Organisatorisches: - Thema: „Harmonische Analyse und
Modulation“ - an „Mappe“ denken (Doku des Unterrichts; vor Klausur abzugeben) - Klausur geplant am Ende des SoSe 22 – bitte zur Prüfung anmelden
Inhaltlich wird es dieses Semester um das frühe 19. Jh. gehen
(die „Romantik“), allgemein um harmonische Analyse und Modulation – speziell um die Liedanalyse (am Bsp. von Liedern F. Schuberts). Während das 18. Jh. oft als das Zeitalter der „Aufklärung“, der Vernunft und des Rationalismus beschrieben wird, rücken in der „Romantik“ verstärkt das Irrationale, Ambivalente, Vage und (Un-) Heimliche bzw. inhaltlich die Vergangenheit, Dämmerung und Nacht, Märchen und Sagen oder Mythen, die menschlichen Empfindungen und Leidenschaften etc. in das Blickfeld. Das Lied wird im 19. Jh. zu einer zentralen Gattung.
Liedanalyse: Wie können wir hier vorgehen?
Als Ausgangspunkt sollte die Textvorlage (in der Regel ein
Gedicht) dienen, die der Komponist bearbeitet hat. Ihre strukturelle wie ihre inhaltliche Seite geben dem Komponisten, wie den Analysierenden wichtige Anhaltspunkte für die mögliche Gestaltung. Letztlich ist ein Lied aber keine objektive ‚Übersetzung‘ eines Textes in das Medium Musik, sondern eine subjektive Gedicht- Interpretation.
→ Untersuchen Sie die strukturelle Seite des Gedichts
„Wohin“ von W. Müller (aus „Die schöne Müllerin“), das dem gleichnamigen Lied Schuberts zugrunde liegt. (Text siehe Anhang. Notieren Sie sich Stichworte zu Strophe, Vers, Metrum, Reim …) → Versuchen Sie den Inhalt des Gedichts kurz zu umreißen (schriftlich). (Lesen Sie dazu den Text – bzw. sprechen Sie ihn.)
Die strukturellen und inhaltlichen Vorgaben eines Gedichtes
muss sich ein Komponist zuerst klarmachen, er kann dann aber verschieden damit umgehen bzw. sie unterschiedlich umsetzen:
Gedicht-Text Lied-Komposition
- Stropheneinteilung - „Strophenlied“ oder
„durchkomponiertes Lied“ - Verse - musikalische Phrasen / Taktgruppen / Teil der Gliederung - Metrum - Taktart / Schwerpunkte d. Musik, Gestaltung d. Singstimme (Betonung z.B. durch Taktposition, Länge, Lage, Melisma) - Reim - z.B. analoge Zäsurformeln oder keine musikal. Entsprechung
[- Inhalt - Darstellung durch verschiedene
musikalische Ausdrucksmittel]
Wie geht nun Schubert in seinem Lied „Wohin?“ konkret mit
den Vorgaben des Gedichtes um? (Noten siehe Anhang) Wir untersuchen dazu Schuberts Lied – speziell die 1. Strophe und halten unsere Ergebnisse schriftlich fest. Dabei überlegen wir auch, warum Schubert sich so entschieden haben könnte:
Die 6 Strophen des Gedichts übersetzt Schubert – obwohl sie
weitgehend gleich gebaut sind – in ein „durchkomponiertes Lied“ (fast jede Strophe erhält eigene Musik), wodurch er auf jede inhaltliche Nuance, jede Veränderung der Empfindungslage etc. in den Strophen kompositorisch reagieren kann.
Betrachten wir speziell die 1. Strophe:
Ich hört' ein Bächlein rauschen a v–v–v
–v wohl aus dem Felsenquell, b v–v–v– hinab zum Thale rauschen a v–v–v–v so frisch und wunderhell. b v–v–v–
Den 4 Versen pro Strophe entsprechen in der 1. Strophe 4 klar
zu unterscheidende Phrasen in der Singstimme, wobei sich die 1. und 3. sowie die 2. und 4. Phrase entsprechen. Die Strophe wird so in zwei Hälften (Halbstrophen) unterteilt – wie schon im Text (Komma nach dem 2. Vers. Punkt nach dem 4. Vers). Das Metrum des Gedichts (3-hebige Jamben) wird in einen 2/4-Takt mit Auftakt übersetzt (dem unbetonten Beginn gemäß). Eine besondere Betonung erfahren die Begriffe hört‘ und rauschen bei Schubert durch Ihre Taktposition bzw. einen längeren Wert. Der Text wird primär syllabisch vertont. Dem Reim (Kreuzreim a b a b) entsprechen musikalisch die jeweils gleichen melodischen Endungen im 1. und 3 bzw. 2. und 4. Vers. Inhaltlich thematisiert die 1. Strophe einen Höreindruck (Ich hört ein Bächlein rauschen), der durch die wertenden Begriffe frisch und wunderhell deutlich positiv erscheint. Der vermutete Ursprung in einem Felsenquell weist bildhaft auf die Aufbruchssituation hin, in der sich der junge Müllers- Geselle befindet. Es ist der zarte Beginn eines Weges mit noch unabsehbaren Folgen. Die gleichmäßig in 16tel-Sextolen- Brechungen ‚rauschende‘ pp-Begleitung des Klaviers unterstreicht die geheimnisvolle Faszination, die der Protagonist in dieser Situation empfindet. Zugleich gibt der Höreindruck (der Bach) aber auch den Impuls zum baldigen Aufbruch (siehe 2. Strophe).
Eine Untersuchung der Musik zur 1. Strophe hinsichtlich der
Aspekte Tonart(en), Harmonik, Zäsuren (Kadenzen), Thematik/Motivik lässt sich schematisch etwa so zusammenfassen.
1. Strophe: G-Dur T 1.--------
2+ a D T7 2.-------- 2 K I b Wh. T 3.-------- 2+ a D T7 4.-------- 2 K I b
Der Strophe gehen 2 Takte im Klavier voraus, die eher als
vorgezogene Begleitung denn als Vorspiel anzusprechen sind und direkt in die Situation einführen. Auffallend ist der T. 1-10 im Bass liegende tonikale Orgelpunkt G, der hier am Beginn des Liedes noch Stabilität, Ruhe, Ausgeglichenheit o.ä. suggeriert.
Fortsetzung Liedanalyse: F. Schubert, "Wohin", 2.-3. Strophe
– Lösungsvorschläge
Zur tonartlichen Orientierung können die „verwandten
Tonarten“ von G-Dur dienen: C G D Sie bilden in der Regel den tonartlichen Rahmen für kürzere und einfachere Stücke. a e h „Ausweichungen“ (Modulationen) lassen sich als „durchgehende (in Klammern) und „förmliche“ klassifizieren. (Siehe zur Erinnerung S. 32-33 im Skript). Schematisch lassen sich die 2.-4. Strophe etwa so darstellen:
2. Strophe (e), (a) 1.-------- 2
+ 2.-------- 2 GA II G-Dur 3.-------- 4.-------- 4 K I Wh. / Erweiterung: 3.-------- 4.-------- 4 K I
Die 2. Strophe beginnt mit zwei „durchgehenden
Ausweichungen“ (e-, a-Moll). Sie setzt überraschend mit einem H-Dur-Sextakkord ein, der eine Weiterführung nach e- Moll erwarten lässt, dann aber elliptisch (unter Auslassung von e-Moll) direkt in einen verkürzten E (Dv zu a) mündet. 9 7
Dieser führt nun tatsächlich nach a-Moll, das mit einem
schwachen GA II (T. 14) eine kleine Zäsur erhält. Schubert reagiert hier unmittelbar auf die im Text angedeutete Unsicherheit („Ich weiß nicht wie mir wurde“) – ihr entsprechen quasi die kurzen, labilen Ausweichungen in verw. Molltonarten. Der 3. und 4. Vers kehren wieder zur Musik und zum Charakter der 1. Strophe zurück (beachte die kleinen melodischen Varianten in der Singstimme!). So bilden die ersten beiden Strophen zusammen eine kleine dreiteilige a-b- a-Anlage.
3. Strophe (e) 1.-------- 2 T
„Fonte“-Transposition D-Dur 2.-------- 2 GA V 3.-------- 4.-------- (4 K V) Wh.: Wh. / Erweiterung: 3.-------- 4.-------- 4 K V
Die 3. Strophe beginnt (ähnlich wie die 2.) mit einer
durchgehenden Ausweichung nach e-Moll, die diesmal aber ihr Ziel erreicht. Sie ist Teil eines „Fonte“-Modells (T. 23-26), das den Übergang in die Quinttonart D-Dur vollzieht (klass. Transposition, Sekund abwärts, bezogen auf D-Dur: II → I). Die Quint-Kadenz (K V) wird T. 30 erst zur Terz ‚ausgeflohen‘ (Singstimme), dann am Ende der Strophe korrekt vollzogen (T. 34). Sie hat die typisch ‚klassische‘ Harmoniefolge: T S D T (erste Tonika mit Terz im Bass). 6 5 6 7 4 3
Die förmliche Ausweichung zur Oberquint D trägt der im
Text angedeuteten Steigerung der Stimmungslage Rechnung („immer frischer“, „immer heller“). Der Ambitus der Singstimme ist nach oben erweitert. Oktavsprünge und weiträumige Dreiklangs-Brechungen suggerieren eine fast euphorische Stimmung.
→ Analysieren Sie nun die 4.-6. Strophe: Tonarten,
Harmonik (besondere Akkorde?), Zäsuren (Kadenzen), Thematik/Motivik und betrachten Sie dabei auch den Zusammen hang mit dem Text bzw. dessen Inhalt. Wie verändert sich die ‚Empfindungslage‘?
→ Hören Sie sich das Lied dazu komplett an
(Aufnahmen finden Sie leicht im Internet). z.B. https://youtu.be/lpe5svYZ5dY https://yout u.be/nMN9Bw8Tnus