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Von der Barrierefreiheit für behinderte Menschen zum "Design für Alle" in
der nachhaltigen Siedlungsentwicklung und Stadtplanung

Article  in  Geographica Helvetica · December 2010


DOI: 10.5194/gh-65-257-2010

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3 authors, including:

Matthias Drilling
University of Applied Sciences and Arts Northewest Switzerland
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Social Work, Urban Development and Urban Planning View project

Routes into Destitution: Identifying vulnerabilities and coping strategies in the life course of undocumented Central and Eastern European citizens in Switzerland View
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Von der Barrierefreiheit für behinderte Menschen zum « Design für Alle » S. Weiss, M. Drilling, D. Blumer 257

Von der Barrierefreiheit für behinderte Menschen zum « Design für Alle »
in der nachhaltigen Siedlungsentwicklung und Stadtplanung

Stephanie Weiss, Matthias Drilling, Daniel Blumer, Network EUCAN [ 2003]; EIDD- Design for All
Basel Europe [ seit 1993]).

Bei einer ersten Analyse relevanter Dokumente fällt


1 « Design für Alle » als Konzept der Inklusions¬ allerdings auf, dass sich das « Design für Alle » - Kon¬
forschung zept noch als eher unstrukturiert und punktuell dar¬
stellt. So gibt es auf der Ebene der Begrifflichkeiten
« Design für Alle » bezeichnet einen seit Mitte der Uneindeutigkeiten; je nach Land gibt es verschiedene
1990er Jahre im internationalen sozialpolitischen Kon¬ Bezeichnungen der Zugänglichkeitsprämisse, wie zum
text formulierten Anspruch, der die Zugänglichkeit, Beispiel universal design in den USA und Japan, inclu¬
Barriere- und Hindernisfreiheit von Produkten des sive design in Grossbritannien, « Barrierefreiheit » in
alltäglichen Gebrauchs, von Dienstleistungen und der Deutschland, « Hindernisfreiheit » in der Schweiz vgl.
gebauten Umwelt in den Fokus nimmt: Nicht allein Stofer 2009: 37). Zudem hat sich noch keine klare
die Zugänglichkeit für behinderte und eingeschränkte Praxis herausgebildet.
Menschen steht dabei im Vordergrund:
[]
« In unserer Interpretation hat der Ansatz der Zugäng¬ Ein Versuch, die unterschiedlichen Aktivitäten zum
Konzept « Design für Alle » aus einer planungsbezoge¬
lichkeit und des Designs für Alle das Ziel, allen Menschen
gleiche Chancen zu ermöglichen, so dass jeder an jedem nen Perspektive zu strukturieren, könnte unterschei¬
Aspekt der Gesellschaft partizipieren kann » Europä¬ den zwischen:
isches Institut Design für Alle in Deutschland 2008; - Planung und Gestaltung von Wohnsiedlungen,
17, Hervorhebung im Original). Wohnbauten, Wohngrundrissen sowie deren verwen¬
deten Materialien in den Aussen- und Innenräumen
Indem es die Argumentationen und Planungsstrategien konzeptuelle Vorgaben in « Build for All » Pro¬
von der Behinderung als Einschränkung in der Bewe¬ jektpartner 2006; Diskussion in Kobs & Willen¬
gungsfreiheit hin zu einer ungenügenden, nicht für brink 2007; Mustersiedlungen in Herwig 2008; Ober¬
alle Menschen gleichermassen zugänglichen gebauten ste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium
Umwelt verlagert, nimmt das « Design für Alle » - Kon¬ des Innern 2006 sowie Schweizerischer Verband
zept ein ausgesprochen inklusives Verständnis für sich für Wohnungswesen SVW, Sektion Zürich 2008)
in Anspruch Leidner, Neumann & Rebstock 2007). - Gestaltung öffentlicher Räume konzeptuelle Vor¬
gaben und Diskussion in Neumann & Rebstock
Bei seiner Anschlussfähigkeit an die Siedlungsplanung 2008; Beispiele in Aragall 2007 sowie Rüter 2007)
spielt der Begriff der gebauten Umwelt eine zentrale - Mobilität und Verkehrsraumgestaltung konzeptu¬
Rolle. Gebaute Umwelt fungiert als Sammelkatego¬ elle Vorgaben in « Build for All » Projektpartner
rie für « Umgebungen, die von Menschen geschaffen 2006; Diskussion in Grossmann 2007; Beispiele in
oder verändert wurden, damit Menschen darin leben Rebstock 2007 sowie Rudolph 2007).
können » « Build for All » Projektpartner 2006: 53).
Als Beispiele werden genannt: Gebäude, Plätze, Fahr¬ Diese Planungsebenen spiegeln sich auch in den hier
zeuge Verkehr), Parkplätze, Strassen, Spielplätze, diskutierten Fallbeispielen zweier Wohnsiedlungen in
Denkmäler, Naturparks, aber auch z. B. bewirtschaf¬ Deutschland und der Schweiz wider, die im Rahmen
tete Strände mit Rampen und Stegen auf dem Sand), einer internationalen Vergleichsstudie zum nachhalti¬
um sie und die verschiedenen dortigen Dienstleistun¬ gen Siedlungsbau erforscht wurden. Der vorliegende
gen zugänglicher zu gestalten. « Bauliche Umwelt ist Artikel verknüpft deshalb auch den Gestaltungsansatz
demnach jeder öffentliche oder private Raum oder « Design für Alle » mit sozialer Nachhaltigkeit in der

jede Einrichtung, der/ die von Menschen für Menschen Siedlungsplanung. Diese Verknüpfung scheint erkennt¬
gestaltet wurde » ebd.: 53). nisfördernd, denn es zeigt sich, dass sich das Konzept
« Design für Alle » in der nachhaltigen Stadt- und Sied¬

Von Seiten der Europäischen Union und der Verein¬ lungsplanung sowohl theoretisch anwenden lässt als
ten Nationen wurde dieser Perspektivenwechsel in auch eine produkt- und lösungsorientierte Fokussie¬
den letzten Jahren auf der Ebene von Richtlinien für rung in die Planung integrieren kann. Die theoretische
die Planung und Umsetzung unterstützt vgl. United Auseinandersetzung mit dem Design- Begriff orientiert
Nations [ 2006]; European Concept for Accessibility sich an den Überlegungen von Lucius Burckhardt,
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der die Aspekte der Planung, der Umweltgestaltung In der Tradition eines solchen nutzerorientierten
und der Partizipation der Nutzer als Prämissen eines Designbegriffs lesen sich die formulierten gesellschaft¬
sozialen Planungsanspruchs in den Vordergrund stellt. lichen Ziele des « Design für Alle » - Konzepts der euro¬
Beide Argumentationslinien ermöglichen die Verdich¬ päischen Vereinigung « Build for All » einem Zusam¬
tung des « Design für Alle » - Konzepts, insbesondere für menschluss europäischer Architektur-, Gemeinde- und
planerische und nutzerorientierte Fragen zur gebauten Städteräte, Bauwirtschafts- und Designvereinigun¬
Umwelt. gen, Normenausschüsse, Behindertenverbände sowie
Vertretungen von älteren Menschen siehe Tabelle 1,
Spalte 1). Es geht um gesellschaftliche Teilhabe und
2 Sozialtheoretische Verortungen und Anwendungs¬ Chancengleichheit, Gleichberechtigung und « erfreuli¬
bezüge che Umfelder » in denen Menschen sich wohl fühlen
sollen. Die Ziele sind nicht nur aus einer Position von
2.1 Sozialer Planungsanspruch im Designverständnis Behinderten oder benachteiligten Menschen heraus
Aus einer Designphilosophie, die sich am ideellen und formuliert. Vielmehr eröffnen sich Parallelitäten zu den
gleichzeitig für alle nutzbaren, demokratischen Wert gesellschaftlichen Zielen einer nachhaltigen Siedlungs¬
eines Produkts orientiert, forderte bereits seit den entwicklung, wie sie etwa von Keiner 2004) als Indi¬
1960er Jahren der Schweizer Soziologe, Ökonom und katorensammlung für deutschsprachige Länder Euro¬
Architekturkritiker Lucius Burckhardt einen par¬ pas formuliert wurden. Das zeigt, dass das « Design für
tizipatorischen Design- Anspruch. In Anlehnung an Alle » - Konzept nicht nur als Paradigma des inklusiven
die triadische Raumkonzeption von Henri Lefebvre Designs, sondern auch als Paradigma der Inklusion
1974) unterteilt Burckhardt die Dimensionen gelten könnte.
von Design und Architektur in die Bereiche Politik,
Umwelt und Mensch Burckhardt 1980, 1995; Burck¬ Doch wendet man sich den Übersetzungen zu siehe
hardt & Internationales Design Zentrum Berlin Tabelle 1, Spalte 2 und 3), die die gesellschaftlichen
1987); diese sind vor dem Hintergrund ihrer sozialen Ziele in Massnahmen für die Planung der gebauten
Bedeutung zu verbinden: Umwelt betreffen, sowie den Kriterien zur Integration
« Design ist unsichtbar. Das beste Design einer Strassen¬ dieser Massnahmen in Prozesse, so fällt die Kluft zwi¬
bahn wäre, wenn sie auch nachts fährt! Wir sind nicht nur schen Anspruch und Umsetzung auf: Nahezu alle Mass¬
von sichtbaren Gegenständen umgeben, sondern müssen nahmen und Prozesse sind aus einer Perspektive der
den unsichtbaren Bereich, die soziale Dimension mitge¬ körperlichen Behinderung geschrieben Sicherheits¬
stalten » Burckhardt 1980: 7). technik, Eingangsgestaltung, Beleuchtung, Beschilde¬
rung für Sehbehinderte). Gerade die Frage, wer Alle
Burckhardts Überlegungen zielen vor allem auf die sind, und wie sich durch einen inklusiven, universellen
soziale Dimension ab. Deren Güte ist von den Mög¬ Gestaltungsanspruch kulturelle und soziale) Inklusion
lichkeiten der Mitgestaltung durch die Nutzenden herstellen lässt, scheint auf der Ebene der Umsetzung
Partizipation), vom Gebrauchswert eines Gegen¬ noch nicht beantwortet zu sein.
stands gemeinschaftliche Nutzung, ökonomische
Kosten) und von der ökologischen Herstellung eines Dieser Spannungsbogen zwischen gesellschaftlicher
Objekts Rohstoffverbrauch, Herstellungsbedin¬ Zielsetzung und Operationalisierbarkeit von konkre¬
gungen) abhängig vgl. Burckhardt 1995: 60f.). Im ten Massnahmen der Inklusion lässt sich auf sozialtheo¬
Rahmen der Zusammenarbeit von Burckhardt mit retischer Ebene noch weiter öffnen vgl. beispielhaft
dem Design Zentrum Berlin formulierten Planer, für Diskussionen aus dem Inklusions- Diskurs Farzin,
Architekten, Soziologen, Designer und Philosophen Opitz & Stäheli 2008). Als gesellschaftliches Konzept
Ende der 1980er Jahre ihre Ansprüche an das « Design von Zugänglichkeit proklamiert das « Design für Alle »
der Zukunft » : Dieses habe sich an den Bedürfnissen eine partizipatorische Teilhabe an Integrations- und
von Menschen unterschiedlicher Gruppen, an der Inklusionsprozessen für Alle, die für sozialtheoretische
Planungskritik durch die Nutzenden und an der Ein¬ Themenstellungen hingegen nicht operationalisiert
fachheit und Nutzbarkeit aller Designgegenstände und problematisiert werden. Aus dieser Kritik lassen
und der Architektur zu orientieren vgl. Burckhardt sich grundsätzliche Fragen ableiten, die für die zukünf¬
& Internationales Design Zentrum Berlin 1987). tige Bedeutung des Konzeptes im Rahmen einer Sozi¬
Burckhardt nimmt hier eine Vordenkerrolle ein, was altheorie beantwortet werden müssen: Wie denkt der
die Ansprüche an die Stadtentwicklung sowie die sozi¬ Anspruch « Design für Alle » soziale Ungleichheit mit?
alen Dimensionen ihrer Umsetzung angehen: Letztlich Lassen sich Heterogenität und Vielfalt durch « Design
plädiert er für einen radikal am Nutzen und an den für Alle » differenziert ausleben? Funktioniert ein am
Bedürfnissen der Menschen orientierten Designan¬ Design der gebauten Umwelt, eines Produkts oder
satz, der sich gleichzeitig als Rahmen für zukünftige einer Dienstleistung orientiertes Konzept zur Integra¬
Lebens-, Wohn- und Gesellschaftsformen versteht. tion von menschlicher Vielfalt?
Von der Barrierefreiheit für behinderte Menschen zum « Design für Alle » S. Weiss, M. Drilling, D. Blumer 259

Operationalisierung der Kriterien des « Design für Alle » - Konzepts


Gesellschaftliche Ziele des Design Massnahmen in der gebauten Kriterien zur Prozessintegration
für Alle- Konzepts Umwelt
1. Der menschlichen Vielfalt, « Ununterbrochene » Barrierefreiheit Hindernisse für Zugänglichkeit und aktive
gesellschaftlichen Teilhabe und der Teilhabe klar darstellen.
Chancengleichheit Rechnung
tragen.
2. Allen Menschen ermöglichen, Anwendung neuester Sicherheits¬ Beratungsgruppen bilden.
gleichberechtigt an allen technik
gesellschaftlichen Vorgängen
teilzuhaben.
3. Ein Instrument für nachhaltige Benutzerfreundliche horizontale und Mit Organisationen, die Menschen mit
Entwicklung und gesellschaftlichen vertikale Zugänge zu allen Etagen Behinderungen vertreten, zusammenar¬
Zusammenhalt schaffen. beiten.
4.Den Herausforderungen auf¬ Haupteingänge und - ausgänge mit Sachkenntnis zur Barrierefreiheit in Bau¬
grund der wachsenden kulturellen automatischen Türen ausstatten. projekte einbringen.
und funktionalen Unterschiede der
europäischen Bevölkerung besser
begegnen.
5. Eine für alle Seiten gewinn¬ Aufzüge mit akustischen oder Entsprechende CEN [ Ergänzung in der
bringende Situation schaffen, indem visuellen Signalen und Steuerungen vorliegenden deutschen Übersetzung: bzw.
ein für alle erfreuliches Umfeld in angemessener Höhe in den DIN- Normen] für bestimmte Bereiche
entsteht. Aufzugskabinen ausstatten. Parkplätze), Geräte z. B. Aufzüge, Fahr¬
treppen oder Fahrsteige) undWerkstoffe
z. B. tastbare Beläge) zu Rate ziehen oder

die Übereinstimmung mit ihnen prüfen.


6. In unterschiedlichen Bereichen Beschilderungen in Gebäuden so « Behindertengerechte » Entscheidungs¬
ein Umfeld schaffen, das sich jeweils anbringen, dass sie Menschen mit findung zur Norm machen, um praktische
anräumliche und zeitliche Sehbehinderung nicht diskrimi¬ und durchführbare Empfehlungen für ein
Anforderungen anpassen lässt. nieren. zugängliches Umfeld zu erarbeiten.
7.Neue und interessante Beleuchtung soll für das Lesen von Fallstudien zur Zugänglichkeit durch¬
Entwicklungen auf dem Markt Beschilderungen unter allen führen, um darzustellen, was mit sorg¬
meistern, mehr Verbraucher Bedingungen ausreichend sein. fältiger Überlegung und Kompromiss¬
gewinnen und grössere wirtschaft¬ bereitschaft erreicht werden kann
liche Chancen entstehen lassen.
Optimierung vonVerkehrsanschlüs¬
sen über den öffentlichen Personen¬
nahverkehr zu allen Gebäuden

Tab.1: Operationalisierung der Kriterien des « Design für Alle » - Konzepts

Operationalization of criteria in the « Design for All » concept


Mise en oeuvre des critères du concept « Design pour tous »
Quelle: « Build for All » Projektpartner 2006: 16 sowie 47- 48

2.2 Der Brückenschlag zur sozialen Nachhaltigkeit z. B.mit dem Ziel, « hohe Alltagstauglichkeit der bau¬
Angesichts dieser Fragen wird vorgeschlagen, eine lichen Strukturen für alle gesellschaftlichen Gruppen »
Verknüpfung zu der Diskussion herzustellen, die sich Stadt Linz 2004) zu gewährleisten. Baulich umge¬
um die Operationalisierung der sozialen Nachhal¬ setzt wird sie beispielsweise durch Zugänge vor allem
tigkeit für die Siedlungsentwicklung bemüht. Denn zu Gebäuden und Freiflächen nicht nur für Behin¬
auch Hindernis- und Barrierefreiheit gilt in den vor¬ derte, sondern z. B. auch für Familien mit kleinen Kin¬
handenen siedlungsbezogenen Bewertungssystemen dern oder ältere Menschen.
zur sozialen Nachhaltigkeit als eines der Leitkriterien
vgl. Drilling & Blumer 2009). Sie wird begründet Durch die Verknüpfung der Konzepte « Design für
260 Geographica Helvetica Jg. 65 2010/ Heft 4

Alle » und « Soziale Nachhaltigkeit » wird zweierlei hin zur Planung und Realisierung der neuen Siedlung
erreicht: Zum einen wird das Thema Barriere- und Werdwies wurde mit einer professionellen Prozessbe¬
Hindernisfreiheit aus seiner Defizitorientierung und gleitung, mit sozialer Unterstützung für die Umsied¬
kompensatorischen Aufgabe herausgehoben und in lung der Mieter, mit der temporären Umnutzung der
einen umfassenderen umsetzungsorientierten Kontext leer werdenden Wohnungen als Künstlerateliers und
von sozialer Nachhaltigkeit eingebettet. Zum anderen mit anspruchsvollen Vorgaben für den Ersatzneubau
wird die Diskussion um soziale Nachhaltigkeit um den umgesetzt vgl. Stadt Zürich, Amt für Hochbauten
Theorieentwurf des « Design für Alle » bereichert und und Liegenschaftenverwaltung 2008).
so aus ihrer weitgehenden Theorielosigkeit herausge¬
führt. Die Bemühungen, die unterschiedlichen Nutzeran¬
sprüche im Sinne der sozialen Nachhaltigkeit) bzw.
Wie kann diese Verknüpfung konkret gezeigt werden? die Definition von « Alle » im Sinne des « Design für
Wo zeigen sich in Projekten zur Siedlungsentwicklung Alle » zu konkretisieren, fand sich dann auch im Aus¬
jene Ansätze, die im Sinne eines « Design für Alle » - lobungstext für den Architekturwettbewerb Stadt
Konzepts interpretiert werden können und zukünfti¬ Zürich, Amt für Hochbauten 2001). Beispielsweise
gen Planungsvorhaben ein neues Verständnis weisen? wurde als Anforderung für die teilnehmenden Planer¬
Die folgenden Beispiele von Wohnsiedlungen, die im teams formuliert:
Rahmen einer international vergleichenden Studie zur « Möglichst viele Zimmer sind nutzungsneutral zu projek¬

sozialen Nachhaltigkeit untersucht wurden Drilling tieren, damit sie bedürfnisgerecht genutzt werden können
& Blumer 2009; Weiss, Drilling & Blumer 2010) () Möglichst viele Wohnungen sollen behindertenge¬
und Stadtteile in Zürich Siedlung Werdwies) sowie recht erreichbar sein. Diese Wohnungen sollen zudem im
Freiburg i. Br. Rieselfeld) umfassen, sollen dies ver¬ Bedarfsfall den Bedürfnissen von Behinderten angepasst
deutlichen. werden können () Auf eine zweckmässige Zuordnung
von Gebäude- und Aussenraumnutzung ist zu achten.
2.3 « Design für Alle »
im Kontext städtischer Sied¬ Erwartet werden einprägsame und identitätsstiftende
lungsplanung Siedlung Werdwies, Zürich Freiräume und Spielflächen » Stadt Zürich, Amt für
Die städtische Wohnsiedlung Werdwies befindet sich Hochbauten 2001).
im Quartier Grünau am westlichen Stadtrand der
Stadt Zürich Kreis 9). Eine aus den 1950er Jahren Mit Fokus auf das städtebauliche Konzept erweist
stammende Siedlung musste der 2006 fertig gestell¬ sich die Siedlung Werdwies mehr als eine Art eigener
ten Siedlung 152 Wohnungen für ca. 500 Bewohner Stadtteil, der nicht explizit für Bewohner mit bestimm¬
in sieben Punkthäusern) weichen. Die Werdwies stellt ten Bedürfnissen, einer sozialen Benachteiligung oder
den ersten Ersatzneubau der Stadt Zürich in dieser einer körperlichen Behinderung geplant wurde, bei
Grösse dar. dem gleichzeitig aber viele Aspekte des « Design für
Alle » - Konzepts in der Planung berücksichtigt wurden:
Das Quartier Grünau besitzt alle Merkmale eines Es gibt heute keine Schwellen bei den Übergängen auf
« Quartiers mit besonderen Entwicklungsanforde¬ die Strassen, innerhalb der Siedlung sind alle Haus¬
rungen » : eine Bewohnerstruktur, die von niedrigen eingänge ebenso schwellen- und barrierefrei. Die
Einkommen und einem erhöhten Anteil an Arbeits¬ Wohnungsgrundrisse variieren zwischen 2,5 und 6,5
losen geprägt ist. Etwa die Hälfte der Bewohner sind Zimmergrössen die meisten davon familiengerechte
Ausländer, was ca. ein Drittel über dem städtischen 4,5- Zimmerwohnungen) mit breiten Loggien als pri¬
Schnitt liegt. Im gesamten Quartier gibt es überdurch¬ vate Aussenräume, sie sind in jedem Haus barrierefrei
schnittlich viele Haushalte mit Kindern vgl. Stadt und mit einem Lift erreichbar.
Zürich, Präsidialdepartement 2008). Bis in die
1990er Jahre stellte die Vorgängersiedlung der Werd¬ Die Aussenräume in der Siedlung und die Erdge¬
wies ein schlechtes Verhältnis bezüglich sanierungs¬ schosse aller sieben Punkthäuser lassen öffentliche,
fälliger Bausubstanz, Langzeitarbeitslosigkeit und halböffentliche und private Nutzungen zu und bieten
sozialer Durchmischung dar, was in der Planung des Raum für gemeinsame Waschküchen, Kindergarten,
Ersatzneubaus besonders berücksichtigt werden sollte Hort, Einkaufs- und Gewerbeläden, Ateliers und ein
Econcept AG 2004). Bistro. Somit wurden niederschwellige Begegnungs¬
orte geschaffen und soziale Unterstützungsmöglich¬
Der Abbruchentscheid für die Siedlung aus den 1950er keiten für Bewohner der Siedlung gefördert. Die
Jahren wurde auf einem breit abgestützten Workshop Vorgaben im Auslobungstext) der sozialen Durch¬
1998 auf Initiative politischer Vertreter der Stadt Zürich mischung und der Nutzungsvielfalt als Leitideen einer
zusammen mit Interessenvertretern und Stakeholdern sozial nachhaltigen Siedlungsentwicklung werden in
aus dem Quartier einstimmig beschlossen. Das pro¬ der Werdwies durch die Funktionen der Architektur,
zesshafte Vorgehen vom Entscheid des Abbruchs bis die Wohngrundrisse, durch subventionierte Wohnun-
Von der Barrierefreiheit für behinderte Menschen zum « Design für Alle » S. Weiss, M. Drilling, D. Blumer 261

Raumplanerische/ städtebauliche Entscheide Architektonische Entwürfe


Ebene Siedlung Ebene Gebäude
BarrierefreieWege durch die Siedlung sowie an Gemeinschaftliche Räume in allen Erdgeschossen
angrenzende Strassen undWege öffentliche Platz- Waschküchen, Gemeinschaftsraum), öffentliche Räume
Trottoir- Situationen) Einkaufsläden, Gewerberäume), halböffentliche Räume
Ateliers, Kinderkrippe, Hort)
NutzerorientierteWege- und Gebäudeführung durch Barrierefreie Zugänge zu allen Häusern, Aufzüge zu allen
einsehbare Erdgeschosse in alle Hauseingänge und Geschossen
Räume in den Erdgeschossen
Barrierefreie Zugänge zu den öffentlichenVerkehrs¬ Anteil an behinderten- und rollstuhlgerechten
mitteln Tram, Bus), motorisiertem Individualverkehr Wohnungen
Tiefgarage und Behinderten- Parkplätze in der Siedlung)
und Carsharing Mobility)

Tab. Aspekte des « Design für Alle » in der Siedlung Werdwies


2:

Aspects of « Design for All » in the Werdwies housing development, Zurich

Certains aspects de « Design pour tous » dans le lotissement Werdwies


Quelle: eigene Darstellung

gen sowie gemeinsame Nutzung der Erdgeschosse allem die soziale Interpretation des verkehrsplaneri¬
und Aussenräume gewährleistet: Das Konzept der schen Konzepts « Stadtteil der kurzen Wege » interes¬
Siedlung kann dabei als ein « Design für Alle » - Beispiel sant. Dieses Konzept verstand sich ursprünglich als
stehen, da es die Barriere- und Hindernisfreiheit für Antwort auf die jahrzehntelange Dominanz des Auto¬
eingeschränkte Menschen nicht explizit deklariert, mobils und die Gleichsetzung von Mobilität mit Fle¬
sondern als integralen Bestandteil einer städtischen xibilität und Modernität und beinhaltete Massnahmen
Siedlung umgesetzt hat Tab. 2, Abb. 1). zur Verbesserung der Siedlungsstrukturen in Bezug
auf Nähe zum Arbeitsplatz und den Versorgungsein¬
2.4 « Design für Alle » im Kontext eines inklusiven, richtungen), um den motorisierten Individualverkehr
partizipatorischen Verkehrskonzepts Stadtteil zu verringern.
Freiburg- Rieselfeld
Der Stadtteil Rieselfeld entstand im Zusammen¬ Im Planungsprozess Freiburg- Rieselfeld wurde das
hang mit der gegen Ende der 1980er Jahre manife¬ Konzept von seiner engen Fokussierung auf die Ver¬
sten städtischen Wohnungsnot. Anfang der 1990er kehrsmobilität ausgeweitet zu einem Generalansatz
Jahre hatte Freiburg das höchste Mietniveau in für eine akteursorientierte Mobilitätsplanung. Den
Baden- Württemberg. Da die Einkommensentwick¬ Bewohnern des Stadtteils sollte somit unabhängig
lung der Mietpreisentwicklung nicht in gleichem ihres Alters, ihrer sozialen oder kulturellen Herkunft
Masse folgte, wies die Stadt den höchsten Anteil an oder etwaiger Mobilitätseinschränkungen eine opti¬
Wohngeldempfängern in Baden- Württemberg auf. male Anbindung an die Infrastruktur des Stadtteils
Laut Angaben des Amtes für Wohnungswesen stan¬ Versorgung, Freizeit, Bildung) ermöglicht werden.
den « 2500 Haushalte mit fast 6000 Personen » auf
der Warteliste der Härtefälle für Sozialwohnungen Die Entwürfe zu einem Wegenetz quer durch den
Drilling & Blumer 2009: 66). gesamten Stadtteil wurden hierzu als zentral angese¬
hen. Heute durchziehen neben den Strassen für den
Die Erweiterung der Stadt Freiburg um den Stadtteil motorisierten Individualverkehr sowie den öffent¬
Rieselfeld rund 80 ha), das Erstellen von rund 3500 lichen Verkehr unabhängig voneinander liegende
Wohneinheiten für etwa 10000 Einwohner wurde von Wegenetze für den Langsamverkehr Fuss- und Fahr¬
Beginn an unter dem Titel « nachhaltige Stadtent¬ radwege) den gesamten Stadtteil. Dabei gilt, dass
wicklung » geführt und sollte nicht nur in Bezug auf - Wege zum Flanieren und Durchstreifen für Kinder

die Niedrigenergiebauweise, sondern auch in sozialer und Erwachsene dazu beitragen sollen, dass sich
Hinsicht wegweisend sein. Bewohner nicht nur im eigenen Blockinnenhof auf¬
halten soziale Mischung),
Für die hier verhandelte Verknüpfung des « Design für - möblierte Plätze oder grössere Grünflächen als
Alle » - Konzepts mit der sozialen Nachhaltigkeit ist vor Netzknoten fungieren,
262 Geographica Helvetica Jg. 65 2010/ Heft 4

Foto 1: Wohnsiedlung Werdwies: Zugänglichkeit und


niederschwellige Begegnungsmöglichkeiten durch einen
städtebaulichen Planungsanspruch
Werdwies housing development: accessibility and open
meeting areas in accordance with urban planning policy
Lotissement de Werdwies: un aménagement urbain facili¬
tant laccessibilité et les possibilités de rencontres

Foto 2: Nutzungsmischung in allen Erdgeschossen der


sieben Wohnhäuser in der Werdwies hier: die Kinder¬
krippe)
Utilization mix of all ground level spaces in the seven resi¬
dential blocks in Werdwies here, the day- care center)
Mixité dusages à tous les rez- de- chaussée des sept maisons
dhabitation du lotissement de Werdwies ici la crèche)

Foto 3: Durchgängie Barrierefreiheit in allen öffentli¬


chen und halböffentlichen Räumen sowie in den privaten
Innen- und Aussenbereichen der Wohnungen
Completely accessible spaces in public and semi- public
areas, as well as within and without private apartments
Accessibilité constante à tous les espaces publics et semi¬
publics de même quaux parties intérieures et extérieures
privées des logements

Foto 4: Freiraumkonzept und Erdgeschossnutzung: bar¬


rierefreie Wege durch die Siedlung, an alle angrenzenden
Strassen sowie in alle gemeinschaftlichen und privaten
Hauseingänge
Open space concept and ground level utilization: freely
accessible paths leading through the housing development to
adjacent streets and to all communal and private entrances
Concept despace libre et utilisation du rez- de- chaussée:
chemins libres daccès à travers le lotissement, dans toutes
les rues voisines et dans toutes les entrées privées ou com¬
munes menant aux maisons

Abb. 1: Umsetzung des « Design für Alle » - Konzepts in der Siedlung Werdwies/ Zürich
Realization of the « Design for All » concept in the Werdwies housing development, Zurich
Mise en oeuvre du concept « Design pour tous » dans le lotissement de Werdwies Zurich)
Fotos: S. Weiss
Von der Barrierefreiheit für behinderte Menschen zum « Design für Alle » S. Weiss, M. Drilling, D. Blumer 263

-durch die Wegenetze für den Langsamverkehr Schu¬ Hindernisfreiheit in der gebauten Umwelt eingeflos¬
len und Kindergärten, aber auch die Einrichtun¬ sen. Der Umstand, dass das « Design für Alle » - Konzept
gen des täglichen Bedarfs Einkaufen) erschlossen im europäischen Raum vor allem aus dem Diskurs der
werden Abb. 2). Einschränkung, Behinderung oder Benachteiligung
von bestimmten Gruppen heraus entstanden ist, soziale
Ein solches, im Rahmen der Inklusionsprämisse erar¬ Nachhaltigkeit hingegen nur am Rande auf konkrete
beitetes « Verkehrskonzept » wäre ohne einen umfang¬ Fragen der Siedlungs- und Stadtgestaltung angewendet
reichen Beteiligungsprozess kaum möglich gewesen. wurde, mag erklären, weshalb die beiden Perspektiven
Analog zum Fallbeispiel Werdwies Zürich) zeigt sich auch heute weitgehend unverbunden nebeneinander
auch hier, dass die Frage nach dem « Wer sind Alle » existieren.
im Rahmen eines Kommunikationsprozesses mit
unterschiedlichen Anspruchsgruppen zu beantwor¬ Die Verknüpfung des « Design für Alle » - Konzepts
ten versucht wurde siehe Abbildung 3). Bereits 1991, mit der Diskussion über soziale Nachhaltigkeit geht
also vier Jahre bevor die erste Baumassnahme begann, über die Behindertenthematik weit hinaus: Als ein am
wurden über die Gründung eines Bürgerbeirates, Produkt und an der Nutzerfreundlichkeit lösungsori¬
verschiedener bürgernaher Arbeitsgruppen sowie entiertes Konzept strebt das « Design für Alle » nach
einer interdepartementellen Stelle alle relevanten gesellschaftlicher Vielfalt durch heterogene Nutzer¬
Interessensvertretungen einbezogen. Hier konnten gruppen. Allerdings fehlen dem Konzept operationa¬
die Forderungen von Bürgerinitiativen für familien¬ lisierbare Kriterien, wie soziale Inklusionsmechanis¬
freundliche Quartiere ebenso artikuliert werden wie men und Partizipationsmöglichkeiten möglichst aller
von Behindertenverbänden, kirchlichen Hilfswer¬ Akteure dauerhaft in einen Planungsprozess integriert
ken oder Wohnbauträgern. Und auch im Prozess des und implementiert werden können.
städtebaulichen Wettbewerbs ging die Stadt Freiburg
neue Wege: Vertreter aus zehn Institutionen sowie Die Verknüpfung des « Design für Alle » - Konzepts mit
der evangelischen und katholischen Kirchgemeinde Kriterien sozialer Nachhaltigkeit zeigt sich an den
wurden als Berater in die Jury gewählt und konnten Fallbeispielen der Siedlungen Werdwies und Riesel¬
so an der Auswahl der eingereichten städtebaulichen feld: Im Vordergrund stehen nicht die Zugänglichkei¬
Ideen mitwirken. ten für behinderte und eingeschränkte Menschen, son¬
dern die Zugänglichkeit, die Einfachheit der Nutzung,
Hier wird eine weitere Verknüpfung zwischen den die Partizipation in allen Bereichen alltäglichen Woh¬
Konzepten « Design für Alle » und « soziale Nachhal¬ nens und Fortbewegens; das Ermöglichen von Vielfalt
tigkeit » deutlich: Beide versuchen, der Heterogenität ist Teil der Siedlungskonzepte und kommt somit allen
und Vielfalt gerecht zu werden bzw. der Funktion eines Bewohnern zugute.
am Design der gebauten Umwelt orientierten Konzep¬
tes zur Integration von menschlicher Vielfalt zu ent¬ Lösungen für die gebaute Umwelt, die Benach¬
sprechen. Mit dieser Frage schliesst sich das « Design teiligung und damit bestehende Differenzen nicht
für Alle » - Konzept wiederum neueren Governance- verstecken, sondern vielmehr als Normalität einer
Ansätzen in der Nachhaltigkeitsdebatte an so z. B. heterogenen Gesellschaft in gestalterische Lösungen
der Regimetheorie, siehe Drilling 2009). Regime, die einbauen, stellen sich auch dem Anspruch « Design
integrativ wirken, indem sie versuchen, die Breite der für Alle » als Paradigma der gesellschaftlichen Vielfalt.
Nutzenden und ihre Ansprüche frühzeitig in formelle In den Fallbeispielen zeigt sich, dass die Akzeptanz
und informelle Planungsprozesse einzubinden, dürfen von Bewohnern und Nutzenden besonders gross ist,
dabei auch im « Design für Alle » - Konzept am ehesten wenn es neben der Ausweitung der Anspruchsgrup¬
in der Lage sein, den formulierten Anspruch einzulö¬ pen gelingt, spezifische Zugänglichkeitsmassnahmen
sen, eine gebaute Umwelt herzustellen, die allen Men¬ nicht als solche herausstechen zu lassen, sondern als
schen gleiche Chancen ermöglicht, so dass jeder an Teil eines übergeordneten Ganzen zu planen. Dies
jedem Aspekt der Gesellschaft partizipieren kann. wird beispielsweise an der barrierenfreien Gestaltung
der beiden Siedlungen deutlich, die alle öffentlichen,
teilöffentlichen und privaten Räume gleichermas¬
3 Resümee sen umfasst. Diese Gestaltungsform erleichtert zwar
unterschiedlichen Gruppen die Zugänglichkeit, zielt
Die Konzepte « Design für Alle » und « soziale Nach¬ aber wie in den Wettbewerbsprogrammen konkret
haltigkeit » wurden erst in den 1990er Jahren entwic¬ gefordert auch explizit auf die Inklusion körperlich
kelt. Ohne sich direkt aufeinander zu beziehen, sind behinderter Menschen ab.
die mit diesen Konzepten verbundene Überlegungen
in die von Nation zu Nation weitgehend eigenständig Indem Barrierefreiheit auch in die architektonische
geführte Diskussion um Zugänglichkeit, Barriere- oder Gestalt der Siedlung einfliesst, wird sie nicht als eine
264 Geographica Helvetica Jg. 65 2010/ Heft 4

Foto 1: Masterplan Rieselfeld: Zugänglichkeit und nieder¬


schwellige Begegnungsmöglichkeiten durch unabhängig
voneinander funktionierende Wegenetze motorisierter
Individualverkehr, öffentlicher Verkehr, Langsamver¬
kehr, Streifwege)
Masterplan Rieselfeld: accessibility and open space meet¬
ing points ensured by independently functioning traffic
networks motorized individual transport, public trans¬
port, non- motorized traffic and pedestrian crossings)
Masterplan de Rieselfeld: accessibilité et possibilité de ren¬
contres à travers des réseaux fonctionnels indépendants les
uns des autres transport motorisé individuel, transports
publics, mobilité douce, chemins piétonniers)

Foto 2: Unterschiedlich möblierte öffentliche Anlagen


fungieren als Knotenpunkte der Wegenetze
Uniquely « furnished » public spaces mark the junction of
traffic networks
Différentes installations publiques fonctionnant comme
des noeuds dans les réseaux de chemins

Foto 3: Durchgängige Barrierefreiheit in allen öffentli¬


chen und halböffentlichen Räumen hier Langsamver¬
kehr)
Integrated accessibility in all public and semi- public spaces
here for non- motorized traffic)
Accessibilité constante dans tous les espaces publics et
semi- publics ici la mobilité douce)

Foto 4: Barrierefreie Wege durch die Siedlung hier


Streifwege für Kinder)
Accessible routes through the development here paths for
the children)
Chemins accessibles à tous à travers le lotissement ici che¬
mins pour les enfants)

Abb. Umsetzung des « Design für Alle » - Konzepts im Stadtteil Rieselfeld Freiburg i. Br.), Deutschland
2:

Implementation of the « Design for All » concept in the urban district of Rieselfeld Freiburg Br.), Germany
Mise en oeuvre du concept « Design pour tous » dans le quartier de Rieselfeld Fribourg- en- Brisgau), Allemagne
Fotos: Projektgruppe Rieselfeld, Stadtverwaltung Freiburg Fotos 1 und 2); M. Drilling Fotos 3 und 4)
Von der Barrierefreiheit für behinderte Menschen zum « Design für Alle » S. Weiss, M. Drilling, D. Blumer 265

»/ V.
e.
Glashaus
K.
Gewerbeverein S.
O.
« I. Stadtteilgruppen

K.
Jugendarbeit
verschiedenerVereine,

SvO, Beirat
K.
Stadtteiltreffs

mit
V.
- S.
O. 2005

e.
Ort
I. und
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K. des ab
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Verein 2003
Bewohner

Kinder-
Träger
Sport
wechselndenArbeitsgruppen

2002 Gründung ab
der K.
Arfo) B.
2002 1997
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4
Quartiersarbeit

S.
1996
- -
Arbeitskreise BürgerInnen-

1996 Rieselfelder

1999
O.
Phase
Einzug 9/ 1996 I. 1996
Foren Brisgau)

ab ab K. ab
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Br.)
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i. Fribourg-

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Freiburg
Ent¬
des
V. Freiburg

e.
Vereinsgründung

Bürgergemein¬ zur Rieselfeld

wicklung Stadtteils

schaft Rieselfeld
1994
Erschliessungsbeginn

1996 Rieselfeld
de
3
- / of quartier

/
Phase
1993
district

Institutionen
Stadtteil
le
Verwaltung
dans

im urban

Umfassende
/ the

1993 Quartierarbeit
in communautaire

2
-
Städtebaulicher

Gemeinderat
Partizipation

Verbände
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Entwurf
Phase 1992
1992

zur
travail
community

Bürgerbeirat

au

Bürgerbeteiligung
to
citoyenne
1993

-
1991
participation

Fragebogenaktion Bürgerschaft

der
1 Wettbewerb
Auslobgruppe

Wettbewerb participation

Phase Von citizen


1991
in 3:
la
Abb. From
De
266 Geographica Helvetica Jg. 65 2010/ Heft 4

gruppenspezifische Ermöglichungsstrategie zelebriert, lichkeit. ECA für Verwaltungen. Berlin: Nordbahn


sondern manifestiert sich vielmehr als Ausdruck einer GmbH, www. design- fuer- alle. de 15.3.2010.
zeitgenössischen Architektur. Die dem Design mit European Concept for Accessibility Network -
zugrundeliegenden, inkludierenden Vorgaben werden EUCAN [ 2003]: www. eca. lu/ 6.4.2010.
dadurch im Sinne der Buckhardtschen Designtheo¬ Farzin, S., Opitz, S. & U. Stäheli Hrsg.) 2008): Inklu¬
rie unsichtbar. Mithilfe eines solchen Planungsan¬ sion Exklusion: Rhetorik Körper Macht. Soziale
spruchs wird die Siedlung dann nicht als eine explizit Systeme. Zeitschrift für Soziologische Theorie 14, 2,
inkludierende Siedlung in der Stadt, sondern als ein Stuttgart: Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft.
primär zeitgenössisch gestaltetes Stück von der Stadt Grossmann, H. 2007): Barrierefreie Umweltgestal¬
und als Siedlung mit einer heterogen zusammenge¬ tung für seh- und hörgeschädigte Menschen. Probleme,
setzten Bevölkerung wahrgenommen. Damit wird Standards, Entwicklungen. In: Leidner, R., Neu¬
auch verdeutlicht, wie sinnhaft es ist, die beiden bisher mann, P. & M. Rebstock Hrsg.): Von Barrierefreiheit
getrennten Diskurse Barrierefreiheit bzw. « Design zum Design für Alle. Erfahrungen aus Forschung und
für Alle » einerseits und soziale Nachhaltigkeit ande¬ Praxis. Arbeitsberichte der Arbeitsgemeinschaft für
rerseits) zukünftig stärker zusammenzuführen. Angewandte Geographie Münster e. V., Heft 38: 73-
83.
Herwig, O. 2008): Universal Design. Lösungen für
Literatur einen barrierefreien Alltag. Basel, Boston, Berlin:
Aragall, 2007): Von der barrierefreien Gestal¬
F. Birkhäuser.
tung zur Stadt für Alle » in Barcelona: Vorbild und
« Internationales Design Zentrum Berlin e. V.
Vorreiter im Design für Alle. In: Leidner, R., Neu¬ Hrsg.) 2008): Universal Design. Berlin: Das Druck¬
mann, P. & M. Rebstock Hrsg.): Von Barrierefreiheit team Berlin.
zum Design für Alle. Erfahrungen aus Forschung und Keiner, M. 2004): Planungsinstrumente einer nach¬
Praxis. Arbeitsberichte der Arbeitsgemeinschaft für haltigen regionalen Raumentwicklung. Indikatoren¬
Angewandte Geographie Münster e. V., Heft 38: 99- basiertes Monitoring und Controlling in der Schweiz,
107. Österreich und Deutschland. Zürich: ETH Zürich,
« Build for All » Projektpartner Hrsg.) 2006): Habilitationsschriften.
Bauen für Alle. Förderung der Zugänglichkeit für Alle Kobs, M. & H. Willenbrink 2007): Das EU- Projekt
in der baulichen Umwelt. Leitfaden. www. build- for¬ « Build for All » Umsetzung von Barrierefreiheit und

all. net 15.3.2010. Design for All durch das deutsche Vergaberecht. In:
Burckhardt, L. 1980): Wer plant die Planung? Archi¬ Leidner, R., Neumann, P. & M. Rebstock Hrsg.): Von
tektur, Politik, Mensch. Kassel: Martin Schmitz Barrierefreiheit zum Design für Alle. Erfahrungen aus
Verlag. Forschung und Praxis. Arbeitsberichte der Arbeits¬
Burckhardt, L. 1995): Design unsichtbar. Ostfil¬ gemeinschaft für Angewandte Geographie Münster
dern: Cantz. e. Heft 38: 37- 46.
V.,
Burckhardt, L. & Internationales Design Zentrum Lefebvre, H. 1974): La production de lespace. Paris:
Berlin 1987): Design der Zukunft. Architektur. Tech¬ Galliamard.
nik. Ökologie. Berlin: IDZ. Leidner, R., Neumann, P. & M. Rebstock Hrsg.)
Drilling, M. 2009): Verstetigung in der nachhalti¬ 2007): Von Barrierefreiheit zum Design für Alle.
gen Quartiersentwicklung. Eine Analyse aus Sicht der Erfahrungen aus Forschung und Praxis. Arbeitsbe¬
Urban Regime Theory. In: Geographica Helvetiva richte der Arbeitsgemeinschaft für Angewandte Geo¬
64, 4: 208- 217. graphie Münster e. V., Heft 38.
Drilling, M. & D. Blumer 2009): Die soziale Dimen¬ Neumann, B. & M. Rebstock 2008): Eine Stadt für
sion nachhaltiger Quartiere und Wohnsiedlungen. Alle. One City for All. In: Internationales Design
Theoretische Verortung Kriterienliste und Bewer¬ Zentrum Berlin e. V. Hrsg.): Universal Design.
tungssysteme. Mit dem Fallbeispiel Freiburg Rieselfeld. Berlin: Das Druckteam Berlin: 73- 85.
Zwischenbericht zuhanden des Bundesamts für Woh¬ Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministe¬
nungswesen. Basel: Fachhochschule Nordwestschweiz, rium des Innern Hrsg.) 2006): Barrierefreies und
Institut Sozialplanung und Stadtentwicklung. integriertes Wohnen. Forschungsbericht zur Nachun¬
Econcept AG 2004): Nachhaltige Quartierentwicklung tersuchung ausgewählter Projekte aus Modellvorha¬
BaLaLuZ. Schlussbericht Quartier Grünau/ Siedlung ben und Landeswettbewerb. Dachau: Rother Druck.
Bernerstrasse/ Werdwies, Zürich, Phase 1. Zürich. Rebstock, M. 2007): Verkehrsraumgestaltung für
EIDD- Design for all Europe [ seit 1993]: www. desi¬ Alle! Auch für Fußgänger?! In: Leidner, R., Neu¬
gnforalleurope. org/ 22.2.2010. mann, P. & M. Rebstock Hrsg.): Von Barrierefreiheit
Europäisches Institut Design für Alle in Deutsch¬ zum Design für Alle. Erfahrungen aus Forschung und
land e. V. EDAD) 2008): European Concept for Praxis. Arbeitsberichte der Arbeitsgemeinschaft für
Accessibility/ Europäisches Konzept für Zugäng¬ Angewandte Geographie Münster e. V., Heft 38: 59- 72.
Von der Barrierefreiheit für behinderte Menschen zum « Design für Alle » S. Weiss, M. Drilling, D. Blumer 267

Rudolph, N. 2007): Verkehrsraumgestaltung für Alle? ausgesprochen inklusiven Anspruch verbunden und
Anforderungen und Beispiele aus der Praxis. In: deshalb an andere Diskurse, wie z. B. den der sozialen
Leidner, R., Neumann, P. & M. Rebstock Hrsg.): Von Nachhaltigkeit anschlussfähig. An den Beispielen Frei¬
Barrierefreiheit zum Design für Alle. Erfahrungen aus burg i. Br. Rieselfeld) und Zürich Werdwies) kann
Forschung und Praxis. Arbeitsberichte der Arbeits¬ gezeigt werden, wie sich das Konzept als produkt- und
gemeinschaft für Angewandte Geographie Münster lösungsorientierte Fokussierung in die Planung inte¬
e. V., Heft 38: 85- 87. grieren lässt und wie Zugänglichkeit, Einfachheit der
Rüter, D. 2007): Auf dem Weg zu einer barrierefreien Nutzung und Partizipation die Vielfalt als Ziel eines
Stadt für Alle. Handlungsansätze in Münster. In: Siedlungskonzeptes unterstützen und dadurch allen
Leidner, R., Neumann, P. & M. Rebstock Hrsg.): Bewohnern zugute kommen.
Von Barrierefreiheit zum Design für Alle. Erfahrungs¬
berichte aus Forschung und Praxis. Arbeitsberichte Schlüsselwörter: Siedlungsentwicklung, Barrierefrei¬
der Arbeitsgemeinschaft für Angewandte Geographie heit, Behinderung, Designtheorie, soziale Nachhaltig¬
Münster e. V., Heft 38: 109- 117. keit
Schweizerischer Verband für Wohnungswe¬
sen SVW, Sektion Zürich Hrsg.) 2008): Wohnen Summary: From « accessibility for people with dis¬
morgen Standortbestimmungen und Perspektiven abilities » to « Design for All » in sustainable settle¬
des gemeinnützigen Wohnungsbaus. Zürich: Verlag ment development and urban planning
Neue Zürcher Zeitung. Since the mid 1990s the design philosophy « Design for
Stadt Linz, Baudirektion des Magistrats 2004): All » follows the social political aim to define barrier¬
LES! Linz entwickelt Stadt. Kriterien für eine nach¬ free accessibility no longer solely from the perspective
haltige Stadtentwicklung. Linz. of disabilities and limitations. Instead, « Design for
Stadt Zürich, Amt für Hochbauten 2001): Wett¬ All » seeks to give equal opportunities to all people
bewerbsprogramm: Wohnüberbauung Bernerstrasse no matter what their limitations, sex, age, or social and
Zürich- Altstetten. Zürich. cultural backgrounds are, so that everyone can partici¬
Stadt Zürich, Amt für Hochbauten und Liegen¬ pate in every aspect of society. For settlement planning,
schaftenverwaltung Hrsg.) 2008): Wohnsiedlung the « Design for All » concept is expressly connected
Werdwies. Städtische Peripherie als urbaner Lebens¬ with social inclusion, which means that it is relevant to
raum. Zürich: Verlag Niggli. other discourses, such as the social sustainability dis¬
Stadt Zürich, Präsidialdepartement 2008): Quar¬ course. Taking two examples Freiburg Rieselfeld)
tierspiegel Altstetten. Zürich. in Germany and Zurich Werdwies) in Switzerland
Stofer, B. 2009): « Hindernisfrei » statt « behinderten¬ it is shown how the concept can be integrated into
gerecht » In: Wohnen 12/ 2009: 37. planning as a product- and solution- oriented focus and
United Nations [ 2006]: Convention on the Rights of how accessibility, simplicity of use, and participation
Persons with Disabilities. http:// www. un. org/ disabili¬ support diversity as the goal of a settlement concept
ties/ 22.2.2010. and thus provide benefits to all residents.
Weiss, S., Drilling, M. & D. Blumer 2010): Die soziale
Dimension nachhaltiger Quartiere und Wohnsiedlun¬ Keywords: settlement planning, accessibility, disabili¬
gen. Teilbericht Zürich- Werdwies. Soziale Prozesse und ties, design philosophy, social sustainability
nachhaltige Handlungen zur Transformation eines
Quartiers. Basel: Fachhochschule Nordwestschweiz, Résumé: Accessibilité aux personnes handicapées et
Institut Sozialplanung und Stadtentwicklung. concept de « Design pour tous » : enjeux pour un déve¬
loppement de lhabitat et un aménagement urbain
durables
Zusammenfassung: Von der Barrierefreiheit für Depuis le début des années 1990, la philosophie
behinderte Menschen zum « Design für Alle » in der « Design pour tous » a pour objectif socio- politique
nachhaltigen Siedlungsentwicklung und Stadtplanung de définir laccessibilité non plus seulement du point
Seit Mitte der 1990er Jahre wird über das « Design für de vue des handicaps et des limitations. « Design pour
Alle » - Konzept der sozialpolitische Anspruch formu¬ tous » cherche au contraire à donner des chances égales
liert, Barriere- und Hindernisfreiheit nicht mehr allein à chacun, quelles que soient ses limitations, son sexe,

aus einer Perspektive der Behinderung und Einschrän¬ son âge ou ses caractéristiques sociales et culturelles,
kung zu definieren. Vielmehr soll allen Menschen de sorte que tout le monde puisse participer à len¬
unabhängig ihrer Einschränkungen, ihres Geschlechts semble des aspects de la société. En matière de pla¬
oder Alters, ihrer sozialen oder kulturellen Herkunft nification de lhabitat, le concept « Design pour tous »
gleiche Chancen eröffnet werden, so dass jede Person sadresse tout particulièrement à linclusion sociale et
an jedem Aspekt der Gesellschaft partizipieren kann. de ce fait savère pertinent en matière de durabilité
Für die Siedlungsplanung ist das Konzept mit einem sociale. Sappuyant sur les deux exemples de Fribourg-
268 Geographica Helvetica Jg. 65 2010/ Heft 4

en- Brisgau Rieselfeld) et de Zurich Werdwies), lar¬


ticle montre comment le concept peut être intégré à
laménagement, tant du point de vue des produits que
des solutions, et comment laccessibilité, la simplicité
dusage et la participation encouragent la diversité et
savèrent bénéfiques pour tous les résidents.

Mots- clés: développement de lhabitat, accessibilité,


handicaps, philosophie en matière de design, durabi¬
lité sociale

Stephanie Weiss, M. A., Dr. Matthias Drilling, Daniel


Blumer, M. Sc., Fachhochschule Nordwestschweiz, In¬
stitut Sozialplanung und Stadtentwicklung, Thierstei¬
nerallee 57, CH- 4053 Basel, Schweiz.
e- mail:
stephanie. weiss@ fhnw. ch
matthias. drilling@ fhnw. ch
daniel. blumer@ fhnw. ch

Manuskripteingang/ received/ manuscrit reçu le


20.5.2010
Annahme zum Druck/ accepted for publication/ accepté
pour la publication: 2.12.2010

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