Ägyptens bestimmt hat;
RamsesIL (1279-1213), der Pharao der Rekorde, was seine lange Le-
benszeit wie die nahezu unzähligen Bauvorhaben betrifft;
Alexander (356-323), der große Makedonenkönig, dessen Rolle in der
Geschichte bis heute eine ungebrochene Faszination ausübt;
Hannibal (247-183), einer der begabtesten Militärs der Antike und
Angstgegner der Römer; seine Kriege gegen Rom haben Italien mehr ge-
prägt als manch andere Entwicklung der römischen Republik;
Sulla (138-78), von*Caesar als politischer Analphabet beschimpft, weil
er die Diktatur freiwillig niederlegte, versuchte in einem eigenständigen
Konzept, den römischen Staat zu stabilisieren;
Cicero (106-43), Philosoph, Redner und Politiker, von dem wir durch
die große Zahl der überlieferten Schriften und Briefe mehr wissen als von
jeder anderen antiken Persönlichkeit; sein Gegenpart,
8 Vorwort zur Reihe
Caesar (100-44), ein Machtmensch mit politischem Gespür und einer
ungeheuren Energie;
Merodes (73-4), der durch rigorose Anpassung an die hellenistische
Umwelt die jüdische Monarchie beinahe in den Dimensionen der Davids-
zeit wiederherstellte, dem seine Härte jedoch letzten Endes den Ruf des
„Kindesmörders" eintrug;
Kkopatra (69-30), Geliebte Caesars und Lebensgefährtin Marc An-
tons, die bekannteste Frauengestalt der Antike, die vor allem in den Dar-
stellungen ihrer Gegner unsterblich wurde;
Augustus (43 v.-14 tu Chr.), der mit unbeugsamer Härte, aber auch gro-
ßem Geschick das vollendete, was Caesar angestrebt hatte; da er den Bürger-
kriegen ein Ende setzte, wurde er für die Zeitgenossen zum Friedenskaiser;
New (54-68), der in der Erinnerung der Nachwelt als Brandstifter und
Muttermörder disqualifiziert war, auch wenn ihn die zeitgenössischen
Dichter als Gott auf Erden feierten;
Marc Aurel (161-180), der so gerne als Philosoph auf dem Thron be-
zeichnet wird und doch immer wieder ins Feld ziehen musste, als die ersten
Wellen der Völkerwanderung das Römische Reich bedrohten;
Septimius Severus (193-211), der erste „Nordafrikaner" auf dem
Thron, aufgeschlossen für orientalische Kulte; er förderte die donaulän-
dischen Truppen und unterwarf das Reich zahlreichen Veränderungen;
mit Diocletian (284-305) lässt man die Spätantike beginnen, die sich vor
allem durch konsequente Ausübung der absoluten Monarchie auszeichnet;
Athanasius (295-373), unter den großen politischen Bischöfen der
Spätantike einer der radikalsten und erfolgreichsten in dem Bemühen,
den neuen Glauben im und gegen den Staat durchzusetzen;
Konstantin der Große (306-337), der im Zeichen des Christengottes in
die Schlacht zog und siegte, hat den Lauf der Geschichte nachhaltig ver-
ändert; dem Christentum war nun der Weg zur Staatsreligion vorgezeichnet;
Julian (361-363), dessen kurze Regierungszeit vieles von seinen Plänen
unvollendet ließ und deshalb die Phantasie der Nachwelt anregte;
Theodosius der Große (379-395), von dem man sagt, er habe mit einer
rigorosen Gesetzgebung das Christentum zur Staatsreligion erhoben; er
bewegte sich mit Geschick durch eine Welt religiöser Streitigkeiten;
Theoderich der Große (474-526), der bedeutendste jener „barbari-
schen" Heerführer, die das Weströmische Reich beendeten,
und schließlich Kaiser Justinian (527-565), der zusammen mit Theo-
dora die Größe des alten Imperium Romanum wiederherstellen wollte;
die Beschreibung seiner Herrschaft kann insofern einen guten (chrono-
logischen) Abschluss bikten.
Manfred Clauss
Vorwort des Autors
Wenig über Lucius Cornelius Sulla ist in die breite Öffentlichkeit gedrun-
gen. Zuschauer des Fernsehfilms Julius Caesar von 2002 erinnern sich vage
an das ausgezehrte Gesicht eines Tyrannen, der den Titelhelden bedroht.
Leser von Robert Harris' Cicero-Trilogie stolpern über den Namen und
vergessen ihn gleich wieder - Allgemeinwissen ist Sulla nicht, man
»braucht* ihn scheinbar nicht zu kennen, wenn man die letzten Jahrzehnte
vor der Kaiserzeit als Thriller erlebt. Doch wie so oft trügt der Schein.
In Erinnerung und Handeln eines Pompeius, Cicero oder Caesar war
und blieb Sulla der Dictator höchst gegenwärtig. Sein Schatten fällt über
die letzte Generation der Republik. Man sprach ungern über ihn, während
man in seinen Spuren wandelte, seine politischen Erben ebenso wie seine
Gegner aus Überzeugung. Er hatte Rom eine Ordnung aufgezwungen, die
nach ihm zerbröckelte, als hätte niemand außer ihm sie gestützt oder ge-
wollt Der Blick auf die sozialen Konflikte wurde wieder frei, der Weg
zurück in den Bürgerkrieg lag offen - und er wurde beschritten. Damit
reduzierten sich die Ereignisse etwa zwischen den Jahren 100 und 78
v.Chr., eine Serie innerer und äußerer Krisen, die Sulla mit unerhörten
Mitteln beendet hatte, in der Sicht der Späteren auf ein grausam unnötiges
Zwischenspiel. Als Augustus und seine Nachfolger die Herrschaft über
Rom antraten, auf Waffengewalt und das Versprechen einer friedlichen
Zukunft gestützt, verdunkelte sich das Bild Sullas weiter, zum Inbegriff
der römischen Selbstzerfleischung.
Bis heute kämpft die klassische Altertumswissenschaft mit Echos und
Trugbildern einer Überlieferung, die in einer langen Serie traumatischer
Ereignisse nach Sinn, Schuld und notwendigen Ursachen suchte. Dabei
hilft es nicht, auf Quellen angewiesen zu sein, die ihr Material oft energisch
umorganisiert haben, die noch öfter bloße Fragmente sind und in den sel-
tensten Fällen zeitnah entstanden. Sogar die schärfsten Kritiker schöpfen
aus Sulla selbst, der wie niemand vor ihm Erinnerungspolitik betrieb, oder
doch aus seinen Bewunderern. AU diese Originale sind verloren. Fenster in
die Seele unserer Hauptperson sind sie nie gewesen, aber jeder Leser der
genial manipulativen Selbstdarstellungen Caesars weiß, was es ausmacht,
von Sullas Reden und Memoiren nur Zitate aus zweiter und dritter Hand
zu besitzen.1
Keine Nachzeichnung des Geschehenen auf dieser Basis darf allzu über-
zeugte Töne anschlagen. Sie leidet unter dem schnellen Wechselspiel poli-
tisch-sozialer Dynamik, innerer und äußerer Bedrohungen, das schon den
Zeitgenossen Überblick und distanzierte Analyse schwer gemacht hat-
Mehreren Krisen auf einmal gegenüberzustehen ist kein Privileg des be-
ginnenden 21. Jahrhunderts. Noch dazu hat, wer auf Sullas Scheiterhaufen
blickt, seit zweitausend1 Jahren immer schon im Auge, was danach kam -
daher die Frage, ob es sinnlos war, den Weg zum Kaisertum zu verzögern,
oder menschenverachtend, eine »demokratische* Alternative zur Senats-
herrschaft zu vereiteln.
Es empfiehlt sich, für den Anfang kein Ereignis als unausweichlich zu
betrachten. Die Geschichte Sullas wusste nicht, wie sie ausgehen würde, als
sie sich abspielte - allerdings ist Sulla der Erste gewesen, der darauf be-
stand, alles sei planvoll und mit einem festen Ziel geschehen. Seine Um-
funktionierung zum Anti-Augustus -* untadelig vor Erreichen der höchsten
Macht, blutbefleckt auf ihrem Gipfel » nach dieser Vorarbeit leicht,
schon weil Sullas Leistungsbianz,, gtmessen an ihrer Stabilität, verheerend
ausfällt. Stabilität hat schon viel Blutvergießen entschuldigen helfen.
Attraktiv ist eine Generalvertei^ so wenig wie seine Verdam-
mung zum hundertsten Mal. Er ist für IdenÄikationszwecke schlecht ver-
wertbar. Die heutigen Begriffe „Republik", „Diktatur" und „Freiheit" er-
kennt man in denen der Wende vom 2. zum 1. Jahrhundert v. Chr. nur
gewaltsam wieder, so wie umgekehrt ein Konservativer der Gegenwart
mit Grauen sieht, welche Art Elite damals seine ökologische Nische be-
setzte. Und war Sulla nun Reformer, Reaktionär, Revolutionär oder alles
zugleich?2
Gerade ihn Hebt und hasst man jedenfalls nicht ungestraft. Er half den
Bürgerkrieg entfesseln und beendete ihn einstweilen, war eine verändern-
de Kraft erster Ordnung und ein Vorkämpfer sozialer Starre, ein Ausbund
an Selbstherrlichkeit und ein versierter Schmeichler, ein unterhaltsamer
Gesellschafter und ein Techniker des Terrors, ein guter Freund, ein warm-
herziger Liebender und ein berechnender Machtmensch, der seine Rache
zu genießen wusste ... schon die Antike hat ihn mit diesen Bemerkungen
zum Prototypen eines zerrissenen Charakters aus lauter Gegensätzen stili-
siert.3 Es ist leicht, sieh auf die Feststellung dieser Gegensätzlichkeit zu-
rückzuziehen, und noch leichter, manche seiner vielen Facetten zu über-
schlagen - wir wissen nicht einmal genau, wie er aussah, und desto größer
ist die Versuchung, sich »seinen* Sulla maßzusebneidern.4
Noch am einfachsten lässt sich herausarbeiten, was der Dictator nicht
war. Vergleiche mit seinen vermeintlichen Amtsbrüdern der Moderne füh-
ren in die Irre; Sulla trat ohne Vernichtungsabsichten an, band sieh frei-
willig an die Normen jener Aristokratie, der er entwachsen war, und wurde
woht nie zum Massenphänomen. Wer sich an den „weißen Revolutionär"
Bismarck erinnert, der je nach Bedarf progressive wie restaurative Mittel
wählte, kommt der Person und ihren Folgen vielleicht näher - aber Sulla
führte Bürgerkrieg, statt mit ihm zu drohen, akzeptierte keine Autorität
über sich und schied freiwillig von der Macht.5
Ob der selbsterklärte Festiger der Republik sie mit einer tödlichen
Schwäche aus seiner Hand entließ, bildet den Gegenstand von Kontrover-
sen, die noch lange anhalten werden. Mit all jenen Feldern, auf denen sich
Roms Zukunft entschied - der Armee, den Provinzen, der Sozialstruktur,
dem Kräfteverhältnis der politischen Interessengruppen und Institutio-
nen -, stand Sulla in engem, möglicherweise entscheidendem Kontakt. Sei-
ne Wirkung auf jedem dieser Gebiete, absichtlich oder nicht, half aus sei-
ner Zeit mehr als ein bloßes Durchgangsstadium zum großen Finale der
Republik zu machen.
Seine Betrachter scheint dieser energiesprühende Charakter vorsätzlich
irrezuführen, der Denk- und Handlungsmöglichkeiten ins Ungeahnte er-
weiterte und die Rolle der eigenen Person auf die Spitze trieb. Als Projekt
einer Heimkehr zu verlorener Große begann es. In welchem Maß Sulla
seinen Traum wahrmachte, ist fast paradox; wie heimatlos er über den
Tod hinaus unter denen blieb, die er umwarb und vor den Kopf stieß, sei-
nen Vorbildern, Opfern und Richtern in der Senatsaristokratie6 - das vor
allem gibt der Geschichte seines Glückes mehr Komplexität, als sie nach
seinem Willen je haben sollte.
Chancen zum Durchdenken dieses Themas haben sich im Zuge meines
gleichnamigen Proseminars im Sommersemester 2009 geboten. Umzüge
und Presslufthämmer richten nichts aus gegen die geradezu vormoderne
soziale Tragkraft des Personenverbandes, der den Lehrstuhl für Alte Ge-
schichte am Historischen Institut der RWTH Aachen ausmacht; Prof. Dr.
Manfred Clauss (Hennef) und Dr. Jens Bartels (Zürich) verdankt es das
Manuskript, wenn es weniger fleckig aussieht als die Hauptperson. Meiner
Familie habe ich mich wieder einmal öfter entreißen dürfen, als vertretbar
war, und das in dubioserer Begleitung denn je.
Es war mir ein Herzenswunsch, das Buch einer Kennerin diktatorischer
Lebensverhältnisse zu widmen, deren Freundschaft uns in allen möglichen
und unmöglichen Lagen etwas von ihrem Glück abgegeben hat. Außerdem
war ich den Beweis schuldig, wie wenig sich „Sula" als Name weiblicher
Haustiere eignet.
Hohe Einsätze
Frauen mit weitem politischem Horizont unter ihnen. Sie hatten über ihre
Zukunft mitzureden, nach wie vor aber nur selten zu entscheiden.
Unter ihnen war Caecilia Metella, Tochter eines Triumphators, Censors
und pontifex maximus sowie Schwester mehrerer Konsuln. Sie hatte vor
kurzem ihren Mann begraben, Aemilius Scaurus - den Helden eines Wie-
deraufstiegs zu Ruhm und beispiellosem Luxus. Sulla war nicht der Mann,
sich die beste Partie Roms entgehen zu lassen. Er teüte seiner - vermutlich
- dritten Frau Cloelia die Scheidung wegen erwiesener Unfruchtbarkeit
mit, ein formloser Akt aus einem ganz üblichen Grund, dessen einzige
Komplikation im Normalfall die korrekte Rückerstattung der Mitgift war.
Was weiter aus Cloelia wurde, wissen wir nicht. Ihr bisheriger Mann entließ
sie unter Lobesworten für ihre hohe Moralität und beschenkte sie reich.
Übrigens hinderten seine Liebschaften ihn nicht daran, in allem Anstand
zu leben - Affären mit ledigen Personen, die nicht aus gutem Haus waren,
galten nicht als Ehebruch -, so, wie „er nie zuließ, dass die Lust ihn vom
Geschäft abhielt".124
Ein beträchtliches Stück vom Reichtum der Meteller wechselte nun in
Sullas Haus. Gleichzeitig waren sich die höchsten Kreise Roms einig, dass
Metella viel zu gut für ihn - im Gegensatz zu ihnen - war, und auf der
Straße wurden Spottlieder gesungen. Ein Parvenü wie Sulla hatte so viel
Glück einfach nicht verdient; wer konnte wissen, was er sich im Konsulat
erlauben würde, wenn es ihm zu Kopf stieg? Sein alter Vorgesetzter Caesar
Strabo, Konsul des Jahres 90, bewarb sich gesetzwidrig und drohte Sulla
ein unbequemer Kollege zu werden. Die Erleichterung des Corneliers, als
der Senat Strabos Ansprüche zurückwies, war enorm. Gewählt wurde
Quintus Pompeius Rufus, ein unauffälliger Optimat - spätestens beim An-
tritt des Konsulats war sein Sohn der Schwiegersohn Sullas geworden.125
Für die Begriffe aller versprach das Jahr 88 eine Zeit der Beruhigung und
der Konsolidierung zu werden. Metellus Pius beendete den Krieg in Apu-
lien; von seinem Legaten Cornelius Cinna sollte Rom noch hören. Nola
wurde noch belagert, in Gebieten wie Samnium gab es Kämpfe, aber die
Hauntgefahr war vorbei. Rom hatte neben furchtbaren Verlusten an Le-
ben und Eigentum eine riesige Zahl neuer Bürger zu verkraften, und die
Zeit musste zeigen, wie sich das bei Wahlen und Gesetzesinitiativen aus-
wirken würde.126
Dann kamen die Nachrichten aus Kleinasien. Mithridates war auf dem
Vormarsch - eine Viertelmillion Mann zu Fuß, 40000 Reiter und 130 zu-
mindest optisch furchtbare Streitwagen mit Sicheln schrieb man ihm später
zu. Es waren jedenfalls exzellent geführte Truppen, die aus allen Ländern
seines jungen Reiches kamen, aber gut miteinander harmonierten. Aquil-
lius konnte nur zusehen, wie die vorgeschickten vier Heere mit knapp
180000 Mann, doch nur wenigen Römern durch ganz Bithynien zurück-
geworfen wurden und die politische Armeesieh über die römische Pro-
vinzgrenze wälzte» Halb im Triumphzug rückte Mithridates nach Westen
vor, bejubelt von den meisten Einheimischen, denen er weniger barbarisch
vorkam als die Zwingherren aus Italien. Freiheit versprach der neue Ale-
xander und den Schutz aller Hellenen; ganze Landschaften fielen ihm in
den Schoß. Ehe das Jahr um war, beschränkte sich Roms Zugriff auf einige
isolierte Küstenfestungen und die vorgelagerten Inseln. Die Prokonsuln
flohen von Ort zu Ort, eine pontische Flotte von gut 400 Schiffen war in
Aktion getreten - und Schwarzseher fürchteten für die Sicherheit Grie-
chenlands.127
Die Schatten aus dem Ostenfielenumgehend auf die Innenpolitik. Noch in
diesem Jahr musste man vor den Winterstürmen eine Armee übersetzen;
es bot sich an, Sulla mit dem Kampf gegen seinen alten Gegner zu betrau-
en - das Los fiel wieder einmal nach Wunsch. Das Expeditionskorps sam-
melte sich vor dem immer noch nicht eroberten Nola. Aber in der Haupt-
stadt gingen ganz andere Sorgen um. Riesige Schäden waren entstanden,
riesige Staatsschulden für die Ausrüstung der Armeen zu begleichen. Wo-
her hätte das Geld kommen sollen? Aus Asia. Die Zinssätze schnellten
empor, die Kreditgeber suchten von ihren lokalen Schuldnern wieder-
zubekommen, was sie nur konnten. Die wiederum saßen auf verwüsteten
Landgütern und auftragslosen Werkstätten; sie verlangten Aufschub oder
zahlten gar nicht. Der Senat wertete den As auf die Hälfte ab, mit ihm alle
Schulden. Sullas Kriegskasse konnte nur dürftig gefüllt werden, indem
man den Verkauf der ältesten Opfergerätschaften und Weihgaben an-
kündigte.128
Streitende Geschäftspartner belagerten den praetor urbanus Sempro-
nius Asellio, klagten auf Zahlung, auf Stundung, einige sogar auf Be-
strafung aller, die jemals Zinsen verlangt hatten. Asellio ließ die Muster-
klagen zu; damit stand das Vermögen aller Gläubiger auf dem Spiel. Neue
Kredite waren kaum mehr zu bekommen. Als Asellio eines Morgens auf
dem Forum opferte, flog ein Stein aus der Menge; der Magistrat suchte
Schutz im Vestatempel, erreichte ihn nicht, wurde von seinen Verfolgern
in eine Kneipe abgedrängt und dort ermordet. Der Senat setzte eine Be-
lohnung für Hinweise auf die Täter aus; niemand meldete sich.129
In die Unruhen hinein drang eine neue Stimme. Sulpicius Rufus, Volks-
tribun des Jahres 88, kam aus dem Umkreis des unvergessenen Livius Dru-
sus, verstand sich mit den Konsuln anfangs durchaus gut und hatte sich
gegen Caesar Strabos Bewerbung gewehrt; doch mit Zurückhaltung, so
schloss er bald enttäuscht aus dem Widerstand der Magistrate, würde er
nicht weit kommen, wenn es um die noch ausstehenden Punkte des Pro-
gramms von 91 ging. Die meisten Italiker hatten jetzt zwar das Stimmrecht
- aber was war das für ein Recht!130
Sulpicius begann sich interessant zu machen. Er rekrutierte eine bewaff-
nete Schlägertruppe von 3000 Mann; er verriet seine ,Liebe' zum Senat
durch die Bildung eines Anti-Senats aus jungen Mitgliedern des Ritter-
standes. In einem Moment, da die finanziell aktiven Ritter sich zwischen
Mithridates und der Pro-Schuldner-Politik der Senatoren gefangen sahen,
war das ein Signal. Sulpicius verstärkte es durch eine wohlorchestrierte
Serie von Gesetzesanträgen.131
Der erste bedrohte jeden Senator, der Schulden von mehr als 2000 De-
naren hatte, mit dem Ausschluss aus der Senatsliste. Angesichts der hor-
rend gestiegenen Wahlkosten und der Kriegsfolgen machte das einen
Großteil des Senats erpressbar für Gläubiger aus Ritterfamilien. Gesetz
Nr. 2 wollte alle gemäß der lex Varia von 91 Verbannten zurückrufen. Auf
einen Streich hätte Sulpicius, der neulich noch das Gegenteil vertreten
hatte, damit zahlreiche Anhänger der Drusus-Partei zurückgewonnen.
Zahlreiche Plebejer, aber auch die italischen Neubürger würden sich eine
Freude daraus machen, mit Ja zu stimmen, den einstigen Richtern lag
nichts mehr an einem Nein.132
Die eigentliche Kampfansage aber war das dritte Gesetz. Nach dem En-
de des Krieges hatten die Neubürger Zeit gehabt, die Fußangel an ihrem
frisch errungenen Rechtsstatus zu finden. Die Gesetzgebung lief seit Jahr-
hunderten fast ausschließlich über das concilium plebis ab, die Versamm-
lung der Plebs - aller Bürger außer den wenigen Patriziern wie Sulla die
wie ihr Gegenstück, die »richtige4 Volksversammlung der comitia tributa,
nach Tribus abstimmte. Alle Freigelassenen fanden sich seit langem in
einem der vier städtischen Wahlbezirke wieder; da jede Tribus nur eine
Stimme besaß, lag die Mehrheit in den 31 ländlichen, die bei Abstimmun-
gen sparsam vertreten und durch die Klientel einzelner nobiles mit regio-
nalem Hintergrund gut kontrollierbar waren. Der Zustrom an Neubürgern
hätte dieses System aus der Balance gebracht, hätte man nicht die Italiker
in zehn neue Tribus abgeschoben. Selbst im idealen Zusammenspiel mit
den Plebejern aus der Hauptstadt fehlten ihnen neun ländliche Tribus für
eine Mehrheit - also änderte sich nichts. Die Altbürger konnten weiter
Geschenke für ihre Stimmen verlangen, die Senatsfamilien waren vor ita-
lischen Konkurrenten um die Ämter weithin sicher.133
Sulpicius' Antrag sah schlicht vor, alle Freigelassenen und Neubürger
auf sämtliche 35 Tribus zu verteilen. Ging das durch, hatte er nicht nur
die Mehrheitsverhältnisse umgeworfen, sondern drohte auch Roms mäch-
tigster Mann zu werden. Verwarf ihn der Senat, dann riskierte er den Auf-
stand einer sechsstelligen Personenzahl. Die besseren Kreise verbreiteten,
Sulpicius verkaufe das Bürgerrecht an einem Bankierstisch auf dem Fo-
rum; man beobachtete schreckliche Vorzeichen. Straßenkämpfe brachen
aus. Alle Augen waren auf die Konsuln gerichtet.134
Sulla und Pompeius Rufus bedienten sich des Repertoires optimatischer
Politik eher schonend. Einen eigenen Volkstribun vorzuschieben versuch-
ten sie nicht erst, wohl weil das Totschlagen von Tribunen ziemlich alltäg-
lich geworden war. Vielmehr betrieben sie Obstruktion und schufen Ab-
stimmungshindernisse. Zuletzt erklärten sie, es gebe leider ein Problem
mit dem Bundesfest der Latiner vom Frühjahr: Es müsse wiederholt wer-
den, was die Anwesenheit aller Beamten in den Albaner Bergen erzwinge.
In dieser Zeit konnte es keine gültigen Volksversammlungen geben - Rom
würde einen Rechtsstillstand erleben, ein iustitium.135
Ob die vierte Vorlage zu dieser Zeit schon auf dem Tisch lag, ist umstrit-
ten. Sulpicius hatte ein Problem - in Rom konnte er allein mit den Unter-
privilegierten nicht gegen den brachialen Widerstand der Senatsmehrheit
und der Altbürger vorankommen. Aber es gab einen Block aus - kampf-
kräftigen - Bürgern, der sich aus der Front herauslösen ließ: die Veteranen
des Marius. Es zeichnete sich ab, dass der Krieg gegen Mithridates riesige
Ausmaße annehmen würde und die Gefahr wuchs. Inzwischen standen
sechs Legionen vor Nola. In den Händen eines anderen, der an die Rolle
gewöhnt war, die Republik zu retten, würde diese Armee ein wunderbares
Werkzeug sein; auch große Teile der Ritter sympathisierten mit ihm. Gaius
Marius hatte große und bittere Träume; er träumte davon, wie er einst
einem Konsul einen Krieg abgenommen hatte. Auf einmal wurde in Rom
wieder über ihn geredet. Man sah den alten Feldherrn auf dem Marsfeld
trainieren. In Marius steckte noch Kraft, und er zeigte es. Wie weit Sulpi-
cius' Verhandlungen mit ihm gekommen waren, als die Dinge in Bewe-
gung gerieten, steht nicht fest.136
Die Konsuln hatten eine Aussprache vor dem Volk, eine contio, auf dem
Forum anberaumt, in der sie ihre Maßnahme erklären wollten. Sulpicius
beorderte seine Anhänger herbei; dann befahl er als Tribun, Sulla und
Pompeius sollten augenblicklich das iustitium aufheben. Sie verweigerten
es, die Dolche wurden gezückt, ein Gemetzel begann. Während Pompeius
entkam, wurde hinter ihm sein Sohn ermordet, der die Angreifer noch
provoziert hatte. Sulla selbst verbarg sich, sagen ihm gewogene Quellen
einsilbig; sie hatten Grund, den Ort nicht zu nennen - das nahe Haus des
Marius.137
Was dort vorging, ist ein Rätsel. Marius' Sympathisanten erklärten, er
habe Sulla aktiv beschützt. Man verhandelte wohl; vielleicht bot Sulla Ma-
rius - und Sulpicius? - einen Preis für seine Sicherheit an, gewiss unter
Druck. Dass bald darauf Pompeius, aber nur ihm, der Konsulat aberkannt
wurde, ist verdächtig. Sulla kehrte auf das Forum zurück, verkündete
knapp die Aufhebung des Geschäftsstillstandes und verschwand aus der
Stadt, die er sich selbst und den siegreichen Gegnern Überheß, was viel-
leicht Teil des Abkommens war. Eilig reiste er der wartenden Armee ent-
gegen.138
Hinter ihm spielte Sulpicius den letzten Trumpf aus. Es ist so gut wie
ausgeschlossen, dass er mit Sulla auch diesen Schritt besprochen hatte.
Denn nun stellte der Tribun den Antrag, Sulla das Kommando gegen
Mithridates zu entziehen, das er noch gar nicht übernommen hatte - der-
gleichen war nie zuvor geschehen -, und es Marius zu übertragen; Pom-
peius verlor sein Amt. Das Gesetz ging glatt durch, ebenso die Wahl-
reform.139
Erst bei den Truppen im Lager vor Nola erfuhr Sulla wohl davon. Er war
noch Konsul bis zum Ende des Jahres 88, danach schützte ihn kein öffent-
liches Amt mehr. Die neuen Konsuln in Rom würden nach neuem Wahl-
recht gekürt werden; gut möglich, dass Marius einer von ihnen war. Ver-
bündete, um die Verhältnisse noch einmal umzukehren, gab es nicht.
Asellio, den Prätor, hatte man wegen Geldes totgeschlagen. Wenn sich
Sulla im Vertrauen auf die Würde seines Amtes zurück in die Stadt begab,
war er Freiwild für alle, die von ihm Rache oder eine Verschlechterung
ihres Rechtsstatus zu befürchten hatten.
Sulla hatte noch ziemlich genau zehn Jahre zu leben, was er natürlich
nicht wusste. Er hätte abwarten, bis sein Amt auslief, und das Privatleben
wählen oder - bis bessere Zeiten kamen - eine Zuflucht in den Provinzen
suchen können. Das war riskant genug. Doch selbst wenn Sulla lebend
entkam, war er politisch so ruiniert wie Marius vor zwölf Jahren - oder
noch gründlicher. Was er gerade erst gegen alle Wahrscheinlichkeit er-
reicht hatte, sein Ansehen und das seiner Familie, stand auf dem Spiel
wenn er nicht irgendeinen Ausweg fand wie schon aus so vielen Fallen
Tatsächlichfielihm etwas ein: das Undenkbare.
II. Der Kriegsherr
Flucht nach vorne
In einer Zeit, die auf zahlreiche Staatsstreiche und Militärputsche zurück-
blickt, fällt es leicht, den fatalen Fehler in Sullas Entmachtung zu sehen.
Wir sollten Marius und Sulpicius deswegen nicht für naiv halten. Dass sie
den letzten amtierenden Konsul nicht gleich ermordeten, spricht für sie; es
verrät Traditionsverbundenheit und den Glauben an die von Senat und
Volk übertragene Autorität.1 Dem aus Rom geflohenen, erneut gedemü-
tigten Sulla dagegen blieb eine Möglichkeit, die er nur sehen konnte, weil
er in diesem entscheidenden Punkt kein guter Römer war.
Man schickte Sulla zwei - wohl frisch vom Volk ernannte - Militärtribu-
ne nach. Sie sollten das Kommando übernehmen, bis der neue Ober-
befehlshaber selbst eintraf. Wäre Marius gleich aufgebrochen, hätte das
viel verändert - aber es hätte wie Krieg ausgesehen und für Unruhe in
Rom gesorgt.2
So hatte Sulla genug Zeit, seinen Plan zu fassen - wenn „Plan" nicht zu
viel gesagt ist. Er musste auf jene Armee setzen, die ihm aus den Kriegs-
jahren seit 90 vertraut war; sie hatte er aus Gefahren gerettet und zum Sieg
geführt. Anscheinend war er auch in diesem Jahr länger bei ihr gewesen.
Die Soldaten kannten und respektierten ihn, viele mögen ihn verehrt ha-
ben. Es lag nahe, an siazu appellieren - als rechtmäßiger Konsul, als Im-
perator, als Verteidiger seiner Bhre, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.
Von Nola bis Rom sind es in Luftlinie gut 200 Kilometer, auf der Via
Latina noch einiges mehr. Ehe die Tribunen eintrafen, hatte Sulla die Stim-
mung im Lager sondiert und eine Heeresversarnmlung einberufen. Falls
spätere Ereignisse dieser Art irgendein Maßstab sind, trat er gut vorberei-
tet vor die Soldaten der sechs Legionen und hatte Mitspieler im Publikum,
wahrscheirüich viele Centurionen. Sulla erklärte, man habe ihm das Kom-
mando gerauot, Sulpicius und Marius hätten ihn in seiner dignitas, seiner
persönlichen - und lebenswichtigen - Ehre, verletzt. Seinen Zuhörern ka-
men verdächtig schnell Sorgen, ob Marius nicht auch sie entlassen und
neue Truppen - aus seinen Veteranen? - aufstellen werde. Der Krieg, in
den es ging, versprach Reichtümer und leichten Erfolg gegen dekadente
Barbaren. Sollten andere reich werden? Es liegt nahe, den Ursprung dieser
Gedanken in Sullas Feldherrnzelt zu sehen. 3
Prompt erhob sich der Schrei, sie müssten auf nach Rom. Sulla selbst
hätte ihn nie erheben können, einfach weil es ein Ding der Unmöglichkeit
war. Er konnte, wenn der Senat es gebot, cjie Ordnung in Rom mit Gewalt
{lerstellei^- das heißt, er konnte Söldner einsetzen wie gegen die Gracchen
oder die oberen Stände auffordern, sich zu bewaffnen. Aber zwischen der
Armee und der Bürgerwelt erhob sich eine durch Tradition wie Religion
heilige Grenze; die Legionen über sie hinwegzuführen war Verrat und Fre-
vel zugleich, riss die Trennlinie zwischen „zu Hause" (domi) und dem
Draußen „im Krieg" (militiae) ein. Nur in der Legende hatte dies jemand
probiert, der Abtrünnige Coriolan, jedoch mit einer Armee aus Fremden -
und er kehrte um. Die Maße Absicht stieß Sulla aus der römischen Ge-
meinschaft aus; „als Erster betrat er in Waffen die Stadt RonT.?
Zweifellos sah er die Ungeheuerlichkeit mit anderen Augen. Er war kein
Aufrührer, sondern der Je|itirne Konsul Das Volk - irregeleitet - lieferte
ihn der Wilkür seiner Feinde aus, der Senat - betäubt oder eingeschüch-
tert - hatte in der Eile nicht daran gedacht, ihm Vollmachten zu erteilen.
Hier vor Nola aber stand ein beachtlicher Teil des Volkes. Wenn es nicht
anders ging, konnten diese Bürger im Krieg ihm bestätigen, dass er das
Recht vertrat. Das hatten sie getan, und Sulla war geneigt, ihrem Drängen
zu folgen - um seine Vatexstaolt von ihren Tyrannen zu befreien, wie er
unterwegs wiederholt erklären sollte. Er war kein Coriolan, er war, wenn
überhaupt, ein zweiter Camillus, der nach der Gallierkatastrophe die Rö-
mer nicht nur befreit, sondern auch daran gehindert hatte, sich selbst zu
verraten und ihre niedergebrannte Stadt zu verlassen. Nun stand Rom mo-
ralisch in Rammen.5
Mitten hinein platzten die Militärtribunen. Ob sie dazu kamen, ihre Mis-
sion zu verkünden, ist nicht bekannt; sie brachen in einem Steinhagel zu-
sammen. Besser konnte es für Sulla nicht kommen - selbst wenn den Sol-
daten verspätet Zweifel kamen, soeben hatten sie vom Volk autorisierte
Abgesandte der Marianer ermordet. Nun blieb auch ihnen nur die Flucht
nach vorn. Die Armee machte sich marschfertig und begab sich auf ihren
Weg von sieben oder acht Tagen. Mit ihr bewegte sich ein soeben gebore-
ner Gedanke: dass die Legitimation, die Macht im Staat zu vergeben, sich
von der Versammlung des ganzen Volkes unter Senatskontrolle lösen und
auf Soldaten übertragen ließ. Eines Tages würde dies, mit der Ausrufung
zum Imperator vereint, die Methode ergeben, wie man Kaiser machte.
Den Rebellen voraus eilten die verschreckten Offiziere, die sich geweigert
hatten, Sulla zu dem, was er plante, die Hand zu reichen; nur ein Quästor
soll geblieben sein, in dem man Lucullus erkannt hat. Eine neue Elite aus
überwiegend jungen Männern begann sich um den verstörenden Impera-
tor zu formieren - sie sollte ihm zahlreiche Schlachten schlagen helfen.6
In Rom konnte man verständlicherweise nicht glauben, was auf die Stadt
zukam. Qegen Sullas Anhänger kam es zu Racheakten, im Senat erhob
sich keine Stimme für ihn. Allein der abgesetzte Pompeius Rufus begab
sich zu den Umstürzlern. Sulla selbst war nicht wohl bei dem, was er tat.
Beim Aufbruch erkundete er wie üblich den Willen der Götter durch ein
Opfer. Sein haruspex Postumius bestürmte ihn nach wenigen Blicken auf
die Eingeweide, in völliger Zuversicht fortzufahren. Weiteren Beistand
verhieß ein Traum: Sullas alte Alliierte Bellona aus Kappadokien lieh ihm
Jupiters Blitz, nannte einzeln seine Feinde und rief ihn auf, sie strafend zu
zerschmettern. Unerhört war, dass ein Magistrat sich überhaupt auf Träu-
me berief; unkontrollierbare Privatkanäle zu den Göttern zu beanspru-
chen, passte besser zu einem König als zu einem Konsul und sprengte den
Rahmen des Gewohnten so sehr wie jener Schritt, den der Traum auto-
risieren sollte.7
Einen anderen Konsul hatte man in Rom nicht; zwei Prätoren begaben
sich, deshalb der Armee, entgegen und geboten Sulla in scharfen Worten,
von seinem Vorhaben abzulassen. Wütende Soldaten stürzten sich auf sie,
ohne dass der Konsul einschritt, und rissen ihnen die Amtskleider herun-
ter; die Rutenbündel brachen sie in Stücke, und endlich Heß man die miss-
handelten Magistrate abziehen. Das Heer, das unter der Devise marschier-
te, Respekt vor der rechtmäßigen Ordnung herzustellen, hatte sie selbst
demonstrativ mit Füßen getreten. Spätere Chronisten vergaßen den Zwi-
schenfall gern.8
Je näher die Legionen der Hauptstadt kamen, desto hektischer wurden
die Versuche, sie aufzuhalten. Von mindestens drei Gesandtschaften ist die
Rede. Keine erreichte etwas; jede brachte die Erklärung heim, Sulla kom-
me als Befreier. Im Schatten der Albaner Berge, bei einem Ort ad Pictas
nahe Praeneste (Palestrina), traf eine vierte und letzte Delegation ein, nun
als Bittsteller. Der Senat habe beschlossen, Sulla sein Recht zuteil werden
zu lassen, er möge auf einen Angriff verzichten und Rom nicht zu nahe,
rücken, um ein Missverständnis zu vermeiden.9
Das ließ sich hören; ein Grund mehr für Sulla, nicht darauf einzugehen.
Er konnte es nicht riskieren, hingehalten zu werden, den Feinden Rüstun-
gen und Appelle ans Gewissen der Soldaten zu erlauben. So versprach er,
was die Boten hören wollten, ließ sie abreisen und folgte ihnen auf dem
Fuß. Bis Rom waren es noch 30 Kilometer, nur ein langer Tagesmarsch für
einen Legionär.10
Auf eine systematische Verteidigung war die Stadt nicht vorbereitet, re-
guläre Truppen fehlten, die Bürger waren unsicher und nicht einig; darin \
lag Sullas Chance. Eine Legion war vermutlich vor Nola geblieben; die
Vorhut der verbliebenen fünf setzte er sofort auf die Porta Esquilina an,
das Osttor am Ende der Straße, die ihn von Nola heraufgeführt hatte. Hier
war das Gelände am leichtesten zu überwinden. Pompeius schwenkte mit
einer weiteren nach rechts aus, gegen die Porta Collina im Norden, die auf
den Quirinal führte. Eine andere Legion umging die Stadtmauern im Sü-
den und marschierte auf den Pons Sublicius, die hölzerne Tiberbrücke, um
den Marianern den Rückzug abzuschneiden.11
Der Handstreich gelang, die nordöstlichen Mauerabschnitte wurden be-
setzt, und die Vorhut drängte in die Straßen. Von den Dächern hagelte es
Ziegel und Steinbrocken; die Soldaten, leichte Ziele ohne Chancen zur
Gegenwehr, zogen sich zu den Mauern zurück. Sulla war nun eingetroffen
und befahl, alle Häuser anzuzünden, von denen aus Widerstand geleistet
werde - ein Zornausbruch, wie Plutarch es später entschuldigte. Mit der
Brandfackel in der Hand ging der Konsul des römischen Volkes gegen die
zu befreiende Stadt vor; Feuerpfeile regneten auf die Dächer. Die Legio-
näre drangen einige hundert Meter vor.12
Am FoTum des Esquilin warteten Marius und Sulpicius, die nach dem
ersten Schreck ihre eigenen Truppen gesammelt hatten, nicht zuletzt die
3000 Straßenkämpfer, die nun in ihrem Element waren. Auf dem offenen
Platz wichen die Sullaner anfangs zurück. Ihr Imperator persönlich, heißt
es, griff sich ein Feldzeichen und wies den Weg; nun siegte der militärische
Instinkt der Aufständischen. Verstärkungen trafen ein, Sulla setzte gut
sichtbar eine Abteüung in Marsch, die den Gegner umgehen sollte. Marius
sah sich vom Hügel hinabgedrängt und suchte beim Tempel der Tellus,
nahe beim Forum, seine Männer zum Stehen zu bringen. Wie ein verzwei-
felter Demagoge ließ er angeblich ausrufen, alle Sklaven, die ihm helfen
wollten, sollten frei sein, und zeigte eine Freiheitsmütze wie ein Feldzei-
chen. Es kamen ganze drei Sklaven. Ehe die Zange sich um die Marianer
schließen konnte, flohen sie und eine Reihe ihrer Unterstützer aus den
oberen Ständen.13
Rom war in der Hand der römischen Armee. Wachen wurden postiert,
eine Reihe Plünderer auf der Via Sacra, der Heiligen Straße - die Sulla im
Triumph als Sieger über Mithridates hatte entlangziehen wollen - bestrafte
man augenblicklich. Eine unruhige Nacht lang machten Sulla und Pompe-
ius die Runde; ein irrtümliches Massaker konnten sie nicht brauchen - und
die ganze Stadt hätte abbrennen können, obwohl das Feuer auf dem Es-
quilin sie verschont hatte.14
Am nächsten Morgen sprach der Eroberer erst zum Senat, dann zum
Volk. Die um einige Mitglieder geschrumpften Väter distanzierten sich
gern von den Flüchtigen; Sulpicius hatte die Grenzen des Zulässigen als
Erster gesprengt, das erleichterte es ihnen, Maßnahmen von unerhörter
Härte zu treffen. Sie beschlossen, den Tribun, den abgedankten Retter
Roms und andere, insgesamt gut ein Dutzend, aus der Bürgergemeinschaft
auszustoßen und auswärtigen Feinden (hostes) gleichzustellen - so entfiel
die unerwünschte Eigenart der traditionellen Ächtung, dass die Flucht ins
Exil Sicherheit vor dem Tod verhieß. Die Volksversammlung - soweit die
Bürger sich ins Freie wagten - verlieh unter den Augen der Legionäre
dieser neuen Strafe Gesetzeskraft. Marius und sein Sohn, die ersten
„Staatsfeinde" der Republik, entkamen unter romanhaften Umständen
nach Afrika, wo sie auf die Hilfe der örtlichen Machthaber und nicht zu-
letzt der Veteranen des großen Feldherrn rechnen konnten. Sulpicius, von
einem Sklaven verraten, wurde in den Sümpfen bei Laurentum umge-
bracht - andere Tote gab es diesmal anscheinend nicht. Den Denunzianten
ließ man zur Belohnung frei, anschließend stürzte man ihn als Verräter an
seinem Herrn und Frevler an einem Tribun vom Tarpejischen Felsen. Alle
Maßnahmen der Konsuln wurden gebilligt, alle seit Sullas Kapitulation
und fluchtartigem Verschwinden getroffenen für nichtig erklärt; Sulla war
also immer der Anführer gegen Mithridates geblieben.15
Nebenbei war er faktisch Alleinherrscher. Wie er dem Volk erklärte,
hatte er keine Absicht, mehr mit der notgedrungen gewonnenen Macht
anzufangen. Sulla wollte den Spielregeln folgen, mochte er das Spielbrett
auch so erschüttert haben, dass alle Figuren umfielen. Er würde in den
Osten aufbrechen, sobald die Lage in Rom das zuließ. Das Quasi-Kriegs-
recht musste enden; tatsächlich schickte er die Truppen nach einer unbe-
kannten Zeitspanne zurück in die Stellung vor Nola, wo sie abermals auf
ihn warten sollten.16
Sofort aufbrechen konnte und wollte er nicht. Eine Reihe von Maßnah-
men wurde, vielleicht noch unter dem Druck der Waffen, dem Volk prä-
sentiert. Sie ähneln dem, was auf Rom sechs Jahre später zukam, so sehr,
dass leicht an eine Verwechslung zu denken ist - man kann kaum glauben,
dass Sulla auf die Schnelle große Teile der geltenden Staatsordnung um-
formte und dann hoffte, alle würden sich daran halten. Andererseits war
die Schockwirkung nach dem Staatsstreich auf seiner Seite - und die Pom-
peius und Sulla zugeschriebenen Gesetze (leges Corneliae Pompeiae) wa-
ren dermaßen angetan, die Senatsmacht zu stärken, dass die Optimaten sie
mit Zähnen und Klauen hätten verteidigen sollen.17
Gesetz wurde die ungeschriebene, seit der Gracchenzeit ignorierte Re-
gel, dass kein Antrag vor die Volksversammlung durfte, den der Senat
nicht dazu freigegeben hatte; die Chance der Volkstribunen, politische Ei-
geninitiative zu entfalten, war damit beendet. Auch ein weiteres Gesetz
traf die Tribüne, die seit der lex Hortensia von 287 die Möglichkeit gehabt
hatten, statt der Volksversammlung der comitia tributa die analog nach
Tribus gegliederte Versammlung der Plebs als Legislative zu verwenden.
Sullas Verfassungsrevision beendete zugleich die Angst, die Italiker - ob
nun auf die neuen Zusatztribus beschränkt oder nicht - könnten die Mehr-
heiten verändern. Denn die Gesetze sollte künftig jenes nach Vermögens-
klassen aufgebaute Gremium beschließen, das auch die Konsuln und Prä-
toren wählte, die fiktive Heeresversammlung des Volkes in den comitia
centuriata. Von den 193 Centurien mit je einer Stimme entfielen allein 18
auf den Ritterstand und weitere 70 auf die ihm folgende erste Vermögens-
klasse; stimmten diese Reichsten - eine vergleichsweise winzige Bevölke-
rungsschicht - relativ einheitlich ab und gewannen Teile der wohlhaben-
den zweiten Klasse hinzu, waren die Ärmeren schon überstimmt. Das war
die Timokratie älterer Spielart, für Sulla vermutlich eine Rückkehr zur
guten alten Zeit. Zusätzliche Bestimmungen, von denen wir im Detail
nichts wissen - wahrscheinlich zählte eine empfindliche Einschränkung
des Vetorechts dazu -, rundeten den Abstieg des Tribunats ab.18
Die Ritter mit ihrem neuerwachten politischen Ehrgeiz konnten sich
hierin wiederfinden. An die heikle Frage der Gerichtszusammensetzung
rührte Sulla anscheinend nicht - im Gegenteil, er schnitt sich wie in vielen
Punkten eine Scheibe von Livius Drusus ab und plante die Verdoppelung
des Senats. War das nicht die beste Garantie, dass auch die Ritter den
neuen, durchaus vorteilhaften Zustand verteidigen und das - aus Sullas
Sicht - unnatürliche Bündnis mit dem einfachen Volk aufgeben würden,
um zu suchen, was Cicero, damals ein Achtzehnjähriger, eine Generation
später als concordia ordinum, Einigkeit unter den maßgeblichen Ständen,
anpreisen sollte? Den Gläubigern missfiel Sullas Gesetz, das den Höchst-
zinssatz auf zwölf Prozent im Jahr fixierte, aber der verbleibende Gewinn
lag noch etwa im Bereich des Handelsüblichen; damit konnte man leben.19
Dass der Senat seine Eingriffe stützen würde, stand für Sulla offenbar
außer Zweifel. Bei nüchterner Überlegung war es selbstzerstörerisch, etwas
anderes zu tun. Die Optimaten unter den Vätern konnten sich am Ziel ihrer
Wünsche seit 133 sehen, als Gewinner einer Restauration, die sie unter nor-
malen Umständen nie hätten durchsetzen können, die nun aber sogar das
Volk bestätigt hatte. Auch dem moderaten Rest und selbst denjenigen Re-
formern, denen Sulpicius zu radikal agiert hatte, war auf den zweiten Blick
gedient: Tribunen und Senat konnten einander nun nicht mehr lahmlegen,
da die eine Seite waffenlos war; jetzt konnte also reformiert werden, was
reformiert gehörte, natürlich in behutsamen Schritten und von oben her.
Wie in alten Zeiten würde die Nobilität als Ganzes ihre Interessen verteidi-
gen, die mit denen Roms automatisch zusammenfielen. Eine Mehrheit der
Bürger dachte vermutlich anders, aber Mehrheiten zählten in diesem Den-
ken nicht; die römische Republik war keine Demokratie.
Der Fehler, der Sulla bei seiner Einschätzung unterlief, war so kapital,
dass man leicht vermuten kann, das gesamte Regelwerk von 88 sei nur eine
hastige Improvisation für die nähere Zukunft gewesen. An der Eile ist
nicht zu zweifeln, doch der Fehler sollte sich in Sullas zweitem Anlauf der
Jahre ab 82 wiederholen. Es handelt sich um eine Mixtur aus Selbstzufrie-
denheit und Idealismus gegenüber der Nobilität als Ganzem wie gegen-
über den Optimalen, Sullas Gesinnungsgenossen. Sulla hätte es besser wis-
sen können. Der Erfolg, den er erzielt hatte, galt der Senatsherrschaft - vor
allem aber war er Sullas persönlicher Erfolg. Ihn zu stützen, verteidigte
langfristig die Position aller, doch vom ersten Moment an jene Position,
die sich der Konsul erarbeitet hatte. Er hatte Marius und Sulpicius beim
bisher gefährlichsten Versuch aufgehalten, als Einzelne die gesamte res
publica zu kontrollieren; sie waren im Begriff gewesen, der innenpoliti-
schen Macht die militärische Macht hinzuzufügen. Sullas Handeln hatte
ihm selber beides tatsächlich verschafft; für die Zeit nach 88 verzichtete
er jetzt auf die Machtausübung nach innen, brachte sich aber in die Aus-
gangsposition für einen erfolgreichen Krieg großen Stils und ließ den ge-
samten Senat als Nutznießer einer von ihm persönlich vorgegebenen Ord-
nung zurück, innerhalb deren nun wie in alten Zeiten die aristokratische
Gleichheit herrschen sollte.
Sulla war blind dafür, dass er selbst diese Gleichheit durchbrach, solange
er sich in irgendeiner Stellung befand, auf eigene Faust das politische Sys-
tem zu verändern. Schlimmer noch, er hatte fundamentale Regeln verletzt.
Was er für unumgänglich hielt, weckte vom ersten Moment an Wider-
stand - der betagte, hochgeachtete Augur Mucius Scaevola widersetzte
sich gleich in der ersten Senatssitzung der Ächtung der zwölf Widersacher
Sullas, als Großvater einer Schwiegertochter des Marius, als stoischer Phi-
losoph mit strikten Moralvorstellungen und am meisten als erfahrener
Staatsmann. Jeder politische Instinkt musste die Optimaten dazu treiben,
Sullas Macht, wo es nur ging, zu schwächen, bis er wieder von ihrem Kon-
sens abhing. Was passieren konnte, wenn man Sullas Person angriff, hatte
man erlebt; man schwächte ihn aber wesentlich risikoloser, wenn man den
Neuerungen des Tabubrechers die Unterstützung vorenthielt, mochte das
für den Moment auch unangenehme Folgen haben. Die einfache Plebs
sollte weder revoltieren noch herrschen, doch ein in Maßen populärer
Konsul konnte jetzt und hier als Gegengewicht zu Sulla - der noch dazu
einen Religionsfrevel begangen und die Stadt verunreinigt hatte - nütz-
liche Dienste leisten. Niemand mochte den selbsternannten Retter. „Zeig
mir ruhig die Marschkolonnen, mit denen du die Kurie umstellt hast", rief
Scaevola, „droh mir immer wieder den Tod an, aber nie wirst du es schaf-
fen, dass ich alter Mann meinem bisschen Blut zuliebe Marius zum Feind
erkläre, von dem die Stadt und Italien gerettet wurden." Auf den Straßen
herrschte eine Meinung, die noch verheerender war und Sullas Entschul-
digungen nicht gelten ließ.20
Es sieht ganz so aus, als sei auf Senatsseite unterlassene Hilfeleistung prak-
tiziert worden. Der Konsul verbrachte ein unbequemes restliches Amts-
jahr. Dass die vergewaltigte Stadt in dieser Zeit entsühnt wurde, ist aus
sakralrechtlichen Gründen zwingend anzunehmen, aber nicht überliefert
worden. Die Legionen, die Rom entweiht hatten, standen immer noch in
Kampanien, Mithridates der Große, König der Könige, für seine Feinde
„der Kappadokier", war der Herr Kleinasiens. Und Roms Demütigung
hatte den Gipfel noch nicht erreicht. Im Herbst 88 landeten pontische
Kontingente auf den Inseln der Ägäis; nur Rhodos mit seiner starken Flot-
te hielt stand. In Ephesos, bislang Hauptstadt der römischen Provinz Asia,
erließ Mithridates während der ersten Jahreshälfte 88 den Befehl, an
einem Stichtag jeden einzelnen Römer und Italiker innerhalb seines
Machtbereichs zu töten, vom Kind bis zum Greis, und die Leichen verfau-
len zu lassen. Selbst die Heiligkeit der Tempel rettete nur wenigen das
Leben, als die griechischen Städter an die Arbeit gingen. Ihr Hass auf die
Ausbeuter aus dem Westen und ihr Bedürfnis, mit ihrer Vergangenheit als
Kollaborateure* zu brechen, brauchte wenig Nachhilfe.21
Lange ist es unter Althistorikern Mode gewesen, keine Mühe beim
Brandmarken dieses „Pogroms" zu sparen, „wie es nur im Hirne eines
asiatischen Barbaren erdacht werden konnte", ehe die europäischen
Massenmorde sie Lügen straften und die Welt der Gegenwart an ganz
andere Zahlen gewöhnten; mancher Parteigenosse a.D. ließ das noch
lange Jahre nachdrucken. Gleichwohl war der Blutbefehl von Ephesos,
dem angeblich 80000 Menschen zum Opfer fielen, mit seiner gezielten,
zweckmäßig eingesetzten Pogromstimmung etwas Neues; nicht einmal
Sklaven schonte man, also kam es auf den finanziellen Gewinn nicht so
an. Den nach Mytilene auf Lesbos geflohenen Aquillius hatte Mithrida-
tes, der nicht ganz grundlos gegen ihn aufgebracht war, nach seiner Aus-
lieferung bereits zu Tode foltern lassen - als bildliche Strafe seiner Gier
soll ihm flüssiges Gold in den Rachen gegossen worden sein. Jetzt aber
standen, von Rom aus gesehen, fast alle Provinzbewohner mit blutigen
Händen da.22
Auf Delos, dem großen Handelszentrum und Sklavenmarkt, wehrten
sich die Einwohner und zahlreiche römisch-italische Flüchtlinge; abermals
20000 sollen ums Leben gekommen sein. Die reiche Beute ging zum Teil
an eine unerwartete Adresse - nach Athen, wo die arme Bevölkerungs-
mehrheit einen antirömischen Demagogen namens Aristion an die Macht
gebracht hatte. Pontische Truppen unter dem kampferprobten Archelaos
stiegen im Piräus von den Schiffen, und damit gehörte der Kriegshafen, der
im westlichen Mittelmeer nicht seinesgleichen hatte, dem Todfeind Roms.
Während Sulla sich in Rom freie Hand für den Osten zu verschaffen such-
te, sah es beinahe so aus, als könnte Mithridates schneller über die Adria
kommen als er. Die Thraker bedrängten den Statthalter von Makedonien,
Städte und Landschaften der Provinz Achaia, wo keine römischen Garni-
sonen standen, erhoben sich. Am Verlust ganz Griechenlands fehlte nicht
viel.23
Sulla musste um jeden Preis in die Gegenoffensive, ehe seine Soldaten
die Geduld verloren. In Italien wurde noch gekämpft, aber dafür standen
Truppen bereit. Eine Legion würde Nola belagern; dann war da die Armee
des Pompeius Strabo, der mit den letzten Rebellen im Picenum rang. Wie
der Mann sich zu Sulla verhalten würde, wusste er nicht; es wäre unklug
gewesen, ihn in seinem Rücken zu lassen. Pompeius Rufus konnte diese
Armee übernehmen - das würde auch die Umtriebe in Rom beenden, wo
auf einmal Fürsprecher der Geflohenen auftraten, die Sulla nie erwartet
hätte, „besonders Reiche und viele begüterte Frauen". Selbst ein Mord-
komplott gegen die Konsuln soll es gegeben haben. Rufus und Rom wür-
den im Schutz der Soldaten sicherer sein.24
Quintus Pompeius Rufus überlebte seine Ankunft nicht lange. Am Tag
nach der formellen Übergabe stand Pompeius Strabo ganz zufällig dabei,
als die Soldaten sich um den Konsul drängten und ihn totschlugen. Wie
man solche Untaten »bestrafte', hatte Sulla vor Pompeji demonstriert: Stra-
bo verurteilte den Mord schärfstens, stellte fest, sämtliche direkt Beteilig-
ten seien auf der Flucht, und behielt unter tiefstem Bedauern bis auf wei-
teres das Kommando.25
Sulla tat, als die Nachricht ihn erreichte, angeblich keinen Schritt mehr
ohne Leibwache. Die Chance, die Militärgewalt in Italien zu monopolisie-
ren, war dahin. Im Senat fand er sich sonderbar alleingelassen; schon
wandte sich die Plebs mit der Forderung nach dem Rückruf der Verbann-
ten an Sullas Frau Metella. Die Kandidaten des Konsuls bei den Beamten-
wahlen fielen durch, darunter sein Neffe Nonius Sufenas; gewählt wurde
neben dem als sympathisch, aber energielos beschriebenen Optimaten
Octavius ein Patrizier aus Sullas eigener gens, Lucius Cornelius Cinna,
der nichts anderes versprach als eine diametral entgegengesetzte Politik,
darunter die Gleichstellung der Neubürger. Die Politik eines Mannes, der
seinen Feinden Zwang und Rechtsbrüche vorgeworfen hatte, war der An-
klage, selbst nichts anderes zu sein, wehrlos ausgesetzt.26
Der vormalige Militärmachthaber und angehende Prokonsul nahm es
hin. In die Wahl Cinnas griff er nicht ein, obwohl er dessen Kandidatur
hätte zurückweisen können; mit dem üblichen Selbstbewusstsein erklär
er, das Volk übe eine Freiheit aus, die er ihm verschafft habe. Wohl aber
nahm er Cinna den Eid ab, die Gesetze des Jahres 88 unangetastet zu las-
sen. Cinna rief an heiligster Stelle, auf dem Kapitol, die schrecklichsten
Strafen auf sich hinab, wenn er gegenüber Sulla keine guten Absichten
verfolgen sollte. Dieser gab sich damit zufrieden.27
Den Jahreswechsel verbrachte er vermutlich noch in Rom; Anfang 87
soll ein von China vorgeschickter Volkstribun Anklage gegen ihn erhoben
haben. Als Konsul war Sulla immun, als Prokonsul erst dann, wenn er die
heilige Stadtgrenze überschritt und den roten Feldherrnumhang anlegte.
Weiter als bis zur Aufforderung, vor Gericht zu erscheinen, kam die Sache
nicht; Cinna wollte Sulla bloßstellen, nicht zum Äußersten treiben. Roms
Prokonsul missachtete ungehindert den Ruf und kehrte dem Hass Roms
den Rücken zu.28
In Italien war wenig zu tun, ehe die Jahreszeit eine Überfahrt erlaubte.
Sulla wählte unter den sechs Legionen jene aus, die ohne Hoffnung auf
Beute vor Nola bleiben sollte, und setzte die übrigen Truppen entlang der
Via Appia in Bewegung, zu den Kais von Brundisium. Später wurde
erzählt, um die Zeit seines Aufbruchs sei bei einer Huldigungsfeier für
Mithridates in Pergamon eine ominöse Panne unterlaufen: Eine Theater-
maschine, die Siegesgöttin darstellend, setzte ihren Goldkranz nicht dem
König auf, sondern schleuderte ihn Ins Publikum, wo er in Stücke ging. In
Italien hatte man im Vorjahr den Klang einer unsichtbaren Trompete ge-
hört - das, so erklärten weise Etrusker, bedeute das Ende einer Genera-
tion. Acht seien schon vorüber, und nun beginne eine, die den Göttern
wenig am Herzen hege.29
würde sie zur Sicherung seiner Ziele einsetzen, eventuell ohne Kampf. Nur
wenn die Väter eine Rückkehr Sullas und aller Geflohenen in ihre alten
Rechte durchsetzen konnten - was nicht wahrscheinlich war - würde auch
Sulla Frieden halten; dies setzte die Begnadigung der Cinnaner, also erst
einmal deren Verurteüung voraus, und damit ihren Ausschluss von der
Politik. Ein Ding der Unmöglichkeit.100
Natürlich wusste Sulla, wie diese Botschaft wirken musste. Wenn es ihm
auf die Senatsherrschaft als Prinzip ankam, hätte man erwarten sollen, dass
er das Risiko für die in Rom verbliebenen Moderaten so klein wie möglich
hielt. Tatsächlich sendete er Signale, die Cinna und die Seinen provozieren
sollten und die Lage der Vermittlerpartei sicher nicht besserten. Offenbar
waren ihre Vertreter in Sullas Augen notfalls entbehrlich, falls sie nicht
endlich für ihn persönlich Partei ergriffen, statt ihn zu Konzessionen zu
drängen. Solange es keine festen Fronten gab, drohte er geschwächt oder
gar überflüssig zu werden.101
Mit den Gesandten reisten einige Sullaner zurück - ein Zeichen, wie
unscharf die Trennlinien zwischen den Lagern nach wie vor verliefen. Sie
kamen nur bis Brundisium, wo sie von Cinnas Ende erfuhren; augenblick-
lich machten die Vertreter des Prokonsuls kehrt. Eventuell war das die
erhoffte militärische Gelegenheit. Schon hatte Sulla die Armee nach Grie-
chenland zurückbefördert; nur Fimbrias Truppen blieben als Garnison in
Asia, befehligt von Licinius Murena. Fünf Legionen und 6000 Reiter gin-
gen nach drei Tagen Reise im verwüsteten Piräus von Bord.102
Einen langen Sommer hindurch fragte sich Italien, wann Sulla kommen
werde. Doch der Marschbefehl zu den Häfen der griechischen Westküste
blieb aus. Unter Carbos Führung begannen sich die Verhältnisse wieder zu
festigen - das war ein Motiv, aber sicher nicht das einzige. Sullas Gesund-
heit zeigte ernste Schwächen. Er litt an Taubheitsgefühl und schweren Bei-
nen und verließ Athen, um sich in den heißen Quellen von Aidepsos auf
Euböa zu kurieren. Zuvor hatte er sich in Eleusis in die Mysterien der
Demeter und Persephone einweihen lassen, die ihren Adepten persönliche
Unsterblichkeit versprachen - wer eine Blutschuld auf sich geladen hatte,
durfte nicht teilnehmen, aber das nahmen die Priester im Fall des Prokon-
suls nicht genau. Athen veranstaltete zu Ehren des Siegers Spiele, die sei-
nen Namen trugen; eine Inschrift pries bei dieser Gelegenheit Sullas Wohl-
wollen.103
Auch fand der Freund griechischer Kultur die Zeit, mit dem reichen jun-
gen Philhellenen Pomponius Atticus zu plaudern, dem es bestimmt war, in
seiner athenischen Wahlheimat alle Kriegsstürme und die Republik selbst
zu überleben; an offener Parteinahme verriet Atticus jetzt wie später kein
Interesse. Sulla gelang es auch, einen geistigen Schatz erster Güte zu he-
ben. Er beschlagnahmte die Bibliothek des Apellikon von Teos, eines in die
Politik gegangenen Phüosophen, darunter Originalmanuskripte des Aris-
toteles und Theophrast. Ihre relativ vergessenen Werke wanderten als
Beutekunst nach Rom und erreichten erst von dort aus die hellenistische
Kultursphäre. So schickte Sulla die aristotelischen Schriften unwissentlich
auf den weiten Weg zu den arabischen Gelehrten und zur Scholastik.104
In Aidepsos bekam der Kurgast am Strand ein paar Fische verehrt und
erfuhr, die Fischer stammten aus einem von ihm zerstörten Ort. „Ach, von
denen aus Halai lebt noch jemand!", bemerkte Sulla aufgeräumt und ent-
ließ die verängstigten Männer mit der Bemerkung an die Adresse der
Fische, sie hätten sich dierichtigenFürsprecher mitgebracht. Im übrigen
habe er seine Tage in Gesellschaft von Mitgliedern der Dionysischen
Techniten verlebt, der organisierten Theaterkünstler, lies, mit Gelagen
und Sex. Und so verging dieser ganze Sommer in Wohlleben und Müßig-
gang.105
Das Klischee führt in die Irre. Die Schiffe des Prokonsuls beherrschten
das Meer, Nachrichten aus Italien erreichten Athen in höchstens zwei Wo-
chen. Sulla sammelte Informationen, wie es Carbos Regime ging - etwa
dass der Senat einen Plan vereitelte, aus allen Städten Italiens Geiseln zu
fordern -, und schickte heimlich eigene Abgesandte. Er wollte und würde
kommen, wenn nötig, mit Gewalt; doch ein Empfang als Held und Ord-
nungsstifter entsprach seinen Vorstellungen am ehesten. Sein Weg nach
Rom würde durch Gebiete führen, die vor 88 auf der Seite der aufstän-
dischen Italiker gestanden hatten; also lohnte es sich, persönliche Zusagen
zu geben und eventuell sogar Geschäfte zu tätigen. Wenn für die Truppen
Vorräte bereitstanden, wurde die Aufgabe leichter.106
Umgekehrt war sicher, dass Carbo nicht kampflos aufgeben würde. Sulla
musste Helfer in Italien und den Provinzen kontaktieren oder erst finden.
Die Aristokratie der mittleren und kleinen Städte war zu sondieren; Waf-
fen für lokale Auseinandersetzungen hatten bereitzuliegen. Nur drei römi-
sche Anführer waren je auf Rom marschiert, nur einer davon lebte noch,
und selbst für ihn war die Aufgabe neu, quer durch Italien zu ziehen.
So badete Sulla seine Füße. Erste Folgen seiner speziellen Form von Un-
tätigkeit zeigten sich, ehe das Jahr zu Ende war. In Spanien erneuerte der
junge Marcus Crassus seinen Kleinkrieg gegen die Cinnaner, in Africa er-
hob sich Metellus Pius von neuem. Militär aus Italien zu schicken konnte
sich Carbo nicht leisten. Wahrscheinlich marschierte Sullas Armee gerade
jetzt nach Westen und bezog ihren Startpunkt für die Auseinandersetzung;
der gefürchtete Moment stand bevor - oder würde nach den Wintermona-
ten folgen. Wenn nicht Carbo sie aufhalten musste, dann die Konsuln für
83, deren Wahl man ihm aufgezwungen hatte: Gaius Norbanus, ein Neu-
bürger und Helfer des Saturninus von 103, und Cornelius Scipio Asiagenes,
der mit seinem Verwandten Sulla einen wahren Bruderkrieg führte.107
Eine Flotte von angeblich 1200 Kriegs- und Transportschiffen stand be-
reit, Sullas Kämpfer zu befördern; er selbst nahm von Athen aus den Weg
über Patrai (Patras) am Golf von Korinth. Plutarch spricht vom Hafen von
Dyrrhachium (Dürres in Albanien), der in Caesars Bürgerkrieg zum
Schlüsselpunkt werden sollte; die Überfahrt von der Peloponnes nach Ka-
labrien war deutlich kürzer, also attraktiver, wenn jemand Griechenland
fest in der Hand hatte und den Startzeitpunkt frei wählen konnte. Ein
kleines Kontingent blieb vielleicht zum Schutz der Halbinsel zurück.108
Nahe Dyrrhachium siedelt Plutarch einen bizarren Vorfall an. Ein Satyr
sei vor Sulla gebracht worden, und der erschrockene Feldherr ließ ihn be-
seitigen - falls das Ereignis authentisch ist, nahm Sulla irgendeinen Un-
glücklichen mit massiven Körperbehinderungen als prodigium wahr, als
Warnung der Götter. Der Bericht verknüpft dies mit einer Ansprache an
die Armee, zu der Sulla angeblich die Furcht trieb, nach der Landung könn-
ten die Soldaten ihren Dienst als beendet betrachten und - aus Angst und
Gewissenskonflikten? - einfach nach Hause gehen. Wie viele Imperatoren
nach ihm erklärte er, samt seiner persönlichen Ehre und seiner Familie sei
er, Sulla, nun ganz in ihrer Hand. Jedenfalls boten die Soldaten einen Eid
an, ihm beizustehen; ein vorausschauender Helfer des Feldherrn erweiterte
ihn um das Versprechen, ohne Befehl keine Schäden in Italien anzurichten.
Von Desertionen nach der Landung hören wir nichts; neben materiellen
Vorteilen hielt diese Männer auch die Ausstrahlung ihres Anführers bei
der Stange, der nicht nur siegen konnte, sondern den richtigen Ton traf.109
So machten sich im Frühjahr 83 römische Legionen auf den Weg, Italien
zu besetzen oder kämpfend zu erobern. Ihr Kommandeur, der rechtmäßige
Prokonsul Roms, zählte 15 Befehlshaber mit 450 Kohorten auf der Gegen-
seite; nie bekam er diese angeblich 225000 Mann jemals versammelt zu
Gesicht, und viele von ihnen trugen das erste Mal im Leben eine Waffe.
Dennoch war offen, ob Sullas größtes Abenteuer ihn erhöhen oder er-
drücken würde.110
Das Glück fuhr im ersten Schiff mit. Ohne Widerstand landeten Truppen
im befestigten Hafen von Brundisium - möglicherweise war Verrat der
Garnison im Spiel, vielleicht hatten die Einwohner auch nachgeholfen,
die Sulla später vom Hafenzoll befreite. Sulla selbst legte in Tarentum an,
einige Stationen weiter auf der Via Appia. Gleich nach der Landung opfer-
te er, und auf der Leber fand sich eine Struktur, die dem Abdruck eines
Lorbeerkranzes glich. Schon nach Chaironeia hatte ein Orakel eine sieg-
reiche Heimkehr verheißen. Nun war er entschlossen, die Götter beim
Wort zu nehmen.111
Der Gegner überließ den Sullanern fast kampflos Kalabrien und Apu-
lien; die Einwohner begrüßten sie mit nervöser Zurückhaltung oder
Freundlichkeit. Die Soldaten hielten Disziplin und konnten sich bald über
Zuzug freuen - wie abgesprochen landeten die Aufständischen der äuße-
ren Provinzen, Crassus und der Prokonsul Metellus Pius, mit ihrem Gefol-
ge in Süditalien. Münzen versprachen Italien Frieden und die Rückkehr
des Goldenen Zeitalters.112
Carbo und die Konsuln, die von diesem Defätismus in gut marianischen
Landstrichen entsetzt sein mussten, bereiteten den Zusammenstoß in
Kampanien vor. Eine Hiobsbotschaft schwächte ihre Kräfte: Das Picenum
war im Aufstand, geführt von einem Sohn des unvergessenen Pompeius
Strabo. Der junge Gnaeus Pompeius, weder ein natürlicher Verbündeter
Sullas noch ein Freund der Cinnaner, bewaffnete alte Freunde und Klien-
ten, erschien an der Spitze einer ,Legiön' und sagte den Machthabern in
Rom den Kampf an. Eine eigene Armee musste gegen ihn in Marsch ge-
setzt werden. Sulla rückte vor, um etwas Druck von Pompeius zu nehmen,
traf ihn aber als Siqger an. Der entzückte Oberbefehlshaber redete den
zweiundzwanzigjährigen Freischärler mit „Imperator" an - mit dem Titel,
kommentierte Plutarch erstaunt, „um dessentwillen er mit Scipio und Ma-
rius im Krieg war".113
Das Lager der Gegner von Cinnas Republik nahm so unwahrscheinliche
Personen auf wie einen der Geächteten von 88, Cornelius Cethegus. Doch
Rekrutierungsschwierigkeiten hatten Carbo, Scipio und Norbanus nicht -
Sullas Ruf trieb viele Freiwillige aus Rom und Italien zu den Waffen. Die
Marianer alten Schlages lockte der Name des jungen Gaius Marius, der
nun mit 26 unter die Kommandeure der neuen Armee trat. Vorzeichen
wie ein Erdbeben, bei dem mehrere Tempel Roms einstürzten, verstärkten
die Alarmstimmung.114
Über jene Straße, die er 89 freigekämpft hatte, rückte Sulla mit Metellus
auf Capua vor. Noch vor der Stadt suchte Norbanus ihn aufzuhalten; Sulla
wich aus und näherte sich Capua über die Hänge des Berges Tifata. Bei
Erreichen der Ebene musste er feststellen, dass Norbanus nicht umgangen
war, sondern ihn mit Marius am Übergang über den Fluss Volturnus erwar-
tete. Verhandlungen endeten damit, dass die Abgesandten Sullas so grob
misshandelt wurden wie fünf Jahre zuvor nicht weit von hier die des Senats.
Der Flussübergang wurde erzwungen, Norbanus unter Verlust von angeb-
lich 6000 Mann nach Capua zurückgeworfen; sich selbst rechnete Sulla
ganze 70 Gefallene an. Der Göttin Diana vom Tifata dankte er mit reichen
Geschenken.115
Sofort rückte das Heer der Prokonsuln auf die Armee Scipios los, die
einige Stunden nordwestlich in Teanum Sidicinum (Teano) wartete. Das
getrennte Operieren schuf eine Schwäche, die es auszunutzen galt. Sullas
Ziel war es wohl, auch diesen Gegner entscheidend zu schwächen, ehe
beide Armeen gegen ihn zusammenwirken konnten. Doch auch hier op-
ferte er vorab Zeit für Verhandlungen, sei es auch nur zu Propaganda-
zwecken.116
Anders als Norbanus willigte Scipio in Gespräche ein. Seine Männer
wollten Frieden und trauten sich den Sieg anscheinend nicht zu. Wenn es
wahr ist, dass ihr Konsul auf Versöhnung hoffte, erklärt das, wieso es zu
einer vertraulichen Aussprache kam und ein Waffenstillstand für die Dau-
er der Gespräche geschlossen wurde. Aus Korrektheit verständigte Scipio
den nahen Norbanus darüber; falls der eine Konsul mit Sulla über die po-
litische Zukunft einig wurde, musste der andere sich zumindest fügen. Zur
Debatte stand besonders die für Sulla so problematische Verteilung der
Neubürger auf alle Tribus.117
Als Überbringer der Nachricht wählte Scipio ausgerechnet den ent-
schlossenen Cinnaner Quintus Sertorius, einen der Prätoren. Sertorius leg-
te seine Mission so aus, dass er unterwegs nach Capua mit seiner Eskorte
einen Umweg in die zu Sulla übergegangene Stadt Suessa Aurunca (Sossa)
machte und sie besetzte - das war die Quittung für Sullas Sabotage von
Sertorius' Kandidatur als Volkstribun 88. Zugleich brach er damit den
Waffenstillstand. Eine Protestnote Sullas ging bei Scipio ein; der versuchte
Sertorius nicht einmal einen Gegenbefehl zu erteilen und schickte die Gei-
seln der sullanischen Seite zurück.118
Sulla war nicht untätig gewesen. Schon hatten Scipios Männer und ihre
Kameraden einander gratuliert, das Morden vermieden zu haben. Jetzt
warf ihr Konsul sie scheinbar wieder in den Bruderkrieg. Sie waren reif
für Sullas Plan B - der Invasor rückte in Unterzahl auf sie zu. Die Sullaner
schrien Grüße hinüber, Scipios Leute rannten ihnen wie ein Mann ent-
gegen, und binnen Minuten war das Lager eine Geisterstadt, Scipio ein
Gefangener. Auf seine Seite ziehen konnte Sulla den verzweifelten Konsul
jedoch nicht. Am Ende entließ er ihn.119
Auf einmal besaß Sullas Heer neun Legionen statt fünf. Er ließ Norba-
nus links liegen und rückte weiter auf Rom vor. Indirekt manövrierte er
den besiegten Konsul dadurch aus Capua hinaus; Norbanus zog sich bis auf
Praeneste zurück, um dem Feind den Weg nach Latium zu verlegen. Ser-
torius, der Mann der Stunde, zerstritt sich mit seinen Vorgesetzten und
ging nach Etrurien, von wo aus er - wohl erst 82 - in seine spanische Pro-
vinz aufbrach. Er sollte Sullas ausdauerndster Feind bleiben.120
Ein neuer Ton kam in den Krieg. Seit dem Aufbruch von Capua begannen
Sullas Soldaten zu plündern; jeder, der nach dem Vertrauensbruch von
Teanum noch Waffen gegen ihn trug, sollte als Feind behandelt werden,
erklärte er. Der Anlass für diesen Strategiewechsel war propagandistisch
ideal. Zur gleichen Zeit verwandelte sich am 6. Quinctilis - Juli hieß der
Monat erst nach Caesar - der Tempel für Roms Schutzgott Jupiter Opti-
mus Maximus auf dem Kapitol durch die Unaufmerksamkeit eines Nacht-
wächters in rauchende Trümmer. Sulla, den seine Feinde zweifellos ver-
dächtigten, will schon zuvor eine Warnung erhalten haben ... und
beschuldigte indirekt die Samniten als Brandstifter.121
Carbo soll das Uberlaufen der vier Legionen mit den Worten quittiert
haben, in Sullas Verstand wohnten ein Löwe und ein Fuchs zugleich - und
schlimmer sei der Fuchs. Zumindest nutzte er das Debakel seiner Rivalen,
um in Rom für klare Verhältnisse zu sorgen. Auch Metellus und alle Sena-
toren, die sich bei Sulla aufhielten - inzwischen zählten Moderate wie der
princeps senatus Flaccus dazu -, wurden nun als Staatsfeinde geächtet; egal
wer gewann, schon jetzt waren viele Hinrichtungen gewiss. Als Konsul für
82 setzte sich Carbo durch, flankiert vom magischen Namen Marius, der
sogar gegen die zahlreichen Desertionen wirkte.122
Trügerische Ruhe breitete sich im Spätsommer 83 aus. Beide Seiten ver-
mieden einen großen Zusammenstoß. Carbo und die Seinen stellten neue
Truppen in der Poebene, Latium und dem noch gehaltenen Teil Kampa-
niens auf, die Angreifer taten im Süden dasselbe. Pompeius kehrte nach
Picenum zurück, umgekehrt ging Sertorius nach Spanien. Mit Kriegs-
müdigkeit hatte dieses Verschieben der Spielfiguren nichts zu tun. Falls
die überlieferten Zahlen stimmen, waren einige Prozent der Bevölkerung
Italiens mobilisiert - wer sollte die Ernte einbringen? Beide Seiten muss-
ten zwischen Hungersnöten und militärischen Zielen balancieren; es stand
fest, dass die Entscheidung erst im Frühjahr 82 fallen konnte.123
Ein strenger Winter trug dazu bei, den Krieg im Großen einschlafen zu
lassen. Anders sah es wohl in den Städten aus; alte Familien- und Nach-
barschaftsrivalitäten richteten sich im Magnetfeld des großen Konflikts aus
und fanden neue Energie. Man diskutierte in Stadträten und Bürgerver-
sammlungen, man traf sich heimlich, überdachte Angebote, Versprechen
und Chancen; zahlreiche italische Repräsentanten schlössen in diesem
Winter einen Vertrag mit Sulla, der ihnen die neuerworbenen Rechte ga-
rantierte, während andere - voran die Veteranen des Marius - die Seite
Roms wählten.124
Mit dem Ende des Winters war die Zeit des Nachdenkens vorbei. Italien
wurde zum Schauplatz verlustreicher Schlachten, die sich mit nichts in der
jüngeren Geschichte vergleichen ließen. 23 Legionen standen nun auf der
Seite der Sullaner. Metellus war bereit, vom Picenum aus im Zusammen-
spiel mit Pompeius in die Poebene einzubrechen. Carbo, der gegen sie
kommandierte, schloss Metellus, der am Apenninabhang auf Ariminum
(Rimini) vorrücken wollte, ein. Zur Schlacht kam es nicht; alle blickten
nach Süden.125
Sulla marschierte, siegessicher genug, um klagende Prozessparteien
schon einmal nach Rom zu bestellen, wo er bald richten werde. Marius'
Truppen gaben Ort um Ort preis, während ihr junger Konsul seine Gele-
genheit suchte; Sulla rückte auf seiner Schicksalsstraße, der Via Latina,
nach, seinen linken Flügel sicherte zum Meer hin ein Korps unter Corne-
lius Dolabella, das sich auf der Via Appia die Küstenebene entlangbeweg-
te.126
Die Bergkette des Lepinus, die sich jetzt zwischen Sulla und Dolabella
schob, gab Marius einen Vorteil. Am Oberlauf des Liris, an einem Ort
namens Sacriportus oder Portus sacer in der Gegend des heutigen Porta
Piombinara bei Signia (Segni), löste er sich ein letztes Mal von Sulla und
stellte seine Armee schlachtbereit hinter Verschanzungen auf. Selbst wenn
Dolabella jetzt auf die Via Latina hinüberschwenkte, kam er vielleicht zu
spät. 85 Kohorten erwarteten die anrückenden Sullaner. Dichter Regen
fiel auf die müden Legionäre. Die ersten warfen ihre Schilde in den
Schlamm und legten sich kraftlos darauf. Bestürzte Militärtribunen dräng-
ten Sulla, den Kampf abzubrechen und ein Lager aufzuschlagen; widerwil-
lig gab er nach. Diesen Moment wählte Marius für einen Generalangriff.
Sullas Veteranen aber warfen ihre Schanzwerkzeuge hin und gingen mit
dem blanken Schwert zum Nahkampf über. Der Sieg des Löwen war voll-
kommen, und nur noch an einem Seil konnte der konsternierte Marius sich
hinter den Mauern von Praeneste in Sicherheit bringen ...127
Wie sich die Bilder gleichen: Das Gemetzel von Sacriportus erinnert
verdächtig an den Ausgang von Chaironeia, mit einer Prise Orchomenos
beim Angriff auf die Legionäre; sogar der Strick, an dem sich Archelaos
hochzog, lag zum Klettern für Marius bereit. Viel vom tatsächlichen Ver-
lauf ist damit durch eine Propagandawolke verhüllt; ob Sulla es wirklich
riskierte, zu Tode erschöpfte Legionäre in schwerem, regennassem Boden
graben zu lassen, bleibt sein Geheimnis. Plutarch und Appian haben nur
die größte Lügengeschichte ausgeschieden, Marius habe seine Niederlage
verschlafen. Interessanter ist das Detail, dass auf Marius' linkem Flügel -
der starke rechte trennte Sulla von Dolabella - beim ersten Zeichen eines
Rückschlags fünf Kohorten und zwei alae Kavallerie ihre Feldzeichen weg-
warfen und geschlossen überliefen. Das wirkt wie sorgfältige Vorarbeit -
also Verrat. Es war wirklich ein geschäftiger Winter gewesen.128
Zumindest die Vernichtung von drei Vierteln der marianischen Armee -
20000 Tote, 8000 Gefangene, 3500 Überläufer - muss überzeichnet sein.
Die Festung Praeneste sollte sich zum Schlüssel des Krieges entwickeln.
Nur wegen des über die Mauer gezogenen Marius? Plausibler ist, dass sich
der harte Kern seiner Armee in die Stadt rettete, der, wenn befreit, den
Ausschlag geben konnte - sicher 10000 bis 12000 Kämpfer, vielleicht noch
mehr. Sulla blieb nichts übrig, als sie durch ein Korps unter dem Komman-
do des Lucretius Ofella, eines abtrünnigen Marianers, einzuschließen. Sei-
ne Unzufriedenheit zeigt sich vielleicht in der Grausamkeit, mit der er alle
gefangenen Samniten hinrichten ließ - sie seien unverbesserliche Feinde
der Römer. Mit ihm würde es für diesen Teil Italiens keinen Ausgleich
geben.129
Der Sieg war knapp, seine Folgen dramatisch. Als ihn die Nachricht er-
reichte, gab Carbo die Einschließung von Metellus auf. Seinen geordneten
Rückzug in die Festung Ariminum belästigte Pompeius' Freischärlertrup-
pe; fünf Kohorten desertierten zu Metellus, obendrein besiegte Lucullus'
Bruder Marcus etwa zur selben Zeit einen weiteren Teil von Carbos Ar-
mee.130
Sobald Praeneste eingeschlossen war, lag der Weg nach Rom offen.
Angesichts der Rückschläge und unter dem Eindruck des Verrats kam
Marius der Gedanke, die Schuldigen oder doch Leute, die sie begünstig-
ten, säßen im Senat. Ein Kurier erreichte den praetor urbanus Iunius Bru-
tus Damasippus. Brutus berief den Senat ein und führte vor, wie nun mit
unsicheren Kantonisten umgesprungen wurde. Bewaffnete stürmten in die
Kurie und machten Carbos leiblichen Bruder nieder - Verwandtschaft
zählte nicht, nur die richtige Einstellung. An der Tür erstach man Domi-
nus Ahenobarbus, Konsul von 94, wenige Schritte weiter den Pontifex
maximus Mucius Scaevola. Kurz nach dieser Amtshandlung gaben Brutus
und die Seinen die Hauptstadt auf. Die Tempelschätze hatte man nach
Praeneste geschafft.131
Die letzten unentschlossenen Mitglieder der Vermittlerfraktion hatten
die Rache Sullas riskiert, nun tötete man sie als Sullas Fünfte Kolonne.
Den einzigen Gewinn hatte Sulla: Brutus lieferte ihm den Beweis, dass
den Cinnanern nichts heilig war, und die Rechtfertigung für jede Art Ver-
geltung. Gerade deswegen ist die Version, welche Marius die Schuld gibt,
nicht über jeden Zweifel erhaben.132
Natürlich zog Sulla in Rom nicht ein. Der Prokonsul hielt sich peinlich
genau an die Form. Der überlieferte Befehl an seine Legionen lautete,
Roms Tore zu besetzen, falls das kampflos möglich sei, und ansonsten auf
Ostia vorzurücken. Das Aushungern der Großstadt war das bequemste
Mittel, um die Übernahme der Verantwortung gebeten zu werden. Appian
lässt ihn Rom selbst betreten, ein Rechtsbruch, der immerhin die großen
Lücken bei Plutarch erklären könnte, aber unnötig war. Hätte er die heili-
ge Grenzlinie des pomerium überschritten, wäre sein Kommando formal
erloschen. Es war viel eleganter, Senat und Volk nacheinander auf dem
Marsfeld einzuberufen und ihnen seinen Standpunkt vorzutragen. Sulla
verlor keine Zeit, sich bei den Cinnanern zu revanchieren, und Heß deren
Besitz versteigern. Dem Volk erklärte er, wie sehr er die gegenwärtige
Unsicherheit bedaure; bald werde jetzt Stabilität in der Republik einkeh-
ren. Parteigänger, über die wir leider nichts Näheres wissen, übernahmen
die Kontrolle in Rom, wohl gestützt auf Straßenbanden und vielleicht eine
Auswahl schlagkräftiger Soldaten. Unter den Blicken der Bürger mar-
schierten ihre neuen Beschützer nach Norden davon.133
Noch war der Krieg nicht gewonnen; Rom würde als Kampfpreis auf den
Sieger warten. Metellus kam nicht gegen Ariminum voran und setzte des-
wegen Truppen in Ravenna an Land, die Carbo jede Verstärkung aus den
Provinzen abschneiden sollten. Im Süden hielten sich cinnanische Enkla-
ven wie Neapolis, das den Vorteil seiner Mauern und einer eigenen Flotte
hatte; Sullas Truppen drangen bei Nacht ein und richteten unter den Ein-
wohnern ein Massaker an.134
Carbos Plan war anscheinend, auf mehreren Wegen über Rom vorzusto-
ßen und so die Eingeschlossenen in Praeneste zu erreichen. Seine Haupt-
macht traf mit Sullas Truppen ohne klares Ergebnis bei Clusium (Chiusi)
auf der Via Cassia zusammen. Etwa gleichzeitig hatte sich Carbos Legat
Carrinas über den Apennin bewegt; ihm folgten Pompeius und Crassus,
besiegten ihn bei Spoletium (Spoleto) und schlössen ihn dort zeitweise ein.
Jetzt entschied Carbo sich zu einem Kraftakt und suchte Sullas Truppen zu
binden, während er acht Legionen unter Marcius Censorinus an ihm vor-
beischickte, um Praeneste freizukämpfen. Ein Überfall des Pompeius jagte
sie auseinander. Ganze sieben Kohorten zeigten sich wieder bei Carbo, der
nun auf Sulla und Metellus gleichzeitig achten musste.135
Weitaus gefährlicher wurde der Anmarsch einer Armee, die angeblich
aus 70000 Mann bestand, darunter etwa 40000 Samniten unter Pontius
Telesinus, einem Feldherrn des Bundesgenossenkrieges. Verstärkt durch
Kontingente aus Lukanien und Capua drangen sie auf Praeneste vor. Sulla
in Etrurien löste sich hastig von Carbo und kam in Eilmärschen recht-
zeitig auf die andere Seite Roms, um den Anmarschweg zu sperren und
unterwegs Carrinas zu besiegen, dessen Route er bei Volsinii (Bolsena)
kreuzte.136
Carbo nutzte Sullas Abwesenheit, um sich den schwächeren Metellus
vorzunehmen. Kurz vor Ravenna überfielen er und Norbanus das Lager
des Prokonsuls bei Faventia (Faenza); für die Angreifer ging es katastro-
phal aus. Albinovanus Pedo, Führer einer Legion aus Lukanern, kam ohne
Männer zu Norbanus zurück und erntete Vorwürfe. Um zumindest bei
Sulla gut angeschrieben zu sein, lud Pedo - einer der zwölf Geächteten
von 88 - alle hohen Offiziere zum Abendessen ein und ließ sie nieder-
machen. Dieser Schlag führte zur Kapitulation mehrerer Städte, darunter
des so hart verteidigten Ariminum. Norbanus beschloss, alles sei aus, und
floh übers Meer. Metellus konnte die desorganisierten Reste der Nord-
armee in Ruhe unschädlich machen.137
Damit ruhte die schwindende Hoffnung der Cinnaner auf Carbo und
Praeneste. Ein Teil von Carbos Truppen wandte sich nach Norden, um dort
zu retten, was zu retten war; Marcus Lucullus besiegte sie bei Placentia
(Piacenza). Mit zwei Legionen sollte Brutus Damasippus den Vorstoß auf
Praeneste wiederholen. Doch Sulla hielt, halb selbst belagert, gegen die
vereinten Kräfte der Samniten und ihrer Verstärkung aus. Entmutigt kehr-
te Brutus zu Carbo zurück, der nun auch vom Debakel bei Placentia er-
fuhr. Die Cisalpina war verloren, Metellus' Marsch nach Süden nur eine
Frage von Wochen. In diesem Moment ließ der Konsul seine Armee im
Stich und floh mit seinen Ratgebern nach Nordafrika. Selbst wenn er die
ehrliche Absicht hatte, dort weiterzukämpfen, waren die Aussichten mise-
rabel, und Carbo musste das wissen.138
Die Verlassenen sahen sich plötzlich den Truppen des Pompeius gegen-
über. Der selbsternannte Feldherr richtete ein Blutbad an. Carrinas, Bru-
tus und Censorinus sammelten die Überreste, stießen zu Telesinus und
warfen sich noch einmal vergebens auf Sullas Riegel vor Praeneste - wie-
der traten viele verzweifelte Soldaten auf eigene Faust den Heimweg an.
Ihr Konsul war entlaufen, Marius eingeschlossen, Scipio hatte sich seit Tea-
num aus der Kriegführung verabschiedet.139
Die Lebenserwartung der letzten cinnanischen Armee bemaß sich maxi-
mal an der Marschdauer von Metellus' Truppen; möglich, dass schon das
Nachsetzen des Pompeius ihnen den Garaus machen würde. Für dritte und
vierte Durchbruchsversuche fehlte ihnen die Zeit. In dieser verzweifelten
Lage kam ihnen der Gedanke an Rom. Die Stadt lag, wie sie wussten,
praktisch offen da. Was sie damit wollten, ist eine ebenso offene Frage.
Ein Marsch auf Rom konnte, ja musste Sulla aus seiner Stellung manövrie-
ren; das war ihre Chance, ihn entweder zu besiegen, falls sie sich noch stark
genug fühlten, oder aber den Ring um Praeneste zu durchbrechen. In Rom
selbst ließ sich zumindest ihr Leben verlängern, bis vielleicht Verstärkun-
gen bei Ostia landeten oder ein anderes Wunder geschah.140
Die Version der Sieger sieht anders aus. Vellerns Paterculus, Nachfahre
italischer »Kolaborateure* auf Sullas Seite, lässt Pontius Telesinus eine
Hasspredigt gegen Rom als Nest jener Wölfe halten, die Italien verheert
hätten; es sei an der Zeit, das Nest auszuräuchern. Die Brandstifter wären
in diesem Fall am Tatort oder in dessen Nähe massakriert worden. Dass
Rachewünsche unter den Samniten umgingen, ist immerhin denkbar, die
Cinnaner insgesamt aber waren keine Sozialdarwinisten und keine Vor-
denker des totalitären Staates; sie waren eine unterlegene Bürgerkriegs-
partei mit dem Rücken zur Wand, die Auswege suchte. Die Beobachter in
der Stadt jedoch konnten fürchten, jetzt endlich komme in Gestalt des
gefürchteten Telesinus der Bundesgenossenkrieg nach Rom. Diese Angst
wurde später das Sinnangebot auch für alle überlebenden Römer, die in-
nerlich auf der unterlegenen Seite gestanden hatten. Der Tod näherte sich
der Stadt, die absolute Zerstörung, ein neuer Galliersturm; nur ein Wunder
konnte ihn aufhalten.141
Von der Blockadestellung nach Rom war es ein Tagesmarsch, je nach
Wegstrecke höchstens zwei. Bei Nacht verließ die Armee der Cinnaner -
oder der Italiker oder der Republik, je nachdem, wen man fragte - ihr
Lager und marschierte um die Albaner Berge herum. Pompeius, der sich
von Nordwesten näherte, würde ins Nichts laufen, Sulla bemerkte ihr Ab-
rücken erst nach Stunden und fand ihre neue Position noch später heraus.
Tagsüber - es war der 31. Oktober 82 - lagerten die angeblich 70000 Mann
am Albaner See. Bei Nacht rückten sie bis unter die Mauern Roms vor und
verschanzten sich.142
Was im Lager des Prokonsuls vorging, erfahren wir nicht. Sulla rührte
sich den ganzen Tag nicht von der Stelle, weil er den Gegner bei Alba zwar
endlich ausgemacht hatte, aber - wie zwei Kinder, die Nachlaufen rund um
einen Baum spielen - darauf gefasst war, die Cinnaner würden, egal in
welcher Richtung er das Bergmassiv umkreiste, die andere wählen. Erst
in der Nacht, wohl kurz vor der Dämmerung, traf die Nachricht ein, der
Feind stehe vor Rom. Jetzt wusste Sulla, dass er sie nicht verfehlen konnte,
und setzte alles in Bewegung. Wäre es ihm von Anfang an um den Schutz
Roms gegangen, hätte er doppelt so schnell da sein können wie die Cinna-
ner auf ihrem Umweg; doch er wollte allein die Armee.
Eine Nacht der Ungewissheit endete für Rom. Am Morgen des 1. Novem-
ber attackierte eine improvisierte Reitertruppe aus der Stadt vergebens die
potentiellen Belagerer. Stundenlang herrschte Panik, als käme der wieder-
geborene Hannibal zum Frühstück vorbei. Plötzlich sorgten Reiter für
neue Aufregung, eine Vorausabteilung von gerade 700 Mann unter Octa-
vius Baibus. Er legte eine kurze Atempause ein, dann attackierte er - eher
symbolisch - die ihm nächsten Feinde. Sein weiteres Schicksal ist unbe-
kannt.143
Sullas gesamte Kavallerie muss weit größer gewesen sein; vermutlich
hatte er sie auf die verschiedenen denkbaren Marschrouten des Feindes
verteilt. Er selbst erschien mit der Vorhut, offenbar ein oder zwei Legionen,
und Heß sie gegen Mittag ein eigenes Lager beim Tempel der Venus Eryci-
na nördlich der Porta Collina errichten, an der Via Salaria. Danach schickte
Sulla alle zum Essen - ein sicheres Zeichen, dass er den Kampf erwartete.
Seine weiteren Truppen konnten noch nicht vollständig heran, geschweige
denn aufmarschiert sein; bald brach die zehnte Stunde des antiken Sonnen-
tages an, also blieben nach unserer Rechnung noch zweieinhalb oder drei
Stunden Tageslicht. Sullas Offiziere bestürmten ihn, nicht mit erschöpften
Männern in die Schlacht zu ziehen. Er ließ zum Angriff blasen.144
Die Schlacht an der Porta Collina führte ein überrumpelter, offenkundig
wütender Sulla gegen einen Feind, der einen Tag Ruhe gehabt hatte. Seine
Nachhut war wohl noch auf der Via Labicana unterwegs. Der taktische
Sinn des Vabanquespiels konnte höchstens darin bestehen, die Cinnaner
am Rückzug durch Rom auf das westliche Tiberufer zu hindern; jede an-
dere Bewegung hätte Sulla auch nachts zumindest stark behindern kön-
nen, und Pompeius war höchstens Tage entfernt. Sulla aber wollte um je-
den Preis Schluss machen.
Im abnehmenden Herbstlicht entwickelte sich der Albtraum eines
Strategen. Der Kampf, wild, hart und unübersichtlich, brach in zwei Ein-
zelgefechte auseinander; die Entkräftung der Sullaner begünstigte das
Aufreißen der Lücke. Beide Seiten scheinen anfangs etwa parallel zur
Stadtmauer gestanden zu haben. Crassus auf dem rechten Flügel, wohl
mit den vom Marsch ,erholten' Lagerbauern der Vorhut, drang schnell und
erfolgreich vor; die Linke dagegen drohte zu unterliegen. Sulla wäre fast
aus dem Sattel geschossen worden. Verzweifelt zog er eine Statuette des
Apollon heraus und bedeckte sie mit Küssen. „Pythischer Apoll, du hast
Cornelius Sulla den Glücklichen in so vielen Auseinandersetzungen ruhm-
reich und groß gemacht, und jetzt hast du ihn vor die Tore seiner Heimat
geführt, nur um ihn niederzustürzen, dass er schmählich mit seinen Lands-
leuten zugrunde geht?" So gab er später - als er sich schon Felix nennen
ließ - sein Gebet wieder.145
Der linke Flügel löste sich auf; was nach Rom durchkam, stürzte in die
Stadttore. Sulla selbst floh ins Lager, ohne zu wissen, ob er es halten konn-
te. Als Zuschauer sah er die Reste seiner Legionen gegen die Stadt ge-
drängt im Abenddunkel verschwinden. Versprengte bestürmten Ofella
vor Praeneste, schleunigst zu fliehen; alles sei verloren. Ofella rührte sich
nicht vom Fleck. Er war einer von zwei Männern, die den Ausgang ent-
schieden. Der andere war Crassus.146
Die Nacht schritt langsam voran. Unter den Mauern hatten die Sullaner
dank ihrer Kampferfahrung die Oberhand gewonnen, drängten die Cinna-
ner zurück und brachen zuletzt in deren nahes Lager ein; dort fiel Telesi-
nus. Noch früher erreichten Boten den verschanzten Sulla. Crassus ließ
melden, er habe mit dem rechten Flügel in der Tiberschleife, drei Kilo-
meter nördlich, die besiegten Feinde in Antemnae (Monte Antenne) ein-
geschlossen. Sulla, nach dessen Wissen die fehlende Hälfte der Cinnaner
ebenso gut auf dem Weg nach Praeneste hätte sein können, war zweifellos
zufrieden.147
Der Imperator, gegen den sein Heer die Schlacht gewonnen hatte,
schwang sich aufs Pferd und erschien in der Frühe des 2. November vor
Antemnae. Einwohner baten um Gnade; Sulla ließ erwidern, sie sollten
erst die Besatzung erledigen. Nach dem Gemetzel wurden alle Überleben-
den nach Rom getrieben. Kavallerie schwärmte aus, um die Nachricht zu
Pompeius und, wichtiger, nach Praeneste zu bringen. Sulla wandte sich
nach zwei schlaflosen Nächten und sechs Jahren Abwesenheit der Stadt
zu, die seinen Willen erwartete. Unterwegs kreuzte er die unsichtbare Li-
nie, welche die antike Nachwelt - die in Charakterfragen keine Grautöne
kennen wollte - zwischen Sulla dem Guten und Sulla dem Bösen zog.148
III. Der Konterrevolutionär
Ein soziales Experiment
Das Wetter am Morgen des 2. November 81 hat niemand überliefert. Ob
Nebel, Sonne oder Wolken, der Sieger nahm einen Weg weitab vom
Schlachtfeld, wo angeblich 50000 oder mehr Leichen auf einigen Quadrat-
kilometern verstreut lagen. Noch immer konnte Sulla Rom nicht betreten,
also ließ er den Senat zu sich aufs Marsfeld kommen, in den Tempel der
Bellona, errichtet in den Samnitenkriegen. Gleich nebenan trieb man alle
gefangenen Cinnaner in die Villa publica, das Gästequartier für Staats-
besucher. Offenbar war das Gelände - andere nennen den Circus Flami-
nius - ummauert und gut zu bewachen.1
Dass Sulla sich diesen Augenblick anders vorgestellt hatte, ist sicher.
Beinahe hätte sein Kopf auf einer samnitischen Lanze gesteckt, und er
musste wissen, dass das seine Schuld gewesen wäre. Vor dem Betreten des
Tempels gab er einige kurze, gewiss nicht ganz kaltblütige Befehle.
In Sullas Eröffnung mischten sich nach wenigen Worten Schreie, deren
Art und Zahl nur so zu verstehen war, dass man große Teile der Gefange-
nen systematisch abschlachtete. Unter sie flogen Speere, wohl in Salven
geworfen wie in einer Schlacht. Mehrere tausend Menschen sterben nicht
schnell, auch nicht unter dem antiken Äquivalent von Maschinengewehr-
garben. Die Senatoren waren vor Entsetzen außer sich; ihre Ausrufe über-
tönte Sullas gleichmütige Stimme: „Zur Sache, versammelte Väter; man
tötet auf meinen Befehl einige wenige Aufrührer." Dann fuhr er in seiner
Rede fort, während viele Zuhörer - so stellte ein Autor der Kaiserzeit sich
das vor - die Sterbenden draußen beneideten.2
Die einfachste antike Rubrik für den Vorfall war „Grausamkeit", crude-
Utas. Sulla rächte sich an seinen Feinden, das war üblich und angekündigt.
Doch er übertrieb es. Auf dem Schlachtfeld hätte man die Cinnaner um-
bringen können, das wäre „streng", aber nicht „grausam" gewesen. Oder
weidete sich Sulla sadistisch, wie wir sagen würden, an den Schreien seiner
Opfer und zugleich am Anblick der Senatoren, die nicht wussten, was noch
geschehen würde? So verhielten sich Tyrannen. Man hätte demnach den
Machthaber gewechselt, nicht die Freiheit wiederbekommen.3
Kinder des 20. Jahrhunderts - das seine Opfer vor dem Massenmord
oder der Deportation gern in Sportstadien zusammentrieb - suchen eher
nach einem rationalen Grund. Der Senat kommt in den Blick. Zuverlässi-
ge, spät Übergelaufene und jene, die nicht auffallen durften, saßen hier
Seite an Seite, und Sulla wollte, dass sie Zeugen des Vorgangs wurden. Es
ergab guten Sinn, gleich klarzustellen, was „böse Menschen" zu erwarten
hatten. Aber die Geste erfüllte auch gute Sullaner mit Angst. Sie hatten
vielleicht in jungen Jahren Dachziegel auf die Saturninus-Anhänger ge
schleudert oder 87 mit Octavius das Forum gestürmt; im Krieg getötet
hatten die meisten - doch so nicht. Auf einmal schien ein Menschenleben
billig. Sullas nächster Schritt, die - anachronistisch gesprochen - Säube-
rung der Oberschichten Roms, lag damit in der Luft.4
Ein anderes Motiv, kalkulierter Völkermord, ist schon im 19. Jahrhun-
dert erwogen worden. Zwar schwanken die Opferzahlen, aber fest steht,
dass alle gefangenen Samniten unter den Ermordeten waren. Noch Velle-
rns glaubte die Version, es sei ihnen vor der Porta Collina um die physische
Vernichtung Roms gegangen. Die Samniten waren „böse" und wurden
später als die einzigen Italiker hingestellt, die den Kampf nicht aufgegeben
hatten - ideale Sündenböcke also. Doch es seheint, als wäre bloße Aus-
grenzung Sulla zu wenig gewesen; Rom werde keine Ruhe haben, solange
nur ein Samnit lebe, wird er zitiert. Wenn er jetzt Tausende töten ließ,
verschwand dieses Volk für zehn, zwanzig Jahre von der politischen Land-
karte, wurden Tausende Familien zu Bettlern, denen der Hungertod droh-
te. Es hat seitdem keinen samnitischen Beitrag zu den römischen Bürger-
kriegen gegeben. Insofern ging das unterstellte Kalkül auf.5
Einen Bück wert sind diejenigen, die das Massaker ausführten. Auch
Sullas Soldaten waren der Vernichtung selten näher gewesen; eine
Schlacht im Dunkeln, damals die große Ausnahme, hatte die Todesangst
auf die Spitze getrieben, von den körperlichen Strapazen zu schweigen.
Mit den Samniten hatten viele Sullaner seit 91 Kämpfe ausgestanden -
die übrigen Gefangenen scheinen in der antiken Wahrnehmung verblasst
zu sein - und nach Sacriportus hatte man diese Leute schon einmal aus-
sortiert und liquidiert. Das Zögern, dem Tötungsbefehl zu folgen, wird
gering gewesen sein.
Was sich weiter an diesem ersten Tag abspielte, ist im Einzelnen so umstrit-
ten, wie es wegweisend für die spätere.Fntwicklung wurde. Fest steht nur
der Terminplan, die in Schrecken 4|iUroh>Senatssitzung, der zweifellos
eine Volksversammlung folgte. ProfonsteSulla stand vor der Aufgabe,
aus einer Funktion heraus Rom zu tegiere^ die dafür nicht gedacht war;
er brauchte förmliche wie moralische Legitimation, die Stadt wartete auf
Andeutungen, wie es weitergehen sollte. Und Sulla hatte seine Verspre-
chen einzulösen, Ordnung und Rache.
Die Bilanz der Amtshandlungen (acta) Sullas in den letzten sechs Jahren
bildete das Vorspiel zu zwei Akten, um die der dezimierte Senat nicht
Abb. 6: L Cornelius Sulla (?). Porträtbüste, Marmor. München, Glyptothek
rert: andererseits war sein Prokonsulat keine Basis für politische Eingriffe
in Rom. Er benötigte eine Plattform, die ihm alle Freiheiten zum Handeln
ließ, nur war so etwas im republikanischen »Normalbetrieb4 nicht vorgese-
hen. Es zeichnete sich ab, dass der Sieger einen festen Punkt brauchte, der
außerhalb der republikanischen Mechanismen stand, aber in ihrer Sprac
und Gedankenwelt zu beschreiben war.27
Sullas Lösung war eigenwillig, traditionsverbunden und radikal - so ra-
dikal, dass er sich vermutlich weigerte, ihr ganzes revolutionäres Potential
zu sehen. Die Tradition lenkte seinen Blick auf das einzige Amt, in dem er
keinen Kollegen hätte - das Ausnahmeamt des Dictators. Der Dictator
war allen amtierenden Magistraten übergeordnet und schuldete Rechen-
schaft erst nach dem Ende seiner Amtszeit; er befahl inner- wie außerhalb
Roms, anders als ein Prokonsul. Der gewaltige Nachteil lag nur darin, dass
ein Magistrat mit imperium, üblicherweise ein Konsul, auf Instruktion des
Senats den Dictator ernennen musste. Den gab es nicht, und Sulla hatte
nicht vor, sich von einem abhängig zu machen.28
So erfand und ertrotzte er einen Ausweg, der den Traditionen Gewalt
antat. Im Senat schlug er zunächst den angesehensten Senator, Valerius
Flaccus, als interrex vor - sonst wurde der gelost, nicht gewählt, aber Sulla
selbst wollte gerade nicht in dieses Amt. Man folgte dem Vorschlag.
Prompt gab Flaccus einen Brief bekannt, den Sulla an ihn gerichtet hatte.
Konsulwahlen, stand darin, könnten unter den augenblicklichen Umstän-
den nicht viel helfen. Sulla halte es persönlich für angezeigt, die seit rund
120 Jahren nicht vergebene Dictatur aufzugreifen - jedoch mit einigen Än-
derungen. Um die Auswahl zu vereinfachen, schlug Sulla sich selber für
dieses schwere Amt vor. Der Senat war so frei, ihm beizupflichten.29
Als Nächstes berief Flaccus die Volksversammlung ein - was kein ande-
rer uns bekannter interrex je getan hat. Nach Bekanntgabe des Briefes
forderte er den entsprechenden Auftrag des Volkes. Ein vorbereitetes Ge-
setz wurde beschlossen, das Sulla zum Dictator zu ernennen befahl, ihm
eine Amtszeit nach seinem eigenen Ermessen, aber nicht auf Lcbens/cji
gab, ihm die Vollmacht verlieh, Gesetze zu erlassen und die öffentlichen
Angelegenheiten neu zu ordnen. Beispiellos - und bis heute umstritten
ist die Aufhebung der Möglichkeit auch innerhalb des Stadtbereichs, gegen
Sullas Strafen Berufung vor der Volksversammlung (provocatio) einzule-
gen. Der Titel, den diese lex Valeria für ihn vorsah, dictator legibus scribun-
dis et rei publicae constituendae, sagte aus, dass Sulla außer „zum Geben
von Gesetzen" auch „zur (Neu-)Ordnung" oder „zur Wiederherstellung
der Republik" berufen war.30
Als Flaccus Sulla wie befohlen ernannte, war es die Geburtsstunde des
ersten Phänomens, das sich als Diktatur im modernen Sinn bezeichnen
ließe. Ein Verfahren, dessen Ergebnis den Intentionen aller dafür benutz-
ten Gesetze und Institutionen zuwiderlief, hatte einem Machthaber fak-
tisch unumschränkte Befugnisse verliehen. Er stützte sich immerhin auf
eine förmliche Einsetzung, eine Art plebiszitärer Zustimmung und frühere
außergewöhnliche Interpretationen der an sich schon außergewöhnlichen
Dictatur, schien insofern also ins politische Gefüge eingebunden.31
Tatsächlich war Sulla nichts von alldem. Ein erster interrex wie Flaccus
durfte dem Brauch gemäß nicht einmal wählen lassen. Gesetze vorzulegen
sprengte seine Kompetenzen endgültig, von der Ernennung eines Dicta-
tors zu schweigen, es sei denn, man zog sich darauf zurück, erlaubt sei alles,
was nicht ausdrücklich verboten sei. Der Senat, nicht das Volk bestimmte
traditionsgemäß, wer ernannt werden sollte; was aber Tradition war, be-
stimmte jetzt Sulla in einer so brillanten wie skrupellosen Umdeutung.
Völlige Sicherheit erzielte er, indem er gleich anschließend Flaccus zu sei-
nem Stellvertreter, dem magister equitum, ernannte. Nun hatte er Flaccus
als Magistrat „gemacht" und konnte - noch über das Befehlsverhältnis
hinaus - auf dessen Dank und Gehorsam pochen; es gab sozusagen keinen
mehr, der Sulla ernannt hatte. Vom Volk war er benannt, aber nicht ge-
wählt worden wie einst Fabius Maximus gegen Hannibal; es konnte keine
Ansprüche daraus ableiten.32
Damit war Sulla jeder Kontrolle entzogen. Ein Senatsbeschluss hätte
ihm die Amtsniederlegung nur nahelegen, nicht befehlen können. Aller-
dings hätte ein Augur ihn mit einem Wort entmachtet: Ein Dictator konnte
gültig nur gegen Ende der Nacht in tiefer Stille ernannt werden; Sulla -
selbst ein Augur oder im Begriff, es zu werden, also bestens informiert -
war fehlerhaft ernannt. Aber Roms Auguren lächelten womöglich, doch
sie schwiegen; im Gegenteil erklärten die Uberreste des Kollegiums das
Geschehen vielleicht vorab für rechtens.33
Die Stimmen, die von einer Tyrannis sprachen, begannen vermutlich
schon im Moment dieser Wahl zu flüstern. Niemals seit den zehn Decem-
viri von 451-449, unter ihnen ein Cornelier, hatte eine Instanz von solcher
Machtfüle bestanden. Genau auf den Decemvirat scheint der Prokonsul
geblickt zu haben, als er sich eine von Zeitvorgaben unabhängige Dictatur
verleihen ließ. Was damals laut der Legende geschah, das Ausarten einer
Schlichtungsinstanz in eine verkappte Monarchie, die erst die Plebs, dann
den Senat unterjochte, Bürger ohne Urteil tötete und die Volkstribunen
gegen ihren Willen zuletzt sogar stärkte, berichtet Livius in Worten, die
ohne das Jahr 82 so nicht geschrieben worden wären ... als abschreckendes
Beispiel.34
Sulla amtierte von vornherein mit der Absicht, die vorgefundenen Ge-
wichte zu verschieben. Wie frühere Dictatoren sollte er in begrenzter Zeit
eine Notsituation beheben; anders als bei ihnen war ganz in sein Ermessen
gestellt, was er darunter verstand. Die Republik war angehalten und konn-
te sich aus eigener Kraft nicht mehr in Gang setzen. Was an ihr in welcher
Konstellation wiederauflebte, entschied nur er, das aber hieß: Wenn und
solange Sulla es wünschte, war sie tot. Seine modernen Verteidiger sind so
weit gegangen, von einem Krebsgeschwür entarteter Verfassungsorgane
zu sprechen, das er habe entfernen müssen - ein von zu vielen Regimes
der Neuzeit erhobener Anspruch. Sulla verfuhr schon seit 88 je nach Situa-
tion legal, paralegal, scheinlegal oder schreiend illegal, alles in einer Ab-
sicht, die nicht egoistisch, aber selbstherrlich war. Jetzt hetzte er Sklaven
gegen ihre Herren auf, um eine Welt zu schaffen, in der nie wieder ein
Sklave seinen Herrn verraten konnte. Nichts als Sullas Überzeugung ga-
rantierte, dass die vorübergehende Perversion der von ihm selbst vertrete-
nen Werte das Wunschergebnis produzieren werde.35
Der Form nach kehrte bald Normalität ein. Sulla leitete die Konsulwahlen
für das Jahr 81, aus denen sein Offizier und Gentile Dolabella samt dem
Plebejer Tullius Decula hervorging. Doch über die Machtverhältnisse
konnte sich niemand täuschen. Sulla trat mit einer Eskorte von 24 Likto-
ren auf, so viel wie beide Konsuln zusammen - oder wie ein König der
Frühzeit. Nie zuvor habe ein Dictator dergleichen getan, behaupteten Spä-
tere gegen die Tatsachen.36
Interessant ist, dass er die ihm verliehene Macht nicht ausschöpfte. Die
Gesetze, die er einzubringen begann, durchliefen, soweit wir wissen, die
Beratung im Senat und die Abstimmung in der Volksversammlung. Falls
er also durch die lex Valeria ermächtigt war, allein Gesetze zu geben oder
zumindest den Senat zu umgehen, unterließ er es. Damit machte er die
eingebundenen Instanzen - negativ gesprochen - zu Komplizen der Ge-
waltakte, verpflichtete sie aber auch - durchaus positiv - als Mithelfer, mit
denen er in Konsens und Harmonie, concordia, bleiben wollte.37
Diesen Weg konnte Sulla natürlich auch gehen, weil seine Einschüchte-
rungstaktik so extrem erfolgreich war. Andererseits half ihm zweifellos der
verbreitete Wunsch nach Stabilität in irgendeiner Form. Wer für Sullas
Gesetze stimmte, war ein Kind der Saturninus-Unruhen von 100, des Bun-
desgenossenkrieges, der Staatsstreiche von 88 und 87 sowie eines zweijäh-
rigen Bürgerkrieges. Die Sehnsucht nach einer anderen Perspektive für die
Zukunft kann kaum überraschen. Sulla hatte dafür gesorgt, dass es in die-
sem Moment keine Perspektive außer der seinen gab.
Über die Blutgier eines Mannes, der in jungen Jahren angeblich leicht zu
Mitleidstränen neigte, ist viel geschrieben worden. Hundert Jahre später
wurde bereits behauptet, Sulla habe sich die abgeschlagenen Köpfe als
Trophäen ins Atrium gehängt - alle 1600? Ob sie regelmäßig ausgetauscht
wurden, wenn sie zu stinken begannen? Kein Märchen ist aber die Nied-
rigkeit, dass Sulla Marius' Überreste aus dem Grab reißen und in den Fluss
Anio (Aniene) werfen ließ, der sie in den Tiber und an Rom vorbei zum
Meer trug.38
Das aristokratische Standesethos sah persönliche Racheakte durchaus
positiv, und ein römischer Magistrat war gewohnt, Widerstand zu brechen;
innere Unruhen zogen, wie wir sahen, seit 133 gerade bei Siegen der opti-
matischen Seite regelmäßig blutige Vergeltung nach sich. Auch Zorn über
die ausgeschlagenen Versöhnungsangebote bis 83 ist bemüht worden. Ra-
che schuldete Sulla seinen von den Cinnanern geschädigten politischen
Freunden; er hätte sonst Unverständnis, wenn nicht Feindschaft geerntet.
Die Abrechnung mit manchen konnte nur Beifall eintragen; Sallust lässt
selbst den Ex-Cinnaner Caesar sagen, über den Tod von Brutus Damasip-
pus und „dergleichen anderen, die durch das Elend der Republik groß
geworden waren", habe sich niemand beschwert.39
Wenn Sulla Senatoren im Dutzend und Angehörige der übrigen Bevöl-
kerungsschichten zu Tausenden tötete, dann einmal mit dem Anspruch,
Böse zu bestrafen. Hellhörig macht aber, dass er schon am ersten Tag an-
gekündigt haben soll, wenn das Volk ihn lasse, werde er es zum Besseren
wandeln. Wir hätten in Appians Lesart eine „Erziehungsdiktatur" vor uns,
wie wir heute gern sagen, wenn wir die Spätfolgen autoritärer Herrschaft
als positiv empfinden. Unerklärt - außer in Taten - blieb Sullas Absicht mit
dem Senat. Um wieder in seine , wahre' Rolle einzutreten, hatte auch die-
ser Veränderungen über sich ergehen zu lassen, nur wäre es respektlos und
kontraproduktiv gewesen, das zu sagen. Der populus Romanus sollte am
Zügel der Väter gehen; der Senat der Vergangenheit hatte im Gegenteil
Cinna geholfen, den Zügel zu zerschneiden.40
Gerechtigkeitsvorstellungen, persönlich ausgekostete Rachsucht und
der Wunsch, für eigene Zwecke und die seiner Helfer schnell an flüssiges
Kapital und Vermögen zu kommen, erklären aber nicht alles. Wir unter-
schätzen bis heute Sullas Lernfähigkeit. Eindeutig zog er Konsequenzen
aus seinem ersten Anlauf von 88 und dem Undank jener, für die er alles
getan hatte. Sulla verehrte den Senat, doch nicht jeder Senator war für ihn
ein höheres Wesen - der Senat, wie er sein sollte, war wichtiger als der
Senat, wie er war. Als sicherster Weg zum Ziel war ihm 88 erschienen, die
gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen und von da an auf das gesunde
Eigeninteresse des Senats zu vertrauen. Aus der Sicht des Jahres 82 war es
nötig, dies um die passenden sozialen Voraussetzungen zu erweitern. Sulla
selbst war dabei, den richtigen Senat und das richtige Volk zu schaffen.
Die Gewalt und Unsicherheit, mit der er Rom überzog, erwiesen sich als
wirksame Werkzeuge dabei. Die Drohung mit dem Tod verstand jeder, die
mit dem Prestigeverlust bis in die Enkelgeneration verstanden die Ober-
schichten - auch alle, die nicht persönlich getroffen waren. Gerade die
abschreckenden Beispiele halfen die Fügsamkeit gegenüber Sullas Refor-
men schaffen, die sie mit dem Status ganz normaler Gesetze durchgehen
ließ. Ab einer bestimmten Schwelle zugefügter Schmerzen hört der Wider-
stand auf und das Opfer ist bereit, alles mit sieh geschehen zu lassen.
Womit solche Formen des sozialen Ingenieurwesens nicht rechnen wol-
len, sind die Spätfolgen. Gerade dem antiken Denken lag es aber nahe, sie
abzusehen und einen verrohenden Einfluss auf das Volk als Ganzes zu
fürchten. Der Rechtsschutz, den gerade römische Bürger genossen, war
über Monate suspendiert, die ganz gewöhnliche Sicherheit, dass es irgend-
wie weitergehen werde, aufgehoben. Wirklich sicher waren nur Sullas
erklärte Parteigänger und seine Soldaten - diejenigen, die selber Gewalt
ausübten. Das würde man sich merken. Eine erwünschte Lektion war
licherweise der Abscheu vor jedem Bürgerkrieg - falls man die vergange-
nen Jahre offen so nennen durfte. Deren Wiederkehr sollten Sullas Geset-
ze verhindern.41
Schon bald nach Beginn seiner Dictatur gab Sulla den Proskriptionen Ge-
setzesform. Jene lex Cornelia, die man später gern de proscriptione nannte,
schrieb den Stichtag des Waffenstillstandes vom Frühjahr 83 fest. Den Tod
verdiente, wer seitdem gegen Sulla Offizier oder Soldat gewesen war. Den
Tod verdiente, wer Unterstützung durch Geld- oder Sachleistungen ge-
währt hatte. Den Tod verdiente, wer einen Proskribierten unterstützte
oder Sulla feindlich gesinnt war. Den Tod verdiente schließlich jeder, der
mit Beschuldigten in Geschäftsbeziehungen, Freundschaft oder sonstigen
Kontakten stand; hierfür genügten in Einzelfällen gemeinsame Reisen
oder Nachbarschaftshilfe. Parallelen zu den Kaugummiparagraphen mo-
derner Diktaturen sind unverkennbar, gerade was die Ausdehnung des
Schuldbegriffs bis ins Unsinnige angeht - und die gesteigerte Vernich-
tungsabsicht. Sie äußert sich in den Bestimmungen, die den Mördern Straf-
freiheit zusicherten und andererseits das Andenken der Proskribierten
auszulöschen trachteten - den Angehörigen wurde untersagt, um sie zu
trauern, Denkmäler und Bilder der Umgekommenen wurden ebenso ver-
nichtet, wie man verbot, Wachsmasken der Senatoren unter ihnen bei Be-
gräbnissen mitzuführen. Einige tausend Söhne und Enkel der Opfer wur-
den, wie es scheint, in die Verbannung getrieben, wenn auch nicht aktiv
verfolgt; das Eigentum ihrer Vorfahren verloren sie sowieso.42
Was hatte das Wohl der Republik nach Sullas Lesart in der Vergangen-
heit am stärksten behindert? Die Offensiven des Volkstribunats, unter-
stützt durch den politischen Ehrgeiz der Ritter. Beides galt es unmöglich
zu machen. Das Druckmittel der Italiker hatte sich seit 88 erledigt und eine
Agrarreform würde durch Sullas Landverteilung an die Veteranen für
einige Zeit von der Tagesordnung verschwinden. Damit waren die Haupt-
wege für den Einbruch populärer Politikmethoden versperrt. Eine andere
Sorge konnte der Dictator nicht laut aussprechen: Er selbst hatte einen
anderen, höchst erfolgreichen Weg gewiesen, sich eine Machtstellung zu
verschaffen.
Relativ leicht war mit dem Tribunat fertigzuwerden. Entstanden war er
als Schutzmacht für wehrlose Plebejer, und indem Sulla verfügte, niemand,
der einmal Volkstribun gewesen sei, dürfe danach ein Amt bekleiden, war
er fortan nur noch etwas für Idealisten, die ihre Senatskarriere begruben.
Abschaffen konnte Sulla ihn nicht - ein Gesetz von 449 bedrohte dies mit
dem Tod -, aber er zog eine Trennmauer, die alle Tribunen in Zuschauer
verwandelte. Senatssitzungen einberufen und leiten durften sie wohl eben-
falls nicht mehr. Wenn sie vor die Plebs traten, dann nur im Rahmen einer
bloßen Informationsveranstaltung; das Recht zur Gesetzesinitiative wurde
ihnen höchstwahrscheinlich genommen. Die Unantastbarkeit und das
Recht, bedrohte Bürger zu schützen, blieben ihnen; gefährlich wurde es
mit dem Vetorecht oder dem Versuch, einen Magistrat zu einem bestimm-
ten Verhalten zu zwingen - versuchen konnten sie es, aber das Risiko war
gestiegen.43
Denn ausgerechnet von Saturninus hatte sich Sulla - konservativ in der
Zielsetzung, aber keineswegs in den Mitteln - anregen lassen. Eine lex
Cornelia de maiestate bestrafte nicht mehr Verstöße gegen die Würde des
Volkes oder seiner Tribunen, sondern sah diese maiestas im Senat und den
jeweils amtierenden Magistraten verkörpert. Wer ihnen zu wenig Respekt
zeigte, sollte vor Gericht kommen. So hängte Sulla ein Damoklessschwert
über jeden, der den Vorrang des Senats angriff, und die Position eines Tri-
buns, der sich im Zuge seiner Aufgabe einem Magistrat widersetzte, war
auf einmal heikel geworden.44
Die Gerichte in der bisherigen Form bestanden aus Rittern und hätten
die Würde des Senats vielleicht nicht hoch genug gehalten. Sulla übergab
die Gerichtshöfe wieder ausschließlich den Senatoren - aber er tat mehr
als das: Er hob die Zahl dieser Gremien spürbar an. Acht ständige Gerich-
te sollten sich in Zukunft um die wichtigsten Deliktfelder kümmern. Ne-
ben dem politisch heiklen Gerichtshof de repetundis gab es jetzt eine
quaestio de ambitu für Unregelmäßigkeiten bei der Wahlkandidatur, ein
Gericht de maiestate für die frisch umdefinierten Staatsdelikte und eines
de peculatu für Unterschlagung von Staatsgeldern, dazu für die klassische
Kriminalität wie Meuchel- und Giftmord (de sicariis et veneficiis), Körper-
verletzung (de vi) oder Fälschungsdelikte, eine wichtige Frage im testa-
mentsfixierten Rom (de falsis). Eine so spezialisierte Gerichtsbarkeit mit
genauen Verfahrensregeln hatte es noch nie gegeben. Sie überlebte Jahr-
hunderte und sollte lediglich modifiziert, durch die Gerichtsbarkeit der
Kaiser teüweise überbaut und umgangen, aber nicht abgeschafft werden.
Sullas Anspruch, etwas dauerhaft Haltbares zu schaffen, ist an wenigen
Stellen besser eingelöst worden.45
Vor allem jedoch war die RückÜberweisung der gesamten Justiz an den
Senat ein politischer Akt, der jeden Senator privilegierte - eine Krähe
hackt der anderen kein Auge aus, und angeklagte Senatoren durften aus
der Liste für die Jury mindestens fünf Kandidaten verwerfen, gewöhnliche
Menschen lediglich drei. Wenig entzückt waren kurioserweise auch man-
che Senatoren - würden sie jemals wieder aus den Sitzungen herauskom-
men, in die Sulla sie nun wochenlang schickte?46
Der Dictator selbst musste das Problem eingestehen. Die kombinierten
Folgen von Krieg und Proskription hatten den Senat auf vielleicht die
Hälfte seiner normalerweise gut 300 Mitglieder schrumpfen lassen. Eutrop
und Orosius zählen in den Jahren seit 91 rund 200 tote Senatoren, davon
allein 24 Konsulare. Sulla wollte aber einen Senat, der schnellstmöglich
richten, beraten und regieren konnte. Er verfiel auf eine Kombination
zweier Möglichkeiten - der natürliche Zuwachs über die Ämter sollte sich
beschleunigen, doch außerdem war er zu einer einmaligen Maßnahme be-
reit.47
Sulla schwebte nicht weniger vor als - wie schon Livius Drusus - eine
Verdopplung des Senats. Eine erste Ergänzung auf die übliche Zahl
scheint er persönlich vorgenommen zu haben - hier kamen seine treuesten
Parteigänger zum Zug. Den zweiten Schritt sollte eine Zuwahl von Neu-
mitgliedern bringen. Als eine Art Über-Censor erstellte der Machthaber
selbst die Liste der Kandidaten, vermutlich acht oder neun aus jeder Tri-
bus, und legte sie dann den comitia tributa zur Wahl vor, so als hätte das
Volk 300 Quästoren außer der Reihe wählen müssen. Ob irgendwer durch-
fiel, ist nicht überliefert.48
Die alten Senatsfamilien allein - abzüglich der geächteten - hatten so
viele junge Männer niemals zu bieten. Was an politisch ambitionierten
Rittern auf der sullanischen Seite stand, erhielt jetzt die einmalige Chance,
in den Senat aufzurücken. Sulla konnte dabei auf den zeitlosen psychologi-
schen Effekt bauen, dass Arrivierte ihren Standesvorteil noch stärker ab-
zusichern suchen als die Alteingesessenen. Ein junger Senator wie Cicero
identifizierte sich voll und ganz mit den Idealen und dem Traditionsstolz,
die dabei waren, den Senat in einen wirklichen Stand zu verwandeln. Seine
Abgrenzung von den übrigen Rittern kam durch Sullas Expansion para-
doxerweise eher voran.49
Eine zweite Gruppe war als Nutznießer des sullanischen Systems auf
den ersten Bück ganz unwahrscheinlich: Vornehme Italiker, die sich ein-
zeln oder in Gruppen auf Sullas Seite geschlagen hatten, fanden erstmals in
größerer Zahl den Weg in die Kurie und folgten so den ersten Neuzugän-
gen unter Cinna. Es war eine Entwicklung, gegen die der Konsul von 88
alles aufgeboten hätte. Die gemeinsame Kriegsteilnahme gab seinen Un-
terstützern nun Anspruch auf Sullas persönliche Dankbarkeit. Sein Prag-
matismus half ihm vermutlich, die Kröte zu schlucken.50
Versöhnen konnten ihn aber die Umstände, unter denen das geschah.
Ein Neu-Senator trat nicht als eine Art »Abgeordneter des Wahlkreises
Reate' auf. Im Gegenteil würden er und seine Familie als Sullas Stellver-
treter in Reate erscheinen - das hob ihn heraus, isolierte ihn aber auch
gewissermaßen und verlegte seine neue soziale Heimat in den Kreis der
Senatoren. Nach Hause würde er Befehle und Wohltaten gleichermaßen
weitergeben. Dies in Verbindung mit der brachialen Umbildung der Loka-
leliten zeigte Wirkung: Italien wurde damit ein ganzes Stück traditions-
loser; die Tage der militanten Autonomiegedanken in den Einzelvölkern
waren vorbei, eine neue, flächendeckende Verwaltungsstruktur half die
Unterschiede verwischen. Fünf Jahrzehnte später war der Punkt erreicht,
an dem der angehende Augustus die Begriffe Italiens und Roms für die
Herrin des Weltreiches geschickt gegeneinander austauschen konnte. Das
Kernland des Imperiums brachte es aber nie über ein Dasein als Umland
der Hauptstadt hinaus und sollte mit der Zeit zu einem Status als Quasi-
Provinz abrutschen.51
Die Empfindlichkeiten der ,alten' Senatoren richteten sich besonders
auf eine kleine Gruppe. Sulla hatte nicht gezögert, einige seiner Soldaten
zu Senatoren zu machen, wie es schon 216 nach dem Aderlass der Schlacht
bei Cannae ein Dictator getan hatte. Der Abscheu gegen Emporkömm-
linge aus dem »einfachsten Volk* - oft sicher aus Ritter- oder Lokalaristo-
kratenfamilien - war ein Ventil für vieles, was man nicht ungefährdet hätte
ausdrücken können, den Widerwillen gegen die auf Schwert und Gewalt
gegründete Neuordnung. Der Centurio in der Kurie war ungehobelt, ge-
horsam, vulgär und gewaltbereit - ein Symbol, die chaotischen Zustände
könnten sich jederzeit wiederholen, und eine Verkörperung der langfristig
berechtigten Furcht vor der Militärmonarchie.52
Die Auffülung hätte nur vorübergehend gewirkt, wenn ihr nicht eine Re-
form der regulären Zugangswege entsprochen hätte. Über die Mitglied-
schaft im Senat entschieden die Censoren, geleitet durch das Gewohn-
heitsrecht, eine Quästur qualifiziere für einen Sitz unter den Vätern. Um
dauerhaft auf rund 600 Köpfe zu kommen, benötigte man viel mehr Quäs-
toren als bisher, und mindestens die Prätur musste - der neuen Gerichte
wegen - ebenfalls erweitert werden.
So kam es zur lex Cornelia de magistratibus. Jedes Jahr würde es künftig
volle 20 Quästoren geben, die außerdem bereits als Dreißigjährige amtie-
ren konnten, wie es sich schon eingebürgert hatte; gleichzeitig sollte das
Amt automatisch äquivalent mit der Aufnahme in den Senat werden. Auch
die Zahl der Ädüe wurde gesteigert, Prätoren gab es künftig gleich acht.
Eingeschärft wurde die Reihenfolge - das Überspringen eines Amtes soll-
te weniger denn je möglich sein.53
Woran sich überhaupt nichts änderte, war die Zweizahl der Konsuln.
Damit blieb der Grundpfeiler des Senats nach wie vor der kleine Kreis
der konsularen Machtelite - kaum mehr als dreißig bis vierzig auf einmal.
Damit konnte sich umgekehrt das Volk auf einen noch heftigeren Wahl-
kampf von mindestens vier Prätoriern um jede Konsulstelle gefasst ma-
chen; der Dictator verlegte den Wahltermin vom Oktober in den heißen
Juli vor, um die Gefahr eines Jahresbeginns ohne Konsuln zu minimieren.
Gegenüber den Senatoren insgesamt war ihre relative Position nur noch
gestärkt worden; wenige würden es über die unteren Ämter und ihre Rich-
tertätigkeit hinausbringen. Ein gewisser Ausgleich bot sich in den prestige-
reichen Priesterkollegien; Sulla vergrößerte Pontifices und Auguren auf je
15 Köpfe, ebenso wohl die als Hüter der Sibyllinischen Bücher und Auf-
seher weiterer Kulte fungierende Körperschaft, die dank ihm als XVviri
sacris faciundis bekannt ist. Seit einem Gesetz von 104 hatte das Volk die
einzelnen Priester gewählt; Sulla, ganz Optimat, ordnete die Rückkehr zur
Selbstergänzung der Kollegien an.54
Entwertet fand sich die Censur. Sie hatte viel von ihrem Spielraum beim
Aufstellen der Senatsliste verloren. Noch Jahre nach Sulla wurden folge-
richtig keine Censoren mehr bestimmt; das Amt ausdrücklich abzuschaffen
wäre pietätlos gewesen, aber es sollte vielleicht aus der Übung kommen wie
- vor Sulla - die Dictatur. Zwei unter sich einige Censoren waren bedroh-
lich stark, zwei uneinige, die einander paralysierten, schadeten dagegen
dem Prestige der Senatsaristokratie - die Ausreißer aus dem Konsens nach
Sullas Ideal kollektiv selbst bestrafen sollte. Wer in Zukunft die Staatsauf-
träge vergab, ist unklar; die Funktion einer moralischen Aufsichtsinstanz
übernahm für den Augenblick Sulla selbst, der unter anderem ein Gesetz
über Höchstgrenzen für demonstrativen Konsum erließ. Übrigens waren,
solange niemand einen Census abhielt, alle seit Cinna aufgenommenen
Neubürger nicht vollständig in die Bürgerschaft integriert.. .55
Sulla, der als Fünfzigjähriger Konsul geworden war, sah vor, in Zukunft
solle ein Prätor mindestens 39, ein Konsul 42 Jahre alt sein, und auf diese
Grenzen bewegte sieh das tatsächliche Amtsalter nun auch von oben zu.
Hier lag eine Achillesferse seiner Restauration - die Nobilität konnte nur
um ein bis zwei Köpfe pro Jahr wachsen und würde lange brauchen, bis sie
den Stand von 91 wieder erreicht hatte. Um dem Senat und der ganzen res
publica die Richtung zu geben, brauchte sie eine kritische Masse an Per-
sonen, an Autorität und Respekt. Je kleiner sie war, desto anfälliger war sie
erstens für Cliquenbildungen (factiones), zweitens - das war viel gefähr-
licher - für die Vorstöße starker Einzelner. Die Aufgabe, einen zweiten
Sulla strukturell unmöglich zu machen, führte zur Frage, wie das Amt des
Konsuls künftig zu interpretieren war; die Lehre von 88 und 87 war, dass
ein Konsul mit der ihm legal zugeteilten Militärmacht ins Zivile einbre-
chen konnte, wenn er stark genug war, Amtsenthebungsversuche zu igno-
rieren. Zweitens bestand das nie gelöste Problem der Promagistrate. Diese
Aushilfs-Amtsträger konnten jahrelang Macht und die Loyaütät ihrer
Truppen erwerben, im schlimmsten Fall - die Lektion von 82 - Rom von
außen her beherrschen.
Sullas Ausweg hatte - wie die Mehrheit der Forschung annimmt - die
Form der lex Cornelia de provinciis ordinandis, „über die Ordnung der
Provinzen". Erstmals in der römischen Geschichte waren alle Magistrate,
auch Konsuln und Prätoren, prinzipiell an Rom gebunden, solange ihre
Amtszeit dauerte. Mit Ablauf des Amtsjahres, also vom 1. Januar des Fol-
gejahres an, wurden sie automatisch zu Promagistraten - zwei Prokonsuln,
acht Proprätoren. Gleichzeitig traten sie ihr Kommando in einer Provinz
an, von denen Sulla genau zehn einrichtete, einschließlich der Gallia Cis-
alpina, die vielleicht jetzt erst in der Poebene entstand. Dieses Kommando
aber dauerte wieder nur ein Jahr. Italien selbst würde - außer in Notfällen
oder bei der Neuaufstellung ausrückender Heere - entmilitarisiert sein.
Kein Promagistrat durfte außerdem eigenmächtig mit der Armee seine
Provinzgrenze überschreiten, nach der Übergabe in der Provinz bleiben,
Kriege mit fremden Mächten beginnen oder in befreundete Staaten ein-
rücken. Sonst hatte er vor dem maiestas-Gerichtshof mit der Todesstrafe
zu rechnen.56
Theoretisch löste der Automatismus viele Probleme. Nur funktionierte
dieses System genau so lange, wie auf zehn scheidende Magistrate exakt
zehn Provinzen kamen und alle zehn willens und in der Lage waren, ihre
Provinz auch zu übernehmen. Zwingende Regeln, um Abweichungen zu
befristen oder durch automatische Zusatzmagistrate ganz zu vermeiden,
gab es nicht. Vielmehr bestand anscheinend stärker als zuvor die Möglich-
keit, die Reihen der Statthalter durch privati cum imperio aufzufüllen, also
Personen, die nicht aus einem vorausliegenden Amt ihre Funktion aufnah-
men. So hing alles wiederum von den nobiles ab, die zwar jeden, Ausreißer'
durch Ablösung, politischen Druck oder notfalls die Aufstellung eines
Heeres eindämmen konnten, nur leider auch persönliche Gründe haben
mochten, eine Sonderstellung zu unterstützen.
Wer heutzutage die römische Ämterlaufbahn auswendig lernt, memo-
riert die sullanischen Ämterzahlen und Altersbestimmungen; der Senat
der Kaiserzeit war - nach einer Aufblähung unter Caesar - numerisch der
Senat Sullas. Bezeichnenderweise fehlt in dieser Aufzählung - auch die
Gerichtshöfe wären zu nennen - die Rolle der Nobilität. Für sie war das
sullanische Gebäude geschaffen; sie verschwand in den Katastrophen der
folgenden Jahrzehnte. Für den Augenblick aber war sie, und durch sie der
Senat, formal so mächtig wie nie zuvor.
Der Ritterstand - mit Ausnahme seiner glücklichen Aufsteiger - hatte da-
gegen die meisten Gewinne der letzten Jahre eingebüßt. Aus den Gerich-
ten war er vertrieben, seine Wortführer waren zum kleineren Teil in den
Senat entrückt, zum größeren tot oder geflüchtet. Hunderte Ritter waren
den Proskriptionen zum Opfer gefallen, einige dem sprunghaften Aufstieg
des Mithridates. Keine Bevölkerungsschicht hatte solche Schläge ein-
stecken müssen.
Dabei wollte Sulla keineswegs das Ausbluten der Ritter, die er nur laut
Cicero geschlossen „hasste". Er fand sie unverzichtbar - an ihrem ,natür-
lichen' Platz. Sie sollten den Geldmarkt bedienen, die Kultur fördern und
Italiens Wohlstand sichern - nur politisch mitreden sollten sie höchstens in
den Stadträten, es sei denn, ein Einzelner wechselte in den Senat.57
Hierin hatte Sulla bemerkenswerten Erfolg. Das Ideal des eques Roma-
nus, der vielleicht als Offizier dient, sonst aber in einem Leben fern der
großen Politik aufgeht, blieb bei den Überlebenden fest verwurzelt. Die
finanzstarke, dank ihrem latenten Gegensatz zu den Statthaltern nie un-
politische Spitzengruppe der publicani ließ nicht ganz von ihren Ein-
mischungen ab, doch das Gros des Standes war so wenig zu mobilisieren,
dass selbst konservative Senatoren wie Cicero daran mitunter verzweifel-
ten. Dem alten Drang nach Mitsprache als geschlossene Gruppe hatte
Sulla das Rückgrat gebrochen.58
Zwiespältig fiel auch die Bilanz für die Plebs aus, soweit sie nicht in
Sullas Armee gedient hatte. Stillschweigend war der radikale Plan von 88
aufgegeben worden, alle Gesetze nur noch durch die Zenturien beschlie-
ßen zu lassen; das Abebben des Straßenterrors kam den meisten Plebejern
entgegen. Rechtlose Opfer sullanischer Gewalt jedoch fanden sich im Volk
genug, vor allem Landvertriebene aus Italien. Die Ausweitung des Bürger-
rechts hatte den Wert der einzelnen Wählerstimme sinken lassen; ob die
Vermehrung der Magistrate dies ausgleichen konnte, ist nicht gut abzu-
schätzen. Land war verteilt worden, aber höchst selektiv; die populäre Po-
litik war auf absehbare Zeit tot, ihre wichtigsten Vertreter sowieso. Man
musste Soldat oder der Klient eines Mächtigen sein, um in diesen Zeiten
vorwärtszukommen, wenn man zu den Ärmeren zählte.
Italien, jetzt voll mit römischen Bürgern, war ein zersplittertes Land. Es
büdete ein Mosaik aus denen, die ihre neuen Rechte ebenso wie ihren
Besitz gerettet hatten; aus vom Krieg gezeichneten, aber von Sulla be-
günstigten Zonen; aus bestraften Landstrichen, die schwer an ihren Lasten
trugen; schließlich aus teils entvölkerten Quasi-Besatzungsgebieten wie
Samnium, die eine flächendeckende Enteignung nicht lohnten, und Ein-
zelstädten, die mit Gewalt in Zwingburgen der Sullaner umfunktioniert
worden waren. Die Siedlungspläne seit 133 kehrten bis zur Unkenntlich-
keit verändert wieder: Veteranen, nicht verarmte Städter waren die Sied-
ler, von Haus und Hof verdrängte Italiker mussten ihnen Platz machen.
Ein Ort wie das zum Teil entvölkerte Praeneste wurde mit seinen sulla-
nischen Kolonisten eine ganz andere Stadt. Woanders kam es lediglich zu
Landzuweisungen an einzelne Sullaner, aber nicht zur Koloniegründung.59
So war die junge Republik ursprünglich verfahren, um sich gegen unter-
worfene Stämme und unsichere Verbündete zu sichern. Sulla konzentrier-
te sich auf wenige Regionen, an deren Einstellung zu ihm nicht mehr viel
zu verderben war. Wäre jemand politisch oder militärisch gegen seine Neu-
ordnung vorgegangen, hätte der Dictator ganze Legionen zurück in den
Dienst rufen können. Die Abschreckung gegen jede Änderung an diesem
Teil seiner Verfügungen wirkte über Sullas Tod hinaus, und ihr Erfolg
konnte spätere Machthaber nur zur Nachahmung ermutigen. Die Kolo-
nien mochten Hass wecken, aber diesem Hass fehlten die Mittel - er hin-
terließ Regionen, die sich entweder wie die kampanischen Städte mit der
Zeit anpassten oder wie Samnium dauerhaft zurückblieben. Mit einzelnen
Abb. 8: Denar, L. Cornelius Sulla, L. Manlius Torquatus, 85/84 (?) v. Chr. Vs.: Roma mit
geflügeltem Helm (L MANU - PRO Q[VAESTORE]); Rs.: Sulla mit Triumphalquadriga
(L SVLLA IMP[ERATOR])
Gemeinden wie Arretium wollte der Dictator noch härter verfahren; ein
Gesetz entzog ihnen das römische Bürgerrecht.60
Rom wünschte Ruhe, Sulla war mehr als bereit, sie ihm zu verschaffen.
Umgekehrt hatte er begonnen, endlich für seine verdiente Anerkennung
zu sorgen. Noch in der schicksalhaften Sitzung vom 2. November 82 hatte
der Senat offenbar den Titel bestätigt, den Sulla sich in Griechenland bei-
gelegt hatte - Epaphroditos. Nicht lange danach wurde dem Dictator der
Triumph über Mithridates zuerkannt. Er legte ihn auf den 29. Januar 81, so
dass die Anwesenheit einer vollen Zahl römischer Magistrate die Würde
der Zeremonie steigern konnte. Ob die Proskriptionen im Publikum wei-
ter wüteten, als der Triumphator an der Spitze seiner legal in die Stadt
marschierten Truppen zum ausgebrannten Kapitol zog? Hier endlich war
er der Sieger, als der er hatte heimkehren wollen, der Eroberer Athens und
Vernichter zweier Armeen. Gewaltige Schätze wurden mitgeführt, 15000
römische Pfund Gold und 115000 Pfund Silber - der Großteil stammte aus
den unterworfenen Städten Kleinasiens.61
Am nächsten Tag folgte eine andere Feier. Der jüngere Marius hatte die
Tempelschätze in Praeneste deponiert; Sulla überführte sie nun feierlich
als wiedererobertes Diebesgut. Dem frommen Finder und den 20000
Pfund Edelmetall zog nicht die Armee hinterher, sondern eine Prozession
hochgestellter Bürger, bekränzt wie zu einem Götterfest und von ihren
Frauen und Kindern begleitet. Es waren die Verbannten und Flüchtlinge,
die Sullas Sieg ihre Heimkehr verdankten; sogar einige alte Opfer der lex
Varia waren darunter. Jubelnd priesen sie ihn als ihren Vater und Retter
wie einen neuen Romulus - ob diese Stimmung auf die Zuschauer über-
sprang, wissen wir nicht, aber der Anstoß, sich zu freuen, war groß. Nur
wurde die Parade durch die Kopplung mit der Siegesfeier am Vortag zu
einem zweiten Triumph, der die Geschmacklosigkeit hatte, getötete Bür-
ger zu behandeln, als wären sie auswärtige Feinde. Wer Sulla Vater nennen
hörte, musste an jenen Vater des Vaterlandes denken, dessen Gebeine man
ins Wasser geworfen hatte. Diesen Titel mied Sulla wohlweislich.62
Dafür griff er nach Abschluss der Feierlichkeiten zu einem anderen. Vor
dem Volk sprach der Dictator rückblickend über seine Siege. Am Ende
seiner Bilanz ordnete er an, dass ihm künftig offiziell das Attribut Felix
zukomme. Das heißt „der Glückhafte" und meint den, der durch gezielten
göttlichen Beistand verdientermaßen Glück hat - ausdrücklich nicht durch
reinen Zufall, der ja ,mehr Glück als Verstand* wäre; seit 142 verehrte
Rom die personifizierte Felicitas als Göttin. Die Götter waren mit Sulla:
Apollo, Bellona, Roms Beschützerin Venus, und sie überschütteten ihn
geradezu mit Wegweisungen; diesen Titel trug er nicht als Belohnung wie
irgendein Numidicus, sondern weil er war, was das Wort ausdrückte. Sulla
Felix hatte sich einen Namen gemacht unter den Römern.63
Kleinere, gleichwohl unerhörte Ehrungen rundeten ihn ab. Reste des
neuerrichteten Bocchus-Monuments, das 91 für Aufsehen gesorgt hatte,
sind möglicherweise erhalten. Neben dem Graskranz aus dem Bundes-
genossenkrieg prangt auf diesen Matten vielleicht derselbe Kranz aus
Eichenlaub, den Augustus, selfesterklärter Retter aller Bürger, später auf
unübertroffene Art ins Zentrum seiner Bildersprache rücken sollte.64
Auf dem Forum errichtete man rieben den Rostra eine Reiterstatue, wie
sie den wenigsten Römern je zuerkannt worden war. Vergoldet war bisher
keine einzige gewesen. Die Ehreninschrift lautete „Für Lucius Cornelius.
Sohn des Lucius, Sulla Felix" und nannte noch einen Titel, dessen Überset-
zung „Anführer" bei Appian Rätsel aufgibt. Das Standbild erhob sich in
Sichtweite der Bronzestatuen von Marcius Tremulus, Sieger über die Sam-
niten, und Furius Camillus, Retter Roms von 387, auch er ein Dictator mit
überlanger Amtszeit. Sulla, der Samnitenvernichter, hatte es nicht so weit
kommen lassen wie Camillus, der ein abgebranntes Rom vorgefunden hat-
te. Tatsächlich verschleierte die Statue Sullas neues Amt - ein Dictator
durfte grundsätzlich kein Pferd besteigen, weil ihn das zu sehr den alten
Königen angenähert hätte, und genau deshalb verschaffte sich Caesar im
Jahr 44 eine Sondergenehmigung.65
So gab der Standort die Interpretation seiner Taten bereits vor: Rom war
gerettet worden am Abend des 1. November 82, und als Retter wollte Sulla
über den Tod hinaus vor Augen stehen. Das gleiche Datum feierten Ge-
denkspiele, die jedes Jahr vom 26. Oktober bis zum 1. November stattfin-
den sollten, ludi Victoriae Sullanae, wie man sie später nannte - sie feierten
Sieg und Beistand der Siegesgöttin zugleich. Sullas Neffe Nonius Sufenas
tete sie als Prätor zum ersten Mal aus, der Beginn einer Tradition, die
en Kernbestand der römischen Monarchie eingehen sollte. Ein kleine-
Monument, der Tempel des Hercules Sullanus auf dem Esquilin, erin-
te wohl an denfrüherenSieg von 88; zudem näherte es den Stifter mit
lern tatenreichen Leben dem unermüdlichen Halbgott und Kämpfer
fßü das Böse an. Diese hohe Kunst der Selbstdarstellung sollten die
sbsten beiden Generationen aufnehmen und überbieten.66
Jo begann - oder sollte beginnen - die Zeit der Rückbesinnung auf ein
«a, wie es früher gewesen war und sicher immer hätte bleiben sollen. Es
Ute so sehr mit sich in Einklang kommen, wie sich sein Neugründer
isentierte. Doch Sulla, „gewissermaßen unausgeglichen und im Wider-
ruch mit sich selbst", und die Gesellschaft, an deren Spitze er stand,
aren vtefceyehtiger.67
Demontage
Ein Jahr lang trauerten die römischen Matronen nach Sullas Tod. Noch vor
Ablauf des Jahres 78 griff Aemilius Lepidus „nach Sullas Macht", als seine
populistische Radikalkritik an diesem „finsteren Romulus" unerwartet
großes Echo fand. Der Konsul setzte sich an die Spitze marianischer Re-
volten in Etrurien, führte sein Heer vor Rom und verlangte einen zweiten
Konsulat. Alle übrigen Gegenmaßnahmen der Sullaner überstrahlte Pom-
peius der Große; nach der Nachricht von seinem überwältigenden Sieg in
Oberitalien verschwand die feindliche Armee über Nacht. Das Gespenst
des Jahres 87 verflog, aber eine stabile Ordnung sah anders aus.130
Lange widerstanden in Spanien Sertorius und Perperna mit ihrem An-
hang verzweifelter Flüchtlinge den sullanischen Truppen. Erst 73 war der
Bürgerkrieg beendet. Sullas Republik hatte den nächsten kleinen Bürger-
krieg im Keim erstickt, aber nicht verhindern können, und schob den
nächsten umfassenden nicht ganz drei Jahrzehnte auf. Bereits acht Jahre
nach seinem Tod war sie in Kernpunkten verändert. Somit begann die Auf-
lösung des sullanischen Systems im selben Moment, als sein Urheber starb
- aber schon vorher hatten Pompeius und Sulla persönlich seine Regein
gebeugt und gebrochen. Die Verantwortung für Sullas letztendliches
Scheitern liegt nicht allein bei seinen uneinigen Erben; bereits er selbst
tat einiges zur Delegitimierung seiner Absichten. Formal blieb die Repu-
blik bis an ihr Ende zu weiten Teilen, was er aus ihr gemacht hatte, und
noch die kaiserzeitliche Verwaltungspraxis nahm sich an vielem ein Bei-
spiel. Sulla hätte das nicht genügt.131
Wäre es in der folgenden Generation nicht wieder zum reichsweiten
Bürgerkrieg gekommen, wäre innenpolitisch jene Stabilität eingekehrt,
die sullanisches Programm war, hätte man milder über ihn geurteilt - die
Figur des Octavian/Augustus ist das beste Beispiel. Der Dictator aber wur-
de von seinen optimatischen Erben schon vorher nicht geliebt - sosehr
ihnen sein Vermächtnis materiell entgegenkam, sie schämten sich dafür,
wie er es durchgesetzt hatte, und in den Unterlegenen war der ganze Senat
mit gedemütigt worden. Sullas Gegner und ihre Nachfolger fanden an ihm
genug, was man hassen konnte.132
Die nobiles selber waren es, die das Charakteristische an Sullas Repu-
blik aus den Angeln heben halfen. Sie verhielten sich nicht, wie das Stan-
desinteresse es forderte, wohl aber entsprechend der Standestradition, in-
dem sie den alten Wettbewerb schärfer denn je aufnahmen. Alle übrigen
Akteure der römischen Politik und Gesellschaft - mit Ausnahme der Ar-
mee - hatte Sulla ihnen zu Füßen gelegt; sie jedoch waren der unvermeid-
liche blinde Fleck in seiner sonstigen Weitsicht, weil er die Welt von sich
und von ihnen aus definierte. Der Aufsteiger Ofella musste sterben, der
Konsulsohn Pompeius durfte den Aufstand proben, weil er aus den richti-
gen Kreisen - und natürlich, weil er Kommandeur einer Armee war.
Hinzu kam ein zweiter unvermeidbarer Fehler, der ebenfalls aus Sullas
patrizischem Selbstverständnis erwuchs - dass er seine persönliche Größe
daran bemaß, wie hoch er über die anderen herausragte. Für den Neugrün-
der und Garanten einer Oligarchie, die auf annähernde Waffengleichheit
ihrer Führungskreise setzt, war dies die falsche Einstellung; sie konnte
nicht anders, als Aversionen gegen ihn zu wecken - und, weitaus schlim-
mer, den Ehrgeiz, Sulla gleichzukommen oder ihn zu überbieten. Er hin-
terließ einen gut gefüllten Werkzeugkasten voller Mittel, die Republik aus
den Angeln zu heben, falls man eine übermächtige Stellung erreichte.
Einem kleinen Kreis vertraute er alle Mechanismen an, um solche Ausrei-
ßer zurück in den Krabbenkorb der Nobilität zu ziehen, aber das Schmie-
den von Interessengemeinschaften - oder simple Untätigkeit - konnte
schon ausreichen, diese Mittel zu blockieren. Die sozialen Verwüstungen,
die Sulla hinterließ, kamen solchen Umtrieben entgegen.
Stärker denn je war die Armee, die unter Pompeius1 Führung sogar dem
Dictator selbst ihren Willen aufgezwungen hatte. Diese Lektion Sullas
blieb haften. Der Weg zur politischen Vormacht führte über ein militärisch
bedeutendes Kommando mit vorzeigbaren Erfolgen, erweitert um innen-
politische Entscheidungsmöglichkeiten, die man sich entweder gütlich
oder notfalls mit Gewalt verschaffte. Sulla hatte die Bindung der Legionen
an die Senatsautorität, die seit Marius definitiv zurückging, nur weiter ge-
schwächt, statt sie wiederherzustellen; er hatte den Soldaten und Vete-
ranen unausgesprochen sogar die Funktion übertragen, den innenpoliti-
schen Frieden Italiens siehern zu helfen. Verkraften konnte die Republik
das nur im einem Zustand, in welchem sie ohne Mobilisierung größerer
Armeen unter zentralem Kommando auskam. Jeder längere Konflikt an
den Reichsgrenzen, j ede innere Unruhe würde das ändern.
Dank Sullas Eingriffien behielt # e ÜTobilität ihre Schlüsselrolle äußerlich
auch dann, als ihr die PÄilisÄu^4m. Lage bereits entglitten war - doch
das ist ein Vorspiel zu ihtiÄ^itofÄ und ihrer weitgehenden physischen
Vernichtung. Wäre ihr Abstieg Js0öst weniger steil und katastrophal aus-
gefallen, ohne Gemetzel 3Wi#rsateSj Munda und Philippi, eine neue
zerstörerische Pfoskriptiön^#e iti!i$#etäjtge Serie von Hochverratspro-
zessen im Prinzipat? Das M tä^mmfgmJ®
Sulla, in dessen DeÄM Ä und Arroganz Hand in Hand
gingen, hatte sich mit Vefbfeseliheit zurfek in die Reihen der nobiles ge-
kämpft. Auch danach blieb er eigensinnig bis an den Rand der Selbstver-
stümmelung; kein anderer hätte den Gedanken laut ausgesprochen, er
müsse doch mit seiner Beute frei umgehen können, und solch störende
Züge wie seine demonstrative Leichtlebigkeit - provokant gerade für den
Rest der Aristokratie - war er nicht zu kaschieren, geschweige denn abzu-
legen bereit. Dennoch war er ein Hohepriester der Optimaten, wohl gerade
weil er unter ihnen ein Außenseiter war und blieb: heimgekehrt, nicht hei-
misch. Alle Rücksichtslosigkeit, mit der sie seit 133 ihre untergrabene
Macht verteidigt hatten, überbot er im Dienst seines Adelsidealismus. Er
liebte seine Kreise auf herrische, egozentrische Art, zerrte sie auf seinem
Weg hinter sich her und zwang sie - mit oder gegen die Tradition - zu ihrem
Glück. Sullas persönliche Motive und seine politischen Ziele gingen für
seine Begriffe nahtlos ineinander über - er überspielte die Bruchstelle, die
darin bestand, dass seipe Macht und Persönlichkeit in der Welt, die er
schaffen wollte, keinen Platz hätten haben dürfen. Den Grabspruch des
Dictators, der neben seiner Rache auch seine unerhörte Freigebigkeit pries,
wenn es um Freunde ging, hätte der Untertan eines hellenistischen Königs -
oder eines späteren römischen Kaisers - ohne Zögern als wichtige lugend
eines Monarchen entschlüsselt. So war er nicht gemeint, aber gerade Sullas
Erfolg im Überbieten aller anderen isolierte ihn teilweise von der Tradi-
tion, in die er sich stellen wollte. Die ihm unterstellte „Flucht in die Ver-
gangenheit", soweit er sie überhaupt wollte, versperrte er sich selbst.134
„Bis heute hat es seit der Gründung Roms nur einen gegeben - und die
unsterblichen Götter mögen es fügen, dass kein anderer kommt! -, dem
sich der Staat vollständig in die Hand gab, durch die Zeitumstände und
innenpolitische Missstände gezwungen: Lucius Sulla. Der war so mächtig,
dass gegen seinen Willen niemand seinen Besitz, seine Heimat oder sein
Leben behalten konnte ... Seine gesamten Anordnungen behalten wir
nicht nur bei, sondern verteidigen sie sogar mit all unserem Einfluss in
der Öffentlichkeit, aus Angst vor noch größeren Nachteilen und Katastro-
phen..." Diese gemischte Bilanz aus dem Jahr 70 versteckte Cicero in
seiner publizierten Langfassung der Reden gegen Verres. In den Ge-
schichtswerken seiner Zeit las man es anders; der Großteil der „jüngeren
Annalistik", über die wir von Cicero und ihrem erfolgreichen Konkurren-
ten Livius wenig Gutes hören, bot ausführliche, meist wohlwollende Be-
richte über Sulla, und Cornelius Sisenna, Prätor von 78, „der am besten
und exaktesten von allen verfahren ist, die diese Vorgänge erzählt haben",
war nicht nur ein kundiger Geschichtsschreiber, sondern auch ein begeis-
terter Sullaner. In den Annales des Redners Hortensius kam Sulla nicht
schlechter weg; noch waren kritische Stimmen die große Ausnahme.135
Die Familie des Dictators trat dagegen schnell in den Hintergrund. Bei
Sullas Tod war Valeria mit einer Tochter schwanger, die gesund zur Welt
kam und - wie in solchen Fällen üblich - als Cornelia Postuma, die Nach-
geborene, bekannt wurde. Beide verschwinden danach für uns; Valerias
Bruder Messalla Rufus führte seine Familie zu neuem Glanz. Faustus Sulla
war 63 unter Pompeius' Kommando der erste Mann auf der Tempelmauer
des eroberten Jerusalem; sonst erreichte er wenig und lebte allem ererbten
Geld zum Trotz über seine Verhältnisse. Es kam so weit, dass er die Ver-
steigerung von Mobiliar ankündigte - „dieses Plakat (proscriptio) mag ich
lieber als das deines Vaters", bemerkte der stets herzliche Cicero. Erst im
Jahr 60 - in der Hoffnung, seiner eigenen Karriere Auftrieb zu geben -
zahlte Faustus dem Volk Sullas versprochenes Vermächtnis aus: ein Fest-
essen, Gladiatorenspiele, einen freien Bäderbesuch pro Kopf. Für Pom-
peius' Schwiegersohn stand außer Frage, welche Seite er im Krieg mit Cae-
sar wählen sollte; er überlebte bis 46, wurde in Mauretanien gefangen und
durch den Statthalter Sittius getötet, kaum ohne Caesars Anweisung.136
Der 88 ermordete Sohn des Pompeius Rufus hatte mit Sullas älterer
Tochter zwei Kinder gehabt; eines davon, Pompeia, heiratete ausgerechnet
Caesar. Die Ehe hielt bis zum berühmten Skandal am Fest der Bona Dea,
als der junge Clodius - den später Annius Milo totschlug, Sullas postumer
Schwiegersohn - in Caesars Haus ergriffen wurde und der Pontifex Maxi-
mus mit großer Geste die Scheidung einreichte: Caesars Frau habe über
jeden Verdacht erhaben zu sein. Pompeias Bruder prägte in den fünfziger
Jahren des 1. Jahrhunderts als Münzmeister Geld, auf dem Sullas einziges
völlig sicheres Portrait zu sehen ist.137
Publius Sulla, wohl ein Vetter des Dictators, brachte es mit seinem neu-
en Reichtum bis zur Konsulwahl - nur um, ehe er noch sein Amt antreten
konnte, Ende 66 wegen Wahlbetrugs verurteilt zu werden. Cicero, dem der
Abgesetzte Geld für ein Haus geliehen hatte, verteidigte ihn 62 gegen den
Vorwurf, wie die Brüder Servius und Publius Sulla in die Catilinarische
Verschwörung verstrickt gewesen zu sein, und erinnerte an das Jahr 82.
„Während jenes drückenden und Durcheinander stiftenden Sieges von Lu-
cius Sulla, fand sich da einer milder als Publius Sulla, einer barmherziger?
Wie vieler Männer Leben hat er von Lucius Sulla freigebeten!" Vor dem
Exil rettete ihn das nicht; unter Caesar geriet er auf die Siegerseite und
komplettierte seine Güter um den Besitz enteigneter Pompeianer. Sein
unerwarteter Tod im Jahr 45 - er habe sich überfressen oder sei unter die
Räuber gefallen, hieß es - löste wenig Trauer aus.138
Jahrzehntelang lebten Sullas direkte Nachfahren geachtet, aber in auf-
fälligem Abstand vom Haus des Augustus - so hielten sie länger durch als
andere, die einer Heiratsverbindung zu den Caesaren gewürdigt worden
waren. Erst der fünfte Sulla nach dem Dictator hatte die Ehre, der Schwa-
ger des Kaisers Claudius zu sein und zusätzlich die Kaisertochter Antonia
zur Frau zu bekommen. Faustus Cornelius Sulla Felix, Konsul des Jahres 52
n. Chr., war ein Mann, mit dem man rechnen musste. Nero hatte für so
nahe Verwandte seines Adoptivvaters Claudius keine Verwendung. Man
verbannte Faustus Anfang 58 nach Massilia; auch dort blieb er unverges-
sen, mochte er auch als arm und antriebslos gelten, und 62 schickte Nero
ihm ein Mordkommando. Wie eine subtile Rache Sullas für die Vernich-
tung seines letzten Erben wirkt, dass sich der kaiserliche Künstler selbst
ausgerechnet von einem Freigelassenen namens Epaphroditus beim
Selbstmord assistieren ließ.139
Die Sullaner, alte und übergelaufene, prägten das Bild im Jahrzehnt nach
dem Tod ihres Anführers; eine geschlossene Gruppe hatten sie spätestens
mit Sullas Verschwinden zu bilden aufgehört, und längst nicht jeder er-
innerte sich gern an diese Episode. Der Dichter Licinius Archias ging bei
Demontage 161
Metellus Pius, den Luculli, Catulus Vater und Sohn, bei Aemilius Scaurus
ein und aus - lauter Optimaten erster Güte, nur Sullas Namen nannte
Cicero lieber nicht.140
Gravierender war der Bruch mit Sullas politischem Vermächtnis. Schon
75 setzte der Konsul Aurelius Cotta, bisher ein prominenter Sullaner, die
Streichung der Ämtersperre für Volkstribune durch - zu schweigen von
seinem Gesetz, das die Ritter zurück in die Gerichtshöfe führte. Drängten
sie wirklich darauf oder wollte der Senat selbst gern einen Teil der Arbeits-
belastung loswerden - und war womöglich das Gerechtigkeitsgefühl zu
vieler Senatoren durch Sulla verletzt, weil man den Tribunat, Kernbestand
der Republik seit Jahrhunderten, nicht einfach streichen wollte? Der Um-
deuter der Tradition hatte auch gegen die Kraft der tatsächlichen Tradition
einen schweren Stand.141
Die Rückkehr des Volkstribunats zur alten Stärke vollendete im Jahr 70
ausgerechnet Pompeius, in vieler Hinsicht der Letzte, der dies hätte wün-
schen sollen. Er handelte nach den Maximen, die heutige Großmächte
dazu bringen, Raketen an aggressive Regimes zu verkaufen: Der Preis ist
hoch, die resultierende Kräfteverschiebung trifft einstweilen andere mehr
als einen selbst - und eventuell kann man auf Dankbarkeit rechnen. Für
den Augenblick machte die Entfesselung der Tribunen Pompeius geradezu
zum Populären. Auch Censoren gab es von 70 an wieder, und sie warfen in
Pompeius' Konsulatsjahr volle 64 Senatoren aus der Kurie. Eine lex Plautia
gab den Nachkommen Proskribierter das Wahlrecht und die Aufenthalts-
erlaubnis für Rom zurück; nur das Ämterverbot blieb bis über Ciceros
Konsulatsjahr 63 hinaus in Kraft.142
Sulla hatte die Auseinandersetzung mit dem heranwachsenden Magnus
vermieden und ihm Enormes zugestanden; wenig berechtigt zu der Annah-
me, ein länger lebender Sulla wäre kämpferischer aufgetreten. Die ersten
jener Ausnahmekompetenzen, die Pompeius' Leben begleiten sollten, hat-
te Sulla selbst ihm verschafft, und sie stellten viele der unsichtbaren Wei-
chen hin zur Alleinherrschaft der Zukunft. Pompeius war nicht bereit,
dahinter zurückzugehen, und arbeitete auf eine dauerhaft überragende
Stellung in der Republik hin, Feldherr nach außen, Stütze nach innen.
Aus seiner Sicht war das möglicherweise sogar, was Sulla gewollt hätte.
Drei Jahre später widersetzte sich Catulus, der Hüter des optimatischen
Vermächtnisses, unter dem Spott der Plebs umsonst dem Antrag, der Pom-
peius gigantische Streitkräfte und Vollmachten gegen die Piratenplage
übertrug. Im Folgejahr 66 entriss die lex Manilia keinem anderen als Lu-
cullus den erneuten Krieg gegen Mithridates und unterstellte Pompeius,
dessen imperium zur See noch gar nicht abgelaufen war, ganz Kleinasien.
Allein Catulus erhob wiederum die Stimme und riet dem Senat in hilfloser
Ironie, sich auf einem hohen Berg zu verkriechen. Wie ein König regierte
und ordnete „der Große" den Ostrand des Mittelmeeres, behandelte alle
Maßnahmen des verdrängten Lucullus mit souveräner Nichtachtung und
besiegelte das Ende von dessen politischer Karriere.143
Obwohl Roms Reich wuchs, konnte ein Verzweiflungsunternehmen wie
das des Catilina, gestützt auf Verlierer und Gescheiterte aus Sullas Gefol-
ge, die Verhältnisse im Innern erschüttern; als diese Gefahr 62 blutig be-
seitigt war, erwartete man gebannt die Rückkehr der Armee des Pompeius.
Wie ein zahmer Drache hauste er jahrelang vor der Stadt, schon zu stark,
um durch die vereinten Optimaten kontrollierbar zu sein, aber noch m
schwach, sie zu übergehen. Er experimentierte mit der populären Metho-
de, hetzte Volkstribunen auf Cicero, der zivile Erfolge über militärische
stellte, und hatte unendliche Schwierigkeiten mit Crassus, seinem Ex-Kol-
legen, dessen enormes Vermögen ihm Macht einer neuen Art verlieh.144
Das war die Stunde des Gaius Iulius Caesar, der beide Widersacher ge-
gen den optimatischen Widerstand zusammenspannte und dadurch selber
in ihre Größenordnung aufstieg. Beim Begräbnis seiner Tante, der Witwe
des Marius, zeigte er 68 das Wachsbild des Verfemten auf den Straßen
Roms. Als Ädil brachte er es 66 zu Catulus' Zorn fertig, die Statuen und
Siegesdenkmäler des Marius wieder auf dem Kapitol aufzustellen. Mit der
Skandalwahl zum pontifex maximus schlug er eben diesen Catulus aus dem
Feld - zu einer Zeit, als man laut Cicero seine Chancen auf den Konsulat
niinierte, wenn man Männer anklagte, die im Zuge der Proskriptionen
Staatsgelder unterschlagen hatten. 64 setzte der kämpferische Caesar die
Verurteüung zweier Proskriptionsgewinnler durch und versuchte mit Cati-
lina dasselbe. Nichts hätte für den neuen Zustand symbolischer sein kön-
nen, als dass Pompeius im Zuge einer Tauschaktion, die ihm die Ehe mit
Caesars Tochter Iulia öffnete, das Verlöbnis seiner eigenen Tochter mit
Faustus, dem Sohn Sullas, löste. Die Konstellation der Jahre seit 82 war
am Ende und Sullas eigenes Haus so sehr auf den Hund gekommen, dass
Fausta die Ehe mit Annius Milo einging, dem von der optimatischen Seite
umworbenen Bandenführer, der für die Mächte der Ordnung randalierte
und den populär auftretenden Konkurrenten Clodius im Jahre 56 in bes-
tem Saturninus-Stil totschlug. Die Nobilität hatte bald nur noch die Wahl,
ob sie als Juniorpartner entweder von Caesar oder Pompeius blind auf die
Gesetzestreue des Stärksten hoffen sollte, und fürchtete den Konflikt zwi-
schen beiden, den sie gleichwohl zuspitzen half. Das war die Stunde, in der
wieder viel an Sulla gedacht wurde.145
Um die Idee, „jener entsetzliche Tag Sullas", der 2. November 82, könnte
wiederkehren, legte sich so etwas wie eine Faszination des Grauens. Die
Optimaten fanden sich im Bürgerkrieg von 49 - oft entsetzt über das Schei-
tern ihrer Vermittlungsversuche - auf der Seite des Pompeius wieder, der
sich mit den Worten „Sulla hat's gekonnt, ich soll's nicht können?" für den
Augenblick aus Italien verabschiedete - wie sein großer Protektor wollte
er die Halbinsel von außen zurückerobern. Caesars Parole formulierte ein
offener Brief vom März 49: Der Sieg müsse von Dauer sein, was niemand
vorher geschafft habe „außer allein Lucius Sulla, dem ich nicht nacheifern
werde. Unsere neue Methode zu siegen soll sein, dass wir uns durch Erbar-
men und Großmut sichern." Gleichwohl zirkulierten Aussprüche des
Eroberers, er werde Carbo und alle rächen, die Sulla mit Pompeius' Hilfe
vernichtet habe, und Cicero sah sich schon als Zwangsautor eines Gut-
achtens, wenn Caesar sich widerrechtlich zum Dictator machte. Der un-
blutige, wenn auch herrische Einzug in Rom - Pessimisten hatten ein Ge-
metzel wie unter Cinna erwartet - schien eher noch Öl ins Feuer zu gießen.
Cicero, mit beiden Lagern unglücklich, befürchtete laut, Pompeius werde
„auf Sulla" und „auf Proskriptionen machen" (sullaturire, proscripturire).
Sogar den Caesargegnern, die nicht mit geflohen waren, solle es an den
Kragen gehen, Güter und Ämter der Caesarianer wurden angeblich vorab
verteilt. Alle Phantasien endeten mit der Niederlage bei Pharsalos; auf die
Nachricht hin stürzte das Volk die Statuen von Sulla und Pompeius um -
der Sieger ließ sie wieder aufrichten.146
Caesar der Dictator erlaubte umgehend den überlebenden Proskribier-
ten die Rückkehr und strich die letzten Rechtsbeschränkungen ihrer Nach-
kommen. Der generelle Großmut gegenüber den Besiegten - mit Ausnah-
men wie Faustus Sulla - schloss deren Enteignung nicht aus, und wieder
einmal profitierte die Umgebung des Siegers besonders stark. „Sula war
ein Analphabet, dass er die Dictatur niederlegte", spottete Caesar, den erst
der Tod von der Macht trennte.147
Den endgültigen Sieg errangen die Caesarianer gleichwohl mit ,sulla-
nischen' Methoden. Die Gemetzel an den Überlebenden des Schlachtfel-
des von Philippi und mehr noch die in riesigem Maßstab wiederholten
Proskriptionen des Jahres 43 sprechen für sieh - nur wurden diesmal die
Blutgeld-Empfänger geheimgehalten, und die Liste war von Anfang an
mit offenem Ende konzipiert. Nach diesem Blutvergießen in seiner offe-
nen Gier und Willkür verschmolz das Zerrbild des bösen Alleinschuldigen
Antonius, das der Mitschuldige Octavian in die Welt setzte, leicht mit der
Erinnerung an Sulla, der seit 49 ohnehin schon der Verlierer der Geschich-
te war.148
Von Caesar, nicht von Sulla, führte ein direkt wahrnehmbarer Weg ins
Kaisertum, und so wurde der Bruderkrieg Caesars gegen Pompeius ein
fester Punkt in der Erinnerung, wie es zur Monarchie und zum inneren
Frieden gekommen war. Aus der älteren Krisenzeit wurde nun endgültig
ein Privatkrieg zwischen Marius und Sulla, die im wirklichen Leben knapp
anderthalb Jahre in offener Feindschaft verbracht hatten. Von Marius ur-
teilte Titus Livius, es sei offen, ob der Mann je hätte geboren werden sol-
len, während Vellerns Paterculus einige Jahrzehnte später erklärte, vor Sul-
las Sieg könne man ihn nicht genug loben, danach nie genug kritisieren.
Livius' verlorene Darstellung, die allein den Jahren 88 bis 78 vierzehn
Bücher widmete, kann nicht freundlicher geurteilt haben. Vergil nimmt die
Klage über Caesars Streit mit Pompeius ins 6. Buch der Aeneis auf, den
Schlüsseltext des augusteischen Selbstverständnisses - von Sulla wie von
Marius kein Wort. Mit diesen Leuten war kein Staat zu machen. ,Regime-
gegner" der iulisch-claudischen Zeit sahen es nicht anders: Spottverse auf
Tiberius nannten Marius, Sulla und Antonius in einem Atemzug als Roms
dreifaches Unglück, und Lucans herrschaftskritisches Epos widmete dem
Jahr 82 neunzig bluttriefende Zeilen.149
Bis mindestens ins frühe 3. Jahrhundert überlebte Sullas Grabmal auf
dem Marsfeld mit seiner provokanten Inschrift. Damals lobte Kaiser Sep-
timius Severus - nach dem Sieg in einem weiteren Bürgerkrieg - in einer
aggressiven Senatsrede Sullas Strenge als einzig mögliche Politik und ging
prompt zu Säuberungen über. Mittlerweile war der Name Sulla ein Syno-
nym für die Missachtung oder Suspendierung der Ehrenrechte des Senats
geworden - ein weiter Weg von den Intentionen seines Trägers. Historiker
verwendeten ihn als Etikett für Mordlust, um schlechte Kaiser zu brand-
marken, oder Anklagen gegen Sulla als Kennzeichen für gute; christUche
Autoren stürzten sich im 5. Jahrhundert auf Sullas Zeit, wenn pagane
Römer klagten, vor den Christen sei es Rom besser gegangen. Wer dem
Dictator wohlgesonnen war, konzentrierte sich auf seine Kriegserfolge
und verschwieg die Proskriptionen. Die Nachricht, der spätere Kaiser Juli-
an habe 357 seine Armee mit dem Beispiel Sullas in der Schlacht von Or-
chomenos angefeuert, ist isoliert genug, um Zweifel an ihrer Echtheit zu
wecken.150
Je skeptischer die Neuzeit gegenüber Macht und Machtmissbrauch ge-
worden ist, desto härter ist sie meist mit Sulla ins Gericht gegangen. Aus-
gerechnet dank seiner Haar- und Augenfarbe wurde „der blauäugige,
gewaltige Sulla" zum Liebling der ,Rassentheoretiker' seit dem 19. Jahr-
hundert, die zu demonstrieren wünschten, was die Römer noch hätten leis-
ten können, wären sie nur reine Arier geblieben. Nach Lob und Tadel für
Sullas Rolle auf dem Weg Roms zu dessen »natürlicher4 Bestimmung als
Monarchie oder gar autoritäre Diktatur geht nun das aussätzige Gespenst
Sulla um, das Rom vom ebenso vorgezeichneten Weg der Tugend - zur
repräsentativen Demokratie? - abbrachte. So erscheint der Dictator in
der krönenden Szene von Steven Saylors tragisch-sentimentalem Polit-
krimi Roman Blood als die wandelnde Warnung vor der Korruptionswir-
kung jeglicher Macht: selbstironisch immerhin, aber rührselig, brutal, fett
und mit verzehrendem Hunger in den Augen, ein Richard Nixon ohne
Schminke, der seine Skrupellosigkeit offen ausspricht und seinem An-
kläger Cicero die Illusionen nimmt. Alle Politiker enden als Sullas.151
Die Faszination, wie die Bilder einer Persönlichkeit der Geschichte entste-
hen und verblassen, wächst in Fällen wie diesem, da Konstruktives und
Destruktives sehr fein ausgewogen sind. Sulla selbst hat die Überlieferung
über sich zu weiten Teilen vorausbestimmt, nicht aber die Urteile. Darin ist
er gescheitert - doch sein Selbstgefühl würde es vermutlich so hinstellen,
dass wir nur auf jener Grundlage über ihn urteilen können, die er selbst uns
hinterlassen hat, direkt oder indirekt. Nichts hören Historiker weniger
gern, nichts drängt sie mehr, einer Person auf den Leib zu rücken, die sich
ihnen dermaßen aufdrängt und zugleich entzieht - wie eine Gravitations-
linse den Blick der Astronomie auf ferne Objekte schärft, aber selbst dabei
verzerrt, wenn nicht völlig unsichtbar wird. „Was für ein Mensch Sulla war,
das soll zu den noch unentschiedenen Prozessen zählen", sagte Seneca:
Diese Herausforderung gilt weiterhin.152
Anhang
Anmerkungen
Vorwort des Autors
1 Zur Propagandafunktion bei Sulla und Caesar vgl. nur Ramage 1991,96.
2 Vgl. nur Kunkel/Wittmann 1995,711: „ein konservativer Revolutionär". Die mit Ab-
stand ergiebigste Darstellung, Keaveney 22005, fällt zu oft ins Apologetische, ja Bewun-
dernde; Hinard 1985 und Brizzi 2004 bieten gewisse Korrekturmöglichkeiten, leider in
einem Format ohne Belege. Literarisch unerreicht bleibt Mommsen21857, v. a. 367-377.
3 La Penna 1976, v. a. 283-285; 291, zu Sali. lug. 95; ergänzt und modifiziert durch Gras-
si 1981, 133-135; 157 f.; sowie Carrara 2004, entwickelt an den Darstellungsproblemen
Plutarchs und anderer. Carrara befürchtet a. a. 0.288-292, die Paradoxie sei lediglich eine
Kapitulation vor widersprüchlichen Quellenzeugnissen, die moderne Sulla-Biographen
weiterreichten.
4 Der Identifikationsversuch von Strocka 2003, v. a. 14-17, benennt nach Vergleich mit
der Sula-Prägung des Pompeius Rufus - vgl. unten Abb. 4 mit S. 160 - den Kopenhagener
Kopf Ny Carlsberg Glyptotek Nr. 598 als Porträt Sullas (hier Abb. 9) und stellt ihm Sala
Rotonda Nr. 548 aus dem Vatikan an die Seite (a. a. 0.19-21); ein aus der Etsch bei Verona
geborgener Bronzekopf (Museo del Teatro Romano; a. a. 0.22 f.) wird als typgleich ange-
sprochen. Mit weiteren Debatten ist zu rechnen. Sulaköpfe gemäß älteren Interpretatio-
nen zeigen Abb. 1 und 6.
5 Vgl. L. Gall, Bismarck. Der weiße Revolutionär. Frankfurt a.M. 1980.
I. Der Senator
1 Liv. 8,17,4 - problematisch, weil in diesem Jahr keine Konsuln belegt sind; MRR 1,141.
2 MRR 1,183 f. Sieg: Eutr. 2,9,3 f.; 277: MRR 1,194 f.
3 Luscinus: Cic. de or. 2,268; Censur: MRR 1,196; Plut. Sulla 1,1. Keine Rache laut
Brizzi 2004,14.
4 Gell. 1,1245 f.
5 MRR 1,214. Flaminat: vgl. etwa Liou-Gille 1999. Sulla vom Aussehen: Plut Mar. 1,3;
„Wade": Mommsen 1864,44: „Sulae, das ist Surulae"; Garton 1964,153. Hinard 1985,18;
Brizzi 2004,15 denken an ein rosiges Gesicht: suiltus für „Schweinefleisch". Gemieden:
lac. anßv 4,16 für 23 n. Chr.
« R Münzer, RE IV 1 (1900), 1518 s.v. Cornelius 383; MRR 1,268. Prätur: Liv. 25,2 5.
27,23,5. Spiele: 25,12,3-15. S(ib)ytta: Macr. sat. 1,17,27; Charis. gramm. p. 110,13 Keil - laut
lehr 1993,26 Macrobius' eigene Deutung.
7 Reichsbegriff: Richardson 2008. Hannibal: Der Sil. Pun. 7,618; 8,393 f. vor der
Schlacht bei Cannae genannte Sulla ist so gut wie sicher eine poetische Fiktion.
* P. Sulla: MRR 1,371; F. Münzer, RE IV 1 (1900), 1518 s.v. Cornelius 384; Ser. Sulla:
a.a,0.1521 s.v. Cornelius 388; MRR 1,402.
9 Ignavia: Sali. lug. 95,3. Tod: vgl. den lllvir monetalis P. Sulla auf Münzen des Jahres
151: Orawford, RRC 1,249 f.; MRR 3,73. Ihn wegen Vell. 2,17,2 als eine weitere Generation
vor Sulla zu zählen, erscheint schwieriger als die hier zugrunde gelegte Genealogie nach
E Münzer, RE IV1 (1900), 1515 s. v. Cornelius 376 ff. Census: vgl. Nicolet 1976,20-30; zum
Besitz Hinard 1985,22.
10 F. Münzer, RE IV 1 (1900), 1517 s.v. Cornelius 379. Mithridates: App. Mithr. 216;
Promagistratur in Asia: Hinard 1985,21. Letzner2000^ 25 mit Früheren für eine Proprätur.
Finanzlage: durch Sulla übertrieben laut Badian 1970, 4-6; Angleichung an legendäre
Aufsteiger laut Marastoni 2009,231£
u Tradition: Badian 1970,4. ®mm*E75$. Ä Engels2007,539 Nr. 215.1 nach 82
v.Chr. zu datieren. Ausland: Hinard 1985y23, Ütezogen Letzner 2000,29, wonach Sulla
seine Bildung im „Scipionenkreis" erhielt, einem Konstrukt der neuhumanistischen For-
schung; vgl. nur K.-L. Elvers, Scipionenkreis, Betmue Päuly 11 (2001), 298. Kontakte zu
den - an Bedeutung verlierenden - Comelii Scipiones ergaben sich so oder so über die
gemeinsame gens>
u Trauma der Jugend: Behr 1993,241; Roms Gestaltwandel: Kolb 22002,215-221.
13 Sprachtalent Sali. lug. 95,3. Kultur: Rawson 1985; zum Wandel des gesamten Le-
benskontestes nun WaUace-Hadril 2008.
14 Hoden: Dig. 49,16,4 pr., Diskussion um die körperliche Tauglichkeit zum Militär-
dienst, die auch (M?) Aurelius Cotta nennt (cos. 74; so E. Klebs, REH 2 [1896], 2487-89
s.v. Aurelius 109). Fehlt in den erzählenden Quellen wohl aus Prüderie. Noch I. Kershaw,
Hitler 1889-1936. Stuttgart/München 1998, 79f. zweifelt an analogen Berichten. Scham:
vgL die Nöte phühelenischer Juden wegen der Beschneidung, 1 Makk 1,14 f.
15 Plut Sulla 6,7: „goldhaarig"; Augen: 2,1. Klischee: Brizzi 2004,19. Mimen: Plut. Sulla
2,1; Garton 1964,140f. Hinard 1985,24 sucht hinter den Alkoholgerüchten einen Diony-
soskult. Humor: Plut. Sulla 30,5
16 „ein von...": Val. Max. 6,9,6. Schätzungen des Todesdatums von Sullas Vater wie bei
Letzner 2000, 30f. sind kaum tragfähig. P. Sulla, der Vetter: F. Münzer, RE IV 1 (1900),
1518-1521 s.v. Cornelius 386. Schwester: Plut, Süll. 10,5; Bruder: rekonstruiert aus Cass.
Dio 36,44,3, die Brüder Ser. und P. Sulla Ser. f. (so Cic. pro Sulla 61) seien Neffen des
Dictators; zu ihnen F. Münzer a. a. 0.1518,1521 s. w. Cornelius 385; 389; vgl. zuletzt Zmes-
kal 2009,107; 3331
17 Miete, „nichts": Plut. Sulla 1,2. Ein älterer Bruder, der das Stadthaus erbte (so Letz-
ner 2000,26 Anm. 14), ist angesichts der gleichen praenomina von Vater und Sohn extrem
unwahrscheinlich; an Streit mit dem Vater dachte Brizzi 2004,17, an eine populäre Geste
Kolb 22002,284.3000 HS: Plut. Sulla 1,4; zu Mieten vgl. Kolb *2002,901
18 Dienstpflicht: Kunkel/Wittmann 1995,60-63, im 1, Ä aufgeweicht: a. a. 0.64; spezi-
fisch als Reiter: Nicolet 1976,251
19 „als blutiger Sali. lug. 96,1; Drückeberger: Badian 1970,6 mit Anm. 6; Geldpro-
blem: Keaveney 1980. Dagegen Hinard 1989, 85-88; unentschieden Letzner 2000,
Anm. 52 f.
20 Vorbild Scaurus: Brizzi 2004,33. Kohlen: vir. ill. 72,1 f.; vgl. Val. Max. 4,4,11.
21 Hoffnung auf das ius provocationis zwischen 125 und 91: Gabba 1954,42-45.
22 App. civ. 1,35-72; Plut. TL Gracchus.
23 Differenzen Ritter/Senat: Gabba 1954,61-71. Relativ höhere Militärlast der Italiker:
Brunt 1971,88 f.; 684-686.
24 App. civ. 1,88-120; Plut. C. Gracchus. Bauwettkampf: Kolb 22002,243-249.
25 Nicopolis: Plut. Sulla 2,4; schon während der ersten Ehe laut Letzner 2000, 36-38.
Zum Paradox eines Verarmten, der angeblich im Laster schwelgt, Dijkstra/Parker 2007,
144 Anm. 36. Späte Quästur: Astin 1958,44f. (Platz 4 von 4 näher bekannten Fällen).
26 „der von...": Plut. Sulla 2,4. Von Marastoni 2009,238 zur Erfindung erklärt.
27 MRR 1,550. Schicksal: Vell. 2,12,1; Marius-Charakteristik: z.B. 2,11,1. Plut. Mar. 3,1
erfindet arme Handarbeiter als Eltern; Scipio: 3,2 f.
28 Metelli: VelL 2,8,2; 11,3. Bis zur Prätur: Plut. Mar. 4,2-6,1.
29 Iulia: Plut. Mar. 6,2; Legat: 6,1.3, Wahlen: 8,3 f. gegen Cic. off. 3,79.
30 Kampagne: Plut. Mar. 8,4 f.; 9,2.4; zum Quellenproblem Hinard 1989,81-85. Metel-
lus: Plut. Mar. 10,1; Vell. 2,11,3. Triumph: Inscrlt 13,2,85; 561.
31 Plut. Sulla 3,1. „dass ...": Val. Max. 6,9,6.
32 Badian 1970,7f.