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1 marcel mauss, La preghiera e i riti orali, Brescia 1997 (frz.: La prière et les rites oraux,
Paris 1909, erneut abgedruckt in: Œuvres 1. Les fonctions sociales du sacré, Paris 1968,
357–599), 18 Anm. 33.
nicht darauf, ein abstraktes modell vom gebet, das heißt eine rein lehrhate und
theoretische Abhandlung zu erarbeiten, sondern berut sich auf die Erfahrung
auf individueller wie auf gemeinschatlicher Ebene. Auf jeden Fall – um eine ge-
nauere Festlegung des Inhalts von De oratione vorwegzunehmen – erweist sich
der traktat als kostbares zeugnis, um die dynamik der „Spiritualisierung“ des
gebets zu beleuchten, die die konkrete Praxis durch das Entstehen des chris-
tentums beeinlusste.2
Wie soeben erwähnt, inden wir unter den De oratione behandelnden Studien
des vergangenen Jahrhunderts insbesondere Werke, die sich mit der geschich-
te des gebets im antiken christentum beschätigen, z.B. die darstellungen von
Eduard von der goltz (1901)3 und von Otto dibelius (1903).4 Während der zwei-
te sich im Wesentlichen darauf beschränkte, die „Vorstellungen vom gebet in
der alten griechischen Kirche“ sowie die „Aufassung des Vaterunsers“ bei den
griechischen Kirchenvätern darzustellen, versuchte von der goltz „das Beten der
christen im apostolischen und nachapostolischen zeitalter“ systematisch zu be-
2 Für eine erste Orientierung in der Forschungsgeschichte vgl. ulrich Berner, Origenes,
darmstadt 1981. nach der anfänglichen darstellung der systematischen Interpretationen
behandelt der Verfasser im 2. Kapitel Origenes als „meister des geistigen Lebens“ (vgl. ebd.
68–84: „‚nicht-systematische‘ oder ‚mystische‘ Origenes-deutungen“). den besten über-
blick zur Origenes-Forschung im 20. Jahrhundert bietet zuletzt monique Alexandre,
La redécouverte d’Origène au XXe siècle, in: cristian Badilita/charles Kannengiesser
(Hg.), Les Pères de l’Église dans le monde d’aujourd’hui, Paris 2006, 51–93.
3 Eduard von der goltz, das gebet in der ältesten christenheit, eine geschichtliche un-
tersuchung, Leipzig 1901, 266–278. der Verfasser resümiert sorgfältig den Inhalt von De
oratione, wenn auch mit gespaltenen gefühlen: Einerseits zollt er Origenes Bewunderung
wegen der gedankentiefe, die sich an etlichen Stellen kundtut; andererseits kann er nicht
darauf verzichten, den Alexandriner für seinen sich vom einfachen Evangelium entfernen-
den Idealismus zu kritisieren. zusammenfassend kommt er jedoch zu einer positiveren
Einschätzung: „die Absicht des großen gelehrten, auch den gebildeten das christliche
gebet nahezubringen und es ihnen zu einem heiligen und geschätzten mittel zu machen,
gottähnlicher zu werden und gott näher zu kommen, ist für die geistesrichtung jener zeit
erreicht, und so dürfen wir sagen, dass trotz aller mängel und Einseitigkeiten Origenes die
theologische Aufgabe, die hier für ihn lag, trelich gelöst hat. Wir sind auch heute in den
wesentlichen Punkten noch nicht weiter, als Origenes damals gewesen ist, wenn wir auch
eine andere Sprache reden“ (ebd. 278).
4 Otto dibelius, Vaterunser. umrisse zu einer geschichte des gebets in der Alten und mitt-
leren Kirche, gießen 1903, 23–45. Ähnlich wie von der goltz bemüht sich auch dibelius,
Origenes im zusammenhang mit clemens von Alexandria zu betrachten, wobei er seine
Kirchlichkeit im unterschied zu clemens erneut unterstreicht. Er erkennt zu Recht u.a.
die dominierende Bedeutung des Bittgebets bei Origenes, auch was das gebet Jesu angeht
(ebd. 36). Er führt jedoch diesen Aspekt auf die „vulgären Vorstellungen“ zurück, welche
die Aufassung des Alexandriners bestimmen und bei ihm eine Spannung mit dem „Stre-
ben nach einer Vergeistigung des gebetes“ (ebd. 35) verursachen. Letzten Endes behauptet
dibelius, „daß der Versuch, das gebet ausreichend zu begründen“, dem Origenes „eben-
sowenig gelingt als seinem Lehrer“ (ebd. 37).
leuchten. Er war – wie es scheint – zuversichtlicher als mauss bei seinem Versuch,
die geschichtliche Entfaltung eines religiösen Phänomens zu rekonstruieren, das
sich nicht nur häuig wegen der mangelnden dokumentation, sondern vor allem
durch sein von Haus aus wenig zugängliches Wesen – zumindest, was seine indi-
viduellen Erscheinungen angeht – einer geschichtlichen Bestandsaufnahme eher
entzieht.5
Wenn man vom großen religionsphänomenologischen Opus von Fried-
rich Heiler absieht – der sich nur am Rande mit De oratione befasste –,6 muss
man etliche Jahrzehnte warten, bevor ähnliche Versuche zu einer historischen
darstellung des gebets in der Bibel und im antiken christentum – teilweise in
Lexikonartikeln – wieder autreten.7 Im zusammenhang mit den Studien vom
Anfang des 20. Jahrhunderts wird De oratione von von der goltz und dibelius
besonders dazu benutzt, um Indizien einer trennung bzw. eines gegensatzes
zwischen der philosophisch-theologischen Perspektive einerseits und der reli-
giösen Praxis andererseits zu gewinnen, wobei die Rede vom gebet bei Orige-
nes bei aller Anerkennung ihrer religiös-kirchlichen Inhalte wesentlich auf die
erstere, wenn auch nicht ohne Spannungen und Widersprüche, zurückgeführt
wird.8 Auch die dissertation von daniel genet (1903), die erste Abhandlung, die
5 mauss’ Feststellung ist, trotz der Intensivierung der Studien zum gebet in den letzten
Jahrzehnten, immer noch gültig: „Quanto alle religioni dell’antichità classica, la letteratura
storica sulla preghiera è carente, probabilmente per il fatto che i documenti sono scarsi.
Soltanto le religioni semitiche e il cristianesimo fanno eccezione, sia pure per poco. Sono
state delle necessità pratiche e di esegesi, nonché dei problemi di rituale e teologia, a sti-
molare ricerche sulla liturgia ebraica, giudaica, cristiana, ma, per quanto importanti, esse
rimangono sempre frammentarie“: mauss, La preghiera (wie Anm. 1) 17f. Auch die vor
kurzem erschienene „geschichte des gebets“ in Antike und mittelalter bietet nur Ansätze
dazu: Roy Hammerling (Hg.), A History of Prayer. he First to the Fiteenth century,
Leiden/Boston/Köln 2008.
6 Friedrich Heiler, das gebet. Eine religionsgeschichtliche und religionspsychologische
untersuchung, münchen 41921. der Verfasser bezieht sich speziell auf De oratione, wenn er
auf das hema „gebetskritik und gebetsideale des philosophischen denkens“ zu sprechen
kommt (ebd. 202–219).
7 Ich beziehe mich besonders auf die wichtigen Beiträge von Heinrich greeven/Johannes
Herrmann, Art. εὔχομαι, εὐχή, προσεύχομαι, προσευχή, in: hWnt 2 (1935) 774–808;
Emmanuel von Severus, Art. gebet I, in: RAc 8 (1972) 1134–1258; André méhat, Art. La
prière dans le monde gréco-romain, in: dSp 12 (1986) 2202–2217; ders., Art. Prière III. dans
la tradition chrétienne A. du 2e siècle au concile de nicée, in: ebd. 2247–2256. man darf
allerdings die vielfältigen untersuchungen zu den Formen des gebets im Frühchristentum
nie vergessen, die Franz Joseph dölger in der ersten Hälte des letzten Jahrhunderts vorge-
legt hat. Für eine Bewertung der Forschungsresultate des 20. Jahrhunderts siehe Adalbert
Hamman, La prière dans l’antiquité chrétienne. un bilan des études sur la prière au XXe
siècle, in: La preghiera nel tardo antico. dalle origini ad Agostino, Rom 1999, 7–23.
8 In diesem Sinn kritisiert Völker von der goltz, denn dieser habe aus Origenes einen „ide-
alistischen Philosophen“ gemacht.
zur selben zeit speziell dem traktat des Origenes gewidmet wurde, neigt dazu,
sich dieser deutung anzuschließen. trotzdem bemüht sich der Verfasser, den
Ansatz von Völker vorwegnehmend, auch die geistige Erfahrung des Origenes
zu beleuchten.9
Statt zunächst die Argumentation der auch seiner meinung nach „hastig“ ge-
schriebenen Schrit nachzuzeichnen, versucht genet im ersten teil der Arbeit
die Aufassung des Origenes vom gebetsvollzug systematisch zu erörtern. Aus
diesem grund behandelt er nacheinander die folgenden hemen: 1. die äußere
und innere Haltung beim Beten, 2. den Inhalt des gebets, 3. die Adressaten des
gebets und 4. die gebetserhörung.10 um seinen zweck zu erreichen, bedient sich
genet auch anderer Schriten des Alexandriners, die den Ansatz von De oratione
ergänzen sollen, ohne die unterschiedlichen Kontexte dieser weiteren Formulie-
rungen und die daraus entstehende Problematik zu berücksichtigen. So schenkt
er zum Beispiel unter den verschiedenen gebetstypen, die Origenes im traktat
erwähnt, der Fürbitte (ἔντευξις) eine größere Aufmerksamkeitwobei, wobei die
προσευχή ziemlich lüchtig besprochen wird.11 Schließlich kommt genet im zwei-
9 daniel genet, L’enseignement d’Origène sur la prière, cahors 1903. die dünne Abhand-
lung (laut Frontispiz eine „hèse présentée à la Faculté de héologie Protestante de Paris“
im Juli 1903) scheint kaum Spuren in der Sekundärliteratur zu Origenes hinterlassen zu
haben, abgesehen von dem gebrauch vor allem durch Völker. Ich möchte hier meinem
Freund Harald Buchinger, der mir eine Photokopie besorgt hat, sehr herzlich danken.
10 genet, L’enseignement (wie Anm. 9) 9–51: „Première Partie: Exposé de l’Enseignement
d’Origène sur la Prière“. das 1. Kap. behandelt sehr kurz die „notwendigkeit des gebets“.
zur literarischen Eigenart des traktats vgl. ebd. 5f.: „Le livre du docteur alexandrin, assez
court du reste, semble avoir été écrit à la hâte. Le style en est souvent relâché: les obscurités,
les répétitions, les longueurs ne font pas défaut.“ die stilistischen mängel hängen außer-
dem auch vom „missbrauch“ der Schritzitate ab: „cet emploi vraiment abusif de l’Écriture
sainte vient encore ajouter à la lourdeur naturelle du style d’Origène et à l’obscurité de sa
pensée“ (ebd. 66f.).
11 Vgl. ebd. 26f. und 27–31. Origenes’ Bevorzugung der προσευχή bleibt demnach für den
Verfasser einigermaßen rätselhat. mit Bezug auf orat. 14,2.4 (gcS Orig. 2, 330f. 331f.) be-
merkt er u.a.: „Il y a donc dans cette prière un élément qui n’est pas une demande, la doxo-
logie ne servant qu’à exalter les magniicences divines, à chanter les louanges du très-Haut
et à proclamer ses bienfaits. Origène insiste au chapitre 14,4 sur ce caractère doxologique.
Par là cette prière se rapproche de la prière d’adoration pure“ (ebd. 26). genet relativiert
zusätzlich die Bedeutung der προσευχή sowie die Einteilung nach vier gebetstypen, indem
er die Spuren eines „inneren gebets“ sammelt: „À côté des quatre formes de prières ..., à
côté de la notion de la prière qui se confond avec les actes pieux, il y a chez Origène l’idée
d’une prière intérieure suivant laquelle le croyant entre directement en communion avec
dieu, sans avoir besoin de lui exprimer verbalement ses désirs“ (ebd. 36). Später jedoch,
wenn der Verfasser auf die Frage nach den Adressaten eingeht, versucht er die Eigenart der
προσευχή neu zu überlegen: „Au fond pour notre penseur la προσευχή seule est vraiment
une prière, un acte purement religieux et qui ne peut s’adresser qu’à l’Être divin par excel-
lence, à dieu seul. Les autres prières sont bien au-dessous puisque, au besoin, elles peuvent
s’adresser à de simples mortels“ (ebd. 45f.).
ten teil dazu, die Hauptlinien der gebetstheologie zu besprechen. noch einmal
systematisierend bezieht er das gebet bei dem Alexandriner auf seine Vorstellung
von gott als einem rein transzendenten Wesen, die allerdings auf das philosophi-
sche gemeingut seiner zeit zurückzuführen ist.12 diese Vorstellung durchdringt
nach genet den von Origenes entworfenen Rahmen für den gebetsakt, wobei das
Beten sich prinzipiell im Sinne eines Aufstiegs des menschen zu gott gestaltet.
Letzten Endes, trotz seiner häuig spürbaren Bewunderung dem Alexandriner
gegenüber, kritisiert ihn genet wegen seines übertriebenen „Spiritualismus“ phi-
losophischer Prägung.13 dass ein derartiger Schluss dem Origenes unrecht tun
kann, scheint der Autor selbst empfunden zu haben. denn genet ergänzt sein
Bild, und zwar mit dem Hinweis einerseits auf die Beeinlussung durch die Bibel,
andererseits auf die persönliche Frömmigkeit des Origenes. dank der Veranke-
rung in der Schrit entging der Alexandriner der gefahr, das Bittgebet seinen
Voraussetzungen entsprechend ganz aufzulösen. Hinzu kommt die tatsache,
dass er selbst ein mann des gebets war, wie genet vor allem anhand der in den
Homilien vorkommenden gebeten des Origenes zeigt.14 die vom Alexandriner
erstrebte Spiritualisierung sollte übrigens als Reaktion auf die gängige gebetspra-
xis der christlichen gemeinden seiner zeit interpretiert werden, ohne dass sie in
einen völligen Bruch mit dieser mündete.15 Auf diese Weise zeichnete die kurze
und doch noch heute interessante Abhandlung von genet ein bewegtes Porträt,
das uns durch die Vielfalt seiner gegensätze beeindruckt. Ohne auf die folgen-
den untersuchungen unmittelbar einwirken zu können, hat der Autor einige der
Hauptprobleme vorweggenommen, mit denen sich die weitere Forschung ausei-
nandersetzen sollte.
12 diese Vorstellung neigte im grunde dazu, das Bittgebet abzuschafen, indem sie vor allem
die transzendenz gottes betonte: „Origène a évité les conséquences extrèmes que cette no-
tion de dieu imprimait à son idée de la prière, et nous verrons pour quelles raisons. mais
il n’en est pas moins vrai que la philosophie de son temps, en agissant ainsi sur sa doctrine
de dieu, va donner à son enseignement de la prière un cachet très spécial“ (ebd. 57).
13 „La notion de la prière a été entièrement transformée par un spiritualisme extrême. La
prière a une tendance à devenir une élévation mystique vers un dieu transcendant, la
demande matérielle est exclue, l’exaucement réduit à l’exaucement spirituel s’accomplissant
soit par l’ordre providentiel, soit par les êtres intermédiaires, la prière se confondant ina-
lement avec les actes pieux et la méditation intérieure“ (ebd. 64).
14 „Ainsi nous croyons que, par l’inluence des enseignements bibliques et par sa piété per-
sonnelle, Origène a été conduit à garder fermement l’exaucement positif et la demande
positive. ces deux courants dont l’un surtout, le courant provenant de sa piété intime,
devait être très fort, sont venus se heurter à sa notion première de la prière directement
inluencée par son idée de dieu et ont ainsi donné à l’enseignement d’Origène un caractère
particulier“ (ebd. 75f.).
15 „Origène veut rester en contact avec le christianisme populaire de son temps, sans aucune
compromission, mais en l’élevant vers une notion plus haute de la prière“ (ebd. 80).
der erste einlussreiche Beitrag kommt fast drei Jahrzehnte später mit der klassi-
schen untersuchung von Walther Völker zum Vollkommenheitsideal des Orige-
nes. dieses wird vom Verfasser, wie im untertitel angegeben, im Rahmen eines
größeren Projekts zur Wiederentdeckung der sowohl patristischen als auch or-
thodoxen Spiritualität, oder besser gesagt: der mystischen tradition nachgezeich-
net.16 um es vorweg zu sagen: Völker stellt sich in die Reihe der Interpreten, die
dazu tendieren, De oratione im unterschied, wenn nicht sogar im gegensatz zu
den übrigen Schriten des Origenes zu betrachten. dies gilt allerdings in erster
Linie für die Beziehung zwischen dem traktat und den Homilien, wodurch der
Eindruck einer gewissen Isolierung von De oratione bekrätigt wird. Es lohnt sich
jedoch, zuerst den methodischen Ansatz zu betrachten, den der Verfasser emp-
iehlt, um den besonderen Platz des traktats im gesamtwerk des Origenes bes-
ser einschätzen zu können. dementsprechend sollte eine angemessene untersu-
chung von einer gründlichen Kenntnis des gesamtwerks von Origenes ausgehen,
da dieser Weg allein, nach der meinung Völkers, den Leser dazu führen könne,
die „Akzentverteilung“ wahrzunehmen, die in De oratione stattindet. Auf ähn-
liche Weise würde nur eine „Vertrautheit“ mit der intimen „persönlichen Fröm-
migkeit“ des Origenes es ermöglichen, einzelne in dem traktat vorkommende
Aspekte richtig einzuordnen.17
diese Hinweise sind im Prinzip richtig und sicherlich zu bejahen. Von mei-
nem Standpunkt aus gesehen schließen sie jedoch den nutzen eines Ansatzes
nicht aus, der sich zunächst nur auf das Studium von De oratione konzentriert.
die kritischen Bemerkungen Völkers zu Beginn seiner untersuchung im Hin-
blick auf die gegensätzlichen Ergebnisse der modernen Origenes-Forschung
führen übrigens nicht notwendigerweise dazu, von einer auf einzelne Schriten
konzentrierten Analyse abzuraten – es sei denn, man wolle die so gewonnenen
Resultate verallgemeinern.18 demgegenüber bemüht sich der von Völker gewähl-
16 Walther Völker, das Vollkommenheitsideal des Origenes. Eine untersuchung zur ge-
schichte der Frömmigkeit und zu den Anfängen christlicher mystik (BHh 7), müns-
ter 1931. Für eine zusammenfassung dieses Werks siehe Berner, Origenes (wie Anm. 2)
70–74.
17 „Erst aus einer Kenntnis des gesamten origenistischen Schrittums heraus erkennt man
diese Akzentverteilung, und erst aus einer Vertrautheit mit dem, was Origenes als per-
sönliche Frömmigkeit in sich geborgen hat, kann man vereinzelte Bemerkungen die-
ses kleinen traktates einordnen, gewissermaßen ihren geometrischen Ort bestimmen“
(Völker,Vollkommenheitsideal [wie Anm. 16] 198).
18 Völkers Buch beginnt mit einem historiographischen Rückblick von besonderem Interesse.
Er unterstreicht darin die gegensätzlichen Ergebnisse der modernen Origenes-Forschung,
da sie sehr verschiedenartige Proile und urteile zum Alexandriner ans Licht gebracht
hat. Solche gegensätze ließen sich nicht allein durch die unterschiedlichen Standpunkte
erklären, sondern seien auf die Eigenart der Schriten des Alexandriners zurückzuführen:
„die gründe müssen in der Schwierigkeit der zu behandelnden materie selbst zu suchen
sein, in der Eigenart des origenistischen Schrittums ... diese Verschiedenheit der orige-
nistischen Schriten hat man nicht immer genügend beachtet. Anstatt gradunterschiede
zu machen, hat man vielmehr alles auf einer Fläche aufgetragen, und hat es vornehmlich
weithin an aller erforderlichen Quellenkritik fehlen lassen“ (ebd. 10f.).
19 „Von entscheidender Bedeutung ist es nun ..., ob es möglich ist, die religiös-ethischen
triebkräte zu ermitteln, die hinter jeder Lehrbildung stehen, ja diese überhaupt erst er-
möglichen, ob es gelingt, das Innerste einer christlichen Persönlichkeit freizulegen, um sie
in ihrer Eigenart zu erfassen und in den gang der Frömmigkeitsgeschichte einzuordnen“
(ebd. 16).
20 Ebd. 197–215.
21 Völker signalisiert folgendermaßen die Beschränkungen seiner beiden deutschen Vorgän-
ger: „… sie beschränken sich ... in dem Abschnitt über Origenes auf eine Analyse von περὶ
εὐχῆς, die aber niemals einen Einblick in die Eigenart des Beters Origenes gewähren kann,
da sie als Schrit mit bestimmter tendenz gewisse gedanken in den Vordergrund schiebt,
gewisse gelissentlich zurücktreten lässt“ (ebd. 198).
22 Außer den diesbezüglichen Bemerkungen von genet, L’enseignement (wie Anm. 9) 18,
richtet Völker seine Aufmerksamkeit auf cels. VIII 17 (gcS Orig. 2, 234f.). dort indet
man die gleichung βωμοί = ἡγεμονικόν (die übersetzung „cœur“ bei genet wird von
Völker – zu unrecht – als nicht korrekt kritisiert). Er sieht hier eine Konvergenz mit orat.
8,1 (gcS Orig. 2, 316f.): Es gibt kein gebet „ohne eine“ vorangehende „Reinigung“ (χωρὶς
καθαρεύσεως).
die Befreiung von den „Leidenschaten“ (πάθη), ein motiv, das der Alexandriner
besonders im Lichte von mt. 5,22f. bewertet,23 während die dritte in der inneren
Sammlung besteht.24 Sind dies die geistigen Haltungen, die gefordert sind, damit
das gebet von gott erhört wird, so garantieren sie schon allein, aus der Sicht des
Origenes, einen nutzen für den Betenden, das heißt auch abgesehen davon, ob
seine Bitte angenommen wird. Schließlich gesellt sich entsprechend der Verlech-
tung zwischen Freiheit und gnade, die für Origenes’ denken typisch ist, gottes
Hilfe zu diesen vorauszusetzenden dispositionen, und zwar durch die gabe des
geistes. Es ist nämlich der geist, der für den menschen betet und ihn in seinem
Aufstieg führt, wie Völker anhand von cels. VII 44 behauptet.
Wenn das gebet im zusammenhang mit dem mystischen Aufstieg zu sehen
ist, dann sollte es gleichermaßen eine Reihe von sukzessiven Stufen kennen, wie
von Hugo Koch anhand von Pseudo-dionysius Areopagita dargestellt wurde.25
Seine untersuchung ist jedoch für Völker völlig unzureichend, da sie sich nicht
genügend mit den verschiedenen gebetstypen auseinandersetzt, die Origenes
dargestellt hat.26 So nimmt Völker als seinen Ausgangspunkt orat. 14,2, wobei er
diese Stelle mit der Auslegung von 1 tim. 2,1 verbindet, die der Alexandriner in
einem Fragment zu Ps. 27 bietet.27 An dieser Stelle erscheint, im unterschied zum
traktat, eine Abstufung der verschiedenen gebetstypen, die ihren Höhepunkt in
der danksagung (εὐχαριστία) inden. Im Hinblick darauf lehnt Völker die hese
von dibelius ab, wonach Origenes, anders als clemens, die Bitte als gebetsform
privilegiert habe.28 Im gegenteil bestehe in vielerlei Hinsicht eine Konvergenz
23 Völker weist auf orat. 9,1.3 (gcS Orig. 2, 317–319) und auf das hema der ἀμνησικακία hin.
24 „Es handelt sich dabei um ein doppeltes, um das Schließen der Augen vor dem draußen,
das Eingehen in das Kämmerlein und um das Ausschalten aller dem gebete widerstreben-
den gedanken im eigenen Inneren“ (Völker, Vollkommenheitsideal [wie Anm. 16] 201).
Völker lehnt dibelius’ deutung von cels. VII 44 (gcS Orig. 2, 194–196) ab: die Ähnlich-
keit mit celsus (vgl. ebd. VII 36 [2, 186f.]) besteht nach ihm nur in der methode, während
sich der Inhalt, die Art und Weise, zur inneren Sammlung zu gelangen, und die Wirkungen
unterscheiden. die ergiebigste Stelle des traktats ist orat. 20,2 (gcS Orig. 2, 344f.), wozu
Völker sel. in Ps. 4,4 (Pg 12, 1141) hinzufügt: τὴν θύραν τῶν αἰσθητηρίων ἀποκλείσας.
25 Hugo Koch, Kennt Origenes gebetsstufen?, in: hQ 87 (1905) 592–596. nach ihm bietet
der Alexandriner höchstens Ansätze dazu. In seiner vorangehenden darlegung der „ge-
betstheorie“ des Areopagiten (Pseudo-dionysius Areopagita in seinen Beziehungen zum
neoplatonismus und mysterienwesen, mainz 1900) vermisste er „die bewusste Formu-
lierung der gebetsstufen, näherhin die heorie von den drei Etappen, in denen nach Ps.-
dionysius das gebet fortschreitet“ (ebd. 595). die Ansätze dazu lassen sich näherhin, nach
der meinung Kochs, in orat. 9,2 (gcS Orig. 2, 318f.) und ebd. 10,2 (2, 320f.) feststellen.
26 „Es kommt auf ein möglichst präzises Erfassen der einzelnen gebetsformen an, die Orige-
nes unterscheidet, auf ihre Anordnung und auf ihre Parallelisierung mit dem mystischen
Aufstieg“ (Völker, Vollkommenheitsideal [wie Anm. 16] 202).
27 Sel. in Ps. 27 (Pg 12, 1285 B–c).
28 Vgl. oben Anm. 4.
zwischen den beiden Autoren. dies könne auch dadurch bewiesen werden, dass
Origenes, seinem „Lehrer“ folgend, sich in ähnlicher Weise von der gebetspraxis
der gemeinde entferne.29 Welche gebetsinhalte nun die Bitte aufweisen soll, wird
von Origenes in einem Fragment der Lukashomilien erörtert, worin er die Idee
vertritt, ein korrekt formuliertes gebet werde erhört werden.30 Ähnlich wie bei
clemens ist der eigentliche gegenstand des gebets für Origenes der Erwerb von
γνῶσις und der tugendfortschritt.31
Ein anderer Aspekt, der die Besonderheit von De oratione aufweist, besteht
nach Völker darin, dass der traktat das schweigsame gebet ignoriert, welches je-
doch für Origenes an anderer Stelle zum hema seiner Relexion wird, und zwar
in Bezug auf 1 Kor. 14,15 („Ich will nicht nur im geist gott preisen, sondern auch
mit dem Verstand“). der Alexandriner deutet das „Beten im geist“ als das münd-
liche gebet, das zur Erbauung der anderen dient, während das „Beten mit dem
Verstand“ auf das schweigsame gebet zurückgeführt wird.32 Ohne die paulinische
Rechtfertigung zu berücksichtigen, die klarmacht, wie bei Origenes das schweig-
29 um den gegensatz zu den einfachen gläubigen zu bestätigen, zitiert Völker in Hier. hom.
17,6 (gcS Orig. 32, 150), wo Origenes die Bitte nach einer Verlängerung der Lebenszeit
verurteilt, da sie der Perspektive von den geistigen gütern widerspricht: „das Bittgebet
hat also als Inhalt die Befreiung von der Welt oder – positiv ausgedrückt – den Erwerb
himmlischer güter“ (Völker, Vollkommenheitsideal [wie Anm. 16] 204f.). Auf diese Stelle
hatte schon genet, L’enseignement (wie Anm. 9) 24, hingewiesen.
30 In Luc. frg. 183 (gcS Orig. 92, 303).
31 Vöylker bringt hier clemens von Alexandria, strom. VII 38,4 (Sc 428, 138), in Verbindung
mit cels. III 64 (gcS Orig. 1, 258).
32 Er würdigt besonders in num. hom. 10,3, wo Origenes Ex. 27,1 mit mt. 6,6 verbindet: Al-
taria vero duo, id est interius et exterius, quoniam altare orationis indicium est, illud puto
signiicare quod dicit Apostolus: Orabo spiritu, orabo et mente. Cum enim ‚in corde oravero‘,
ad altare interius ingredior, et hoc puto esse etiam quod Dominus in Evangeliis dicit: Tu
autem cum oras, intra in cubiculum tuum et claude ostium tuum, et ora Patrem tuum in ab-
scondito. Qui ergo ita orat, ut dixi, ingreditur ad altare incensi quod est interius. Cum autem
quis clara voce et verbis cum sono prolatis, quasi ut aediicet audientes, orationem fundit ad
Deum, hic ‚spiritu orat‘ et oferre videtur hostiam in altari, quod foris est ad holocaustomata
populi consititutum (Sc 414, 287). unter den anderen Stellen bezieht sich Völker auf sel. in
Ps. 4,4 (Pg 12, 1141) und in num. hom. 11,9 (gcS Orig. 7, 92f.); vgl. aber auch in Hiez. hom.
2,3: Apostolus loquitur: Orabo spiritu, orabo et sensu – qui sensus habet in corde habitaculum
– psallam spiritu, psallam et sensu. Igitur et spiritus est et sensus in nobis. Et quomodo sanc-
tus orat spiritu, orat et sensu, psallit spiritu, psallit et sensu (Sc 352, 108–110). Origenes habe
auch an dieser Stelle von seinem Lehrer clemens gelernt (vgl. strom. VII 39,6 [Sc 428,
140]; 43,5 [428, 150]). doch clemens führt keineswegs das schweigsame gebet auf 1 Kor.
14,15 zurück, während bei Origenes das schweigsame gebet als solches besteht, insofern
der geist in den Heiligen spricht, wie Alain Le Boulluec, Les rélexions de clément sur la
prière et le traité d’Origène, in: Lorenzo Perrone (Hg.), Origeniana Octava. Origen and
the Alexandrian tradition, Leuven 2003, 397–407, zurecht bemerkt: „Quant aux remarques
d’Origène dans ses homélies sur la prière silencieuse, elles enseignent que les saints se tai-
sent pour laisser en eux la voix de l’Esprit intercéder“ (ebd. 402).
same gebet im grunde das Beten im geist ist, übertreibt Völker auch in die-
sem Fall seine Abhängigkeit von clemens. Vor allem aber betont er die Ansicht,
dass damit die Repräsentativität von De oratione erneut in Frage gestellt wird:
Statt die Schrit als einen systematischen traktat über das gebet anzusehen, sollte
man sie eher als eine „gelegenheitsschrit“ betrachten.33 Andererseits lässt sich
Völkers Akzentuierung des schweigsamen gebets dadurch erklären, dass es – als
„Herzensgebet“ – eine weitere Stufe zur mystischen Erfahrung hin darstellt. das
Herzensgebet führt ja zu dieser, soweit es bei der transzendierung vom Körper
und von der sinnlichen Welt in die unio mystica mündet. um diesen Schluss zu
stützen, kann Völker nicht umhin, nach dem anfänglichen Hinweis auf in num.
hom. 11,9 und noch mehr auf cels. VII 44, sich vor allem auf zwei Stellen von De
oratione zu beziehen (orat. 9,2 und 10,2). dabei erkennt er in der zweiten dieser
Passagen den gipfel des „gebetslebens“ nach Origenes.34 gelangt man auf diese
höhere Stufe, so erübrigt sich das Bittgebet und entfaltet sich ein gebet der Anbe-
tung zusammen mit der Schau gottes. demnach verbindet Völker orat. 9,2 – wo
Origenes 2 Kor. 3,18 auslegt – mit der Stelle in Ioh. comm. XXXII 27, die denselben
Vers anführt und in ähnlicher Weise auf die vergöttlichende Schau bezieht. da-
durch dass Völker diese verschiedenen Aspekte in einer Schlussbetrachtung über
die sowohl betende als auch mystische Perspektive des Origenes vereint, behaup-
tet er, dass der Alexandriner eine religiöse Erfahrung der Welttranszendierung
in ihren wesentlichen zügen so nachgezeichnet habe, dass sie in diesem Sinne zu
einer regelrechten „ekstatischen“ Erfahrung führen könne.35
Es ist aufällig, wie inhaltsreich sich Völkers Analyse gestaltet, wobei er auch
auf andere Aspekte eingeht (z.B. das hema vom „unablässigen gebet“ gemäß
der Forderung des Paulus in 1 hess. 5,17).36 Allerdings wird sie zu sehr durch ein
33 „In περὶ εὐχῆς wird es [sc. das schweigsame gebet] übrigens nicht erwähnt, bzw. un-
deutlich an zwei versteckten Stellen, ein zeichen, wie wenig es dem Origenes in dieser
gelegenheitsschrit darauf ankam, eine systematische darstellung seines gebetslebens zu
geben, und wie vorsichtig man mit allen urteilen sein muss, die sich nur auf diese Schrit
stützen“ (Völker, Vollkommenheitsideal [wie Anm. 16] 208 Anm. 1).
34 „Wir haben es also hier mit einer höchsten Aufgipfelung des origenistischen gebetslebens
zu tun, das Herzensgebet mündet in die unio mystica ein“ (ebd. 209). Er verbindet die zwei
Stellen des traktats mit clemens von Alexandria, strom. VII 49,4: Διὰ τούτων ἑαυτὸν
ἑνοποιεῖ τῷ θείῳ χορῷ, ἐκ τῆς συνεχοῦς μνήμης εἰς ἀείμνηστον θεωρίαν ἐντεταγμένος
(Sc 428, 166); freilich geht es an dieser Stelle mehr um das ununterbrochene gebet als um
die unio mystica.
35 „Aus dem allen folgt, daß Origenes im inneren gebet einen zustand andeuten wollte, in
dem der mensch, erhaben über den Leib und die störende Sinnenwelt, in völliger Konzen-
tration auf das göttliche, in schweigender Betrachtung der gnosis teilhatig wird und die
umgestaltende Wirkung dieser Schau an sich erfährt. der gedanke, daß hier eine Parallele
zur Ekstase vorliege, ist naheliegend, und er wird über den Bereich einer bloßen Vermutung
durch die Parallele von Joh. co. XXXII 27 und περὶ εὐχῆς 9,2 hinausgehoben“ (ebd. 210).
36 Origenes hat dazu drei verschiedene Erklärungen geboten: „zunächst deutet er das stän-
„Vorurteil“ De oratione gegenüber geprägt, auch wenn der Verfasser sich schließ-
lich aus dem traktat gerade den Hauptpunkt seiner Argumentation zugunsten des
mystischen „Ausgangs“ des gebets holt, wie ihn Origenes seiner meinung nach
vorgestellt habe. man kann allerdings fragen, ob der von Völker behauptete mys-
tische und „vergöttlichende“ Ausgang wirklich die grenzen der neutestament-
lichen „mystik“ sprengt.37 Ausgehend von dem Bemühen, die eigentlich christ-
liche Frömmigkeit des Origenes wieder zu entdecken, kommt Völkers deutung
paradoxerweise dazu, den Alexandriner mehr „philosophisch“ und „spekulativ“
zu machen, als dieser es sein wollte. Auf der anderen Seite erkennt Völker nicht,
dass die „philosophischen“ Elemente des traktats nicht nur von den spekulativen
Aspekten abhängig sind, sondern auch von jenen zügen stammen, die nach den
neueren untersuchungen auf die geistigen übungen der antiken Philosophie zu-
rückzuführen sind. Auf jeden Fall handelt es sich um eine Rekonstruktion, die
meiner meinung nach die „agonische“ dimension zu entschärfen scheint, die mit
dem gebetsbild des Origenes eng verknüpt ist, indem sie es auch deswegen zu
eng an den anders gearteten Ansatz des clemens anlehnt.
Völkers untersuchung ist ein Bezugspunkt für alle geblieben, die sich wie er be-
müht haben, das Bild von einem „mystischen“ Origenes erneut in den mittelpunkt
zu stellen, aber sie hat auch verschiedene Reaktionen und unterscheidungen zur
Folge gehabt.38 Wenige Jahre später (1938) hat Aloisius Lieske der „Logosmystik“
dige gebet auf das innere, wortlose gebet, auf die mystische Versenkung, sodann sieht er
im übertragenen Sinne in den einzelnen taten des Frommen gebete, so daß dieser auf
diese Art die Forderung des Paulus erfülle“ (ebd. 218). „Eine dritte Erklärung des ständigen
gebetes gibt Origenes ebenfalls in περὶ εὐχῆς, indem er eine Kombination von mündlichem
gebet und tat fordert“ (ebd. 213). Wenn Origenes’ Vollkommenheitsideal durch die duali-
tät von θεωρία und πρᾶξις charakterisiert wird, so gilt dasselbe auch für sein gebetsleben.
37 man bedenke in diesem Sinne die Feststellung, die in Luc. frg. 174 (gcS Orig. 92, 300) zu
Lk. 11,2 zu lesen ist, und zwar betrefs des zustands von ,gottessöhnen‘ und des an ihn als
Vater adressierten gebets: οὐκ εἰς φύσιν ἡμᾶς ἀνάγων θεοῦ, ἀλλὰ χάριτος μεταδιδοὺς καὶ
τὸ ἑαυτοῦ ἀξίωμα ἡμῖν χαριζόμενος.
38 charles Kannengiesser, A century in Quest of Origen’s Spirituality, in: Luigi Franco
Pizzolato/marco Rizzi (Hg.), Origene maestro di vita spirituale. Origen master of Spir-
itual Life, mailand 2001, 3–19, resümiert die Reaktionen auf Völkers Buch, vor allem im
Hinblick auf die Frage nach dem „Systematiker“ Origenes: „Walter Völker’s remarkable
essay ... also reacted against de Faye and other proponents of Origen’s system, but with a
notion of spiritual perfection illed with Lutheran piety and, as urs von Balthasar would
later observe, with a complete lack of ecclesiology. Against Völker’s loose collection of
spiritual attitudes and themes, supposedly representing Origen’s thought, Hal Koch re-
sponded almost immediately in 1932 with his book, ‚Pronoia und Paideusis‘, emphasizing
des Alexandriners eine monographie gewidmet.39 Er erkennt als das Verdienst von
Völker an, dass er, um das Vollkommenheitsideal zu illustrieren, von der spiritu-
ellen Erfahrung des Origenes ausgegangen ist, wirt ihm aber gleichzeitig vor, sich
zu sehr von diesem Ausgangspunkt bestimmt haben zu lassen und ihn so über-
bewertet zu haben, während er den dogmatischen Horizont des Alexandriners
nicht genügend berücksichtigt habe.40 Lieske wertet die theologisch-dogmatische
Sichtweise der mystischen Vereinigung mit dem Logos, insoweit sie Ausdruck
der trinitarischen heologie der gnade ist, dermaßen auf, dass Erfahrungen ek-
statischer Art bei Origenes bezweifelt werden.41 die Logosmystik ist bei ihm eng
verbunden mit der theologischen Anthropologie und der Lehre von der gnade,
die beide durch die Vorstellung vom Abbild gottes im menschen gekennzeich-
net sind. nach Ansicht von Lieske bleibt die Spannung, wenn nicht die „Krise“
des von Origenes ausgearbeiteten modells im Verhältnis zum gemeinschatlichen
Bereich. trotz dieses Widerspruchs zur individuellen mystik ist Lieske bereit, die
Bemühungen des Alexandriners anzuerkennen, die Ebene des Individuums und
die der gemeinschat miteinander zu integrieren. Indem Lieske das systemati-
sierende moment mit der Perspektive des Systembruches zu verbinden versucht,
scheint er eine Brücke zwischen den unterschiedlichen Forschungsansätzen zu
schlagen und dadurch den „unsystematischen Ansatz“, weit verbreitet in der zeit
nach dem zweiten Weltkrieg, vorwegzunehmen.42
Stoic and middle Platonic structures in Origen’s systematic coherency. In 1949, Hans Jo-
nas also responded to Völker with a vigorous article on Origen’s mysticism, ‚die origenis-
tische Spekulation und die mystik‘. In 1951, Endre von Ivánka added some complementary
remarks, ‚zur geistesgeschichtlichen Einordnung des Origenismus‘; and inally, in 1966,
Franz Heinrich Kettler, in a very original essay, claimed to have isolated the genuine prin-
ciple of Origen’s thought, ‚der ursprüngliche Sinn der dogmatik des Origenes‘“ (ebd. 14).
39 Aloisius Lieske, die heologie der Logosmystik bei Origenes, münster 1938. zur weite-
ren Auseinandersetzung mit Völker siehe Adele monaci castagno, un invito alla vita
perfetta. Il περὶ εὐχῆς di Origene, in: Francesca cocchini (Hg.), Il dono e la sua ombra.
Ricerche sul περὶ εὐχῆς di Origene, Rom 1997, 116–138, hier 126f.
40 „So überaus wertvoll nun Völkers Arbeit dadurch ist, daß sie Origenes’ Frömmigkeitsle-
ben für die Beurteilung seiner Vollkommenheitslehre bewusst verwertet, so gerät doch
auch seine darstellung gerade dadurch in eine nicht geringe Krise, daß sie zu sehr beim
Erlebnismäßigen stehenbleibt und vor lauter zurückhaltung gegenüber allem dogmati-
schen Origenes zu wenig innerhalb seiner eigenen dogmatischen heologie wertet“ (Lies-
ke, Logosmystik [wie Anm. 39] 9).
41 Berner, Origenes (wie Anm. 2) 75, nimmt diesen Schluss ins Visier.
42 Obwohl ihm Lieske sozusagen als die „katholische Variante“ zu Völker erscheint, schätzt
Berner seine vermittelnde Stellung: „mit seinem Insistieren auf den logischen und dog-
matischen zusammenhängen scheint Lieske der systematischen Origenes-Forschung nä-
herzukommen. durch seine Abwendung von de Faye und Koch, durch die Betonung der
kirchlichen Bindung und die Berücksichtigung der Homilien bleibt er aber mit der ten-
denz Völkers verbunden und ordnet sich in die ‚nicht-systematische‘ Forschungstradition
ein. mit den Begrifen der ‚Krise‘ und der ‚Spannung‘ hat Lieske Beschreibungskategorien
tatsächlich haben sich französische Patristiker – wie vor allem die bekann-
testen Vertreter des ressourcement, Henri de Lubac und Jean daniélou – diese
Interpretation zu eigen gemacht. In seinem fundamentalen Werk über die Bi-
belhermeneutik des Origenes „Histoire et Esprit“ (1950) sympathisiert de Lubac
mit Völkers Reaktion auf die intellektualistische und systematische Interpretation
des Alexandriners, aber er kommt der Einstellung Lieskes näher, nicht zuletzt
wegen seiner Bindung an Hans urs von Balthasar, den Schweizer heologen, der
entscheidend zur Wiederaneignung des Origenes im 20. Jahrhundert beigetragen
hat.43 Seinerseits hat Henri crouzel bei der Erforschung der Beziehung zwischen
glaube und gnosis bei Origenes die mystische Komponente der Erkenntnis, in
der der glaube seine Vervollkommnung indet, in den Vordergrund gestellt.44
Wie de Lubac befasst sich allerdings crouzel vor allem mit dem Sinn des christ-
lichen mysteriums und seiner zentralen Bedeutung bei Origenes, während er –
den Ansatz von Lieske weiterführend – die Beziehung des menschen zu gott,
der Ansicht des Alexandriners entsprechend, als von der „heologie des Bildes“
bestimmt betrachtet.45 gerade die Verbindung zwischen glaube und gnosis hat
dazu geführt, dass man es paradoxerweise vorzieht, in Bezug auf Origenes von
einer „mystik des Lichtes“ oder von einer „intellektuellen mystik“ zu reden, wie
z.B. Jean daniélou,46 wobei der vulgarisierte Idealtypus mystischer Erfahrung –
wie bekannt – eher an die Vereinigung der Seele mit gott als moment ihrer „um-
nachtung“ oder „Verdunkelung“ denken lässt.
die Verwendung von Kategorien, die sich in dieser oder jener Hinsicht als
problematisch herausgestellt haben, lädt nun dazu ein, sich eher den Studien zu-
zuwenden, die sich auf die Analyse unseres traktats konzentriert haben. Abge-
sehen von der übersetzung von Eric george Jay (1954) und der nachfolgenden
monographie von Wilhelm gessel (1975) indet man neue, tiefergehende Erkennt-
nisse vor allem in einzelnen speziellen Studien. Ohne jetzt die jüngste Forschung
im detail durchgehen zu wollen (eine ehrlich gesagt nicht allzu üppige, was die
unmittelbaren Studien über De oratione oder, im Allgemeinen, zum gebet bei
Origenes angeht), möchte ich wenigstens jene Beiträge erwähnen, die neue Anre-
gungen gegeben und weiter zu verfolgende Ansätze aufgezeigt haben.
Allein anhand der Edition (1899) und der übersetzung (1926) von Paul Ko-
etschau lässt sich feststellen, wie wichtig die Arbeit des übersetzens ist, um ei-
nen schwierigen text wie De oratione zu erschließen.47 unter den verschiedenen
englischen übersetzungen ist besonders die von Jay wertvoll, da sie mit einer
ausführlichen Einleitung und kommentierenden Fußnoten versehen ist.48 die
Absicht des übersetzers ist, entsprechend der seit Völker geltenden tendenz,
die unterschiedlichen gesichtspunkte, die bei der Analyse des traktats ans Licht
gekommen sind, miteinander zu vereinen und Origenes als „Beter“ neben dem
„Philosophen“ und dem „heologen“ erkennen zu lassen. um diesen zweck zu
erreichen, verfolgt Jay noch einmal die geschichte des gebets von den Anfän-
46 Jean daniélou, Origene. Il genio del cristianesimo, Rom 1991 (frz.: Origène. Le génie
du christianisme, Paris 1948, 287–301), 350. Vgl. auch Andrew Louth, christian mystical
tradition, Oxford 1981, 102–104; Bernard mcginn, he Foundations of mysticism. Ori-
gins to the Fith century, London 1991, 108–130.
47 In diesem Sinne sei hier an die übersetzung von Koetschau erinnert, die nach mehr als
25 Jahren eine bedeutende Revision seiner gcS-Edition darstellte: des Origenes Schriten
vom gebet und Ermahnung zum martyrium, übersetzt von Paul Koetschau (BKV2 48),
münchen 1926, 1–148. zur früheren Rezeption von De oratione sowie zur überlieferungs-
und Editionsgeschichte bis Koetschau siehe meinen Beitrag: zur Edition von περὶ εὐχῆς
des Origenes. Rückblick und Ausblick, in: Beate Regina Suchla (Hg.), Festschrit für An-
tonie Wlosok (im druck).
48 Eric george Jay, Origen’s treatise on Prayer. translation and notes with an Account of the
Practice and doctrine of Prayer from new testament times to Origen, London 1954. man
kann noch auf eine andere wertvolle englische übersetzung von De oratione hinweisen,
die Oulton im selben Jahr wie Jay für den folgenden Band besorgt hat: Alexandrian chris-
tianity. Selected translations of clement and Origen with Introductions and notes by John
Ernest Leonard Oulton/Henri chadwick, London 1954.
49 der übersetzung setzt Jay zwei Abschnitte voran: „I. das gebet in der frühen Kirhe“; „II.
Origenes“. In seiner kurz gezeichneten darstellung vom gebet im Frühchristentum erin-
nert Jay daran, wie das neue testament „is the literature of a community for whom prayer
was an essential part of life“ (Jay, Origen’s treatise [wie Anm. 48] 3f.). Allerdings hat in
den neutestamentlichen Schriten die Erfahrung den Vorrang vor der Relexion, obwohl
sich Ansätze zu einer heologie des gebets abzeichnen. Paulus bietet dazu ein wichtiges
Element, indem er auf die neuigkeit des christlichen gebets aufgrund der mitwirkung des
geistes hinweist (vgl. gal. 4,4–7; Röm. 8,26f.). daran knüpt sich die mithilfe des aufer-
standenen christus, ein hema, das der Hebräerbrief durch das motiv von Jesus christus
als Hohempriester besonders entfaltet.
50 „he secret, then, of the joyous and conident prayer of christians of the irst century
is their faith that the Holy Spirit, the Spirit of christ’s own Sonship, was in their hearts,
prompting their words, and their knowledge that Jesus christ, risen, ascended, gloriied,
was praying with them“ (ebd. 6).
51 nach Jay stellt das denken Justins die tiefste Aufassung des gebets dar, denn er kennt die
Lobpreisung, die danksagung, die Fürbitte und das Bittgebet. zur Bedeutung und grenze
des apologetischen diskurses über das gebet siehe meinen Beitrag: For the Sake of a „Ra-
tional Worship“. he Issue of Prayer and cult in Early christian Apologetics, in: Anders-
christian Jacobsen/Jörg ulrich/david Brakke (Hg.), critique and Apologetics. Jews,
christians and Pagans in Antiquity, Frankfurt a.m. 2009, 231–264.
52 „Irenaeus’s meaning appears to be that the oferings made by christians at the altar in the
Eucharist must be thought of as particular and explicit expressions of what is implicit in
the whole christian life, namely service of god, without intermission directed to Almighty
god in heaven. he life of the true christian is a life in which prayer and service are woven
together, and in which speciic acts of public worship, as in the Eucharist, complete the
pattern“ (Jay, Origen’s treatise [wie Anm. 48] 17).
Was dann tertullian betrit, bei dem sich übrigens dieselben Arten von gebet
inden wie diejenigen, über die Origenes relektiert, fehlen eigentlich nach Jay mit
clemens und Origenes vergleichbare Ansätze zur mystik.53
die am ehesten mit De oratione vergleichbare Schrit in der frühchristlichen
Literatur bis Origenes ist, wie bekannt, die Abhandlung, die clemens von Alex-
andria im siebten Buch der Stromateis dem gebet widmet, wobei sie nach mei-
nung von Jay auch die erste systematische darstellung zum hema ist. Er zeich-
net deshalb in erster Linie den allgemeinen Rahmen des christlichen, von einem
ausgeprägten „Intellektualismus“ gekennzeichneten Ideals des clemens nach.
dennoch, die diesem Ideal innewohnende dynamik vereitelt ein konsequentes
Ergebnis dieser Art, weil die christliche Existenz zwar vom glauben (πίστις) aus
zur Erkenntnis (γνῶσις) geht, um aber dann paulinisch gesehen den gipfel in
der Liebe (ἀγάπη) zu erreichen. nach der Sichtweise des clemens ist das gebet
in erster Linie das Bewusstsein der „ständigen gegenwart gottes“.54 Allerdings
verrät er ein gewisses unbehagen, die eigenen Ideen zum gebet des gnostikers
mit dem gebet des einfachen christen zu verbinden. Einige Passagen lassen den
Verdacht einer gewissen überheblichkeit oder eines gefühls der überlegenheit
bei dem „Vollkommenen“ entstehen, aber clemens ist doch der meinung, dass
der gnostiker die Frömmigkeitsformen des einfachen christen, wenn auch mit
einer gewissen Herablassung, teilen sollte.
Bei eingehender untersuchung des gebets des gnostikers erkennt Jay als
seine beiden Hauptmerkmale das Lob und den dank, während es wenige Hin-
weise auf ein gebet des Sündenbekenntnisses gibt, was übrigens auch für die
vorangehenden Autoren gilt. das hängt wohl damit zusammen, dass der gnos-
tiker schon einen solchen grad der Vollkommenheit erreicht hat (soweit es
dem Leben im Fleisch möglich ist), dass er sich in einem zustand der tugend
beindet. man könnte bezweifeln, dass es bei einer intellektualistischen Sicht-
weise wie der von clemens noch Raum für das Bittgebet und für die Fürbitte
gibt. doch im gegenteil: clemens widmet ihnen beiden seine Aufmerksamkeit,
ohne Widersprüche zu seiner eigentlichen Aufassung zu bemerken. Wenn er
sich damit dem traditionellen gebet annähert, so entfernt er sich erneut da-
von aufgrund der von Jay als etwas „naiv“ bezeichneten überzeugung, dass das
gebet des gnostikers immer erhört wird.55 Im übrigen hat sich clemens auch
53 „We ind none of the mysticism which we are to meet in certain formes in the christian
Platonists of Alexandria“ (ebd. 25).
54 Jay betont die Bedeutung des schweigenden gebets bei clemens: „true prayer ..., accord-
ing to clement, is a constant intercourse with god. But god is a god who knows and per-
ceives all things, and thoughts as well as words ... hus prayer is expressed in the gnostic’s
thoughts rather than by words“ (ebd. 28).
55 „he success which invariably attends the prayer of the true gnostic depends on the re-
ined nature of his prayer“ (ebd. 32).
mit dem gebet der unwürdigen, das – wie er feststellt – zuweilen von gott er-
hört wird, beschätigt. Auf mögliche Einwände entgegnet er, dass diese gebete
den Frevlern keine wirklichen Vorteile bringen oder zum Wohl anderer erhört
werden. Abschließend schwächt Jay noch einmal den Vorwurf des Intellektu-
alismus gegen clemens ab, weil dessen gebetserfahrung im grunde der des
einfachen christen näherzukommen versucht.56
In der daraufolgenden darstellung werden die Aufassungen des Origenes
und des clemens im Einzelnen miteinander verglichen. Jay unterstreicht einlei-
tend zwei charakteristische merkmale der Lehre des Origenes: Einerseits stellt er
sich als getreuen nachfolger des clemens dar und bekennt sich dementsprechend
zu einem intellektualistischen mystizismus; andererseits scheint er jedoch dem
einfachen christen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. So enthält De oratione
eine Anzahl von Ratschlägen, die ein Anfänger für seine Andacht als praktisch
und förderlich betrachten könnte. Auch Jay erörtert ausführlich, inwieweit es
möglich ist, die hese von Völker über den mystizismus des Origenes zu akzep-
tieren. dabei erinnert er ähnlich wie daniélou daran, dass im dritten Stadium
der Erkenntnis, vom Alexandriner speziell in seinem Kommentar zum Hohen-
lied erörtert – das heißt die „heologie“ oder „gottesschau“ nach der Ethik und
der Physik –, das Element der göttlichen umnachtung fehlt, das schon bei Philon
vorhanden ist und von gregor von nyssa weiterentwickelt wird. der nyssener ist
seiner meinung nach der wahre Initiator der christlichen mystik. Origenes bleibt
dagegen immer mit der Vorstellung verbunden, dass die Beziehung zu gott die
„gnosis“ impliziert.57 dementsprechend fehlen bei ihm pantheistische züge oder
die mystische Ruhe: die Seele ist immer mit ihrem freien Willen versehen, und
als solche kann sie sich entweder für das gute oder für das Böse entscheiden. das
wird bestens von De oratione selbst bestätigt, wo Origenes kaum auf mystische
hemen eingeht. Jay spricht deshalb ausdrücklich vom „unmystischen charak-
ter“ des traktats und lobt seinen praktischen nutzen, der ihn zu einem wertvollen
Führer in der ars orandi macht.58 trotz einer vielleicht zu weit gehenden Assimi-
lierung von Origenes’ Ansatz mit dem des clemens erweist sich die Interpretation
von Jay als hilfreich, nicht nur um den größeren zusammenhang von De oratione
56 „Enough has been said to show that in spite of the tendency towards an intellectual mys-
ticism in clement’s doctrine of prayer, he still regards it, for a great part of the time, as
does the ‚average‘ christian, as the converse of the soul with god, expressing its wonder
at god’s greatness in praise, its gratitude for god’s goodness in thanksgiving, its sense of
unworthiness in confession, and its needs in petition“ (ebd. 34).
57 „Origen stays in the domain of gnosis“ (ebd. 66).
58 „his treatise is a thoroughly practical guide to the practice of prayer, setting forth in-
struction on the proper disposition of the mind in preparation, the division of prayer into
praise, thanksgiving, confession, and intercession, the proper posture, place, and times for
prayer, as well as a detailed commentary on the Lord’s Prayer“ (ebd. 68).
das wachsende Interesse für den origeneischen traktat in den letzten drei Jahr-
zehnten wird vor allem durch die schöne monographie von Wilhelm gessel be-
zeugt.59 dieser ersten systematischen untersuchung nach der kleinen Studie von
genet am Anfang des 20. Jahrhunderts folgten andere Beiträge desselben Autors,
die einzelne Aspekte des textes behandeln.60 die Systematik der Arbeit von ges-
sel geht von seinem Bemühen aus, die heologie des gebets von De oratione in ih-
rer ganzen Breite nachzuzeichnen. dabei lässt er absichtlich die übrigen Schriten
des Origenes beiseite, insbesondere die Homilien, in der überzeugung, dass De
oratione eine eigenständige größe darstellt.61 diese Wahl – die zwar legitim, aber
meiner meinung nach nicht ganz zu rechtfertigen ist – wird von einer wichtigen
Erklärung zur methodik begleitet. derzufolge soll eine systematische Sammlung
und Verknüpfung des in der origeneischen Schrit verstreuten materials ihre in-
nere Logik ans Licht bringen.62 Obwohl der Verfasser von Haus aus heologe war,
bietet er im ersten Kapitel eine besonders interessante und originelle Analyse der
„formal-literarischen“ Aspekte, die wiederum nach seiner Sicht die Eigenart von
De oratione deutlich machen.
Ein solcher Ansatz, der sich schon allein wegen seiner Seltenheit in der zeitge-
nössischen Forschung als sehr verdienstvoll erweist, hilt uns zu verstehen, wel-
che besondere mühe sich Origenes bei der Abfassung dieser Schrit gegeben hat.
59 Wilhelm gessel, die heologie des gebetes nach „de oratione“ von Origenes, münchen/
Paderborn/Wien 1975.
60 ders., der origeneische gebetslogos und die heologie der mystik des gebetes, in: mhz 28
(1977) 397–407; ders., Kennt der origeneische gebetslogos eine heologie der mystik des
gebetes?, in: Henri crouzel/Antonio Quacquarelli (Hg.), Origeniana Secunda, Bari 1980,
119–127; ders., Elemente des Briefstiles im origeneischen gebetslogos, in: Franz Paschke
(Hg.), überlieferungsgeschichtliche untersuchungen, Berlin 1981, 245–250.
61 „zur Rechtfertigung dieser Beschränkung auf den gebetslogos sei zunächst darauf hin-
gewiesen, daß das gebetswerk eine eigenständige größe darstellt, die nicht leichtfertig
in die sonstigen Äußerungen des Origenes zum hema gebet und vor allem nicht in den
Rahmen der zahlreich überlieferten origeneischen gebete hineingepresst werden sollte“
(gessel, heologie des gebetes [wie Anm. 59] 10).
62 „danach ist das Werk ‚Vom gebet‘ sorgfältig zu sezieren. die so eruierten teile müssen
gesammelt, nach logischen gesichtspunkten geordnet und in ein System gebracht werden.
Es muss dabei der Blick auf das ganze des Autors und auf den zusammenhang gerichtet
sein, dem der teil entstammt“ (ebd. 10).
nach gessel bedient sich nämlich der Alexandriner darin eines gehobenen Stils,
der durch die intensivere stilistische Ausarbeitung deutlich wird. die stilvolle ge-
staltung entspricht einerseits dem gehobenen und anspruchsvollen gehalt und
erfüllt andererseits die Erwartungen eines ausgewählten Publikums. Statt auf die
brielichen merkmale gewicht zu legen – da sie in Anbetracht einer kaum fest
deinierbaren literarischen gattung wie der des „Briefes“ weniger beweiskrätig
erscheinen –,63 weist gessel vielmehr auf die verheißungsvolle Forschungsspur
der rhetorischen Rede hin, wenn er den traktat dem genus deliberativum zuord-
net. Obwohl das modell der politischen Rede vor einer Versammlung entspre-
chend den normen antiker Rhetorik hier zunächst verblüfend erscheint, eignet
sich gessels Hinweis ohne weiteres dazu, De oratione als „protreptische Rede“ zu
verstehen. In der tat, wenn es im genus deliberativum darum ging, eine zukünf-
tige Handlung zu empfehlen oder davon abzuraten, mahnt der Alexandriner in
De oratione, die gebetspraxis zu plegen und dabei von einer kritischen Haltung
betrefs des Betens Abstand zu nehmen.64
Wenn wir noch auf der Ebene der literarischen Analyse bleiben, so können wir
den Versuch gessels schätzen, die Struktur des traktates neu zu beleuchten. das
hema hat ja viele Fragen hervorgerufen, und in jüngster zeit sind verschiedene
Beiträge dazu erschienen. zunächst stellt gessel, ähnlich wie andere Kritiker, fest,
dass der traktat eine auf den ersten Blick ungeordnete und bunte Struktur auf-
weist, und zwar trotz der vom Autor selbst angegebenen literarischen Absichten.
daher scheint De oratione aus zwei bzw. drei verschiedenen Aufsätzen zusammen-
gesetzt zu sein. trotzdem wird die einheitliche Physiognomie der Schrit nun auf
indirekte Weise deutlicher, wenn es gelingt, die Hinweise des Autors selbst über-
gehend (der immerhin, mindestens im Prinzip, ein einheitliches Werk anstrebt),
die begriliche dynamik zu begreifen, die dem traktat seine Einheitlichkeit ver-
63 Es erweckt ein gewisses Staunen, dass die Adressierung an tatiana wörtlich genommen
(sic!) und dadurch mit der formula valetudinis der Brietopik verglichen wird: „gerade
in der lebhaten Anteilnahme des Origenes am körperlichen Wohlsein der Adressatin, an
den dingen, die sie ganz persönlich betrefen, zeigt sich der philophronetische charakter
der formula valetudinis“ (ebd. 74). die eigentliche Bedeutung dieser Adressierung wird
zurecht von castagno, Invito (wie Anm. 39) 118 Anm. 7, charakterisiert: „Sullo sfondo
della frase è presente quell’esegesi origeniana che vede in Sara la igura della virtù di cui
l’uomo saggio deve ascoltare sempre i consigli (HGn VI 1); in quanto virtuosa, taziana si
è spogliata degli elementi femminili e si è ‚virilizzata‘.“ Vgl. auch in gen. hom. 8,10 (gcS
Orig. 6, 85f.): Si ergo deiciant muliebria ieri in anima tua, generas ilium de coniuge tua,
virtute et sapientia, gaudium ac laetitiam.
64 Ich habe diesen Standpunkt in folgendem Beitrag vertreten: Il discorso protrettico di Ori-
gene sulla preghiera. Introduzione al περὶ εὐχῆς, in: cocchini, dono (wie Anm. 39) 7–32.
Es überrascht, dass gessel nicht das Bedürfnis empindet, Vergleichsmaterial aus der phi-
losophischen tradition heranzuziehen. Er hätte aber auch auf christliche Schriten wie Ad
martyras von tertullian, die zugleich ein Brief und eine protreptische Rede ist, hinweisen
können.
leiht. unter diesem Blickpunkt gesehen, bringt gessel erneut einen interessan-
ten Aspekt ans Licht, wenn er die Argumentation des Origenes nicht so sehr als
eine systematische Konstruktion, sondern eher als das Resultat von begrilichen
Assoziationen aufasst, die sich um bestimmte Kerne kristallisieren.65 Auf diese
Weise kommt gessel dazu, ein besser integriertes und harmonisches Proil von
De oratione zu entwerfen, indem er die „begrilichen Kristallisierungen“ erhellt,
die aufgrund dieser assoziierenden Logik das gerüst der Schrit bilden.66
Viele andere Aspekte der untersuchung von gessel würden verdienen, hier
erwähnt zu werden. Seine Analyse ist ein klarer Beweis für die vielfältigen über-
legungen und Schlüsse, die eine dermaßen inhaltsreiche Schrit zutage fördern
kann. um meine zusammenfassung abzuschließen, möchte ich nur noch die
Aufmerksamkeit erwähnen, die der Autor einerseits der biblischen Substanz des
denkens des Origenes, andererseits der Widerlegung der mystischen deutung
von De oratione durch Völker und andere ihm nahestehende Interpreten widmet.
Obwohl gessel keine speziische untersuchung zum gebrauch der Bibel in De
oratione anstrebte – eine solche Aufgabe wurde in der Folgezeit einerseits von
Ramón trevijano Etcheverria und Francesca cocchini, andererseits besonders
65 „Freilich wäre es verfehlt, bei Origenes’ Ausführungen den strengen maßstab und das kla-
re Ordnungsprinzip der auf Aristoteles zurückgehenden und im 12. Jahrhundert entwi-
ckelten methode der scholastischen Quaestio disputata voraussetzen zu wollen. Vielmehr
schätzt Origenes die Assoziationsmethode, die dem entgegenkommt, der seine gedanken
in kurzer zeit niederzulegen sich veranlasst sieht“ (gessel, heologie des gebetes [wie
Anm. 59] 45). die Bemerkung ist ohne weiteres zutrefend, ohne allerdings zu vergessen,
dass Origenes manchmal ziemlich formell strukturiert vorgehen kann (man vergleiche
meinen Aufsatz: La parrhêsia di mosè. L’argomentazione di Origene nel trattato sul libero
arbitrio e il metodo delle „quaestiones et responsiones“, in: Lorenzo Perrone [Hg.], Il
cuore indurito del Faraone. Origene e il problema del libero arbitrio, genua 1992, 31–64).
Es genügt außerdem, die Exhortatio ad martyrium mit De oratione zu vergleichen, um
zu verstehen, wo tatsächlich die angegebene „assoziative methode“ ihre Spur am ehesten
hinterlässt, nämlich gerade in der ersten dieser beiden Schriten.
66 „um diese gliederungskerne oder Kristallisationspunkte bewegen sich die einzelnen
‚Schalen‘ der gedankenreihen. dabei wirken die gliederungskerne als Integrationszent-
ren. Es wäre möglich, den Inhalt der gliederungskerne in seiner integrierenden Funktion
mit dem Inhalt von Wort- und Begrifsfeldern zu vergleichen. Als die hauptsächlichsten
Kristallisationspunkte in sinngemäßer Abfolge können stichwortartig genannt werden:
Absolute Prädestination und deren Widerlegung – freie Selbstbestimmung – göttliche
Vorsehung – προσευχή – nutzen des gebetes – gebet um das Himmlische und große
– praktische Ratschläge“ (gessel, heologie des gebetes [wie Anm. 59] 48). Auch im Hin-
blick darauf (und mit dem Hinweis auf das Vorgehen Jays mit seiner übersetzung) legt
gessel eine Revision der geläuigen Kapitelgliederung im Fall einer neuen Edition nahe
(ebd. 46 Anm. 142). Ich denke meinerseits, dass die Schwierigkeiten der Leser, ohne die
traditionelle Einteilung (mit wenigen Ausnahmen) anzutasten, beträchtlich erleichtert
werden könnten, wenn die mise en page des textes sich eher an den gedankengang des
Origenes halten würde, ohne dem kompakt gedruckten modell der gcS zu folgen (siehe
dazu meinen Aufsatz in Anm. 47).
durch die verdienstvolle Arbeit von maria-Barbara von Stritzky über die Ausle-
gung des Vaterunsers übernommen67 –, stellt er sehr einleuchtend das letztlich
schwerwiegende Kriterium der auctoritas der Schrit bei Origenes fest, auch wenn
die Sprache des Alexandriners von der biblischen κοινή weitgehend unberührt
bleibt.68 Was den zweiten Aspekt angeht, fragt auch gessel danach, auf welche
Weise gott im Betenden gegenwärtig ist. Auch wenn diese gegenwart für Ori-
genes nicht bezweifelt werden darf, impliziert sie doch nicht, im unterschied zu
Völker, eine Vereinigung ekstatischer natur mit gott. dies gelte besonders sowohl
für orat. 9,2 als auch für 10,2. die erste Stelle, in ihrem zusammenhang gesehen,
zielt keineswegs darauf, den mystischen gipfel religiöser Erfahrung darzustellen,
sondern spiegelt vielmehr das motiv des geistigen nutzens bei der Vorbereitung
zum gebet wider. Außerdem sollte sie im Rahmen der origeneischen Lehre vom
„Abbild gottes“ im menschen verstanden werden, das durch die Anwesenheit
gottes im ἡγεμονικόν der Seele gesichert wird. doch ist in diesem Fall die Kate-
gorie, die gottes Anwesenheit bezeichnen soll, nicht so sehr der Begrif der unio
mystica, sondern vielmehr der der „Anteilnahme“ (μετοχή) an gott.69 Origenes’
Formulierung weist somit auf den Prozess einer „Spiritualisierung“ im Beter hin,
der unter anderem auch die Vergebung von erlittenem unrecht miteinbezieht.70
Was dann orat. 10,2 betrit, auch wenn an dieser Stelle die Rede von einer „Ver-
göttlichung“ erlaubt ist, so bedeutet dies keineswegs das Aufgehen individueller
Existenz in der Vereinigung mit gott, sondern den Aufstieg des Intellekts in der
durch das gebet erreichten Kommunion mit ihm. Es ist also nicht angebracht,
nach gessel, in De oratione nach einer „mystik des gebets“ zu suchen.
zweifellos hat die untersuchung von gessel dazu beigetragen, die mannigfa-
chen Inhalte von De oratione gründlich zu erörtern, obwohl sie vielleicht weniger
Echo gefunden hat, als man erwartet hätte. Ihre Schwäche besteht meines Erach-
tens gerade in ihrer methode, die im grunde auch ihre Stärke ist. die „Anato-
mie“, oder besser gesagt: die „Sezierung“, die der Autor im text des Origenes so
durchführt, dass er daraus ein organisches denken zum gebet gewinnen kann,
riskiert in der tat, ohne dies zu wollen, den unmittelbaren Kontakt mit der Schrit
und ihrem speziischen Proil zu verlieren. dies lässt sich schon am Inhaltsver-
zeichnis feststellen: gessel berut sich darin nicht auf die Hauptgliederungen des
traktats, sondern hat sie entsprechend der von ihm behaupteten „grundlogik“
von De oratione umdisponiert. Wenn man das Buch mit De oratione vergleicht,
könnte man meinen, es sei schwierig, darin das gerüst der Schrit des Origenes
wiederzuinden, wenn sich auch kaum jemand anderer so ernsthat wie gessel
damit auseinandergesetzt hat.71 darüber hinaus war natürlich die Entscheidung,
vom Vergleich mit den Homilien abzusehen, Kritiken ausgesetzt, wie es vor allem
durch Pieter Sietze Adrianus Lefeber geschehen ist. gessels Interesse für die Art
der Argumentation und ihre formale gestaltung hat jedoch ein positives Echo
bei Éric Junod (1980) gefunden, der den so anspruchsvollen und problematischen
Prolog sehr aufmerksam analysiert hat.72 der Schweizer Forscher hat ihn mit an-
70 „der in der gebetsvorbereitung bzw. während des gebetsaktes erfolgende chorismos der
Seele vom Soma bedeutet keineswegs eine ekstatische Eingrenzung der Seele, sondern eine
Ausgrenzung und Abgrenzung des Hegemonikons, bzw. des nus oder des Herzens, also
des oberen Seelenteiles gegenüber dem belastenden somatischen Bereich der Seele. das
geistigwerden der Seele, ihre Vergeistigung, die unter anderem die Verzeihung des er-
littenen Bösen miteinschließt, ist an unserer Stelle nicht absolutes, für sich bestehendes
ziel, sondern benennt das Ergebnis eines Läuterungs- und Reinigungsvorganges, der die
gottebenbildlichkeit des Beters voll zur Wirkung bringt und so die Voraussetzung für eine
ungetrübte und ungestörte gottbegegnung durch das gebet schat“ (ebd. 209f.).
71 So behandelt gessel (vgl. das Inhaltsverzeichnis ebd. 7f.) nach der Analyse der literari-
schen Aspekte („der formal-literarische charakter der gebetsschrit“ [1]) die „Arten des
gebetes“ (2), „gott der Vater“ (3), „die Interzession des geistes“ (4), „das gebet, ‚wie es
sich ziemt‘“ (5), „gebet und Vorsehung“ (6), „Inhalt und ziel des Bittgebetes“ (7), „der
nutzen des gebetes“ (8), „die Erhörung des gebetes“ (9), „das ‚unablässige gebet‘“ (10).
72 Éric Junod, L’impossible et le possible. Étude de la déclaration préliminaire du De oratione,
in: crouzel/Quacquarelli, Origeniana Secunda (wie Anm. 60) 81–93 (vgl. auch unten
Anm. 74). Auch Eric Osborn, he Intermediate World in Origen’s „On Prayer“, in: ebd. 95–
deren Vorworten von Origenes (sel. in Ps. 1–25, in gen. frg., in Ioh. comm. und
cels.) verglichen und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass auch in dieser Hin-
sicht die Singularität von De oratione anzuerkennen ist. gleichzeitig hat er auch
manche Ähnlichkeiten festgestellt, insofern als alle Prologe etwas gemeinsam ha-
ben: Alle drehen sich um die Frage, ob es möglich sei, über die göttlichen dinge
zu schreiben, gottes geheimnisse zu erforschen.73 Jedenfalls betrachtet Junod die
anfängliche Stellungnahme von De oratione wie eine Art von „erratischem Block“,
etwas ein wenig Rätselhates, wenn man es mit dem Rest dieser Schrit vergleicht.
doch bietet gerade der Prolog, meiner Ansicht nach, den Hauptschlüssel zur
deutung des gesamten traktats.74
In den letzten Jahren sind zwei Beiträge besonders auf das Verhältnis zwischen
De oratione und den Homilien eingegangen. Ausgehend von der Annahme, der
traktat enthalte eine unterschiedliche, wenn nicht gerade „divergierende“ Pers-
pektive, hat daniel Sheerin (1988) versucht, die Rolle des gebets in den Homilien
besser zu ergründen.75 Auch wenn der Verfasser eigentlich nicht über die behaup-
tete „dissonanz“ relektiert, bietet sein Aufsatz sowohl ein nützliches Inventar von
materialien als auch Vorschläge zu weiteren untersuchungen. unter diesen weist
Sheerin ausdrücklich auf die Frage hin, in welchem maß die in De oratione dar-
gestellte gebetstheologie von den Homilien bestätigt wird.76 diese Fragestellung
103, hat auf die Verbindung zwischen dem gebet und der Erkenntnis gottes hingewiesen.
73 die Betonung der gnade, um die Antinomie „unmöglich/möglich“ zu lösen, impliziert für
Junod „une critique implicite de ceux qui croient que la raison humaine, livrée à elle-mê-
me, est en mesure d’appréhender ce qui n’appartient pas au monde des hommes“ (Junod,
L’impossible [wie Anm. 72] 89).
74 Auch castagno, Invito (wie Anm. 39) 125, kommt zu derselben Aufassung: „Se l’inda-
gine non si limita al prologo, risulta evidente che impossibile non è soltanto la conoscenza
di dio, ma la preghiera in quanto conoscenza di dio ... e in quanto culto e forma di vita.“
Auf den Prolog als den Hauptschlüssel, um das „Problem des gebets“ zu verstehen, hat
zuletzt auch Junod hingewiesen: La construction du περὶ εὐχῆς d’Origène et le „problème
de la prière“, in: györgy Heidl/Róbert Somos (Hg.), Origeniana nona. Origen and the
Religious Practice of His time, Leuven 2009, 429–446.
75 daniel Sheerin, he Role of Prayer in Origen’s Homilies, in: charles Kannengiesser/
William Lawrence Petersen (Hg.), Origen of Alexandria. His World and His Legacy,
notre dame 1988, 200–214.
76 „I have been able to give only a brief account of the important role of prayer in these
homilies and a sketchy catalogue of the kinds of prayer. detailed study of these phenom-
ena, both in their broader ramiications (relationship of theory of De oratione to practice
of homilies, sacerdotal role of preacher, role of prayer in hermeneutics), and in the in-
teractions within the homilies of prayers and calls-to prayer which have, in some case,
been artiicially sundered from one another in this treatment for the sake of classiication,
remains to be done, but it is hoped that this sketch may provide a irst step in these direc-
tions“ (ebd. 213). Für eine Bewertung des gebets in den Homilien, entsprechend diesen
Hinweisen, verweise ich auf meine Beiträge: mosè ci viene letto nella chiesa. Introduzione
alle „Omelie sulla genesi“ di Origene, in: Sal. 60 (1998) 251–272, erneut in: Enrico dal
indet man einige Jahre später in der holländischen dissertation von Pieter Sietze
Adrianus Lefeber, der sich punktuell mit diesem hema befasst.77 die Ergebnisse
von Lefeber sind den hesen von Völker diametral entgegengesetzt. dabei stellt
sich der Verfasser teilweise auch gegen die hesen von gessel, insofern er dessen
Bewertung von De oratione als einer schlecht strukturierten Schrit ablehnt. Im
gegenteil lässt sich nach Lefeber feststellen, wie die von Origenes vorgebrachten
überlegungen des ersten Abschnitts im zweiten mit der Auslegung des Vaterun-
sers eine Entsprechung inden.78 Im unterschied zu gessel möchte sich Lefebers
Ansatz, ohne De oratione zu isolieren und die Schrit übertrieben zu systemati-
sieren, durch die Wiedergabe der Ideen des Origenes selbst auszeichnen. gleich-
zeitig betont er aufälligerweise mehr als üblich das „agonische“ Element, das die
Vision vom gebet beim Alexandriner auch in den Homilien kennzeichne.79 So
charakterisiert Lefeber die Lage des Beters ausgehend von der Schwachheit und
Sündhatigkeit des menschen. Während Völker auf das gebet des Sünders kaum
eingegangen ist, betrachtet es Lefeber als ein merkmal der menschlichen Existenz
selbst. der mensch wendet sich nämlich an gott aufgrund der Reue über die ei-
gene Schuld und des Verlangens nach Sühne. Auf diese Weise bekennt er die not-
wendigkeit der unterstützung durch gott, um nicht mehr der Sünde zum Opfer
zu fallen. Je größer darüber hinaus die Bewunderung für die Herrlichkeit gottes
ist, desto krätiger wird der Wunsch, seine Hilfe zu erlangen.80 zusammenfassend
gesagt, beweist nach Lefeber gerade die grundsätzliche agonische dimension die
covolo/Lorenzo Perrone (Hg.), mosè ci viene letto nella chiesa. Lettura delle Omelie
di Origene sulla genesi, Rom 1999, 11–31; La prière des chrétiens selon Origène, in: gilles
dorival/didier Pralon (Hg.), Prières méditerranéennes hier et aujourd’hui, Aix-en-
Provence 2000, 201–221.
77 Pieter Sietze Adrianus Lefeber, Keuze en verlangen. Een onderzoek zin en functie van
het gebed in Origenes’ preken en zijn tractaat Over het gebed, gorinchem 1997. Vgl. auch
ders., he Same View on Prayer in Origen’s Sermons and His treatise On Prayer, in: Wolf-
gang Artur Bienert/uwe Kühneweg (Hg.), Origeniana Septima. Origenes in den Aus-
einandersetzungen des 4. Jahrhunderts (BEhL 137), Leuven 1999, 33–38.
78 „he ideas Origen developed in the irst half of his treatise, come back in his explanation
of the Lord’s Prayer, the most eminent prayer ever given. It puts man in the right position
before god“ (ebd. 34). Allerdings erweist sich das urteil des Verfassers als ein wenig ver-
einfachend, wenn er behauptet, dass Origenes am Ende seiner Arbeit ohne weiteres eine
positive Einschätzung über sie formuliert habe. Ein solcher Standpunkt kann sicher nicht
anhand von orat. 34 (gcS Orig. 2, 403) bestätigt werden.
79 „man therefore inds himself caught between the goodness of god on the one hand and
the danger of his inner temptation on the other, a situation in which he must consciously
seek out the countenance of god. His longing for god is the driving force here, as his in-
clination towards temptation compels him to do so. his causes tension in his life of prayer,
tension from which he cannot escape, however much progress he may make towards re-
covery during his earthly existence“ (ebd. 35).
80 „he sinner yearns to be initiated into the great mysteries of Heaven; he loses interest in
insigniicant earthly matters“ (ebd. 36).
die jüngste Phase in den Studien zu De oratione ist speziell durch die Beiträge von
zwei tagungen gekennzeichnet, welche die „Italienische Forschergruppe über
Origenes und die alexandrinische tradition“ in den letzten Jahren organisiert hat.
diese tagungen, die 1996 in chieti und 1999 in mailand stattgefunden haben,
befassten sich einerseits speziell mit unserer Schrit, andererseits mit dem mit ihr
verbundenen hema „Origenes als meister der Spiritualität“.82 da ich hier nicht
nur als mitglied dieser gruppe, sondern auch als Autor persönlich betrofen bin,
werde ich lieber nicht auf eine kritische Bilanz eingehen. mir scheint es dennoch
erlaubt, einige abschließende überlegungen auch im Lichte der Ergebnisse dieser
beiden tagungen zu formulieren.
Summarisch betrachtet, scheint auch die heutige Forschung die alten Frage-
stellungen nicht völlig beiseite gelegt zu haben, während neue auf den Plan getre-
ten sind. das Bedürfnis, das Verhältnis zwischen De oratione und den anderen
Schriten des Origenes gründlich zu prüfen – über die verdienstvolle Arbeit von
Lefeber hinaus, was zumindest die Homilien angeht –, ist weit davon entfernt,
ausreichend befriedigt zu sein. Symptomatisch ist, dass, während der Kommentar
und die Homilien zum Hohenlied immer wieder ausgewertet worden sind, um
das Proil der origeneischen „mystik“ zu gewinnen, der gestalt einer betenden Fi-
gur kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde, die vielleicht mehr als alle anderen
Beter im gesamten Werk des Origenes plastisch erscheint. Ich meine die Braut,
die nach der einzigartigen „dramatischen Interpretation“ des Hohenliedes in der
ersten Szene (Hld. 1,2) in der Haltung einer betenden Person autritt.83 Wenn die
Forschung dazu neigt, zum großen teil den Eindruck einer „Singularität“ oder
81 „Only when god makes himself known to him in the fullness of grace so that man’s long-
ing for god is aroused and only when man concentrates his entire attention on god and
chooses communion with him, does he discover the way upward“ (ebd. 38).
82 Vgl. cocchini, dono (wie Anm. 39); Pizzolato/Rizzi, Origene maestro (wie Anm.
38).
83 Ich habe darauf in zwei Aufsätzen hingewiesen: the Bride at the crossroads. Origen’s dra-
matic Interpretation of the Song of Songs, in: EhL 82 (2006) 69–102; „goldene Schalen
voll von Räucherwerk“ (Apc. 5,8). das Bild vom gebet bei Origenes, in: JAc 50 (2007)
51–71.
84 „Pour progresser dans la connaissance des idées, il est bon de passer par leur expression
littéraire, à ausculter avec précision. des chemins inédits peuvent alors s’ofrir à l’inter-
pretation“ (dominique Bertrand, L’implication du νοῦς dans la prière chez Origène et
Évagre le Pontique, in: Bienert/Kühneweg, Origeniana Septima [wie Anm. 77] 355–363,
hier 363).
85 um einige Beispiele zu nennen: Ilsetraut Hadot, Les introductions aux commentaires
exégétiques chez les auteurs néoplatoniciens et les auteurs chrétiens, in: michel tardieu
(Hg.), Les règles de l’interprétation, Paris 1987, 99–122; Ronald E. Heine, he introduc-
tion to Origen’s commentary on John compared with the introductions to the ancient
philosophical commentaries on Aristotle, in: gilles dorival/Alain Le Boulluec (Hg.),
Origeniana sexta. Origène et la Bible (BEhL 118), Leuven 1995, 3–12.
86 Pierre Hadot, Exercices spirituels et philosophie antique, Paris 31993; ders., Plotin ou la
simplicité du regard, Paris 1997; ders., Introduction aux „Pensées“ de marc Aurèle. La cita-
delle intérieure, Paris 1997.
87 Paul Rabbow, Seelenführung. methodik der Exerzitien in der Antike, münchen 1954.
Es handelt sich vor allem um deren Ausprägung in der stoischen tradition, wie
z.B. die praemeditatio mortis oder der „Rückzug“ (ἀναχώρησις) aus der sinnli-
chen Welt, um eine den Leidenschaten nicht mehr ausgesetzte Innerlichkeit zu
plegen. In diesem Sinne konnte De oratione von seinen Adressaten als Ausdruck
einer „Seelenführung“ ähnlich den „Selbstbetrachtungen“ des mark Aurel oder
dem Encheiridion des Epiktet aufgenommen werden.88 diese hese, die die Alter-
native, wenn nicht sogar den gegensatz zwischen dem „Philosophen“ und dem
„spirituellen meister“ bei Origenes überwindet, wird dadurch untermauert, dass
die Verfasserin einerseits auf eine Reihe von Konzentrationstechniken hinweist,
die zu einer Seelentherapie führen und die gebetspraxis fördern können, ande-
rerseits die Antwort auf die Bedürfnisse und die Erwartungen eines hochgestell-
ten sozialen milieus beleuchtet.89 die Analogie, die einem solchen Ansatz inne-
wohnt, ignoriert nicht die unterscheidung zwischen der christlichen Vision vom
gebet beim Alexandriner und den Idealen der „geistigen Vervollkommnung“,
die in den philosophischen Schulen der Spätantike im umlauf waren, wenn auch
manchmal der Eindruck einer gewissen Assimilierung der zwei geistigen Hori-
zonte entsteht. man darf hier nicht vergessen, dass die Vorstellung vom gebet im
stoischen, epikureischen oder auch platonischen milieu ziemlich anders ausfällt
als die, die wir in De oratione inden.90 Auf jeden Fall handelt es sich um einen
neuen und fruchtbaren Ansatz, auch wenn der Begrif „geistige übung“ nur zum
teil die Aufassung vom gebet bei Origenes wiedergibt.
88 „La concezione origeniana della preghiera è, nella forma della κατάστασις richiesta
all’orante, una cura del sé; un esercizio che deve essere sempre rinnovato e che, per quanto
sostenuto e descritto con citazioni bibliche, rivela l’alta radice degli esercizi spirituali delle
ilosoie ellenistiche; sotto tale proilo, PE poteva essere recepito dai suoi destinatari come
una vera e propria Seelenführung, come l’equivalente cristiano di scritti quali I Ricordi di
marco Aurelio, il Manuale di Epitteto e, nella generazione successiva, la Lettera a Marcella
di Poririo“ (castagno, Invito [wie Anm. 39] 134). Vgl. auch dies., una direzione spiri-
tuale di élite. Origene e giovanni crisostomo, in: giovanni Filoramo (Hg.), Storia della
direzione spirituale I. L’età antica, Brescia 2006, 189–221.
89 „Sia Origene, sia giovanni si rivolgono ad un segmento preciso della società tardo-impe-
riale: il ceto superiore costituito da persone che ricoprono o che sono destinate a ricoprire
ruoli pubblici importanti e il cui cristianesimo si aggiunge ad una buona base di prepara-
zione retorica e ilosoica. Questo spiega il livello alto di questa direzione che, sia pure nella
diversità delle situazioni, pone al centro esercizi che riguardano la lettura, la meditazione,
il ragionamento mediante il quale è possibile salvaguardare la propria tranquillità interiore
e neutralizzare l’urto della molteplice, contraddittoria, dolorosa, realtà contingente. In tutti
i testi, per quanto declinata in modo diverso, è presente la tradizione degli esercizi spiritua-
li“ (ebd. 221).
90 Ich habe mich u.a. im folgenden Aufsatz damit befasst: Prayer in Origen’s Contra Celsum.
he Knowledge of god and the truth of christianity, in: Vigchr 55 (2001) 1–19.