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Deutsch im Sprachvergleich – Grammatische

Kontraste und Konvergenzen


Bericht von der 47. Jahrestagung des Instituts für Deutsche Sprache,
15.-17. März 2011

von Christine Günther

Wenn man einen Blick in die traditionellen Gramma- einzelsprachlich orientierte Betrachtungsweise einen
tiken wirft, so wird man feststellen, dass die Struktur entscheidenden Nachteil – die Besonderheiten einer
der deutschen Sprache hier eher isoliert beschrieben Sprache können so gar nicht erfasst werden, da sich
wird, das heißt, dass sich die Beschreibung gramma- die spezifischen Charakteristika natürlich erst im
tischer Phänomene auf das Deutsche konzentriert. Vergleich mit anderen Sprachen zeigen. Mit anderen
Hierbei handelt es sich sicherlich um fundierte Ana- Worten: Wenn nur das Deutsche betrachtet wird, las-
lysen der deutschen Sprachstruktur, die wichtige Ein- sen sich gar keine Aussagen darüber treffen, was nun
blicke und Erkenntnisse liefern. Allerdings hat diese charakteristisch für diese Sprache ist. Ebenso wenig
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lassen sich Gemeinsamkeiten mit anderen Sprachen Nach der Eröffnungsrede durch den Direktor des IDS,
herausstellen. Phänomene, die nicht nur auf eine Spra- Ludwig M. Eichinger, und der Begrüßung durch Ga-
che beschränkt sind, sind aber briele Warminski-Leitheußer,
wiederum von Bedeutung für die Bürgermeisterin der Stadt Mann-
linguistische Theoriebildung. heim, führte Lutz Gunkel (IDS),
einer der Organisatoren der dies-
Etwa seit den sechziger Jah- jährigen Jahrestagung, zunächst
ren versucht man diesen Kritik- ins Thema ein.
punkten mit der so genannten
„kontrastiven Linguistik“ zu be- Anschließend thematisierte Ekke-
gegnen. Das bedeutet, dass man hard König (FU Berlin / Freiburg
linguistische Phänomene unter- Institute for Advanced Studies) in
schiedlichster Art im Sprach- seinem Vortrag „Zum Stellenwert
vergleich betrachtet. Als Ver- der Kontrastiven Linguistik inner-
gleichssprachen werden sowohl halb der vergleichenden Sprach-
genetisch eng verwandte als wissenschaft“ die Frage nach den
auch typologisch stark verschie- Aufgaben und Zielen, aber auch
dene Sprachen gewählt. Durch nach den Grenzen der kontrastiven
die Kontrastierung lassen sich Linguistik. Der Begriff „verglei-
dann Gemeinsamkeiten und Un- chende Sprachwissenschaft“ als
terschiede erkennen, die in einer solcher ist nicht mit dem Begriff
Einzelsprachenanalyse verborgen Eröffnungsrede des Direktors des IDS, „kontrastiver Linguistik“ gleich-
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Ludwig M. Eichingerzusetzen und unspezifischer als
bleiben.
dieser, da er, wie König darlegte,
Auch für die Analyse der deutschen Sprache bietet der weitere Ebenen des Vergleichs umfasst. Dazu zählen
Sprachvergleich interessante Möglichkeiten und neue (1) die Variation innerhalb einer Sprache, also die
Perspektiven, was auch in einer Reihe kontrastiv an- Unterschiede zwischen verschiedenen Dialekten ei-
gelegter Projekte der Abteilung Grammatik am IDS ner Sprache, die sogenannte „Mikrovariation“, (2)
deutlich wird. Dies sind „Grammatik des Deutschen die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft, die
im europäischen Vergleich“, „EuroGr@mm“ und unterschiedliche Entwicklungen und Entwicklungs-
„Sprachvergleich Deutsch-Portugiesisch: Konnekto- stufen von Sprachen in die Analyse intersprachlicher
ren“ sowie im Projekt „Syntaktische und semantische Variation mit einbezieht, (3) die Sprachtypologie, die
Parameter bei der Distribution eingebetteter Sprachen anhand be-
komplexer Prädikationen“ in Kooperation mit stimmter Kriterien in
der Abteilung Lexik und der Universität Bu- größere Klassen ein-
karest. teilt und schließlich
(4) die „interkulturelle
Die Relevanz sprachvergleichender For- Kommunikation“, die
schung spiegelt sich ebenfalls in den themati- den Gebrauch von
schen Schwerpunkten der IDS-Jahrestagung- Sprache mit Bezug auf
en wider – bereits 1969 wurden „Probleme der den kulturellen Kon-
kontrastiven Grammatik“ erörtert, 1995 stand text untersucht. Natür-
ein „Typologisches Porträt des Deutschen“ lich haben alle diese
im Fokus der Tagung. Auch in diesem Jahr Ebenen des Sprachver-
wurden im Rahmen des Themas „Deutsch im gleichs Einfluss auf die
Sprachvergleich – Grammatische Kontraste kontrastive Linguistik
und Konvergenzen“ Aspekte der unterschied- und sind nicht immer
lichsten Ebenen linguistischer Beschreibung scharf voneinander zu
–  von der Lautebene bis zum Sprachge- trennen. Die Sprachty-
brauch – aus kontrastiver Perspektive beleuch- pologie beispielsweise
tet. Neben der konkreten Analyse spezifischer bildet gewissermaßen
Phänomene wurden dabei auch die Möglich- den Hintergrund für
keiten des Beitrages zum Erkenntnisgewinn Begrüßung der Tagungsteinehmer durch die kontrastive Analyse
durch die kontrastive Sprachforschung exem- Gabriele Warminski-Leitheußer, Bürger- einzelner Phänomene:
plifiziert und diskutiert. meisterin der Stadt Mannheim Feinere Unterschiede,

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die sich an einem bestimmten Beispiel manifestieren, Vortrag „Über die Markierung prosodischer Grenzen:
sind oft darauf zurückzuführen, dass die verglichenen Deutsch und Polnisch kontrastiv“ mit akustischen
Sprachen verschiedenen Klassen angehören. Hier wird Grenzsignalen. Anhand von Tonaufnahmen der Reden
also deutlich, inwiefern sich die kontrastive Linguistik von Konrad Adenauer, Thomas Mann und Richard
von der Sprachtypologie unterscheidet: Sie stützt sich von Weizsäcker sowie Jerzy Popiełuszko, Władysław
auf feinkörnigere Be- Anders und Władysław
obachtungen und zieht Sikorski wurde unter-
kleinere Abweichungen sucht, wie Pausen und
in Betracht, während die Glottalisierungen als
Typologie sich an gröbe- akustische Signale für
ren Kriterien zur Klassi- die Grenzen von Kon-
fizierung orientiert. Ein stituenten benutzt wer-
weiteres Merkmal der den. Die grundlegende
kontrastiven Linguistik Frage hierbei war, ob
ist laut König ihre syn- dabei sprach- oder spre-
chrone Ausrichtung. Das cherabhängige Faktoren
bedeutet, dass Sprache, die entscheidende Rolle
anders als bei der his- spielen. Auch wenn die
torisch-vergleichenden präsentierten Ergebnisse
Sprachwissenschaft, nur Einführung in das Thema der diesjährigen Tagung durch zunächst den Eindruck
in ihrer derzeitigen Form Dr. Lutz Gunkel erweckten, dass sowohl
betrachtet wird. Einen Pausen als auch Glotta-
problematischen Aspekt birgt die Abgrenzung der lisierung sprachspezifisch sind, so zeigte sich bei ge-
kontrastiven Linguistik zum Bereich der Mikrovari- nauerer Betrachtung, dass Pausen und Äußerungen im
ation: König weist darauf hin, dass der kontrastiven Polnischen zwar kürzer sind, dies aber durch die Spre-
Analyse eine starke Orientierung an der Standard- cher bedingt ist. Die Frequenz der glottalen Markie-
sprache zugrunde liegt. Es ist aber offenkundig, dass rung hängt auch in beiden Sprachen vom Sprechtempo
Dialekte bzw. Varietäten einer Sprache sich deutlich ab: Je schneller der Sprecher, desto mehr Glottalisie-
von der Standardsprache abheben können. Die zu un- rungen werden benutzt; vermutlich, da letzteres mit
tersuchenden Kontraste zwischen Sprachen sind dann weniger artikulatorischem Aufwand verbunden ist. Bei
natürlich auch stark abhängig davon, ob Varietäten in der Betrachtung anderer Faktoren traten sprachspezi-
der Analyse Berücksichtigung finden. Da sich aber fische Unterschiede auf: So scheint die Markierung
auch außerhalb der Standardsprache für eine kontras- von Grenzen beispielsweise im Deutschen stärker von
tive Untersuchung interessante Phänomene finden las- der Betonung der Silben abzuhängen, was Zygis auf
sen, wird die kontrastive Linguistik in dieser Hinsicht die unterschiedlichen Betonungssysteme der beiden
laut König zunehmend flexibler. So wurde in diesem Sprachen zurückführte. Ebenso zeigen sich bei dem
Vortrag entsprechend dem Tagungsthema betont, dass Einfluss der Position der Wörter sowie der Wortarten
sich in der kontrastiven Linguistik ein Mehrwert durch (Inhaltswörter vs. Funktionswörter) Unterschiede zwi-
Perspektivenwechsel ergibt: Wenn Sprachen mit ande- schen dem Polnischen und dem Deutschen.
ren verglichen werden, ergeben sich neue Beobachtun-
gen, die dann wiederum zu neuen Generalisierungen Neben der Phonetik wurde nun in Renate Raffel-
über Sprache führen können. siefens Vortrag „Hohe Vokale und Gleitlautbildung:
Deutsch, Französisch und Englisch im Vergleich“
Nachdem mit diesem Vortrag das Profil der kontrasti- auch die Phonologie in Betracht gezogen, wobei die
ven Linguistik veranschaulicht wurde, widmeten sich Referentin für eine klare Trennung der beiden Ebenen
die nachfolgenden Vorträge der Präsentation kontras- argumentierte. Im Fokus standen dabei zunächst das
tiver Studien zu verschiedensten sprachlichen Phäno- Deutsche und die Frage, ob es sich bei dem Gleitlaut
menen. Dabei arbeitete man sich sukzessive durch die [j] (wie in ja) und den schließenden Diphthongen in
Ebenen der sprachwissenschaftlichen Analyse: Die [ai], [ɔi] und [au] um eigene Phoneme handelt, wie in
Vorträge deckten den Bereich von der Phonetik über den Beschreibungen des Deutschen üblicherweise an-
die Morphologie zur Syntax und darüber hinaus zur genommen wird. Das Problem einer solchen Annahme
Informationsstruktur ab. besteht darin, dass die Laute komplementär verteilt
sind – sie sind jeweils auf bestimmte Teile der Silbe,
So beschäftigte sich Marzena Zygis (Zentrum für den Ansatz, den Nukleus und die Koda beschränkt.
Allgemeine Sprachwissenschaft, Berlin) in ihrem Auch die starke phonetische Ähnlichkeit lässt die Ana-

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lyse der Laute als eigene Phoneme fraglich erscheinen. gungen angibt. Diese Sichtweise erlaubte nun einen
Raffelsiefen zeigte, dass es tatsächlich die Kontexte, neuen Blick auf das Deutsche: Auch hier lassen sich
also die jeweiligen Positionen in der Silbe, sind, die laut Wiese die Substantivparadigmen ableiten, wenn
die Wahl der Laute determinieren. Dies gilt nicht nur die relevanten Stammklassen und ein entsprechend
für das Deutsche, sondern lässt sich auch für das Fran- konzipiertes Suffixinventar gegeben sind. Das bedeu-
zösische und Englische demonstrieren. Sprachspezifi- tet, dass Deklinationsklassen im traditionellen Sinn im
sche Unterschiede werden damit erklärt, dass indivi- Deutschen keine Rolle mehr spielen.
duelle hohe Vokale mit bestimmten Silbenpositionen
unterschiedlich vereinbar sind. Hierbei handelt es sich Nach der Flexion ging es weiter mit der Derivation –
um phonologische Markiertheitsbeschränkungen, die im letzten Vortrag des Dienstags befasste sich Mat-
sprachübergreifend begründet sind. Auch dieser Vor- thias Hüning (FU Berlin) mit der „Wortbildung im
trag machte deutlich, welchen Beitrag eine kontrastive niederländisch-deutschen Sprachvergleich“, insbeson-
Perspektive zum wissenschaftlichen Erkenntnisge- dere mit den Konvergenzen bei der Adjektivbildung in
winn leisten kann. diesen genetisch eng verwandten Sprachen. Ein Bei-
spiel lieferte das Wortbildungsmuster „x-haft“ (z.B.
Nach der Präsentation des von Elke Donalies (IDS) hünenhaft, schurkenhaft), das dem niederländischen
verfassten Buches „Sprache ist der beste Koch. Ein „x-achtig“ entspricht und unter anderem eine verglei-
linguistisches Menü“ am Stand des Narr Verlags wid- chende Funktion innehat. Zunächst fallen sprachspe-
meten sich Nanna Fuhrhop und Rebecca Barghorn zifische Unterschiede auf, da es im Niederländischen
(Universität Oldenburg; Präsentation durch Fuhrhop) mehr Möglichkeiten gibt: een tafelpootachtig voor-
im ersten Vortrag des Nachmittags den „Prinzipien werp beispielweise ist schwer als ein tischbeinhaftes
der Wortschreibung im Deutschen und Englischen“. Objekt zu übersetzen. Hüning zeigte nun aber, dass
Ihr Ziel war es, bisherige Erkenntnisse zum deutschen sich hier semantisch bedingte „Produktivitätsinseln“
Schriftsystem auf die Analyse englischer Schreibprin- finden lassen. So gibt es unter anderem in der Gruppe
zipien zu übertragen. So gibt es im Deutschen drei mit Personenbezeichnungen als Basis oder bei Farb-
Sprechdiphthonge, die sechs Schreibdiphthongen ent- bezeichnungen wieder systematische direkte Entspre-
sprechen. Die Vokale, die als zweiter Bestandteil im chungen: vlegelachtig – flegelhaft, blauwachtig – bläu-
Schreibdiphthong vorkommen, können nicht gedop- lich. Auf der Basis dieser Ergebnisse argumentierte
pelt werden, das heißt, es gibt keine Schreibungen wie Hüning dafür, Produktivität als ein graduelles Phäno-
<uu> oder <ii>. Im Englischen ergibt sich ein etwas men aufzufassen, was nur bestimmte Subklassen be-
anderes Bild: Hier werden die nicht-zweiten Bestand- trifft, also sehr lokal wirkt. Das wiederum hat Einfluss
teile gedoppelt. So gibt es <ee> oder <oo>, weil <ea> auf die zugrunde liegende morphologische Theorie –
und <oa> existieren, aber nicht <aa>, da es ja als zwei- Hüning plädierte für einen Begriff des Lexikons wie
ter Bestandteil in <ea> vorkommt. Auch bei Doppel- er in konstruktionsgrammatischen Theorien verstan-
konsonanten ergeben sich Unterschiede zwischen den den wird. Somit zeigte sich auch durch diese Präsen-
beiden Sprachen. tation, welchen Mehrwert eine kontrastive Perspektive
birgt: Auf deskriptiver Ebene lassen sich genauere und
Im Anschluss ging Bernd Wiese (IDS) in seinem Vor- feinkörnigere Ergebnisse erzielen, die dann wiederum
trag „Deklinationsklassen im Sprachvergleich“ der einen Beitrag zur Theoriebildung leisten.
Frage nach, inwiefern sich Deklinationsklassen, wie
man sie aus der Analyse der klassischen Sprachen Der erste Tag fand einen gelungenen Abschluss bei ei-
wie Latein kennt, eignen, um das Flexionsverhalten nem Begrüßungsabend im IDS, wo die durch Vorträge
deutscher Substantive zu erfassen. Da das Deutsche in initiierten Diskussionen in geselliger Runde weiterge-
seiner heutigen Form ja eine recht beschränkte Nomi- führt wurden.
nalflexion aufweist – es befindet sich sozusagen auf
dem Weg, den das Englische bereits gegangen ist  – Im ersten Vortrag des Mittwochvormittages „Europäi-
erscheint die Annahme, dass Flexion durch die Zu- sche Besitzungen: Areallinguistische und typologische
gehörigkeit zu bestimmten nicht-ableitbaren Klassen Gedanken zur gespalteten Possession“ argumentierte
determiniert wird, problematisch. Wiese betrachtete Thomas Stolz (Universität Bremen) gegen die An-
nun zunächst die Flexion der Substantive im Ungari- nahme, dass die Sprachen Europas dadurch charakte-
schen, Italienischen und Polnischen. Danach kann der risiert sind, dass sie bei der Kodierung von Possession
Bau der Flexionsformen transparent gemacht werden, nicht zwischen veräußerlichem („alienablem“) und
wenn man das Zusammenspiel von Stammklassen und nicht-veräußerlichem („inalienablem“) Besitz unter-
Suffixen analysiert und bei den Suffixen neben Form scheiden, wie es beispielsweise im Montagnais, einer
und Funktion jeweils spezifische Anwendungsbedin- Sprache aus Québec, der Fall ist. Hier wird Posses-

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sion bei Verwandtschaftstermini durch Präfix markiert Folge – vergleiche Peter ist ins Kino gegangen und
(c-əkaw ‚deine/eure Mutter‘), bei Inanimata hingegen Peter ist in das Kino gegangen. Die Koordination von
durch Prä- und Suffix (ci-nıpi-m ‚dein/euer Wasser‘). Nominalgruppen weist bezüglich Verschmelzungen
Auch wenn nicht alle europäischen Sprachen bezüg- ebenfalls sprachspezifische Unterschiede auf, aber sie
lich Possession die prototypische Unterscheidung zwi- zeigt auch, dass die Form weder im Deutschen noch
schen alienabel und inalienabel formal ausdrücken, im Französischen allein von ihrer direkten Umgebung
zeigen sich auch hier Fälle gespaltener Possession, abhängt und deswegen auch nicht einfach als Kontrak-
die semantisch bedingt sind. So wird beispielsweise tion von Präposition und Artikel verstanden werden
im Maltesischen eine unterschiedliche „Beziehungs- kann.
enge“ zwischen Possessor und Possessum formal rea-
lisiert: So entsprechen sowohl Ktiebi als auch il-ktieb Ebenfalls am Mittwoch stellte der Narr Verlag die
tiegh̄i beide dem deutschen mein Buch, allerdings ist Reihe „Korpuslinguistik und interdisziplinäre Per-
der Sprecher im ersten Fall der Autor, im zweiten Fall spektiven auf Sprache“ vor. Zudem wurde das europä-
der Besitzer. Nach der Analyse weiterer Sprachen, wie ische Kooperationsprojekt EuroGr@mm präsentiert.
z.B. Isländisch oder Albanisch, präsentierte Stolz eine Dabei handelt es sich um ein durch das IDS und fünf
areale Gliederung Europas bezüglich der Possession, Forschergruppen aus dem europäischen Ausland gebil-
die verdeutlichte, dass gespaltene Possession auch in detes Forschungsnetzwerk, das das Deutsche auf euro-
europäischen Sprachen sehr wohl eine Rolle spielt. päischer Ebene typologisch und kontrastiv betrachtet.
Die Ergebnisse werden auf der IDS-Internetplattform
Im Anschluss betrachtete Jacques François die „ProGr@mm“ in der Komponente „Kontrastiv“ zu-
„Kombination der Ausdrucksmittel von Richtung gänglich gemacht. Die Besucher der Jahrestagung er-
und Bewegungsart im deutsch-französischen Sprach- hielten bei dieser Präsentation die Möglichkeit, sich
vergleich“. In dieser „Untersuchung anhand von ver- mithilfe bereitgestellter Computer selbst mit dem Pro-
gleichbaren Korpora“ analysierte der Vortragende die gramm vertraut zu machen und sich mit den beteilig-
Verben, die in der französischen Gerundkonstruktion ten Forschern auszutauschen.
„V1<fortbew.> en V2<bew.art>ant“ und ihrer deut-
schen Entsprechung „V<bew.art> + Richtungsparti- Lutz Gunkel und Susan Schlotthauer (IDS) befass-
kel/Adposition“ vorkommen. François unterscheidet ten sich nach der Pause in ihrem Vortrag „Adnominale
zwei Arten von Gerundien: das parataktische,
das eine Gleichzeitigkeitsrelation kodiert, wie
in je sors en criant dans le corridor ‚ich gehe
schreiend auf den Gang hinaus‘ und das hypo-
taktische Gerundium, das eine Vermittlungsrela-
tion ausdrückt, wie in un gros insecte de bois qui
entre en bourdonnant par la fenêtre ouverte ‚ein
großes Waldinsekt, das durch das offene Fenster
hereinsummt‘. Auch methodische Aspekte wur-
den thematisiert: Der Vortragende hob die Vor-
teile von vergleichbaren Korpora gegenüber Pa-
rallelkorpora für eine derartige Analyse hervor.

Patricia Cabredo Hofherr (CNRS, Paris 8)


widmete sich in ihrem Vortrag „Verschmel-
zungsformen von Präposition und Artikel.
Deutsch und Französisch kontrastiv“ der Syn- Präsentation des europäischen Kooperationsprojekts EuroGr@mm
tax-Morphologie-Schnittstelle. Die Referentin
argumentiert, dass Verschmelzungsformen – wie bei- Adverbien im europäischen Vergleich“ ebenfalls mit
spielsweise ins oder am – post-syntaktisch eingefügt der Nominalgruppe aus einer kontrastiven Perspek-
werden und dabei syntaktischen Anwendungsbedin- tive. Sie untersuchten, ob auch die Vergleichssprachen
gungen unterliegen. Sie zeigte anhand von Beispie- Englisch, Französisch, Ungarisch und Polnisch adno-
len sprachspezifische Unterschiede auf: Während die minale Modifikation durch Adverbien, wie in das Tref-
Verschmelzungsform im Französischen obligatorisch fen heute, zulassen, um welche Typen von Adverbien
ist (le père du garçon ‚der Vater des Jungen‘ / *le père es sich dabei handelt und welche Strategien der Anbin-
de le garçon), sind im Deutschen oft beide Formen dung des adverbialen Modifikators an den nominalen
möglich, haben dann aber Bedeutungsunterschiede zur Kopf jeweils verfügbar sind. Bei letzteren handelt es

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sich um Juxtaposition (unser Haus hier), Adjektivie- jeweiligen formalen und funktionalen Eigenschaften
rung (unser hiesiges Haus) und formale Verknüpfung präsentiert. In der Analyse zeigten sich sowohl be-
(der Vortrag von gestern). Trotz sprachspezifischer züglich Quantität als auch bezüglich diskurspragma-
Unterschiede bezüglich der Verfügbarkeit der einzel- tischer Funktion sprachspezifische Unterschiede: it-
nen Strategien offenbart der Sprachvergleich inter- Clefts sind häufiger als deutsche es-Clefts und haben
essante Gemeinsamkeiten: Die Wahl einer Strategie verschiedene Funktionen, während es-Clefts in erster
hat jeweils einen spezifischen semantischen Effekt. Linie kontrastiv benutzt werden. Bei den W(h)-Clefts
So lässt die kontrastive Perspektive generelle Rück- sind die Unterschiede vor allem quantitativer Natur,
schlüsse über Modifikation in der NP zu, auch wenn wie eine Studie anhand eines Parallelkorpus („Euro-
die Anbindungsstrategien in den einzelnen Sprachen parl“) verdeutlichte. Gast und Wiechmann führten das
jeweils unterschiedlichen Typen adnominaler Modifi- seltenere Auftreten von Clefts im Deutschen auf die
kation (diese umfassen die quantitative, die qualitative, freiere Wortstellung zurück: Clefts werden benutzt,
die klassifikatorische und die referentiell-verankernde um Konstituentenstruktur und Informationsstruktur
Modifikation) entsprechen. zu synchronisieren. Die Adjazenz jeweils von Hin-
tergrund und Fokusmaterial, die lineare Synchroni-
Christoph Schroeder (Universität Potsdam) beschäf- sierung, kann im Deutschen auch durch Wortstellung
tigte sich ebenfalls mit der Modifikation durch Adver- erzielt werden. Clefts werden hier daher eher zur hie-
bien. In seinem Vortrag „Nominal- und verbbezogene rarchischen Synchronisierung benutzt. Somit veran-
adverbiale Modifikation in einem typologisch orien- schaulicht die kontrastive Analyse, wie quantitative
tierten Sprachvergleich Deutsch – Türkisch“ wurden Unterschiede aus allgemeineren sprachspezifischen
zunächst eine Reihe von semantischen Orientierungen Gegebenheiten folgen.
bei ereignisinternen Adjunkten unterschieden. So gibt
es z.B. referentenorientierte Adjunkte, die sich auf ei- Im Anschluss folgte Hardarik Blühdorns (IDS)
nen am Ereignis beteiligten Referenten beziehen – Er Vortrag „Zur Syntax adverbialer Satzverknüpfungen:
trank den Kaffee kalt, d.h. der Kaffee war kalt – oder Deutsch – Portugiesisch – Italienisch“, der sich mit
vorgangsorientierte Adjunkte wie in Peter lachte hell, satzförmigen und satzwertigen Adverbialia beschäf-
wo der Vorgang des Lachens hell war. Es folgte eine tigte. Beispiele hierfür sind etwa durch Subjunktoren
Übersicht über die Form von Adjunkten und ihre je- eingeleitete Nebensätze, Anne wurde geboren, als Otto
weiligen semantischen Orientierungen in den beiden 44 war, oder durch Präpositionen eingeleitete Infini-
Sprachen. Die Analyse zeigte, dass im Türkischen tivgruppen, der Präsident hat das Angebot, ohne zu
auf formaler Ebene stärker zwischen Satzadjunkten zögern, akzeptiert. Ein umfassender Vergleich der drei
und NP-internen Adjunkten unterschieden wird als im Sprachen zeigte sowohl formale als auch funktionale
Deutschen. Auf lexikalisch-semantischer Ebene liegt Unterschiede der verschiedenen Realisierungen. So
im Türkischen „ein größeres funktionales Gewicht“ sind beispielsweise die adverbialen Infinitivgruppen
auf den ereignisinternen Adjunkten als im Deut- im Deutschen immer subjektlos, weisen im Portugiesi-
schen, was auf die Zugehörigkeit zu unterschiedli- schen aber durchaus Subjekte auf. Zudem gibt es hier
chen Sprachtypen zurückgeführt wurde. Das Deutsche im Deutschen nur drei einleitende Präpositionen, wäh-
ist eine „satellite framed“ Sprache, das Türkische ist rend im Italienischen und Portugiesischen zahlreiche
„verb framed“. Schroeder formulierte die Hypothese, Präpositionen auftreten können. Dies korreliert mit
dass ereignisinterne Adjunkte in verb framed Spra- der Bandbreite an Funktionen der Konstruktion: Im
chen stärker grammatikalisiert werden als in satellite Italienischen und Portugiesischen können zahlreiche
framed Sprachen, was noch durch einen umfassende- semantische Relationen kodiert werden. Der Vergleich
ren Vergleich gezeigt werden muss. So verdeutlichte zeigt, dass zwar alle drei Sprachen im Wesentlichen
dieser Vortrag, wie der Vergleich zweier typologisch über die gleichen formalen Ausdrucksmittel verfügen,
sehr verschiedener Sprachen zu generellen Aussagen diese aber unterschiedliche Anwendungsbereiche auf-
über Sprachtypen verhelfen kann. weisen, was wiederum Einfluss auf sowohl die Fre-
quenz der einzelnen Realisierungen hat als auch auf
Im Anschluss widmete man sich wieder eng ver- die Kontexte, in denen sie gebraucht werden.
wandten Sprachen: Volker Gast (vortragend) und
Daniel Wiechmann (Universität Jena) stellten eine Im Anschluss an den letzten Vortrag begab man sich
Korpusstudie zu „Spaltsätze[n] im Englischen und in den Gartensaal im Schloss Mannheim, in dem die
Deutschen“ vor, das heißt sogenannte „Cleft“-Kon- Stadt Mannheim zu einem Empfang für die Teilneh-
struktionen wie Obviously, it is the result that interests menden der Jahrestagung eingeladen hat.
us und ihren Entsprechungen im Deutschen (Was uns
interessiert, ist selbstverständlich das Resultat). Es Natürlich spielt auch in der kontrastiven Linguistik
wurden zunächst verschiedene Cleft-Typen und ihre die Methodik zur Datengewinnung eine entschei-

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dende Rolle. Dies zungen Bedeutungskomponenten er-
wurde zum einen in mitteln lassen, die sich durch eine auf
den bisherigen Vorträ- das Deutsche beschränkte Studie kaum
gen deutlich, es wurde hätten zeigen lassen.
aber auch immer wie-
der in den anschlie- Attila Péteri (Universität Budapest)
ßenden Diskussionen verglich in seinem Vortrag „Die Mar-
thematisiert. Im ersten kierung ausgewählter Interrogativ- und
Vortrag am Donners- Imperativsatztypen im Deutschen und
tag beschäftige sich Ungarischen. Parallelen und Diskre-
Jonas Kuhn (Uni- panzen“ wieder zwei aus typologischer
versität Stuttgart) nun Sicht stark verschiedene Sprachen.
explizit mit der Frage Ausgehend von der in der Literatur
„Analysierte Paral- vorherrschenden Auffassung, dass das
lelkorpora für die Begrüßung der Jahrestagungsteilnehmer beim Ungarische aufgrund seiner durch prag-
sprachvergleichende Empfang der Stadt Mannheim im Schloss durch matische Funktionen gesteuerten Wort-
Grammatik: Was kön- den Ersten Bürgermeister Christian Specht stellung mit dem Deutschen, wo die
nen computerlinguis- Wortstellung grammatisch determiniert
tische Methoden leis- ist, nicht vergleichbar ist, zeigte Péteri
ten?“. In diesem methodologischen Beitrag wurden anhand von Satztypen, dass es eben doch Gemeinsam-
zunächst die Idealanforderungen an einen Korpuszu- keiten in diesen so verschiedenen Sprachen gibt. Die
gang, wie z.B. die absolut fehlerfreie Annotation bei Wortstellungen im Deutschen und Ungarischen wei-
großen Datenmengen, mit realistischen Möglichkeiten sen Konvergenzen auf, auch wenn sie sich stark un-
kontrastiert. Kuhn erläuterte nun, wie automatische terscheiden. Der ungarische Satz wird durch den Ver-
Techniken in der Analyse von Parallelkorpora genutzt balkomplex in zwei Hälften geteilt, wobei die vordere
werden können. Dazu gehören die automatische syn- Hälfte mit dem deutschen Vorfeld vergleichbar ist.
taktische Annotation mithilfe von statistischen Depen-
denz-Parsern und die automatische Wort-Alignierung. Es folgte Valéria Molnárs (Universität Lund) Prä-
Die Möglichkeiten und Grenzen dieser technischen sentation „Zur Relevanz der linken Peripherie für die
Werkzeuge wurden anhand des Beispiels deutscher Strukturierung der Information – kontrastive und typo-
und englischer Spaltsätze verdeutlicht und diskutiert. logische Überlegungen“. Dabei standen pragmatische
und strukturelle Bedingungen für die Füllung der Po-
Cathrine Fabricius-Hansen und Wiebke Ramm sition am linken Satzrand im Mittelpunkt. Molnár ar-
(Universität Oslo) knüpften in ihrem Vortrag „Ein Pa- gumentierte gegen die gängige Annahme, dass es eine
rallelkorpus im Einsatz: grammatische Variation im universelle Topik-Fokus-Ordnung gibt, da nicht nur
Bereich der Informationsverarbeitung und Satzverbin- die Topik sondern auch kontrastive Elemente am Satz-
dung (Deutsch – Norwegisch – Englisch/Französisch)“ anfang Kohärenz herstellen können, und schlug statt-
inhaltlich an – sie präsentierten zwei Beispiele, um zu dessen „C-Markierung“, also Kohärenz, als relevantes
zeigen wie das „Oslo Multilingual Corpus“
für die kontrastive Sprachforschung genutzt
werden kann. Zum einen waren dies Satzver-
knüpfungen durch den deutschen Konnektor
wobei und die norwegischen Entsprechun-
gen, zum anderen wurden Ereignisbeschrei-
bungen im deutsch-englisch-französischen
Vergleich betrachtet. Die Referentinnen be-
tonten, dass es nicht die Absicht sei, einen
Ergebnisbericht zu liefern. Vielmehr standen
methodologische Aspekte im Vordergrund:
Es wurde deutlich, dass ein Parallelkorpus
auch ohne komplexe Annotationen gewinn-
bringend für eine kontrastive Studie einge-
setzt werden kann. Zudem demonstrierte
die Analyse von wobei, dass sich durch den Empfang der Stadt Mannheim für die Teilnehmenden der Jahrestagung
Vergleich mit den entsprechenden Überset- im Gartensaal des Mannheimer Schloss

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Merkmal vor. Hier wurde zwischen Kontinuität und Italienischen, Bulgarischen, Russischen und Mongo-
Kontrast unterschieden: Kontinuität setzt Ähnlichkeit lischen zeigte, dass die Formen auch in anderen Spra-
oder Identität der Einheiten voraus, Kontrast impli- chen indefinit gebraucht werden können, was darauf
ziert die Zugehörigkeit zu einer identischen Menge hindeutet, dass dies nicht an das jeweilige Artikel- und
oder Skala. Die sieben nicht-verbinitialen Sprachen Demonstrativsystem einer Sprache geknüpft ist. Dies
Französisch, Schwedisch, Finnisch, Russisch, Eng- muss sich jedoch in weiteren Untersuchungen zeigen.
lisch, Deutsch und Ungarisch lassen sich nun auf der
Basis ihrer C-Markierung in Klassen einteilen, die hie- Die Jahrestagung 2011 hat einen umfassenden Über-
rarchisch geordnet sind. Dabei werden phonologische, blick darüber gegeben, welche Möglichkeiten sich
morphologische, syntaktische aber auch pragmatische durch eine Betrachtungsweise unter dem Motto
Kriterien in Betracht gezogen. Dieser Vortrag machte „Deutsch im Sprachvergleich – Grammatische Kon-
deutlich, wie auf der Basis von kontrastiver Linguistik traste und Konvergenzen“ für die Analyse der deut-
sprachübergreifende Generalisierungen – wie das „C- schen Sprache ergeben, welcher Mehrwert sich durch
Constraint“ – formuliert werden können. den „Perspektivenwechsel“ ergibt und welche Anfor-
derungen dies an die zukünftige Forschung stellt.
Klaus von Heusinger (Universität Stuttgart) präsen-
tierte als letzter Referent einen Vortrag mit semanti-
schem Schwerpunkt – „Referentialität, Spezifizität und Die Jahrestagung 2012 wird sich mit dem Thema „Das
Diskursprominenz im Sprachvergleich“ betrachtet die Deutsch der Migranten“ (Arbeitstitel) befassen. Sie
Eigenschaften der Ausdrücke dies und so’n in ihrer in- findet vom 13.-15.03. im Rosengarten Mannheim statt.
definiten Gebrauchsweise wie in Da war dieser andere
Bursche aus dem Kosovo, der … und Da wohnt so’n
Typ in mir, vor dem hab ich manchmal selber angst,
wo die Referenten sowohl hörer- als auch diskursneu Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut
sind. Beide Formen sind im Deutschen referentiell, für Deutsche Sprache in Mannheim.
spezifisch und führen Referenten mit hoher Prominenz
in den Diskurs ein. Ein Vergleich mit dem Englischen, Fotos: Annette Trabold

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