PRAXIS
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin, Uriversitätsspitai Zürich
Zusammenfassung
Eiekt rodenvertausch ungen kommen in
0.4% bis 4% aller abgc-leiteten Elektro-
kiirdiogramme (HKG) vor und können
klinisciie Bedeutung erlangen, wenn
das falsch abgeleitete EKG zu Eehl-
diagnosen verleitet. Eine Vertauschung
des rechten und linken Armes täuscht
eine laterale, eine Verwechslung des
rechten Armes und des linken Beines
eine inferiore Myokardischämie vor.
Falsch platzierte Brustwandelektroden
können zur Fehldiagnose einer ante-
rioren Minderperfusion führen. Trotz
ihrer Häufigkeit und klinischen Rele-
vanz werden solche EKG-Artefakte
selten erkannt. Die in die.ser Über-
.sichtsarheit vorgestellten Kriterien
helfen, falsch abgeleitete EKG zu er-
kennen. Zu diesen Kriterien gehören
eine abnorme QRS-Achse (-90° bis
+ 180°), positive P-Wellen in aVR,
negative P-Wellen in I oder II, sehr
Hache Amplituden in den Ableitungen
I, II oder III sowie eine abnormale
R-Progression in VI bisV6.
Schlüsselwörter: EKG - Elektroden -
Vertauschungen - Artefakt - Brust-
wandableitungen - Qualitätskontrolle
Einleitung
Das EKG ist bei der Beurteilung des
akuten Korona rsynd rom s und bei der
Diagnose von Herzrhythmusstörungen
© 2009 by Verlag Hans Huber. Hogrefe AG. Bern
Mini-Review Praxis 2009; 98:17-21 17
T.Thaler,A. Rudiger
EKG-Artefakte durch
Elektrodenvertauschungen
ECG Artefacts After Electrode Misplaceme its
von entscheidender Bedeutung. Oft
liefert es erste Hinweise für strukturelle
Herzerkrankungen, Reizleitungs- oder
Elektrolytstörungen. Bei Vorsorgeunter-
suchungen oder vor grossen Operatio-
nen kommt es als kardiovaskuläre Scree-
ningmethode zum Einsatz [ 1 ].
Die richtige Beurteilung hängt von der
korrekten Platzierung der zehn Elektro-
den ab. Theoretisch existieren bei den
vier Extremitätenableitungen 24 (4 x 3 x
2), bei allen zehn Elektroden 4.23 Mío.
(10 X 9 X 8...) Vertauschungsmöglich-
keiten. In einer älteren schwedischen
Arbeit lag die Prävalenz bei 2% [2], eine
eigene Studie am Universitätsspital
Zürich ergab Häufigkeiten von 0.4% im
kardiologischen Ambulatorium und 4%
auf der Intensivpflegestation (IPS), was
vor allem mit der grösseren Arbeitsbelas-
tung und der geringeren Routine des
IPS-Personals erklärt wurde |3]. Elektro-
denvertauschungen können relevante
Tab. 1: Veränderungen des normalen EKG bei entsprerchender Elektrodenvertauschung, modifi-
ziert nach {3,5,12!
Vertauschte EKG-Veränderungen
Elektroden
RA.LA Negatives P in 1, M. Positives P in aVR. Aiter iateraier infarkt.atriaier Rhythmus,
Konkordant negative ORS- und
T-Welleninl,aVL
RA,LB Negatives P in ii, iii. Konkordant
negative QR5- und T-Weile in li, MI, aVF
U,LB Qinlii
LA.RB Low voltage \n iil
RA.RB Low voltage'm ii
RB.LB Keine
klinische Bedeutung haben, insbeson-
diire wenn sie zu falschen Diagnosen,
znsätzlichen Abklärungen und Kosten
fi hren [4], Trotz dieser Erkenntnis wird
d'.'m Thema in Lehrbüchern kaum Be-
ai htung geschenkt. Entsprechende Stu-
dien mit definierten Kriterien existieren
n jr wenige, der diagnostische Wert ein-
Zilner Erkennungsmcrkmale ist unklar.
Aüch das EKG-Gerät registriert die
V.'rtauschung oft nicht korrekt \5\. Es
ei staunt deshalb wenig, dass I-alschab-
le itungen von Ärzten selten erkannt
werden [6].
E ektroden müssen korrekt platziert
werden, was besonders bei den Brust-
wandableitungen relevant ist. Eine Ver-
lagerung von 2 cm in der vertikalen
Achse kann zu signifikanten Veränderun-
gim des QRS-Komplexes führen |7,8l.
Die Elektroden VI und V2 werden typi-
st herweise zu kranial, die Ableitungen
V 5 und V6 zu tief und lateral angebracht.
Kiinische Interpretation
Dextrokardie bei fehienden Brustwand-
ableitungen
Aiter inferiorer infarkt.atrialer Rhythmus
Chronischer Hinterwandinfarkt
Elektrodendefekt
Eiektrodendefekt
Keine
DOi 10.1024/1661-8157.98.1.17
PRAXIS
'ILA LA i.A__J_A
ifv
•as M / . ••
Abb. í: Normales EKG bei korrekt platzierten Elektroden
1.13-13 fli FSf
Abb. 2: Vertauschung der Elektroden des rechten und linken Armes
Eine Einschätzung von drei erfahrenen
Ärzten einer australischen Notfailstation
über die korrekte anatomische Platzie-
rung ergab besonders in den lateralen
Ableitungen V5 und V6 sowie bei Frauen
eine relevante horizontale und vertikale
Variabilität [9]. Zusätzlich kann eine
Elektrodenvertauschung bei Herzkran-
ken mit pathologischer Ableitung zu
einer Pseudonormalisierung des EKG
führen [51.
Lv_
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* ^ ^ V*^__JKJJ,
foA JU
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Vertauschung einzelner
Elektroden
Abbildung 1 zeigt das normale EKG
eines 37-jährigen Mannes. Entsprechend
der Hauptrichtung der kardialen Erre-
gungsausbreitung entlang der Ableitung
II sind alle Ausschläge positiv, während-
dessen sie in der Gegenrichtung in aVR
inklusive P-Welle negativ ausfallen. Die
Ableitungen I und V6 sind entsprechend
ihrer anatomischen Richtung sehr ähn-
lich. Die Vektorsumme von 1 und III er-
Mini-Review Praxis 2009; 98:17-21 18
gibt die Ableitung II. Bei Vertauschung
der Elektroden des rechten und linken
Armes (Abb. 2) zeigen sich die Ablei-
tungen I und aVL als Umkehrung von
V5 und V6 mit konkordant negativen
QRS-Koniplexen und T-Wellen, was
fälschlicherweise als iiltere laterale Myo-
kardischämie interpretiert werden kann.
Die negativen P-Wellen in I und II sowie
das positive P in aVR verleiten zur Fehl-
beurteilung eines atrialen Rhythmus, lici
alleiniger Betrachtung der Hxtremitiitcn-
ableitungen könnte ausserdem der
Verdacht eines Situs invcrsus mil einem
QRS-Hauptvektor von links oben nach
LA j rechts unten (überdrehter Rechtstyp)
3.-M .
entstehen.
Eine Vertauschung der Elektroden des
rechten Armes und linken Beines (Abb.
3) zeigt negative QRS-Komp!exe und T-
Wellen inferior, was als ältere inferiore
Myokardischämie interpretiert werden
könnte (im vorliegenden Fall liegen auch
ein negativer QRS-Kt)mplex und eine
T-Welle in Ableitung 1 vor, was streng
genommen mehr als nur eine «inferiore»
Ischämie wäre). Auffüllend ist die nega-
tive P-Welle in 11, 111 und LIVF, was als
at rialer Rhythmus mit Erregungsbil-
dung im unleren Vorhof fehlgedeutet
werden kann.
Die Vertauschung der Elektroden des
linken Armes und linken Beines gene-
ÍA XA 4 riert eine Q-Welle in III, was auf einen
HI'l»»lt(« I ' W l C
abgelaufenen Hinterwandinfarkt hin-
deuten könnte. Eine Verwechslimg der
beiden Beinelektrodcn ergibt im Gegen-
satz zu den Armelektroden keine nen-
nenswerten Änderungen des EKG.
Bei Platzierung der Elektrode des rech-
ten Beines an eine Armposition ergibt
sich mindestens in einer Exteinitäten-
ableitung ein ausgeprägtes ¡ow-voltage-
Kriterium mit einer Amplitudenhöhe
unter 0.1 mV. Bei Verwechslung des
linken Armes und des rechten Beines
(Abb. 4) zeigt sich dies in Ableitung III,
bei Vertauschung des rechten Armes und
des rechten Beines in Abicitunn II.
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RrustwandableitLingen können - wie

oben erwähnt - trotz richtiger Anord-
nung in vertikaler oder horizontaler
Kichtung mit signifikanten Verände-
rungen der R- und S-Zacke verschoben
werden. Eine Vertauschung einzelner
Elektroden untereinander (z.B. V2 und
V3, Abb. 3) führt entweder zu einer ver-
zögerten R-Progression oder zu einem
R-Verlust nach initialer Grössenzunah-
me des QRS-Komplexes. Die Interpreta-
tion eines abgelaufenen anteroseptalen
bzw. anieritiren Myokardintarktes könn-
te die Folge sein. Vertauschungen von
Extremitäten- mit Brustwandableitun-
gen ergeben unzählige EKG-Möglich-
keiten. Ein Eall mit neu aufgetretenem
l.inksschcnkelblock und überdrehtem
Rechtstyp bei Vertauschung von V2 mit
aVL ist beschrieben [ lü].
Erkennungsmerkmale bei
Elektrodenvertauschungen
Eine Elektrodenverwechslung sollte ver-
mutet werden, wenn eine der folgenden
morphologischen Veränderungen vor-
liegt 15]
- in den Extremitätenableitungen:
• Abnormale QRS-Achse zwischen
Key messages
• Elektrodenvertauschungen kommtn in 0 4% bis 4 % aller abgeleiteten EKCi
vor und können klinische Bedeutung erlangen, wenn das falsch abgeleitete
EKG zu Eehldiagnosen verleitet.
• Hinweise für Elektrodenvertauschungen Und eine abnorme QRS-Achse
(-90° bis +180°), positive P-Wellen in aVR, negative P-Wellen in I oder II,
sehr flache Amplituden in den Ableitung'Mi I, II oder III sowie eine ab-
normale R-Pn)gression in VI bisV6.
Lernfragen
1. Wie häufig sind EKG Artefakte durch Elektrodenvertauschungen?
a) 10%-15%
b)4%-10%
c) 0A"Áy-4%
2. Welche Elektrodenvertauschung kann einen lateralen Myokardinf;irkt ^'^)r-
täuschen?
a) Eine Vertauschung des rechten Armes und linken Beines
b) Eine Vertauschung des rechten und lir ken Armes
c) Eine Vertauschung des Unken Armes und linken Beines
3. Welche Elektrodenvertauschung kann einen inferioren Myokardinfarkt vor-
tauschen?
a) Eine Vertauschung des rechten Armes und linken Beines
b) Eine Vertauschung des rechten und lii ken Armes
c) Eine Vertauschung des rechten und lii ken Beines
4. Was für Änderungen treten bei einer Elektrodenverwechslung des rechten
Armes und rechten Beines auf?
a) Negative P in I, II, konkordant negati\e QRS- und T-Wellen in I, aVL
b) Keine
c) Ausgeprägte /ow-vo/fü^e-Kriterien in II

• Abnormale P-Achse mit positiver

P-Welle in aVR und/oder negativem
Pin II und/oder III
• Sehr kleine (<0.1 mV) Amplitude in
den Ableitungen 1, II oder III
• Konkordant negative QRS- und T-
Wellen in den Ableitungen 1, II und
in und/oder aVF und/oder 1, aVI.
- in den Brustwandabieitungen:
• Abnormale R Progression in VI bis
V6, besonders bei R-Verlust nach
initialem R-Anstieg
Die Test-Präzision, welche sich aus dem
Quotient der Anzahl bestätigter Elek-
trodenvertauschungen gegenüber initial
vermuteter Verwechslungen eines Krite-
riums berechnete, betrug für praktisch
alle Merkmale nur 20 Prozent, mit Aus-
nahme der abnormen QRS-Achse mit
einem Wert von 60 Prozent |3]. Auch die
ausgeprägten low voltage-Kriterien
wiesen erstaunlicherweise eine tiefe
Präzision auf.
Verbesserung der Erkennung
EKG-Elektrodenvertauschungen sind
häufiger, als man denkt, und können bei
fehlender Erkennung zu unnützen Ab-
klärungen oder gar Schädigungen des
Patienten führen |] 1]. Bei Verdacht auf
das Vorliegen einer Elektrodenvertau-
schung .sollte das EKG wiederholt oder
mit einer früheren Ableitung verglichen
werden. Eür das Aufspüren von Ver-
tauschungs-Artefakten braucht es neben
dem aufmerksamen Auge vor allem die
Sensibilisierung und Schulung des Un-
tt rsuchers. Ein regelmässiges Training
d:s Pflegepersonals und standardisierte,
git le.sbare Heschri ft ungen des EKG-
Gerätes könnten die Fehlerquelle weiter
nduzieren. Ob dies tatsächlich der Fall
ist, wird aktuell in einer Studie am Uni-
vi;rsitätsspital Zürich analysiert.
Abstract
\rtefacts due lo electrode misplace-
nent occur in 0.4 to 4% of all per-
ibrmed electrocardiograms (ECG).
They can lead to the clinically impor-
lant false diagnosis of myocardial
schemia. Lateral and inferior niyo-
.:ardial ischemia can be mimicked by
m electrode exchange between right
PRAXIS Mini-Review Praxis 2009; 98:17-21 20

and left arm and between right arm i ' I I 1 1 I |. E 1 I I

and left leg, respectively. Misplaced

anterior leads suggest damage of the
anterior wall. ECG criteria proposed in
this review article will help to identify
'rr-p/ rv~TV TV T^
such artefacts. They include abnormal l~^,A^—4^^^—^—4^^—4-^
QRS axis (-90° to -hi80°), positive
P-waves in aVR, negative P-waves in
I or II, low voltage in lead I, II or III
as well as an irregular R-wave progres-
sion in VI to V6.
Key words: electrocardiogram - elec-
trode misplacement - artefact - lead
misplacement - quality control

Résumé Abb. 3: Vertauschung der Elektroden des rechten Armes und linken Beines
Une mauvaise position des électrodes
est observée dans 0.4 à 4% de tous les fUl^—Ifv—Y^/ Irv—1r^^ r\r
electrocardiogram m es (ECG) et peut
avoir une importance clinique, si un
ECG avec des dérivations faussement
placées induit un diagnostic erroné.
L'inversement des électrodes des bras
droit et gauche peut simuler une isché-
mie latérale et du bras droit et de la
jambe gauche une ischémie inférieure.
Des dérivations précordiales mal pla-
cées peuvent provoquer le faux dia-
gnostic d'un trouble de la perlijsion
antérieur. Malgré leur fréquence et leur
importance clinique, les artefacts d'ECG
ne sont que rarement reconnus. Les
critères présentés dans ce travail de
revue aident à reconnaître les ECG en- Abb. 4; Vertauschung des linken Armes und des rechten Beines
registrés de façon erronée. Parmi ces
critères, il faut mentionner un axe
anormal (-900 à +1800), des ondes P
positives en aVR, des ondes négatives
en I ou II, des amplitudes très basse dans
les dérivation I, II et III ainsi qu'une
progression de l'onde R en VI à V6.
Mots-dés: ECG - électrodes - inverse-
ment - artefacts - dérivations précor-
diales - contrôle de qualité

Danksagung
Wir danken Herrn Dr. Andreas Brauch-
lin herzlich für die kritische Durchsicht
des Manuskriptes und die konstruktiven
Anregungen. Abb. 5: Vertauschung der Elektroden V2 und V5
PRAXIS
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Korrespondenzadresse
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