Payam Akbar
Konsumenten-
verhalten
Konsumenten verstehen –
Marketingmaßnahmen gestalten
2. Auflage
Konsumentenverhalten
Stefan Hoffmann · Payam Akbar
Konsumentenverhalten
Konsumenten verstehen –
Marketingmaßnahmen gestalten
2., aktualisierte Auflage
Stefan Hoffmann Payam Akbar
Institut für Betriebswirtschaftslehre Institut für Betriebswirtschaftslehre
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Kiel, Schleswig-Holstein, Deutschland Kiel, Schleswig-Holstein, Deutschland
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detail-
lierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Springer Gabler
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2016, 2019
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht
ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die
Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt
auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen-
und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden
dürften.
Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in
diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch
die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des
Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und
Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral.
Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist
ein Teil von Springer Nature
Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Vorwort zur 2. Auflage
Konsumentenverhalten1 ist ein Thema, das jeder spannend findet. Denn auch diejenigen,
die nicht im Marketing und Verkauf oder Verbraucherschutz arbeiten, interessiert das
Thema meist persönlich. Warum ist der Einkaufswagen an der Kasse voller als ursprüng-
lich geplant? Kann Werbung einen beeinflussen? Wieso will man unbedingt das neue
iPhone? Weshalb ärgert es einen, dass der Nachbar einen größeren Vorgarten hat als man
selbst? Die empirisch gut erforschte Disziplin Konsumentenverhalten ist alltagsnah und
relevant für die Unternehmenspraxis. Zu allen Facetten des Konsumentenverhaltens – vom
gewohnheitsmäßigen Kauf des Lieblingsjoghurts bis zur wohldurchdachten und langfristig
geplanten Entscheidung, ein Eigenheim zu erwerben, und auch von der Preisbereitschaft
bei Spendenaufrufen bis zur Nutzung des Like-Buttons auf Facebook – liegen geeignete
Theorien und unzählige empirische Befunde vor.
Die zwölf Kapitel dieses Buches werfen ein Schlaglicht auf die Schwerpunkte der
Konsumentenverhaltensforschung. Wir beginnen mit dem Begriffsverständnis und
umreißen den theoretischen und methodischen Ansatz knapp. Anschließend besprechen
wir Einflüsse auf das Konsumentenverhalten, die sich voranging in unserem „Inneren“
abspielen: Motivation, Emotion und Kognition sowie Einstellung und Entscheidung.
Danach weiten wir den Blick und zeigen auf, dass sich das Verhalten zwischen ver-
schiedenen Konsumentengruppen systematisch unterscheidet und wir betrachten Ein-
flüsse aus der sozialen, physischen und medialen Umwelt. Am Ende des Buches
verdeutlichen wir, wie das Konsumentenverhalten in allgemeine gesellschaftliche Ent-
wicklungen eingebettet ist und sich damit im Laufe der Zeit stetig wandelt.
Dieses Buch richtet sich an Studierende in den Fachbereichen Betriebswirtschafts-
lehre, Psychologie, Kommunikationswissenschaften und angrenzenden Disziplinen. Es
soll zur Nachbereitung von Vorlesungen zum Thema Konsumentenverhalten und zur
1Hinweis zur Sprache: Dieses Buch ist nicht nur ein Überblick über das Konsumentenverhalten,
sondern auch eines über das Konsumentinnenverhalten. Wir nutzen der einfachen Lesbarkeit hal-
ber meist nur die männliche Form. Selbstverständlich gelten alle Ausführungen gleichermaßen für
Konsumentinnen und für Konsumenten.
V
VI Vorwort zur 2. Auflage
Vorbereitung auf die Prüfung dienen. Deshalb findet der Leser am Ende jedes K apitels
Fragen zur Selbstkontrolle und Literaturempfehlungen. Die vorgestellten Theorien und
Modelle werden am Beispiel von zwei fiktiven Konsumenten, Lea und Ben, durch-
gespielt und somit lebendig und alltagsnah dargestellt. Zusätzlich binden wir Online-
Content in Form von Videos und Websites ein, um Inhalte anhand von Beispielen zu
verdeutlichen. Scannen Sie hierzu einfach den QR-Code an entsprechender Stelle.
Natürlich möchten wir allen danken, die uns bei der Anfertigung dieses Buches unter-
stützt haben. Unser besonderer Dank gilt Angela Meffert vom Springer-Verlag, die mit
der Idee eines Lehrbuches zum Konsumentenverhalten an uns herangetreten ist und uns
in allen Phasen unterstützt hat. Ein herzliches Dankeschön geht an unser Team am Lehr-
stuhl für Marketing der CAU Kiel, das die Texte Korrektur gelesen und uns mit Ideen,
Diskussionen und Expertise unterstützt hat: Dr. Robert Mai, Tom Joerß und Wassili Lasa-
rov. Unser besonderer Dank geht an Frau Almut Hahn-Mieth für die äußerst gewissen-
hafte Kontrolle des Manuskripts und die inhaltlichen Anregungen. Ferner danken wir
Frau Prof. Dr. Katharina Klug für ihre Unterstützung in der Anfangsphase des Buchs. Wir
danken auch allen studentischen Hilfskräften, die uns bei Literaturrecherchen und Forma-
tierungen sowie mit Feedback unterstützt haben. Hier sind insb. Herr Philip Hutchinson
und Herr Nils Hoffmann zu nennen. Frau Jacqueline Galow, unsere ehemalige studenti-
sche Hilfskraft am Marketing-Lehrstuhl, machte sich – wie schon im Buch Professionel-
les Guerilla-Marketing – als Fotomodel für den Prozess der klassischen Konditionierung
verdient. Dem StoryTelling-Trainer Johannes Büchs verdanken wir eine zündende Idee
für die Motor-Metapher der Mediator/Moderator-Unterscheidung. Wir bedanken uns auch
bei den zahlreichen Studierenden, die mit ihrem Feedback zur ersten Auflage des Buches
zu einer substantiellen Weiterentwicklung in der zweiten Auflage beigetragen haben.
Insbesondere danken wir Prof. Dr. Susanne Liebermann und Dr. Katrin Liethmann. Sie
waren für uns wertvolle Sparringspartner in allen Phasen des Projektes.
VII
VIII Inhaltsverzeichnis
Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
Konsumenten und Verhalten
1
u Kennen Sie Lea? Lea ist eine von über 2,6 Mio. Studierenden, die an einer
deutschen Hochschule immatrikuliert sind, und mit 25 Jahren genauso alt
wie der landestypische Durchschnittsstudent. Pünktlich um 07:30 Uhr meldet
sich die Weckfunktion ihres Smartphones und zwei Stunden später sitzt sie in
der BWL-Vorlesung. Ein kurzer Blick auf die Uni-App verrät, dass das Mensa-
Angebot heute dürftig ausfällt. Und da Lea neuerdings auf tierische Erzeug-
nisse verzichtet, verabredet sie sich über Facebook mit ihrem Freund Ben zum
Essen in dem neuen veganen Café, über das sie im Stadtmagazin gelesen hat.
Auf dem Weg zu ihrem Date fährt sie noch schnell bei der Parteizentrale der
Grünen Jugend vorbei, um einige organisatorische Punkte für die morgige
Sitzung zu klären. Als sie sich vorbeugt, um ihr Fahrrad abzuschließen, pas-
siert das Missgeschick. Ihr Smartphone fällt aus der Manteltasche, prallt auf
den harten Asphalt und löst sich in seine Einzelteile auf. Nun muss ein neues
Smartphone her. Sicherlich kann Ben sie beim Kauf beraten.
Wir werden in diesem Buch Lea und Ben in zahlreichen Konsumsituationen
beobachten. Dabei lernen wir Modelle und Theorien kennen, um das Ver-
halten von Lea und Ben in ihrer Rolle als Konsument zu verstehen und zu
erklären. Diese Modelle nutzen auch Marketingmanager, Marktforscher und
Verbraucherschützer, um das Verhalten von Konsumenten vorherzusagen
und zu beeinflussen. Doch zunächst: Was ist Konsumentenverhalten über-
haupt?
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 1
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_1
2 1 Konsumenten und Verhalten
Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, …
• Strukturmodelle,
• Prozessmodelle und
• Partialmodelle.
An einem besseren Verständnis des Verhaltens von Konsumenten haben viele ein Inter-
esse. Marketeer möchten ihre tatsächlichen und potenziellen Kunden verstehen und sie
auch möglichst zum Kauf ihrer Produkte und Dienstleistungen bewegen. Aber auch der
Gesetzgeber, Nicht-Regierungsorganisationen und andere interessiert, wie sie Konsu-
menten zu einem bestimmten Verhalten wie bspw. einer Spende oder einem weniger
aggressiven Fahrstil bewegen können. Und nicht zuletzt möchten auch Konsumenten
mehr über sich selbst erfahren, um bewusstere Konsumentscheidungen treffen zu können.
Im Einstiegsbeispiel haben wir bereits einiges über Lea erfahren, das uns helfen kann,
ihr Verhalten als Konsumentin zu verstehen und vorherzusagen. Wir wissen, dass Lea
25 Jahre alt, BWL-Studentin und in einer festen Beziehung ist. Wir kennen damit ver-
schiedene soziodemografische Merkmale von Lea, d. h. Merkmale, welche auch in der
Demografie (d. h. der Wissenschaft, die sich mit der Entwicklung von Bevölkerungen
und ihren Strukturen befasst) genutzt werden, um Bevölkerungen zu beschreiben.
Anhand dieser Merkmale können Marketingmanager die Zielgruppe ihrer Kampagnen
bereits grob eingrenzen. Die Verhaltensvorhersage wird aber sehr viel genauer, wenn
sie durch sog. psychografische Faktoren (wie z. B. Werte, Motive, Einstellungen etc.)
ergänzt wird. Beispielsweise wissen wir auch, dass sich Lea durch ihre grüne politische
Einstellung und einen veganen Lebensstil auszeichnet. Beides beeinflusst ihr Konsum-
verhalten, wie etwa die Auswahl des Cafés, in dem sie sich mit ihrem Freund Ben trifft.
Wir kennen auch viele Verhaltensmerkmale von Lea, wie etwa ihr Mediennutzungsver-
halten. So hat sie im Stadtmagazin über den neuen veganen Hotspot erfahren und sie
nutzt intensiv ihr Smartphone. Dieses mobile Device ist das Erste, was sie morgens in
1.1 Was ist Konsumentenverhalten? 3
die Hand nimmt, um die Weckfunktion auszuschalten, sie plant mit ihm ihren Alltag, wie
bspw. das Date mit Ben, das sie über Facebook vereinbarte, und genau dieses Gerät muss
sie nun entsorgen und ersetzen. Wie wird sie diese Entscheidung wohl treffen? Erkennt-
nisse der Konsumentenverhaltensforschung helfen, eine Vorhersage zu treffen.
Laut MacInnis und Folkes (2010, S. 905) ist das Erkenntnisobjekt der Konsumenten-
verhaltensforschung der Mensch in seiner Rolle als Konsument beim Erwerb, dem
Ge- bzw. Verbrauch und der Entsorgung von Gütern und Dienstleistungen. Wir verstehen
also unter dem Konsumenten, dem ersten Teil des Begriffs Konsumentenverhalten,
ganz allgemein den Menschen in einer bestimmten Rolle. Genau das macht die in die-
sem Buch behandelte akademische Disziplin so spannend: Sie beschäftigt sich mit uns
selbst. Zu beachten ist, dass die Rolle des Konsumenten dabei deutlich breiter und viel-
schichtiger definiert ist als die eines Käufers (Foscht et al. 2017). Sie umfasst auch die
Phase, die dem Kauf vorausgeht, in der wir bspw. Produkte im Geschäft oder bei anderen
Konsumenten entdecken, uns dafür interessieren, darüber informieren usw. (Blackwell
et al. 2001; Solomon et al. 2013). Genauso sind wir auch nach einem getätigten Kauf
weiterhin Konsumenten, wenn wir das Produkt nutzen, zur Schau stellen, entsorgen oder
uns über die mangelhafte Funktionalität beschweren. Schauen wir uns das Konsumenten-
verhalten im Zeitverlauf genauer an.
Mit Erwerb bzw. Beschaffung sind alle Handlungen des Konsumenten gemeint, die
auf den Kauf eines Produktes abzielen, wie z. B. die Informationsrecherche zu Produkt-
eigenschaften oder die Bewertung von Produktalternativen. Ferner zählen dazu die Wahl
des Distributionskanals (z. B. offline im Ladengeschäft oder online im Webshop), der
tatsächliche Kauf sowie die Entscheidung über die Zahlungsart (Barzahlung, Raten-
zahlung, Paypal etc.) (Blackwell et al. 2001). Um ihr defektes Smartphone zu ersetzen,
muss Lea u. a. Informationen über die für sie relevanten Produkteigenschaften, wie etwa
Prozessorgeschwindigkeit, Displayauflösung und Preis, einholen. Daraufhin muss sie
entscheiden, ob sie sich das Smartphone im Internet, wo es vielleicht 20 EUR günstiger
ist, bestellt oder es sich lieber im Ladengeschäft kauft, wo sie es vorab testen kann.
Mit Ge- bzw. Verbrauch sind alle Verhaltensweisen des Konsumenten gemeint,
die mit der Nutzung des Produktes assoziiert sind (Blackwell et al. 2001). Dies stellt
natürlich verschiedene Anforderungen an das Produkt. So könnte Lea ihr neues Smart-
phone zum Surfen, Skypen und Streamen sowie zum mobilen Einkaufen und Banking
nutzen. Dann ist ein schneller Prozessor besonders relevant. Wenn sie es zum Foto-
grafieren nutzt, ist die Auflösung der Kamera wichtig. Vielleicht möchte sie sich auch
an der Optik und Haptik des Smartphones erfreuen, oder sie möchte es nutzen, um sich
in ihrem sozialen Umfeld zu positionieren. Dann spielen die Marke und das Design eine
besondere Rolle.
4 1 Konsumenten und Verhalten
Die Entsorgung des Produktes fällt bei seiner Obsoleszenz an, sprich sobald das
Produkt abgenutzt, zu alt oder aus der Mode gekommen ist bzw. an Ansehen oder Wert
verloren hat. Dem Konsumenten stehen unterschiedliche Entsorgungsstrategien zur Ver-
fügung. Er kann das Produkt wegwerfen bzw. dem Recycling-Zyklus zuführen (Blackwell
et al. 2001). Er kann es aber auch auf dem Gebrauchtmarkt zum Wiederverkauf anbieten.
Der Online-Händler Amazon bietet seinen Kunden bspw. an, Produkte über seinen Markt-
platz zu vertreiben.
Der Begriff Konsument basiert traditionell auf der Unterscheidung von Produktion
und Konsumtion. Diese klare Trennung bricht allerdings mehr und mehr auf, da Konsu-
menten auch immer mehr in den Produktions- bzw. Produktentwicklungsprozess ein-
bezogen sind. Die Schlagwörter Customer-Participation und Co-Creation bezeichnen,
dass Produkte gemeinsam von Unternehmen und Kunden entwickelt werden. Die Rolle
des Konsumenten wird damit erweitert und man spricht auch schon von Prosumen-
ten als Kunstwort, das sich aus Produzent und Konsument zusammensetzt. Besonders
deutlich wird dies im Bereich Web 2.0 und Social Media, wo die Nutzer selbst Con-
tent erstellen und bspw. Videoclips drehen und bei YouTube hochladen. Auch bei dem
Social-Commerce-Unternehmen Spreadshirt übernimmt der Kunde Schritte der Wert-
schöpfung. Er entwirft nicht nur sein eigenes T-Shirt selbst. Er kann sogar als Designer
auftreten und andere Kunden können das von ihm kreierte Kleidungsstück erwerben.
Ferner gilt es zu beachten, dass die Rolle des Konsumenten in verschiedenen Settings
jeweils spezifische Charakteristika aufweist. Im Business-to-Business-Bereich werden
Entscheidungen häufig von mehreren Personen gemeinsam getroffen, die bestimmte
Funktionen ausüben und sich entsprechend ihrer Funktion verhalten. Man modelliert das
Konsumentenverhalten hier in Form von Buying-Centern (Webster und Wind 1972). In
dem vorliegenden Buch widmen wir uns dem Endkonsumenten, d. h. den privaten Ver-
brauchern und damit dem Business-to-Consumer-Bereich.
Den zweiten Teil des Begriffs Konsumentenverhalten bildet das Verhalten (Abb. 1.1).
Die Konsumentenverhaltensforschung hat folglich viele Überschneidungen mit jenen
wissenschaftlichen Disziplinen, die man als Verhaltenswissenschaften („behavioral
science“) bezeichnet (Trommsdorff und Teichert 2011, S. 23). Besonders relevant sind
Psychologie, (Verhaltens-)Ökonomie, Soziologie, Biologie und Physiologie. Auf die
Gemeinsamkeiten werden wir im Kapitel Konsumentenverhaltensforschung (Kap. 2)
näher eingehen. Bedeutsam ist hier zunächst, dass die Abgrenzung darin besteht, dass
für Konsumentenforscher immer die Konsumentenrolle im Fokus steht (MacInnes und
Folkes 2010, S. 905). Ein Experiment, bei dem die Probanden Markennamen erinnern
sollen, um die Kapazität des menschlichen Gedächtnisses zu erforschen, ist keine Konsu-
mentenverhaltensforschung, sondern kognitionspsychologische Forschung. Möchte der
Forscher dagegen testen, auf welche Elemente man bei der Gestaltung eines Marken-
logos achten sollte, damit Konsumenten dieses leichter wiedererkennen können, so han-
delt es sich um eine Fragestellung der Konsumentenverhaltensforschung.
Nimmt man den Begriff Konsumentenverhalten zu wörtlich, so bezieht er sich
zunächst nur auf das von außen beobachtbare Verhalten des Konsumenten (Kroeber-Riel
1.2 Warum ist Wissen über Konsumentenverhalten wichtig? 5
Informieren
potenzieller Passant
Kunde Stöbern
Käufer Probieren
Nachfrager
Vergleichen
Kunde Klient
Nutzer Bezahlen
Besucher Shoppen
Nutzen
Entwickler Konsumenten-
Rolle als Verhalten
Verhalten
Konsument verhalten Sharen
Prosument
Empfehlen
Markenbotschafter Protzen
Fan Beschweren
Beschwerdeführer Liken
Boykottieren
Kommunikator ehemaliger Entsorgen
Kunde Reparieren
Entsorger Umtauschen
New Coke, Toshiba HD-DVD, VW Phaeton oder Microsoft Zune: Selbst große Konzerne
scheitern regelmäßig bei der Einführung neuer Produkte. 60 bis 80 % der erstmalig ein-
geführten Artikel werden ein Jahr später nicht mehr im Handel angeboten (Müller und
Schroiff 2013). Ein Grund hierfür ist die mangelnde Konsumentenorientierung der
6 1 Konsumenten und Verhalten
In der Literatur existieren zahlreiche Modelle, die das Verhalten von Konsumenten
erklären sollen. Unter einem Modell versteht man ein vereinfachtes Abbild der Wirklich-
keit (Stachowiak 1973). Auch die Modelle des Konsumentenverhaltens reduzieren die
komplexe Realität auf eine systematische Auswahl relevanter Variablen, die zueinander
in Beziehung gesetzt werden. Dabei lassen sich zwei Typen von Erklärungsmodellen
abgrenzen, die unterschiedliche Abstraktionsgrade aufweisen (Meffert et al. 2018):
Totalmodelle (hoher Abstraktionsgrad) und Partialmodelle (niedriger Abstraktionsgrad).
1.3 Erklärungsmodelle des Konsumentenverhaltens 7
1.3.1.1 Strukturmodelle
Das Totalmodell von Blackwell, Miniard und Engel (2001) gehört zu den gängigsten
Strukturmodellen des Konsumentenverhaltens. Wie in Abb. 1.2 dargestellt, umfasst das
Modell den Entscheidungsprozess, das Informationsverhalten sowie verschiedene Ein-
flussvariablen. Betrachten wir einmal Leas aktuelle Situation aus Sicht dieses Modells.
Die Konsumentscheidung beginnt demnach mit der Problemerkennung als einer vom
Konsumenten wahrgenommenen Abweichung des Status quo vom Idealzustand. Wie
groß er diese Diskrepanz einschätzt, hängt dem Totalmodell zufolge von Umweltein-
flüssen, den Erinnerungen an vergangene (Konsum-)Erfahrungen und von den individu-
ellen Besonderheiten des Konsumenten ab. Dies könnte in Leas Fall wie folgt aussehen:
Nachdem Leas Smartphone zu Bruch gegangen ist (Status quo), benötigt sie ein neues
Problem- Umwelteinflüsse
erkennung • Kultur
• Soziale Klasse
• Persönliche
Exposure Interne
Suche Einflüsse
Suche • Familie
• Situation
Stimuli Aufmerk-
samkeit Alternativen-
(Marketing-
bewertung
oder
Nicht-Marketing- Ge- Individuelle
dominiert) Verständnis dächt- Unterschiede
nis Kauf • Ressourcen des
Konsumenten
• Motivation und
Akzeptanz
Involvement
Gebrauch
• Wissen
• Einstellung
Behalten Nachkauf- • Persönlichkeit,
Bewertung Werte, Lebensstil
Externe
Suche
mobiles Device, mit dem sie ihren Alltag organisieren kann (Idealzustand). Ein Kom-
militone hat sich vor Kurzem das neueste iPhone gekauft und von dessen Usability und
Haptik geschwärmt (Umwelteinflüsse). Bei seinen Schilderungen hat Lea seinerzeit
aufgehorcht, hat sie doch – anders als ihre Eltern – ein Faible für schicke Devices und
Apple-Produkte (individuelle Unterschiede). Außerdem hört sie beim Joggen immer über
ihren alten iPod Musik, weshalb sie mit der Nutzung von Apple-Produkten bereits posi-
tive Erfahrungen gesammelt hat (Gedächtnis).
Auf diese Weise könnte man das gesamte Totalmodell von Blackwell et al. (2001)
weiter durchdeklinieren und würde dabei zu folgender Erkenntnis kommen: Struktur-
modelle leisten eine gute Orientierungshilfe und zeigen auf, welche vielfältigen
Variablen für das Konsumentenverhalten eine Rolle spielen. Sie helfen, Zusammen-
hänge zwischen Variablen zu erkennen und das Konsumentenverhalten ganzheitlich zu
betrachten. Gleichzeitig sind sie aber sehr komplex. Das führt dazu, dass sie empirisch
nicht überprüfbar sind und sie daher die konzeptionelle Ebene nicht verlassen. Auch eine
konkrete Verhaltensvorhersage ist damit praktisch nicht möglich.
1.3.1.2 Prozessmodelle
Prozessmodelle unterteilen das Verhalten des Konsumenten in mehrere Phasen. Viele
Prozessmodelle widmen sich vor allem dem Kaufverhalten und unterscheiden dabei
meist drei Phasen (Solomon et al. 2013):
Store
Print/Katalog
TV/Radio
Social Media
Online-Shop
Berührung kommen (Schüller 2013). Unter Customer Journey ist dabei der Weg entlang
der Kontaktpunkte zu verstehen, den ein potenzieller Kunde durchläuft, bevor er eine Kauf-
handlung ausführt.
Nochmals zur Erinnerung: Totalmodelle versuchen, alle relevanten Aspekte des Konsu-
mentenverhaltens abzudecken. Sie geben einen guten Überblick darüber, wie sich
Konsumenten i. d. R. verhalten, und helfen, das komplexe Verhalten des Konsumenten
übersichtlich und in einem logischen Zusammenhang darzustellen. Partialmodelle
betrachten dagegen bestimmte, enger definierte Verhaltensweisen des Konsumenten
(Trommsdorff und Teichert 2011). Sie sind dadurch empirisch prüfbar und der Einfluss
einiger unabhängiger Variablen (UV) auf die abhängige Variable (AV) ist quantifizierbar.
Die aktuelle Forschung widmet sich vorrangig den Partialmodellen. Auch alle Modelle,
die wir im weiteren Verlauf dieses Buches betrachten, sind Partialmodelle.
Ein beispielhaftes Partialmodell zur Wirkung humorvoller Werbung (Schwarz und
Hoffmann 2012) zeigt, wie sich das Betrachten eines humorvollen Spots (UV) auf die
Einstellung des Konsumenten zur Marke (AV) auswirkt. Der Haupteffekt der UV auf
die AV wird in den meisten Partialmodellen durch intervenierende Variablen genauer
beschrieben. Dabei sind zwei Arten von intervenierenden Variablen zentral (Baron und
Kenny 1986):
• Mediatorvariable: Die Mediatorvariable vermittelt den Einfluss der UV auf die AV.
Sie erklärt, wie die UV indirekt auf die AV wirkt. In unserem Beispiel würde der
Rezipient nach dem Betrachten der humorvollen Werbeanzeige (UV) zunächst eine
positive Einstellung zu dieser Anzeige (Mediatorvariable) entwickeln und diese wie-
derum bewirkt, dass sich eine positive Einstellung zur Marke (AV) ausbildet.
10 1 Konsumenten und Verhalten
Als Autofahrer wissen Sie, dass sich die Räder umso schneller drehen, je stärker Sie auf das
Gaspedal treten. Das liegt an mir. Ich bin Manni, der Motor. Ich vermittle zwischen Gas-
pedal und Rädern. Je stärker der Fahrer auf das Gaspedal tritt, desto schneller drehe ich
mich. Und je schneller ich mich drehe, desto schneller drehen sich die Räder. Ich bin stolz
darauf, sehr zuverlässig zu arbeiten. Trotzdem klappt die Übersetzung nicht immer gleich.
Manchmal drehen sich die Räder besonders schnell im Vergleich zu mir, manchmal drehen
sie sich gar nicht und manchmal drehen sie sich sogar rückwärts. Das ärgert mich sehr, weil
ich Wert darauf lege, dass man sich auf mich verlassen kann. Wissen Sie, wer Schuld hat? Es
ist Gabi, die Gangschaltung. Sie bestimmt, in welcher Stärke und Form meine Drehung auf
die Räder übersetzt wird.
Wer in dieser Geschichte das Gaspedal mit der UV, die Räder mit der AV, den Motor
mit der Mediatorvariable und die Gangschaltung mit der Moderatorvariable gleich-
setzt und den Text nochmals liest, hat den Unterschied zwischen Mediator- und
Moderatorvariable für immer verstanden!
Schauen wir uns zur Vertiefung des Unterschieds zwischen Mediator- und Moderatorva-
riablen noch ein typisches Beispiel eines Partialmodells an (Abb. 1.4): Materialistische
Bedürfnis nach
einzigartigen
Produkten
Teilnahme an
Sharing-
Materialismus Sharing-
Absicht
Programmen
Dieses Buch gliedert sich in zwölf eigenständige Kapitel, welche die zentralen Facetten
des Konsumentenverhaltens beleuchten (Abb. 1.5). Wir umreißen im nächsten Kapitel
den wissenschaftstheoretischen und methodischen Ansatz. Die darauffolgenden Kapitel
widmen sich dann speziellen Einflussgrößen und stellen die einschlägigen Partialmodelle
dazu vor. Wir behandeln zunächst Einflüsse auf das Konsumentenverhalten, die sich
vorrangig im „Inneren“ des Konsumenten abspielen. Dazu zählen Motivation, Emotion
Interindividuelle Unterschiede
und Umwelteinflüsse
Intraindividuelle Prozesse
Motivation Entscheidung
Inter- Konsumenten-
(Kap. 3) (Kap. 7)
individuelle Konsumenten- Mediale
verhalten
Unter- verhalten Umwelt
im Wandel
schiede (Kap. 1) (Kap. 11)
(Kap. 12)
(Kap. 8) Emotion Einstellung
(Kap. 4) (Kap. 6)
Kognition
(Kap. 5)
Soziale Umwelt
(Kap. 9) Physische Umwelt
(Kap. 10)
Konsumentenverhaltensforschung (Kap. 2)
und Kognition sowie Einstellung und Entscheidung. Anschließend weiten wir den Blick
und zeigen auf, dass sich das Verhalten zwischen verschiedenen Konsumentengruppen
systematisch unterscheidet. Wir besprechen Einflüsse von außen – aus der sozialen,
physischen und medialen Umwelt. Am Ende des Buches legen wir dar, wie das Konsu-
mentenverhalten in allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen eingebettet ist und sich
damit im Laufe der Zeit stetig wandelt.
1.5 Lernhilfe
Quintessenz
Von Konsumentenverhalten sprechen wir, wenn der Mensch in seinem Erleben und
Verhalten die Rolle des Konsumenten einnimmt und Güter und Dienstleistungen
erwirbt, ge- bzw. verbraucht oder entsorgt. Die Forschung zum Konsumentenver-
halten befasst sich nicht nur mit dem von außen beobachtbaren Verhalten, sondern
auch mit dem Erleben des Konsumenten, um das „Wie“ und „Warum“ des Konsu-
mentenverhaltens beantworten zu können. Totalmodelle bilden alle Facetten des
Konsumentenverhaltens gemeinsam ab und verschaffen einen guten Überblick. Sie
sind jedoch empirisch nicht prüfbar, weshalb sich die Forschung auf Partialmodelle
konzentriert.
Vernetzende Fragestellung
Im Einstiegsbeispiel wurden verschiedene Dinge über Lea berichtet. Welche Aspekte
davon können dem Konsumentenverhalten zugeordnet werden? Schauen Sie sich
Abb. 1.5 an und überlegen Sie, in welchen der folgenden Kapitel Sie vermutlich noch
mehr Hintergrundwissen und theoretische Erklärungen erfahren werden, um Lea in
ihrer Rolle als Konsumentin besser zu verstehen.
Weiterführende Literatur
Hoyer, W. D., MacInnis, D. J., & Pieters, R. (2012). Consumer Behavior (6. Aufl.). Boston: Cengage
Learning Emea.
Kroeber-Riel, W., & Gröppel-Klein, A. (2013). Konsumentenverhalten (10. Aufl.). München: Vahlen.
MacInnis, D. J., & Folkes, V. S. (2010). The disciplinary status of consumer behavior: A sociology
of science perspective on key controversies. Journal of Consumer Research, 36(6), 899–914.
Literatur
Akbar, P., Hoffmann, S., & Mai, R. (2016). When do materialistic consumers join commercial
sharing systems? Journal of Business Research, 69(10), 4215–4224.
Baron, R. M., & Kenny, D. A. (1986). The moderator-mediator variable distinction in social
psychological research: Conceptual, strategic, and statistical considerations. Journal of Perso-
nality and Social Psychology, 51(6), 1173–1182.
Blackwell, R. D., Miniard, P. W., & Engel, J. F. (2001). Consumer Behavior (9. Aufl.). Orlando:
Harcourt.
Foscht, T., Swoboda, B., & Schramm-Klein, H. (2017). Käuferverhalten. Grundlagen – Perspekti-
ven – Anwendungen (6. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler.
Gelbrich, K., Wünschmann, S., & Müller, S. (2018). Erfolgsfaktoren des Marketing (2. Aufl.).
München: Vahlen.
Kroeber-Riel, W., & Gröppel-Klein, A. (2013). Konsumentenverhalten (10. Aufl.). München:
Vahlen.
MacInnis, D. J., & Folkes, V. S. (2010). The disciplinary status of consumer behavior: A sociology
of science perspective on key controversies. Journal of Consumer Research, 36(6), 899–914.
Meffert, H., Burmann, C., Kirchgeorg, M., Eisenbeiß, M. (2018). Marketing. Grundlagen markt-
orientierter Unternehmensführung. Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele (13. Aufl.).
Wiesbaden: Springer Gabler.
Müller, T., & Schroiff, H. W. (2013). Warum Produkte floppen: Die 10 Todsünden des Marketings.
Freiburg: Haufe-Lexware.
Schüller, A. M. (2013). Touchpoints. Auf Tuchfühlung mit dem Kunden von heute (3. Aufl.). Offen-
bach: Gabal.
Schwarz, U., & Hoffmann, S. (2012). Unter welchen Bedingungen ist humorvolle Werbung erfolg-
reich? Ein Überblick zu den Moderatoren der Humorwirkung. Wirtschaftswissenschaftliches
Studium, 41(7), 344–349.
Solomon, M. R., Bamossy, G. J., Askegaard, S. T., & Hogg, M. K. (2013). Consumer behaviour. A
European perspective (5. Aufl.). London: Pearson.
14 1 Konsumenten und Verhalten
Srinivasan, S., & Hanssens, D. M. (2009). Marketing and firm value. Metrics, methods, findings,
and future directions. Journal of Marketing Research, 46(3), 293–312.
Stachowiak, H. (1973). Allgemeine Modelltheorie. Wien: Springer.
Steiner, V. (2009). Modellierung des Kundenwertes: Ein Branchenübergreifender Ansatz. Wiesbaden:
Gabler.
Trommsdorff, V., & Teichert, T. (2011). Konsumentenverhalten (8. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.
Webster, F., & Wind, Y. (1972). A general model for understanding organizational buying behavior.
Journal of Marketing, 36 (2), 12–19.
Konsumentenverhaltensforschung
2
u Ben möchte ins Roboterhotel „Da möchte ich hin“, ruft Ben plötzlich. Er hat
sich gerade einen Artikel auf seiner News-App durchgelesen und entdeckt,
dass am 17. Juli 2015 in Japan in der Nähe von Nagasaki das Henn-na Hotel
eröffnet hat. Es ist das weltweit erste Hotel mit Robotern als Personal. So sitzt
bspw. am Empfang eine Roboter-Dame. Sie ist höflich, freundlich und adrett
geschminkt und frisiert. Auch andere Dienste, wie den Koffer auf das Zimmer
zu bringen oder die Reinigung der Zimmer, erledigen Roboter. „Das Hotel
schließt doch bald wieder“, erwidert Lea. „Kein Mensch geht freiwillig da hin.“
Zweifellos ist es ein riskantes Unterfangen, ein derartig ungewöhnliches
Hotel zu eröffnen. Welche Gäste wird dieses Hotel anlocken? Werden sie
zufrieden sein, wiederkehren und das Hotel weiterempfehlen? Welche Preise
werden sie bereit sein zu bezahlen? Die Konsumentenverhaltensforschung
kann helfen, hierauf eine Antwort zu geben.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 15
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_2
16 2 Konsumentenverhaltensforschung
Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, …
… dem Zimmerservice? 5
… usw. …
tichproben (häufig nur 20 bis 30 Interviews) aus. Ein typisches Ergebnis eines qualitati-
S
ven Forschungsansatzes wäre bspw., dass eine Hypothese aufgestellt oder gar eine Theo-
rie entwickelt wird, wie die Authentizität des haptischen Erlebnisses (hier: die Echtheit
des Handschlags des Roboters) das Empfinden des Konsumenten beeinflusst.
In Tab. 2.1 sind ausgewählte qualitative Verfahren aufgelistet (zur Vertiefung siehe
u. a. Buber und Holzmüller 2009; Kepper 2008; Kozinets 2015; Mayring 2016). Dabei
Die Gegenüberstellung des quantitativen und des qualitativen Ansatzes verdeutlicht, dass
sich nicht nur die Methoden unterscheiden, sondern dass es große Unterschiede in der
Zielsetzung, in den zu erwartenden Ergebnissen und der Güte der Daten gibt. Qualita-
tive Methoden eignen sich insb. dafür, etwas Neues zu entdecken bzw. Phänomene in der
Tiefe zu verstehen. Quantitative Methoden eignen sich dagegen besser, um die Stärke
von Zusammenhängen abzusichern. Quantitative Methoden sollten sich durch eine hohe
Objektivität auszeichnen, d. h., sie sollten möglichst unabhängig von den forschenden
Personen Gültigkeit besitzen. Qualitative Methoden erfordern eine gewisse Interpretation
der Daten. Inzwischen setzt sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass beide
Ansätze ihre Berechtigung besitzen und je nach Anwendungsfall gewählt werden sollten.
Oftmals empfiehlt es sich, die beiden Herangehensweisen in Mixed-Methods-Ansätzen
zu kombinieren (Srnka 2007). Unter anderem sind die folgenden Designs möglich:
• Bei der Primärerhebung wird der Informationsbedarf durch die Erhebung originär
neuer Daten gedeckt. Der Forscher kann hypothesengeleitet vorgehen und die zu gewin-
nenden Daten auf die Zwecke der Untersuchung zuschneiden. Die Aussagekraft der
Daten für die zu untersuchende Fragestellung ist damit besonders hoch. Ein Forscher
könnte bspw. gezielt einen Fragebogen zur Servicequalität in Roboterhotels entwickeln.
22 2 Konsumentenverhaltensforschung
• Die Sekundärforschung, die auch als Desk Research bezeichnet wird, nutzt bereits
vorhandenes Datenmaterial. Diese Daten wurden ursprünglich meist zu ande-
ren Zwecken erhoben und der „Schreibtisch-Forscher“ wertet sie nun für die zu
beantwortende Fragestellung erneut aus. In Frage kommen bspw. Daten des Statis-
tischen Bundesamtes, Geschäftsberichte, Kundenstatistiken von Unternehmen oder
Erhebungen von Marktforschungsinstituten.
Beide Formen der Datenerhebung weisen gewisse Vor- und Nachteile auf (Döring und
Bortz 2016; Meffert et al. 2018). Sekundärforschung verursacht meist geringere Kos-
ten. Wenn die vorliegenden Daten nicht weiter aufbereitet werden müssen, können die
Auswertungen auch relativ schnell durchgeführt werden. Allerdings sind die Daten häu-
fig nicht aktuell und die Qualität ist oft schwer beurteilbar. Das größte Problem für die
Konsumentenverhaltensforschung besteht aber darin, dass die Daten nicht auf die Frage-
stellung zugeschnitten sind. Es werden sich bspw. schwer Sekundärdaten finden lassen,
die helfen, die Frage zu beantworten, ob die Zufriedenheit mit dem Servicepersonal in
einem Roboterhotel einen anderen Einfluss auf die Wiederkehrwahrscheinlichkeit hat
als in einem konventionellen Hotel. Mit der häufig aufwendigeren und kostspieligeren
Primärforschung kann es besser gelingen, gezielt auf drängende Fragestellungen ein-
zugehen. Sie setzt jedoch eine entsprechende Methodenkompetenz und Kostenauf-
wendungen voraus. Die Erkenntnisse, die in diesem Buch dargestellt werden, basieren
vor allem auf Studien, die sich der Primärerhebung bedienten, da bei Fragen nach dem
„Wie“ und „Warum“ des Verhaltens von Konsumenten bereits vorliegende Daten häufig
zu unspezifisch für die interessierende Fragestellung sind. Deshalb gehen wir im Folgen-
den auch stärker auf Strategien der Primärforschung ein.
Im Rahmen der Primärforschung lassen sich vor allem die folgenden Formen der Daten-
gewinnung unterscheiden (z. B. Hoffmann et al. 2018; Meffert et al. 2018): Befragung,
Beobachtung, apparative Verfahren und Experimente. Daneben gibt es noch zahlreiche
Spezialformen wie computergestützte Erhebungen (z. B. Reaktionszeitmessungen wie
bspw. der Implizite Assoziationstest), Webanalytics (inkl. Big Data), Panelerhebungen,
Testmärkte und psychologische Testverfahren.
misst bzw. messen sollte). Die Reliabilität erfasst damit, ob die Messung frei von zufälligen Feh-
lern ist. Validität ist schließlich die Gültigkeit der Messung, d. h., sie bewertet, ob die Messung
frei von systematischen Fehlern ist. Es geht also um die Frage, ob ein Messinstrument inhaltlich
tatsächlich das misst, was es zu messen vorgibt.
• Wer oder was registriert die Daten? Meist werden Fremdbeobachtungen durch
Dritte, d. h. einen Beobachter, oder durch Geräte (z. B. Videokameras) durchgeführt.
Auf die technische Unterstützung zur Gewinnung objektiver Daten werden wir in
Abschn. 2.4.3 genauer eingehen. Grundsätzlich stünde auch die Methode der Selbst-
beobachtung zur Verfügung; in der Konsumentenverhaltensforschung kommt sie
jedoch selten zum Einsatz.
• Wie transparent ist die Beobachtungssituation für den Probanden? In nicht-
biotischen Beobachtungsstudien weiß die Person, dass sie gerade beobachtet wird,
und auch, welchen Zweck die Studie verfolgt. Oftmals ist es in Konsumentenver-
haltensstudien aber notwendig, dass die Person keine vollständige Transparenz über
die Beobachtungssituation hat. Man möchte einen „Beobachtungseffekt“ vermeiden,
d. h., es soll verhindert werden, dass der Proband sein Verhalten bewusst anpasst oder
gar verfälscht. Weiß der Proband, dass er Teilnehmer einer Untersuchung ist, kennt
aber den Gegenstand der Untersuchung nicht, so spricht man von einer quasi-bioti-
schen Situation. Beispielsweise könnte man den Probanden darüber aufklären, dass
man sein Verhalten beim ersten Besuch im Roboterhotel beobachtet; man lässt ihn
aber darüber im Unklaren, dass man insb. seine Reaktionen auf den Handschlag des
Roboters erfassen möchte. Wenn sich die Person hingegen gar nicht bewusst ist, dass
sie Teil der Untersuchung ist, so spricht man von einer biotischen Situation.
Mit apparativen Verfahren, d. h. technischen Hilfsmitteln, lassen sich objektive Mes-
sungen durchführen. Verschiedenste Verfahren helfen, physiologische Indikatoren zu
erheben oder Muskelbewegungen und Mimik zu erfassen (Rampl et al. 2011). Mit diesen
Informationen versucht der Forscher, Rückschlüsse auf innere Prozesse des Probanden
zu ziehen. So zeichnet das Eye-Tracking die Blickbewegung auf und liefert damit einen
Indikator für Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsprozesse. Das Elektrokardio-
gramm (EKG) erfasst die Herzfrequenz und ist ein Indikator für die Aktivierung der
Person. Die Hautwiderstandsmessung basiert auf der Grundlage, dass die Haut elektri-
sche Ströme mit geringerem Widerstand weiterleitet, wenn wir schwitzen. Bereits mini-
male Veränderungen der Leitfähigkeit der Haut werden registriert und geben Auskunft
über den Grad der physiologischen Aktivierung. Mit dem Elektromyogramm (EMG)
misst man Muskelspannungen, von denen man bspw. Rückschlüsse auf Emotionen zie-
hen kann. Eine Sonderform ist die Facial Electromyography, welche Veränderungen in
der elektrischen Aktivität der Gesichtsmuskulatur erfasst, in der sich Gefühlsregungen
sehr direkt widerspiegeln.
Im Zusammenhang mit diesen apparativen Verfahren wird derzeit der Begriff Neuro-
marketing bzw. auch Consumer Neuroscience intensiv diskutiert (Kenning 2014).
Erkenntnisse, Theorien und Methoden aus dem Gebiet der Neuropsychologie wer-
den zunehmend auch zur Durchdringung verschiedener Problemstellungen der Konsu-
mentenverhaltensforschung genutzt. Bisherige Studien beschäftigten sich bspw. mit der
Emotionalisierung von Kaufentscheidungen (Deppe et al. 2005) oder der Wirkung von
Zahlungsmitteln auf die Produktwahrnehmung der Konsumenten (Chatterjee und Rose
2012). Forscher auf dem Gebiet der Consumer Neuroscience bedienen sich zahlreicher
Methoden der kognitiven Neurowissenschaften, mithilfe derer es möglich ist, spezifische
Aktivitäten im menschlichen Nervensystem und in bestimmten Hirnregionen unter Ein-
wirkung bestimmter Reize zu untersuchen. Wichtige Messgeräte, welche die Aktivitäten
im Gehirn erfassen, sind die Elektroenzephalografie (EEG), die Magnetenzephalografie
(MEG), die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) und die funktionelle transkranielle
Doppler-Sonografie (fTCD). Die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT)
ist das modernste und in der Anwendung beliebteste bildgebende Verfahren. Es misst
Änderungen in der Blutoxygenierung, wodurch aktive Hirnareale ermittelt werden kön-
nen. Gerade beanspruchte Hirnareale haben einen erhöhten Bedarf an Sauerstoff, was
innerhalb von Sekundenbruchteilen zu einer erhöhten Sauerstoffanreicherung führt.
Sauerstoffreiches Blut hat im Vergleich zu sauerstoffarmem Blut andere magnetische
Eigenschaften, die das von dem Magnetresonanztomografen aufgenommene Signal ver-
ursachen. Im Vergleich zu anderen bildgebenden Verfahren besitzt die fMRT auch ohne
Verabreichung von Kontrastmitteln oder radioaktiven Substanzen eine hohe räumliche
Auflösung. Ebenso lassen sich zeitlich genaue Informationen über Reihenfolge und Zeit-
punkt der Hirnaktivitäten ermitteln.
26 2 Konsumentenverhaltensforschung
Apparative Verfahren eignen sich sehr gut, um Informationen zu selbst minimalen Ver-
änderungen im Erleben und Verhalten des Konsumenten zu messen. Zu beachten ist
aber, dass die Stichproben meist sehr klein sind und die Generalisierbarkeit dadurch ein-
geschränkt ist (Plassmann et al. 2015). Die Studien finden normalerweise unter Labor-
bedingungen statt. Wie sehr bspw. die gemessenen Hirnaktivitäten beim Verzehr von
Wein davon beeinflusst sind, dass sich die Probanden in einer medizinischen Umgebung
befinden und innerhalb eines lauten fMRT Wein durch einen Schlauch zugeführt
bekommen, ist unklar. Zudem besteht das Problem der „Reverse Inference“: Aus
bestimmten Signalen im Gehirn wird auf die Verarbeitung einzelner mentaler Prozesse
geschlossen. Reize werden aber in mehreren Gehirnarealen verarbeitet und umgekehrt
ist ein Gehirnareal nicht ausschließlich für die Verarbeitung einzelner Emotionen und
Kognitionen zuständig. Consumer Neuroscience kann derzeit noch nicht das Erleben des
Konsumenten voll aufzeigen und bspw. nicht beantworten, ob ein Reiz vom Konsumenten
als positiv oder negativ empfunden wird. Hierzu sind zusätzliche Befragungen notwendig,
womit wir wieder bei den Vorteilen einer Triangulation wären (vgl. Abschn. 2.2.3).
einstellt (Berekoven et al. 2009, S. 146 ff.; Döring und Bortz 2016; Shadish et al.
2001). Um Aussagen über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge treffen zu können,
müssen sozialwissenschaftliche Experimente so geplant werden, dass Störfaktoren und
damit alternative Erklärungen ausgeschlossen werden können. Wir müssen uns also
zunächst fragen, unter welchen Bedingungen wir auf Kausalität schließen können. Fol-
gende Bedingungen müssen gleichzeitig erfüllt sein (Shadish et al. 2001):
Experimente müssen so geplant werden, dass alle notwendigen Bedingungen der Kausali-
tät erfüllt sind. Die Untersuchung sollte mit theoretischen Vorüberlegungen und der
Ableitung zu prüfender Hypothesen beginnen. Der Forscher könnte bspw. annehmen, dass
die Darstellung humanoider Roboter auf den Werbeplakaten die Akzeptanz der potenziel-
len Besucher erhöht. Der Forscher manipuliert nun auch die zeitliche Abfolge von Ursa-
che und Wirkung selbst, indem er die Ursache (Treatment) selbst auslöst. Im einfachsten
Fall wird dabei eine Gruppe von Probanden, die dem Treatment (hier: einem Plakat mit
einem menschlich anmutenden Roboter) ausgesetzt sind (die Experimentalgruppe), mit
einer Gruppe von Probanden, die dem Treatment nicht ausgesetzt sind (der Kontroll-
gruppe) verglichen. Der Einfluss von Störgrößen kann z. B. dadurch reduziert werden,
dass das Experiment unter kontrollierten Bedingungen („im Labor“) durchgeführt wird
und dass die Probanden randomisiert (d. h. zufällig) der Experimental- und der Kontroll-
gruppe zugewiesen werden. Dahinter steht die Annahme, dass sich nicht kontrollierbare
Unterschiede zwischen Probanden (z. B. unterschiedliche Technikaffinität) durch die
28 2 Konsumentenverhaltensforschung
Randomisierung so verteilen, dass sie keinen Einfluss auf das Ergebnis des Experiments
nehmen. Wenn sich nun mit statistischen Auswertungsmethoden ein Zusammenhang (eine
empirische Korrelation) zwischen den Experimentalbedingungen und der abhängigen
Variablen zeigt, so kann auf Kausalität geschlossen werden. Wenn also im Beispiel die
Gruppe, welche die Anzeige mit den humanoiden Robotern gesehen hat, eine höhere
Bereitschaft zeigt, in diesem Hotel zu übernachten, als die Kontrollgruppe, so kann man
auf einen kausalen Einfluss der Anzeige auf die Kaufbereitschaft schließen.
Auch für Experimente existieren verschiedene Gütekriterien. Die wichtigsten sind die
folgenden:
• Die interne Validität gibt an, ob der kausale Schluss tatsächlich gültig ist, d. h. ob
zwischen dem Treatment und der abhängigen Variablen wirklich eine Ursache-
Wirkungs-Beziehung besteht. Die interne Validität ist hoch, wenn alle potenziel-
len Störfaktoren ausgeschlossen werden können (siehe Shadish et al. 2001 für einen
Überblick über die Gefahren der internen Validität).
• Die externe Validität gibt an, ob die gefundenen Zusammenhänge auf andere Perso-
nen und Situationen übertragen werden können. Beispielsweise werden Experimente
von Forschern an Universitäten häufig mit Studierenden durchgeführt. Huma-
noide Roboter auf dem Werbeplakat mögen auf junge, technikaffine Studierende
eine positive Wirkung haben. Ob man diesen Befund auch auf wohlsituierte, ältere
Konsumenten, die sich prinzipiell einen längeren, kostspieligen Aufenthalt in einem
Roboterhotel leisten könnten, übertragen kann, ist nicht gesichert.
• Ökologische Validität: Sie gibt an, ob das Ergebnis des Experiments auf ein für den
Konsumenten natürliches bzw. realistisches Setting übertragbar ist. Man kann die
ökologische Validität damit als Sonderform der externen Validität begreifen. Eine
Beurteilung einer Werbeanzeige im Labor des Forschers muss nicht mit einer Situa-
tion in der Lebenswirklichkeit des Konsumenten (z. B. beim Surfen mit dem Smart-
phone) übereinstimmen.
In Anbetracht dieser Gütekriterien lassen sich zwei grundsätzliche Formen von Experi-
menten unterscheiden: Ein Laborexperiment wird in einer künstlichen Umgebung
durchgeführt. Der Forscher hat die Möglichkeit, alle Bedingungen selbst festzulegen, um
Störfaktoren zu reduzieren oder zu kontrollieren. Dieses Setting hilft, eine hohe interne
Validität zu erreichen. Feldexperimente werden in einem für den Probanden natürlichen
bzw. normalen Setting durchgeführt (z. B. im Kaufhaus). Der Forscher kann dadurch
nicht alle Störfaktoren ausschließen. Dafür zeichnen sich Feldexperimente durch eine
hohe Realitätsnähe aus, d. h., sie weisen eine hohe ökologische Validität auf. Weiterhin
kann zwischen echten und quasi-experimentellen Designs unterschieden werden. Wäh-
rend bei echten Experimenten die Versuchspersonen den unterschiedlichen Manipulatio-
nen (Treatments) zufällig zugeordnet werden, fehlt bei quasi-experimentellen Designs
diese Randomisierung der Gruppenzugehörigkeit (Shadish et al. 2001). Insbesondere bei
Feldexperimenten ist dies nicht möglich.
2.5 Lernhilfe 29
2.5 Lernhilfe
Quintessenz
Die empirische Konsumentenverhaltensforschung erforscht nicht nur das von außen
beobachtbare Verhalten, sondern auch die inneren Prozesse, um auch das „Wie“ und
„Warum“ des Konsumentenverhaltens beantworten zu können. Sie nutzt Methoden
und Theorien aus einer Vielzahl anderer Fachbereiche und ist damit sehr interdiszipli-
när angelegt. Man unterscheidet quantitative und qualitative Forschungsansätze. Die
wichtigsten Methoden zur Datengewinnung sind Beobachtung, Befragung, apparative
Verfahren und Experimente.
O Es muss eine Kovariation zwischen der unabhängigen und der abhängigen Variab-
len vorliegen.
O Die Ursache muss zeitlich vor der Wirkung auftreten.
O Die Probanden müssen wissen, was der Zweck der Untersuchung ist.
O Der Einfluss von Störvariablen muss ausgeschlossen werden können.
O Es müssen mindestens drei verschiedene Experimentalgruppen verglichen werden.
Vernetzende Fragestellung
Ben ist ganz begeistert davon, dass es ein Hotel gibt, in dem das Service-„Personal“
von Robotern gestellt wird. Er nimmt an, dass die meisten Menschen das genauso
sehen, und er wagt die Prognose, dass es in einigen Jahren fast nur noch Roboter-
hotels geben wird. Lea findet die Idee des Roboterhotels dagegen schrecklich und sie
kann sich nicht vorstellen, dass viele Menschen dieses Hotel besuchen werden. Die
beiden beginnen, heftig zu diskutieren, ob sich das Hotel langfristig am Markt halten
kann. Beide möchten ihre Annahmen mit Fakten untermauern. Überlegen Sie, welche
Daten man im Sinne der Sekundärforschung beschaffen könnte, um abzuschätzen,
ob das Roboterhotel von Konsumenten akzeptiert werden wird oder nicht. Seien Sie
kreativ und überlegen Sie sich möglichst viele verschiedene Datenquellen. Denken
Sie daran, dass nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Daten nützlich sein
können, und suchen Sie Daten für möglichst viele Einflussfaktoren, die wir in den
verschiedenen Kapiteln dieses Buches besprechen. Recherchieren Sie diese Daten tat-
sächlich. Was denken Sie nun, hat Ben Recht oder eher Lea?
Weiterführende Literatur
Döring, N., & Bortz, J. (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Human-
wissenschaften, (5. Aufl.), Berlin: Springer.
Hoffmann, S., Franck, A., Schwarz, U., Soyez, K., & Wünschmann, S. (2018). Marketing-
Forschung. Grundlagen der Datenerhebung und Datenauswertung. München: Vahlen.
Shadish, W. R., Cook, T. D., & Campbell, D. T. (2001). Experimental and quasi-experimental
designs for generalized causal inference (2. Aufl.). Boston: Cengage.
Literatur
Balderjahn, I., & Scholderer, J. (2007). Konsumentenverhalten und Marketing. Grundlagen für
Strategien und Maßnahmen. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
Literatur 31
Berekoven, L., Eckert, W., & Ellenrieder, P. (2009). Marktforschung. Methodische Grundlagen und
praktische Anwendungen (12. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler.
Buber, R., & Holzmüller, H. H. (2009). Qualitative Marktforschung. Konzepte, Methoden, Ana-
lysen (2. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler.
Bühner, M. (2010). Einführung in die Test- und Fragebogenkonstruktion (3. Aufl.). München:
Pearson.
Chatterjee, P., & Rose, R. L. (2012). Do payment mechanisms change the way consumers perceive
products? Journal of Consumer Research, 38(6), 1129–1139.
Churchill, G. (1979). A paradigm for developing better measures of marketing constructs. Journal
of Marketing Research, 16(1), 64–73.
Deppe, M., Schwindt, W., Kugel, H., Plassmann, H., & Kenning, P. (2005). Nonlinear responses
within the medial prefrontal cortex reveal when specific implicit information influences econo-
mic decisionmaking. Journal of Neuroimaging, 15(2), 171–182.
Döring, N., & Bortz, J. (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Human-
wissenschaften (5. Aufl.), Berlin: Springer.
Hoffmann, S., Franck, A., Schwarz, U., Soyez, K., & Wünschmann, S. (2018). Marketing-
Forschung. Grundlagen der Datenerhebung und Datenauswertung. München: Vahlen.
Homburg, C. (2017). Marketingmanagement. Strategie – Instrumente – Umsetzung – Unter-
nehmensführung (6. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler.
Homburg, C., & Giering, A. (1996). Konzeptualisierung und Operationalisierung komplexer
Konstrukte: Ein Leitfaden für die Marketingforschung. Marketing ZFP, 18(1), 5–24.
Kenning, P. (2014). Consumer Neuroscience: Ein transdisziplinäres Lehrbuch. Stuttgart: Kohl-
hammer.
Kepper, G. (2008). Methoden der qualitativen Marktforschung. In A. Herrmann, C. Homburg, &
M. Klarmann (Hrsg.), Handbuch Marktforschung: Methoden – Anwendungen – Praxisbeispiele
(3. Aufl., S. 175–212). Wiesbaden: Springer Gabler.
Kozinets, R. V. (2015). Netnography: Doing ethnographic research online. London: Sage.
Kroeber-Riel, W., & Gröppel-Klein, A. (2013). Konsumentenverhalten (10. Aufl.). München:
Vahlen.
MacInnis, D. J., & Folkes, V. S. (2010). The disciplinary status of consumer behavior: A sociology
of science perspective on key controversies. Journal of Consumer Research, 36(6), 899–914.
Mayring, P. (2016). Einführung in die qualitative Sozialforschung (6. Aufl.). Weinheim: Beltz.
Meffert, H., Burmann, C., Kirchgeorg, M., Eisenbeiß, M. (2018). Marketing. Grundlagen
marktorientierter Unternehmensführung. Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele (13. Aufl.).
Wiesbaden: Springer Gabler.
Mick, D. G., Pettigrew, S., Pechmann, C., & Ozanne, J. L. (2011). Transformative consumer
research for personal and collective well-being. New York: Routledge.
Moosbrugger, H., & Kelava, A. (2011). Testtheorie und Fragebogenkonstruktion (2. Aufl.).
Heidelberg: Springer.
Plassmann, H., O’Doherty, J., Shiv, B., & Rangel, A. (2008). Marketing actions can modulate
neural representations of experienced pleasantness. Proceedings of the National Academy of
Sciences, 105(3), 1050–1054.
Plassmann, H., Venkatraman, V., Huettel, S., & Yoon, C. (2015). Consumer neuroscience: Applica-
tions, challenges, and possible solutions. Journal of Marketing Research, 52(4), 427–435.
Rampl, L. V., Plassmann, H., & Kenning, P. (2011). Worauf Praktiker achten sollten. Absatzwirt-
schaft, 5, 32–35.
Shadish, W. R., Cook, T. D., & Campbell, D. T. (2001). Experimental and quasi-experimental
designs for generalized causal inference (2. Aufl.). Boston: Cengage.
32 2 Konsumentenverhaltensforschung
Solomon, M. R., Bamossy, G. J., Askegaard, S. T., & Hogg, M. K. (2013). Consumer behaviour.
A European perspective (5. Aufl.). London: Pearson.
Srnka, K. J. (2007). Integration qualitativer und quantitativer Forschungsmethoden. Der Einsatz
kombinierter Forschungsdesigns als Möglichkeit zur Förderung der Theorieentwicklung in der
Marketingforschung als betriebswirtschaftliche Disziplin. Marketing ZFP, 29(4), 247–260.
Steenkamp, J.-B. E. M., de Jong, M. G., & Baumgartner, H. (2010). Socially desirable tendencies
in survey research. Journal of Marketing Research, 47(2), 199–214.
Motivation
3
u Kapsel oder Filter? Ist das nur eine Frage des Geschmacks? Lea und Ben
sind sich einig: Zu einem guten Frühstück gehört ein guter Kaffee. Uneinig
sind sich die beiden allerdings über die Art der Zubereitung. Während Lea
ihren Kaffee am liebsten klassisch in einem Porzellanfilter aufbrüht, möchte
Ben für die gemeinsame Wohnung eine Kaffeekapsel-Maschine anschaffen.
„Überleg doch mal, Lea, wie oft du dich morgens nicht dazu aufraffen kannst,
Kaffee aufzusetzen. In Zukunft genügt ein Knopfdruck und der Kaffee ist fer-
tig. Außerdem kommen doch morgen Anna und Tim zum Frühstück vorbei.
Was meinst du, was die für Augen machen, wenn sie unsere neue Kaffee-
maschine sehen.“ „Mag zwar sein“, wirft Lea wenig begeistert ein, „aber für
jeden Kaffee eine Kapsel Müll zu produzieren, finde ich nicht in Ordnung.
Außerdem habe ich mal nachgerechnet. Eine kleine Kapsel kostet bis zu 39
Cent und damit ist der Kaffee-Kilopreis ungefähr sieben Mal so hoch wie bei
Röstkaffee.“ „Egal, ich will so eine Kapselmaschine“.
Ben und Lea bevorzugen unterschiedliche Formen der Kaffeezubereitung.
Ben will unbedingt eine Kapselmaschine, aber er kann Lea nur schwer zum
Kauf motivieren. Doch was ist Motivation genau und wie beeinflusst sie das
Verhalten des Konsumenten?
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 33
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_3
34 3 Motivation
Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie …
… indem Sie die Motivation des Konsumenten durch folgende Konzepte und
Theorien betrachten:
• Maslows Bedürfnispyramide,
• VIE-Theorie,
• Lewins Feldtheorie und
• ultimate Konsumentenmotive.
Zur Erinnerung: Konsumentenverhalten bezieht sich auf jene Aktivitäten, die man bei
der Beschaffung, beim Verbrauch und bei der Entsorgung von Produkten und Dienst-
leistungen ausübt (Blackwell et al. 2001; Solomon et al. 2013). Die Motive und die
Motivation des Konsumenten beeinflussen all diese Aktivitäten ganz wesentlich. Wir
grenzen zunächst diese beiden Begriffe ab, bevor wir uns mit den Merkmalen der Moti-
vation beschäftigen.
Die Begriffe Motiv und Motivation stammen von dem lateinischen Verb „movere“ ab,
was so viel bedeutet wie „sich bewegen“. Sie erfassen folglich, was den Konsumenten in
Bewegung versetzt.
Ein Motiv ist eine spezifische Wertungsdisposition. Als Veganerin geht es Lea bspw.
nicht nur um eine Ernährung frei von tierischen Erzeugnissen. Vielmehr folgt sie dem
Motiv, die Würde und das Leben von Tieren zu schützen. Anhand dieser spezifischen
Wertungsdisposition wägt sie ihr Handeln ab. So sind an Tieren getestete Kosmetika
3.1 Merkmale motivierten Handelns 35
für sie genauso tabu wie der Besuch von Zoos, wo ihrer Meinung nach Tiere nur zum
Vergnügung der Besucher eingesperrt sind. Motive gehören zu den „Traits“ (engl.:
Merkmale, Charaktereigenschaften), die als latente Persönlichkeitsvariablen über weite
Teile der Lebensspanne stabil bleiben (Heckhausen und Heckhausen 2018). Sie sind
nicht immer „aktiv“, sondern werden durch geeignete situative Hinweise aktiviert.
Die Motivation bezieht sich stärker als Motive auf spezielle Situationen und sie
bereitet ganz bestimmte Handlungen vor (Rudolph 2013). Motivation zählt damit zu
den „States“ (engl.: Zustände). Im Zusammenspiel mit Leas Motiv, die Würde und das
Leben von Tieren zu schützen, entsteht in der Einkaufssituation die Motivation, vegane
Produkte zu kaufen, auch wenn diese zum Teil teurer als konventionelle Produkte sind.
Folgende Merkmale kennzeichnen die Motivation:
Das Konstrukt Motivation umfasst damit alle Prozesse, die körperliche sowie mentale
Aktivitäten auslösen, steuern und aufrechterhalten (Gerrig 2014). Gewolltes Verhalten
bezeichnet die Motivationspsychologie auch als Handeln (Rudolph 2013). Für eine
Handlung entscheiden sich Individuen willentlich und sie führen sie absichtlich aus. Alle
unwillkürlichen Verhaltensweisen sind keine Handlungen, sondern automatisierte oder
biologisch kontrollierte Prozesse, wie etwa Reflexe. Zwei Charakteristika bestimmen
motiviertes Handeln (Heckhausen und Heckhausen 2018): Das Streben nach Wirksam-
keit sowie die Organisation von Zielengagement und Zieldistanzierung, die im folgenden
Abschnitt erklärt werden.
Das Streben nach Wirksamkeit bezeichnet den Wunsch des Individuums, eine bestimmte
Wirkung oder ein bestimmtes Ergebnis in seiner physischen und sozialen Umwelt
herbeizuführen. Die Motivationspsychologie spricht hierbei vom Herstellen und Auf-
suchen von Verhaltens-Ergebnis-Kontingenzen (Heckhausen und Heckhausen 2018).
Ben liebäugelt mit dem Kauf einer Kaffeekapsel-Maschine, da er sich davon ein
bestimmtes Resultat verspricht. Dies kann der Duft von frischem Kaffee am Morgen
36 3 Motivation
(physische Umwelt) oder die Anerkennung für das neue Gerät im Freundeskreis sein
(soziale Umwelt). Sollte der Kauf (Verhalten) zu frisch duftendem Kaffee vor der Uni
und einer positiven Rückmeldung aus dem Freundeskreis führen (Ergebnis), wurde eine
Verhaltens-Ergebnis-Kontingenz hergestellt.
Zielengagement und Zieldistanzierung sind zwei motivationale Modi. Sie sorgen dafür,
dass eine motivierte Person ihre Ressourcen effizient bündelt, um entweder ein Hand-
lungsziel zu erreichen oder sich von einem unerreichbaren oder nicht lohnenden Ziel
abzuwenden (Heckhausen und Heckhausen 2018).
Beim Zielengagement („Go-Modus“) wird Wichtiges hervorgehoben und
Unwichtiges ausgeblendet. Vor dem Kauf der Kaffeekapsel-Maschine stand Ben vor
der Entscheidung, ob er weiterhin Leas Porzellanfilter nutzen oder für knapp 200 EUR
einen Kaffeeautomaten kaufen soll. Nehmen wir an, dass Ben sich für den Kauf ent-
schieden hat. Im Zielengagement-Modus hebt er die Vorteile seiner Entscheidung für
den Kaffeeautomaten hervor. Dies kann bspw. die schnelle Zubereitung eines Kaffees
sein. Gleichzeitig blendet er etwaige Nachteile seiner Kaufentscheidung aus, wie etwa
den zusätzlich produzierten Müll in Form von verbrauchten Aluminiumkapseln.
Bei der Zieldistanzierung („Stopp-Modus“) wird ein ursprünglich verfolgtes Hand-
lungsziel zugunsten eines Alternativziels deaktiviert. Stellen wir uns in Bens Fall einmal
vor, dass er kurzfristig über die weitere Nutzung von Leas Porzellanfilter nachdachte.
Nachdem seine Entscheidung auf den Kauf der Maschine fiel, reduzierte er nicht einfach
nur seine Bereitschaft, den Porzellanfilter weiter zu nutzen, d. h. sein Engagement für
das ursprüngliche Handlungsziel. Vielmehr ist die Zieldistanzierung ein aktiver Prozess,
der dem Engagement für das bisherige Ziel entgegenwirkt. Das bedeutet, dass Ben die
ursprüngliche Absicht, den Porzellanfilter zu nutzen, abwertet („Filterkaffee schmeckt
einfach nicht“) und Alternativziele wie der Kauf eines Kaffeeautomaten an Wert gewin-
nen („der Geschmack rechtfertigt den Preis“).
Was prägt Bens Motivation, eine Kaffeekapsel-Maschine zu kaufen und sogar das
Siebenfache für eine Tasse Kaffee zu bezahlen? Motivationspsychologen nehmen an,
dass personenbezogene und situationsbezogene Faktoren zielgerichtetes und somit
motiviertes Handeln auslösen (Heckhausen und Heckhausen 2018). Abb. 3.1 gibt einen
Überblick zu diesem Wirkzusammenhang.
3.2 Motivation als Produkt von Person und Situation 37
Person
Bedürfnisse,
Motive, Ziele
Person X
Situation Handlung Ergebnis Folgen
Interaktion
Situation
Gelegenheiten,
mögliche Anreize
3.2.1 Personenfaktoren
• Bedürfnisse ergeben sich aus dem aktuellen Zustand eines Organismus. Elemen-
tare physiologische Bedürfnisse, wie etwa Durst oder Schlaf, sind bei allen Men-
schen gleich ausgeprägt (alle Menschen verspüren Durst). Sie variieren nach dem
Deprivationszustand (d. h. dem Zustand der Entbehrung bzw. des Entzugs) und sie
beeinflussen damit die Motivation eines Individuums, in eine bestimmte Richtung
zu handeln. Wenn Ben und Lea Durst verspüren, könnten sie diesen mit einem Glas
Wasser löschen. Falls sie aber nicht nur durstig, sondern auch müde sind, weil sie
bspw. abends noch für eine Klausur lernen mussten, entscheiden sie sich wahrschein-
lich eher für einen großen Becher Kaffee und befriedigen mit einer Handlung zwei
Bedürfnisse.
• Motivdispositionen erklären, warum zwei Personen in ein und derselben Situation
unterschiedlich reagieren. Motivdispositionen sind zeitlich und situativ stabil. Unter-
schiede im Handeln werden auf individuelle Dispositionen (Traits) zurückgeführt,
d. h. auf Eigenschaften der Person, kurz: auf die Persönlichkeit. Worin unterscheidet
sich Ben, der Kaffeekapsel-Fan, von Lea, der Filterkaffee-Befürworterin? Bezieht
man Motivdispositionen in die Überlegung mit ein, könnte bei Ben die Disposition,
einzigartig und exklusiv handeln zu wollen, besonders stark ausgeprägt sein. Leas
Umweltbewusstsein erlaubt es ihr hingegen nicht, für jede Tasse Kaffee Müll in Form
von verbrauchten Kapseln zu produzieren. Im Ergebnis befriedigen sie dasselbe
Bedürfnis, nämlich das nach Koffein, aufgrund individueller Motivdispositionen,
unterschiedlich.
38 3 Motivation
3.2.2 Situationsfaktoren
• Intrinsische Anreize rühren aus dem Ergebnis oder der Tätigkeit selbst. Der
Getränkehersteller Red Bull veranstaltet bspw. jedes Jahr die sog. Red Bull Flugtage
und begeistert damit Fans und potenzielle Kunden der Marke. Teilnehmer gleiten
mit selbst gebauten Fluggeräten von einer Rampe über das darunter liegende Wasser.
Bewertet werden die Flugweite sowie die Originalität des Fluggeräts. Dabei geht es
den Teilnehmern um Spaß und Erlebnisorientierung, sprich um die Tätigkeit selbst
(intrinsischer Anreiz). Der Sachpreis – u. a. das eigene Körpergewicht aufgewogen in
Red-Bull-Dosen – dürfte nur für die wenigsten ein Anreiz für die Teilnahme sein.
• Extrinsische Anreize liegen in einem erwarteten äußeren Nutzen des Handelns. Das
Bonussystem Payback bspw. belohnt Konsumenten für jeden Einkauf mit sog. Pay-
back-Punkten (extrinsischer Anreiz), die sie später gegen Sachgüter eintauschen kön-
nen (erwarteter Nutzen des Handelns). Sollte es ein Teilnehmer der Red Bull Flugtage
wirklich auf die Dosen des Veranstalters abgesehen haben und deswegen mitmachen,
wären auch sie ein extrinsischer Anreiz.
3.3 Konsumentenverhalten durch Motivationstheorien erklären 39
3.3.1.1 Maslows Bedürfnispyramide
Abraham Maslows Motivationstheorie bringt die Bedürfnisse von Individuen mithilfe
einer fünfstufigen Pyramide in eine hierarchische Struktur (Abb. 3.2). Dabei kann die
nächsthöhere Stufe laut Maslow (1970) erst dann erreicht werden, wenn die Bedürf-
nisse auf der darunterliegenden Stufe befriedigt sind. Individuen befriedigen zuerst
ihre Grundbedürfnisse. Wer bspw. tagelang durch die Wüste irrt und plötzlich auf eine
Oase stößt, will direkt seinen Durst löschen (physiologisches Bedürfnis). Erst danach
kommt der Gedanke auf, ob das Wasser überhaupt keimfrei und genießbar ist (Sicher-
heitsbedürfnis). Sind diese niedrigen Bedürfnisse befriedigt, bewegen motivationale
Kräfte das Individuum zu den nächsthöheren Stufen und das Bedürfnis bspw. nach Zuge-
hörigkeit und nach Selbstverwirklichung leitet das Handeln. Die ersten vier Stufen der
Pyramide sind sog. Defizitbedürfnisse, d. h. die Nicht-Befriedigung dieser Bedürfnisse
kann zu physischen und psychischen Störungen führen (Untergewicht, Depression etc.).
Die oberste Stufe bezeichnet Maslow als Wachstumsziel. Sie kann nicht vollständig
befriedigt werden, da sie mit voranschreitender Bedürfnisbefriedigung mitwächst.
Die Bedürfnispyramide von Maslow ist die bekannteste Klassifikation von Bedürf-
nissen. Die aktuelle Forschung kritisiert allerdings die mangelnde theoretische Fun-
dierung und empirische Überprüfbarkeit. Aus zwei Gründen ist sie dennoch für die
Konsumentenverhaltensforschung bedeutsam: Zum einen bringt sie aufgrund ihrer
reduktionistischen Sichtweise eine gewisse Übersicht und Ordnung in das motivatio-
nale Erleben von Konsumenten. Zum anderen sensibilisiert sie dafür, dass Konsumenten
zu verschiedenen Zeitpunkten verschiedene Prioritäten setzen (Solomon et al. 2013).
Je nach Stufe in der Bedürfnishierarchie beeinflussen andere motivationale Kräfte das
Konsumverhalten.
Selbstver-
wirklichung
Individual-
bedürfnisse
Soziale Bedürfnisse
Sicherheitsbedürfnisse
Physiologische Bedürfnisse
3.3.1.2 Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie
Frederick Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie ist ursprünglich eine Inhaltstheorie zur
Arbeitsmotivation. Wir stellen im ersten Schritt die Theorie in ihren Grundzügen vor und
zeigen im zweiten Schritt ihre Relevanz für das Konsumentenverhalten auf. Herzberg
et al. (1993) unterscheiden zwei voneinander unabhängige Einflussfaktoren:
Grundlage der Zwei-Faktoren-Theorie ist der Wunsch von Individuen nach Selbstver-
wirklichung (Herzberg et al. 1993), was auch für die Motivation und das Verhalten von
Konsumenten relevant ist. Viele Konsumenten kaufen bspw. Produkte, um sich selbst
zu verwirklichen. Dabei stehen diejenigen Produkte hoch im Kurs, die diesem Ziel
zweckdienlich sind. Warum ist bspw. Apples iPhone nach wie vor so erfolgreich? Liegt
es etwa am hochauflösenden Display oder an der hohen Akkuleistung? Laut Herzbergs
Zwei-Faktoren-Theorie lautet die Antwort: nein. Schließlich zeichnen sich mittlerweile
fast alle Smartphones am Markt durch diese und ähnliche Attribute aus, sodass sie allen-
falls als Hygienefaktoren bezeichnet werden können. Sprich: Ein schwacher Akku macht
unzufrieden; ein starker Akku erzeugt aber keine Zufriedenheit und damit Kaufabsicht.
Es sind Apples Motivatoren, wie etwa das einzigartige Design oder der Kult um Steve
Jobs und die Community, die Zufriedenheit erzeugen und aus Kunden Fans machen.
H HE b
Erwartung E, Instrumentalität I
dass H zu HE führt zw. HE u. HF a-c
Mithilfe von drei Größen trifft die VIE-Theorie eine Aussage, ob der Konsument eine
motivationale Handlung (H) – wie bspw. den Kauf eines Produkts – ausführt.
• Die Valenz (V) drückt den subjektiven Wert (sprich die Attraktivität) aus, den das Ziel
einer Handlung für den Konsumenten hat.
• Die Instrumentalität (I) definiert die Beziehung zwischen Handlungsergebnis und
Handlungsfolge; sie kann positiv oder negativ sein.
• Die Erwartung (E) beschreibt die subjektiv eingeschätzte Wahrscheinlichkeit, das
Handlungsergebnis zu erreichen. Die Wahrscheinlichkeit nimmt einen Wert von 0 bis
1 an. Die Erwartung hängt stark von den Eigenschaften der Person ab (Nerdinger
et al. 2013).
• Die Handlungsfolgen (HF) wären z. B. die Zeitersparnis am Morgen (a), die
Anerkennung im Freundeskreis (b), aber auch der mögliche Beziehungsstress durch
Leas Missmut über den Kauf (c).
• Die Instrumentalität (I) wäre positiv bzgl. der Zeitersparnis (Ia) sowie der
Anerkennung im Freundeskreis (Ib) und negativ bzgl. seiner Beziehung zu Lea (Ic).
3.3 Konsumentenverhalten durch Motivationstheorien erklären 43
• Die Valenz des Handlungsergebnisses (Kaffeemaschine in der Küche) ist die Summe
der Produkte von Handlungsfolgen und Instrumentalität (HF × I). Klingt kompliziert,
ist es aber nicht. Die Produkte der Handlungsfolge und Instrumentalität sind, verein-
facht betrachtet, zweimal positiv (Zeitersparnis: Va = HFa × Ia = +1; Anerkennung:
Vb = HFb × Ib = +1) und einmal negativ (Beziehungsstress: Vc = HFc × Ic = −1).
Die Summe der Produkte ergibt eine positive Valenz (Vsum = Va + Vb + Vc =
1 + 1 − 1 = +1).
• Die Erwartung (E), dass in Zukunft eine Kaffeekapsel-Maschine in der Küche steht,
schätzt Ben hoch ein (z. B. subjektiv eingeschätzte Wahrscheinlichkeit von 0,8), da er
auf seine Überredungskünste vertraut (Eigenschaften der Person).
Die Entscheidung des Konsumenten, ob er eine Handlung auswählt und umsetzt, ergibt
sich aus dem Produkt seiner Erwartung und der Valenz des Handlungsergebnisses, sprich
Entscheidung = Valenz (Vsum) × Erwartung (E). Die Handlungsalternative mit dem
höchsten Gesamtwert wird gewählt, im Beispiel +1 × 0,8. Laut VIE-Theorie stehen also
die Zeichen nicht schlecht, dass die gemeinsame Wohnung von Ben und Lea demnächst
um eine Kaffeemaschine bereichert wird.
Ausgangspunkt der von Tory Higgins entwickelten Theorie des regulatorischen Fokus
(RFT) ist das hedonische Prinzip. Demnach streben Menschen nach Wohlbefinden und
sie sind darauf ausgerichtet, unangenehme Zustände zu vermeiden. Die RFT erklärt, auf
welche Weise Individuen bestimmte Ziele erreichen und welche unterschiedlichen Stra-
tegien sie hierzu verfolgen (Higgins 1997). Dabei versteht man unter Selbstregulation
den bewussten Einsatz von Strategien der Zielsetzung, -verfolgung und -erreichung
(Holler et al. 2005). Higgins (1997) unterscheidet mit dem Promotions- und dem Prä-
ventionsfokus zwei selbstregulatorische Systeme, welche die grundsätzliche motivatio-
nale Einstellung eines Individuums bei der Zielverfolgung und -erreichung erklären.
• Individuen mit einem Promotionsfokus versuchen mit großem Eifer, positive Ergeb-
nisse zu erzielen. Sie vertrauen auf ihre eigenen Fähigkeiten und sind bestrebt,
Idealzustände zu erreichen. Dabei wählen sie aus vielen verschiedenen Handlungs-
alternativen die für sie bestmögliche aus und scheuen dabei auch nicht das Risiko.
• Das Handeln von Individuen mit einem Präventionsfokus ist dadurch motiviert, Ver-
luste zu vermeiden und Verpflichtungen zu erfüllen. Das Bedürfnis nach Sicherheit
und Schutz ist im Vergleich zu Personen mit einem Promotionsfokus besonders stark
ausgeprägt. Bei der Auswahl von Handlungsmöglichkeiten betrachten sie nur eine
begrenzte Anzahl von Alternativen. Auf diese Weise versuchen sie, Fehler im Han-
deln, sog. Aktionsfehler, zu reduzieren.
44 3 Motivation
Nach Kurt Lewins Feldtheoriekann ein Objekt für das Individuum entweder einen posi-
tiven oder einen negativen Wert annehmen (Brandstätter et al. 2013). Der Wert des
Objekts für das Individuum wird auch als Valenz bezeichnet. Die Valenz hängt von
den Bedürfnissen des Individuums ab. Objekte, die der Bedürfnisbefriedigung dien-
lich sind, nehmen eine positive Valenz an. Objekte, die der Bedürfnisbefriedigung nicht
dienlich sind, nehmen eine negative Valenz an. Bedürfnisse erzeugen eine Spannung in
der Person. Nachdem das Bedürfnis befriedigt ist, nimmt die Spannung ab und die posi-
tive Valenz des Objekts erlischt. Durch die Valenz des Objekts entsteht im Konsumenten
ein Kräftefeld. Konsumenten wenden sich demjenigen Objekt zu, bei dem zu einem
gegebenen Zeitpunkt die resultierende Kraft am größten ist. Wie stark diese Kraft ist,
hängt von der Stärke der Valenz und der Entfernung zum Zielobjekt ab.
So weit die abstrakte Beschreibung der Feldtheorie, schauen wir sie uns nun an
einem Beispiel an: Für viele Konsumenten gehört zu einem guten Kinofilm auch ein ent-
sprechender Snack, so auch für Lea. Da sie Lust auf etwas Süßes hat (physiologisches
Bedürfnis nach Zucker), entscheidet sie sich für eine Jumbo-Portion karamellisiertes
Popcorn (positive Valenz) und gegen die salzigen Nachos (negative Valenz). Nach den
ersten Happen (Bedürfnisbefriedigung) nimmt ihr Appetit ab (Abnahme der Spannung)
und sie denkt sich: „Vielleicht hätte eine Kinderportion auch gereicht.“, (positive Valenz
erlischt). Nach dem Film plant Lea, den Abend bei einem Cocktail ausklingen zu las-
sen. Zwei Bars (A und B) befinden sich in unmittelbarer Nähe. Welche Cocktailbar wird
Lea aufsuchen? Die Analyse des Kräftefeldes, in dem sich Lea befindet, gibt die Ant-
wort: Die Entfernung zum Zielobjekt (Cocktailbar A und B) ist bei beiden Alternativen
in etwa gleich groß. Ein Blick auf das Smartphone verrät Lea aber, dass es nur in Bar A
ihren Lieblingscocktail Cosmopolitan gibt (stärkere positive Valenz gegenüber Bar A).
3.4 Motive des Konsumentenverhaltens 45
Die Kraft, die Lea zur Bar A zieht, ist stärker als die Kraft, die von Bar B ausgeht, und
somit ist die Entscheidung zugunsten Bar A gefallen.
Oftmals wirken mehrere Kräfte gleichzeitig auf den Konsumenten. Wenn diese Kräfte
im Widerspruch zueinander stehen, kommt es zu Konflikten. Lewin unterscheidet drei
Arten von Konflikten:
Warum kaufen manche Konsumenten einen Porsche, während andere bewusst auf den
Erwerb eines Sportwagens verzichten und stattdessen ein Elektroauto fahren? Um diese
und ähnliche Fragen zu beantworten, entwickelten sich in der Konsumentenverhaltens-
forschung eigenständige Motivklassifikationen, die in ihrer Logik den Inhaltstheorien der
46 3 Motivation
• Proximate Ursachen sind die unmittelbaren Gründe und Ursachen für ein
bestimmtes Verhalten.
• Ultimate Ursachen sind tiefer liegende Gründe und Ursachen, die Menschen einen
evolutionären Vorteil verschaffen.
Warum kauft Ben nun eine Kaffeekapsel-Maschine? Könnten wir ihn fragen, würde
er vermutlich antworten, dass er morgens erst nach einem Becher Kaffee richtig wach
wird. Das klingt plausibel, denn schließlich liegen sein Verhalten – der Kauf der Kaffee-
kapsel-Maschine – und der Grund – die Koffein-Quelle – unmittelbar beieinander.
Dies wäre eine proximate Ursache. Doch ist sie tatsächlich der Auslöser für den Kauf
der Kapsel-Maschine? Die Identifikation ultimater Ursachen des Verhaltens geht einen
Schritt weiter. Neben dem Koffein-Kick (proximater Grund) könnte auch das im Fol-
genden beschriebene Status-Motiv (ultimater Grund) Ben zum Kauf der Kaffee-
kapsel-Maschine bewegt haben („Seht her, ich kann es mir leisten, für eine Tasse Kaffee
das Siebenfache auszugeben“). Die Klassifikation von Griskevicius und Kenrick (2013)
zeigt sieben dieser ultimaten Ursachen und Gründe auf, die das Verhalten von Konsu-
menten beeinflussen:
Bio-Produkte kaufen, weil sie davon ausgehen, dass diese mit weniger Schadstoffen
belastet sind und daher ihre Gesundheit nicht gefährden.
• Zugehörigkeit: Das Zugehörigkeits-Motiv aktiviert Verhalten zur Vertiefung
bestehender Freundschaften und zur Aufnahme neuer Freundschaften. Der Erfolg
von Social-Media-Services wie Facebook ist Ausdruck des Zugehörigkeits-Motivs.
Das Zugehörigkeits-Motiv erklärt auch den Kauf bestimmter Kleidung (z. B. Got-
hic-Look) als Symbol der Identifikation mit einer bestimmten sozialen Gruppe.
• Status: Konsumenten wollen Status innerhalb der Gruppe erlangen, der sie sich
zugehörig fühlen, indem sie bspw. Markenkleidung tragen oder Luxus- und Prestige-
produkte kaufen. Bei aktivem Status-Motiv handeln Konsumenten nicht zwangsläufig
egoistisch, sondern zeigen Verhaltensweisen wie kompetitiven Altruismus („Hast du
auch für die Flutopfer gespendet?“) oder Umweltbewusstsein („Ich fahre ein Elektro-
auto.“), um die eigene Reputation zu verbessern.
• Partner-Anwerbung: Das Motiv der Partner-Anwerbung mündet in einem Verhalten,
das Aufmerksamkeit beim Gegenüber erzeugen soll. Ein aufmerksamkeitswirksames
Verhalten ist bspw. das Tragen auffälliger und hochpreisiger Marken sowie Großzü-
gigkeit und Spendierfreudigkeit. Auch Kosmetika und Pflegeprodukte sollen die Auf-
merksamkeit des Gegenübers wecken, indem die eigene Schönheit und Jugendlichkeit
betont wird.
• Pflege der Partnerschaft: Menschen halten Partnerschaften aufrecht, indem
sie bspw. Zeit und Mühe in die Bewältigung potenzieller Konflikte bei der Nut-
zung gemeinsamer Ressourcen aufwenden. Oder sie investieren Zeit und Geld für
Geschenke zum Jahrestag, um Partnerschaften zu intensivieren. Und selbst der Kauf
von Produkten für einen selbst wird – bewusst und unbewusst – von der Beziehung
zum Partner bestimmt.
• Familienwohl: Konsumenten investieren für das Familienwohl Zeit, Energie und
finanzielle Ressourcen. Das Familienwohl-Motiv regt Verhalten an, das sicherstellt,
dass bspw. Hilfsbedürftige eine adäquate Versorgung erfahren (Betreuung von Kin-
dern, Pflege von Älteren). Das Motiv bezieht sich nicht nur auf Mitglieder der eigenen
Familie, sondern auch auf Mitbewohner, Personen mit ähnlichen Zielen oder Arbeits-
kollegen.
Motiv Indikatoren
Doch warum ist diesen Konsumenten der Umweltschutz wichtig? Soyez et al. (2009)
nennen drei Motive, die umweltschützendes Verhalten erklären können (Abb. 3.4):
• Egozentrisch motivierte Konsumenten schützen die Umwelt, weil sie Kraft und Ener-
gie aus der Natur ziehen und gerne ihre Freizeit in der Natur verbringen.
• Ökozentrisch motivierte Konsumenten fühlen eine tiefe Verbundenheit zur Natur. Für
sie erfüllt umweltschützendes Verhalten einen Selbstzweck.
• Anthropozentrisch motivierte Menschen verstehen die Natur als lebensnotwendige
Ressource, die es durch umweltschützendes Konsumverhalten für künftige Generatio-
nen zu schützen gilt (Thompson und Barton 1994).
Der Kauf eines Elektroautos, um damit die Umwelt zu schützen, kann demnach ego-
zentrisch, ökozentrisch oder anthropozentrisch motiviert sein.
Es existieren noch zahlreiche weitere verhaltensspezifische Konsumentenmotive. Warum
fühlen sich bspw. manche Menschen von einzigartigen oder seltenen Produkten regelrecht
angezogen? Das sog. „Desire for Unique Consumer Products“-Motiv (DUCP) erklärt dieses
spezifische Konsumentenverhalten (Lynn und Harris 1997). Es erklärt aber nicht – so wie
etwa die egozentrischen, ökozentrischen und anthropozentrischen Motive –, warum einigen
Menschen der Umweltschutz am Herzen liegt, sodass wir auch hier von einem verhaltens-
spezifischen Motiv sprechen.
Die Motive von Konsumenten werden in den meisten Fällen mithilfe von Ratingskalen in
einem Fragebogen gemessen. Das Handbook of Marketing Scales (Bearden et al. 2011)
bietet eine sehr gute Übersicht über eine Vielzahl an Skalen, um Konsumentenmotive zu
3.5 Messung von Motiven 49
erheben. Ratingskalen in Fragebögen erfassen allerdings nur Motive, die dem Probanden
bewusst sind.
Um unbewusste und schwer verbalisierbare Motive zu messen, bedient man sich sog.
projektiver Verfahren (Abschn. 2.2.2), wie etwa des thematischen Apperzeptionstests
(TAT) und der Means-End-Chain (Ziel-Mittel-Kette). Beim TAT sollen Probanden zu
Bildvorlagen Geschichten erzählen. Der Interviewer stellt dabei Fragen, um den Rede-
fluss zu stimulieren (z. B. „Was passiert gerade?“, „Wer ist die Person?“, „Was fühlt und
denkt sie?“, „Welche Absichten verfolgt sie?“, „Was passiert als Nächstes?“). Grundidee
des Tests ist es, dass der Proband seine mit dem Bild assoziierten und in das Bild pro-
jizierten Gedanken versprachlicht und dabei seine unbewussten Wünsche, Bedürfnisse
und Motive offenbart (Brandstätter et al. 2013).
Die Means-End-Chain-Theorie nimmt an, dass das Wissen in einer hierarchi-
schen Struktur nach dem Bottom-up-Prinzip (von unten nach oben) organisiert ist
(Gutman 1997). Demnach ist die Bedeutung, die Konsumenten mit bestimmten Pro-
dukten, Dienstleistungen oder Marken assoziieren, in sechs Ebenen hierarchisch reprä-
sentiert (Woodside 2004). Auf unterster Ebene befinden sich funktionale und abstrakte
Objekt-Attribute, gefolgt von funktionalen und psychosozialen Konsequenzen, die
sich aus den Objekt-Attributen ergeben. Auf oberster Ebene befinden sich die instrumen-
talen und terminalen Werte, für die das Objekt steht (Gutman 1997). Terminale Werte
geben an, was ein Mensch in seinem Leben erreichen will (Weisheit, Freundschaft,
innere Harmonie etc.). Instrumentale Werte sind sprachlich repräsentierte, bevorzugte
Verhaltensweisen, die der Mensch zeigt, um die terminalen Werte zu erreichen (Rokeach
1973). Zum Frühstück gönnt sich Lea bspw. gerne einen fettarmen (funktionales
Objekt-Attribut) und dadurch kalorienreduzierten (abstraktes Objekt-Attribut) Joghurt.
Beides ist Lea wichtig, da sie schlank sein will (funktionale Konsequenz der Objekt-
Attribute). Schlank zu sein, bedeutet für Lea, attraktiv zu sein (psychosoziale Konse-
quenz), und darauf achtet sie; nicht zuletzt auch wegen Ben. Damit sie schlank bleibt,
muss sie sich manchmal in Selbstkontrolle (instrumentaler Wert) üben und darf nicht
allzu oft Schokolade essen. Die schlanke Figur, die sie erreicht, stärkt ihr Selbstbewusst-
sein (terminaler Nutzen).
Die sog. Laddering-Technik ist ein etabliertes Verfahren, um im Rahmen quali-
tativer Interviews die Bedeutungsassoziation des Konsumenten mit bestimmten Pro-
dukten, Dienstleistungen oder Marken zu erheben und dadurch eine Means-End-Kette
zu entwickeln (Reynolds und Gutman 1988). Mittels „Warum“-Fragen bringt man
Konsumenten dazu, ihre Ziel-Mittel-Vorstellungen zu äußern. Man könnte bspw. wie
im Folgenden dargestellt die Laddering-Technik anwenden, um die Bedeutung einer
Kaffeekapsel-Maschine für Ben zu ergründen. In Abb. 3.5 ist das Ergebnis dieser fiktiven
Befragung als Means-End-Kette dargestellt.
Kettenglieder Means-End-Chain
Terminal Selbststärkung
Werte
Instrumentell Status
Psychosozial Bewunderung
Konsequenzen
Funktional Schick
Abstrakt Hochwertig
Attribute
Funktional Teuer
3.6 Lernhilfe
Quintessenz
Die Motive und die Motivation des Konsumenten beeinflussen sein Verhalten bei der
Beschaffung, beim Verbrauch und bei der Entsorgung von Produkten und Dienst-
leistungen. Dabei hängt seine Motivation sowohl von Personenfaktoren als auch von
Situationsfaktoren ab. Mithilfe von Inhaltstheorien, wie bspw. Maslows Bedürfnis-
pyramide, und Prozesstheorien, wie bspw. der VIE-Theorie, lässt sich motiviertes
Verhalten erklären. Verhaltensübergreifende Konsumentenmotive führen dabei das
vielfältige Verhalten von Konsumenten auf wenige zentrale konsumrelevante Motive
zurück. Verhaltensspezifische Konsumentenmotive widmen sich speziellen Konsum-
bereichen, wie etwa dem umweltbewussten Konsum.
Literatur 51
O Selbstschutz
O Zugehörigkeit
O Status
O Ökozentrismus
O Familienwohl
Vernetzende Fragestellung
Entwickeln Sie eine beispielhafte Means-End-Chain, die die Bedeutungsassoziation
von Lea zum Thema Kaffeekapsel-Maschine darstellt.
Weiterführende Literatur
Griskevicius, V., & Kenrick, D. T. (2013). Fundamental motives: How evolutionary needs influ-
ence consumer behavior. Journal of Consumer Psychology, 23(3), 372–386.
Gutman, J. (1997). Means-end chains as goal hierarchies. Psychology & Marketing, 14(6),
545–560.
Heckhausen, H., & Heckhausen, J. (2018). Motivation und Handeln (5. Aufl.). Berlin: Springer.
Literatur
Bearden, W. O., Netemeyer, R. G., & Haws, K. L. (2011). Handbook of marketing scales:
Multi-item measures for marketing and consumer behavior research. London: Sage.
Blackwell, R. D., Miniard, P. W., & Engel, J. F. (2001). Consumer behavior (9. Aufl.). Orlando:
Harcourt.
Brandstätter, V., Schüler, J., Puca, R. M., & Lozo, L. (2018). Motivation und Emotion: Allgemeine
Psychologie für Bachelor (2. Aufl.). Berlin: Springer.
Gerrig, R. J. (2014). Psychologie (20. Aufl.). Hallbergmoos: Pearson.
Griskevicius, V., & Kenrick, D. T. (2013). Fundamental motives: How evolutionary needs influ-
ence consumer behavior. Journal of Consumer Psychology, 23(3), 372–386.
52 3 Motivation
Gutman, J. (1997). Means-end chains as goal hierarchies. Psychology & Marketing, 14(6),
545–560.
Heckhausen, H., & Heckhausen, J. (2018). Motivation und Handeln (5. Aufl.). Berlin: Springer.
Herzberg, F., Mausner, B., & Snyderman, B. B. (1993). The motivation to work. New Jersey:
Transaction Publishers.
Higgins, E. T. (1997). Beyond pleasure and pain. American Psychologist, 52(12), 1280–1300.
Higgins, E. T. (2000). Making a good decision: Value from fit. American Psychologist, 55(11),
1217–1230.
Higgins, E. T., & Scholer, A. (2009). Engaging the consumer: The science and art of the value
creation process. Journal of Consumer Psychology, 19(2), 100–114.
Holler, M., Fellner, B., & Kirchler, E. (2005). Selbstregulation Regulationsfokus und Arbeits-
motivation. Journal für Betriebswirtschaft, 55(2), 145–168.
Lynn, M., & Harris, J. (1997). The desire for unique consumer products: A new individual diffe-
rences scale. Psychology & Marketing, 14(6), 60–616.
Maslow, A. H. (1970). Motivation and personality (Bd. 2). New York: Harper & Row.
Nerdinger, F. W., Blickle, G., & Schaper, N. (2013). Arbeits-und Organisationspsychologie.
(3. Aufl.). Berlin: Springer.
Reynolds, R., & Gutman, J. (1988). Laddering theory. Method, analysis, and interpretation.
Journal of Advertising Research, 28(1), 11–31.
Rokeach, M. (1973). The nature of human values. New York: Free Press.
Rothermund, K., & Eder, A. (2011). Allgemeine Psychologie: Motivation und Emotion.
Wiesbaden: Springer.
Rudolph, U. (2013). Motivationspsychologie kompakt (3. Aufl.). Berlin: Beltz.
Schmalt, H. D., & Langens, T. A. (2009). Motivation (4. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.
Solomon, M. R., Bamossy, G. J., Askegaard, S. T., & Hogg, M. K. (2013). Consumer behaviour: A
European perspective (5. Aufl.). London: Pearson.
Soyez, K., Hoffmann, S., Wünschmann, S., & Gelbrich, K. (2009). Proenvironmental value orien-
tation across cultures: Development of a German and Russian scale. Social Psychology, 40(4),
222–233.
Thompson, S. C. G., & Barton, M. A. (1994). Ecocentric and anthropocentric attitudes toward the
environment. Journal of Environmental Psychology, 14(2), 149–157.
Vroom, V. H. (1964). Work and motivation. San Francisco: Jossey-Bass.
Woodside, A. G. (2004). Advancing means-end chains by incorporating Heider’s balance theory
and Fournier’s consumer-brand relationship typology. Psychology & Marketing, 21(4),
279–294.
Emotion
4
u Brand Love: Warten auf das brandneue iPhone „Wie kommst du denn auf
die Idee?“, Ben reagiert skeptisch, als ihm Lea vorschlägt, zum Release des
neuen iPhones gemeinsam vor dem Apple-Store zu kampieren. Zwar freut
auch er sich auf das neue Modell. Doch so intensiv ist seine Vorfreude nicht,
dass er für ein neues Smartphone stundenlang anstehen würde. Lea versucht,
Ben doch noch zum Mitkommen zu motivieren. „Stell Dir mal das tolle Gefühl
vor, wenn wir das neue iPhone endlich selbst ausprobieren können. Ich werde
schon ganz hibbelig vor Freude. Und die Stimmung vor dem Store wird sicher
auch wieder super.“ Neckisch fügt sie hinzu: „Wenn Du nicht mitkommen
möchtest, geh ich eben alleine.“
Sowohl Ben als auch Lea freuen sich auf das neue iPhone. Doch während
Lea dem Release des neuen Modells voller Freude entgegenfiebert, reagiert
Ben eher gelassen. Es scheint, dass ihre Emotionen ihr Verhalten unterschied-
lich beeinflussen. Doch was sind Emotionen genau und warum beeinflussen
sie das Konsumverhalten?
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 53
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_4
54 4 Emotion
Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, …
… indem Sie die Emotionen des Konsumenten durch folgende Konzepte und
Theorien betrachten:
Praktisch jeder weiß, was eine Emotion ist – bis er um eine Definition gebeten wird.
So haben Fehr und Russel (1984) die Problematik, Emotionen zu definieren, tref-
fend beschrieben. Während wir im Alltag Emotionen wie Freude, Überraschung oder
Angst intuitiv fühlen, erkennen und benennen können, ist es der Forschung bisher
noch nicht gelungen ein einheitliches Verständnis des Emotionsbegriffs zu entwickeln.
Bereits vor 25 Jahren identifizierte Plutchik (1991) über 150 unterschiedliche Defi-
nitionen des Begriffs Emotion. So vielfältig wie die Definitionsversuche sind auch die
vorgeschlagenen Theorien, die erklären sollen, wie Emotionen entstehen und ablaufen
(Izard 2010). Viele dieser Ansätze schreiben Emotionen bestimmte Merkmale zu, denen
wir uns im folgenden Abschnitt widmen.
Meyer et al. (2001) identifizieren sieben zentrale Merkmale von Emotionen. Diese lassen
sich anhand des Einstiegsbeispiels illustrieren. Das Kampieren vor dem Apple-Store zum
Verkaufsstart eines neuen iPhones ist unter Fans Kult. Bereits Tage vor dem Release war-
ten zahlreiche Konsumenten auf das begehrte Device. So auch Lea im Einstiegsbeispiel.
Tab. 4.1 demonstriert, inwiefern Emotionen für dieses Verhalten mitverantwortlich sind.
Die folgende Arbeitsdefinition greift die sieben Merkmale von Emotionen auf.
Arbeitsdefinitionen sind vorläufige Erläuterungen eines Sachverhalts und Arbeitsgrund-
lage für weitere Untersuchungen. Sie erheben aber nicht den Anspruch, einen Sachver-
halt erschöpfend zu definieren.
4.1 Kennzeichen von Emotionen 55
Die Begriffe Emotion, Stimmung, Affekt und Gefühl beschreiben verwandte Konstrukte.
Der Unterschied liegt im Detail (Atzert et al. 2014). Mithilfe der Arbeitsdefinition lassen
sie sich voneinander abgrenzen:
Emotionen sind immer mit einer Veränderung des Erlebens und Verhaltens von Konsu-
menten verbunden. So ärgert es Lea normalerweise, wenn sie länger als fünf Minuten in
einer Schlange anstehen muss. Durch die Vorfreude auf das neue iPhone erlebt sie aber
das stundenlange Warten vor dem Apple-Store als positiv. Dieses positive Erleben führt
zu einer Verhaltensänderung: Während sie sonst genervt die Schlange verlassen würde,
wartet sie nun geduldig weiter. Veränderungen im Erleben und Verhalten sind Gegenstand
vieler Studien zum Konsumentenverhalten, die Emotionen fokussieren. Zur Erfassung die-
ser Veränderungen erweist es sich als hilfreich, Emotionen als multidimensionales, sprich
vielschichtiges Konstrukt zu verstehen (Rothermund und Eder 2011), das Reaktionen in
mehreren Komponenten auslöst. Jede Komponente lässt sich durch ein bestimmtes Ver-
fahren (z. B. Befragung, Beobachtung oder apparative Verfahren) messen (Abschn. 4.3).
• Erlebenskomponente: Emotionen wie Wut, Freude oder Trauer gehen mit einer Ver-
änderung des subjektiven Erlebens einher und fühlen sich daher unterschiedlich an.
• Kognitive Komponente: Das Erleben von Emotionen wird durch Bewertungen,
Gedanken und Kognitionen geformt. Je nachdem, ob der Konsument ein Erlebnis als
positiv oder negativ bewertet, entstehen unterschiedliche Emotionen.
• Neurophysiologische Komponente: Ein emotionaler Zustand drückt sich auch in
einer Veränderung aus, die durch das autonome Nervensystems ausgelöst wird, wie
bspw. einem erhöhten Herzschlag, Schweißausbruch oder einer beschleunigten
Atmung. Bildgebende Verfahren (z. B. fMRT; Abschn. 2.4.3) zeigen, dass Emotionen
netzwerkartig weite Teile des Gehirns umspannen.
• Ausdruckskomponente: Jede Emotion äußert sich in einer bestimmten Mimik,
Haltung und Stimme. Allein der Gesichtsausdruck einer Person reicht aus, um zu
erkennen, ob sie Ekel (angezogene Oberlippe, gerümpfte Nase und leicht verengte
Augen) oder Freude (hochgeschobene Wangen, Lächeln) empfindet (Ekman 2016).
• Motivationale Komponente: Eine Emotion kann eine bestimmte, zielgerichtete
Handlung in Bewegung setzen. So motiviert Angst bspw. zur Vermeidung einer Situa-
tion und mündet im Extremfall in Flucht.
Im Einstiegsbeispiel kampiert Lea für den Kauf des aktuellen iPhones vor dem Apple-
Store. Die Freude (Erlebenskomponente) über den bevorstehenden Kauf bewertet sie
positiv (kognitive Komponente). Fünf Minuten vor Öffnung des Ladengeschäfts ist die
Freude am größten und ihr Herz pocht (neurophysiologische Komponente). Das Lachen
in ihrem Gesicht (Ausdruckskomponente), als sie in den Laden stürmt, um endlich das
neue iPhone in den Händen zu halten (motivationale Komponente), ist nicht zu übersehen.
Die Emotionsforschung hat noch ein weiteres Konzept zur Beschreibung von Emo-
tionen hervorgebracht: Die Reaktionstrias der Emotion (Lazarus et al. 1970). Es ist
dem Komponentenmodell der Emotion ähnlich. Es nimmt an, dass sich Emotionen durch
behaviorale (verhaltensbasierte), physiologische (körperliche) und subjektive Aspekte
ausdrücken und dass auch diese drei Aspekte jeweils mit unterschiedlichen Methoden
4.1 Kennzeichen von Emotionen 57
messbar sind. Betrachten wir die Konzeption am Beispiel der Emotion Freude, die bei
einem Konzertbesuch entsteht.
• Der behaviorale Aspekt der Freude kann ein Lachen oder das Tanzen eines Konzert-
besuchers sein, weil ihm die Musik gefällt.
• Der physiologische Aspekt beschreibt körperliche Reaktionen wie, dass das Herz viel
intensiver schlägt. Gerade hier kann Musik sehr direkt wirken, indem bspw. der Beat
die Frequenz des Herzschlags vorgibt.
• Der subjektive Aspekt der Emotion Freude während des Konzerts ist das positive
Gefühl, das auch noch lange nach dem Konzert anhalten kann.
Die Motivationen und Emotionen des Konsumenten sind eng miteinander verknüpft
und eine konzeptionelle Unterscheidung ist schwierig (Atzert et al. 2014). Die Arbeits-
definition der Emotion hilft, den Zusammenhang zwischen Emotion und Motivation bes-
ser zu verstehen und ihre Bedeutung für das Konsumentenverhalten herauszuarbeiten.
Sowohl Emotionen als auch Motive energetisieren und organisieren das Verhalten
des Konsumenten (Frijda und Parrott 2011). Im Einstiegsbeispiel mündeten Leas Freude
über das iPhone-Release (Emotion Freude) und ihr Wunsch, positive Beziehungen zu
anderen aufzunehmen und aufrechtzuerhalten (Anschlussmotiv) darin, gemeinsam
mit anderen vor dem Apple-Store zu kampieren (Verhalten). Emotionen begleiten auch
motivationale Zustände. Sie signalisieren den Fortschritt in der Zielerreichung und
unterstützen den Konsumenten bei der Ausführung und Bewältigung eines bestimmten
Verhaltens (Oatley und Jenkins 1992). Positive Emotionen motivieren etwa zum Ver-
folgen, negative Emotionen zum Abbruch des aktuellen Verhaltens. Die Freude auf den
baldigen Besitz des neuen Smartphones motiviert Lea, auch nach mehreren Stunden wei-
ter in der Schlange auszuharren und nicht genervt nach Hause zu gehen.
Beispiel: Was haben Blitze mit Zahnpasta zu tun? Biologische Ansätze in der
Werbewirkung
Oftmals nutzt Werbung archaische Bilder von bedrohlichen Umweltereignissen und
positioniert das eigene Produkt als Bewältigungsstrategie, um Konsumenten zum
Kauf zu animieren. Das Unternehmen GlaxoSmithKline bewirbt etwa seine Zahnpasta
Sensodyne, indem es Blitze auf die Zähne der Werbefigur abfeuert. Aus der Perspek-
tive der biologischen Emotionstheorie könnte man die Wirkung der Werbung auf den
Konsumenten wie folgt erklären: Blitz und Donner sind Umweltereignisse, von denen
eine Gefahr ausgeht und die entsprechend die Emotion Angst auslösen. Mit dem Kauf
4.2 Emotionstheorien zur Erklärung … 59
und Gebrauch der Zahnpasta kann der Konsument – zumindest der Logik der Theo-
rie folgend – die Gefahr des Umweltereignisses auf den Zahn bannen und sich somit
schützen. Scannen Sie den QR-Code, um sich den Spot anzusehen.
Zwei bedeutende biologische Emotionstheorien sind die Ansätze von Robert Plut-
chik (1991, 2003) sowie von Paul Ekman und Wally Friesen (1971). Plutchiks Modell
geht von acht Basis- bzw. Primäremotionen aus (Abb. 4.1). Sie bilden den mittleren
Ring seines Modells. Die Anordnung der Emotionen im Modell gibt Auskunft über die
Beziehung der Emotionen zueinander. Nebeneinander liegende Emotionen sind sich
ähnlich. Gegenüberliegende Emotionen sind sehr gegensätzlich: Freude vs. Traurigkeit,
Liebe
Aggressivität
Ehrfurcht
Reue
Vertrauen vs. Ekel, Erwartung vs. Überraschung, Angst vs. Ärger. Die Intensität einer
Emotion nimmt vom inneren Ring (z. B. Ekstase) über den mittleren Ring (z. B. Freude)
zum äußeren Ring (z. B. Gelassenheit) sukzessive ab. Zwischen den Basisemotionen lie-
gen die Sekundäremotionen, die sich dem Modell zufolge aus einer Dyade, sprich aus
einer Zweierbeziehung von Basisemotionen, ergeben. Die Emotion Liebe ist etwa eine
Dyade aus Freude und Vertrauen.
Paul Ekman ist einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der nonverbalen Kommu-
nikation und der physiologischen Klassifikation von emotionalen Gesichtsausdrücken.
Er identifizierte sieben – zum Teil mit Plutchiks Arbeiten übereinstimmende – Basis-
emotionen: Freude, Überraschung, Ärger, Ekel, Furcht, Trauer und Verachtung. Ekman
kommt zu dem Ergebnis, dass Menschen grundlegende Emotionen weltweit in nahezu
gleicher Weise über Mimik zum Ausdruck bringen. Ebenso lassen sich überall auf der
Welt dieselben Basisemotionen identifizieren; und zwar unabhängig vom Geschlecht und
von der Erziehung sowie vom kulturellen Hintergrund und der ethnischen Zugehörigkeit
(Ekman und Friesen 1971).
Beispiel: Steckt Lachen an? Warum Werbung gerne glückliche Menschen zeigt
Paul Ekmans Forschungsergebnisse zur Universalität von Gesichtsausdrücken ver-
weisen darauf, dass man Emotionen auch ohne Worte über Gestik und Mimik trans-
portieren kann. Studien belegen zudem, dass beobachtete Emotionen förmlich
ansteckend sind. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Werbedesigner gerne Bilder
von Personen einsetzen, die im Kontext der Produktnutzung starke Emotionen zeigen
und diese auch mimisch zum Ausdruck bringen, um dadurch das eigene Produkt emo-
tional aufzuladen. Wer den QR-Code scannt, sieht einen Werbefilm von Coca-Cola,
4.2 Emotionstheorien zur Erklärung … 61
der diesen Effekt gezielt nutzt. Ähnlich wie die Protagonisten in dem Werbefilm muss
der Zuschauer automatisch mitlachen, wodurch die Marke emotional positiv auf-
geladen wird.
Kognitive Emotionstheorien gehen davon aus, dass eine Emotion das Ergebnis der kog-
nitiven Bewertung und Einschätzung einer Situation ist (Gerrig 2014; Kap. 5). Wer
sich kurz vor einer Prüfung befindet, bewertet die Situation im ersten Schritt vielleicht
als gefährlich („Wenn ich durchfalle, ist der Abschluss in Gefahr.“), sodass im zweiten
Schritt die Emotion Angst entsteht. Die Einschätzung findet aber immer subjektiv unter
Berücksichtigung eigener Erfahrungen, Werte, Ziele und Normen statt. Daher reagie-
ren Menschen auf objektiv ähnliche Situationen (Prüfung) subjektiv unterschiedlich.
Während ein Studierender im fünften Semester aufgrund seiner Erfahrung vielleicht
nur Besorgnis (schwache Ausprägung der Emotion Angst) empfindet, fühlt jemand,
der gerade mit dem Studium angefangen hat, regelrecht Panik (starke Ausprägung der
Emotion Angst). Voraussetzung für das Entstehen von Emotionen ist also die kognitive
Einschätzung (englisch: appraisal), weshalb diese Theorien im Englischen auch Apprai-
sal-Theorien genannt werden.
Appraisal-Theorien erklären Emotionen als Ergebnis einer kognitiven Interpretation
eines subjektiven Erlebens (Lazarus 1991). Erst wenn das Individuum ein bestimmtes
Ereignis bewertet und interpretiert, entstehen Emotionen. Was löst bspw. der Anblick
eines Pelzmantels im Schaufenster des Einzelhändlers beim Konsumenten aus (sub-
jektives Erleben)? Dazu muss man bedenken, dass persönliche Werte, Normen und
Überzeugungen des Konsumenten den Prozess der kognitiven Bewertung und Inter-
pretation sowie sein subjektives Erleben färben. Fashion-affine Konsumenten bewerten
das Ereignis vielleicht als positiv und die Emotion Freude entsteht („Was für ein toller
Mantel. Den muss ich unbedingt haben“.). Besonders umweltbewusste Konsumenten
bewerten das Ereignis als negativ und Wut entsteht („Für diesen Mantel mussten
unschuldige Tiere sterben. Wie kann man nur so etwas kaufen?“).
62 4 Emotion
Mann Frau
• Freude: Wenn der Besucher annimmt, dass das Sicherheitspersonal alles überprüft
hat, könnte seine Attribution des stark erregten physiologischen Zustands folgender-
maßen aussehen: „Mein Herz rast, weil ich die tolle Fahrt kaum abwarten kann.“ Dies
führt ggf. dazu, dass sich die Emotion noch verstärkt und aus Freude Ekstase wird.
• Angst: Fragt sich der Besucher dagegen, ob die Achterbahn überhaupt sicher ist,
interpretiert er denselben physiologischen Zustand folgendermaßen: „Mein Herz rast,
weil die Fahrt gefährlich ist.“ Auch dies führt ggf. dazu, dass sich die Emotion ver-
stärkt und in diesem Fall aus Angst Panik wird.
Die Theorie der Schutzmotivation von Rogers (1975, 1983) hilft, die Wirkung von
Furchtappellen auf den Konsumenten zu verstehen. Ziel der Theorie ist nicht, die Ent-
stehung der Emotion Furcht zu erklären, sondern zu beschreiben, wann Einstellungs-
bzw. Verhaltensänderungen eintreten. Zwei gleichzeitig ablaufende Prozesse bestimmen,
ob es zu einer Veränderung kommt: die Bedrohungseinschätzung und die Bewältigungs-
einschätzung.
Im Rahmen der Bedrohungseinschätzung bewertet der Konsument Kosten und Nut-
zen der Aufnahme und Fortsetzung eines Risikoverhaltens.
• Die Kosten drücken sich im Schweregrad der Gesundheitsbedrohung und der wahr-
genommenen Vulnerabilität aus. Der Schweregrad wird i. d. R. von vielen Menschen
ähnlich bewertet. So stimmt sicherlich die überwiegende Mehrheit der Menschen
zu, dass Krebs infolge von Rauchen eine schwerwiegende Bedrohung ist. Die wahr-
genommene Vulnerabilität gibt an, als wie stark gefährdet sich eine Person durch ein
Risikoverhalten einschätzt. Personen, die täglich nur eine Zigarette rauchen, schätzen
sich vermutlich als weniger gefährdet ein als Kettenraucher.
• Der Nutzen der Aufnahme oder Fortsetzung eines Risikoverhaltens ergibt sich aus
der intrinsischen und extrinsischen Belohnung. Beim Rauchen könnte die einsetzende
Entspannung eine intrinsische Belohnung sein. Eine extrinsische Belohnung wäre –
gerade bei Jugendlichen – die erhoffte Anerkennung in der Peer-Group.
Die Bedrohungseinschätzung eines Risikoverhaltens ist das Ergebnis der Differenz aus
Gesundheitsbedrohung und Vulnerabilität auf der einen Seite (Kosten) und intrinsischer
und extrinsischer Belohnung auf der anderen Seite (Nutzen).
Parallel zur Bedrohungseinschätzung führen Konsumenten eine Bewältigungsein-
schätzung durch. Diese hängt von der Handlungswirksamkeit, der Selbstwirksamkeits-
erwartung und den antizipierten Handlungskosten ab.
• Die Handlungswirksamkeit gibt an, inwieweit eine Person davon ausgeht, dass ein
bestimmtes Verhalten die Bedrohung abschwächen kann. Ob sie bspw. mit dem Rau-
chen aufhört, hängt auch davon ab, ob sie annimmt, dass das Aufhören das Risiko, an
Krebs zu erkranken, abschwächt („Ich glaube nicht, dass es etwas bringt aufzuhören.
Schließlich gibt es genug Menschen, die an Krebs sterben, ohne je eine Zigarette
geraucht zu haben.“).
• Die Selbstwirksamkeitserwartung gibt an, inwiefern eine Person annimmt, dass sie
in der Lage ist, dieses Verhalten auch auszuführen („Außerdem glaube ich nicht, dass
ich es länger als eine Woche ohne Zigaretten aushalten könnte.“).
• Die Handlungskosten sind negative Auswirkungen in Folge der Verhaltens-
änderung („Eine Freundin von mir hat mit dem Rauchen aufgehört und danach 10 kg
zugenommen. Darauf habe ich keine Lust.“).
4.3 Konsumenten-Emotionen messbar machen 65
Wie Emotionen gemessen werden, hängt maßgeblich davon ab, durch welche theo-
retische Brille man sie betrachtet. Die Messung sollte immer in Abhängigkeit von der
Emotionstheorie erfolgen, die der Forscher zugrunde legt. Dabei kann eine Kombination
unterschiedlicher Messverfahren sinnvoll oder gar erforderlich sein. Im Folgenden dis-
kutieren wir gängige Messmethoden der Emotionsforschung und benennen ihre Vor- und
Nachteile.
Die Messung von Emotionen über verbale Verfahren ist die dominierende Methode
innerhalb der Konsumentenverhaltensforschung. Dabei unterscheiden sich verbale
Messverfahren in Abhängigkeit davon, ob man einen quantitativen (Abschn. 2.2.1) oder
qualitativen (Abschn. 2.2.2) Forschungsansatz verfolgt.
Quantitative Verfahren machen den Großteil der Forschung aus und gehören zum
Repertoire eines jeden Konsumentenverhaltensforschers. Üblicherweise setzt man in der
quantitativen Forschung Fragebögen mit standardisierten Ratingskalen ein, um Emo-
tionen verbal zu messen. In der Regel sollen Konsumenten Aussagen auf einer zumeist
fünf- oder siebenstufigen Skala bewerten (Raab et al. 2018).
Neben quantitativen Verfahren bedient sich die Konsumentenverhaltensforschung
auch qualitativer Verfahren. Häufig eingesetzt werden Tagebücher und Protokolle
lauten Denkens.
• Bei der Methode der Protokolle lauten Denkens verbalisieren Konsumenten ihre
Emotionen zum Untersuchungsgegenstand in Gegenwart eines Interviewers. Durch
das gezielte Nachfragen des Interviewers können auch latente, d. h. nicht unmittelbar
ersichtliche Emotionen erfasst werden. Die Methode lauten Denkens kommt bspw.
bei der sog. Usability-Testung von Apps zum Einsatz. Konsumenten verbalisieren ihre
Emotionen während der Nutzung der App. Dadurch können Benefits (z. B. Freude:
„Wow, die App macht richtig Spaß!“) und Barriers (z. B. Ärger: „Oh man, wo ist denn
bloß der Zurückbutton?“) identifiziert und zur Optimierung der App eingearbeitet
werden (Naderer und Balzer 2011).
Verbale Verfahren der Emotionsmessung gehen meist von einer kognitiven Emotions-
theorie aus. Schließlich sollen Konsumenten eine für sie relevante Situation einschätzen
und bewerten und die entstehenden Emotionen frei verbalisieren (qualitativer Ansatz)
oder vorformulierte verbale Skalen zur Angabe ihrer Emotion nutzen (quantitativer
Ansatz). Vorteile verbaler Verfahren sind die hohe Bandbreite an etablierten Skalen
und Messverfahren. Nachteilig ist, dass man nur Emotionen des Konsumenten mes-
sen kann, die über kognitive Prozesse zugänglich sind. Etwaige unbewusste Emotionen
bleiben unerforscht. Weiterhin besteht bei diesen Messverfahren die Gefahr, dass sozial
erwünschtes Antwortverhalten die Ergebnisse verzerrt.
4.4 Lernhilfe
Quintessenz
Konsumentenverhalten und Emotionen stehen in einer interdependenten, d. h.
wechselseitigen Beziehung zueinander. Zum einen sind der Erwerb, Gebrauch, Ver-
brauch und die Entsorgung von Produkten häufig mit Emotionen verbunden. Zum
anderen beeinflussen Emotionen auch das Verhalten des Konsumenten. Emotionen
lassen sich als aktuelle psychische Zustände, die sich durch eine bestimmte Quali-
tät, Intensität und Dauer auszeichnen, objektgerichtet sind, mit einem charakteristi-
schen Erleben und einer physiologischen Veränderung einhergehen und sich in einer
emotionsspezifischen Verhaltensweise ausdrücken, beschreiben. Die vielfältigen
Emotionstheorien lassen sich einem biologischen, einem kognitiven und einem kons-
truktivistischen Ansatz zuordnen. Für die Konsumentenverhaltensforschung spielen
u. a. die Zwei-Faktoren-Theorie nach Schachter sowie die Schutzmotivations-Theorie
nach Rogers eine wichtige Rolle.
Let’s check!
Vervollständigen Sie folgenden Satz:
Nach der Reaktionstrias der Emotion drücken sich Emotionen in einem ___________,
einem ___________ und einem ___________ Aspekt aus.
Vernetzende Fragestellung
Entwickeln Sie auf Basis der Erkenntnisse der Zwei-Faktoren Theorie einen Werbe-
slogan, der Konsumenten motiviert, mit dem Rauchen aufzuhören.
68 4 Emotion
Weiterführende Literatur
Batra, R., Ahuvia, A., & Bagozzi, R. P. (2012). Brand love. Journal of Marketing, 76(2), 1–16.
Ekman, P. (2016). Gefühle lesen. Wie Sie Emotionen erkennen und richtig interpretieren (2. Aufl.).
Heidelberg: Spektrum.
Meyer, W. U., Reisenzein, R., & Schützwohl, A. (2001). Einführung in die Emotionspsychologie.
Band I: Die Emotionstheorien von Watson, James und Schachter (2. Aufl.). Bern: Huber.
Literatur
Atzert, L. S., Peper, M., & Stemmler, G. (2014). Emotionspsychologie (2. Aufl.). Stuttgart:
Kohlhammer.
Batra, R., Ahuvia, A., & Bagozzi, R. P. (2012). Brand love. Journal of Marketing, 76(2), 1–16.
Cova, B., & D’Antone, S. (2016). Brand iconicity vs. anti-consumption well-being concerns: The
Nutella palm oil conflict. Journal of Consumer Affairs, 50(1), 166–192.
Dutton, D. G., & Aron, A. P. (1974). Some evidence for heightened sexual attraction under conditi-
ons of high anxiety. Journal of Personality and Social Psychology, 30(4), 510.
Ekman, P. (2016). Gefühle lesen. Wie Sie Emotionen erkennen und richtig interpretieren (2. Aufl.).
Heidelberg: Spektrum.
Ekman, P., & Friesen, W. V. (1971). Constants across cultures in the face and emotion. Journal of
Personality and Social Psychology, 17(2), 124–129.
Fehr, B., & Russell, J. A. (1984). Concept of emotion viewed from a prototype perspective.
Journal of Experimental Psychology, 113(3), 464–486.
Frijda, N. H., & Parrott, W. G. (2011). Basic emotions or ur-emotions. Emotion Review, 3(4),
406–415.
Gerrig, R. J. (2014). Psychologie (20. Aufl.). Hallbergmoos: Pearson.
Hoffmann, S., Schwarz, U., & Mai, R. (2012). Angewandtes Gesundheitsmarketing. Wiesbaden:
Springer Gabler.
Izard, C. E. (2010). The many meanings/aspects of emotion: Definitions, functions, activation, and
regulation. Emotion Review, 2(4), 363–370.
Lazarus, R. S. (1991). Progress on a cognitive-motivational-relational theory of emotion. American
Psychologist, 46(8), 819–834.
Lazarus, R. S., Averill, J. R., & Opton, E. M. (1970). Toward a cognitive theory of emotion. In M.
B. Arnold (Hrsg.), Feelings and emotions (S. 207–232). New York: Academic Press.
Meffert, H., Burmann, C., Kirchgeorg, M., Eisenbeiß, M. (2018). Marketing. Grundlagen markt-
orientierter Unternehmensführung. Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele (13. Aufl.). Wies-
baden: Springer Gabler.
Meyer, W. U., Reisenzein, R., & Schützwohl, A. (2001). Einführung in die Emotionspsychologie.
Band I: Die Emotionstheorien von Watson, James und Schachter (2. Aufl.). Bern: Huber.
Naderer, G., & Balzer, E. (2011). Qualitative Marktforschung in Theorie und Praxis: Grundlagen.
Methoden und Anwendungen (2. Aufl.). Wiesbaden: Springer.
Oatley, K., & Jenkins, J. M. (1992). Human emotions: Function and dysfunction. Annual Review of
Psychology, 43(1), 55–85.
Plutchik, R. (1991). The emotions. Maryland: University Press of America.
Plutchik, R. (2003). Emotions and life: Perspectives from psychology, biology, and evolution.
Washington: American Psychological Association.
Literatur 69
Raab, G., Unger, A., & Unger, F. (2018). Methoden der Marketing-Forschung. Grundlagen und
Praxisbeispiele (3. Aufl.). Heidelberg: Springer.
Rogers, R. W. (1975). A protection motivation theory of fear appeals and attitude change.
The Journal of Psychology, 91(1), 93–114.
Rogers, R. W. (1983). Cognitive and physiological processes in fear appeals and attitude change: A
revised theory of protection motivation. In J. T. Cacioppo & R. E. Petty (Hrsg.), Social psycho-
physiology: A source book (S. 153–176). New York: Guilford Press.
Rothermund, K., & Eder, A. (2011). Allgemeine Psychologie: Motivation und Emotion. Wiesbaden:
VS Verlag.
Schachter, S. (1964). The interaction of cognitive and physiological determinants of emotional
state. Advances in Experimental Social Psychology, 1, 49–80.
Kognition
5
u Ich sehe was, was Du nicht siehst! „Sieh mal einer an! Das ist ja ein heißes
Model“, grinst Ben, als er gemeinsam mit Lea in der Straßenbahn an einem
City-Light-Poster vorbeifährt. „Mensch Ben, schau doch nicht immer nach
anderen Frauen. Aber in das neu eröffnete Bekleidungsgeschäft im Stadt-
zentrum müssen wir unbedingt mal gehen“, erwidert Lea. „Welches neue
Bekleidungsgeschäft?“, wundert sich Ben. „Na, wir haben doch eben über die
Werbung gesprochen.“ „Welche Werbung?“ „Die mit dem Model, Ben! Du hast
mich doch gerade darauf hingewiesen.“ „Ach so. Ich wusste gar nicht, dass das
Werbung für ein Bekleidungsgeschäft ist.“
Ganz offensichtlich nehmen Lea und Ben unterschiedliche Dinge wahr
und sie erinnern sich an unterschiedliche Details, obwohl sie dasselbe Poster
betrachtet haben. Wovon hängt das ab? Was beeinflusst die Aufmerksamkeit
und die Wahrnehmung und wie lassen sie sich steuern? Wenn wir diese Fragen
beantworten möchten, müssen wir uns mit dem Prozess der Informationsver-
arbeitung, d. h. mit Kognition, beschäftigen.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 71
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_5
72 5 Kognition
Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, …
… indem Sie die Kognitionen des Konsumenten durch folgende Theorien und
Modelle betrachten:
• AIDA-Modell,
• Gestalt-Psychologie,
• Konditionierung,
• Drei-Speicher-Modell und
• Schemata-Theorie.
Der Begriff Kognition subsummiert alle Formen des Wissens und Denkens (Gerrig
2014, S. 286). Kognitive Prozesse beziehen sich auf die Informationsverarbeitung
oder einfach ausgedrückt auf gedankliche Vorgänge. Im Einstiegsbeispiel warb ein
Bekleidungsgeschäft auf einem City-Light-Poster mit Eröffnungsangeboten, um mehr
Kunden in das Geschäft zu locken. Bevor diese Verhaltensreaktion eintritt, laufen im
Konsumenten zahlreiche kognitive Prozesse ab. Passanten wie Lea und Ben müssen dem
Plakat ihre Aufmerksamkeit schenken. Sie müssen die darauf abgebildeten Informatio-
nen verarbeiten, interessant finden und sie positiv beurteilen. Sie müssen sich auch den
Namen des Geschäfts, seinen Standort und seine besonderen Angebote merken. Und sie
müssen sie später auch wieder abrufen, wenn sie planen, in die Stadt zu fahren, um neue
Kleider zu kaufen. Wir sprechen in diesem Kapitel also über Funktionen wie Aufmerk-
samkeit (Abschn. 5.1), Wahrnehmung (Abschn. 5.2), Lernen (Abschn. 5.3) und Erinnern
(Abschn. 5.4). Die Kognitionspsychologie und die kognitiven Neurowissenschaften ana-
lysieren diese Prozesse, weshalb deren Erkenntnisse ein zentraler Baustein der Konsu-
mentenverhaltensforschung sind. Wir stellen in diesem Kapitel immer wieder den Bezug
zur Werbewirkungsforschung her, da sie ein wichtiges Anwendungsfeld dieser Befunde
im Rahmen des Marketings ist.
5.1 Aufmerksamkeit und Informationsselektion 73
Im Einstiegsbeispiel betrachtete Lea das Plakat erst, nachdem Ben sie darauf hingewiesen
hatte. Weil nicht alle Reize aus der Umwelt in das Bewusstsein des Konsumenten vor-
dringen, sprechen Kognitionspsychologen metaphorisch vom seriellen Flaschenhals,
da an einem gewissen Punkt Informationen nicht parallel, sondern nacheinander ver-
arbeitet werden (Anderson 2013, S. 54 ff.): Die Aufmerksamkeit hat eine Filterfunktion;
sie ist für die Selektion der zu verarbeitenden Informationen verantwortlich. Sie wählt
bestimmte Stimuli aus und verwirft andere, die nicht beachtet werden. Nur diejenigen
Reize, denen wir unsere Aufmerksamkeit schenken, verarbeiten wir auch bewusst
(Simons und Chabris 1999).
Auf ihrem Weg mit der Straßenbahn in das Stadtzentrum unterhalten sich Lea und Ben,
das Smartphone klingelt und SMS treffen ein, die Sitznachbarn unterhalten sich, durch
die Lautsprecher ertönen Durchsagen, draußen fahren Autos, Fahrräder, Busse vorbei und
unzählige Passanten flanieren über die Bürgersteige, zahlreiche Schriftzüge und Plakate
sind auf den Häuserwänden und Litfaßsäulen zu sehen. Kein Wunder, dass Lea das Plakat
des neuen Bekleidungsgeschäfts zunächst übersah. Wenn zu viele Reize auf den Konsu-
menten einströmen, ist er kognitiv überlastet. Wie bei einem Filter blendet er unbewusst
überflüssige Reize aus. Dies ist eine sehr sinnvolle (informationsökonomische) Funk-
tion, um effizient mit all den Reizen umgehen zu können. Für Werbetreibende ergibt sich
74 5 Kognition
allerdings die Herausforderung, dass Konsumenten nur jene Reize verarbeiten, denen
sie auch ihre Aufmerksamkeit schenken. Denn: Werbung zu schalten, ist kostspielig und
wenn eine Maßnahme keine Aufmerksamkeit auf sich zieht, so kann sie auch nicht wir-
ken. Diesen Schluss legt zumindest das AIDA-Modell, eines der bekanntesten Modelle
der Werbewirkungsforschung, nahe. Es postuliert, dass Konsumenten in ihrer Reaktion
auf einen werblichen Reiz folgende vier Stufen durchlaufen müssen:
Es gibt einige Reize, die uns mit relativ hoher Sicherheit aktivieren und denen wir unsere
Aufmerksamkeit schenken. Das Marketing und insb. die Werbung nutzen dies gezielt.
Die Konsumentenverhaltensforschung unterscheidet folgende drei Kategorien (Berlyne
1974; Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013, S. 81 ff.):
in beobachtbarem Verhalten aus. Zum Beispiel wird der Kopf diesem Reiz zugewandt.
Sie äußert sich auch in physiologischen Parametern, wie z. B. dem Weiten der Pupil-
len. Schließlich beeinflusst die Orientierungsreaktion auch das Erleben. Die Person
wird für die Verarbeitung des Reizes sensibilisiert. Sie schenkt dem Reiz mehr Auf-
merksamkeit und verarbeitet ihn tiefer.
• Affektive Stimuli: Manche Reize rufen unwillkürlich intensive Emotionen her-
vor, die als angenehm oder unangenehm erlebt werden. Diese affektiven Stimuli
eignen sich, um die Aufmerksamkeit des Konsumenten zu gewinnen. Häufig sind
diese Reaktionen biologisch vorprogrammiert (Abschn. 4.2.1) oder sie basieren auf
Konditionierungen (Abschn. 5.3). Zu den Reizen, die unweigerlich positive Emo-
tionen hervorrufen und denen man sich nur schwer entziehen kann, zählt bspw. das
sog. Kindchenschema. Kindliche Proportionen zeichnen sich u. a. durch einen ver-
gleichsweise großen Kopf, eine hohe Stirn, große Augen und eine kleine Nase aus.
Reaktionen auf das Kindchenschema sind relativ sicher vorherzusagen und es wun-
dert nicht, dass Werbetreibende deshalb Babys, Kleinkinder oder kleine Tiere häu-
fig als Motiv nutzen. Auch erotische Reize können ein biologisch determiniertes
Programm auslösen, weshalb die Werbebranche von „sex sells“ spricht. Über-
treiben es die Werber und ist der Einsatz dieser Reize zu plump, kann es aber auch
zu Ablehnungsreaktionen, der sog. Reaktanz, kommen. Ebenso kann es sein, dass der
aufmerksamkeitsstarke Reiz die Aufmerksamkeit des Betrachters von der eigentlichen
Botschaft ablenkt. Genauso ist es Ben im Einstiegsbeispiel ergangen. In der Werbe-
branche spricht man von einem Vampireffekt (bzw. wissenschaftlich von einem
Overshadowing-Effekt; Erfgen et al. 2015), wenn der Rezipient einer Werbemaß-
nahme zwar seine Aufmerksamkeit schenkt, sie jedoch auf jene Elemente der Maß-
nahme richtet, die aus Sicht des Werbetreibenden die falschen sind. Typischerweise
tritt dies bei erotischer Werbung auf, bei der der Rezipient bspw. das leicht bekleidete
Model intensiv beäugt, aber hinterher nicht weiß, ob mit dem Plakat ein Bekleidungs-
geschäft, ein Duschbad oder eine elektrische Zahnbürste beworben wurde.
• Kollative Stimuli: Kollative Stimuli erzeugen dadurch Aufmerksamkeit, dass der
Rezipient die Botschaft schwer einordnen und verarbeiten kann. Es entsteht eine
Inkonsistenz, d. h., der Reiz passt nicht in das gewohnte Schema des Rezipien-
ten (z. B. eine Werbeanzeige, die eine blaue Banane zeigt). Ein möglicher kolla-
tiver Stimulus in unserem Einstiegsbeispiel wäre, wenn auf dem Werbeplakat des
Bekleidungsgeschäfts ein Model dargestellt wäre, das einen großen Magneten in der
Hand hält, und als Slogan dabei stünde: „Sie werden unsere Kleidung anziehen“.
Insbesondere durch neuartige, überraschende und widersprüchliche Reize wird der
Konsument kognitiv herausgefordert. Widersprüchliche Reize werden gezielt in
absurder (Arias-Bolzmann et al. 2000) oder humorvoller Werbung (Schwarz et al.
2015) eingesetzt. In der Regel verspürt der Betrachter den starken Wunsch, die
Inkonsistenz aufzulösen, weshalb er sich intensiv mit dem Reiz auseinandersetzt.
Der Werbetreibende hat folglich sein Ziel erreicht: Der Rezipient denkt über seine
Botschaft nach. Auch das Guerilla-Marketing (Hutter und Hoffmann 2014a) basiert
76 5 Kognition
Bisher sind wir davon ausgegangen, dass Maßnahmen des Marketings (z. B. eine Werbe-
botschaft) nur wirken, wenn der Konsument ihnen Aufmerksamkeit schenkt. Hätte Ben im
Einstiegsbeispiel Lea nicht auf das Plakat hingewiesen, wäre Lea an diesem Nachmittag
wohl nicht in das neue Bekleidungsgeschäft gegangen. Nichtsdestotrotz sollte darauf hin-
gewiesen werden, dass viele Prozesse auch ohne oder mit sehr wenig Aufmerksamkeit
ablaufen können. Man unterscheidet deshalb kontrollierte und automatisierte Prozesse
(Shriffin und Schneider 1977). Zu den automatisierten Prozessen zählt bspw. das Auto-
fahren (nach etwas Übung bedienen Autofahrer die Kupplung und Gangschaltung ohne
bewusste kognitive Kontrolle). Aber auch im Kaufverhalten verlaufen viele Prozesse
spontan und automatisiert. So greifen viele Konsumenten im Supermarkt häufig auto-
matisiert nach ihren bevorzugten Marken. Man findet in der Literatur immer wieder die
Aussage, dass Werbebotschaften auch dann auf den Rezipienten wirken, wenn er diesen
keine Aufmerksamkeit schenkt bzw. wenn er sie nicht bewusst wahrnimmt. Für viele
Konsumenten ist dies eine beängstigende Vorstellung, da sie befürchten, vom Marketing
unmerklich beeinflusst zu werden. Kroeber-Riel und Gröppel-Klein (2013, S. 184) unter-
scheiden bei dieser unbewussten Reizverarbeitung zwei Formen.
Viele Reize, die nur beiläufig wahrgenommen werden, haben aber eine Verhaltens-
wirkung. Beispiele sind visuelle Reize im peripheren Blickfeld oder akustische Ein-
drücke wie Radiowerbung, die im Hintergrund abläuft. Die Werbeindustrie macht sich
dies beim Product Placement zunutze, bei dem bestimmte Marken (z. B. das Apple-
Logo auf dem aufgeklappten Laptop) im neuesten Hollywood-Blockbuster oder beim
In-Game-Advertising in einem Video-Spiel dargestellt werden.
• Bewusste Wahrnehmung ist nicht möglich: Reize können auch automatisiert ver-
arbeitet werden, wenn der Rezipient den Reiz – selbst bei voller Aufmerksamkeit – gar
nicht bewusst wahrnehmen kann. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn der Rezipient dem
Reiz zu kurz ausgesetzt wird. Lea sieht das Werbeplakat beispielsweise nur sehr kurz
beim Vorbeifahren, da ein entgegenkommendes Fahrzeug das Plakat verdeckt. Zahl-
reiche Studien (siehe Janiszewski und Wyer 2014; Veltkamp et al. 2011) beschäftigen
sich mit diesem als „subliminales Priming“ bezeichneten Phänomen und finden erkenn-
bare Auswirkungen auf das Verhalten. Wie ist dies erklärbar? Die Interpretation eines
Reizes beinhaltet, dass man diesen Reiz einem Schema (Abschn. 5.4.2) zuordnet.
Wer ein gelbes, rotes oder grünes, rundliches Objekt der Größe eines Tennisballs mit
einer Vertiefung unten sowie einer Vertiefung und einem Stiel oben sieht, der wird die-
ses Objekt dem Schema Apfel zuordnen. Unter Priming (Bahnung) versteht man eine
Aktivierung und Sensibilisierung für ein bestimmtes Schema, sodass ein Reiz leichter
identifiziert und diesem Schema zugeordnet werden kann. In sozialpsychologischen
Experimenten wird häufig eine Untersuchungsgruppe einem Prime, d. h. einem
Bahnungsstimulus (z. B. Bild eines Apfels), ausgesetzt und es wird geprüft, ob sich dies
im Verhalten oder in den Präferenzen des Konsumenten (z. B. für ein iPhone) bemerk-
bar macht. Beim subliminalen Priming nehmen die Probanden den Priming-Stimulus
nicht bewusst wahr, da er nur wenige Millisekunden andauert (Bargh und Chartrand
2000). Es zeigt sich, dass diese Bahnung trotzdem ihr Verhalten beeinflussen kann.
Wie wir bereits besprochen haben, kann der Rezipient nicht alle auf ihn einströmenden
Eindrücke verarbeiten. Die sog. selektive Wahrnehmung schützt vor einer Reizüber-
flutung. Stimuli aus der Umwelt, die nicht zur aktuellen Bedürfnislage passen, wer-
den ausgeblendet und man achtet auf jene Umweltreize, die momentan relevant sind.
78 5 Kognition
Wer wie Lea gerade plant, ein neues Smartphone zu erwerben, der wird einem Werbe-
plakat des Elektroeinzelhandels mehr Aufmerksamkeit schenken, als er es gewöhnlich
tun würde. Genauso können persönliche Faktoren aber auch dazu führen, dass gewisse
Reize nicht wahrgenommen werden. Informationen, die momentan nicht relevant sind,
werden ausgeblendet. Hätte Ben im Einstiegsbeispiel geplant, sich eine neue Jeans zu
kaufen, so wäre ihm wohl aufgefallen, dass das Plakat für ein neues Bekleidungsgeschäft
warb. So aber blendete er diese Information aus.
Ob ein Konsument einen Reiz wahrnimmt, hängt auch davon ab, wie häufig und
intensiv er diesem Reiz zuvor schon Beachtung geschenkt hat. Unter Adaption versteht
man, dass sich Rezipienten an einen Reiz gewöhnen und sie diesen dann nicht mehr
sonderlich beachten, da er ihnen vertraut ist. So nimmt man ein neues Plakat auf dem
täglichen Weg zur Arbeit zunächst wahr. Ebenso könnte es auch Ben im Einstiegsbeispiel
ergehen. Das Model auf dem Plakat weckte seine Aufmerksamkeit und er betrachtete das
Plakat zunächst intensiv. Nach wenigen Tagen ist dieses Motiv aber nichts Besonderes
mehr und das Plakat setzt sich nicht mehr vom „Hintergrund“ ab. Wie schnell diese
Gewöhnung abläuft, hängt nach Solomon et al. (2013, S. 136) von folgenden Faktoren
ab. Man gewöhnt sich schneller an Reize,
5.2.2 Gestaltprinzipien
Objekt, das im Fokus der Wahrnehmung steht. Davon abgegrenzt wird der Grund, der
als diffuser Hintergrund wahrgenommen wird. Die Rubinsche Vase, die Darstellung
auf der rechten Seite von Abb. 5.1, ist ein besonders schönes und häufig zitiertes Bei-
spiel dafür, dass Informationen simultan top-down und bottom-up verarbeitet werden
(Rubin 1921). Die Eigenschaften dieses Kippbildes sind ambivalent. Je nach Top-down-
Erklärung nimmt der Betrachter eine andere Figur wahr: Eine Vase (weiße Fläche =
Figur) oder zwei einander zugewandte Gesichter (schwarze Flächen = Figur). Eine sta-
bile Relation von Figur und Grund bietet den Vorteil, dass sich die Figur klar absetzt,
dass ihr mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird und dass sie damit besser memoriert wird.
So wie anderes Verhalten auch ist das Konsumentenverhalten erlernt. Viele Lern-
theorien entstammen dem sog. Behaviorismus, wobei man hier unter Lernen eine
Verhaltensänderung auf Basis von Erfahrungen versteht. Der Behaviorismus basiert
auf dem S-R-Schema (dem Stimulus-Response-Modell; Abschn. 1.1) und es werden
beobachtbare Reize und beobachtbare Veränderungen im Verhalten betrachtet. Das
heißt, in den behavioristischen Lerntheorien wird die Organismusvariable (das „O“
im S-O-R-Schema) nicht modelliert, oder anders ausgedrückt, die „Black Box“ bleibt
geschlossen. Die zwei wichtigsten Ansätze sind die klassische Konditionierung und die
operante Konditionierung, die wir hier vorstellen. Eine weitere Lerntheorie, die eben-
falls sehr einflussreich ist und die kognitive Bestandteile enthält, ist das Modelllernen.
Das Prinzip der klassischen Konditionierung geht auf Iwan Pawlow (1928) zurück. Der
russische Physiologe entdeckte dieses Prinzip zufällig bei Experimenten mit Hunden.
Abb. 5.2 veranschaulicht den idealtypischen Ablauf der klassischen Konditionierung, bei
dem es darum geht, einen zunächst neutralen Reiz „aufzuladen“. Im klassischen Experi-
ment von Pawlow ist dieser neutrale Reiz ein Glöckchen. Im Marketing-Kontext könnte
es der Schriftzug einer Marke sein. Zusätzlich existiert ein unkonditionierter Reiz,
der eine positive Reaktion hervorruft. Dies war im klassischen Experiment die Futter-
schüssel, die den Speichelfluss des Hundes auslöste. Im Konsumentenverhalten könnte
dies bspw. das Schauen der Lieblingsfernsehsendung sein, die ein wohliges Gefühl
der Geborgenheit auslöst. Nun wird der zunächst neutrale Reiz wiederholt mit dem
unkonditionierten Reiz gemeinsam dargeboten. Dabei kommt es auf Kontiguität, d. h.
räumliche und zeitliche Nähe der beiden Reize an. Im klassischen Experiment wurde das
Glöckchen immer geläutet, wenn dem Hund der Futternapf vorgesetzt wurde. In unse-
rem Beispiel wird der Schriftzug der Marke eingeblendet, während der Konsument fern
sieht. Nach einer gewissen Zeit reicht der zunächst neutrale Reiz aus, um die Reaktion
5.3 Erlernen des Konsumentenverhaltens 81
Reiz Reaktion
1
Unkonditionierter Reiz Lieblingsserie im TV
Unkonditionierte
Reaktion
2
Keine spezifische
Neutraler Reiz Schriftzug der Marke Reaktion
4
Konditionierte
Konditionierter Reiz Schriftzug der Marke Reaktion
Abb. 5.2 Klassische Konditionierung
auszulösen. Der Reiz ist nun konditioniert. Auf diese Weise lassen sich Marken emotio-
nal aufladen. Erdinger Weißbier nehmen Konsumenten aufgrund der typisch bayerischen
Werbung als urig und gemütlich etc. wahr, während das nahezu identische Produkt von
Schöfferhofer aufgrund der Werbung mit einem flachen Frauenbauch und dem französi-
schen Akzent der Werbesprecherin mit Erotik assoziiert wird.
Die operante Konditionierung geht insb. auf den US-amerikanischen Psychologen
Burrhus Skinner (1965) zurück. Die Grundidee besteht darin, dass man Verhaltensweisen,
die mit positiven Folgen verbunden sind, häufiger ausführt und jene Verhaltensweisen,
die negative Folgen nach sich ziehen, meidet. Skinner konnte experimentell nachweisen,
dass Tiere eine Verhaltensweise wahrscheinlicher wieder zeigen, wenn sie nach der Aus-
führung des Verhaltens mit Futter belohnt bzw. verstärkt wurden. Dagegen sinkt die Wahr-
scheinlichkeit, dass die Tiere die Verhaltensweise nochmals ausüben, wenn sie bestraft
wurden. Dies wird als Verstärkungsprinzip bezeichnet: Die Auftretenswahrscheinlichkeit
ist von den Konsequenzen des Verhaltens abhängig. Das US-amerikanische Unternehmen
Shopkick verstärkt das Verhalten der Konsumenten per App. Wer die Shopping-App
besitzt und durch bestimmte teilnehmende Geschäfte bummelt, erhält von kleinen
Bluetooth-Sendern im Eingangsbereich als Belohnung für das Betreten des Geschäfts sog.
Kicks, die er später in Gutscheine eintauschen kann.
Prüfung lernen, reichen diese behavioristischen Theorien alleine nicht aus. Kognitive
Lerntheorien betrachten auch mentale Aktivitäten während des Lernprozesses. Sie ver-
stehen Individuen als Problemlöser und fokussieren deshalb nicht nur darauf, wie häu-
fig diese Reiz-Reaktions-Schemata verarbeiten. Vielmehr geht es auch um die Tiefe der
Verarbeitung, d. h. die Elaboration, sowie die Einsichten während des Lernprozesses.
Diese Theorien können erklären, dass in manchen Fällen auch einzelne Expositionen von
Informationen ausreichen, um neues Wissen zu erwerben.
Auf diesen kognitiven Lerntheorien baut eine dritte wichtige Form des Lernens auf,
die wir hier betrachten wollen: das Lernen am Modell bzw. das Imitationslernen, das
auf Banduras (1977) sozial-kognitiver Lerntheorie beruht. Hierbei geht man davon aus,
dass der Konsument nicht unbedingt selbst Erfahrungen sammeln muss und für seine
Verhaltensweisen nicht selbst belohnt oder bestraft werden muss. Er kann auch dadurch
lernen, dass er bei einem anderen Konsumenten (d. h. dem Modell) beobachtet, welche
Verstärkung dieser für sein Verhalten erfährt. Als Voraussetzung für diese Form des Ler-
nens müssen Individuen zunächst ihre Beobachtungen memorieren und dieses Wissen
zu einem späteren Zeitpunkt abrufen. Im Marketingkontext sind sog. Referenzkunden
relevant. Diese Kunden haben das Produkt bereits getestet und berichten positiv darü-
ber oder sie dienen als Vorbild in der Produktnutzung. Wer bspw. bei einem anderem
beobachtet, dass dieser immer gute „Locations“ kennt, weil er die richtige App nutzt,
wird selbst auch diese App nutzen wollen, um die gleiche soziale Anerkennung zu genie-
ßen. Auch in der Werbung nutzt man dieses Prinzip gezielt aus, indem die Werbefiguren
auf bestimmte Produkte hinweisen und berichten, welche positiven Erlebnisse sie hat-
ten, nachdem sie das Produkt genutzt hatten. Viele junge Mädchen lernen sprichwörtlich
am Modell, indem sie die Castingshow „Germany’s Next Topmodel“ anschauen und im
Anschluss denselben Look wie die Teilnehmerinnen tragen wollen. Auch die teilweise
von Unternehmen bezahlten Produkttester auf YouTube oder Instagram können Konsu-
menten als Modell dienen. Blogger und Social Media Influencer wie Bianca Heinicke
von BibisBeautyPalace sind heute typische Modelle für viele Jugendliche.
Wissen spielt eine zentrale Rolle für das Konsumentenverhalten. Es beeinflusst bspw.,
wie Konsumenten verschiedene Produktalternativen abwägen können. Doch wie ist Wis-
sen über Produkte und Dienstleistungen und wie sind bisherige Konsumerfahrungen
abgespeichert?
n ichtsdestotrotz bietet das Modell einen guten ersten Zugang, um die komplexe Gedächt-
nisleistung des menschlichen Gehirns zu verstehen. Es unterscheidet idealtypisch zwi-
schen drei verschiedenen Gedächtnissystemen, die miteinander in Wechselwirkung
stehen:
5.4.2 Wissensrepräsentation
Es lassen sich zwei Formen des gespeicherten Wissens unterscheiden (Rolls 2000;
Schacter und Tulving 1994).
• Das deklaratorische Gedächtnis umfasst Wissen über Fakten und Ereignisse (Gerrig
2014, S. 240 ff.), wobei man zwei Untergruppen abgrenzen kann. Das semantische
Gedächtnis bezieht sich auf Fakten (z. B. Leas Wissen über die Marke und die Pro-
dukte der Firma Apple). Das episodische Gedächtnis umfasst dagegen persönliche
Erfahrungen (z. B. wie freundlich der Verkäufer beim letzten Besuch im Apple-
Store zu Lea war). Evolutionär bedingt, können sich Menschen Geschichten häufig
besser einprägen als abstrakte Konzepte. Dies hat auch die Marketingpraxis erkannt
und sie versucht derzeit im Rahmen von Trends wie dem Content-Marketing und der
Methode des Storytellings – ähnlich wie unsere Vorfahren am Lagerfeuer –, Marken
mit Geschichten im Gedächtnis des Konsumenten zu verankern (Sammer 2014). Das
vorliegende Buch möchte das Erinnerungsvermögen mithilfe der Fallbeispiele von
Lea und Ben stärken.
• Das prozedurale Gedächtnis enthält dagegen die mentale Abbildung von Hand-
lungen, wie z. B. das Gangschalten beim Autofahren oder das Wischen über ein
Smartphone.
Training
Haltbar-
keit Laufen
Swoosh Sport-
schuhe
Nike Reebok
Michael Aerobic-
Jordan teuer Schuhe
Griechi-
sche
Göttin
ausgeprägt sind (Anderson 2013, S. 106 ff.). Neue Objekte werden anhand dessen kate-
gorisiert. Eine Person könnte bspw. in ihrem Smartphone-Schema abgespeichert haben,
dass diese beim Attribut Displaygröße zwischen 3,5 und 6,3 Zoll variieren. Ein Objekt
mit einer Bildschirmdiagonale von zehn Zoll würde sie deshalb nicht dem Schema
Smartphone, sondern dem Schema Tablet-PC zuordnen. Sobald ein Schema aktiviert ist,
können auch unvollständige Informationen interpretiert werden. Wenn man das Objekt
Tablet identifiziert hat, geht man davon aus, dass eine Bedienung per Wischen möglich
ist – auch wenn man diese Information noch nicht erhalten hat. Marken werden ebenfalls
als Schema abgespeichert. Ein Skript (bzw. ein Ereigniskonzept) ist ein spezifisches
Schema, das prozedurales Wissen, d. h. stereotypische Sequenzen von Handlungen,
abbildet (z. B. per EC-Karte bezahlen, Bestellungen beim Online-Händler aufgeben
etc.). Schemata betreffen dabei eher das „Was“ und Skripte das „Wie“.
5.5 Lernhilfe
Quintessenz
Zu den kognitiven Prozessen zählen u. a. Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Ler-
nen und Wissensrepräsentation. Aufmerksamkeit gilt als wichtige Voraussetzung für
die weitere Verarbeitung von Informationen. Sie kann durch affektive, kollative und
intensive Stimuli gesteigert werden. Die Wahrnehmung ist ein selektiver Prozess. Ler-
nen erfolgt u. a. durch klassische und operante Konditionierung oder durch Lernen am
Modell. Das Drei-Speicher-Modell unterscheidet das sensorische, das Kurzzeit- und
das Langzeitgedächtnis. Das im Langzeitgedächtnis gespeicherte Wissen lässt sich
anhand von assoziativen Netzwerken und Schemata darstellen.
86 5 Kognition
Vernetzende Fragestellung
Lea und Ben haben im Einstiegsbeispiel unterschiedliche Facetten derselben Wer-
bemaßnahme wahrgenommen. Überlegen Sie auf Basis des in diesem Kapitel ver-
mittelten Wissens, woran dies liegen könnte. Schauen Sie sich in den nächsten Tagen
alle Werbemaßnahmen, die Ihnen begegnen, kritisch an. Achten Sie auf Maßnahmen
verschiedener Hersteller und für verschiedene Produktkategorien. Schauen Sie sich
Maßnahmen in verschiedenen Medien und Werbeträgern an wie bspw. im Fernsehen,
auf YouTube, im Radio, im Kino, auf Plakaten, in Zeitungen, auf Facebook etc. Über-
legen Sie, welche dieser Maßnahmen die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich
ziehen können. Durch welche Elemente der Werbemaßnahmen wird dies erreicht?
An welche Elemente der Werbemaßnahmen werden sich die Rezipienten wohl später
erinnern können? Durch welchen Lernmechanismus wird dies erreicht?
Weiterführende Literatur
Literatur
Sammer, P. (2014). Storytelling. Die Zukunft von PR und Marketing. Heidelberg: O’Reilly.
Schacter, D. L., & Tulving, E. (1994). Memory systems. London: MIT Press.
Schwarz, U., Hoffmann, S., & Hutter, K. (2015). Do men and women laugh about different types
of humor? A comparison of satire, sentimental somedy, and comic wit in print ads. Journal of
Current Issues & Research in Advertising, 36(1), 70–87.
Shriffin, R. M., & Schneider, W. (1977). Controlled and automatic human information processing:
II. Perceptual learning, automatic attending and a general theory. Psychological Review, 84(2),
127–190.
Simons, D. J., & Chabris, C. F. (1999). Gorillas in our midst: Substained inattentional blindness
for dynamic events. Perception, 28(9), 1059–1074.
Skinner, B. F. (1965). Science and human behavior. New York: Free Press.
Solomon, M. R., Bamossy, G. J., Askegaard, S. T., & Hogg, M. K. (2013). Consumer behaviour. A
European perspective (5. Aufl.). London: Pearson.
Veltkamp, M., Custers, R., & Aarts, H. (2011). Motivating consumer behavior by subliminal
conditioning in the absence of basic needs: Striking even while the iron is cold. Journal of
Consumer Psychology, 21(1), 49–56.
Einstellung
6
u Mein Lieblingsauto ist ein Fahrrad „Zum Glück komme ich mit dem Fahrrad
und der Bahn überall hin“, antwortet Lea auf die Frage nach ihrem Lieblings-
auto. „Aber wenn ich mir mal ein Auto kaufen sollte, dann ein Elektroauto. Die
stoßen weniger CO2 aus als Benziner. Und das ist mir wichtig.“ „Also ich finde
Elektroautos zu fahren, ziemlich uncool. Das sehen übrigens fast alle so“,
erwidert Ben. „Sie sind viel zu lahm. Man kommt nicht weit, weil man die Bat-
terie ständig aufladen muss. Und das dauert dann auch. Außerdem sind sie zu
teuer.“ „Im Moment vielleicht noch. Aber das ändert sich. Die Verbreitung der
Ladestationen wird ausgebaut und ich habe vor Kurzem in der Zeitung gelesen,
dass die Bundesregierung bei der Anschaffung eines Elektroautos eine Prämie
von mehreren tausend Euro zahlen möchte.“
Wie wird sich Lea wohl verhalten, wenn tatsächlich mal der Kauf eines eige-
nen Pkws ansteht? Welchen Einfluss hat ihre Einstellung auf ihr Kaufverhalten?
Wie wirkt sich die Meinung ihres sozialen Umfelds und insb. die von Ben auf
sie aus? Und welche weiteren Faktoren sollte man beachten, wenn man vor-
hersagen möchte, wie sich Lea verhalten wird?
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 89
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_6
90 6 Einstellung
Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, …
… indem Sie die Einstellung des Konsumenten durch folgende Theorien und
Modelle betrachten:
• Drei-Komponenten-Modell,
• Theorie des geplanten Verhaltens,
• Fishbein-Modell,
• Elaboration-Likelihood-Modell und
• MODE-Modell.
Eine Einstellung lässt sich als psychologische Tendenz beschreiben, die sich darin
äußert, dass man Gegenstände, Personen, Ideen, Marken, Unternehmen oder Verhaltens-
weisen mehr oder weniger positiv oder negativ bewertet (Eagly und Chaiken 1993, S. 1).
Eine Einstellung ist demzufolge wertend und (anders als Werte) immer auf ein Objekt
oder Verhalten bezogen. Zudem sind Einstellungen gelernt (d. h. nicht angeboren) und
relativ dauerhaft (Trommsdorff und Teichert 2011, S. 126).
• Die kognitive Komponente umfasst das Wissen über das Einstellungsobjekt und die
Gedanken zum Einstellungsobjekt. So könnte ein Konsument wissen, dass Elektro-
autos vergleichsweise gut für die Umwelt sind, da sie weniger CO2 ausstoßen als kon-
ventionelle Automobile mit Verbrennungsmotor.
• Die affektive Komponente bezieht sich darauf, wie der Konsument das Einstellungs-
objekt emotional bewertet, d. h. bspw. inwiefern er Elektroautos gut findet.
• Die konative Komponente betrifft schließlich die Handlungen, die mit diesem
Objekt zusammenhängen. Besonders relevant ist im Kontext des Konsumenten-
verhaltens die Kaufbereitschaft. Die konative Komponente resultiert aus dem
Zusammenspiel der eng miteinander verknüpften kognitiven und affektiven Kompo-
nente. In unserem Beispiel könnte das bedeuten, dass die Person weiß, dass Elektro-
autos einen vergleichsweise geringen CO2-Ausstoß aufweisen, und dass sie dies gut
findet und deshalb plant, ein Elektroauto zu erwerben und zu nutzen.
6.1.2 Einstellungs-Verhaltens-Lücke
6.1.3 Kompatibilität
Kontext und Zeit spezifizieren. Je höher der Grad der Übereinstimmung ist, desto
genauer lässt sich Verhalten auf Basis von Einstellungen prognostizieren. Eine rela-
tiv unspezifische Aussage zum Umweltschutz wäre bspw.: „Ich fände es gut, wenn die
Umweltverschmutzung reduziert wird.“ Wer dieser Aussage generell zustimmt, wird sich
in einem spezifischen Kontext evtl. doch nicht ökologisch verhalten. Wird diese Person
bspw. mit Sicherheit auf dem morgendlichen Weg zur Arbeit auf das eigene Auto ver-
zichten? Es ist zu erwarten, dass jemand, der dieser unspezifischen Aussage zustimmt,
beim konkreten Zielobjekt „Auto“ und der Handlung „als alleiniger Insasse fahren“ im
Kontext „es rechtzeitig zur Arbeit zu schaffen“ zu der Zeit „morgens kurz vor 8 Uhr“
weniger auf die umweltbewusste Alternative schauen wird als jemand, der die folgende
sehr spezifische Einstellung äußert: „Ich finde es gut, jeden Tag auf dem morgendlichen
Weg zur Arbeit auf das eigene Auto zu verzichten und stattdessen den öffentlichen
Personennahverkehr zu nutzen.“
Neben der Kompatibilität sollten aber noch weitere Faktoren beachtet werden, wenn man
anhand von Einstellungen Verhalten vorhersagen möchte. Im Folgenden stellen wir die
wohl bekannteste Theorie zur Erklärung des Einstellungs-Verhaltens-Zusammenhangs
vor: die Theorie des geplanten Verhaltens (Theory of Planned Behavior, TPB, Ajzen 1991;
Abb. 6.1). Sie postuliert, dass die Verhaltensabsicht als Mediatorvariable (Abschn. 1.3.2)
den Einfluss der Einstellung auf das Verhalten vermittelt. Das heißt, eine positive Ein-
stellung führt zunächst zu einer höheren Verhaltensabsicht und diese erhöht die Wahr-
scheinlichkeit, dass die Person das Verhalten zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich
ausführt. Neben der persönlichen Einstellung sollte der Einfluss der subjektiven Norm und
der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle auf die Verhaltensabsicht betrachtet werden:
• Die Einstellung gegenüber dem Verhalten ist das Produkt von zwei Größen:
Zunächst sind die erwarteten Verhaltenskonsequenzen zu nennen, d. h. die Frage,
Einstellung gegenüber
dem Verhalten
Verhaltens-
Subjektive Norm Verhalten
absicht
Wahrgenommene
Verhaltenskontrolle
welcher Zielzustand sich durch die Ausführung des Verhaltens wohl ergeben wird. So
nimmt Lea in unserem Einstiegsbeispiel an, dass durch den Kauf eines Elektroautos
der CO2-Ausstoß pro gefahrenem Kilometer reduziert wird. Zweitens die Bewertung
der Verhaltenskonsequenzen, die erfasst, ob man den erwarteten Zielzustand als
wünschenswert beurteilt. Zweifellos hält Lea als ökologisch denkende Konsumentin
eine Reduktion des CO2-Ausstoßes für erstrebenswert. Diese beiden Größen werden
in einem sog. Erwartungs-X-Wert-Produkt zusammengeführt (vgl. Abschn. 6.2).
Daraus ergibt sich die Einstellung gegenüber der Verhaltensweise. Wenn wir uns
nochmals das Drei-Komponenten-Modell (Abschn. 6.1.1) vergegenwärtigen, sehen
wir, dass die erwarteten Verhaltenskonsequenzen die kognitive Komponente und die
Bewertung die affektive Komponente widerspiegeln (vgl. Kroeber-Riel und Gröp-
pel-Klein 2013, S. 273).
• Auch die subjektive Norm lässt sich als Resultat aus dem Produkt von zwei Grö-
ßen verstehen: Erstens schätzt das Individuum die Erwartungen wichtiger Bezugs-
personen hinsichtlich des Verhaltens ein. Wie würden es bspw. Freunde oder
Verwandte beurteilen, wenn sich Lea ein Elektroauto kaufen würde? Im Einstiegs-
beispiel hat Ben eine eindeutig ablehnende Haltung geäußert. Doch das alleine muss
noch nicht zu einer Änderung in Leas Verhalten führen. Es ist nämlich zweitens auch
entscheidend, ob man den Erwartungen anderer überhaupt entsprechen möchte. Die
subjektive Norm ergibt sich aus dem Produkt dieser beiden Komponenten.
• Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle umfasst, inwiefern man sich in der Lage
sieht, in der gewünschten Weise zu handeln. Die Verhaltensabsicht ist umso schwä-
cher und das tatsächliche Verhalten umso unwahrscheinlicher, je mehr Hindernisse
auftreten. Mögliche Barrieren können fehlende zeitliche oder finanzielle Ressourcen
sein. In unserem Einstiegsbeispiel nannte Ben als Hinderungsgrund, dass bislang zu
wenige Ladestationen für Elektroautos vorhanden sind. Anders als die persönliche
Einstellung und die subjektive Norm kann die wahrgenommene Verhaltenskontrolle
sich auch direkt auf das Verhalten auswirken. Wer z. B. nicht über ausreichende
finanzielle Mittel verfügt, kann sich kein Elektroauto kaufen, auch wenn er eine posi-
tive Einstellung gegenüber Elektroautos aufweist.
A - Einstellung (attitude)
b - Überzeugung (belief)
= × e - Bewertung (evaluation)
i - Eigenschaft
= 1
Abb. 6.2 Erwartungs-X-Wert-Modell
6.3 Einstellungsänderung 95
6.3 Einstellungsänderung
Gerade die Marketingkommunikation, insb. die klassische Werbung, zielt darauf ab, Ein-
stellungen zu ändern. In Abschn. 6.1 hatten wir Einstellungen als relativ überdauernd
beschrieben; sie lassen sich also nicht einfach ändern. Modelle zur Einstellungsänderung
unterscheiden meist idealtypisch zwei Wege der Verarbeitung. Das bekannteste dieser
Modelle ist das Elaboration-Likelihood-Model (ELM) von Petty und Cacioppo (1986).
Nach diesem Modell hängt die Einstellungsänderung davon ab, wie tief der Rezipient
eine Botschaft verarbeitet (Abb. 6.3). Eine Grundannahme des Modells ist, dass sich die
Tiefe der Verarbeitung zwischen verschiedenen Personen und in verschiedenen Situatio-
nen unterscheidet. Es werden zwei Wege beschrieben, die sich durch einen unterschied-
lichen Grad der Elaboration, d. h. der Verarbeitungstiefe, charakterisieren lassen. Diese
beiden Wege sind als idealtypische Extrempunkte eines Kontinuums zu verstehen.
• Auf der zentralen Route verarbeitet der Rezipient eine Botschaft sehr tief. Da er sich
intensiv und sorgfältig mit ihr auseinandersetzt, kann die Botschaft nur dann über-
zeugend wirken und zu einer Einstellungsänderung führen, wenn sie auf starken
Argumenten beruht. Ein Konsument, der eine Werbeanzeige für Elektroautos auf der
zentralen Route verarbeitet, wird anschließend nur dann eine positivere Einstellung
zu diesem Produkt haben, wenn die Vorzüge wie eine geringe CO2-Emission über-
zeugend dargelegt wurden. Wenn tatsächlich Einstellungsänderungen über die zent-
rale Route erreicht werden, so sind diese i. d. R. relativ stabil und dauerhaft.
• Auf der peripheren Route verarbeitet der Rezipient die Botschaft weniger tief.
Wichtiger als Inhalte sind periphere Cues, d. h. Hinweisreize, die nicht im direkten
Zusammenhang mit der Botschaft stehen. Bedeutsam kann bspw. sein, ob der Rezi-
pient den Kommunikator einer Werbebotschaft sympathisch findet, ob er ein aus-
gewiesener Experte ist („Wenn der Experte das sagt, wird es schon stimmen.“) und
welche nonverbalen Botschaften er aussendet. Da auch emotionale Aspekte wirken,
werden in Werbemaßnahmen, die auf der peripheren Route überzeugen sollen, häu-
fig Humor, Musik, Erotik etc. eingesetzt. Weil Konsumenten der Vielzahl der auf sie
einströmenden Werbemaßnahmen nicht ihre volle Aufmerksamkeit schenken können,
wählen viele Werbetreibende gezielt den Weg der peripheren Einstellungsänderung
(Bak 2014, S. 70). Wie könnte ein Versuch, die Einstellung des Konsumenten auf
peripherem Weg zu ändern, bezogen auf unser Beispiel Elektroauto aussehen? Bei-
spielsweise könnte die Werbemaßnahme veranschaulichen, wie ein Elektroauto mit
einem sportlichen Design dynamisch auf einer Straße fährt, die durch eine schöne und
ansonsten unberührte Landschaft führt. Einstellungsänderungen, die über die peri-
phere Route erreicht werden, sind i. d. R. eher fragil und temporär.
Die entscheidende Frage ist, wann die Wahrscheinlichkeit (Likelihood) höher ist, dass
der Konsument eine Botschaft zentral verarbeitet (d. h. elaboriert), und wann sie höher
ist, dass er die Botschaft oberflächlich und peripher verarbeitet. Dem Elaboration Likeli-
hood Model zufolge hängt dies von zwei Variablen ab. Zum einen muss die Motivation
vorhanden sein, die Botschaft zu verarbeiten. Die Motivation hängt u. a. vom Involve-
ment des Konsumenten ab, d. h. davon, wie wichtig und interessant er den Gegenstand
findet. So kann es schwerfallen, Personen, die nicht technikaffin sind, dazu zu brin-
gen, dass sie sich mit Informationen zu Elektroautos auseinandersetzen. Zum anderen
muss die Person auch die Fähigkeit aufweisen, die Botschaft zu verarbeiten. Inwiefern
die Person dazu fähig ist, hängt von kognitiven Fähigkeiten und vom Vorwissen ab;
aber auch davon, ob die Informationen verständlich aufbereitet sind und ob die Person
abgelenkt wird oder nicht. So sind Informationen zum Vergleichen von Elektroautos
anhand technischer Details für manche Konsumenten unverständlich. Nach dem ELM
müssen für eine zentrale Verarbeitung zwingend die folgenden beiden Bedingungen
erfüllt sein: Die Motivation muss ausgeprägt sein und die notwendigen Fähigkeiten müs-
sen vorhanden sein.
6.4 Implizite Einstellungen 97
Implizite Einstellungen sind der Person (meist) nicht bewusst. Sie werden spontan akti-
viert, laufen automatisiert ab und sind nicht willentlich kontrollierbar. Man kann diese
impliziten Einstellungen nicht verbalisieren. Die Betrachtung impliziter Einstellungen ist
aber von Belang, da sie Verhaltensweisen erklären können, die sich über explizite Ein-
stellungen nicht erklären lassen (Greenwald et al. 2009).
Zu einem Einstellungsobjekt können gleichzeitig explizite und implizite Ein-
stellungen vorliegen. Beispielsweise könnte eine Person Rosenkohl explizit gut
bewerten, weil er kalorienarm, vitamin- und mineralstoffreich ist. Implizit assoziiert
98 6 Einstellung
sie das bittere Wintergemüse automatisch mit schlechtem Geschmack. Eine interes-
sante Frage ist nun, unter welchen Umständen ihr Verhalten mehr von impliziten und
wann es mehr von expliziten Einstellungen gesteuert wird. Um dies zu erklären, wur-
den sog. duale Prozesstheorien vorgeschlagen, die postulieren, dass beide Komponen-
ten unabhängig voneinander aktiviert werden können und dass sich jede Komponente
entsprechend ihrer Aktivierung auf das Verhalten auswirken kann. Ein Beispiel ist das
MODE-Modell (Motivation and Opportunity as DEterminants; Fazio 1990). Ob sich
implizite oder explizite Einstellungen maßgeblich auf das Verhalten auswirken, hängt
diesem Modell zufolge von der Motivation und Fähigkeit des Konsumenten ab, Konse-
quenzen seines Verhaltens zu überdenken. Das Modell ähnelt in seiner Struktur dem in
Abschn. 6.3 eingeführten ELM. Letzteres erklärt den Prozess der Einstellungsbildung
bzw. -änderung; das MODE-Modell dagegen, wie Einstellungen auf das Verhalten
wirken.
• Eine Person wechselt in den deliberativen Modus, d. h. in den überlegten Prozess-
modus, der hohen kognitiven Aufwand bedeutet, wenn die Motivation hoch ist und
auch die notwendigen Fähigkeiten und Möglichkeiten gegeben sind, um Informatio-
nen zu verarbeiten. Befindet sich die Person in diesem Modus, so nehmen vor allem
explizite Einstellungen Einfluss auf ihr Verhalten. Die in Abschn. 6.1 diskutierten Ein-
stellungs-Verhaltens-Modelle, wie die Theorie des geplanten Verhaltens, können nun
zur Verhaltenserklärung genutzt werden. Ob sich eine Person für einen Apfel oder
einen Schokoriegel entscheidet, hängt damit unter anderem von ihrer Gesundheitsein-
stellung und von den Erwartungen des sozialen Umfelds ab.
• Ist die Person dagegen nicht motiviert oder besitzt sie nicht die Möglichkeit zu
reflektieren, so befindet sie sich im spontanen Modus. Nun wirken sich vor allem
die impliziten, d. h. die spontan und automatisiert hervorgerufenen Assoziationen,
auf das Verhalten aus. Ob sich die Person für den Apfel oder den Schokoriegel ent-
scheidet, hängt damit beispielsweise von der spontanen und automatisch aktivierten
Einschätzung des Lustgewinns beim Essen ab (Mai et al. 2015).
u. a. auf die Evolution zurückführen. Um zu überleben, war es für unsere Vorfahren
wichtig, möglichst viele Kalorien zu konsumieren. Auch wenn sich das Lebens-
mittelangebot zwischenzeitlich verändert hat, ist eine positive Bewertung kalorien-
reicher Nahrung noch immer die automatische Reaktion. Wer also nicht explizit über
seine Lebensmittelentscheidung nachdenkt und sich im spontanen Modus befindet,
der greift zu ungesunden Lebensmitteln, selbst wenn er explizit gesunden Lebens-
mitteln gegenüber positiv eingestellt ist. Für eine gesunde Ernährung sollte beides
zusammenkommen: eine positive explizite und auch eine möglichst positive implizite
Assoziation gegenüber gesunden Nahrungsmitteln (Mai et al. 2015). Die gute Nach-
richt für alle Gesundheitsfans: Neuere Studien aus Europa zeigen, dass viele Konsu-
menten durchaus auch gesunde Lebensmittel implizit mit Geschmack assoziieren
(Werle et al. 2013; Mai 2016).
6.5 Lernhilfe
Quintessenz
Einstellungen sind wertend und objektbezogen. Nach dem Drei-Komponenten-Modell
bestehen sie aus einer kognitiven, einer affektiven und einer konativen Komponente.
Zur Messung von Einstellungen nutzt man häufig das Erwartungs-X-Wert-Modell.
Nach der Einstellungs-Verhaltens-Hypothese haben Einstellungen großen Einfluss auf
das Kaufverhalten des Konsumenten. Gemäß der Theorie des geplanten Verhaltens
sollten jedoch auch die subjektive Norm und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle
beachtet werden, um die Verhaltensvorhersage zu verbessern und die etwaige Lücke
zwischen Einstellung und tatsächlichem Verhalten zu erklären. Neuere Unter-
suchungen zeigen, dass neben expliziten Einstellungen auch implizite Assoziationen
für das Verhalten des Konsumenten relevant sind. Letztere lassen sich mithilfe des
Impliziten Assoziationstests (IAT) erfassen.
6.5 Lernhilfe 101
O… sind objektbezogen.
O… sind wertend.
O… sind von der jeweiligen Situation abhängig.
O… bestehen nach dem Drei-Komponenten-Modell aus einer affektiven, einer kogni-
tiven und einer konativen Komponente.
O… sind immer implizit.
O… lassen sich von außen beobachten.
Vernetzende Fragestellung
Ordnen Sie die verschiedenen Aspekte des folgenden Dialogs zwischen Lea und Ben
in die Theorie des geplanten Verhaltens ein:
„Wow!“, ruft Ben, „Schau mal, der XXL-Burger kostet hier nur 2,90 EUR. Außer-
dem sieht er super lecker aus und der Geschmack ist bei einem Burger ja schließ-
lich das Wichtigste. Ich denke, ich kaufe mir einen, wenn wir mit dem Shoppen
fertig sind.“ „Du solltest diesen Burger besser nicht kaufen. In einem XXL-Burger
für 2,90 EUR ist sicher kein Fleisch von glücklichen Rindern“, gibt Lea zu bedenken.
„Und überhaupt: Rindfleisch ist sowieso schlecht für die Umwelt.“ „Das ist deine
Meinung. Wieso sollte ich mich danach richten? Ich kaufe, was mir schmeckt. – Oh
nein, ich habe ja gar kein Geld dabei. Kannst du mir etwas leihen?“
Nutzen Sie die Theorie des geplanten Verhaltens auch, um fünf Ihrer typischen
Konsumverhaltensweisen zu analysieren. Warum kaufen Sie bspw. Bio-Gurken?
Wieso haben Sie keine Zeitung abonniert? Warum gehen Sie ins Fitnessstudio? Wes-
halb spenden Sie nicht mehr Geld für einen guten Zweck? Wieso kaufen Sie Ihrer
Mutter Blumen zum Muttertag? Etc.
102 6 Einstellung
Weiterführende Literatur
Eagly, A. H., & Chaiken, S. (1993). The psychology of attitudes. Forth Worth: Harcourt.
Mai, R., & Hoffmann, S. (2015). How to combat the unhealthy= tasty intuition: The influencing
role of health consciousness. Journal of Public Policy & Marketing, 34(1), 63–83.
Niemand, T., Hoffmann, S., & Mai, R. (2014). Einsatzpotenziale und Grenzen bei der Anwendung
des Impliziten Assoziationstests (IAT) in der Marketing-Forschung. Marketing ZFP – Journal
of Research and Management, 36(3), 187–202.
Literatur
Ajzen, I. (1988). Attitudes, personality and behavior. Stony Stratford: Open University Press.
Ajzen, I. (1991). The theory of planned behavior. Organizational Behavior and Human Decision
Processes, 50(2), 179–211.
Armitage, C. J., & Conner, M. (2001). Efficacy of the theory of planned behavior: A meta-analytic
review. British Journal of Social Psychology, 40(4), 471–500.
Bak, P. M. (2014). Werbe- und Konsumentenpsychologie. Eine Einführung. Stuttgart: Schäffer
Poeschel.
Brunel, F. F., Tietje, B. C., & Greenwald, A. G. (2004). Is the implicit association test a valid and
valuable measure of implicit consumer social cognition? Journal of Consumer Psychology,
14(4), 385–404.
Eagly, A. H., & Chaiken, S. (1993). The psychology of attitudes. Forth Worth: Harcourt.
Fazio, R. H. (1990). Multiple processes by which attitudes guide behavior: The MODE model as
an integrative framework. In M. P. Zanna (Hrsg.), Advances in experimental social psychology
(S. 75–109). New York: Academic Press.
Fishbein, M., & Ajzen, I. (1975). Belief, attitude, intention, and behavior. New York: Wiley.
Gawronski, B., & Bodenhausen, G. V. (2006). Associative and propositional processes in evalua-
tion: An integrative review of implicit and explicit attitude change. Psychological Bulletin,
132(5), 692–731.
Greenwald, A. G., & Banaji, M. R. (1995). Implicit social cognition: Attitudes self-esteem and
stereotypes. Psychological Review, 102(1), 4–27.
Greenwald, A. G., McGhee, D. E., & Schwartz, J. L. K. (1998). Measuring individual differences
in implicit cognition: The implicit association test. Journal of Personality and Social Psycho-
logy, 74(1), 1464–1480.
Greenwald, A. G., Poehlmann, A. T., Uhlmann, E. L., & Banaji, M. R. (2009). Understanding and
using the implicit association test: III. Meta-analysis of predictive validity. Journal of Personal-
ity and Social Psychology, 97(1), 17–41.
Kroeber-Riel, W., & Gröppel-Klein, A. (2013). Konsumentenverhalten (10. Aufl.). München: Vahlen.
Mai, R. (2016). Unveröffentlichtes Manuskript zur Unhealthy = Tasty-Intuition.
Mai, R., Hoffmann, S., Hoppert, K., Schwarz, P., & Rohm, H. (2015). The spirit is willing, but the
flesh is weak: The moderating effect of implicit associations on healthy eating behaviors. Food
Quality and Preference, 39(1), 62–72.
Niemand, T., Hoffmann, S., & Mai, R. (2014). Einsatzpotenziale und Grenzen bei der Anwendung
des Impliziten Assoziationstests (IAT) in der Marketing-Forschung. Marketing ZFP – Journal
of Research and Management, 36(3), 187–202.
Petty, R. E., & Cacioppo, J. T. (1986). The elaboration likelihood model of persuasion. Advances
in Experimental Social Psychology, 19, 123–205.
Literatur 103
Raghunathan, R., Walker, R., & Hoyer, W. D. (2006). The unhealthy = tasty intuition and its
effects on taste inferences, enjoyment, and choice of food products. Journal of Marketing,
70(4), 170–184.
Rosenberg, M. J., & Hovland, C. I. (1960). Cognitive, affective, and behavioural components of
attitudes. In C. I. Hovland & M. J. Rosenberg (Hrsg.), Attitude organization and change: An
analysis of consistency among attitude components (S. 1–14). New Haven: Yale University
Press.
Strack, F., & Deutsch, R. (2004). Reflective and impulsive determinants of social behavior. Perso-
nality and Social Psychology Review, 8(3), 220–247.
Trommsdorff, V., & Teichert, T. (2011). Konsumentenverhalten (8. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.
Webb, T., & Sheeran, P. (2006). Does changing behavioral intentions engender behavior change?
A meta-analysis of the experimental evidence. Psychological Bulletin, 132(2), 249–268.
Werle, C. O. C., Trendel, O., & Ardito, G. (2013). Unhealthy food is not tastier for everybody: The
„healthy = tasty“ French intuition. Food Quality and Preference, 28(1), 116–121.
Entscheidung
7
u Die Wurzel allen Übels Seit Wochen wird Lea von Zahnschmerzen geplagt.
Nachdem die Beschwerden auch mit Tabletten nicht abklingen, wagt sie den
Gang zum Zahnarzt. Dort erfährt sie, dass die Wurzel eines Backenzahns ent-
zündet ist. Der Arzt erklärt Lea, dass die Krankenkasse nur die Kosten einer
konventionellen Wurzelbehandlung übernimmt. In ihrem Fall – die Ent-
zündung ist weit fortgeschritten – empfiehlt er eine sog. Mikroendodontie; ein
Verfahren, bei dem die Wurzelbehandlung mit einem OP-Mikroskop durch-
geführt wird. Die Kosten von knapp 1000 EUR müsste Lea selbst tragen. Zwar
kann ihr der Zahnarzt für beide Behandlungsalternativen keine Garantie auf
Erfolg geben; mit der kostenpflichtigen Methode ist die Heilungswahrschein-
lichkeit aber höher. Lea ist überfordert. Wie soll sie sich nur entscheiden?
Konsumenten müssen häufig Entscheidungen unter Unsicherheit treffen.
In Leas Fall entsteht die Unsicherheit dadurch, dass sie aufgrund ihrer Laien-
rolle die Notwendigkeit und Erfolgswahrscheinlichkeit einer Behandlung nicht
antizipieren kann. Doch wie treffen Konsumenten trotz Unsicherheit Ent-
scheidungen und wie kann man Konsumentenentscheidungen beeinflussen?
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 105
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_7
106 7 Entscheidung
Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, …
• Rational-Choice-Theorie,
• Bounded Rationality,
• Prospect-Theorie,
• Nudging und
• Framing.
Die Prozesse des Urteilens und Wählens sind miteinander verbunden und machen
gemeinsam den Entscheidungsprozess aus (Gerrig 2014). Möchte man etwa ein neues
Smartphone kaufen, beurteilt man i. d. R. zunächst einige Modelle. Nehmen wir bspw.
an, dass Modell A eine lange Akkulaufzeit aufweist, während sich Modell B durch eine
hohe Displayauflösung auszeichnet. Wer die Akkulaufzeit als wichtiger einstuft als die
Displayauflösung, entscheidet sich in diesem Beispiel für Smartphone A. Meist sind Ent-
scheidungssituationen jedoch deutlich komplexer.
7.1 Grundlagen der Konsumentenentscheidungsfindung 107
Das Entscheidungsproblem eines Konsumenten lässt sich anhand der fünf in Tab. 7.1
dargestellten Komponenten beschreiben. Optionen, Ereignisse und Konsequenzen sind
externe Komponenten eines Entscheidungsproblems. Das heißt, sie wirken wie ein Reiz
von außen auf den Konsumenten ein und beeinflussen seinen Entscheidungsprozess.
Gründe und Ziele sind interne Komponenten und steuern die Sicht des Konsumenten auf
das und seinen Umgang mit dem Entscheidungsproblem (Jungermann et al. 2016).
Kommen wir zurück zu Lea und betrachten wir die Komponenten ihres Entscheidungs-
problems. Leas Zahnarzt nennt ihr zwei Handlungs-Optionen für eine Wurzelbehandlung:
die konventionelle Wurzelbehandlung und die Mikroendodontie (Wurzelbehandlung mit
einem OP-Mikroskop). Die Konsequenz einer Nicht-Behandlung, was die mögliche dritte
Handlungs-Option darstellen würde, wäre in jedem Fall der Verlust des Zahns. Die Eintritts-
wahrscheinlichkeit dieser Konsequenz ist nach Angaben des Zahnarztes bei einer Mikro-
endodontie geringer als bei der Kassenleistung. Auf das Ereignis, dass die Krankenkassen
• Menge an Optionen: Die zur Verfügung stehende Menge an Optionen kann entweder
offen oder vorgegeben sein. In vielen Fällen wählen Konsumenten aus vorgegebenen
Optionsmengen. Das kann die Auswahl einer Marmelade im Supermarkt sein oder die
Auswahl eines Films an der Kinokasse. In beiden Fällen ist die Menge an Optionen
durch den Anbieter vorgegeben und damit bekannt. Anders verhält es sich bspw. bei
dem Unternehmen Spreadshirt. Es bietet seinen Kunden die Möglichkeit, ihr eigenes
T-Shirt zu designen und es im Anschluss online zu bestellen. Die Anzahl möglicher
Designs ist zu Beginn der Entscheidungssituation offen und unbekannt. Sie verändert
sich im Laufe des Design- und Entscheidungsprozesses.
• Anzahl der Entscheidungsstufen: Entscheidungen können einstufig oder mehrstufig
erfolgen. Bei einstufigen Entscheidungen vollziehen Konsumenten die Entscheidung
in einem einzigen Schritt. Die Überlegung, ob man abends auf ein bestimmtes Konzert
möchte, ist einstufig und mit dem Kauf des Tickets abgeschlossen. Bei mehrstufigen
Entscheidungen ist jeder Schritt vom Ergebnis des vorherigen abhängig. Leas Ent-
scheidung, zum Zahnarzt zu gehen, erfolgte in zwei Schritten. Zuerst beschloss sie, abzu-
warten und Medikamente zu nehmen. Die Konsequenz dieser Entscheidung waren noch
mehr Schmerzen, sodass sie im zweiten Schritt einen Termin beim Arzt vereinbarte.
• Entscheidungsfrequenz: Man unterscheidet zwischen Entscheidungssituationen, die
einmalig oder wiederholt auftreten. Der Abschluss einer Lebensversicherung ist eine
einmalige Entscheidung. Der Lebensmitteleinkauf im Supermarkt wiederholt sich
dagegen.
7.1.3.1 Kaufentscheidungsprozess
In Kap. 2 befassten wir uns mit dem Totalmodell des Konsumentenverhaltens von
Blackwell et al. (2001). Diesem Modell zufolge durchlaufen Konsumenten bei der Ent-
scheidungsfindung für ein Produkt oder eine Dienstleistung mehrere Phasen. Die Realität
7.1 Grundlagen der Konsumentenentscheidungsfindung 109
des Konsumenten ist zwar weitaus komplexer und verschiedenste Komponenten des Ent-
scheidungsproblems sowie die Eigenschaften der Entscheidungssituation nehmen Einfluss
auf diesen Prozess. Dennoch ist es sinnvoll, dies einmal auszublenden, um den zentralen
Pfad des Entscheidungsprozesses nach Blackwell et al. (2001) isoliert zu betrachten.
7.1.3.2 Kaufentscheidungstypologie
Das Entscheidungsverhalten des Konsumenten lässt sich auch in Abhängigkeit seines
Involvements strukturieren (Abb. 7.1). Bei extensiven Kaufentscheidungen recher-
chieren Konsumenten aufwendig Informationen und werten alle Optionen sorgfältig
aus. Diesen Kaufentscheidungstypus findet man insb. in Entscheidungssituationen, die
mit einem großen sozialen, funktionalen oder finanziellen Risiko verbunden sind (z. B.
beim Kauf eines Pkws oder eines Eigenheims). Bei limitierten Kaufentscheidungen
durchläuft der Konsument nicht alle Phasen des Kaufentscheidungsprozesses, da er
schon Erfahrungen mit dem Produkt gesammelt hat. Seine Entscheidungen basieren
110 7 Entscheidung
Kaufentscheidungstypologie
Abhängig
von …
Extensiv Limitiert Habitualisiert
Produkt-/Marken-
vertrautheit gering hoch
7.2 Entscheidungstheorien
Das Verhalten des Konsumenten ist häufig das Ergebnis von Entscheidungsprozessen.
Einem Kinobesuch gehen die Beurteilung von möglichen Freizeitoptionen (Kino, Thea-
ter, Bar) und die entsprechende Wahl einer Option (Kino) voraus. Entscheidungstheorien
beschreiben, erklären und prognostizieren, wie Konsumenten Entscheidungen treffen.
Wir widmen uns in diesem Abschnitt zwei Teilgebieten der Entscheidungstheorie, die
für die Konsumentenverhaltensforschung wichtig sind (Trommsdorff und Teichert 2011):
Die normative Entscheidungstheorie gibt vor, wie Konsumenten idealerweise ihre Ent-
scheidungen treffen sollten, und die deskriptive Entscheidungstheorie beschreibt, wie
Konsumenten Entscheidungen tatsächlich fällen.
7.2 Entscheidungstheorien 111
Die normative Entscheidungstheorie ist ein System aus Axiomen (Eisenführ et al. 2010).
Axiome sind Feststellungen oder Grundannahmen, die nicht bewiesen, sondern beweislos
vorausgesetzt werden. Etwas formaler ausgedrückt ist ein Axiom nicht beweisbar, aber
in sich und innerhalb einer Theorie wahr. Innerhalb der Mathematik nehmen wir etwa
an, dass 0 eine Zahl ist. Die Urknalltheorie und die Entstehung unseres Sonnensystems
beruhen bspw. auf dem Axiom, dass die heute bekannten physikalischen Gesetze schon
zum Zeitpunkt des Urknalls galten.
Die normative Entscheidungstheorie geht vom Menschenbild des Homo oeconomi-
cus aus, sprich von einem rationalen Nutzenmaximierer, der über volle Markttransparenz
verfügt. Nach den Axiomen der normativen Entscheidungstheorie (Simon et al. 2007;
Simon 1982)
Akku 0,2 80 70 16 14
Display 0,3 90 80 27 24
Design 0,4 80 85 32 34
Summe 84 82
Hintergrundinfo: Mr. Spock vs. Homer Simpson. Oder: Was ist Bounded Rationality?
Konsumenten sind oft weit davon entfernt, die Axiome der normativen Entscheidungstheorie zu
befolgen und damit optimierte Entscheidungen zu treffen. Zwar wollen sich viele rational ent-
scheiden (so wie Mr. Spock); sie scheitern aber regelmäßig aufgrund begrenzter (engl.: bounded)
Aufmerksamkeit, Energie, Motivation oder Informationsverarbeitungskapazität (so wie Homer
Simpson). Ökonomen bezeichnen dies als Bounded Rationality (Simon 1982) und relativieren
dadurch immer mehr die Axiome des Rational-Choice-Ansatzes (Göbel 2014). Gemäß der Boun-
ded Rationality streben Menschen häufig nicht nach Optimierung, sondern nach Satisficing; einem
Schachtelwort aus satisfying (eng.: befriedigend) und suffice (engl.: genügen). Es beschreibt die
Strategie, nicht die optimale Option, sondern die erstbeste Option, die den angestrebten Zweck
erfüllt, zu wählen. Wenn Homer Simpson also Lust auf einen Donut hat, vergleicht er nicht erst
alle infrage kommenden Angebote. Mr. Spock würde dies tun. Homer Simpson sucht einfach den
nächstbesten Supermarkt auf.
7.2.2.1 Editierphase
In der Editierphase strukturiert und vereinfacht der Konsument das Entscheidungs-
problem. Sein Ziel lautet, die Auswahl zwischen den Optionen zu erleichtern, indem er
die Komplexität des Entscheidungsproblems reduziert. Die gewünschte Komplexitäts-
reduktion erreicht er u. a. durch das sog. Coding. Die Prospect-Theorie nimmt an, dass
Individuen die Konsequenzen einer Option nicht absolut wahrnehmen, sondern immer
relativ zu einem Referenzpunkt codieren und somit vereinfachen. Beim Coding werden
Optionen entsprechend ihrer Abweichung von einem Referenzpunkt eingeordnet. Konse-
quenzen, die oberhalb des Referenzpunktes liegen, werden als Gewinne wahrgenommen,
Konsequenzen, die unterhalb des Referenzpunktes liegen, als Verluste. Wenn man bspw.
nach einer Klausur mit der Note 3 rechnet (Referenzpunkt), dann ist die Freude über die
Note 2 sehr groß. Man gewinnt sozusagen eine Note. Wer allerdings nach der Klausur
ein sehr gutes Gefühl hat und eine 1 erwartet (Referenzpunkt), dem wird eine 2 schon
mal die Stimmung trüben (Verlust). Neben dem Coding gibt es in der Editierphase noch
114 7 Entscheidung
7.2.2.2 Evaluationsphase
In der Evaluationsphase bewerten und gewichten Konsumenten die zuvor editierten Optio-
nen, um anschließend die Option mit dem für sie höchsten subjektiven Wert auszuwählen.
Die Auswahl einer Option wird durch die Gewichtungsfunktion und die Wertefunktion des
Konsumenten bestimmt. Die Gewichtungsfunktion verweist darauf, dass Konsumenten
sowohl im Gewinn- als auch im Verlustbereich unwahrscheinliche Ergebnisse überge-
wichten und mittel- bis hochwahrscheinliche Ergebnisse untergewichten. Die Werte-
funktion ist durch drei Eigenschaften gekennzeichnet:
Nutzen (+)
N2
N1
V2 V1
Verlust Gewinn
G1 G2
N3
N4
Nutzen (-)
W2
W1
Relativer V2 V1 Relativer
Verlust Gewinn
G1 G2
Referenzpunkt
W3
W4
sollte man wählen? a) Einen sicheren Gewinn von 3000 EUR oder b) einen Gewinn
von 4000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 %? Kahneman und Tversky
(1979) zeigen empirisch, dass sich die meisten Personen für a) entscheiden. Dabei ist
der Erwartungswert der Option b) (4000 EUR * 0,8 = 3200 EUR) höher und sollte
aus normativer Sicht eher gewählt werden.
• Reflexionseffekt: Menschen verhalten sich bei zu erwartenden Gewinnen risiko-
vermeidend, bei drohenden Verlusten risikosuchend. Was sollte man wählen? a)
Einen Gewinn von 6000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von 45 % oder b) einen
Gewinn von 3000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 %? Die meisten ent-
scheiden sich für Option b), obwohl der Erwartungswert in beiden Fällen identisch
ist (6000 EUR * 0,45 = 2700 EUR vs. 3000 EUR * 0,90 = 2700 EUR). Sie verhalten
sich somit im Gewinnbereich risikovermeidend. Noch eine Frage: Wie sollte man
sich entscheiden? a) Für einen Verlust von 6000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit
von 45 % oder b) für einen Verlust von 3000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von
90 %? Hier votieren die meisten Personen für Option a), obwohl der Erwartungswert
wieder identisch ist (−2700 EUR). Dieses Beispiel illustriert, dass Konsumenten im
Verlustbereich risikosuchend handeln.
• Isolationseffekt:Um die Entscheidung zu erleichtern, fokussieren Konsumenten bei
der Wahl zwischen mehreren Optionen auf die Unterschiede der Optionen und igno-
rieren deren Gemeinsamkeiten. Die Zerlegung in Gemeinsamkeiten und Unterschiede
kann zu Inkonsistenzen führen. Stellen wir uns zur Veranschaulichung ein einstufiges
und ein zweistufiges Glücksspiel vor.
– Einstufiges Glücksspiel: Wie sollte man sich entscheiden? a) Für einen Gewinn
von 4000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 % oder b) für einen
Gewinn von 3000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 %. Die Mehr-
heit entscheidet sich für Option a), da hier der Erwartungswert höher ausfällt
(4000 EUR * 0,20 = 800 EUR vs. 3000 EUR * 0,25 = 750 EUR).
– Zweistufiges Glückspiel: In Stufe 1 endet das Spiel zu 75 % direkt, zu 25 %
geht es weiter zu Stufe 2. Hat man Stufe 2 erreicht, kann man wählen zwischen
a) einem Gewinn von 4000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 % oder b)
einem direkten Gewinn von 3000 EUR. Fasst man die zwei Stufen zusammen,
ergeben sich folgende Eintrittswahrscheinlichkeiten (EW Stufe 1 * EW Stufe 2)
für a) 0,25 * 0,80 = 0,20 und für b) 0,25 * 1,0 = 0,25. Der Erwartungswert für a)
entspricht 4000 EUR * 0,20 = 800 EUR und für b) 3000 EUR * 0,25 = 750 EUR.
Das Entscheidungsproblem ist somit identisch zum einstufigen Glücksspiel. Doch
dieses Mal entscheiden sich die meisten Probanden für Option b) mit dem nied-
rigeren Erwartungswert. Offensichtlich ignorieren sie die erste Stufe der Ent-
scheidung, die für beide Optionen identisch ist.
7.3 Heuristiken
Nur selten stehen Konsumenten hinreichend Zeit und genügend Informationen zur Ver-
fügung, um alle Optionen umfassend beurteilen zu können. Anstelle eines systema-
tischen Entscheidungsprozesses wenden sie dann sog. Heuristiken an (Hertwig et al.
2008). Dies sind einfache, effiziente Faustregeln, die die Komplexität des Urteilens und
Wählens reduzieren und damit schnelle Lösungen ermöglichen (Gerrig 2014). Sie sind
durch evolutionäre Prozesse gefestigt oder durch Erfahrungen erlernt worden. Konsu-
menten wenden permanent Heuristiken an, ohne sich dessen bewusst zu sein. Die
Anwendung von Heuristiken ist oft nützlich und in dem Sinne effizient, dass mit vertret-
barem Ressourceneinsatz eine tragbare Entscheidung getroffen werden kann (Gigerenzer
und Gaissmaier 2011).
u Merke Heuristiken sind informelle Faustregeln, die die Komplexität der Urteils-
findung reduzieren und zu einer schnellen Entscheidung führen. Sie einzusetzen, ist nicht
unvernünftig, denn eine detaillierte Abwägung kostet häufig unverhältnismäßig viel Zeit
und Energie.
7.3.1 Verfügbarkeitsheuristik
7.3.2 Repräsentativitätsheuristik
Wenn sich Individuen der Repräsentativitätsheuristik bedienen, dann schätzen sie die
subjektive Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis danach ein, ob das Ereignis eine Eigen-
schaft besitzt, die typisch für die Kategorie ist, zu der das Ereignis gehört. Wenn man
auf der Straße bspw. einer Frau mit Aktenkoffer und Hosenanzug begegnet, hält man
sie eher für eine Geschäftsfrau als für eine Kindergärtnerin. Dies liegt daran, dass die
bei den meisten Menschen im Gedächtnis abgespeicherte mentale Repräsentation einer
Geschäftsfrau besser zu der Erscheinung der Frau passt als die mentale Repräsentation
einer Kindergärtnerin. Repräsentativitätsheuristiken ermöglichen häufig eine schnelle
und gute Entscheidung, gelegentlich kommt es aber auch zu Fehlurteilen. Dies ist insb.
dann der Fall, wenn der Entscheider
Als Basisrate bezeichnet man die Häufigkeit eines Merkmals in der Grundgesamt-
heit. Ein Beispiel: Auf dem Universitätsgelände begegnet uns ein junger Mann mit
Rasta-Zöpfen. Studiert er a) BWL oder b) Ethnologie? Viele würden die zweite
Antwortoption als die vermeintlich richtige auswählen. Dabei ist der Anteil an
7.4 Framing- und Kontexteffekte 119
7.3.3 Ankerheuristik
Wissenschaftler sprechen von einer Ankerheuristik, wenn sich Individuen bei der Nen-
nung eines Zahlenwertes durch eine zuvor genannte Kontextinformation – i. d. R. eine
andere Zahl – beeinflussen lassen (Tversky und Kahneman 1974). Das Marketing nutzt
diesen Ankereffekt, um Konsumenten zum Kauf hochpreisiger Produkte zu bewegen.
Wer bspw. ein Smartphone für über 750 EUR verkaufen möchte, kann zusätzlich ein
weiteres Modell mit leichter Modifikation (z. B. größerer Speicher) für 100 EUR mehr
anbieten und dadurch den Anker auf 850 EUR hochsetzen, sodass das Smartphone für
750 EUR plötzlich vergleichsweise günstig wirkt.
Die Prospect-Theorie postuliert neben den bereits besprochenen Annahmen, dass die
Präsentation eines Entscheidungsproblems die mentale Repräsentation des Problems
formt. Diese mentale Repräsentation des Entscheidungsproblems wird als Decision
Frame bezeichnet. Dieser entsteht durch
• die Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen aus der Umwelt des Ent-
scheiders.
• durch die Aktivierung vorhandenen Wissens.
Tab. 7.2 Das Asian-Disease-Problem
Gewinn-Frame Verlust-Frame
Option A 200 Personen werden gerettet 400 Personen werden sterben
Option B Mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 Mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3
werden alle 600 Personen gerettet; zu 2/3 wird niemand sterben; zu 2/3 werden alle
wird keiner gerettet 600 sterben
Eine asiatische Krankheit könnte 600 Menschen das Leben kosten. Es stehen zwei Programme zur
Bekämpfung der Krankheit zur Verfügung. Sie haben unterschiedliche Konsequenzen
Framings werden auch bei Produktbeschreibungen eingesetzt. Levin und Geath (1988)
zeigten bspw. den Einfluss von Framingeffekten beim Lebensmittelkauf. Konsumenten
sollten zwei identische Angebote für Rinderhackfleisch bewerten: a) 75 % mager (posi-
tiver Frame) und b) 25 % Fettgehalt (negativer Frame). Die Ergebnisse zeigen, dass
Konsumenten das Angebot mit dem positiven Frame besser beurteilen.
7.5.1 Priming
Unter Priming (engl. Bahnung, Vorbereitung) versteht man, dass das Auftreten eines
bestimmten Ereignisses die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines bestimmten
Folgeereignisses vergrößert (Gerrig 2014; Abschn. 5.1.3). Wer bspw. wie Lea gerade
7.5 Wie man Konsumentenentscheidungen beeinflusst 121
aus einer schmerzhaften Wurzelbehandlung kommt, bei dem ist das Konzept Zahnpflege
aktiviert. Er wird sich beim Bäcker eher für ein gesundes Brötchen als für ein poten-
ziell Karies verursachendes süßes Gebäck entscheiden. In den vergangenen Jahren prüf-
ten Sozialpsychologen in einer Vielzahl experimenteller Untersuchungen, ob sie mithilfe
von Primes unbewusste Prozesse in Gang setzen können, die dann das Verhalten in eine
bestimmte Richtung beeinflussen (Bargh 2002; Yi 1990).
7.5.2 Nudging
Thaler und Sunstein (2008, S. 15) verstehen unter einem Nudge „alle Maßnahmen, mit
denen Entscheidungsarchitekten das Verhalten von Menschen in vorhersagbarer Weise
verändern können, ohne irgendwelche Optionen auszuschließen oder wirtschaftliche
Anreize stark zu verändern“. Wer Nudges einsetzt, gestaltet die Entscheidungssituation
des Konsumenten nach dem Prinzip des libertären Paternalismus. Das heißt, man stellt
dem Konsumenten alle Handlungsoptionen zur Verfügung (Liberalismus-Komponente),
schubst (engl.: to nudge) ihn aber durch die Entscheidungsarchitektur in eine bestimmte
Richtung, die das Wohl des Einzelnen verbessern soll (Paternalismus-Komponente).
Currywurst mit Pommes gehört zu den beliebtesten Speisen deutscher Kantinengänger.
Doch die Schlange ist meist sehr lang. Eine „Fast lane“ für Konsumenten mit einem Salat
auf dem Tablett könnte bspw. ein Nudge sein, der ein gesünderes Essverhalten anschubst.
Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, Nudges umzusetzen. Das Setzen sog. Defaults
(dt. = Standards) ist dabei eine im Marketing häufig angewendete Methode und bedeutet,
dass der Marketeer eine Voreinstellung vornimmt und damit das Entscheidungsverhalten
des Konsumenten in eine vorhersagbare Richtung verändert (Goldstein et al. 2008). Unter-
nehmen nutzen Defaults, um ihre kommerziellen Ziele zu erreichen. Wer bspw. bei einem
Online-Händler etwas bestellt, wird beim Check-out oftmals gefragt, ob er einen News-
letter abonnieren möchte. Das gesetzte Häkchen, gegen das man sich bewusst entscheiden
muss, ist ein Nudge.
122 7 Entscheidung
7.6 Lernhilfe
Quintessenz
Die normative Entscheidungstheorie geht vom Homo oeconomicus aus. Sie trifft
Aussagen darüber, wie sich der Konsument optimalerweise entscheiden sollte. Die
deskriptive Entscheidungstheorie untersucht empirisch, wie sich der Konsument
tatsächlich entscheidet. Die Prospect-Theorie ist die einflussreichste deskriptive
Entscheidungstheorie. Sie verweist u. a. darauf, dass sich Konsumenten bei einer Ent-
scheidung Heuristiken bedienen, sprich informeller Faustregeln, die die Komplexi-
tät der Urteilsfindung reduzieren. Sie verdeutlicht unter dem Begriff Framing- und
Kontexteffekte auch, dass die Darstellung oder Formulierung eines Entscheidungs-
problems das Entscheidungsverhalten des Konsumenten ebenfalls beeinflusst. Pri-
mes und Nudges sind Techniken, um das Konsumentenverhalten auf subtile Weise zu
beeinflussen.
O Option
O Ziele
O Gründe
O Ereignis
O Konsequenz
Vernetzende Fragestellung
Wenn wir eine Freeware aus dem Internet herunterladen und installieren, so sind im
Installationsmenü häufig schon Häkchen für den Download weiterer Pakete gesetzt.
Der Anbieter „nudged“ uns zu weiteren Installationen. Welche weiteren Nudges
begegnen Konsumenten im Alltag? Benennen und erläutern Sie drei. Wählen Sie
dabei drei möglichst unterschiedliche Lebensbereiche, z. B. im Supermarkt, im
Fitnessstudio, beim Internetsurfen, im Café, bei der Wohnungssuche, am Kiosk etc.
Weiterführende Literatur
Hastie, R., & Dawes, R. M. (Hrsg.). (2010). Rational choice in an uncertain world: The psycho-
logy of judgment and decision making. Washington: Sage.
Kahneman, D. (2011). Thinking, fast and slow. London: Penguin.
Thaler, R. C., & Sunstein, C. R. (2008). Nudge. Improving decisions about health, wealth and hap-
piness. London: Penguin.
Literatur
Anderson, E. W., & Sullivan, M. W. (1993). The antecedents and consequences of customer satis-
faction for firms. Marketing Science, 12(2), 125–143.
Bamberg, G., Coenenberg, A. G., & Krapp, M. (2012). Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre
(15. Aufl.). München: Vahlen.
Bargh, J. A. (2002). Losing consciousness: Automatic influences on consumer judgment, behavior,
and motivation. Journal of Consumer Research, 29(2), 280–285.
Blackwell, R. D., Miniard, P. W., & Engel, J. F. (2001). Consumer behavior (9. Aufl.). Orlando:
Harcourt.
Brashers, D. E. (2001). Communication and uncertainty management. Journal of Communication,
51(3), 477–497.
Chartrand, T. L., Huber, J., Shiv, B., & Tanner, R. J. (2008). Nonconscious goals and consumer
choice. Journal of Consumer Research, 35(2), 189–201.
Eisenführ, F., Weber, M., & Langer, T. (2010). Rationales Entscheiden. Heidelberg: Springer.
Geiger, F. (2007). Shared decision making als Verhandlung von Ungewissheiten. Osnabrück:
Universität Osnabrück.
Gerrig, R. J. (2014). Psychologie (20. Aufl.). Hallbergmoos: Pearson.
Gigerenzer, G., & Gaissmaier, W. (2011). Heuristic decision making. Annual Review of Psycho-
logy, 62, 451–482.
Göbel, E. (2014). Entscheidungen in Unternehmen. Konstanz: UTB.
124 7 Entscheidung
Goldstein, D. G., Johnson, E. J., Herrmann, A., & Heitmann, M. (2008). Nudge your customers
toward better choices. Harvard Business Review, 86(12), 99–105.
Hertwig, R., Herzog, S. M., Schooler, L. J., & Reimer, T. (2008). Fluency heuristic: A model of
how the mind exploits a by-product of information retrieval. Journal of Experimental Psycho-
logy: Learning, Memory, and Cognition, 34(5), 1191.
Jungermann, H., Pfister, H. R., & Fischer, K. (2016). Die Psychologie der Entscheidung (4. Aufl.).
Heidelberg: Spektrum.
Kahneman, D., & Tversky, A. (1979). Prospect theory: An analysis of decision under risk. Econo-
metrica: Journal of the Econometric Society, 47(2), 263–291.
Laux, H., Gillenkirch, R. M., & Schenk-Mathes, H. Y. (2014). Entscheidungstheorie (9. Aufl.).
Wiesbaden: Springer Gabler.
Levin, I. P., & Gaeth, G. J. (1988). How consumers are affected by the framing of attribute informa-
tion before and after consuming the product. Journal of Consumer Research, 15(3), 374–378.
Nitzsch, R. von (1998). Prospect Theory und Käuferverhalten. Die Betriebswirtschaft, 58(5), 622–634.
Oliver, R. L. (1980). A cognitive model of the antecedents and consequences of satisfaction decisi-
ons. Journal of Marketing Research, 17(4), 460–469.
Simon, H. A. (1982). Models of bounded rationality: Empirically grounded economic reason (Bd.
3). Cambridge: MIT press.
Simon, H. A., Egidi, M., Viale, R., & Marris, R. L. (2007). Economics, bounded rationality and the
cognitive revolution. Cheltenham: Edward Elgar Publishing.
Solomon, M. R., Bamossy, G. J., Askegaard, S. T., & Hogg, M. K. (2013). Consumer behaviour. A
european perspective (5. Aufl.). London: Pearson.
Thaler, R. C., & Sunstein, C. R. (2008). Nudge. Improving decisions about health, wealth and hap-
piness. London: Penguin.
Trommsdorff, V., & Teichert, T. (2011). Konsumentenverhalten (8. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.
Tversky, A., & Kahneman, D. (1974). Judgment under uncertainty: Heuristics and biases. Science,
185(4157), 1124–1131.
Tversky, A., & Kahneman, D. (1981). The framing of decisions and the psychology of choice.
Science, 211(4481), 453–458.
Tversky, A., & Kahneman, D. (1983). Extensional versus intuitive reasoning: The conjunction
fallacy in probability judgment. Psychological Review, 90(4), 293–315.
Yi, Y. (1990). The effects of contextual priming in print advertisements. Journal of Consumer
Research, 17(2), 215–222.
Interindividuelle Unterschiede
8
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 125
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_8
126 8 Interindividuelle Unterschiede
Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, …
• AIO-Ansatz,
• Lebensstil-Typologien,
• Wertekonzeption von Schwartz und
• Hofstedes Kulturkonzeption.
8.1 Marktsegmentierung
Bislang haben wir uns in diesem Buch vor allem mit psychologischen Prozessen
beschäftigt, die bei allen Konsumenten mehr oder weniger ähnlich ablaufen. Es gibt aber
auch interindividuelle Unterschiede, d. h. Differenzen zwischen verschiedenen Konsu-
menten. Im Einstiegsbeispiel haben wir gesehen, dass Lea und Bea nahezu identische
soziodemografische Profile aufweisen. Man bezeichnet Konsumenten mit solchen Überein-
stimmungen auch als soziodemografische Zwillinge (Halfmann 2014; Sinus-Institut 2015).
Dennoch entscheiden sich Lea und Bea für verschiedene Hunderassen.
Marketingverantwortliche sind stark daran interessiert, Unterschiede zwischen
Konsumenten zu kennen und zu verstehen, da sie ihre Angebote auf bestimmte Ziel-
gruppen zuschneiden möchten. Marktsegmentierung bezeichnet die Aufteilung eines
heterogenen Gesamtmarktes in Untergruppen bei der gleichzeitigen Beachtung der fol-
genden beiden Prinzipien (Wedel und Kamakura 2000; Meffert et al. 2018):
• Innerhalb der Untergruppen sollten die Bedürfnisse und Präferenzen der Konsu-
menten relativ homogen sein und
• zwischen den Untergruppen sollten sie sich möglichst stark unterscheiden.
Das Alter und das Geschlecht werden in der Praxis besonders häufig verwendet, um
Märkte zu segmentieren. Das liegt vor allem daran, dass sie die beiden genannten
Anforderungen Messbarkeit und Eignung für den Einsatz der Marketing-Instrumente
erfüllen. Sie lassen sich leicht bestimmen – sogar von außen und ohne Messinstrument –
und Unternehmen können sehr einfach ihre Preise, Produktgestaltung, Werbemaßnahmen
etc. auf die anhand von Alter und Geschlecht definierten Zielgruppen ausrichten. Doch
während bspw. unterschiedliche Bekleidungssortimente für Männer und Frauen sicher-
lich sinnvoll sind, sind Unterschiede in vielen Konsumbereichen gar nicht so groß, wie
stereotypisch angenommen. Die Kaufverhaltensrelevanz der demografischen Variablen
ist häufig gering. Psychografische Segmentierungskriterien können das Konsumentenver-
halten häufig viel besser vorhersagen; sie sind aber schwerer erfassbar. Das Einstiegsbei-
spiel zur Auswahl des Haustiers illustriert dies. Lea und Bea sind beide weiblich, gleich
alt, kommen aus der gleichen Stadt, gingen in die gleiche Schule; aber sie besitzen unter-
schiedliche Hunde, weil sie unterschiedliche Lebensstile pflegen. Bea betrachtet sich als
Teil der „Szene“ der Stadt und sie übernimmt die typischen Konsummuster; Lea legt
dagegen Wert auf Natürlichkeit und einen Bezug zur Natur.
Nichtsdestotrotz kann man empirisch auch relevante Unterschiede zwischen ver-
schiedenen Altersgruppen feststellen. Gerade ältere Konsumenten geraten derzeit immer
mehr ins Blickfeld der Unternehmen. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens verschiebt sich
die Altersverteilung in den Industrienationen aufgrund der steigenden Lebenserwartung
und sinkender Geburtenraten dramatisch. Dieser demografische Wandel führt dazu,
dass der Anteil älterer Konsumenten im Vergleich zu jüngeren immer größer wird und
damit das Marktpotenzial steigt. Zweitens ist die ältere Generation im Berufsleben schon
etablierter und besitzt damit im Durchschnitt eine viel höhere Kaufkraft als Jugendliche
oder junge Erwachsene. Jahrzehntelang waren die 14- bis 49-Jährigen die sog. „werbe-
relevante Zielgruppe“ in den Massenmedien. Agenturen und Marketingmanager planten
ihre Werbemaßnahmen so und gestalteten die Medieninhalte so, dass sich diese Ziel-
gruppe angesprochen fühlte. Man hat zwischenzeitlich erkannt, dass ältere Konsumenten
ein nicht zu unterschätzendes Kaufpotenzial aufweisen, und möchte auch diese gezielt
ansprechen. Doch wie unterscheidet sich diese Gruppe von den Jüngeren?
Zweifellos können wir im Alltag Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Konsu-
menten beobachten. Kleinkinder mögen Prinzessin Lillifee, Teenager bewundern LeFloid
und ältere Konsumenten schätzen Günther Jauch. Liegt das wirklich am Alter? Und wenn
ja, wird der heutige LeFloid-Fan dann in 40 Jahren auch „Wer wird Millionär“ schauen?
Verschiedene Altersgruppen unterscheiden sich auch deutlich hinsichtlich Einkommen,
Lebensstil und ihrer Ansprüche an Produkte und Dienstleistungen. Unser erster Impuls
wird sein, diese Unterschiede über das Alter der Konsumenten zu erklären. Als Konsu-
mentenverhaltensforscher muss man sich aber fragen, ob das Lebensalter tatsächlich die
Ursache eines bestimmten Konsummusters ist. Um diese Frage zu beantworten, sollte
man Alters- und Kohorteneffekte voneinander abgrenzen. Alterseffekte hängen vom
8.2 Soziodemografische Merkmale 129
Lebensalter ab. Bei Kohorteneffekten gibt es dagegen nur scheinbar einen Zusammen-
hang mit dem Lebensalter, wenn man zu einem bestimmten Zeitpunkt mehrere Alters-
gruppen miteinander vergleicht. Die Unterschiede können auf die zu einer bestimmten
Zeit vorherrschende Sozialisation (Abschn. 9.2) zurückzuführen sein und sie verschieben
sich im Laufe der Zeit.
Zunächst zum Alterseffekt, den man mit Theorien des Alterns erklären kann (vgl.
Hoffmann et al. 2012, S. 62). Der biologisch-physiologische Ansatz beschreibt das
alternsbedingte „Nachlassen“ verschiedener körperlicher Funktionen. Folgt man die-
sem „Defizitmodell“, so müsste man bspw. Lupen an Einkaufswagen montieren, Smart-
phones mit größeren Tastaturen konzipieren etc., um Barrieren für ältere Konsumenten
abzubauen. Das Defizitmodell ist allerdings eher für sehr alte Senioren relevant und eig-
net sich weniger, um Konsumenten nach dem 50. Lebensjahr von jüngeren abzugrenzen.
Während das Defizitmodell für alle älteren Konsumenten eine ähnliche Prognose trifft,
sieht man in der Realität jedoch sehr viele Facetten und verschiedene Lebensstile in der
Generation 50plus. Der psychologisch-soziologische Ansatz trägt dem Rechnung, indem
er individuell unterschiedliche Entwicklungen im Alter aufgrund von Interessen, Lebens-
stilen etc. vorsieht. Zudem sollte das subjektive Alter beachtet werden, d. h. die Frage,
wie alt sich der Konsument fühlt. Es ist häufig deutlich niedriger als das tatsächliche
Alter und die Diskrepanz nimmt mit steigendem Alter zu. Außerdem spielt es für das
Kaufverhalten häufig eine größere Rolle als das biologische Alter. Zusammenfassend
kann man feststellen, dass Konsumenten individuell altern und dass die Heterogenität
älterer Konsumenten groß ist. Unternehmen nehmen deshalb auch zunehmend innerhalb
der älteren Konsumenten Segmentierungen vor.
Trotz dieser Heterogenität im Alter wird man selten ältere Konsumenten finden, die
den YouTube-Channel von LeFloid verfolgen. Heißt das nun, dass die jetzigen LeFloid-
Fans sich später auch abwenden werden? Nicht unbedingt. Die Erklärung wird in diesem
Fall ein Kohorteneffekt sein. Auch die häufig getroffene Aussage, dass ältere Menschen
schlechter mit einem Tablet umgehen können, ist vermutlich kein Alterseffekt, son-
dern eine Frage des Geburtsjahrs. Unter einer Alterskohorte versteht man eine Gruppe
von Personen, die im selben Zeitraum geboren wurden. Sie wuchsen damit unter ähn-
lichen allgemeinen Rahmenbedingungen auf (z. B. Nachkriegszeit, neue technische
Entwicklungen, Ölkrise, Finanzkrise). Angehörige einer Alterskohorte bilden ähnliche
Interessen, Einstellungen und Verhaltensmuster aus, die sich von früheren oder späteren
Gruppen unterscheiden. Für das Marketing sind vor allem die Einflüsse der Kohorten-
zugehörigkeit auf das Kaufverhalten interessant. Man unterscheidet momentan insb.
die Kohorten Baby Boomer und die sog. Generationen X, Y und Z, die in Tab. 8.1 kurz
charakterisiert sind (Scholz 2014). Es ist deshalb beim Vergleich verschiedener Alters-
gruppen immer darauf zu achten, ob Unterschiede tatsächlich auf das Alter oder viel-
leicht auch auf die Kohorte zurückzuführen sind.
130
Tab. 8.1 Generationskonzepte. (Auf Basis von Belch und Belch 2011, S. 137; Scholz 2014)
Baby Boomer Gen X Gen Y (Millennials) Gen Z
Geburtsjahr Ab 1950 Ab 1965 Ab 1980 Ab 1995
Grundhaltung Idealismus Skeptizismus Optimismus Realismus
Hauptmerkmal Selbsterfüllung Perspektivenlosigkeit Leistungsbereitschaft „Flatterhaftigkeit“
Einkaufsverhalten Höchste jährliche Ausgaben Hoher subjektiver Zeitdruck, Hohe Wahrscheinlichkeit Noch recht unbekannt und
aller Gruppen, bevorzugen eher geplante Einkäufe für Impulskäufe, Online- schwer vorherzusagen,
lokale Geschäfte Shopping, geben Online- Smartphone, Social Media
Referenzen ab
8 Interindividuelle Unterschiede
8.3 Psychografische Variablen 131
Der soziale Status einer Person leitet sich daraus ab, wie die Position bzw. funktionale
Einordnung der Person in ein soziales System bewertet wird und welche Wertschätzung
sie erfährt (Foscht et al. 2017, S. 152 ff.). So erfährt bspw. die Berufsgruppe der Ärzte
traditionell eine hohe Wertschätzung, während Versicherungsvermittler eher skeptisch
betrachtet werden. Blackwell et al. (2001, S. 347 f.) zufolge bestimmt sich der soziale
Status anhand folgender Kriterien: erstens ökonomische Variablen wie der Beruf, das
Einkommen und das Vermögen; zweitens interaktionale Variablen wie das persönliche
Prestige, die Vernetzung und die Sozialisation und drittens politische Variablen wie
Macht, Klassenbewusstsein und Mobilität. Eine soziale Schicht besteht aus Personen,
die einen ähnlich hohen sozialen Status aufweisen. Für das Marketing ist die soziale
Schicht relevant, da sie eine große Vorhersagekraft für das Kaufverhalten besitzt.
8.3.1 Lebensstile
Der Lebensstil umfasst die Persönlichkeit, Werte und Verhaltensweisen einer Person
und ist assoziiert mit verschiedenen psychologischen Zuständen, Eigenschaften und Dis-
positionen (Holt 1997). Anders als Werte beziehen sich Lebensstile nicht nur auf innere
Zustände, sondern manifestieren sich im beobachtbaren (Konsum-)Verhalten (Hoyer
et al. 2012, S. 401). Ein Lebensstil beinhaltet bspw. auch, was einer Person wichtig ist
und womit sie ihre Zeit verbringt. Lebensstile hängen auch damit zusammen, wie Konsu-
menten das ihnen zur Verfügung stehende Einkommen zwischen verschiedenen Produk-
ten und Dienstleistungen aufteilen und welche Produkte sie innerhalb einer Kategorie
auswählen. Lebensstile sind damit ein relativ breites Konstrukt. Ein weit verbreiteter
Ansatz, sie zu konkretisieren und messbar zu machen (d. h. zu „operationalisieren“), ist
der AIO-Ansatz (Wells und Tigert 1971, S. 27 ff.; Plummer 1974). Das Akronym steht
für die folgenden drei Begriffe:
• Activities (Aktivitäten): z. B. bzgl. Arbeit, Einkaufen, Freizeit, Urlaub, Sport, Mit-
gliedschaften
• Interests (Interessen): z. B. bzgl. Beruf, Familie, Mode, Heim, Ernährung
• Opinions (Meinungen): z. B. bzgl. Wirtschaft, Politik, Soziales, Bildung, Zukunft
132 8 Interindividuelle Unterschiede
Tab. 8.2 Etablierte Lebensstiltypologien
Typologie Organisation Dimensionen Typen
Sinus-Milieus Sinus Institut Soziale Lage Konservativ-Etablierte, Liberal-
Grundorientierung Intellektuelle, Performer, Expeditive,
Sozial-ökologische, Adaptiv-
Pragmatische, Bürgerliche Mitte,
Traditionelle, Hedonisten, Prekäre
Roper GfK Haben vs. Sein Träumer, Abenteurer, Weltoffene,
Consumer Frieden/Sicherheit vs. Häusliche, Realisten, Kritische,
Styles Leidenschaft leben Bodenständige, Anspruchsvolle
Values and SRI Consulting Ressourcen Innovatoren, Denker, Glaubende,
Lifestyle Business Primäre Motivation Erfolgreiche, Nacheifernde,
Survey (VALS) Intelligence Austester, Macher, Überlebende
8.3 Psychografische Variablen 133
8.3.2 Wertorientierungen
Werte beziehen sich gemäß Rokeach (1969) auf allgemeine Lebensziele und Verhaltens-
regeln. Sie verkörpern, was der Einzelne oder eine soziale Gruppe als wünschenswert
erachtet. Werte sind relativ stabil und dauerhaft und sie adressieren – anders als Ein-
stellungen – mehrere Objektbereiche. Wer bspw. dem Wert „gesund leben“ folgt, der
wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit gesund ernähren, nicht rauchen, viel Sport trei-
ben, viel schlafen, häufig zur Vorsorge gehen etc. Allerdings lassen sich globale und
bereichsspezifische Werte unterscheiden (Vinson et al. 1977). Globale Werte sind zen-
tral für die Person. Sie sind zeitlich überdauernd und dienen als Richtlinie für Verhalten
in verschiedenen Kontexten (z. B. Freiheit, Fairness, Selbstverwirklichung). Bereichs-
spezifische Werte beziehen sich nur auf bestimmte Aspekte des Lebens wie das Arbeits-
leben, das Verhalten als Konsument oder als Familienmitglied. Jede Person verfügt über
deutlich mehr bereichsspezifische Werte als globale Werte. Sie sind weniger abstrakt und
haben stärkeren Einfluss auf das Konsumverhalten.
Werte dienen einer Person als Richtlinie dafür, wie sie sich in bestimmten Situatio-
nen verhält, und als Bewertungsmaßstab dafür, wie sie eigene und fremde Verhaltens-
weisen bewertet. Werte besitzen große Bedeutung für das Konsumentenverhalten, denn
Konsumenten sind prinzipiell daran interessiert, Produkte zu kaufen, die ihren Werten
entsprechen. Dadurch kann der eigenen Grundhaltung und Identität Ausdruck verliehen
werden. Lea hätte sich im Einstiegsbeispiel nicht für dieselbe Hunderasse entschieden
wie Bea, da sie über ihren tierischen Gefährten andere Werte ausdrücken möchte als
ihre ehemalige Klassenkameradin. Auch Marken stehen häufig für bestimmte Werte und
können Konsumenten deshalb helfen, sie zu verkörpern. Wer auf Apple-Produkte setzt,
möchte bspw. ausdrücken, welche Bedeutung technologische Überlegenheit, Design und
Status für ihn besitzen.
Die Wertkonzeption von Schwartz (1999, S. 26 ff.) baut auf den Vorarbeiten von
Rokeach (1969, 1986) auf. Sie unterscheidet die folgenden sieben Werte, die sich anhand
von drei Dimensionen anordnen lassen. Die diametral entgegengesetzten Endpunkte tre-
ten nicht gemeinsam auf.
als Zeichen von Erfolg (z. B. Ehrgeiz, Leistung, Kompetenz). Ein herrschaftsorientierter
Konsument wird stärker als ein harmonieorientierter dazu neigen, sich bei einer
Verspätung des Zuges zu beschweren.
• Konservatismus vs. intellektuelle bzw. affektive Autonomie: Konservatismus zeigt
sich darin, dass man am Status quo festhält und Handlungen beschränkt, welche die
traditionelle Ordnung in Gefahr bringen könnten (z. B. soziale Ordnung, Respekt vor
Traditionen, Weisheit). Der Gegenpol lässt sich in zwei Aspekte unterteilen. Der Wert
intellektuelle Autonomie führt dazu, dass man individuelle Ziele und intellektuelle
Interessen verfolgt (z. B. Neugierde, Offenheit, Kreativität). Affektive Autonomie
bezeichnet die Suche nach positiven emotionalen Erlebnissen (z. B. Vergnügen, Erleb-
nisse, Abwechslung). So sucht der konservative Bahnfahrer das saubere Zugabteil,
während sich der intellektuell Autonome auf die potenzielle Bekanntschaft mit einem
noch unbekannten Reisenden freut, der anregende Geschichten zu erzählen weiß.
Neben der Wertekonzeption von Schwartz (1999) unterscheidet man auch zwischen
persönlichen bzw. individuellen Werten und kollektiven Werten, d. h. Werten, die in
einer sozialen Gruppe verbreitet sind. Viele Werte werden sozial erworben und sozial
geteilt. So könnte Leas ausgeprägtes Umweltbewusstsein evtl. darauf zurückzuführen
sein, dass viele ihrer Lehrerinnen und Lehrer diesen Wert hochhielten und auch viele
ihrer Freunde den Schutz der Umwelt befürworten. Häufig werden Werte bereits im
Kindesalter erworben; sie unterscheiden sich auch zwischen Familien, verschiedenen
Altersgruppen und sozialen Schichten. Deshalb stehen Werte im Kern der Betrachtung
von kulturellen Unterschieden (Müller und Gelbrich 2015), wie wir im nächsten
Abschnitt sehen werden. Da sich Werte innerhalb einer sozialen Gruppe ähneln und sich
zwischen verschiedenen Gruppen unterscheiden, dienen sie dem Marketing zur Ziel-
gruppendefinition und als Segmentierungsansatz.
Das breiteste und abstrakteste Konzept, das Einfluss auf das Konsumentenverhalten
nimmt, ist die Kultur. Sie wird häufig auf der Ebene von Nationen betrachtet. Das heißt,
Landesgrenzen werden häufig als sog. Proxy-Variablen (Hilfsvariable) für Kulturen ein-
gesetzt. Allerdings dürfen kulturelle Räume nicht mit nationalen Grenzen gleichgesetzt
werden. Ein Hamburger, der sich unvorbereitet auf einem niederbayerischen Volksfest
wiederfindet, mag dies bestätigen. Kulturelle Räume können sich auf Länder, aber auch
auf Regionen, gesellschaftliche Gruppen (sog. Subkulturen) etc. beziehen. Sie enden
aber nicht zwangsläufig an nationalen Grenzen. Nach Müller und Gelbrich (2015, S. 25)
ist Kultur ein verbindendes Element für größere Gemeinschaften und sie dient gleich-
zeitig der Abgrenzung von anderen Gemeinschaften. Es bilden sich kulturspezifische
Normen, Tabus, Werte und Gewohnheiten aus, die nicht angeboren sind, sondern von
8.3 Psychografische Variablen 135
Individualismus Kollektivismus
Westliche Östliche und
Industriena
onen weniger
Ist der Einzelne stärker … oder ist er in eine entwickelte Länder
für sich selbst Gemeinschaft eingebunden
verantwortlich, … und zu Loyalität verpflichtet?
Maskulinität Femininität
Japan, Skandinavien,
deutschsprachige Niederlande
Länder Unterscheiden sich die … oder
geschlechtsspezifischen unterscheiden sie
Rollenerwartungen stark, … sich kaum?
Genussorientierung Selbstbeherrschung
Nord-/Südamerika, Osteuropa,
Westeuropa, Asien,
teils Subsahara Wird es als wünschens- … oder sollte das muslimische Länder
wert erachtet, dass Bedürfnis nach Kontrolle
Bedürfnisse ungehindert über das eigene Leben
befriedigt werden, … überwiegen?
den Mitgliedern der jeweiligen Kultur erlernt werden. Kultur ist damit ein Orientierungs-
system, das starken Einfluss auf das Verhalten der Kulturangehörigen ausübt.
Verschiedene Kulturen weisen unterschiedliche Wertesysteme auf. Werte lassen sich
also nicht nur individuell verorten, sondern auch auf der Gruppen- oder gesellschaft-
lichen Ebene. Um Kultur messbar zu machen, verwendet man in der Konsumenten-
forschung meist sog. dimensionale Ansätze. Das heißt, man beschreibt nicht einzelne
Kulturen, sondern sucht mehrere voneinander unabhängige Dimensionen, anhand derer
man die kulturelle Ausprägung verschiedener Gruppen systematisch einordnen kann. Die
bekannteste Kulturkonzeption stammt von dem niederländischen Organisationsforscher
Geert Hofstede. Diese Konzeption unterscheidet in der aktuellen Fassung die sechs in
Abb. 8.1 dargestellten Dimensionen (Hofstede et al. 2010). Die wichtigste Dimension
mit der höchsten Trennschärfe und Erklärungskraft ist die Dimension Individualismus/
Kollektivismus. Insbesondere angelsächsische Länder gelten gemeinhin als stark indivi-
dualistisch, während asiatische Länder eher dafür bekannt sind, kollektivistisch orientiert
zu sein; d. h., der Einzelne richtet sein Verhalten an der für ihn relevanten Gruppe (z. B.
der Familie) aus und ordnet persönliche Ziele unter. Neben dem Ansatz von Hofstede
beschreibt das GLOBE-Projekt (House et al. 2004), bei dem mehr als 170 Forscher bei
der weltweiten Datenerhebung mitwirkten, neun kulturelle Dimensionen, die jeweils
als vorherrschende Praxis („as it is“), aber auch als Werte („as it should be“) verstanden
werden können.
8.4 Lernhilfe
Quintessenz
Zwischen Konsumenten bestehen große interindividuelle Unterschiede. Diese
Heterogenität spiegelt sich in Konsumpräferenzen und Marktreaktionen wider. Die
Marktsegmentierung zielt darauf ab, Cluster zu bilden, die intern homogen und
untereinander relativ heterogen sind. Soziodemografische Segmentierungskriterien
besitzen meist geringe Verhaltensrelevanz. Höhere Prognosekraft besitzen psycho-
grafische Kriterien wie Werte oder Lebensstile. Auch zwischen Angehörigen ver-
schiedener Kulturräume zeigen sich große Unterschiede im Konsumverhalten.
8.4 Lernhilfe 137
O Sinus-Milieus
O Generation X, Y, Z
O Hofstede-Ansatz
O Roper Consumer Styles
O VALS
O GLOBE-Projekt
Vernetzende Fragestellung
Lea und Ben beobachten, dass es immer mehr verschiedene Kaffeevariationen gibt
und dass die Kaffeetrinker in ihrem Bekanntenkreis ganz bestimmte Arten bevor-
zugen. Einige pragmatische Bekannte trinken hauptsächlich Instant-Kaffee, während
manche Kaffeeliebhaber auf Espresso schwören. Wieder andere bestellen immer Latte
macchiato und bestimmte Personen brühen sich immer noch oder wieder Filterkaffee
auf. Die Liste ist bei Weitem noch nicht vollständig. Sicherlich kennen Sie diese
verschiedenen Kaffeetrinker-Typen auch aus Ihrem Bekanntenkreis. Fertigen Sie
eine Liste an. Überlegen Sie dann, welche Eigenschaften die verschiedenen Kaffee-
trinker-Typen auszeichnen. Lassen sich die verschiedenen Typen evtl. den Clustern
einer Lebensstiltypologie zuordnen? Überlegen Sie, welche Werte und Motive die
verschiedenen Typen wohl haben. Wenden Sie beim nächsten Mal, wenn Sie Ihre
Bekannten treffen, vorsichtig die in Abschn. 3.5 beschriebene Laddering-Technik an,
um herauszufinden, welche Motive und Werte tatsächlich hinter der Kaffeewahl ste-
hen. Überlegen Sie, wie ein Kaffeeröster dieses Wissen nutzen könnte, um seine Pro-
dukte zielgruppenspezifisch zu vermarkten.
138 8 Interindividuelle Unterschiede
Weiterführende Literatur
Literatur
Belch, G., & Belch, M. (2011). Advertising and promotion (9. Aufl.). New York: McGraw-Hill.
Blackwell, R. D., Miniard, P. W., & Engel, J. F. (2001). Consumer behavior (9. Aufl.). Orlando:
Harcourt.
Foscht, T., Swoboda, B., & Schramm-Klein, H. (2017). Käuferverhalten. Grundlagen – Perspekti-
ven – Anwendungen (6. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler.
Freter, H. (1983). Marktsegmentierung. Stuttgart: Kohlhammer.
Halfmann, M. (2014). Der Konsument von morgen – Vom Homo oeconomicus zum Homo mysti-
cus. In M. Halfmann (Hrsg.), Zielgruppen im Konsumentenmarketing: Segmentierungsansätze –
Trends – Umsetzung (S. 1–15). Wiesbaden: Springer Gabler.
Hoffmann, S., Liebermann, S., & Schwarz, U. (2012). Ads for mature consumers: The importance
of addressing the changing self-view between the age groups 50+ and 60+. Journal of Promo-
tion Management, 18(1), 60–82.
Hoffmann, S., Franck, A., Schwarz, U., Soyez, K., & Wünschmann, S. (2018). Marketing-
Forschung. Grundlagen der Datenerhebung und Datenauswertung. München: Vahlen.
Hofstede, G., Hofstede, G. J., & Minkov, M. (2010). Cultures and organizations – software of the
mind: Intercultural cooperation and its importance for survival (3. Aufl.). London: McGraw-
Hill.
Holt, D. B. (1997). Poststructuralist lifestyle analysis: Conceptualizing the social patterning of
consumption in postmodernity. Journal of Consumer Research, 23(4), 326–350.
House, R. J., Hanges, P. J., Javidan, M., Dorfman, P. W., & Gupta, V. (2004). Culture, leadership,
and organizations: The GLOBE study of 62 societies. Thousand Oaks: Sage.
Hoyer, W. D., MacInnis, D. J., & Pieters, R. (2012). Consumer behavior, (6. Aufl.). Boston:
Cengage Learning Emea.
Hradil, S. (2010). Soziale Ungleichheit, soziale Schichtung und Mobilität. In H. Korte & B. Schäfers
(Hrsg.), Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie (8. Aufl., S. 211–234). Wiesbaden: VS Verlag.
Kahle, L. R., Beatty, S. E., & Homer, P. (1986). Alternative measurement approaches to consu-
mer values: The list of values (LOV) and values and life styles (VALS). Journal of Consumer
Research, 13(3), 405–409.
Lastovicka, J. L. (1982). On the validation of lifestyle traits: A review and illustration. Journal of
Marketing Research, 19(1), 126–138.
Meffert, H., Burmann, C., Kirchgeorg, M., Eisenbeiß, M. (2018). Marketing. Grundlagen markt-
orientierter Unternehmensführung. Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele (13. Aufl.).
Wiesbaden: Springer Gabler.
Müller, S., & Gelbrich, K. (2015). Interkulturelles Marketing (2. Aufl.). München: Vahlen.
Plummer, J. T. (1974). The concept and application of life style segmentation. Journal of Marke-
ting, 38(1), 33–37.
Literatur 139
Rokeach, M. (1969). The role of values in public opinion research. Public Opinion Quarterly,
32(4), 547–559.
Rokeach, M. (1986). Beliefs, attitudes and values: A theory of organization and change. San Francisco:
Jossey-Bass.
Scholz, C. (2014). Generation Z. Wie sie tickt, was sie verändert und warum sie uns alle ansteckt.
Weinheim: Wiley.
Schwartz, S. H. (1999). A theory of cultural values and some implications for work. Applied
Psychology, 48(1), 23–47.
Sinus-Institut. (2015). Informationen zu den Sinus-Milieus(R). http://www.sinus-institut.de/fileadmin/
user_data/sinus-institut/Downloadcenter/Informationen_zu_den_Sinus-Milieus.pdf. Zugegriffen:
12. März 2016.
Vinson, D. E., Scott, J. E., & Lamont, L. M. (1977). The role of personal values in marketing and
consumer behavior. Journal of Marketing, 41(2), 44–50.
Wedel, M., & Kamakura, W. A. (2000). Market segmentation. Conceptual and methodological
foundations (2. Aufl.). Heidelberg: Springer.
Wells, W. D., & Tigert, D. J. (1971). Activities, interests and opinions. Journal of Advertising
Research, 11, 27–35.
Soziale Umwelt
9
u Lea will nicht mit ins neue Burgerrestaurant „Lea, nun komm doch mit!“,
Ben ist verzweifelt. Sein Schulfreund Jan ist zu Besuch in der Stadt und sie
wollen wie in alten Zeiten einen Burger essen, bevor sie ausgehen. Da kommt
das neue Restaurant um die Ecke gerade recht. Allerdings weigert sich Lea
mitzukommen. „Was, wenn mich dort jemand sieht? Ich bin seit zwei Mona-
ten Veganerin und da kann ich mich doch nicht in einem Burgerrestaurant
blicken lassen.“ „Komm doch mir zuliebe mit“, bittet Ben. „Übrigens, Vanessa,
die ja immer alle neuen Läden zuerst kennt, hat mir erzählt, dass es dort ganz
hervorragende vegane Burger gibt. Sie weiß, was hip ist, und wenn sie das
Burgerrestaurant empfiehlt, dann kannst du dort auf jeden Fall aufschlagen.“
Wie wird sich Lea entscheiden? Zweifellos trifft man Konsument-
scheidungen selten alleine. Sehr oft erfolgt eine Absprache mit dem sozialen
Umfeld oder man nimmt zumindest gedanklich die Reaktionen des sozia-
len Umfelds vorweg. Doch unter welchen Umständen ist das soziale Umfeld
besonders relevant und nach wem richten sich Konsumenten?
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 141
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_9
142 9 Soziale Umwelt
Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, …
… indem Sie die soziale Umwelt durch folgende Theorien und Modelle
betrachten:
Die Meinungen und das Verhalten von Freunden und Bekannten, von Nachbarn und
Arbeitskollegen, aber auch von Feinden und Neidern beeinflussen in starkem Maße die
Entscheidungen und das Verhalten von Konsumenten. Dass Konsumenten soziale Wesen
sind, wird auch daran deutlich, dass viele häufig gemeinsam shoppen, sich von anderen
beraten lassen oder sich von deren Konsumerfahrungen inspirieren lassen. Wie kommt
es, dass man einen gemeinsamen Kinoabend anders wahrnimmt, als wenn man alleine
im Kino gewesen wäre (Raghunathan und Corfman 2006) und warum ähneln sich der
Kleidungsstil, die Frisuren etc. innerhalb eines Freundeskreises (Reingen et al. 1984)?
Zur Beantwortung dieser Fragen müssen wir uns zunächst mit dem Konstrukt der
Bezugsgruppen beschäftigen (Abschn. 9.1). Anschließend betrachten wir, wie Menschen
in die Rolle des Konsumenten hineinwachsen und nach und nach die in ihrer relevan-
ten Gruppe üblichen Konsummuster übernehmen (Abschn. 9.2) sowie wie das soziale
Umfeld die Einhaltung dieser Muster kontrolliert (Abschn. 9.3). Daraufhin werden wir
uns ansehen, wie einzelne Personen, die sog. Meinungsführer, besonders starken Einfluss
auf die Konsummuster anderer ausüben (Abschn. 9.4). Schließlich betrachten wir Kon-
flikte in Situationen, bei denen es darauf ankommt, dass Konsumenten ihr Konsumver-
halten aufeinander abstimmen (Abschn. 9.5).
9.1 Bezugsgruppen 143
9.1 Bezugsgruppen
Bezugsgruppen sind Gruppen (oder manchmal auch nur einzelne Personen), die Einfluss
darauf nehmen, wie Konsumenten ihre Umwelt wahrnehmen, welche Einstellungen und
welches Wissen sie ausbilden und vor allem welches Verhalten sie ausüben (Bearden und
Etzel 1982, S. 184). Es lassen sich drei Typen von Bezugsgruppen unterscheiden (Hoyer
et al. 2012, S. 305):
Bezugsgruppen lassen sich ferner nach den folgenden Kriterien unterscheiden (Hoyer
et al. 2012, S. 306 ff.; Solomon et al. 2013, S. 395 ff.):
Plattformen wie Facebook, Twitter, Pinterest, XING etc. nimmt der Einfluss von Per-
sonen, zu denen man keinen direkten Kontakt hat, auf das Konsumverhalten immer
mehr zu.
Weitere Kriterien zur Klassifizierung von Bezugsgruppen sind die Ähnlichkeit der
Gruppenmitglieder, die Attraktivität der Gruppe, die Stärke der Identifikation der Mit-
glieder mit der Gruppe und die Intensität der Verbindungen untereinander (Hoyer et al.
2012, S. 306 ff.).
Bezugsgruppen können direkten Einfluss auf das Konsumverhalten nehmen; bspw. wenn
Kinder mitbestimmen möchten, welchen Urlaub die Eltern buchen. Bezugsgruppen kön-
nen aber auch Normen und Erwartungen etablieren, die das Konsumverhalten indirekt
beeinflussen. Bearden und Etzel (1982, S. 184) identifizieren drei Arten des Bezugs-
gruppeneinflusses:
einer persönlichen Identität über eine soziale Identität verfügen, welche sich wie-
derum aus der Zugehörigkeit zu einer Gruppe („ingroup“) und der Abgrenzung von
anderen Gruppen („outgroup“) ergibt.
Gruppeneinflüsse können nicht nur normativ, sondern auch komparativ wirken (vgl.
Kelley 1968). Von normativem Einfluss sprechen wir, wenn sich der Konsument an
soziale Normen hält, um nicht negativ aufzufallen oder gar sozial sanktioniert zu wer-
den. Bei einem komparativen Einfluss findet dagegen ein Vergleich mit anderen statt.
Die Bedeutung von Vergleichen liegt insb. auch darin, dass jeder sich selbst gerne ein-
schätzen möchte und dass insb. bei sozialen Aspekten oft keine objektiven Norm-
werte existieren. Anders ausgedrückt: Warum ist jemand über sein ein Jahr altes und
voll funktionsfähiges Smartphone unglücklich, wenn er sieht, dass sich sein WG-Mit-
bewohner das iPhone der neuesten Generation leisten konnte? Offensichtlich ist häufig
nicht der absolute Besitz, das absolute Können oder das absolute Wissen relevant, son-
dern vielmehr die Relation zu anderen („Bin ich besser als der andere?“).
Festinger (1954) postuliert in seiner Theorie des sozialen Vergleichs, dass Men-
schen den Vergleich mit anderen suchen, um Informationen über sich selbst zu erlangen.
Alltagsgüter Luxusgüter
Öffentlicher
Konsum stark z.B. Armbanduhr z.B. SmartWatch
Einfluss
auf die
Markenwahl z.B. antike
Privater schwach z.B. Küchenuhr
Konsum Standuhr
• Um ein realistisches Bild von sich selbst zu erhalten, vergleicht man sich mit Perso-
nen, die einem ähneln oder gleichgestellt sind (horizontaler Vergleich). Dies sind häu-
fig die sog. „Peers“, d. h. die Gleichaltrigen.
• Möchte man sein eigenes Selbst schützen, führt man einen abwärtsgerichteten Ver-
gleich durch. Das heißt, man vergleicht sich mit sozial Schwächeren, weniger
Gebildeten, weniger Sportlichen etc. Dies führt zum sog. Self-Enhancement, d. h.
dem Versuch, den eigenen Selbstwert zu steigern.
• Möchte man dagegen erfahren, welche Selbstoptimierung möglich ist, führt man
einen aufwärtsgerichteten Vergleich durch. So vergleicht sich Lea im Einstiegsbei-
spiel mit der Gruppe der von ihr bewunderten urbanen Veganerinnen. Sie ist bestrebt,
sich so zu verhalten wie diese.
9.2 Konsumentensozialisation
Soziale Normen sind implizite oder explizite Regeln, die beinhalten, welche
Erwartungen das soziale Umfeld an das eigene Verhalten in bestimmten Situationen hat
(Gerrig 2014, S. 655). Ein Beispiel einer solchen Regel ist die regional übliche Höhe
des zu entrichtenden Trinkgelds in Restaurants. Soziale Normen haben verpflichtenden
Charakter für das Verhalten der Person. Sie koordinieren damit unser Zusammenleben.
Aus individueller Sicht sind Normen insofern positiv, als sie uns einen Rahmen vor-
geben, wie man sich zu verhalten hat (z. B. beim Kennenlernen einer neuen Person) und
sie damit Unsicherheit reduzieren. Sie haben aber auch die negative Eigenschaft, dass
sie vorschreibend sind und damit die Freiheit einschränken. Denn: Das soziale Umfeld
erwartet und kontrolliert die Einhaltung von Normen. Wer sie bricht, wird sozial bestraft
(z. B. indem man ausgegrenzt oder lächerlich gemacht wird).
negative Auswirkung auf das Konsumentenurteil. Die Forscher führten ein Feld-
experiment (Abschn. 2.4.4) durch, bei dem sie ihre Probanden in der Mensa einer
Universität beobachteten. Dabei war für einen Teil der Probanden der Beobachter klar
erkennbar. Sie befanden sich also in einer sozialen Situation, in der sie vermutlich
ihr Verhalten an sozialen Normen ausrichteten. Für einen anderen Teil der Probanden
war der Beobachter nicht sichtbar. Es gab folglich keinen äußeren Zwang, soziale
Normen zu beachten. Die Untersuchung belegt, dass die Probanden eine als nach-
haltig gekennzeichnete Flüssighandseife nur dann nutzten, wenn eine weitere Person
anwesend war, die sie beobachtete. War keine andere Person anwesend, griffen sie
zur konventionellen Variante. Das nachhaltige Verhalten wurde also nur gezeigt, wenn
soziale Normen relevant waren.
Die Neigung zur Konformität zeigt sich auch bei Konsumentscheidungen. Es liegen aber
auch zahlreiche Studien vor, die belegen, dass sich Konsumenten oft bewusst anders als
ihr soziales Umfeld verhalten, um sich abzugrenzen und zu zeigen, wie einzigartig oder
besonders sie wahrgenommen werden wollen. Interessant ist der Fall, wenn sich der
Wunsch nach Einzigartigkeit (Need for Uniqueness; Tian et al. 2001) und das Bedürfnis,
sich konform zu verhalten, diametral entgegenstehen.
9.4 Word-of-Mouth und Meinungsführer 149
Ob eine Kommunikation erfolgreich verläuft oder nicht, hängt insb. davon ab, für wie
glaubwürdig der Empfänger den Sender erachtet (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013,
S. 590 ff.). Zwei Kriterien beeinflussen die Glaubwürdigkeit besonders: ob der Kommu-
nikator als Experte gilt und ob er als vertrauenswürdig beurteilt wird. Für Letzteres ist
eine wahrgenommene Ähnlichkeit zwischen Kommunikator und Empfänger förderlich.
150 9 Soziale Umwelt
Zweitens muss für den Konsumenten ein gewisses Interesse bestehen, die Botschaft
weiterzuleiten. Dies gelingt durch ungewöhnliche, aktivierende, lustige, erotische oder
auch abschreckende Inhalte.
Wie wir im letzten Kapitel (Kap. 12) noch diskutieren werden, wird heutzutage
zunehmend kritisiert, dass Verbraucher durch ihr Konsumverhalten Einfluss auf öko-
logische und soziale Aspekte nehmen. Deshalb wird gefordert, dass sie bewusster kon-
sumieren sollten. Man spricht hierbei auch von Konsumentenverantwortung (Consumer
Social Responsibility; Devinney et al. 2006) in Anlehnung an die CSR (d. h. die Corpo-
rate Social Responsibility) aufseiten der Unternehmen. Verantwortlicher Konsum kann
sich darin äußern, dass Konsumenten durch ihr Kaufverhalten eine gute Sache unter-
stützen (z. B. Wechsel zu Ökostrom), oder auch dadurch, dass sie bewusst auf bestimmte
Produkte verzichten (z. B. Boykott von Smartphones, die mithilfe von Kinderarbeit her-
gestellt wurden).
In vielen Fällen kann jedoch ein einzelner Konsument relativ wenig bewirken
und es kommt vielmehr darauf an, dass viele Konsumenten das entsprechende Ver-
halten zeigen. Um den Klimawandel abzuschwächen, ist es nötig, dass die Mehrheit
der Konsumenten ihr Verhalten ändert. Auch wenn es darum geht, bspw. in Form von
Konsumentenboykotten (Abschn. 12.5) Einfluss auf Unternehmensentscheidungen zu
nehmen, müssen die Handlungen mehrerer Konsumenten aufeinander abgestimmt sein
(Hoffmann 2008). Diese Notwendigkeit des kollektiv gleichgerichteten Konsums schafft
interessante Bezugsgruppen-Phänomene. Ob der Einzelne sich bspw. einem Boykott
anschließt oder nicht, ist ein typisches Problem des kollektiven Handelns (Sen et al.
2001) und es entsteht häufig ein sog. soziales Dilemma. Darunter versteht man eine
Entscheidungssituation, in der die individuellen Interessen im Widerspruch zu den Inte-
ressen eines größeren Kollektivs stehen. Zum Beispiel könnte der Einzelne es weiter-
hin bevorzugen, bei einem großen Online-Händler zu bestellen, da die Auswahl groß ist
und die Lieferzeiten kurz sind. Aus kollektiver Sicht könnte es aber erwünscht sein, dass
man dieses Unternehmen boykottiert, um es dazu zu bewegen, höhere Sozialstandards
einzuführen. Der Einzelne müsste also ein subjektives Opfer bringen, damit das Kollek-
tiv sein Ziel erreichen kann. Folglich muss er zwischen der Maximierung seines indi-
viduellen Nutzens und einem Beitrag zum Gemeinwohl abwägen (vgl. Dawes 1980).
Lange et al. (1992)nennen drei Bedingungen, die dazu führen, dass eine Person in ein
soziales Dilemma gerät: Nicht-kooperatives Verhalten (d. h. als Konsument z. B. die
Verweigerung der Boykottunterstützung)
Es werden insb. drei Effekte unterschieden, die erklären, wie sich Konsumenten in der-
artigen Situationen verhalten (Hoffmann 2008, S. 82).
• Soziales Faulenzen: Die Motivation des Einzelnen, einen Beitrag zu leisten, nimmt
mit zunehmender Gruppengröße ab, weil andere Gruppenmitglieder dann das Ver-
halten kaum mehr beobachten und bewerten können (z. B. Arnscheid et al. 1997).
Dieser Effekt wird sogar noch dadurch intensiviert, dass der Einzelne annimmt, dass
sein Beitrag bei großen Gruppen weniger bedeutsam ist, d. h., der Grenznutzen des
individuellen Beitrags sinkt. Dies bezeichnet man auch als Small-Agent-Problem
(John und Klein 2003).
• Trittbrettfahren: Je größer die Gruppe wird, desto größer ist auch der Anreiz, von
den Beiträgen der anderen Gruppenmitglieder zu profitieren (z. B. Kerr und Bruun
1983; Arnscheid et al. 1997). Dieser Effekt ist zwar ähnlich wie das soziale Faulen-
zen. Der Unterschied besteht aber darin, dass der Einzelne zum sozialen Faulenzen
neigt, wenn er annimmt, dass seine Verweigerung nicht aufgedeckt wird. Wer Tritt-
brett fährt, geht dagegen davon aus, dass sich bereits genügend andere Personen
beteiligen und dass demzufolge der eigene Beitrag nicht mehr entscheidend dafür ist,
ob das Kollektiv seine Ziele erreicht oder nicht.
• Gimpeleffekt: Es kann auch sein, dass der Einzelne nicht bereit ist, das Ziel des Kol-
lektivs zu unterstützen, nachdem er in Erfahrung gebracht hat, dass andere Gruppen-
mitglieder Trittbrett fahren. Er möchte sich nicht ausnutzen lassen und nicht als
„Gimpel“ gelten.
9.6 Lernhilfe
Quintessenz
Da Menschen soziale Wesen sind, wird das Verhalten jedes Konsumenten stark
durch sein soziales Umfeld mitbestimmt. Im Verlauf der Konsumentensozialisation
erlernen Menschen die in ihrer Gesellschaft vorherrschenden Konsummuster. Bezugs-
gruppen üben informatorischen, utilitaristischen und wertexpressiven Einfluss aus.
Soziale Vergleiche bieten dem Einzelnen die Möglichkeit, sich trotz fehlender
objektiver Normwerte einzuschätzen. Soziale Normen sind implizite oder explizite
Regeln darüber, was von einem in bestimmten Situationen erwartet wird. Konformi-
tät führt dazu, dass man seine Entscheidungen in Gruppensituationen an die anderer
anpasst. Meinungsführer sind Personen, die einen besonders starken Einfluss auf die
Konsumentscheidungen anderer ausüben. Unter sozialen Dilemmata versteht man
Entscheidungssituationen, in denen die individuellen Ziele mit den Interessen eines
größeren Kollektivs im Widerspruch stehen.
9.6 Lernhilfe 153
Vernetzende Fragestellung
Rekapitulieren wir nochmals das Einstiegsbeispiel. Ben möchte ins Burger-Res-
taurant, weil sein Schulfreund in der Stadt ist. Er möchte seine Freundin Lea über-
reden mitzukommen. Lea weigert sich, weil ihre Freundinnen schlecht über sie
reden würden, wenn sie als Veganerin ein Burger-Restaurant besuchen würde. Die
Ansichten von Vanessa scheinen Lea umzustimmen. Eine komplexe, aber uns allen
doch sehr vertraute und alltägliche soziale Gemengelage. Entschlüsseln Sie all die
ablaufenden sozialen Prozesse in diesem Beispiel, indem Sie die in diesem Kapitel
angesprochenen Konzepte anwenden.
154 9 Soziale Umwelt
Weiterführende Literatur
Bearden, W. O., & Etzel, M. J. (1982). Reference group influence on product and brand purchase
decision. Journal of Consumer Research, 9(2), 183–194.
Rogers, E. M. (2003). Diffusion of innovations (5. Aufl.). New York: Free Press.
Sen, S., Gurhan-Canli, Z., & Morwitz, V. (2001). Withholding consumption: A social dilemma per-
spective on consumer boycotts. Journal of Consumer Research, 28(3), 399–417.
Literatur
Ariely, D., & Levav, J. (2000). Sequential choice in group settings. Taking the road less traveled
and less enjoyed. Journal of Consumer Research, 27(3), 279–290.
Arnscheid, R., Diehl, M., & Stroebe, W. (1997). Motivationsverluste in Gruppen: Ein empirischer
Test einer theoretischen Integration. Zeitschrift für Sozialpsychologie, 28(4), 251–264.
Asch, S. E. (1955). Opinions and social pressure. Scientific American, 193(5), 31–35.
Bearden, W. O., & Etzel, M. J. (1982). Reference group influence on product and brand purchase
decision. Journal of Consumer Research, 9(2), 183–194.
Childers, T. (1986). Assessment of the psychometric properties of an opinion leadership scale.
Journal of Marketing Research, 23(2), 184–187.
Colliander, J., & Dahlen, M. (2011). Following the fashionable friend: The power of social media.
Weighing publicity effectiveness of blogs versus online magazines. Journal of Advertising
Research, 51(1), 313–320.
Dahrendorf, R. (1967). Homo Sociologicus: ein Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der
Kategorie der sozialen Rolle. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Dawes, R. M. (1980). Social dilemmas. Annual Review of Psychology, 31(1), 169–193.
Devinney, T. M., Auger, P., & Eckhardt, G. M. (2006). The other CSR: Consumer social responsi-
bility. Stanford Social Innovation Review, 4(3), 30–37.
Duhan, D., Johnson, S., Wilcox, J., & Harrell, G. (1997). Influences on consumer use of word-
of-mouth recommendation sources. Journal of the Academy of Marketing Science, 25(4), 283–
295.
Festinger, L. (1954). A theory of social comparison processes. Human Relations, 7(2), 117–140.
Flynn, L. R., Goldsmith, R. E., & Eastman, J. K. (1996). Opinion leaders and opinion seekers. Two
new measurement scales. Journal of the Academy of Marketing Science, 24(2), 137–147.
Gerrig, R. J. (2014). Psychologie (20. Aufl.). Hallbergmoos: Pearson.
Henecka, H. P. (2015). Grundkurs Soziologie. Konstanz: UTB.
Herr, P. M., Kardes, F. R., & Kim, J. (1991). Effects of word-of-mouth and product-attribute
information on persuasion: An accessibility-diagnosticity perspective. Journal of Consumer
Research, 17(4), 454–462.
Hoffmann, S. (2008). Boykottpartizipation. Wiesbaden: Gabler.
Hoffmann, S., & Soyez, K. (2010). A cognitive model to predict domain-specific consumer inno-
vativeness. Journal of Business Research, 63(7), 778–785.
Hoyer, W. D., MacInnis, D. J., & Pieters, R. (2012). Consumer behavior (6. Aufl.). Boston:
Cengage Learning Emea.
Hutter, K., & Hoffmann, S. (2014). Professionelles Guerilla-Marketing. Wiesbaden: Springer
Gabler.
John, A., & Klein, J. (2003). The boycott puzzle: Consumer motivations for purchase sacrifice.
Management Science, 49(9), 1196–1209.
Literatur 155
Kelley, H. (1968). Two functions of reference groups. In H. Hyman & E. Singer (Hrsg.), Readings
in reference group theory and research (S. 410–415). New York: Free Press.
Kerr, N. L., & Bruun, S. E. (1983). Dispensability of member effort and group motivation losses:
Free-rider effects. Journal of Personality and Social Psychology, 44(1), 78–94.
Kozinets, R. V., Valck, K. de, Wojnicki, A. C., & Wilner, S. J. S. (2010). Networked narratives:
Understanding word-of-mouth marketing in online-communities. Journal of Marketing, 74(2),
71–89.
Kroeber-Riel, W., & Gröppel-Klein, A. (2013). Konsumentenverhalten (10. Aufl.). München:
Vahlen.
Lange, P. A. M. van, Liebrand, W. B. G., Messick, D. M., & Wilke, H. A. M. (1992). Social
dilemmas: The state of the art. In W. B. G. Liebrand, D. M. Messick, & H. A. M. Wilke (Hrsg.),
A social psychological approach to social dilemmas (S. 2–28). New York: Pergamon.
Luchs, M. G., Naylor, R. W., Irwin, J. R., & Raghunathan, R. (2010). The sustainability liability:
Potential negative effects of ethicality on product preference. Journal of Marketing, 74(5),
18–31.
Raghunathan, R., & Corfman, K. (2006). Is happiness shared doubled and sadness shared halved?
Social influence on enjoyment of hedonic experiences. Journal of Marketing Research, 43(3),
386–394.
Reingen, P., Foster, B., Brown, J., & Seidman, S. B. (1984). Brand congruence in interpersonal
relations. Journal of Consumer Research, 11(3), 771–783.
Rogers, E. M. (2003). Diffusion of innovations (5. Aufl.). New York: Free Press.
Sen, S., Gurhan-Canli, Z., & Morwitz, V. (2001). Withholding consumption: A social dilemma
perspective on consumer boycotts. Journal of Consumer Research, 28(3), 399–417.
Solomon, M. R., Bamossy, G. J., Askegaard, S. T., & Hogg, M. K. (2013). Consumer behaviour. A
european perspective (5. Aufl.). London: Pearson.
Tajfel, H., & Turner, J. C. (1986). The social identity theory of intergroup behaviour. In S. Worchel
& W. Austin (Hrsg.), Psychology of intergroup behaviour (S. 7–24). Chicago: Nelson.
Tian, K. T., Bearden, W. O., & Hunter, G. L. (2001). Consumers’ need for uniqueness: Scale
development and validation. Journal of Consumer Research, 28(1), 50–66.
Wooten, D. B. (2006). From labelling possession to possession of labels: Ridicule and socializa-
tion among adolescents. Journal of Consumer Research, 33(2), 188–198.
Physische Umwelt
10
u Da passt noch was in den Einkaufswagen Ein Blick auf das Smartphone und
Bens Laune trübt sich: „Kannst du bitte noch schnell einkaufen gehen? Hab es
vorhin nicht mehr geschafft. LG Lea“. Widerwillig, aber vom Hunger getrieben,
betritt Ben den Supermarkt. „Wo stand noch gleich der Aufschnitt?“ Einen
Verkäufer findet Ben zwar nicht, dafür aber einen Stand mit einer Produktver-
kostung. „Auch nicht schlecht“, denkt sich Ben, bedient sich an den kleinen
Snacks und führt seinen Einkauf fort. Zu Hause angekommen schaut Lea ver-
wundert auf die Tüten. „Danke, aber du hättest doch nicht direkt den ganzen
Wocheneinkauf machen müssen.“ Auch Ben ist überrascht, dass der Einkauf
größer ausgefallen ist als ursprünglich vorgesehen.
Häufig kaufen Konsumenten im Supermarkt mehr ein als ursprünglich
geplant. Dies ist kein Zufall, sondern der Gestaltung des Supermarkts und
damit einem Teil der physischen Umwelt geschuldet. Aber wodurch zeichnet
sich die physische Umwelt des Konsumenten aus und wie beeinflusst sie sein
Verhalten?
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 157
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_10
158 10 Physische Umwelt
Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, …
… indem Sie die physische Umwelt des Konsumenten durch folgendes Modell
betrachten: umweltpsychologisches Verhaltensmodell
Das Verhalten von Konsumenten hängt von vielfältigen psychischen Prozessen ab, denen
wir in diesem Buch je ein Kapitel widmeten. Sie alle (Emotionen, Motivation, Ein-
stellungen etc.) stehen in wechselseitigen Beziehungen zueinander, auch wenn wir sie
aus Gründen der Komplexitätsreduktion – ganz im Sinne der Partialmodelle – isoliert
betrachten. Gemäß dem Totalmodell von Blackwell et al. (2001; Abschn. 1.3.1.1) beein-
flusst auch die Umwelt das Verhalten des Konsumenten. Man kann drei Umwelten unter-
scheiden: Neben der medialen Umwelt (Kap. 11) und der sozialen Umwelt (Kap. 9) ist
die physische Umwelt besonders relevant für das Konsumentenverhalten.
Die physische Umwelt ist definiert als Ausschnitt aus der materiellen Welt, der für
das Individuum Bedeutung besitzt (Hellbrück und Kals 2012). Dies können etwa Land-
schaften, Gebäude, Räume oder Einrichtungsgegenstände sein. Die physische Umwelt
bezieht auch immer die Beschaffenheit der materiellen Welt mit ein. So wirkt eine
Landschaft (physische Umwelt) je nach Klima, Wetter oder Jahreszeit (Beschaffenheit)
unterschiedlich auf das Individuum. Auch im Shoppingcenter (physische Umwelt) fühlen
sich Konsumenten mal mehr, mal weniger wohl, je nach Temperatur und Lichtverhält-
nissen (Beschaffenheit).
Dabei stehen die physische Umwelt und das Konsumentenverhalten in einer wechsel-
seitigen Beziehung zueinander (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013). Wenn man
in der Konsumentenverhaltensforschung von einer wechselseitigen Beziehung zwi-
schen zwei Variablen spricht, bedeutet dies, dass jede der beiden Variablen sowohl
10.2 Das umweltpsychologische Verhaltensmodell 159
die unabhängige Variable (UV) als auch die abhängige Variable (AV) sein kann
(Abschn. 1.3.2). Die physische Umwelt beeinflusst den Menschen in seiner Rolle als
Konsument beim Erwerb, dem Ge- bzw. Verbrauch und der Entsorgung von Gütern und
Dienstleistungen. So hatte der Verkostungsstand am Verkaufsort (man spricht auch vom
Point of Sale bzw. PoS) einen starken Einfluss auf Bens Einkaufverhalten. Gleichzeitig
wirkt sich das Verhalten des Konsumenten auf die physische Umwelt aus. Dies zeigt sich
bspw. in dem Trend, dass mehr und mehr umweltbewusste Konsumenten, zu denen auch
Lea zählt, beim Erwerb (z. B. Verzicht auf Plastiktüten), beim Gebrauch (z. B. Ände-
rung des Fahrstils im privaten Pkw) und bei der Entsorgung (z. B. Recycling) auf Aus-
wirkungen ihres Konsumverhaltens auf die natürliche Umwelt achten (Abschn. 12.4).
Tab. 10.1 gibt einen beispielhaften Überblick zu typischen Fragen, die sich aus dieser
wechselseitigen Beziehung ergeben.
In diesem Kapitel widmen wir uns den in der Praxis wichtigsten Einflüssen der phy-
sischen Umwelt auf das Konsumentenverhalten. Hierzu zählt u. a. die Gestaltung des
Kaufkanals oder die Verpackung von Produkten. Zuvor betrachten wir das umwelt-
psychologische Verhaltensmodell nach Mehrabian und Russell (1974), das die theoreti-
sche Grundlage bildet.
Intervenierende
Stimulus
Variable
Reaktion
Emotionale Reaktion
Annäherung
Pleasure
Vermeidung
Arousal
Persönlichkeit
Dominance
10.2.1 Stimulus
Jeder Reiz aus der physischen Umwelt kann eine Stimulusvariable sein. Voraussetzung
für den Einfluss auf das Konsumentenverhalten ist, dass der Konsument den Reiz wahr-
nimmt (Abschn. 5.2). Der Prozess der Wahrnehmung beginnt damit, dass man einen Reiz
aus der physischen Umwelt mit den Sinnen aufnimmt (z. B. Geruch), ihn versteht („Es
riecht würzig aromatisch.“) und ihm ein Label („Das ist Kaffee.“) gibt (Gerrig 2014).
Sämtliche wahrgenommenen Reize bilden gemeinsam das Reizvolumen der physi-
schen Umwelt, das Mehrabian und Russell anhand der Informationsrate zusammen-
fassen. Darunter verstehen sie die Menge an Informationen in der Umwelt pro
Zeiteinheit. Sie unterscheiden zwischen objektiver und subjektiver Informationsrate.
Erstere bezieht sich auf die gesamte Menge an Informationen, die pro Zeiteinheit in der
Umwelt enthalten ist, Letztere auf die vom Individuum tatsächlich wahrgenommene
Information. Eine hohe Informationsrate ist das Resultat einer reizstarken Umwelt,
wohingegen eine niedrige Informationsrate aus einer reizarmen Umwelt resultiert. Neben
der Quantität, d. h. der Menge an Informationen, spielt auch die Qualität der Information
eine wesentliche Rolle. Neuartigkeit und Komplexität etwa sind qualitative Merkmale
von Reizen, welche die Informationsrate erhöhen.
10.2 Das umweltpsychologische Verhaltensmodell 161
10.2.2 Persönlichkeit
Objektiv gleiche Reize führen nicht bei allen Rezipienten zu identischen emotiona-
len Reaktionen. Die Wirkung des Umweltreizes auf das Individuum ist laut Mehrabian
und Russell (1974) von der Persönlichkeit abhängig. Die Forscher unterscheiden Reiz-
abschirmer, die eine physische Umwelt mit einem geringen Reizvolumen bevorzugen,
und Nicht-Reizabschirmer, die gegenüber Reizen aus der Umwelt aufgeschlossen sind.
Während sich Reizabschirmer wahrscheinlich in einem puristisch eingerichtetem Res-
taurant wohlfühlen, darf es für viele Nicht-Reizabschirmer gerne auch ein Teppanyaki-
Restaurant sein, bei dem die Speisen vom Koch direkt am Tisch zubereitet werden.
Der Umweltstimulus löst beim Konsumenten eine emotionale Reaktion aus, die als inter-
venierende Variable (I) – man kann auch Mediatorvariable sagen – das Verhalten beein-
flusst. Mehrabian und Russell kategorisieren die emotionale Reaktion anhand von drei
Dimensionen. Aufgrund der Anfangsbuchstaben der Dimensionen spricht man auch vom
PAD-Modell:
• Pleasure (engl.: Vergnügen) beschreibt, als wie angenehm bzw. unangenehm ein
Umweltreiz vom Rezipienten wahrgenommen wird.
• Arousal (engl.: Aktivierung) beschreibt, wie aktivierend oder beruhigend der
Umweltreiz auf das Individuum wirkt.
• Dominance (engl.: Kontrollierbarkeit) beschreibt, ob der Rezipient das Gefühl hat,
seine Umgebung kontrollieren zu können, oder ob er sich ihr ausgeliefert fühlt.
Bei Besuchern einer Wellnessoase (physische Umwelt) entsteht nur dann ein wohli-
ges Gefühl (intervenierende Variable), wenn die Massage angenehm (Pleasure) und
beruhigend (Arousal) ist und der Masseur nachfragt, ob der ausgeübte Druck in Ordnung
ist (Dominance).
10.2.4 Reaktion
Die emotionale Reaktion auf die Umwelt drückt sich in Anlehnung an Kurt Lewins Feld-
theorie (Abschn. 3.3.4) in Annäherungs- oder Vermeidungsverhalten aus. Konsumenten
im Annäherungsverhaltens-Modus verweilen länger im Ladengeschäft, setzen sich
intensiver mit den Produkten auseinander und treten ggf. auch lieber mit den Verkäufern
in Kontakt. Konsumenten im Vermeidungsverhaltens-Modus wollen den Einkauf mög-
lichst schnell hinter sich bringen und danach das Ladengeschäft direkt verlassen.
162 10 Physische Umwelt
Ein für das Konsumentenverhalten wichtiger Raum ist der physische Kaufkanal, d. h.
das stationäre Ladengeschäft des Einzelhändlers. Die Wirkung des Kaufkanals auf den
Konsumenten ist insb. von dessen Atmosphäre und räumlicher Aufteilung abhängig.
10.3.1.1 Visuelle Reize
Typische visuelle Eindrücke sind Farben (Leuchtkraft, Sättigung, Spektrum) und Licht-
verhältnisse (Helligkeit, Beleuchtung, Tages- oder Kunstlicht). Sie können den emo-
tionalen Zustand des Konsumenten beeinflussen und in Abhängigkeit von dessen
Persönlichkeit ein bestimmtes Verhalten begünstigen. Empirische Untersuchungen
belegen etwa, dass Farben die Zahlungsbereitschaft, die im Ladengeschäft verbrachte
Zeit (Bellizzi und Hite 1992) oder den Aktivierungsgrad des Konsumenten (Crow-
ley 1993) beeinflussen. Grundsätzlich gibt es aber keinen Königsweg der farblichen
Gestaltung oder Beleuchtung des Ladengeschäfts. Simplifizierende Ratschläge wie
„Streiche die Wände dunkelrot, damit deine Kunden mehr kaufen“ greifen zu kurz, denn
10.3 Der Kaufkanal als physische Umwelt 163
die Bewertung der Farbwahl und Beleuchtung durch den Konsumenten hängt von vie-
len weiteren Faktoren ab, wie bspw. seiner Persönlichkeit, aber auch von dem Image des
Händlers (Baker et al. 1992). Edle Farben in einem Discounter wirken bspw. deplatziert,
erzeugen somit beim Konsumenten Reaktanz und führen dadurch zu negativen Emotio-
nen, wohingegen sie in einer edlen Boutique die erwünschte Wirkung erzielen können.
Allgemein zeigen Studien zwar, dass Konsumenten tendenziell warme Farben bevor-
zugen. Bei Produkten, die meist mit einem hohem Involvement verbunden sind – wie
etwa Autos – präferieren Konsumenten jedoch eine kältere Farbgebung (Bellizzi et al.
1983). Somit ist es nicht verwunderlich, dass Autohändler ihre Showrooms mit viel
Chrom und Stahl gestalten.
10.3.1.2 Akustische Reize
Musik ist ein typischer akustischer Reiz im Ladengeschäft. Sie beeinflusst den
Aktivierungsgrad des Konsumenten am PoS und in der Folge sowohl die wahr-
genommene als auch die tatsächliche im Ladengeschäft verbrachte Zeit (Milliman 1986;
Hui et al. 1997). Hintergrundmusik kann sich je nach Genre, Tempo und Lautstärke
unterschiedlich auswirken. So kann eine langsamere Hintergrundmusik dazu führen, dass
Konsumenten ihre Laufgeschwindigkeit anpassen und sich entsprechend gemächlich
durch den Laden bewegen. Die verlängerte Aufenthaltszeit wirkt sich wiederum positiv
auf die Anzahl der gekauften Artikel und somit auf die Höhe des Kassenbons aus (Mil-
liman 1982). Der Einfluss von Musik als akustischer Reiz am PoS hängt allerdings von
mehreren Randbedingungen ab, u. a. vom Alter des Konsumenten (Gulas und Schewe
1994), der Lautstärke und dem Tempo (Milliman 1982) sowie dem Musikgeschmack
(Herrington 1996). Musik wirkt auch – und teilweise sogar nur dann –, wenn Konsu-
menten sie nicht bewusst wahrnehmen (Gulas und Schewe 1994).
10.3.1.3 Olfaktorische Reize
Das sog. Duftmarketing versucht, das Konsumentenverhalten unter Zuhilfenahme
von Duftstoffen zu beeinflussen, um so den Absatz von Produkten zu steigern. Einige
Shoppingcenter oder Bahnhofs-Malls setzen bewusst Aromen ein, um Konsumenten zum
164 10 Physische Umwelt
10.3.1.4 Gustatorische Reize
Für viele ist Essen Genuss und mit positiven Emotionen verbunden. Somit ist es ein-
leuchtend, dass Einzelhändler über Produktverkostungen oder Live Cooking Events im
Ladengeschäft beim Konsumenten geschmackliche Reize setzen möchten. Wir erinnern
uns, dass sich auch Ben im Einstiegsbeispiel von einer dieser Aktionen attrahieren ließ.
Empirische Studien belegen die Wirkung von Produktverkostungen am PoS (Phillips
et al. 2015). Sie können Konsumenten, die den Kauf eines bestimmten Markenproduktes
planen, zu einem Markenwechsel bewegen, aber auch den Kauf von Produkten fördern,
die der Konsument vorher nicht auf seinem Einkaufszettel hatte (Heilman et al. 2011).
Die Gründe, warum ein Konsument bei einer Produktverkostung zugreift, reichen von
hedonischen Motiven („Produktverkostungen machen das Einkaufen angenehmer.“) über
utilitaristische Motive („Ich möchte mehr über das Produkt erfahren.“) bis hin zu physio-
logischen Motiven („Ich habe Hunger.“).
10.3.1.5 Haptische Reize
Im Ladengeschäft nehmen Konsumenten Informationen über haptische Reize auf, indem
sie Produkte anfassen. Dabei ist das Bedürfnis nach haptischen Reizen für die Kauf-
entscheidung zwischen Individuen unterschiedlich stark ausgeprägt. Die „Need for
Touch“(NFT)-Skala misst dieses Bedürfnis anhand von zwei Dimensionen (Peck und
Childers 2003a; vgl. Abb. 10.2):
• Autotelic NFT ist intrinsisch motiviert. Das Anfassen von Produkten erfolgt aufgrund
hedonischer Ziele, wie etwa Spaß oder Freude, und passiert oft automatisch und
unbewusst.
• Individuen mit einer hohen Instrumental-NFT-Ausprägung fassen Produkte an, um
kaufrelevante Informationen zu weiteren Produkteigenschaften zu erhalten. Sie zeich-
nen sich durch eine höhere Zielorientierung im Kaufprozess aus.
Personen mit einem hohen NFT bewerten Produkte besser, wenn sie diese vorab anfassen
können (Peck und Childers 2003b; Nuszbaum et al. 2010). Der haptische Reiz kann
zudem die Kaufwahrscheinlichkeit erhöhen. Dieser Einfluss des haptischen Reizes
10.3 Der Kaufkanal als physische Umwelt 165
auf das Kaufverhalten des Konsumenten erfolgt unbewusst. Geschickte Verkäufer set-
zen daher haptische Reize, indem sie Konsumenten dazu ermuntern, Produkte auszu-
probieren. Haptische Reize erfordern auch im Zeitalter der Digitalisierung eine physische
Umwelt (stationärer Handel) und können ebenso wie geschmackliche und olfaktorische
Reize nicht in die mediale Umwelt transferiert werden.
„Wo finde ich das Olivenöl? Haben Sie auch Sojamilch?“ Ein Großteil der Beratungs-
leistungen, die Konsumenten am PoS in Anspruch nehmen, dient der Orientierung. Für
den Einzelhandel ist eine reibungslose Orientierung des Konsumenten erfolgskritisch.
Schließlich zeigen Umfragen, dass Konsumenten jeden fünften geplanten Produkt-
kauf verschieben oder gar verwerfen, weil sie das entsprechende Produkt nicht finden
166 10 Physische Umwelt
können (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013). Die Orientierung im Raum und das
Bewegungsverhalten im Raum geben Aufschluss zur optimalen räumlichen Aufteilung
des Kaufkanals.
10.3.2.1 Orientierung im Raum
Wie orientieren sich Menschen in Shoppingcentern oder Ladengeschäften? Den Erkennt-
nissen der Sozialgeografie zufolge verwenden Menschen hierzu sog. kognitive Kar-
ten, sprich mentale Repräsentationen eines geografischen Raums. Bei Konsumenten
bezieht sich dieser geografische Raum bspw. auf ein Ladengeschäft oder auf das gesamte
Shoppingcenter. Kognitive Karten zeichnen sich durch die in Tab. 10.2 dargestellten
Merkmale aus (Lynch 1960).
Die kognitiven Karten von Konsumenten zu Shoppingcentern und Ladengeschäften
sind meist verzerrt und spiegeln die Realität nicht maßstabsgetreu und proportional
wider. Bekannte und markante Merkmale nehmen viel Raum ein, während andere Merk-
male unterrepräsentiert sind. Dies wirkt sich auf die Orientierung des Konsumenten in
Shoppingcentern und Ladengeschäften aus.
Orientierung im Ladengeschäft
Konsumenten orientieren sich in Ladengeschäften mithilfe räumlicher Bezüge zwischen
Objekten („Das Olivenöl steht rechts unter dem Balsamico-Essig.“) und über bildliche
Elemente („im Regal gegenüber der roten Säule“). Studien zeigen zudem, dass sich
Konsumenten an markanten Merkmalen im Ladengeschäft orientieren, wie etwa an
den Hauptwegen, großen Objekten wie Kühltheken oder Aufstellern sowie Farbflächen
und Werbetafeln. Diese Objekte stehen i. d. R. in den Randflächen des Ladengeschäfts.
Daher erinnern sich Konsumenten auch besser an den Standort von Produkten, die in
Außenlage stehen. Produktpositionen in Innenlage des Ladengeschäfts werden weniger
gut erinnert, da sie weniger Orientierungspunkte bieten und sich in Struktur und Auf-
teilung sehr ähnlich sind (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013, S. 509; Sommer und
Aitkens 1982). Um Konsumenten die Orientierung im Raum zu erleichtern und Mit-
arbeiter zu entlasten, stellen einige Händler Touchscreens und elektronische Info-
Terminals auf. Einige Händler haben auch Apps entwickelt, die den Kunden durch
den Laden navigieren. Die Apps bieten je nach Händler zusätzliche Mehrwerte wie
Orientierung im Shoppingcenter
In einem Einkaufszentrum finden Konsumenten Einzelhandelsgeschäfte und Dienst-
leister verschiedener Branchen räumlich unter einem Dach vereint. Die Orientierung des
Konsumenten in Shoppingcentern folgt ebenfalls den Gesetzen der Umweltpsychologie
und Sozialgeografie. In der kognitiven Karte sind architektonische Merkmale wie Ein-
und Ausgänge, Wegkreuzungen, Rolltreppen oder Aufzüge besonders markant. Anker-
mieter und sekundäre Anziehungspunkte sind weitere besondere Orientierungspunkte der
kognitiven Karte von Konsumenten. Von Ankermietern geht eine überdurchschnittliche
Anziehungskraft auf den Konsumenten aus, sodass sie für eine höhere Frequentierung
von Shoppingcentern sorgen. In der Regel handelt es sich dabei um große Warenhäuser
(z. B. Galeria Kaufhof), Bekleidungsschäfte (z. B. H&M) oder Elektronikhändler (z. B.
Saturn). Sekundäre Anziehungspunkte sind Restaurants, Banken oder Ruhe-Bereiche
(Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013).
10.3.2.2 Bewegungsverhalten im Raum
Es gibt zwei Beobachtungen zur menschlichen Fortbewegung, die für die Konsumenten-
verhaltensforschung besonders interessant sind. Zum einen neigen Menschen dazu, auf
der rechten Seite zu gehen. Dies hat mit der Sozialisation zu tun, wie etwa dem Rechts-
fahrgebot in den meisten Ländern. Zum anderen tendieren Menschen dazu, beim Gehen
nach links abzudriften. Verirren sich Menschen etwa in der Wildnis, laufen sie meistens
links herum in einem sehr großen Kreis. Viele Einzelhändler machen sich dieses Wissen
zunutze und leiten den Konsumenten gegen den Uhrzeigersinn durch das Ladengeschäft,
indem sie den Eingang rechts positionieren und den Konsumenten dann mithilfe der
Regalanordnung links durch den Laden führen. Weiterhin greifen Konsumenten ten-
denziell rechts nach Produkten, da die meisten Rechtshänder sind. Bedenkt man, dass
Konsumenten eine wandbezogene Orientierung haben, wundert es nicht, dass sie Innen-
gänge meiden und rechts liegende Verkaufsflächen stark frequentieren (Underhill 2009).
Diese Grundtendenzen menschlichen Bewegungsverhaltens sowie die Erkenntnisse zur
kognitiven Karte führen zu Top Spots und Flop Spots (Tab. 10.3) in Ladengeschäften
(Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013).
Einzelhändler richten die räumliche Aufteilung des Kaufkanals stark an Erkenntnissen
zur Orientierung des Konsumenten im Raum und seinem Bewegungsverhalten aus. Fasst
man diese Erkenntnisse zusammen, lassen sich prinzipiell vier Ladenzonen mit typi-
schen Verhaltensmustern von Konsumenten und entsprechenden verkaufsfördernden
Maßnahmen durch den Handel identifizieren (Underhill 2009; Tab. 10.4).
168 10 Physische Umwelt
Tab. 10.3 Top Spots und Flop Spots in Ladengeschäften. (In Anlehnung an Kroeber-Riel und
Gröppel-Klein 2013)
Top Spots Flop Spots
Hauptwegea Mittelgängeb
Rechts liegende Verkaufsflächenb Links liegende Verkaufsflächenb
Lift, Treppen etc.a Höhere und tiefere Etagenb
Gangkreuzungena Sackgassena
Kassenzonena Räume hinter den Kassenb
Begründung:
aKognitive Karten
bBewegungsverhalten
Nicht nur die räumliche Aufteilung des Kaufkanals allgemein, sondern auch die Posi-
tion des Produkts im Regal des Einzelhändlers formt die physische Umwelt des Konsu-
menten am PoS. Die Regalaufteilung erfolgt auf horizontaler Ebene und auf vertikaler
Ebene. Auf vertikaler Ebene unterscheidet man vier Regalzonen.
• Die Reckzone befindet sich auf einer Höhe von über 180 cm und somit außerhalb des
direkten Blickfeldes der meisten Konsumenten. Dadurch werden Produkte in dieser
Zone weniger stark wahrgenommen.
• Die Sichtzone ist auf einer Höhe von 140–160 cm angesetzt. Konsumenten beziehen
Produkte in diesem Bereich am stärksten in ihren Auswahlprozess ein, da sie sich im
10.4 Das Produkt als Teil der physischen Umwelt 169
Jedes Objekt der materiellen Umwelt, das für eine Person Bedeutung besitzt, kann
Teil der physischen Umwelt sein (Hellbrück und Kals 2012). Als Informations- und
Bedeutungsträger gehört somit das Produkt selbst und insb. die Verpackung des Pro-
dukts zur physischen Umwelt und zu den relevanten Einflussgrößen am PoS. Produkt-
verpackungen erfüllen für den Konsumenten allgemein vier Funktionen (Meffert et al.
2018).
170 10 Physische Umwelt
1. Schutzfunktion: Die Verpackung schützt das Produkt vor Verunreinigung (z. B. ein-
geschweißter Käse) oder Beschädigung (z. B. TV in Karton und Styropor).
2. Distributionsfunktion: Die Verpackung ermöglicht und erleichtert es dem Konsu-
menten, das Produkt nach Hause zu transportieren (z. B. Tragehenkel am Wasch-
pulverpaket).
3. Verwendungsfunktion: Verpackungen können die Verwendung des Produkts
erleichtern (z. B. leichteres Öffnen oder Wiederverschließbarkeit).
4. Informationsfunktion: Die Verpackung kann genutzt werden, um über Produkt-
eigenschaften aufzuklären.
Die Informationsfunktion kann explizit, aber auch implizit sein. Explizite Produkt-
informationen bei Lebensmitteln sind bspw. Angaben zu den Nährwerten oder bei Haus-
haltsgeräten die Energieeffizienz. Implizite Produktinformationen werden durch die
Verpackungsgestaltung kommuniziert und sollen den Konsumenten zum Kauf animie-
ren. Konsumenten verarbeiten alle Reize (visuell, akustisch, olfaktorisch, haptisch), die
von Produktverpackungen ausgehen – und das oftmals unbewusst – und sie bilden sich
daraufhin ein Urteil. Die Verpackungen von Light-Lebensmitteln sind bspw. oftmals in
hellen Pastelltönen gehalten (z. B. hellblau) und sollen damit implizit Assoziationen wie
Leichtigkeit und Gesundheit kommunizieren. In Abhängigkeit von Farbe, Typografie,
Form und Material der Verpackung wirken unterschiedliche Reize auf den Konsumenten
(Ampuero und Vila 2006). Die Wirkung dieser Reize hängt allerdings auch vom Produkt
selbst ab, sodass wir an dieser Stelle keine allgemeingültigen Faustregeln (im Stile von
„rote Verpackungen animieren den Konsumenten zum Kauf“) formulieren können. Dafür
ist das Wechselspiel zwischen den Gestaltungsmöglichkeiten von Verpackungen und
dem Produkt selbst zu komplex, wie folgende Beispielstudie verdeutlicht.
Beispiel: Gesund und lecker? Das kann nicht sein! Die „Unhealthy = Tasty“-Intuition
Die „Unhealthy = Tasty“-Intuition (UTI)besagt, dass Konsumenten wenig schmack-
hafte Nahrungsmittel mit einer gesunden Lebensweise und schmackhafte Nahrungs-
mittel mit einer ungesunden Lebensweise verbinden (Raghunathan et al. 2006). Mai
et al. (2016) zeigen, dass sich die UTI bei Light-Produkten, die in der Verpackungs-
gestaltung oft Pastelltöne verwenden, ebenfalls durchsetzt; und zwar in Abhängigkeit
vom Gesundheitsbewusstsein. Gesundheitsbewusste Konsumenten haben eine posi-
tive Einstellung gegenüber pastellfarbenen Produktverpackungen. Konsumenten mit
einem niedrigen Gesundheitsbewusstsein beurteilen hingegen das Produkt aufgrund
der pastellfarbenen Verpackung unbewusst als nicht schmackhaft und entscheiden
sich gegen den Kauf.
10.5 Verkäufer und andere Personen am Point of Sale 171
Die Forschung zum Einfluss des Verkäufers auf das Verhalten von Konsumenten befasste
sich lange Zeit mit den Eigenschaften des Verkaufspersonals. Der Erfolg im Ver-
kauf galt als Ergebnis persönlicher Eigenschaften und Merkmale des Verkäufers (z. B.
Alter, Geschlecht, Aussehen, Selbstsicherheit). Neuere Studien verstehen den Verkaufs-
vorgang als Interaktion zwischen Verkäufer und Konsument am PoS. Damit hängt der
Erfolg oder auch Misserfolg vom Verhalten beider Akteure ab. Gleichwohl können Ver-
käufer über geeignete Techniken die Interaktionssituation steuern und damit versuchen,
das Verhalten von Konsumenten – hin zu einem Kauf – zu beeinflussen (Kroeber-Riel
und Gröppel-Klein 2013). Mehrabian und Ferris (1967) postulierten vor 50 Jahren,
dass der Interaktionsprozess zu 7 % verbal, zu 38 % vokal und zu 55 % mimisch beein-
flusst wird (7-38-55-Regel). Die Werte sollten aufgrund ihrer geringen externen Validität
(Abschn. 2.4.4) nicht auf die Prozentzahl genau auf die Interaktion zwischen Verkäufer
und Konsument übertragen werden. Die drei Elemente zeigen aber, auf welchen Ebenen
das Verkäuferverhalten die Interaktion mit dem Kunden beeinflussen kann.
• Verbal: Über das gesprochene Wort kann der Verkäufer mit dem Kunden in Inter-
aktion treten, seine Fragen zum Produkt klären und Vertrauen schaffen. Vertrauen gilt
als kritischer Erfolgsfaktor für eine gelungene Interaktion. Ob der Kunde dem Ver-
käufer vertraut, hängt davon ab, ob er ihn als kompetent beurteilt, ob er das Gefühl
hat, dass der Verkäufer ihn nicht unter Kaufdruck setzt, sowie von der allgemeinen
Service-Qualität des Händlers (Kennedy et al. 2001).
• Vokal: Stimmqualität, Sprechmelodie und Sprechpausen werden unter vokalem
Verhalten zusammengefasst. Studien zeigen, dass Verkäufer, die besonders schnell
sprechen, mehr Überzeugungskraft besitzen. Allerdings wirkt ein gleichbleibendes
Sprechtempo – egal ob schnell oder langsam – wenig aktivierend und somit weni-
ger überzeugend (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013, S. 629). Selbst der Akzent
des Verkäufers wirkt sich auf das Konsumentenverhalten aus. Haben Kunde und Ver-
käufer den gleichen Dialekt, ist der Konsument mit der Beratungsleistung zufriedener
und die Kaufwahrscheinlichkeit steigt (Mai und Hoffmann 2011).
172 10 Physische Umwelt
• Mimik: Die Gestik und Mimik als Teil der nonverbalen Kommunikation können
den Verkaufsvorgang stark beeinflussen. Grundsätzlich ist nur authentisches non-
verbales Verhalten erfolgsversprechend (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013).
Eine zugewandte Gestik und Mimik (zustimmendes Nicken, Blickkontakt, leichtes
Lächeln etc.) erzeugt Sympathie und dadurch Annäherungsverhalten gegenüber dem
Interaktionspartner.
Verkäufer können die Interaktionssituation nicht nur verbal, vokal und mimisch steuern,
sondern auch durch Verkaufstechniken. Ziel der Verkaufstechniken ist es, Compliance
zu erzeugen. Compliance bedeutet allgemein, dass sich eine Person freiwillig an Regeln
oder Abmachungen hält. Die Sozialpsychologie definiert Compliance etwas enger: Dem-
nach handelt es sich um eine Verhaltensänderung aufgrund des Einflusses von außen
(Gerrig 2014). Wie Verkäufer mithilfe von Verkaufstechniken Compliance erzeugen und
wie diese zum Kauf führen, lässt sich mithilfe sozialpsychologischer Theorien erklären
(Tab. 10.5).
Während wir uns in einem gähnend leeren Club wahrscheinlich schnell langweilen
und das Weite suchen, fühlen wir uns in einem vollen Bahnabteil schnell unwohl. Arco
et al. (2005) ermittelten empirisch, dass Konsumenten beim Einkaufen weniger nega-
tive Emotionen erleben, wenn mindestens ein anderer Kunde anwesend ist. Eine direkte
Interaktion mit dieser Person ist dafür nicht nötig. Steigt die Anzahl der anderen Kun-
den allerdings an, nimmt auch das Erleben negativer Emotionen wieder zu. Der Wunsch
nach An- und Abwesenheit anderer Menschen beim Konsum von Produkten und Dienst-
leistungen lässt sich durch zwei unterschiedliche umweltpsychologische Erkenntnisse
erklären (Hellbrück und Kals 2012): Crowding ist das Erleben von Beengung und Über-
füllung. Studien zeigen, dass Crowding bei Menschen Stress und Belastung erzeugt. Wer
schon einmal am 23.12. die letzten Weihnachtsgeschenke besorgen musste, dem dürfte
dieses Phänomen nur allzu bekannt sein. Crowd Behavior zeigt, dass objektive Über-
füllung nicht immer subjektiv Crowding-Gefühle erzeugen muss. Stark frequentierte
Ladengeschäfte sind für Konsumenten auch eine Heuristik für Qualität („Wenn so viele
in dem Laden sind, kann er ja nur gut sein.“). Konsumenten empfinden bspw. das enge
Beieinandersein im Fußballstadion, auf Konzerten oder in Diskotheken als angenehm.
Crowd Behavior bezieht sich auf das Verhalten und Erleben Einzelner in der Masse.
Indem sie gleiche Gefühle und gleiches Verhalten zeigen, erleben Konsumenten eine
starke soziale Verbundenheit.
Tab. 10.5 Typische Verkaufstechniken am Point of Sale. (In Anlehnung an Bem 1972 und Festinger 1957)
Door in the face Foot in the door Low Ball
Erläuterung A stellt zuerst eine große Bitte, A stellt eine kleine Bitte, der eine große Bitte A stellt eine Forderung, gibt aber nur einen
die B ablehnt. Der anschließenden folgt. Wenn B zuvor auch der kleinen Bitte Teil der Ausgangsbedingungen preis. Wenn B
kleineren Bitte stimmt B dann zugestimmt hat, so stimmt er mit großer dieser Forderung zustimmt, gibt A weitere –
wahrscheinlich zu Wahrscheinlichkeit auch der großen Bitte zu meist negative – Informationen
Compliance Reziprozitätsnorm: Wenn jemand Selbstwahrnehmungstheorie: Menschen Konsistenztheorien: Gruppe von Theorien,
durch etwas für einen anderen tut, so schließen anhand ihres Verhaltens in der Ver- die der Widerspruchsfreiheit (Konsistenz) eine
fühlt sich Letzterer im Gegenzug gangenheit und Gegenwart auf ihre inneren motivierende Rolle zuteilen. Zum Beispiel
verpflichtet, auch etwas für erste- Zustände wie Einstellungen, Motive und Theorie der kognitiven Dissonanzb, wonach
ren zu tun Gefühlea Menschen nach widerspruchsfreien Ziel-
zuständen streben und sich widersprechende
Kognitionen anpassen
Beispiel Im Verkaufsgespräch bietet ein Wer sich zuvor bereit erklärt hat, eine Ein Fitnesstrainer macht dem potenziellen
Verkäufer ein Produkt zu einem Petition gegen die Abholzung des Regen- Kunden das Studio schmackhaft („Für nur
hohen Preis an („Der Gebraucht- waldes zu unterschreiben, der wird mit einer 20 EUR im Monat kannst du so oft trainieren,
wagen kostet 6000 EUR“) und größeren Wahrscheinlichkeit im Anschluss wie du magst.“). Nachdem sich der Konsument
10.5 Verkäufer und andere Personen am Point of Sale
rudert gleich zurück („Aber weil auch eine Geldspende tätigen. Der innere von den Vorteilen des Studios überzeugt hat
Sie es sind, mache ich 5800 EUR Dialog könnte wie folgt lauten: „Bin ich und den Vertrag unterschreiben will, eröffnet
draus“). Nachdem der Verkäufer bereit, monatlich 10 EUR zu spenden? ihm der Trainer weitere Kosten (z. B. 90 EUR
dem Kunden einen Gefallen Warum nicht, schließlich habe ich schon Aufnahmegebühr). Da der Kunde inzwischen
getan hat (mit dem Preis runter- in der Vergangenheit umweltfreundliches selbst viele positive Argumente generiert hat
ging), fühlt sich dieser gemäß Verhalten gezeigt, wie etwa die Teilnahme an („Der Besuch des Studios ist gut für meine
der Reziprozitätsnorm zum Kauf der Unterschriftenkampagne“ Gesundheit.“), passt er die negative Informa-
verpflichtet und die Kaufwahr- tion an, um Dissonanz zu vermeiden („Ich
scheinlichkeit steigt hatte mir sowieso einen höheren Monatsbeitrag
vorgestellt und die modernen Trainingsgeräte
rechtfertigen diese Aufnahmegebühr.“) und
setzt seine Unterschrift unter den Vertrag
aBem (1972)
173
bFestinger (1957)
174 10 Physische Umwelt
10.6 Lernhilfe
Quintessenz
Die physische Umwelt des Konsumenten beeinflusst sein Verhalten maßgeblich. Das
umweltpsychologische Verhaltensmodell von Mehrabian und Russell hilft, diese Wir-
kung zu erklären. Die Atmosphäre des Kaufkanals und die räumliche Aufteilung des
Ladengeschäfts nehmen eine besondere Rolle ein. Neben dem Raum beeinflussen
auch Objekte wie etwa Produkte und Produktplatzierungen sowie Subjekte wie etwa
Verkäufer und andere Konsumenten am PoS den Konsumenten in seiner physischen
Umwelt.
O Visuelle Reize
O Akustische Reize
O Olfaktorische Reize
O Geschmackliche Reize
O Haptische Reize
Vernetzende Fragestellung
Ob Mymuesli oder Notebooksbillige: Immer mehr Online Pure Player eröffnen zusätz-
lich zum Online-Shop ein Stationärgeschäft. Diskutieren Sie diese Entscheidung vor
dem Hintergrund des umweltpsychologischen Verhaltensmodells von Mehrabian und
Russell (1974).
Literatur 175
Weiterführende Literatur
Jain, R., & Bagdare, S. (2011). Music and consumption experience: A review. International Jour-
nal of Retail & Distribution Management, 39(4), 289–302.
Teller, C., & Dennis, C. (2012). The effect of ambient scent on consumers’ perception, emotions
and behaviour: A critical review. Journal of Marketing Management, 28(1–2), 14–36.
Turley, L. W., & Milliman, R. E. (2000). Atmospheric effects on shopping behavior: A review of
the experimental evidence. Journal of Business Research, 49(2), 193–211.
Literatur
Ampuero, O., & Vila, N. (2006). Consumer perceptions of product packaging. Journal of
Consumer Marketing, 23(2), 100–112.
Arco, J. J., Dahl, D. W., & Manchanda, R. V. (2005). The influence of mere social presence in
retail context. Journal of Consumer Research, 32(2), 207–212.
Baker, J., Levy, M., & Grewal, D. (1992). An experimental approach to making retail store
environmental decisions. Journal of Retailing, 68(4), 445–460.
Baker, J., Parasuraman, A., Grewal, D., & Voss, G. B. (2002). The influence of multiple store
environment cues on perceived merchandise value and patronage intentions. Journal of Marke-
ting, 66(2), 120–141.
Bellizzi, J. A., & Hite, R. E. (1992). Environmental color, consumer feelings, and purchase
likelihood. Psychology & Marketing, 9(5), 347–363.
Bellizzi, J. A., Crowley, A. E., & Hasty, R. W. (1983). The effects of color in store design. Journal
of Retailing, 59(1), 21–45.
Bem, D. J. (1972). Self-perception theory. In L. Berkowitz (Hrsg.), Advances in experimental
social psychology (Bd. 6, S. 1–62). New York: Academic Press.
Bitner, M. J. (1992). Servicescapes: The impact of physical surroundings on customers and emp-
loyees. Journal of Marketing, 56(2), 57–71.
Blackwell, R. D., Miniard, P. W., & Engel, J. F. (2001). Consumer Behavior (9. Aufl.). Orlando:
Harcourt.
Crowley, A. E. (1993). The two-dimensional impact of color on shopping. Marketing Letters, 4(1),
59–69.
Donovan, R. J., & Rossiter, J. R. (1982). Store atmosphere: An environmental psychology
approach. Journal of Retailing, 58(1), 34–57.
Donovan, R. J., Rossiter, J. R., Marcoolyn, G., & Nesdale, A. (1994). Store atmosphere and pur-
chasing behavior. Journal of Retailing, 70(3), 283–294.
Festinger, L. (1957). A theory of cognitive dissonance. Evanston: Row & Peterson.
Gerrig, R. J. (2014). Psychologie (20. Aufl.). Hallbergmoos: Pearson.
Gulas, C. S., & Schewe, C. D. (1994). Atmospheric segmentation: Managing store image with
background music. In R. Achrol & A. Mitchell (Hrsg.), Enhancing knowledge development in
marketing (S. 325–330). Chicago: American Marketing Association.
Heilman, C., Lakishyk, K., & Radas, S. (2011). An empirical investigation of in-store sampling
promotions. British Food Journal, 113(10), 1252–1266.
Hellbrück, J., & Kals, E. (2012). Umweltpsychologie. Wiesbaden: Springer VS.
Herrington, J. D. (1996). Effects of music in service environments: A field study. Journal of
Services Marketing, 10(2), 26–41.
Hui, M. K., Dube, L., & Chebat, J. C. (1997). The impact of music on consumers’ reactions to wai-
ting for services. Journal of Retailing, 73(1), 87–104.
176 10 Physische Umwelt
Kennedy, M. S., Ferrell, L. K., & LeClair, D. T. (2001). Consumers’ trust of salesperson and manu-
facturer: An empirical study. Journal of Business Research, 51(1), 73–86.
Kroeber-Riel, W., & Gröppel-Klein, A. (2013). Konsumentenverhalten (10. Aufl.). München: Vahlen.
Lynch, K. (1960). The image of the city (Bd. 11). Cambridge: MIT Press.
Mai, R., & Hoffmann, S. (2011). Four positive effects of a salesperson’s regional dialect in perso-
nal selling. Journal of Service Research, 14(4), 423–437.
Mai, R., Symmank, C., & Seeberg-Elverfeldt, B. (2016). Light and pale colors in food packaging:
When does this package cue signal superior healthiness or inferior tastiness? Journal of Retai-
ling, 92(4), 426–444.
Meffert, H., Burmann, C., Kirchgeorg, M., Eisenbeiß, M. (2018). Marketing. Grundlagen markt-
orientierter Unternehmensführung. Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele (13. Aufl.).
Wiesbaden: Springer Gabler.
Mehrabian, A., & Ferris, S. R. (1967). Inference of attitudes from nonverbal communication in two
channels. Journal of Consulting Psychology, 31(3), 248–252.
Mehrabian, A., & Russell, J. A. (1974). An approach to environmental psychology. Cambridge:
MIT Press.
Milliman, R. E. (1982). Using background music to affect the behavior of supermarket shoppers.
Journal of Marketing, 46(3), 86–91.
Milliman, R. E. (1986). The influence of background music on the behavior of restaurant patrons.
Journal of Consumer Research, 13(2), 286–289.
Mitchell, D. J., Kahn, B. E., & Knasko, S. C. (1995). There’s something in the air: Effects of
congruent or incongruent ambient odor on consumer decision making. Journal of Consumer
Research, 22(2), 229–238.
North, A. C., Hargreaves, D. J., & McKendrick, J. (1999). The influence of in-store music on wine
selections. Journal of Applied Psychology, 84(2), 271–276.
Nuszbaum, M., Voss, A., Klauer, K. C., & Betsch, T. (2010). Assessing individual differences in
the use of haptic information using a german translation of the need for touch scale. Social
Psychology, 41(4), 263–274.
Peck, J., & Childers, T. L. (2003a). Individual differences in haptic information processing: The
„need for touch“ scale. Journal of Consumer Research, 30(3), 430–442.
Peck, J., & Childers, T. L. (2003b). To have and to hold: The influence of haptic information on
product judgments. Journal of Marketing, 67(2), 35–48.
Phillips, M., Parsons, A. G., Wilkinson, H. J., & Ballantine, P. W. (2015). Competing for attention
with in-store promotions. Journal of Retailing and Consumer Services, 26, 141–146.
Raghunathan, R., Naylor, R. W., & Hoyer, W. D. (2006). The unhealthy = tasty intuition and its
effects on taste inferences, enjoyment, and choice of food products. Journal of Marketing,
70(4), 170–184.
Robert, D., & John, R. (1982). Store atmosphere: An environmental psychology approach. Journal
of Retailing, 58, 34–57.
Sommer, R., & Aitkens, S. (1982). Mental mapping of two supermarkets. Journal of Consumer
Research, 9(2), 211–215.
Stilley, K. M., Inman, J. J., & Wakefield, K. L. (2010a). Planning to make unplanned purchases?
The role of in-store slack in budget deviation. Journal of Consumer Research, 37(2), 264–278.
Stilley, K. M., Inman, J. J., & Wakefield, K. L. (2010b). Spending on the fly: Mental budgets, pro-
motions, and spending behavior. Journal of Marketing, 74(3), 34–47.
Stöhr, A. (1998). Air-Design als Erfolgsfaktor im Handel: Modellgestützte Erfolgsbeurteilung und
strategische Empfehlungen. Wiesbaden: Gabler.
Underhill, P. (2009). Why We Buy: The science of shopping. New York: Simon & Schuster.
Mediale Umwelt
11
u YouTube killed the Radio Star Während im Hintergrund das Radio läuft, sit-
zen Lea und Ben mit ihren Tablets auf dem Sofa und schauen sich die neu-
esten Vlogs ihrer jeweiligen Lieblings-YouTuber an. „Ich denke, ich probiere
das mit der veganen Ernährung auch mal aus.“ „Wie bitte?“, fragt Lea über-
rascht und schließt den Reise-Vlog, den sie sich soeben noch entspannt
angeschaut hatte. „Du willst freiwillig auf Burger verzichten?“ „Naja, mein Lie-
blings-YouTuber ist Sportler und ernährt sich auch vegan. Und irgendwie hast
du mit deinen Bedenken, dass die Tiere so leiden, ja auch Recht.“ „Ich finde
das super, Ben. Ich suche uns direkt mal einige vegane Rezepte raus, die wir
gemeinsam kochen können.“ Leas Antwort bekommt Ben allerdings nicht
mehr mit. Er hat soeben den Link zu einem veganen Proteinshake angeklickt,
den der Vlogger empfohlen hat.
Konsumenten nutzen Medien aus vielerlei Gründen: Sie entspannen sich
vor dem Fernseher, sie informieren sich über Produkte und Dienstleistungen
im Internet oder sie tauschen sich über soziale Medien mit anderen Konsu-
menten aus. Doch wie wählt der Konsument aus dem vielfältigen medialen
Angebot aus und wie beeinflusst die mediale Umwelt sein Verhalten?
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 177
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_11
178 11 Mediale Umwelt
Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, ….
… indem Sie die mediale Umwelt des Konsumenten durch folgende Modelle
und Theorien betrachten:
• Sender-Empfänger-Modell,
• Uses-and-Gratification-Ansatz,
• Mood-Management-Theorie und
• Flow-Theorie.
Wohnst du noch oder lebst du schon? Just do it! Mach dir Freude auf. Ob Ikea, Nike
oder Coca-Cola, Unternehmen wollen mit Konsumenten kommunizieren. Dabei gilt:
Es gibt keine unvermittelte Kommunikation, sondern Kommunikation bedarf immer
eines Mediums (Batinic und Appel 2008). Das bekannteste Kommunikationsmodell, das
die vermittelnde Rolle von Medien bei der Kommunikation integriert, ist das Sender-
Empfänger-Modell von Shannon und Weaver (1949; vgl. Abb. 11.1). Ein Sender (z. B.
Nike) übermittelt durch ein Übertragungsmedium (TV-Sendemast) eine Nachricht („Just
do it!“), die über den Übertragungskanal (Atmosphäre) das Empfangsmedium (TV-
Gerät) des Empfängers (Konsument) erreicht.
Viele theoretische Ansätze zur medialen Umwelt lehnen sich an Shannon und Wea-
vers Arbeit an. Darin nehmen Störquellen eine besondere Rolle ein. Sie führen zu einer
Über- Über-
Empfangs-
Sender tragungs- tragungs- Empfänger
medium
medium kanal
Störquelle
Medien übernehmen eine vermittelnde Funktion zwischen dem Sender und dem Emp-
fänger einer Information. Dabei unterscheidet man vier Gruppen von Medien (Burkart
2002; Pross 1972).
Welches Medium das Unternehmen wählt, um mit dem Konsumenten in Kontakt zu tre-
ten, hängt von folgenden Faktoren ab (Bak 2014): Zielgruppenerreichbarkeit, Zielgrup-
pengröße, Heterogenität/Homogenität der Zielgruppe, Schwierigkeit/Einfachheit der zu
vermittelnden Botschaft und Ziel der Kommunikation. Die Unterscheidung zwischen
Individualmedium und Massenmedium ist dabei fließend, wie das Beispiel der „indi-
vidualisierten Massen-E-Mail“ zeigt. Für das Konsumentenverhalten spielen Massen-
medien eine wichtige Rolle. Von Interesse ist dabei, wie Konsumenten mit diesen
Medien umgehen, was wir in Abschn. 11.2 behandeln, und auch, wie sich die Medien-
nutzung auf den Konsumenten auswirkt, was wir in Abschn. 11.3 besprechen.
Was machen Konsumenten mit Medien? Oder anders gefragt: Wie wählen Konsumenten
Medien aus und wie nutzen sie diese? Aktuelle Theorien und Modelle der Medien-
nutzungsforschung gehen von einem aktiven Rezipienten (Benutzer, Empfänger von
Medieninhalten) aus, der sich passend zu seinen Interessen, Bedürfnissen und Motiven
bestimmten Medienangeboten zuwendet. Dabei geht man je nach Ansatz von einer ratio-
nalen, habitualisierten oder emotional motivierten Medienauswahl und -nutzung aus, die
wir im Folgenden erklären.
Zwei Erklärungsansätze der Medienwahl und -nutzung, die auf rationalen Abwägungs-
und Entscheidungsprozessen beruhen, sind der Uses-and-Gratification-Ansatz (UGA)
sowie das GS-GO-Modell (Batinic und Appel 2008).
11.2.1.1 Uses-and-Gratification-Ansatz
Laut Uses-and-Gratification-Ansatz (UGA) ist die Medienwahl und -nutzung des Konsu-
menten eine problemlösungsorientierte und aktive Entscheidung (wir erinnern uns:
Konsumenten sind Problemlöser). Gratifikation heißt Belohnung. Sie setzt ein, nachdem
der Konsument durch die Nutzung der Medien seine Bedürfnisse befriedigen bzw. seine
Motive verfolgen konnte. Der UGA stellt fünf Grundannahmen auf (Katz et al. 1974):
Studien, die dem UGA folgen, identifizierten eine Reihe von Motiven, weshalb Konsu-
menten bestimmte Medien (z. B. TV, Printmagazin) oder Medieninhalte (z. B. Soaps,
Reality-Dokus) rezipieren. Rubin (1983) benennt bspw. neun Motive der Fernseh-
nutzung, die man sich mit dem Akronym SIEGESZUG merken kann: Spannung, Infor-
mation, Entspannung, Geselligkeit, Eskapismus, soziale Interaktion, Zeitvertreib,
Unterhaltung, Gewohnheit. Während Lea bspw. auf YouTube Entspannung sucht, nutzt
Ben das Medium, um sich über das Thema Fitness zu informieren.
Mediennutzer konsumieren nicht nur Medien; sie generieren auch selbst Medien-
inhalte. Man spricht dabei vom User-generated Content. Wenn Konsumenten auf
Spiegel-Online einen Artikel kommentieren oder auf YouTube ein Video hochladen, ist das
User-generated Content. Mithilfe des UGA kann man den Umgang von Konsumenten mit
nutzergeneriertem Inhalt erklären (Shao 2009). Menschen konsumieren User-generated
Content, um sich zu informieren oder zu unterhalten. Sie interagieren mit Medieninhalten
und mit anderen Nutzern, indem sie bspw. auf Kommentare antworten und dadurch ihr
Bedürfnis nach sozialer Beziehung befriedigen. Durch das Produzieren von eigenem Con-
tent drückt sich ihr Motiv nach Selbstverwirklichung und Selbstdarstellung aus.
11.2.1.2 GS-GO-Modell
Das GS-GO-Modell ist eine Weiterentwicklung des UGA (Palmgreen et al. 1985, vgl.
Abb. 11.2). Es betrachtet die gesuchte Gratifikation (engl.: GS: Gratification Sought)
und die erhaltene Gratifikation (engl.: GO: Gratification Obtained), die Menschen durch
Vorstellungen,
Erwartungen
Gesuchte Erhaltene
Medien-
Gratifikationen Gratifikationen
nutzung
GS GO
Bewertungen
die Nutzung der Medienangebote erfahren. Medienangebote können das Medium selbst
(TV), Genres, Programme oder Sendungen innerhalb des Mediums (Soap, Talkshow,
Reality-Doku) sowie Inhalte innerhalb des Programms (Beitrag über beliebte Reiseziele
in einem Boulevardmagazin) sein (Six et al. 2007). Konsumenten haben eine bestimmte
Vorstellung und Erwartung, inwiefern ein Medienangebot aufgrund seiner Eigenschaften
bestimmte Bedürfnisse befriedigen kann („Cicero ist ein Magazin für politische Kul-
tur, das man lesen sollte, wenn man sich tiefgreifend informieren will.“). Gleichzeitig
bewerten sie diese Eigenschaften des Medienangebots („Tiefgreifende Informationen
zu politischen Themen sind gut.“). Diese Erwartungen und Bewertungen verknüpfen sie
miteinander und entscheiden sich dann für die Nutzung des Medienangebots mit dem
höchsten angenommenen Ertrag („Cicero bietet tiefgreifendere Informationen zu poli-
tischen Themen als bspw. der Spiegel.“). Der Rezipient vergleicht, inwiefern die durch
die Nutzung des Medienangebots erhaltene Gratifikation dem erwarteten Ertrag ent-
spricht („Konnte ich durch das Lesen des Cicero-Magazins mein Informationsbedürfnis
befriedigen?“). Das Resultat dieses Vergleichs wirkt sich auf seine zukünftige Medienwahl
aus („Was für eine tolle Ausgabe, ich werde mir auch das nächste Exemplar kaufen.“).
Wenn Lea bspw. den Channel ihrer Lieblings-YouTuberin besucht, erwartet sie leicht ver-
dauliche Kost, die ihr hilft, aus ihrem Alltag zu entfliehen (Eskapismus). Diese Eigen-
schaften bewertet sie positiv. Zwar läuft parallel auch das Radio, doch nach der stressigen
Uni-Woche erwartet sie vom neuesten YouTube-Video mehr Entspannung. Die erhält sie
dann auch und beschließt, länger auf dem Channel zu verweilen als ursprünglich geplant.
Der UGA und das GS-GO-Modell basieren auf der Annahme, dass Menschen bei der
Medienwahl hohe kognitive Ressourcen aufwenden und dabei sehr reflektiert vorgehen.
Konsumenten wählen die genutzten Medien aber nicht immer bewusst und rational
gesteuert aus. Vielmehr wendet sich der Konsument häufig habitualisiert oder emotional
motiviert einem Medium zu.
Zillmann (1988) postuliert mit der Mood-Management-Theorie, dass es von der Stim-
mung des Rezipienten abhängt, welche Medieninhalte er auswählt. Als theoretische
Begründung nennt er das hedonische Prinzip, wonach Menschen bestrebt sind, posi-
tive Emotionen zu erzeugen und negative Emotionen zu vermeiden. Für die Stimmung
spielt das psychophysiologische Erregungsniveau (Abschn. 4.1.2) eine wichtige Rolle.
Ist es zu niedrig (z. B. Langeweile) oder zu hoch (z. B. Stress), fühlt man sich unwohl.
Indem sie Medieninhalte konsumieren, können Konsumenten diese unangenehmen
Zustände ausgleichen und ihr Wohlbefinden wiederherstellen. Bei Langeweile wählt man
abwechslungsreiche und anregende Medieninhalte und bei Stress beruhigende Inhalte,
die nichts mit der Ursache des Stresses zu tun haben. Der Prozess des Stimmungs-
managements verläuft unbewusst, sodass laut Mood-Management-Theorie Fragebögen
kein geeignetes Instrument zur Messung der Medienwahl sind. Forscher analysieren den
Einfluss des Stimmungsmanagements auf die Wahl von Medieninhalten daher meist im
Rahmen von Experimenten, bei denen sie bei den Probanden eine bestimmte Stimmung
induzieren und im Anschluss deren Medienwahl beobachten. Derartige Untersuchungen
belegen, dass die Stimmung des Rezipienten die Auswahl verschiedener Medieninhalte
beeinflusst, wie bspw. von Fernsehsendungen (Bryant und Zillmann 1984), Zeitungs-
artikeln (Biswas et al. 1994) oder Musik (Knobloch und Zillmann 2002).
Was machen Medien mit Menschen? Im Marketing interessiert diese Frage insb. im Rah-
men der Kommunikationspolitik und der Werbewirkungsforschung. Zweifellos wirkt
sich die über die Medien vermittelte Massenkommunikation auf das Erleben und Ver-
halten von Konsumenten aus. Wir widmen uns deshalb nun ausgewählten Effekten der
medialen Umwelt auf den Konsumenten.
11.3 Die Wirkung der medialen Umwelt … 185
Da der Informationsfluss stetig zunimmt und mehr und mehr Medienangebote vorliegen,
verstärkt sich die Ungleichheit zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Die
Wissenskluft vergrößert sich (Tichenor et al. 1970). Der Begriff Digital Divide (engl.:
digitale Spaltung) führt Wissensklüfte auf Unterschiede im Zugang zum Internet sowie
die Art und Weise der Nutzung des World Wide Web zurück. Beides hängt wiederum
vom sozioökonomischen Status (Abschn. 8.2.2) ab (Wei und Hindman 2011).
Unter Wissensillusion versteht man die Abweichung der subjektiven Einschätzung
des eigenen Wissens („Ich fühle mich gut informiert.“) vom tatsächlichen, objektiv
messbaren Wissen, das Konsumenten aus Medien beziehen. Insbesondere die Fernseh-
nutzung führt zur Wissensillusion, während Leser von Tageszeitungen ihr Wissen rea-
listischer einschätzen können. Erklärt wird dieser Zusammenhang damit, dass das TV
aufgrund seiner visuellen Komponente von der eigentlich zu übermittelnden Information
ablenkt (Six et al. 2007).
11.3.2 Flow-Erleben
Flow (engl.: Fließen) bezeichnet die völlige Vertiefung und das gänzliche Aufgehen in
einer Tätigkeit. Der Psychologe Mihalyi Csikszentmihalyi (1975, 1996) beobachtete die-
sen Zustand zunächst u. a. bei Extremsportlern (z. B. Bergsteigern) und verschiedenen
Berufsgruppen (z. B. Chirurgen). Später stellte man fest, dass Flow auch für das
Konsumverhalten relevant ist und dass er insb. im Umgang mit elektronischen Medien
(z. B. Internet, Computerspiele) auftritt (Hoffman und Novak 2009). Menschen, die
einen Flow-Zustand erleben (Csikszentmihalyi 1975, 1996),
• empfinden die Anforderung und die Rückmeldung aus einer Handlung klar und ver-
ständlich.
• wissen jederzeit und ohne darüber nachzudenken, was sie machen müssen.
• berichten, dass die Zeit wie im Flug vergeht.
Ob ein Konsument einen Flow-Zustand erlebt, hängt von seinen Fähigkeiten und den
Anforderungen der Tätigkeit ab. Flow erfordert, dass beides hoch ausgeprägt und im
Gleichgewicht ist (Csikszentmihalyi 1996, vgl. Abb. 11.3). Bei der Mediennutzung
hängt der Flow-Zustand insb. von den Medieninhalten (Anforderungen) und der Fähig-
keit des Nutzers, diese Medieninhalte zu interpretieren, ab. Letztere wird durch die
Medienerfahrung und die kognitiven Fähigkeiten des Konsumenten beeinflusst (Sherry
2004). Im Online-Kontext tritt das Flow-Erleben durch das direkte Feedback („Das Kli-
cken führte zur gewünschten Unterseite.“) besonders leicht ein. Es hängt aber stark von
der Komplexität der Website ab, wie hoch die Anforderung an den Nutzer ist. Höhere
Komplexität bedeutet allerdings häufig auch, dass die Website reichhaltiger und damit
interessanter ist. Während Konsumenten bspw. bei der Navigation auf der Website eine
niedrige strukturelle Komplexität präferieren („Wie komme ich schnell wieder auf die
Hauptseite?“), fördert eine hohe gestalterische und inhaltliche Komplexität das emp-
fundene Vergnügen beim Surfen („Toll, es gibt so viel zu entdecken.“) (Hoffmann et al.
2011; Mai et al. 2014).
Ob TV, Print oder Radio: Die meisten Medieninhalte finanzieren sich auch über Wer-
bung. Daher rezipieren Konsumenten nicht nur Medien-, sondern – gewollt oder
nicht – auch Werbeinhalte. Neue Werbeformate in den Sozialen Medien (engl. Social
Media) ergänzen die klassische Werbung im TV, auf Litfaßsäulen oder in Zeitschriften.
Apathie Langeweile
niedrig
gering Fähigkeiten hoch
11.4 Lernhilfe 187
u Merke Social Media umfasst digitale Medien und Technologien, die Personen, Netz-
werke, Communities und Organisationen nutzen, um miteinander zu kommunizieren,
zu kollaborieren sowie Content, Meinungen, Erfahrungen und Informationen zu teilen
(Tuten und Solomon 2017).
11.4 Lernhilfe
Quintessenz
Medien vermitteln zwischen dem Konsumenten und seiner Umwelt. Das Modell
der Informationsübertragung von Shannon und Weaver beschreibt die vermittelnde
Funktion. Erklärungsansätze wie der Uses-and-Gratification-Ansatz sowie das
GS-GO-Modell zeigen, dass Konsumenten Medien zur Befriedigung vielfältiger
Bedürfnisse und Motive nutzen. Bei der Mediennutzung können Konsumenten einen
Flow-Zustand erleben.
188 11 Mediale Umwelt
Let’s check
Vervollständigen Sie folgenden Satz:
Gemäß rationaler Erklärungsansätze der Mediennutzung sind u. a. __________ und
___________ Motive der Mediennutzung.
Vernetzende Fragestellung
Erläutern Sie mithilfe der Flow-Theorie, warum sich Reise-Blogs bei Konsumenten
großer Beliebtheit erfreuen, und diskutieren Sie mögliche Gefahren im Webdesign,
indem Sie die Forschungsergebnisse zur Websitekomplexität berücksichtigen.
Weiterführende Literatur
Literatur
u Lea is(s)t nicht so wie ihre Mutter „Sag mal, Lea, welches Auto fährt dein
neuer Freund Ben denn eigentlich?“ „Gar keins, Mama“, antwortet Lea genervt
durchs Telefon. „Und er wird sich auch nach dem Studium keines kaufen. Wir
fahren mit der Bahn. Der Umwelt zuliebe. Oder mit dem Fahrrad; das ist auch
gut für die Fitness. Wenn wir mal ein Auto brauchen, dann nutzen wir ein Car-
Sharing-Angebot.“ „Ach Lea, ohne eigenes Auto, das geht doch wirklich nicht.
Du, was soll ich eigentlich kochen, wenn ihr uns besucht? Schnitzel und Pom-
mes? Und danach gibt’s meine Spezialbowle, ja?“ „Kein Fleisch, kein Alkohol,
Mama. Und bitte nur Bio-Produkte und Fair Trade, o. k.?“ „Wo soll das nur hin-
führen? Euch kann man ja gar nichts mehr anbieten“.
Ganz offensichtlich unterscheiden sich die Konsummuster von Lea und
ihrer Mutter. Das Konsumentenverhalten ändert sich stetig im Einklang
mit verschiedenen gesellschaftlichen Trends. Doch auf welchen größe-
ren Entwicklungen beruhen diese Trends? Lassen sich allgemeine Muster
identifizieren? Und was sind derzeit die wichtigsten Verschiebungen im
Konsumverhalten?
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 191
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_12
192 12 Konsumentenverhalten im Wandel
Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, …
• Postmaterialismus-Hypothese,
• sozial-kognitive Modelle und
• Norm-Aktivierungs-Theorie.
Es finden derzeit zahlreiche gesellschaftliche Veränderungen statt, die ihre Spuren auch
im Konsumentenverhalten zeigen. Ein besonders bedeutsamer Trend ist die zunehmende
Digitalisierung, insb. die Verbreitung der Nutzung des mobilen Internets und die
zunehmende Bedeutung von Social Media. Wir haben diese Entwicklung in Kap. 11
besprochen.
Auch der demografische Wandel, der vor allem in den Industrienationen dazu
führt, dass die Bevölkerung durchschnittlich immer älter wird, wirkt sich stark auf das
Konsumentenverhalten aus. Durch gesündere Lebensstile und verbesserte medizinische
Versorgung sind Konsumenten zudem auch im hohen Alter noch fit und aktiv. Ältere
Zielgruppen werden deshalb für das Marketing interessanter – und auch, weil sie ver-
gleichsweise viele finanzielle Mittel zur Verfügung haben. Wir haben diese Zielgruppe in
Kap. 8 gezielt beleuchtet.
Ein weiterer gesellschaftlicher Trend mit Einfluss auf das Konsumverhalten ist
der Wertewandel, der dazu führt, dass Konsumenten materiellen Gütern weniger
Bedeutung beimessen und dass Themen wie individuelles Wohlbefinden, Glück, Lebens-
zufriedenheit, Selbstverwirklichung, aber auch Umweltschutz und Gesundheit an Rele-
vanz gewinnen. Dieser Trend verändert unsere Konsumgewohnheiten so stark, dass sich
innerhalb der Association of Consumer Research (dem zentralen internationalen Verband
12.2 Postmaterialismus-Hypothese 193
zur Konsumentenforschung) in den letzten Jahren eine Untergruppe zum Thema Trans-
formative Consumer Research (TCR) gebildet hat. Anhänger dieser Forschungs-
strömung untersuchen das Konsumentenverhalten gezielt mit Blick darauf, wie sich das
subjektive und kollektive Wohlbefinden steigern lässt (Mick et al. 2011). Forschungs-
felder wie Tabak-, Alkohol- und Drogenkonsum (= „negatives“ oder dysfunktionales
Konsumverhalten) werden ebenso beleuchtet wie umweltbewusstes und gesund-
heitsbewusstes Konsumentenverhalten (= „positives“ Konsumverhalten). In diesem
Kapitel gehen wir auf einige ausgewählte Themen dieser spannenden, aufstrebenden
Forschungsrichtung ein.
12.2 Postmaterialismus-Hypothese
Die These der Wertesubstitution auf gesellschaftlicher Ebene ist eng mit der in
Abschn. 3.3.1.1 beschriebenen individuellen Bedürfnishierarchie von Maslow (1987)
und der ihr zugrunde liegenden Defizithypothese verbunden: Eine in materieller Hinsicht
zufriedene Person wendet sich dennoch unbefriedigten postmateriellen Werten zu und
Themen wie das individuelle Wohlbefinden, der Erhalt der eigenen Gesundheit und der
Schutz der natürlichen Umwelt gewinnen an Bedeutung.
Ein wichtiger Aspekt im Zuge des Wertewandels und der Zunahme postmaterialistischer
Orientierungen sind die wachsende Konsumentenverantwortung (die Consumer Social
12.3 Gesundheitsbewusstes Konsumentenverhalten 195
Responsibility, ConSR; Devinney et al. 2006) und die zunehmende Bedeutung des ethi-
schen Konsums. Der Begriff ethischer Konsum soll hier als Sammelbegriff dienen, der
das nachhaltige, grüne, umweltbewusste und prosoziale Konsumverhalten vereint. All
diese Konsumformen beschreiben in Nuancen unterschiedliche Dinge. Die gemeinsame
Klammer besteht darin, dass Konsumenten neben ihren individuellen Vorteilen bei der
Kaufentscheidung auch ethische und moralische Kriterien beachten (Balderjahn 2013,
S. 199). Hierzu zählen bspw. Kriterien wie Gerechtigkeit und Fairness gegenüber ande-
ren Menschen und nachfolgenden Generationen. Ethisches Konsumverhalten steht häu-
fig im Spannungsverhältnis zwischen egoistischen Motiven (z. B. „Ich möchte schicke
und günstige Kleidung beim Händler XY kaufen.“) und moralischen Verpflichtungen
(z. B. „Ich kann kein Unternehmen unterstützen, das grundlegende soziale Standards im
Produktionsprozess nicht erfüllt.“). Da sich häufig eher die egoistischen Motive durch-
setzen und Konsumenten ihr Konsumverhalten nur nach außen oder vor sich selbst als
ethisch darstellen möchten (Symmank und Hoffmann 2017), sprechen manche Kritiker
auch vom „Mythos des ethischen Konsumenten“ (Devinney et al. 2010). Wir werden
darauf noch genauer eingehen, wenn wir das umweltbewusste Konsumentenverhalten
beleuchten (Abschn. 12.4).
Die eigene Gesundheit zu erhalten, hat für immer mehr Menschen eine zunehmende
Bedeutung. Dies hat Auswirkungen auf das Konsumverhalten und äußert sich u. a., aber
nicht nur, im Ernährungsverhalten. Bioprodukte werden immer stärker nachgefragt und
die Zahl der Vegetarier und Veganer nimmt kontinuierlich zu. Ein besseres Verständ-
nis der Beweggründe der gesundheitsbewussten Konsumenten ist deshalb für Unter-
nehmen, die gesundheitspositionierte Produkte vermarkten, von Interesse. Aber auch
aus Sicht des Social Marketings ist dieses Wissen wichtig. Viele Erkrankungen wie
Diabetes Mellitus Typ 2, Adipositas oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden durch
gesundheitsschädigende Verhaltensweisen wie Rauchen, ungesunde Ernährung und
Bewegungsmangel (mit)verursacht und Änderungen im Lebens- und Konsumstil kön-
nen hier entgegenwirken. Social-Marketing-Kampagnen können Konsumenten zu Ver-
haltensänderungen hin zu einem gesünderen Lebensstil anregen (Loss und Nagel 2010).
Sie entfalten ihre Wirkung aber nur dann, wenn den Gestaltern der Kampagnen bewusst
ist, was Konsumenten dazu bewegt, sich gesünder verhalten zu wollen, und unter wel-
chen Bedingungen sie ihr Verhalten tatsächlich ändern.
Um erklären und beeinflussen zu können, wann sich Konsumenten gesundheits-
bewusst verhalten, sind insb. Modelle aus der gesundheitspsychologischen Forschung,
die auf sozial-kognitiven Ansätzen beruhen, hilfreich (Faselt et al. 2010). Diese Modelle
diskutieren Variablen, die sich – anders als sozio-ökonomische Variablen – durch die
Person selbst oder durch Anstöße von außen verändern lassen. Es gibt zwei grundsätz-
liche Typen sozial-kognitiver Modelle.
196 12 Konsumentenverhalten im Wandel
• Egoistische Orientierung: Schutz der Umwelt um Nutzen für sich selbst daraus zu
ziehen.
• Altruistische Orientierung: Schutz der Umwelt, da die Umwelt dem Wohl der
(Mit-)Menschen dient.
• Biosphärische Orientierung: Schutz der Umwelt um ihrer selbst und der darin
lebenden Arten willen.
Viele empirische Studien belegen einen zunehmenden Trend, dass Verbraucher auf
ökologische Aspekte Wert legen. So zeigt bspw. das durch das Bundesministerium für
Ernährung und Landwirtschaft in Auftrag gegebene Ökobarometer 2013 auf, dass die
Einhaltung sozialer Standards (genannt von 44 % der 742 Befragten) und der Beitrag
zum Klimaschutz (41 %) wichtige Motive des Kaufs ökologischer Lebensmittel sind
(BMELV 2013). Auch andere aktuelle Umfragen wie die Otto-Trendstudie zum ethi-
schen Konsum bestätigen dies, wobei Kriterien wie Regionalität und Saisonalität an
Bedeutung gewinnen (Otto Group 2013). Nichtsdestotrotz sind die Verkaufszahlen von
ökologischen Produkten noch immer auf niedrigem Niveau (Eyerund 2016), die Bereit-
schaft höhere Preise zu bezahlen, gering und die Bedeutung ökologischer Kriterien
scheint auch nicht in allen Konsumbereichen gleich stark verbreitet zu sein. In Kap. 6
haben wir die Einstellungs-Verhaltens-Lücke anhand der Theorie des geplanten Ver-
haltens beleuchtet; das (nicht) umweltbewusste Konsumverhalten ist ein klassisches Bei-
spiel für diese Lücke. Welche speziellen Theorien tragen dazu bei, die Lücke in diesem
Bereich zu erklären?
Das Norm-Aktivierungs-Modell von Schwartz (1977) ist ein Erklärungsansatz, der
ursprünglich Hilfeverhalten erklären sollte und nun helfen kann, zu verstehen, wann die
genannten Motive unser Konsumverhalten steuern. Der Ansatz unterscheidet mehrere
Phasen eines kognitiven Verarbeitungsprozesses:
• Der Entscheidungsprozess beginnt damit, dass die Person die zunehmende Umwelt-
verschmutzung als Problem erkennt und zu der Erkenntnis gelangt, dass sie durch ihr
eigenes Konsumverhalten zur Minderung des Problems beitragen kann.
• Nun werden persönliche Normen salient. Diese umfassen internalisierte moralische
Überzeugungen, welche die Ansprüche der Person an sich selbst ausdrücken. Sie sind
von sozialen Normen abzugrenzen, die vom sozialen Umfeld vorgegeben werden. Die
Aktivierung persönlicher Normen führt dazu, dass sich die Person moralisch dazu
verpflichtet fühlt, zu intervenieren.
• Umweltbewusstes Konsumverhalten verursacht häufig subjektive Kosten (z. B. Ver-
zicht auf bevorzugte Produkte oder Aufpreise für ökologische Produktvarianten).
198 12 Konsumentenverhalten im Wandel
Will die Person diese vermeiden, muss sie ihre moralische Verpflichtung leugnen
oder die Situation in anderer Weise zu ihren Gunsten umdeuten.
• Ob eine Person tatsächlich ökologisch handelt, hängt ab vom Zusammenspiel der
aktivierten persönlichen Normen, der wahrgenommenen Verantwortung und den anti-
zipierten Konsequenzen des Nichthandelns.
Auch nach der Low-Cost-Hypothese verhalten sich Verbraucher vor allem dann
umweltfreundlich, wenn dies keine Kosten verursacht (Diekmann und Preisendörfer
2003). Die erlebten Kosten dürfen jedoch nicht nur monetär verstanden werden, son-
dern beinhalten auch die benötigten zeitlichen Ressourcen. Ethisches Konsumentenver-
halten (zu dem auch das umweltbewusste Konsumentenverhalten zählt) steht immer im
Spannungsverhältnis zwischen Eigeninteressen (z. B. Spaß haben, die eigene Gesund-
heit schützen) und empfundenen moralischen Verpflichtungen (z. B. andere schützen, die
Umwelt schützen) (Balderjahn 2013, S. 199). Umweltbewusster Konsum, der einer emp-
fundenen moralischen Verpflichtung folgt, widerspricht häufig unseren Eigeninteressen.
Wenn man sich selbst einschränkt (siehe Abschn. 12.5), reduziert dies die Möglichkeiten
der utilitaristischen und hedonischen Bedürfnisbefriedigung. Entscheidet man sich bei
der Wahl eines neuen Produktes für eine ökologische Alternative, so ist damit häufig ein
Aufpreis, mehr Recherche- oder Beschaffungsaufwand oder eine geringe Produktquali-
tät, eine schlechteres Design, eine eingeschränkte Funktionalität etc. verbunden.
Interessanterweise überlappt nur die egoistische Orientierung der Value Belief Norm
Theory mit den Eigeninteressen und es ist in diesem Fall am wenigsten wahrscheinlich,
dass für den Konsumenten ein Entscheidungsdilemma entsteht. Die altruistische und bio-
sphärische Orientierung widerspricht dagegen häufig den Eigeninteressen und erfordert
damit Opfer vom Konsumenten. Nicht jeder ist bereit, diese Opfer zu bringen. Möchte
man ökologische Produkte an breitere Bevölkerungsschichten vermarkten, ist es deshalb
sinnvoll, auch egoistische Motive anzusprechen. Dies ist bspw. bei Bio-Lebensmitteln
der Fall, die nicht nur zum Schutz der Umwelt gekauft werden. Für viele steht vielmehr
das Motiv der eigenen Gesundheit oder ein stärkeres Geschmacksempfinden als Motiv
im Vordergrund (Joerß et al. 2017).
12.5 Antikonsum
Immer mehr Menschen entscheiden sich bewusst dagegen, bestimmte Dinge zu kaufen.
Manche tun dies, um negative Auswirkungen auf die Umwelt oder andere Menschen zu
reduzieren. So boykottieren viele Menschen Unternehmen, die nicht ethisch handeln.
Auch Trends wie vegan zu leben, die sich immer weiter ausbreiten, sind Beispiele dafür.
Andere, z. B. die Voluntary Simplifier (die „freiwilligen Vereinfacher“ oder „Genüg-
samen“) reduzieren ihren Konsum insgesamt, um ein erfüllteres und stressfreieres Leben
zu führen, das weniger von materiellen Zwängen abhängt (Peyer et al. 2017). Die Anti-
konsum-Forschung analysiert all diese Trends, um gesellschaftliche Veränderungen zu
12.6 Sharing 199
12.6 Sharing
Teilen und nutzen statt kaufen und besitzen. Der gemeinschaftliche Konsum („Colla-
borative Consumption“) von Produkten gewinnt immer mehr an Bedeutung und wird
als Sharing bezeichnet (Botsman und Rogers 2010; Belk 2007). Sharing bedeutet, ich
gebe einem anderem etwas, das mir gehört, damit er es nutzen kann, und/oder erhalte
etwas von einem anderem, damit ich es nutzen kann. Dabei unterscheidet man zwi-
schen Sharing-in und Sharing-out (Belk 2010). Sharing-in bezeichnet das gemeinsame
Nutzen von Dingen mit Familie und Freunden. Es geschieht oftmals intuitiv und
automatisch. Wer bspw. im Restaurant eine Flasche Wein bestellt, teilt diese i. d. R.
mit seiner Begleitung, ohne im Anschluss aufzurechnen, wer wie viel getrunken hat.
200 12 Konsumentenverhalten im Wandel
12.7 Lernhilfe
Quintessenz
Die Digitalisierung, der demografische Wandel und der Wertewandel sind Mega-
trends mit enormen Auswirkungen auf das Verhalten von Konsumenten. Die Post-
materialismus-Hypothese postuliert, dass die Relevanz materieller Werte (des
„Habens“) dann schwindet und postmaterielle Werte (des „Seins“) an Bedeutung
gewinnen, wenn eine Gesellschaft wohlhabender wird. In den reichen Industrie-
nationen wird es für viele Menschen deshalb immer wichtiger, ihr Konsumverhalten
so zu gestalten, dass sie dabei die eigene Gesundheit schützen und der natürlichen
Umwelt möglichst wenig Schaden zufügen. Immer mehr Konsumenten praktizieren
auch „Antikonsum“, d. h., sie schränken ihr Konsumverhalten bewusst und freiwillig
ein. Ethisches Konsumverhalten steht allerdings häufig im Spannungsverhältnis zwi-
schen egoistischen Motiven und moralischen Verpflichtungen. Die immer beliebter
werdenden Sharing-Angebote bieten eine Möglichkeit, Produkte zu nutzen, ohne zu
viele Ressourcen zu beanspruchen.
12.7 Lernhilfe 201
Quelle: 1Lamberton und Rose (2012); 2Ozanne und Ballantine (2010); 3Hellwig et
al. (2015); 4Möhlmann (2015); 5Seegebarth et al. (2016); 6Akbar et al. (2016)
O Suffizienz-Option
O Rehearsal-Option
O Salienz-Option
O Effizienz-Option
O Recycling-Option
Vernetzende Fragestellung
Im Einstiegsbeispiel wurde beschrieben, dass sich Leas Konsumgewohnheiten stark
von denen ihrer Mutter unterscheiden. Welche Unterschiede im Konsumentenver-
halten können Sie zwischen Angehörigen Ihrer Generation und älteren Konsumenten
in Ihrem Umfeld beobachten? Rufen Sie sich die Unterscheidung von Alters- und
Kohorten-Effekten, die wir in Kap. 8 diskutiert haben, in Erinnerung. Welche der
beobachteten Unterschiede in Ihrem sozialen Umfeld sind Alterseffekte und welche
Unterschiede können auf die Kohorten zurückgeführt werden? Welche Unterschiede
sind auf die angesprochenen Megatrends Digitalisierung, demografischer Wandel und
Wertewandel zurückzuführen? Wagen Sie eine Prognose, welche Trends zukünftig
relevant sein werden und wie sich das Konsumentenverhalten in Zukunft ändern wird!
Weiterführende Literatur
Belz, F.-M., & Peattie, K. (2012). Sustainability marketing: A global perspective (2. Aufl.).
NewYork: Wiley.
Hoffmann, S., & Müller, S. (2010). Gesundheitsmarketing: Gesundheitspsychologie und Prä-
vention. Bern: Huber.
Peyer, M., Balderjahn, I., Seegebarth, B., & Klemm, A. (2017). The role of sustainability in profi-
ling voluntary simplifiers. Journal of Business Research, 70, 37–43.
Literatur
Akbar, P., Hoffmann, S., & Mai, R. (2016). When do materialistic consumers join commercial
sharing systems? Journal of Business Research, 69(10), 4215–4224.
Balderjahn, I. (2013). Nachhaltiges Management und Konsumentenverhalten. München: UTB.
Becker, M. H. (1974). The health belief model and personal health behavior. Thorofare: Slack.
Belk, R. (2007). Why not share rather than own? The Annals of the American Academy of Political
and Social Science, 611(1), 126–140.
Belk, R. (2010). Sharing. Journal of Consumer Research, 39(5), 715–734.
BMELV. (2013). Ökobarometer 2013. Repräsentative Bevölkerungsbefragung im Auftrag des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV). http://
www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Ernaehrung/Oekobarometer_2013.pdf. Zugegriffen: 04.
Mai 2016.
Botsman, R., & Rogers, R. (2010). What’s mine is yours: The rise of collaborative consumption.
New York: Harper.
Literatur 203
Chancellor, J., & Lyubomirsky, S. (2014). Money for happiness: The hedonic benefits of thrift. In
M. Tatzel (Hrsg.), Consumption and well-being in the material world (S. 13–48). New York:
Springer.
Chatzidakis, A., & Lee, M. S. W. (2013). Anti-consumption as the study of reasons against. Jour-
nal of Macromarketing, 33(3), 190–203.
Devinney, T. M., Auger, P., & Eckhardt, G. M. (2006). The other CSR: Consumer social responsi-
bility. Stanford Social Innovation Review, 4(3), 30–37.
Devinney, T. M., Auger, P., & Eckhardt, G. M. (2010). The myth of the ethical consumer. Cam-
bridge: Cambridge University Press.
Diekmann, A., & Preisendörfer, P. (2003). Green and greenback. The behavioral effects of environ-
mental attitudes in low-cost and high-cost situations. Rationality and Society, 15(4), 441–472.
Easterlin, R. A. (1974). Does economic growth improve the human lot? Some empirical evidence.
In P. A. David & M. W. Reder (Hrsg.), Nations and households in economic growth: Essays in
honor of moses abrainovitz (S. 89–125). New York: Academic Press.
Easterlin, R. A. (1995). Will rising the incomes of all increase the happiness of all. Journal of Eco-
nomic Behavior and Organizations, 27(1), 35–47.
Eyerund, T. (2016). Umweltfreundliche Produkte. Mind the Gap. Institut der deutschen Wirtschaft.
http://www.iwkoeln.de/studien/gutachten/beitrag/theresa-eyerund-umweltfreundliche-pro-
dukte-259841. Zugegriffen: 04. Mai 2016.
Faselt, F., & Hoffmann, S. (2010). Theorien des Gesundheitsverhaltens. In S. Hoffmann &
S. Hoffmann (Hrsg.), Gesundheitsmarketing: Gesundheitspsychologie & Prävention (S. 15–34).
Bern: Huber.
Friedman, M. (1999). Consumer boycotts: Effecting change through the marketplace and the
media. London: Routledge.
Hellwig, K., Morhart, F., Girardin, F., & Hauser, M. (2015). Exploring different types of sharing: A
proposed segmentation of the market for „sharing“ businesses. Psychology & Marketing, 32(9),
891–906.
Hoffmann, S. (2011). Anti-consumption as a means of saving jobs. European Journal of Marke-
ting, 45(11/12), 1702–1714.
Hoffmann, S., & Müller, S. (2009). Consumer boycotts due to factory relocation. Journal of Busi-
ness Research, 62(2), 239–247.
Inglehart, R. (1997). Modernization and postmodernization: Cultural, economic and political
change in 43 societies. Princeton: Princeton University Press.
Inglehart, R., & Welzel, C. (2005). Modernization, cultural change and democracy: The human
development sequence. New York: Cambridge University Press.
Joerß, T., Akbar, P., Mai, R., & Hoffmann, S. (2017). Conceptualizing sustainability from a consu-
mer perspective. uwf UmweltWirtschaftsForum, 25(1–2), 15–23.
Kahneman, D., & Deaton, A. (2010). High income improves evaluation of life but not emotional
well-being. Proceedings National Academy of Sciences, 107, 16489–16493.
Lamberton, C. P., & Rose, R. L. (2012). When is ours better than mine? A framework for unders-
tanding and altering participation in commercial sharing systems. Journal of Marketing, 76(4),
109–125.
Lee, M. S. W., Motion, J., & Conroy, D. (2009). Anti-consumption and brand avoidance. Journal
of Business Research, 62(2), 169–180.
Loss, J., & Nagel, E. (2010). Social Marketing – Verführung zum gesundheitsbewussten Ver-
halten? Gesundheitswesen, 72(1), 54–62.
Maslow, A. H. (1987). Motivation and personality (3. Aufl.). New York: Harper & Row.
Mick, D. G., Pettigrew, S., Pechmann, C., & Ozanne, J. L. (2011). Transformative consumer
research for personal and collective well-being. New York: Routledge.
204 12 Konsumentenverhalten im Wandel
A disassoziative, 143
Adaption, 78 informelle, 143
Affekt, 55 Bezugsgruppeneinfluss
Affiliate-Marketing, 187 informatorischer, 144
AIDA-Modell, 74 utilitaristischer, 144
AIO-Ansatz, 131 wertexpressiver, 144
Alterseffekt, 129 Bottom-up-Prozess, 78
Ankerheuristik, 119 Bounded Rationality, 112
Annäherungs-Annäherungs-Konflikt, 45 Brand Love, 60
Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt, 45
Anreiz, 38
Antikonsum, 198 C
Apparative Verfahren, 25 Chunking-Hypothese, 83
Appraisal-Theorie, 61 Clusteranalyse, 126
Association of Consumer Research, 192 Co-Creation, 4
Assoziation, implizite, 97 Collaborative Consumption, 199
Assoziatives Netzwerk, 84, 99 Compliance, 172
Atmosphäre, 162 Consumer Neuroscience, 25
Aufmerksamkeit, 73 Content Marketing, 187
Crowd Behavior, 172
Crowding, 172
B Customer Journey, 8
Banner-Blindness, 73 Customer-Participation, 4
Basisemotion, 59
Basisrate, 118
Bedrohungseinschätzung, 64 D
Bedürfnispyramide, 40 Default, 121
Bedürfnisse, 37, 40 Deklaratorisches Gedächtnis, 84
Befragung, 22 Dekomponierende Methode, 94
Beobachtung, 24 Deliberativer Modus, 98
Bewältigungseinschätzung, 64 Demografischer Wandel, 128, 192
Bezugsgruppe, 143 Digitalisierung, 192
aspiratorische, 143 Dilemma, soziales, 151
assoziative, 143 Door in the face, 173
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 205
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3
206 Stichwortverzeichnis
Drei-Komponenten-Modell, 91 prozedurales, 84
Drei-Speicher-Modell, 82 Gefühl, 55
Duale Prozesstheorien, 98 Generalisierungsdesign, 21
Duftmarketing, 163 Generation, 129
Gesichtsausdrücke, Universalität, 60
Gestaltprinzipien, 79
E Gestaltpsychologie, 79
Einstellung, 89, 92 Gesundheitsbewusstes
implizite, 97 Konsumentenverhalten, 195
Einstellungsänderung, 95 Gimpeleffekt, 152
Einstellungs-Verhaltens-Hypothese, 91 GLOBE-Projekt, 136
Elaboration Likelihood Model (ELM), 95 Gruppendiskussion, 20
Emotion, 55 GS-GO-Modell, 182
Emotionstheorie, 58 Guerilla-Marketing, 76
biologische, 58
kognitive, 61
Entscheidung, 106 H
Anomalien, 117 Handeln, kollektives, 151
Eigenschaften, 108 Handlung, 35
Komponenten, 107 Hedonisches Prinzip, 43, 184
unter Unsicherheit, 112 Heuristik, 117
Entscheidungsarchitektur, 121 Ankerheuristik, 119
Entscheidungstheorie Repräsentativitätsheuristik, 118
deskriptive, 112 Verfügbarkeitsheuristik, 118
normative, 111 Hofstedes Kulturkonzeption, 136
Entsorgung, 4 Homo oeconomicus, 18, 111
Eskapismus, 182 Hygienefaktor, 41
Ethischer Konsum, 195
Event-Marketing, 57
Experiment, 26 I
Extrinsischer Anreiz, 38 Imitationslernen, 82
Implizite Assoziation, 97
Implizite Einstellung, 97
F Impliziter Assoziationstest (IAT), 99
Feldtheorie, 44 Inattentional Blindness, 73
Fishbein-Modell, 94 Individualmedien, 180
Flow, 185 Informationsrate, 160
Foot in the door, 173 Informationsverarbeitung, 72
Forschungsmethode Inhaltsanalyse, 20
qualitative, 19 Inhaltstheorie, 39
quantitative, 18 Interkulturelle Unterschiede, 134
Framing, 119 Interpretativer Ansatz, 18
Funktionelle Magnetresonanztomografie, 25 Interview, 20
Furcht, 64 Intrinsischer Anreiz, 38
Isolationseffekt, 116
G
Gedächtnis K
deklaratorisches, 84 Karte, kognitive, 166
Stichwortverzeichnis 207
U Verpackung, 169
Ultimate Ursachen, 46 VIE-Theorie, 41
Umwelt Virales Marketing, 150
mediale, 178 Voluntary Simplifier, 198
physische, 158 Vorstudiendesign, 21
soziale, 142
Umweltbewusstes Konsumentenverhalten, 196
Umweltpsychologisches Verhaltensmodell, 159 W
Unbewusste Reizverarbeitung, 76 Wahrgenommene Verhaltenskontrolle, 93
Unhealthy Intuition s. Tasty-Intuition, 99 Wahrnehmung, 77
Universalität von Gesichtsausdrücken, 60 selektive, 77
User-generated Content, 182 Wear-out-Effekt, 78
Uses-and-Gratification-Ansatz, 181 Werte, 133
Wertefunktion, 114
Wertewandel, 192
V Wertkonzeption von Schwartz, 133
Valenz, 44 Wissen
Validität, 24 prozedurales, 85
externe, 28 semantisches, 84
interne, 28 Wissensillusion, 185
ökologische, 28 Wissensklufthypothese, 185
Value Belief Norm Theory, 197 Word-of-Mouth, 150
Vampireffekt, 75
Verbrauch, 3
Verfügbarkeitsheuristik, 118 Z
Verhaltenskontrolle, wahrgenommene, 93 Zentrale Route, 96
Verhaltenswissenschaften, 4 Zieldistanzierung, 36
Verkäufer, 171 Zielengagement, 36
Verkäufermarkt, 6 Zielsetzung, 38
Verkaufstechniken, 172 Zwei-Faktoren-Theorie, 41, 62
Vermeidungs-Vermeidungs-Konflikt, 45