Entdecken Sie eBooks
Kategorien
Entdecken Sie Hörbücher
Kategorien
Entdecken Sie Zeitschriften
Kategorien
Entdecken Sie Dokumente
Kategorien
02/2021
Bedingungsloses Grundeinkommen
Bedingungsloses Grundeinkommen
Wissenschaftlicher Beirat
beim Bundesministerium der Finanzen
Gutachten 02/2021 vom 21. Juli 2021
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung_____________________________________________________ 2
2. Eine kurze Ideengeschichte_______________________________________ 3
3. Aktuelle Vorschläge und Forderungen_______________________________ 4
4. Rechtliche Einordnung___________________________________________ 6
5. Bedingungsloses Grundeinkommen und Existenzsicherung______________ 8
5.1 Die Höhe des BGE und das soziokulturelle Existenzminimum_________ 10
5.2 Überschlagsrechnung________________________________________ 12
6. Beschäftigungseffekte: Frühere Berechnungen_______________________ 14
7. Eigene Berechnungen___________________________________________ 17
1. Szenario: Aufkommensneutrale Einführung eines partiellen BGE_______ 18
2. Szenario: Das partielle BGE ersetzt die Regelleistungen für den
alltäglichen Bedarf___________________________________________ 21
3. Szenario: 1.000 Euro im Monat für Erwachsene, 500 Euro für Kinder___ 25
4. Szenario: Existenzsicherndes BGE________________________________ 31
Zusammenfassende Bewertung der Simulationsrechnungen____________ 33
8. Der Verzicht auf Information und die Theorie der optimalen
Einkommensteuer______________________________________________ 34
9. BGE und Freizügigkeit___________________________________________ 39
10. Schlussbetrachtungen__________________________________________ 42
Literatur________________________________________________________ 45
Mitgliederverzeichnis_____________________________________________ 47
Einleitung Bedingungsloses Grundeinkommen
1. Einleitung
Seit vielen Jahren wird immer wieder die Ein- ausschuss des Deutschen Bundestages ein-
führung eines bedingungslosen Grundein- gereichten Petition wird gefordert, dass ein
kommens (BGE) in Deutschland diskutiert. existenzsicherndes BGE kurzfristig und zeit-
Allen Bürgern soll ein fester monatlicher Be- lich begrenzt, aber solange wie notwendig,
trag ausbezahlt werden, ohne die Auszahlung eingeführt werden solle, um die mit der Co-
dabei an Bedingungen zu knüpfen. Dieser rona-Krise verbundenen Einkommensausfäl-
Betrag soll unter anderem das Arbeitslosen- le auszugleichen.1 In einer im November und
geld I und II, das Sozialgeld, das Kindergeld Dezember 2020 durchgeführten Online-Um-
sowie die Grundsicherung im Alter und bei frage unterstützten 55 Prozent der Befragten
Erwerbsminderung ersetzen und damit eine die generelle Einführung eines BGE.2
radikale Vereinfachung und Entbürokratisie-
rung der sozialen Absicherung ermöglichen. Die Popularität des BGE zeigt sich insbeson-
Da es sich um eine allen Bürgern zustehende dere an dem großen öffentlichen Interesse an
Leistung handelt, würde das nach der Logik einer vom Deutschen Institut für Wirtschafts-
der Befürworter zugleich die Stigmatisierung forschung (DIW) zusammen mit dem Verein
der Sozialtransferempfänger beseitigen oder „Mein Grundeinkommen“ durchgeführten
zumindest abmildern. Insofern die Stigmati- Feldstudie, die die Auswirkungen des BGE
sierung für die zu geringe Inanspruchnahme wissenschaftlich eingehender untersuchen
von Grundsicherungsleistungen verantwort- soll.
lich war, würde die Einführung des BGE Das zunehmende Interesse am BGE nimmt
auch das Problem der verdeckten Armut be- der Beirat zum Anlass, sich grundsätzlich
seitigen. Gleichzeitig steht das BGE für eine mit dem BGE als Alternative zu dem beste-
fundamentale Abkehr vom Gedanken der henden System der sozialen Absicherung in
Subsidiarität und des Prinzips des Gebens Deutschland zu beschäftigen. Dabei ist zu
und Nehmens. Niemand wird mehr dazu bedenken, dass es sehr viele unterschiedliche
angehalten, zunächst für sich selbst zu sor- Konzepte für ein BGE gibt. Das Gutachten
gen und im Gegenzug einen Beitrag für die kann nicht jedem einzelnen der unzähligen
Gesellschaft für erhaltene Zuwendungen zu Vorschläge gerecht werden. Es konzentriert
leisten. sich vielmehr darauf, die Folgen eines BGE
Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ge- zu analysieren, das i) als individuelle Leis-
wann ein weiteres Argument an Bedeutung. tung ausgestaltet ist, die ii) universell allen
Mit einem BGE könne verhindert werden, Bezugsberechtigten ausbezahlt wird, wobei
dass Notlagen, in denen der Einzelne sich die Auszahlung iii) bedingungslos erfolgt,
nicht mehr selber zu helfen weiß, überhaupt d.h. an keine Voraussetzungen gebunden ist.
erst entstünden. Betroffene müssten in einer Diese drei Bedingungen können als konsti-
solchen Situation dann nicht erst staatliche tuierende Elemente eines BGE angesehen
Unterstützung beantragen und nachweisen,
dass tatsächlich eine Notlage eingetreten
1 Siehe Petitions ID-Nr. 108191. Auch international wuchs
sei. Schon kurz nach dem Beginn des ersten das Interesse an einem BGE zur Überwindung finanzieller
Lockdowns im Frühjahr 2020 unterzeichne- Notsituationen (siehe Economist 2021).
ten über 460.000 Unterstützer eine Online- 2 Siehe OpinionTRAIN (2020), https://www.rogator.de/app/
uploads/2021/01/Rogator_OpinionTRAIN2021_
Petition. In einer weiteren, beim Petitions- Grundeinkommen.pdf, abgerufen am 2.3.2021.
2
Eine kurze Ideengeschichte Bedingungsloses Grundeinkommen
3
Eine kurze Ideengeschichte Bedingungsloses Grundeinkommen
Ausgestaltung als individuelle, universelle und die so bemessen sein müsse, dass ein
und bedingungslose Leistung. Die Höhe des beträchtliches Maß an individuellem Verant-
Grundeinkommens bestimmt sich bei diesen wortungsbewusstsein erhalten bleibe, um die
Vorschlägen im Wesentlichen durch die zu Leistungsanreize zu erhalten, sich aus der
Verfügung stehenden Mittel, d. h. die Renten Armutsfalle zu befreien („low enough to give
des als gemeinsamen Besitzes angesehenen people a substantial and consistent incentive
Bodens und wird nicht aus dem Anspruch to earn their way out of the program“).11
auf eine existenzsichernde Mindestabsiche-
rung heraus abgeleitet. Die Forderung eines Als weiterer prominenter Ökonom wird auch
sogar über die reine Existenzsicherung hin- Anthony Atkinson (2006, 2016) immer wie-
ausgehenden Grundeinkommens findet sich der als Befürworter eines BGE zitiert. Sein
erstmals in Popper-Lynkeus (1912).7 Vorschlag eines Partizipationseinkommens
weicht jedoch in zweierlei Hinsicht von den
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hier untersuchten Grundeinkommensvarian-
schlug Milton Friedman eine negative Ein- ten ab. Zum einen ist das Partizipationsein-
kommensteuer vor, die allen Bürgern ohne kommen nicht bedingungslos, da die Auszah-
Einkommen einen staatlichen Zuschuss ge- lung nur bei Erbringung eines sozialen Bei-
währt, der dann mit steigendem Einkommen trags erfolgt: „für Menschen im Erwerbsalter
abgeschmolzen wird.8 Die negative Ein- könnte das eine Vollzeit oder Teilzeitbeschäf-
kommensteuer entspricht, sofern sie (vor- tigung oder eine selbstständige Arbeit sein,
ab) monatlich ausbezahlt wird und nicht erst eine Erziehung – und Ausbildungstätigkeit,
nachträglich mit der Steuer verrechnet wird,9 aktive Arbeitssuche, häusliche Betreuung
einem BGE. Allerdings bestimmt sich bei von Kleinkindern oder hilfsbedürftigen älte-
Friedmann die Mindestsicherung nicht an- ren Menschen, eine ehrenamtliche Tätigkeit
hand eines gesellschaftlich akzeptierten so- in einer anerkannten Organisation und so
ziokulturellen Existenzminimums, sondern fort. Es gäbe Bestimmungen für Menschen,
durch eine Höhe, die die Steuerzahler hin- die sich wegen Krankheit oder Behinderung
zunehmen bereit sind („low enough so that nicht beteiligen können.“12 Zum anderen will
the public will be willing to pay the bill“)10 Atkinson mit dem Partizipationseinkommen
die bisherigen Sozialleistungen nicht voll-
7 Die Idee, Renten in Form einer sozialen Dividende
ständig ersetzen, sondern ergänzen. Entspre-
auszuschütten, wird in einigen wenigen Ländern umgesetzt. chend kann das von ihm vorgeschlagene Par-
So verteilt der Alaska Permanent Fund die Gewinne aus der tizipationseinkommen auch deutlich unter
Ölförderung gleichmäßig an alle Einwohner Alaskas (2020
betrug der Betrag 992 US$, siehe https://www.adn.com/ dem Existenzminimum liegen.13
alaska-news/2020/06/12/this-years-permanent-fund-
dividend-will-be-992-paid-july-1/, abgerufen am 10.3.2021),
da man die lokalen Ölvorkommen als Gemeinschaftseigentum
betrachtet und die Einnahmen „fair“ verteilen möchte
(siehe hierzu z.B. Harnack 2019). Die Ausschüttung von
Umweltrenten wird in mehreren Ländern praktiziert. In der
Schweiz werden 2/3 der Einnahmen aus der CO2-Abgabe
pro Kopf an die Bevölkerung zurückbezahlt, im Jahr 2021 ist
der Betrag auf 87,00 SFr pro Kopf festgesetzt worden (siehe
https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/klima/
fachinformationen/verminderungsmassnahmen/ 11 Siehe Friedman (1975, S. 199).
co2-abgabe/rueckverteilung.html, abgerufen am 9.3.2021).
12 Atkinson (2016, S. 282)
8 Siehe Friedman (1962).
13 Viele weitere aktuelle Vorschläge und Diskussionen finden
9 Auf diese zusätzliche Bedingung weisen van Parijs und sich auf den Webseiten des 1986 zunächst als Basic Income
Vanderborght (2017, S. 32ff) hin. Siehe hierzu auch Tobin, European Network (BIEN) gegründeten Netzwerkes, das seit
Pechman und Mieszkowski (1967). 2006 unter Beibehaltung des Akronyms Basic Income Earth
10 Friedman (1975, S. 30) Network heißt, siehe https://basicincome.org.
4
Aktuelle Vorschläge und Forderungen Bedingungsloses Grundeinkommen
14 Siehe Werner (2008, 2018). 18 Siehe z. B. Precht (2018), Straubhaar (2017).
15 Siehe Häni und Kovce (2015). 19 Siehe Althaus (2007), Schöb (2011).
16 Straubhaar (2017). 20 So z. B. die ehemalige Parteivorsitzende Andrea Nahles,
siehe Focus Money (2016), https://www.focus.de/finanzen/
steuern/grosser-irrweg-nahles-warnt-anhaenger-des-
bedingungslosen-grundeinkommens_id_5593969.html,
abgerufen am 16.11.2020.
5
Aktuelle Vorschläge und Forderungen Bedingungsloses Grundeinkommen
und Arbeitsauflagen einzuführen: „Existenz- ber 2019, das die Anwendung von Sanktionen
sichernde Sozialleistungen sollen Schritt für im Zusammenhang mit Hartz IV-Leistungen
Schritt zusammengeführt und langfristig soll begrenzte.25 Mit dem Verbot weitgehender
die Auszahlung in das Steuersystem integriert Sanktionen ist der Sozialstaat der Möglich-
werden. So schaffen wir einen transparenten keit beraubt, die Mitwirkung der Betroffenen
und einfachen sozialen Ausgleich. Verdeckte selbst dann verbindlich einzufordern, wenn
Armut wird überwunden. Dabei orientieren die Anreize zur Arbeitsaufnahme zu schwach
wir uns an der Leitidee eines Bedingungslo- sind. So könnte der Sozialstaat ohne Sank-
sen Grundeinkommens.“21 Als Übergang sei tionen nicht einmal in den offensichtlichsten
eine Garantiesicherung denkbar, nach der ein Fällen der Arbeitsverweigerung eingreifen
Grundeinkommen zwar eingeführt, jedoch und müsste tatenlos zusehen, wenn sich je-
auf Bedürftige beschränkt werden solle, mand weigert, sich auf geeignete Stellen zu
wobei jedoch die über die Offenlegung der bewerben, weil er nicht arbeiten will oder lie-
Einkommens- und Vermögensverhältnisse ber schwarzarbeitet. Die Beschränkung von
hinausgehenden Mitwirkungspflichten, wie Sanktionen auf 30 Prozent des Regelsatzes
sie das SGB II vorsehen, und Sanktionen bedeutet de facto, dass Grundsicherungen,
wie beim Arbeitslosengeld II (Alg II) abzu- die nur geringfügig unter dem bisherigen so-
schaffen seien.22 Bei den Linken setzt sich die ziokulturellen Existenzminimum liegen, so-
Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkom- gar bei Leistungsverweigerung weitergezahlt
men für ein emanzipatorisches Grundein- werden müssen.26 Diese geringfügig gekürzte
kommen ein.23 Die AfD schlägt neuerdings Grundsicherung entspräche damit weitge-
ein bedingtes Grundeinkommen nur für nicht hend der von Bündnis 90/Die Grünen gefor-
wegen steuer, arbeits- oder sozialversiche- derten Garantiesicherung für Bedürftige. Die
rungsrechtlicher Delikte verurteilte deutsche Ausführungen des Gerichts beziehen sich je-
Staatsbürger vor.24 doch nur auf Leistungen, die auf konkrete, in-
dividuell vorhandene Bedarfe reagieren, wie
Die Diskussion um das BGE erhielt schließ- dies bei der Grundsicherung der Fall ist.
lich auch weiteren Auftrieb durch das Urteil
des Bundesverfassungsgerichts vom Novem-
6
Rechtliche Einordnung Bedingungsloses Grundeinkommen
4. Rechtliche Einordnung
Bei der Frage nach der verfassungsrechtli- sten anhand der jeweils konkreten Vorschläge
chen Zulässigkeit eines BGE sind zwei Fra- geprüft werden.29 Dies gilt auch deshalb, weil
gen zu beantworten: Besitzt der Bund nach je nach Modell ganz erhebliche Auswirkun-
dem Grundgesetz (GG) die Gesetzgebungs- gen auf die Staatsfinanzierung und auf das
kompetenz für ein solches Vorhaben? Wäre Sozialversicherungssystem die Folge wären.
ein BGE in der Sache mit der Verfassung ver- Aus Art. 87 Abs. 2 GG folgt zumindest kei-
einbar? ne Pflicht, die Sozialversicherung in der be-
stehenden Form zu erhalten; die Vorschrift
Eine Bundesgesetzgebungskompetenz ist sagt nur aus, dass, wenn der Gesetzgeber eine
nicht ersichtlich. In Betracht käme der Kom- Sozialversicherung schafft, diese in der ent-
petenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG, sprechend Art. 87 Abs. 2 GG geregelten Or-
wonach die konkurrierende Bundeskompe- ganisationsform gestaltet sein muss. Da alle
tenz für die „Sozialversicherung“ vorgese- Vorschläge zum BGE von festen Pauschal-
hen ist. Der Begriff der Sozialversicherung beträgen ausgehen, wäre zu berücksichtigen,
ist hier weit zu verstehen, es müssen jedoch dass das Bundesverfassungsgericht in seinem
Elemente einer Versicherung enthalten sein. ersten Hartz-IV-Urteil von 2010 ein transpa-
Der Begriff orientiert sich ersichtlich an der rentes und methodisch abgesichertes Verfah-
seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts ren verlangt hat, in dem der Gesetzgeber die
bestehenden Sozialversicherung in Deutsch- Höhe des Existenzminimums feststellt.30 So-
land.27 Alle Varianten des BGE, die vorge- fern also das BGE konkrete Notlagen vermei-
schlagen werden, sind jedoch gerade nicht den soll, wären bundeseinheitliche Pauschal-
nach dem Versicherungsprinzip ausgestaltet, sätze, die nicht in allen denkbaren Fällen und
so dass sich der Bund nicht auf Art. 74 Abs. 1 Regionen das Existenzminimum absichern,
Nr. 12 GG stützen könnte. Entsprechendes nicht zulässig; dies gilt zumindest, sofern es
gilt für den Kompetenztitel der „öffentlichen sich um Leistungen zur Absicherung des Exis-
Fürsorge“ in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG, denn tenzminimums handelt, oberhalb desselben
hier ist kennzeichnend, dass staatliche Leis- gilt anderes. Im derzeitigen System zeigt sich
tungen einer konkreten Notsituation abhel- die Differenzierung insbesondere über die
fen sollen.28 Gerade das ist wiederum beim Erstattung der Wohnungskosten, die im Bun-
BGE nicht der Fall. Rechtsfolge ist, dass den desgebiet sehr stark differieren.
Ländern die Gesetzgebungszuständigkeit
zukommt. Der Bund müsste eine Grundge-
29 Zum Ganzen: Wissenschaftliche Dienste Deutscher
setzänderung herbeiführen, um selbst gesetz- Bundestag (2016).
geberisch tätig werden zu können. 30 BVerfGE 125, 175 (225 ff.): „Zur Konkretisierung des
Anspruchs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen
Schwieriger sind inhaltliche Grenzen aus der Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und
Verfassung zu bestimmen. Aus einem dem sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf,
also realitätsgerecht, zu bemessen … Hierzu hat er zunächst
Grundgesetz zugrundeliegenden „Menschen- die Bedarfsarten sowie die dafür aufzuwendenden Kosten zu
bild“ o.ä. folgt konkret verfassungsrechtlich ermitteln und auf dieser Basis die Höhe des Gesamtbedarfs
zu bestimmen. Das Grundgesetzt schreibt ihm dafür keine
zumindest nichts. Inhaltliche Grenzen müs- bestimmte Methode vor …; er darf sie vielmehr im Rahmen
der Tauglichkeit und Sachgerechtigkeit selbst auswählen.
Abweichungen von der gewählten Methode bedürfen
allerdings der sachlichen Rechtfertigung.“
27 BVerfGE 11, 105 (112).
28 Axer (2014), Rn. 24.
7
Bedingungsloses Grundeinkommen und Existenzsicherung Bedingungsloses Grundeinkommen
Wie bereits erwähnt, lässt sich aus dem Ur- Art. 20 Abs. 1 GG verankert ist. Das umfasst
teil des Bundesverfassungsgerichts vom jedoch keinesfalls, dass alle – auch dieje-
5.11.201931 keine Rechtfertigung für einen nigen, die gar nicht in einer Notlage sind –
Einstieg in ein zumindest auf Bedürftige daran beteiligt werden müssten. Außerdem
beschränktes Grundeinkommen ablesen. In stehen zentrale Aussagen dieses Urteils un-
dieser Entscheidung werden lediglich Gren- ter dem Vorbehalt, dass es bislang noch zu
zen für die Sanktionierung der Verletzung wenig Sanktionsforschung gebe.
von Mitwirkungspflichten der Bedürftigen
im Rahmen der Grundsicherung aufgezeigt. Ein grundlegender Umbau der Organisati-
Diese Grenzen sind im Wesentlichen durch onsstruktur des Sozialstaats wird durch das
das Existenzminimum gezogen. Der Staat ist Grundgesetz demgegenüber nicht verhindert.
stets gehalten, dieses zu gewährleisten. Das Art. 87 Abs. 2 GG normiert, sofern Sozial-
ist jedoch nicht dasselbe wie die Auszah- versicherungsträger mit Zuständigkeit über
lung eines BGE an die Gesamtbevölkerung. eine Bundeslandgrenze hinaus existieren,
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfas- diese als mit Selbstverwaltung ausgestatte-
sungsgerichts darf niemand durch das „sozi- te bundesunmittelbare Körperschaften sein
ale Netz“ fallen, d.h. sein Existenzminimum müssen.32 Das Sozialversicherungssystem
muss stets gewährleistet sein. Das folgert das als solches könnte theoretisch jedoch auch
Gericht einerseits aus der Menschenwürde- abgeschafft werden, sofern die grundrecht-
garantie des Art. 1 Abs. 1 GG, andererseits lich gebotenen Ziele anderweitig erreicht
aus dem Sozialstaatsprinzip, wie es etwa in werden könnten.33
8
Bedingungsloses Grundeinkommen und Existenzsicherung Bedingungsloses Grundeinkommen
jeweils vorgeschlagene BGE allen Bundes- 373 Euro. Für Alleinerziehende kommt ein
bürgern ein existenzsicherndes Einkommen zusätzlicher Mehrbedarf hinzu, der von An-
garantiert. Nimmt man den Anspruch des zahl und Alter der Kinder abhängt.
BGE ernst, in mindestens dem gleichen Um-
fang wie im bestehenden System existenzsi- Während der Regelsatz bundeseinheitlich
chernd zu sein, muss das heutige Niveau des festgelegt wird, werden die Leistungen für
soziokulturellen Existenzminimums jedoch Unterkunft und Heizung regional entspre-
der Ausgangspunkt der Überlegungen sein. chend der unterschiedlichen Mietniveaus
Tut man dies nicht, muss mit der Einführung differenziert. Im Rahmen der Grundsiche-
des BGE zugleich die Frage der Bedarfsge- rung werden die tatsächlichen Ausgaben für
rechtigkeit neu gestellt werden. Mieten, soweit diese als angemessen angese-
hen werden, erstattet. Angemessenheit macht
der Gesetzgeber an der Wohnfläche und der
5.1. Die Höhe des BGE Qualität der Wohnung fest. 45qm bis 50qm
Wohnfläche für einen Alleinstehenden und
und das soziokulturelle für jede weitere Person zusätzlich 15qm gel-
Existenzminimum ten als angemessen. Dafür übernimmt das
Jobcenter die Mietkosten bis zu einer Miete,
Das BGE soll das soziokulturelle Existenz- die für „Wohnungen mit bescheidenem Zu-
minimum für alle Bürger garantieren, ohne schnitt“ in der jeweiligen Stadt oder Gemein-
die Auszahlung an Bedingungen zu knüp- de aktuell bezahlt werden.
fen. Nimmt man die beiden Grundprinzipi- Wie groß die regionalen Unterschiede sein
en des BGE ernst, ist der Spielraum bei der können, zeigt beispielhaft der Vergleich von
Wahl der Höhe des BGE eingeschränkt. Dies Berlin und München (Tabelle 1). In München
zeigt sich, wenn man das soziokulturelle sind die Mietkosten je nach Art der Bedarfs-
Existenzminimum im bestehenden System gemeinschaft zwischen 40 und 50 Prozent
der Grundsicherung als Grundlage nimmt. höher als für vergleichbaren Wohnraum in
Danach setzt sich das soziokulturelle Exis- Berlin. Dadurch ergeben sich regional un-
tenzminimum aus mehreren Komponenten terschiedliche Bedarfe. Während in Berlin
zusammen. Der Regelbedarf zur Sicherung der Mindestbedarf eines Alleinstehenden mit
des Lebensunterhalts umfasst „… insbeson- 947 Euro abgedeckt ist, müssen in München
dere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, 1.208 Euro bezahlt werden.
Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die
Heizung und Erzeugung von Warmwas- Das hat Auswirkungen auf die Bestimmung
ser entfallenden Anteile sowie persönliche eines BGE, das den Anspruch erhebt, das so-
Bedürfnisse des täglichen Lebens. Zu den ziokulturelle Existenzminimum aller Bürger
persönlichen Bedürfnissen des täglichen abzusichern. Nur wenn alle das soziokultu-
Lebens gehört in vertretbarem Umfang eine relle Existenzminimum in Form des BGE er-
Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben halten, kann auf ergänzende bedarfsabhängi-
in der Gemeinschaft.“37 Dieser Regelbe- ge Transfers verzichtet werden.
darf ist Grundlage für die Regelleistung im
Arbeitslosengeld II. Sie liegt im Jahr 2021
für Erwachsene bei monatlich 446 Euro, für
Kinder je nach Alter zwischen 283 Euro und
9
Bedingungsloses Grundeinkommen und Existenzsicherung Bedingungsloses Grundeinkommen
München
Alleinstehend 446 762 1.208
Alleinerziehend,
890 1.002 1.892
ein Vorschulkind
Ehepaar mit zwei
1.420 1.356 2.776
Schulkindern
Legende: Eigene Berechnung an Hand der jeweiligen kommunalen Vorgaben.38
38 Siehe Schöb (2020).
Will das BGE das soziokulturelle Existenz- käme damit auf ein Einkommen, das mehr als
minimum im gleichen Umfang wie das bishe- doppelt so hoch ist wie die heutige Grund-
rige Sozialsystem sicherstellen, darf es sich sicherung, und auch die Münchener Familie
daher nicht am durchschnittlichen Bedarf in erhielte ein Grundeinkommen weit jenseits
Deutschland orientieren. Es muss vielmehr der Bedürftigkeit.
mindestens so hoch angesetzt werden, dass
auch derjenige mit dem höchsten Bedarf Sieht man ein geringeres BGE für Kinder vor,
mit dem BGE über dem soziokulturellen so muss dieses Kinder-BGE zumindest dem
Existenzminimum liegt. Was bedeutet das, höchsten zusätzlichen Bedarf eines Kindes
wenn man sich der Einfachheit halber nur entsprechen. Für einen Alleinstehenden mit
auf den Vergleich zwischen Berlin und Mün- Vorschulkind in München liegt der gegen-
chen beschränkt? Wie Tabelle 1 zeigt, ist der wärtige Gesamtbedarf bei 1.892 Euro pro
Bedarf eines Alleinstehenden aufgrund des Monat. Zieht man das Grundeinkommen für
Mietniveaus in München am höchsten. Ent- einen Erwachsenen in Höhe von 1.208 Euro
sprechend bestimmt der Münchener Bedarf ab, ergibt sich für ein Kind ein Mehrbedarf
in Höhe von 1.208 Euro die Höhe des BGE von 684 Euro, das wäre entsprechend das mi-
eines Erwachsenen in ganz Deutschland. nimale BGE für Kinder. Alleinstehende und
Alleinerziehende in München bekämen dann
Entscheidet man sich für ein einheitliches genau das soziokulturelle Existenzminimum.
BGE für Erwachsene und Kinder, so müss- Legt man das differenzierte BGE zugrunde,
te ein Alleinerziehender mit einem Kind so erhält eine vierköpfige Familie ein BGE
demnach 2.416 Euro, eine Familie mit zwei von 3.784 Euro im Monat. In München läge
Kindern 4.832 Euro monatlich erhalten. Das sie damit 1.008 Euro über dem Mindestbe-
übersteigt bei weitem den heutigen Mindest- darf, in Berlin um 1.495 Euro. Das erklärt
bedarf. Eine vierköpfige Familie in Berlin sich aus der Bedingung, das Grundeinkom-
10
Bedingungsloses Grundeinkommen und Existenzsicherung Bedingungsloses Grundeinkommen
men ausschließlich auf individueller Basis nanzierungsbedarf von 998 Mrd. Euro.39 Da
auszuzahlen. man dadurch den gesamten heutigen Sozial-
staat ersetzen könnte, ließe sich laut Straub-
Diese Überlegungen zeigen zwei Effekte haar das gesamte Sozialbudget einsparen. Im
des BGE. Zum einen kann das BGE Skale- Jahr 2019 belief sich dessen Höhe auf 1.040
neffekte bei der Bedarfsberechnung nicht Mrd. Euro.40. Das BGE sei daher problemlos
mitberücksichtigen. Bedingungslosigkeit zu finanzieren.
erfordert, dass allen Erwachsenen und Kin-
dern unabhängig von der Familiengröße das Viele Positionen des Sozialbudgets können
gleiche Grundeinkommen ausbezahlt wird. jedoch nicht gegengerechnet werden. Die pri-
Der Bedarf steigt aber unterproportional mit vate Altersvorsorge, die betriebliche Alters-
der Familiengröße. Das BGE führt damit vorsorge sowie Entgeltfortzahlungen durch
im Vergleich zum gegenwärtigen System die Arbeitgeber sind zwar Bestandteil des
der Grundsicherung zu einer Umverteilung Sozialbudgets. Sie werden jedoch nicht über
zugunsten größerer Familien. Zum anderen Steuern oder Beiträge finanziert, sondern pri-
kann das BGE auch regional unterschiedli- vat durch Arbeitnehmer und/oder Arbeitgeber
che Bedarfe nicht mitberücksichtigen. Wäh- und können daher nicht zur Gegenfinanzie-
rend ein Münchener Alleinstehender mit dem rung herangezogen werden. Die Kosten der
BGE gerade seinen Bedarf abdecken kann, gesetzlichen und privaten Kranken- und Pfle-
bekommt ein Alleinstehender in Berlin mit geversicherung sowie der Beihilfe für Beam-
dem BGE ein Einkommen, das 261 Euro te fallen weiterhin an und können nicht zur
über seinem Mindestbedarf liegt. Eine vier- Finanzierung des BGE verwendet werden,
köpfige Berliner Familie bekommt weit mehr ebenso wenig wie die Renten und Pensions-
über dem Bedarf ausbezahlt als die Münche- zahlungen. Hier handelt es sich um Ansprü-
ner Familie. Ein Grundeinkommen, das sich che mit eigentumsrechtlichem Charakter.41
am größten Bedarf orientiert, führt zu einem
entsprechend hohen Finanzierungsbedarf, Berücksichtigt man die existenzsichernde
da sie die Einsparpotentiale weder durch die Mindesthöhe beim BGE und die Einschrän-
regional unterschiedlichen noch die von der kungen bei der Gegenfinanzierung, erhöht
Haushaltsgröße abhängigen unterschiedli- sich der Finanzierungsbedarf beträchtlich.
chen Pro-Kopf-Bedarfe ausschöpft. Bezahlt man für einen Erwachsenen im Mo-
nat 1.208 Euro und für ein Kind 684 Euro,
so beträgt der jährliche Finanzierungsbedarf
knapp 1.119 Mrd. Euro. Zur Gegenfinanzie-
5.2. Überschlagsrechnung rung können nur die Leistungen der gesetzli-
chen Arbeitslosenversicherung, die Einkom-
mensleistungen der gesetzlichen Unfallversi-
Wie hoch ist der zusätzliche Finanzierungs- cherung herangezogen werden, sowie sämt-
aufwand eines BGE gegenüber dem aktuellen
System der sozialen Sicherung? Straubhaar 39 Straubhaar (2017) geht vereinfachend von 80 Mio.
(2017) macht folgende Überschlagsrechnung Anspruchsberechtigten aus. Hier wird die gesamte
für ein BGE in Höhe von 1.000 Euro auf. Bei Wohnbevölkerung in Deutschland berücksichtigt (Stand
31.12.2019).
83,1 Mio. Anspruchsberechtigten führt die 40 Schätzung für 2019, siehe BMAS (2020b, T2)
Einführung des BGE zu einem jährlichen Fi- 41 Siehe BVerfG Entscheidung vom 28.02.1980, BVerfGE
53, 257 – Versorgungsausgleich I. Danach unterliegen
Versichertenrenten und Rentenanwartschaften aus den
gesetzlichen Rentenversicherungen dem Schutz der
Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG.
11
Beschäftigungseffekte: Frühere Berechnungen Bedingungsloses Grundeinkommen
liche Förder- und Fürsorgesysteme, wie z.B. Etwa zwei Drittel des Bruttoinlandsproduk-
Kindergeld, Elterngeld, Grundsicherung für tes müssen demnach vom Staat vereinnahmt
Arbeitssuchende und Grundsicherung im Al- werden, um seine bisherigen Ausgaben wei-
ter und bei Erwerbsminderung sowie Wohn- terhin zu finanzieren und zusätzlich über das
geld (siehe Anhang 1). Das gesamte Einspar- BGE Einkommen umzuverteilen. Dabei wird
potential beläuft sich dann nur auf 232 Mrd. aber noch ausgeblendet, dass z.B. behinderte
Euro.42 Damit verbleibt eine Finanzierungs- Menschen weiterhin zusätzliche Unterstüt-
lücke von 887 Mrd. Euro.43 zung benötigen. Es kann nicht davon aus-
gegangen werden, dass alle Leistungen der
Mit dem BGE steigt die Abgabenquote über- Kinder- und Jugendhilfe abgeschafft oder die
schlagsmäßig um 25,7 Prozentpunkte von öffentliche Finanzierung der Kindertagesstät-
derzeit 41,3 Prozent auf 67,0 Prozent an.44 ten wieder aufgegeben wird. Im letzten Fall
müssten wieder Kitagebühren erhoben wer-
42 Siehe BMAS (2020b, Tabelle III-1). Zahlungen der den, die die Familien aus dem BGE zu zahlen
Institutionen untereinander sind hier nicht herausgerechnet,
so dass das Einsparpotential tendenziell überschätzt wird.
hätten. Die Abgabenlast wird also noch grö-
43 Zusätzlich müssten auch noch die Ausgaben für die privat ßer, wenn sich der Staat entschließt, einzelne
Kranken- und Pflegeversicherten vom Staat übernommen Bevölkerungsgruppen zusätzlich weiterhin
werden, um jedem unabhängig vom Erwerbsstatus auch diese
existenzsichernden Leistungen zu garantieren. Dieser Betrag
gezielt zu unterstützen.45
von 44,2 Mrd. Euro (2019) wurde in dieser Rechnung nicht
mitberücksichtigt.
44 Eine alternative Überschlagsrechnung kommt zu anderen
Zahlen. Laut Straubhaar (2017) sind etwa 450 Mrd. Euro
der Staatsausgaben 2016 keine Sozialausgaben. Stellt
45 Siehe Cremer (2018, S. 191f).
man diese den Steuereinnahmen von Bund, Ländern und
Kommunen in Höhe von 738 Mrd. Euro, gegenüber, so
ergibt sich eine Gegenfinanzierung aus dem Steuertopf
in Höhe von 288 Mrd. Euro. Zählt man die Einsparungen
bei der Arbeitslosenversicherung hinzu, käme man auf
Einsparpotentiale in Höhe von 315 Mrd. Euro. Danach
betrüge die Finanzierungslücke nur noch 645 Mrd. Euro.
Um diese Finanzierungslücke zu schließen, müsste man die
Abgabenquote um 20,4 Prozentpunkte auf 60,7 Prozent
anheben.
12
Beschäftigungseffekte: Frühere Berechnungen Bedingungsloses Grundeinkommen
13
Beschäftigungseffekte: Frühere Berechnungen Bedingungsloses Grundeinkommen
Variante ähnelt dem im Jahr 2006 bestehen- cherungen unverändert beibehalten wurden.
den System sehr stark und unterstellt einen Dafür werden alle Sozialtransfers für unter
Grenzsteuersatz von 80 Prozent bis zu einem 65jährige durch das BGE ersetzt, mit Aus-
Einkommen von 19.600 Euro und darüber nahme von Erwerbsminderungsrenten, Wit-
hinaus einen Grenzsteuersatz von 35 Pro- wen- und Waisenrente sowie speziellen Aus-
zent. In diesem Fall steigt das Arbeitsange- gaben für Behinderte, wie etwa das Blinden-
bot geringfügig um 0,5 Prozent an, zugleich geld. Die Rentenansprüche werden nicht an-
steigt aber die Einkommensungleichheit im getastet, Renten und Pensionen werden nach
Vergleich zum Status quo. dem alten Steuertarif besteuert und weiter-
hin durch Rentenversicherungsbeiträge bei
Jessen et al. (2017) präsentieren eine Simu- Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert.
lation, die auf dem Vorschlag von Milton Im Ergebnis fällt das Arbeitsvolumen durch
Friedman (1962) beruht, das BGE und alle die Umstellung auf ein BGE um rund fünf
weiteren Staatsausgaben mit einer proportio- Prozent. Dabei fallen die Veränderungen in
nalen Einkommensteuer (einer sogenannten unterschiedlichen Einkommensbereichen
Flat Tax) auf sämtliche Einkommensarten zu unterschiedlich aus. Im untersten Einkom-
finanzieren. Sie unterstellen dabei ein BGE mensbereich, insbesondere bei Aufstoc-
für alle Bürger unter 65 Jahren in Höhe von kern, steigt die Bereitschaft zu arbeiten an.
800 Euro für Erwachsene und 380 Euro für Das Arbeitsangebot fällt hingegen bei allen
Kinder. Diese Beträge decken das durch- Haushalten, die nicht von Alg II abhängig
schnittliche soziokulturelle Existenzmini- sind.
mum ab und könnten mit einem proportio-
nalen Einkommensteuersatz in Höhe von 69
Prozent finanziert werden.47 In diesem Satz
sind die Ausgaben für die Gesetzliche Kran-
ken- und die Soziale Pflegeversicherung
enthalten und es ist ferner unterstellt, dass
die Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialversi-
14
Eigene Berechnungen Bedingungsloses Grundeinkommen
7. Eigene Berechnungen
Die Abschätzung im Abschnitt 5.2 weist be- sene und von 500 Euro für Minderjährige
reits einen hohen Finanzierungsbedarf aus. untersucht. Das vierte und letzte Szenario
Dabei wurden Verhaltensanpassungen noch simuliert dann die Auswirkungen eines exi-
vollkommen ausgeklammert. Die früheren stenzsichernden BGE, das im Abschnitt 5.1
Simulationen eines umfassenden BGE be- abgeleitet wurde. Die Tabelle 2 fasst die vier
ziehen Arbeitsangebotsreaktionen mit ein, Szenarien zusammen.
basieren jedoch auf sehr unterschiedlichen
Annahmen, die keinen systematischen Ver- Die Simulationen gehen zum einen von zu
gleich erlauben. Im Folgenden werden des- erwartenden Arbeitsangebotsreaktionen
halb unterschiedliche Formen des BGE mit aus. Da solche zum Teil weitreichenden
49
15
Eigene Berechnungen Bedingungsloses Grundeinkommen
16
Eigene Berechnungen Bedingungsloses Grundeinkommen
rio I
Vollzeitäquivalente Arbeitsmarktpartizipation
Nach Geschlecht
Männer −891 −4,73 −795 −4,31
Quelle: ifo-Mikrosimulationsmodell.
Abbildung 1 zeigt die entsprechenden Net- Haushalt (bis ca. 15.000 Euro bei einem
toeinkommensverläufe. Da die bisherigen Vier-Personen-Haushalt) flacher. Während
Anrechnungsregeln des Einkommens beim Single-Haushalte beim Nettoeinkommen
Alg II weiterhin gelten, ändern sich die Ein- durchgängig schlechter gestellt werden, er-
kommensverläufe unterhalb der Transferbe- geben sich beispielsweise bei Paarhaushal-
zugsgrenze, bei der das ergänzende Alg II ten mit zwei Kindern im Einkommensinter-
ausläuft. Oberhalb der Transferbezugsgren- vall von 1.500 Euro bis ca. 4.500 Euro leich-
ze verläuft die Nettoeinkommenskurve auf- te Einkommensgewinne.
grund der höheren Grenzsteuerbelastung bis
zu einem Bruttoeinkommen von ca. 7.500
Euro im Monat bei einem Ein-Personen-
17
Eigene Berechnungen Bedingungsloses Grundeinkommen
Quelle: ifo-Mikrosimulationsmodell.
Tabelle 4 zeigt die Umverteilungswirkungen bei diesem BGE zwischen verschiedenen Haus-
haltstypen und zwischen äquivalenzgewichteten Einkommensgruppen, die sich nach den Be-
schäftigungsanpassungen ergeben. Die Einkommen im untersten Einkommensdezil steigen um
über neun Prozent, sie sinken für alle Einkommensgruppen ab dem dritten Einkommensdezil.
Das erklärt sich aus der höheren Grenzsteuerbelastung, die sich für Einkommensbezieher durch
den Wegfall des steuerlichen Grundfreibetrags ergibt. Im Durchschnitt verlieren alle Haus-
haltstypen. Erwähnenswert ist hierbei, dass Paare wegen des doppelten Wegfalls des steuerlichen
Grundfreibetrags überdurchschnittlich stark belastet werden.
18
Eigene Berechnungen Bedingungsloses Grundeinkommen
Ausgangswert Veränderung
Euro Euro %
Nach Haushaltstyp
Alleinstehend 25.283 −491 −1,94
Legende: Die Tabelle weist die Wirkungen auf das durchschnittlich verfügbare
Haushaltseinkommen pro Jahr im Vergleich zum Status quo aus.
Quelle: ifo-Mikrosimulationsmodell.
19
Eigene Berechnungen Bedingungsloses Grundeinkommen
Szenario 1 untersucht die Integration eines Der alltägliche Mindestbedarf wird durch das
partiellen BGE in das bestehende Einkom- BGE abgedeckt und ersetzt die Regelsätze
mensteuersystem. Eine Umsetzung von im Alg II und in der Grundsicherung im Al-
Szenario 1 stieße jedoch auf verfassungs- ter und bei Erwerbsminderung. Da die BGE-
rechtliche Probleme. Wenn das steuerliche Zahlungen die maximale Steuerentlastung
Existenzminimum nicht durch einen Sozial- durch den steuerlichen Grundfreibetrag und
transfer in Höhe der maximalen sich daraus den Kinderfreibetrag (sächliches Existenz-
ergebenden Steuerentlastung ersetzt wird, minimum und Freibetrag für Betreuungs-,
ist der steuerliche Grundfreibetrag nach der Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf) über-
bisher geltenden Rechtsprechung weiterhin steigen, können auch diese Steuerfreibeträge
zwingend erforderlich, um die Befreiung des vollständig gestrichen werden.
Existenzminimums von der Besteuerung si-
Erste Schritte eines Umbaus des Systems der
cherzustellen. Dies gilt auch für den steuerli-
sozialen Sicherung werden in diesem Szena-
chen Kinderfreibetrag.
rio bereits mitberücksichtigt. So wurden zu-
sätzlich zur Abschaffung des Regelsatzes im
2. Szenario: Das partielle BGE Alg II Mehrbedarfe für Alleinerziehende, der
ersetzt die Regelleistungen Kinderzuschlag, der steuerliche Entlastungs-
für den alltäglichen Bedarf beitrag für Alleinerziehende, die steuerliche
Absetzbarkeit von Vorsorgeaufwendungen
Im zweiten Szenario wird die aufkommens-
sowie die Minijobs abgeschafft. Erhalten
neutrale Einführung eines partiellen BGE
blieben hingegen invaliditätsbezogene So-
betrachtet, das bei Erwachsenen dem im Jahr
zialleistungen sowie Leistungen der Kin-
2021 geltenden Regelsatz im Alg II in Höhe
der- und Jugendhilfe. Berücksichtigt man die
von 446 Euro im Monat und bei Kindern
Arbeitsangebotsreaktionen, ist, um Aufkom-
dem höchsten Regelsatz (Regelsatzstufe 4
mensneutralität sicherzustellen, eine durch-
für Jugendliche vom 15. bis zur Vollendung
gängige Erhöhung des Einkommensteuerta-
des 18. Lebensjahres) in Höhe von 373 Euro
rifs um zwölf Prozentpunkte notwendig.
entspricht. Dieses BGE ersetzt damit die be-
darfsabhängigen staatlichen Leistungen für Wie Abbildung 2 zeigt, gehören die Ein-Per-
den alltäglichen Bedarf, nicht jedoch die Lei- sonen-Haushalte über das gesamte Einkom-
stungen für Wohnen, die weiterhin nur bei mensspektrum hinweg zu den Verlierern. Bei
Bedarf und differenziert nach Haushaltsgrö- der vierköpfigen Familie zählen Haushalte
ße und regionalen Unterschieden ausbezahlt mit einem Bruttoeinkommen bis ca. 4.500
werden. Damit werden bei der Existenzsi- Euro im Monat zu den Gewinnern.
cherung die Skalenerträge bei der Haushalts-
größe und die Einsparmöglichkeiten durch
eine räumliche Differenzierung weiterhin Abbildung 2: Verfügbare Haushaltseinkom-
voll ausgeschöpft. Das Finanzierungsvolu-
men für existenzsichernde Leistungen fällt
daher gegenüber einem umfassenden BGE
deutlich geringer aus. Das BGE ist dann je-
doch nur im Zusammenwirken mit der wei-
terhin bedarfsorientiert ausgestalteten Wohn-
förderung existenzsichernd.
20
Eigene Berechnungen Bedingungsloses Grundeinkommen
men Szenario 2
21
Eigene Berechnungen Bedingungsloses Grundeinkommen
Die gegenüber dem ersten Szenario deutlich höhere Steuerbelastung führt zu wesentlich wei-
terreichenden Arbeitsangebotseffekten (siehe Tabelle 5). In Vollzeitäquivalenten zeigen diese
Simulationen in diesem Fall einen Beschäftigungsrückgang von knapp 14 Prozent, 3,6 Mio.
Personen würden sich dafür entscheiden, überhaupt nicht mehr zu arbeiten.
Vollzeitäquivalente Arbeitsmarktpartizipation
Nach Geschlecht
Männer −2.905 −15,42 −2.422 −13,14
Die Haushaltseinkommen sinken im Durchschnitt um über acht Prozent (siehe Tabelle 6). Dieser
Einkommensverlust geht mit einer umfangreichen Umverteilung der verfügbaren Haushaltsein-
kommen einher. Haushalte im untersten Einkommensdezil gewinnen rund 33 Prozent hinzu,
Haushalte im zweiten und dritten Einkommensdezil können mit einstelligen prozentualen Ein-
kommenszuwächsen rechnen. Haushalte in den obersten drei Einkommensdezilen verlieren hin-
gegen im Durchschnitt zwischen 13,4 Prozent und 19,3 Prozent. Die aggregierten Einkommens-
verluste betreffen alle Haushaltstypen, besonders betroffen sind Paare mit Kindern.
22
Eigene Berechnungen Bedingungsloses Grundeinkommen
Ausgangswert Veränderung
Euro Euro %
Nach Haushaltstyp
Alleinstehend 25.283 −1.425 −5,63
Alleinerziehend 31.707 −2.488 −7,85
Paar ohne Kinder 47.252 −3.739 −7,91
Paar mit Kindern 57.027 −6.819 −11,96
Nach Anzahl der Kinder
Ohne Kinder 34.591 −2.405 −6,95
Ein Kind 48.926 −6.588 −13,47
Zwei Kinder 56.764 −6.782 −11,95
Drei Kinder 53.762 −2.757 −5,13
Vier und mehr Kinder 48.586 3.796 7,81
Nach Einkommensdezil (äquivalenzgewichtet) im Status quo
1. Dezil 12.307 4.041 32,84
2. Dezil 20.246 1.974 9,75
3. Dezil 24.901 1.138 4,57
4. Dezil 28.249 −159 −0,56
5. Dezil 30.850 −742 −2,40
6. Dezil 35.617 −1.910 −5,36
7. Dezil 38.811 −3.600 −9,27
8. Dezil 46.587 −6.232 −13,38
9. Dezil 56.825 −9.555 −16,81
10. Dezil 94.695 −18.253 −19,28
Legende: Siehe Tabelle 4.
23
Eigene Berechnungen Bedingungsloses Grundeinkommen
Alternativ wurde unterstellt, dass alle Ar- in den Sozialkassen durch die allgemeine
beitnehmer im gleichen Umfang wie zuvor Einkommensteuer finanziert. Bei den Sozial-
arbeiten. Auch in diesem Fall erforderte eine transfers bleiben wie im zweiten Szenario in-
aufkommensneutrale Einführung des BGE in validitätsbezogene Leistungen und Leistun-
Höhe der Regelsätze zusätzlich zur Abschaf- gen der Kinder- und Jugendhilfe erhalten.
fung der steuerlichen Grundfreibeträge eine
In der Variante A wird der steuerliche Grund-
Erhöhung der Grenzsteuersätze, allerdings
freibetrag abgeschafft und der bestehende
wäre in diesem Falle eine Erhöhung um 5,5
Steuertarif um 54,9 Prozentpunkte angeho-
Prozentpunkte ausreichend, um Aufkom-
ben. Damit erhöht sich der Eingangsgrenz-
mensneutralität sicherzustellen. Die Haus-
steuersatz auf 58,9 Prozent, der Spitzensteu-
haltseinkommen würden sich in diesem Falle
ersatz auf 96,5 Prozent und die „Reichensteu-
um 2,2 Prozent vergrößern, da sie aufgrund
er“ auf 99,9 Prozent. In der Variante B wird
der Aufkommensneutralität in den vollen
die bestehende Einkommensteuer durch eine
Genuss der durch die Umstellung realisier-
proportionale Einkommensteuer in Höhe von
ten Verwaltungseinsparungen kommen. Die
90 Prozent ersetzt.
Zugewinne im Vergleich zu den in Tabelle
4 ausgewiesenen Veränderungen, die sich
bei durchschnittlichen Einkommensverlu-
sten der Haushalte von 8,3 Prozent ergeben,
verteilen sich relativ gleichmäßig auf die un-
terschiedlichen Haushaltstypen und Einkom-
mensdezile (die genauen Verteilungswirkun-
gen finden sich in Blömer und Peichl 2021).
24
Eigene Berechnungen Bedingungsloses Grundeinkommen
25
Eigene Berechnungen Bedingungsloses Grundeinkommen
Alleinstehende profitieren je nach Variante Trotz der massiven Anhebung der Steuer-
bis zu Bruttoeinkommen von ca. 1.800 Euro sätze ist in diesem Szenario aufgrund der
bis 2.100 Euro von der Einführung des BGE. stark negativen Arbeitsangebotseffekte
Bei höheren Einkommen liegen die Grenz- (siehe Tabelle 7) keine aufkommensneutra-
steuersätze bei mindestens 90 Prozent, ent- le Umstellung mehr möglich. In der Vari-
sprechend stark steigen die Verluste beim ante A verbleibt trotz der Anhebung des be-
Nettoeinkommen gegenüber dem Status quo stehenden Steuertarifs noch ein Defizit von
mit steigendem Bruttoeinkommen. Für sehr knapp 200 Mrd. Euro jährlich, bei der pro-
hohe Einkommen wird die proportionale portionalen Einkommensteuer beläuft sich
Einkommensteuer von 90 Prozent gegenüber das Defizit auf 147 Mrd. Euro.
dem progressiven Tarif von Variante A vor-
teilhafter, da der Spitzengrenzsteuersatz auf
96,9 Prozent ansteigt. Bei einer vierköpfigen
Familie profitieren Familien mit einem Brut-
toeinkommen unter ca. 4.600 Euro (Variante
A) bzw. 5.300 Euro im Monat (Variante B)
von der Einführung des BGE.
Vollzeitäquivalente Arbeitsmarktpartizipation
Nach Geschlecht
Männer −5.700 −30,26 −4.940 −26,79
Variante A
Vollzeitäquivalente Arbeitsmarktpartizipation
Nach Geschlecht
26
Eigene Berechnungen Bedingungsloses Grundeinkommen
Tabelle 8 zeigt die sich daraus ergebenden Durchschnitt um 22,1 Prozent. Das verblei-
Umverteilungswirkungen für die Variante bende Einkommen wird im großen Umfang
A. Im Aggregat verlieren alle Haushaltsty- umverteilt. Die untersten Einkommen ver-
pen 9,7 Prozent an verfügbaren Einkommen, doppeln sich nahezu und auch die Einkom-
besonders stark wiederum sind die Verluste men des 2. bis 5. Dezils steigen um 10 bis 39
bei Paaren mit Kindern. Dabei ist die Fi- Prozent. Nettozahler sind die Einkommens-
nanzierung des Defizits jedoch noch nicht bezieher des 7. bis 10 Dezils. Im höchsten
berücksichtigt worden. Bezieht man dies Einkommensdezil sinken die verfügbaren
in die Rechnung mit ein, so verringern sich Einkommen um fast die Hälfte.
die verfügbaren Haushaltseinkommen im
Ausgangswert Veränderung
Euro Euro %
Gesamt 38.331 −3.713 −9,69
Nach Haushaltstyp
Alleinstehend 25.283 −1.465 −5,80
Alleinerziehend 31.707 −909 −2,87
Paar ohne Kinder 47.252 −4.511 −9,55
Paar mit Kindern 57.027 −8.756 −15,35
Nach Anzahl der Kinder
Ohne Kinder 34.591 −2.756 −7,97
Ein Kind 48.926 −7.907 −16,16
Zwei Kinder 56.764 −9.575 −16,87
Drei Kinder 53.762 −1.179 −2,19
Vier und mehr Kinder 48.586 13.288 27,35
Nach Einkommensdezil (äquivalenzgewichtet) im Status quo
1. Dezil 12.307 10.877 88,38
2. Dezil 20.246 7.889 38,97
3. Dezil 24.901 6.888 27,66
4. Dezil 28.249 4.417 15,64
5. Dezil 30.850 3.030 9,82
6. Dezil 35.617 830 2,33
7. Dezil 38.811 −2.832 −7,30
8. Dezil 46.587 −8.364 −17,95
9. Dezil 56.825 −16.663 −29,32
10. Dezil 94.695 −46.603 −49,21
Legende: Siehe Tabelle 4.
27
Eigene Berechnungen Bedingungsloses Grundeinkommen
Tabelle 9 zeigt die entsprechenden Auswir- fügbaren Einkommens, also in etwa in der
kungen einer proportionalen Einkommen- gleichen Größenordnung wie in Variante A.
steuer von 90 Prozent (Variante B). Die Ein- Die Umverteilungswirkungen sind denen
kommenseinbußen vor Berücksichtigung der Variante A ebenfalls sehr ähnlich, fallen
des Defizits fallen hier wegen der stärkeren jedoch insgesamt wegen der geringeren Be-
Arbeitsangebotsreaktionen deutlich größer lastung höherer Einkommen etwas geringer
aus. Bezieht man das Defizit mit ein, so ver- aus.
lieren die Haushalte 23,8 Prozent des ver-
Ausgangswert Veränderung
Euro Euro %
28
Eigene Berechnungen Bedingungsloses Grundeinkommen
Die Berechnungen gehen von sehr umfang- Arbeitsangebotseffekte, die in etwa in der
reichen negativen Arbeitsangebotseffekten gleichen Größenordnung wie beim Szenario
aus. Um die gesamte Bandbreite einer Ein- 3 liegen, steigt das Defizit in der Variante A
führung des BGE jedoch auch für dieses auf 404 Mrd. Euro, in der Variante B auf 348
Szenario besser abzuschätzen, wurden beide Mrd. Euro. Wie beim Szenario 3 ist in diesem
Varianten wiederum für den Fall simuliert, Szenario eine aufkommensneutrale Ausge-
bei dem es zu keinerlei Änderungen der Be- staltung des BGE mit Hilfe des Simulations-
schäftigung kommt. Eine aufkommensneu- modells nicht mehr darstellbar.
trale Umstellung ist in diesem Fall in beiden
Die Simulationen für den Fall eines vollkom-
Varianten möglich. In der Variante A ist hier-
men unveränderten Arbeitsangebot zeigen,
zu eine Verschiebung des Einkommensteu-
dass bei Abschaffung der steuerlichen Frei-
ertarifs um 46 Prozentpunkte nach oben er-
beträge und Anhebung des Einkommensteu-
forderlich, d.h. dass der Eingangssteuersatz
ertarifs um 54,9 Prozentpunkte (Variante A)
bei 60 Prozent und der Spitzensteuersatz bei
eine aufkommensneutrale Einführung eines
88 Prozent liegen würde. Die durchschnitt-
existenzsichernden BGE nicht möglich ist.
liche Belastung des Arbeitseinkommens be-
Eine aufkommensneutrale Gegenfinanzie-
ginnt damit bei 60 Prozent und konvergiert
rung wäre in diesem Fall nur noch in der
gegen 88 Prozent, bzw. bei bislang von der
Variante B mit einer proportionalen Einkom-
Reichensteuer betroffenen Einkommen ge-
mensteuer in Höhe von 88 Prozent möglich.
gen 91 Prozent. In der Variante B müsste zur
Tabelle 10 zeigt für diesen Fall die daraus
Finanzierung des BGE eine proportionale
resultierenden Umverteilungswirkungen. Sie
Einkommensteuer in Höhe von 77 Prozent
ist mit den vorangehenden Tabellen jedoch
eingeführt werden. Aufgrund der Einsparun-
nicht vergleichbar, da hier im Gegensatz zu
gen bei den öffentlichen Haushalten steigt
den vorangehenden Tabellen unterstellt ist,
das durchschnittliche verfügbare Haushalts-
dass es zu keinerlei Beschäftigungsanpas-
einkommen um 2,8 Prozent. Die Zugewinne
sungen kommt.
im Vergleich zu den in den Tabellen 7 und
8 ausgewiesenen Veränderungen, die sich
bei durchschnittlichen Einkommensverlu-
sten der Haushalte von 9,7 Prozent (Variante
A) bzw. 14,7 Prozent (Variante B) ergeben,
verteilen sich relativ gleichmäßig auf die un-
terschiedlichen Haushaltstypen und Einkom-
mensdezile (Blömer und Peichl 2021).
4. Szenario: Existenzsichern-
des BGE
In einem vierten Szenario werden schließlich
die Auswirkungen eines existenzsichernden
BGE in Höhe von 1.208 Euro pro Monat
für Erwachsene und 684 Euro im Monat für
Kinder simuliert. In Analogie zum 3. Szena-
rio wird in einer Variante A der bestehende
Einkommensteuertarif um 54,9 Prozent-
punkte angehoben. Bei Berücksichtigung der
29
Eigene Berechnungen Bedingungsloses Grundeinkommen
Ausgangswert Veränderung
Euro Euro %
30
Eigene Berechnungen Bedingungsloses Grundeinkommen
tigung sich aufgrund der Umstellung nicht 51 BVerfGE 4, 7 (17); 75, 108 (154); 81, 108 (122).
ändert sind bei den Szenarien mit umfassen- 52 BVerfGE 93, 121 (135 ff.).
den BGE Steuersätze von 77 bis 88 Prozent 53 BVerfGE 115, 97.
31
Der Verzicht auf Information und die Theorie der optimalen
Einkommensteuer Bedingungsloses Grundeinkommen
32
Der Verzicht auf Information und die Theorie der optimalen
Einkommensteuer Bedingungsloses Grundeinkommen
33
Der Verzicht auf Information und die Theorie der optimalen
Einkommensteuer Bedingungsloses Grundeinkommen
34
Der Verzicht auf Information und die Theorie der optimalen
Einkommensteuer Bedingungsloses Grundeinkommen
35
BGE und Freizügigkeit Bedingungsloses Grundeinkommen
schlecht bezahlte Arbeit finden können, nach 59 Dabei genügt es bei den Kindern, dass sie einen Wohnsitz
oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der
Deutschland zu kommen. Das macht das Sy- Europäischen Union haben, siehe § 63 Abs. 2 Satz 6 EStG.
36
BGE und Freizügigkeit Bedingungsloses Grundeinkommen
37
BGE und Freizügigkeit Bedingungsloses Grundeinkommen
weitreichende Verlagerung von Investitionen Experten errichtet wurde, die der DDR den
ins Ausland zu befürchten. Rücken kehrten. Dieser Strom war eine Exi-
stenzbedrohung für die DDR. Daher „mauer-
Es gibt auf der Welt einige wenige Makroex- te“ die DDR ihre eigenen Bürger „ein“ und
perimente, die zu den Wanderungsanreizen hielt sie mit Gewalt fest, vergleichbar etwa
dieses Personenkreises einen Einblick geben mit den Verhältnissen im Feudalstaat, in dem
können. Die Wirtschaftsgeschichte der DDR die Schollenbindung des Bauern die Abwan-
ist eines davon. Dort erfolgte im Namen des derung von Arbeitskräften verhinderte.
Sozialismus eine weitgehende Loslösung
der Erwerbseinkommensunterschiede von In Europa ist eine Abschottung eines einzel-
den wirtschaftlichen marktpreislich bewerte- nen Mitgliedsstaats innerhalb der bestehen-
ten Wertschöpfungen. Wer sich politisch sy- den EU-Verträge natürlich nicht möglich und
stemkonform oder unauffällig verhielt, hatte auch das Grundgesetz gewährt die Auswande-
in der DDR zumeist eine Arbeit und ein Aus- rungsfreiheit. Vermutlich würden überzeugte
kommen. Verbunden mit dem gesellschafts- Verfechter eines BGE einen „antikapitalisti-
politischen Anspruch eines sozialistischen schen Schutzwall“ zur nachhaltigen Finanzie-
Arbeiter- und Bauernstaats, dass die Person rung eines BGE ablehnen. Die DDR und ihr
sich als Werktätige einzubringen hatte, war wirtschaftlicher Bankrott zeigen indes, dass
eine Art Grundeinkommen verbunden, denn nicht einmal das Aushebeln und Abschotten
der Unterschied zwischen dem offiziellen gegen die starken Kräfte der internationalen
Einkommen einer Ärztin und einer Friseurin Wirtschaftsmigration durch einen solchen
war nicht nennenswert. Schutzwall dieses Wirtschaftsmodell nach-
haltig machen konnten.
Die politische Folge dieses Entlohnungssy-
stems war der „antifaschistische Schutzwall“
(die „Mauer“), der – anders als der Name
Glauben machen wollte – vor allem als Maß-
nahme gegen den steigenden Strom von
Hochqualifizierten, Leistungsträgern und
38
Schlussbetrachtungen Bedingungsloses Grundeinkommen
10. Schlussbetrachtungen
Die Idee eines bedingungslosen Grundein- wenn sie in Regionen mit niedrigen Wohnko-
kommens, das allen Bürgern zusteht, ohne sten leben. Diese zusätzliche über die reine
die Auszahlung dabei an Bedingungen zu Existenzsicherung hinausgehende Umvertei-
knüpfen, gewinnt in Deutschland immer lung macht das BGE gegenüber dem heuti-
mehr an Zustimmung. Mit einem allen Bür- gen Sozialstaat deutlich teurer. Selbst wenn
gern garantierten Grundeinkommen in exi- man die anderen Sozialleistungen gegenrech-
stenzsichernder Höhe ließen sich die meisten net, entsteht mit der Einführung des BGE ein
Sozialleistungen wie etwa das Arbeitslosen- Finanzierungsbedarf von knapp 900 Mrd.
geld I und II, das Sozialgeld, das Kindergeld Euro jährlich, d.h. deutlich über 70 Prozent
und die Grundsicherung im Alter und bei Er- des verfügbaren Haushaltseinkommens wer-
werbsminderung vollständig ersetzen, so die den über den Staat umverteilt.
Hoffnung. Mit dem BGE wäre ein umfassen-
der Umbau unseres Sozialstaates verbunden. Simulationsrechnungen zeigen, dass bereits
Der Sozialstaat würde dank des BGE dafür die Einführung eines partiellen BGE in Höhe
sorgen, dass existenzielle Notlagen gar nicht von 446 Euro für Erwachsene und 378 Euro
erst entstehen können, zugleich ließe sich der für Kinder – dies entspricht den derzeit gel-
Sozialstaat entbürokratisieren und die Stig- tenden Regelsätzen in der Grundsicherung
matisierung von Leistungsempfängern been- – zu weitreichenden negativen Arbeitsange-
den. botsreaktionen und zusätzlich zur Abschaf-
fung des steuerlichen Grundfreibetrags zu
Das BGE erhöht jedoch zwangsläufig die einer Erhöhung der Einkommensteuer um
Kosten der sozialen Absicherung, da seine zwölf Prozentpunkte führt. Und selbst wenn
existenzsichernden Leistungen allen Bürgern man den Befürwortern des BGE folgt und da-
anstatt nur den Bedürftigen zustehen. Dieses von ausgeht, dass es zu keinen nennenswer-
Gutachten beziffert, in welchem Ausmaß dies ten Arbeitsangebotsreaktionen kommt, sind
zu befürchten ist. Ausgangspunkt ist dabei deutliche Steuererhöhungen unerlässlich. Ein
ein BGE, das, wie von den Befürwortern ge- umfassenderes und existenzsicherndes BGE
fordert, sicherstellt, dass alle Bürger zumin- ist schon bei sehr geringen Arbeitsangebots-
dest im Umfang des heute gesellschaftlich reaktionen überhaupt nicht mehr aufkom-
akzeptierten soziokulturellen Existenzmini- mensneutral zu finanzieren.
mums abgesichert sind. Stand 2021 müsste
ein solches BGE Erwachsenen monatlich Die Finanzierungsprobleme sprechen aus
1.208 Euro und Kindern 684 Euro monatlich Sicht des Beirats eindeutig gegen die Einfüh-
auszahlen. Eine vierköpfige Familie erhielte rung eines BGE. Der Verzicht, Sozialleistun-
damit monatlich 3.784 Euro, unabhängig von gen von einer durch staatliche Institutionen
ihrem Wohnort. Da der existenzsichernde zu überprüfenden Bedürftigkeit abhängig
Bedarf unterproportional mit der Familien- zu machen, führt nicht nur zu substantiellen
größe ansteigt und die Wohnkosten regional Steuererhöhungen. Es wird in der Quintes-
sehr stark variieren, führt ein solches BGE senz zudem dazu führen, dass die Kontrolle
dazu, dass kleine Haushalte in Regionen mit derjenigen, die mit ihren Arbeitseinkommen
hohen Mieten damit gerade das Existenzmi- das BGE finanzieren, massiv ausgedehnt wer-
nimum erhalten, während größere Haushalte den muss. Höhere Steuern lassen eine Aus-
deutlich mehr erhalten, insbesondere dann, wanderung vieler Leistungsträger erwarten
und erschweren damit die Finanzierbarkeit
39
Schlussbetrawchtungen Bedingungsloses Grundeinkommen
40
Literatur Bedingungsloses Grundeinkommen
Literatur
Akerlof, George A. (1978): „The Economics of “Tagging” as Applied to the Optimal Income
Tax, Welfare Programs, and Manpower Planning“, American Economic Review, 68(1), S. 8-19.
Althaus, Dieter (2007): „Das Konzept des Solidarischen Bürgergeldes“, ifo Schnelldienst 60 (4),
45-47.
Althaus, Dieter und Hermann Binkert (2010): Solidarisches Bürgergeld: Den Menschen trauen
– die Freiheit nachhaltig und ganzheitlich sichern, Books on Demand, Norderstedt.
Atkinson, Anthony B. (2006): Public Economics in Action: The Basic Income/Flat Tax Propos-
al. Oxford: Clarendon Press,
Atkinson, Anthony B. (2016): Ungleichheit. Was wir dagegen tun können, Klett-Cotta: Stuttgart.
Axer, Peter (2014): Kommentierung von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG, in: Kahl/Waldhoff/Walter
(Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, C.F. Müller: Heidelberg.
Besley, Timothy und Stephen Coate (1992): „Workfare Versus Welfare: Incentive Arguments
for Work Requirements in Poverty-Alleviation Programs“, American Economic Review 82(1),
S. 249-61.
Blömer, Maximilian und Andreas Peichl (2020): The ifo Tax and Transfer Behavioral Microsim-
ulation Model, ifo Working Paper 335 August.
Blömer, Maximilian und Andreas Peichl (2021): Mikrosimulation verschiedener Varianten eines
Bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland, ifo Forschungsbericht 121.
Bundesagentur für Arbeit (2020a): Tabellen, Ausgaben für aktive und passive Leistungen im
SGB II (Jahreszahlen). Berichtszeitraum 2019 (Kalenderjahr), Region: Deutschland, West/Ost,
Länder und Jobcenter (Gebietsstand Dezember 2019), url: https://statistik.arbeitsagentur. de/
SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?nn=1460460&topic_f=ausgaben-sg
bii&dateOfRevision=201012-202001 (besucht am 10. 03. 2021).
Bundesagentur für Arbeit (2020b): Tabellen, Wohn- und Kostensituation SGB II (Monatszahlen).
Region: Deutschland, Berichtsmonat: September 2020, url: https : / / statistik . arbeitsagentur .
de /Statistikdaten/Detail/202009/iiia7/kdu-kdu/kdu-d-0-202009-xlsx.xlsx (abgerufen am 21. 01.
2021).
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2020b): Sozialbudget 2019, Bonn, url: https://
www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/a230-19-sozialbudget-2019.html (abgerufen am 10.
03. 2021).
Colombino, Ugo (2019): Is unconditional basic income a viable alternative to other social wel-
41
Literatur Bedingungsloses Grundeinkommen
Cremer, Georg (2018): Deutschland ist gerechter als wir meinen: Eine Bestandsaufnahme, Beck:
München.
Economist (2021): Might the pandemic pave the way for a universal basic income?, https://
www.economist.com/finance-and-economics/2021/03/02/might-the-pandemic-pave-the-way-
for-a-universal-basic-income, 02.03.2021.
Friedman, Milton (1962): Capitalism and Freedom, Chicago University Press: Chicago.
Friedman. Milton (1975): There’s no such thing as a free lunch, Open Court: La Salle, IL.
Häni, Daniel und Philip Kovce (2015): Was fehlt wenn alles da ist? Warum das bedingungslose
Grundeinkommen die richtigen Fragen stellt. Orell Füssli: Zürich.
Guerreiro, Joao, Sergio Rebelo, und Pedro Teles. (2017): Should Robots Be Taxed? NBER Work-
ing Papert No. 23806. September.
Harnack, Astrid (2019): Der Alaska Permanent Fund – Vorbild für eine Soziale Dividende? Vier-
teljahreshefte zur Wirtschaftsforschung 88(1), S. 49-64.
Jessen, Robin, Davud Rostam-Afschar und Viktor Steiner (2017): „Getting the Poor to Work:
Three Welfare-Increasing Reforms for a Busy Germany“, FinanzArchiv 73(1), S. 1–41.
Kovce, Philip und Birger P. Priddat (Hrsg. 2019): Bedingungsloses Grundeinkommen. Grundla-
gentexte, Suhrkamp: Berlin.
Kreiner, Claus Thustrup und Torben Tranæs (2005): „Optimal Workfare with Voluntary and In-
voluntary Unemployment“, Scandinavian Journal of Economics 107(3), S. 459-474.
Löffler, Max, Andreas Peichl und Sebastian Siegloch (2018): The Sensitivity of Structural Labor
Supply Estimations to Modeling Assumptions, IZA Discussion Paper 11425.
Mirrlees, James A. (1971): „An Exploration in the Theory of Optimum Income Taxation“, Re-
view of Economic Studies 38(2), S. 175-208.
Mitschke, Joachim (1985): Steuer- und Transferordnung aus einem Guß. Entwurf einer Neuge-
staltung der direkten Steuern und Sozialtransfers in der Bundesrepublik Deutschland, Nomos:
Baden-Baden.
42
Literatur Bedingungsloses Grundeinkommen
Niemann, Ingmar (2015): „Grundeinkommen global–ein Überblick über die internationalen Mo-
dellversuche zum bedingungslosen Grundeinkommen“, in Rigmar Osterkamp (Hrsg.) Auf dem
Prüfstand: Ein bedingungsloses Grundeinkommen für Deutschland, Nomos, Baden-Baden, S.
157-167.
Paine, Thomas (1795): „Agrarische Gerechtigkeit. An die Gesetzgeber und an die Direktoren
der Republik Frankreich“, deutsche Übersetzung in Kovce, Philip und Birger P. Priddat (Hrsg.
2019): Bedingungsloses Grundeinkommen. Grundlagentexte, Suhrkamp: Berlin, S. 78-98.
Peichl, Andreas, and Sebastian Siegloch (2012): “Accounting for labor demand effects in struc-
tural labor supply models”, Labour Economics 19(1), S. 129-138.
Popper-Lynkeus (1912): „Die allgemeine Nährpflicht als Lösung der sozialen Frage“, Verlag
Carl Reissner: Dresden.
Precht, Richard David (2018): Jäger, Hirten, Kritiker: Eine Utopie für die digitale Gesellschaft,
Goldmann: München.
Sachs, Michael (2021): Kommentierung von Art. 87 Abs. 2 GG, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz.
Kommentar, 9. Aufl, C.H. Beck: München
Saez, Emmanuel (2002): „Optimal Income Transfer Programs: Intensive versus Extensive Labor
Supply Responses“, Quarterly Journal of Economics 117(3), 1039-1073.
Schöb, Ronnie (2011): Soziale Grundsicherung und Beschäftigung, in: Bengt-Arne Wickström
(Hrsg.): Öffentliche Finanzen, Fiskalwettbewerb, Nachhaltigkeit und soziale Wohlfahrt, Dunc-
ker & Humblot: Berlin.
Schöb, Ronnie (2020): Der starke Sozialstaat. Weniger ist mehr, Campus: Frankfurt am Main.
Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) (2019) Daten für die Jahre 1984-2018, Version 35, SOEP,
2019, doi: 10.5684/soep-core.v35.
Spence, Thomas (1796): „Die Rechte der Kinder“, deutsche Übersetzung in Kovce, Philip und
Birger P. Priddat (Hrsg. 2019): Bedingungsloses Grundeinkommen. Grundlagentexte, Suhrkamp:
Berlin, S. 99-111.
Standing, Guy (2017): Basic Income: And How We Can Make It Happen, Penguin: London.
Straubhaar, Thomas (2017): Radikal gerecht. Wie das Bedingungslose Grundeinkommen den
Sozialstaat revolutioniert. Edition Körber-Stiftung: Hamburg.
Thuemmel, Udo (2020): Optimal Taxation of Robots, CESifo Working Paper Nr. 7317.
43
Literatur Bedingungsloses Grundeinkommen
Tobin, James, Joseph A. Pechman und Peter M. Mieszkowski (1967): „Is a Negative Income Tax
Practical?” Yale Law Journal 77(1), S. 1-27.
Van Parijs, Philippe (1995): Real Freedom for All. What (if anything) can justify capitalism?
Oxford University Press: Oxford.
Van Parijs, Philippe und Yannick Vanderborght (2017): Basic Income: A Radical Proposal for a
Free Society and a Sane Economy, Harvard University Press: Cambridge Mass.
Van Soest, Arthur (1995): “Structural Models of Family Labor Supply: A Discrete Choice Ap-
proach”, Journal of Human Resources 30(1), S. 63-88.
Waldhoff, Christian (2007): Grundzüge des Finanzrechts des Grundgesetzes, in: Isensee/Kirch-
hof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5, 3. Aufl., § 116,
C.F. Müller: Heidelberg.
Werner, Götz W. (2018): Einkommen Für Alle. Bedingungsloses Grundeinkommen – die Zeit ist
reif. Überarbeitete, aktualisierte und erweiterte Neuausgabe, Kiepenheuer & Witsch: Köln.
Werner, Götz W. und Adrienne Goehler (2011): 1000 Euro Für Jeden: Freiheit. Gleichheit.
Grundeinkommen, Ullstein: Berlin.
44
Anhang 1 Bedingungsloses Grundeinkommen
Abschnitt 5.2 diskutiert, inwieweit man Leistungen, die im Sozialbudget aufgeführt sind, strei-
chen und die entsprechenden Einsparungen zur Finanzierung des BGE heranziehen kann. Bei der
Überschlagsrechnung wurden unter Verwendung der Leistungsseite des aktuellen Sozialbudgets
2019 (siehe Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2020b) diejenigen Posten bestimmt, die
nicht zur Finanzierung des BGE gegengerechnet werden können, weil sie a) privatrechtlicher
Natur sind, b) individuellen Rechtsansprüchen unterliegen oder c) zur Finanzierung notwendiger
sozialstaatlicher Funktionen weiterhin getätigt werden müssen. Die verbleibenden Positionen
ergeben das Einsparpotential, auf Basis dessen die notwendige Steigerung der Abgabenquote
bestimmt wird. Darin sind mögliche Einsparungen bei den Verwaltungskosten in Höhe von 16
Mrd. Euro enthalten.
Leistun- Einsparung
Posten gen
(geschätzt,
in Mio. €)
Sozialversicherungssysteme 632.867
Rentenversicherung 330.835 b
Krankenversicherung 251.465 c
Pflegeversicherung 42.405 c
Unfallversicherung 14.382 6.797
Arbeitslosenversicherung 29.089 29.089
Sondersysteme 37.181
Alterssicherung der Landwirte 2.867 a,b
Versorgungswerke 6.873 a
Private Altersvorsorge 545 a
Private Krankenversicherung 25.132 a
Private Pflegeversicherung 1.763 a
Arbeitgebersysteme 100.412
Entgeltfortzahlung 58.804 a
Betriebliche Altersversorgung 26.795 a
Zusatzversorgung 13.553 a
Sonstige Arbeitgeberleistungen 1.261 a
Entschädigungssysteme 2.625
Soziale Entschädigungen 853 853
45
Anhang 1 Bedingungsloses Grundeinkommen
Lastenausgleich 9 9
Wiedergutmachung 1.257 1.257
Sonstige Entschädigungen 507 507
Familienleistungsausgleich
Erziehungsgeld / Elterngeld 7.812 7.812
Grundsicherung für Arbeitsuchende 43.331 43.331
Arbeitslosenhilfe / sonst. 1.101 1.101
Arbeitsförderung
Ausbildungs- und 2.143 2.143
Aufstiegsförderung
Sozialhilfe 40.343 40.343
Kinder- und Jugendhilfe 49.670 49.670
Wohngeld 1.033 1.033
Summe 1.040.323 231.592
Quelle: BMAS (2020b, Tabelle III-1).
„Eine fürsorgerische Sozialleistung wie die Grundsicherung ist nicht als Eigentum
im Sinne des Art. 14 GG geschützt. Sozialrechtliche Ansprüche genießen vielmehr
nur dann grundrechtlichen Eigentumsschutz, wenn es sich um Vermögenswerte
Rechtspositionen handelt, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts privatnützig
zugeordnet sind, auf nicht unerheblichen Eigenleistungen beruhen und der Existenz-
sicherung dienen (vgl. BVerfGE 69, 272 <300>; 92, 365 <405>; 97, 271 <284>;
100, 1 <32 f.>). So stehen etwa sozialversicherungsrechtliche Rechtspositionen in
Form von Ansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, soweit sie aus ei-
gener Versicherung der Leistungsberechtigten resultieren, grundsätzlich unter dem
Schutz von Art. 14 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 76, 256 <293> m.w.N.; 100, 1 <33>).
Dies ist hingegen bei steuerfinanzierten Fürsorgeleistungen nicht der Fall (BVerfG,
Beschluss des Ersten Senats vom 7. Dezember 2010 - 1 BvR 2628/07 -, NJW 2011,
S. 1058 <1059 f.>).“(BVerfGE 128, 90, 101)
46
Anhang 2 Bedingungsloses Grundeinkommen
Gleiches gilt für Ansprüche aus der Alterssicherung für Landwirte (BVerfGE 149, 86 - 126), der
Versorgungswerke und der weiteren Sondersysteme (private Krankenversicherung, Alterssiche-
rung etc.) gemäß Sozialbudgetgliederung.
Leistungen aus dem System des Öffentlichen Dienstes wurden nicht zur Gegenfinanzierung her-
angezogen. Artikel 33 Absatz 5 GG bestimmt das Alimentationsprinzip und damit die Grundla-
gen des Berufsbeamtentums, sowie den staatlichen Auftrag zur lebenslangen Versorgung seiner
Beamten und deren Familien. Das BeamtVG regelt entsprechend die Vergütung der Beamten
durch den Dienstherrn. Wenngleich Artikel 33 Absatz 5 GG Spielraum in Bezug auf den Umfang
der geleisteten Beträge belässt, so ergibt sich aus dem Alimentationsgebot die Notwendigkeit der
Fortzahlung und die rechtlichen Ansprüche an Pensionszahlungen der im Sozialbudget genann-
ten Posten des öffentlichen Diensts.
Die Kosten der Gesetzlichen Kranken- und der Sozialen Pflegeversicherung sowie der Beihilfe
für Beamte fallen weiterhin an. Sie müssen zusätzlich zum existenzsichernden BGE aufgebracht
werden – durch eine steuerfinanzierte Sozialversicherung oder durch pauschalierte Beträge, die
zusätzlich zum BGE ausbezahlt werden, mit der Verpflichtung, eine Kranken- und Pflegeversi-
cherung abzuschließen. Sie können daher nicht zur Finanzierung des BGE verwendet werden.
Zur Gegenfinanzierung können sämtliche Förder- und Fürsorgesysteme, wie z.B. Kindergeld,
Elterngeld, Grundsicherung für Arbeitssuchende oder Wohngeld, herangezogen werden.
Für die Berechnungen wird das ifo-Mikrosimulationsmodell in der Variante ifo-MSM-TTL ver-
wendet. Das ifo-Mikrosimulationsmodell erlaubt es ceteris paribus abzuschätzen, wie sich struk-
turelle Veränderungen im Steuer- und Transfersystem auf individuelle Einkommensverhältnisse
auswirkten. Da Mikrosimulationsmodelle auf Einzelbeobachtungen basieren, können nicht nur
gesamtgesellschaftliche Effekte (Staatsbudget, Arbeitsangebot/Beschäftigung, Verteilung) be-
stimmt werden, sondern auch Gewinner und Verlierer einer Reform präzise identifiziert werden.
Für die Analyse von Budgetwirkungen gehen Mikrosimulationsmodelle über einfache saldenme-
chanische Abschätzungen deutlich hinaus, da sie Verhaltensanpassungen auf dem Arbeitsmarkt
explizit modellieren und somit eine ex-ante Abschätzung der Wirkungen bieten. In diesem Gut-
achten unterscheiden wir zwei Effekte: erstens, Sofortwirkungen ohne Verhaltenseffekte („mor-
ning after“-Effekt) und zweitens, Wirkungen mit Verhaltenseffekt auf das Arbeitsangebot. Rück-
wirkungen auf die Lohnverteilung und damit die Arbeitsnachfrage werden nicht berücksichtigt.
47
Anhang 1 Bedingungsloses Grundeinkommen
Als Datengrundlage für die Simulation dient das Sozioökonomische Panel (SOEP). Die reprä-
sentative Stichprobe der Bevölkerung umfasst über 30.000 Personen in rund 15.000 Haushalten.
Für die vorliegende Studie wird als Datenbasis die aktuelle SOEP-Welle v35 (2018) und die
Modellierung des Rechtsstands des ersten Quartals 2021 verwendet. Wir nutzen die im SOEP ge-
nannten Vorjahresangaben zu Einkommen und Beschäftigung und schreiben alle Einkommens-
angaben mittels des vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Verbraucherpreisindexes fort.
Um mögliche Verhaltensreaktionen und Beschäftigungsanpassungen aufgrund der Reformen
zwischen dem Jahr der Beschäftigungsinformationen (2017) und dem Status quo im Jahre 2021
zu berücksichtigen, simulieren wir die Änderungen des Arbeitsvolumens und der Löhne zwi-
schen beiden Jahren.
In einem ersten Schritt bilden wir das Steuer- und Transfersystem zum aktuellen Rechtsstand
2021 nach. Dabei wird unter Berücksichtigung von Freibeträgen, Anrechnungspauschalen, Son-
derausgaben sowie Abzugsbeträgen für außergewöhnliche Belastungen und sonstige Privatauf-
wendungen das individuell verfügbare Nettoeinkommen für jeden Fall der Stichprobe gemäß
dem jeweiligen Haushaltskontext berechnet. Anschließend werden die Ergebnisse mit den Fall-
gewichten multipliziert und damit auf die Gesamtpopulation hochgerechnet. Genauso werden
für die betrachteten Reformvarianten die individuell zu leistenden Einkommensteuer- und So-
zialabgabenzahlungen sowie die erhaltenen Transferleistungen und damit die Nettoeinkommen
der Haushalte ermittelt. Auf diese Weise können sowohl die Gesamteffekte als auch die Auswir-
kungen auf jeden einzelnen Haushaltstyp analysiert werden.
Im zweiten Schritt wird das Arbeitsangebot mithilfe eines diskreten Nutzenmodells in An-
lehnung an van Soest (1995) geschätzt. Dabei handelt es sich um ein statisches, strukturelles
Haushaltsarbeitsangebotsmodell, das die Arbeitsangebotsentscheidung der Haushaltsmitglieder
jedes Haushalts als optimale Wahl zwischen einer begrenzten Anzahl von möglichen Arbeits-
zeitkategorien modelliert (discrete choice). Die Wahlentscheidung umfasst sowohl die (exten-
sive) Partizipationsentscheidung als auch die (intensive) Stundenentscheidung. Bestimmt wird
das Arbeitsangebot durch empirisch mit Hilfe eines “Random Utility Maximization Models”
geschätzten Freizeit– und Konsumpräferenzen, für die a priori keine spezifischen Annahmen
getroffen werden. Determinanten der Arbeitsangebotsentscheidung sind u.a. die Anzahl der im
Haushalt lebenden Personen sowie das Alter der Kinder, ein möglicher Behindertenstatus sowie
das Vorhandensein von pflegebedürftigen Personen im Haushalt. Tabelle A2 zeigt die empirisch
geschätzten durchschnittlichen Angebotselastizitäten für unterschiedliche Haushaltstypen.
48
Anhang 1 Bedingungsloses Grundeinkommen
Single Paare
Anschließend werden die Reformeffekte auf das Arbeitsangebot simuliert. Durch Eingriffe in
das Steuer- und Transfersystem verändert sich der Nutzen einzelner Arbeitszeitkategorien, so
dass es im Einzelfall zu Verhaltensänderungen kommen kann. Die Arbeitsangebotseffekte er-
geben sich als Summe der simulierten nutzenmaximierenden individuellen Entscheidungen vor
dem Hintergrund veränderter monetärer Erwerbsanreize.
Für die Analysen in diesem Gutachten wird das tatsächliche verfügbare Haushaltseinkommen
im Jahr 2021 simuliert und mit verschiedenen hypothetischen Szenarien verglichen, in denen
unterschiedliche BGE eingeführt wurden. Eine ausführliche Beschreibung der Ergebnisse findet
sich in Blömer und Peichl (2021).
Die Details des Models finden sich in Blömer und Peichl (2020), zur Sensitivität von Modellan-
nahmen, siehe Löffler, Peichl und Siegloch (2018), ähnlich auch Jessen, Rostam-Afschar und
Steiner (2017).
• Einheits-Haushalts-Arbeitsangebotsmodell (maximal 2 Erwachsene, es kann mehrere Labor Supply
Units in einem Haushalt geben): Eine Labor Supply Unit maximiert durch die Wahl von Stundenka-
tegorien gemeinsam eine Nutzenfunktion, die positiven Nutzen aus Freizeit und Konsum zieht.
• Translog-Spezifikation für den systematischen Teil der Nutzenfunktion
• Fixkosten der Arbeit, zusätzliche Fixkosten bei Teilzeit
• Stigmaeffekte/Kosten und unvollständige Inanspruchnahme von Transfers wie Alg II, Wohngeld,
Kinderzuschlag (endogene Inanspruchnahme, Teil des Entscheidungsraums)
• Das Arbeitsangebot wird in einem Discrete-Choice-Ansatz bestimmt, in dem eine Entscheidung
zwischen Stundenkategorien (0, 10, 20, 30, 40, 50, 60) je Person erfolgt.
• Typisches Conditional Logit Modell, Annahme nicht beobachtete Variablen im Fehlerterm additiv
trennbar sowie IID, Extremwert-Typ I-verteilt
• Verhaltensmodell wird bei der Betrachtung konstant gehalten.
• Berücksichtigung unbeobachteter Heterogenität in den Präferenzen (via Random Coefficients in
Freizeit, Konsum und deren Korrelation)
• Unbeobachtete Stundenlöhne (nicht Beschäftigte): Imputation, Two Step, Sample Selection; Be-
49
Anhang 1 Bedingungsloses Grundeinkommen
Sonstige
• Für bestimmte Personengruppen wird ein unelastisches Arbeitsangebot angenommen: Kinder, in
Ausbildung, Rentner, Selbständige, Beamte, Flüchtlingsstatus, etc.
• Das Steuer-Transfersystem im Modell abstrahiert von einigen kurzlebigen Ansprüchen, da die Lang-
fristeffekte einer Reform im Vordergrund stehen sollen. Hierzu zählen u.a. ALG I, Elterngeld oder
BAföG.
Stundenlöhne, die nicht beobachtet werden können, werden über den zweistufigen Heckman-
Ansatz imputiert (manche Modelle imputieren die Stundenlöhne für die gesamte Population und
ignorieren die beobachteten Stundenlöhne, um eine einheitliche Verteilung der Löhne zu erhal-
ten). Wir berücksichtigen den resultierenden Wage Prediction Error bei der Datenaufbereitung.
Rückwirkungen auf die Löhne und damit die Arbeitsnachfrage werden nicht berücksichtigt.
50
Mitgliederverzeichnis Bedingungsloses Grundeinkommen
Stand:: 21.07.2021
51
Impressum
Herausgeber
Bundesministerium der Finanzen
Referat L C 3 (Öffentlichkeitsarbeit)
Wilhelmstraße 97, 10117 Berlin
Stand
September 2021
Redaktion
Wissenschaftlicher Beirat
beim Bundesministerium der Finanzen