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2. Vorlesung Wirtschaftswachstum, was ist das?

Wenn die Wirtschaft brummt, freuen sich alle. Aber was wächst da eigentlich? Von Kerstin Bund
Politiker sind Menschen, die viel reden und sich gerne streiten. Es gibt aber eine Sache, die fast alle gut finden: wenn die
Wirtschaft wächst. Als Forscher neulich ausgerechnet haben, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr wohl um 3,5
Prozent zunehmen wird, da haben alle gejubelt – vor allem jubelte der Wirtschaftsminister.
Aber was genau wächst da eigentlich? Wir wissen, dass Bäume wachsen oder Kinder. Und im Alter wachsen vielen
Menschen irgendwann graue Haare. Bei dieser Art von Wachstum kann man also beobachten, wie sich etwas verändert,
wie etwas größer wird oder zunimmt.
Bei der Wirtschaft eines Landes ist das nicht so einfach. Sie besteht aus unheimlich vielen Unternehmen und Betrieben,
die ganz unterschiedliche Dinge herstellen: Autos, Fahrräder, Kühlschränke, Handys oder Schokoriegel. Wenn ein
Schokoladenfabrikant in einem Jahr mehr Schokoriegel herstellt als im vergangenen, dann wächst sein Betrieb. Dieses
»Mehr« misst er nicht in den Tonnen Schokoladenmasse, die er verarbeitet, sondern daran, wie viele Produkte sein
Unternehmen verkauft.
Nimmt man nun alle Unternehmen eines Landes zusammen, bekommt man einen Eindruck davon, wie sich seine
Wirtschaft entwickelt. Experten haben dafür eine Maßgröße entwickelt – das Bruttoinlandsprodukt, auch BIP genannt. Es
misst den Wert aller Güter, die in einem Land innerhalb eines Jahres produziert werden. Diese Zahl ist für eine
Volkswirtschaft sehr wichtig. Denn je höher das BIP, desto reicher ist das Land. Wenn der Wert größer ist als im Jahr
zuvor, dann ist die Wirtschaft gewachsen. Ist er kleiner, dann schrumpft sie.
Zum BIP werden nicht nur Dinge gezählt, die man anfassen oder essen kann. Auch das, was Ärzte, Friseure oder Pfarrer
den ganzen Tag lang machen, also Menschen heilen, ihnen die Haare schneiden oder von Gott erzählen, wird
berücksichtigt. Diese Tätigkeiten nennt man auch Dienstleistungen. Wichtig ist nur, dass die Waren oder
Dienstleistungen, die ins BIP einfließen, gehandelt werden, sie müssen also einen Preis haben. Andernfalls werden sie
nicht mitgezählt.
Das heißt nun aber nicht, dass eine Leistung, die keinen Preis hat, nichts wert ist. Wer seinen Eltern schon einmal bei der
Gartenarbeit geholfen hat, weiß das. Denn die Eltern waren sicher froh über die Hilfe. Hätte stattdessen ein Gärtner das
Unkraut gejätet und für seine Arbeit anschließend eine Rechnung geschrieben, wäre das ins BIP eingerechnet worden –
und die Wirtschaft wäre ein bisschen gewachsen. Macht ein Kind die gleiche Arbeit, erhält aber dafür kein Geld, wächst
die Wirtschaft nicht. Ein bisschen komisch ist das schon.
Das Gleiche gilt übrigens auch, wenn der Gärtner dem Vater am Ende keine Rechnung schreibt, sondern das Geld für
seine Arbeit einfach so einsteckt. Das ist verboten, aber es gibt dennoch viele Menschen, die das tun. Experten nennen
das Schwarzarbeit oder auch Schattenwirtschaft.
Es gibt noch mehr Ungereimtheiten beim Wachstum. Im BIP messen die Wirtschaftsforscher nur den Nutzen, den ein Gut
stiftet, und nicht den Schaden, den es anrichtet. Zum Beispiel ein Auto. Wenn sich eine Familie ein neues Auto zulegt,
dann fließt der Kaufpreis in das BIP ein. Der Kauf trägt also dazu bei, dass die Wirtschaft wächst. Wenn das Auto aber
groß und schwer ist und deshalb besonders viel Benzin verbraucht, dann stößt es auch viel Kohlendioxid aus. Das ist ein
giftiges Gas in der Luft, das mit dafür verantwortlich ist, dass es auf der Erde zu warm wird. Was für die Wirtschaft gut ist,
kann also für die Umwelt oder unsere Gesundheit sogar schädlich sein. Deshalb gibt es Leute, die das BIP für keine
geeignete Maßgröße halten.
Im Großen und Ganzen gilt aber: Wächst die Wirtschaft eines Landes, dann werden auch seine Bewohner im Schnitt
reicher. In den vergangenen 30 Jahren hat sich das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland verdreifacht. Das heißt, etwas
vereinfacht gesagt: Der durchschnittliche Deutsche kann sich heute dreimal so viel leisten wie damals. Dreimal so viele
Autos, Fahrräder, Handys, Kühlschränke und Schokoriegel. Ob man das braucht? Das ist eine andere Frage.
http://www.zeit.de/2010/44/Wirtschaft-fuer-Kinder

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