Sie sind auf Seite 1von 3

Einführung in die deutsche Philologie

5. Vorlesung, am 3.11.2022

Neuere deutsche Literatur – Teil 1


Ingeborg Bachmann: „Früher Mittag“
  moodle
 Gedicht  Verse, Strophen, Reime
 kurzer Text im Vergleich zu Theaterstück
Merkmale Gedicht:
 bewusste Strukturierung in einzelne Zeilen  Verszeilen
 Strophe  exakt gleichgebaute Sequenzen
 Abschnitte  nicht exakt gleichgebaute Sequenzen
 Unterscheidung der hier verwendeten Sprache von Alltagssprache

Abweichung von der Alltagssprache/ „Entautomatisierung der Wahrnehmung“


 Viktor Sklovskij  Abweichung von der Alltagssprache ist zentrales Element von
Dichtung
 zwei Kunstgriffe: Verfremdung der Dinge und die Komplizierung der Form
(„Literarizität“; „Foregrounding“)

Formen des Foregrounding


 Systematisch aufgeladen
 Reihe von Metaphern und rhetorische Figuren („das erwachende Korn“  bildlicher
Vergleich)
 Genetiv-Metapher typisch für Bachmann Texte (z.B.: „Schüssel des Herzens“; „Felsen
uralten Traums“)
 Komplexe Bildwelt  neue Perspektive, regt zum Nachdenken an

Worum geht es in diesem Gedicht?


 Angefangen mit Tageszeit
 im zweiten Abschnitt kommen Bilder des Verletztseins, von Zerstörung und Gewalt
 keine Landschaftsbeschreibung, sondern „Natur als Geschichtslandschaft“ 
Darstellung und Entwurf einer Geschichtslandschaft
 auf mehreren Ebenen lesbar (Klangliche Ebene, semantische Ebene, …)
 Überstrukturierung:
- Zur wörtlichen Bedeutung (Denotation)
- Auch die bildliche, übertragende Bedeutung (Konnotation)
- Die phonetische Dimension (Klanggestalt oder Lautung) durch Reim oder
Alliteration
- Sowie Rhythmus und Metrik hinzukommen
 Wiederholungsstrukturen
 Endreim (Wörter klingen gleich in letzter Klangsilbe)
 Wörtliche Wiederholungen „Anapher“  „Schon ist Mittag“ (wird 3x wiederholt)
 Isotopie  mehrere Bedeutungsebenen (hier: Schmerz, Gewalt, …)
 Alliteration (Stabreim)  „die Wolke sucht nach Worten“
 Intertextualität: Bezug eines Textes auf andere Texte (=> Prätext); im weiteren Sinne
umfasst alle Bezüge eines literarischen Textes zu einem anderen lit. oder auch
Einführung in die deutsche Philologie

nichtlit. Textes  „Am Brunnen vor dem Tore“, „Der Lindenbaum“ – Wilhelm Müller
(1823)
 2. Intertextualität: Bezugnahme auf J. W. v. Goethes Text „Der König von Thule“
(1774)

2. Analyseschritt
Historische und literaturhistorische Verortung

Früher Mittag
Historische Kontexte:
 „sieben Jahre später“: 1952 – 1945
 Zerstörung des Zweiten WKs.
 Kriegsschuld Deutschlands
 Präsenz/ Kontinuität der Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher („die Henker von
gestern“)
 Historische Bezüge: Frage der Erinnerung an die Gräuel des Krieges („schau nicht zu
tief hinein“)
 Missbrauch der „Volkslieder“ in NS  Kunstlieder, die durch Vertonung und Form
bekannt wurden  zentrale Bilder werden zerlegt und neu arrangiert
Volkskultur wurde von NS missbraucht (Vorurteile, wer entsprach deutscher Norm
etc.)
 Paul Celan („Todesfuge“): beschäftigt sich mit dem Holocaust  „Der Tod ist ein
Meister aus Deutschland“

Literaturhistorische Kontexte:
 Frage nach der Position im Kontext der zeitgenössischen Literaturproduktion
 Literatur nach 1945: Kontinuitäten und Neuanfänge sog. „Kahlschlagliteratur“
 Dominanz von Naturlyrik, christlicher Symbolik und traditionellen Formen
 1953 gewinnt Ingeborg Bachmann den „Preis der Gruppe 47“
 wird „zur ersten lyrischen Stimme in der westdeutschen Lyrik der fünfziger Jahre“ (H.
Höller)

3. Analyseschritt
Vergleich

Literarische Texte wie Bachmanns „Früher Mittag“ lassen sich vergleichen…


 Mit anderen Texten der gleichen Autorin
 Mir früheren Fassungen bzw. Varianten des gleichen Textes (hier etwa der in
manchen Details unterschiedlichen ersten Fassung in den Frankfurter Heften)
 Mit anderen zeitgenössischen literarischen Texten
 Mit anderen zeitgenössischen nicht literarischen Texten (z.B.: Zeitungsartikel,
historischen oder philosophischen Texten etc.)
 Aber auch mit anderen thematisch oder formal verwandten Texten in zeitlichen
Längsachsen
Einführung in die deutsche Philologie

Metrik (Prüfungsrelevant!!!!!!!)
 Jambus (unbetont – betont; z.B.: Vernunft)
 Trochäus (betont – unbetont, z.B.: Lager)
 Anapäst (unbetont – betont – betont, z.B.: Zauberei)
 Spondeus ((betont – betont; z.B.: Vollmond)  kaum im Deutschen
 Daktylus (betont – unbetont – unbetont, z.B.: Wiederkehr)

 ÜBEN bis zur nächsten VO!!!!  Am Brunnen vor dem Tore…

Regelmäßige Metrik – Volksliedstrophe


 Streng alternierend zwischen unbetonten und betonten Silben
 Dreihebige Jamben
 Abwechselnd klingende (weiblich) und stumpfe (männlich) Kadenz
 Unterbrochener Kreuzreim (abcb)
 Strophenform: „Volksliedstrophe“  4 Zeilen, regelmäßig 3 oder 4 Hebungen

Zum Lyrikbegriff der Goethezeit


 Georg Wilhelm Hegel: Vorlesungen über Ästhetik
 Subjekt „Ich“ kommt zum Ausdruck, anders als bei Ingeborg Bachmann
 moderne Lyrik ist weitgehen ohne regelmäßige Metrik, reimlos und hält sich in den
wenigsten Fällen an die traditionelle Strophenform
 Was ein Gedicht ist, ist nicht festgelegt  ändert sich historisch, ist nie vollständig,
verändert sich dauernd
_________________________________________________________________

Was ist „Neuere deutsche Literatur“?


 Zeitliche Abgrenzung von der „Älteren deutschen Literatur“
 Beginn des Frühneuhochdeutschen (Mitte/Ende 14. Jh.) oder…
 Erfindung des Buchdrucks (1452-1455 erster Buchdruck) oder…
 Luthers Bibelübersetzung (1522 Neues Testament)

„Deutsche“, „österreichische“, „Schweizer“ oder „deutschsprachige“ Literatur?

„Schtzngrmm“ – Ernst Jandl


 Klares poetisches Verfahren – Entzug der Vokale
 Soll Kriegsgeschehen darstellen
 Gedicht

Fisches Nachtgesang – Christian Morgenstern


 moodle
 Fische sind stumm
 Schuppenstruktur der Fische
 Grundelemente jeder Schrift – Bögen und gerade Schrift

Das könnte Ihnen auch gefallen