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Planungshandbuch

Fernwärme
Zweck und Motivation Das Planungshandbuch umfasst folgende Teile:
Fernwärme ermöglicht die Nutzung von Abwärme Teil 1 Grundlagen behandelt die Rahmenbedingungen,
sowie den Einsatz von erneuerbaren Energien und die Wärmebereitstellung, die Wärmeverteilung und die
gewinnt deshalb zunehmend an Bedeutung. Das Wärmeübergabe und umfasst Basisinformationen, die
Planungshandbuch Fernwärme gibt eine Einführung in einer frühen Projektphase benötigt werden.
in die technischen und betrieblichen Grundlagen zur
Teil 2 Planung und Berechnung behandelt die für die
Realisierung von Fernwärmenetzen und es soll dazu
Ausführungsplanung erforderlichen Informationen. In
beizutragen, dass neue Fernwärmenetze effizient und
Teil 2 werden Themen vertieft, die zum Teil in Teil 1
ökonomisch ausgeführt und betrieben werden.
bereits eingeführt werden.
Teil 3 Optimierung beschreibt das Vorgehen zur Ana-
Zielpublikum lyse bestehender Fernwärmenetze sowie zur Ent-
wicklung von Massnahmen zu deren Optimierung.
• Heizungsingenieure und Heizungsplaner,
Als Ergänzung zu den drei Hauptteilen beinhaltet der
• Tiefbauingenieure und im Rohrleitungsbau Anhang detaillierte Auslegungsdiagramme sowie Infor-
tätige Fachpersonen,
mationen zu Normen und Literatur.
• Kaderleute in Planungsfirmen für Heizung,
Haustechnik und Tiefbau,
Verantwortlichkeiten und Anwendung
• Mitarbeiter von Heizungsfirmen,
Die Inhalte des Planungshandbuchs wurden auf Basis
• Betreiber von Fernwärmenetzen.
der Erfahrungen der Autoren und unter Verwendung
der zitierten Fachliteratur aufgearbeitet. Die Bearbei-
tung wurde zudem durch Fachverbände und Branchen-
Geltungsbereich
vertreter begleitet. Obwohl die Informationen nach
Das Planungshandbuch beschreibt die Grundlagen zu bestem Wissen aufbereitet wurden, wird für deren An-
Planung, Ausführung und Optimierung der Wärmever- wendung keine Haftung übernommen. Das Planungs-
teilung und der Wärmeübergabe von Fernwärmenet- handbuch soll als Basis für die Aus- und Weiterbildung
zen. Die Ausführungen beschränken sich dabei auf fol- dienen und regelmässig aktualisiert werden. Anmerkun-
gende Anwendungsbereiche: gen und Verbesserungsvorschläge werden gerne ent-
gegen genommen.
• Als Wärmeträgermedium dient flüssiges Wasser.
• Die Auslegung beschränkt sich auf direkt nutzbare
Wärme mit Temperaturen ab 40°C.
• Die Wärmeverteilung erfolgt grossteils mit Kunst-
stoffmantelrohren, wodurch die Dauerbetriebstem-
ISBN 3-908705-30-4
peraturen auf 120°C bis 140°C begrenzt werden.
Version 1.2 vom 26. September 2018
Die Netzauslegung wird unabhängig von der Art der
Wärmeerzeugung behandelt. Daneben werden die Ersetzt Version 1.0 vom 6. April 2017
Techniken zur Wärmeerzeugung beschrieben und die Ersetzt Version 1.1 vom 21. September 2017
Einflüsse zwischen Wärmeerzeugung und Wärmever-
Free-Download unter: www.qmfernwaerme.ch
teilung hingewiesen und auf die Besonderheiten von
Energieholz, Abwärme und Umgebungswärme einge-
gangen. Die detaillierte Auslegung der Wärmeerzeu-
gung ist aber nicht Gegenstand des vorliegenden
Handbuchs.
Inhalt

Diese Studie wurde im Auftrag von EnergieSchweiz erstellt.


Für den Inhalt sind alleine die Autoren verantwortlich.

Adresse
EnergieSchweiz, Bundesamt für Energie BFE
Mühlestrasse 4, CH-3063 Ittigen. Postadresse: 3003 Bern
Infoline 0848 444 444. Energieschweiz.ch/beratung
energieschweiz@bfe.admin.ch, www.energieschweiz.ch
Planungshandbuch Fernwärme

Autoren: Arbeitsgemeinschaft QM Fernwärme


Prof. Dr. Thomas Nussbaumer, Verenum, 8006 Zürich (Projektleiter)
Stefan Thalmann, Verenum, 8006 Zürich
Andres Jenni, Ardens GmbH, 4410 Liestal
Joachim Ködel, Gruner Gruneko AG, 4020 Basel

Auftraggeber
Bundesamt für Energie

Patronat
VFS Verband Fernwärme Schweiz
SVGW Schweizerischer Verein des Gas- und Wasserfaches
SWKI Schweizerischer Verein von Gebäudetechnik-Ingenieuren
suissetec Schweizerisch-Liechtensteinischer Gebäudetechnikverband

Mitarbeit
Werner Betschart, Hochschule Luzern – Technik & Architektur, 6048 Horw
Walter Böhlen, Verband Fernwärme Schweiz VFS, 5443 Niederrohrdorf
Marc Burkard, Hoval AG, 8706 Feldmeilen
Marcel Büchler, ERZ Entsorgung + Recycling Zürich, 8050 Zürich
Lukas Bühler, Porta Ingenieure Planer Geometer, Porta AG, 3800 Interlaken
Michael Cueni, Triplex Energieplaner AG, 4450 Sissach
Robert Diana, Schweizerisch-Liechtensteinischer Gebäudetechnikverband (suissetec), 8021 Zürich
Prof. Dr. Ludger Fischer, Hochschule Luzern – Technik & Architektur, 6048 Horw
Reto Gadola, SWKI, 6105 Schachen
Dr. Jürgen Good, QM Holzheizwerke®, 8006 Zürich
Andreas Hurni, Verband Fernwärme Schweiz VFS, 5443 Niederrohrdorf
Martin Jutzeler, Energie Wasser Bern EWB, 3001 Bern
Gerhard Oppermann, Verband Fernwärme Schweiz VFS, 4410 Liestal
Urs Peter, isoplus (Schweiz) AG, 8546 Islikon
Josef Rohner, LOGSTOR Schweiz AG, 8105 Regensdorf
Nathalie Spiller, Schweizerischer Verein des Gas- und Wasserfaches SVGW, 8027 Zürich
Prof. Matthias Sulzer, Hochschule Luzern – Technik & Architektur, 6048 Horw
Andreas Theiler, Triplex Energieplaner AG, 4450 Sissach
Reto von Euw, Hochschule Luzern – Technik & Architektur, 6048 Horw
Thomas Wälti, Merki + Häfeli AG, 5303 Würenlingen
Martial Wicht, Schweizerischer Verein des Gas- und Wasserfaches SVGW, 8027 Zürich
Ludovic Yvert, Brugg Rohrsystem AG, 5314 Kleindöttingen
Planungshandbuch Fernwärme

Inhalt 2.10.3.3 Wärmedämmung ...................................... 43


2.10.3.4 Auskühlung über die Zeit .......................... 44
2.10.4 Speicherdesign und Auslegung ....................... 44
GRUNDLAGEN ...................................... 9 2.10.5 Integration und Anwendung............................. 47
2.10.5.1 Integration im Wärmesektor...................... 47
1 Einleitung ........................................ 10 2.10.5.2 Integration in WKK-Anlagen ..................... 48
1.1 Entwicklung der Fernwärme ..................... 10 3 Verbindung Wärmebereitstellung –
1.2 Begriffe und Bedeutung von Fernwärme in Wärmeverteilung ............................. 49
der Schweiz .............................................. 10
3.1 Netztemperaturen .................................... 49
1.3 Temperaturniveau .................................... 11
1.4 Vor- und Nachteile .................................... 11 3.1.1 Vorlauftemperatur............................................ 49
3.1.2 Rücklauftemperatur ......................................... 49
1.5 Effizienz und Kosten ................................. 12
3.2 Netzfahrweise .......................................... 50
2 Wärmebereitstellung ...................... 16
3.2.1 Gleitende Fahrweise ....................................... 50
2.1 Wärmebedarf einzelner Abnehmer .......... 16 3.2.2 Gleitend-Konstante Fahrweise ........................ 50
2.1.1 Raumwärme.................................................... 16 3.2.3 Konstante Fahrweise....................................... 50
2.1.2 Warmwasser und Prozesswärme ................... 16 3.3 Pumpen.................................................... 51
2.1.3 Temperaturbedarf ........................................... 16
3.3.1 Bauarten .......................................................... 51
2.2 Gesamtwärmebedarf ................................ 17 3.3.2 Energieeffizienz ............................................... 51
2.3 Wärmeleistungsbedarf ............................. 18 3.3.3 Pumpenregelung ............................................. 52
2.4 Bedarf Altbau und Neubau ....................... 18 3.4 Pumpenschaltung .................................... 53
2.5 Auslegung Wärmeerzeuger ...................... 20
3.4.1 Parallelschaltung ............................................. 53
2.6 Bewertung von Wärme und Strom ........... 22
3.4.2 Serienschaltung............................................... 54
2.6.1 Wirkungsgrad und Nutzungsgrad .................... 22 3.4.3 Redundanz ...................................................... 54
2.6.2 Gesamtwirkungsgrad ...................................... 22
2.6.3 Gewichteter Gesamtwirkungsgrad .................. 24 3.5 Netzregelung ........................................... 55
3.5.1 Regelkonzept .................................................. 55
2.7 Wärmeerzeugung und Potenzial der
3.5.2 Messort der Differenzdruckregelung ............... 56
Fernwärme ............................................... 25 3.5.3 Wärmenetze mit stark variablem Durchfluss und
2.8 Reine Wärmeerzeugung (Heizwerke) ...... 27 hoher Vorlauftemperatur ................................. 57
2.8.1 Holzheizkessel ................................................ 27 3.5.4 Getrennte Fernleitungsgruppen für Winter- und
2.8.2 Direkt nutzbare Abwärme................................ 30 Sommerbetrieb ................................................ 57
2.8.3 Niedertemperatur-Abwärme und
3.6 Nenndruck................................................ 58
Umgebungswärme .......................................... 30
3.7 Druckverlauf im Fernwärmenetz .............. 58
2.8.3.1 Wärmepumpen zur Temperaturanhebung 30
2.8.3.2 Wärmequellen für Wärmepumpen ........... 31 3.8 Druckerhöhung und Netztrennung .......... 60
2.8.4 Solarthermie.................................................... 33 3.9 Druckhaltung ............................................ 61
2.8.5 Geothermie ..................................................... 35 3.9.1 Druckhaltesysteme .......................................... 61
2.9 Wärme-Kraft-Kopplung (Heizkraftwerke) . 36 3.9.2 Einbindung der Druckhaltung .......................... 62
3.9.3 Expansionsvolumen und Nachspeisemenge ... 63
2.9.1 Übersicht ......................................................... 36
2.9.2 Dampfturbinen ................................................ 36 4 Wärmeverteilung – Grundlagen ..... 65
2.9.3 Dampfmotoren ................................................ 37 4.1 Entwicklung .............................................. 65
2.9.4 Organic Rankine Cycle ................................... 37
4.2 Verteilarten mit abnehmender Temperatur
2.9.5 Verbrennungsmotoren .................................... 37
2.9.6 Offene Gasturbinen......................................... 38 ................................................................. 65
2.9.7 WKK und Wärmepumpe ................................. 38 4.2.1 Dampf-Verteilung ............................................ 65
2.9.8 Geschlossene Gasprozesse ........................... 38 4.2.2 Heisswasser-Verteilung ................................... 66
2.9.9 Systemvergleich.............................................. 39 4.2.3 Warmwasser-Verteilung .................................. 66
4.2.4 Niedertemperatur-Verteilung ........................... 67
2.10 Thermische Energiespeicher .................... 40
2.10.1 Eigenschaften und Begriffe ............................. 40 4.3 Komponenten .......................................... 68
2.10.2 Speichertechnologien ..................................... 41 4.3.1 Rohrsysteme ................................................... 68
2.10.2.1 Sensible Wärmespeicherung ................... 41 4.3.1.1 Kunststoffverbundmantelrohr (KMR) ........ 68
2.10.2.2 Latente Wärmespeicherung ..................... 42 4.3.1.2 Kunststoffmediumrohr (PMR) ................... 69
2.10.2.3 Thermochemische Wärmespeicherung .... 42 4.3.1.3 Metallmediumrohr (MMR) ......................... 69
2.10.3 Grundlagen der Energiespeicherung .............. 42 4.3.1.4 Glasfaserverstärktes Kunststoffrohr (GFK-
2.10.3.1 Speichervorgang ...................................... 42 Rohr) ........................................................ 70
2.10.3.2 Thermische Energie ................................. 42 4.3.1.5 Stahlmantelrohr (SMR) ............................. 70

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Inhalt

4.3.1.6 Doppelrohrausführung.............................. 70 4.8.2 Empfehlung an die Wasserbeschaffenheit in der


4.3.1.7 Auswahl des Rohrsystems ....................... 71 Fernwärmetechnik ........................................... 94
4.3.2 Leckageüberwachung ..................................... 73 4.8.2.1 Warmwasser bis 110°C ............................ 94
4.3.2.1 Überwachungssysteme ............................ 73 4.8.2.2 Heisswasser ab 110°C ............................. 95
4.3.2.2 Ortungsverfahren ..................................... 74
4.3.2.3 Dokumentation und Prüfung..................... 75 5 Wärmeübergabe – Grundlagen ...... 96
4.3.3 Armaturen ....................................................... 75 5.1 Begriffe..................................................... 96
4.3.3.1 Schieber ................................................... 75 5.1.1 Hausanschlussleitung ..................................... 96
4.3.3.2 Ventile ...................................................... 77 5.1.2 Hausanschlussraum ........................................ 96
4.3.3.3 Hähne....................................................... 77 5.1.3 Wärmeübergabestation ................................... 96
4.3.3.4 Klappen .................................................... 77 5.1.4 Hauszentrale ................................................... 97
4.3.3.5 Einsatzbereich.......................................... 78 5.1.5 Hausstation ..................................................... 97
4.3.3.6 Betriebliche Hinweise ............................... 79 5.1.6 Kompaktstation................................................ 97
4.3.3.7 Kennzeichnung und Dokumentation ........ 80 5.1.7 Hausanlage ..................................................... 97
4.4 Netzaufbau ............................................... 80 5.2 Anschlussvarianten .................................. 97
4.4.1 Unterteilung nach Anzahl Leitungen ............... 80 5.2.1 Direkter Anschluss .......................................... 98
4.4.2 Hauptverteilung ............................................... 81 5.2.2 Indirekter Anschluss ........................................ 98
4.4.3 Unterverteilung und Hausanschlüsse ............. 82
4.4.4 Entwicklung der Netzstruktur .......................... 82 5.3 Wärmeliefervertrag .................................. 99
4.4.5 Entlüftung und Entleerung............................... 83 5.3.1 Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) ...... 99
4.4.6 Messeinrichtungen .......................................... 84 5.3.2 Technische Anschlussvorschriften (TAV) ...... 100
4.5 Verlegemethoden ..................................... 84 5.3.3 Tarifblatt ........................................................ 100

4.5.1 Oberirdische Verlegung .................................. 84


4.5.2 Unterirdische Verlegung im Kanal ................... 84 PLANUNG UND BERECHNUNG ....... 101
4.5.3 Unterirdische Verlegung im Graben ................ 84
4.5.4 Grabenlose Verlegung .................................... 84 6 Projektablauf ................................. 102
4.5.4.1 Bodenverdrängungsverfahren .................. 85 6.1 Übersicht ................................................ 102
4.5.4.2 Bodenentnahmeverfahren ........................ 85
6.2 Qualitätssicherung ................................. 102
4.5.4.3 Düker........................................................ 85
6.3 Unterschiede zwischen SIA 108 und
4.6 Häufige Verlege-Situationen .................... 86 Planungshandbuch Fernwärme ............. 103
4.6.1 Befestigte Oberflächen ................................... 86 6.4 Phase 1: Vorstudie ................................ 105
4.6.2 Unbefestigte Oberflächen ............................... 86 6.4.1 Potenzielles Wärmeversorgungsgebiet ......... 105
4.6.3 Führung an Geländeabschnitten ..................... 86 6.4.2 Umfrage Schlüsselkunden ............................ 106
4.6.4 Privatgrundstücke ........................................... 86 6.4.3 Aktualisieren Wärmeversorgungsgebiet ........ 107
4.6.5 Nachträglich anzuschliessende Verbraucher .. 86 6.4.4 Erste wirtschaftliche Betrachtung .................. 108
4.6.6 Berücksichtigung anderer leitungsgebundener
Sparten ........................................................... 86 6.5 Phase 2: Entwurfsplanung ..................... 111
4.6.6.1 Strom- und Fernmeldekabel ..................... 86 6.5.1 Konkretisieren der Schlüsselkunden ............. 111
4.6.6.2 Gas- und Wasserleitungen ....................... 87 6.5.2 Umfrage Kleinwärmeabnehmer ..................... 111
4.6.6.3 Abwasser- und Regenwasserleitungen .... 87 6.5.3 Festlegen Versorgungsgebiet........................ 111
4.7 Tiefbau ...................................................... 87 6.5.4 Zweite wirtschaftliche Betrachtung ................ 111
6.5.5 Akquisition ..................................................... 112
4.7.1 Allgemeines .................................................... 87
4.7.2 Trassenplanung .............................................. 88 6.6 Phase 3: Planung, Ausschreibung und
4.7.2.1 Starre Rohrsysteme ................................. 88 Vergabe ................................................. 113
4.7.2.2 Flexible Rohrsysteme ............................... 89 6.6.1 Auslegung Wärmenetz .................................. 113
4.7.2.3 Bewilligungsverfahren .............................. 89 6.6.2 Spezifikation Übergabestation ....................... 113
4.7.3 Bauablauf ........................................................ 89 6.6.3 Baubewilligungsverfahren ............................. 113
4.7.3.1 Grabenaushub ......................................... 90 6.6.4 Ausschreibung vorbereiten ............................ 113
4.7.3.2 Rohrleitungsbau ....................................... 91 6.6.5 Submission .................................................... 114
4.7.3.3 Grabenverfüllung ...................................... 92 6.6.6 Dritte Wirtschaftliche Betrachtung ................. 114
4.7.3.4 Instandstellung ......................................... 93 6.6.7 Vergabe ......................................................... 114
4.8 Wasserqualität .......................................... 93 6.7 Phase 4: Ausführung und Abnahme ...... 115
4.8.1 Wasserarten.................................................... 93 6.7.1 Ausführungspläne ......................................... 115
4.8.1.1 Begriffe in der Gebäudetechnik ................ 93 6.7.2 Ausführung .................................................... 115
4.8.1.2 Begriffe in der Fernwärmetechnik ............ 93 6.7.3 Inbetriebnahme ............................................. 115
4.8.1.3 Flüssigkeitskategorien .............................. 94 6.7.4 Dokumentation .............................................. 115
6.7.5 Kostenkontrolle.............................................. 116

5
Planungshandbuch Fernwärme

6.7.6 Abnahme....................................................... 116 7.5.4 Frei verlegte Rohre........................................ 142


7.5.4.1 Rohrhalterung ......................................... 143
6.8 Phase 5: Betriebsoptimierung ................ 118
7.5.4.2 Verlegung mit Vorspannung ................... 144
6.8.1 Datenerfassung............................................. 118 7.5.5 Kunststoff-Medienrohre (PMR) ...................... 145
6.8.2 Auswertung ................................................... 119
6.8.3 Optimierung .................................................. 119 8 Wärmeübergabe – Technik und
6.9 Phase 6: Betrieb und Bewirtschaftung ... 120 Hydraulik ....................................... 146
6.9.1 Betriebskonzept ............................................ 120 8.1 Komponenten und Technik einer
6.9.2 Instandhaltung .............................................. 120 Hausstation ............................................ 146
6.9.3 Wartungsvertrag ........................................... 120 8.1.1 Wärmeleistungsbedarf .................................. 146
6.9.4 Versicherungen ............................................. 120 8.1.2 Werkstoffe und Verbindungen ....................... 146
8.1.3 Wärmedämmung ........................................... 146
7 Wärmeverteilung – Berechnung .. 122 8.1.4 Wärmezähler ................................................. 147
7.1 Wärmeverluste ....................................... 122 8.1.4.1 Einbau von Wärmezählern ..................... 147
7.1.1 Oberirdische Leitungen ................................. 123 8.1.4.2 Einhalten der Messbeständigkeit ............ 148
7.1.2 Erdverlegte Leitungen ................................... 124 8.1.4.3 Einfluss auf die Ventilautorität ................ 148
7.1.3 Spezifischer Wärmeverlust pro Trassenmeter 8.1.5 Druckabsicherung ......................................... 149
Rohrleitung.................................................... 126 8.1.6 Temperaturabsicherung ................................ 149
7.1.4 Jährliche Wärmeverluste............................... 126 8.1.7 Regelfunktionen ............................................ 152
7.1.5 Temperaturabfall in Funktion der Distanz ..... 127 8.1.8 Rücklauftemperatur ....................................... 152
8.1.9 Wärmeübertrager .......................................... 152
7.2 Druckverlust............................................ 128 8.1.10 Erdung ........................................................... 152
7.2.1 Gerade Rohrleitungen ................................... 128 8.1.11 Datenerfassung ............................................. 152
7.2.2 Druckverlust von Wellrohren ......................... 130 8.1.12 Schmutzfänger .............................................. 152
7.2.3 Druckverlust von Rohrleitungseinbauten ...... 130
8.2 Warmwassererwärmung ........................ 153
7.3 Dimensionierung der Rohrdurchmesser. 130 8.3 Legionellenproblematik .......................... 154
7.3.1 Empfehlungen ............................................... 131 8.4 Hydraulik ................................................ 156
7.3.2 Vorgehen ...................................................... 131 8.4.1 Hydraulisches Grundkonzept ........................ 156
7.3.2.1 Vorbereitung........................................... 131 8.4.2 Grundschaltungen ......................................... 157
7.3.2.2 Auslegung in vier Schritten..................... 132 8.4.2.1 Beimischschaltung .................................. 157
7.3.3 Berechnungsmethoden ................................. 132 8.4.2.2 Einspritzschaltung mit Durchgangsventil 157
7.3.3.1 Von Hand ............................................... 132 8.4.2.3 Drosselschaltung .................................... 157
7.3.3.2 Berechnungsprogramme ........................ 132 8.4.3 Regelventil..................................................... 157
7.4 Pumpenauslegung.................................. 133 8.4.4 Ventilautorität ................................................ 158
8.4.4.1 Automatischer Druckdifferenzregler ....... 159
7.4.1 Pumpenkennlinie .......................................... 133
8.4.4.2 Differenzdruckunabhängiges Regelventil
7.4.2 Anlagenkennlinie........................................... 133
(Kombiventil)........................................... 159
7.4.3 Proportionalitätsgesetze ............................... 133
8.4.5 Systeme bei variablen Netzen ....................... 160
7.4.4 Leistungsbedarf Pumpen .............................. 133
8.4.5.1 Statischer hydraulischer Abgleich ........... 160
7.4.5 Energiebedarf Pumpen ................................. 134
8.4.5.2 Hydraulischer Abgleich mit automatischen
7.4.6 Besonderheiten Auslegung ........................... 135
Differenzdruckregler ............................... 160
7.4.6.1 Problematik Überstrom........................... 135
8.4.5.3 Hydraulischer Abgleich mit
7.4.6.2 Zulaufgeschwindigkeit ............................ 135
differenzdruckunabhängigem Regelventil
7.4.6.3 Minimalvolumenstrom ............................ 136
(Kombiventil)........................................... 161
7.5 Rohrstatik ............................................... 136 8.4.5.4 Vergleich der Systeme zum hydraulischen
7.5.1 Was ist Rohrstatik ......................................... 136 Abgleich .................................................. 162
7.5.1.1 Druckfestigkeit und Wandstärke ............. 137 8.5 Standard-Schaltungen ........................... 163
7.5.1.2 Biegespannung bei Rohren .................... 138
8.5.1 Direkter Anschluss ........................................ 163
7.5.1.3 Wärmedehnung und Wärmespannung... 138
8.5.2 Indirekter Anschluss ...................................... 164
7.5.1.4 Überlagerung von Spannungen ............. 139
8.5.3 Warmwassererwärmung ............................... 166
7.5.1.5 Statischer Nachweis ............................... 139
8.5.4 Strahlpumpe .................................................. 168
7.5.2 Verlegetechnik und Auslegung ..................... 140
7.5.2.1 Dehnungsaufnahme ............................... 140 8.6 Anforderung an die Wärmeübergabe .... 169
7.5.2.2 Rohrstatische Auslegungstemperatur .... 140 8.6.1 Gebäudetechnik ............................................ 169
7.5.3 Erdverlegte Rohre (KMR).............................. 141 8.6.2 Heizsystem .................................................... 169
7.5.3.1 Kaltverlegung Methode 1 ....................... 141 8.6.3 Lüftungsanlage .............................................. 170
7.5.3.2 Kaltverlegung Methode 2 ....................... 142 8.6.4 Warmwassererwärmung und Zirkulation ....... 170
7.5.3.3 Thermische Vorspannung ...................... 142 8.6.5 Regelungstechnik .......................................... 170
7.5.3.4 Doppelrohre, Mehrfachrohre .................. 142

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Inhalt

9 Wirtschaftlichkeit .......................... 171 13.1 Übertragungsleistung bei verschiedenen


9.1 Verantwortlichkeiten ............................... 171 Temperaturspreizungen ......................... 191
9.2 Kostenstruktur ........................................ 171 13.2 Übertragungsleistung bei unterschiedlichen
9.3 Berechnung der Wärmegestehungskosten spezifischen Druckverlusten .................. 192
................................................................ 173 13.3 R-Wert-Tafel für nahtlose Stahlrohre ..... 193
9.4 Variantenvergleich .................................. 175 13.4 Abmessungen und spez. Wärmeverluste für
9.5 Businessplan, Planbilanz und KMR-, MMR- und PMR-Rohre ............... 197
Planerfolgsrechnung............................... 175 13.5 Spezifische Wärmeverluste pro
Trassenmeter Rohrleitung ..................... 201
13.6 Richtpreise Fernwärmeleitungen ........... 202
OPTIMIERUNG .................................. 177
14 Fragebogen für einen
10 Analyse und Optimierung der Fernwärmeanschluss ................... 204
Wärmeabnehmer ........................... 178 15 Symbole für Installationen ........... 207
10.1 Methode .................................................. 178 16 Formelzeichen und Indizes .......... 208
10.1.1 Grundlagen ................................................... 178 17 Glossar .......................................... 212
10.1.2 Mehrverbrauch .............................................. 179 18 Stichwortverzeichnis .................... 217
10.1.3 Einfluss auf die Rücklauftemperatur ............. 179 19 Quellenverzeichnis ....................... 220
10.2 Vorgehen ................................................ 180 19.1 Literatur .................................................. 220
10.2.1 Datenerfassung und Auswertung .................. 180 19.2 Normen- und Richtlinien ........................ 222
10.2.2 Beurteilung .................................................... 181
10.2.3 Umsetzung und Erfolgskontrolle ................... 182
10.3 Empfehlungen zur Analyse der
Wärmeabnehmer .................................... 182

ANHANG ............................................ 185


11 Stoffwerte von Wasser ................. 186
12 Ergänzungen zur Wasserqualität. 188
12.1 Messgrössen .......................................... 188
12.2 Verfahren der Wasseraufbereitung ........ 189
12.3 Verfahren der Wasserbehandlung
(Konditionierung) .................................... 189
13 Kenngrössen Rohrsysteme ......... 191

7
Planungshandbuch Fernwärme

8
Teil 1 Grundlagen

Grundlagen

9
Planungshandbuch Fernwärme

1 Einleitung 1.2 Begriffe und Bedeutung


von Fernwärme in der
1.1 Entwicklung der
Schweiz
Fernwärme
In der Gesamtenergiestatistik der Schweiz wird Fern-
Bei einer mittleren Jahrestemperatur von rund 8°C und wärme wie folgt beschrieben:
jährlich 200 bis 300 Heiztagen kommt der Beheizung
von Gebäuden in unseren Breitengraden eine wichtige „Als Fernwärme gilt eine Wärmeversorgung, in der für
Rolle zu. Die Beheizung und Bereitstellung von Warm- das Haupttransport- und Verteilnetz öffentlicher Boden
wasser sind Voraussetzungen für einen hohen Wohn- beansprucht wird und in der Wärme an Dritte verkauft
komfort, aber gleichzeitig auch verantwortlich für einen wird“ [18].
grossen Teil des Verbrauchs an fossilen Energieträgern. Da die Einschränkungen auf den Verkauf der Wärme
Das Prinzip der Zentralheizung kam mit Hypokausten und die Beanspruchung von öffentlichem Boden keine
zur Wärmeverteilung mittels Warmluft in Fussboden- technische Bedeutung hat, gelten die Ausführungen
und Wandheizungen bereits rund 2000 Jahre v. Chr. im des vorliegenden Handbuchs auch für Wärmeverteil-
griechischen Raum zum Einsatz und wurde später auch netze, bei denen Wärmeerzeuger und Wärmeabneh-
von den Römern genutzt. Trotzdem dauerte die Zeit der mer in einer Hand sind und kein öffentlicher Boden
offenen Feuerstellen und Herde in Europa noch viele beansprucht wird.
Jahrhunderte. So sind erst ab 1000 n. Chr. geschlos- Für kleinere Netze wird zum Teil auch der Begriff Nah-
sene Feuerstellen sowie Öfen aus Stein und Lehm be- wärme verwendet. In Deutschland wird damit die Über-
kannt. Ab dem 15. Jahrhundert kamen Kachelöfen und tragung von Wärme für Heizung und Warmwasser zwi-
ab dem 18. Jahrhundert Eisenöfen dazu, während sich schen Gebäuden mit Leistungen zwischen 50 kW und
die heutige Form der Zentralheizung erst nach dem einigen Megawatt beschrieben [10]. Von Minergie®
zweiten Weltkrieg etablierte. Bis da kamen ausserdem wird Nahwärme auch dann verwendet, wenn die Wär-
fast ausschliesslich feste Brennstoffe zum Einsatz, meproduktion einige Gebäude oder Gebäudekomplexe
während Heizöl erst ab Ende der 1940-er Jahre eine versorgt, ohne dass zwingend ein Verkauf an Dritte er-
grosse Verbreitung fand und Erdgas noch etwas später folgt [11]. Da der Übergang zwischen Nahwärme und
dazu kam. Fernwärme fliessend ist, wird in den folgenden Kapiteln
Die erste Anwendung von Fernwärme geht bereits auf des vorliegenden Handbuchs nur der Begriff Fernwär-
das Jahr 1332 zurück, als in Chaudes-Aigues im fran- me verwendet. In Deutschland gilt ausserdem nur der
zösischen Zentralmassiv Wasser aus heissen Quellen Begriff Fernwärme als technisch und juristisch korrekt,
zur Beheizung von rund 40 Häusern genutzt wurde [1]. während zur Unterscheidung zwischen zentraler Wär-
Als erstes Fernwärmenetz im heutigen Sinn gilt jedoch meerzeugung und Fernwärme weder die Distanz noch
ein in Lockport (New York, USA) errichtetes und mit die Grösse des Leitungsnetzes entscheidend sind [58].
Dampf betriebenes Netz, das auf mehrere Kilometer Effektiv ausgeführte Fernwärmenetze decken damit
ausgebaut wurde [2], [3]. Ab den 1920-er Jahren und einen breiten Leistungsbereich mit Anschlussleistungen
verstärkt ab 1960 setzte schliesslich vor allem in nörd- von weniger als 100 kW bis zu mehr als 1 GW ab.
lichen Ländern der Aufbau von Fernwärmenetzen ein. Für die statistisch erfasste Fernwärme wird mit
Bild 1.1 zeigt dazu ein Beispiel eines Netzes in Leipzig 18'300 TJ/a ein Anteil von rund 2.2 % am schweizeri-
in den 1980-er Jahren. In Dänemark, Schweden, Finn- schen Endenergieverbrauch von rund 840'000 TJ/a
land, Island, Polen, Tschechien und Österreich sind ausgewiesen [18]. Die Angaben zu Fernwärme basie-
heute mehr als 20 % aller Wohngebäude an Fernwär- ren auf einer seit 1978 durchgeführten Erhebung, wel-
me angeschlossen [3], [7], [9]. che nur die grossen Netze abdeckt, die grossteils von
Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA) versorgt werden.
Kleinere Netze mit Holz, übrigen erneuerbaren Ener-
gien, Wärmepumpen, Erdöl und Erdgas sind in der Sta-
tistik somit nicht erfasst, weshalb die effektive Bedeu-
tung der Fernwärme deutlich grösser ist.
Gemäss [19] liegt bis 2050 ein Potential für Fernwärme
zur Deckung des Wärmebedarfs von rund 17 TWh/a
bzw. 61'200 TJ/a vor, welches durch erneuerbare Ener-
gieträger gedeckt werden kann. Dies entspricht rund
38 % des langfristigen Wärmebedarfs für Raumwärme
und Warmwasser in der Schweiz.

Bild 1.1 Fernwärme, Leipzig 1986, DDR [4].

10
Teil 1 Grundlagen

1.3 Temperaturniveau 1.4 Vor- und Nachteile


Mit zunehmender Netztemperatur nehmen die Wärme- Fernwärme gewinnt zunehmend an Bedeutung, da sie
verluste des Fernwärmenetzes zu. Bei Überschreitung einen hohen Komfort für die Verbraucher erzielt und die
bestimmter Temperaturen steigen zudem die Anforde- Nutzung unterschiedlicher Wärmequellen ermöglicht.
rungen an Apparaturen und Rohre. Die maximale Vor- Als Wärmequellen für die im vorliegenden Handbuch
lauftemperatur ist deshalb eine wichtige Grösse zur behandelten Vorlauftemperaturen von über 40°C die-
Unterscheidung von Fernwärmenetzen. Während für nen meist automatische Holzheizwerke, Abwärme von
Neubauten Raumwärme ab rund 40°C direkt genutzt KVA oder der Industrie, mit Wärmepumpen genutzte
werden kann, wird für vorerwärmtes Brauchwarmwas- Umgebungswärme sowie Solarthermie.
ser eine Mindesttemperatur von 60°C verlangt, um die
Für Holz als Energieträger ermöglicht Fernwärme den
Sicherheit gegenüber Legionellen zu gewährleisten. Für
Einsatz grosser, automatisch betriebener Wärmeerzeu-
Brauchwarmwasser werden deshalb im Fernwärmenetz
ger. Dank effizienter Feinstaubabscheider und automa-
meist Vorlauftemperaturen von rund 70°C vorausge-
tisiertem Anlagenbetrieb kann damit sichergestellt wer-
setzt.
den, dass ein Ausbau der Holzenergie nicht zu einer
Nebst direkten Anwendungen zur Wärmenutzung be- erhöhten lokalen Belastung an Feinstaub führt, wie dies
steht zunehmend auch ein Interesse an der Verteilung bei ungeeignet betriebenen Kleinfeuerungen möglich ist.
von Wärme auf Temperaturniveaus von lediglich 6°C
Ein weiterer Vorteil von Fernwärme liegt im Raumge-
bis 20°C zum Beispiel als Quelle für dezentrale Wärme-
winn im Gebäude der Wärmeabnehmer, da der Raum-
pumpen. Im Vordergrund steht dabei die Nutzung von
bedarf für Öltank, Kamin und Feuerung entfällt.
Abwärme und Umgebungswärme. Entsprechende Net-
ze werden auch als „Anergienetze“ bezeichnet oder es Für Fernwärmeabnehmer entfällt ausserdem der Auf-
wird auch von „kalter Fernwärme“ gesprochen [16]. Um wand zum Unterhalt der Wärmeerzeugung mit Brenn-
den Primärenergieaufwand zur Deckung eines Nutz- stofflieferung, Service und Kaminfeger.
energiebedarfs zu reduzieren, ist der Einsatz an Exer- Den Vorteilen der Fernwärme stehen die zusätzlichen
gie (dem zur Arbeit fähigen Anteil der Energie) zu mini- Verluste und Kosten für die Wärmeverteilung gegen-
mieren. Bei der Wärmeverteilung wird dies durch Re- über. Da ein Fernwärmenetz hohe Investitionen verur-
duktion des Temperaturniveaus ermöglicht, weshalb für sacht, können die Kapitalkosten bis zu mehr als 50 %
Fernwärme auf tiefem Temperaturniveau auch der der Gesamtkosten ausmachen [14]. Im Fall von Holz,
Begriff „LowEx Fernwärme“ verwendet wird [20]. Heizöl oder Erdgas sind daneben die Brennstoffkosten
Wenn die Verteilung von Wasser dazu dient, bei Ver- zur Deckung der Wärmeverteilverluste ein wesentlicher
brauchern Wärme abzuführen, wird dies auch als Kostenfaktor, während die Stromkosten für die Pump-
„Fernkälte“ bezeichnet. Eine Vernetzung von Wärme- energie in der Regel einen kleineren Anteil ausmachen
und Kälteverbrauchern durch Netze mit kombinierter [14].
Nutzung bietet ein zusätzliches Potenzial zur Einspa- In Bezug auf den Primärenergieverbrauch kann eine
rung an Primärenergie und wird auch als „thermische zentrale Wärmeerzeugung je nach Anwendung weitere
Arealvernetzung“ bezeichnet. Vorteile aufweisen. So ermöglicht zum Beispiel die
Der Grossteil der heutigen Fernwärmenetze wird je- Nutzung sonst nicht verwertbarer Abwärme die Ein-
doch mit Vorlauftemperaturen von über 70°C betrieben sparung fossiler Brennstoffe in dezentralen Heizungen.
und dient zur direkten Beheizung und meist auch zur Wenn keine Abwärme vorliegt, ermöglicht ein Fernheiz-
Versorgung mit Brauchwarmwasser. Das vorliegende werk, dass dank grösserer Wärmeerzeuger höhere Wir-
Planungshandbuch beschreibt die dazu erforderliche kungsgrade erzielt und durch mehrere Wärmeerzeuger
Technik für den Temperaturbereich von 40°C bis 140°C. die Produktion den Lastverhältnissen besser angepasst
Die obere Grenze entspricht der von Rohrherstellern in werden können. Zudem kann eine grössere Palette an
der Regel garantierten Dauerbetriebstemperatur von Energieträgern genutzt und kombiniert werden. So
Kunststoffverbundmantelrohren (KMR). Da ab 110°C kann etwa eine erneuerbare Grundlastabdeckung mit
erhöhte Sicherheitsanforderungen einzuhalten sind, einem fossil betriebenen Spitzenlastkessel kombiniert
wird für die Wärmeverteilung zudem zwischen folgen- werden. Ab einer gewissen Grösse kann zudem für
den Begriffen unterschieden: Holz der Einsatz von Wärme-Kraft-Kopplung (WKK) für
den Grundlastanteil ermöglicht werden.
„Warmwasser“ dient zur Wärmeverteilung bis zu 110°C.
Wegen der zusätzlichen Wärmeverteilverluste überwie-
„Heisswasser“ bezeichnet Wasser ab 110°C.
gen die Vorteile der Fernwärme nicht für alle Anwen-
dungen. So ist zum Beispiel mit Erdgas erzeugte Fern-
wärme im Vergleich zu dezentralen Gasheizungen in
der Regel höchstens dann vorteilhaft, wenn anstelle
von Gasheizungen eine Stromerzeugung mit Holz be-
trieben und die Abwärme als Fernwärme genutzt wird.

11
Planungshandbuch Fernwärme

1.5 Effizienz und Kosten


Bei gegebener Anschlussleistung und gegebener Vor-
lauftemperatur im Netz werden die Effizienz und Wirt-
schaftlichkeit eines Fernwärmenetzes durch folgende
Faktoren beeinflusst:
1. Die Wärmeverluste des Netzes verursachen einen
zusätzlichen Wärmebedarf. Im Falle eines Heiz-
kessels wird dazu Brennstoff verbraucht. Der Ener-
gieinhalt entspricht dabei den Wärmeverlusten divi-
diert durch den Kesselwirkungsgrad. Zudem müs-
sen die Wärmeverluste bei der Dimensionierung
der Wärmeerzeugung und des Netzes berücksich-
tigt werden. Die Wärmeverluste nehmen mit zu-
nehmender Oberfläche der Rohrleitung und somit
mit zunehmendem Rohrdurchmesser zu und sie
sinken mit Verbesserung der Wärmedämmung. Bild 1.2 Spezifischer Volumenstrom in Funktion der
Temperaturdifferenz zwischen Vor- und
2. Eine Verkleinerung der Rohrdurchmesser bewirkt
Rücklauf (Massstab rechts) . Der spezifische
tiefere Kapitalkosten und niedrigere Brennstoffkos- Volumenstrom entspricht dem Volumenstrom
ten, gleichzeitig steigen jedoch der Druckverlust für ein Fernwärmenetz mit 1 MW am Netz-
und die Pumpleistung und damit die Betriebskos- eingang. Zusätzlich sind die Vor- und Rück-
ten für den Stromverbrauch. lauftemperaturen für eine Vorlauftemperatur
von 80°C eingezeichnet und das Beispiel
3. Daneben beeinflusst die Temperaturspreizung
eines Netzes mit einer Temperaturspreizung
zwischen Vor- und Rücklauf die mit einem bestim- von 30 K eingetragen.
mten Volumenstrom transportierbare Wärmeleis-
tung. Für die Wärmeleistung gilt: 4. Das Temperaturniveau des Netzes wirkt sich auf
mehrere Arten auf die Effizienz und Kosten aus.
Durch Anhebung des Temperaturniveaus mit kon-
stanter Temperaturspreizung steigen einerseits die
= Wärmeleistung in (kW) Wärmeverluste des Netzes. Andererseits kann da-
durch die Effizienz des Wärmeerzeugers sinken.
= Massenstrom in (kg/s) Diese indirekte Wirkung auf die Wärmeerzeugung
kann deutlich grösser sein als der direkte Effekt auf
= Volumenstrom in (m3/s)
die Wärmeverluste und sie ist für folgende Anwen-
w = Strömungsgeschwindigkeit in (m/s) dungen besonders ausgeprägt:
A = Rohrquerschnitt in (m2) a) Für Wärmepumpen sowie für Anlagen zur Wär-
 = Dichte von Wasser bei 60°C (983 kg/m3) me-Kraft-Kopplung mit Dampfprozessen (Dampf-
cp = Wärmekapazität von Wasser bei 60°C (4.183 kJ/(kg K) ) turbinen oder ORC-Anlagen). Für diese Fälle ist in
T = Temperaturspreizung = (TVL – TRL ) in (K) erster Linie die Vorlauftemperatur entscheidend, da
bei Erhöhung der Nutztemperatur die Leistungs-
zahl der Wärmepumpe bzw. die Stromausbeute
Bild 1.2 zeigt den zum Transport von 1 MW Wär-
der WKK-Anlage sinkt.
meleistung erforderlichen Volumenstrom in Funk-
b) Für Heizkessel mit Abgaskondensation. In die-
tion der Temperaturspreizung.
sem Fall ist die Rücklauftemperatur entscheidend,
Eine hohe Temperaturspreizung ermöglicht bei ge-
da eine effiziente Wärmerückgewinnung durch Ab-
gebener Anschlussleistung den Einsatz kleinerer
gaskondensation erst dann eintritt, wenn der Tau-
Rohre, wodurch die Kapitalkosten und die Wärme-
punkt des Abgases deutlich unterschritten wird.
verluste sinken.
Für ein gegebenes Netz ermöglicht eine Vergrös- 5. Da die Wärmeübergabestationen und die Wär-
serung der Temperaturspreizung eine Erhöhung meabnahme den Netzbetrieb und die Effizienz der
der Anschlussleistung. Umgekehrt wird die Netz- Wärmeerzeugung durch die Rücklauftemperatur
leistung durch Nichterreichen der Temperatursprei- beeinflussen, ist für einen wirtschaftlichen Betrieb
zung reduziert. Aus diesem Grund ist sicher zu eines Fernwärmenetzes auch die Art und Betriebs-
stellen, dass die Wärmeübergabestationen korrekt weise der Wärmeübertragung auf der Verbraucher-
betrieben werden und die geforderte Temperatur- seite (also den Hausstationen) zu beachten. Mögli-
spreizung erreichen. che Massnahme zur Vermeidung negativer Effekte
auf Netz und Wärmeerzeugung bestehen darin,
dass in den Technischen Anschlussbedingungen
oder im Wärmeliefervertrag Anforderungen zu ei-

12
Teil 1 Grundlagen

ner minimalen Temperaturspreizung oder einer


maximalen Rücklauftemperatur aufgenommen wer-
den. Im Weiteren ermöglicht ein Monitoring der
Netztemperaturen die Einleitung von Massnahmen
bei Nichteinhaltung der Auslegungswerte.
Die Wirtschaftlichkeit eines Fernwärmenetzes wird so-
mit durch vielfältige Faktoren bestimmt. Eine Analyse
zum Einfluss der Auslegungsparameter auf die Wirt-
schaftlichkeit zeigt, dass zur Optimierung der Wärme-
verteilkosten bei vorgegebenen Temperaturen und An-
schlussleistungen entscheidend ist, dass die Rohrlei-
tungen auf den kleinsten technisch zulässigen Rohr-
durchmesser ausgelegt werden [14]. Bild 1.3 zeigt
dazu die Wärmeverteilkosten für ein Beispiel mit fol-
genden Annahmen: Bild 1.3 Wärmeverteilkosten als Gesamtkosten und
unterteilt in Kapital-, Wärmeverlust- und
• 1 MW Anschlussleistung Stromkosten in Funktion des Nenndurch-
• 1 km Trassenlänge messers [14]. Die ausgefüllten Symbole
• Ganzjährig betriebenes Netz zeigen den kleinsten zulässigen Nenndurch-
messer und die nächsten drei grösseren.
• Verbraucher 2’000 Vollbetriebsstunden p.a.
• Die Anschlussdichte beträgt am Netzeingang damit
2.0 MWh/(Trm a). Bei 10 % Netzverlusten entspricht
dies am Netzausgang 1.8 MWh/(Trm a)
• Vorlauftemperatur 80°C
• Temperaturspreizung 30 K
• Annuität 5.1 % p.a. (30 Jahre, 3 % p.a.)
• Wärmekosten am Netzeingang 6 Rp./kWh
• Maximale Strömungsgeschwindigkeit nach ÖKL
Merkblatt 67 (Bild 1.4, [120], was im betrachteten
Bereich etwa einem Druckverlust von 200 Pa/m ent-
spricht.

Die Wärmeverteilkosten sind in Abhängigkeit des Nenn-


durchmessers beschrieben und weisen ein Minimum
auf, das mit dem kleinsten zulässigen Nenndurchmes-
ser zusammenfällt. Die minimalen Wärmeverteilkosen Bild 1.4 Strömungsgeschwindigkeiten in Funktion
betragen dabei 2.6 Rappen pro Kilowattstunde an die des Rohrdurchmessers (Innendurchmesser):
Wärmeabnehmer gelieferte Wärme. Eine Auslegung Empfehlungen für maximale Fliessgeschwin-
auf einen Nenndurchmesser grösser als notwendig ver- digkeit nach ÖKL Merkblatt 67 [120] und Em-
pfehlungen der Swedish District Heating As-
teuert die Wärmeverteilung um 9 %, zwei Nenndurch-
sociation (DHA) [1]. Zudem sind die berech-
messer grösser um 30 %.
neten Strömungsgeschwindigkeit entspre-
Der kleinste zulässige Nenndurchmesser wird dabei chend Druckverlusten von 100, 200 und
durch die maximal zulässige Strömungsgeschwindigkeit 300 Pa/m dargestellt [14].
bestimmt, welche einen Betrieb ohne unzulässige Kavi-
tation und Geräuschentwicklung sicherstellt. Bild 1.4 Weitere wichtige Faktoren sind die Temperatursprei-
zeigt die entsprechenden Empfehlungen nach ÖKL zung und das Temperaturniveau. Eine Vergrösserung
Merkblatt 67 [120] und nach der Swedish District Hea- der Temperaturspreizung führt bei gleichem Rohr-
ting Association DHA [1]. Zusätzlich sind die Strö- durchmesser zu einer Reduktion der Wärmeverteilver-
mungsgeschwindigkeiten eingezeichnet, die einem luste, wie Bild 1.5 für das bereits beschriebene Beispiel
Druckverlust von 100, 200 und 300 Pa/m entsprechen zeigt.
[14]. Eine Praxiserhebung an 52 Fernwärmenetzen Wie aus Bild 1.5 ebenfalls hervorgeht, ermöglicht eine
zeigt, dass rund 80 % der Haupt- und Teilstränge grös- Vergrösserung der Temperaturspreizung zudem die
ser ausgeführt sind als effektiv erforderlich [16]. Die Verwendung kleinerer Rohrdurchmesser. Dies führt zu
Überdimensionierung entspricht meist einem oder zwei, einer weiteren Reduktion der Wärmeverluste und be-
vereinzelt jedoch bis zu vier Nenndurchmesser und sie wirkt gleichzeitig deutlich niedrigere Investitionen. Aus
verursacht im Vergleich zu einem Netz mit kleinstmögli- diesem Grund können die gesamten Wärmeverteil-
chem Rohrdurchmesser deutlich höhere Wärmever- kosten durch eine Vergrösserung der Temperatursprei-
luste und Kosten. zung deutlich reduziert werden, wie Bild 1.6 zeigt.
Schliesslich führt eine grosse Temperaturspreizung bei
gegebener Vorlauftemperatur zu tiefen Rücklauftempe-

13
Planungshandbuch Fernwärme

raturen, wodurch zusätzlich die Effizienz der Wärmeer- Ein weiterer Parameter, der die Wärmeverluste und die
zeugung erhöht werden kann. Bei bestehenden Anla- Kosten beeinflusst, ist die Dämmstärke. Im Gegensatz
gen besteht auch bezüglich Temperaturspreizung ein zum Rohrdurchmesser und der Temperaturspreizung
erhebliches Verbesserungspotenzial, da zahlreiche weist die Dämmstärke gegenläufige Wirkungen auf, in-
Netze nach einer Praxiserhebung auch erhöhte Rück- dem die Betriebskosten durch bessere Wärmedäm-
lauftemperaturen aufweisen [16]. Dies führt zu einem mung reduziert und die Investitionen erhöht werden.
erhöhtem Hilfsenergieverbrauch und es kann auch den Wie Bild 1.8 zeigt, besteht für die Verluste vor allem
Energieverbrauch des Wärmeerzeugers erhöhen. zwischen Dämmstärke 1 (minimale) und Dämmstärke 2
Durch hohe Vorlauftemperaturen steigen die Wärme- (mittlere Dämmung) ein deutlicher Unterschied. Dämm-
verluste und damit auch die Betriebskosten (Bild 1.7). stärke 1 kommt für Fernwärmenetze in der Schweiz
Während die Auslegung nach dem minimalen und da- deshalb praktisch nicht infrage. Dämmstärke 2 erzielt
mit optimalen Rohrdurchmesser bei der Dimensionie- für das beschriebene Beispiel mit dem Mindestdurch-
rung erfolgen muss, ist die Einhaltung der Netztem- messer Verluste von rund 10.5 %. Erst mit Dämmstärke
peraturen im späteren Praxisbetrieb sicher zu stellen. 3 wird der Zielwert nach QM Holzheizwerke von 10 %
Da durch eine zu geringe Temperaturspreizung die An- [21] erreicht. Wichtig ist dabei wiederum, dass der
schlussleistung reduziert wird, besteht durch Optimie- kleinstmögliche Durchmesser oder höchstens eine
rung auf Seite der Wärmeabnehmer ein Potenzial, die Nennweite grösser verwendet wird.
Anschlussleistung eines bestehenden Netzes im Be-
darfsfall zu erhöhen. Oftmals kann bereits durch kor-
rekte Einregulierung der Hausstationen eine Verbes-
serung erzielt werden, andernfalls ist eine Vergrös-
serung der Wärmeübertrager notwendig.

Bild 1.5 Wärmeverteilverluste in Funktion des Nenn- Bild 1.7 Wärmeverteilkosten in Funktion des Nenn-
durchmessers für unterschiedliche Tempe- durchmessers für unterschiedliche Vorlauf-
raturspreizungen für das in Bild 1.3 beschrie- temperaturen bei einer Temperaturspreizung
bene Fernwärmenetz [14]. von 30 K) [14].
Hinterlegter Bereich: Nenndurchmesser mit
zulässiger Strömungsgeschwindigkeit.

Bild 1.8 Wärmeverteilverluste in Funktion des Nenn-


durchmessers für unterschiedliche Dämm-
stärken. Hinterlegter Bereich: Zulässige Strö-
Bild 1.6 Wärmeverteilkosten in Funktion des Nenn- mungsgeschwindigkeit [14].
durchmessers für unterschiedliche Tempe-
raturspreizungen bei einer Vorlauftemperatur.
von 80°C für das in Bild 1.3 beschriebene
Fernwärmenetz [14]

14
Teil 1 Grundlagen

Die wichtigsten Einflüsse auf die Wirtschaftlichkeit von


Fernwärmenetzen können damit wie folgt zusammen-
gefasst werden:

1. Die Investitionskosten, die Netzverluste und der


Hilfsenergieverbrauch des Fernwärmenetzes
werden durch folgende Parameter bestimmt:
- durch die Rohrdurchmesser (und damit die
Dimensionierung des Netzes)
- durch den Rohrtyp (Material, Ausführung)
- sowie durch die Wärmedämmstärke.

2. Die Effizienz der Wärmeerzeugung wird durch


folgende Parameter des Fernwärmenetzes
beeinflusst:
- die Temperaturspreizung
- das Temperaturniveau der Vor- und
Rücklauftemperatur.

15
Planungshandbuch Fernwärme

Bevorstehende Energiesparmassnahmen können den


2 Wärmebereitstellung Jahreswärmebedarf, den Wärmeleistungsbedarf und
den Temperaturbedarf beeinflussen und sind bei der
In diesem Kapitel werden die Grundzüge zum Wärme- Auslegung entsprechend zu berücksichtigen. Bei Ge-
bedarf und Wärmeleistungsbedarf behandelt sowie die bäuden ist dabei entscheidend, dass der Anteil der
Aufteilung der Jahresdauerlinie in Grund- und Spitzen- Raumwärme durch bessere Gebäudetechnik deutlich
last beschrieben. Zudem werden die wichtigsten Wär- sinkt, während der Bedarf an Warmwasser davon kaum
meerzeuger beschrieben und deren Beeinflussung betroffen ist. So machte die Warmwassererwärmung in
durch den Netzbetrieb und die Einbindung von Wärme- den Jahren um 1970 lediglich knapp 10 % des Wärme-
speichern erläutert. Für den Wärmebedarf wird unter- bedarfs aus, während in Zukunft mit Werten bis gegen
schieden zwischen Prozesswärme und der Wärmever- 50 % zu rechnen ist, wie in Kapitel 2.4 ausgeführt wird.
sorgung von Gebäuden. Der Wärmebedarf von Wohn- Die Sanierung bestehender Gebäude kann deshalb
bauten umfasst dabei Wärme zur Raumheizung und während der Betriebszeit eines Fernwärmenetzes zu
zur Warmwasserbereitstellung. einer Reduktion des Raumwärmebedarfs führen und
zusammen mit dem Anschluss von Neubauten einen
2.1 Wärmebedarf einzelner deutlich sinkenden Anteil an Raumwärme verursachen.
Abnehmer 2.1.2 Warmwasser und
2.1.1 Raumwärme Prozesswärme
Der Jahreswärmebedarf für Raumwärme wird bei Die Berechnung des Jahreswärmebedarfs für Warm-
Neubauten anhand der SIA-Norm 380/1 berechnet [78]. wasser bei Neubauten erfolgt üblicherweise aufgrund
Diese berücksichtigt interne Wärmegewinne durch Son- einer vorgegebenen Standardnutzung. Bei bestehen-
neneinstrahlung, Personen, elektrische Geräte und wei- den Bauten erfolgt die Berechnung meist aufgrund des
tere Quellen. Für bestehende Bauten erfolgt die Be- bisherigen Energieverbrauchs und einer Schätzung
rechnung in der Regel auf Basis des bisherigen Ener- oder Messung zum Anteil für Warmwasser.
gieverbrauchs, also zum Beispiel anhand des jährlichen Der Mittelwert für den Wärmeleistungsbedarf Warm-
Heizölverbrauchs und des Jahresnutzungsgrades des wasser bei Neubauten und bei bestehenden Bauten
bestehenden Wärmeerzeugers, wozu allerdings eine berechnet sich aus dem Wärmebedarf Warmwasser
Aufteilung in Raumwärme, Warmwasser und Prozesse dividiert durch die jährliche Heizstundenzahl im Fall von
vorzunehmen ist. Wenn keine zuverlässigen Daten zum Winterbetrieb oder durch 8760 Jahresstunden im Fall
bisherigen Verbrauch oder zur Aufteilung in Raumwär- von Ganzjahresbetrieb. Der Spitzenwert des Wärme-
me, Warmwasser und Prozesse möglich ist, können leistungsbedarfs Warmwasser ergibt sich aus der An-
auch Messungen durchgeführt oder Schätzungen ange- schlussleistung des Warmwasserbereiters. Da in der
nommen werden. Schweiz für Brauchwarmasser meistens Speicher ein-
Der Norm-Wärmeleistungsbedarf für Raumwärme gesetzt werden, während Durchflusserhitzer (Frisch-
wird für Neubauten nach SIA 384.201 berechnet [82]. wasserstationen) selten sind, genügt für Wohnbauten in
Im Gegensatz zur SIA 380/1 werden dabei keine Wär- der Regel, wenn der Jahreswärmebedarf Warmwas-
megewinne berücksichtigt, da deren zeitlicher Anfall ser durch 4000 bis 6000 Vollbetriebsstunden dividiert
nicht steuerbar und nicht sicher vorhersagbar ist. Bei wird. Damit wird eine Spitzenlast des Wärmeleistungs-
bestehenden Bauten ist die beste Methode zur Ermitt- bedarfs berücksichtigt, welche rund doppelt so gross ist
lung des Wärmeleistungsbedarfs die Bestimmung der wie der Mittelwert bei 8760 Jahresstunden mit konstan-
Lastkennlinien anhand von Messungen, was insbe- ter Leistung. Dies ist erforderlich, weil die Spitzenlast
sondere bei grossen Verbrauchern und bei Prozess- für den Warmwasserbedarf an gewissen Tagen erhöht
wärme sinnvoll ist [21]. Messungen sind aber nur mög- sein kann, da der Warmwasserbedarf zum Beispiel vom
lich, wenn genügend Zeit und eine funktionsfähige Wär- Wochentag und von der Jahreszeit abhängen kann.
meerzeugungsanlage zur Verfügung stehen. Zuverläs- Der mittlere Wärmeleistungsbedarf für Prozesswär-
sige Berechnungen zum Wärmeleistungsbedarf sind me berechnet sich aus der Division des Wärmebedarfs
dagegen selten vorhanden oder die Daten beruhen auf durch die jährlichen Betriebsstunden des Prozesswär-
veralteten Berechnungsmethoden. Für neue Berech- meverbrauchers, die in der Regel mittels Betriebsstun-
nungen fehlen dagegen oft detaillierte Pläne und Infor- denzähler bestimmt wird. Auch bei Prozesswärme wird
mationen zum Wandaufbau und anderen Kenngrössen. bei Bedarf eine höhere Spitzenlast berücksichtigt.
Am häufigsten kommt deshalb eine Abschätzung des
Wärmeleistungsbedarfs aus dem bisherigen Wärme- 2.1.3 Temperaturbedarf
verbrauch zur Anwendung. Der maximale Wärmeleis-
Der Temperaturbedarf, also das minimal notwendige
tungsbedarf für Raumwärme ergibt sich durch Division
Niveau der Vorlauftemperatur, ist abhängig von der
des Heizwärmebedarfs durch eine geeignete Vollbe-
Auslegung der Wärmeübertragung, der Art der Warm-
triebsstundenzahl. Die Vollbetriebsstundenzahl ist ab-
wasserbereitung und von weiteren Faktoren. Die Aus-
hängig vom Klima, der Heizgrenze, der Gebäudenut-
zung (Wohnen oder andere) sowie dem nicht witte- legung von Heizkörpern oder einer Fussbodenheizung
und anderen Wärmeübertragern basiert meist auf Her-
rungsabhängigen Anteil.

16
Teil 1 Grundlagen

stellerangaben und ist bei Neubauten bekannt. Bei be- stetem Bedarf deutlich höher sein kann als der über
stehenden Bauten ist eine Abschätzung des Tempera- das Jahr bestimmte Mittelwert.
turbedarfs aufgrund der vorhandenen Wärmeabnehmer Um die Zahlen für die Gesamtanlage aus einer Mi-
(Radiator- oder Fussbodenheizungen, Warmwasserbe- schung von Berechnungen und realen Messwerten
reiter usw.) möglich. Empfohlen wird jedoch die Durch- möglichst realitätsnah zu bestimmen, müssen deshalb
führung von Temperaturmessungen bei den Wärmeab- folgende Fragen geklärt werden:
nehmern bei tiefen Aussentemperaturen und einer
Hochrechnung der gemessenen Wertepaare (Vorlauf- 1. Wie werden Wärmegewinne bei Neubauten berück-
/Rücklauftemperatur, Aussentemperatur) auf Ausle- sichtigt.
gungswerte. 2. Welches sind die geeigneten Vollbetriebsstunden-
zahlen zur Bestimmung des Wärmeleistungsbedarfs
2.2 Gesamtwärmebedarf Raumwärme aufgrund des bisherigen Wärmebe-
darfs bei bestehenden Bauten.
Bei der Bestimmung des Wärmeleistungsbedarfs der
Gesamtanlage aus den Daten der einzelnen Wärmeab- 3. Wie soll der nicht witterungsabhängige Anteil des
nehmer können folgende Herausforderungen auftreten, Wärmeleistungsbedarfes für die Raumwärme be-
die bei der Auslegung zu beachten sind: rücksichtigt werden.

1. Der Wärmeleistungsbedarf für die Gesamtanlage


ergibt sich aus einer Mischung von berechneten
Werten mit mehr oder weniger grossen Sicherheits-
zuschlägen und realen Messwerten ohne Sicher-
heitszuschläge.
2. Der Norm-Wärmeleistungsbedarf für die Raumwär-
me nach SIA 384.201 basiert auf einer Norm-Umge-
bungstemperatur und berücksichtigt keine internen
Wärmegewinne [82], während anhand von Messun-
gen ermittelte Lastkennlinien auf realen Aussentem-
peraturen basieren und Wärmegewinne enthalten.
3. Zur Abschätzung des Wärmeleistungsbedarfs für
Raumwärme aus dem Wärmebedarf bestehender
Bauten wird eine Vollbetriebsstundenzahl benötigt.
Da diese von verschiedenen Faktoren wie der Jah-
resdauerlinie der Aussentemperatur am Standort
der Anlage, der Raumtemperatur, der Heizgrenze
und der Grösse des nicht witterungsabhängigen An-
teils ist, ist deren Abschätzung unsicher.
4. Aufheizleistungen zum Ausgleich einer intermittie-
renden Beheizung (z.B. Aufheizen von Bürogebäu-
den am Montagmorgen nach reduziertem Wochen-
endbetrieb) werden oft nicht berücksichtigt.
5. Messtechnisch bestimmte Lastkennlinien können für
unterschiedliche Lastfälle durch Regression von Ta-
gesmittelwerten bis zu 1-Stunden-Mittelwerten er-
stellt werden. Dabei muss aber beachtet werden,
dass gemessene Spitzenlasten nicht allein vom
Wärmeabnehmer abhängig sind, sondern auch
durch den allenfalls begrenzenden Wärmeerzeuger
oder durch die Systemträgheit beeinflusst werden.
6. Bestehende Gebäude weisen oft einen erheblichen
nicht witterungsabhängigen Anteil Raumwärmeleis-
tungsbedarf auf, der zum Beispiel infolge schlecht
wärmegedämmter Verteilung 5 % bis 10 % ausma-
chen kann und in der Lastkennlinie als Leistungs-
sprung an der Heizgrenze in Erscheinung tritt. Wäh-
rend gemessene Lastkennlinien von Altbauten des-
halb einen grossen witterungsabhängigen Anteil an
Raumwärmeleistungsbedarf aufweisen können, wird
dieser bei Neubauten nahezu vermieden.
7. Wie im Kapitel 2.1 ausgeführt, ist eine korrekte Aus-
legung des Wärmeleistungsbedarfs Warmwasser
vorzunehmen, da die Spitzenlast infolge zeitlich un-

17
Planungshandbuch Fernwärme

Die Darstellung des Wärmeleistungsbedarfs als Last-


2.3 Wärmeleistungsbedarf kennlinie (Bild 2.1) mit möglichst realen Aussentempe-
Zur überschlägigen Auslegung der Wärmeerzeugung raturen ist aus der Praxis mit Messungen bei Sanie-
dient die Jahresdauerlinie des Wärmeleistungsbedarfs. rungen und Erweiterungen von grösseren Haustechnik-
Diese basiert anlagen hervorgegangen. Sie benötigt empirisch ge-
stützte Entscheidungen wie die Wahl der Heizgrenze.
1. auf der Lastkennlinie der Gesamtanlage nach
Der Vorteil dieser Darstellung ist, dass Daten von Be-
Bild 2.1 und
rechnungen aus dem bisherigen Energieverbrauch und
2. der Jahresdauerlinie der Aussentempertur nach solchen aus Messungen übersichtlich in einer Grafik
Bild 2.2. vereint werden können.
Die Informationen aus diesen zwei Grafiken werden in Die Lastkennlinie der Gesamtanlage ergibt sich aus der
der in Bild 2.3 gezeigten Jahresdauerlinie des Wär- Stapelung der einzelnen Lastkennlinien für Raumwär-
meleistungsbedarfs zusammengeführt. me, Warmwasser, Prozesswärme und Wärmeverteilver-
lusten. Aus ihr kann der bei einer Auslegetemperatur
notwendige Wärmeleistungsbedarf der Gesamtanlage
100 %
90 % Ra herausgelesen werden.
um

rm
80 % e Die Jahresdauerlinie der Aussentemperatur ist die Dar-
Auslege-Wärmebedarf
70 % stellung der Summenhäufigkeit der Aussentemperatur
60 %
als Anzahl Tage pro Jahr. Aus Bild 2.2 kann beispiels-
50 %
Auslege-
Heizgrenz-
weise herausgelesen werden, dass der 10-Jahres-Ta-
40 % Aussentemperatur
Temperatur gesmittelwert der Aussentemperatur in Luzern an 100
30 %
20 %
Tagen unter 4°C lag. Für die Aussentemperatur ist da-
10 % Warmwasser bei immer der 24-Stunden-Mittelwert einzusetzen, hin-
Wärmeverteilverluste
0% gegen kann der Wärmeleistungsbedarf ein Tagesmittel-
-20 -15 -10 -5 0 5 10 15 20 °C wert (z.B. für Wohnbauten) oder ein Spitzenwert (z.B.
Bild 2.1 Gestapelte Lastkennlinie des Wärmeleis- für ein Bankgebäude) sein.
tungsbedarfs der Gesamtanlage in Ab- Die Jahresdauerlinie des Wärmeleistungsbedarfs für
hängigkeit der Aussentemperatur [21]. die Gesamtanlage ergibt sich ebenfalls durch Stape-
lung mehrerer Jahresdauerlinien für Raumwärme,
Warmwasser, Prozesswärme und Wärmeverteilverluste.
Bild 2.3 zeigt beispielhaft die Jahresdauerlinien für
Raumwärme, Warmwasser und Wärmeverteilverluste.
Im Beispiel sind die Wärmeverluste des Netzes über
das Jahr vereinfachend als konstant angenommen, da
sich die Temperaturdifferenz zwischen Vor- und Rück-
lauf sowie die Temperatur des Erdreichs um die Fern-
wärmeleitung im Jahresverlauf nur geringfügig ändern.
Die zweite Komponente beschreibt den Wärmebedarf
für Warmwasser. Dieser fällt ebenfalls ganzjährig an,
Bild 2.2 Aussentemperatur dargestellt als 10-Jahres- wobei im gezeigten Beispiel ein leicht reduzierter Be-
Tagesmittelwert von 2002 bis 2011 für unter- darf im Sommer dargestellt ist. Einfachheitshalber wird
schiedliche Standorte in der Schweiz [21]. jedoch meistens auch der Warmwasserbedarf als über
Grün dargestellt ist eine Heizgrenze von das Jahr konstant angenommen.
15°C.
Die dritte Komponente beschreibt den Raumwärmebe-
100 %
darf mit dem grössten Anteil am gesamten Wärmebe-
90 %
darf.
80 %
70 %
2.4 Bedarf Altbau und Neubau
60 %
50 % Raumwärme und Brauchwarmwasser in Gebäuden
40 % machen einen wichtigen Teil der Wärmeabnahme für
30 % Raumwärme Fernwärmenetze aus. Da diese durch den Gebäude-
Wärmeverteilverluste
20 % standard beeinflusst wird, werden nachfolgend die Jah-
10 % Warmwasser resdauerlinien für Wohngebäude dargestellt. Diese be-
0% schreiben einen typischen Baustandard aus dem Jahr
0 50 100 150 200 250 300 350 d/a
1970 im Vergleich zu einem modernen Gebäudestan-
Bild 2.3 Charakteristische Jahresdauerlinie für ein dard. Der moderne Standard wird mit dem Jahr 2020
Fernwärmenetz. symbolisiert und entspricht etwa einem Gebäude nach
Minergie-Standard von 2015 oder nach den Mustervor-

18
Teil 1 Grundlagen

schriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn), de- Tabelle 2.1 Leistungs- und Energiekennzahlen von
ren Einführung im 2020 vorgesehen ist [71]. Basis für Wohngebäuden (Beispiel) mit Standard
den Vergleich bilden die Werte nach Tabelle 2.1. Diese 1970 und 2020 für Raumwärme (RW)
zeigt die Kennzahl für den Wärmeleistungsbedarf in und Warmwasser (WW) pro m2 Energie-
W/m2 sowie die Energiekennzahl in kWh/m2a sowie die bezugsfläche und Auslegung auf –7°C
(Zürich).
resultierenden Vollbetriebsstunden für den Raumwär-
mebedarf und den Warmwasserbedarf und das daraus
resultierende Total. Das Gebäude von 1970 weist einen Einheit 1970 2020
Wärmeleistungsbedarf bei Auslegungsbedingung (–7°C, Raumwärmebedarf W/m2 80 20
Zürich) von 85 W/m2 auf, während es für das Gebäude kWh/m2a 185 20
von 2020 noch 25 W/m2 sind. Vollbetriebsstunden RW h/a 2300 1000
Für die Darstellung der Jahresdauerlinien wird für den Warmwasserbedarf W/m2 5 5
Standort Zürich auf Basis der Tagesmitteltemperaturen kWh/m2a 20 20
eine Auslegung nach [21] ausgeführt. Für ein Gebäude Vollbetriebsstunden WW h/a 4000 4000
von 1970 ergeben sich damit Jahresdauerlinien nach Bedarf RW+WW (= 100 %) W/m2 85 25
Bild 2.4. Die obere Grafik zeigt den Absolutwert des kWh/m2a 205 40
Wärmeleistungsbedarfs in W/m2. Für ein Beispiel eines
Vollbetriebsstunden RW+WW h/a 2400 1600
Gebäudes mit 1000 m2 Energiebezugsfläche entspricht
Heizgrenze °C 15 10
der Zahlenwert somit gerade dem Wärmeleistungsbe-
darf in kW. In der unteren Grafik ist der Wärmeleis-
tungsbedarf auf 100 % normiert, um den Verlauf mit
dem rechts dargestellten neuen Gebäude zu verglei-
chen. Bild 2.5 zeigt dazu das Verhalten für das Wohn-
gebäude mit Standard von 2020.

W/m2 W/m2
70 70

63 63

56 56

49 49

42 42

35 35

28 28

21 21
Raumwärme
14 14

7 Warmwasser 7 Raumwärme Warmwasser


0 0
0 50 100 150 200 250 300 350 d/a 0 50 100 150 200 250 300 350 d/a

100 % 100 %

90 % 90 %

80 % 80 %

70 % 70 %

60 % 60 %

50 % 50 %

40 % 40 %
30 % Raumwärme
30 %
20 % Raumwärme 20 %

10 % 10 % Warmwasser
Warmwasser 0%
0%
0 50 100 150 200 250 300 350 d/a 0 50 100 150 200 250 300 350 d/a

Bild 2.4 Jahresdauerlinie des Wärmeleistungsbedarfs Bild 2.5 Jahresdauerlinie des Wärmeleistungsbedarfs
für ein Wohngebäude von 1970 für Warm- für ein Wohngebäude von 2020 für Warm-
wasser und Raumwärme (Auslegung nach wasser und Raumwärme (Auslegung nach
[21] für Zürich, Tagesmitteltemperatur –7°C). [21] für Zürich, Tagesmitteltemperatur –7°C).
Oben Wärmeleistungsbedarf in [W/m2]. Oben Wärmeleistungsbedarf in [W/m2].
Unten in Prozent mit 100 % = Maximalwert. Unten in Prozent mit 100 % = Maximalwert.

Der Vergleich der Grafiken zeigt, dass die Heizgrenze


durch den verbesserten Gebäudestandard deutlich
sinkt und die Heizperiode um rund 50 Tage verkürzt
wird. Der Energiebedarf für Raumwärme und Warm-

19
Planungshandbuch Fernwärme

wasser sinkt dabei nach Tabelle 2.1 von 205 kWh/m2a netzen ermittelt wird, wie in Kapitel 2.3 beschrieben ist.
auf 40 kWh/m2a oder auf 20 % des Ausgangswerts. Die Fläche unter der Jahresdauerlinie stellt den Jahres-
Demgegenüber steigt der Anteil des Warmwassers an wärmebedarf dar, die wie in Bild 2.6 gezeigt in Grund-
der Anschlussleistung von 6 % im Altbau auf 20 % im und Spitzenlast aufgeteilt werden kann. Die Grundlast
Neubau. Der Anteil des Warmwassers am Energiever- ist dabei durch eine hohe Betriebsstundenzahl cha-
brauch steigt sogar von knapp 10 % auf 50 %, was rakterisiert, während die Spitzenlast den über die
auch von anderen Untersuchungen prognostiziert wird Grundlast hinausgehenden Wärmeleistungsbedarf mit
[43]. geringer Betriebsstundenzahl beschreibt.
Dass ein Neubau einen deutlich höheren Grundlast- 100 %

anteil für Warmwasser aufweist als ein Altbau, ist für 90 %

den Sommerbetrieb eines Fernwärmenetzes vorteilhaft. 80 %

Da allerdings die Vollbetriebsstundenzahl für Raumwär- 70 %

me im Neubau gegenüber dem Altbau auf weniger als 60 %


50 %
die Hälfte sinkt, weist der Neubau für Raumwärme und
40 % Spitzenlast
Warmwasser zusammen trotzdem mit jährlich 1600
30 %
statt 2400 Vollbetriebsstunden eine geringere mittlere
20 %
Auslastung auf als ein Altbau, was für ein Fernwärme- Grundlast
10 % Teillastbereich Grundlast
netz nachteilig ist.
0%
Bei der Auslegung von Fernwärmenetzen ist somit zu 0 50 100 150 200 250 300 350 d/a

beachten, dass die Gebäudestruktur einen wesentli- Bild 2.6 Aufteilung der Jahresdauerlinie in Grundlast
chen Einfluss auf den Wärmebedarf hat und dass die- und Spitzenlast.
ser durch Gebäudesanierungen während der Betriebs-
zeit eines Fernwärmenetzes ändern kann. Wenn der 100 %
Spitzenlast-Wärmeerzeuger
Wärmeabsatz sinkt, steigen die prozentualen Wärme- 90 %
oder
verteilverluste und die Kapitalkosten, während die An- 80 % Wärmespeicher

schlussdichte abnimmt. Für Versorgungsgebiete mit Mi- 70 %

nergie-Bauten sind die niedrigen Anschlussleistungen 60 %

nachteilig für Fernwärme, dagegen ist der Anteil Warm- 50 %


40 % Grundlast-Modul 2
wasser und damit der Grundlastanteil im Sommer deut-
30 %
lich höher.
20 %
Grundlast-Modul 1
2.5 Auslegung Wärmeerzeuger 10 %
0%
Bei der Auslegung der Wärmeerzeugung muss ent- 0 50 100 150 200 250 300 350 d/a

schieden werden, ob zur Deckung des Wärmebedarfs Bild 2.7 Deckung der Grundlast mit mehreren Grund-
ein einziger oder mehrere Wärmeerzeuger zum Einsatz last-Modulen.
kommen und ob die Leistung auf einen oder mehrere
Energieträger aufgeteilt wird. Der wirtschaftliche Leistungsanteil der Grundlast be-
trägt je nach Wärmeerzeuger meist zwischen 10 % und
Im Falle eines Wärmeerzeugers muss dieser auf die
60 % der Maximalleistung, womit in der Regel zwischen
maximal benötigte Wärmeleistung ausgelegt werden.
50 % und 90 % des gesamten Jahreswärmebedarfs ab-
Zur Versorgung von Gebäuden setzt dies voraus, dass
gedeckt werden [43]. Bild 2.6 zeigt einen Anteil von
der Wärmeerzeuger direkt oder mit Einbindung eines
30 %, was zum Beispiel einem mit Biogas betriebenen
Wärmespeichers einen entsprechend grossen Lastbe-
Blockheizkraftwerk (BHKW) entsprechen kann, bei der
reich abdecken kann. Für die Warmwasserversorgung
ein Sommerbetrieb mit reduzierter Leistung oder (so-
im Sommer beträgt die Minimalleistung für Altbauten le-
weit zulässig) mit nur teilweiser Wärmenutzung erfolgt.
diglich rund 6 %, während der Wert für Neubauten im-
merhin 20 % ausmacht und für das Fernwärmenetz in Wenn der oder die Grundlast-Wärmeerzeuger aus tech-
beiden Fällen noch zusätzlich die Wärmeverteilverluste nischen oder wirtschaftlichen Gründen nur begrenzt bei
zu decken sind. Der resultierende Leistungsbereich um- Teillast betrieben werden können, wird der Spitzenlast-
fasst damit je nach Verbraucher und Netz oft einen Wärmeerzeuger oft auch zur Abdeckung der Schwach-
Faktor 5 oder mehr. Um diesen Leistungsbereich abzu- last eingesetzt, was im Beispiel in Bild 2.7 dargestellt ist.
decken, ist in vielen Fällen der Einsatz von zwei oder Dies kann zum Beispiel für eine automatische Holzfeu-
mehr Wärmeerzeugern vorteilhaft. Im Fall von automa- erung sinnvoll sein, da ein Schwachlastbetrieb insbe-
tischen Holzheizungen können dadurch ein besserer sondere bei Verwendung nasser Brennstoffe zu er-
Anlagenbetrieb mit tieferen Emissionen und geringeren höhten Emissionen führen kann.
Wärmeverlusten der Heizkessel erzielt sowie der Auf-
Bei grösseren Einheiten kann zudem der Deckungs-
wand für Hilfsenergie und Unterhalt reduziert werden.
anteil des Grundlast-Energieträgers auch durch mehr-
Basis für die Auslegung bildet die gestapelte Jahres- modulige Grundlastanlagen erhöht und damit auch eine
dauerlinie des Wärmebedarfs, die durch Berechnung, zusätzlich Redundanz erzielt werden (Bild 2.7).
Messung oder Vergleich mit ähnlichen Fernwärme-

20
Teil 1 Grundlagen

Als weitere Massnahme kommt zunehmend auch die


Einbindung von gross dimensionierten Wärmespei-
chern zur Anwendung. Dies ermöglicht eine Glättung
des Wärmeleistungsbedarfs und damit eine Erhöhung
des Grundlastanteils. Im Fall von Wärme-Kraft-Kopp-
lung ermöglicht die Wärmespeicherung zudem einen
zeitweise stromgeführten Betrieb, wodurch der Ertrag
der Stromeinspeisung erhöht und Spitzen im Strom-
bezug reduziert werden können [43].
Sofern zur Wärmeversorgung eine Abwärmequelle zur
Verfügung steht, wird die Abwärme aus wirtschaftlichen
Gründen vorab zur Deckung der Grundlast genutzt.
Dies betrifft auch Abwärme von WKK-Anlagen, die
nach Möglichkeit weitgehend wärmegeführt betrieben
werden. Sofern keine Abwärme zur Verfügung steht,
kommen für die Grundlast oft Techniken mit hohen Ka-
pital- und geringen Betriebskosten zum Einsatz. Dies
trifft insbesondere für automatische Holzfeuerungen zu,
welche hohe Kapitalkosten und relativ niedrige Brenn-
stoffkosten aufweisen. Daneben weisen auch solarther-
mische Anlagen hohe Kapitalkosten und niedrige Be-
triebskoten auf. Die Einbindung von Solarwärme ist
deshalb meist auf die Grundlast beschränkt und kann
auch dazu nur einen Teil als Zusatzheizung decken.
Für die Spitzenlastabdeckung sowie für allfällige Re-
servevorhaltung kommen bis anhin oft Heizkessel mit
Erdgas oder Heizöl zum Einsatz. Damit Fernwärme in
Bezug auf CO2-Emissionen einen deutlichen Vorteil ge-
genüber dezentralen Öl- und Gasheizungen erzielt, ist
ein fossiler Spitzenlastanteil durch geeignete Ausle-
gung gering zu halten. In der Regel ist ein Anteil der
Grundlast-Wärmeerzeuger von 80 % bis 90 % am
Jahreswärmebedarf möglich.
Zusammenfassend sind für die Kombination von
Grundlast- und Spitzenlast-Wärmeerzeuger damit die
Bedingungen nach Tabelle 2.2 typisch.
Tabelle 2.2 Typische Charakteristiken für Grundlast-
und Spitzenlast-Wärmeerzeuger.

Grundlast Spitzenlast
Betrieb bei Nennlast oder bei Häufiger Betrieb im Teillastbereich
Teillast in begrenztem Lastbereich
Hohe Auslastung bzw. grosse Geringe Auslastung bzw. kleine
Vollbetriebsstundenzahl Vollbetriebsstundenzahl
Wenig und langsame Lastwechsel
Häufige und rasche Lastwechsel

Wenig Anfahr- und Abfahrzyklen Häufige Anfahr- und Abfahrzyklen

21
Planungshandbuch Fernwärme

Für eine aussagekräftige Beurteilung sind deshalb die


2.6 Bewertung von Wärme und jeweiligen Bilanzgrenzen exakt zu definieren. Bei An-
Strom lagen zur Stromproduktion betrifft dies zum Beispiel die
Berücksichtigung des Eigenstromverbrauchs. So ent-
2.6.1 Wirkungsgrad und spricht die Stromproduktion am Generator der Brutto-
Nutzungsgrad Produktion, während nach Abzug des Eigenstromver-
brauchs die Netto-Produktion resultiert. Brutto- und
Der Wirkungsgrad einer Anlage wird als Verhältnis Netto-Werte wiederum können aber sowohl für Wir-
zwischen Nutzenergie und zugeführter Energie definiert. kungsgrade als auch für Nutzungsgrade ausgewiesen
Bei stationären oder pseudo-stationären Bedingungen werden.
und ohne Verfälschung durch Energiespeicherung kann
er auch als Verhältnis zwischen momentaner Nutzleis- 2.6.2 Gesamtwirkungsgrad
tung und momentan zugeführter Leistung in kW/kW be-
Der Gesamtwirkungsgrad bezeichnet die Summe von
stimmt werden.
elektrischem Wirkungsgrad und Wirkungsgrad zur Wär-
Im vorliegenden Handbuch wird die Bezeichnung Wir- menutzung. Im Zusammenhang mit Fernwärme kom-
kungsgrad für einen über die Leistungen bestimmten men zur Stromerzeugung vor allem thermische Anlagen
Momentanwert oder für einen über eine kurze Be- mit Dampfturbinen oder ORC-Anlagen zum Einsatz.
trachtungsdauer in der Grössenordnung von Stunden Solche Dampfprozesse erzielen maximale elektrische
bestimmten Wert verwendet. Beispiele dafür sind der Wirkungsgrade, wenn die Kondensation des Prozess-
mechanische Wirkungsgrad eines Motors in einem mediums bei tiefstmöglicher Temperatur erfolgt. Dazu
Lastpunkt oder der Kesselwirkungsgrad eines konti- kann die Abwärme zum Beispiel über einen Kühlturm
nuierlich betriebenen Heizkessels im stationären Zu- an die Umgebung abgeführt werden. Wenn die Abwär-
stand bei konstanter Leistung. Ein so bestimmter Wir- me dagegen genutzt werden soll, muss die Konden-
kungsgrad gilt entweder für einen Lastpunkt oder für sation bei höherer Temperatur erfolgen, wodurch der
einen bestimmten Betriebszyklus. Ein Beispiel für einen elektrische Wirkungsgrad sinkt. Zur Unterscheidung der
Betriebszyklus ist ein Abbrand eines handbeschickten verschiedenen Anwendungen sind in Bild 2.8 Wirkungs-
Stückholzkessels, der einige Stunden dauert. Während grade der Wärme- und Stromerzeugung dargestellt.
des Abbrands ist der Betrieb instationär, Verfälschun-
gen durch Speichereffekte werden aber durch Wieder-
reichen des thermischen Ausgangszustands kompen- Heizwerk Wärme
siert. Grundsätzlich erfolgt auch bei einem Verbren- Heizkraftwerk wärmegeführt
nungsmotor eine Betrachtung über mindestens einen Heizkraftwerk stromgeführt
Zyklus, bei einem Viertaktmotor also über vier Takte.
Kraftwerk Strom
Die Zyklusdauer ist bei einem Motor aber viel kürzer,
weshalb der Betrieb bereits bei einer zeitlichen Auflö- 0 0.5 1 ηtot
sung von einer Sekunde als pseudo-stationär erscheint.
Bild 2.8 Gesamtwirkungsgrad mit Anteilen der Wär-
Für eine Bewertung über einen längeren Zeitraum wird me (rot) und der Stromproduktion (blau) für
der Begriff Nutzungsgrad eingeführt. Der Nutzungs- Heizwerk, Heizkraftwerk und Kraftwerk. Die
grad wird definiert als Verhältnis zwischen der über Grafik zeigt das qualitative Verhalten und
eine längere Betrachtungsdauer aufsummierten Nutz- entsprechen zum Beispiel folgenden Anla-
leistung zu der über die Betrachtungsdauer aufsum- gentypen (v.o.n.u):
0.5–10 MW q Holzheizwerk,
mierten zugeführten Leistung. Als Betrachtungsdauer
0.5 MW el Holzheizkraftwerk,
wird oft ein Jahr gewählt und der ermittelte Wert dann
20 MW el Holzheizkraftwerk,
als Jahresnutzungsgrad bezeichnet. Der Jahresnut- 500 MW el Kohlekraftwerk.
zungsgrad entspricht also dem Verhältnis der in einem
Jahr produzierten zu der in einem Jahr zugeführten In einem reinen Kraftwerk erfolgt keine Abwärmenut-
Energie in (kWh/a)/(kWh/a). zung. Der elektrische Wirkungsgrad wird dabei maximal
Eine Unterscheidung zwischen Momentanwerten und und entspricht gleichzeitig dem Gesamtwirkungsgrad.
den über einen längeren Zeitraum aufsummierten Leis- Wegen der Verluste zur Umwandlung von Wärme in
tungen erfolgt auch bei Wärmepumpen. So beschreibt Strom ist der Gesamtwirkungsgrad niedriger als bei An-
die Leistungszahl einer Wärmepumpe das Verhältnis lagen mit Wärmenutzung.
zwischen Nutzwärmeleistung und zugeführter elektri- Ein Heizkraftwerk ist eine thermische Anlage mit Wär-
scher Leistung als Momentanwert, während die Jahres- me-Kraft-Kopplung. Für Dampfanlagen wird der elektri-
arbeitszahl das Verhältnis zwischen der Jahreswärme- sche Wirkungsgrad durch die Wärmenutzung reduziert.
produktion und dem Jahresstromverbrauch beschreibt. Wenn das Heizkraftwerk stromgeführt betrieben wird,
Während Angaben zu Wirkungsgraden oft ein einzelnes wird ein Teil der Wärme genutzt, was zu einer Vermin-
Aggregat wie einen Motor oder einen Heizkessel be- derung des elektrischen Wirkungsgrads führt, während
schreiben, dienen Nutzungsgrade oft zur Beschreibung der Rest als Abwärme an die Umgebung abgegeben
ganzer Anlagen oder Systeme. Im Nutzungsgrad kann wird. Bei einem wärmegeführten Betrieb wird die ge-
deshalb ein grösseres Bilanzgebiet abgedeckt werden. samte Abwärme genutzt und der elektrische Wirkungs-

22
Teil 1 Grundlagen

grad dadurch weiter vermindert. Gleichzeitig steigt mit Für Bewertungen über längere Betrachtunsperioden
zunehmender Wärmenutzung der Gesamtwirkungsgrad. gelten die Bedingungen analog für den Nutzungsgrad.
Diese werden am Beispiel des Jahresnutzungsgrads
Ein Heizwerk produziert nur Wärme und erreicht den
beschrieben und mit dem Index a gekennzeichnet:
höchsten Gesamtwirkungsgrad.
Für Momentanwerte oder kurzfristige Betrachtungen
gelten für den Wirkungsgrad eines Heizkraftwerks fol-
gende Bedingungen:

q,a = Jahresnutzungsgrad Wärmeproduktion [–]


el,a = Jahresnutzungsgrad Stromproduktion [–]
tot,a = Jahres-Gesamtnutzungsgrad [–]
QK,a = Jährliche Wärmeproduktion [kWh/a]
q = Wirkungsgrad Wärmeproduktion [–] Eel,a = Jährliche Stromproduktion [kWh/a]
el = Wirkungsgrad Stromproduktion [–] QBr,a = zugeführte Energie im Brennstoff p.a. [kWh/a]
tot = Gesamtwirkungsgrad [–]
P = Stromproduktionsleistung [kW]
= als Wärme nutzbare Kesselleistung [kW]
Für einen Heizkessel wird der Jahresnutzungsgrad der
= zugeführte Wärmeleistung im Brennstoff [kW] Wärme zum Jahresnutzungsgrad des Kessels:

Für ein reines Kraftwerk gilt: K,a = Jahresnutzungsgrad des Kessels [–]

Um eine hohe Gesamtausnutzung des Brennstoffs zu


erzielen, kommen zwei Anwendungsarten infrage:

• Entweder werden hohe elektrische Wirkungsgrade


Für ein Heizwerk gilt:
angestrebt und dabei ein Betrieb ohne oder mit nur
teilweiser Wärmenutzung zugelassen. Solche Anla-
gen können stromgeführt betrieben werden und
auch bei sinkendem Wärmebedarf einen Beitrag zur
Stromversorgung leisten. Ein Beispiel dafür sind
Für einen Heizkessel wird der Wirkungsgrad der Wär- Erdgas-Kombikraftwerke, die bei Leistungen von
meproduktion zum Kesselwirkungsgrad: über 500 MW el einen elektrischen Wirkungsgrad von
gegen 60 % erzielen.

K = Kesselwirkungsgrad [–] • Daneben können Anlagen mit geringen elektrischen


Wirkungsgraden und dafür vollständiger Nutzung
der Abwärme eingesetzt werden. Solche Anlagen
Für einen Dampfkessel zum Antrieb eines Dampfpro- werden weitgehend wärmegeführt betrieben und da-
zesses dient dagegen ein Teil der Kesselleistung zur her in Heizkraftwerken auf den Grundlastwärmebe-
Stromerzeugung mit el > 0. In dem Fall gilt: darf ausgelegt. Entsprechende Anlagen werden in
der Schweiz vor allem im Leistungsbereich von we-
niger als 10 MW el ausgeführt. Beispiele sind Holz-
heizkraftwerke mit Dampfturbinen oder ORC-Modu-
len.

23
Planungshandbuch Fernwärme

Eine effektive Gewichtung der Elektrizität erfolgt zum


2.6.3 Gewichteter Beispiel auch in den Mindestanforderungen zur kosten-
Gesamtwirkungsgrad deckenden Einspeisevergütung (KEV) aus thermi-
schen Anlagen [75]. Bild 2.9 zeigt dazu die von der
Da Elektrizität eine höhere Wertigkeit als Wärme auf- Energieverordnung (EnV) [76] verlangte Mindestanfor-
weist, wird für einen Vergleich von Wärme- und Strom- derung zur KEV für Dampfprozesse, die mit Biomasse
erzeugung ein Gewichtungsfaktor für Elektrizität ein- befeuert oder in Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA)
geführt und für ein Heizkraftwerk damit ein gewichteter installiert werden [76]. Für Anlagen zur Nutzung von
Gesamtwirkungsgrad wie folgt definiert: Biomasse werden dabei deutlich höhere Anforderungen
verlangt als für KVA.
In [76] wird ausgeführt, dass die Nutzungsgrade über
ein Jahr zu bewerten sind und dass die gesamte Strom-
tot,gew = Gewichteter Gesamtwirkungsgrad [–] produktion ohne Abzug des Eigenverbrauchs bewertet
fel = Gewichtungsfaktor für Elektrizität [–] werden darf. Die KEV-Anforderungen entsprechen also
einem gewichteten Gesamtnutzungsgrad der Brutto-
Stromproduktion über ein Jahr.
Daraus kann der gewichtete Gesamtnutzungsgrad
abgeleitet werden. Dieser wird mit dem Index a be- Für Biomasse entspricht die EnV folgender Forderung:
schrieben, was dem gewichteten Gesamtnutzungsgrad
über ein Jahr entspricht. Die Ausführungen gelten je-
doch auch für andere Betrachtungsdauern, weshalb im
mit fel = 70 % / 40 % = 1.75.
Folgenden vereinfachend von gewichtetem Gesamtnut-
zungsgrad gesprochen wird. Damit gilt:
Für KVA gilt:

tot,a,gew = Gewichteter Gesamtnutzungsgrad [–] mit fel = 65 % / 25 % = 2.60.


Für fel = 1 gilt: tot,gew = tot und tot,a,gew = tot,a. Die EnV führt also eine Gewichtung der Elektrizität mit
einem Faktor von 1.75 bzw. von 2.60 ein.
Bild 2.10 zeigt den Einfluss des elektrischen Wirkungs-
Eine effektive Gewichtung der Elektrizität erfolgt, wenn
grads und des Gewichtungsfaktors auf den gewichteten
ein Wert von fel > 1 eingesetzt wird. Der gewichtete Ge-
Gesamtnutzungsgrad für ein Heizwerk, ein Heizkraft-
samtwirkungsgrad kann dann ebenfalls Werte > 1 errei-
werk und ein Kraftwerk. Für den Gewichtungsfaktor ist
chen und darf nicht mit ungewichteten Werten vergli-
ein Basiswert von 1.75 gemäss EnV für Biomasse an-
chen werden.
genommen und zusätzlich ein doppelt so hoher Wert
von 3.5 eingesetzt. Die Werte mit in realen Anlagen er-
zielbaren Nutzungsgraden sind fett dargestellt und
decken für das Heizkraftwerk elektrische Nutzungs-
grade von 10 % bis 40 % sowie für das Kraftwerk von
30 % bis 60 % ab. Für das Heizkraftwerk ist dabei ein
wärmegeführter Betrieb angenommen.
Die Grafik zeigt, dass bei einer Gewichtung der Elektri-
zität mit einem Faktor 3.5 sowohl ein Heizkraftwerk als
auch ein Kraftwerk einen höheren gewichteten Gesamt-
nutzungsgrad erzielen als ein Heizwerk. Bei einer Ge-
wichtung von 1.75 erzielen Heizwerke und Heizkraft-
werke ähnliche Gesamtwerte, während ein Kraftwerk
erst ab einem elektrischen Wirkungsgrad von über
Bild 2.9 Mindestanforderung Energieverordnung für 50 % gleich hohe oder höhere Werte erzielt.
Dampfprozesse (ENV Anhang 1.5, Absatz
3.3 (KVA) und Absatz 6.3 Buchstabe a (Bio- Der für die Stromproduktion eingeführte Gewichtungs-
masse) [75]) zur Vergütung der kosten- faktor für Elektrizität kann auch zur Bewertung von Ver-
deckenden Einspeisevergütung für Biomas- brauchern angewendet und dazu mit der Leistungszahl
se-Strom (Bild 2.9, Artikel 7a EnG, Biomasse oder Jahresarbeitszahl (JAZ) einer Wärmepumpe ver-
Anh. 1.5 EnV [76]). Die Betrachtungsdauer glichen oder als solcher interpretiert werden. Für an-
ist ein Jahr und es darf die Brutto-Strompro- dere Anwendungen als eine Wärmepumpe, wie etwa
duktion bewertet werden. dem Stromverbrauch einer Wärmerückgewinnung,
kann die Gewichtung auch allgemein als Faktor der
Elektro-Thermo-Verstärkung (ETV) interpretiert werden.

24
Teil 1 Grundlagen

Für die Leistungszahl  (auch Coefficient of Perfor- in Bild 2.11 beschriebene Beispiel ist auch in Bild 2.10
mance (COP)) einer Wärmepumpe gilt: als Beispiel eingetragen.

= Nutzwärmeleistung [kW]

= zugeführte Wärmeleistung [kW]


Pel = zugeführte elektrische Leistung [kW]
T = obere Temperatur (Nutzwärme) [K]
Tu = untere Temperatur (zugeführte Wärme) [K]
Der Index n bezeichnet die abgegebene Nutzwärme
beim oberen Temperaturniveau T. Der Index u bezeich-
net die Wärmezufuhr durch Umgebungs- oder Abwär-
me beim unteren Temperaturniveau Tu.
Die zwischen zwei Temperaturniveaus theoretisch er-
zielbare Leistungszahl wird als Carnot-Leistungszahl C
bezeichnet, da der Prozess einen linksläufigen Carnot-
Bild 2.10 Gewichteter Gesamtnutzungsgrad für
Prozess beschreibt. Bild 2.16 zeigt den Einfluss der fel = 1.75 und fel = 3.5 für vier Szenarien: 1.
Temperaturen auf die Carnot-Leistungszahl. Heizwerk ohne und mit Abgaskondensation,
Das Verhältnis zwischen realer und theoretischer Leis- 2. Heizkraftwerk wärmegeführt mit tot = 0.8,
tungszahl wird Gütegrad WP genannt und erreicht 3. Kraftwerk (ohne Abwärmenutzung). Der
Punkt entspricht Bild 2.11.
typische Werte von WP = /C = 0.4 – 0.55.
Für die Jahresarbeitszahl (JAZ) gilt:
Zugeführte Leistung Brennstoff = 1

QV,a
Wärmeverlust = = 0.2
QBr,a
QNutz = jährlich produzierte Nutzwärme [kWh/a]
QZu = jährlich zugeführte Wärme [kWh/a]
QK,a
ηq,a =
Eel = jährlicher Stromverbrauch [kWh/a] QBr,a
= 0.6
ηtot,a = ηq,a + ηel,a = 0.8
Als Vergleich zu einem Referenzfall mit dezentralen
und mit Brennstoffen betriebenen Heizungen kann so- ηtot,a,gew = ηq,a + fel ∙ ηel,a = 1.3
Eel,a
mit ein Szenario betrachtet werden, in dem ein Heiz- ηel,a = = 0.2
QBr,a
kraftwerk mit dem zuvor in Heizungen genutzten Brenn-
stoffen betrieben wird. Die Wärme wird dabei zum Bei-
fel ∙ ηel,a = 0.7
spiel für Fernwärme genutzt, während der Strom zum
Antrieb von dezentralen Wärmepumpen dient, die Um-
gebungswärme als Wärmequelle verwenden und auf
die Nutztemperatur anheben. Der Energiefluss für die-
Umgebungs-
ses Szenario ist in Bild 2.11 in einem Sankey-Dia- wärme
gramm dargestellt. Für das Heizkraftwerk ist dabei ein QU = 0.5
Nutzungsgrad zu Wärme von 60 % und zu Strom von
20 % angenommen, was einem Gesamtnutzungsgrad
von 80 % entspricht. Wenn für Wärmepumpen eine Bild 2.11 Sankey-Diagramm für das Szenario eines
Heizkraftwerks, dessen Stromproduktion
Jahresarbeitszahl von 3.5 angenommen und diese als
zum Antrieb von Wärmepumpen genutzt wird.
Gewichtungsfaktor für die Elektrizität interpretiert wird,
Annahmen: Heizkraftwerk: el,a = 20 %, q,a =
resultiert ein gewichteter Gesamtwirkungsgrad von 60 %. Gewichtung Elektrizität: fel = JAZ = 3.5.
130 %. Die Differenz zwischen dem gewichteten Ge- Für dieses Beispiel resultiert ein gewichteter
samtwirkungsgrad von 130 % und dem Gesamtwir- Gesamtnutzungsgrad von 130 %, was in Bild
kungsgrad von 80 % entspricht der durch die Umge- 2.10 als Punkt eingezeichnet ist.
bungswärme zugeführten Leistung von 50 %, die nicht
als Aufwand bewertet wird. 2.7 Wärmeerzeugung und
Mit dem gleichen Brennstoff kann somit die 1.625-fache
Nutzwärme produziert werden (130 % / 80 %). Alter-
Potenzial der Fernwärme
nativ kann auch die gleiche Nutzwärme mit 61.5 % des Eine Zentrale zur Erzeugung von Wärme wird als Heiz-
Brennstoffs erzeugt werden (1/1.625), was einer Ein- werk oder im Fall eines Fernwärmenetzes auch als
sparung an Primärenergie um 38.5 % entspricht. Das Fernheizwerk bezeichnet. Wenn Strom und Nutzwär-

25
Planungshandbuch Fernwärme

me produziert werden, wird die Zentrale als Heizkraft- Gebäuden oder zentral in der Kanalisation als
werk bezeichnet. Als Wärmequellen für Fernwärme Wärmequelle genutzt werden kann. Ein grosses
dienen meist folgende Prozesse und Energieträger: Potenzial an Niedertemperaturabwärme enthält
zudem das geklärte Wasser im Auslauf von Ab-
• Automatisch betriebene Heizkessel für Energieholz wasserreinigungsanlagen (ARA).
wie Waldhackschnitzel, Restholz, Altholz und Holz-
pellets. Entsprechende Holzkessel kommen in • Daneben kommt als Zusatzheizung in Fernwärme-
Fernwärmenetzen zur Deckung der Grundlast oder netzen auch der Einsatz von solarthermischen An-
des gesamten Wärmebedarfs zur Anwendung. lagen infrage. Dabei wird in der Regel ein auf einen
Tag ausgelegter Wärmespeicher eingebunden und
• Mit Erdgas oder Heizöl betriebene Heizkessel kom- die Solaranlage aus wirtschaftlichen Gründen auf
men oft zur Deckung der Spitzenlast zum Einsatz, den sommerlichen Warmwasserbedarf ausgelegt.
während für neue Fernwärmenetze eine rein Für bestehende Wohnbauten wird damit ein solarer
fossile Versorgung ausgeschlossen wird. Deckungsgrad der gesamten Wärmeerzeugung
von weniger als 10 % erreicht, während für Neu-
• Abwärme auf einem direkt nutzbaren Temperatur- bauten auch deutlich höhere Werte möglich sind.
niveau von über 70°C aus industriellen Prozessen Die Einbindung solarthermischer Anlagen in Fern-
kann theoretisch für Fernwärme genutzt werden, in heizwerke ist in der Schweiz allerdings noch kaum
der Regel sind aber andere Massnahmen wie eine verbreitet, da die Wärmeerzeugungskosten bis an-
prozessinterne Nutzung vorteilhaft. hin meist höher sind als die Grenzkosten der sons-
• Abwärme aus Anlagen zur Wärme-Kraft-Kopplung tigen Wärmeerzeugung.
bei über 70°C. Beispiele sind Dampfturbinen in • In Regionen mit heissen Gesteinsschichten in
KVA oder Holzheizkraftwerken, mit Holz betriebene Oberflächennähe kommt theoretisch auch eine di-
ORC-Anlagen sowie mit Erdgas oder Biogas be- rekte geothermische Fernwärmenutzung infrage. In
triebene BHKW. Da WKK-Anlagen hohe Kapital- der Schweiz sind entsprechende Schichten aber
kosten aufweisen, ist ein Betrieb mit hohen Vollbe- kaum gegeben, weshalb sich oberflächennahe Ge-
triebsstunden notwendig. WKK-Anlagen verfügen othermie bis anhin weitgehend auf die Bereitstel-
deshalb oft über einen Spitzenlastkessel, während lung von Niedertemperaturwärme für Wärmepum-
die als Fernwärme genutzte Abwärme zur Deckung pen beschränkt. Sofern dagegen tiefe Geothermie
der Grundlast dient. und höhere Temperaturniveaus genutzt werden
• Wärmepumpen zur Nutzung von Umgebungs- oder sollen, steht dabei die Stromerzeugung in einem
von Niedertemperaturabwärme. Umgebungswärme thermischen Prozess im Vordergrund, wobei die
wird zum Beispiel aus der Luft oder mittels Erdwär- Abwärme zur Fernwärmeauskopplung genutzt wer-
mesonden genutzt. Niedertemperaturabwärme fällt den könnte.
zum Beispiel im Abwasser an, das in einzelnen

Bild 2.12 Wärmepotenzial verschiedener Wärmequellen (orange) sowie das „zugeordnete“ Potenzial, das im Jahr 2050
den dann noch vorhandenen Bedarf mit Fernwärme zu maximal 4.5 Rp./kWh verteilt werden kann [19].

Für die Schweiz wurde das Potenzial der wichtigsten Flüssen sowie von Energieholz und Geothermie. Die
Wärmequellen für Fernwärmenetze im Jahr 2014 erho- Wärmepotenzial sind in Bild 2.12 orange dargestellt.
ben und dazu eine geografische Einteilung in Cluster Nicht enthalten ist dabei das Potenzial von Solarther-
von 100 mal 100 Meter (Hektaren) vorgenommen. Er- mie und ebenfalls unberücksichtigt ist Umgebungsluft
fasst wurden die Potenziale von KVA-Abwärme, Indus- als Wärmequelle, da diese hauptsächlich für dezentrale
trie-Abwärme, Grundwasser, ARA-Abwärme, Seen, Wärmepumpen von Interesse ist.

26
Teil 1 Grundlagen

Unter der Annahme, dass der Wärmeverbrauch von


Gebäuden bis ins Jahr 2050 um 50 % und dasjenige
2.8 Reine Wärmeerzeugung
der Industrie um 20 % reduziert wird, wurden das Po- (Heizwerke)
tenzial zur Deckung des verbleibenden Bedarfs auf-
grund der Lage abgeschätzt und damit die als der Fern- 2.8.1 Holzheizkessel
wärme „zugeordneten“ Potenziale ausgewiesen. Diese
Während bis vor einigen Jahren vereinzelt noch rein
gelten unter der Annahme, dass die Wärmeverteilung
fossil betriebene Heizkessel für Fernwärme zum Ein-
Kosten von maximal 4.5 Rp./kWh verursacht, was als
satz kamen, ist dies für Neuanlagen aufgrund der Kli-
wirtschaftlich attraktiv beurteilt wird. Bild 2.12 zeigt blau
maverpflichtungen nicht mehr zulässig. Zum Ersatz be-
diese zugeordneten Potenziale, die in Tabelle 2.3 noch
stehender fossiler Feuerungen sowie für den Neubau
detailliert aufgeschlüsselt sind.
von Fernwärmenetzen werden deshalb oft mit Biomas-
Tabelle 2.3 Aufteilung der zugeordneten Wärme- se befeuerte Heizkessel eingesetzt. Bis anhin kommt in
quellen mit Unterscheidung einer direkten erster Linie Energieholz zum Einsatz, weil die Versor-
Nutzung sowie einer Nutzung mittels gung mit Holz etabliert ist und Holz unter den Biomas-
Wärmepumpen (WP), Zahlen nach [19]. sesortimenten die vorteilhaftesten Eigenschaften als
*Der Wert für Abwärme wird als null Brennstoff aufweist. Da Energieholz jedoch nur einen
ausgewiesen, da die Basis für eine
Teil der fossilen Wärmeerzeugung ersetzen kann, wird
geografische Zuordnung fehlt.
nach Ausschöpfung des Potenzials auch das Interesse
an anderen Biomassebrennstoffen wie Reststoffen aus
Wie Quelle Wärmequelle TWh/a %
der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelverarbeitung
Direkt Holz Holz 1.7 10 zunehmen.
Abwärme Abfall (KVA) 3.6 21
Für Energieholz sind die Techniken und Versorgungs-
Abwärme* (Industrie) 0 0 ketten dagegen bereits heute etabliert, wobei für Fern-
WP Abwärme ARA 1.9 11 wärme in erster Linie Waldhackschnitzel, Restholz und
Umwelt Seen 5.1 29 Altholz zum Einsatz kommen und daneben auch Holz-
Flüsse 1.8 10 pellets infrage kommen [24]. Die verschiedenen Sorti-
mente setzen teilweise jedoch ganz unterschiedliche
Grundwasser 1.9 11
Techniken zur Lagerung, Förderung und Verbrennung
Geothermie 1.7 10 voraus und es gelten auch unterschiedliche bauliche
Total 17.0 100 und gesetzliche Anforderungen. Letzteres betrifft insbe-
sondere die in der Luftreinhalte-Verordnung (LRV) [25]
Total direkte Nutzung 5.3 31
geregelten Schadstoffemissionen im Abgas sowie die in
Total Nutzung mit Wärmepumpen 11.7 69 der Abfallverordnung geregelte Entsorgung der Aschen
[26].
Total Bedarf WW und Raumwärme 2050 45 100
Zugeordnetes Potenzial Fernwärme 17 38 Alle Sortimente an Energieholz zusammen tragen
heute mit rund 37’200 TJ/a oder etwa 4.1 % zum Ge-
Die Erhebung zeigt, dass Seewasser und Geothermie samtenergieverbrauch der Schweiz bei. Der Energie-
die weitaus grössten totalen Potenziale aufweisen. holzverbrauch kann noch um rund 50 % erhöht werden,
Unter den zugeordneten Potenzialen ist Seewasser mit womit Dies würde das Holz rund 6 % des heutigen Ver-
29 % Anteil gefolgt von KVA mit 21 % am interessan- brauchs decken oder bei künftig reduziertem Verbrauch
testen. Mit Ausnahme der industriellen Abwärme, für noch entsprechend mehr zur Versorgung beitragen
die wegen einer ungenügenden Basis für eine Zuord- kann.
nung ein Wert von null ausgewiesen wird, weisen alle
Bei direkt aus dem Wald gelieferten Waldhackschnit-
weiteren Quellen Potenziale von 10 % bis 11 % des
zeln ist bei der Anlagenauslegung unter anderem der
Fernwärmepotenzuials auf.
hohe Wassergehalt zu beachten. Der Einsatz von nas-
Das total zugeordnete Fernwärmepotenzial beträgt sen Waldhackschnitzeln setzt geeignete Feuerungen
17 TWh/a bei einem für das Jahr 2050 prognostizierten voraus und kommt erst ab einer gewissen Mindestgrös-
Bedarf von 45 TWh/a und kann somit bis zu 38 % des se infrage. Zudem wird dadurch die Möglichkeit rascher
gesamten Wärmebedarfs für Raumheizung und Warm- Lastwechsel und von Teillastbetrieb eingeschränkt.
wasser decken. Vom zugeordneten Potenzial entfallen Feuerungen mit nassen Waldhackschnitzeln sind des-
69 % auf Niedertemperaturquellen, die für Fernwärme halb vor allem zur Deckung der Grundlast geeignet. Bei
mittels Wärmepumpen genutzt werden. Dabei ist zu der Lagerung von nassen Holzschnitzeln kann Kohlen-
beachten, dass eine Ausschöpfung dieses Potenzials dioxid (CO2) als Gärgas gebildet werden. Da dies we-
einen entsprechenden Ausbau der Stromproduktion gen der grösseren Dichte als Luft absinkt, müssen zum
voraussetzt. Personenschutz Massnahmen wie eine Belüftung ge-
troffen werden. Die für Waldhackschnitzel genannten
Einschränkungen gelten auch für nasses Restholz, wie
es zum Beispiel in Form von Rinde in Sägereien anfällt.
Rinde weist aber zusätzlich einen erhöhten Aschege-

27
Planungshandbuch Fernwärme

halt und überlange Stücke auf, was zusätzliche Anfor-


derungen an Fördereinrichtungen und Verbrennungs-
anlagen stellt.
Bei Restholz aus der zweiten Stufe der holzverarbei-
tenden Industrie wie Schreinereien, Zimmereien, Mö-
bel- und Küchenfabriken können je nach Anwendung
Zusatzstoffe wie Leime und Farben enthalten sein. Aus-
serdem kann die Stückigkeit von groben Stücken bis zu
feinen Hobelspänen variieren, was ebenfalls zu berück-
sichtigen ist. Besonders anspruchsvoll ist die Hand-
habung und Verbrennung von staubförmigen Brenn-
stoffen, da diese mit Explosionsgefahr und Personen-
gefährdung verbunden sind und besondere Verbren-
nungsanlagen voraussetzen. Zur Nutzung brennbarer
Stäube kommt deshalb oft eine Pelletierung oder Bri-
kettierung am Ort des Anfalls zum Einsatz.
Bei Altholz, also Holz von alten Möbeln, Verpackungs- Bild 2.13 Prinzip einer Vorschubrostfeuerung für Wald-
material und Gebäudeabbrüchen, ist die Herkunft und chackschnitzel und andere Energieholzsorti-
Zusammensetzung meist nicht bekannt, weshalb Alt- mente [27]. 1 Brennstoffzufuhr, 2 Primärluft,
holz grundsätzlich als mit Schwermetallen und anderen 3 Vorschubrost mit Brennstoffbett, 4 Austra-
Fremdstoffen belastet gilt. Eine Nutzung von Altholz ist gung der Rostasche, 5 Sekundärluft, 6 Nach-
deshalb nur in Anlagen erlaubt, die nach LRV dafür zu- brennkammer, 7 Kessel, 8 Multizyklon als
gelassen sind und erhöhte Anforderungen an die Ab- Vorabscheider von Grobstaub, 9 Abgas.
gasreinigung und den Anlagenbetrieb einhalten.
Zur Einhaltung der Emissionsgrenzwerte an Feinstaub
Obwohl damit für alle Energieholzsortimente technisch werden automatische Holzheizungen mit Staubabschei-
ausgereifte Anlagen verfügbar sind, sind die spezifi- dern ausgerüstet. Bei der Nutzung feuchter Brennstoffe
schen Besonderheiten betreffend Lagerung, Feue- kommen meist Elektroabscheider zum Einsatz, für
rungstechnik und Anlagenbetrieb zu beachten, wie in trockene Brennstoffe auch Gewebefilter.
QM Holzheizwerke ausgeführt wird [21]. So kommen
Wie aus dem Aufbau eines Holzheizwerks mit Brenn-
für Brennstoffe mit geringem Asche- und moderatem
stofflager, Heizraum und technischen Einrichtungen
Wassergehalt oft Unterschubfeuerungen infrage, wäh-
nach Bild 2.15 hervorgeht, weisen Heizzentralen mit
rend für erhöhte Aschegehalte und/oder hohe Wasser-
Holz einen grossen Raumbedarf auf. Damit verbunden
gehalte meist Vorschubrostfeuerungen nach Bild 2.13
sind auch hohe Kapitalkosten. Aus wirtschaftlichen
zum Einsatz kommen.
Gründen werden für automatische Holzheizungen des-
Unterschubfeuerungen kommen meist im Leistungs- halb meist hohe Vollbetriebsstunden durch Deckung
bereich bis etwa 1 MW zum Einsatz, Rostfeuerungen der Grundlast angestrebt.
dagegen bis zu über 20 MW. Für Leistungen ab 10 MW
Die spezifischen Kapitalkosten von Holzheizwerken
kommen auch Wirbelschichtfeuerungen infrage. Diese
weisen vor allem für Leistungen unter 1 MW bis 2 MW
erzielen etwas höhere Wirkunsgrade und tiefere Emis-
einen starken Skaleneffekt auf, wie in Bild 2.14 dar-
sionen im Rohgas bei gleichzeitig etwas höherem Hilfs-
gestellt ist. Ein wesentlicher Kostenfaktor ist dabei die
energieverbrauch.
Brennstofflagerung. Lagerhallen sind in der Regel am
günstigsten, bei Neubauten können aber auch Unter-
flursilos mit lediglich geringfügig höheren Kosten inte-
griert werden, während nachträglich ergänzte Unterflur-
silos hohe Kosten verursachen. Wegen des grossen
Platzbedarfs zur Brennstofflagerung kommt einer ganz-
jährig gesicherten Versorgung eine wichtige Rolle zu,
welche eine Auslegung der Lagerkapazität auf wenige
Tage in der kältesten Periode erlaubt. Für die Versorg-
ung von Heizwerken mit Energieholz ist gleichzeitig die
Entsorgung der anfallenden Aschen sicherzustellen, die
in der Regel vom Energieholzlieferanten zurückgenom-
men und korrekt entsorgt werden.

28
Teil 1 Grundlagen

Bild 2.14 Spezifische Investitionskosten für automatische Holzheizwerke (inklusive Brennstofflagerung und Heizraum)
in Funktion der Wärmeleistung. Die niedrigen Werte gelten für günstige bauliche Voraussetzungen für
Brennstofflager und Heizraum.

Bild 2.15 Heizzentrale mit automatischer Holzfeuerung: 1 Brennstofflager mit Austragung, 2 Heizkessel, 3
Feinstaubabscheider (im Bild als Elektroabscheider ausgeführt), 4 Abgasventilator, 5 Kamin [27].

Tabelle 2.4 Heizwert und Energiedichte zur Lagerung für verschiedene Brennstoffe. Für Holzschnitzel ist ein typischer
Wassergehalt (Masse Wasser pro Masse nasses Holz) von 30 % angenommen. Die Lagerdichte bezeich-
net die Masse pro Lagervolumen, was für Holzschnitzel der Schüttdichte entspricht. Die Energiedichte be-
schreibt Energieinhalt pro Lagervolumen.

Wassergehalt Heizwert Lagerdichte Energiedichte Lagervolumen


Brennstoff
Gew.-% kWh/kg kg/m3 kWh/m3 (Öl=1)
Holzschnitzel Fichte 30 % 3.5 200 700 13
Buche 30 % 3.3 270 900 11
Holzpellets 10 % 4.9 650 3200 3
Heizöl 0% 11.8 850 10’000 1

einer gewissen Grösse zu einer Erstickungsgefahr füh-


Als Alternative zu Holzschnitzeln kommen auch Holz-
ren können. Für grössere Lagerräume ist deshalb eine
pellets zur Wärmeerzeugung infrage. Holzpellets wei-
Belüftung und Überwachung erforderlich. Dabei sind je-
sen für die Lagerung lediglich rund einen Viertel des
doch andere Voraussetzungen als für Waldhackschnit-
Platzbedarfs von Waldhackschnitzeln auf, wie der Ver-
zel zu erfüllen. Da Holzpellets eine geringe Feuchtigkeit
gleich nach Tabelle 2.4 zeigt. Obwohl der Platzbedarf
und homogene Eigenschaften aufweisen, sind sie auch
damit immer noch grösser ist als für Heizöl, ist für den
für den Einsatz in Kleinfeuerungen geeignet. Wegen
Fall eines Heizungsersatzes eine Pelletheizung oft eher
des Herstellungsaufwands sind sie jedoch teurer als
geeignet als eine Holzschnitzelheizung. Bei der Lage-
Waldhackschnitzel, weshalb für die Grundlastdeckung
rung ist dabei zu beachten, dass Holzpellets Kohlen-
in Fernheizwerken in der Regel andere Energieholzsor-
monoxid (CO) freisetzen und damit in Lagerräumen ab

29
Planungshandbuch Fernwärme

timente zum Einsatz kommen. Um fossile Energieträger auf, der rund zwei Drittel des Heizwerts von Erdgas
vollständig zu ersetzen, ist in Zukunft jedoch denkbar, entspricht. Gärgas kann damit in einem Gasmotor-
dass anstelle von Öl- oder Gaskesseln Pelletkessel für BHKW eingesetzt oder zur Einspeisung ins Erdgasnetz
den Sommerbetrieb und für Spitzenlast dienen könnten. aufbereitet werden. Im Gegensatz zu einer motorischen
Nutzung muss zur Einspeisung allerdings auch das
Weil nasse Holzschnitzel in kleinen Feuerungen zu
Kohlendioxid in einer Gaswäsche abgetrennt werden.
einem ungünstigen Betriebsverhalten führen können
Bei Nutzung in einem BHKW bietet sich eine Abwärme-
und auch in grösseren Anlagen für einen Sommerbe-
nutzung für Fernwärme an, wobei die BHKW-Abwärme
trieb nicht oder nur bedingt geeignet sind, werden seit
meist zur Grundlastdeckung dient.
einigen Jahren auch Holzschnitzel mit reduziertem Ge-
halt an Feuchtigkeit und Asche angeboten. Solche 2.8.2 Direkt nutzbare Abwärme
Holzschnitzel werden durch eine technische Trocknung
und Absiebung des Feingutanteils produziert und auch Industrielle Abwärme bei Temperaturen über 70°C ist in
als „Qualischnitzel“ bezeichnet. QM Holzheizwerke erster Priorität betriebsintern zu nutzen oder zu rekupe-
unterscheidet dabei nach FAQ 36 zwischen Quali- rieren und steht für Fernwärme nur dann zur Verfügung,
schnitzel fein und Qualischnitzel grob, wobei die grobe wenn keine geeignete betriebliche Verwendung möglich
Kategorie nur für Anlagen ab 100 kW empfohlen wird ist. Voraussetzung ist zudem, dass der Aufwand zur
[28]. Abwärmenutzung wirtschaftlich und der zeitliche und
örtliche Anfall geeignet und auf absehbare Zeit verfüg-
Da das nachhaltig nachwachsende Holz in der Schweiz
bar ist. Die Wärmeversorgung wird daneben meist mit
nur noch einen Ausbau der Energieholznutzung um
einer konventionellen Wärmeerzeugung abgesichert.
rund 50 % bis maximal 100 % erlaubt, besteht ein zu-
Im Weiteren ist zu beachten, dass Verbesserungen
nehmendes Interesse an anderen biogenen Brenn-
oder Veränderungen in der Produktion den Abwärme-
stoffen. Infrage kommen zum Beispiel Reststoffe aus
anfall reduzieren können. Daneben kommt hinzu, dass
der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelverarbei-
für die industrielle Produktion viel kürzere Abschrei-
tung wie Stroh und Getreiderückstände. Solche Sorti-
bungszeiten als für Fernwärmenetze vorausgesetzt
mente weisen einen hohen Aschegehalt sowie hohe
werden, was eine Koordination der Investitionen er-
Gehalte an Stickstoff, Schwefel, Kalium, Chlor und an-
schwert. Aus diesen Gründen ist eine direkte Fernwär-
deren Inhaltsstoffen auf. Eine Folge davon sind grosse
menutzung industrieller Abwärme selten. Soweit dage-
Aschemengen, verstärkte Verschlackung und Ablage-
gen grosse Abwärmemengen bei über 300°C zur Ver-
rungsbildung sowie erhöhte Schadstoffemissionen an
fügung stehen, bietet sich eine Stromerzeugung mit
Staub und Stickoxiden. Die Nutzung als Brennstoff ver-
Wärme-Kraft-Kopplung an, was im Kapitel 2.9
ursacht deshalb höhere Anforderungen an die Ver-
behandelt wird.
brennungstechnik und den Anlagenbetrieb. Im Weiteren
stehen auch Rückstände wie Tiermehl und getrockneter 2.8.3 Niedertemperatur-Abwärme
Klärschlamm zur Verfügung, bei deren Entsorgung die
Hygiene und Sicherheit im Vordergrund steht. Entspre-
und Umgebungswärme
chende Sortimente sollten zwar in Zukunft auch zur 2.8.3.1 Wärmepumpen zur Temperaturan-
Energiegewinnung genutzt werden, der Bau und Be-
trieb entsprechender Anlagen ist allerdings mit hohen
hebung
Anforderungen verbunden und in der Regel auf ein Wärmepumpen nutzen Wärme auf tiefem Temperatur-
entsprechendes Umfeld der Nahrungsmittelindustrie niveau und erhöhen die Temperatur auf ein nutzbares
oder der Entsorgungstechnik beschränkt. Niveau. Dies erfolgt in Kompressions-Wärmepumpen
durch Zufuhr von mechanischer Energie oder in Ab-
Nasse Biomasse wie Gülle aus der Landwirtschaft,
sorptions- und Adsorptions-Wärmepumpen unter Zu-
Klärschlamm aus der Abwasserreinigung und feste
fuhr von Wärme bei hoher Temperatur. Das Verhältnis
Küchenabfälle kommen zur direkten Nutzung in Heiz-
zwischen Nutzwärme und meist als Elektrizität zuge-
kesseln nicht infrage. Dagegen bietet sich für diese
führter hochwertiger Energie wird nach Kapitel 2.6.3 als
Reststoffe eine Verwertung als Substrat zur anaeroben
Vergärung an. Zum Einsatz kommen dezentrale Bio- Leistungszahl  definiert und bei Betrachtung über ein
gasanlagen in Landwirtschaftsbetrieben, die aus Kos- Jahr als Jahresarbeitszahl (JAZ) bezeichnet.
tengründen in der Regel jedoch eine gewisse Mindest- Die Leistungszahl wird unendlich gross, wenn die Tem-
grösse aufweisen. Daneben kommen grössere zentrale peraturdifferenz zwischen Wärmequelle (untere Tem-
Vergärungsanlagen zum Einsatz, die oft zur Co-Vergä- peratur Tu) und Wärmeproduktion (obere Temperatur T)
rung von flüssigen Rückständen wie Klärschlamm und gegen null geht. Wenn die Temperaturdifferenz sehr
Gülle zusammen mit festen Rückständen aus der Gast- gross wird, nähert sich die Leistungszahl dagegen dem
ronomie und von Haushalten ausgelegt sind. Das Gär- Wert eins, wodurch eine elektrische Wärmepumpe zu
gas, Biogas oder Klärgas aus Vergärungsanlagen be- einer elektrischen Heizung wird. Wärmepumpen sind
steht üblicherweise aus rund 60 % bis 70 % Methan deshalb nur interessant, wenn Quelle und Nutzwärme
und 25 % bis 40 % Kohlendioxid und enthält zudem eine geringe Temperaturdifferenz aufweisen. Bild 2.16
Schwefel- und Stickstoffverbindungen, die vor einer zeigt dazu die Carnot-Leistungszahl in Funktion der
Nutzung in der Regel abgeschieden werden. Aufgrund Temperatur für verschiedene Quelltemperaturen.
der Zusammensetzung weist Gärgas einen Heizwert

30
Teil 1 Grundlagen

Dies setzt voraus, dass eine niedrige Temperatur der Der Aufbau einer Wärmepumpe ist identisch zu einer
Nutzwärme genügt oder die Wärmepumpe nur zur Vor- Kältemaschine, wobei der Wärmeentzug auf dem unte-
wärmung wie zum Beispiel der Anhebung der Rücklauf- ren Temperaturniveau zur Bereitstellung von Kälte dient.
temperatur dient und eine Nacherwärmung mit einem Bei gleichzeitigem Bedarf an Wärme und Kälte, wie
zweiten Wärmeerzeuger erfolgt. Daneben kann die etwa bei der Kombination eines Hallenbads und einer
Wärmeproduktion auch auf zwei Temperaturniveaus Kunsteisbahn, kann sowohl die Kälte als auch die
ausgelegt werden. Zur Versorgung von Gebäuden kann Wärme genutzt und der Stromverbrauch einer Kom-
eine Wärmepumpe dazu zum Beispiel alternierend pressionsanlage im Vergleich zu zwei unabhängigen
Raumwärme bei 35°C und Warmwasser bei 60°C be- Anlagen entsprechend reduziert werden. Die Wärme-
reitstellen. Ohne Nacherwärmung kommen Wärme- produktion der Kältemaschine dient dabei als direkt
pumpen für Fernwärmenetze in der Regel nur für Vor- nutzbare Abwärme. Sofern am Ort der Kälteproduktion
lauftemperaturen bis zu maximal 70°C infrage. Bei kein gleichzeitiger Wärmebedarf vorhanden ist, kom-
einer Quellentemperatur von 10°C und einem Gütegrad men Kältemaschinen auch als Abwärmequellen für
von 0.5 entspricht dies einer Leistungszahl von 2.9, wie Fernwärme infrage.
aus Tabelle 2.5 hervorgeht. Wenn die Wärmepumpe
Der Einsatz von Absorptionsanlagen ist zum Beispiel
nur zur Vorwärmung auf 50°C dient, wird dagegen eine
dann von Interesse, wenn grosse Abwärmemengen bei
Leistungszahl von 4.0 erreicht, bei 35°C wird ein Wert
ausreichender Temperatur zur Verfügung stehen und
von 6.2 erreicht.
gleichzeitig ein entsprechender Kältebedarf vorhanden
ist. Wegen des apparativen Aufwands beschränken
sich solche Anwendungen jedoch auf grössere Einhei-
ten. Wenn Fernwärme kostengünstig und bei hoher
Temperatur zur Verfügung steht, kommt auch eine de-
zentrale Kälteproduktion mittels Absorptionsanlagen
infrage.

2.8.3.2 Wärmequellen für Wärmepumpen


Für die zentrale Wärmeerzeugung in Fernwärmenetzen
mit Wärmepumpen kommen vor allem folgende Wär-
mequellen infrage:

• Umgebungsluft. Dezentrale Wärmepumpen wer-


den oft mit Umgebungsluft als Wärmequelle ausge-
Bild 2.16 Carnot-Leistungszahl in Funktion der Tem- führt, da diese Anwendung nahezu überall möglich
peratur T für verschiedene Niveaus der ist und die Bohrkosten für einzelne Sonden ver-
unteren Temperatur (Quelltemperatur) Tu. hältnismässig teuer sind. Umgebungsluft weist je-
doch in der kalten Jahreszeit bei maximalem Heiz-
Tabelle 2.5 Reale Leistungszahl einer Wärmepumpe bedarf gleichzeitig die niedrigste Temperatur auf,
mit Gütegrad 0.5 für verschiedene Tem- was die Leistungszahlen im Winter begrenzt. Aus
peraturen der Wärmezufuhr Tu und der diesem Grund kommt auch die Kombination einer
Nutzwärme T. Wärmepumpe mit einem zweiten Wärmeerzeuger
infrage. Daneben kann die Effizienz von Luft-
TU = 0 °C 10 °C 20 °C Wärmepumpen durch Luftvorwärmung zum Bei-
spiel in Erdregistern erhöht werden. Für Fernheiz-
T= 35 °C 4.4 6.2 10.3 werke stehen jedoch Wärmequellen wie Geother-
50 °C 3.2 4.0 5.4 mie, Gewässer und Abwärme im Vordergrund.
70 °C 2.5 2.9 3.4
• Oberflächennahe Geothermie. Erdreich weist ab
90 °C 2.0 2.3 2.6 rund 10 m Tiefe eine über das ganze Jahr nahezu
konstante Temperatur von rund 11°C auf, die in
Grundsätzlich ist auch für Fernwärmenetze eine ge-
weiterer Tiefe um rund 1°C pro 30 m zunimmt. Zur
trennte Bereitstellung von Raumwärme und Warmwas- Nutzung des Erdreichs kommen mit Sole betrie-
ser denkbar. Dies würde allerdings einen alternieren- bene Erdwärmesonden zum Einsatz. In der
den Netzbetrieb oder ein Dreileitersystem voraussetzen, Schweiz betragen die Bohrtiefen meist zwischen
was den betrieblichen Aufwand und im zweiten Fall 100 m und 300 m und die Quelltemperaturen ab
zudem die Investitionskosten erhöht. 12°C bis 15°C, was im Winter höhere Leistungs-
zahlen als mit Umgebungsluft ermöglicht. Der über
Für dezentrale Anwendungen kommen hauptsächlich lange Zeitdauer nachhaltige Wärmeentzug aus
Kompressions-Wärmepumpen zum Einsatz, die über einer Erdwärmesonde ist von zahlreichen Faktoren
einen elektrischen Antrieb des Verdichters verfügen. wie Bohrtiefe, Gesteinsschicht, Sondenlänge und
Für Leistungen ab mindestens 300 kW ist auch ein Sondendichte abhängig. Insbesondere bei grösse-
direkter mechanischer Antrieb zum Beispiel mittels ren Einheiten bietet sich deshalb an, ein Sonden-
Gasmotor möglich. feld auch zur Abführung von sommerlicher Über-
schusswärme von Gebäuden und Solaranlagen zu
nutzen. Das Erdreich kann so regeneriert und das

31
Planungshandbuch Fernwärme

Sondenfeld als Saisonspeicher genutzt werden. rückgewinnung aus dem gemischt anfallenden
Bei typischen Sondentemperaturen ist so eine Ge- Abwasser von mehreren Verbrauchern infrage. Bei
bäudekühlung mit aktiven Bauteilen ohne Klimati- Temperaturen von 20°C bis 25°C ist die Abwärme
sierung möglich. Daneben kommt auch der Einsatz eine geeignete Quelle für Wärmepumpen. Solche
von hybriden Solarsystemen mit aktiv gekühlten Anwendungen können durch Wärmeübertragern
Fotovoltaikanlagen infrage. Eine weitere Anwen- von einzelnen Gebäuden wie in Bild 2.17 gezeigt
dung bieten unverglaste Solarkollektoren, die im „Inhouse“ erfolgen, wobei dies aus wirtschaftlichen
Sommer nachts zur freien Kühlung (Freecooling) Gründen nur für grössere Einheiten ab etwa
des Gebäudes genutzt werden und tagsüber som- 150 kW infrage kommt.
merliche Überschusswärme an das Sondenfeld ab-
führen. Nebst Erdwärmesonden kommen auch
Erdkollektoren in Tiefen von rund 1.5 Metern in-
frage. Da diese jedoch grosse Flächen benötigen
und niedrigere Temperaturen als Erdwärmesonden
erzielen, haben sie nur eine geringe Bedeutung.
• Gewässer. Vom Temperaturniveau her interessant
ist die Nutzung der Wärme aus Grundwasser
sowie von Seewasser und aus Flüssen. Während
für Grundwasser ein Entnahme- und ein Schluck-
brunnen erforderlich sind, genügen zur Verwen-
dung von Seewasser zwei Leitungen. Grundwas-
sernutzung kann auch als Sonderfall der Geother-
mie betrachtet werden und wird deshalb unter
Geothermie weiter beschrieben. Da viele Städte
und Ortschaften an natürlichen Gewässern liegen,
bieten Seen und Flüsse das grösste Potenzial für
Wärmepumpen. Entsprechende Anwendungen
werden teilweise auch von der öffentlichen Hand
unterstützt. Zur Nutzung natürlicher Gewässer sind
Auflagen bezüglich Gewässer- und Naturschutz Bild 2.17 Wärmerückgewinnung aus Abwasser in
einzuhalten. Zudem darf das Wasser nach einem einer Inhouse-Anlage [30].
Richtwert vom Bundesamt für Umwelt nur um
maximal 3 K abgekühlt werden. Seewasser weist Bei Kanalisationen mit mindestens 10 Liter pro Se-
im Winter bei Tiefen ab 10 Meter jedoch bereits kunde Tagesabflussminimum, was etwa 5000 Ein-
typische Temperaturen von über 5°C auf, in 20 Me- wohnern entspricht, kommt auch die Nutzung aus
tern sind es über 10°C bis teilweise 15°C. Selbst in Abwasserkanälen gesammeltem Abwasser in-
bei Ausschöpfung der Temperaturabsenkung um frage. Bild 2.18 zeigt dazu eine Nutzung in einem
3 K ermöglicht dies hohe Leistungszahlen. Da die in die Kanalisation eingeführten Wärmeübertrager.
Wassertemperaturen zudem auch im Sommer ab Alternativ dazu kann auch ein separater Schacht
20 Metern grossteils unter 18°C bleiben, kann See- mit Wärmeentnahme installiert werden.
wasser auch zur Gebäudekühlung durch Free-
cooling genutzt werden. Die Auswirkungen auf die Während dezentrale Anwendungen den Bedarf
Temperatur der Gewässer bleiben dabei sehr ge- einzelner Gebäude reduzieren, kommt eine Wär-
ring, wobei der geringfügig kühlende Trend im Fall merückgewinnung aus dem Abwasserkanal auch
der Fernwärme der unerwünschten Erwärmung als zur Versorgung von Fernwämenetzen infrage. Da-
Folge des Klimawandels entgegenwirkt. bei ist zu beachten, dass das Wärmepotenzial aus
dem Abwasserkanal durch dezentrale Wärmereku-
• Abwasser. Das Abwasser von Haushalten, öffent- peration vermindert wird und deshalb eine geeig-
lichen Einrichtungen sowie der Industrie weist mit nete Koordination erforderlich ist.
20°C bis 25°C deutlich höhere Temperaturen auf
als das mit 8°C bis 12°C zugeführte Trinkwasser • Abwasserreinigungsanlagen (ARA). Eine zen-
[29]. Diese im Abwasser enthaltene Abwärme kann trale Nutzung von Abwasserwärme bietet sich bei
auf verschiedene Arten zurückgewonnen werden. Kläranlagen an. Besonders interessant ist dabei
Grundsätzlich kann direkt beim Verbraucher eine die Nutzung des geklärten Wassers im Auslauf der
Rekuperation zur Erwärmung des zugeführten ARA. Bei typischen Wassertemperaturen im Winter
Frischwassers genutzt und damit der dezentrale von über 8°C ist in der Regel eine Abkühlung um
Warmwasserverbrauch reduziert werden. Entspre- mindestens 4 K möglich. Das Potenzial entspricht
chende Einrichtungen sind zum Beispiel in Form dabei einer Wärmeleistung von etwa 800 MW [30].
von Duschwannen mit eingebautem Wärmeüber- Da in Kläranlagen auch Klärgas anfällt, das oft in
trager verfügbar und das noch unverdünnte Ab- einem BHKW zur Stromerzeugung genutzt wird,
wassers weist dabei noch höhere Temperaturen kann die Motorenabwärme zusammen mit über
von über 30°C auf. Da die Betriebszeiten dieser eine Wärmepumpe genutzter Abwasserwärme zur
einzelnen Einrichtungen in Wohnbauten jedoch Fernwärmeversorgung eingesetzt werden.
kurz sind, kommt als Alternative auch eine Wärme-

32
Teil 1 Grundlagen

Bild 2.18 Abwärmenutzung aus dem Abwasserkanal [31]. 1 Wärmeübertrager, 2 Wärmepumpe, 3 Heizkessel für
Spitzenlast, 4 Wärmeverteilung mit Fernwärmenetz.

luste an die Umgebung aufweist, erreichen Solaranla-


2.8.4 Solarthermie gen zur Warmwasserbereitung typische Wirkungsgrade
Die Solarthermie nutzt die Sonnenstrahlung, die bei um 60 %, wie in Bild 2.19 am Beispiel der Kollektor-
hochstehender Sonne und wolkenlosem Himmel zur kennlinie eines Flachkollektors gezeigt ist, der bei
Mittagszeit rund 1000 Watt pro Quadratmeter auf eine einer Umgebungstemperatur von 5°C und einer Be-
horizontale Fläche beträgt. Eine Bestrahlung mit strahlung mit 1000 W/m2 betrieben wird. Bei reduzierter
1000 W/m2 dient auch als Referenzwert zur Beschrei- Strahlung sinkt die, ohne Durchströmung erzielte Sta-
bung der Leistung von Solaranlagen. Im Jahresmittel gnationstemperatur und damit auch der Wirkungsgrad.
wird in der Schweiz ein effektiver Wert von rund Der über ein Jahr bewertete Systemnutzungsgrad um-
125 W/m2 oder 1/8 der an einem wolkenlosen Mittag fasst zusätzliche Verluste durch Speicherung und Sys-
anfallenden Strahlung erreicht. Die mittlere Strahlung temeinbindung und erreicht typische Werte um 50 %,
auf einen horizontalen Kollektor entspricht damit 1/8 x sofern die Anlage auf einen solaren Deckungsgrad von
24 h oder 3 h pro Tag sowie 1/8 x 8760 h/a oder 1100 rund 50 % ausgelegt wird, wie Bild 2.20 zeigt. Für
Vollbetriebsstunden pro Jahr, was wiederum 1100 kWh solche Anlagen kann im schweizerischen Mittelland da-
pro Quadratmeter und Jahr entspricht. Da Europa mit ein Ertrag um 550 kWh pro Jahr und Quadratmeter
nördlich des nördlichen Wendekreises liegt, ist der Absorberfläche erzielt werden. Noch etwas höhere Er-
Winkel zwischen Sonne und Erdoberfläche auch am träge pro Quadratmeter Absorberfläche werden mit Va-
längsten Tag bei höchstem Sonnenstand kleiner als 90° kuumröhrenkollektoren (VKR) erzielt, die dank besserer
und die Sonne steht dann im Süden. Aus diesem Grund Wärmedämmung zudem auch höhere Temperaturen
erreichen fest installierte Kollektoren den maximalen erzielen.
Jahresertrag bei einer Neigung von rund 42° nach Sü-
In Wohnbauten werden Solaranlagen oft so ausgelegt,
den. Da für Solarthermie jedoch der Winterertrag ent-
dass die Warmwasserbereitung während rund drei bis
scheidend ist und die Sonne dann in flachem Winkel
vier Sommermonaten ganz oder teilweise gedeckt wer-
auf die Erdoberfläche trifft, wird mit einer Neigung um
den kann. Wie das Beispiel in Bild 2.20 zeigt, genügen
rund 60° der maximale Winterertrag erzielt. Interessant
dafür relativ kleine Kollektorflächen von 1 m2 bis 1.5 m2
ist auch eine Anbringung an einer vertikalen Südwand,
pro Person. Da der Ertrag in den Wintermonaten damit
da deren Winterertrag nur geringfügig kleiner ist als bei
auf unter 25 % des Bedarfs fällt, wird eine Zusatzheiz-
60° Neigung. Um den tageszeitlichen Anfall zu verläng-
ung benötigt und über das Jahr ein solarer Deckungs-
ern, ist dagegen eine hälftige Anordnung mit Ost- und
grad für Warmwasser von 50 % bis 60 % erreicht.
Westausrichtung in flacher Neigung ideal, was vor
allem für Fotovoltaik zur Anwendung kommt. In allen Durch Vergrösserung der Kollektorfläche kann zwar der
Fällen hat der lediglich tagsüber anfallende Ertrag für Deckungsgrad erhöht werden. Damit steigen aber die
zur Folge, dass Solaranlagen für übliche Anwendungen Verluste als Folge der höheren Temperaturen und der
im Gebäude mit einem Wärmespeicher ausgerüstet im Sommer nicht nutzbaren Überschusswärme, wes-
werden. halb der Systemnutzungsgrad und der Solarertrag pro
Weil ein Teil der Strahlung reflektiert wird (was optische Quadratmeter Kollektor sinkt. Im Gegenteil dazu wer-
Verluste zur Folge hat) und der Kollektor zudem mit den höhere Systemnutzungsgrade und Erträge von bis
Anstieg der Temperatur zunehmende thermische Ver- zu 700 kWh pro Quadratmeter und Jahr erzielt, wenn

33
Planungshandbuch Fernwärme

Solarwärme nur zur Vorwärmung einem Deckungsgrad mie deshalb wirtschaftlich vor allem zur Vorwärmung
von 5 % bis 30 % eingesetzt wird, wie in Bild 2.21. oder zur Deckung des sommerlichen Warmwasserbe-
Auch zur Einbindung in Fernwärmenetze ist Solarther- darfs interessant.

Bild 2.19 Kollektorwirkungsgrad in Funktion der Übertemperatur (= Kollektorkennlinie) eines verglasten Flachkollektors
(Differenz zwischen Kollektor- und Umgebungstemperatur).

Bild 2.20 Monatlicher solarer Deckungsgrad zur Bereitstellung von Warmwasser mit einer auf den Sommerbedarf
ausgelegten Solaranlage für einen Haushalt mit 4 Personen und 4 m 2 Kollektorfläche.

Bild 2.21 Systemnutzungsgrad (links) und Solarertrag (rechts) in Funktion des solaren Deckungsgrades.

Während für solare Vorwärmung eine Kurzzeitspeiche- die Solarstrahlung und der Raumwärmebedarf sai-
rung genügt, ist zur Erhöhung des solaren Deckungs- sonal gegenläufig anfallen, kann mit diesem Prin-
grads eine Vergrösserung der Wärmespeicher-Kapa- zip nur ein kleiner Anteil des Jahresbedarfs solar
zität erforderlich, was etwa mit Erdwärmesonden mög- gedeckt werden, nämlich in heutigen Netzen typi-
lich ist. Damit kommen zum Beispiel folgende Konzepte scherweise zwischen 5 % und 12 %. Da der Anteil
für solar unterstützte Fernwärme infrage: des Warmwassers am Jahresbedarf jedoch von
10 % für Altbauten auf gegen 50 % für Neubauten
1. Solar unterstützte Fernwärme mit Kurzzeitspeicher:
steigen wird, wird künftig auch mit Kurzzeitspei-
Bei diesem Konzept wird die Solarwärme als Vor-
chern ein Anteil an Solarwärme von 25 % oder
wärmung eingesetzt, was einen hohen solaren Wir-
mehr denkbar.
kungsgrad ermöglicht, während Wärmeüberschuss
in einem Kurzzeitspeicher gespeichert wird. Weil

34
Teil 1 Grundlagen

2. Die Einbindung von Solarwärme mit saisonalen Für Fernwärmenetze ist einerseits die Grundwasser-
Wärmespeichern ist auf verschiedene Arten mög- nutzung ab 100 kW interessant. Daneben weisen Erd-
lich. Einerseits kann die Solarwärme auf tiefem wärmesonden ein grosses Potenzial auf. Bild 2.23 zeigt
Temperaturniveau und damit hohem Wirkungsgrad die Anordnung für ein Feld mit 10 Erdwärmesonden zur
genutzt werden, um die Gesteinsschichten um Erd- Beheizung eines Mehrfamilienhauses.
wärmesonden, die im Winter als Wärmequelle die-
nen, im Sommer zu regenerieren. Die Wärmever-
sorgung erfolgt dann mittels Wärmepumpen, die
dank hoher Quellentemperatur hohe Jahresarbeits-
zahlen erreichen. Da zur Regeneration der Ge-
steinsschichten niedrige Temperaturen ausreichen,
kommen für solche Anwendungen auch unver-
glaste Kollektoren zum Einsatz. Diese erzielen nur
bei niedrigen Übertemperaturen hohe Wirkungs-
grade und die Stagnationstemperatur ist wegen der
erhöhten Wärmeverluste viel niedriger als in einem
in Bild 2.19 gezeigten verglasten Kollektor. Unver-
glaste Kollektoren können nachts auch zum Free-
cooling genutzt werden. Daneben sind auch Lang-
zeitwärmespeicher auf höherem Temperaturniveau
möglich, wobei die Versorgung der Verbraucher
aus dem Speicher mit Nacherwärmung zum Bei-
spiel über einen Holzkessel auf die notwendige
Vorlauftemperatur erfolgt. Damit sind solare
Deckungsgrade von bis zu über 40 % möglich.
Bild 2.23 Beispiel eines Feldes mit 10 Erwärmesonden
3. Nebst Solaranlagen beim Heizwerk ist für künftige von 210 m Bohrtiefe zur Versorgung eines
Netze auch denkbar, dezentrale solarthermische Mehrfamilienhauses mit 120 kW Heizleistung
Anlagen zum Beispiel durch Rücklaufanhebung in mit COP von 4.5 für Raumwärme und 2.7 für
ein Fernwärmenetz einzubinden. Warmwasser [33].

Solarthermische Anlagen weisen hohe spezifische In- Da die Temperatur im Erdreich durch die Wärmeent-
vestitionskosten auf, die mit der Anlagengrösse sinken. nahme sinkt und sich die Sonden eines Sondenfeldes
Erst in grösseren Einheiten wie für Mehrfamilienhäuser gegenseitig beeinflussen, muss für die Auslegung das
werden Wärmegestehungskosten von deutlich unter instationäre Verhalten der Wärmeentnahme berück-
20 Rp./kWh und bei günstigen Bedingungen solche von sichtigt werden. Um die Temperaturabnahme zu ver-
bis zu unter 10 Rp./kWh erzielt, wie Bild 2.22 zeigt. ringern, können Sondenfelder durch aktive Gebäude-
kühlung und durch Solarthermie regeneriert werden.
Für die Auslegung von Sondenfeldern stehen Berech-
nungsprogramme zum instationären Verhalten zur Ver-
fügung, die auch die Einbindung aktiver Kühlung und
solarer Regeneration erlauben [33]. Bild 2.24 zeigt ein
Berechnungsbeispiel zum Verhalten der Sondentempe-
ratur während 50 Jahren.

Bild 2.22 Wärmegestehungskosten für solare Warm-


wasser- und Heizungsunterstützung [32].

2.8.5 Geothermie
Bei der Geothermie wird zwischen oberflächennaher
und tiefer Geothermie unterschieden.
Zur oberflächennahen Geothermie (in der Regel bis zu
Tiefen von etwa 400 m) zählen Erdwärmesonden, Erd-
kollektoren sowie Grund- und Grubenwasser, die meist
als Wärmequelle für Wärmepumpen genutzt werden.

35
Planungshandbuch Fernwärme

Bild 2.24 Temperaturabnahme eines Sondenfeldes


während 50 Jahren [33]. Dargestellt ist das
Monatsmaximum (rot) und -minimum (blau)
der Sondeneintrittstemperatur.

Erdkollektoren kommen aufgrund des grossen Flächen-


bedarfs von rund 25 m2 pro kW meistens nur für Leis-
tungen bis gegen 10 kW für Einzelgebäude zum Ein-
satz und sind entsprechend selten.
Bei der Tiefengeothermie wird zwischen dem Hot-Dry-
Rock-Verfahren (HDR-Verfahren), den tiefen Erdwär-
mesonden und der hydrothermalen Geothermie unter-
schieden. Beim HDR-Verfahren wird die Erdwärme im
Bild 2.25 Prinzip der Wärme-Kraft-Kopplung am
trockenen, heissen Gestein genutzt, indem über eine
Beispiel eines Verbrennungsmotors.
Injektionsbohrung Wasser Gesteinsschichten in einigen
Kilometern Tiefe gepresst wird. Dabei werden vorhan-
dene Risse aufgeweitet und teilweise neue geschaffen.
Durch dieses System zirkuliert das Wasser, das sich
aufheizt und anschliessend über eine zweite Bohrung
(Produktionsbohrung) an die Oberfläche gefördert wird.
Das Wasser kann zur Stromerzeugung in ORC-An-
lagen oder Dampfturbinen genutzt werden. Die Wärme
kann auch direkt für Fernwärme genutzt werden, die
Nutzung der Abwärme einer Stromerzeugung ist jedoch
in der Regel vorteilhafter. Das HDR-Verfahren ist aller-
dings nur in Regionen interessant, in denen der Tem-
peraturanstieg im Gestein Werte von 50°C pro Kilo-
meter Tiefe übersteigt. Da die bisherigen Versuche zur
Nutzung tiefer Geothermie in der Schweiz unerwartete Bild 2.26 Auslegung eines BHKW.
Beben ausgelöst oder die Ertragserwartungen nicht
erfüllt haben, hat diese Technologie bis anhin jedoch 2.9.2 Dampfturbinen
keine kommerzielle Bedeutung.
Dampfturbinen verwenden Wasser als Prozessmedium
2.9 Wärme-Kraft-Kopplung in einem geschlossenen Kreisprozess mit Verdampfung
und Kondensation entsprechen dem Rankine-Prozess
(Heizkraftwerke) nach Bild 2.27. Wenn Dampfturbinen zur Wärme-Kraft-
Kopplung eingesetzt werden, können sie als Gegen-
2.9.1 Übersicht druckturbinen mit Nutzung der gesamten Abwärme
Als Heizkraftwerk wird eine Energiezentrale bezeichnet, oder als Entnahmekondensationsturbinen mit re-
in der in einem thermischen Prozess Kraft erzeugt und gelbarer Abwärmenutzung ausgeführt werden. Im Ge-
die dabei anfallende Abwärme als Nutzwärme bereitge- gensatz dazu produziert eine Kondensationsturbine
stellt wird. Dieses Prinzip wird als Wärme-Kraft-Kop- ausschliesslich Strom, während die gesamte Abwärme,
plung (WKK) bezeichnet und die Kraft dabei meist zur wie zum Beispiel in Kernkraftwerken, an die Umgebung
Stromerzeugung genutzt, wie Bild 2.25 am Beispiel ei- abgeführt wird.
nes Verbrennungsmotors mit Abwärmenutzung zeigt.
Da WKK-Anlagen hohe Investitionskosten aufweisen,
werden sie in der Regel durch einen Heizkessel zur
Spitzenlastabdeckung ergänzt. Bei Einsatz eines ein-
zelnen BHKW erfolgt die Auslegung zum Beispiel auf
rund 30 % des maximalen Wärmeleistungsbedarfs, so-
dass für den Bedarf über dem Bivalenzpunkt ein Spit-
zenlastkessel zum Einsatz kommt, wie Bild 2.26 zeigt.

36
Teil 1 Grundlagen

trische Wirkungsgrade von bis zu über 45 % möglich.


Allerdings ist für solche Anwendungen höchstens eine
teilweise Wärmenutzung möglich. Zu beachten ist, dass
der elektrische Wirkungsgrad von Dampfkraftanlagen
durch Wärmeauskopplung reduziert wird, da die Nutz-
wärme auf einer Temperatur über der Umgebungstem-
peratur benötigt wird.
Obwohl auch Dampfanlagen bei Teillast betrieben wer-
den können, ist der Regelbereich kleiner als bei reinen
Wärmeerzeugern. Zudem sind rasche Laständerungen
zu vermeiden und der Teillastbetrieb führt unterhalb
einer gewissen Leistung zu einem deutlichen Wirkungs-
gradabfall. Soweit Dampfanlagen als Wärmeerzeuger
in Fernheizwerken zum Einsatz kommen, werden sie
deshalb meist auf die Grundlast ausgelegt und durch
Spitzenkessel ergänzt. Zusammen mit den begrenzten
elektrischen Wirkungsgraden wird der Beitrag von
Dampfanlagen sowie Anwendungen der Wärme-Kraft-
Kopplung zur Stromerzeugung damit begrenzt.

2.9.3 Dampfmotoren
Für kleine Leistungen (bis 1 MW el) kommen nach dem
gleichen Prinzip des Rankine-Prozesses auch Dampf-
motoren zum Einsatz. Zur Verfügung stehen Dampf-
kolbenmaschinen und Dampfschraubenmotoren. Die
elektrischen Netto-Wirkungsgrade betragen dabei um
10 % bis 12 %, weshalb ein wärmegeführter Betrieb
vorausgesetzt wird.

2.9.4 Organic Rankine Cycle


Nebst mit Wasser betriebenen Dampfturbinen kommen
für kleine und mittlere Leistungen (bis 2 MW el) auch
Prozesse mit bei tieferen Temperaturen siedenden or-
ganischen Medien zum Einsatz. Der Prozess wird dann
als Organic Rankine Cycle (ORC) bezeichnet. Für
Anwendungen mit Energieholz bietet dieses Prinzip den
Vorteil, dass zwischen dem Wärmeerzeuger und dem
Dampfgenerator ein mit einem Wärmeträgeröl betrie-
bener Sekundärkreislauf möglich ist, wodurch der An-
lagenbetrieb vereinfacht wird. Da der Hilfsenergiever-
Bild 2.27 Aufbau eines Dampfturbinen-Kraftwerks brauch relativ hoch ist, betragen die elektrischen Netto-
(oben) und Rankine-Prozess im T,s-Dia- Wirkungsgrade rund 10 % bis 15 %. Zudem sind die
gramm. 1–2 Druckerhöhung des Wassers Abgastemperaturen nach dem Thermoölkessel höher
durch die Speisepumpe a, 2–3 Erwärmung als bei Wasserkesseln, weshalb in der Regel eine zu-
des Wassers bis zur Verdampfungstempe- sätzliche Wärmeauskopplung aus dem heissen Abgas
ratur im Kessel b, 3–4 Verdampfung bei kon- erfolgt.
stanter Temperatur im Verdampferteil, 4–5
Überhitzung des Dampfes im Überhitzer, 5–6’ 2.9.5 Verbrennungsmotoren
Arbeitsabgabe durch reibungsfreie Expan-
sion des Dampfes in der Turbine c, 5–6 Ar- Im kleinen Leistungsbereich kommen für stationäre An-
beitsabgabe mit nicht-idealer Turbine, 6–1 wendungen auch vorwiegend mit Gas betriebene Ver-
Kondensation des Dampfes im Kondensator brennungsmotoren zum Einsatz. Diese werden nach
e mit und Wärmeabgabe an Kühler f und dem Otto-Prozess mit Fremdzündung betrieben oder
Rückführung in Sammelbehälter g. für kleinere Anwendungen mit Biogas und Holzgas teil-
weise auch als Zündstrahlmotoren mit Zugabe von
Die elektrischen Netto-Wirkungsgrade von Dampftur-
Flüssigtreibstoff als Zündhilfe betrieben.
binen im Leistungsbereich typischer WKK-Anlagen mit
Holz oder von KVA (1 MW el bis 50 MW el) betragen zwi- Die im Betrieb erzeugte Wärme aus Abgas (rund 60 %
schen rund 10 % und 25 %. Wegen der niedrigen elek- der Abwärme) sowie aus Kühlwasser und Schmieröl
trischen Wirkungsgrade ist ein wärmegeführter Betrieb (rund 40 %) kann nach Bild 2.25 zur Wärmeversorgung
sinnvoll. Im Leistungsbereich von Kohlekraftwerken mit genutzt werden. Kühlwasser und Schmieröl weisen
bis zu über 1 GW el sind ohne Wärmeauskopplung elek- meist Temperaturen von 80°C bis 90°C, bei heissge-

37
Planungshandbuch Fernwärme

kühlten Motoren auch von über 100°C auf. Das Tempe- 600 MW el auf und erzielen elektrische Wirkungsgrade
raturniveau der Abgase liegt mit über 350°C deutlich von rund 60 %. Im Prinzip ist auch bei Kombikraft-
höher und ist vom Motorentyp abhängig. werken eine weitere Abwärmenutzung möglich. Wegen
Die Anwendung eines Motors zur Wärme-Kraft-Kop- der hohen elektrischen Wirkungsgrade ist dies jedoch
plung wird auch als Blockheizkraftwerk (BHKW) be- von untergeordneter Bedeutung.
zeichnet. Als Brennstoff dient zum Beispiel Biogas aus Daneben können Gasturbinen auch im Leistungsbe-
Vergärungsanlagen und in einzelnen Fällen auch Pro- reich der Gasmotoren zum Beispiel als Biogas-BHKW
duktgas aus einer Holzvergasungsanlage. Um den Mo- eingesetzt werden. Hauptvorteil ist dabei der geringere
tor vor Verunreinigungen zu schützen und gleichzeitig Aufwand für Service und Unterhalt. Demgegenüber er-
die Schadstoffemissionen zu reduzieren, wird in beiden zielen kleine Gasturbinen, auch Mikrogasturbinen ge-
Fällen eine Gasreinigung benötigt. Während mit Bio- nannt, allerdings deutlich niedrigere Wirkungsgrade als
gasanlagen hohe Zuverlässigkeit erreicht werden kann, Gasmotoren, weshalb Gasmotoren energetisch vorteil-
ist der Betrieb von Holzvergasungsanlagen und der da- haft sind.
zu benötigten Gasreinigung aufwändig, was eine in-
tensive Anlagenbetreuung verlangt. Zum Teil werden 2.9.7 WKK und Wärmepumpe
auch mit Erdgas betriebene BHKW als Grundlastwär- Während kleinere Wärmepumpen in der Regel elektri-
meerzeuger eingesetzt. Damit ist ein zuverlässiger Be- sch angetrieben werden, kommt für grössere Leistun-
trieb möglich, zur Erzeugung von weitgehend CO2-freier gen auch der mechanische Antrieb mit einem Verbren-
Fernwärme ist jedoch nur ein geringer Anteil an Erdgas nungsmotor infrage. Zur Wärmenutzung steht dann Ab-
zulässig. wärme auf hohem und mittlerem Temperaturniveau des
Gasmotoren erreichen typische Wirkungsgrade zwi- Motors zur Verfügung, während die mechanische Leis-
schen rund 25 % für Leistungen unter 50 kW el und bis tung zum Antrieb der Wärmepumpe dient, die Nutzwär-
rund 35 % ab etwa 100 kW el sowie bis zu über 40 % ab me auf einem tieferen Temperaturniveau produziert.
rund 1 MW el. Beim Betrieb mit Holzgas ist für den Ge- Entsprechende Anwendungen sind zum Beispiel dann
samtwirkungsgrad noch der Wirkungsgrad der Holz- von Interesse, wenn die Abwärme eines Biogas-BHKW
vergasung von rund 75 % zu berücksichtigen, womit für nicht zur Wärmeversorgung ausreicht oder wenn ein
Holzgas-BHKW typische Netto-Wirkungsgrade von gleichzeitiger Kältebedarf gegeben ist, der durch die
15 % bis 25 % resultieren. Das gleiche gilt für Biogas, kalte Seite der Wärmepumpe gedeckt werden kann.
wobei die Vergärung zwar einen noch deutlich geringe-
ren Wirkungsgrad erzielt, in der Regel aber in erster 2.9.8 Geschlossene Gasprozesse
Linie zur Verarbeitung von organischen Rückständen
dient. Bei Verbrennungsmotoren und offenen Gasturbinen
wird Brennstoff direkt in der Maschine verbrannt, so-
Zur Erhöhung der elektrischen Wirkungsgrade besteht
dass die Maschine mit möglichen Verunreinigungen
die Möglichkeit, die Abgaswärme in einem Kombi-
aus dem Brennstoff in Kontakt kommt. Dampfkraft-
prozess zur Stromerzeugung in einem nachgeschal-
anlagen verfügen dagegen über eine externe Wärme-
teten thermischen Prozess zu nutzen, wozu in erster
zufuhr durch eine Wärmeübertragung, wobei als Wär-
Linie ORC-Anlagen infrage kommen. Motoren mit in-
mequelle ein Brennstoff oder andere Quellen wie Geo-
tegrierten ORC-Anlagen sind bis anhin nicht als Se-
thermie oder Solarthermie dient. Für die Maschine kriti-
rienmaschinen verfügbar. Um die immer strengeren
sche Stoffe wie etwa Chlor in Siedlungsabfall, Kalium in
Anforderungen an den Treibstoffverbrauch insbeson-
Holz oder Schwefel in Biogas können zum Beispiel eine
dere für den Schwerverkehr zu erfüllen, sind jedoch
Dampfturbine damit nicht beschädigen. Wenn aus Bio-
Entwicklungen zur Abwärmenutzung mit ORC-Modulen
masse oder Abfall ein Brennstoff produziert wird,
für mit Diesel betriebenen Serienmotoren im Gang.
müssen die kritischen Stoffe dagegen vor einer Ver-
Wenn entsprechende Seriengeräte verfügbar werden,
brennungsmaschine in einer aufwändigen Gasreinigung
ist denkbar, dass damit auch kostengünstige ORC-
entfernt werden. Aus diesem Grund kommen für Holz-
Module für BHKW-Abwärme verfügbar werden.
kraftwerke bis anhin vor allem Dampfkraftanlagen zum
2.9.6 Offene Gasturbinen Einsatz, die für kleine Leistungen aber sehr hohe spe-
zifische Investitionskosten bei gleichzeitig niedrigen
Das gleiche Prinzip wir für Motoren kann für grössere
Wirkungsgraden aufweisen. Aus diesem Grund besteht
Leistungen auch mit offenen Gasturbinen angewendet
ein Interesse an anderen Prozessen, die ebenfalls über
werden. Im Gegensatz zu Motoren fällt die Abwärme
eine externe Verbrennung mit Wärmeübergang betrie-
dabei praktisch ausschliesslich im Abgas bei Tempe-
ben werden, aber weniger aufwändig sind. Dazu kom-
raturen von 400°C bis 600°C an. Obwohl diese Abwär-
men Stirlingmotoren und geschlossene (also extern
me grundsätzlich für Fernwärme verwendet werden
befeuerte) Gasturbinen zum Einsatz. Der mechanische
kann, ist deren Nutzung zum Antrieb eines nachge-
Aufbau dieser Maschinen ist mit demjenigen von Ver-
schalteten Dampfprozesses sinnvoller. Wenn die Leis-
brennungsmotoren und offenen Gasturbinen vergleich-
tungen gross genug sind, kommt dafür eine Dampftur-
bar, als Prozessmedium dient jedoch ein Gas wie Luft
bine zum Einsatz und das Prinzip wird dann als Gas-
oder Helium das im Kreis geführt und extern erwärmt
und Dampf-Kombikraftwerk (GuD) oder kurz Kombi-
wird. Stirlingmotoren kommen für kleine Leistungen von
kraftwerk bezeichnet. Mit Erdgas betriebene Kombi-
weniger als 1 kW bis zu rund 100 kW zum Einsatz und
kraftwerke weisen typische Gesamtleistungen um
erzielen in der genannten Leistungsklasse höhere Wir-

38
Teil 1 Grundlagen

kungsgrade als geschlossene Prozesse. Geschlossene über 1 GW elektrischer Leistung ab. Die erzielbaren
Gasturbinen kommen für Leistungen ab einigen kW bis Netto-Wirkungsgrade umfassen eine Bandbreite von
zu über 100 kW zum Einsatz. Für beide Technologien weniger als 10 % bis zu 60 %. Bei den etablierten Ver-
existieren zahlreiche Entwicklungen für Anwendungen fahren der Dampfkrafttechnik zeigen die elektrischen
mit Biomassebrennstoffen sowie mit konzentrierender Wirkungsgrade eine ausgeprägte Skalenabhängigkeit
Solarenergie, die teils in Pilotanlagen in Betrieb stehen. von weniger als 10 % für Leistungen ab 10 kW bis zu
Bis anhin weisen auch diese Anlagen sehr hohe spe- rund 45 %. Alternative Techniken wie die Holzverga-
zifische Investitionskosten und deshalb nur wenige sung und Stirlingmotoren erzielen höhere Wirkungs-
kommerzielle Anwendungen auf. grade im kleinen und mittleren Leistungsbereich.

2.9.9 Systemvergleich
Wie Bild 2.28 zeigt, decken die Technologien zur Wär-
me-Kraft-Kopplung einen Bereich von wenigen kW bis

Bild 2.28 Netto-Wirkungsgrade verschiedener Techniken zur Stromerzeugung in Funktion der elektrischen Leistung.
GuD = Gas- und Dampf-Kombikraftwerk, HGT = Heissgasturbine (mit Holzverbrennung).

39
Planungshandbuch Fernwärme

mobile Wärmespeicher, die nicht Wärme zu


2.10 Thermische einem Wärmeabnehmer transportieren. Dabei
Energiespeicher spielt vor allem die Energiespeicherdichte eine
grosse Rolle und es werden meist Latentwärme-
Die grundsätzliche Aufgabe eines thermischen Energie- speicher oder thermochemische Speichersys-
speichers ist die zeitliche Entkopplung der Wärmeer- teme mobil eingesetzt, allerdings erst in wenigen
zeugung von der Wärmeabgabe. Dadurch lassen sich Pilotanlagen
zum Beispiel Lastspitzen sowie Lastabsenkungen gut • Speicherkapazität und thermische Leistung:
kompensieren. Je nach Dimensionierung des Energie- o Speicher mit hoher Speicherkapazität bzw.
speichers lassen sich kürzere oder längere Zeiträume Energiedichte sind wichtig, wenn das Platzan-
überbrücken. Bei Wärme-Kraft-Kopplung kann der An- gebot gering ist oder grosse Energiemengen ge-
lagenbetrieb flexibler gestaltet werden und vielfach speichert werden müssen.
lässt sich auch die Wärmeerzeugung kleiner dimen- o Speicher mit hoher thermischer Leistung wer-
sionieren. den in Bereichen wie zum Beispiel der Warm-
wasserbereitstellung und im Fernwärmebereich
Der Einsatz thermischer Energiespeicher bietet deshalb
eingesetzt. Mit sensiblen Warmwasserspeichern,
je nach System teilweise ein erhebliches Potenzial zur
in denen das benötigte Warmwasser gleichzeitig
Optimierung des Anlagenbetriebs in Bezug auf Kosten das Speichermedium ist, ist dies gut möglich.
und Primärenergieverbrauch. Die folgenden Ausfüh-
• Speicherdauer: Ein wesentliches Merkmal für alle
rungen befassen sich mit den Grundlagen zur thermi-
Energiespeicher ist die Dauer des zu überbrücken-
schen Energiespeicherung bis zum Speicherdesign und den Zeitraums zwischen Laden und Entladen.
deren Anwendung bzw. Integration. Die Informationen Kurzzeitspeicher werden im Bereich von Stunden
basieren grossteils auf den Quellen [34] und [35]. bis wenige Tage eingesetzt, während Langzeit-
speicher Energie über Wochen bis zu einem Jahr
2.10.1 Eigenschaften und Begriffe speichern können. In der Regel müssen Langzeit-
speicher grosse Mengen thermischer Energie bei
Die thermischen Energiespeicher können aufgrund
relativ geringer Lade- und Entladeleistung speichern
ihrer Einsatzgebiete und Eigenschaften wie folgt
können, während Kurzzeitspeicher hohe thermische
unterschieden werden: Leistungen und geringere gespeicherte Wärmemen-
• Temperaturniveau: Die Temperatur, bei der ein gen aufweisen.
Wärmespeicher geladen und entladen wird, legt sei- • Speicherkapazität: Als Speicherkapazität wird die
nen Einsatzbereich massgeblich fest. Zur Anwen- Energiemenge bezeichnet, die ein Speicher dem
dung bei Fernwärme liegt der Temperaturbereich Verbraucher unter bestimmten Prozessbedingungen
meist zwischen 25°C für Flächenheizsysteme wie zur Verfügung stellen kann. Aus Sicht der Exergie
Fussbodenheizungen und bis zu 90°C für Radia- hängt die Speicherkapazität entscheidend von der
torheizungen. Für die Warmwassererwärmung sind Umgebungstemperatur ab. Wird die Speicherka-
aus hygienischen Gründen zeitweise Temperaturen pazität von der technisch nutzbaren Seite bewertet,
von über 60°C notwendig. Für sehr ausgedehnte, so hängt diese von der tatsächlichen Temperatur-
grosse, Fernwärmenetze werden Vorlauf-Tempera- veränderung im Speicher ab (siehe Kapitel 2.10.3.1).
turen von über 100°C benötigt. Für industrielle Pro- Wird lediglich ein Speichermedium erwärmt, ist die
zesse, wie die Bereitstellung von Dampf werden Kapazität direkt proportional zum Temperaturunter-
ebenfalls Temperaturen von über 100°C (bis 250°C) schied. Findet bei der Temperaturerhöhung des
benötigt. Hochtemperaturanwendungen von Spei- Mediums ein Phasenwechsel statt, trägt die
chern bei Temperaturen von über 300°C bis 600°C Schmelz- oder Verdampfungsenthalpie ebenfalls
kommen zum Beispiel in solarthermischen Kraft- zur Kapazitätserhöhung bei. Die Speicherkapazität
werken zur Anwendung. Kältespeicher für Kühlung wird absolut in J oder kWh sowie als spezifische
und Klimatisierung werden in einem Temperatur- Grösse zum Beispiel volumetrisch in kWh/m3 ange-
bereich von 5°C bis 18°C benötigt. Für industrielle geben. Für eine ökonomische Betrachtung muss die
Kühlprozesse mit Anwendungen um 0°C wie etwa in Speicherkapazität auf die Kosten des Speichers
der Lebensmittelindustrie sind vielfach Eisspeicher bezogen werden.
im Einsatz, während in industriellen Kältenetzen
Speicher bis zu –20°C üblich sind. • Lade- und Entladeleistung: Die Lade- und Entla-
deleistung beschreibt, wie schnell ein Speicher eine
• Standort: bestimmte Wärmeleistung aufnehmen und wieder
o Der Standort der Energiespeicherung im System abgeben kann. Sie ist entscheidend für eine opti-
ist ein wichtiges Kriterium zur Charakterisierung male Anpassung eines Speichers an das durch die
eines Energiespeichers. Dabei werden zentrale Anwendung vorgegebene Lade- und Entladeprofil.
und dezentrale Energiespeichern unterschieden. Die Leistung hängt im Gegensatz zur Kapazität
In der Regel wird ein am Standort der Wärme- nicht von dem physikalischen Speichereffekt ab.
erzeugung aufgestellter Wärmespeicher als zen- Vielmehr spielt neben dem Temperaturunterschied
tral bezeichnet, während Wärmespeicher bei der Massenstrom oder der Wärmeübergang eine
den Wärmeabnehmern als dezentral bezeichnet entscheidende Rolle. Die Dimensionierung der zu-
werden. und abführenden Leitungsquerschnitte bzw. die
o Die meisten thermischen Energiespeicher sind technische Ausführung beispielsweise eines Wär-
stationär installiert. Dies gilt für zentrale oder meübertragers oder Reaktors mit spezifischen
dezentrale Wärmespeicher. Es gibt aber auch Übertragungsflächen, ist dabei von Bedeutung. Die

40
Teil 1 Grundlagen

Leistung eines Speichers wird oft unter Auslegebe- • Speicherzyklen: Der Zeitraum zwischen dem Be-
dingungen als Nennleistung angegeben. Die tat- lade- und Entladevorgang wird als Speicherdauer
sächlichen Leistungen hängen dann von den (auch Speicherperiode) bezeichnet (Bild 2.29). Die
aktuellen Prozessparametern ab. Die Leistung kann Summe aus Lade-, Speicher- und Entladedauer
absolut in W oder auch auf das Volumen oder die (und unter Umständen noch einer Stillstandszeit im
Masse des Speichers in W/m3 oder W/kg angege- entladenen Zustand) bildet einen Speicherzyklus.
ben werden. Für eine wirtschaftliche Beurteilung Wie Speicherzyklen aussehen, hängt von den zeit-
eines Speichers muss auch hier die Leistung auf die lichen Profilen der Wärmequelle und der Verbrau-
Kosten bezogen werden. Eine ebenfalls übliche cher ab. Auch die Speicherkapazität und die mögli-
Darstellung, insbesondere für Latentwärmespeicher, chen Lade- und Entladeleistung spielt eine Rolle.
ist der Bezug der Kapazität (in kWh) relativ zur Bei thermischen Energiespeichern liegen diese Zei-
Leistung (in kW). Dieser Quotient ergibt eine Zeit in ten in einem Bereich von Minuten bis zu einem Jahr.
Stunden, die zum Beladen oder Entladen benötigt Finden innerhalb eines Speicherzyklus irreversible
wird und die für Beladen und Entladen unter- Prozesse statt, welche die Speicherkapazität beein-
schiedlich sein kann. trächtigen, so ist die Anzahl der ausführbaren Spei-
• Nutzungsgrad: Der Nutzungsgrad beschreibt das cherzyklen begrenzt. Die Stabilität thermischer
Verhältnis der nutzbaren Energie beim Entladen zur Energiespeicher wird an ihrer Degradation über eine
vom Speicher beim Laden aufgenommenen Energie. bestimmte Zyklenzahl bestimmt. Werden mit einem
Die Nutzwärme ist wegen der Speicherverluste ge- Speichersystem viele Zyklen pro Jahr gefahren,
ringer als zugeführte Wärme. Ebenso nimmt die ge- wirkt sich das positiv auf die Wirtschaftlichkeit aus.
speicherte Exergie mit sinkender Temperatur ab. Das System setzt dann viel Energie um, stellt oft die
Der Nutzungsgrad ist dimensionslos und wird in der gespeicherte Energie bereit und wird damit
Regel in Prozent angeben. Zum Begriff Nutzungs- schneller amortisiert.
grad siehe auch Kapitel 2.6.1.

TSp,max

TSp,m

TSp,min
t
t0 t1 t2 t3 t4
Speicherdauer Entlade- Stillstandszeit
Ladedauer (auch Speicherperiode) dauer im entladenem Zustand

Dauer eines Speicherzyklus

Bild 2.29 Speichertemperatur als Funktion der Zeit und Begriffe zur Beschreibung eines Speicherzyklus

2.10.2 Speichertechnologien Der Einsatzbereich von drucklosen Speichern mit Was-


ser liegt im Temperaturbereich von 0°C bis 100°C. Über
Die thermische Energie kann in verschiedene Speicher- 100°C stehen Speicher mit Wasser als Medium unter
technologien unterteilt werden. Für die Anwendung in Druck. Typisch sind Temperaturen bis etwa 200°C für
Fernwärmenetzen kommt hauptsächlich die sensible Prozesswärme. Über 100°C steigt der Dampfdruck
Wärmespeicherung zur Anwendung, da diese Techno- stark an, was hohe Druckanforderungen an die Be-
logie am weitesten entwickelt und relativ kostengünstig hälter stellt und zu entsprechend höheren Kosten führt.
ist. Vollständigkeitshalber werden auch die latente und
Speicher mit Thermoöl können aufgrund der höheren
die thermochemische Wärmespeicherung eingeführt,
Siedetemperatur auch bei höheren Temperaturen, je
welche jedoch bei der Anwendung in Fernwärmenetzen
nach Thermoöl von bis etwa 400°C, betrieben werden.
praktisch keine Rolle spielen.
Die Wärmeleitfähigkeit von Thermoöl ist erheblich nied-
2.10.2.1 Sensible Wärmespeicherung riger als die von Wasser und die Wärmekapazität be-
trägt etwa die Hälfte im Vergleich zu Wasser. Durch die
Bei der sensiblen Speicherung wird ein Speichermedi- Kombination von Thermoöl mit einer Gesteinsschich-
um ohne Phasenwechsel erwärmt oder abgekühlt. Die tung hoher Wärmekapazität kann die Speicherkapazität
Menge der gespeicherten Energie ist abhängig von der erhöht und die Menge an relativ teurem Thermoöl redu-
spezifischen Wärmekapazität des Stoffes in kJ/(kg K). ziert werden. Diese Kombination ist mit einem
In den meisten Fällen wird Wasser eingesetzt, da es Kies/Wasser-Speicher für Niedertemperaturanwendun-
eine hohe spezifische Wärmekapazität besitzt und zu- gen vergleichbar. Für höhere Temperaturen kommen
dem umweltverträglich, kostengünstig, thermisch stabil auch Feststoffspeicher wie Beton oder spezielle Ker-
und praktisch überall verfügbar ist.
amiken infrage.

41
Planungshandbuch Fernwärme

Für Temperaturen unter 0°C sind Wasser-Glykolmi- giespeicher erlauben sehr hohe Energiedichten, finden
schungen im Einsatz. derzeit aber kaum Anwendung in der Praxis, da sich die
Technologie grösstenteils noch in der Grundlagenfor-
In Abhängigkeit vom Temperaturhub und den anwen-
schung befindet.
dungsspezifischen Be- und Entladetemperaturen wei-
sen latente und thermochemische Wärmespeicher in 2.10.3 Grundlagen der
der Regel höhere Energiedichten auf als sensible Wär-
mespeicher. Für die sinnvolle Anwendung von Latent- Energiespeicherung
wärmespeicher liegt der maximale Temperaturhub bei
2.10.3.1 Speichervorgang
rund 20 K (z.B. Eisspeicher). Bei einem Temperaturhub
von über 50 K weist ein sensibler Wärmespeicher mit Thermische Energiespeicher erhöhen durch die Ener-
Wasser bereits eine höhere Energiedichte auf. Zudem giezufuhr bzw. durch Zufuhr eines Energieträgers ihren
verfügen sensible Wärmespeicher über eine ausge- Energieinhalt (Laden), speichern diesen Energieinhalt
reifte Technik und sind deutlich kostengünstiger. über einen bestimmten Zeitraum möglichst verlustfrei
(Speichern) und geben bei Bedarf Energie bzw. den
Bei sensiblen Energiespeichern ist in der Regel die
Energieträger wieder ab (Entladen). Beim Entladen re-
Temperaturdifferenz zwischen dem Speichermedium
duziert sich der Energieinhalt des Speichers (Bild 2.30).
und der Umwelt relativ gross, daher spielt die Wärme-
dämmung eine wichtige Rolle zur Reduktion der relativ Verluste
hohen Selbstentladung während der Speicherdauer. Energie Energie
2.10.2.2 Latente Wärmespeicherung Wärmespeicher

Bei Latentwärmespeichern wird zusätzlich zur sen-


siblen Wärme die für einen Phasenwechsel notwendige Laden Speichern Entladen
Energie gespeichert. In der Praxis wird üblicherweise
der Phasenübergang fest–flüssig genutzt. Die Volu- Bild 2.30 Prozess der thermischen Energiespeiche-
menänderung beträgt dabei in der Regel weniger als rung. Laden – Speichern – Entladen
10 % und ist technisch beherrschbar. Zudem ist die
Phasenänderungsenthalpie ausreichend hoch. 2.10.3.2 Thermische Energie
Latentwärmespeicher weisen gegenüber sensiblen Eigentlich ist der Begriff Energiespeicher physikalisch
Wärmespeichern einige Vorteile auf. So kann bei klei- betrachtet nicht korrekt, da Energie nicht verbraucht,
nen Temperaturunterschieden wesentlich mehr thermi- sondern nur umgewandelt werden kann und in diesem
sche Energie gespeichert werden. Sie weisen für Sinn Energie nicht gespeichert wird. Der Speicher be-
solche Anwendungen also eine höhere Energiedichte sitzt vielmehr das thermodynamische Potenzial, um
auf und können dank der hohen Speicherkapazität so- eine bestimmte Wärme- oder Kältemenge an ein ande-
mit wesentlich kompakter gebaut werden. Zudem ist die res Medium abzugeben. Folglich beschreibt der Begriff
Temperatur beim Laden und Entladen über lange Zeit der Exergie den Anteil der Energie, der unter Umge-
konstant, was z.B. den Einsatz von in die Gebäude- bungsbedingungen uneingeschränkt in andere Energie-
struktur integrierte Phase Change Materials (PCM) formen umgewandelt werden kann. Je höher die Diffe-
ermöglicht. renz von Speicher- zu Umgebungstemperatur ist, umso
grösser ist der Exergiegehalt und desto grösser ist die
Für den Transport von thermischer Energie eignen sich Wertigkeit der Wärme. Der Begriff Anergie beschreibt
sogenannte Phase Change Slurries (PCS), auch kurz dagegen den Anteil der Energie, die an die Umgebung
Slurries genannt. Slurries haben den Vorteil, dass Sie abgegeben wird und somit nicht mehr nutzbar ist. Bei
unabhängig vom Aggregatszustand immer pumpfähig der Betrachtung eines verlustbehafteten Beladungs-,
sind. Anwendung findet dies beispielsweise bei der Speicher- und Entladevorgangs eines thermischen
Klimatisierung von Gebäuden oder in Industrieanlagen. Energiespeichers erhöht sich der Anergiegehalt und der
Nachteilig sind die relativ hohen Kosten und der Um- Exergiegehalt nimmt ab (Bild 2.31). Die Summe aus
stand, dass der jetzige Entwicklungsstand der Techno- Anergie- und Exergiegehalt bleibt konstant.
logie noch nicht für die Anwendung im Fernwärmebe- In der folgenden Gleichung ist die Berechnung des
reich geeignet ist. Exergiegehaltes dargestellt.
2.10.2.3 Thermochemische
Wärmespeicherung
Unter dem Begriff der thermochemischen Energiespei- Eex = Exergiegehalt im Speicher [kWh]
cherung sind chemisch reversible Reaktionen zu ver- Q = Energieinhalt im Speicher [kWh]
stehen, bei denen die Reaktionsprodukte getrennt und TSp = Speichertemperatur [K]
über eine lange Zeit gespeichert werden können. Durch
TU = Umgebungstemperatur [K]
die Trennung treten keine Speicherverluste auf und erst
bei der Entladung gibt die exotherme Reaktion die ge-
speicherte Energie wieder frei. Thermochemische Ener-

42
Teil 1 Grundlagen

T 2.10.3.3 Wärmedämmung
TSp
TSp
Zur Reduktion thermischer Verluste spielt die Wärme-
dämmung bei sensiblen Wärmspeichern eine beson-
ders grosse Rolle. Der Zusammenhang zwischen Tem-
TSp peraturdifferenzen und Wärmeverlusten eines Spei-
TU chers wie folgt beschrieben:

1 2 3
S = Wärmeverlust Speicher [W]

Bild 2.31 Energieinhalt im Wärmespeicher (T,s-Dia- U = Wärmedurchgangskoeffizient [W/(m2 K)]


gramm nach [34]). Der Exergiegehalt (rot) im A = Oberfläche Speicher [m2]
Speicher wird während der Speicherung und TSp = Speichertemperatur [°C]
Entladung in Anergie (blau) umgewandelt.
Die Energie als Summe der beiden Terme TU = Umgebungstemperatur [°C]
bleibt konstant. Neben der Oberfläche A des Speichers, der Speicher-
1) Speicher durchgeladen temperatur TSp und der Umgebungstemperatur TU ist
2) Speicherung inkl. Wärmeverluste
der Wärmedurchgangskoeffizient U der entscheidende
3) Wärmeabgabe (Entladung).
Kennwert der Wärmedämmung. Der U-Wert wird in
Es ist ersichtlich, dass der Exergiegehalt von der Wär- W/(m2 K) angegeben und beschreibt, welche Leistung
memenge Q, der Speichertemperatur TSp und der Um- pro Kelvin Temperaturdifferenz durch einen Quadrat-
gebungstemperatur TU abhängt. Der Bruchterm in der meter Oberfläche übertragen wird. Je nach Bauform
Klammer (1-TU/TSp) entspricht dem Carnot-Wirkungs- des Speichers (Kugel, Zylinder, etc.) muss der Wärme-
grad, also der maximalen Arbeitsfähigkeit, die in der durchgangskoeffizient individuell berechnet werden. Für
Wärme enthalten ist. eine ebene Wand mit n-Schichten kann er wie folgt be-
stimmt werden:
Für die Anwendung im Fernwärmebereich kommt prak-
tisch nur die sensible Wärmespeicherung in Frage.
Werden der Energieinhalt im Speicher bzw. die darin
enthaltene Wärmemenge betrachtet, so wird als sen-
sible Wärme die Wärmeaufnahme oder -abgabe ver- U = Wärmedurchgangskoeffizient [W/(m2 K)]
standen, die eine fühlbare Änderung der Temperatur s = Schichtdicke der Dämmung [m]
zur Folge hat. Das verwendete Speichermedium wird  = Wärmeübergangskoeffizient [W/(m2 K]
erhitzt oder abgekühlt. Der Zusammenhang zwischen
 = Wärmeleitfähigkeit [W/(m K]
der im Speicher enthaltenen Wärmemenge Q und der
Temperaturänderung T wird wie folgt beschrieben: i = Innen (Speicher)
a = Aussen (Umgebung)
Der Wärmedurchgangskoeffizient hängt somit von der
Q = Wärmemenge [kWh]
Wärmeleitfähigkeit  und den Schichtdicken si der
m = Masse des im Speicher enthaltenen Wärmespeicher- Dämmmaterialien sowie von den Wärmeübergangsko-
mediums [kg]
effizienten  auf der Innen- und Aussenseite ab.  ist
cp = spez. Wärmekapazität Wärmespeichermedium [J/(kg K)] dabei der Proportionalitätsfaktor, der die Intensität des
T = Temperaturänderung im Speicher [K] Wärmeübergangs an einer Grenzfläche beschreibt. Der
Wärmeübergangskoeffizient ist keine Materialkonstante,
Neben der Temperaturänderung T und der Stoff-
sondern er ist von der Strömungsgeschwindigkeit, der
masse m ist die Wärmemenge Q von der spezifischen
Art des Fluides, den geometrischen Verhältnissen und
Wärmekapazität cp des Speichermediums anhängig.
der Oberflächenbeschaffenheit abhängig.
Eine hohe spezifische Wärmekapazität ist für die
Wärmespeicherung hilfreich, da für eine zu speichernde Bei üblichen Dämmmaterialien wie porösen Schäu-
Energiemenge eine geringere Menge des men oder Faserdämmstoffen wird die Luftkonvektion
Speichermediums benötigt wird und der Speicher damit durch einen kleinporigen Aufbau unterdrückt. Das
kleiner ausfällt. Wasser hat von allen praktisch Dämmmaterial selbst muss dabei grundsätzlich ein
einsetzbaren Speichermedien mit rund 4.2 kJ/(kg K) die schlechter Wärmeleiter sein. Die Dämmmaterialien
höchste spezifische Wärmekapazität pro Masse. Auch werden entweder als Platten oder auch als schütt-
auf das Volumen bezogen hat Wasser den höchsten fähiges Pulver angeboten, wodurch sie sich einer be-
Wert, also den höheren Wert als Metalle oder liebigen Speichergeometrie optimal anpassen können.
Naturmaterialien wie Stein. Der gelegentlich diskutierte Auch biegbare Vliesdämmstoffe, wie Mineral- oder
Kiesbettspeicher weist in Summe also eine geringere Glaswolle sind verbreitet, haben jedoch die nachteilige
Wärmekapazität auf als ein reiner Wasserspeicher. Neigung, Feuchtigkeit aufzunehmen und zu speichern.
Handelsübliche Dämmmaterialien weisen eine Wärme-
leitfähigkeit von 0.025 bis 0.07 W/(m K) auf.

43
Planungshandbuch Fernwärme

Neben der Auswahl des Dämmmaterials sind in der langen Abkühlzeiten nicht nur der Wärmedurchgangs-
Praxis noch folgende Aspekte zu beachten, um eine koeffizient, sondern auch das Oberflächen-Volumen-
gute Wärmedämmung zu erreichen: Verhältnis (A/V) des Speichers sowie die Dichte  und
• Wasserdampfdiffusion (oder kleine Leckagen) füh- die spezifische Wärmekapazität cp des Wärmespeicher-
ren zu feuchten Dämmschichten, die damit schlech- mediums eine wichtige Rolle spielen.
ter dämmen. Beispielhaft ist in Bild 2.32 die Auskühlung eines Spei-
• Das Dämmmaterial kann durch Sonneneinstrahlung chers für einen Wärmeleistungsbedarf von 1’000 kW zu
und durch Temperaturbelastung altern. sehen. Bei durchgeladenem Speicher und einer Tem-
• Bei Plattenmaterialen können bei nachlässiger In- peraturdifferenz von 30 K kann der Wärmeleistungsbe-
stallation, aber auch durch thermische Ausdehnung darf für eine Stunde gedeckt werden, wenn der Spei-
im Betrieb irreversible Luftspalte und damit Konvek- cher ein Volumen von 29 m3 aufweist. Basierend auf
tion und Kamineffekte entstehen. einem zylindrischen Speicher mit einem Höhen-Durch-
• Bei Pulverschüttungen kann eine Setzung des Ma- messer-Verhältnis von knapp 7.3 (siehe auch Beispiel
terials stattfinden, so dass gerade im oberen Be- nächste Seite: Durchmesser 1.1 m, Höhe 8 m) ergibt
reich mit meist höchster Temperatur ein unge- sich ein Oberflächen-Volumen-Verhältnis A/V von 2.10.
dämmter luftgefüllter Raum mit hohem Wärme- Es wird angenommen, dass der Speicher bei einer
verlust entsteht.
Temperatur von 80°C durchgeladen ist und die mittlere
• Die Dämmung des unteren Speicherbereichs sollte Umgebungstemperatur 10°C beträgt. Der mittlere Wär-
nicht vernachlässigt werden, da dort bei höheren medurchgangskoeffizient der Speicherhülle beträgt
Rücklauftemperaturen und bei durchgeladenem 0.2 W/(m2 K).
Speicher temporär grosse Verluste auftreten
können.
• Durch eine grosse Anzahl und/oder schlecht ge-
dämmte Anschlüsse und der im Bodenbereich zur
Aufstellung notwendigen Standzarge können Ver-
luste in der Grössenordnung bis zur Hälfte der ge-
samten Hüllverluste der Wanddämmung auftreten.
• Schliesslich ist natürliche Konvektion in den Zulei-
tungen (Einrohrzirkulation) vorzugsweise durch
Thermosyphons oder durch den Einbau von Kon-
vektionsbremsen auszuschliessen.
Eine besonders hohe Dämmwirkung kann durch ein
Vakuum erreicht werden (analog zur doppelwandigen
Bild 2.32 Auskühlung der Speichertemperatur in Funk-
Thermoskanne), welches das Dämmmaterial ersetzt.
tion der Zeit. Speicherdimensionierung für
Wegen der Grösse der im Fernwärmebereich einge- einen Leistungsbedarf von 1’000 kW, Kom-
setzten Wärmespeicher kommt diese Dämmart in der pensation für eine Stunde bei einer Tempe-
Regel jedoch nicht zur Anwendung. raturspreizung von 30 K. Start bei einer
Speichertemperatur von 80°C und einer
2.10.3.4 Auskühlung über die Zeit Umgebungstemperatur von 10°C.
Die Auskühlung eines sensiblen Speichers wird mit der
Exponentialfunktion über folgende Gleichung beschrie-
ben:
2.10.4 Speicherdesign und Auslegung
Thermische Energiespeicher können in einer Vielzahl
verschiedener Bauformen realisiert werden. Die Bau-
T(t) = Temperaturdifferenz zum Zeitpunkt t [K] formen ergeben sich aus der genutzten Speichertech-
T0 = Temperaturdifferenz am Anfang [K] nologie und den Anforderungen der jeweiligen Anwen-
A = Oberfläche Speicher [m2] dung. Für die im Fernwärmebereich eingesetzte sen-
sible Wärmespeicherung hat sich die sogenannt di-
V = Volumen Speicher [m3]
rekte Beladung als einfachste Bauform bewährt. Da-
U = Wärmedurchgangskoeffizient [W/(m2 K)] bei ist das Wärmespeichermedium auch gleichzeitig
 = Dichte Wärmespeichermedium [kg/m3] das Wärmeträgermedium, es gibt also keine hydrauli-
cp = spez. Wärmekapazität Wärmespeichermedium [J/(kg K)] sche Trennung. Der Speicher enthält chemisch ge-
t = Betrachtungsdauer [s] sehen nur eine Komponente, die ihre Temperatur än-
dert, aber nicht ihren Aggregatszustand. Vorteil einer
Wobei T(t) die Temperaturdifferenz zwischen der solchen Direkt-Beladung ist die einfache Bauweise und
Speichertemperatur und der Umgebungstemperatur mit Ausnahme von Einbauten für eine optimale Einströ-
zum Zeitpunkt t ist und T0 die Temperaturdifferenz mung auch der Verzicht auf innere Einbauten. Damit
zwischen der Speichertemperatur und der Umgebungs- wird der Raum nur durch aktives Speichermaterial aus-
temperatur am Anfangszeitpunkt darstellt. Es ist gefüllt. Bei der indirekten Beladung wird Wärme über
ersichtlich, dass für die bei der Speicherung möglichst Wärmeübertrager an das Speichermedium abgegeben.

44
Teil 1 Grundlagen

Dieses Konzept wird dann verwendet, wenn bei der d = Durchmesser im Speicher in (m)
Wärmeversorgung unterschiedliche Flüssigkeiten ver-
wendet werden (zum Beispiel Wasser-Glykol/Wasser) = Lade- oder Entladeleistung Speicher in (kW)
und/oder unterschiedliche Systemdrücke zwischen w = Strömungsgeschwindigkeit im Speicher in (m/s);
Netz und Speicher herrschen. Ein Vorteil ist auch der 0.0017 m/s (6 m/h) bis 0.0028 m/s (10 m/h)
Schutz vor Korrosion, Verschmutzung und Speicher-  = Dichte von Wasser in (kg/m3)
materialverlust, da die Speicher als geschlossene Sys- Vereinfachung bei Wasser von 60°C (983 kg/m3)
teme keine Stoffanbindung an die Umwelt aufweisen. cp = Wärmekapazität von Wasser in (kJ/(kg K))
Nachteilig ist der relativ hohe Exergieverlust über die
Vereinfachung bei Wasser von 60°C (4.183 kJ/(kg K))
Wärmeübertrager.
T = Temperaturspreizung bzw. Temperaturdifferenz
Die Lade- und Entladeleistung eines direkt oder indi-
zwischen Vor- und Rücklauf in (K)
rekt beladenen Speichers hängt gemäss der Grund-
gleichung der Wärmeleistung neben der Temperatur-
spreizung hauptsächlich vom maximalen Massenstrom Berechnungsbeispiel: Für eine Lade- und Entnahme-
des Speichermediums ab: leistung von 1'000 kW, einer maximalen Strömungsge-
schwindigkeit im Speicher von 0.0022 m/s (8.0 m/h)
und einer Temperaturspreizung von 30 K folgt ein
Durchmesser des Speichers von rund 2.2 m (Bild 2.34).
Um diese Lade- und Entnahmeleistung für eine Stunde
Die maximale Strömungsgeschwindigkeit im Speicher zur Verfügung zu stellen, muss ein zylindrischer Spei-
hat somit einen direkten Einfluss auf den Durchmesser cher mindestens 8 Meter hoch sein. Damit ergibt sich
eines zylindrischen Speichers (Bild 2.33). Als Richtwert, ein Volumen von rund 29 m3.
um die Temperaturschichtung im Speicher zu erhalten,
wird die nutzbare Lade- und Entladeleistung durch eine
maximale Strömungsgeschwindigkeit im Speicher von
6 m/h (0.0017 m/s) bis 10 m/h (0.0028 m/s) begrenzt.
Vorlauf (TVL)

Durchmesser (d)

Strömungs-
geschwindigkeit (w) Bild 2.34 Vergleich der Durchmesser des Speichers in
Funktion der Strömungsgeschwindigkeit im
Speicher gemäss obiger Gleichung für eine
Lade- und Entladeleistung von 250 kW,
Rücklauf (TRL)
500 kW und 1'000 kW bei einer Temperatur-
Bild 2.33 Darstellung von Strömungsgeschwindigkeit spreizung von 30 K.
und Durchmesser eines direkt beladenen
Energiespeichers mit idealer Temperatur-
schichtung (rot = hohe Temperatur, blau = Um Wärmespeicher optimal zu nutzen, ist ein Tempera-
tiefe Temperatur). turausgleich zwischen heissen und kalten Zonen in
Speichern notwendig. In Wasserspeichern ist dazu ins-
Je nach Dimensionierung und verfügbarem Tempe-
besondere die durch Dichteunterschiede auftretende
raturunterschied zwischen Vor- und Rücklauf können
Temperaturschichtung zu erhalten, wie sie in Bild
somit hohe Lade- und Entladeleistungen erreicht wer-
2.33 mit einer heissen Schicht in der oberen Zone und
den. Auf Basis der Grundgleichung der Wärmeleistung
einer kalten Schicht am unteren Ende des Speichers
ergibt sich für den Durchmesser in einem Rohr bzw.
dargestellt ist. Besonders entscheidend ist dazu die
einem zylindrischen Speicher folgender Zusammen-
Gestaltung der Einströmung oder auch der Aus-
hang mit A = d2 /4:
strömung eines Speichers. Der durch den einströmen-
den Massenstrom erzeugte Impuls bewirkt eine Verwir-
belung im Speicher, welche die thermische Schichtung
zerstören kann. Die Stärke der bei der Einströmung
entstehenden Verwirbelung hängt dabei von der Art der
Einströmung, der Ausbildung der thermischen Schich-
tung und dem Einströmimpuls ab.

45
Planungshandbuch Fernwärme

Bevorzugte Bauformen der Ein- und Ausströmung sind 30 K bestimmt. Die Speicher weisen dabei ein Volumen
gemäss Bild 2.35 z.B. Düsenrohre oder kreisförmige von 29 m3, 350 m3 und 700 m3 respektive ein Oberflä-
Prallplatten mit horizontalem Strömungsaustritt (auch chen-Volumen-Verhältnis von 1.8, 0.79 und 0.62 m2/m3
Beladetassen genannt). Ungünstig erweisen sich hinge- auf. Das Oberflächen-Volumen-Verhältnis basiert auf
gen direkt angeschlossene Rohrleitungen, Bogenrohre einem zylindrischen Wärmespeicher mit einem Höhen-
in der Nähe von Böden oder mit Prallblechen. Um bei Durchmesser-Verhältnis von 1. Dadurch ergibt sich
ungünstigen Bauformen die Einströmung zu beruhigen, ein optimales Oberflächen-Volumen-Verhältnis, das
sind Einbauten wie Lochbleche und/oder trichterförmige demjenigen einer Kugel am nächsten kommt.
Austritte (Diffusor) vorzusehen. Allgemein betrachtet
sind Anschlüsse und Einbauten jeglicher Art genügend
gross zu dimensionieren um die Einströmgeschwindig-
keit und somit die Wirbelbildung gering zu halten. Als
Praxiswert wird eine Einströmgeschwindigkeit von
0.1 m/s bis 0.2 m/s empfohlen.

Ungünstige Bauformen Günstige Bauformen

Rohrbogen Rohrbogen mit Lochblech

Bild 2.36 Auskühlung der Speichertemperatur in Funk-


tion der Zeit. Speicherdimensionierung für
einen Wärmeleistungsbedarf von 1’000 kW,
Kompensation für 1-, 12- und 24-Stunden
Rohrbogen mit Prallblech Düsenrohr
unter Volllast und einem Höhen-Durchmes-
ser-Verhältnis von 1. Die gestrichelte Linie
entspricht einem Höhen-Durchmesser-Ver-
hältnis von 7.3. Start bei einer Speichertem-
peratur von 80°C und einer mittleren Umge-
bungstemperatur von 10°C. 1/m = m2/m3.

Weiter wird angenommen, dass der Speicher bei einer


Direkter Anschluss Temperatur von 80°C durchgeladen ist und die mittlere
Kreisförmige Prallplatte
mit horizontalem Austritt Umgebungstemperatur 10°C beträgt. Der mittlere
Wärmedurchgangskoeffizient der Speicherwand beträgt
Bild 2.35 Gestaltung der Ein- und Ausströmung eines für alle drei Speicher 0.2 W/(m2 K). Als Vergleich ist der
Speichers. Ungünstige Bauformen links, Speicher aus Bild 2.32 mit einem Oberflächen-
günstige Bauformen rechts.
Volumen-Verhältnis von 2.10 m2/m3 und einem
Volumen von 29 m3 zu sehen.

Das Höhen-Durchmesser-Verhältnis ist eine weitere Es ist gut erkennbar, dass das Oberflächen-Volumen-
Kennzahl die sich durch die Dimensionierung und Aus- Verhältnis bzw. das Höhen-Durchmesser-Verhältnis ei-
legung des Speichers ergibt oder vom Lieferanten zu nen erheblichen Einfluss auf das Abkühlverhalten auf-
beachten ist. Es gibt bei der Betrachtung zwei gegen- weist. Auf der anderen Seite wird für die optimale Aus-
läufige Punkte zu beachten. Einerseits kann ein opti- bildung einer Temperaturschichtung ein Höhen-Durch-
males Oberflächen-Volumen-Verhältnis mit minimalen messer-Verhältnis von 5 bis 10 empfohlen. Beispiel-
Wärmeverlusten angestrebt werden. Auf der anderen haft zu sehen ist dies an der roten gestrichelten Linie in
Seite gibt es Richtwerte für die optimale Ausbildung Bild 2.36. Dies entspricht den gleichen Attributen wie
einer Temperaturschichtung im Speicher z.B. zur Erfas- die rote ausgezogene Linie, jedoch mit einem Höhen-
sung des Speicherladezustandes. Durchmesser-Verhältnis von 7.3 statt von 1. Mit einer
dickeren Dämmschicht lassen sich bei grösseren Höh-
In Bild 2.36 ist die Auskühlung des Speichers für unter- en-Durchmesser-Verhältnissen die höheren Wärmever-
schiedliche Speichergrössen bzw. Oberflächen-Volu- luste kompensieren. Dies ist in der Regel jedoch nur bei
men-Verhältnisse dargestellt. Die Speicherdimensionie- kleineren Speichern wirtschaftlich.
rung wurde beispielhaft für einen Wärmeleistungsbe-
darf von 1'000 kW erstellt. Die Speichervolumen wur- Je nach Anwendung, Platzbedarf und notwendigem Vo-
den für die Kompensation der benötigten Wärme für 1-, lumen des Speichers sind mehrere Speicher notwendig.
12- und 24-Stunden bei einer Temperaturdifferenz von Dabei ist zwischen seriellem und parallelem Betrieb
zu unterscheiden. Ein serieller Betrieb der Speicher

46
Teil 1 Grundlagen

wird nur empfohlen, wenn die maximale Strömungs- grund: innovative Dämmkonzepte, die sich vor allem
geschwindigkeit im Speicher von 6 m/h bis 10 m/h nicht durch Kostenreduktion auszeichnen müssen und ge-
überschritten wird (siehe Lade- und Entladeleistung). eignete Schichtladeeinheiten, die bei direkter Beladung
Ansonsten wird ein paralleler Betrieb empfohlen. Beim das Wärmeträgerfluid in der passenden Temperatur-
parallelen Betrieb muss auf das Prinzip des konstanten schicht einspeichern.
Druckabfalls geachtet werden (Tichelmann-Prinzip).
Das Prinzip besteht darin, dass das durchfliessende 2.10.5 Integration und Anwendung
Medium überall die gleiche Länge zurücklegen muss In der Wärmeversorgung nehmen die thermischen
(gleiche Rohrdurchmesser, gleiche Länge). In Folge Energiespeicher wichtige Aufgaben ein. Für die Anwen-
dessen entstehen über jedem Element die gleichen dung thermischer Energiespeicher im Fernwärmebe-
Druckverluste, so dass alle Teile gleichmässig durch- reich kommt einerseits die alleinige Anwendung im
strömt und warm werden oder aber gleichmässig befüllt Wärmesektor und andererseits die sektorenübergrei-
bzw. entladen werden wie z.B. bei parallel geschalteten fende Anwendung im Strom- und Wärmesektor infrage.
Speichern. Es ist auch möglich mehrere Speicher über
Klappen entweder im seriellen oder im parallelen Be- 2.10.5.1 Integration im Wärmesektor
trieb zu bewirtschaften. Das kann zum Beispiel sinnvoll
Die Anwendung thermischer Energiespeichern im Wär-
sein, wenn die effektive Lade- und Entladeleistung nicht
mesektor und insbesondere im Fernwärmebereich kann
abschliessend ermittelt werden kann. Dies ist jedoch
sehr vielseitig sein. Das Augenmerk wird hier auf die
aufwändiger und kostenintensiver.
Anwendung in einem Heizwerk gelegt, wo zentral an
Speichergrössen bis 4.5 m Durchmesser sind für den einem Standort Wärme erzeugt und anschliessend am
Transport auf Strassen geeignet. Grössere Wärme- Standort oder über ein Wärmeverteilnetz die Wärme
speicher (Durchmesser) müssen vor Ort geschweisst verteilt wird. Hier besteht die Aufgabe des thermischen
oder betoniert werden und sind in der Regel auch nicht Energiespeichers hauptsächlich darin, Leistungsspitzen
mehr druckfest. Bei einem Durchmesser von 4.5 m und sowie Leistungssenkungen zu kompensieren, damit die
einem Höhen-Durchmesser-Verhältnis von 5 (Höhe Wärmeerzeugungsanlage genügend Zeit hat, um auf
22.5 m) ergibt das ein Volumen von knapp 358 m3. die ändernden Anforderungen zu reagieren. Dies ist
insbesondere für Energieerzeuger mit grosser Trägheit
Die Druckfestigkeit des Speichers sollte nur so hoch
angesetzt werden wie notwendig. Da ein Speicher in wie zum Beispiel Holzfeuerungen notwendig. Automati-
der Regel im Rücklauf eingebunden ist, kann sich der sche Holzfeuerungsanlagen erzielen je nach Brenn-
Speicher am tieferen Rücklaufdruck orientieren. Han- stoffwassergehalt eine Leistungsänderung von unge-
delsübliche Speicher werden in der Regel für eine fähr einem Prozent pro Minute. Dies bedeutet, das die
Druckfestigkeit von 6 bar bis 10 bar (selten 15 bar) an- Holzfeuerung aus dem Regelbetrieb von etwa 30 %
geboten. Darüber werden die notwendigen Wandstär- Leistung rund 70 Minuten benötigt bis die volle Wärme-
ken zu gross, um noch wirtschaftlich zu sein. Speicher leistung von 100 % abgegeben werden kann. Mit einem
bis 100°C werden drucklos mit Gaspolster ausgeführt thermischen Energiespeicher kann das Betriebsverhal-
(z.B. mit Stickstoff (N2)). Speicher über 100°C (Druck- ten des Holzkessels wesentlich verbessert werden, in-
speicher) werden ohne Druckpolster ausgeführt. dem Lastspitzen und Lastabsenkungen durch den Wär-
mespeicher ausgeglichen werden, während der Holz-
Langzeitspeicher für Heiz- und Kühlanwendungen im kessel dem mittleren Wärmeleistungsbedarf nachfahren
Temperaturbereich von 0°C bis 100°C eignen sich die kann. Somit kann der Holzkessel kleiner dimensioniert
sogenannten Untergrund-Wärmespeicher: werden, weist längere Laufzeiten auf, läuft effizienter
• Aquiferspeicher und verursacht geringere Schadstoffemissionen. Ge-
• Erdwärmesonden-Speicher mäss QM Holzheizwerke [21] wird eine Speicherkapa-
zität zur Kompensation der Nennwärmeleistung des
• Kavernenspeicher
Holzkessels für eine Stunde bei einer Temperatursprei-
• Kies/Wasser- oder Erdreich/Wasser-Speicher. zung von 30 K empfohlen. Bei Mehrkesselanlagen
Aquifer- und Erdwärmesonden-Speicher besitzen den sollte die Speicherkapazität individuell den Anforderun-
Nachteil, dass sie nicht wärmegedämmt werden kön- gen angepasst werden, im Minimum aber der Nennwär-
nen. Daher besitzen sie grössere Wärmeverluste als meleistung des grösseren Holzkessels entsprechen.
gedämmte Heisswasser-Speicher und Kies/Wasser- Beträgt die Temperaturspreizung über dem Speicher
Speicher. Zu beachten ist zudem, dass sie einige Jahre weniger als 30 K, sollte das Speichervolumen dement-
für einen eingeschwungenen Zustand benötigen, um sprechend angepasst werden.
wirtschaftlich arbeiten zu können. Daher ist am Anfang Dem Betrieb des Speichers sollte ebenfalls genügend
der Nutzungsgrad nicht sehr hoch. Dies hat seinen Aufmerksamkeit geschenkt werden. Wichtig bei der Be-
Grund darin, dass am Anfang das Speichervolumen wirtschaftung eines thermischen Energiespeichers ist,
und das umgebende Erdreich auf Betriebstemperatur wie in Kapitel 0 beschrieben, dass die Temperatur-
erwärmt werden müssen. Im Bereich der Langzeit-Spei- schichtung im Speicher nicht gestört wird. Dies kann
cherung, wie zum Beispiel für die saisonale Speiche- mit geeigneten Einbauten und grosszügig dimensio-
rung solarer Wärme oder bei WKK-Anlagen zur Kraft- nierten Ein- und Austrittsquerschnitten sowie einem
werks-Flexibilisierung, stehen zwei Themen im Vorder- hydraulischen Abgleich gewährleistet werden. Bei Wär-

47
Planungshandbuch Fernwärme

meerzeugern mit einem trägen Betriebsverhalten, wie 2.10.5.2 Integration in WKK-Anlagen


dem Beispiel der Holzkessel, ist auch auf die Erfassung
des Speicherladezustandes und die daraus resultie- Für WKK-Anlagen werden ein wärmegeführter oder ein
rende Leistungsvorgabe an die Holzkessel zu achten. stromgeführter Betrieb unterschieden. In der Schweiz
Für diesen Fall gibt QM Holzheizwerke [22] Empfeh- werden dezentrale WKK-Anlagen in der Regel wärme-
lungen, die auch für andere Anlagen anwendbar sind. geführt betrieben, da die elektrischen Wirkungsgrade
gering sind und die Abgabe der Abwärme an die Umge-
Eine weitere Anwendungsmöglichkeit von Speichern bung durch die Anforderungen der kostendeckenden
bietet die sogenannte thermische Vernetzung (Anergie- Einspeisevergütung wie in Bild 2.9 beschrieben einge-
Netze oder LowEx-Anwendung) unterschiedlicher Wär- schränkt werden. Bei wärmegeführtem Betrieb folgt die
mequellen und Wärmesenken auf relativ tiefem Tempe- WKK-Anlage der Wärmelast, während Strom als Ne-
raturniveau mit Erdwärmesonden- oder Erdkollektor- benprodukt erzeugt wird. Dies ist allerdings mit dem
feld-Speichern zur saisonalen Speicherung und unter Nachteil verbunden, dass Strom teilweise auch zu Zei-
Einsatz von zentralen oder dezentralen Wärmepumpen. ten erzeugt werden kann, wenn er im Netz nicht be-
Weiter kommen zum Beispiel in Deutschland und Dä- nötigt wird. Wärmegeführte WKK-Anlagen können da-
nemark auch grosse saisonale Wärmespeicher in der mit den Speicherbedarf im Stromsektor erhöhen. Dies
Solarthermie zur Anwendung [36], [37], [38]. In diesem kann vermieden werden, indem die Produktion von
Fall ist die Hauptaufgabe des Energiespeichers, die Wärme und Strom in WKK-Anlagen durch Einsatz von
Asynchronität von Wärmeanfall und Wärmebedarf zu Wärmespeichern und anderen Massnahmen teilweise
kompensieren. Je nach Anwendung sind dies Speicher entkoppelt wird. Mit einer solchen Flexibilisierung des
mit einer Speicherdauer von Tagen, einigen Wochen WKK-Betriebs bietet sich ein Potenzial zur Optimierung
oder bis zu einem Jahr. des Anlagenbetriebs in Bezug auf Kosten und Primär-
Neben dem konventionellen Speicherlademanagement energieverbrauch. Zur Flexibilisierung kommen nebst
wie z.B. konstanter Speicherladzustand bei 60 %, kann der Wärmespeicherung weitere Komponenten wie
auch das zukünftige Wetter Einfluss auf das Speicher- Spitzenlastkessel und Wärmepumpen, einem Anlagen-
lademanagement nehmen. Dies kommt insbesondere betrieb mit Umgehung der Dampfturbine [39] oder dem
da zur Anwendung, wo die klimatischen Bedingungen Einsatz von dezentralen Stromspeichern. Eine Um-
einen erheblichen Einfluss auf den Wärmebedarf haben gehung der Stromproduktion ist allerdings energetisch
wie etwa bei Gewächshäusern. Mit der Berücksichti- unerwünscht, während Stromspeicher deutlich teurer
gung der Klimaprognose kann der klimatische Einfluss sind als Wärmespeicher. Wenn für die Stromerzeugung
auf maximal 5 bis 7 Tage im Voraus bestimmt und in kein fixer Einspeisetarif vergütet wird, was ohne kosten-
das Speicherlademanagement einbezogen werden. deckende Einspeisevergütung zutrifft, wird deshalb der
Wenn der Speicher genügend gross dimensioniert ist Einsatz von Wärmespeichern in WKK-Anlagen zuneh-
und eine Kapazität in der Grössenordnung von etwa 4 mend interessant. WKK-Anlagen können damit mindes-
bis 8 Stunden der Nennleistung der Wärmeerzeugung tens teilweise zur bedarfsgerechten Produktion von
bei gegebener Temperaturspreizung aufweist, kann die teurer Regelenergie (Power-on-Demand) eingesetzt
Wärmeerzeugung wesentlich kleiner dimensioniert und werden, während das Fernwärmenetz teilweise ab Wär-
mit deutlich höherer Auslastung betrieben werden als mespeicher versorgt wird. Gleichzeitig bieten Wärme-
ohne Speicher. Weitere Anwendungsgebiete für die Be- speicher Einsparmöglichkeiten bei der Dimensionierung
rücksichtigung der Klimaprognose sind z.B. die ther- der Anlagenleistung.
mische Vernetzung unterschiedlicher Energiequellen,
insbesondere der Solarthermie.
Der Einsatz thermischer Energiespeicher bietet damit je
nach System teilweise ein erhebliches Potenzial zur
Optimierung des Anlagenbetriebs in Bezug auf Kosten
und Primärenergieverbrauch. Die wichtigsten Anwen-
dungen im Wärmesektor sind:
• Wärmespeicher reduzieren Wärmebedarfsspitzen
• Wärmeerzeugungsanlage kann kleiner ausgelegt
werden.
• Wärmespeicher haben einen positiven Einfluss auf
das Betriebsverhalten der Wärmeerzeugungsanlage
• Wärmespeicher bilden eine Energiereserve für Stö-
rungen oder kurzzeitige Unterbrechungen
• Abwärme kann auch dann genutzt werden, wenn
sie nicht zeitgleich zum Wärmebedarf anfällt
• dezentrale Wärmespeicher können an neuralgi-
schen Stellen im Fernwärmenetz das Netz entlasten
und in einem ausgelasteten Netz den Anschluss
weiterer Abnehmer ermöglichen.

48
Teil 1 Grundlagen

Temperaturspreizung wird der erforderliche Volumen-


3 Verbindung strom bei gleicher Leistung verdoppelt, sodass auch
der Energieaufwand für die Pumpleistung entsprechend
Wärmebereitstellung – zunimmt. Vorab muss aber eine Auslegung auf einen
um ungefähr Faktor 1,3 grösseren Rohrdurchmesser
Wärmeverteilung erfolgen, was die Investitionskosten erhöht. Als Folge
In diesem Kapitel werden die wichtigsten Grundlagen davon nehmen auch die Wärmeverluste des Netzes zu,
und Komponenten für die Einspeisung und Verteilung was die Wärmeerzeugungskosten zusätzlich erhöht.
der Wärme vorgestellt, die vorwiegend in der Wärme- Aus diesen Rahmenbedingungen resultiert für die Wirt-
zentrale vorzufinden sind. schaftlichkeit von Netzen auch die Forderung, dass die
Als Verbindung zwischen der Wärmebereitstellung und erforderliche Temperaturspreizung und somit die Vor-
der Wärmeverteilung werden die Pumpeneinheit mit der lauftemperatur mit zunehmender Länge des Netzes zu-
zugehörigen Regeleinrichtung und die Expansions- und nimmt. Höhere Vorlauftemperaturen führen aber auch
Druckhalteanlage betrachtet. Für gewisse Anforderun- zu höheren Wärmeverlusten.
gen kann es notwendig sein, dass eine Netztrennung Die Randbedingungen der Wärmequelle haben fol-
oder eine Druckerhöhungsstation eingesetzt wird. gende Einflüsse auf die Vorlauftemperatur:
• Die Vorlauftemperatur ist durch die Temperatur der
3.1 Netztemperaturen verfügbaren Abwärme gegeben.
Die Vor- und Rücklauftemperatur des Netzes ergeben • Begrenzung der Vorlauftemperatur bei einer Dampf-
sich aufgrund der Anforderungen der Wärmeabnehmer entnahme aus einem Prozess bei definiertem
an die Vorlauftemperatur und der Forderung nach mög- Dampfdruck. Eine hohe Entnahmetemperatur kann
lichst grosser Temperaturspreizung oder der Forderung somit nur mit einer Verminderung der Stromerzeu-
nach einer möglichst tiefen Rücklauftemperatur. gung gewährleistet werden.
• Eine Wärmeauskopplung an der Quelle besteht be-
3.1.1 Vorlauftemperatur reits auf einem definierten Temperaturniveau (z.B.
Die Anforderungen der Wärmeabnehmer sind sehr Geothermie, Wärmepumpe, WKK-Anlage).
unterschiedlich (Tabelle 3.1) und die Vorlauftemperatur Die Wahl der Vorlauftemperatur hat technisch einen
des Fernwärmenetzes muss sich grundsätzlich nach Einfluss auf die Wahl der Druckstufe, die Dimensionie-
dem Wärmeabnehmer mit der höchsten notwendigen rung der Rohrquerschnitte, die Förderleistung der
Vorlauftemperatur richten. Je nach Situation können die Pumpe und die Wärmeverluste. Eine hohe Vorlauftem-
Wärmeabnehmer in verschiedenen Temperaturniveaus peratur ermöglicht unter Umständen eine niedrigere
gruppiert werden (z.B. Hochtemperatur bei Radiatoren Druckstufe oder andernfalls kleinere Leitungsquer-
und Niedertemperatur bei Bodenheizungen). In diesem schnitte und geringere Förderleistungen der Pumpen.
Fall kann eine Kaskadierung der Vorlauftemperatur vor- Gleichzeitig steigen die Wärmeverluste und je nach Art
teilhaft sein, indem der Rücklauf eines Wärmeabneh- des Wärmeerzeugers steigt dessen Energieverbrauch.
mers mit hoher Temperatur als Vorlauf für nachge- Dies gilt insbesondere für Wärme-Kraft-Kopplung und
schaltete Wärmeabnehmer mit tieferen Vorlauftem- Wärmepumpen. Aus diesem Grund ist eine wirtschaft-
peraturen dient. liche Optimierung von Vorlauftemperatur und Rohrquer-
Tabelle 3.1 Erforderliche primäre Vorlauftemperatu- schnitt vorzunehmen.
ren für verschiedene Wärmeabnehmer.
3.1.2 Rücklauftemperatur
Vorlauf- Die Rücklauftemperaturen ergeben sich aus den Rand-
Wärmeabnehmer
temperatur bedingungen wie, Alter und Zustand der zu beheizen-
den Bausubstanz, Art der Warmwasseraufbereitung,
Prozesswärme
Art der hydraulischen Einbindung bei den Wärmeab-
Krankenhaus mit Sterildampferzeugung 3 bar ≥ 160°C
nehmern. Weiter bestehen Anforderungen an die
Trocknungsprozess aus Lebensmitteltechnik ≥ 130°C
Rücklauftemperaturen von Seite der Wärmequelle. In
Industriebetrieb mit sek. Warmwassernetz 80/60 ≥ 85°C
bestimmten Fällen setzt die Wärmenutzung tiefe Rück-
Bäder und Wellnessanlage (Hygieneschaltung) ≥ 70°C lauftemperaturen voraus. Dies gilt z.B. für Abgaskon-
Gewächshäuser mit Lufterwärmung ≥ 60°C densationsanlagen.
Gewächshäuser mit Bodenheizung ≥ 40°C Aus der Tabelle 3.2 können Praxiswerte und Zielwerte
Raumwärme und Warmwasser für Rücklauftemperaturen entnommen werden.
Gebäude mit Radiatoren (mit oder ohne WW) ≥ 65°C
Die maximalen Rücklauftemperaturen sollten im Wär-
Gebäude mit Niedertemperaturheizungen (ohne WW) ≥ 40°C
meliefervertrag bzw. in den Technischen Anschlussvor-
schriften TAV definiert werden (siehe Kapitel 5.3). Da-
bei wird eine differenzierte Forderung der maximalen
Bei geografisch ausgedehnten Netzen hat die Tem-
Rücklauftemperatur für den Heizfall und zur Brauch-
peraturspreizung einen starken Einfluss auf die Inves-
warmwassererwärmung empfohlen.
titions- und die Betriebskosten. Bei Halbierung der

49
Planungshandbuch Fernwärme

Um möglichst tiefe Rücklauftemperaturen zu generieren, Tabelle 3.2 Richtwerte und Praxiswerte für Rück-
könnte ein von der Rücklauftemperatur anhängiger lauftemperaturen.
Energiepreis den Anreiz dazu schaffen. Für bestehende
und auch neue Fernwärmenetze sollte die Rücklauf- Rücklauf-
Wärmeverbund
temperatur bzw. die Temperaturspreizung ausgewertet temperatur
werden. Anhand dieser Auswertung sind Optimierungs- KVA > 10 MW Praxiswert 55-65°C
potenziale und Fehlfunktionen in Übergabestationen
Praxiswert > 45°C
schnell erkennbar. Eine einfache Methode ist in Ka- Holzfeuerung mit Abgaskondensation
Zielwert ≤ 45°C
pitel 10, mit der Erfassung des Mehrverbrauchs detail-
Praxiswert > 38°C
liert beschrieben. Neubau-Quartier
Zielwert ≤ 35°C

3.2 Netzfahrweise
Die Anpassung und der Verlauf der Vorlauftemperatur sollten in den Technischen Anschlussvorschriften (TAV) des
jeweiligen Wärmelieferanten festgehalten werden. Für den Verlauf der Netzvorlauftemperatur sind grundsätzlich drei
Fahrweisen gebräuchlich (Bild 3.1).
130
Gleitend-Konstant
Vorlauftemperatur Primärseite [°C]

Konstant
110 Gleitend

90

70

50

30
-20 -15 -10 -5 0 5 10 15 20
Aussentemperatur [°C]

Bild 3.1 Vorlauftemperatur ab Wärmezentrale in Funktion der Aussentemperatur für die drei unterschiedlichen
Fahrweisen von Fernwärmenetzen (gleitend-konstant, konstant, gleitend).

konstante Fahrweise ist die gebräuchlichste Fahrweise


3.2.1 Gleitende Fahrweise und sie erlaubt die gleichzeitige Versorgung für Raum-
Die Netzvorlauftemperatur wird in Abhängigkeit der Aus- wärme, Warmwasser und Prozesswärme. Durch eine
sentemperatur geregelt. Bei sinkender Aussentempe- Nachregelung auf die für den Verbraucher notwendige
ratur wird die Netzvorlauftemperatur gleitend bis zum sekundärseitige Vorlauftemperatur in der Hausstation ist
Maximalwert angehoben. Steigt die Aussentemperatur, eine vom Wärmelieferanten unabhängige Betriebsweise
so wird die Netzvorlauftemperatur gleitend gesenkt, bis hinsichtlich Vorlauftemperatur und Heizzeit möglich.
die Heizgrenze erreicht und die Wärmeversorgung ein- Als Führungsgrösse für die Netzvorlauftemperatur wird
gestellt wird. Die gleitende Fahrweise ist nur zur Versor- nur selten die aktuell gemessene Aussentemperatur ver-
gung von Raumwärme geeignet. Für witterungsunab- wendet. Je nach Grösse des Netzes kann es zweckmäs-
hängige Verbraucher wie Prozesswärme und Warmwas- sig sein, die über eine längere Zeit gemittelte Aussen-
ser ist gleitende Fahrweise ungeeignet. temperatur, allenfalls unter Einbeziehung von Aussen-
temperaturvoraussagen, zugrunde zu legen.
3.2.2 Gleitend-Konstante Fahrweise
Die Netzvorlauftemperatur wird innerhalb festgelegter 3.2.3 Konstante Fahrweise
Grenzwerte in Abhängigkeit von der Witterung geregelt. Die Netzvorlauftemperatur wird unabhängig von der
Bei fallender Aussentemperatur wird die Netzvorlauf- Aussentemperatur konstant gefahren. Prinzipiell können
temperatur gleitend bis zum Maximalwert angehoben. alle gebräuchlichen Wärmeabnehmer angeschlossen
Bei steigender Aussentemperatur wir sie gleitend bis werden, wenn die angebotene konstante Vorlauftempe-
zum Minimalwert abgesenkt. Der Minimalwert wird durch ratur für den Verwendungszweck ausreicht. Eine Vor-
die mindestens vorzuhaltende Netzvorlauftemperatur lauftemperaturregelung entsprechend den Anforderun-
(z.B. Warmwassererwärmung) bestimmt. Die gleitend- gen des jeweiligen Wärmeabnehmers ist in der Haussta-

50
Teil 1 Grundlagen

tion vorzusehen. Aufgrund der konstanten Fahrweise ist


es möglich, die vorzuhaltende Wärmeleistung auch bei
höheren Aussentemperaturen anzubieten, was insbe-
sondere bei Prozesswärme und Warmwassererwärmung
von Bedeutung ist. Diese Fahrweise führt allerdings in
der Übergangszeit und im Sommerbetrieb zu erhöhten
Wärmeverteilverlusten.

3.3 Pumpen
Für den Wasserumlauf in Fernwärmenetzen werden
Umwälzpumpen verwendet, die von einem Elektromotor
angetrieben werden. Diese werden entweder bei kon-
stanter Drehzahl betrieben oder sie sind – was heute
vorgeschrieben ist – stufenlos regelbar. Bild 3.2 zeigt
einen typologischen Überblick der Bauarten und Ein-
satzgebiete der verschiedenen Pumpentypen in Ab-
hängigkeit der Förderhöhe und des Volumenstroms.
Nebst der Unterscheidung zwischen axialer und radialer
Bauform wird dabei auch zwischen Trockenläufer- und
Nassläuferpumpen unterschieden.

3.3.1 Bauarten
Für grössere Fernwärmenetze kommen Trockenläufer-
pumpen zum Einsatz. Diese sind über Welle und Kup-
plung mit einem Norm-Motor verbunden, wobei zwi-
schen den Bauarten Sockelpumpe (Motor und Pumpe
auf einem Sockel montiert) und Inline-Pumpe (Motor an
eine Rohreinbaupumpe montiert) unterschieden wird.
Die Tabelle 3.3 zeigt die typischen Förderhöhen und
Volumenströme der Pumpentypen, wobei die Werte für
eine Einzelpumpe gelten. Je nach Konfiguration in Bild 3.2 Typologie von Pumpen unterteilt nach Förder-
Serie- oder Parallelschaltung sind höhere Werte erreich- höhe und Volumenstrom. Die Drehzahl nq
bar, wie aus Bild 3.2 hervorgeht. In der Gebäudetechnik charakterisiert die Pumpenbauform [74].
und auch in kleinen Fernwärmenetzen kommen auch
Nassläuferpumpen zum Einsatz, bei denen die Rohr- 3.3.2 Energieeffizienz
einbaupumpe mit dem sogenannten Spaltrohrmotor eine Für die in Trockenläuferpumpen eingesetzten Elektro-
Einheit bilden. Das geförderte Medium schmiert dabei motoren gilt die EU-Verordnung (EG) 640/2009 [73]. Da-
die Lager und kühlt gleichzeitig den Motor. bei sind neue Effizienzklassen [113] definiert worden, in
der die bisher beste Kategorie EFF1 durch die Effizienz-
klassen IE2 und IE3 in drei Stufen gemäss Tabelle 3.4
Tabelle 3.3 Typische Förderhöhen und Volumenströ-
abgelöst wird. Die Anpassung der Effizienzklassen er-
me der verschiedenen Pumpentypen.
folgt in drei Stufen:

Förderhöhe Volumenstrom Stufe 1 Ab dem 16. Juni 2011 müssen mit Ausnahme
Pumpentyp weniger Bauarten und Einsatzbereiche von
m m3/h
allen neu verkauften Elektromotoren die Anfor-
Trockenläufer
derungen der Klasse IE2 eingehalten werden.
Sockelpumpe > 200 > 1000 Pumpenmotoren der Effizienzklasse EFF2 dür-
Inline-Pumpe > 80 > 600 fen seit diesem Zeitpunkt nicht mehr auf den
Nassläufer < 19 > 76 Markt gebracht werden.
Stufe 2 Ab dem 1. Januar 2015 gilt die noch strengere
Effizienzklasse IE3, zunächst für Motoren mit
einer Nennausgangsleistung zwischen 7,5 kW
bis 375 kW. Alternativ müssen solche Motoren
den IE2-Anforderungen genügen und mit einer
Drehzahlregelung ausgestattet sein.
Stufe 3 Ab dem 1. Januar 2017 gelten die Anforderun-
gen von Stufe 2 auch für Motoren ab 0,75 kW.

51
Planungshandbuch Fernwärme

Tabelle 3.4 Energieeffizienzklassen bei Trockenläufer-


pumpen.

Elektrische Motoren Elektrische Motoren


Stichtag
0.75 kW bis < 7.5 kW 7.5 kW bis 375 kW
1. Juni 2011 IE2 oder besser IE2 oder besser
1. Januar 2015 IE2 oder besser IE4
IE3 oder IE2 mit Dreh-
zahlregelung (FU)
1. Januar 2017 IE4 IE4
IE3 oder IE2 mit Dreh- IE3 oder IE2 mit Dreh-
zahlregelung (FU) zahlregelung (FU)

Nassläuferpumpen kamen bisher fast ausschliesslich


ungeregelt zum Einsatz und haben einen sehr hohen
Energieverbrauch. Grundlage für den Einsatz künftiger
Nassläuferpumpen ist der Energie-Effizienz-Index (EEI)
nach einer in der Verordnung (EG) 641/2009 [72] defi-
nierten Berechnungsmethode. Dabei erfolgt ein Ver-
gleich der Leistungsaufnahme innerhalb eines Lastpro-
fils mit einer Referenzpumpe. Die Umsetzung der neuen
Richtlinie ist in drei Stufen nach Tabelle 3.5 vorgesehen.
Ausgenommen davon sind Trinkwasserzirkulationspum-
pen. Bild 3.3 Empfohlene Bereiche zur Auslegung von un-
geregelten und geregelten Pumpen [69]. Die
Tabelle 3.5 EEI-Grenzwerte bei Nassläuferpumpen Unterteilung erfolgt in einem vorderen, mittle-
ren und hinteren Bereich (Grüne Linien).
Externe
Pumpen Ersatz von Ungeregelte Umwälzpumpen (Bild 3.4 oben)
Pumpen für
Stichtag integriert in integrierter
Heizung und Bei ungeregelten Umwälzpumpen befindet sich der Be-
Produkte Pumpen*
Kühlung triebspunkt immer auf der Pumpenkennlinie. Das heisst,
keine keine der Volumenstrom und die Förderhöhe verändern sich
1. Januar 2013 0.27 nicht. Ungeregelte Umwälzpumpen werden eingesetzt,
Anforderungen Anforderungen
keine wenn die hydraulischen Parameter während eines Lade-
1. August 2015 0.23 0.23 vorgangs konstant bleiben, also zum Beispiel bei Warm-
Anforderungen
1. Januar 2020 0.23 0.23 0.23 wasserladung oder einer Hauptpumpe bei differenz-
* gilt für Pumpen die vor 1. August 2015 in Verkehr gebracht wurden
druckloser Verteilung.
Geregelte Umwälzpumpen (Bild 3.4 Mitte und unten)
Geregelte Umwälzpumpen passen die Förderhöhe bei
3.3.3 Pumpenregelung ändernden Lastzuständen im hydraulischen Kreis lau-
fend an. Die Pumpendrehzahl wird dabei stufenlos mit-
Grundsätzlich wird zwischen ungeregelten und geregel- tels eines Frequenzumrichters geregelt. Die Drehzahl
ten Umwälzpumpen unterschieden. Ungeregelte Pum- der Pumpe wird den geforderten Bedingungen der Anla-
pen weisen zwar bei Teillastbetrieb oft einen höheren ge angepasst und stellt sich für jeden Teillastbetriebs-
Wirkungsgrad auf als geregelte, sie eignen sich aber nur, punkt wieder neu ein und passt so die elektrische Leis-
wenn der Durchfluss um weniger als einen Faktor 2 vari- tungsaufnahme an, wodurch die Effizienz der Umwälz-
iert wie etwa als Heizungsumwälzpumpe mit Leistungen pumpe deutlich erhöht wird. Dafür ist eine volumen-
von maximal 400 W [69]. stromabhängige Differenzdruckregelung notwendig, mit
In Fernwärmenetzen kommen dagegen praktisch aus- welcher der Bedarf umso effizienter gedeckt werden
schliesslich Pumpen mit Drehzahlregelung zur Anwen- kann, je näher die Differenzdruckmessung bei den
dung. Bei der Auslegung ist darauf zu achten, dass die massgebenden Verbrauchern und damit oft bei den wei-
Pumpen im Praxisbetrieb einen hohen Wirkungsgrad test entfernten Wärmeabnehmern ist.
aufweisen. Für geregelte Umwälzpumpen sollte der Aus- Bei der Differenzdruckregelung über der Pumpe wird
legungsbetriebspunkt dazu im hinteren Drittel der Pum- grundsätzlich zwischen folgenden verschiedenen Be-
penkennlinie liegen, um einen grossen Regelbereich zu triebsarten unterschieden:
ermöglichen und, wie aus Bild 3.3 erkennbar, gleich-
• Regelung mit konstantem Betriebsdruck oder auch
zeitig bei der im Praxisbetrieb wichtigen Teillast einen Konstantdruckregelung (Bild 3.4 Mitte): Dabei wird
hohen Wirkungsgrad sicher zu stellen. Daneben ist der Differenzdruck über der Pumpe bei sich ändern-
grundsätzlich auf die effizienteste Energieklasse der Mo- dem Volumenstrom konstant gehalten. Der Betriebs-
toren zu achten. punkt folgt im Teillastbereich der konstant gehalte-

52
Teil 1 Grundlagen

nen Pumpenregelkennlinie horizontal nach links.


Diese Betriebsart kommt in der Regel bei kleineren
3.4 Pumpenschaltung
Heizungsanlagen zum Einsatz. In Fernwärmenetzen werden grundsätzlich mehrere
• Regelung mit proportionalem Betriebsdruck oder Netzpumpen in einer Pumpeneinheit eingesetzt, sofern
auch Proportionaldruckregelung (Bild 3.4 unten): folgende Voraussetzungen erfüllt