Wildmeerschweinchen graben keine Baue und Allerdings haben die Gruppen nur wenig
legen keine Nester an. Sie suchen vor allem Kontakt miteinander. Es ist nicht klar, ob die
Schutz vor der Tageshitze und Fressfeinden in Böcke untereinander eine feste Rangordnung
vorhandenen Höhlen, verlassenen Bauen, Fels- ausfechten oder ob sie keinerlei Kontakte
spalten und vor allem im dichten Gebüsch, wo pflegen und andere Böcke, inklusive ihrer ge-
sie nur Hohlräume schaffen, indem sie Pflan- schlechtsreifen Nachkommen, ausschließlich
zenteile abnagen. Im hohen Gras legen sie sich vertreiben und auf Abstand halten. Innerhalb
ebenfalls Höhlen und Trampelpfade an. So sind der Meerschweinchengruppe gibt es eine kla-
sie vor Fressfeinden relativ gut geschützt. Zur re Rangordnung. Die Böcke haben die Aufgabe,
Nahrungsaufnahme werden niedrigere Weide- die Weibchen und Jungen zu beschützen. Sie
flächen bevorzugt. verteidigen ihre Weibchen auch gegen andere
Böcke. Die Weibchen pflegen innerhalb des Ha-
Gruppenleben rems enge Freundschaften und ziehen die Jun-
Tschudi-Meerschweinchen leben in Gruppen. gen gemeinsam groß. Die ganze Gruppe geht
Eine Gruppe besteht aus einem Bock, zwei bis vor allem in den Morgen- und Abendstunden
drei Weibchen, seinem sogenannten Harem, zusammen auf Futtersuche. Dabei bewegen
und deren Jungtieren. Üblicherweise steht das sich die Tiere auf ihren Trampelpfaden hinter-
älteste und somit ranghöchste Weibchen dem einander, also im Gänsemarsch, fort. Beim
Bock besonders nah und unterstützt ihn. Meh- Fressen auf der Wiese bleibt die Gruppe immer
rere solcher Harems bilden eine lose Groß- dicht zusammen. Stößt eines der Tiere einen
gruppe, die ein Gebiet durchstreift und bewohnt. Warnruf aus, fliehen alle Meerschweinchen.
Aufmerksam und immer zur Flucht bereit, Wenn einer aufpasst, können die anderen im
wird die Umgebung überwacht. sicheren Versteck in aller Ruhe fressen.
8 Das Meerschweinchen
Der Weg zum Heimtier herum. Sie werden vor allem mit Küchen-
Es kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, abfällen gefüttert. Diese Küchenabfälle be-
wie lange Meerschweinchen schon domesti- stehen überwiegend aus Maisblättern und an-
ziert sind. Es gibt unterschiedliche Quellen mit deren Gemüseresten. Dazu kommt eine Kost
Angaben, die von 5 000 v. Chr. bis zu 2 000 v. Chr. aus wildwachsenden Gräsern, Zweigen und
reichen. Die ältesten gesicherten Funde aus Blättern.
dem Hochland werden um 900 v. Chr. datiert. Bunte und Rosettenmeerschweinchen wur-
Diese Funde zeigen schon alle Besonderhei- den schon früh gern als Opfertiere verwendet,
ten von domestizierten Meerschweinchen. weshalb sie seit mindestens 2 000 Jahren ge-
Es wird deshalb davon ausgegangen, dass zielt nach Farben und Fellarten gezüchtet
Meerschweinchen, vor allem die der Altiplano- werden. Erst im 16. Jahrhundert gelangten
Region, wo heute noch Tschudi-Meerschwein- die ersten Meerschweinchen durch portugie-
chen wild vorkommen, schon wesentlich län- sische und spanische Händler nach Nordame-
ger in der Obhut der Menschen lebten. In rika, Portugal und Spanien. Anfangs wurden
Peru, Ecuador und Chile wurden und werden sie noch als exotische Besonderheiten von
sie vorwiegend als Opfertiere sowie Fleisch- Adeligen zur Schau gestellt. Durch ihre Ver-
und Pelzlieferanten gehalten. Sie leben häufig mehrungsfreude und ihre Anpassungsfähig-
mit den Menschen im Haus zusammen und keit wurden sie aber schon bald zu beliebten
laufen frei in den Hütten auf dem Boden Haustieren bei der Bevölkerung und gelangten
Farb- und Fellvarianten, wie Rosetten oder weiße Meerschweinchen gibt es schon lange.
Vom Wildmeerschweinchen zum Heimtier 9
vor allem im 17. Jahrhundert in weitere euro- Arten werden in „Gattungen“ zusammenge-
päische Länder und nach Deutschland. In fasst. Gattungen, deren Arten Ähnlichkeiten
Europa wurden sie nicht im großen Stil als haben, bilden eine „Familie“, die wiederum in
Nutztiere gehalten. Vor allem ihr ruhiges und Ordnungen zusammengefasst werden. Geht
freundliches Wesen sowie ihre Farben- und man höher, stellt man fest, dass Meerschwein-
Fellvielfalt macht sie bei Züchtern und Heim- chen in die Familie der Säugetiere gehören,
tierhaltern zu beliebten Haustieren. sie gehören zu unserer Familie.
Diese Einteilungen sind keine starren Ge-
Namensndung bilde und es kommt immer wieder zu neuen
Woher kommt eigentlich der recht ungewöhn- Klassifizierungen von Tieren. Unsere Meer-
liche Name? Die kleinen Wesen können weder schweinchenartigen gehören zu den Tieren,
schwimmen, noch leben sie im Meer und mit bei denen es zunehmend Zweifel an der bishe-
Schweinen sind sie auch nicht verwandt. Es rigen Ordnung gibt. Die Forschung hat anhand
gibt viele Erklärungen zur Namensfindung: von genetischen und biochemischen Untersu-
Dem Etymologischen Wörterbuch „Kluge“ ist chungen in den letzten Jahren zu der Erkennt-
zu entnehmen, dass früher die Stachelschwei- nis geführt, dass sie sich so stark von allen
ne so genannt wurden. Noch älter wäre die anderen Nagern unterscheidet, sodass sie ei-
Bezeichnung „meriswin“ für Delphine, die gentlich nicht in die Ordnung der Nager passen.
hoch quieken, ähnlich wie unsere Haustiere, Beispielsweise halten sie ihr Futter nicht mit
und im Meer leben. Eine andere und sehr po- den Vorderpfoten fest wie die meisten Nager
puläre Erklärung ist die, dass die Tiere „Meer“ und es gibt auch Unterschiede im Genom.
im Namen haben, weil sie über das Meer ka-
men, und „Schweinchen“ weil sie wie Schweine Biologische Systematik
quieken. In England heißen die Tiere Guinea
Pigs, weil sie früher für „einen Guinea“ (eine Ordnung: Nagetiere (Rodentia)
alte Münzeinheit) zu bekommen waren. Heute Dazu gehören 29 Familien, unter anderem
wird dort die Bezeichnung „Cavie“ verwendet, Chinchilla, Hörnchen, Mäuseartige.
Unterordnung: Stachelschweinverwandte
die auf ihre Lebensweise in Höhlen hinweist.
(Hystricomorpha)
Meerschweinchenfans schreiben den Namen
Dazu gehören Stachelschweine und Meer-
gern um in „Mehrschweine“, weil man immer
schweinchenverwandte.
mehr davon haben möchte, oder „Möhren-
Teilordnung: Hystricognathi
schweinchen“, weil sie gern Möhren fressen.
Dazu gehören unter anderem Chinchillas,
Stachelratten und Baumratten.
Familie: Meerschweinchenartige (Caviidae)
Zoologische Zuordnung Dazu gehören 5 Gattungen, unter anderem
Zwergmeerschweinchen und Wieselmeer-
In der Biologie werden Tiere systematisch er- schweinchen.
fasst und in Kategorien aufgeteilt. Maßgeblich Gattung: Echte Meerschweinchen (Cavia)
für diese Einteilungen sind die ganz speziellen Dazu gehören vermutlich 8 Arten, unter an-
Merkmale einer Tiergruppe. So werden alle derem das Gemeine Meerschweinchen (Cavia
Tiere, die sich theoretisch untereinander er- aparea) und das Tschudi Meerschweinchen
folgreich fortpflanzen könnten und weitere (Cavia tschudii).
spezifische Merkmale haben, die als klares Art: Hausmeerschweinchen (Cavia porcellus
Erkennungsmerkmal dienen können, in einer form. domestica)
„Art“ zusammengefasst. Sehr nah verwandte
10 Das Meerschweinchen
Stachelschweine sind wehrhafte und eher Wasserschweine sind wohl die imposantesten
entfernte Verwandte unserer Heimtiere. Verwandten der Meerschweinchen.
11
Die Verdauung
Die Mundhöhle des Meerschweinchens wird
in zwei Abschnitte unterteilt. Im vorderen
„Nageraum“ wird die Nahrung mit den Nage-
zähnen grob zerkleinert. Große Backenwülste
teilen den hinteren „Kauraum“ ab. Dort wird
die Nahrung mit den Backenzähnen fein zer-
kleinert (zermahlen). Im Maul wird die Nah-
rung eingespeichelt und dann über die Speise-
röhre in den Magen weitergeleitet. Im Magen
(Fassungsvermögen bei erwachsenen Tieren
ca. 20–30 ml) wird die Nahrung vermengt, mit
Am Anfang der Verdauung steht die Futterauf- verschiedenen Enzymen aufgespalten und
nahme, bevorzugt in Form von Gras.
übereinander geschichtet. Der Magen ist ein-
höhlig und dünnwandig und besitzt nur eine
geringe Muskulatur. Innerhalb von 1–7 Stun-
den gelangt der Speisebrei vom Magen in den
12 cm langen Zwölffingerdarm. Am Zwölffin-
gerdarm liegen der Gallengang und der Aus-
führungsgang der Bauchspeicheldrüse.
Der Darm des Meerschweinchens verfügt
über eine geringe Muskulatur. Der Speisebrei
wird nur in geringem Maß durch die Bewe-
gung der Darmmuskulatur (Darmperistaltik)
weitergeleitet, sondern in erster Linie durch
nachkommende Nahrung. Er wird deshalb
auch als „Stopfdarm“ bezeichnet.
Der lange Grashalm wird mit den Backenzähnen Im Anschluss an den Zwölffingerdarm
zermahlen und dabei eingezogen. (Duodenum) passiert der Speisebrei den Leer-
darm (Jejunum) und den Krummdarm (Ileum),
die zusammen 120 cm lang sind. Dort findet
eine weitere enzymatische Aufspaltung des
Speisebreis statt, gelöste Futterbestandteile
werden aufgenommen, Eiweiße werden syn-
thetisiert.
Der Blinddarm des Meerschweinchens
(Zäkum/Caecum) ist ca. 15 cm lang. Er liegt
gekrümmt (hufeisenförmig) an der Bauch-
wand an und wird in drei Abschnitte unterteilt.
Im Blinddarm befinden sich Bakterien, die für
die Aufspaltung und Bildung von Vitaminen
lebenswichtig sind. Im Blinddarm wird ein
Es dauert nur wenige Sekunden, bis der Grashalm spezieller Kot durch Vitamine und Eiweiß an-
komplett verschwunden ist. gereichert. Dieser Blinddarmkot macht etwa
Anatomie der Meerschweinchen 13
30 % des Kotes aus. Er passiert den Dickdarm pH-Wert von etwa 8–9. Im Dickdarm (ca. 80 cm
unverändert und wird vom Meerschweinchen lang) werden die Nährstoffe aufgenommen,
direkt am Anus wieder aufgenommen. So ver- Wasser wird entzogen. Die gesamte Darm-
sorgen sich Meerschweinchen mit Eiweißen passage kann etwa 5 Tage dauern!
und verschiedenen Vitaminen. Es finden sich Die Ausscheidung stickstoffhaltiger End-
im Zäkum hauptsächlich anaerobe und gram- produkte des Stoffwechsels geschieht durch
positive Bakterien (Kokken, Lactobacillen). die Nieren, Harnleiter, Harnblase und Harn-
Die Darmflora hat im Idealfall einen basischen röhre.
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Legende:
1 Schneidezähne 5 Luftröhre 9 Leber (vierteilig) 13 Blinddarm
2 Lymphdrüsen 6 Lungen beidseitig 10 Gallenblase 14 Dickdarm
3 Kehlkopf 7 Herz 11 Magen 15 Dünndarm
4 Speicheldrüsen 8 Zwerchfell 12 Zwölffingerdarm 16 Blase
14 Das Meerschweinchen
Auf ihren sehr kurzen Beinchen können Meer- Dieses ältere Meerschweinchen ist etwas struppig
schweinchen erstaunlich schnell sein. und mager, aber immer noch fit.
Anatomie der Meerschweinchen 15
Bei diesem Lunkarya steht das bunte Fell wild Ein Schildpattmeerschweinchen mit nicht ganz
und lockig in alle Richtungen ab. optimaler Farbverteilung.
16 Das Meerschweinchen
Dieses schöne und dekorative Silberagouti schaut Käse mag dieses Tierchen nicht, obwohl es ganz
recht neugierig in die Welt. deutlich ein Holländer ist.
Peruaner verfügen über langes Fell, zwei Wirbel an der Hüfte und über eine wilde Tolle.
Das Fell am Kopf dieses Peruaners wurde gekürzt, damit es nicht in die Augen fällt.
Die Sinneswahrnehmungen unserer Heimtie (der Mensch hat knapp 400). Jeder einzelne
re unterscheiden sich sehr von der mensch spricht auf einen bestimmten Geruch an. Da-
lichen Wahrnehmung. Sie können besser rie mit können Meerschweinchen sehr viele un-
chen, orientieren sich an Gerüchen, hören terschiedliche Geruchsmuster unterscheiden.
besser, können dafür aber schlechter sehen. Wenn ein Meerschweinchen etwas genauer
Sie haben einen sehr guten Tastsinn und ihr untersuchen möchte, fängt es an zu „schnüf-
Geschmackssinn ist ebenfalls gut ausge feln“, um mit dem so entstehenden Luftzug
prägt. Sie leben in einer ganz anderen Welt mehr Luft und somit mehr Duftmoleküle zum
als wir und so ganz werden wir ihre Welt Geruchsorgan zu leiten.
wohl nie verstehen. Der Geruchssinn der Meerschweinchen ist
also wesentlich stärker ausgeprägt als der des
Menschen. Sie können sogar verschiedene Grä-
Schnuppernasen – ser am Geruch erkennen und diese in getrock-
die Welt der Düe netem Zustand aus einem Heuberg mithilfe ih-
rer Nase selektieren. So könnten sie also auch
Einer der wichtigsten Sinne für Meerschwein- mit geschlossenen Augen genau feststellen,
chen ist der Geruchssinn. Mit ihrer Nase er- was sie fressen können und was nicht.
schnuppern sie leicht, welche Futtermittel
fressbar sind und welche nicht. Sie erkennen Dudrüsen
ihre Artgenossen und Freunde am Geruch, Meerschweinchen markieren ihre Umge-
sogar deren Gemütszustand ist für sie über bung mit ihren Duftdrüsen. Sie verfügen aller-
den Duft zu erkennen. dings nur über wenige Duftdrüsen und mar-
Die Nase der Meerschweinchen ist verhält- kieren nicht sehr intensiv. Beim Bock befindet
nismäßig groß. Sie verfügt im Inneren über ein sich unterhalb des Afters zwischen Anus und
sensibles Geruchsorgan (Organum olfactus), das Hoden eine große Hauttasche. Sie enthält zwei
mehr als 1 000 unterschiedliche Rezeptoren hat Perinealdrüsen (saccus perinei), die eine stark
Die Sinne der Meerschweinchen 19
Kühlschranktür? Gemüsefach? Dieses kleine Schweinchen hat etwas sehr Interessantes gehört.
Sie verfügen über mehr Stäbchen im Auge als kleinen Einschränkung hören sie damit recht
wir Menschen. Diese Stäbchen sind lichtemp- gut. Das müssen sie auch, denn Meerschwein-
findlich, je mehr vorhanden sind, umso besser chen kommunizieren sehr viel über ihre Laut-
kann Restlicht eingefangen und genutzt wer- sprache miteinander und schließlich soll diese
den. Meerschweinchen können also auch in vom Artgenossen gehört werden. Sie nehmen
der Dämmerung noch sehr gut sehen. Töne in einem Frequenzbereich von 16 bis
33 000 Hertz wahr, einige Quellen gehen sogar
davon aus, dass sie Töne bis 45 000 Hertz re-
Wir hören alles gistrieren. Vor allem ihre Warnrufe und die
Rufe von Jungtieren sind teilweise sehr hoch,
Während die Wildform unserer Hausmeer- sie liegen also in Bereichen, die wir nicht mehr
schweinchen über trichterförmige, kleine hören. Das könnte erklären, warum die ganze
Ohrmuscheln verfügt, die den Schall perfekt Schweinebande plötzlich hysterisch wegläuft,
in das Ohr leiten, haben unsere Haustiere obwohl wir nichts gehört haben und uns wun-
häufig große Schlappohren. Doch trotz dieser dern, was da los ist.