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Stefan Hoffmann

Payam Akbar

Konsumenten-
verhalten
Konsumenten verstehen –
Marketingmaßnahmen gestalten
2. Auflage
Konsumentenverhalten
Stefan Hoffmann · Payam Akbar

Konsumentenverhalten
Konsumenten verstehen –
­Marketingmaßnahmen gestalten
2., aktualisierte Auflage
Stefan Hoffmann Payam Akbar
Institut für Betriebswirtschaftslehre Institut für Betriebswirtschaftslehre
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Kiel, Schleswig-Holstein, Deutschland Kiel, Schleswig-Holstein, Deutschland

ISBN 978-3-658-23566-6 ISBN 978-3-658-23567-3  (eBook)


https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3

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Vorwort zur 2. Auflage

Konsumentenverhalten1 ist ein Thema, das jeder spannend findet. Denn auch diejenigen,
die nicht im Marketing und Verkauf oder Verbraucherschutz arbeiten, interessiert das
Thema meist persönlich. Warum ist der Einkaufswagen an der Kasse voller als ursprüng-
lich geplant? Kann Werbung einen beeinflussen? Wieso will man unbedingt das neue
iPhone? Weshalb ärgert es einen, dass der Nachbar einen größeren Vorgarten hat als man
selbst? Die empirisch gut erforschte Disziplin Konsumentenverhalten ist alltagsnah und
relevant für die Unternehmenspraxis. Zu allen Facetten des Konsumentenverhaltens – vom
gewohnheitsmäßigen Kauf des Lieblingsjoghurts bis zur wohldurchdachten und langfristig
geplanten Entscheidung, ein Eigenheim zu erwerben, und auch von der Preisbereitschaft
bei Spendenaufrufen bis zur Nutzung des Like-Buttons auf Facebook – liegen geeignete
Theorien und unzählige empirische Befunde vor.
Die zwölf Kapitel dieses Buches werfen ein Schlaglicht auf die Schwerpunkte der
Konsumentenverhaltensforschung. Wir beginnen mit dem Begriffsverständnis und
umreißen den theoretischen und methodischen Ansatz knapp. Anschließend besprechen
wir Einflüsse auf das Konsumentenverhalten, die sich voranging in unserem „Inneren“
abspielen: Motivation, Emotion und Kognition sowie Einstellung und Entscheidung.
Danach weiten wir den Blick und zeigen auf, dass sich das Verhalten zwischen ver-
schiedenen Konsumentengruppen systematisch unterscheidet und wir betrachten Ein-
flüsse aus der sozialen, physischen und medialen Umwelt. Am Ende des Buches
verdeutlichen wir, wie das Konsumentenverhalten in allgemeine gesellschaftliche Ent-
wicklungen eingebettet ist und sich damit im Laufe der Zeit stetig wandelt.
Dieses Buch richtet sich an Studierende in den Fachbereichen Betriebswirtschafts-
lehre, Psychologie, Kommunikationswissenschaften und angrenzenden Disziplinen. Es
soll zur Nachbereitung von Vorlesungen zum Thema Konsumentenverhalten und zur

1Hinweis zur Sprache: Dieses Buch ist nicht nur ein Überblick über das Konsumentenverhalten,
sondern auch eines über das Konsumentinnenverhalten. Wir nutzen der einfachen Lesbarkeit hal-
ber meist nur die männliche Form. Selbstverständlich gelten alle Ausführungen gleichermaßen für
Konsumentinnen und für Konsumenten.

V
VI Vorwort zur 2. Auflage

Vorbereitung auf die Prüfung dienen. Deshalb findet der Leser am Ende jedes K ­ apitels
Fragen zur Selbstkontrolle und Literaturempfehlungen. Die vorgestellten Theorien und
Modelle werden am Beispiel von zwei fiktiven Konsumenten, Lea und Ben, durch-
gespielt und somit lebendig und alltagsnah dargestellt. Zusätzlich binden wir Online-
Content in Form von Videos und Websites ein, um Inhalte anhand von Beispielen zu
verdeutlichen. Scannen Sie hierzu einfach den QR-Code an entsprechender Stelle.
Natürlich möchten wir allen danken, die uns bei der Anfertigung dieses Buches unter-
stützt haben. Unser besonderer Dank gilt Angela Meffert vom Springer-Verlag, die mit
der Idee eines Lehrbuches zum Konsumentenverhalten an uns herangetreten ist und uns
in allen Phasen unterstützt hat. Ein herzliches Dankeschön geht an unser Team am Lehr-
stuhl für Marketing der CAU Kiel, das die Texte Korrektur gelesen und uns mit Ideen,
Diskussionen und Expertise unterstützt hat: Dr. Robert Mai, Tom Joerß und Wassili Lasa-
rov. Unser besonderer Dank geht an Frau Almut Hahn-Mieth für die äußerst gewissen-
hafte Kontrolle des Manuskripts und die inhaltlichen Anregungen. Ferner danken wir
Frau Prof. Dr. Katharina Klug für ihre Unterstützung in der Anfangsphase des Buchs. Wir
danken auch allen studentischen Hilfskräften, die uns bei Literaturrecherchen und Forma-
tierungen sowie mit Feedback unterstützt haben. Hier sind insb. Herr Philip Hutchinson
und Herr Nils Hoffmann zu nennen. Frau Jacqueline Galow, unsere ehemalige studenti-
sche Hilfskraft am Marketing-Lehrstuhl, machte sich – wie schon im Buch Professionel-
les Guerilla-Marketing – als Fotomodel für den Prozess der klassischen Konditionierung
verdient. Dem StoryTelling-Trainer Johannes Büchs verdanken wir eine zündende Idee
für die Motor-Metapher der Mediator/Moderator-Unterscheidung. Wir bedanken uns auch
bei den zahlreichen Studierenden, die mit ihrem Feedback zur ersten Auflage des Buches
zu einer substantiellen Weiterentwicklung in der zweiten Auflage beigetragen haben.
Insbesondere danken wir Prof. Dr. Susanne Liebermann und Dr. Katrin Liethmann. Sie
waren für uns wertvolle Sparringspartner in allen Phasen des Projektes.

Ihre Meinung ist uns wichtig


Wir haben dieses Lehrbuch mit dem Ziel geschrieben, dass Sie damit erfolgreich arbei-
ten und lernen können. Darum ist uns Ihre Meinung wichtig. Scannen Sie den QR-Code
und teilen Sie uns bitte Ihre Meinung mithilfe einer dreiminütigen Befragung mit. Wir
freuen uns auf Ihr Feedback!

Kiel, Deutschland Stefan Hoffmann


im Sommer 2018 Payam Akbar
Inhaltsverzeichnis

1 Konsumenten und Verhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1


1.1 Was ist Konsumentenverhalten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
1.2 Warum ist Wissen über Konsumentenverhalten wichtig? . . . . . . . . . . . . 5
1.3 Erklärungsmodelle des Konsumentenverhaltens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.3.1 Totalmodelle des Konsumentenverhaltens. . . . . . . . . . . . . . . . . 7
1.3.2 Partialmodelle des Konsumentenverhaltens. . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.4 Überblick über die Themen des Konsumentenverhaltens. . . . . . . . . . . . 11
1.5 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2 Konsumentenverhaltensforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
2.1 Gegenstand und Aufgaben der Konsumentenverhaltensforschung. . . . . 16
2.2 Grundlegende Forschungsansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
2.2.1 Quantitative Forschungsmethoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
2.2.2 Qualitative Forschungsmethoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
2.2.3 Mixed Methods als Verknüpfung der Forschungsansätze. . . . . 21
2.3 Primär- vs. Sekundärforschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
2.4 Formen der Informationsgewinnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
2.4.1 Befragungen und Operationalisierung von Konstrukten. . . . . . 22
2.4.2 Beobachtung von Probanden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
2.4.3 Apparative Verfahren und Consumer Neuroscience . . . . . . . . . 25
2.4.4 Experimente und der Nachweis von Kausalität. . . . . . . . . . . . . 26
2.5 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
3 Motivation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
3.1 Merkmale motivierten Handelns. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
3.1.1 Motiv und Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

VII
VIII Inhaltsverzeichnis

3.1.2 Streben nach Wirksamkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35


3.1.3 Zielengagement und Zieldistanzierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
3.2 Motivation als Produkt von Person und Situation. . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
3.2.1 Personenfaktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
3.2.2 Situationsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
3.3 Konsumentenverhalten durch Motivationstheorien erklären. . . . . . . . . . 39
3.3.1 Inhaltstheorien der Motivation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
3.3.2 Prozesstheorien der Motivation: Die VIE-Theorie. . . . . . . . . . . 41
3.3.3 Theorie des regulatorischen Fokus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
3.3.4 Lewins Feldtheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
3.4 Motive des Konsumentenverhaltens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
3.4.1 Verhaltensübergreifende Konsumentenmotive. . . . . . . . . . . . . . 46
3.4.2 Verhaltensspezifische Konsumentenmotive. . . . . . . . . . . . . . . . 47
3.5 Messung von Motiven. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
3.6 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
4 Emotion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
4.1 Kennzeichen von Emotionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
4.1.1 Merkmale von Emotionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
4.1.2 Komponenten einer Emotion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
4.1.3 Von der Konsumenten-Emotion zur
Konsumenten-Motivation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
4.2 Emotionstheorien zur Erklärung des Konsumentenverhaltens . . . . . . . . 58
4.2.1 Biologische Ansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
4.2.2 Kognitive Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
4.3 Konsumenten-Emotionen messbar machen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
4.3.1 Verbale Verfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
4.3.2 Apparative Verfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
4.4 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
5 Kognition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
5.1 Aufmerksamkeit und Informationsselektion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
5.1.1 Aufmerksamkeit als serieller Flaschenhals. . . . . . . . . . . . . . . . 73
5.1.2 Aufmerksamkeitsstarke Stimuli. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
5.1.3 Verarbeitung ohne Aufmerksamkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
5.2 Steuerung der Wahrnehmung des Konsumenten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
5.2.1 Top-down- und Bottom-up-Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . 77
5.2.2 Gestaltprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Inhaltsverzeichnis IX

5.3 Erlernen des Konsumentenverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80


5.3.1 Konditionierung des Konsumentenverhaltens. . . . . . . . . . . . . . 80
5.3.2 Modelllernen – Von anderen Konsumenten lernen . . . . . . . . . . 81
5.4 Repräsentation des Konsumwissens im Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . 82
5.4.1 Die klassische Dreiteilung des Gedächtnisses. . . . . . . . . . . . . . 82
5.4.2 Wissensrepräsentation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
5.5 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
6 Einstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
6.1 Einstellung und Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
6.1.1 Drei-Komponenten-Modell der Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . 90
6.1.2 Einstellungs-Verhaltens-Lücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
6.1.3 Kompatibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
6.1.4 Theorie des geplanten Verhaltens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
6.2 Messung von Einstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
6.3 Einstellungsänderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
6.4 Implizite Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
6.4.1 Verbesserung der Verhaltensprognose durch implizite
Einstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
6.4.2 Messung impliziter Einstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
6.5 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
7 Entscheidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
7.1 Grundlagen der Konsumentenentscheidungsfindung. . . . . . . . . . . . . . . . 106
7.1.1 Komponenten von Entscheidungsproblemen. . . . . . . . . . . . . . . 107
7.1.2 Eigenschaften der Entscheidungssituationen. . . . . . . . . . . . . . . 108
7.1.3 Modelle der Konsumentenentscheidungsfindung . . . . . . . . . . . 108
7.2 Entscheidungstheorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
7.2.1 Normative Entscheidungstheorien –
Die Rational-Choice-Theorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
7.2.2 Deskriptive Entscheidungstheorien –
Die Prospect-Theorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
7.3 Heuristiken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
7.3.1 Verfügbarkeitsheuristik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
7.3.2 Repräsentativitätsheuristik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
7.3.3 Ankerheuristik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
7.4 Framing- und Kontexteffekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
X Inhaltsverzeichnis

7.5 Wie man Konsumentenentscheidungen beeinflusst. . . . . . . . . . . . . . . . . 120


7.5.1 Priming. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
7.5.2 Nudging. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
7.6 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
8 Interindividuelle Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
8.1 Marktsegmentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
8.2 Soziodemografische Merkmale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
8.2.1 Alter als Beispiel einer demografischen Variable . . . . . . . . . . . 128
8.2.2 Sozialer Status als Beispiel einer sozio-ökonomischen
Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
8.3 Psychografische Variablen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
8.3.1 Lebensstile. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
8.3.2 Wertorientierungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
8.3.3 Interkulturelle Unterschiede. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
8.4 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
9 Soziale Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
9.1 Bezugsgruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
9.1.1 Formen von Bezugsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
9.1.2 Einfluss von Bezugsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
9.1.3 Soziale Vergleiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
9.2 Konsumentensozialisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
9.3 Normen und Konformität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
9.4 Word-of-Mouth und Meinungsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
9.5 Soziales Dilemma – Die Kehrseite des Bezugsgruppeneinflusses. . . . . . 151
9.6 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
10 Physische Umwelt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
10.1 Wechselwirkungen zwischen Konsumenten und
physischer Umwelt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
10.2 Das umweltpsychologische Verhaltensmodell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
10.2.1 Stimulus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
10.2.2 Persönlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
10.2.3 Intervenierende Variable . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
10.2.4 Reaktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
Inhaltsverzeichnis XI

10.3 Der Kaufkanal als physische Umwelt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162


10.3.1 Atmosphäre des Kaufkanals. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
10.3.2 Räumliche Aufteilung des Kaufkanals. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
10.4 Das Produkt als Teil der physischen Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
10.5 Verkäufer und andere Personen am Point of Sale. . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
10.5.1 Merkmale des Verkäufers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
10.5.2 An- und Abwesenheit anderer Konsumenten. . . . . . . . . . . . . . . 172
10.6 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
11 Mediale Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
11.1 Wie Medien zwischen Konsumenten und ihrer Umwelt vermitteln . . . . 178
11.1.1 Systematisierung der medialen Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
11.1.2 Medien der Individual- und Massenkommunikation. . . . . . . . . 180
11.2 Erklärungsansätze der Medienwahl und -nutzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
11.2.1 Rationale Medienzuwendung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
11.2.2 Habitualisierte Medienzuwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
11.2.3 Emotional motivierte Medienzuwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
11.3 Die Wirkung der medialen Umwelt auf den Konsumenten. . . . . . . . . . . 184
11.3.1 Wissenskluft und Wissensillusion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
11.3.2 Flow-Erleben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
11.3.3 Social Media . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
11.4 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
12 Konsumentenverhalten im Wandel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
12.1 Megatrends mit Einfluss auf das Konsumentenverhalten . . . . . . . . . . . . 192
12.2 Postmaterialismus-Hypothese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
12.3 Gesundheitsbewusstes Konsumentenverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
12.4 Umweltbewusstes Konsumentenverhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
12.5 Antikonsum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
12.6 Sharing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
12.7 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202

Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
Konsumenten und Verhalten
1

u Kennen Sie Lea?  Lea ist eine von über 2,6 Mio. Studierenden, die an einer
deutschen Hochschule immatrikuliert sind, und mit 25 Jahren genauso alt
wie der landestypische Durchschnittsstudent. Pünktlich um 07:30 Uhr meldet
sich die Weckfunktion ihres Smartphones und zwei Stunden später sitzt sie in
der BWL-Vorlesung. Ein kurzer Blick auf die Uni-App verrät, dass das Mensa-
Angebot heute dürftig ausfällt. Und da Lea neuerdings auf tierische Erzeug-
nisse verzichtet, verabredet sie sich über Facebook mit ihrem Freund Ben zum
Essen in dem neuen veganen Café, über das sie im Stadtmagazin gelesen hat.
Auf dem Weg zu ihrem Date fährt sie noch schnell bei der Parteizentrale der
Grünen Jugend vorbei, um einige organisatorische Punkte für die morgige
Sitzung zu klären. Als sie sich vorbeugt, um ihr Fahrrad abzuschließen, pas-
siert das Missgeschick. Ihr Smartphone fällt aus der Manteltasche, prallt auf
den harten Asphalt und löst sich in seine Einzelteile auf. Nun muss ein neues
Smartphone her. Sicherlich kann Ben sie beim Kauf beraten.
Wir werden in diesem Buch Lea und Ben in zahlreichen Konsumsituationen
beobachten. Dabei lernen wir Modelle und Theorien kennen, um das Ver-
halten von Lea und Ben in ihrer Rolle als Konsument zu verstehen und zu
erklären. Diese Modelle nutzen auch Marketingmanager, Marktforscher und
Verbraucherschützer, um das Verhalten von Konsumenten vorherzusagen
und zu beeinflussen. Doch zunächst: Was ist Konsumentenverhalten über-
haupt?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 1
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_1
2 1  Konsumenten und Verhalten

Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, …

• was man unter Konsumentenverhalten versteht (Abschn. 1.1),


• warum Wissen über das Konsumentenverhalten wichtig ist (Abschn. 1.2),
• wie man das komplexe Konsumentenverhalten in Modellen abbildet
(Abschn. 1.3) und
• welche Themen das Konsumentenverhalten umfasst (Abschn. 1.4),

… indem Sie das Konsumentenverhalten durch folgende Modelle betrachten:

• Strukturmodelle,
• Prozessmodelle und
• Partialmodelle.

1.1 Was ist Konsumentenverhalten?

An einem besseren Verständnis des Verhaltens von Konsumenten haben viele ein Inter-
esse. Marketeer möchten ihre tatsächlichen und potenziellen Kunden verstehen und sie
auch möglichst zum Kauf ihrer Produkte und Dienstleistungen bewegen. Aber auch der
Gesetzgeber, Nicht-Regierungsorganisationen und andere interessiert, wie sie Konsu-
menten zu einem bestimmten Verhalten wie bspw. einer Spende oder einem weniger
aggressiven Fahrstil bewegen können. Und nicht zuletzt möchten auch Konsumenten
mehr über sich selbst erfahren, um bewusstere Konsumentscheidungen treffen zu können.
Im Einstiegsbeispiel haben wir bereits einiges über Lea erfahren, das uns helfen kann,
ihr Verhalten als Konsumentin zu verstehen und vorherzusagen. Wir wissen, dass Lea
25 Jahre alt, BWL-Studentin und in einer festen Beziehung ist. Wir kennen damit ver-
schiedene soziodemografische Merkmale von Lea, d. h. Merkmale, welche auch in der
Demografie (d. h. der Wissenschaft, die sich mit der Entwicklung von Bevölkerungen
und ihren Strukturen befasst) genutzt werden, um Bevölkerungen zu beschreiben.
Anhand dieser Merkmale können Marketingmanager die Zielgruppe ihrer Kampagnen
bereits grob eingrenzen. Die Verhaltensvorhersage wird aber sehr viel genauer, wenn
sie durch sog. psychografische Faktoren (wie z. B. Werte, Motive, Einstellungen etc.)
ergänzt wird. Beispielsweise wissen wir auch, dass sich Lea durch ihre grüne politische
Einstellung und einen veganen Lebensstil auszeichnet. Beides beeinflusst ihr Konsum-
verhalten, wie etwa die Auswahl des Cafés, in dem sie sich mit ihrem Freund Ben trifft.
Wir kennen auch viele Verhaltensmerkmale von Lea, wie etwa ihr Mediennutzungsver-
halten. So hat sie im Stadtmagazin über den neuen veganen Hotspot erfahren und sie
nutzt intensiv ihr Smartphone. Dieses mobile Device ist das Erste, was sie morgens in
1.1  Was ist Konsumentenverhalten? 3

die Hand nimmt, um die Weckfunktion auszuschalten, sie plant mit ihm ihren Alltag, wie
bspw. das Date mit Ben, das sie über Facebook vereinbarte, und genau dieses Gerät muss
sie nun entsorgen und ersetzen. Wie wird sie diese Entscheidung wohl treffen? Erkennt-
nisse der Konsumentenverhaltensforschung helfen, eine Vorhersage zu treffen.
Laut MacInnis und Folkes (2010, S. 905) ist das Erkenntnisobjekt der Konsumenten-
verhaltensforschung der Mensch in seiner Rolle als Konsument beim Erwerb, dem
Ge- bzw. Verbrauch und der Entsorgung von Gütern und Dienstleistungen. Wir verstehen
also unter dem Konsumenten, dem ersten Teil des Begriffs Konsumentenverhalten,
ganz allgemein den Menschen in einer bestimmten Rolle. Genau das macht die in die-
sem Buch behandelte akademische Disziplin so spannend: Sie beschäftigt sich mit uns
selbst. Zu beachten ist, dass die Rolle des Konsumenten dabei deutlich breiter und viel-
schichtiger definiert ist als die eines Käufers (Foscht et al. 2017). Sie umfasst auch die
Phase, die dem Kauf vorausgeht, in der wir bspw. Produkte im Geschäft oder bei anderen
Konsumenten entdecken, uns dafür interessieren, darüber informieren usw. (Blackwell
et al. 2001; Solomon et al. 2013). Genauso sind wir auch nach einem getätigten Kauf
weiterhin Konsumenten, wenn wir das Produkt nutzen, zur Schau stellen, entsorgen oder
uns über die mangelhafte Funktionalität beschweren. Schauen wir uns das Konsumenten-
verhalten im Zeitverlauf genauer an.

u Merke  Von Konsumentenverhalten sprechen wir, wenn der Mensch in seinem


Erleben und Verhalten die Rolle eines Konsumenten einnimmt und Güter und Dienst-
leistungen erwirbt, ge- bzw. verbraucht oder entsorgt.

Mit Erwerb bzw. Beschaffung sind alle Handlungen des Konsumenten gemeint, die
auf den Kauf eines Produktes abzielen, wie z. B. die Informationsrecherche zu Produkt-
eigenschaften oder die Bewertung von Produktalternativen. Ferner zählen dazu die Wahl
des Distributionskanals (z. B. offline im Ladengeschäft oder online im Webshop), der
tatsächliche Kauf sowie die Entscheidung über die Zahlungsart (Barzahlung, Raten-
zahlung, Paypal etc.) (Blackwell et al. 2001). Um ihr defektes Smartphone zu ersetzen,
muss Lea u. a. Informationen über die für sie relevanten Produkteigenschaften, wie etwa
Prozessorgeschwindigkeit, Displayauflösung und Preis, einholen. Daraufhin muss sie
entscheiden, ob sie sich das Smartphone im Internet, wo es vielleicht 20 EUR günstiger
ist, bestellt oder es sich lieber im Ladengeschäft kauft, wo sie es vorab testen kann.
Mit Ge- bzw. Verbrauch sind alle Verhaltensweisen des Konsumenten gemeint,
die mit der Nutzung des Produktes assoziiert sind (Blackwell et al. 2001). Dies stellt
natürlich verschiedene Anforderungen an das Produkt. So könnte Lea ihr neues Smart-
phone zum Surfen, Skypen und Streamen sowie zum mobilen Einkaufen und Banking
nutzen. Dann ist ein schneller Prozessor besonders relevant. Wenn sie es zum Foto-
grafieren nutzt, ist die Auflösung der Kamera wichtig. Vielleicht möchte sie sich auch
an der Optik und Haptik des Smartphones erfreuen, oder sie möchte es nutzen, um sich
in ihrem sozialen Umfeld zu positionieren. Dann spielen die Marke und das Design eine
besondere Rolle.
4 1  Konsumenten und Verhalten

Die Entsorgung des Produktes fällt bei seiner Obsoleszenz an, sprich sobald das
Produkt abgenutzt, zu alt oder aus der Mode gekommen ist bzw. an Ansehen oder Wert
verloren hat. Dem Konsumenten stehen unterschiedliche Entsorgungsstrategien zur Ver-
fügung. Er kann das Produkt wegwerfen bzw. dem Recycling-Zyklus zuführen (Blackwell
et al. 2001). Er kann es aber auch auf dem Gebrauchtmarkt zum Wiederverkauf anbieten.
Der Online-Händler Amazon bietet seinen Kunden bspw. an, Produkte über seinen Markt-
platz zu vertreiben.
Der Begriff Konsument basiert traditionell auf der Unterscheidung von Produktion
und Konsumtion. Diese klare Trennung bricht allerdings mehr und mehr auf, da Konsu-
menten auch immer mehr in den Produktions- bzw. Produktentwicklungsprozess ein-
bezogen sind. Die Schlagwörter Customer-Participation und Co-Creation bezeichnen,
dass Produkte gemeinsam von Unternehmen und Kunden entwickelt werden. Die Rolle
des Konsumenten wird damit erweitert und man spricht auch schon von Prosumen-
ten als Kunstwort, das sich aus Produzent und Konsument zusammensetzt. Besonders
deutlich wird dies im Bereich Web 2.0 und Social Media, wo die Nutzer selbst Con-
tent erstellen und bspw. Videoclips drehen und bei YouTube hochladen. Auch bei dem
Social-Commerce-Unternehmen Spreadshirt übernimmt der Kunde Schritte der Wert-
schöpfung. Er entwirft nicht nur sein eigenes T-Shirt selbst. Er kann sogar als Designer
auftreten und andere Kunden können das von ihm kreierte Kleidungsstück erwerben.
Ferner gilt es zu beachten, dass die Rolle des Konsumenten in verschiedenen Settings
jeweils spezifische Charakteristika aufweist. Im Business-to-Business-Bereich werden
Entscheidungen häufig von mehreren Personen gemeinsam getroffen, die bestimmte
Funktionen ausüben und sich entsprechend ihrer Funktion verhalten. Man modelliert das
Konsumentenverhalten hier in Form von Buying-Centern (Webster und Wind 1972). In
dem vorliegenden Buch widmen wir uns dem Endkonsumenten, d. h. den privaten Ver-
brauchern und damit dem Business-to-Consumer-Bereich.
Den zweiten Teil des Begriffs Konsumentenverhalten bildet das Verhalten (Abb. 1.1).
Die Konsumentenverhaltensforschung hat folglich viele Überschneidungen mit jenen
wissenschaftlichen Disziplinen, die man als Verhaltenswissenschaften („behavioral
science“) bezeichnet (Trommsdorff und Teichert 2011, S. 23). Besonders relevant sind
Psychologie, (Verhaltens-)Ökonomie, Soziologie, Biologie und Physiologie. Auf die
Gemeinsamkeiten werden wir im Kapitel Konsumentenverhaltensforschung (Kap. 2)
näher eingehen. Bedeutsam ist hier zunächst, dass die Abgrenzung darin besteht, dass
für Konsumentenforscher immer die Konsumentenrolle im Fokus steht (MacInnes und
Folkes 2010, S. 905). Ein Experiment, bei dem die Probanden Markennamen erinnern
sollen, um die Kapazität des menschlichen Gedächtnisses zu erforschen, ist keine Konsu-
mentenverhaltensforschung, sondern kognitionspsychologische Forschung. Möchte der
Forscher dagegen testen, auf welche Elemente man bei der Gestaltung eines Marken-
logos achten sollte, damit Konsumenten dieses leichter wiedererkennen können, so han-
delt es sich um eine Fragestellung der Konsumentenverhaltensforschung.
Nimmt man den Begriff Konsumentenverhalten zu wörtlich, so bezieht er sich
zunächst nur auf das von außen beobachtbare Verhalten des Konsumenten (Kroeber-Riel
1.2  Warum ist Wissen über Konsumentenverhalten wichtig? 5

Informieren
potenzieller Passant
Kunde Stöbern
Käufer Probieren
Nachfrager
Vergleichen
Kunde Klient
Nutzer Bezahlen
Besucher Shoppen
Nutzen
Entwickler Konsumenten-
Rolle als Verhalten
Verhalten
Konsument verhalten Sharen
Prosument
Empfehlen
Markenbotschafter Protzen
Fan Beschweren
Beschwerdeführer Liken
Boykottieren
Kommunikator ehemaliger Entsorgen
Kunde Reparieren
Entsorger Umtauschen

Abb. 1.1  Die Rolle als Konsument

und Gröppel-Klein 2013, S. 3). Dieses Verständnis entspricht dem psychologischen


Behaviorismus und es lässt sich als S-R-Schema, d. h. als Stimulus-Response-Schema
darstellen. Ein möglicher Stimulus wäre ein Werbeplakat, das ankündigt, dass eine neue
Generation des iPhones im Handel erhältlich ist. Die beobachtbare Response wäre in
diesem Beispiel, ob eine Person, die das Plakat gesehen hat, das beworbene Produkt
kauft oder nicht. Mit dieser rein „äußerlichen“ Betrachtungsweise lässt sich das Konsu-
mentenverhalten schwerlich umfassend erklären und verstehen. Der Begriff Konsu-
mentenverhalten wird deshalb längst deutlich weiter gefasst, indem auch das Erleben
des Konsumenten eingeschlossen wird. So betrachten Konsumentenforscher auch innere
Prozesse wie die Wahrnehmung und Speicherung der Botschaft des Werbeplakats oder
emotionale Reaktionen darauf. Als Rahmenmodell dient das ebenfalls aus der Psycho-
logie entlehnte S-O-R-Schema, das neben Stimulus (z. B. Werbeplakat) und Response
(Kauf) auch den Organismus, d. h. die im Konsumenten ablaufenden, vermittelnden
Prozesse betrachtet. Dadurch soll die „Black Box“ zwischen Stimulus und Response
geöffnet und erklärt werden, „warum“ und „wie“ sich Konsumenten verhalten (Kroeber-
Riel und Gröppel-Klein 2013, S. 3). In diesem Buch wollen wir gemeinsam einen Blick
in diese schwarze Kiste werfen.

1.2 Warum ist Wissen über Konsumentenverhalten wichtig?

New Coke, Toshiba HD-DVD, VW Phaeton oder Microsoft Zune: Selbst große Konzerne
scheitern regelmäßig bei der Einführung neuer Produkte. 60 bis 80 % der erstmalig ein-
geführten Artikel werden ein Jahr später nicht mehr im Handel angeboten (Müller und
Schroiff 2013). Ein Grund hierfür ist die mangelnde Konsumentenorientierung der
6 1  Konsumenten und Verhalten

Unternehmen. Dabei ist die positive Auswirkung einer Konsumentenorientierung auf


Umsatz und Ertrag in zahlreichen Studien hinreichend belegt worden (Srinivasan und
Hanssens 2009; Steiner 2009). Die strategische Ausrichtung des Geschäftsmodells auf
die Bedürfnisse des Kunden sollte daher ein zentrales Ziel des Managements sein.
Doch warum ist die Konsumentenorientierung so wichtig für den Unternehmens-
erfolg? Dies liegt vor allem daran, dass sich viele Märkte im Verlauf der letzten Jahr-
zehnte von Verkäufermärkten zu Käufermärkten entwickelt haben. Nach dem Zweiten
Weltkrieg war die Leistungserstellung der kritische Engpass. Verkäufermärkte, bei
denen die Nachfrage das Angebot übersteigt, waren die Regel und Anbieter konnten
ihre Produkte ohne zielgruppenspezifisches Marketing absetzen. In den heute zumeist
vorherrschenden Käufermärkten können Konsumenten aus einer Vielzahl von gleich-
wertigen Angeboten auswählen (Trommsdorff und Teichert 2011). Die Ursachen für
diesen Wandel sind u. a. der starke technische Fortschritt, die Marktsättigung in ver-
schiedenen Branchen und der Markteintritt neuer ausländischer Konkurrenten im Zuge
der Globalisierung. Während das Marketing Anfang der 1950er Jahre vor allem einer
Distributionsorientierung folgte, wandelte sich der Fokus allmählich zu einer Produkti-
ons- und Verkaufsorientierung und schließlich zur Kundenorientierung (Gelbrich et al.
2018; Meffert et al. 2018). Um auch in Käufermärkten erfolgreich agieren zu können,
müssen sich Unternehmen von ihrer Konkurrenz differenzieren und ihren Produkten
Merkmale verleihen, die eine bestimmte Zielgruppe ansprechen. Dazu müssen sie ihre
Zielgruppe und damit den Konsumenten kennen und verstehen. Die Vorteile, die das
Wissen um das Konsumentenverhalten für das Marketing bringt, lassen sich anhand
der sog. „4P“, d. h. der vier klassischen Marketingpolitiken, aufzeigen (Trommsdorff
und Teichert 2011): So ermöglicht Wissen um das Konsumentenverhalten u. a. eine
an die Bedürfnisse der Zielgruppe angepasste Produktentwicklung und -gestaltung
(Produkt-Politik), das Abschöpfen der maximalen Preisbereitschaft des Konsumenten
(Preis-Politik), einen an die Präferenzen des Konsumenten angepassten Vertrieb des Pro-
dukts (Distributions-Politik) und die gezielte Ansprache von Konsumentenbedürfnissen
über verschiedene Kommunikationskanäle, wie z. B. TV-Werbung, Online-Advertising,
Sponsoring etc. (Kommunikations-Politik).

1.3 Erklärungsmodelle des Konsumentenverhaltens

In der Literatur existieren zahlreiche Modelle, die das Verhalten von Konsumenten
erklären sollen. Unter einem Modell versteht man ein vereinfachtes Abbild der Wirklich-
keit (Stachowiak 1973). Auch die Modelle des Konsumentenverhaltens reduzieren die
komplexe Realität auf eine systematische Auswahl relevanter Variablen, die zueinander
in Beziehung gesetzt werden. Dabei lassen sich zwei Typen von Erklärungsmodellen
abgrenzen, die unterschiedliche Abstraktionsgrade aufweisen (Meffert et al. 2018):
Totalmodelle (hoher Abstraktionsgrad) und Partialmodelle (niedriger Abstraktionsgrad).
1.3  Erklärungsmodelle des Konsumentenverhaltens 7

1.3.1 Totalmodelle des Konsumentenverhaltens

Totalmodelle versuchen, möglichst alle denkbaren Einflussfaktoren auf das Verhalten


des Konsumenten abzubilden. Sie sind deshalb zwangsläufig sehr komplex und zeich-
nen sich durch einen hohen Abstraktionsgrad aus. Totalmodelle lassen sich in Struktur-
und Prozessmodelle unterteilen. Strukturmodelle erklären die Beziehung zwischen den
Variablen, die für das Konsumentenverhalten eine Rolle spielen, und geben einen Über-
blick aus der Vogelperspektive. Prozessmodelle unterteilen das Verhalten des Konsu-
menten im Zeitverlauf in mehrere Phasen.

1.3.1.1 Strukturmodelle
Das Totalmodell von Blackwell, Miniard und Engel (2001) gehört zu den gängigsten
Strukturmodellen des Konsumentenverhaltens. Wie in Abb. 1.2 dargestellt, umfasst das
Modell den Entscheidungsprozess, das Informationsverhalten sowie verschiedene Ein-
flussvariablen. Betrachten wir einmal Leas aktuelle Situation aus Sicht dieses Modells.
Die Konsumentscheidung beginnt demnach mit der Problemerkennung als einer vom
Konsumenten wahrgenommenen Abweichung des Status quo vom Idealzustand. Wie
groß er diese Diskrepanz einschätzt, hängt dem Totalmodell zufolge von Umweltein-
flüssen, den Erinnerungen an vergangene (Konsum-)Erfahrungen und von den individu-
ellen Besonderheiten des Konsumenten ab. Dies könnte in Leas Fall wie folgt aussehen:
Nachdem Leas Smartphone zu Bruch gegangen ist (Status quo), benötigt sie ein neues

Problem- Umwelteinflüsse
erkennung • Kultur
• Soziale Klasse
• Persönliche
Exposure Interne
Suche Einflüsse
Suche • Familie
• Situation
Stimuli Aufmerk-
samkeit Alternativen-
(Marketing-
bewertung
oder
Nicht-Marketing- Ge- Individuelle
dominiert) Verständnis dächt- Unterschiede
nis Kauf • Ressourcen des
Konsumenten
• Motivation und
Akzeptanz
Involvement
Gebrauch
• Wissen
• Einstellung
Behalten Nachkauf- • Persönlichkeit,
Bewertung Werte, Lebensstil
Externe
Suche

Unzufriedenheit Desinvestment Zufriedenheit

Abb. 1.2  Totalmodell des Konsumentenverhaltens. (In Anlehnung an Blackwell et al. 2001)


8 1  Konsumenten und Verhalten

mobiles Device, mit dem sie ihren Alltag organisieren kann (Idealzustand). Ein Kom-
militone hat sich vor Kurzem das neueste iPhone gekauft und von dessen Usability und
Haptik geschwärmt (Umwelteinflüsse). Bei seinen Schilderungen hat Lea seinerzeit
aufgehorcht, hat sie doch – anders als ihre Eltern – ein Faible für schicke Devices und
Apple-Produkte (individuelle Unterschiede). Außerdem hört sie beim Joggen immer über
ihren alten iPod Musik, weshalb sie mit der Nutzung von Apple-Produkten bereits posi-
tive Erfahrungen gesammelt hat (Gedächtnis).
Auf diese Weise könnte man das gesamte Totalmodell von Blackwell et al. (2001)
weiter durchdeklinieren und würde dabei zu folgender Erkenntnis kommen: Struktur-
modelle leisten eine gute Orientierungshilfe und zeigen auf, welche vielfältigen
Variablen für das Konsumentenverhalten eine Rolle spielen. Sie helfen, Zusammen-
hänge zwischen Variablen zu erkennen und das Konsumentenverhalten ganzheitlich zu
betrachten. Gleichzeitig sind sie aber sehr komplex. Das führt dazu, dass sie empirisch
nicht überprüfbar sind und sie daher die konzeptionelle Ebene nicht verlassen. Auch eine
konkrete Verhaltensvorhersage ist damit praktisch nicht möglich.

1.3.1.2 Prozessmodelle
Prozessmodelle unterteilen das Verhalten des Konsumenten in mehrere Phasen. Viele
Prozessmodelle widmen sich vor allem dem Kaufverhalten und unterscheiden dabei
meist drei Phasen (Solomon et al. 2013):

• Pre-Sales-Phase: In der Vorkaufphase erkennt der Konsument sein „Problem“ und er


beginnt, Produkte und Dienstleistungen zu suchen, die ihm helfen, dieses zu lösen.
So könnte er Informationen zum Produkt einholen, verschiedene Modelle im Laden-
geschäft testen oder Testberichte lesen.
• Sales-Phase: In der Kaufphase trifft der Konsument eine Kaufentscheidung, stellt sei-
nen Warenkorb zusammen und zahlt den Kauf.
• After-Sales-Phase: In der Nachkaufphase steht die Produktnutzung im Vorder-
grund. Der Konsument bewertet seine in der Kaufphase getroffene Entscheidung. Je
nach Grad der Zufriedenheit kann es zur Retoure (unzufrieden) oder Weiternutzung
(zufrieden) kommen.

Einige Prozessmodelle kombinieren die Kaufphasen mit den Distributionskanälen von


Händlern. Diese Modelle tragen der Erkenntnis Rechnung, dass Konsumenten im Rahmen
ihrer Kaufentscheidung Channel-Hopping betreiben, d. h. zwischen verschiedenen Dis-
tributionskanälen (Ladengeschäft, Online-Shop, Mobile-Shop etc.) eines Händlers oder
mehrerer Händler wechseln. Der Kanalwechsel kann sowohl sequenziell (z. B. erst im
Ladengeschäft recherchieren und später von zu Hause im Internet) als auch parallel (z. B.
im Ladengeschäft online recherchieren) verlaufen. In jüngster Zeit spricht das Marketing
nicht nur von Distributionskanälen, sondern auch von Touchpoints, d. h. von Berührungs-
punkten zwischen Konsumenten und Unternehmen. Abb. 1.3 veranschaulicht, wie Konsu-
menten entlang ihrer sog. Customer Journey mit unterschiedlichen Touchpoints in
1.3  Erklärungsmodelle des Konsumentenverhaltens 9

Touchpoints Pre-Sales Sales After-Sales

Store

Print/Katalog

TV/Radio

E-Mail

Social Media

Online-Shop

Potenzieller Touchpoint Möglicher Pfad der Customer Journey

Abb. 1.3  Beispiel einer Customer Journey

Berührung kommen (Schüller 2013). Unter Customer Journey ist dabei der Weg entlang
der Kontaktpunkte zu verstehen, den ein potenzieller Kunde durchläuft, bevor er eine Kauf-
handlung ausführt.

1.3.2 Partialmodelle des Konsumentenverhaltens

Nochmals zur Erinnerung: Totalmodelle versuchen, alle relevanten Aspekte des Konsu-
mentenverhaltens abzudecken. Sie geben einen guten Überblick darüber, wie sich
Konsumenten i. d. R. verhalten, und helfen, das komplexe Verhalten des Konsumenten
übersichtlich und in einem logischen Zusammenhang darzustellen. Partialmodelle
betrachten dagegen bestimmte, enger definierte Verhaltensweisen des Konsumenten
(Trommsdorff und Teichert 2011). Sie sind dadurch empirisch prüfbar und der Einfluss
einiger unabhängiger Variablen (UV) auf die abhängige Variable (AV) ist quantifizierbar.
Die aktuelle Forschung widmet sich vorrangig den Partialmodellen. Auch alle Modelle,
die wir im weiteren Verlauf dieses Buches betrachten, sind Partialmodelle.
Ein beispielhaftes Partialmodell zur Wirkung humorvoller Werbung (Schwarz und
Hoffmann 2012) zeigt, wie sich das Betrachten eines humorvollen Spots (UV) auf die
Einstellung des Konsumenten zur Marke (AV) auswirkt. Der Haupteffekt der UV auf
die AV wird in den meisten Partialmodellen durch intervenierende Variablen genauer
beschrieben. Dabei sind zwei Arten von intervenierenden Variablen zentral (Baron und
Kenny 1986):

• Mediatorvariable: Die Mediatorvariable vermittelt den Einfluss der UV auf die AV.
Sie erklärt, wie die UV indirekt auf die AV wirkt. In unserem Beispiel würde der
Rezipient nach dem Betrachten der humorvollen Werbeanzeige (UV) zunächst eine
positive Einstellung zu dieser Anzeige (Mediatorvariable) entwickeln und diese wie-
derum bewirkt, dass sich eine positive Einstellung zur Marke (AV) ausbildet.
10 1  Konsumenten und Verhalten

• Moderatorvariable: Die Moderatorvariable nimmt Einfluss auf die Stärke und


Form des Zusammenhangs zwischen UV und AV. Auch in unserem Beispiel könnte
die Produktkategorie eine Moderatorvariable sein: So könnte sich humorvolle Wer-
bung (UV) in der Produktkategorie Lifestyle (Moderatorvariable) positiv auf die Ein-
stellung zur Marke (AV) auswirken, bei Finanzprodukten dagegen negativ.

Die Motor-Metapher zur Mediator/Moderator-Unterscheidung


Für das Verständnis der Partialmodelle des Konsumentenverhaltens ist die Unter-
scheidung von Mediator- und Moderatorvariablen grundlegend. Wenn man sich zum
ersten Mal damit beschäftigt, bereitet die Abgrenzung aber auch bei angestrengtem
Nachdenken Schwierigkeiten. Versuchen wir es also lieber spielerisch und lassen
Manni, den Motor, sprechen:

Als Autofahrer wissen Sie, dass sich die Räder umso schneller drehen, je stärker Sie auf das
Gaspedal treten. Das liegt an mir. Ich bin Manni, der Motor. Ich vermittle zwischen Gas-
pedal und Rädern. Je stärker der Fahrer auf das Gaspedal tritt, desto schneller drehe ich
mich. Und je schneller ich mich drehe, desto schneller drehen sich die Räder. Ich bin stolz
darauf, sehr zuverlässig zu arbeiten. Trotzdem klappt die Übersetzung nicht immer gleich.
Manchmal drehen sich die Räder besonders schnell im Vergleich zu mir, manchmal drehen
sie sich gar nicht und manchmal drehen sie sich sogar rückwärts. Das ärgert mich sehr, weil
ich Wert darauf lege, dass man sich auf mich verlassen kann. Wissen Sie, wer Schuld hat? Es
ist Gabi, die Gangschaltung. Sie bestimmt, in welcher Stärke und Form meine Drehung auf
die Räder übersetzt wird.

Wer in dieser Geschichte das Gaspedal mit der UV, die Räder mit der AV, den Motor
mit der Mediatorvariable und die Gangschaltung mit der Moderatorvariable gleich-
setzt und den Text nochmals liest, hat den Unterschied zwischen Mediator- und
Moderatorvariable für immer verstanden!

Schauen wir uns zur Vertiefung des Unterschieds zwischen Mediator- und Moderatorva-
riablen noch ein typisches Beispiel eines Partialmodells an (Abb. 1.4): Materialistische

Bedürfnis nach
einzigartigen
Produkten

Teilnahme an
Sharing-
Materialismus Sharing-
Absicht
Programmen

Abb. 1.4  Partialmodell der Sharing-Absicht. (In Anlehnung an Akbar et al. 2016)


1.4  Überblick über die Themen des Konsumentenverhaltens 11

Konsumenten legen Wert darauf, Produkte selbst zu besitzen. Je materialistischer ein


Konsument eingestellt ist (UV), desto geringer ist folglich seine Absicht, an Sharing-
Programmen (Abschn. 12.6) zu partizipieren (Moderator), und je geringer diese Absicht
ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er tatsächlich an einem bestimmten
Sharing-Programm teilnimmt (AV). In diesem Partialmodell von Akbar et al. (2016) ist
die Sharing-Absicht die Mediatorvariable. Sie vermittelt zwischen Materialismus und
Partizipation. Die Studie zeigt nun aber, dass auch materialistische Konsumenten unter
bestimmten Umständen an Sharing-Programmen teilnehmen. Nämlich dann, wenn
sie einen starken Wunsch nach einzigartigen Produkten verspüren (Moderator). Sie
betrachten dann Sharing als eine Möglichkeit, einzigartige Produkte zu nutzen. Das
Bedürfnis nach einzigartigen Produkten moderiert also den Zusammenhang zwischen der
materialistischen Einstellung und der Sharing-Absicht.

1.4 Überblick über die Themen des Konsumentenverhaltens

Dieses Buch gliedert sich in zwölf eigenständige Kapitel, welche die zentralen Facetten
des Konsumentenverhaltens beleuchten (Abb. 1.5). Wir umreißen im nächsten Kapitel
den wissenschaftstheoretischen und methodischen Ansatz. Die darauffolgenden Kapitel
widmen sich dann speziellen Einflussgrößen und stellen die einschlägigen Partialmodelle
dazu vor. Wir behandeln zunächst Einflüsse auf das Konsumentenverhalten, die sich
vorrangig im „Inneren“ des Konsumenten abspielen. Dazu zählen Motivation, Emotion

Interindividuelle Unterschiede
und Umwelteinflüsse

Intraindividuelle Prozesse

Motivation Entscheidung
Inter- Konsumenten-
(Kap. 3) (Kap. 7)
individuelle Konsumenten- Mediale
verhalten
Unter- verhalten Umwelt
im Wandel
schiede (Kap. 1) (Kap. 11)
(Kap. 12)
(Kap. 8) Emotion Einstellung
(Kap. 4) (Kap. 6)
Kognition
(Kap. 5)

Soziale Umwelt
(Kap. 9) Physische Umwelt
(Kap. 10)

Konsumentenverhaltensforschung (Kap. 2)

Abb. 1.5  Überblick über die Themen des Konsumentenverhaltens


12 1  Konsumenten und Verhalten

und Kognition sowie Einstellung und Entscheidung. Anschließend weiten wir den Blick
und zeigen auf, dass sich das Verhalten zwischen verschiedenen Konsumentengruppen
systematisch unterscheidet. Wir besprechen Einflüsse von außen – aus der sozialen,
physischen und medialen Umwelt. Am Ende des Buches legen wir dar, wie das Konsu-
mentenverhalten in allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen eingebettet ist und sich
damit im Laufe der Zeit stetig wandelt.

1.5 Lernhilfe

Quintessenz
Von Konsumentenverhalten sprechen wir, wenn der Mensch in seinem Erleben und
Verhalten die Rolle des Konsumenten einnimmt und Güter und Dienstleistungen
erwirbt, ge- bzw. verbraucht oder entsorgt. Die Forschung zum Konsumentenver-
halten befasst sich nicht nur mit dem von außen beobachtbaren Verhalten, sondern
auch mit dem Erleben des Konsumenten, um das „Wie“ und „Warum“ des Konsu-
mentenverhaltens beantworten zu können. Totalmodelle bilden alle Facetten des
Konsumentenverhaltens gemeinsam ab und verschaffen einen guten Überblick. Sie
sind jedoch empirisch nicht prüfbar, weshalb sich die Forschung auf Partialmodelle
konzentriert.

Übungsfragen und -aufgaben


Vervollständigen Sie folgenden Satz:
Von Konsumentenverhalten sprechen wir, wenn der Mensch in seinem Erleben und
Verhalten die ____________ des Konsumenten einnimmt und Güter und Dienst-
leistungen ____________, ____________ oder __________.

Richtig oder falsch?


In den letzten Jahrzehnten haben sich die meisten Märkte zu Käufermärkten ent-
wickelt. Das Angebot übersteigt die Nachfrage. Eine Orientierung des Angebots an
den Bedürfnissen des Kunden ist deshalb nicht mehr nötig.

Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an.


O Die Forschung zum Konsumentenverhalten untersucht das Kaufverhalten von
einzelnen Menschen. Das Untersuchungsobjekt beschränkt sich auf tatsächlich
getätigte Käufe.
O Die Forschung zum Konsumentenverhalten basiert auf dem S-R-Schema und ana-
lysiert nur das von außen beobachtbare Verhalten.
O Die Forschung zum Konsumentenverhalten basiert auf dem S-O-R-Schema und
analysiert auch das von außen nicht beobachtbare Innenleben des Konsumenten.
Literatur 13

Vernetzende Fragestellung
Im Einstiegsbeispiel wurden verschiedene Dinge über Lea berichtet. Welche Aspekte
davon können dem Konsumentenverhalten zugeordnet werden? Schauen Sie sich
Abb. 1.5 an und überlegen Sie, in welchen der folgenden Kapitel Sie vermutlich noch
mehr Hintergrundwissen und theoretische Erklärungen erfahren werden, um Lea in
ihrer Rolle als Konsumentin besser zu verstehen.

Weiterführende Literatur

Hoyer, W. D., MacInnis, D. J., & Pieters, R. (2012). Consumer Behavior (6. Aufl.). Boston: Cengage
Learning Emea.
Kroeber-Riel, W., & Gröppel-Klein, A. (2013). Konsumentenverhalten (10. Aufl.). München: Vahlen.
MacInnis, D. J., & Folkes, V. S. (2010). The disciplinary status of consumer behavior: A sociology
of science perspective on key controversies. Journal of Consumer Research, 36(6), 899–914.

Literatur

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sharing systems? Journal of Business Research, 69(10), 4215–4224.
Baron, R. M., & Kenny, D. A. (1986). The moderator-mediator variable distinction in social
psychological research: Conceptual, strategic, and statistical considerations. Journal of Perso-
nality and Social Psychology, 51(6), 1173–1182.
Blackwell, R. D., Miniard, P. W., & Engel, J. F. (2001). Consumer Behavior (9. Aufl.). Orlando:
Harcourt.
Foscht, T., Swoboda, B., & Schramm-Klein, H. (2017). Käuferverhalten. Grundlagen – Perspekti-
ven – Anwendungen (6. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler.
Gelbrich, K., Wünschmann, S., & Müller, S. (2018). Erfolgsfaktoren des Marketing (2. Aufl.).
München: Vahlen.
Kroeber-Riel, W., & Gröppel-Klein, A. (2013). Konsumentenverhalten (10. Aufl.). München:
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MacInnis, D. J., & Folkes, V. S. (2010). The disciplinary status of consumer behavior: A sociology
of science perspective on key controversies. Journal of Consumer Research, 36(6), 899–914.
Meffert, H., Burmann, C., Kirchgeorg, M., Eisenbeiß, M. (2018). Marketing. Grundlagen markt-
orientierter Unternehmensführung. Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele (13. Aufl.).
Wiesbaden: Springer Gabler.
Müller, T., & Schroiff, H. W. (2013). Warum Produkte floppen: Die 10 Todsünden des Marketings.
Freiburg: Haufe-Lexware.
Schüller, A. M. (2013). Touchpoints. Auf Tuchfühlung mit dem Kunden von heute (3. Aufl.). Offen-
bach: Gabal.
Schwarz, U., & Hoffmann, S. (2012). Unter welchen Bedingungen ist humorvolle Werbung erfolg-
reich? Ein Überblick zu den Moderatoren der Humorwirkung. Wirtschaftswissenschaftliches
Studium, 41(7), 344–349.
Solomon, M. R., Bamossy, G. J., Askegaard, S. T., & Hogg, M. K. (2013). Consumer behaviour. A
European perspective (5. Aufl.). London: Pearson.
14 1  Konsumenten und Verhalten

Srinivasan, S., & Hanssens, D. M. (2009). Marketing and firm value. Metrics, methods, findings,
and future directions. Journal of Marketing Research, 46(3), 293–312.
Stachowiak, H. (1973). Allgemeine Modelltheorie. Wien: Springer.
Steiner, V. (2009). Modellierung des Kundenwertes: Ein Branchenübergreifender Ansatz. Wiesbaden:
Gabler.
Trommsdorff, V., & Teichert, T. (2011). Konsumentenverhalten (8. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.
Webster, F., & Wind, Y. (1972). A general model for understanding organizational buying behavior.
Journal of Marketing, 36 (2), 12–19.
Konsumentenverhaltensforschung
2

u Ben möchte ins Roboterhotel  „Da möchte ich hin“, ruft Ben plötzlich. Er hat
sich gerade einen Artikel auf seiner News-App durchgelesen und entdeckt,
dass am 17. Juli 2015 in Japan in der Nähe von Nagasaki das Henn-na Hotel
eröffnet hat. Es ist das weltweit erste Hotel mit Robotern als Personal. So sitzt
bspw. am Empfang eine Roboter-Dame. Sie ist höflich, freundlich und adrett
geschminkt und frisiert. Auch andere Dienste, wie den Koffer auf das Zimmer
zu bringen oder die Reinigung der Zimmer, erledigen Roboter. „Das Hotel
schließt doch bald wieder“, erwidert Lea. „Kein Mensch geht freiwillig da hin.“
Zweifellos ist es ein riskantes Unterfangen, ein derartig ungewöhnliches
Hotel zu eröffnen. Welche Gäste wird dieses Hotel anlocken? Werden sie
zufrieden sein, wiederkehren und das Hotel weiterempfehlen? Welche Preise
werden sie bereit sein zu bezahlen? Die Konsumentenverhaltensforschung
kann helfen, hierauf eine Antwort zu geben.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 15
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_2
16 2 Konsumentenverhaltensforschung

Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, …

• was die Konsumentenverhaltensforschung erforscht (Abschn. 2.1),


• welche Forschungsansätze genutzt werden (Abschn. 2.2),
• wann Forscher selbst Daten erheben und wann sie vorhandene nutzen
(Abschn. 2.3) und
• wie man empirische Daten gewinnen kann (Abschn. 2.4),

… indem Sie die Konsumentenverhaltensforschung durch folgende Para-


digmen betrachten:

• qualitative und quantitative Ansätze,


• Primär- und Sekundärforschung und
• klassische Testtheorie.

2.1 Gegenstand und Aufgaben der


Konsumentenverhaltensforschung

Die Konsumentenverhaltensforschung dient dazu, das Verhalten von Menschen in ihrer


Rolle als Konsument zu erforschen. Wie in Abschn. 1.1. beschrieben, interessiert dabei
nicht nur das von außen beobachtbare Verhalten, sondern auch die inneren Prozesse,
um auch das „Wie“ und „Warum“ des Konsumentenverhaltens beantworten zu können
(Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013, S. 3). Die Konsumentenverhaltensforschung ist
eine Teildisziplin der Marketingforschung. Sie soll Informationen zum Konsumenten-
verhalten liefern, die als Grundlage für Marketingentscheidungen dienen (MacInnis und
­Folkes 2010). Sie entwickelt aber auch Modelle, die für vielfältige andere Entscheider wie
Politiker oder Nicht-Regierungs- und Non-Profit-Organisationen nützlich sind, die sich
mit dem Thema Verbraucherschutz beschäftigen. Unter dem Schlagwort „Transformative
Consumer Research“ rückt die aktuelle Forschung den Konsumenten in den Mittelpunkt
(Mick et al. 2011; Kap. 12). Dadurch entwickelt sie sich zur eigenständigen Disziplin.
Es ist eine Herausforderung, das Konsumentenverhalten zu verstehen, zu erklären,
zu prognostizieren oder gar zu verändern. Wie wir in den verschiedenen Kapiteln dieses
Buchs zeigen, variiert das Verhalten von Konsumenten zwischen verschiedenen Persön-
lichkeiten und Lebensstilen und je nach kultureller Prägung, aber auch in Abhängigkeit
von situativen Gegebenheiten wie dem Anlass eines Kaufes oder der zur Verfügung ste-
henden Zeit. Auch die Verpackung des Produktes, das Image des Anbieters und vieles
mehr nehmen Einfluss auf das Konsumentenverhalten. Wie kann man unter diesen viel-
schichtigen Rahmenbedingungen das komplexe Verhalten von Konsumenten erforschen?
Kein Zweifel, um all dies zu beachten, muss auch die Konsumentenverhaltensforschung
sehr vielfältig sein. Der Rückgriff auf die Erkenntnisse und Methoden verschiedener
2.1  Gegenstand und Aufgaben … 17

Forschungsdisziplinen kann helfen, das komplexe Verhalten von Konsumenten zu


ergründen (Solomon et al. 2013, S. 25; MacInnes und Folkes 2010). Deshalb ist die Konsu-
mentenverhaltensforschung interdisziplinär. Starke Einflüsse kommen aus der Psychologie,
insb. aus der Emotions-, Motivations- und Kognitionspsychologie sowie aus der Sozial-
und der Experimentalpsychologie. Auch aus der Soziologie, der Ökonomie oder der
Philosophie genauso wie aus der biologischen Verhaltensforschung werden Forschungs-
methoden und Theorien adaptiert. Jede dieser Disziplinen hilft bei der Erforschung
bestimmter Facetten des Konsumentenverhaltens. Die (allgemeine) Psychologie fokussiert
auf das Individuum. Die Sozialpsychologie betrachtet auch soziale Interaktionen und die
Soziologie bietet Theorien und Methoden, um das Verhalten von Konsumentengruppen
zu analysieren. Die (Verhaltens-)Ökonomie liefert u. a. Modelle zum Entscheidungsver-
halten. Aber auch verschiedene geisteswissenschaftliche Forschungszweige wie die Semio-
tik oder die Anthropologie bieten Hinweise auf das Konsumentenverhalten. Greifen wir
unser Einstiegsbeispiel wieder auf und sehen uns den Beitrag einiger Nachbardisziplinen
an (­Solomon et al. 2013, S. 25; MacInnes und Folkes 2010):

• Die kognitive Psychologie untersucht u. a. Wahrnehmungs-, Lern- und Erinnerungs-


prozesse. Ihre Methoden könnten bspw. helfen herauszufinden, welche Aspekte des
Berichts über das Roboterhotel Bens Aufmerksamkeit geweckt haben.
• Die Sozialpsychologie betrachtet u. a. das Verhalten von Individuen als Mitglieder
sozialer Gruppen. Ob Ben und Lea gemeinsam das Roboterhotel besuchen werden,
hängt von einem Abstimmungsprozess ab und davon, wie ihr soziales Umfeld, zu dem
etwa ihre Familie und Freunde gehören, diese Entscheidung bewertet.
• Die Soziologie betrachtet bspw. Unterschiede im Konsumentenverhalten zwischen
sozialen Schichten oder zwischen sog. sozialen Milieus. Sie könnte helfen zu ver-
stehen, welche gesellschaftlichen Gruppen sich für ein derart avantgardistisches
Angebot wie ein Roboterhotel interessieren.
• Die Mikroökonomie betrachtet u. a. die Allokation finanzieller Ressourcen in Haus-
halten. Es stellt sich bspw. die Frage, ob Lea und Ben ihr gemeinsames Budget für
das teure Roboterhotel oder doch lieber für zwei neue Fahrräder ausgeben. Welches
Angebot wird für sie den höheren Nutzen stiften?
• Die Semiotik beschäftigt sich u. a. mit der verbalen und visuellen Vermittlung von
Inhalten. Welche tiefer gehende Bedeutung besitzt es für Ben, von einem Roboter
bedient zu werden? Hat Lea als ökologisch denkende Frau dieselbe Interpretation die-
ses Vorgangs?

Hintergrundinfo: Wo man die neuesten Befunde findet


Forschungsergebnisse zum Konsumentenverhalten werden in Fachzeitschriften, den Journals,
publiziert. Einschlägige Marketing-Zeitschriften enthalten einen Großteil der Studien zum Konsu-
mentenverhalten. Da der Fachbereich interdisziplinär ausgerichtet ist, werden aktuelle Erkenntnisse
auch in den Journals der Psychologie, Soziologie oder Mikroökonomie veröffentlicht. Die wich-
tigsten Fachzeitschriften, die ausschließlich Studien zum Konsumentenverhalten veröffentlichen,
sind das Journal of Consumer Research (JCR), das Journal of Consumer Psychology (JCP) und das
18 2 Konsumentenverhaltensforschung

Journal of Consumer Behaviour (JCB). Das Jourqual-Rankingsystem bewertet diese Zeitschriften


von A+ bis D. Hier wird das JCR, das Flaggschiff der Konsumentenverhaltensforschung, mit „A+“,
d. h. der Bestnote, bewertet. Scannen Sie den QR-Code, um zur Webseite des JCR zu gelangen.

2.2 Grundlegende Forschungsansätze

Die stark interdisziplinäre Prägung der Konsumentenverhaltensforschung wirkt sich auch


auf die grundlegende Wissenschaftsauffassung aus. So finden mehrere Orientierungen par-
allel Anwendung (Balderjahn und Scholderer 2007, S. 3 f.). Beim mikroökonomischen
Ansatz schließt man von allgemeinen Regeln auf den Einzelfall, wobei ursprünglich der
„Homo oeconomicus“ (Abschn. 7.2.1), d. h. der nutzenmaximierende und rational ent-
scheidende Konsument, der über volle Markttransparenz verfügt, das grundlegende
Menschenbild war. Die meisten Konsumentenverhaltensforscher folgen derzeit dem
positivistischen Ansatz, dessen Ziel darin besteht, allgemeingültige Aussagen mithilfe
empirischer Beobachtungen zu gewinnen. Im Regelfall werden Hypothesen aufgestellt,
quantitative Daten erhoben und diese mit statistischen Analysemethoden ausgewertet.
Immer mehr Forscher nutzen auch den interpretativen Ansatz. Nach dieser Wissen-
schaftsorientierung möchte man das Verhalten des Konsumenten nicht im Allgemeinen
erklären, sondern in der Tiefe verstehen. Die Analysen basieren häufig auf Einzelfällen
oder kleineren Stichproben, die meist ergebnisoffen ergründet werden.
Wir gehen im Folgenden vor allem auf quantitative Forschungsmethoden ein, die
mit dem positivistischen Ansatz verknüpft sind und die lange Zeit die Konsumentenver-
haltensforschung klar dominierten. Wir geben aber auch einen kurzen Einblick in quali-
tative Forschungsmethoden, die dem interpretativen Ansatz folgen und die in den letzten
Jahren an Bedeutung gewannen.

2.2.1 Quantitative Forschungsmethoden

Quantitative Forschungsmethoden dienen meist dem Ziel, zuvor aufgestellte Hypothesen


anhand empirischer Daten zu prüfen (Hoffmann et al. 2018). Zum Beispiel könnte eine
Hypothese folgendermaßen lauten: Je zufriedener Gäste mit dem letzten Aufenthalt im
Roboterhotel waren, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie wiederkehren wer-
den. Um die in den Hypothesen enthaltenen Konstrukte (hier: Zufriedenheit und Wieder-
kehrwahrscheinlichkeit) zu quantifizieren, entwickeln Forscher Operationalisierungen,
d. h. Messvorschriften. So lassen sich die Konstrukte in numerischen Daten ausdrücken.
Hierzu kommen bspw. in Befragungen geschlossene Fragen zum Einsatz, bei denen
2.2  Grundlegende Forschungsansätze 19

Wie zufrieden sind Sie mit ... sehr sehr Wert


unzufrieden zufrieden

… der Freundlichkeit des Personals? 6

… dem Zimmerservice? 5

… usw. …

Abb. 2.1  Beispiel einer quantitativen Befragung

­ robanden aus vorgegebenen Antwortalternativen auswählen können (z. B. siebenstufig


P
von sehr unzufrieden bis sehr zufrieden, Abb. 2.1). Diese sind wiederum bestimmten
Zahlen zugeordnet (z. B. „sehr unzufrieden“: 1; „sehr zufrieden“: 7). Diese numeri-
schen Daten wertet der Forscher mithilfe statistischer Analyseverfahren aus. Um dabei
verallgemeinerbare Aussagen treffen zu können, ist es nötig, relativ große Stichproben
zu erheben. Ein typisches Ergebnis eines quantitativen Forschungsansatzes wäre bspw.,
dass zwischen der Zufriedenheit mit einer Dienstleistung und der Wahrscheinlichkeit des
Wiederkehrens zum Dienstleister ein statistisch signifikanter Zusammenhang besteht.
Das Ergebnis ist stochastisch, d. h. Konsumenten, die zufrieden sind, besuchen das Hotel
mit höherer Wahrscheinlichkeit wieder. Der Zusammenhang ist (im Gegensatz zu man-
chen naturwissenschaftlichen Befunden) aber nicht deterministisch. Das heißt, man kann
nicht mit Sicherheit vorhersagen, dass jeder zufriedene Konsument auch wiederkehrt.

2.2.2 Qualitative Forschungsmethoden

Qualitative Forschungsmethoden werden häufig eingesetzt, um unbekannte Ursachen,


Motive und Ideen aufzudecken, Sachverhalte zu verstehen und Hypothesen zu entwickeln
(z. B. Berekoven et al. 2009; Döring und Bortz 2016, S. 184 ff.; Buber und Holzmüller
2009). Bezogen auf das Beispiel Roboterhotel könnte eine Forschungsfrage lauten,
warum so wenige Gäste das Hotel ein zweites Mal besuchen. Häufig kann der Forscher
zu Beginn der Untersuchung noch keine präzise formulierten Hypothesen aufstellen.
Die Analyse ist vielmehr meist ergebnisoffen und die Erkenntnisse, die aus bestimmten
Dokumenten gezogen werden, bzw. die Antworten, die der Proband geben kann, sind
nicht vordefiniert. In Interviews bspw. kann der Forscher flexibel auf Aussagen des Pro-
banden reagieren und spontane Gedanken vertiefen, die der Proband einbringt und die zu
neuen Erkenntnissen führen können. Möglicherweise würde hier ein Interviewpartner, der
das Hotel bereits besucht hat, äußern, dass sich der Handschlag des Empfangsroboters
sehr kalt anfühlte und dass er von diesem Augenblick an den Aufenthalt als unbehaglich
empfand. Die so erhobenen Daten sind nicht-numerisch. Der Forscher kann sie deshalb
nicht einfach zusammenfassend auswerten, sondern muss sie zuvor in geeigneter Weise
aufbereiten und anschließend interpretieren. Das Ziel der Untersuchung ist nicht die sta-
tistische Absicherung und Quantifizierung der Stärke eines Zusammenhangs, sondern
das Verständnis für die Ursache des Zusammenhangs. Oftmals reichen hierfür kleinere
20 2 Konsumentenverhaltensforschung

­ tichproben (häufig nur 20 bis 30 Interviews) aus. Ein typisches Ergebnis eines qualitati-
S
ven Forschungsansatzes wäre bspw., dass eine Hypothese aufgestellt oder gar eine Theo-
rie entwickelt wird, wie die Authentizität des haptischen Erlebnisses (hier: die Echtheit
des Handschlags des Roboters) das Empfinden des Konsumenten beeinflusst.
In Tab. 2.1 sind ausgewählte qualitative Verfahren aufgelistet (zur Vertiefung siehe
u. a. Buber und Holzmüller 2009; Kepper 2008; Kozinets 2015; Mayring 2016). Dabei

Tab. 2.1  Ausgewählte qualitative Forschungsmethoden


Forschungs- Erläuterung
methode
Interview In der Regel führt ein Interviewer mit einem Probanden ein persön-
liches Gespräch. Mögliche Varianten sind das fokussierte Interview (das
Gespräch kreist um ein vorausgewähltes Thema), das explorative Interview
(der Interviewte berichtet Erlebnisse und schildert dabei seine Motive) und
das psychologische Tiefeninterview (der Interviewer versucht verborgene,
schwer erfassbare Motive und Einstellungen des Probanden aufzudecken).
Eine wichtige Methode, die im Rahmen von Interviews eingesetzt wird, ist
die Laddering-Technik, die wir in Abschn. 3.5 besprechen
Gruppendiskussion Bei einer Gruppendiskussion steuert ein Moderator die Kommunikation
mehrerer Probanden. Dabei entsteht eine intensive Dynamik und dadurch,
dass die Teilnehmer Aussagen anderer aufgreifen, lassen sich andere
Inhalte aufdecken als bei Einzelinterviews. Sonderformen sind gelenkte
Kreativgruppen (der Moderator nutzt gezielt Kreativitätstechniken) oder
Delphi-Befragungen (Befragung von Experten in zunächst mehreren
parallelen Einzelinterviews und spätere Ergebnisdiskussion unter allen
Interviewteilnehmern)
Projektive Projektive Verfahren kommen meist im Rahmen von Gruppendiskussionen
Verfahren und Interviews zum Einsatz. Bei projektiven bzw. indirekten Verfahren
ist den Teilnehmern meist der Zweck des Verfahrens nicht bekannt, um
möglichst freie und ungesteuerte Ergebnisse zu erzielen. Projektive
Verfahren werden häufig eingesetzt, wenn Probanden nicht bereit oder
nicht fähig sind, bestimmte Aussagen zu treffen. Mögliche Verfahren sind
Wortassoziationen, Satzergänzungstests oder Dritte-Person-Techniken;
aber auch Interpretationen mehrdeutiger Bilder, wie der klassische „Ror-
schach-Test“ („Tintenklekstest“) oder der thematische Apperzeptionstest
Inhaltsanalyse Im Rahmen einer Inhaltsanalyse wird vorhandenes Datenmaterial in einem
regelgeleiteten Prozess aufbereitet und interpretiert. Als Datenmaterial
können Textdokumente, die Transkripte (d. h. Abschriften) von Tiefen-
interviews oder Gruppendiskussion, Internetpostings etc. dienen. Man
unterscheidet zwischen einer rein qualitativen und einer quantitativen
Inhaltsanalyse. Bei Letzterer wird das Datenmaterial kategorisiert und die
Kategorien werden statistisch ausgewertet
Netnografie Netnografie ist ein Schachtelwort aus „Net“ (für Internet) und Ethnografie.
Forscher beobachten und analysieren das Verhalten von Konsumenten im
Internet und im Rahmen von Social Media (wie Facebook, Twitter, Blogs
etc.). Die Methode hilft, relativ schnell und häufig kostengünstig unver-
fälschte Daten zu gewinnen
2.3  Primär- vs. Sekundärforschung 21

sind Interviews und Gruppendiskussionen als Datenerhebungsformen zu verstehen, wäh-


rend projektive Verfahren Techniken darstellen, die in beiden Datenerhebungsformen
eingebettet sein können. Die Inhaltsanalyse ist dagegen eine Form der Datenauswertung
und -interpretation.

2.2.3 Mixed Methods als Verknüpfung der Forschungsansätze

Die Gegenüberstellung des quantitativen und des qualitativen Ansatzes verdeutlicht, dass
sich nicht nur die Methoden unterscheiden, sondern dass es große Unterschiede in der
Zielsetzung, in den zu erwartenden Ergebnissen und der Güte der Daten gibt. Qualita-
tive Methoden eignen sich insb. dafür, etwas Neues zu entdecken bzw. Phänomene in der
Tiefe zu verstehen. Quantitative Methoden eignen sich dagegen besser, um die Stärke
von Zusammenhängen abzusichern. Quantitative Methoden sollten sich durch eine hohe
Objektivität auszeichnen, d. h., sie sollten möglichst unabhängig von den forschenden
Personen Gültigkeit besitzen. Qualitative Methoden erfordern eine gewisse Interpretation
der Daten. Inzwischen setzt sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass beide
Ansätze ihre Berechtigung besitzen und je nach Anwendungsfall gewählt werden sollten.
Oftmals empfiehlt es sich, die beiden Herangehensweisen in Mixed-Methods-Ansätzen
zu kombinieren (Srnka 2007). Unter anderem sind die folgenden Designs möglich:

• Vorstudiendesign: Der Forscher setzt zunächst qualitative Methoden ein, um Phä-


nomene zu verstehen und Hypothesen zu entwickeln, die er anschließend quantita-
tiv absichert. Er würde bspw. zunächst eine Fokusgruppe zur Servicequalität des
Roboterhotels durchführen und so identifizierte Problemfelder anschließend in einer
quantitativen Befragung genau analysieren.
• Triangulationsdesign: Der Forscher führt parallel qualitative und quantitative Stu-
dien zum selben Forschungsgegenstand durch, um das Thema vollständig zu erfassen.
• Generalisierungsdesign: Zum Beispiel bei einer sog. quantitativen Inhaltsana-
lyse werden qualitative Daten durch Kategorisierungsprozesse in quantitative Daten
umgewandelt und anschließend statistisch ausgewertet.

2.3 Primär- vs. Sekundärforschung

Forscher können prinzipiell auf zwei verschiedenen Wegen Informationen gewinnen:


Durch Primär- und durch Sekundärforschung (Meffert et al. 2018; Homburg 2017).

• Bei der Primärerhebung wird der Informationsbedarf durch die Erhebung originär
neuer Daten gedeckt. Der Forscher kann hypothesengeleitet vorgehen und die zu gewin-
nenden Daten auf die Zwecke der Untersuchung zuschneiden. Die Aussagekraft der
Daten für die zu untersuchende Fragestellung ist damit besonders hoch. Ein Forscher
könnte bspw. gezielt einen Fragebogen zur Servicequalität in Roboterhotels entwickeln.
22 2 Konsumentenverhaltensforschung

• Die Sekundärforschung, die auch als Desk Research bezeichnet wird, nutzt bereits
vorhandenes Datenmaterial. Diese Daten wurden ursprünglich meist zu ande-
ren Zwecken erhoben und der „Schreibtisch-Forscher“ wertet sie nun für die zu
beantwortende Fragestellung erneut aus. In Frage kommen bspw. Daten des Statis-
tischen Bundesamtes, Geschäftsberichte, Kundenstatistiken von Unternehmen oder
Erhebungen von Marktforschungsinstituten.

Beide Formen der Datenerhebung weisen gewisse Vor- und Nachteile auf (Döring und
Bortz 2016; Meffert et al. 2018). Sekundärforschung verursacht meist geringere Kos-
ten. Wenn die vorliegenden Daten nicht weiter aufbereitet werden müssen, können die
Auswertungen auch relativ schnell durchgeführt werden. Allerdings sind die Daten häu-
fig nicht aktuell und die Qualität ist oft schwer beurteilbar. Das größte Problem für die
Konsumentenverhaltensforschung besteht aber darin, dass die Daten nicht auf die Frage-
stellung zugeschnitten sind. Es werden sich bspw. schwer Sekundärdaten finden lassen,
die helfen, die Frage zu beantworten, ob die Zufriedenheit mit dem Servicepersonal in
einem Roboterhotel einen anderen Einfluss auf die Wiederkehrwahrscheinlichkeit hat
als in einem konventionellen Hotel. Mit der häufig aufwendigeren und kostspieligeren
Primärforschung kann es besser gelingen, gezielt auf drängende Fragestellungen ein-
zugehen. Sie setzt jedoch eine entsprechende Methodenkompetenz und Kostenauf-
wendungen voraus. Die Erkenntnisse, die in diesem Buch dargestellt werden, basieren
vor allem auf Studien, die sich der Primärerhebung bedienten, da bei Fragen nach dem
„Wie“ und „Warum“ des Verhaltens von Konsumenten bereits vorliegende Daten häufig
zu unspezifisch für die interessierende Fragestellung sind. Deshalb gehen wir im Folgen-
den auch stärker auf Strategien der Primärforschung ein.

2.4 Formen der Informationsgewinnung

Im Rahmen der Primärforschung lassen sich vor allem die folgenden Formen der Daten-
gewinnung unterscheiden (z. B. Hoffmann et al. 2018; Meffert et al. 2018): Befragung,
Beobachtung, apparative Verfahren und Experimente. Daneben gibt es noch zahlreiche
Spezialformen wie computergestützte Erhebungen (z. B. Reaktionszeitmessungen wie
bspw. der Implizite Assoziationstest), Webanalytics (inkl. Big Data), Panelerhebungen,
Testmärkte und psychologische Testverfahren.

2.4.1 Befragungen und Operationalisierung von Konstrukten

Bei Befragungen bittet man Probanden, zu bestimmten Sachverhalten Auskunft zu geben


(Meffert et al. 2018). Befragungen sind zweifellos die in der Konsumentenverhaltens-
forschung am häufigsten eingesetzte Form der Informationsgewinnung. Es lassen sich
mit der mündlichen, telefonischen, schriftlichen und der Online-Befragung verschiedene
2.4  Formen der Informationsgewinnung 23

Erhebungsformen unterscheiden, die verschiedene Vor- und Nachteile aufweisen (siehe


Homburg 2017; Meffert et al. 2018).
Eine Befragung sollte verschiedene Fragegruppen umfassen (vgl. Meffert et al.
2018). Sie beginnt i. d. R. mit Kontakt- oder Eisbrecherfragen, die eine möglicherweise
ablehnende Grundhaltung des Befragten aufbrechen sollen (z. B. bei einer Befragung
zum Roboterhotel: „Bald beginnt die Urlaubssession. Haben Sie schon eine Reise
geplant?“). Der Hauptteil der Befragung besteht aus den Sachfragen, die sich auf den
eigentlichen Untersuchungsgegenstand beziehen. Jede Befragung sollte verschiedene
Kontrollfragen enthalten, um zu überprüfen, ob Verzerrungen die Aussagekraft der
Befragung schmälern könnten. Als Beispiel sei die Tendenz, sozial erwünschte Ant-
worten zu geben, genannt. Der Proband würde in diesem Fall nicht wahrheitsgemäß
antworten, sondern entsprechend der gesellschaftlichen Normen. Sozial erwünschtes
Antwortverhalten ist insb. bei sensiblen Themen wie bspw. dem Umweltschutz ein Prob-
lem. Um die Tendenzen zu sozial erwünschtem Antwortverhalten zu kontrollieren, setzt
man Skalen ein, die aus Aussagen bestehen, die sozial erwünschtes Verhalten (z. B. „Ich
vertusche niemals meine Fehler“) oder sozial unerwünschtes Verhalten (z. B. „Als ich
jung war, habe ich manchmal Dinge gestohlen“) beschreiben (Steenkamp et al. 2010).
Die Aussagen sind so konstruiert, dass es unwahrscheinlich ist, dass Probanden den
sozial erwünschten Aussagen uneingeschränkt zustimmen und die unerwünschten unein-
geschränkt ablehnen. Befragungen enden i. d. R. mit Fragen zu soziodemografischen und
sozio-ökonomischen Merkmalen der Probanden.
Ein zentraler Punkt der Fragebogenkonstruktion ist die Operationalisierung, d. h.
die „Messbarmachung“ von latenten Konstrukten. Unter einem latenten Konstrukt ver-
steht man ein Phänomen, das als existierend angenommen wird, das man aber nicht
direkt beobachten kann. Hierzu zählen Intelligenz genauso wie Markenimages, Ein-
stellungen, Kundenzufriedenheit und nahezu alle anderen Konstrukte, die in der Marke-
ting- und Konsumentenforschung diskutiert werden. Die Operationalisierung erfordert
Indikatoren, d. h. beobachtbare Größen, wie bspw. die Antwort auf einer fünfstufigen
Antwortskala in einer Befragung. Bei latenten Konstrukten sollten in den meisten Fällen
Multi-Item-Skalen eingesetzt werden, da es des Zusammenspiels mehrerer Indikatoren
bedarf, um das Konstrukt zuverlässig in seiner vollen Breite zu erfassen. Wie gut diese
Operationalisierung gelingt, wird vor allem anhand der drei Gütekriterien Objektivi-
tät, Reliabilität und Validität beurteilt (Churchill 1979; Homburg und Giering 1996).
Die Entwicklung eines sinnvollen Fragebogens erfordert sehr viel Expertise in test-
theoretischen Grundlagen (Moosbrugger und Kelava 2011). Bühner (2010) liefert eine
gute Einführung in die Test- und Fragebogenkonstruktion.

Hintergrundinfo: Die Gütekriterien der klassischen Testtheorie


Konstrukte in Fragebögen müssen den drei Hauptgütekriterien der klassischen Testtheorie
genügen. Objektivität liegt vor, wenn unabhängig von der Person des Forschers bzw. Interviewers
dasselbe Ergebnis zustande kommen würde. Reliabilität bezeichnet die Zuverlässigkeit bzw. die
formale Genauigkeit, d. h. die Frage, ob das Messinstrument (die Multi-Item-Skala) immer und
in jeder Situation dasselbe misst (und zwar unabhängig davon, was das Messinstrument inhaltlich
24 2 Konsumentenverhaltensforschung

misst bzw. messen sollte). Die Reliabilität erfasst damit, ob die Messung frei von zufälligen Feh-
lern ist. Validität ist schließlich die Gültigkeit der Messung, d. h., sie bewertet, ob die Messung
frei von systematischen Fehlern ist. Es geht also um die Frage, ob ein Messinstrument inhaltlich
tatsächlich das misst, was es zu messen vorgibt.

2.4.2 Beobachtung von Probanden

Durch Beobachtung lassen sich sinnlich wahrnehmbare Sachverhalte erfassen (Kepper


2008; Meffert et al. 2018). Beobachtungen lassen sich u. a. danach abgrenzen, wer oder was
die Daten registriert und wie transparent die Beobachtungssituation für den Probanden ist.

• Wer oder was registriert die Daten? Meist werden Fremdbeobachtungen durch
Dritte, d. h. einen Beobachter, oder durch Geräte (z. B. Videokameras) durchgeführt.
Auf die technische Unterstützung zur Gewinnung objektiver Daten werden wir in
Abschn. 2.4.3 genauer eingehen. Grundsätzlich stünde auch die Methode der Selbst-
beobachtung zur Verfügung; in der Konsumentenverhaltensforschung kommt sie
jedoch selten zum Einsatz.
• Wie transparent ist die Beobachtungssituation für den Probanden? In nicht-
biotischen Beobachtungsstudien weiß die Person, dass sie gerade beobachtet wird,
und auch, welchen Zweck die Studie verfolgt. Oftmals ist es in Konsumentenver-
haltensstudien aber notwendig, dass die Person keine vollständige Transparenz über
die Beobachtungssituation hat. Man möchte einen „Beobachtungseffekt“ vermeiden,
d. h., es soll verhindert werden, dass der Proband sein Verhalten bewusst anpasst oder
gar verfälscht. Weiß der Proband, dass er Teilnehmer einer Untersuchung ist, kennt
aber den Gegenstand der Untersuchung nicht, so spricht man von einer quasi-bioti-
schen Situation. Beispielsweise könnte man den Probanden darüber aufklären, dass
man sein Verhalten beim ersten Besuch im Roboterhotel beobachtet; man lässt ihn
aber darüber im Unklaren, dass man insb. seine Reaktionen auf den Handschlag des
Roboters erfassen möchte. Wenn sich die Person hingegen gar nicht bewusst ist, dass
sie Teil der Untersuchung ist, so spricht man von einer biotischen Situation.

Beobachtungen können im Rahmen von Laborexperimenten (siehe Abschn. 2.4.4)


durchgeführt werden. Sie kommen aber auch bei Felduntersuchungen zum Ein-
satz. Ein Beispiel sind Kundenlaufstudien, die darauf abzielen zu ermitteln, wie sich
Konsumenten in einem Ladengeschäft verhalten und durch welche Elemente (wie
die Regalplatzierung) sie beeinflusst werden (Kap. 10). Eine besondere Form der
Beobachtung sind Webanalytics, d. h. die Analyse des Nutzerverhaltens im Internet,
die vor allem auf der Auswertung von Logfiles basieren.
2.4  Formen der Informationsgewinnung 25

2.4.3 Apparative Verfahren und Consumer Neuroscience

Mit apparativen Verfahren, d. h. technischen Hilfsmitteln, lassen sich objektive Mes-
sungen durchführen. Verschiedenste Verfahren helfen, physiologische Indikatoren zu
erheben oder Muskelbewegungen und Mimik zu erfassen (Rampl et al. 2011). Mit diesen
Informationen versucht der Forscher, Rückschlüsse auf innere Prozesse des Probanden
zu ziehen. So zeichnet das Eye-Tracking die Blickbewegung auf und liefert damit einen
Indikator für Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsprozesse. Das Elektrokardio-
gramm (EKG) erfasst die Herzfrequenz und ist ein Indikator für die Aktivierung der
Person. Die Hautwiderstandsmessung basiert auf der Grundlage, dass die Haut elektri-
sche Ströme mit geringerem Widerstand weiterleitet, wenn wir schwitzen. Bereits mini-
male Veränderungen der Leitfähigkeit der Haut werden registriert und geben Auskunft
über den Grad der physiologischen Aktivierung. Mit dem Elektromyogramm (EMG)
misst man Muskelspannungen, von denen man bspw. Rückschlüsse auf Emotionen zie-
hen kann. Eine Sonderform ist die Facial Electromyography, welche Veränderungen in
der elektrischen Aktivität der Gesichtsmuskulatur erfasst, in der sich Gefühlsregungen
sehr direkt widerspiegeln.
Im Zusammenhang mit diesen apparativen Verfahren wird derzeit der Begriff Neuro-
marketing bzw. auch Consumer Neuroscience intensiv diskutiert (Kenning 2014).
Erkenntnisse, Theorien und Methoden aus dem Gebiet der Neuropsychologie wer-
den zunehmend auch zur Durchdringung verschiedener Problemstellungen der Konsu-
mentenverhaltensforschung genutzt. Bisherige Studien beschäftigten sich bspw. mit der
Emotionalisierung von Kaufentscheidungen (Deppe et al. 2005) oder der Wirkung von
Zahlungsmitteln auf die Produktwahrnehmung der Konsumenten (Chatterjee und Rose
2012). Forscher auf dem Gebiet der Consumer Neuroscience bedienen sich zahlreicher
Methoden der kognitiven Neurowissenschaften, mithilfe derer es möglich ist, spezifische
Aktivitäten im menschlichen Nervensystem und in bestimmten Hirnregionen unter Ein-
wirkung bestimmter Reize zu untersuchen. Wichtige Messgeräte, welche die Aktivitäten
im Gehirn erfassen, sind die Elektroenzephalografie (EEG), die Magnetenzephalografie
(MEG), die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) und die funktionelle transkranielle
Doppler-Sonografie (fTCD). Die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT)
ist das modernste und in der Anwendung beliebteste bildgebende Verfahren. Es misst
Änderungen in der Blutoxygenierung, wodurch aktive Hirnareale ermittelt werden kön-
nen. Gerade beanspruchte Hirnareale haben einen erhöhten Bedarf an Sauerstoff, was
innerhalb von Sekundenbruchteilen zu einer erhöhten Sauerstoffanreicherung führt.
Sauerstoffreiches Blut hat im Vergleich zu sauerstoffarmem Blut andere magnetische
Eigenschaften, die das von dem Magnetresonanztomografen aufgenommene Signal ver-
ursachen. Im Vergleich zu anderen bildgebenden Verfahren besitzt die fMRT auch ohne
Verabreichung von Kontrastmitteln oder radioaktiven Substanzen eine hohe räumliche
Auflösung. Ebenso lassen sich zeitlich genaue Informationen über Reihenfolge und Zeit-
punkt der Hirnaktivitäten ermitteln.
26 2 Konsumentenverhaltensforschung

Beispiel: Wenn sich das Gehirn über höhere Preise freut


Aus verhaltenspsychologischen Studien weiß man, dass – entgegen traditioneller öko-
nomischer Annahmen – ein erhöhter Preis unter bestimmten Bedingungen die Kauf-
absicht steigern kann, da Konsumenten hochpreisigen Produkten eine höhere Qualität
zuschreiben. Eine Studie von Hilke Plassmann et al. (2008) beschäftigt sich mit der
Frage, inwiefern eine Preiserhöhung das Konsumerlebnis verändert und inwiefern
sich dies in neuronalen Repräsentationen widerspiegelt. In dem Experiment ver-
kosteten Probanden kleinere Mengen von Cabernet Sauvignon, während die Forscher
ihre Gehirnaktivitäten mithilfe eines fMRT aufzeichneten. Sie zeigten den Probanden
zudem die Preise der Rotweine. Was diese nicht wussten: Zwei der Weine wurden
doppelt angeboten; einmal zu einem hohen und einmal zu einem niedrigen Preis. Die
Studie bestätigt, dass Konsumenten vom Preis auf die Qualität eines Produktes schlie-
ßen und dass dies ihr Geschmackserlebnis und die erlebte Freude beeinflusst. Dies
spiegelt sich in Aktivitäten im medialen orbitofrontalen Cortex wider; einer Hirn-
region, die den Autoren zufolge verarbeitet, als wie angenehm der Konsument die
Situation erlebt.

Apparative Verfahren eignen sich sehr gut, um Informationen zu selbst minimalen Ver-
änderungen im Erleben und Verhalten des Konsumenten zu messen. Zu beachten ist
aber, dass die Stichproben meist sehr klein sind und die Generalisierbarkeit dadurch ein-
geschränkt ist (Plassmann et al. 2015). Die Studien finden normalerweise unter Labor-
bedingungen statt. Wie sehr bspw. die gemessenen Hirnaktivitäten beim Verzehr von
Wein davon beeinflusst sind, dass sich die Probanden in einer medizinischen Umgebung
befinden und innerhalb eines lauten fMRT Wein durch einen Schlauch zugeführt
bekommen, ist unklar. Zudem besteht das Problem der „Reverse Inference“: Aus
bestimmten Signalen im Gehirn wird auf die Verarbeitung einzelner mentaler Prozesse
geschlossen. Reize werden aber in mehreren Gehirnarealen verarbeitet und umgekehrt
ist ein Gehirnareal nicht ausschließlich für die Verarbeitung einzelner Emotionen und
Kognitionen zuständig. Consumer Neuroscience kann derzeit noch nicht das Erleben des
Konsumenten voll aufzeigen und bspw. nicht beantworten, ob ein Reiz vom Konsumenten
als positiv oder negativ empfunden wird. Hierzu sind zusätzliche Befragungen notwendig,
womit wir wieder bei den Vorteilen einer Triangulation wären (vgl. Abschn. 2.2.3).

2.4.4 Experimente und der Nachweis von Kausalität

Eine zentrale Aufgabe der Konsumentenverhaltensforschung ist die Suche nach


Kausalität, d. h. nach Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen. Der Königsweg, um
Kausalität nachzuweisen, ist das Experiment. In einem Experiment wird die zuvor
hypothetisch definierte Ursache unter kontrollierten und wiederholbaren Bedingungen
gezielt variiert. Der Forscher beobachtet im Anschluss, ob sich die erwartete Wirkung
2.4  Formen der Informationsgewinnung 27

einstellt (Berekoven et al. 2009, S. 146 ff.; Döring und Bortz 2016; Shadish et al.
2001). Um Aussagen über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge treffen zu können,
müssen sozialwissenschaftliche Experimente so geplant werden, dass Störfaktoren und
damit alternative Erklärungen ausgeschlossen werden können. Wir müssen uns also
zunächst fragen, unter welchen Bedingungen wir auf Kausalität schließen können. Fol-
gende Bedingungen müssen gleichzeitig erfüllt sein (Shadish et al. 2001):

1. Es sollte eine Korrelation (d. h. ein Zusammenhang) zwischen der angenommenen


Ursache und der angenommenen Wirkung vorliegen. Die Ursache wird auch als
unabhängige Variable (UV) und die angenommene Wirkung als abhängige Variable
(AV) bezeichnet. In unserem Beispiel könnte die Schaltung einer Werbeanzeige die
UV und die Buchung einer Übernachtung im Roboterhotel die AV sein. Bei sozial-
wissenschaftlichen Untersuchungen findet man nie deterministische, sondern immer
statistische Zusammenhänge. Im Beispiel würde das bedeuten, dass Probanden, wel-
che die Werbeanzeige für das Roboterhotel kennen, mit einer höheren Wahrschein-
lichkeit auch eine Reise ins Roboterhotel gebucht haben sollten.
2. Es dürfen keine Störeinflüsse vorliegen, die ebenfalls die Wirkung (d. h. die AV)
beeinflussen können. Das heißt, es sollte keine andere Ursache für die Wirkung vor-
handen sein, die zufälligerweise mit der gedachten Ursache zusammenhängt. Mög-
licherweise fand zufällig in der Woche, als die Werbeanzeigen geschaltet wurden, ein
Unfall in irgendeiner mit Robotern betriebenen Fabrik statt, über den in den Medien
intensiv berichtet wurde. Dies kann dazu geführt haben, dass Konsumenten die an
sich positive Werbeanzeige negativ interpretiert haben und bewusst Abstand von
einem Besuch im Roboterhotel genommen haben.
3. Die Ursache muss zeitlich vor der Wirkung auftreten. Wenn die Probanden das Hotel
bereits besucht hatten, bevor sie die Werbemaßnahme wahrnahmen, kann der Besuch
nicht auf die Werbemaßnahme zurückgeführt werden.

Experimente müssen so geplant werden, dass alle notwendigen Bedingungen der Kausali-
tät erfüllt sind. Die Untersuchung sollte mit theoretischen Vorüberlegungen und der
Ableitung zu prüfender Hypothesen beginnen. Der Forscher könnte bspw. annehmen, dass
die Darstellung humanoider Roboter auf den Werbeplakaten die Akzeptanz der potenziel-
len Besucher erhöht. Der Forscher manipuliert nun auch die zeitliche Abfolge von Ursa-
che und Wirkung selbst, indem er die Ursache (Treatment) selbst auslöst. Im einfachsten
Fall wird dabei eine Gruppe von Probanden, die dem Treatment (hier: einem Plakat mit
einem menschlich anmutenden Roboter) ausgesetzt sind (die Experimentalgruppe), mit
einer Gruppe von Probanden, die dem Treatment nicht ausgesetzt sind (der Kontroll-
gruppe) verglichen. Der Einfluss von Störgrößen kann z. B. dadurch reduziert werden,
dass das Experiment unter kontrollierten Bedingungen („im Labor“) durchgeführt wird
und dass die Probanden randomisiert (d. h. zufällig) der Experimental- und der Kontroll-
gruppe zugewiesen werden. Dahinter steht die Annahme, dass sich nicht kontrollierbare
Unterschiede zwischen Probanden (z. B. unterschiedliche Technikaffinität) durch die
28 2 Konsumentenverhaltensforschung

Randomisierung so verteilen, dass sie keinen Einfluss auf das Ergebnis des Experiments
nehmen. Wenn sich nun mit statistischen Auswertungsmethoden ein Zusammenhang (eine
empirische Korrelation) zwischen den Experimentalbedingungen und der abhängigen
Variablen zeigt, so kann auf Kausalität geschlossen werden. Wenn also im Beispiel die
Gruppe, welche die Anzeige mit den humanoiden Robotern gesehen hat, eine höhere
Bereitschaft zeigt, in diesem Hotel zu übernachten, als die Kontrollgruppe, so kann man
auf einen kausalen Einfluss der Anzeige auf die Kaufbereitschaft schließen.
Auch für Experimente existieren verschiedene Gütekriterien. Die wichtigsten sind die
folgenden:

• Die interne Validität gibt an, ob der kausale Schluss tatsächlich gültig ist, d. h. ob
zwischen dem Treatment und der abhängigen Variablen wirklich eine Ursache-
Wirkungs-Beziehung besteht. Die interne Validität ist hoch, wenn alle potenziel-
len Störfaktoren ausgeschlossen werden können (siehe Shadish et al. 2001 für einen
Überblick über die Gefahren der internen Validität).
• Die externe Validität gibt an, ob die gefundenen Zusammenhänge auf andere Perso-
nen und Situationen übertragen werden können. Beispielsweise werden Experimente
von Forschern an Universitäten häufig mit Studierenden durchgeführt. Huma-
noide Roboter auf dem Werbeplakat mögen auf junge, technikaffine Studierende
eine positive Wirkung haben. Ob man diesen Befund auch auf wohlsituierte, ältere
Konsumenten, die sich prinzipiell einen längeren, kostspieligen Aufenthalt in einem
Roboterhotel leisten könnten, übertragen kann, ist nicht gesichert.
• Ökologische Validität: Sie gibt an, ob das Ergebnis des Experiments auf ein für den
Konsumenten natürliches bzw. realistisches Setting übertragbar ist. Man kann die
ökologische Validität damit als Sonderform der externen Validität begreifen. Eine
Beurteilung einer Werbeanzeige im Labor des Forschers muss nicht mit einer Situa-
tion in der Lebenswirklichkeit des Konsumenten (z. B. beim Surfen mit dem Smart-
phone) übereinstimmen.

In Anbetracht dieser Gütekriterien lassen sich zwei grundsätzliche Formen von Experi-
menten unterscheiden: Ein Laborexperiment wird in einer künstlichen Umgebung
durchgeführt. Der Forscher hat die Möglichkeit, alle Bedingungen selbst festzulegen, um
Störfaktoren zu reduzieren oder zu kontrollieren. Dieses Setting hilft, eine hohe interne
Validität zu erreichen. Feldexperimente werden in einem für den Probanden natürlichen
bzw. normalen Setting durchgeführt (z. B. im Kaufhaus). Der Forscher kann dadurch
nicht alle Störfaktoren ausschließen. Dafür zeichnen sich Feldexperimente durch eine
hohe Realitätsnähe aus, d. h., sie weisen eine hohe ökologische Validität auf. Weiterhin
kann zwischen echten und quasi-experimentellen Designs unterschieden werden. Wäh-
rend bei echten Experimenten die Versuchspersonen den unterschiedlichen Manipulatio-
nen (Treatments) zufällig zugeordnet werden, fehlt bei quasi-experimentellen Designs
diese Randomisierung der Gruppenzugehörigkeit (Shadish et al. 2001). Insbesondere bei
Feldexperimenten ist dies nicht möglich.
2.5 Lernhilfe 29

Schließlich können Experimente ganz unterschiedlich aufgebaut sein. Man spricht


hierbei von Versuchsdesigns. Die erste Unterscheidung ist dabei die zwischen Between-
Subject- und Within-Subject-Designs. Between-Subject-Designs ordnen jeder Versuchs-
person genau ein Treatment zu, wohingegen Within-Subject-Designs mehrere Treat-
ments für jede Versuchsperson zulassen, d. h., der Proband wird im Zeitverlauf mehrmals
getestet. Beide Designs haben Stärken und Schwächen hinsichtlich der Möglichkeiten,
Gefährdungen der internen Validität auszuschließen. Between-Subject-Designs erfüllen
einen höheren methodischen Anspruch, da Übertragungseffekte zwischen verschiedenen
Treatments (Spill-over) ausgeschlossen sind (Shadish et al. 2001). Ferner wird noch zwi-
schen ein- und mehrfaktoriellen Designs unterschieden. In einfaktoriellen Experimenten
wird nur eine Variable manipuliert (z. B. die Werbeanzeige für das Roboterhotel). Bei
mehrfaktoriellen Experimenten werden gemeinsam und systematisch mehrere Variab-
len manipuliert (z. B. Inhalt und Darstellungsform der Werbeanzeige). So kann der For-
scher Interaktionseffekte, d. h. Wechselwirkungen, zwischen den Variablen ermitteln.
Beispielsweise könnte er testen, ob bestimmte Anzeigen für Roboterhotels besser wir-
ken, wenn sie über soziale Medien vermittelt werden, als bei Schaltung einer klassischen
Printanzeige.

2.5 Lernhilfe

Quintessenz
Die empirische Konsumentenverhaltensforschung erforscht nicht nur das von außen
beobachtbare Verhalten, sondern auch die inneren Prozesse, um auch das „Wie“ und
„Warum“ des Konsumentenverhaltens beantworten zu können. Sie nutzt Methoden
und Theorien aus einer Vielzahl anderer Fachbereiche und ist damit sehr interdiszipli-
när angelegt. Man unterscheidet quantitative und qualitative Forschungsansätze. Die
wichtigsten Methoden zur Datengewinnung sind Beobachtung, Befragung, apparative
Verfahren und Experimente.

Übungsfragen und -aufgaben


Vervollständigen Sie folgenden Satz:
__________________ Forschungsmethoden werden häufig eingesetzt, um
unbekannte Ursachen, Motive und Ideen aufzudecken, um Sachverhalte zu verstehen
und um Hypothesen zu entwickeln. Die Untersuchung ist häufig ergebnisoffen und es
werden „weiche“ Daten interpretiert. _________________ Forschungsmethoden nut-
zen dagegen numerische Daten und dienen meist dem Ziel, zuvor aufgestellte Hypo-
thesen anhand empirischer Daten zu prüfen.

Richtig oder falsch?


Die Konsumentenverhaltensforschung ist ein Teilbereich der Marketingforschung.
30 2 Konsumentenverhaltensforschung

Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an.


Welche der folgenden Bedingungen müssen erfüllt sein, damit man bei einer experi-
mentellen Untersuchung auf Kausalität schließen kann?

O Es muss eine Kovariation zwischen der unabhängigen und der abhängigen Variab-
len vorliegen.
O Die Ursache muss zeitlich vor der Wirkung auftreten.
O Die Probanden müssen wissen, was der Zweck der Untersuchung ist.
O Der Einfluss von Störvariablen muss ausgeschlossen werden können.
O Es müssen mindestens drei verschiedene Experimentalgruppen verglichen werden.

Vernetzende Fragestellung
Ben ist ganz begeistert davon, dass es ein Hotel gibt, in dem das Service-„Personal“
von Robotern gestellt wird. Er nimmt an, dass die meisten Menschen das genauso
sehen, und er wagt die Prognose, dass es in einigen Jahren fast nur noch Roboter-
hotels geben wird. Lea findet die Idee des Roboterhotels dagegen schrecklich und sie
kann sich nicht vorstellen, dass viele Menschen dieses Hotel besuchen werden. Die
beiden beginnen, heftig zu diskutieren, ob sich das Hotel langfristig am Markt halten
kann. Beide möchten ihre Annahmen mit Fakten untermauern. Überlegen Sie, welche
Daten man im Sinne der Sekundärforschung beschaffen könnte, um abzuschätzen,
ob das Roboterhotel von Konsumenten akzeptiert werden wird oder nicht. Seien Sie
kreativ und überlegen Sie sich möglichst viele verschiedene Datenquellen. Denken
Sie daran, dass nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Daten nützlich sein
können, und suchen Sie Daten für möglichst viele Einflussfaktoren, die wir in den
verschiedenen Kapiteln dieses Buches besprechen. Recherchieren Sie diese Daten tat-
sächlich. Was denken Sie nun, hat Ben Recht oder eher Lea?

Weiterführende Literatur

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in survey research. Journal of Marketing Research, 47(2), 199–214.
Motivation
3

u Kapsel oder Filter? Ist das nur eine Frage des Geschmacks?  Lea und Ben
sind sich einig: Zu einem guten Frühstück gehört ein guter Kaffee. Uneinig
sind sich die beiden allerdings über die Art der Zubereitung. Während Lea
ihren Kaffee am liebsten klassisch in einem Porzellanfilter aufbrüht, möchte
Ben für die gemeinsame Wohnung eine Kaffeekapsel-Maschine anschaffen.
„Überleg doch mal, Lea, wie oft du dich morgens nicht dazu aufraffen kannst,
Kaffee aufzusetzen. In Zukunft genügt ein Knopfdruck und der Kaffee ist fer-
tig. Außerdem kommen doch morgen Anna und Tim zum Frühstück vorbei.
Was meinst du, was die für Augen machen, wenn sie unsere neue Kaffee-
maschine sehen.“ „Mag zwar sein“, wirft Lea wenig begeistert ein, „aber für
jeden Kaffee eine Kapsel Müll zu produzieren, finde ich nicht in Ordnung.
Außerdem habe ich mal nachgerechnet. Eine kleine Kapsel kostet bis zu 39
Cent und damit ist der Kaffee-Kilopreis ungefähr sieben Mal so hoch wie bei
Röstkaffee.“ „Egal, ich will so eine Kapselmaschine“.
Ben und Lea bevorzugen unterschiedliche Formen der Kaffeezubereitung.
Ben will unbedingt eine Kapselmaschine, aber er kann Lea nur schwer zum
Kauf motivieren. Doch was ist Motivation genau und wie beeinflusst sie das
Verhalten des Konsumenten?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 33
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_3
34 3 Motivation

Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie …

• die zentralen Merkmale der Motivation von Konsumenten kennen


(Abschn. 3.1),
• wie man Motivation als Produkt von Personen- und Situationsfaktoren deutet
(Abschn. 3.2),
• Konsumentenverhalten durch Inhalts- und Prozesstheorien zu erklären
(Abschn. 3.3),
• welche konsumspezifischen Motive sich abgrenzen lassen (Abschn. 3.4) und
• wie man die Motive von Konsumenten messen kann (Abschn. 3.5),

… indem Sie die Motivation des Konsumenten durch folgende Konzepte und
Theorien betrachten:

• Maslows Bedürfnispyramide,
• VIE-Theorie,
• Lewins Feldtheorie und
• ultimate Konsumentenmotive.

3.1 Merkmale motivierten Handelns

Zur Erinnerung: Konsumentenverhalten bezieht sich auf jene Aktivitäten, die man bei
der Beschaffung, beim Verbrauch und bei der Entsorgung von Produkten und Dienst-
leistungen ausübt (Blackwell et al. 2001; Solomon et al. 2013). Die Motive und die
Motivation des Konsumenten beeinflussen all diese Aktivitäten ganz wesentlich. Wir
grenzen zunächst diese beiden Begriffe ab, bevor wir uns mit den Merkmalen der Moti-
vation beschäftigen.

3.1.1 Motiv und Motivation

Die Begriffe Motiv und Motivation stammen von dem lateinischen Verb „movere“ ab,
was so viel bedeutet wie „sich bewegen“. Sie erfassen folglich, was den Konsumenten in
Bewegung versetzt.
Ein Motiv ist eine spezifische Wertungsdisposition. Als Veganerin geht es Lea bspw.
nicht nur um eine Ernährung frei von tierischen Erzeugnissen. Vielmehr folgt sie dem
Motiv, die Würde und das Leben von Tieren zu schützen. Anhand dieser spezifischen
Wertungsdisposition wägt sie ihr Handeln ab. So sind an Tieren getestete Kosmetika
3.1  Merkmale motivierten Handelns 35

für sie genauso tabu wie der Besuch von Zoos, wo ihrer Meinung nach Tiere nur zum
Vergnügung der Besucher eingesperrt sind. Motive gehören zu den „Traits“ (engl.:
­
­Merkmale, Charaktereigenschaften), die als latente Persönlichkeitsvariablen über weite
Teile der Lebensspanne stabil bleiben (Heckhausen und Heckhausen 2018). Sie sind
nicht immer „aktiv“, sondern werden durch geeignete situative Hinweise aktiviert.
Die Motivation bezieht sich stärker als Motive auf spezielle Situationen und sie
bereitet ganz bestimmte Handlungen vor (Rudolph 2013). Motivation zählt damit zu
den „States“ (engl.: Zustände). Im Zusammenspiel mit Leas Motiv, die Würde und das
Leben von Tieren zu schützen, entsteht in der Einkaufssituation die Motivation, vegane
Produkte zu kaufen, auch wenn diese zum Teil teurer als konventionelle Produkte sind.
Folgende Merkmale kennzeichnen die Motivation:

• Aktivierung: Die Motivation setzt Verhalten in Bewegung.


• Richtung: Die Motivation steuert die Aktivität auf ein Ziel hin.
• Intensität: Die Motivation bestimmt, wie intensiv eine Aktivität ausgeführt wird.
• Ausdauer: Die Motivation beeinflusst, inwieweit die Aktivität aufrechterhalten wird,
auch wenn sich Schwierigkeiten ergeben.

Das Konstrukt Motivation umfasst damit alle Prozesse, die körperliche sowie mentale
Aktivitäten auslösen, steuern und aufrechterhalten (Gerrig 2014). Gewolltes Verhalten
bezeichnet die Motivationspsychologie auch als Handeln (Rudolph 2013). Für eine
Handlung entscheiden sich Individuen willentlich und sie führen sie absichtlich aus. Alle
unwillkürlichen Verhaltensweisen sind keine Handlungen, sondern automatisierte oder
biologisch kontrollierte Prozesse, wie etwa Reflexe. Zwei Charakteristika bestimmen
motiviertes Handeln (Heckhausen und Heckhausen 2018): Das Streben nach Wirksam-
keit sowie die Organisation von Zielengagement und Zieldistanzierung, die im folgenden
Abschnitt erklärt werden.

u Merke  Motive sind „Traits“ (engl.: Merkmale, Charaktereigenschaften), die als


latente Persönlichkeitsvariablen über weite Teile der Lebensspanne stabil bleiben.
Motivation zählt zu den „States“ (engl.: Zustände). Sie bereitet eine Handlung vor und
bezieht sich auf spezielle Situationen.

3.1.2 Streben nach Wirksamkeit

Das Streben nach Wirksamkeit bezeichnet den Wunsch des Individuums, eine bestimmte
Wirkung oder ein bestimmtes Ergebnis in seiner physischen und sozialen Umwelt
herbeizuführen. Die Motivationspsychologie spricht hierbei vom Herstellen und Auf-
suchen von Verhaltens-Ergebnis-Kontingenzen (Heckhausen und Heckhausen 2018).
Ben liebäugelt mit dem Kauf einer Kaffeekapsel-Maschine, da er sich davon ein
bestimmtes Resultat verspricht. Dies kann der Duft von frischem Kaffee am Morgen
36 3 Motivation

(physische Umwelt) oder die Anerkennung für das neue Gerät im Freundeskreis sein
(soziale Umwelt). Sollte der Kauf (Verhalten) zu frisch duftendem Kaffee vor der Uni
und einer positiven Rückmeldung aus dem Freundeskreis führen (Ergebnis), wurde eine
Verhaltens-Ergebnis-Kontingenz hergestellt.

3.1.3 Zielengagement und Zieldistanzierung

Zielengagement und Zieldistanzierung sind zwei motivationale Modi. Sie sorgen dafür,
dass eine motivierte Person ihre Ressourcen effizient bündelt, um entweder ein Hand-
lungsziel zu erreichen oder sich von einem unerreichbaren oder nicht lohnenden Ziel
abzuwenden (Heckhausen und Heckhausen 2018).
Beim Zielengagement („Go-Modus“) wird Wichtiges hervorgehoben und
Unwichtiges ausgeblendet. Vor dem Kauf der Kaffeekapsel-Maschine stand Ben vor
der Entscheidung, ob er weiterhin Leas Porzellanfilter nutzen oder für knapp 200 EUR
einen Kaffeeautomaten kaufen soll. Nehmen wir an, dass Ben sich für den Kauf ent-
schieden hat. Im Zielengagement-Modus hebt er die Vorteile seiner Entscheidung für
den Kaffeeautomaten hervor. Dies kann bspw. die schnelle Zubereitung eines Kaffees
sein. Gleichzeitig blendet er etwaige Nachteile seiner Kaufentscheidung aus, wie etwa
den zusätzlich produzierten Müll in Form von verbrauchten Aluminiumkapseln.
Bei der Zieldistanzierung („Stopp-Modus“) wird ein ursprünglich verfolgtes Hand-
lungsziel zugunsten eines Alternativziels deaktiviert. Stellen wir uns in Bens Fall einmal
vor, dass er kurzfristig über die weitere Nutzung von Leas Porzellanfilter nachdachte.
Nachdem seine Entscheidung auf den Kauf der Maschine fiel, reduzierte er nicht einfach
nur seine Bereitschaft, den Porzellanfilter weiter zu nutzen, d. h. sein Engagement für
das ursprüngliche Handlungsziel. Vielmehr ist die Zieldistanzierung ein aktiver Prozess,
der dem Engagement für das bisherige Ziel entgegenwirkt. Das bedeutet, dass Ben die
ursprüngliche Absicht, den Porzellanfilter zu nutzen, abwertet („Filterkaffee schmeckt
einfach nicht“) und Alternativziele wie der Kauf eines Kaffeeautomaten an Wert gewin-
nen („der Geschmack rechtfertigt den Preis“).

3.2 Motivation als Produkt von Person und Situation

Was prägt Bens Motivation, eine Kaffeekapsel-Maschine zu kaufen und sogar das
Siebenfache für eine Tasse Kaffee zu bezahlen? Motivationspsychologen nehmen an,
dass personenbezogene und situationsbezogene Faktoren zielgerichtetes und somit
motiviertes Handeln auslösen (Heckhausen und Heckhausen 2018). Abb. 3.1 gibt einen
Überblick zu diesem Wirkzusammenhang.
3.2  Motivation als Produkt von Person und Situation 37

Person
Bedürfnisse,
Motive, Ziele

Person X
Situation Handlung Ergebnis Folgen
Interaktion

Situation
Gelegenheiten,
mögliche Anreize

Abb. 3.1  Überblicksmodell zum Verlauf motivierten Verhaltens. (In Anlehnung an Heckhausen


und Heckhausen 2018)

3.2.1 Personenfaktoren

Die Motivationsforschung unterscheidet drei personenbezogene Faktoren:

• Bedürfnisse ergeben sich aus dem aktuellen Zustand eines Organismus. Elemen-
tare physiologische Bedürfnisse, wie etwa Durst oder Schlaf, sind bei allen Men-
schen gleich ausgeprägt (alle Menschen verspüren Durst). Sie variieren nach dem
Deprivationszustand (d. h. dem Zustand der Entbehrung bzw. des Entzugs) und sie
beeinflussen damit die Motivation eines Individuums, in eine bestimmte Richtung
zu handeln. Wenn Ben und Lea Durst verspüren, könnten sie diesen mit einem Glas
Wasser löschen. Falls sie aber nicht nur durstig, sondern auch müde sind, weil sie
bspw. abends noch für eine Klausur lernen mussten, entscheiden sie sich wahrschein-
lich eher für einen großen Becher Kaffee und befriedigen mit einer Handlung zwei
Bedürfnisse.
• Motivdispositionen erklären, warum zwei Personen in ein und derselben Situation
unterschiedlich reagieren. Motivdispositionen sind zeitlich und situativ stabil. Unter-
schiede im Handeln werden auf individuelle Dispositionen (Traits) zurückgeführt,
d. h. auf Eigenschaften der Person, kurz: auf die Persönlichkeit. Worin unterscheidet
sich Ben, der Kaffeekapsel-Fan, von Lea, der Filterkaffee-Befürworterin? Bezieht
man Motivdispositionen in die Überlegung mit ein, könnte bei Ben die Disposition,
einzigartig und exklusiv handeln zu wollen, besonders stark ausgeprägt sein. Leas
Umweltbewusstsein erlaubt es ihr hingegen nicht, für jede Tasse Kaffee Müll in Form
von verbrauchten Kapseln zu produzieren. Im Ergebnis befriedigen sie dasselbe
Bedürfnis, nämlich das nach Koffein, aufgrund individueller Motivdispositionen,
unterschiedlich.
38 3 Motivation

• Zielsetzungen (auch als explizite Motive bezeichnet) sind sprachlich repräsentierte


Selbstbilder, Werte oder Ziele, die sich eine Person selbst zuschreibt. Wie wir wis-
sen, ist Lea bei der Grünen Jugend aktiv. Ein mögliches sprachlich repräsentiertes
Selbstbild von ihr könnte demnach sein, nachhaltig und ökologisch zu handeln. Für
dieses Ziel ist sie auch bereit, auf einige Dinge wie die Kaffeekapsel-Maschine zu
verzichten, da die Kapseln als nicht besonders umweltschonend gelten, selbst wenn
die Nutzung der Maschine eine morgendliche Zeitersparnis bedeuten würde.

3.2.2 Situationsfaktoren

Personenfaktoren alleine können motiviertes Verhalten nicht vollständig erklären.


Schließlich handeln Individuen trotz zeitlich stabiler Persönlichkeit nicht in jeder Situa-
tion gleich. Vielmehr sind häufig intraindividuelle Unterschiede im Verhalten beobacht-
bar. Diese Verhaltensvariationen führen Motivationsforscher auf Situationsfaktoren
zurück, d. h. auf Einflussfaktoren, die sich aus der jeweiligen Situation ergeben. Sol-
che Situationsfaktoren sind etwa Anreize. Alles Positive und Negative einer Situation,
das auf ein Individuum wirkt, bezeichnet man als Anreiz (Heckhausen und Heckhausen
2018). Einem Anreiz wohnt ein Aufforderungscharakter zu einem bestimmten Handeln
inne. Situative Anreize kann man somit auch als Bindeglied zwischen dem Motiv und
der Motivation eines Individuums verstehen (Schmalt und Langens 2009). Dabei unter-
scheidet man zwischen intrinsischen und extrinsischen Anreizen (Heckhausen und
Heckhausen 2018).

• Intrinsische Anreize rühren aus dem Ergebnis oder der Tätigkeit selbst. Der
Getränkehersteller Red Bull veranstaltet bspw. jedes Jahr die sog. Red Bull Flugtage
und begeistert damit Fans und potenzielle Kunden der Marke. Teilnehmer gleiten
mit selbst gebauten Fluggeräten von einer Rampe über das darunter liegende Wasser.
Bewertet werden die Flugweite sowie die Originalität des Fluggeräts. Dabei geht es
den Teilnehmern um Spaß und Erlebnisorientierung, sprich um die Tätigkeit selbst
(intrinsischer Anreiz). Der Sachpreis – u. a. das eigene Körpergewicht aufgewogen in
Red-Bull-Dosen – dürfte nur für die wenigsten ein Anreiz für die Teilnahme sein.
• Extrinsische Anreize liegen in einem erwarteten äußeren Nutzen des Handelns. Das
Bonussystem Payback bspw. belohnt Konsumenten für jeden Einkauf mit sog. Pay-
back-Punkten (extrinsischer Anreiz), die sie später gegen Sachgüter eintauschen kön-
nen (erwarteter Nutzen des Handelns). Sollte es ein Teilnehmer der Red Bull Flugtage
wirklich auf die Dosen des Veranstalters abgesehen haben und deswegen mitmachen,
wären auch sie ein extrinsischer Anreiz.
3.3  Konsumentenverhalten durch Motivationstheorien erklären 39

3.3 Konsumentenverhalten durch Motivationstheorien


erklären

Die Motivationspsychologie entwickelte verschiedene Theorien, die willentlich gewählte


Handlungen beschreiben, erklären und vorhersagen sollen (Rudolph 2013). Diese lassen
sich in Inhalts- (z. B. Maslows Bedürfnispyramide, Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie) und
Prozesstheorien (z. B. VIE-Theorie) unterteilen (Rothermund und Eder 2011). Daneben
gibt es Motivationstheorien, die keinem der beiden Ansätze eindeutig zugeordnet werden
können (z. B. Theorie des regulatorischen Fokus, Lewins Feldtheorie).

Hintergrundinfo: Trennscharfe Begrifflichkeiten


Die in Abschn. 3.1 voneinander abgegrenzten Merkmale motivierten Handelns sind zwischen den
Theorien nicht immer trennscharf. Maslow und Heckhausen/Heckhausen bspw. definieren Bedürf-
nisse unterschiedlich; Vroom und Lewin definieren Valenz in Nuancen verschieden. Dies liegt u. a.
daran, dass die Forscher unterschiedliche Theorieschulen vertreten.

3.3.1 Inhaltstheorien der Motivation

Was motiviert Menschen? Inhaltstheorien der Motivationsforschung versuchen, die


scheinbar unbegrenzte Anzahl an menschlichen Motiven, Bedürfnissen und Zielen zu
systematisieren und zu einer überschaubaren Menge grundlegender Antriebskräfte des
Handelns zusammenzufassen. Frühere Arbeiten der Motivationsforschung unternahmen
den Versuch, Gesamtübersichten menschlicher Motive zusammenzutragen (Rothermund
und Eder 2011). Die heutigen Arbeiten befassen sich vor allem mit den folgenden Moti-
ven (Brandstätter et al. 2013):

• Macht: Andere kontrollieren und beeinflussen sowie Kontrollverlust vermeiden.


• Leistung: Erfolg bei Zielerreichung herbeiführen und Misserfolg vermeiden.
• Anschluss: Wechselseitig positive Beziehung herstellen und Zurückweisung vermeiden.

Die Konstellation eines starken Leistungsmotivs bei gleichzeitig starkem Anschluss-


motiv könnte bspw. erklären, warum einige Konsumenten ihre Produkterfahrungen
über Social-Media-Kanäle wie YouTube oder Facebook mit anderen teilen. Die
Herausforderung, selbst ein Video zu drehen und zu schneiden (Leistungsmotiv) und
darüber mit anderen in Kontakt zu treten (Anschlussmotiv), mündet in dem Social-
Media-Verhalten. In den letzten zwei Jahrzehnten rückten zudem individuelle Ziele
und Zielhierarchien in den Fokus der Motivationsforschung. Sie geben Einblick in
die ­Vorstellungen des Individuums, wie es sein will und sein Leben gestalten möchte;
was wiederum auch sein Verhalten als Konsument beeinflusst. Wer das Ziel hat, in
der Zukunft reich und berühmt zu sein, wird sich schon heute mit den entsprechenden
Statussymbolen schmücken. Im Folgenden widmen wir uns den in der Konsumenten-
forschung gängigsten Inhaltstheorien.
40 3 Motivation

3.3.1.1 Maslows Bedürfnispyramide
Abraham Maslows Motivationstheorie bringt die Bedürfnisse von Individuen mithilfe
einer fünfstufigen Pyramide in eine hierarchische Struktur (Abb. 3.2). Dabei kann die
nächsthöhere Stufe laut Maslow (1970) erst dann erreicht werden, wenn die Bedürf-
nisse auf der darunterliegenden Stufe befriedigt sind. Individuen befriedigen zuerst
ihre Grundbedürfnisse. Wer bspw. tagelang durch die Wüste irrt und plötzlich auf eine
Oase stößt, will direkt seinen Durst löschen (physiologisches Bedürfnis). Erst danach
kommt der Gedanke auf, ob das Wasser überhaupt keimfrei und genießbar ist (Sicher-
heitsbedürfnis). Sind diese niedrigen Bedürfnisse befriedigt, bewegen motivationale
Kräfte das Individuum zu den nächsthöheren Stufen und das Bedürfnis bspw. nach Zuge-
hörigkeit und nach Selbstverwirklichung leitet das Handeln. Die ersten vier Stufen der
Pyramide sind sog. Defizitbedürfnisse, d. h. die Nicht-Befriedigung dieser Bedürfnisse
kann zu physischen und psychischen Störungen führen (Untergewicht, Depression etc.).
Die oberste Stufe bezeichnet Maslow als Wachstumsziel. Sie kann nicht vollständig
befriedigt werden, da sie mit voranschreitender Bedürfnisbefriedigung mitwächst.
Die Bedürfnispyramide von Maslow ist die bekannteste Klassifikation von Bedürf-
nissen. Die aktuelle Forschung kritisiert allerdings die mangelnde theoretische Fun-
dierung und empirische Überprüfbarkeit. Aus zwei Gründen ist sie dennoch für die
Konsumentenverhaltensforschung bedeutsam: Zum einen bringt sie aufgrund ihrer
reduktionistischen Sichtweise eine gewisse Übersicht und Ordnung in das motivatio-
nale Erleben von Konsumenten. Zum anderen sensibilisiert sie dafür, dass Konsumenten
zu verschiedenen Zeitpunkten verschiedene Prioritäten setzen (Solomon et al. 2013).
Je nach Stufe in der Bedürfnishierarchie beeinflussen andere motivationale Kräfte das
Konsumverhalten.

Selbstver-
wirklichung

Individual-
bedürfnisse

Soziale Bedürfnisse

Sicherheitsbedürfnisse

Physiologische Bedürfnisse

Abb. 3.2  Maslows Bedürfnispyramide. (In Anlehnung an Maslow 1970)


3.3  Konsumentenverhalten durch Motivationstheorien erklären 41

3.3.1.2 Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie
Frederick Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie ist ursprünglich eine Inhaltstheorie zur
Arbeitsmotivation. Wir stellen im ersten Schritt die Theorie in ihren Grundzügen vor und
zeigen im zweiten Schritt ihre Relevanz für das Konsumentenverhalten auf. Herzberg
et al. (1993) unterscheiden zwei voneinander unabhängige Einflussfaktoren:

• Hygienefaktoren verhindern Arbeitsunzufriedenheit. Sie führen aber nicht zu


Zufriedenheit. Dies liegt daran, dass Menschen diese Faktoren als selbstverständlich
betrachten. Daher fällt ihre Abwesenheit negativ ins Gewicht, ihr Vorhandensein aber
nicht positiv auf. Laut Herzberg sind das Gehalt sowie Beziehungen zu Führungs-
kräften und Kollegen typische Hygienefaktoren.
• Motivatoren beeinflussen die Motivation zur Leistung. Anerkennung oder Über-
tragung von Verantwortung – als Beispiele für Motivatoren – motivieren Menschen
und führen zur Leistungssteigerung. Nach Herzberg erzeugen Motivatoren Zufrieden-
heit; ihr Fehlen führt aber nicht automatisch zu Unzufriedenheit.

Grundlage der Zwei-Faktoren-Theorie ist der Wunsch von Individuen nach Selbstver-
wirklichung (Herzberg et al. 1993), was auch für die Motivation und das Verhalten von
Konsumenten relevant ist. Viele Konsumenten kaufen bspw. Produkte, um sich selbst
zu verwirklichen. Dabei stehen diejenigen Produkte hoch im Kurs, die diesem Ziel
zweckdienlich sind. Warum ist bspw. Apples iPhone nach wie vor so erfolgreich? Liegt
es etwa am hochauflösenden Display oder an der hohen Akkuleistung? Laut Herzbergs
Zwei-Faktoren-Theorie lautet die Antwort: nein. Schließlich zeichnen sich mittlerweile
fast alle Smartphones am Markt durch diese und ähnliche Attribute aus, sodass sie allen-
falls als Hygienefaktoren bezeichnet werden können. Sprich: Ein schwacher Akku macht
unzufrieden; ein starker Akku erzeugt aber keine Zufriedenheit und damit Kaufabsicht.
Es sind Apples Motivatoren, wie etwa das einzigartige Design oder der Kult um Steve
Jobs und die Community, die Zufriedenheit erzeugen und aus Kunden Fans machen.

3.3.2 Prozesstheorien der Motivation: Die VIE-Theorie

Während Inhaltstheorien die Frage beantworten, was menschliches Verhalten antreibt


(z. B. das Machtmotiv, Streben nach Status), zeigen Prozesstheorien auf, wie psychische
Prozesse die Handlungsintention des Menschen in Verhalten überführen und nach wel-
chen Regeln motivationale Prozesse ablaufen.
Die bekannteste Prozesstheorie der Motivationsforschung ist die Valenz-
Instrumentalitäts-Erwartungstheorie (VIE-Theorie) von Victor Vroom. Für motivier-
tes Handeln spielt die Zielsetzung des Individuums eine wichtige Rolle. Den Prozess,
wie Menschen Handlungen auswählen und umsetzen, um ein Ziel zu erreichen, erklärt
Vroom (1964) mithilfe der von ihm entwickelten VIE-Theorie (Abb. 3.3). Demnach
ergeben sich aus einer Handlung (H) zwei Konsequenzen.
42 3 Motivation

Handlung H Handlungsergebnis HE Handlungsfolgen HF a-c

H HE b

Erwartung E, Instrumentalität I
dass H zu HE führt zw. HE u. HF a-c

Abb. 3.3  VIE-Theorie. (In Anlehnung an Nerdinger et al. 2013)

• Handlungsergebnisse (HE) sind direkte Ergebnisse einer Handlung oder


Nicht-Handlung.
• Handlungsfolgen (HF) sind Auswirkungen (a–c), die das Handlungsergebnis auf
andere Bereiche des Lebens hat.

Mithilfe von drei Größen trifft die VIE-Theorie eine Aussage, ob der Konsument eine
motivationale Handlung (H) – wie bspw. den Kauf eines Produkts – ausführt.

• Die Valenz (V) drückt den subjektiven Wert (sprich die Attraktivität) aus, den das Ziel
einer Handlung für den Konsumenten hat.
• Die Instrumentalität (I) definiert die Beziehung zwischen Handlungsergebnis und
Handlungsfolge; sie kann positiv oder negativ sein.
• Die Erwartung (E) beschreibt die subjektiv eingeschätzte Wahrscheinlichkeit, das
Handlungsergebnis zu erreichen. Die Wahrscheinlichkeit nimmt einen Wert von 0 bis
1 an. Die Erwartung hängt stark von den Eigenschaften der Person ab (Nerdinger
et al. 2013).

Am Eingangsbeispiel lässt sich das Zusammenspiel dieser Größen verdeutlichen: Wird


Ben sich trotz Leas Bedenken für den Kauf (Handlung H) einer Kaffeekapsel-Maschine
entscheiden, sodass im Handlungsergebnis (HE) ein neues Gerät in der gemeinsamen
Küche steht?

• Die Handlungsfolgen (HF) wären z. B. die Zeitersparnis am Morgen (a), die
Anerkennung im Freundeskreis (b), aber auch der mögliche Beziehungsstress durch
Leas Missmut über den Kauf (c).
• Die Instrumentalität (I) wäre positiv bzgl. der Zeitersparnis (Ia) sowie der
Anerkennung im Freundeskreis (Ib) und negativ bzgl. seiner Beziehung zu Lea (Ic).
3.3  Konsumentenverhalten durch Motivationstheorien erklären 43

• Die Valenz des Handlungsergebnisses (Kaffeemaschine in der Küche) ist die Summe
der Produkte von Handlungsfolgen und Instrumentalität (HF × I). Klingt kompliziert,
ist es aber nicht. Die Produkte der Handlungsfolge und Instrumentalität sind, verein-
facht betrachtet, zweimal positiv (Zeitersparnis: Va = HFa × Ia = +1; Anerkennung:
Vb = HFb × Ib = +1) und einmal negativ (Beziehungsstress: Vc = HFc × Ic = −1).
Die Summe der Produkte ergibt eine positive Valenz (Vsum = Va + Vb + Vc =
1 + 1 − 1 = +1).
• Die Erwartung (E), dass in Zukunft eine Kaffeekapsel-Maschine in der Küche steht,
schätzt Ben hoch ein (z. B. subjektiv eingeschätzte Wahrscheinlichkeit von 0,8), da er
auf seine Überredungskünste vertraut (Eigenschaften der Person).

Die Entscheidung des Konsumenten, ob er eine Handlung auswählt und umsetzt, ergibt
sich aus dem Produkt seiner Erwartung und der Valenz des Handlungsergebnisses, sprich
Entscheidung = Valenz (Vsum) × Erwartung (E). Die Handlungsalternative mit dem
höchsten Gesamtwert wird gewählt, im Beispiel +1 × 0,8. Laut VIE-Theorie stehen also
die Zeichen nicht schlecht, dass die gemeinsame Wohnung von Ben und Lea demnächst
um eine Kaffeemaschine bereichert wird.

3.3.3 Theorie des regulatorischen Fokus

Ausgangspunkt der von Tory Higgins entwickelten Theorie des regulatorischen Fokus
(RFT) ist das hedonische Prinzip. Demnach streben Menschen nach Wohlbefinden und
sie sind darauf ausgerichtet, unangenehme Zustände zu vermeiden. Die RFT erklärt, auf
welche Weise Individuen bestimmte Ziele erreichen und welche unterschiedlichen Stra-
tegien sie hierzu verfolgen (Higgins 1997). Dabei versteht man unter Selbstregulation
den bewussten Einsatz von Strategien der Zielsetzung, -verfolgung und -erreichung
(Holler et al. 2005). Higgins (1997) unterscheidet mit dem Promotions- und dem Prä-
ventionsfokus zwei selbstregulatorische Systeme, welche die grundsätzliche motivatio-
nale Einstellung eines Individuums bei der Zielverfolgung und -erreichung erklären.

• Individuen mit einem Promotionsfokus versuchen mit großem Eifer, positive Ergeb-
nisse zu erzielen. Sie vertrauen auf ihre eigenen Fähigkeiten und sind bestrebt,
Idealzustände zu erreichen. Dabei wählen sie aus vielen verschiedenen Handlungs-
alternativen die für sie bestmögliche aus und scheuen dabei auch nicht das Risiko.
• Das Handeln von Individuen mit einem Präventionsfokus ist dadurch motiviert, Ver-
luste zu vermeiden und Verpflichtungen zu erfüllen. Das Bedürfnis nach Sicherheit
und Schutz ist im Vergleich zu Personen mit einem Promotionsfokus besonders stark
ausgeprägt. Bei der Auswahl von Handlungsmöglichkeiten betrachten sie nur eine
begrenzte Anzahl von Alternativen. Auf diese Weise versuchen sie, Fehler im Han-
deln, sog. Aktionsfehler, zu reduzieren.
44 3 Motivation

Beide Systeme, Promotions- wie auch Präventionsfokus, können zur Zielerreichung


­führen. Laut Theorie bildet sich die Neigung zu einer Form des regulatorischen Fokus
schon in jungen Jahren aus und entwickelt sich im Erwachsenenalter weiter. Sie gilt
daher auch als Persönlichkeitsmerkmal, da sie im Laufe des Lebens relativ konstant
bleibt (Higgins 2000). Die RFT hilft, wie das folgende Beispiel illustriert, verschiedene
Verhaltensweisen von Konsumenten zu erklären (Higgins und Scholer 2009).

Beispiel: Welche Zahnpasta darf es sein?


Auch Produkteigenschaften können helfen, Promotions- oder Präventions-Ziele zu
erreichen. Stellen wir uns zwei verschiedene Zahnpasta-Sorten vor. Zahnpasta A wirbt
mit dem Slogan: „Für ein strahlendes Weiß“, Zahnpasta B mit „100 % Schutz gegen
Karies“. Konsumenten mit einem Promotionsfokus würden wohl eher Zahnpasta A
wählen (Idealzustand weiße Zähne), Konsumenten mit Präventionsfokus wohl eher
Zahnpasta B (Schutz gegen Karies).

3.3.4 Lewins Feldtheorie

Nach Kurt Lewins Feldtheoriekann ein Objekt für das Individuum entweder einen posi-
tiven oder einen negativen Wert annehmen (Brandstätter et al. 2013). Der Wert des
Objekts für das Individuum wird auch als Valenz bezeichnet. Die Valenz hängt von
den Bedürfnissen des Individuums ab. Objekte, die der Bedürfnisbefriedigung dien-
lich sind, nehmen eine positive Valenz an. Objekte, die der Bedürfnisbefriedigung nicht
dienlich sind, nehmen eine negative Valenz an. Bedürfnisse erzeugen eine Spannung in
der Person. Nachdem das Bedürfnis befriedigt ist, nimmt die Spannung ab und die posi-
tive Valenz des Objekts erlischt. Durch die Valenz des Objekts entsteht im Konsumenten
ein Kräftefeld. Konsumenten wenden sich demjenigen Objekt zu, bei dem zu einem
gegebenen Zeitpunkt die resultierende Kraft am größten ist. Wie stark diese Kraft ist,
hängt von der Stärke der Valenz und der Entfernung zum Zielobjekt ab.
So weit die abstrakte Beschreibung der Feldtheorie, schauen wir sie uns nun an
einem Beispiel an: Für viele Konsumenten gehört zu einem guten Kinofilm auch ein ent-
sprechender Snack, so auch für Lea. Da sie Lust auf etwas Süßes hat (physiologisches
Bedürfnis nach Zucker), entscheidet sie sich für eine Jumbo-Portion karamellisiertes
Popcorn (positive Valenz) und gegen die salzigen Nachos (negative Valenz). Nach den
ersten Happen (Bedürfnisbefriedigung) nimmt ihr Appetit ab (Abnahme der Spannung)
und sie denkt sich: „Vielleicht hätte eine Kinderportion auch gereicht.“, (positive Valenz
erlischt). Nach dem Film plant Lea, den Abend bei einem Cocktail ausklingen zu las-
sen. Zwei Bars (A und B) befinden sich in unmittelbarer Nähe. Welche Cocktailbar wird
Lea aufsuchen? Die Analyse des Kräftefeldes, in dem sich Lea befindet, gibt die Ant-
wort: Die Entfernung zum Zielobjekt (Cocktailbar A und B) ist bei beiden Alternativen
in etwa gleich groß. Ein Blick auf das Smartphone verrät Lea aber, dass es nur in Bar A
ihren Lieblingscocktail Cosmopolitan gibt (stärkere positive Valenz gegenüber Bar A).
3.4  Motive des Konsumentenverhaltens 45

Die Kraft, die Lea zur Bar A zieht, ist stärker als die Kraft, die von Bar B ausgeht, und
somit ist die Entscheidung zugunsten Bar A gefallen.
Oftmals wirken mehrere Kräfte gleichzeitig auf den Konsumenten. Wenn diese Kräfte
im Widerspruch zueinander stehen, kommt es zu Konflikten. Lewin unterscheidet drei
Arten von Konflikten:

• Annäherungs-Annäherungs-Konflikte: Mindestens zwei Objekte haben eine positive


Valenz. Warum fällt es Konsumenten im Restaurant manchmal so schwer, eine Ent-
scheidung zu treffen? Lewin würde argumentieren, dass mehrere Speisen eine positive
Valenz haben und man sich daher in einem Annäherungs-Annäherungs-Konflikt befindet.
• Vermeidungs-Vermeidungs-Konflikte: Zwei Handlungsalternativen mit negativer
Valenz. Erst die Seminararbeit zu Ende schreiben oder doch schon für die Klausur ler-
nen? Von beiden Alternativen geht eine negative Valenz aus. Kein Wunder also, dass
man sich als Student oftmals in einem Vermeidungs-Vermeidungs-Konflikt befindet.
• Annäherungs-Vermeidungs-Konflikte: Ein Objekt nimmt sowohl positive als auch
negative Valenz an. Von einem leckeren Stück Torte geht sowohl eine positive Valenz
aus („Ich habe Lust auf etwas Süßes.“) als auch eine negative Valenz („Torte macht
dick, aber ich will dünn sein.“).

Beispiel: Lewins Feldtheorie in der Marketing-Praxis


Konsumenten befinden sich oftmals in Annäherungs-Vermeidungs-Konflikten. Das Mar-
keting versucht, diese Konflikte durch entsprechende produkt- und kommunikations-
politische Maßnahmen zu lösen. Auf der einen Seite möchten viele Konsumenten eine
schlanke Figur haben. Schokolade ist demnach tabu (negative Valenz). Auf der anderen
Seite schmeckt sie aber so gut (positive Valenz). Das Unternehmen Ferrero löst die-
sen Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt und positioniert Yogurette nicht als Schoko-
Riegel, sondern mit dem Slogan „Geschmack von Erdbeeren und Joghurt“ als Snack für
­Figurbewusste. Scannen Sie den QR-Code, um sich den Spot anzusehen.

3.4 Motive des Konsumentenverhaltens

Warum kaufen manche Konsumenten einen Porsche, während andere bewusst auf den
Erwerb eines Sportwagens verzichten und stattdessen ein Elektroauto fahren? Um diese
und ähnliche Fragen zu beantworten, entwickelten sich in der Konsumentenverhaltens-
forschung eigenständige Motivklassifikationen, die in ihrer Logik den Inhaltstheorien der
46 3 Motivation

Motivationspsychologie gleichen. Man kann diese Klassifikationen in zwei Gruppen auf-


teilen: Verhaltensübergreifende und verhaltensspezifische Konsumentenmotive.

3.4.1 Verhaltensübergreifende Konsumentenmotive

Verhaltensübergreifende Klassifikationen sollen das vielfältige Verhalten von Konsu-


menten auf einige wenige zentrale konsumrelevante Motive zurückführen. Ein Beispiel
ist Griskevicius und Kenricks (2013) Klassifikation der fundamentalen Motive. Die For-
scher nehmen auf Basis der Evolutionsbiologie und -psychologie an, dass sich im Laufe
der Menschheitsgeschichte ein Set an Motiven herausgebildet hat, das dem Menschen
einen Vorteil in der Reproduktion und im Überleben verschaffte (Survival of the Fit-
test). Nochmals zur Erinnerung: Die Motivationsforschung untersucht die Ursachen und
Gründe menschlichen Verhaltens. Griskevicius und Kenrick (2013) unterscheiden ulti-
mate und proximate Ursachen menschlichen Verhaltens.

• Proximate Ursachen sind die unmittelbaren Gründe und Ursachen für ein
bestimmtes Verhalten.
• Ultimate Ursachen sind tiefer liegende Gründe und Ursachen, die Menschen einen
evolutionären Vorteil verschaffen.

Warum kauft Ben nun eine Kaffeekapsel-Maschine? Könnten wir ihn fragen, würde
er vermutlich antworten, dass er morgens erst nach einem Becher Kaffee richtig wach
wird. Das klingt plausibel, denn schließlich liegen sein Verhalten – der Kauf der Kaffee-
kapsel-Maschine – und der Grund – die Koffein-Quelle – unmittelbar beieinander.
Dies wäre eine proximate Ursache. Doch ist sie tatsächlich der Auslöser für den Kauf
der Kapsel-Maschine? Die Identifikation ultimater Ursachen des Verhaltens geht einen
Schritt weiter. Neben dem Koffein-Kick (proximater Grund) könnte auch das im Fol-
genden beschriebene Status-Motiv (ultimater Grund) Ben zum Kauf der Kaffee-
kapsel-Maschine bewegt haben („Seht her, ich kann es mir leisten, für eine Tasse Kaffee
das Siebenfache auszugeben“). Die Klassifikation von Griskevicius und Kenrick (2013)
zeigt sieben dieser ultimaten Ursachen und Gründe auf, die das Verhalten von Konsu-
menten beeinflussen:

• Selbstschutz: Das Selbstschutz-Motiv treibt Konsumenten an, Sicherheit herzustellen


und sichere Entscheidungen zu treffen. Wenn es aktiviert ist, gehen Konsumenten
weniger Risiken ein, versuchen Verluste zu vermeiden und präferieren den Status
quo. Selbstschutz-motivierte Konsumenten greifen eher zu etablierten Marken oder zu
Marken, die besonders mit Sicherheit assoziiert sind.
• Krankheitsvermeidung: Konsumenten wollen Erkrankungen entgegenwirken und
Ansteckungen vermeiden. Die Auswahl von Nahrungsmitteln kann bspw. unter dem
Einfluss des Krankheitsvermeidungs-Motivs stehen; etwa dann, wenn Konsumenten
3.4  Motive des Konsumentenverhaltens 47

Bio-Produkte kaufen, weil sie davon ausgehen, dass diese mit weniger Schadstoffen
belastet sind und daher ihre Gesundheit nicht gefährden.
• Zugehörigkeit: Das Zugehörigkeits-Motiv aktiviert Verhalten zur Vertiefung
bestehender Freundschaften und zur Aufnahme neuer Freundschaften. Der Erfolg
von Social-Media-Services wie Facebook ist Ausdruck des Zugehörigkeits-Motivs.
Das Zugehörigkeits-Motiv erklärt auch den Kauf bestimmter Kleidung (z. B. Got-
hic-Look) als Symbol der Identifikation mit einer bestimmten sozialen Gruppe.
• Status: Konsumenten wollen Status innerhalb der Gruppe erlangen, der sie sich
zugehörig fühlen, indem sie bspw. Markenkleidung tragen oder Luxus- und Prestige-
produkte kaufen. Bei aktivem Status-Motiv handeln Konsumenten nicht zwangsläufig
egoistisch, sondern zeigen Verhaltensweisen wie kompetitiven Altruismus („Hast du
auch für die Flutopfer gespendet?“) oder Umweltbewusstsein („Ich fahre ein Elektro-
auto.“), um die eigene Reputation zu verbessern.
• Partner-Anwerbung: Das Motiv der Partner-Anwerbung mündet in einem Verhalten,
das Aufmerksamkeit beim Gegenüber erzeugen soll. Ein aufmerksamkeitswirksames
Verhalten ist bspw. das Tragen auffälliger und hochpreisiger Marken sowie Großzü-
gigkeit und Spendierfreudigkeit. Auch Kosmetika und Pflegeprodukte sollen die Auf-
merksamkeit des Gegenübers wecken, indem die eigene Schönheit und Jugendlichkeit
betont wird.
• Pflege der Partnerschaft: Menschen halten Partnerschaften aufrecht, indem
sie bspw. Zeit und Mühe in die Bewältigung potenzieller Konflikte bei der Nut-
zung gemeinsamer Ressourcen aufwenden. Oder sie investieren Zeit und Geld für
Geschenke zum Jahrestag, um Partnerschaften zu intensivieren. Und selbst der Kauf
von Produkten für einen selbst wird – bewusst und unbewusst – von der Beziehung
zum Partner bestimmt.
• Familienwohl: Konsumenten investieren für das Familienwohl Zeit, Energie und
finanzielle Ressourcen. Das Familienwohl-Motiv regt Verhalten an, das sicherstellt,
dass bspw. Hilfsbedürftige eine adäquate Versorgung erfahren (Betreuung von Kin-
dern, Pflege von Älteren). Das Motiv bezieht sich nicht nur auf Mitglieder der eigenen
Familie, sondern auch auf Mitbewohner, Personen mit ähnlichen Zielen oder Arbeits-
kollegen.

3.4.2 Verhaltensspezifische Konsumentenmotive

So facettenreich das Konsumentenverhalten ist, so umfangreich sind auch die verhaltens-


spezifischen Konsumentenmotive. Viele empirische Studien, die konsumrelevante Motive
erforschen, widmen sich speziellen Konsumbereichen. Als Folge wurden verschiedene
Klassifikationen von Motiven vorgeschlagen, die sich auf spezifische Bereiche beziehen.
Ein Beispiel ist das umweltbewusste Konsumverhalten. Nehmen wir als Anschauungs-
objekt die Tatsache, dass sich immer mehr Konsumenten bewusst gegen einen Ver-
brennungsmotor entscheiden und ein Elektroauto fahren, um die Umwelt zu schützen.
48 3 Motivation

Motiv Indikatoren

Draußen in der Natur kann ich sehr gut Stress abbauen.


Egozentrisch
Ich brauche Zeit in der Natur, um glücklich zu sein.

Die Natur ist um ihrer selbst willen wertvoll.


Ökozentrisch Es macht mich traurig, dass die natürliche Umwelt
zerstört wird.

Wir müssen die natürlichen Ressourcen bewahren, um


eine hohe Lebensqualität aufrechterhalten zu können.
Anthropozentrisch
Eines der wichtigsten Motive für den Schutz der Umwelt
ist das Überleben der Menschheit.

Abb. 3.4  Motive umweltschützenden Verhaltens. (In Anlehnung an Soyez et al. 2009)

Doch warum ist diesen Konsumenten der Umweltschutz wichtig? Soyez et al. (2009)
nennen drei Motive, die umweltschützendes Verhalten erklären können (Abb. 3.4):

• Egozentrisch motivierte Konsumenten schützen die Umwelt, weil sie Kraft und Ener-
gie aus der Natur ziehen und gerne ihre Freizeit in der Natur verbringen.
• Ökozentrisch motivierte Konsumenten fühlen eine tiefe Verbundenheit zur Natur. Für
sie erfüllt umweltschützendes Verhalten einen Selbstzweck.
• Anthropozentrisch motivierte Menschen verstehen die Natur als lebensnotwendige
Ressource, die es durch umweltschützendes Konsumverhalten für künftige Generatio-
nen zu schützen gilt (Thompson und Barton 1994).

Der Kauf eines Elektroautos, um damit die Umwelt zu schützen, kann demnach ego-
zentrisch, ökozentrisch oder anthropozentrisch motiviert sein.
Es existieren noch zahlreiche weitere verhaltensspezifische Konsumentenmotive. Warum
fühlen sich bspw. manche Menschen von einzigartigen oder seltenen Produkten regelrecht
angezogen? Das sog. „Desire for Unique Consumer Products“-Motiv (DUCP) erklärt dieses
spezifische Konsumentenverhalten (Lynn und Harris 1997). Es erklärt aber nicht – so wie
etwa die egozentrischen, ökozentrischen und anthropozentrischen Motive –, warum einigen
Menschen der Umweltschutz am Herzen liegt, sodass wir auch hier von einem verhaltens-
spezifischen Motiv sprechen.

3.5 Messung von Motiven

Die Motive von Konsumenten werden in den meisten Fällen mithilfe von Ratingskalen in
einem Fragebogen gemessen. Das Handbook of Marketing Scales (Bearden et al. 2011)
bietet eine sehr gute Übersicht über eine Vielzahl an Skalen, um Konsumentenmotive zu
3.5  Messung von Motiven 49

erheben. Ratingskalen in Fragebögen erfassen allerdings nur Motive, die dem Probanden
bewusst sind.
Um unbewusste und schwer verbalisierbare Motive zu messen, bedient man sich sog.
projektiver Verfahren (Abschn. 2.2.2), wie etwa des thematischen Apperzeptionstests
(TAT) und der Means-End-Chain (Ziel-Mittel-Kette). Beim TAT sollen Probanden zu
Bildvorlagen Geschichten erzählen. Der Interviewer stellt dabei Fragen, um den Rede-
fluss zu stimulieren (z. B. „Was passiert gerade?“, „Wer ist die Person?“, „Was fühlt und
denkt sie?“, „Welche Absichten verfolgt sie?“, „Was passiert als Nächstes?“). Grundidee
des Tests ist es, dass der Proband seine mit dem Bild assoziierten und in das Bild pro-
jizierten Gedanken versprachlicht und dabei seine unbewussten Wünsche, Bedürfnisse
und Motive offenbart (Brandstätter et al. 2013).
Die Means-End-Chain-Theorie nimmt an, dass das Wissen in einer hierarchi-
schen Struktur nach dem Bottom-up-Prinzip (von unten nach oben) organisiert ist
(Gutman 1997). Demnach ist die Bedeutung, die Konsumenten mit bestimmten Pro-
dukten, Dienstleistungen oder Marken assoziieren, in sechs Ebenen hierarchisch reprä-
sentiert (Woodside 2004). Auf unterster Ebene befinden sich funktionale und abstrakte
Objekt-Attribute, gefolgt von funktionalen und psychosozialen Konsequenzen, die
sich aus den Objekt-Attributen ergeben. Auf oberster Ebene befinden sich die instrumen-
talen und terminalen Werte, für die das Objekt steht (Gutman 1997). Terminale Werte
geben an, was ein Mensch in seinem Leben erreichen will (Weisheit, Freundschaft,
innere Harmonie etc.). Instrumentale Werte sind sprachlich repräsentierte, bevorzugte
Verhaltensweisen, die der Mensch zeigt, um die terminalen Werte zu erreichen (­Rokeach
1973). Zum Frühstück gönnt sich Lea bspw. gerne einen fettarmen (funktionales
Objekt-Attribut) und dadurch kalorienreduzierten (abstraktes Objekt-Attribut) Joghurt.
Beides ist Lea wichtig, da sie schlank sein will (funktionale Konsequenz der Objekt-
Attribute). Schlank zu sein, bedeutet für Lea, attraktiv zu sein (psychosoziale Konse-
quenz), und darauf achtet sie; nicht zuletzt auch wegen Ben. Damit sie schlank bleibt,
muss sie sich manchmal in Selbstkontrolle (instrumentaler Wert) üben und darf nicht
allzu oft Schokolade essen. Die schlanke Figur, die sie erreicht, stärkt ihr Selbstbewusst-
sein (terminaler Nutzen).
Die sog. Laddering-Technik ist ein etabliertes Verfahren, um im Rahmen quali-
tativer Interviews die Bedeutungsassoziation des Konsumenten mit bestimmten Pro-
dukten, Dienstleistungen oder Marken zu erheben und dadurch eine Means-End-Kette
zu entwickeln (Reynolds und Gutman 1988). Mittels „Warum“-Fragen bringt man
Konsumenten dazu, ihre Ziel-Mittel-Vorstellungen zu äußern. Man könnte bspw. wie
im Folgenden dargestellt die Laddering-Technik anwenden, um die Bedeutung einer
Kaffeekapsel-Maschine für Ben zu ergründen. In Abb. 3.5 ist das Ergebnis dieser fiktiven
Befragung als Means-End-Kette dargestellt.

• Interviewer: Warum ist es dir wichtig, eine Kaffeekapsel-Maschine zu besitzen, die


im Vergleich zu Leas Porzellanfilter doch recht teuer ist?
• Ben: Weil teure Produkte i. d. R. auch qualitativ hochwertiger sind.
50 3 Motivation

Kettenglieder Means-End-Chain

Terminal Selbststärkung
Werte
Instrumentell Status

Psychosozial Bewunderung
Konsequenzen
Funktional Schick

Abstrakt Hochwertig
Attribute
Funktional Teuer

Abb. 3.5  Beispiel einer Means-End-Chain

• Interviewer: Warum ist dir hochwertige Qualität wichtig?


• Ben: Nun ja, hochwertige Qualität entsteht durch hochwertige Materialien und die
sehen immer schick aus.
• Interviewer: Warum müssen Dinge schick sein?
• Ben: Die bewundernden Blicke von Freunden fühlen sich irgendwie gut an.
• Interviewer: Warum ist die Bewunderung wichtig?
• Ben: Na ja, man will im Leben ja was erreichen und wenn man es geschafft hat,
schauen die Leute zu einem auf.

3.6 Lernhilfe

Quintessenz
Die Motive und die Motivation des Konsumenten beeinflussen sein Verhalten bei der
Beschaffung, beim Verbrauch und bei der Entsorgung von Produkten und Dienst-
leistungen. Dabei hängt seine Motivation sowohl von Personenfaktoren als auch von
Situationsfaktoren ab. Mithilfe von Inhaltstheorien, wie bspw. Maslows Bedürfnis-
pyramide, und Prozesstheorien, wie bspw. der VIE-Theorie, lässt sich motiviertes
Verhalten erklären. Verhaltensübergreifende Konsumentenmotive führen dabei das
vielfältige Verhalten von Konsumenten auf wenige zentrale konsumrelevante Motive
zurück. Verhaltensspezifische Konsumentenmotive widmen sich speziellen Konsum-
bereichen, wie etwa dem umweltbewussten Konsum.
Literatur 51

Übungsfragen und -aufgaben


Vervollständigen Sie folgenden Satz:
Heckhausen und Heckhausen (2018) postulieren, dass ____________ und
____________ Faktoren zielgerichtetes und somit motiviertes Handeln erklären.

Richtig oder falsch?


Motive sind „Traits“ und beziehen sich auf eine spezielle Situation.

Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an.


Welche dieser Motive lassen sich der Klassifikation „fundamentaler Motive“ von
Griskevicius und Kenrick (2013) zuordnen?

O Selbstschutz
O Zugehörigkeit
O Status
O Ökozentrismus
O Familienwohl

Vernetzende Fragestellung
Entwickeln Sie eine beispielhafte Means-End-Chain, die die Bedeutungsassoziation
von Lea zum Thema Kaffeekapsel-Maschine darstellt.

Weiterführende Literatur

Griskevicius, V., & Kenrick, D. T. (2013). Fundamental motives: How evolutionary needs influ-
ence consumer behavior. Journal of Consumer Psychology, 23(3), 372–386.
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Heckhausen, H., & Heckhausen, J. (2018). Motivation und Handeln (5. Aufl.). Berlin: Springer.

Literatur

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­Multi-item measures for marketing and consumer behavior research. London: Sage.
Blackwell, R. D., Miniard, P. W., & Engel, J. F. (2001). Consumer behavior (9. Aufl.). Orlando:
Harcourt.
Brandstätter, V., Schüler, J., Puca, R. M., & Lozo, L. (2018). Motivation und Emotion: Allgemeine
Psychologie für Bachelor (2. Aufl.). Berlin: Springer.
Gerrig, R. J. (2014). Psychologie (20. Aufl.). Hallbergmoos: Pearson.
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52 3 Motivation

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Transaction Publishers.
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1217–1230.
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creation process. Journal of Consumer Psychology, 19(2), 100–114.
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rences scale. Psychology & Marketing, 14(6), 60–616.
Maslow, A. H. (1970). Motivation and personality (Bd. 2). New York: Harper & Row.
Nerdinger, F. W., Blickle, G., & Schaper, N. (2013). Arbeits-und Organisationspsychologie.
(3. Aufl.). Berlin: Springer.
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Rothermund, K., & Eder, A. (2011). Allgemeine Psychologie: Motivation und Emotion.
­Wiesbaden: Springer.
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European perspective (5. Aufl.). London: Pearson.
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tation across cultures: Development of a German and Russian scale. Social Psychology, 40(4),
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Thompson, S. C. G., & Barton, M. A. (1994). Ecocentric and anthropocentric attitudes toward the
environment. Journal of Environmental Psychology, 14(2), 149–157.
Vroom, V. H. (1964). Work and motivation. San Francisco: Jossey-Bass.
Woodside, A. G. (2004). Advancing means-end chains by incorporating Heider’s balance theory
and Fournier’s consumer-brand relationship typology. Psychology & Marketing, 21(4),
­279–294.
Emotion
4

u Brand Love: Warten auf das brandneue iPhone  „Wie kommst du denn auf
die Idee?“, Ben reagiert skeptisch, als ihm Lea vorschlägt, zum Release des
neuen iPhones gemeinsam vor dem Apple-Store zu kampieren. Zwar freut
auch er sich auf das neue Modell. Doch so intensiv ist seine Vorfreude nicht,
dass er für ein neues Smartphone stundenlang anstehen würde. Lea versucht,
Ben doch noch zum Mitkommen zu motivieren. „Stell Dir mal das tolle Gefühl
vor, wenn wir das neue iPhone endlich selbst ausprobieren können. Ich werde
schon ganz hibbelig vor Freude. Und die Stimmung vor dem Store wird sicher
auch wieder super.“ Neckisch fügt sie hinzu: „Wenn Du nicht mitkommen
möchtest, geh ich eben alleine.“
Sowohl Ben als auch Lea freuen sich auf das neue iPhone. Doch während
Lea dem Release des neuen Modells voller Freude entgegenfiebert, reagiert
Ben eher gelassen. Es scheint, dass ihre Emotionen ihr Verhalten unterschied-
lich beeinflussen. Doch was sind Emotionen genau und warum beeinflussen
sie das Konsumverhalten?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 53
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_4
54 4 Emotion

Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, …

• wie man Emotionen beschreiben und bestimmen kann (Abschn. 4.1),


• wie Emotionen das Konsumentenverhalten beeinflussen (Abschn. 4.2) und
• wie man Emotionen mithilfe von verbalen und apparativen Verfahren misst
(Abschn. 4.3),

… indem Sie die Emotionen des Konsumenten durch folgende Konzepte und
Theorien betrachten:

• biologische und kognitive Emotionstheorien,


• Zwei-Faktoren-Theorie und
• Theorie der Schutzmotivation.

4.1 Kennzeichen von Emotionen

Praktisch jeder weiß, was eine Emotion ist – bis er um eine Definition gebeten wird.
So haben Fehr und Russel (1984) die Problematik, Emotionen zu definieren, tref-
fend beschrieben. Während wir im Alltag Emotionen wie Freude, Überraschung oder
Angst intuitiv fühlen, erkennen und benennen können, ist es der Forschung bisher
noch nicht gelungen ein einheitliches Verständnis des Emotionsbegriffs zu entwickeln.
Bereits vor 25 Jahren identifizierte Plutchik (1991) über 150 unterschiedliche Defi-
nitionen des Begriffs Emotion. So vielfältig wie die Definitionsversuche sind auch die
vorgeschlagenen Theorien, die erklären sollen, wie Emotionen entstehen und ablaufen
(Izard 2010). Viele dieser Ansätze schreiben Emotionen bestimmte Merkmale zu, denen
wir uns im folgenden Abschnitt widmen.

4.1.1 Merkmale von Emotionen

Meyer et al. (2001) identifizieren sieben zentrale Merkmale von Emotionen. Diese lassen
sich anhand des Einstiegsbeispiels illustrieren. Das Kampieren vor dem Apple-Store zum
Verkaufsstart eines neuen iPhones ist unter Fans Kult. Bereits Tage vor dem Release war-
ten zahlreiche Konsumenten auf das begehrte Device. So auch Lea im Einstiegsbeispiel.
Tab. 4.1 demonstriert, inwiefern Emotionen für dieses Verhalten mitverantwortlich sind.
Die folgende Arbeitsdefinition greift die sieben Merkmale von Emotionen auf.
Arbeitsdefinitionen sind vorläufige Erläuterungen eines Sachverhalts und Arbeitsgrund-
lage für weitere Untersuchungen. Sie erheben aber nicht den Anspruch, einen Sachver-
halt erschöpfend zu definieren.
4.1  Kennzeichen von Emotionen 55

Tab. 4.1  Merkmale von Emotionen im Konsumkontext


Merkmal Erläuterung Beispiel: Apple-Fan Lea
Qualität Art der Emotion (z. B. Freude, Wut „Ich freue mich.“
etc.)
Intensität Stärke der Ausprägung des psychi- „Ich freue mich sehr.“
schen Zustands
Dauer Dauer des psychischen Zustands, „Ich freue mich seit meiner
meist kurz- bis mittelfristig Ankunft vor 5 min. sehr.“
(längerfristige Zustände sind
Stimmungen)
Objektgerichtetheit Objekt, das die Emotionen auslöst „Ich freue mich seit meiner Ankunft
(z. B. hat man Angst vor etwas, vor 5 min. sehr auf das iPhone.“
freut sich über etwas etc.)
Charakteristisches Subjektive Komponente bzw. „Ich freue mich seit meiner Ankunft
Erleben Gefühl, das mit der Emotion ver- vor 5 min. sehr auf das iPhone. Das
bunden ist fühlt sich richtig toll an.“
Physiologische Messbare körperliche Veränderung „Ich freue mich (…). Schau, ich
Veränderung zittere schon am ganzen Körper.“
Verhaltensaspekt Emotionsspezifische, zielgerichtete „Ich freue mich (…). Daher kam-
Verhaltensweise piere ich vor dem Apple Store.“

u Arbeitsdefinition:  Emotionen sind aktuelle psychische Zustände einer Person, die


sich durch eine bestimmte Qualität, Intensität und Dauer auszeichnen und objektgerichtet
sind. Jede Emotion geht mit einem charakteristischen Erleben, einer spezifischen physio-
logischen Veränderung und typischen Verhaltensweisen einher (Meyer et al. 2001).

Die Begriffe Emotion, Stimmung, Affekt und Gefühl beschreiben verwandte Konstrukte.
Der Unterschied liegt im Detail (Atzert et al. 2014). Mithilfe der Arbeitsdefinition lassen
sie sich voneinander abgrenzen:

• Stimmung: Im Vergleich zu Emotionen länger andauernd, weniger intensiv und


weniger objektbezogen – und daher oftmals diffus positiv oder negativ.
• Affekt: Sehr intensiv, entzieht sich der kognitiven Kontrolle und läuft scheinbar auto-
matisch ab.
• Gefühl: Kognitive Interpretation einer psychischen Erfahrung. Bezieht sich auf das
subjektive Erleben einer Emotion, die sich auch versprachlichen lässt („Ich fühle
mich gut“).

Hintergrundinfo: In English please


Im englischen Sprachraum wird nicht so deutlich zwischen affect, emotion und mood unter-
schieden wie im Deutschen zwischen Affekt, Emotion und Stimmung. Dies sollte beim Lesen
englischsprachiger Fachliteratur und Forschungsbeiträge beachtet werden.
56 4 Emotion

4.1.2 Komponenten einer Emotion

Emotionen sind immer mit einer Veränderung des Erlebens und Verhaltens von Konsu-
menten verbunden. So ärgert es Lea normalerweise, wenn sie länger als fünf Minuten in
einer Schlange anstehen muss. Durch die Vorfreude auf das neue iPhone erlebt sie aber
das stundenlange Warten vor dem Apple-Store als positiv. Dieses positive Erleben führt
zu einer Verhaltensänderung: Während sie sonst genervt die Schlange verlassen würde,
wartet sie nun geduldig weiter. Veränderungen im Erleben und Verhalten sind Gegenstand
vieler Studien zum Konsumentenverhalten, die Emotionen fokussieren. Zur Erfassung die-
ser Veränderungen erweist es sich als hilfreich, Emotionen als multidimensionales, sprich
vielschichtiges Konstrukt zu verstehen (Rothermund und Eder 2011), das Reaktionen in
mehreren Komponenten auslöst. Jede Komponente lässt sich durch ein bestimmtes Ver-
fahren (z. B. Befragung, Beobachtung oder apparative Verfahren) messen (Abschn. 4.3).

• Erlebenskomponente: Emotionen wie Wut, Freude oder Trauer gehen mit einer Ver-
änderung des subjektiven Erlebens einher und fühlen sich daher unterschiedlich an.
• Kognitive Komponente: Das Erleben von Emotionen wird durch Bewertungen,
Gedanken und Kognitionen geformt. Je nachdem, ob der Konsument ein Erlebnis als
positiv oder negativ bewertet, entstehen unterschiedliche Emotionen.
• Neurophysiologische Komponente: Ein emotionaler Zustand drückt sich auch in
einer Veränderung aus, die durch das autonome Nervensystems ausgelöst wird, wie
bspw. einem erhöhten Herzschlag, Schweißausbruch oder einer beschleunigten
Atmung. Bildgebende Verfahren (z. B. fMRT; Abschn. 2.4.3) zeigen, dass Emotionen
netzwerkartig weite Teile des Gehirns umspannen.
• Ausdruckskomponente: Jede Emotion äußert sich in einer bestimmten Mimik,
Haltung und Stimme. Allein der Gesichtsausdruck einer Person reicht aus, um zu
erkennen, ob sie Ekel (angezogene Oberlippe, gerümpfte Nase und leicht verengte
Augen) oder Freude (hochgeschobene Wangen, Lächeln) empfindet (Ekman 2016).
• Motivationale Komponente: Eine Emotion kann eine bestimmte, zielgerichtete
Handlung in Bewegung setzen. So motiviert Angst bspw. zur Vermeidung einer Situa-
tion und mündet im Extremfall in Flucht.

Im Einstiegsbeispiel kampiert Lea für den Kauf des aktuellen iPhones vor dem Apple-
Store. Die Freude (Erlebenskomponente) über den bevorstehenden Kauf bewertet sie
positiv (kognitive Komponente). Fünf Minuten vor Öffnung des Ladengeschäfts ist die
Freude am größten und ihr Herz pocht (neurophysiologische Komponente). Das Lachen
in ihrem Gesicht (Ausdruckskomponente), als sie in den Laden stürmt, um endlich das
neue iPhone in den Händen zu halten (motivationale Komponente), ist nicht zu übersehen.
Die Emotionsforschung hat noch ein weiteres Konzept zur Beschreibung von Emo-
tionen hervorgebracht: Die Reaktionstrias der Emotion (Lazarus et al. 1970). Es ist
dem Komponentenmodell der Emotion ähnlich. Es nimmt an, dass sich Emotionen durch
behaviorale (verhaltensbasierte), physiologische (körperliche) und subjektive Aspekte
ausdrücken und dass auch diese drei Aspekte jeweils mit unterschiedlichen Methoden
4.1  Kennzeichen von Emotionen 57

messbar sind. Betrachten wir die Konzeption am Beispiel der Emotion Freude, die bei
einem Konzertbesuch entsteht.

• Der behaviorale Aspekt der Freude kann ein Lachen oder das Tanzen eines Konzert-
besuchers sein, weil ihm die Musik gefällt.
• Der physiologische Aspekt beschreibt körperliche Reaktionen wie, dass das Herz viel
intensiver schlägt. Gerade hier kann Musik sehr direkt wirken, indem bspw. der Beat
die Frequenz des Herzschlags vorgibt.
• Der subjektive Aspekt der Emotion Freude während des Konzerts ist das positive
Gefühl, das auch noch lange nach dem Konzert anhalten kann.

Hintergrundinfo: Merkmale, Komponenten und Aspekte einer Emotion


Die unterschiedlichen Konzeptualisierungen der Kennzeichen von Emotionen – ob durch sieben
Merkmale, fünf Komponenten oder die drei Aspekte der Trias – sind nicht ganz trennscharf. Dass
mehrere, überlappende Ansätze vorliegen, lässt sich darauf zurückführen, dass es bisher keine ein-
heitliche Definition des Emotionsbegriffs gibt und dass sich verschiedene theoretische Ansätze in
der Emotionsforschung etabliert haben.

4.1.3 Von der Konsumenten-Emotion zur Konsumenten-


Motivation

Die Motivationen und Emotionen des Konsumenten sind eng miteinander verknüpft
und eine konzeptionelle Unterscheidung ist schwierig (Atzert et al. 2014). Die Arbeits-
definition der Emotion hilft, den Zusammenhang zwischen Emotion und Motivation bes-
ser zu verstehen und ihre Bedeutung für das Konsumentenverhalten herauszuarbeiten.
Sowohl Emotionen als auch Motive energetisieren und organisieren das Verhalten
des Konsumenten (Frijda und Parrott 2011). Im Einstiegsbeispiel mündeten Leas Freude
über das iPhone-Release (Emotion Freude) und ihr Wunsch, positive Beziehungen zu
anderen aufzunehmen und aufrechtzuerhalten (Anschlussmotiv) darin, gemeinsam
mit anderen vor dem Apple-Store zu kampieren (Verhalten). Emotionen begleiten auch
motivationale Zustände. Sie signalisieren den Fortschritt in der Zielerreichung und
unterstützen den Konsumenten bei der Ausführung und Bewältigung eines bestimmten
Verhaltens (Oatley und Jenkins 1992). Positive Emotionen motivieren etwa zum Ver-
folgen, negative Emotionen zum Abbruch des aktuellen Verhaltens. Die Freude auf den
baldigen Besitz des neuen Smartphones motiviert Lea, auch nach mehreren Stunden wei-
ter in der Schlange auszuharren und nicht genervt nach Hause zu gehen.

Beispiel: Wie Unternehmen mit Event-Marketing emotionale Erlebnisse schaffen


Unternehmen nutzen das sog. Event-Marketing, um Konsumenten direkt zu erreichen
und sie emotional zu berühren (Meffert et al. 2018). Der Getränkehersteller Coca-Cola
bspw. schickt jedes Jahr seine Weihnachtstrucks auf Tour. Das besondere Erlebnis soll
beim Konsumenten positive Emotionen (z. B. Freude) auslösen, was ihn beim nächs-
ten Besuch beim Getränkehändler zum Kauf einer Coke (Verhalten) motivieren soll.
58 4 Emotion

4.2 Emotionstheorien zur Erklärung des


Konsumentenverhaltens

Emotionstheorien beschreiben und erklären die Entstehung unterschiedlicher Emotio-


nen. Die Theorien lassen sich dabei drei Ansätzen bzw. Theoriefamilien zuordnen: Den
biologischen, den kognitiven sowie den konstruktivistischen Ansätzen. Wir widmen uns
in den folgenden beiden Abschnitten dem biologischen und dem kognitiven Ansatz,
die beide zur Erklärung des Verhaltens von Konsumenten beitragen. Den konstruktivis-
tischen Ansatz vertiefen wir nicht, da er für das Konsumentenverhalten eine nur unter-
geordnete Rolle spielt.

4.2.1 Biologische Ansätze

Den biologischen Emotionstheorien zufolge haben sich verschiedene Emotionen und


ihre spezifischen Ausdrücke evolutionär herausgebildet (Rothermund und Eder 2011).
Demnach sind Emotionen angeboren, genetisch verankert und verlaufen bei allen Men-
schen gleich. Wie in Abschn. 4.2.2 beschrieben, gehen andere Ansätze allerdings davon
aus, dass dieselben Situationen aufgrund kognitiver und sozialer Faktoren bei ver-
schiedenen Personen zu unterschiedlichen emotionalen Reaktionen führen. Folgt man
den biologischen Emotionstheorien, so löst bspw. die Emotion Angst in Anbetracht einer
lebensbedrohlichen Situation Fluchtverhalten aus, da diese Verhaltensreaktion unse-
ren Vorfahren das Überleben sicherte. Unsere heutigen Emotionen sind als Ergebnis
der natürlichen Selektion im Laufe der Menschheitsgeschichte entstanden. Bezug neh-
mend auf Charles Darwins Evolutionstheorie nehmen biologische Ansätze also an, dass
Umweltereignisse (z. B. physische Gefahr aufgrund eines Gewitters) zur Entwicklung
bestimmter Emotionen (z. B. Angst) führen, die spezifische Verhaltensweisen auslösen
(z. B. Vermeidung) und das Überleben sichern (Rothermund und Eder 2011). Nach dem
biologischen Ansatz läuft die Verhaltensreaktion auf Umweltereignisse aufgrund von
Emotionen bei allen Menschen ähnlich ab und ist damit gut prognostizierbar, sodass
Werbedesigner Emotionen gezielt adressieren.

Beispiel: Was haben Blitze mit Zahnpasta zu tun? Biologische Ansätze in der
Werbewirkung
Oftmals nutzt Werbung archaische Bilder von bedrohlichen Umweltereignissen und
positioniert das eigene Produkt als Bewältigungsstrategie, um Konsumenten zum
Kauf zu animieren. Das Unternehmen GlaxoSmithKline bewirbt etwa seine Zahnpasta
Sensodyne, indem es Blitze auf die Zähne der Werbefigur abfeuert. Aus der Perspek-
tive der biologischen Emotionstheorie könnte man die Wirkung der Werbung auf den
Konsumenten wie folgt erklären: Blitz und Donner sind Umweltereignisse, von denen
eine Gefahr ausgeht und die entsprechend die Emotion Angst auslösen. Mit dem Kauf
4.2  Emotionstheorien zur Erklärung … 59

und Gebrauch der Zahnpasta kann der Konsument – zumindest der Logik der Theo-
rie folgend – die Gefahr des Umweltereignisses auf den Zahn bannen und sich somit
schützen. Scannen Sie den QR-Code, um sich den Spot anzusehen.

Zwei bedeutende biologische Emotionstheorien sind die Ansätze von Robert Plut-
chik (1991, 2003) sowie von Paul Ekman und Wally Friesen (1971). Plutchiks Modell
geht von acht Basis- bzw. Primäremotionen aus (Abb. 4.1). Sie bilden den mittleren
Ring seines Modells. Die Anordnung der Emotionen im Modell gibt Auskunft über die
Beziehung der Emotionen zueinander. Nebeneinander liegende Emotionen sind sich
ähnlich. Gegenüberliegende Emotionen sind sehr gegensätzlich: Freude vs. Traurigkeit,

Liebe
Aggressivität

Ehrfurcht

Reue

Abb. 4.1  Rad der Emotion. (In Anlehnung an Plutchik 1991)


60 4 Emotion

Vertrauen vs. Ekel, Erwartung vs. Überraschung, Angst vs. Ärger. Die Intensität einer
Emotion nimmt vom inneren Ring (z. B. Ekstase) über den mittleren Ring (z. B. Freude)
zum äußeren Ring (z. B. Gelassenheit) sukzessive ab. Zwischen den Basisemotionen lie-
gen die Sekundäremotionen, die sich dem Modell zufolge aus einer Dyade, sprich aus
einer Zweierbeziehung von Basisemotionen, ergeben. Die Emotion Liebe ist etwa eine
Dyade aus Freude und Vertrauen.

Beispiel: Sind Sie treu? Monogame Markenbeziehungen erwünscht


„Du liebst mich nicht.“ Wer es mit der Treue nicht so hat, wird diesen Satz sicher
schon mal von seiner besseren Hälfte gehört haben. Auch das Marketing befasst sich
mit Treue. Empirische Studien belegen, dass die Zufriedenheit mit dem Produkt allein
nicht reicht, damit Kunden einer Marke treu bleiben. Erst wenn sie „Brand Love“ für
die Marke empfinden, gehen sie auch nach langer Zeit nicht mit einer Konkurrenz-
marke „fremd“. Konsumenten, die ihre Lieblingsmarke in diesem Sinne tatsächlich
„lieben“, zeigen u. a. leidenschaftliches Verhalten gegenüber der Marke und fühlen
sich ihr emotional verbunden (Batra et al. 2012). Warum sonst sollte man stundenlang
in der Kälte stehen und auf das neueste Apple-Produkt warten, wenn nicht aus Liebe?
Wenn Konsumenten ihre Marke lieben, überstehen sie auch gemeinsam Krisen. Die
Konsumforscher Cova und D’Antone (2016) illustrieren am Fallbeispiel Nutella, dass
französische Konsumenten trotz negativer Schlagzeilen zum unverantwortlichen Ein-
satz von Palmöl ihre Lieblingsmarke weiter konsumieren und dieses Verhalten mit
verschiedenen argumentativen Strategien rechtfertigen.

Paul Ekman ist einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der nonverbalen Kommu-
nikation und der physiologischen Klassifikation von emotionalen Gesichtsausdrücken.
Er identifizierte sieben – zum Teil mit Plutchiks Arbeiten übereinstimmende – Basis-
emotionen: Freude, Überraschung, Ärger, Ekel, Furcht, Trauer und Verachtung. Ekman
kommt zu dem Ergebnis, dass Menschen grundlegende Emotionen weltweit in nahezu
gleicher Weise über Mimik zum Ausdruck bringen. Ebenso lassen sich überall auf der
Welt dieselben Basisemotionen identifizieren; und zwar unabhängig vom Geschlecht und
von der Erziehung sowie vom kulturellen Hintergrund und der ethnischen Zugehörigkeit
(Ekman und Friesen 1971).

Beispiel: Steckt Lachen an? Warum Werbung gerne glückliche Menschen zeigt
Paul Ekmans Forschungsergebnisse zur Universalität von Gesichtsausdrücken ver-
weisen darauf, dass man Emotionen auch ohne Worte über Gestik und Mimik trans-
portieren kann. Studien belegen zudem, dass beobachtete Emotionen förmlich
ansteckend sind. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Werbedesigner gerne Bilder
von Personen einsetzen, die im Kontext der Produktnutzung starke Emotionen zeigen
und diese auch mimisch zum Ausdruck bringen, um dadurch das eigene Produkt emo-
tional aufzuladen. Wer den QR-Code scannt, sieht einen Werbefilm von Coca-Cola,
4.2  Emotionstheorien zur Erklärung … 61

der diesen Effekt gezielt nutzt. Ähnlich wie die Protagonisten in dem Werbefilm muss
der Zuschauer automatisch mitlachen, wodurch die Marke emotional positiv auf-
geladen wird.

4.2.2 Kognitive Ansätze

Kognitive Emotionstheorien gehen davon aus, dass eine Emotion das Ergebnis der kog-
nitiven Bewertung und Einschätzung einer Situation ist (Gerrig 2014; Kap. 5). Wer
sich kurz vor einer Prüfung befindet, bewertet die Situation im ersten Schritt vielleicht
als gefährlich („Wenn ich durchfalle, ist der Abschluss in Gefahr.“), sodass im zweiten
Schritt die Emotion Angst entsteht. Die Einschätzung findet aber immer subjektiv unter
Berücksichtigung eigener Erfahrungen, Werte, Ziele und Normen statt. Daher reagie-
ren Menschen auf objektiv ähnliche Situationen (Prüfung) subjektiv unterschiedlich.
Während ein Studierender im fünften Semester aufgrund seiner Erfahrung vielleicht
nur Besorgnis (schwache Ausprägung der Emotion Angst) empfindet, fühlt jemand,
der gerade mit dem Studium angefangen hat, regelrecht Panik (starke Ausprägung der
Emotion Angst). Voraussetzung für das Entstehen von Emotionen ist also die kognitive
Einschätzung (englisch: appraisal), weshalb diese Theorien im Englischen auch Apprai-
sal-Theorien genannt werden.
Appraisal-Theorien erklären Emotionen als Ergebnis einer kognitiven Interpretation
eines subjektiven Erlebens (Lazarus 1991). Erst wenn das Individuum ein bestimmtes
Ereignis bewertet und interpretiert, entstehen Emotionen. Was löst bspw. der Anblick
eines Pelzmantels im Schaufenster des Einzelhändlers beim Konsumenten aus (sub-
jektives Erleben)? Dazu muss man bedenken, dass persönliche Werte, Normen und
Überzeugungen des Konsumenten den Prozess der kognitiven Bewertung und Inter-
pretation sowie sein subjektives Erleben färben. Fashion-affine Konsumenten bewerten
das ­Ereignis vielleicht als positiv und die Emotion Freude entsteht („Was für ein toller
Mantel. Den muss ich unbedingt haben“.). Besonders umweltbewusste Konsumenten
bewerten das Ereignis als negativ und Wut entsteht („Für diesen Mantel mussten
unschuldige Tiere sterben. Wie kann man nur so etwas kaufen?“).
62 4 Emotion

4.2.2.1 Zwei-Faktoren-Theorie der Emotion


Stanley Schachter postuliert in seiner Zwei-Faktoren-Theorie, dass die emotionale
Reaktion eines Menschen nicht direkt vom Ereignis (Stimulus) abhängt, sondern davon,
wie dieser das Ereignis bewertet. Emotionen entstehen aus dem Zusammenspiel eines
physiologischen Faktors und eines kognitiven Faktors (daher auch der Name Zwei-
Faktoren-Theorie). Der kognitive Faktor ist das Ergebnis der Suche nach einer Erklärung
für die wahrgenommene physiologische Veränderung (Schachter 1964). Demzufolge ist
das Erleben einer Emotion eine gemeinsame Reaktion von physiologischer Erregung und
kognitiver Bewertung (Gerrig 2014, S. 466).

Beispiel: Erdanziehungskraft oder weibliche Anziehungskraft?


Das viel beachtete Experiment von Dutton und Aron (1974) illustriert auf amüsante
Weise das in der Zwei-Faktoren-Theorie beschriebene Zusammenspiel des physio-
logischen und kognitiven Faktors. Die Forscher baten mehrere Männer, über eine von
zwei Brücken zu gehen. Eine Brücke war unsicher und wackelig, die andere sicher
und stabil. Am anderen Ende der Brücke stand entweder ein junger Mann oder eine
junge Frau, die Eingeweihte des Versuchsleiters waren. Beide gaben vor, eine Studie
durchzuführen, und baten die Männer, an einer Umfrage teilzunehmen. Sie teilten
den Männern ihre Telefonnummer für eventuelle Rückfragen mit. Im Anschluss an
das Experiment maßen die Forscher die Häufigkeit, mit der die Teilnehmer Kontakt
mit dem Mann bzw. der Frau aufnahmen. Das Ergebnis: Während die Teilnehmer den
jungen Mann nur selten kontaktierten, meldeten sich viele bei der jungen Frau. Am
häufigsten suchten jene Probanden Kontakt, die zuvor die wacklige, unsichere Brü-
cke überquert hatten. Dutton und Aron erklären das Verhalten der Teilnehmer unter
Bezugnahme der Zwei-Faktoren-Theorie wie folgt: Das Überqueren der abenteuer-
lichen Brücke erzeugte einen physiologischen Erregungszustand. In Abhängig-
keit davon, auf wen die Teilnehmer auf der anderen Seite trafen, führten sie diesen
Erregungszustand – wie in Abb. 4.2 zusammengefasst – auf ihre Höhenangst oder die
Attraktivität der Frau zurück.

Die Zwei-Faktoren-Theorie zeigt, dass Personen einen physiologischen Zustand je nach


Situation verschieden erklären und in Abhängigkeit dieses Attributionsprozesses (d. h.
des Prozesses der Ursachenzuschreibung) unterschiedliche emotionale Reaktionen fol-
gen. Dieser Prozess ist auch für das Verständnis von Konsumentenverhalten wichtig.
Welche Emotionen empfinden etwa Konsumenten beim Besuch eines Freizeitparks?
Kurz bevor die Achterbahn nach unten rast (Stimulus), schlägt das Herz ganz schnell
(physiologischer Faktor). Je nach kognitiver Interpretation können folgende Emotionen
entstehen.
4.2  Emotionstheorien zur Erklärung … 63

Mann Frau

Brücke … die Brücke ist … bei der


wackelig & unsicher recht wackelig“ attraktiven Frau“
„Kein Wunder, dass
mein Herz pocht, …

Brücke … ganz schön … ist ganz nett


stabil & sicher langweilig hier“ die Frau“
„Mein Herz schlägt
ganz normal, …
Anzahl drückt relative Häufigkeit der Kontaktaufnahme aus.

Abb. 4.2  Das Brückenexperiment von Dutton and Aron (1974)

• Freude: Wenn der Besucher annimmt, dass das Sicherheitspersonal alles überprüft
hat, könnte seine Attribution des stark erregten physiologischen Zustands folgender-
maßen aussehen: „Mein Herz rast, weil ich die tolle Fahrt kaum abwarten kann.“ Dies
führt ggf. dazu, dass sich die Emotion noch verstärkt und aus Freude Ekstase wird.
• Angst: Fragt sich der Besucher dagegen, ob die Achterbahn überhaupt sicher ist,
interpretiert er denselben physiologischen Zustand folgendermaßen: „Mein Herz rast,
weil die Fahrt gefährlich ist.“ Auch dies führt ggf. dazu, dass sich die Emotion ver-
stärkt und in diesem Fall aus Angst Panik wird.

Im Konsumprozess kann es auch zu Fehlattributionen kommen, was sich einige findige


Verkäufer zunutze machen. Auf sog. Tupperware-Partys ist es üblich, dass die Gast-
geberin vor der Produktpräsentation ein Glas Sekt serviert. Bei einigen Gästen könnte nun
folgender Prozess ablaufen: Der Alkohol im Sekt führt zu einer stärkeren Durchblutung
des Körpers und einem erhöhten Puls (physiologischer Faktor). Je nachdem, worauf die
Gäste ihren physiologischen Erregungszustand zurückführen, ist es möglich, dass sie
einer Fehlattribution unterliegen („Ich bin ganz aufgeregt, weil ich die Tupper-Produkte
so toll finde. Ich sollte einige Dosen kaufen.“).

4.2.2.2 Theorie der Schutzmotivation


„Rauchen kann tödlich sein. Rauchen verursacht Krebs. Rauchen lässt Ihre Haut altern.“
Seit 2003 finden sich diese und ähnliche Warnhinweise auf allen Zigarettenschachteln,
die in der EU verkauft werden. Die Forschung spricht von Furchtappellen. Ziel eines
Furchtappells ist es, die Einstellungen oder das Verhalten des Konsumenten zu ver-
ändern. Der Appell vermittelt, dass durch ein bestimmtes Verhalten (Rauchen) relevante
Werte des Konsumenten – wie etwa sein Leben oder seine Gesundheit – bedroht sind.
Furchtappelle finden sich meist im sozialen Marketing, insb. im Gesundheitsmarketing
(Hoffmann et al. 2012).
64 4 Emotion

Die Theorie der Schutzmotivation von Rogers (1975, 1983) hilft, die Wirkung von
Furchtappellen auf den Konsumenten zu verstehen. Ziel der Theorie ist nicht, die Ent-
stehung der Emotion Furcht zu erklären, sondern zu beschreiben, wann Einstellungs-
bzw. Verhaltensänderungen eintreten. Zwei gleichzeitig ablaufende Prozesse bestimmen,
ob es zu einer Veränderung kommt: die Bedrohungseinschätzung und die Bewältigungs-
einschätzung.
Im Rahmen der Bedrohungseinschätzung bewertet der Konsument Kosten und Nut-
zen der Aufnahme und Fortsetzung eines Risikoverhaltens.

• Die Kosten drücken sich im Schweregrad der Gesundheitsbedrohung und der wahr-
genommenen Vulnerabilität aus. Der Schweregrad wird i. d. R. von vielen Menschen
ähnlich bewertet. So stimmt sicherlich die überwiegende Mehrheit der Menschen
zu, dass Krebs infolge von Rauchen eine schwerwiegende Bedrohung ist. Die wahr-
genommene Vulnerabilität gibt an, als wie stark gefährdet sich eine Person durch ein
Risikoverhalten einschätzt. Personen, die täglich nur eine Zigarette rauchen, schätzen
sich vermutlich als weniger gefährdet ein als Kettenraucher.
• Der Nutzen der Aufnahme oder Fortsetzung eines Risikoverhaltens ergibt sich aus
der intrinsischen und extrinsischen Belohnung. Beim Rauchen könnte die einsetzende
Entspannung eine intrinsische Belohnung sein. Eine extrinsische Belohnung wäre –
gerade bei Jugendlichen – die erhoffte Anerkennung in der Peer-Group.

Die Bedrohungseinschätzung eines Risikoverhaltens ist das Ergebnis der Differenz aus
Gesundheitsbedrohung und Vulnerabilität auf der einen Seite (Kosten) und intrinsischer
und extrinsischer Belohnung auf der anderen Seite (Nutzen).
Parallel zur Bedrohungseinschätzung führen Konsumenten eine Bewältigungsein-
schätzung durch. Diese hängt von der Handlungswirksamkeit, der Selbstwirksamkeits-
erwartung und den antizipierten Handlungskosten ab.

• Die Handlungswirksamkeit gibt an, inwieweit eine Person davon ausgeht, dass ein
bestimmtes Verhalten die Bedrohung abschwächen kann. Ob sie bspw. mit dem Rau-
chen aufhört, hängt auch davon ab, ob sie annimmt, dass das Aufhören das Risiko, an
Krebs zu erkranken, abschwächt („Ich glaube nicht, dass es etwas bringt aufzuhören.
Schließlich gibt es genug Menschen, die an Krebs sterben, ohne je eine Zigarette
geraucht zu haben.“).
• Die Selbstwirksamkeitserwartung gibt an, inwiefern eine Person annimmt, dass sie
in der Lage ist, dieses Verhalten auch auszuführen („Außerdem glaube ich nicht, dass
ich es länger als eine Woche ohne Zigaretten aushalten könnte.“).
• Die Handlungskosten sind negative Auswirkungen in Folge der Verhaltens-
änderung („Eine Freundin von mir hat mit dem Rauchen aufgehört und danach 10 kg
zugenommen. Darauf habe ich keine Lust.“).
4.3  Konsumenten-Emotionen messbar machen 65

Die Beziehung zwischen Bedrohungs- und Bewältigungseinschätzung ist negativ pro-


portional. Das heißt, je höher eine Person die Bedrohung einschätzt, desto geringer fällt
ihre Bewältigungseinschätzung aus. Präventivmaßnahmen des Gesundheitsmarketings
versuchen oftmals, durch Werbebotschaften die Bewältigungseinschätzung des Konsu-
menten positiv zu beeinflussen.

4.3 Konsumenten-Emotionen messbar machen

Wie Emotionen gemessen werden, hängt maßgeblich davon ab, durch welche theo-
retische Brille man sie betrachtet. Die Messung sollte immer in Abhängigkeit von der
Emotionstheorie erfolgen, die der Forscher zugrunde legt. Dabei kann eine Kombination
unterschiedlicher Messverfahren sinnvoll oder gar erforderlich sein. Im Folgenden dis-
kutieren wir gängige Messmethoden der Emotionsforschung und benennen ihre Vor- und
Nachteile.

4.3.1 Verbale Verfahren

Die Messung von Emotionen über verbale Verfahren ist die dominierende Methode
innerhalb der Konsumentenverhaltensforschung. Dabei unterscheiden sich verbale
­Messverfahren in Abhängigkeit davon, ob man einen quantitativen (Abschn. 2.2.1) oder
qualitativen (Abschn. 2.2.2) Forschungsansatz verfolgt.
Quantitative Verfahren machen den Großteil der Forschung aus und gehören zum
Repertoire eines jeden Konsumentenverhaltensforschers. Üblicherweise setzt man in der
quantitativen Forschung Fragebögen mit standardisierten Ratingskalen ein, um Emo-
tionen verbal zu messen. In der Regel sollen Konsumenten Aussagen auf einer zumeist
fünf- oder siebenstufigen Skala bewerten (Raab et al. 2018).
Neben quantitativen Verfahren bedient sich die Konsumentenverhaltensforschung
auch qualitativer Verfahren. Häufig eingesetzt werden Tagebücher und Protokolle
­lauten Denkens.

• In Tagebüchern halten Konsumenten ihr subjektives Erleben zum Untersuchungs-


gegenstand fest. Typischerweise sollen sie ein bestimmtes Produkt nutzen, wie etwa
einen neuen Laufschuh, und ihre Erfahrungen mit dem Produkt im Tagebuch fest-
halten. Forscher nutzen die vom Konsumenten verschriftlichten Angaben, um auf
seine Emotionen zu schließen. Im Gegensatz zur klassischen Papierform können
Konsumenten bei Online-Tagebüchern auch von unterwegs über das Smartphone oder
das Tablet Tagebucheinträge schreiben. Dadurch können sie direkt aus ihrer Lebens-
wirklichkeit, in der sie den Untersuchungsgegenstand nutzen, Rückmeldung geben
und die Daten in Echtzeit an den Forscher senden (Naderer und Balzer 2011).
66 4 Emotion

• Bei der Methode der Protokolle lauten Denkens verbalisieren Konsumenten ihre
Emotionen zum Untersuchungsgegenstand in Gegenwart eines Interviewers. Durch
das gezielte Nachfragen des Interviewers können auch latente, d. h. nicht unmittelbar
ersichtliche Emotionen erfasst werden. Die Methode lauten Denkens kommt bspw.
bei der sog. Usability-Testung von Apps zum Einsatz. Konsumenten verbalisieren ihre
Emotionen während der Nutzung der App. Dadurch können Benefits (z. B. Freude:
„Wow, die App macht richtig Spaß!“) und Barriers (z. B. Ärger: „Oh man, wo ist denn
bloß der Zurückbutton?“) identifiziert und zur Optimierung der App eingearbeitet
werden (Naderer und Balzer 2011).

Verbale Verfahren der Emotionsmessung gehen meist von einer kognitiven Emotions-
theorie aus. Schließlich sollen Konsumenten eine für sie relevante Situation einschätzen
und bewerten und die entstehenden Emotionen frei verbalisieren (qualitativer Ansatz)
oder vorformulierte verbale Skalen zur Angabe ihrer Emotion nutzen (quantitativer
Ansatz). Vorteile verbaler Verfahren sind die hohe Bandbreite an etablierten Skalen
und Messverfahren. Nachteilig ist, dass man nur Emotionen des Konsumenten mes-
sen kann, die über kognitive Prozesse zugänglich sind. Etwaige unbewusste Emotionen
bleiben unerforscht. Weiterhin besteht bei diesen Messverfahren die Gefahr, dass sozial
erwünschtes Antwortverhalten die Ergebnisse verzerrt.

4.3.2 Apparative Verfahren

Im Kapitel Konsumentenverhaltensforschung (Abschn. 2.4.3) haben wir bereits eine


Reihe an apparativen Verfahren zur Messung von Emotionen kennengelernt, wie bspw.
die Hautwiderstandsmessung, das fMRT und das EEG. Apparative Verfahren eignen
sich, um die physiologische Veränderung, die Dauer dieser Veränderung sowie ihre
Intensität zu identifizieren. Um eine Aussage bzgl. der Qualität und Objektgerichtetheit
zu treffen, sind aber zusätzliche verbale Verfahren und Beobachtungen notwendig. Wen-
det ein Forscher nur apparative Verfahren zur Emotionsmessung an, basieren seine Vor-
überlegungen vermutlich auf biologischen Emotionstheorien. Er nimmt an, dass sich die
emotionale Reaktion auf einen Umweltstimulus in der Physiologie des Individuums aus-
drückt, die er über apparative Verfahren messen kann. Ein Vorteil apparativer Verfahren
ist die Möglichkeit, verbale Verfahren zu validieren, sprich abzusichern, und durch
physiologische Messgrößen zu verbessern. Nachteilig sind die damit einhergehenden
hohen Kosten. Zudem können die Messwerte oftmals nur unter Laborbedingungen
erhoben werden.
4.4 Lernhilfe 67

4.4 Lernhilfe

Quintessenz
Konsumentenverhalten und Emotionen stehen in einer interdependenten, d. h.
wechselseitigen Beziehung zueinander. Zum einen sind der Erwerb, Gebrauch, Ver-
brauch und die Entsorgung von Produkten häufig mit Emotionen verbunden. Zum
anderen beeinflussen Emotionen auch das Verhalten des Konsumenten. Emotionen
lassen sich als aktuelle psychische Zustände, die sich durch eine bestimmte Quali-
tät, Intensität und Dauer auszeichnen, objektgerichtet sind, mit einem charakteristi-
schen Erleben und einer physiologischen Veränderung einhergehen und sich in einer
emotionsspezifischen Verhaltensweise ausdrücken, beschreiben. Die vielfältigen
Emotionstheorien lassen sich einem biologischen, einem kognitiven und einem kons-
truktivistischen Ansatz zuordnen. Für die Konsumentenverhaltensforschung spielen
u. a. die Zwei-Faktoren-Theorie nach Schachter sowie die Schutzmotivations-Theorie
nach Rogers eine wichtige Rolle.

Let’s check!
Vervollständigen Sie folgenden Satz:
Nach der Reaktionstrias der Emotion drücken sich Emotionen in einem ___________,
einem ___________ und einem ___________ Aspekt aus.

Richtig oder falsch?


Die Schutzmotivations-Theorie gehört zu den etablierten Theorien, die Konsumenten-
emotionen mithilfe eines biologischen Ansatzes erklären.

Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an:


O Stimmungen sind intensiver und somit länger andauernd als Emotionen.
O Gemäß Plutchiks Rad der Emotionen nimmt die Intensität einer Emotion vom inne-
ren Ring zum äußeren Ring sukzessive zu.
O Die Bewältigungseinschätzung der Schutzmotivationstheorie umfasst die Hand-
lungswirksamkeit, die Selbstwirksamkeit und die wahrgenommene Vulnerabilität.
O Die Methode des lauten Denkens ist für das Usability-Testing einer App
empfehlenswert.
O Apparative Verfahren sind zumeist einfach durchführbar und kostengünstig.

Vernetzende Fragestellung
Entwickeln Sie auf Basis der Erkenntnisse der Zwei-Faktoren Theorie einen Werbe-
slogan, der Konsumenten motiviert, mit dem Rauchen aufzuhören.
68 4 Emotion

Weiterführende Literatur

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Kognition
5

u Ich sehe was, was Du nicht siehst!  „Sieh mal einer an! Das ist ja ein heißes
Model“, grinst Ben, als er gemeinsam mit Lea in der Straßenbahn an einem
City-Light-Poster vorbeifährt. „Mensch Ben, schau doch nicht immer nach
anderen Frauen. Aber in das neu eröffnete Bekleidungsgeschäft im Stadt-
zentrum müssen wir unbedingt mal gehen“, erwidert Lea. „Welches neue
Bekleidungsgeschäft?“, wundert sich Ben. „Na, wir haben doch eben über die
Werbung gesprochen.“ „Welche Werbung?“ „Die mit dem Model, Ben! Du hast
mich doch gerade darauf hingewiesen.“ „Ach so. Ich wusste gar nicht, dass das
Werbung für ein Bekleidungsgeschäft ist.“
Ganz offensichtlich nehmen Lea und Ben unterschiedliche Dinge wahr
und sie erinnern sich an unterschiedliche Details, obwohl sie dasselbe Poster
betrachtet haben. Wovon hängt das ab? Was beeinflusst die Aufmerksamkeit
und die Wahrnehmung und wie lassen sie sich steuern? Wenn wir diese Fragen
beantworten möchten, müssen wir uns mit dem Prozess der Informationsver-
arbeitung, d. h. mit Kognition, beschäftigen.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 71
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_5
72 5 Kognition

Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, …

• wie Aufmerksamkeit die Informationsverarbeitung steuert (Abschn. 5.1),


• wie sich steuern lässt, wie Konsumenten einströmende Reize wahrnehmen
(Abschn. 5.2),
• wie das Konsumentenverhalten erlernt wird (Abschn. 5.3) und
• wie das Konsumwissen organisiert und abgespeichert wird (Abschn. 5.4),

… indem Sie die Kognitionen des Konsumenten durch folgende Theorien und
Modelle betrachten:

• AIDA-Modell,
• Gestalt-Psychologie,
• Konditionierung,
• Drei-Speicher-Modell und
• Schemata-Theorie.

Der Begriff Kognition subsummiert alle Formen des Wissens und Denkens (­Gerrig
2014, S. 286). Kognitive Prozesse beziehen sich auf die Informationsverarbeitung
oder einfach ausgedrückt auf gedankliche Vorgänge. Im Einstiegsbeispiel warb ein
Bekleidungsgeschäft auf einem City-Light-Poster mit Eröffnungsangeboten, um mehr
Kunden in das Geschäft zu locken. Bevor diese Verhaltensreaktion eintritt, laufen im
Konsumenten zahlreiche kognitive Prozesse ab. Passanten wie Lea und Ben müssen dem
Plakat ihre Aufmerksamkeit schenken. Sie müssen die darauf abgebildeten Informatio-
nen verarbeiten, interessant finden und sie positiv beurteilen. Sie müssen sich auch den
Namen des Geschäfts, seinen Standort und seine besonderen Angebote merken. Und sie
müssen sie später auch wieder abrufen, wenn sie planen, in die Stadt zu fahren, um neue
Kleider zu kaufen. Wir sprechen in diesem Kapitel also über Funktionen wie Aufmerk-
samkeit (Abschn. 5.1), Wahrnehmung (Abschn. 5.2), Lernen (Abschn. 5.3) und Erinnern
(Abschn. 5.4). Die Kognitionspsychologie und die kognitiven Neurowissenschaften ana-
lysieren diese Prozesse, weshalb deren Erkenntnisse ein zentraler Baustein der Konsu-
mentenverhaltensforschung sind. Wir stellen in diesem Kapitel immer wieder den Bezug
zur Werbewirkungsforschung her, da sie ein wichtiges Anwendungsfeld dieser Befunde
im Rahmen des Marketings ist.
5.1  Aufmerksamkeit und Informationsselektion 73

5.1 Aufmerksamkeit und Informationsselektion

5.1.1 Aufmerksamkeit als serieller Flaschenhals

Im Einstiegsbeispiel betrachtete Lea das Plakat erst, nachdem Ben sie darauf hingewiesen
hatte. Weil nicht alle Reize aus der Umwelt in das Bewusstsein des Konsumenten vor-
dringen, sprechen Kognitionspsychologen metaphorisch vom seriellen Flaschenhals,
da an einem gewissen Punkt Informationen nicht parallel, sondern nacheinander ver-
arbeitet werden (Anderson 2013, S. 54 ff.): Die Aufmerksamkeit hat eine Filterfunktion;
sie ist für die Selektion der zu verarbeitenden Informationen verantwortlich. Sie wählt
bestimmte Stimuli aus und verwirft andere, die nicht beachtet werden. Nur diejenigen
Reize, denen wir unsere Aufmerksamkeit schenken, verarbeiten wir auch bewusst
(Simons und Chabris 1999).

Beispiel: Kein Gorilla und auch kein Banner in Sicht


Von Inattentional Blindness spricht man, wenn Individuen Reize nicht bemerken,
die direkt vor ihren Augen ablaufen, weil ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes
gerichtet ist. Simons und Chabris (1999) konnten in ihren Untersuchungen zeigen,
dass viele Probanden, die bei der Betrachtung eines Videoclips darauf konzentriert
waren, die Ballkontakte von Basketball-Spielern zu zählen, nicht bemerkten, dass ein
Mensch in einem Gorillakostüm mitten im Bild auftauchte. Ein ähnliches Phänomen
ist die Banner-Blindness, die bspw. eintritt, wenn auf Internetseiten die Werbebanner
auf der rechten Seite abgebildet werden (Hoffmann und Schwarz 2008). Viele Nutzer
haben gelernt, dass hier Werbung geschaltet ist, und blenden diesen Bereich des Bild-
schirms bewusst aus. Werbetreibende sind deshalb daran interessiert, die Platzierung
und das Format von Werbebannern zu variieren. Scannen Sie den QR-Code, um sich
den Videoclip anzusehen.

Auf ihrem Weg mit der Straßenbahn in das Stadtzentrum unterhalten sich Lea und Ben,
das Smartphone klingelt und SMS treffen ein, die Sitznachbarn unterhalten sich, durch
die Lautsprecher ertönen Durchsagen, draußen fahren Autos, Fahrräder, Busse vorbei und
unzählige Passanten flanieren über die Bürgersteige, zahlreiche Schriftzüge und Plakate
sind auf den Häuserwänden und Litfaßsäulen zu sehen. Kein Wunder, dass Lea das Plakat
des neuen Bekleidungsgeschäfts zunächst übersah. Wenn zu viele Reize auf den Konsu-
menten einströmen, ist er kognitiv überlastet. Wie bei einem Filter blendet er unbewusst
überflüssige Reize aus. Dies ist eine sehr sinnvolle (informationsökonomische) Funk-
tion, um effizient mit all den Reizen umgehen zu können. Für Werbetreibende ergibt sich
74 5 Kognition

a­llerdings die Herausforderung, dass Konsumenten nur jene Reize verarbeiten, denen
sie auch ihre Aufmerksamkeit schenken. Denn: Werbung zu schalten, ist kostspielig und
wenn eine Maßnahme keine Aufmerksamkeit auf sich zieht, so kann sie auch nicht wir-
ken. Diesen Schluss legt zumindest das AIDA-Modell, eines der bekanntesten Modelle
der Werbewirkungsforschung, nahe. Es postuliert, dass Konsumenten in ihrer Reaktion
auf einen werblichen Reiz folgende vier Stufen durchlaufen müssen:

• Attention (Aufmerksamkeit auf die Werbemaßnahme)


• Interest (Interesse am Produkt)
• Desire (Wunsch, das Produkt zu kaufen)
• Action (Kauf des Produkts)

Im Einstiegsbeispiel konnte das Werbeplakat zweifellos Bens Aufmerksamkeit erlangen.


Doch schon der Übergang auf die zweite Stufe, bei dem es darum ging, das Interesse am
beworbenen Bekleidungsgeschäft zu wecken, ist hier nicht geglückt. Lea hat das Plakat
zwar zunächst nicht beachtet; aber nachdem sie von Ben darauf hingewiesen wurde, ist
bei ihr immerhin der Wunsch entstanden, das beworbene Geschäft aufzusuchen. Kritiker
des AIDA-Modells führen zu Recht an, dass es zu simplifizierend sei. Zahlreiche Folge-
modelle haben die verschiedensten Aspekte verfeinert und/oder angepasst. Die zentrale
Botschaft des AIDA-Modells gilt aber weiterhin: Zunächst muss die Aufmerksamkeit
des Konsumenten geweckt werden. Erst dann kann man in die nächsthöheren Stufen
gelangen, d. h., nur dann kann der Konsument Interesse für das beworbene Produkt zei-
gen, den Wunsch entwickeln, das Produkt zu besitzen, und es schließlich kaufen. Die zen-
trale Frage ist also, wie man Aufmerksamkeit wecken kann (Hutter und Hoffmann 2014a).

5.1.2 Aufmerksamkeitsstarke Stimuli

Es gibt einige Reize, die uns mit relativ hoher Sicherheit aktivieren und denen wir unsere
Aufmerksamkeit schenken. Das Marketing und insb. die Werbung nutzen dies gezielt.
Die Konsumentenverhaltensforschung unterscheidet folgende drei Kategorien (Berlyne
1974; Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013, S. 81 ff.):

• Intensive Stimuli: Bestimmte Reize können aufgrund ihrer physischen Beschaffen-


heit Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Zu diesen intensiven Stimuli zählen laute Töne
genauso wie starke Gerüche. Hinsichtlich visueller Reize wirken bspw. Signalfarben
stärker aktivierend und mehrere Farben aktivieren ebenfalls stärker als einzelne.
Beispiele sind die Farbkombinationen bei Microsoft Windows oder Google. Im Ein-
stiegsbeispiel hätte sich das Bekleidungsgeschäft diese Wirkung durch ein großes,
leuchtendes Plakat mit kräftigen Farben zunutze machen können. Wenn sich eine
Person plötzlich und fast schon reflexartig einem neu auftretenden Reiz zuwendet, so
spricht man von einer Orientierungsreaktion (Posner 1980). Dies drückt sich auch
5.1  Aufmerksamkeit und Informationsselektion 75

in beobachtbarem Verhalten aus. Zum Beispiel wird der Kopf diesem Reiz zugewandt.
Sie äußert sich auch in physiologischen Parametern, wie z. B. dem Weiten der Pupil-
len. Schließlich beeinflusst die Orientierungsreaktion auch das Erleben. Die Person
wird für die Verarbeitung des Reizes sensibilisiert. Sie schenkt dem Reiz mehr Auf-
merksamkeit und verarbeitet ihn tiefer.
• Affektive Stimuli: Manche Reize rufen unwillkürlich intensive Emotionen her-
vor, die als angenehm oder unangenehm erlebt werden. Diese affektiven Stimuli
eignen sich, um die Aufmerksamkeit des Konsumenten zu gewinnen. Häufig sind
diese Reaktionen biologisch vorprogrammiert (Abschn. 4.2.1) oder sie basieren auf
Konditionierungen (Abschn. 5.3). Zu den Reizen, die unweigerlich positive Emo-
tionen hervorrufen und denen man sich nur schwer entziehen kann, zählt bspw. das
sog. Kindchenschema. Kindliche Proportionen zeichnen sich u. a. durch einen ver-
gleichsweise großen Kopf, eine hohe Stirn, große Augen und eine kleine Nase aus.
Reaktionen auf das Kindchenschema sind relativ sicher vorherzusagen und es wun-
dert nicht, dass Werbetreibende deshalb Babys, Kleinkinder oder kleine Tiere häu-
fig als Motiv nutzen. Auch erotische Reize können ein biologisch determiniertes
Programm auslösen, weshalb die Werbebranche von „sex sells“ spricht. Über-
treiben es die Werber und ist der Einsatz dieser Reize zu plump, kann es aber auch
zu Ablehnungsreaktionen, der sog. Reaktanz, kommen. Ebenso kann es sein, dass der
aufmerksamkeitsstarke Reiz die Aufmerksamkeit des Betrachters von der eigentlichen
Botschaft ablenkt. Genauso ist es Ben im Einstiegsbeispiel ergangen. In der Werbe-
branche spricht man von einem Vampireffekt (bzw. wissenschaftlich von einem
Overshadowing-Effekt; Erfgen et al. 2015), wenn der Rezipient einer Werbemaß-
nahme zwar seine Aufmerksamkeit schenkt, sie jedoch auf jene Elemente der Maß-
nahme richtet, die aus Sicht des Werbetreibenden die falschen sind. Typischerweise
tritt dies bei erotischer Werbung auf, bei der der Rezipient bspw. das leicht bekleidete
Model intensiv beäugt, aber hinterher nicht weiß, ob mit dem Plakat ein Bekleidungs-
geschäft, ein Duschbad oder eine elektrische Zahnbürste beworben wurde.
• Kollative Stimuli: Kollative Stimuli erzeugen dadurch Aufmerksamkeit, dass der
Rezipient die Botschaft schwer einordnen und verarbeiten kann. Es entsteht eine
Inkonsistenz, d. h., der Reiz passt nicht in das gewohnte Schema des Rezipien-
ten (z. B. eine Werbeanzeige, die eine blaue Banane zeigt). Ein möglicher kolla-
tiver Stimulus in unserem Einstiegsbeispiel wäre, wenn auf dem Werbeplakat des
Bekleidungsgeschäfts ein Model dargestellt wäre, das einen großen Magneten in der
Hand hält, und als Slogan dabei stünde: „Sie werden unsere Kleidung anziehen“.
Insbesondere durch neuartige, überraschende und widersprüchliche Reize wird der
Konsument kognitiv herausgefordert. Widersprüchliche Reize werden gezielt in
absurder (Arias-Bolzmann et al. 2000) oder humorvoller Werbung (Schwarz et al.
2015) eingesetzt. In der Regel verspürt der Betrachter den starken Wunsch, die
Inkonsistenz aufzulösen, weshalb er sich intensiv mit dem Reiz auseinandersetzt.
Der Werbetreibende hat folglich sein Ziel erreicht: Der Rezipient denkt über seine
­Botschaft nach. Auch das Guerilla-Marketing (Hutter und Hoffmann 2014a) basiert
76 5 Kognition

darauf, dass Inkonsistenzen den Konsumenten überraschen und er der Werbemaß-


nahme seine volle Aufmerksamkeit schenkt. Hierbei ist es häufig nicht die Botschaft,
die kognitiv herausfordernd ist, sondern bspw. beim Ambient-Marketing die Platzie-
rung. Ein typisches Beispiel ist der 2007 von The Folgers Coffee Company mit einer
Kaffeetasse bemalte Schachtdeckel in New York, bei dem der aufsteigende Dampf
den Kaffeeduft versinnbildlichte.

Beispiel: Warum stehen die Schuhe da rum?


In einer Studie zum Guerilla-Marketing wurde getestet, ob ein Schuhgeschäft sei-
nen Tagesumsatz auf einfache und kostengünstige Weise steigern kann, wenn es einen
Pfad aus Schuhen auf dem Bürgersteig aufstellt (Hutter und Hoffmann 2014b). Die
Annahme war, dass diese ungewöhnliche Aktion zunächst eine Orientierungsreaktion
auslöste und so Passanten, die sonst vorbeigehen würden, auf das Geschäft aufmerk-
sam machen könne. Über 80 % der Passanten zeigten eine Orientierungsreaktion.
43,4 % zeigten daraufhin ein tieferes Interesse für den Schuhpfad und immerhin
5,3 % betraten das Schuhgeschäft. Als Vergleichsmaßstab wurde beobachtet, welcher
Anteil der Passanten an gewöhnlichen Tagen (d. h. ohne Schuhpfad) das Geschäft
betrat: Es waren nur 2,7 %. Die größere Kundenzahl machte sich auch in den Abver-
käufen bemerkbar, die 23 % höher waren als im Vergleichszeitraum im Vorjahr.

5.1.3 Verarbeitung ohne Aufmerksamkeit

Bisher sind wir davon ausgegangen, dass Maßnahmen des Marketings (z. B. eine Werbe-
botschaft) nur wirken, wenn der Konsument ihnen Aufmerksamkeit schenkt. Hätte Ben im
Einstiegsbeispiel Lea nicht auf das Plakat hingewiesen, wäre Lea an diesem Nachmittag
wohl nicht in das neue Bekleidungsgeschäft gegangen. Nichtsdestotrotz sollte darauf hin-
gewiesen werden, dass viele Prozesse auch ohne oder mit sehr wenig Aufmerksamkeit
ablaufen können. Man unterscheidet deshalb kontrollierte und automatisierte Prozesse
(Shriffin und Schneider 1977). Zu den automatisierten Prozessen zählt bspw. das Auto-
fahren (nach etwas Übung bedienen Autofahrer die Kupplung und Gangschaltung ohne
bewusste kognitive Kontrolle). Aber auch im Kaufverhalten verlaufen viele Prozesse
spontan und automatisiert. So greifen viele Konsumenten im Supermarkt häufig auto-
matisiert nach ihren bevorzugten Marken. Man findet in der Literatur immer wieder die
Aussage, dass Werbebotschaften auch dann auf den Rezipienten wirken, wenn er diesen
keine Aufmerksamkeit schenkt bzw. wenn er sie nicht bewusst wahrnimmt. Für viele
Konsumenten ist dies eine beängstigende Vorstellung, da sie befürchten, vom Marketing
unmerklich beeinflusst zu werden. Kroeber-Riel und Gröppel-Klein (2013, S. 184) unter-
scheiden bei dieser unbewussten Reizverarbeitung zwei Formen.

• Bewusste Wahrnehmung ist prinzipiell möglich: Unbewusste Wahrnehmung kann


auftreten, wenn der Stimulus zwar wahrgenommenen werden könnte, der Konsu-
ment aber aufgrund der Filterfunktion der Aufmerksamkeit andere Aspekte fokussiert.
5.2  Steuerung der Wahrnehmung des Konsumenten 77

Viele Reize, die nur beiläufig wahrgenommen werden, haben aber eine Verhaltens-
wirkung. Beispiele sind visuelle Reize im peripheren Blickfeld oder akustische Ein-
drücke wie Radiowerbung, die im Hintergrund abläuft. Die Werbeindustrie macht sich
dies beim Product Placement zunutze, bei dem bestimmte Marken (z. B. das Apple-
Logo auf dem aufgeklappten Laptop) im neuesten Hollywood-Blockbuster oder beim
In-Game-Advertising in einem Video-Spiel dargestellt werden.
• Bewusste Wahrnehmung ist nicht möglich: Reize können auch automatisiert ver-
arbeitet werden, wenn der Rezipient den Reiz – selbst bei voller Aufmerksamkeit – gar
nicht bewusst wahrnehmen kann. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn der Rezipient dem
Reiz zu kurz ausgesetzt wird. Lea sieht das Werbeplakat beispielsweise nur sehr kurz
beim Vorbeifahren, da ein entgegenkommendes Fahrzeug das Plakat verdeckt. Zahl-
reiche Studien (siehe Janiszewski und Wyer 2014; Veltkamp et al. 2011) beschäftigen
sich mit diesem als „subliminales Priming“ bezeichneten Phänomen und finden erkenn-
bare Auswirkungen auf das Verhalten. Wie ist dies erklärbar? Die Interpretation eines
Reizes beinhaltet, dass man diesen Reiz einem Schema (Abschn. 5.4.2) zuordnet.
Wer ein gelbes, rotes oder grünes, rundliches Objekt der Größe eines Tennisballs mit
einer Vertiefung unten sowie einer Vertiefung und einem Stiel oben sieht, der wird die-
ses Objekt dem Schema Apfel zuordnen. Unter Priming (Bahnung) versteht man eine
Aktivierung und Sensibilisierung für ein bestimmtes Schema, sodass ein Reiz leichter
identifiziert und diesem Schema zugeordnet werden kann. In sozialpsychologischen
Experimenten wird häufig eine Untersuchungsgruppe einem Prime, d. h. einem
Bahnungsstimulus (z. B. Bild eines Apfels), ausgesetzt und es wird geprüft, ob sich dies
im Verhalten oder in den Präferenzen des Konsumenten (z. B. für ein iPhone) bemerk-
bar macht. Beim subliminalen Priming nehmen die Probanden den Priming-Stimulus
nicht bewusst wahr, da er nur wenige Millisekunden andauert (Bargh und Chartrand
2000). Es zeigt sich, dass diese Bahnung trotzdem ihr Verhalten beeinflussen kann.

5.2 Steuerung der Wahrnehmung des Konsumenten

Unter Wahrnehmung versteht man bewusste sensorische Erfahrungen (Goldstein 2014).


Sie umfasst alle fünf Sinne (Seh-, Hör-, Berührungs-, Geruchs- und Geschmackssinn).
Die über die Sinnesorgane aufgenommenen Eindrücke werden im Rahmen des Wahr-
nehmungsprozesses geordnet und interpretiert.

5.2.1 Top-down- und Bottom-up-Wahrnehmung

Wie wir bereits besprochen haben, kann der Rezipient nicht alle auf ihn einströmenden
Eindrücke verarbeiten. Die sog. selektive Wahrnehmung schützt vor einer Reizüber-
flutung. Stimuli aus der Umwelt, die nicht zur aktuellen Bedürfnislage passen, wer-
den ausgeblendet und man achtet auf jene Umweltreize, die momentan relevant sind.
78 5 Kognition

Wer wie Lea gerade plant, ein neues Smartphone zu erwerben, der wird einem Werbe-
plakat des Elektroeinzelhandels mehr Aufmerksamkeit schenken, als er es gewöhnlich
tun würde. Genauso können persönliche Faktoren aber auch dazu führen, dass gewisse
Reize nicht wahrgenommen werden. Informationen, die momentan nicht relevant sind,
werden ausgeblendet. Hätte Ben im Einstiegsbeispiel geplant, sich eine neue Jeans zu
kaufen, so wäre ihm wohl aufgefallen, dass das Plakat für ein neues Bekleidungsgeschäft
warb. So aber blendete er diese Information aus.
Ob ein Konsument einen Reiz wahrnimmt, hängt auch davon ab, wie häufig und
intensiv er diesem Reiz zuvor schon Beachtung geschenkt hat. Unter Adaption versteht
man, dass sich Rezipienten an einen Reiz gewöhnen und sie diesen dann nicht mehr
sonderlich beachten, da er ihnen vertraut ist. So nimmt man ein neues Plakat auf dem
täglichen Weg zur Arbeit zunächst wahr. Ebenso könnte es auch Ben im Einstiegsbeispiel
ergehen. Das Model auf dem Plakat weckte seine Aufmerksamkeit und er betrachtete das
Plakat zunächst intensiv. Nach wenigen Tagen ist dieses Motiv aber nichts Besonderes
mehr und das Plakat setzt sich nicht mehr vom „Hintergrund“ ab. Wie schnell diese
Gewöhnung abläuft, hängt nach Solomon et al. (2013, S. 136) von folgenden Faktoren
ab. Man gewöhnt sich schneller an Reize,

• die weniger intensiv sind (z. B. dezente Farben),


• mit denen man sich länger beschäftigen musste, bevor man sie weiterverarbeitet,
• die einfach gestaltet sind und sich leicht unterscheiden lassen,
• die man schon häufiger gesehen hat und
• die für einen persönlich weniger relevant sind.

In der Werbewirkungsforschung spricht man von einem Abnutzungseffekt oder Wear-


out-Effekt. Die Werbemaßnahme verliert dann an Wirkungskraft, weil der Konsument
sich an sie gewöhnt hat und sie keine neuen Informationen bietet.
Aus den vorangegangenen Ausführungen lässt sich schon erahnen, dass zwei Prozesse
daran beteiligt sind, wie die Aufmerksamkeit gesteuert wird und wie intensiv demzufolge
Reize verarbeitet werden (Egeth und Yantis 1997). Der Bottom-up-Prozess beginnt bei
den Eigenschaften des Reizes; er ist stimulusinduziert. Bei einem visuellen Reiz sind das
u. a. die Größe, die Farbe, die Form etc. Über die stimulusinduzierten Prozesse hatten
wir schon im Abschn. 5.1.1 gesprochen (Stichwort: intensive, affektive und kollative Sti-
muli). Die kognitive Verarbeitung des Werbeplakats für das Bekleidungsgeschäft würde
in diesem Fall nur von den Gestaltungsmerkmalen des Plakats abhängen. Gleichzeitig
läuft aber auch ein Top-down-Prozess ab, bei dem das Vorwissen und die Erfahrungen
des Betrachters in die Verarbeitung des Reizes einfließen, d. h., der Prozess ist ziel-
gesteuert. Die beiden Prozesse arbeiten zusammen und es wird deutlich, dass sich die
Wahrnehmung nicht nur aus Eigenschaften des Reizes ergibt. Die kognitive Verarbeitung
des Plakats hängt damit auch vom Vorwissen und der Einstellung des Betrachters ab.
Wenn es Lea prinzipiell ablehnt, dass Modells leicht bekleidet auf Plakaten dargestelllt
werden, so steuert dies die Art, wie sie das Plakat wahrnimmt und verarbeitet.
5.2  Steuerung der Wahrnehmung des Konsumenten 79

5.2.2 Gestaltprinzipien

Die Gestaltpsychologie liefert zusätzliche Erklärungen zum Einfluss der Top-down-


Prozesse, die sich auf die visuelle Wahrnehmung beziehen und die auch für die Marke-
ting-Kommunikation von Bedeutung sind. Sie basiert auf der schon von dem klassischen
griechischen Philosophen Aristoteles geäußerten Erkenntnis: „Das Ganze ist mehr als die
Summe seiner Teile.“ Es gilt also, Wahrnehmungsobjekte ganzheitlich zu betrachten, da
sie nach dem Prinzip der Übersummativität auch Eigenschaften besitzen, die in kei-
nem ihrer Elemente enthalten sind. Eine ganzheitliche Betrachtung schließt neben den
Einzelelementen auch die Struktur ein. Die Gestaltpsychologie hat eine Vielzahl von
Prinzipien identifiziert, die unsere Wahrnehmung leitet (Goldstein 2014, S. 95 ff.). Diese
Prinzipien sind u. a. für die Gestaltung von Werbeanzeigen, Webseiten oder Markenlogos
wichtig, um die Wahrnehmung zu vereinfachen und zu steuern. Einige wichtige sind in
Abb. 5.1 dargestellt:

• Prinzip der Geschlossenheit: Dem Gesetz der Übersummativität folgend nehmen


Rezipienten Elemente als Einheit wahr, wenn sie geschlossen wirken. Der Betrachter
ergänzt auch nicht dargestellte Elemente entsprechend seiner Vorstellung, um die
Elemente zu einem Ganzen zu vervollständigen. Aufgrund dieses Prinzips „sieht“
man auf der linken Darstellung in Abb. 5.1 ein Dreieck, das eigentlich gar nicht ein-
gezeichnet ist.
• Prinzip der Ähnlichkeit:Auch mehrere gleichartige Elemente fügen Rezipienten
in ihrer Vorstellung zu einem größeren Ganzen zusammen. Dies kann auf Basis der
Größe, Farbe, Form etc. geschehen. In der zweiten Darstellung von links in Abb. 5.1
meint man, vier Spalten zu erkennen, da man die Dreiecke und Rauten jeweils
zu Gruppen ordnet. Tatsächlich sind aber die 16 Elemente im gleichen Abstand
zueinander dargestellt.
• Prinzips der Nähe: Nach derselben Logik ordnet man auch Elemente, die nahe bei-
einanderstehen, zu Gruppen und grenzt Elemente, die weiter entfernt davon sind, ab.
Dies ist in Abb. 5.1 in der zweiten Darstellung von rechts veranschaulicht.
• Prinzip von Figur und Grund: Bei optischen Sinneseindrücken nimmt man eine
Kategorisierung in Figur und Grund vor. Die Figur ist das (meist kleinere und z­ entrale)

Prinzip der Prinzip der Prinzip der Figur und


Geschlossenheit Ähnlichkeit Nähe Grund

Abb. 5.1  Gestaltprinzipien. (In Anlehnung an Goldstein 2014; Rubin 1921)


80 5 Kognition

Objekt, das im Fokus der Wahrnehmung steht. Davon abgegrenzt wird der Grund, der
als diffuser Hintergrund wahrgenommen wird. Die Rubinsche Vase, die Darstellung
auf der rechten Seite von Abb. 5.1, ist ein besonders schönes und häufig zitiertes Bei-
spiel dafür, dass Informationen simultan top-down und bottom-up verarbeitet werden
(Rubin 1921). Die Eigenschaften dieses Kippbildes sind ambivalent. Je nach Top-down-
Erklärung nimmt der Betrachter eine andere Figur wahr: Eine Vase (weiße Fläche =
Figur) oder zwei einander zugewandte Gesichter (schwarze Flächen = Figur). Eine sta-
bile Relation von Figur und Grund bietet den Vorteil, dass sich die Figur klar absetzt,
dass ihr mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird und dass sie damit besser memoriert wird.

5.3 Erlernen des Konsumentenverhaltens

So wie anderes Verhalten auch ist das Konsumentenverhalten erlernt. Viele Lern-
theorien entstammen dem sog. Behaviorismus, wobei man hier unter Lernen eine
Verhaltensänderung auf Basis von Erfahrungen versteht. Der Behaviorismus basiert
auf dem S-R-Schema (dem Stimulus-Response-Modell; Abschn. 1.1) und es werden
beobachtbare Reize und beobachtbare Veränderungen im Verhalten betrachtet. Das
heißt, in den behavioristischen Lerntheorien wird die Organismusvariable (das „O“
im S-O-R-Schema) nicht modelliert, oder anders ausgedrückt, die „Black Box“ bleibt
geschlossen. Die zwei wichtigsten Ansätze sind die klassische Konditionierung und die
operante Konditionierung, die wir hier vorstellen. Eine weitere Lerntheorie, die eben-
falls sehr einflussreich ist und die kognitive Bestandteile enthält, ist das Modelllernen.

5.3.1 Konditionierung des Konsumentenverhaltens

Das Prinzip der klassischen Konditionierung geht auf Iwan Pawlow (1928) zurück. Der
russische Physiologe entdeckte dieses Prinzip zufällig bei Experimenten mit Hunden.
Abb. 5.2 veranschaulicht den idealtypischen Ablauf der klassischen Konditionierung, bei
dem es darum geht, einen zunächst neutralen Reiz „aufzuladen“. Im klassischen Experi-
ment von Pawlow ist dieser neutrale Reiz ein Glöckchen. Im Marketing-Kontext könnte
es der Schriftzug einer Marke sein. Zusätzlich existiert ein unkonditionierter Reiz,
der eine positive Reaktion hervorruft. Dies war im klassischen Experiment die Futter-
schüssel, die den Speichelfluss des Hundes auslöste. Im Konsumentenverhalten könnte
dies bspw. das Schauen der Lieblingsfernsehsendung sein, die ein wohliges Gefühl
der Geborgenheit auslöst. Nun wird der zunächst neutrale Reiz wiederholt mit dem
unkonditionierten Reiz gemeinsam dargeboten. Dabei kommt es auf Kontiguität, d. h.
räumliche und zeitliche Nähe der beiden Reize an. Im klassischen Experiment wurde das
Glöckchen immer geläutet, wenn dem Hund der Futternapf vorgesetzt wurde. In unse-
rem Beispiel wird der Schriftzug der Marke eingeblendet, während der Konsument fern
sieht. Nach einer gewissen Zeit reicht der zunächst neutrale Reiz aus, um die Reaktion
5.3  Erlernen des Konsumentenverhaltens 81

Reiz Reaktion
1
Unkonditionierter Reiz Lieblingsserie im TV
Unkonditionierte
Reaktion

2
Keine spezifische
Neutraler Reiz Schriftzug der Marke Reaktion

3 Unkonditionierter Reiz Lieblingsserie im TV


+ Unkonditionierte
Neutraler Reiz Schriftzug der Marke Reaktion

4
Konditionierte
Konditionierter Reiz Schriftzug der Marke Reaktion

Abb. 5.2  Klassische Konditionierung

auszulösen. Der Reiz ist nun konditioniert. Auf diese Weise lassen sich Marken emotio-
nal aufladen. Erdinger Weißbier nehmen Konsumenten aufgrund der typisch bayerischen
Werbung als urig und gemütlich etc. wahr, während das nahezu identische Produkt von
Schöfferhofer aufgrund der Werbung mit einem flachen Frauenbauch und dem französi-
schen Akzent der Werbesprecherin mit Erotik assoziiert wird.
Die operante Konditionierung geht insb. auf den US-amerikanischen Psychologen
Burrhus Skinner (1965) zurück. Die Grundidee besteht darin, dass man Verhaltensweisen,
die mit positiven Folgen verbunden sind, häufiger ausführt und jene Verhaltensweisen,
die negative Folgen nach sich ziehen, meidet. Skinner konnte experimentell nachweisen,
dass Tiere eine Verhaltensweise wahrscheinlicher wieder zeigen, wenn sie nach der Aus-
führung des Verhaltens mit Futter belohnt bzw. verstärkt wurden. Dagegen sinkt die Wahr-
scheinlichkeit, dass die Tiere die Verhaltensweise nochmals ausüben, wenn sie bestraft
wurden. Dies wird als Verstärkungsprinzip bezeichnet: Die Auftretenswahrscheinlichkeit
ist von den Konsequenzen des Verhaltens abhängig. Das US-amerikanische Unternehmen
Shopkick verstärkt das Verhalten der Konsumenten per App. Wer die Shopping-App
besitzt und durch bestimmte teilnehmende Geschäfte bummelt, erhält von kleinen
­Bluetooth-Sendern im Eingangsbereich als Belohnung für das Betreten des Geschäfts sog.
Kicks, die er später in Gutscheine eintauschen kann.

5.3.2 Modelllernen – Von anderen Konsumenten lernen

Klassisches und operantes Konditionieren sind behavioristische Lerntheorien. Lernen


entsteht über wiederholte Reiz-Reaktions-Schemata, die in Automatismen übergehen.
Um einen typischen Wissenserwerb zu erklären, wie er bspw. entsteht, wenn wir für eine
82 5 Kognition

Prüfung lernen, reichen diese behavioristischen Theorien alleine nicht aus. Kognitive
Lerntheorien betrachten auch mentale Aktivitäten während des Lernprozesses. Sie ver-
stehen Individuen als Problemlöser und fokussieren deshalb nicht nur darauf, wie häu-
fig diese Reiz-Reaktions-Schemata verarbeiten. Vielmehr geht es auch um die Tiefe der
Verarbeitung, d. h. die Elaboration, sowie die Einsichten während des Lernprozesses.
Diese Theorien können erklären, dass in manchen Fällen auch einzelne Expositionen von
Informationen ausreichen, um neues Wissen zu erwerben.
Auf diesen kognitiven Lerntheorien baut eine dritte wichtige Form des Lernens auf,
die wir hier betrachten wollen: das Lernen am Modell bzw. das Imitationslernen, das
auf Banduras (1977) sozial-kognitiver Lerntheorie beruht. Hierbei geht man davon aus,
dass der Konsument nicht unbedingt selbst Erfahrungen sammeln muss und für seine
Verhaltensweisen nicht selbst belohnt oder bestraft werden muss. Er kann auch dadurch
lernen, dass er bei einem anderen Konsumenten (d. h. dem Modell) beobachtet, welche
Verstärkung dieser für sein Verhalten erfährt. Als Voraussetzung für diese Form des Ler-
nens müssen Individuen zunächst ihre Beobachtungen memorieren und dieses Wissen
zu einem späteren Zeitpunkt abrufen. Im Marketingkontext sind sog. Referenzkunden
relevant. Diese Kunden haben das Produkt bereits getestet und berichten positiv darü-
ber oder sie dienen als Vorbild in der Produktnutzung. Wer bspw. bei einem anderem
beobachtet, dass dieser immer gute „Locations“ kennt, weil er die richtige App nutzt,
wird selbst auch diese App nutzen wollen, um die gleiche soziale Anerkennung zu genie-
ßen. Auch in der Werbung nutzt man dieses Prinzip gezielt aus, indem die Werbefiguren
auf bestimmte Produkte hinweisen und berichten, welche positiven Erlebnisse sie hat-
ten, nachdem sie das Produkt genutzt hatten. Viele junge Mädchen lernen sprichwörtlich
am Modell, indem sie die Castingshow „Germany’s Next Topmodel“ anschauen und im
Anschluss denselben Look wie die Teilnehmerinnen tragen wollen. Auch die teilweise
von Unternehmen bezahlten Produkttester auf YouTube oder Instagram können Konsu-
menten als Modell dienen. Blogger und Social Media Influencer wie Bianca Heinicke
von BibisBeautyPalace sind heute typische Modelle für viele Jugendliche.

5.4 Repräsentation des Konsumwissens im Gedächtnis

Wissen spielt eine zentrale Rolle für das Konsumentenverhalten. Es beeinflusst bspw.,
wie Konsumenten verschiedene Produktalternativen abwägen können. Doch wie ist Wis-
sen über Produkte und Dienstleistungen und wie sind bisherige Konsumerfahrungen
abgespeichert?

5.4.1 Die klassische Dreiteilung des Gedächtnisses

Ein bekanntes Modell des Gedächtnisses ist das „Drei-Speicher-Modell“ (Atkin-


son und Shiffrin 1968). Die simplifizierende Dreiteilung gilt inzwischen als überholt;
5.4  Repräsentation des Konsumwissens im Gedächtnis 83

n­ ichtsdestotrotz bietet das Modell einen guten ersten Zugang, um die komplexe Gedächt-
nisleistung des menschlichen Gehirns zu verstehen. Es unterscheidet idealtypisch zwi-
schen drei verschiedenen Gedächtnissystemen, die miteinander in Wechselwirkung
stehen:

• Sensorisches Gedächtnis: Es wird auch als Ultrakurzzeitspeicher bezeichnet und bil-


det Sinneseindrücke ab, d. h. zum Beispiel das, was die Person sieht oder hört. Diese
sensorischen Informationen werden zwar mit einer sehr hohen Kapazität festgehalten;
dafür aber zeitlich sehr begrenzt (Gerrig 2014, S. 243 ff.). Visuelle Eindrücke ver-
blassen in weniger als einer Sekunde und auch akustische Eindrücke bleiben nur
wenige Sekunden bestehen. Nur jene Reize, denen der Rezipient seine Aufmerksam-
keit schenkt, werden weiter verarbeitet und interpretiert.
• Kurzzeitgedächtnis: In Analogie zu Computern lässt sich das Kurzzeitgedächtnis
auch als Arbeitsspeicher verstehen (Baddeley 1992). Das Kurzzeitgedächtnis kann
Informationen aus dem Langzeitgedächtnis abrufen. Auch Reize aus dem sensori-
schen Speicher werden im Kurzzeitgedächtnis verarbeitet. Damit die Information
nicht in Vergessenheit gerät, muss sie ins Langzeitgedächtnis überführt werden. Wer
sich an das Lernen auf die letzte Prüfung erinnert, weiß, dass dies nicht immer ein
einfaches Unterfangen ist und dass die Vergessensrate groß ist. Denn die Kapazität
des Kurzeitgedächtnisses ist sehr eingeschränkt: Nach der Chunking-Hypothese von
George Miller (1956) können nur ca. sieben (plus/minus zwei) Informationsein-
heiten gleichzeitig bearbeitet werden. Ein simples Wort oder eine einfache Ziffer, aber
auch größere Gebilde wie Namen von Personen, Ländern oder Marken können einen
Chunk, d. h. eine bedeutungsvolle Informationseinheit, bilden. Um die Kapazität zu
steigern, sollten Informationen deshalb zu Chunks gebündelt werden. Sich die fol-
gende Einkaufsliste zu merken, wird den meisten schwer fallen: Eier, Limetten, Erd-
nüsse, Rum, Milch, Star-Wars-DVD, Cola, Apfelmus, Bier, Butter, Chips und Zucker.
Wer dagegen zwei Chunks bildet und sich einprägt, dass er Zutaten zum Pfann-
kuchenbacken und das Übliche für den Männerabend braucht, der muss sich keine
Einkaufsliste schreiben.
• Langzeitgedächtnis: Da seine Kapazität praktisch unbegrenzt ist, werden alle
Informationen, seien es Erfahrungen, Wissen, Emotionen etc., dauerhaft im Lang-
zeitgedächtnis abgelegt. Was man umgangssprachlich als Vergessen bezeichnet,
beschreibt häufig das Problem, dass man Informationen nicht mehr abrufen kann.
Ganz so, als wüsste man nicht mehr, unter welchem Ordner der Festplatte man eine
bestimmte Datei abgespeichert hat. Einen Erinnerungsverlust, der dadurch zustande
kommt, dass neu erworbene Informationen die früheren überschreiben, bezeichnet
man als Interferenz (Anderson 2013, S. 142 ff.).
84 5 Kognition

5.4.2 Wissensrepräsentation

Es lassen sich zwei Formen des gespeicherten Wissens unterscheiden (Rolls 2000;
Schacter und Tulving 1994).

• Das deklaratorische Gedächtnis umfasst Wissen über Fakten und Ereignisse (­Gerrig
2014, S. 240 ff.), wobei man zwei Untergruppen abgrenzen kann. Das semantische
Gedächtnis bezieht sich auf Fakten (z. B. Leas Wissen über die Marke und die Pro-
dukte der Firma Apple). Das episodische Gedächtnis umfasst dagegen persönliche
Erfahrungen (z. B. wie freundlich der Verkäufer beim letzten Besuch im Apple-
Store zu Lea war). Evolutionär bedingt, können sich Menschen Geschichten häufig
besser einprägen als abstrakte Konzepte. Dies hat auch die Marketingpraxis erkannt
und sie versucht derzeit im Rahmen von Trends wie dem Content-Marketing und der
Methode des Storytellings – ähnlich wie unsere Vorfahren am Lagerfeuer –, Marken
mit Geschichten im Gedächtnis des Konsumenten zu verankern (Sammer 2014). Das
vorliegende Buch möchte das Erinnerungsvermögen mithilfe der Fallbeispiele von
Lea und Ben stärken.
• Das prozedurale Gedächtnis enthält dagegen die mentale Abbildung von Hand-
lungen, wie z. B. das Gangschalten beim Autofahren oder das Wischen über ein
Smartphone.

Es wird häufig angenommen, dass sich das im Langzeitgedächtnis gespeicherte Wis-


sen als assoziatives Netzwerk darstellen lässt (Collins und Loftus 1975). Assoziative
Netzwerke werden durch Knoten und Kanten charakterisiert. Die Knoten stehen für
eine Informationseinheit. Sie können u. a. ein Produkt (z. B. Sportschuhe), eine Eigen-
schaft (z. B. Haltbarkeit) oder auch – für den Marketingkontext besonders relevant – eine
Marke repräsentieren (z. B. Nike) (vgl. Krishnan 1996). Die Verbindungen bzw. Kan-
ten zwischen den Knoten repräsentieren die Assoziationen zwischen den Informations-
einheiten (Anderson 2013, S. 100 f.). Wie stark diese Verbindungen sind, ist davon
abhängig, wie häufig diese beiden Informationen gemeinsam abgerufen werden oder wie
viel Aufwand eine Person benötigte, um die Informationen gemeinsam abzuspeichern.
Dies kennt jeder vom Vokabeln-Lernen. Wenn nun später ein Knoten aktiviert wird,
wird durch die assoziative Verbindung auch der andere Knoten aktiviert. Dies ist in der
Marketing-Wissenschaft insb. relevant, um Markenwissen abzubilden (Keller 1993). Das
Marketing möchte selbstverständlich die assoziativen Netzwerke der Konsumenten ken-
nen und diese auch möglichst durch Marketingkommunikation mitgestalten. Abb. 5.3
zeigt ein assoziatives Netzwerk der Marke Nike.
Menschen bilden semantisches (d. h. bedeutungsmäßiges) Wissen sowohl über kon-
krete Objekte (z. B. ein Mobiltelefon) als auch über abstrakte Konzepte (z. B. Mobili-
tät) in Form von Schemata ab (Rumelhart 1980). Schemata dienen der Strukturierung
und Kategorisierung des Wissens. Sie enthalten Annahmen darüber, welche Attribute
einem Objekt normalerweise zugeordnet sind und wie diese Attribute üblicherweise
5.5 Lernhilfe 85

Training

Haltbar-
keit Laufen

Swoosh Sport-
schuhe

Nike Reebok

Michael Aerobic-
Jordan teuer Schuhe
Griechi-
sche
Göttin

Abb. 5.3  Assoziative Netzwerke. (In Anlehnung an Krishnan 1996)

ausgeprägt sind (Anderson 2013, S. 106 ff.). Neue Objekte werden anhand dessen kate-
gorisiert. Eine Person könnte bspw. in ihrem Smartphone-Schema abgespeichert haben,
dass diese beim Attribut Displaygröße zwischen 3,5 und 6,3 Zoll variieren. Ein Objekt
mit einer Bildschirmdiagonale von zehn Zoll würde sie deshalb nicht dem Schema
Smartphone, sondern dem Schema Tablet-PC zuordnen. Sobald ein Schema aktiviert ist,
können auch unvollständige Informationen interpretiert werden. Wenn man das Objekt
Tablet identifiziert hat, geht man davon aus, dass eine Bedienung per Wischen möglich
ist – auch wenn man diese Information noch nicht erhalten hat. Marken werden ebenfalls
als Schema abgespeichert. Ein Skript (bzw. ein Ereigniskonzept) ist ein spezifisches
Schema, das prozedurales Wissen, d. h. stereotypische Sequenzen von Handlungen,
abbildet (z. B. per EC-Karte bezahlen, Bestellungen beim Online-Händler aufgeben
etc.). Schemata betreffen dabei eher das „Was“ und Skripte das „Wie“.

5.5 Lernhilfe

Quintessenz
Zu den kognitiven Prozessen zählen u. a. Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Ler-
nen und Wissensrepräsentation. Aufmerksamkeit gilt als wichtige Voraussetzung für
die weitere Verarbeitung von Informationen. Sie kann durch affektive, kollative und
intensive Stimuli gesteigert werden. Die Wahrnehmung ist ein selektiver Prozess. Ler-
nen erfolgt u. a. durch klassische und operante Konditionierung oder durch Lernen am
Modell. Das Drei-Speicher-Modell unterscheidet das sensorische, das Kurzzeit- und
das Langzeitgedächtnis. Das im Langzeitgedächtnis gespeicherte Wissen lässt sich
anhand von assoziativen Netzwerken und Schemata darstellen.
86 5 Kognition

Übungsfragen und -aufgaben


Vervollständigen Sie folgenden Satz:
Von ____________ spricht man, wenn Konsumenten Reize nicht bemerken, die direkt
vor ihren Augen ablaufen, weil ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes gerichtet ist.

Richtig oder falsch?


Menschen können nur einen Bruchteil der auf sie einströmenden Reize verarbeiten.
Gemäß dem Prinzip der selektiven Wahrnehmung schützt man sich vor einer
­Reizüberflutung, indem man jene Umweltreize fokussiert, die momentan für einen
relevant sind, und diejenigen Reize aus der Umwelt ausblenden, die nicht zur aktuel-
len Bedürfnislage passen.

Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an.


Der Wahrnehmungsprozess …

O … ist auf maximal vier Chunks beschränkt.


O … wird sowohl bottom-up (vom Reiz ausgehend) als auch top-down (vom Indivi-
duum ausgehend) gesteuert.
O … folgt nach der Gestaltpsychologie dem Gesetz der Übersummativität.
O … wird durch operantes Konditionieren gesteuert.

Vernetzende Fragestellung
Lea und Ben haben im Einstiegsbeispiel unterschiedliche Facetten derselben Wer-
bemaßnahme wahrgenommen. Überlegen Sie auf Basis des in diesem Kapitel ver-
mittelten Wissens, woran dies liegen könnte. Schauen Sie sich in den nächsten Tagen
alle Werbemaßnahmen, die Ihnen begegnen, kritisch an. Achten Sie auf Maßnahmen
verschiedener Hersteller und für verschiedene Produktkategorien. Schauen Sie sich
Maßnahmen in verschiedenen Medien und Werbeträgern an wie bspw. im Fernsehen,
auf YouTube, im Radio, im Kino, auf Plakaten, in Zeitungen, auf Facebook etc. Über-
legen Sie, welche dieser Maßnahmen die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich
ziehen können. Durch welche Elemente der Werbemaßnahmen wird dies erreicht?
An welche Elemente der Werbemaßnahmen werden sich die Rezipienten wohl später
erinnern können? Durch welchen Lernmechanismus wird dies erreicht?

Weiterführende Literatur

Anderson, J. R. (2013). Kognitive Psychologie (7. Aufl.). Wiesbaden: Springer VS.


Goldstein, E. B. (2014). Wahrnehmungspsychologie. Der Grundkurs (9. Aufl.). Heidelberg:
­Springer.
Kroeber-Riel, W., & Gröppel-Klein, A. (2013). Konsumentenverhalten (10. Aufl.). München: Vahlen.
Literatur 87

Literatur

Anderson, J. R. (2013). Kognitive Psychologie (7. Aufl.). Wiesbaden: Springer VS.


Arias-Bolzmann, L., Chakraborty, G., & Mowen, J. C. (2000). Effects of absurdity in advertising:
The moderating role of product category attitude and the mediating role of cognitive responses.
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Einstellung
6

u Mein Lieblingsauto ist ein Fahrrad  „Zum Glück komme ich mit dem Fahrrad
und der Bahn überall hin“, antwortet Lea auf die Frage nach ihrem Lieblings-
auto. „Aber wenn ich mir mal ein Auto kaufen sollte, dann ein Elektroauto. Die
stoßen weniger CO2 aus als Benziner. Und das ist mir wichtig.“ „Also ich finde
Elektroautos zu fahren, ziemlich uncool. Das sehen übrigens fast alle so“,
erwidert Ben. „Sie sind viel zu lahm. Man kommt nicht weit, weil man die Bat-
terie ständig aufladen muss. Und das dauert dann auch. Außerdem sind sie zu
teuer.“ „Im Moment vielleicht noch. Aber das ändert sich. Die Verbreitung der
Ladestationen wird ausgebaut und ich habe vor Kurzem in der Zeitung gelesen,
dass die Bundesregierung bei der Anschaffung eines Elektroautos eine Prämie
von mehreren tausend Euro zahlen möchte.“
Wie wird sich Lea wohl verhalten, wenn tatsächlich mal der Kauf eines eige-
nen Pkws ansteht? Welchen Einfluss hat ihre Einstellung auf ihr Kaufverhalten?
Wie wirkt sich die Meinung ihres sozialen Umfelds und insb. die von Ben auf
sie aus? Und welche weiteren Faktoren sollte man beachten, wenn man vor-
hersagen möchte, wie sich Lea verhalten wird?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 89
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_6
90 6 Einstellung

Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, …

• welcher Zusammenhang zwischen Einstellungen und Verhalten besteht


(Abschn. 6.1),
• wie man Einstellungen misst (Abschn. 6.2),
• wie man Einstellungen ändern kann (Abschn. 6.3) und
• was implizite Einstellungen sind und wie man sie misst (Abschn. 6.4),

… indem Sie die Einstellung des Konsumenten durch folgende Theorien und
Modelle betrachten:

• Drei-Komponenten-Modell,
• Theorie des geplanten Verhaltens,
• Fishbein-Modell,
• Elaboration-Likelihood-Modell und
• MODE-Modell.

6.1 Einstellung und Verhalten

Einstellung ist ein zentrales Konstrukt in der Marketing- und Konsumentenverhaltens-


forschung, da man davon ausgeht, dass Einstellungen einen starken Einfluss auf das
(Konsum-)Verhalten haben. Allerdings ist der Zusammenhang zwischen Einstellungen
und Verhalten nicht ganz einfach und eindeutig, wie wir noch sehen werden. Doch
zunächst: Was sind Einstellungen eigentlich?

6.1.1 Drei-Komponenten-Modell der Einstellung

Eine Einstellung lässt sich als psychologische Tendenz beschreiben, die sich darin
äußert, dass man Gegenstände, Personen, Ideen, Marken, Unternehmen oder Verhaltens-
weisen mehr oder weniger positiv oder negativ bewertet (Eagly und Chaiken 1993, S. 1).
Eine Einstellung ist demzufolge wertend und (anders als Werte) immer auf ein Objekt
oder Verhalten bezogen. Zudem sind Einstellungen gelernt (d. h. nicht angeboren) und
relativ dauerhaft (Trommsdorff und Teichert 2011, S. 126).

uMerke  Einstellungen sind wertend, objektbezogen, gelernt und relativ dauerhaft.


6.1  Einstellung und Verhalten 91

Ein weit verbreiteter Ansatz, um Einstellungen zu konzeptualisieren, ist das Drei-


Komponenten-Modell (Rosenberg und Hovland 1960). Es besteht aus folgenden Kom-
ponenten:

• Die kognitive Komponente umfasst das Wissen über das Einstellungsobjekt und die
Gedanken zum Einstellungsobjekt. So könnte ein Konsument wissen, dass Elektro-
autos vergleichsweise gut für die Umwelt sind, da sie weniger CO2 ausstoßen als kon-
ventionelle Automobile mit Verbrennungsmotor.
• Die affektive Komponente bezieht sich darauf, wie der Konsument das Einstellungs-
objekt emotional bewertet, d. h. bspw. inwiefern er Elektroautos gut findet.
• Die konative Komponente betrifft schließlich die Handlungen, die mit diesem
Objekt zusammenhängen. Besonders relevant ist im Kontext des Konsumenten-
verhaltens die Kaufbereitschaft. Die konative Komponente resultiert aus dem
Zusammenspiel der eng miteinander verknüpften kognitiven und affektiven Kompo-
nente. In unserem Beispiel könnte das bedeuten, dass die Person weiß, dass Elektro-
autos einen vergleichsweise geringen CO2-Ausstoß aufweisen, und dass sie dies gut
findet und deshalb plant, ein Elektroauto zu erwerben und zu nutzen.

6.1.2 Einstellungs-Verhaltens-Lücke

Nach der Einstellungs-Verhaltens-Hypothese ist die Einstellung gegenüber einem


Objekt ein verlässlicher Prädiktor dafür, welches Verhalten die Person in Bezug auf das
Objekt zeigen wird. Wir alle wissen jedoch aus unserem Alltag, dass wir nicht immer ein-
stellungskonform handeln. Wer eine positive Einstellung gegenüber ökologischen Pro-
dukten aufweist, entscheidet sich dennoch nicht immer am Point-of-Sale für ökologische
Produkte. Neben dieser Alltagsbeobachtung belegen auch zahlreiche empirische Studien,
dass die an sich plausible Einstellungs-Verhaltens-Hypothese relativiert werden muss.
Zwar besteht zwischen der Einstellung bzw. der Verhaltensabsicht und dem tatsächlichen
Verhalten oft ein statistisch signifikanter Zusammenhang; dieser ist aber relativ schwach
und das Verhalten lässt sich nur in Ansätzen erklären (Armitage und Conner 2001; Webb
und Sheeran 2006). Die Frage, die sich aufdrängt und die die Einstellungsforschung bis
heute beschäftigt, ist, welche weiteren Faktoren beachtet werden müssen, damit Verhaltens-
prognosen, die auf Einstellungen basieren, verbessert werden können.

6.1.3 Kompatibilität

Ein wichtiges Prinzip, um die Vorhersagevalidität von Einstellungen zu verbessern, ist


das der Kompatibilität (Ajzen 1988; Fishbein und Ajzen 1975). Dementsprechend sollte
das Niveau der Messung von Einstellungen und Verhalten übereinstimmen. Sowohl Ein-
stellungen als auch Verhalten lassen sich anhand der Kriterien Zielobjekt, ­Handlung,
92 6 Einstellung

Kontext und Zeit spezifizieren. Je höher der Grad der Übereinstimmung ist, desto
genauer lässt sich Verhalten auf Basis von Einstellungen prognostizieren. Eine rela-
tiv unspezifische Aussage zum Umweltschutz wäre bspw.: „Ich fände es gut, wenn die
Umweltverschmutzung reduziert wird.“ Wer dieser Aussage generell zustimmt, wird sich
in einem spezifischen Kontext evtl. doch nicht ökologisch verhalten. Wird diese Person
bspw. mit Sicherheit auf dem morgendlichen Weg zur Arbeit auf das eigene Auto ver-
zichten? Es ist zu erwarten, dass jemand, der dieser unspezifischen Aussage zustimmt,
beim konkreten Zielobjekt „Auto“ und der Handlung „als alleiniger Insasse fahren“ im
Kontext „es rechtzeitig zur Arbeit zu schaffen“ zu der Zeit „morgens kurz vor 8 Uhr“
weniger auf die umweltbewusste Alternative schauen wird als jemand, der die folgende
sehr spezifische Einstellung äußert: „Ich finde es gut, jeden Tag auf dem morgendlichen
Weg zur Arbeit auf das eigene Auto zu verzichten und stattdessen den öffentlichen
Personennahverkehr zu nutzen.“

6.1.4 Theorie des geplanten Verhaltens

Neben der Kompatibilität sollten aber noch weitere Faktoren beachtet werden, wenn man
anhand von Einstellungen Verhalten vorhersagen möchte. Im Folgenden stellen wir die
wohl bekannteste Theorie zur Erklärung des Einstellungs-Verhaltens-Zusammenhangs
vor: die Theorie des geplanten Verhaltens (Theory of Planned Behavior, TPB, Ajzen 1991;
Abb. 6.1). Sie postuliert, dass die Verhaltensabsicht als Mediatorvariable (Abschn. 1.3.2)
den Einfluss der Einstellung auf das Verhalten vermittelt. Das heißt, eine positive Ein-
stellung führt zunächst zu einer höheren Verhaltensabsicht und diese erhöht die Wahr-
scheinlichkeit, dass die Person das Verhalten zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich
ausführt. Neben der persönlichen Einstellung sollte der Einfluss der subjektiven Norm und
der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle auf die Verhaltensabsicht betrachtet werden:

• Die Einstellung gegenüber dem Verhalten ist das Produkt von zwei Größen:
Zunächst sind die erwarteten Verhaltenskonsequenzen zu nennen, d. h. die Frage,

Einstellung gegenüber
dem Verhalten

Verhaltens-
Subjektive Norm Verhalten
absicht

Wahrgenommene
Verhaltenskontrolle

Abb. 6.1  Theorie des geplanten Verhaltens. (In Anlehnung an Ajzen 1991)


6.2  Messung von Einstellungen 93

welcher Zielzustand sich durch die Ausführung des Verhaltens wohl ergeben wird. So
nimmt Lea in unserem Einstiegsbeispiel an, dass durch den Kauf eines Elektroautos
der CO2-Ausstoß pro gefahrenem Kilometer reduziert wird. Zweitens die Bewertung
der Verhaltenskonsequenzen, die erfasst, ob man den erwarteten Zielzustand als
wünschenswert beurteilt. Zweifellos hält Lea als ökologisch denkende Konsumentin
eine Reduktion des CO2-Ausstoßes für erstrebenswert. Diese beiden Größen werden
in einem sog. Erwartungs-X-Wert-Produkt zusammengeführt (vgl. Abschn. 6.2).
Daraus ergibt sich die Einstellung gegenüber der Verhaltensweise. Wenn wir uns
nochmals das Drei-Komponenten-Modell (Abschn. 6.1.1) vergegenwärtigen, sehen
wir, dass die erwarteten Verhaltenskonsequenzen die kognitive Komponente und die
Bewertung die affektive Komponente widerspiegeln (vgl. Kroeber-Riel und Gröp-
pel-Klein 2013, S. 273).
• Auch die subjektive Norm lässt sich als Resultat aus dem Produkt von zwei Grö-
ßen verstehen: Erstens schätzt das Individuum die Erwartungen wichtiger Bezugs-
personen hinsichtlich des Verhaltens ein. Wie würden es bspw. Freunde oder
Verwandte beurteilen, wenn sich Lea ein Elektroauto kaufen würde? Im Einstiegs-
beispiel hat Ben eine eindeutig ablehnende Haltung geäußert. Doch das alleine muss
noch nicht zu einer Änderung in Leas Verhalten führen. Es ist nämlich zweitens auch
entscheidend, ob man den Erwartungen anderer überhaupt entsprechen möchte. Die
subjektive Norm ergibt sich aus dem Produkt dieser beiden Komponenten.
• Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle umfasst, inwiefern man sich in der Lage
sieht, in der gewünschten Weise zu handeln. Die Verhaltensabsicht ist umso schwä-
cher und das tatsächliche Verhalten umso unwahrscheinlicher, je mehr Hindernisse
auftreten. Mögliche Barrieren können fehlende zeitliche oder finanzielle Ressourcen
sein. In unserem Einstiegsbeispiel nannte Ben als Hinderungsgrund, dass bislang zu
wenige Ladestationen für Elektroautos vorhanden sind. Anders als die persönliche
Einstellung und die subjektive Norm kann die wahrgenommene Verhaltenskontrolle
sich auch direkt auf das Verhalten auswirken. Wer z. B. nicht über ausreichende
finanzielle Mittel verfügt, kann sich kein Elektroauto kaufen, auch wenn er eine posi-
tive Einstellung gegenüber Elektroautos aufweist.

6.2 Messung von Einstellungen

Es gibt viele Möglichkeiten, Einstellungen zu messen (siehe z. B. Trommsdorff und


Teichert 2011, S. 145 ff.). Die einfachste Variante der Einstellungsmessung sind ein-
dimensionale Messmethoden, bei denen lediglich eine zusammenfassende Bewertung
abgefragt wird. Die Frage wäre also bspw., ob eine Person Elektroautos generell gut oder
schlecht beurteilt. Häufig werden sog. Likert-Skalen eingesetzt, bei denen der Proband
mehrere Aussagen jeweils auf einer mehrstufigen Antwortskala (z. B. von -3 „lehne ab“
bis +3 „stimme zu“) einstufen muss. Der Forscher summiert alle Angaben anschließend
zu einem Gesamtwert.
94 6 Einstellung

Bei mehrdimensionalen Messmethoden wird eine komplexere Struktur der Ein-


stellung erfasst. Dahinter steht die Annahme, dass sich die Gesamteinstellung aus
mehreren Bewertungsdimensionen ergeben kann. Elektroautos könnte man bspw. hin-
sichtlich Funktionalität, Design, sozialem Ansehen, Lebensdauer, Reichweite der Akkus,
CO2-Emissionen etc. bewerten. Bei mehrdimensionalen Messmethoden kann man wie-
derum komponierende und dekomponierende Methoden abgrenzen (Trommsdorff und
Teichert 2011, S. 147 ff.).
Bei den komponierenden Methoden bildet man aus Einzelurteilen ein Gesamturteil.
Besonders weite Verbreitung fand das Fishbein-Modell (Fishbein und Ajzen 1975). Wie
bei der Vorstellung der Theorie des geplanten Verhaltens beschrieben (Abschn. 6.1.4),
basiert es auf Erwartungs-X-Wert-Produkten (vgl. Abb. 6.2). Der Proband bewertet
mehrere Eigenschaften (i) eines Einstellungsobjekts getrennt voneinander. Jede Eigen-
schaft wird dabei zweimal eingestuft. Zunächst wird die Überzeugung des Probanden
erfasst, ob das Einstellungsobjekt eine bestimmte Eigenschaft aufweist bzw. ob das
Zielverhalten (z. B. ein Elektroauto fahren) zu einer bestimmten Konsequenz (z. B.
einer Reduktion der CO2-Emission pro gefahrenem Kilometer) führt (Komponente b,
Überzeugung bzw. „belief“). Zusätzlich erfasst man die subjektive Bewertung (e, „eva-
luation“) dieses Verhaltensergebnisses. Diese beiden Angaben werden miteinander multi-
pliziert. Weitere Eigenschaften werden auf dieselbe Art zweistufig erfasst. Zum Beispiel
könnte man nach dem Design, der Sportlichkeit, dem Statuswert und dem CO2-Ausstoß
des Autos fragen. Die Produkte jeder Eigenschaftsdimension werden aufsummiert und
so wird ein Gesamtwert der Einstellung (A, „attitude“) ermittelt. Leas Überzeugungen
hinsichtlich eines Elektroautos könnten auf einer Skala von 0 bis 5 evtl. folgenderma-
ßen aussehen: bDesign = 3, bSportlichkeit = 0, bStatus = 2, bCO2-Emission = 5. Bei einem Ben-
ziner aus der unteren Mittelklasse käme sie evtl. zu folgender Einstufung: bDesign = 4,
bSportlichkeit = 3, bStatus = 3, bCO2-Emission = 1. Zieht man nun ihre subjektive Bewertung
der vier Dimensionen heran (eDesign = 1, eSportlichkeit = 1, eStatus = 2, eCO2-Emission = 5),
ergibt sich eine Einstellung von A = 3 + 0 + 4 + 25 = 32 für das Elektroauto und
A = 4 + 3 + 6 + 5 = 18 für den Benziner. Eine klare Entscheidung für das Elektroauto
bei der ökologisch denkenden Lea.
Bei dekomponierenden Methoden werden Einstellungsobjekte als Ganzes beurteilt
und über geeignete Methoden wird versucht, die Bewertung und Bedeutung einzelner
Eigenschaften abzuleiten. Ein Beispiel ist die Conjoint-Analyse. Hierbei müssen die Pro-
banden Präferenzen für gesamte Objekte (bzw. Produkte), die als Eigenschaftsbündel

A - Einstellung (attitude)
b - Überzeugung (belief)
= × e - Bewertung (evaluation)
i - Eigenschaft
= 1
Abb. 6.2  Erwartungs-X-Wert-Modell
6.3 Einstellungsänderung 95

beschrieben werden, abgeben. Beispielsweise müsste sich ein Proband entscheiden,


ob er ein teureres Elektroauto mit hoher Akkulaufzeit einem günstigen Elektroauto
mit geringer Akkulaufzeit vorzieht. Durch eine systematische Variation mehrerer sol-
cher Eigenschaften lässt sich dann ableiten, welchen Nutzen Probanden den einzelnen
Produkteigenschaften zuschreiben.

6.3 Einstellungsänderung

Gerade die Marketingkommunikation, insb. die klassische Werbung, zielt darauf ab, Ein-
stellungen zu ändern. In Abschn. 6.1 hatten wir Einstellungen als relativ überdauernd
beschrieben; sie lassen sich also nicht einfach ändern. Modelle zur Einstellungsänderung
unterscheiden meist idealtypisch zwei Wege der Verarbeitung. Das bekannteste dieser
Modelle ist das Elaboration-Likelihood-Model (ELM) von Petty und Cacioppo (1986).
Nach diesem Modell hängt die Einstellungsänderung davon ab, wie tief der Rezipient
eine Botschaft verarbeitet (Abb. 6.3). Eine Grundannahme des Modells ist, dass sich die
Tiefe der Verarbeitung zwischen verschiedenen Personen und in verschiedenen Situatio-
nen unterscheidet. Es werden zwei Wege beschrieben, die sich durch einen unterschied-
lichen Grad der Elaboration, d. h. der Verarbeitungstiefe, charakterisieren lassen. Diese
beiden Wege sind als idealtypische Extrempunkte eines Kontinuums zu verstehen.

Zentrale Route Periphere Route


Persuasive Kommunikation

Motivation zur Verarbeitung


gering
hoch

Fähigkeit zur Verarbeitung


hoch gering

Tiefe Elaboration Geringe Elaboration


ist wahrscheinlich, ist wahrscheinlich,
Qualität der Argumente wichtig periphere Cues ausschlaggebend

Einstellungsänderung ist Einstellungsänderung ist


stabil und dauerhaft, fragil und temporär,
hohe Prognosekraft für Verhalten geringe Prognosekraft für Verhalten

Abb. 6.3  Elaboration-Likelihood-Modell. (In Anlehnung an Petty und Cacioppo 1986)


96 6 Einstellung

• Auf der zentralen Route verarbeitet der Rezipient eine Botschaft sehr tief. Da er sich
intensiv und sorgfältig mit ihr auseinandersetzt, kann die Botschaft nur dann über-
zeugend wirken und zu einer Einstellungsänderung führen, wenn sie auf starken
Argumenten beruht. Ein Konsument, der eine Werbeanzeige für Elektroautos auf der
zentralen Route verarbeitet, wird anschließend nur dann eine positivere Einstellung
zu diesem Produkt haben, wenn die Vorzüge wie eine geringe CO2-Emission über-
zeugend dargelegt wurden. Wenn tatsächlich Einstellungsänderungen über die zent-
rale Route erreicht werden, so sind diese i. d. R. relativ stabil und dauerhaft.
• Auf der peripheren Route verarbeitet der Rezipient die Botschaft weniger tief.
Wichtiger als Inhalte sind periphere Cues, d. h. Hinweisreize, die nicht im direkten
Zusammenhang mit der Botschaft stehen. Bedeutsam kann bspw. sein, ob der Rezi-
pient den Kommunikator einer Werbebotschaft sympathisch findet, ob er ein aus-
gewiesener Experte ist („Wenn der Experte das sagt, wird es schon stimmen.“) und
welche nonverbalen Botschaften er aussendet. Da auch emotionale Aspekte wirken,
werden in Werbemaßnahmen, die auf der peripheren Route überzeugen sollen, häu-
fig Humor, Musik, Erotik etc. eingesetzt. Weil Konsumenten der Vielzahl der auf sie
einströmenden Werbemaßnahmen nicht ihre volle Aufmerksamkeit schenken können,
wählen viele Werbetreibende gezielt den Weg der peripheren Einstellungsänderung
(Bak 2014, S. 70). Wie könnte ein Versuch, die Einstellung des Konsumenten auf
peripherem Weg zu ändern, bezogen auf unser Beispiel Elektroauto aussehen? Bei-
spielsweise könnte die Werbemaßnahme veranschaulichen, wie ein Elektroauto mit
einem sportlichen Design dynamisch auf einer Straße fährt, die durch eine schöne und
ansonsten unberührte Landschaft führt. Einstellungsänderungen, die über die peri-
phere Route erreicht werden, sind i. d. R. eher fragil und temporär.

Die entscheidende Frage ist, wann die Wahrscheinlichkeit (Likelihood) höher ist, dass
der Konsument eine Botschaft zentral verarbeitet (d. h. elaboriert), und wann sie höher
ist, dass er die Botschaft oberflächlich und peripher verarbeitet. Dem Elaboration Likeli-
hood Model zufolge hängt dies von zwei Variablen ab. Zum einen muss die Motivation
vorhanden sein, die Botschaft zu verarbeiten. Die Motivation hängt u. a. vom Involve-
ment des Konsumenten ab, d. h. davon, wie wichtig und interessant er den Gegenstand
findet. So kann es schwerfallen, Personen, die nicht technikaffin sind, dazu zu brin-
gen, dass sie sich mit Informationen zu Elektroautos auseinandersetzen. Zum anderen
muss die Person auch die Fähigkeit aufweisen, die Botschaft zu verarbeiten. Inwiefern
die Person dazu fähig ist, hängt von kognitiven Fähigkeiten und vom Vorwissen ab;
aber auch davon, ob die Informationen verständlich aufbereitet sind und ob die Person
abgelenkt wird oder nicht. So sind Informationen zum Vergleichen von Elektroautos
anhand technischer Details für manche Konsumenten unverständlich. Nach dem ELM
müssen für eine zentrale Verarbeitung zwingend die folgenden beiden Bedingungen
erfüllt sein: Die Motivation muss ausgeprägt sein und die notwendigen Fähigkeiten müs-
sen vorhanden sein.
6.4  Implizite Einstellungen 97

Beispiel: Berieselung oder Elaboration?


Konsumenten verarbeiten TV-Werbung meist nicht auf der zentralen Route, son-
dern lassen sich berieseln. Werbespots sind häufig an diesen Verarbeitungsmodus
angepasst, indem sie das beworbene Produkt z. B. über den Einsatz von Humor
und Prominenten oder das Zeigen schöner Landschaften mit positiven Assoziatio-
nen verknüpfen sollen. Manche Spots sollen aber auch gezielt die Aufmerksamkeit
des Konsumenten erlangen und ihn zum Mitdenken, d. h. zur zentralen Verarbeitung,
animieren. Scannen Sie den QR-Code und schauen Sie sich den folgenden Spot an.
Überlegen Sie dann, welche Intention die Werber verfolgen.

6.4 Implizite Einstellungen

In den vorangegangenen Kapiteln haben wir uns mit expliziten Einstellungen


beschäftigt. Dies sind Beurteilungen und Bewertungen des Einstellungsobjekts, die der
Proband überdacht hat und derer er sich bewusst ist. Die neuere Forschung betrachtet
daneben aber auch noch implizite Einstellungen (Greenwald und Banaji 1995). Es sei
an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass manche Forscher den Begriff „implizite Ein-
stellungen“ ablehnen, da es sich streng genommen „nur“ um „implizite Assoziatio-
nen“ zwischen Einstellungsobjekt und wertenden Kategorien handelt. Wir betrachten
zunächst, inwiefern implizite Einstellungen sich auf unser Verhalten auswirken können,
und sodann, wie man sie messen kann.

6.4.1 Verbesserung der Verhaltensprognose durch implizite


Einstellungen

Implizite Einstellungen sind der Person (meist) nicht bewusst. Sie werden spontan akti-
viert, laufen automatisiert ab und sind nicht willentlich kontrollierbar. Man kann diese
impliziten Einstellungen nicht verbalisieren. Die Betrachtung impliziter Einstellungen ist
aber von Belang, da sie Verhaltensweisen erklären können, die sich über explizite Ein-
stellungen nicht erklären lassen (Greenwald et al. 2009).
Zu einem Einstellungsobjekt können gleichzeitig explizite und implizite Ein-
stellungen vorliegen. Beispielsweise könnte eine Person Rosenkohl explizit gut
bewerten, weil er kalorienarm, vitamin- und mineralstoffreich ist. Implizit assoziiert
98 6 Einstellung

sie das bittere Wintergemüse automatisch mit schlechtem Geschmack. Eine interes-
sante Frage ist nun, unter welchen Umständen ihr Verhalten mehr von impliziten und
wann es mehr von expliziten Einstellungen gesteuert wird. Um dies zu erklären, wur-
den sog. duale Prozesstheorien vorgeschlagen, die postulieren, dass beide Komponen-
ten unabhängig voneinander aktiviert werden können und dass sich jede Komponente
entsprechend ihrer Aktivierung auf das Verhalten auswirken kann. Ein Beispiel ist das
MODE-Modell (Motivation and Opportunity as DEterminants; Fazio 1990). Ob sich
implizite oder explizite Einstellungen maßgeblich auf das Verhalten auswirken, hängt
diesem Modell zufolge von der Motivation und Fähigkeit des Konsumenten ab, Konse-
quenzen seines Verhaltens zu überdenken. Das Modell ähnelt in seiner Struktur dem in
Abschn. 6.3 eingeführten ELM. Letzteres erklärt den Prozess der Einstellungsbildung
bzw. -änderung; das MODE-Modell dagegen, wie Einstellungen auf das Verhalten
­wirken.

• Eine Person wechselt in den deliberativen Modus, d. h. in den überlegten Prozess-
modus, der hohen kognitiven Aufwand bedeutet, wenn die Motivation hoch ist und
auch die notwendigen Fähigkeiten und Möglichkeiten gegeben sind, um Informatio-
nen zu verarbeiten. Befindet sich die Person in diesem Modus, so nehmen vor allem
explizite Einstellungen Einfluss auf ihr Verhalten. Die in Abschn. 6.1 diskutierten Ein-
stellungs-Verhaltens-Modelle, wie die Theorie des geplanten Verhaltens, können nun
zur Verhaltenserklärung genutzt werden. Ob sich eine Person für einen Apfel oder
einen Schokoriegel entscheidet, hängt damit unter anderem von ihrer Gesundheitsein-
stellung und von den Erwartungen des sozialen Umfelds ab.
• Ist die Person dagegen nicht motiviert oder besitzt sie nicht die Möglichkeit zu
reflektieren, so befindet sie sich im spontanen Modus. Nun wirken sich vor allem
die impliziten, d. h. die spontan und automatisiert hervorgerufenen Assoziationen,
auf das Verhalten aus. Ob sich die Person für den Apfel oder den Schokoriegel ent-
scheidet, hängt damit beispielsweise von der spontanen und automatisch aktivierten
Einschätzung des Lustgewinns beim Essen ab (Mai et al. 2015).

Andere Modelle wie das Reflective-Impulsive-Model (RIM, Strack und Deutsch


2004) oder das Associative-Propositional-Evaluation-Modell (APE, Gawronski und
­Bodenhausen 2006) veranschaulichen, dass implizite und explizite Einstellungen auch
interagieren und somit gemeinsam das Verhalten beeinflussen können.

Beispiel: Ich nehme das Ungesunde, das schmeckt besser!


Dass sich die meisten Menschen gerne gesünder ernähren würden, ist keine Frage.
Es ist aber allzu oft zu beobachten, dass Konsumenten lieber zum Schnitzel als zum
Salat greifen. Eine Erklärung für diese Diskrepanz gaben die US-amerikanischen
Konsumentenforscher Raghunathan et al. (2006). Sie deckten auf, dass viele Konsu-

mit gutem Geschmack assoziieren. Diese „Unhealthy = Tasty“-Intuition lässt sich


menten implizit, d. h. unbewusst, spontan und automatisch, ungesunde Lebensmittel
6.4  Implizite Einstellungen 99

u. a. auf die Evolution zurückführen. Um zu überleben, war es für unsere Vorfahren
wichtig, möglichst viele Kalorien zu konsumieren. Auch wenn sich das Lebens-
mittelangebot zwischenzeitlich verändert hat, ist eine positive Bewertung kalorien-
reicher Nahrung noch immer die automatische Reaktion. Wer also nicht explizit über
seine Lebensmittelentscheidung nachdenkt und sich im spontanen Modus befindet,
der greift zu ungesunden Lebensmitteln, selbst wenn er explizit gesunden Lebens-
mitteln gegenüber positiv eingestellt ist. Für eine gesunde Ernährung sollte beides
zusammenkommen: eine positive explizite und auch eine möglichst positive implizite
Assoziation gegenüber gesunden Nahrungsmitteln (Mai et al. 2015). Die gute Nach-
richt für alle Gesundheitsfans: Neuere Studien aus Europa zeigen, dass viele Konsu-
menten durchaus auch gesunde Lebensmittel implizit mit Geschmack assoziieren
(Werle et al. 2013; Mai 2016).

6.4.2 Messung impliziter Einstellungen

Um explizite Einstellungen zu messen, befragen Konsumentenforscher ihre Probanden


meist direkt mithilfe von Selbsteinstufungs-Skalen. Implizite Einstellungen sind den Pro-
banden aber häufig nicht bewusst und sie können sie nicht verbalisieren. Methoden der
impliziten Einstellungsmessung analysieren meist Assoziationsstärken, d. h. wie stark
ein Einstellungsobjekt mit wertenden Kategorien assoziiert ist. Das am häufigsten ein-
gesetzte Verfahren ist der Implizite Assoziationstest (IAT) (Greenwald et al. 1998,
2009; siehe auch Niemand et al. 2014). Er beruht auf der in Abschn. 5.4.2 beschriebenen
Organisation des semantischen Wissens als assoziatives Netzwerk. Der Test misst
Reaktionszeiten, denn je stärker ein Einstellungsobjekt mit anderen relevanten Objek-
ten in einem assoziativen Netzwerk des Konsumenten verknüpft ist, desto schneller kann
eine Kategorie abgerufen werden, wenn zuvor die andere aktiviert war. Kurze Reaktions-
zeiten dienen als Indikator einer starken Assoziation, die wiederum als implizite Ein-
stellung interpretiert wird (Brunel et al. 2004, S. 389 f.).
Der IAT wird computergestützt durchgeführt und läuft folgendermaßen ab: Pro-
banden werden gebeten, mehrmals nacheinander einen Stimulus, der in der Mitte des
Bildschirms erscheint, schnellstmöglich vorgegebenen Kategorien zuzuordnen. Um die
in Abschn. 6.4.1 beschriebene „Unhealthy = Tasty“-Intuition zu messen, sollen Pro-
banden verschiedene Lebensmittel (wie Pizza, Salat) sowie Begriffe, die Geschmack
ausdrücken (wie lecker), einander zuordnen. Die Kategorien werden dabei am linken und
rechten oberen Bildschirmrand angezeigt. Die Zuordnung erfolgt mit einer Taste auf der
linken Seite und einer auf der rechten Seite der Tastatur. Je länger die Probanden für
diese Zuordnung benötigen, desto geringer ist die Assoziationsstärke. Durch einen gut
geplanten Ablauf der Zuordnungsaufgaben kann auf implizite Einstellungen geschlossen
werden.
Der IAT wird in mehreren Blöcken durchgeführt, in denen der Proband jeweils meh-
rere Zuordnungsaufgaben lösen muss. Zwischen den Blöcken ändert sich die Art der
100 6 Einstellung

Zuordnungsaufgaben. In den beiden kritischen Blöcken werden am oberen Bildschirm-


rand gleichzeitig Zielkonzepte und Attribute als Kategorien vorgegeben. Zielkonzepte
könnten dabei z. B. die Kategorien „gesunde Lebensmittel“ und „ungesunde Lebens-
mittel“ sein. Als Attribute könnten die Kategorien „schmeckt“ und „schmeckt nicht“
ausgewählt werden. Der Kniff des IATs besteht an diesem Beispiel dargestellt nun
darin, dass in einem Block „ungesunde Lebensmittel“ und „schmeckt“ auf der einen
Seite positioniert sind und auf der anderen „gesunde Lebensmittel“ und „schmeckt
nicht“. Wer davon ausgeht, dass ungesunde Lebensmittel besser schmecken als gesunde
Lebensmittel, dem fällt die Zuordnung von Lebensmitteln wie Pizza und auch von Wör-
tern wie lecker leicht. Im zweiten kritischen Block ändert sich die Kombination. Jetzt
sind „gesunde Lebensmittel“ mit „schmeckt“ gepaart. Wer ungesunde Lebensmittel
für geschmackvoller hält, dem fällt die Zuordnungsaufgabe nun etwas schwerer. Die
Reaktionszeit verlängert sich um einige Millisekunden. Aus der Differenz der mittleren
Reaktionszeit der beiden kritischen Blöcke lässt sich die Assoziationsstärke und damit
die implizite Einstellung ablesen.

Hintergrundinfo: Testen Sie Ihre impliziten Einstellungen


Das „Project Implicit“ der Harvard Universität stellt zahlreiche vorgefertigte IATs im Internet
bereit. Wer seine eigene implizite Einstellung zu Themen wie Ausländer, Behinderte, Genderfra-
gen etc. testen möchte, kann dies hier online tun. Mit dem QR-Code gelangen Sie zur Website.

6.5 Lernhilfe

Quintessenz
Einstellungen sind wertend und objektbezogen. Nach dem Drei-Komponenten-Modell
bestehen sie aus einer kognitiven, einer affektiven und einer konativen Komponente.
Zur Messung von Einstellungen nutzt man häufig das Erwartungs-X-Wert-Modell.
Nach der Einstellungs-Verhaltens-Hypothese haben Einstellungen großen Einfluss auf
das Kaufverhalten des Konsumenten. Gemäß der Theorie des geplanten Verhaltens
sollten jedoch auch die subjektive Norm und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle
beachtet werden, um die Verhaltensvorhersage zu verbessern und die etwaige Lücke
zwischen Einstellung und tatsächlichem Verhalten zu erklären. Neuere Unter-
suchungen zeigen, dass neben expliziten Einstellungen auch implizite Assoziationen
für das Verhalten des Konsumenten relevant sind. Letztere lassen sich mithilfe des
Impliziten Assoziationstests (IAT) erfassen.
6.5 Lernhilfe 101

Übungsfragen und -aufgaben


Vervollständigen Sie folgenden Satz:
Kompatibilität ist ein wichtiges Prinzip, um die Vorhersagevalidität von Einstellungen
zu verbessern. Wenn die Spezifikationen von Einstellungen und Verhalten hinsicht-
lich der Kriterien ____________, ____________, ____________ und ____________
übereinstimmen, dann lässt sich Verhalten anhand von Einstellungen relativ gut prog-
nostizieren.

Richtig oder falsch?


Implizite Assoziationen werden spontan und automatisch aktiviert. Man ist sich die-
ser Assoziationen häufig nicht bewusst und kann sie auch nicht beschreiben. Dennoch
wirken sie sich auf das (Kauf–)Verhalten aus.

Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an.


Einstellungen …

O… sind objektbezogen.
O… sind wertend.
O… sind von der jeweiligen Situation abhängig.
O… bestehen nach dem Drei-Komponenten-Modell aus einer affektiven, einer kogni-
tiven und einer konativen Komponente.
O… sind immer implizit.
O… lassen sich von außen beobachten.

Vernetzende Fragestellung
Ordnen Sie die verschiedenen Aspekte des folgenden Dialogs zwischen Lea und Ben
in die Theorie des geplanten Verhaltens ein:
„Wow!“, ruft Ben, „Schau mal, der XXL-Burger kostet hier nur 2,90 EUR. Außer-
dem sieht er super lecker aus und der Geschmack ist bei einem Burger ja schließ-
lich das Wichtigste. Ich denke, ich kaufe mir einen, wenn wir mit dem Shoppen
fertig sind.“ „Du solltest diesen Burger besser nicht kaufen. In einem XXL-Burger
für 2,90 EUR ist sicher kein Fleisch von glücklichen Rindern“, gibt Lea zu bedenken.
„Und überhaupt: Rindfleisch ist sowieso schlecht für die Umwelt.“ „Das ist deine
Meinung. Wieso sollte ich mich danach richten? Ich kaufe, was mir schmeckt. – Oh
nein, ich habe ja gar kein Geld dabei. Kannst du mir etwas leihen?“
Nutzen Sie die Theorie des geplanten Verhaltens auch, um fünf Ihrer typischen
Konsumverhaltensweisen zu analysieren. Warum kaufen Sie bspw. Bio-Gurken?
Wieso haben Sie keine Zeitung abonniert? Warum gehen Sie ins Fitnessstudio? Wes-
halb spenden Sie nicht mehr Geld für einen guten Zweck? Wieso kaufen Sie Ihrer
Mutter Blumen zum Muttertag? Etc.
102 6 Einstellung

Weiterführende Literatur

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Entscheidung
7

u Die Wurzel allen Übels  Seit Wochen wird Lea von Zahnschmerzen geplagt.
Nachdem die Beschwerden auch mit Tabletten nicht abklingen, wagt sie den
Gang zum Zahnarzt. Dort erfährt sie, dass die Wurzel eines Backenzahns ent-
zündet ist. Der Arzt erklärt Lea, dass die Krankenkasse nur die Kosten einer
konventionellen Wurzelbehandlung übernimmt. In ihrem Fall – die Ent-
zündung ist weit fortgeschritten – empfiehlt er eine sog. Mikroendodontie; ein
Verfahren, bei dem die Wurzelbehandlung mit einem OP-Mikroskop durch-
geführt wird. Die Kosten von knapp 1000 EUR müsste Lea selbst tragen. Zwar
kann ihr der Zahnarzt für beide Behandlungsalternativen keine Garantie auf
Erfolg geben; mit der kostenpflichtigen Methode ist die Heilungswahrschein-
lichkeit aber höher. Lea ist überfordert. Wie soll sie sich nur entscheiden?
Konsumenten müssen häufig Entscheidungen unter Unsicherheit treffen.
In Leas Fall entsteht die Unsicherheit dadurch, dass sie aufgrund ihrer Laien-
rolle die Notwendigkeit und Erfolgswahrscheinlichkeit einer Behandlung nicht
antizipieren kann. Doch wie treffen Konsumenten trotz Unsicherheit Ent-
scheidungen und wie kann man Konsumentenentscheidungen beeinflussen?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 105
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_7
106 7 Entscheidung

Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, …

• wie sich Entscheidungssituationen beschreiben lassen (Abschn. 7.1),


• wie man Konsumentenentscheidungen erklären kann (Abschn. 7.2),
• verschiedene Heuristiken kennen (Abschn. 7.3),
• wie der Kontext die Entscheidung beeinflussen kann (Abschn. 7.4) und
• wodurch Konsumentenentscheidungen beeinflusst werden (Abschn. 7.5),

… indem Sie die Entscheidung des Konsumenten durch folgende Theorien


und Modelle betrachten:

• Rational-Choice-Theorie,
• Bounded Rationality,
• Prospect-Theorie,
• Nudging und
• Framing.

7.1 Grundlagen der Konsumentenentscheidungsfindung

Konsumenten treffen jeden Tag zahlreiche Entscheidungen. Eine Entscheidungs-


situation liegt dann vor, wenn man mindestens zwei Optionen sieht. Der Prozess der Ent-
scheidungsfindung umfasst folgende zwei Phasen (Jungermann et al. 2016):

• Urteilen: Es werden Meinungen gebildet, Schlussfolgerungen gezogen und Ereig-


nisse, Produkte oder Dienstleistungen kritisch bewertet.
• Wählen: Es wird eine Option ausgewählt.

Die Prozesse des Urteilens und Wählens sind miteinander verbunden und machen
gemeinsam den Entscheidungsprozess aus (Gerrig 2014). Möchte man etwa ein neues
Smartphone kaufen, beurteilt man i. d. R. zunächst einige Modelle. Nehmen wir bspw.
an, dass Modell A eine lange Akkulaufzeit aufweist, während sich Modell B durch eine
hohe Displayauflösung auszeichnet. Wer die Akkulaufzeit als wichtiger einstuft als die
Displayauflösung, entscheidet sich in diesem Beispiel für Smartphone A. Meist sind Ent-
scheidungssituationen jedoch deutlich komplexer.
7.1  Grundlagen der Konsumentenentscheidungsfindung 107

7.1.1 Komponenten von Entscheidungsproblemen

Das Entscheidungsproblem eines Konsumenten lässt sich anhand der fünf in Tab. 7.1
dargestellten Komponenten beschreiben. Optionen, Ereignisse und Konsequenzen sind
externe Komponenten eines Entscheidungsproblems. Das heißt, sie wirken wie ein Reiz
von außen auf den Konsumenten ein und beeinflussen seinen Entscheidungsprozess.
Gründe und Ziele sind interne Komponenten und steuern die Sicht des Konsumenten auf
das und seinen Umgang mit dem Entscheidungsproblem (Jungermann et al. 2016).
Kommen wir zurück zu Lea und betrachten wir die Komponenten ihres Entscheidungs-
problems. Leas Zahnarzt nennt ihr zwei Handlungs-Optionen für eine Wurzelbehandlung:
die konventionelle Wurzelbehandlung und die Mikroendodontie (Wurzelbehandlung mit
einem OP-Mikroskop). Die Konsequenz einer Nicht-Behandlung, was die mögliche dritte
Handlungs-Option darstellen würde, wäre in jedem Fall der Verlust des Zahns. Die Eintritts-
wahrscheinlichkeit dieser Konsequenz ist nach Angaben des Zahnarztes bei einer Mikro-
endodontie geringer als bei der Kassenleistung. Auf das Ereignis, dass die Krankenkassen

Tab. 7.1  Komponenten des Entscheidungsproblems


Komponente Erläuterung Konsumentenverhalten
Externe Komponenten
Optionen Produkte/Dienstleistungen, zwischen „Kaufe ich einen Laptop oder ein
denen der Konsument wählen kann Tablet?“
Handlungen, zwischen denen der „Gehe ich ins Kino oder mache ich
Konsument wählen kann einen Netflix-Abend?“
Strategien, zwischen denen der „Spare ich oder konsumiere ich?“
Konsument wählen kann
Konsequenzen Antizipierte Zustände, die sich als „Ich kaufe Bio-Gemüse, um die Umwelt
Folge der Wahl einer Option ergeben zu schützen“
können, beeinflussen die Wahl
Ereignisse Geschehnisse und Sachverhalte, auf „Weil alle Flüge ausgebucht sind, fahre
die der Konsument keinen Einfluss ich mit dem Zug.“
hat, die den Ausgang der Ent-
scheidung aber beeinflussen können
Interne Komponenten
Ziele Schränken die grundsätzlich unend- „Ich gehe in ein veganes Restaurant.“
liche Menge an Optionen ein, die in
Betracht kommen
Gründe Lenken eine Entscheidung in eine „Beim Auspacken habe ich das Produkt
Richtung, die allein aus den Zielen kaputt gemacht. Ich könnte es retournie-
und Konsequenzen einer Option ren und behaupten, dass es bereits defekt
nicht ersichtlich ist (z. B. moralische geliefert wurde. Dafür müsste ich lügen,
Bedenken, Begründbarkeit gegen- was ich eigentlich nicht gut finde.“
über Dritten)
108 7 Entscheidung

mikroendodontische Behandlungen nicht zahlen, kann Lea nicht einwirken. Gleichwohl


beeinflusst es ihre Entscheidung. Leas Ziel, ihre Gesundheit – ungeachtet der Kosten – zu
schützen, spricht für die zahlungspflichtige Option. Allerdings sind 1000 EUR viel Geld
und Lea müsste ihre Eltern um Unterstützung bitten, was sie nicht will. Der Grund: Da ihre
Eltern bereits ihr Studium finanziell unterstützen, hätte sie Gewissensbisse, wenn sie ihnen
noch mehr zur Last fallen würde.

7.1.2 Eigenschaften der Entscheidungssituationen

Entscheidungssituationen sind u. a. anhand von drei Eigenschaften unterscheidbar: Die


Menge an Optionen, die den Konsumenten zur Auswahl stehen, die Anzahl der Ent-
scheidungsstufen und die Entscheidungsfrequenz (Jungermann et al. 2016).

• Menge an Optionen: Die zur Verfügung stehende Menge an Optionen kann entweder
offen oder vorgegeben sein. In vielen Fällen wählen Konsumenten aus vorgegebenen
Optionsmengen. Das kann die Auswahl einer Marmelade im Supermarkt sein oder die
Auswahl eines Films an der Kinokasse. In beiden Fällen ist die Menge an Optionen
durch den Anbieter vorgegeben und damit bekannt. Anders verhält es sich bspw. bei
dem Unternehmen Spreadshirt. Es bietet seinen Kunden die Möglichkeit, ihr eigenes
T-Shirt zu designen und es im Anschluss online zu bestellen. Die Anzahl möglicher
Designs ist zu Beginn der Entscheidungssituation offen und unbekannt. Sie verändert
sich im Laufe des Design- und Entscheidungsprozesses.
• Anzahl der Entscheidungsstufen: Entscheidungen können einstufig oder mehrstufig
erfolgen. Bei einstufigen Entscheidungen vollziehen Konsumenten die Entscheidung
in einem einzigen Schritt. Die Überlegung, ob man abends auf ein bestimmtes Konzert
möchte, ist einstufig und mit dem Kauf des Tickets abgeschlossen. Bei mehrstufigen
Entscheidungen ist jeder Schritt vom Ergebnis des vorherigen abhängig. Leas Ent-
scheidung, zum Zahnarzt zu gehen, erfolgte in zwei Schritten. Zuerst beschloss sie, abzu-
warten und Medikamente zu nehmen. Die Konsequenz dieser Entscheidung waren noch
mehr Schmerzen, sodass sie im zweiten Schritt einen Termin beim Arzt vereinbarte.
• Entscheidungsfrequenz: Man unterscheidet zwischen Entscheidungssituationen, die
einmalig oder wiederholt auftreten. Der Abschluss einer Lebensversicherung ist eine
einmalige Entscheidung. Der Lebensmitteleinkauf im Supermarkt wiederholt sich
dagegen.

7.1.3 Modelle der Konsumentenentscheidungsfindung

7.1.3.1 Kaufentscheidungsprozess
In Kap. 2 befassten wir uns mit dem Totalmodell des Konsumentenverhaltens von
Blackwell et al. (2001). Diesem Modell zufolge durchlaufen Konsumenten bei der Ent-
scheidungsfindung für ein Produkt oder eine Dienstleistung mehrere Phasen. Die Realität
7.1  Grundlagen der Konsumentenentscheidungsfindung 109

des Konsumenten ist zwar weitaus komplexer und verschiedenste Komponenten des Ent-
scheidungsproblems sowie die Eigenschaften der Entscheidungssituation nehmen Einfluss
auf diesen Prozess. Dennoch ist es sinnvoll, dies einmal auszublenden, um den zentralen
Pfad des Entscheidungsprozesses nach Blackwell et al. (2001) isoliert zu betrachten.

• Problemerkennung: Konsumenten erkennen ein Problem oder nehmen ein Bedürfnis


wahr, wenn ihr Istzustand von ihrem Idealzustand abweicht. Diese Abweichung kann
zwei Gründe haben: Entweder sinkt der Istzustand oder der angestrebte Idealzustand
steigt. Ein plötzlich defektes Smartphone (Istzustand sinkt) oder der Release eines
neuen Modells (Idealzustand steigt) kann das Bedürfnis nach einem neuen Device
erzeugen.
• Informationsrecherche: Konsumenten rufen die für den Entscheidungsprozess rele-
vanten Informationen entweder internal oder external ab. Wissen und Erinnerungen
sind internale Informationsquellen. Als externale Informationsquellen dienen u. a.
Medien, das Internet, Familie oder Freunde sowie die Recherche im Ladengeschäft.
Bevor man bspw. ein Smartphone kauft, liest man in Fachmagazinen Produkttests zu
aktuellen Modellen, fragt Freunde nach ihren Erfahrungen und lässt sich im Einzel-
handel unterschiedliche Devices zeigen und erklären. Das Ergebnis der Informations-
recherche ist eine Vorauswahl möglicher Produkte zur Problembehebung bzw.
Bedürfnisbefriedigung.
• Bewertung von Alternativen: In dieser Phase der Entscheidungsfindung bewerten
Konsumenten ihre Vorauswahl anhand entscheidungsrelevanter Attribute. Zu
beachtende Attribute beim Kauf eines Smartphones könnten die Displaygröße, Akku-
laufzeit, Kameraauflösung und natürlich der Preis sein.
• Kauf: Die Kaufentscheidung umfasst die Auswahl des Produkts sowie die Auswahl des
Kaufkanals. Nach dem Kauf kann der Konsument das Produkt oder die Dienstleistung
nutzen bzw. in Anspruch nehmen. Nun findet auch eine Nach-Kauf-Evaluation statt.
Dem Confirmation/Disconfirmation-Paradigma (Anderson und Sullivan 1993; ­Oliver
1980) zufolge entsteht Zufriedenheit, wenn das Produkt oder die Dienstleistung die
Erwartungen des Konsumenten (Sollzustand) erfüllt (Confirmation) oder übertrifft
(positive Disconfirmation). Unzufriedenheit ist das Ergebnis einer Nicht-Erfüllung von
Erwartungen (negative Disconfirmation).

7.1.3.2 Kaufentscheidungstypologie
Das Entscheidungsverhalten des Konsumenten lässt sich auch in Abhängigkeit seines
Involvements strukturieren (Abb. 7.1). Bei extensiven Kaufentscheidungen recher-
chieren Konsumenten aufwendig Informationen und werten alle Optionen sorgfältig
aus. Diesen Kaufentscheidungstypus findet man insb. in Entscheidungssituationen, die
mit einem großen sozialen, funktionalen oder finanziellen Risiko verbunden sind (z. B.
beim Kauf eines Pkws oder eines Eigenheims). Bei limitierten Kaufentscheidungen
durchläuft der Konsument nicht alle Phasen des Kaufentscheidungsprozesses, da er
schon Erfahrungen mit dem Produkt gesammelt hat. Seine Entscheidungen basieren
110 7 Entscheidung

Kaufentscheidungstypologie
Abhängig
von …
Extensiv Limitiert Habitualisiert

Involvement hoch niedrig

Preis hoch niedrig

Kauffrequenz niedrig hoch

Produkt-/Marken-
vertrautheit gering hoch

Abb. 7.1  Typen von Kaufentscheidungen. (In Anlehnung an Solomon et al. 2013)

auf einfachen, unkomplizierten Entscheidungsregeln („Ich kaufe das Günstigste.“)


und kommen häufig bei geringer Motivation zum Einsatz. Habitualisierte Kaufent-
scheidungen laufen routiniert und scheinbar automatisiert ab. So legen viele Konsu-
menten bspw. im Supermarkt bei jedem wöchentlichen Einkauf den Lieblingsjoghurt in
den Einkaufswagen, ohne darüber nachzudenken. Meist grenzt man hiervon auch noch
die spontane bzw. impulsive Kaufentscheidung ab, die durch situative Reize ausgelöst
wird. Gerade in der Kassenzone sollen Kunden zum ungeplanten Kauf von Artikeln wie
Kaugummis oder Schokolade stimuliert werden.

7.2 Entscheidungstheorien

Das Verhalten des Konsumenten ist häufig das Ergebnis von Entscheidungsprozessen.
Einem Kinobesuch gehen die Beurteilung von möglichen Freizeitoptionen (Kino, Thea-
ter, Bar) und die entsprechende Wahl einer Option (Kino) voraus. Entscheidungstheorien
beschreiben, erklären und prognostizieren, wie Konsumenten Entscheidungen treffen.
Wir widmen uns in diesem Abschnitt zwei Teilgebieten der Entscheidungstheorie, die
für die Konsumentenverhaltensforschung wichtig sind (Trommsdorff und Teichert 2011):
Die normative Entscheidungstheorie gibt vor, wie Konsumenten idealerweise ihre Ent-
scheidungen treffen sollten, und die deskriptive Entscheidungstheorie beschreibt, wie
Konsumenten Entscheidungen tatsächlich fällen.
7.2 Entscheidungstheorien 111

7.2.1 Normative Entscheidungstheorien – Die Rational-Choice-


Theorie

Die normative Entscheidungstheorie ist ein System aus Axiomen (Eisenführ et al. 2010).
Axiome sind Feststellungen oder Grundannahmen, die nicht bewiesen, sondern beweislos
vorausgesetzt werden. Etwas formaler ausgedrückt ist ein Axiom nicht beweisbar, aber
in sich und innerhalb einer Theorie wahr. Innerhalb der Mathematik nehmen wir etwa
an, dass 0 eine Zahl ist. Die Urknalltheorie und die Entstehung unseres Sonnensystems
beruhen bspw. auf dem Axiom, dass die heute bekannten physikalischen Gesetze schon
zum Zeitpunkt des Urknalls galten.
Die normative Entscheidungstheorie geht vom Menschenbild des Homo oeconomi-
cus aus, sprich von einem rationalen Nutzenmaximierer, der über volle Markttransparenz
verfügt. Nach den Axiomen der normativen Entscheidungstheorie (Simon et al. 2007;
Simon 1982)

• treffen Konsumenten Entscheidungen immer im Einklang mit ihren Zielen.


• verarbeiten Konsumenten alle ihnen zur Verfügung stehenden Informationen stets
korrekt.
• entscheiden Konsumenten so, dass sie ihren Nutzen maximieren.

Nutzen ist in der normativen Entscheidungstheorie ein ökonomisches Konstrukt. Je


höher die Befriedigung der individuellen Bedürfnisse des Konsumenten durch ein Pro-
dukt oder eine Dienstleistung ist, desto höher fällt sein Nutzen aus (Trommsdorff
und Teichert 2011). Innerhalb der normativen Entscheidungstheorie sind sog. multi-
attributive Verfahren von Bedeutung (Solomon et al. 2013). Dabei wird der Nutzen
nicht als Ganzes bewertet. Vielmehr ergibt er sich aus dem Zusammenspiel der Eigen-
schaften eines Produktes. Bevor man sich etwa für ein neues Smartphone entscheidet,
informiert man sich über die Eigenschaften der unterschiedlichen Modelle, wie etwa die
Akkulaufzeit, Displayauflösung und Kameraqualität. Einfache multiattributive Verfahren
berechnen den Gesamtnutzen einer Alternative aus der gewichteten Summe der Einzel-
nutzen der Attribute. Abb. 7.2 veranschaulicht, wie Konsumenten mithilfe eines multi-
attributiven Verfahrens zu einer Entscheidung zwischen zwei Smartphone-Modellen A
und B kommen.
Die Rational-Choice-Theorie wird der normativen Entscheidungstheorie zugeordnet
(Simon et al. 2007). Diese ist eine Sammelbezeichnung für Handlungstheorien, die von
einem rationalen Entscheider ausgehen. In der Ökonomie ist dieser Denkansatz weit ver-
breitet. Allerdings zeigt die Konsumentenverhaltensforschung, dass Konsumenten in den
seltensten Fällen ausschließlich rational handeln. Rational-Choice-Theorien bilden damit
die Lebenswirklichkeit von Konsumenten nicht hinreichend ab. Sie helfen dennoch bei der
Analyse von Konsumentenentscheidungen. Denn erst wenn man weiß, wie sich der Konsu-
ment aus rationaler Sicht verhalten sollte (normative Entscheidungstheorien), kann man
112 7 Entscheidung

Kriterien Gewichtung Bewertung Gewichtete


von 0 bis 1 von 0 bis 100 Bewertung
(∑= 1)
A B A B

Akku 0,2 80 70 16 14

Multimedia 0,1 90 100 9 10

Display 0,3 90 80 27 24

Design 0,4 80 85 32 34

Summe 84 82

Abb. 7.2  Multiattributives Verfahren bei der Auswahl eines Smartphones

ergründen, warum er es in bestimmten Situationen nicht tut. Einige dieser vorhersehbaren


„irrationalen“ Entscheidungen werden im Abschnitt Heuristiken (Abschn. 7.3) dargestellt.

Hintergrundinfo: Mr. Spock vs. Homer Simpson. Oder: Was ist Bounded Rationality?
Konsumenten sind oft weit davon entfernt, die Axiome der normativen Entscheidungstheorie zu
befolgen und damit optimierte Entscheidungen zu treffen. Zwar wollen sich viele rational ent-
scheiden (so wie Mr. Spock); sie scheitern aber regelmäßig aufgrund begrenzter (engl.: bounded)
Aufmerksamkeit, Energie, Motivation oder Informationsverarbeitungskapazität (so wie Homer
Simpson). Ökonomen bezeichnen dies als Bounded Rationality (Simon 1982) und relativieren
dadurch immer mehr die Axiome des Rational-Choice-Ansatzes (Göbel 2014). Gemäß der Boun-
ded Rationality streben Menschen häufig nicht nach Optimierung, sondern nach Satisficing; einem
Schachtelwort aus satisfying (eng.: befriedigend) und suffice (engl.: genügen). Es beschreibt die
Strategie, nicht die optimale Option, sondern die erstbeste Option, die den angestrebten Zweck
erfüllt, zu wählen. Wenn Homer Simpson also Lust auf einen Donut hat, vergleicht er nicht erst
alle infrage kommenden Angebote. Mr. Spock würde dies tun. Homer Simpson sucht einfach den
nächstbesten Supermarkt auf.

7.2.2 Deskriptive Entscheidungstheorien – Die Prospect-Theorie

Deskriptive Entscheidungstheorien erklären, wie Konsumentenentscheidungen tat-


sächlich ablaufen. Sie berücksichtigen, dass der Konsument kein Homo oeconomicus
ist und dass niemand stets rationale Entscheidungen trifft. Die wichtigste deskriptive
Theorie zur Erklärung und Vorhersage von Entscheidungen ist die mit dem Nobelpreis
ausgezeichnete Prospect-Theorie (Theorie des Erwartungsnutzens) von Daniel Kahn-
eman und Amos Tversky (1979). Im Fokus steht die Entscheidungsfindung von Indivi-
duen unter Unsicherheit. Die Prospect-Theorie nimmt an, dass Entscheidungen unter
Unsicherheit in zwei Phasen ablaufen: der Editierphase und der Evaluationsphase.
7.2 Entscheidungstheorien 113

Hintergrundinfo: Ungewissheit oder Risiko?


Zur Erinnerung: Konsumenten beurteilen und wählen im Entscheidungsprozess Optionen aus.
Bei sicheren Entscheidungen ist jede Option mit einer vorab bekannten Konsequenz verbunden.
Dagegen spricht man von Entscheidungen unter Unsicherheit, wenn nach Auswahl einer Option
mehrere mögliche Konsequenzen eintreten können. Die meisten wirtschaftswissenschaftlichen
Autoren (z. B. Bamberg et al. 2012; Laux et al. 2014) betrachten Unsicherheit als Oberbegriff für
Risiko und Ungewissheit (für eine kritische Diskussion siehe Eisenführ et al. 2010, S. 23). Bei
einer Entscheidung unter Risiko sind Optionen, Konsequenzen und Eintrittswahrscheinlichkeiten
bekannt. Bei Entscheidungen unter Ungewissheit kennt der Entscheidungsträger zwar auch die
Optionen und deren Konsequenzen. Wie hoch die jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeiten sind, ist
ihm aber nicht bekannt. Diese Unterform von Unsicherheit wird auch als Knight’sche Unsicherheit
bezeichnet. Lea besuchte im Einstiegsbeispiel einen kompetenten Arzt, der aktuelle Studien kennt
und Lea damit erläutern kann, dass ihr Zahn bei der Option Mikroendodontie mit einer Wahr-
scheinlichkeit von 70 % erhalten bleibt und zu 30 % abstirbt. In diesem Fall besteht folglich ein
Risiko. Hätte der Arzt Lea lediglich mitgeteilt, dass es zwei Behandlungsoptionen gibt, die beide
evtl. zum Erfolg führen, und ihr aber keine Wahrscheinlichkeiten mitgeteilt, so würde es sich um
eine Entscheidung unter Ungewissheit handeln (Knight’sche Unsicherheit).
Einige Forscher aus der Psychologie vertreten eine andere Auffassung von Unsicherheit und
Ungewissheit. Sie argumentieren, dass selbst bei bekanntem statistischem Risiko Konsumenten
subjektiv Ungewissheit verspüren können, da die Statistik für den Einzelfall keine Vorhersage tref-
fen kann (Statistiken treffen Aussagen über Gruppen). Das Erleben von Ungewissheit ist demnach
rein subjektiv zu verstehen, sodass Person A in einer Situation Ungewissheit erleben kann, Person
B in derselben Situation aber nicht (Brashers 2001). In dieser Taxonomie ist Ungewissheit dem-
nach ein kognitives Konstrukt und valenzfrei, Unsicherheit wiederum eine mögliche emotionale
Bewertung einer ungewissen Situation (Geiger 2007). Das heißt, die Bewertung einer ungewissen
Situation kann zu Unsicherheit führen, aber auch bspw. zu Neugier („Ich bin neugierig, wie der
Film weitergeht. Das Ende ist nach wie vor ungewiss.“). Leas antizipierte Konsequenz in der
Zukunft („Bleibt mein Zahn erhalten?“) ist nach dieser Klassifikation für sie weiterhin ungewiss
(obwohl es sich statistisch um eine Entscheidung unter Risiko handelt), was ihr Angst macht (emo-
tionale Bewertung der Ungewissheit). In diesem Kapitel verfolgen wir eine betriebswirtschaftliche
Auffassung von Unsicherheit.

7.2.2.1 Editierphase
In der Editierphase strukturiert und vereinfacht der Konsument das Entscheidungs-
problem. Sein Ziel lautet, die Auswahl zwischen den Optionen zu erleichtern, indem er
die Komplexität des Entscheidungsproblems reduziert. Die gewünschte Komplexitäts-
reduktion erreicht er u. a. durch das sog. Coding. Die Prospect-Theorie nimmt an, dass
Individuen die Konsequenzen einer Option nicht absolut wahrnehmen, sondern immer
relativ zu einem Referenzpunkt codieren und somit vereinfachen. Beim Coding werden
Optionen entsprechend ihrer Abweichung von einem Referenzpunkt eingeordnet. Konse-
quenzen, die oberhalb des Referenzpunktes liegen, werden als Gewinne wahrgenommen,
Konsequenzen, die unterhalb des Referenzpunktes liegen, als Verluste. Wenn man bspw.
nach einer Klausur mit der Note 3 rechnet (Referenzpunkt), dann ist die Freude über die
Note 2 sehr groß. Man gewinnt sozusagen eine Note. Wer allerdings nach der Klausur
ein sehr gutes Gefühl hat und eine 1 erwartet (Referenzpunkt), dem wird eine 2 schon
mal die Stimmung trüben (Verlust). Neben dem Coding gibt es in der Editierphase noch
114 7 Entscheidung

fünf weitere Schritte: Combination, Segregation, Cancellation, Simplification und Detec-


tion of Dominance. Sie alle haben das Ziel, die Komplexität der Entscheidungssituation
zu reduzieren und damit die Entscheidung zu vereinfachen.

7.2.2.2 Evaluationsphase
In der Evaluationsphase bewerten und gewichten Konsumenten die zuvor editierten Optio-
nen, um anschließend die Option mit dem für sie höchsten subjektiven Wert auszuwählen.
Die Auswahl einer Option wird durch die Gewichtungsfunktion und die Wertefunktion des
Konsumenten bestimmt. Die Gewichtungsfunktion verweist darauf, dass Konsumenten
sowohl im Gewinn- als auch im Verlustbereich unwahrscheinliche Ergebnisse überge-
wichten und mittel- bis hochwahrscheinliche Ergebnisse untergewichten. Die Werte-
funktion ist durch drei Eigenschaften gekennzeichnet:

• Konsumenten bewerten Optionen auf Basis von Abweichungen zum Referenzpunkt.


Die Veränderung in Abhängigkeit vom Referenzpunkt ist dabei wichtiger als der tat-
sächliche Endzustand nach der Veränderung.
• Ergebnisse oberhalb des Referenzpunktes klassifizieren Konsumenten als Gewinn;
Ergebnisse unterhalb als Verlust. Dabei bewerten sie den subjektiven Wert einer
Option – und den damit verbundenen Gewinn („Ich bekomme etwas“) und Verlust
(„Ich muss etwas geben“) – nicht linear, sondern gekrümmt. Die Krümmung ist bei
Gewinnen konkav, sprich nach innen gewölbt, und bei Verlusten konvex, sprich nach
außen gewölbt.
• Diese Krümmung ist im Verlustbereich steiler als im Gewinnbereich.

Was bedeuten diese Eigenschaften der Wertefunktion für das Konsumentenverhalten?


Nehmen wir einmal an, die Wertefunktion verliefe nicht gekrümmt, sondern wäre eine
lineare Nutzenfunktion (Abb. 7.3). Beim Gewinn G1 entsteht für den Konsumenten
der Nutzen N1. Nimmt der Gewinn zu (G2), steigt der entsprechende Nutzen aus dem
Gewinn (N2) um den gleichen Faktor wie der Gewinn (N2/N1 = G2/G1). Gleichsam
erzeugt der Verlust V1 (der im Betrag so groß ist wie G1) einen negativen Nutzen N3,
der im Betrag so groß ist wie N1. Nimmt der Verlust zu (V2), steigt auch der negative
Nutzen (N4) proportional zum Verlust an (N4/N3 = V2/V1).
Gemäß der Prospect-Theorie weist die Wertefunktion dagegen folgende Eigen-
schaften auf (Abb. 7.4). Der Wertezuwachs von W1 zu W2 ist nicht proportional zur
Zunahme des Gewinns G1 zu G2. Im Verlustbereich verhält es sich genauso. Die Werte-
funktion verläuft gekrümmt. Diese gekrümmte Wertefunktion der Prospect-Theorie
visualisiert drei typische Entscheidungsmuster des Konsumenten, die als Standbeine der
Theorie gelten (Kahneman und Tversky 1979) und die wir im Folgenden erläutern.

• Sicherheitseffekt: Sichere Ergebnisse mit niedrigerem Erwartungswert werden


gegenüber wahrscheinlichen Ergebnissen mit hohem Erwartungswert öfter gewählt
und somit überbewertet. Folgendes Gedankenexperiment veranschaulicht dies: Was
7.2 Entscheidungstheorien 115

Nutzen (+)

N2

N1

V2 V1
Verlust Gewinn
G1 G2

N3

N4

Nutzen (-)

Abb. 7.3  Gewinne und Verluste bei linearer Nutzenfunktion

subjektiver Wert (+)

W2
W1

Relativer V2 V1 Relativer
Verlust Gewinn
G1 G2

Referenzpunkt

W3

W4

subjektiver Wert (-)

Abb. 7.4  Grundmodell der Prospect-Theorie


116 7 Entscheidung

sollte man wählen? a) Einen sicheren Gewinn von 3000 EUR oder b) einen Gewinn
von 4000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 %? Kahneman und Tversky
(1979) zeigen empirisch, dass sich die meisten Personen für a) entscheiden. Dabei ist
der Erwartungswert der Option b) (4000 EUR * 0,8 = 3200 EUR) höher und sollte
aus normativer Sicht eher gewählt werden.
• Reflexionseffekt: Menschen verhalten sich bei zu erwartenden Gewinnen risiko-
vermeidend, bei drohenden Verlusten risikosuchend. Was sollte man wählen? a)
Einen Gewinn von 6000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von 45 % oder b) einen
Gewinn von 3000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 %? Die meisten ent-
scheiden sich für Option b), obwohl der Erwartungswert in beiden Fällen identisch
ist (6000 EUR * 0,45 = 2700 EUR vs. 3000 EUR * 0,90 = 2700 EUR). Sie verhalten
sich somit im Gewinnbereich risikovermeidend. Noch eine Frage: Wie sollte man
sich entscheiden? a) Für einen Verlust von 6000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit
von 45 % oder b) für einen Verlust von 3000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von
90 %? Hier votieren die meisten Personen für Option a), obwohl der Erwartungswert
wieder identisch ist (−2700 EUR). Dieses Beispiel illustriert, dass Konsumenten im
Verlustbereich risikosuchend handeln.
• Isolationseffekt:Um die Entscheidung zu erleichtern, fokussieren Konsumenten bei
der Wahl zwischen mehreren Optionen auf die Unterschiede der Optionen und igno-
rieren deren Gemeinsamkeiten. Die Zerlegung in Gemeinsamkeiten und Unterschiede
kann zu Inkonsistenzen führen. Stellen wir uns zur Veranschaulichung ein einstufiges
und ein zweistufiges Glücksspiel vor.
– Einstufiges Glücksspiel: Wie sollte man sich entscheiden? a) Für einen Gewinn
von 4000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 % oder b) für einen
Gewinn von 3000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 %. Die Mehr-
heit entscheidet sich für Option a), da hier der Erwartungswert höher ausfällt
(4000 EUR * 0,20 = 800 EUR vs. 3000 EUR * 0,25 = 750 EUR).
– Zweistufiges Glückspiel: In Stufe 1 endet das Spiel zu 75 % direkt, zu 25 %
geht es weiter zu Stufe 2. Hat man Stufe 2 erreicht, kann man wählen zwischen
a) einem Gewinn von 4000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 % oder b)
einem direkten Gewinn von 3000 EUR. Fasst man die zwei Stufen zusammen,
ergeben sich folgende Eintrittswahrscheinlichkeiten (EW Stufe 1 * EW Stufe 2)
für a) 0,25 * 0,80 = 0,20 und für b) 0,25 * 1,0 = 0,25. Der Erwartungswert für a)
entspricht 4000 EUR * 0,20 = 800 EUR und für b) 3000 EUR * 0,25 = 750 EUR.
Das Entscheidungsproblem ist somit identisch zum einstufigen Glücksspiel. Doch
dieses Mal entscheiden sich die meisten Probanden für Option b) mit dem nied-
rigeren Erwartungswert. Offensichtlich ignorieren sie die erste Stufe der Ent-
scheidung, die für beide Optionen identisch ist.

Das Marketing nutzt die Erkenntnisse der Prospect-Theorie, um Konsumentenverhalten


zu beeinflussen (Trommsdorff und Teichert 2011). Beim Autokauf können Konsu-
menten bspw. eine Basisausstattung additiv um weitere Optionen ergänzen oder eine
7.3 Heuristiken 117

Vollausstattung subtraktiv um Optionen reduzieren. Da Verluste („Bitte nehmen Sie die


Xenon-Lichter aus dem Angebot raus“) stärker wahrgenommen werden als Gewinne
(„Ich wähle Xenon-Lichter hinzu“), geben Konsumenten bei subtraktiven Angeboten
mehr aus (Nitzsch 1998), da der Verlust bei einem Downgrade stärker ins Gewicht fällt
als der Gewinn bei einem Upgrade. Autohändler nutzen diesen Effekt und zeigen Kun-
den gerne Komplettangebote.

7.3 Heuristiken

Nur selten stehen Konsumenten hinreichend Zeit und genügend Informationen zur Ver-
fügung, um alle Optionen umfassend beurteilen zu können. Anstelle eines systema-
tischen Entscheidungsprozesses wenden sie dann sog. Heuristiken an (Hertwig et al.
2008). Dies sind einfache, effiziente Faustregeln, die die Komplexität des Urteilens und
Wählens reduzieren und damit schnelle Lösungen ermöglichen (Gerrig 2014). Sie sind
durch evolutionäre Prozesse gefestigt oder durch Erfahrungen erlernt worden. Konsu-
menten wenden permanent Heuristiken an, ohne sich dessen bewusst zu sein. Die
Anwendung von Heuristiken ist oft nützlich und in dem Sinne effizient, dass mit vertret-
barem Ressourceneinsatz eine tragbare Entscheidung getroffen werden kann (Gigerenzer
und Gaissmaier 2011).

u Merke  Heuristiken sind informelle Faustregeln, die die Komplexität der Urteils-
findung reduzieren und zu einer schnellen Entscheidung führen. Sie einzusetzen, ist nicht
unvernünftig, denn eine detaillierte Abwägung kostet häufig unverhältnismäßig viel Zeit
und Energie.

Heuristiken können aber unter bestimmten Bedingungen zu systematischen Fehlurteilen


führen. Man spricht dann von einem Bias, also einer Verzerrung. Diese – aus Sicht der
normativen Entscheidungstheorie – irrationalen Prozesse der Entscheidungsfindung wer-
den auch als Entscheidungsanomalien bezeichnet. Die Prospect-Theorie hilft, diese
Anomalien zu verstehen. Sie entstehen insb. durch die Anwendung von Heuristiken in
der Editierphase. Der Begriff Anomalie klingt deutlich negativer als gemeint. Konsu-
menten treffen täglich eine Vielzahl an Entscheidungen. Dies tun sie nicht streng ratio-
nal nach den Axiomen der normativen Entscheidungstheorie und sie kommen dennoch
in den meisten Fällen zu robusten Urteilen (Gigerenzer und Gaissmaier 2011). Die
Erforschung dieser Entscheidungsprozesse schließt allerdings ein, dass man auch unter-
sucht, wann es zu verzerrten Urteilen kommt. Nur wenn man sich diesen Entscheidungs-
anomalien widmet, kann man die beim Urteilen ablaufenden Prozesse besser verstehen
(Gerrig 2014). Für das Konsumentenverhalten sind die Verfügbarkeitsheuristik, die
Repräsentativheuristik und die Ankerheuristik besonders relevant.
118 7 Entscheidung

7.3.1 Verfügbarkeitsheuristik

Die Verfügbarkeitsheuristik beschreibt die Tendenz, Entscheidungen auf Informationen


zu gründen, die mental leicht verfügbar sind. In den meisten Fällen kommen Menschen
dadurch zu guten Entscheidungen. Die implizite Logik, der sie sich dabei bedienen,
lautet: „Wenn es mir leicht fällt, die Information abzurufen, dann wird sie wohl richtig
sein.“ Allerdings kommt es durch die Verfügbarkeitsheuristik auch zu Fehlurteilen, wie
Experimente zu Entscheidungsanomalien zeigen (Tversky und Kahneman 1974). Hier
ein Beispiel: Enthält die englische Sprache mehr Wörter, die mit einem „r“ anfangen,
oder mehr Wörter mit einem „r“ an dritter Stelle? Die meisten Befragten entscheiden
sich für die erste Option. Schließlich fallen einem spontan Wörter wie rabbit, rock oder
rainbow deutlich schneller ein als etwa strength. Tatsächlich ist aber die zweite Antwort
richtig.
Die Verfügbarkeitsheuristik spielt für das Konsumentenverhalten eine wichtige Rolle.
Wer etwa im Supermarkt schnell noch Waschmittel kaufen möchte und aus einer schwer
überschaubaren Vielzahl von Angeboten auswählen muss, tendiert dazu, dasjenige Pro-
dukt zu nehmen, das mental leicht verfügbar ist, sprich eine bekannte Marke. Marke-
teer machen sich diesen Effekt zunutze und schalten Werbung in der Hoffnung, dass
Konsumenten sich am Point of Sale an ihre Marke erinnern und die entsprechende Ent-
scheidung treffen.

7.3.2 Repräsentativitätsheuristik

Wenn sich Individuen der Repräsentativitätsheuristik bedienen, dann schätzen sie die
subjektive Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis danach ein, ob das Ereignis eine Eigen-
schaft besitzt, die typisch für die Kategorie ist, zu der das Ereignis gehört. Wenn man
auf der Straße bspw. einer Frau mit Aktenkoffer und Hosenanzug begegnet, hält man
sie eher für eine Geschäftsfrau als für eine Kindergärtnerin. Dies liegt daran, dass die
bei den meisten Menschen im Gedächtnis abgespeicherte mentale Repräsentation einer
Geschäftsfrau besser zu der Erscheinung der Frau passt als die mentale Repräsentation
einer Kindergärtnerin. Repräsentativitätsheuristiken ermöglichen häufig eine schnelle
und gute Entscheidung, gelegentlich kommt es aber auch zu Fehlurteilen. Dies ist insb.
dann der Fall, wenn der Entscheider

• die Basisrate außer Acht lässt.


• die Wahrscheinlichkeiten von Konjunktionen überschätzt.

Als Basisrate bezeichnet man die Häufigkeit eines Merkmals in der Grundgesamt-
heit. Ein Beispiel: Auf dem Universitätsgelände begegnet uns ein junger Mann mit
Rasta-Zöpfen. Studiert er a) BWL oder b) Ethnologie? Viele würden die zweite
Antwortoption als die vermeintlich richtige auswählen. Dabei ist der Anteil an
7.4  Framing- und Kontexteffekte 119

BWL-Studierenden an Universitäten i. d. R. deutlich höher als der Anteil an Ethno-


logie-Studierenden und damit ist auch die Wahrscheinlichkeit für Antwort a) a priori
höher.
Konjunktion bezeichnet das Verknüpfen von zwei Aussagen. Stellen wir uns hierzu
folgendes Beispiel vor. Linda ist eine junge Frau Anfang 30. Sie wohnt in einer Groß-
stadt und setzt sich sehr für Frauenrechte ein. Was ist wohl wahrscheinlicher: a) Linda
ist Angestellte in einer Bank, oder b) Linda ist Angestellte in einer Bank und Feministin?
Die meisten entscheiden sich für Antwort b), was aber falsch ist (Tversky und Kahneman
1983). Schließlich kann die Wahrscheinlichkeit einer Konjunktion – Bankangestellte und
Feministin – nicht größer sein als die Wahrscheinlichkeit eines Einzelereignisses, sprich
Bankangestellte oder Feministin.

7.3.3 Ankerheuristik

Wissenschaftler sprechen von einer Ankerheuristik, wenn sich Individuen bei der Nen-
nung eines Zahlenwertes durch eine zuvor genannte Kontextinformation – i. d. R. eine
andere Zahl – beeinflussen lassen (Tversky und Kahneman 1974). Das Marketing nutzt
diesen Ankereffekt, um Konsumenten zum Kauf hochpreisiger Produkte zu bewegen.
Wer bspw. ein Smartphone für über 750 EUR verkaufen möchte, kann zusätzlich ein
weiteres Modell mit leichter Modifikation (z. B. größerer Speicher) für 100 EUR mehr
anbieten und dadurch den Anker auf 850 EUR hochsetzen, sodass das Smartphone für
750 EUR plötzlich vergleichsweise günstig wirkt.

7.4 Framing- und Kontexteffekte

Die Prospect-Theorie postuliert neben den bereits besprochenen Annahmen, dass die
Präsentation eines Entscheidungsproblems die mentale Repräsentation des Problems
formt. Diese mentale Repräsentation des Entscheidungsproblems wird als Decision
Frame bezeichnet. Dieser entsteht durch

• die Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen aus der Umwelt des Ent-
scheiders.
• durch die Aktivierung vorhandenen Wissens.

Entscheidungsanomalien aufgrund von Framingeffekten setzen dann ein, wenn zwei


identische Entscheidungsoptionen aufgrund unterschiedlicher Darstellung oder For-
mulierung das Entscheidungsverhalten des Konsumenten unterschiedlich beeinflussen
(Tversky und Kahneman 1981).
120 7 Entscheidung

Tab. 7.2  Das Asian-Disease-Problem
Gewinn-Frame Verlust-Frame
Option A 200 Personen werden gerettet 400 Personen werden sterben
Option B Mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 Mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3
werden alle 600 Personen gerettet; zu 2/3 wird niemand sterben; zu 2/3 werden alle
wird keiner gerettet 600 sterben
Eine asiatische Krankheit könnte 600 Menschen das Leben kosten. Es stehen zwei Programme zur
Bekämpfung der Krankheit zur Verfügung. Sie haben unterschiedliche Konsequenzen

Beispiel: Live and let die: Das Asian-Disease-Problem


Kahneman und Tversky (1981) untersuchten den Einfluss unterschiedlicher Frames
und präsentierten Probanden hierzu das in Tab. 7.2 dargestellte Szenario entweder mit
einem Gewinn- oder mit einem Verlust-Frame. Die überwiegende Mehrzahl der Pro-
banden entscheidet sich beim Gewinn-Frame für die sichere Option A (72 %); beim
Verlust-Frame hingegen für die risikoreiche Option B (78 %). Aus Sicht der Pro-
spect-Theorie ist dieser Befund nicht verwunderlich. Schließlich verhalten sich Men-
schen im Gewinnbereich risikovermeidend, im Verlustbereich risikosuchend.

Framings werden auch bei Produktbeschreibungen eingesetzt. Levin und Geath (1988)
zeigten bspw. den Einfluss von Framingeffekten beim Lebensmittelkauf. Konsumenten
sollten zwei identische Angebote für Rinderhackfleisch bewerten: a) 75 % mager (posi-
tiver Frame) und b) 25 % Fettgehalt (negativer Frame). Die Ergebnisse zeigen, dass
Konsumenten das Angebot mit dem positiven Frame besser beurteilen.

7.5 Wie man Konsumentenentscheidungen beeinflusst

Ob Marketeer („Kauf mein Produkt!“), Politiker („Wähle mich!“) oder Nicht-Regie-


rungs- und Non-Profit-Organisationen („Spende 50 Euro für den Regenwald!“): Sie
alle wollen den Konsumenten zu einem bestimmten Verhalten bewegen. Typischerweise
nutzen sie Werbebanner, Radiospots oder die Direktansprache, um das Entscheidungs-
verhalten des Konsumenten zu beeinflussen. Neben diesen vom Konsumenten bewusst
wahrgenommenen Maßnahmen gibt es auch Techniken der unbewussten Entscheidungs-
beeinflussung: Priming und Nudging.

7.5.1 Priming

Unter Priming (engl. Bahnung, Vorbereitung) versteht man, dass das Auftreten eines
bestimmten Ereignisses die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines bestimmten
­Folgeereignisses vergrößert (Gerrig 2014; Abschn. 5.1.3). Wer bspw. wie Lea gerade
7.5  Wie man Konsumentenentscheidungen beeinflusst 121

aus einer schmerzhaften Wurzelbehandlung kommt, bei dem ist das Konzept Zahnpflege
aktiviert. Er wird sich beim Bäcker eher für ein gesundes Brötchen als für ein poten-
ziell Karies verursachendes süßes Gebäck entscheiden. In den vergangenen Jahren prüf-
ten Sozialpsychologen in einer Vielzahl experimenteller Untersuchungen, ob sie mithilfe
von Primes unbewusste Prozesse in Gang setzen können, die dann das Verhalten in eine
bestimmte Richtung beeinflussen (Bargh 2002; Yi 1990).

Beispiel: Kann man Kaufverhalten unbewusst aktivieren? Das Socken-Priming


Chartrand et al. (2008) zeigten, dass verschiedene Primes beim Konsumenten unter-
schiedliche Einkaufsziele aktivieren können. Im Rahmen einer Satzkonstruktionsauf-
gabe setzten sie Probanden entweder Synonymen zu Prestige oder zu Sparsamkeit
aus. Dies war das Priming. Im Anschluss sollten die Versuchsteilnehmer eine hypo-
thetische Kaufentscheidung zwischen zwei Angeboten treffen: „Nike at $ 5.25 a pair
and Hanes at $ 6 for two pairs.“ Probanden der Prestige-Bedingung wählten signi-
fikant öfter die Nike-Socken als Probanden der Sparsamkeits-Bedingung, welche
öfter die Hanes-Socken wählten. Die Ergebnisse legen nahe, dass die Aktivierung
unbewusster Zielrepräsentationen durch Primings individuelles Einkaufsverhalten
beeinflussen kann.

7.5.2 Nudging

Thaler und Sunstein (2008, S. 15) verstehen unter einem Nudge „alle Maßnahmen, mit
denen Entscheidungsarchitekten das Verhalten von Menschen in vorhersagbarer Weise
verändern können, ohne irgendwelche Optionen auszuschließen oder wirtschaftliche
Anreize stark zu verändern“. Wer Nudges einsetzt, gestaltet die Entscheidungssituation
des Konsumenten nach dem Prinzip des libertären Paternalismus. Das heißt, man stellt
dem Konsumenten alle Handlungsoptionen zur Verfügung (Liberalismus-Komponente),
schubst (engl.: to nudge) ihn aber durch die Entscheidungsarchitektur in eine bestimmte
Richtung, die das Wohl des Einzelnen verbessern soll (Paternalismus-Komponente).
Currywurst mit Pommes gehört zu den beliebtesten Speisen deutscher Kantinengänger.
Doch die Schlange ist meist sehr lang. Eine „Fast lane“ für Konsumenten mit einem Salat
auf dem Tablett könnte bspw. ein Nudge sein, der ein gesünderes Essverhalten anschubst.
Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, Nudges umzusetzen. Das Setzen sog. Defaults
(dt. = Standards) ist dabei eine im Marketing häufig angewendete Methode und bedeutet,
dass der Marketeer eine Voreinstellung vornimmt und damit das Entscheidungsverhalten
des Konsumenten in eine vorhersagbare Richtung verändert (Goldstein et al. 2008). Unter-
nehmen nutzen Defaults, um ihre kommerziellen Ziele zu erreichen. Wer bspw. bei einem
Online-Händler etwas bestellt, wird beim Check-out oftmals gefragt, ob er einen News-
letter abonnieren möchte. Das gesetzte Häkchen, gegen das man sich bewusst entscheiden
muss, ist ein Nudge.
122 7 Entscheidung

Beispiel: Einblick in die Nudging-Welt


In dem dreiminütigen Interview erklärt Prof. Richard Thaler mithilfe von Beispielen,
was Nudges sind und wie sie im Alltag nützlich sein können. Scannen Sie den
QR-Code, um das Video zu starten.

7.6 Lernhilfe

Quintessenz
Die normative Entscheidungstheorie geht vom Homo oeconomicus aus. Sie trifft
Aussagen darüber, wie sich der Konsument optimalerweise entscheiden sollte. Die
deskriptive Entscheidungstheorie untersucht empirisch, wie sich der Konsument
tatsächlich entscheidet. Die Prospect-Theorie ist die einflussreichste deskriptive
Entscheidungstheorie. Sie verweist u. a. darauf, dass sich Konsumenten bei einer Ent-
scheidung Heuristiken bedienen, sprich informeller Faustregeln, die die Komplexi-
tät der Urteilsfindung reduzieren. Sie verdeutlicht unter dem Begriff Framing- und
Kontexteffekte auch, dass die Darstellung oder Formulierung eines Entscheidungs-
problems das Entscheidungsverhalten des Konsumenten ebenfalls beeinflusst. Pri-
mes und Nudges sind Techniken, um das Konsumentenverhalten auf subtile Weise zu
beeinflussen.

Übungsfragen und -aufgaben


Vervollständigen Sie folgenden Satz:
Die Prospect-Theorie nimmt an, dass Entscheidungen unter Unsicherheit in zwei
­Phasen ablaufen: der ____________ und der ____________.

Richtig oder falsch?


Das Coding in der Editierphase hat das Ziel, die Komplexität der Entscheidungs-
situation zu reduzieren und damit die Entscheidung zu vereinfachen.

Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an.


Welche dieser Komponenten eines Entscheidungsproblems gehört/gehören zu den
externen Komponenten?
Literatur 123

O Option
O Ziele
O Gründe
O Ereignis
O Konsequenz

Vernetzende Fragestellung
Wenn wir eine Freeware aus dem Internet herunterladen und installieren, so sind im
Installationsmenü häufig schon Häkchen für den Download weiterer Pakete gesetzt.
Der Anbieter „nudged“ uns zu weiteren Installationen. Welche weiteren Nudges
begegnen Konsumenten im Alltag? Benennen und erläutern Sie drei. Wählen Sie
dabei drei möglichst unterschiedliche Lebensbereiche, z. B. im Supermarkt, im
Fitnessstudio, beim Internetsurfen, im Café, bei der Wohnungssuche, am Kiosk etc.

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Interindividuelle Unterschiede
8

u Konsumentenzwillinge mit zwei ungleichen Hunden Gestern hat sich


Lea beim Hundezüchter einen eigenen Hund ausgesucht und sich für einen
Golden Retriever entschieden. Sie freut sich schon auf ausgiebige Spazier-
gänge am Flussufer mit dem aufgeweckten Racker. Endlich wieder öfter raus
in die Natur und etwas für die Fitness tun. Als sie sich diesen Gedanken hin-
gibt, trifft sie Bea, die sie noch aus ihrer Schulzeit kennt. Beide sind 25 Jahre
alt, beide sind in derselben Stadt groß geworden, beide sind in einer festen
Beziehung. Und auch Bea besitzt jetzt einen Hund. „Ja, das gibt’s doch nicht.
Die Lea! Schau mal, das ist mein Schnuffi. Den habe ich erst seit gestern. Ist
der nicht süß?“ „Oh mein Gott“, denkt sich Lea, „was hat Bea da nur für einen
Schickimicki-Köter. Dieses kleine Etwas wird Bea wohl eher in der Handtasche
mit sich herumtragen als bei gemeinsamen Spaziergängen ins Schwitzen zu
kommen. Der Chihuahua wird vermutlich genauso oft und gewissenhaft fri-
siert wie sein Frauchen“.
Wie kommt es, dass sich Lea und Bea in der Auswahl ihres neuen Begleiters
so stark unterscheiden? Ihre Profile sind fast identisch: gleiches Alter, gleiches
Geschlecht, gleiche Herkunft, gleiche Schule, gleiche Familienverhältnisse.
Wie kommen Unterschiede zwischen Konsumenten zustande, wenn es nicht
an diesen Merkmalen liegt?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 125
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_8
126 8  Interindividuelle Unterschiede

Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, …

• was man unter Marktsegmentierung versteht (Abschn. 8.1),


• wie sich das Konsumverhalten mit steigendem Alter ändert (Abschn. 8.2) und
• wie Lebensstile, Werte und Kultur das Konsumverhalten beeinflussen
(Abschn. 8.3),

… indem Sie Unterschiede zwischen Konsumenten durch folgende Modelle


betrachten:

• AIO-Ansatz,
• Lebensstil-Typologien,
• Wertekonzeption von Schwartz und
• Hofstedes Kulturkonzeption.

8.1 Marktsegmentierung

Bislang haben wir uns in diesem Buch vor allem mit psychologischen Prozessen
beschäftigt, die bei allen Konsumenten mehr oder weniger ähnlich ablaufen. Es gibt aber
auch interindividuelle Unterschiede, d. h. Differenzen zwischen verschiedenen Konsu-
menten. Im Einstiegsbeispiel haben wir gesehen, dass Lea und Bea nahezu identische
soziodemografische Profile aufweisen. Man bezeichnet Konsumenten mit solchen Überein-
stimmungen auch als soziodemografische Zwillinge (Halfmann 2014; Sinus-Institut 2015).
Dennoch entscheiden sich Lea und Bea für verschiedene Hunderassen.
Marketingverantwortliche sind stark daran interessiert, Unterschiede zwischen
Konsumenten zu kennen und zu verstehen, da sie ihre Angebote auf bestimmte Ziel-
gruppen zuschneiden möchten. Marktsegmentierung bezeichnet die Aufteilung eines
heterogenen Gesamtmarktes in Untergruppen bei der gleichzeitigen Beachtung der fol-
genden beiden Prinzipien (Wedel und Kamakura 2000; Meffert et al. 2018):

• Innerhalb der Untergruppen sollten die Bedürfnisse und Präferenzen der Konsu-
menten relativ homogen sein und
• zwischen den Untergruppen sollten sie sich möglichst stark unterscheiden.

Um einen Markt anhand empirischer Daten zu segmentieren, nutzen Marktforscher die


Clusteranalyse. Diese Analyse betrachtet mehrere Merkmale der Konsumenten gleich-
zeitig und sie identifiziert Gruppen von Personen, die anhand dieser Merkmale relativ
ähnlich sind.
8.2  Soziodemografische Merkmale 127

Als Kriterien für eine Marktsegmentierung werden häufig geografische, soziodemo-


grafische, psychografische und verhaltensorientierte Merkmale genutzt. Damit eine
Einteilung von Konsumenten in verschiedene Segmente für die praktische Umsetzung
im Marketing sinnvoll ist, sollten die Segmentierungskriterien verschiedenen
Anforderungen standhalten. Dazu zählen die Kaufverhaltensrelevanz, die Eignung für
den Einsatz der Marketing-Instrumente, die Erreichbarkeit der Zielgruppe, die Messbar-
keit des Kriteriums, die zeitliche Stabilität und die Wirtschaftlichkeit der Segmentierung
(Freter 1983, S. 45 ff.; Meffert et al. 2018). Nehmen wir z. B. die Unterscheidung, ob
ein Konsument Hundebesitzer ist oder nicht, als Segmentierungskriterium. Die Kauf-
verhaltensrelevanz dieses Kriteriums ist zweifellos gegeben: Der Besitz eines Hun-
des hat großen Einfluss darauf, ob der Konsument Hundefutter kauft oder nicht. Das
Segmentierungskriterium sollte aber auch mit Forschungsmethoden messbar und mit den
Methoden des Marketings erreichbar und bearbeitbar sein. Hundebesitzer könnte man
z. B. kommunikativ gezielt über Werbeanzeigen in Tierzeitschriften erreichen. Wir wer-
den im Folgenden diskutieren, inwiefern soziodemografische (Abschn. 8.2) und psycho-
grafische (Abschn. 8.3) Merkmale die genannten Kriterien erfüllen.

Hintergrundinfo: Identifizieren Sie selbst interessante Konsumentensegmente


„B4P“ bzw. Best for Planning ist eine gemeinsame Markt-Media-Studie der vier Medienhäuser
Axel Springer, Bauer Media Group, Gruner + Jahr und Hubert Burda Media. Die Studie erfasst
das Konsum- und Mediennutzungsverhalten und basiert auf den Angaben von mehr als 30.000
Befragten, die repräsentativ für die deutsche Bevölkerung sind. Es finden sich Daten zu mehreren
tausend Marken in über 100 Produktbereichen und zu vielen verschiedenen Medien. Die Studie
kann für Zielgruppenanalysen genutzt werden. Das Beste: Die Daten sind online verfügbar. Scan-
nen Sie den QR-Code und führen Sie eigene Analysen durch!

8.2 Soziodemografische Merkmale

Soziodemografische Merkmale sind Bevölkerungsmerkmale, anhand derer man Konsu-


menten bzw. die Mitglieder einer Zielgruppe oder eines Marktsegments beschreiben
kann. Sie lassen sich in demografische und in sozio-ökonomische Variablen unter-
gliedern. Zu Ersteren zählen Alter, Geschlecht und Familienstatus; zu Letzteren zählen
u. a. Bildungsstand, Beruf, Gehalt, Haushaltseinkommen und die soziale Lage.
128 8  Interindividuelle Unterschiede

8.2.1 Alter als Beispiel einer demografischen Variable

Das Alter und das Geschlecht werden in der Praxis besonders häufig verwendet, um
Märkte zu segmentieren. Das liegt vor allem daran, dass sie die beiden genannten
Anforderungen Messbarkeit und Eignung für den Einsatz der Marketing-Instrumente
erfüllen. Sie lassen sich leicht bestimmen – sogar von außen und ohne Messinstrument –
und Unternehmen können sehr einfach ihre Preise, Produktgestaltung, Werbemaßnahmen
etc. auf die anhand von Alter und Geschlecht definierten Zielgruppen ausrichten. Doch
während bspw. unterschiedliche Bekleidungssortimente für Männer und Frauen sicher-
lich sinnvoll sind, sind Unterschiede in vielen Konsumbereichen gar nicht so groß, wie
stereotypisch angenommen. Die Kaufverhaltensrelevanz der demografischen Variablen
ist häufig gering. Psychografische Segmentierungskriterien können das Konsumentenver-
halten häufig viel besser vorhersagen; sie sind aber schwerer erfassbar. Das Einstiegsbei-
spiel zur Auswahl des Haustiers illustriert dies. Lea und Bea sind beide weiblich, gleich
alt, kommen aus der gleichen Stadt, gingen in die gleiche Schule; aber sie besitzen unter-
schiedliche Hunde, weil sie unterschiedliche Lebensstile pflegen. Bea betrachtet sich als
Teil der „Szene“ der Stadt und sie übernimmt die typischen Konsummuster; Lea legt
dagegen Wert auf Natürlichkeit und einen Bezug zur Natur.
Nichtsdestotrotz kann man empirisch auch relevante Unterschiede zwischen ver-
schiedenen Altersgruppen feststellen. Gerade ältere Konsumenten geraten derzeit immer
mehr ins Blickfeld der Unternehmen. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens verschiebt sich
die Altersverteilung in den Industrienationen aufgrund der steigenden Lebenserwartung
und sinkender Geburtenraten dramatisch. Dieser demografische Wandel führt dazu,
dass der Anteil älterer Konsumenten im Vergleich zu jüngeren immer größer wird und
damit das Marktpotenzial steigt. Zweitens ist die ältere Generation im Berufsleben schon
etablierter und besitzt damit im Durchschnitt eine viel höhere Kaufkraft als Jugendliche
oder junge Erwachsene. Jahrzehntelang waren die 14- bis 49-Jährigen die sog. „werbe-
relevante Zielgruppe“ in den Massenmedien. Agenturen und Marketingmanager planten
ihre Werbemaßnahmen so und gestalteten die Medieninhalte so, dass sich diese Ziel-
gruppe angesprochen fühlte. Man hat zwischenzeitlich erkannt, dass ältere Konsumenten
ein nicht zu unterschätzendes Kaufpotenzial aufweisen, und möchte auch diese gezielt
ansprechen. Doch wie unterscheidet sich diese Gruppe von den Jüngeren?
Zweifellos können wir im Alltag Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Konsu-
menten beobachten. Kleinkinder mögen Prinzessin Lillifee, Teenager bewundern LeFloid
und ältere Konsumenten schätzen Günther Jauch. Liegt das wirklich am Alter? Und wenn
ja, wird der heutige LeFloid-Fan dann in 40 Jahren auch „Wer wird Millionär“ schauen?
Verschiedene Altersgruppen unterscheiden sich auch deutlich hinsichtlich Einkommen,
Lebensstil und ihrer Ansprüche an Produkte und Dienstleistungen. Unser erster Impuls
wird sein, diese Unterschiede über das Alter der Konsumenten zu erklären. Als Konsu-
mentenverhaltensforscher muss man sich aber fragen, ob das Lebensalter tatsächlich die
Ursache eines bestimmten Konsummusters ist. Um diese Frage zu beantworten, sollte
man Alters- und Kohorteneffekte voneinander abgrenzen. Alterseffekte hängen vom
8.2  Soziodemografische Merkmale 129

Lebensalter ab. Bei Kohorteneffekten gibt es dagegen nur scheinbar einen Zusammen-
hang mit dem Lebensalter, wenn man zu einem bestimmten Zeitpunkt mehrere Alters-
gruppen miteinander vergleicht. Die Unterschiede können auf die zu einer bestimmten
Zeit vorherrschende Sozialisation (Abschn. 9.2) zurückzuführen sein und sie verschieben
sich im Laufe der Zeit.
Zunächst zum Alterseffekt, den man mit Theorien des Alterns erklären kann (vgl.
Hoffmann et al. 2012, S. 62). Der biologisch-physiologische Ansatz beschreibt das
alternsbedingte „Nachlassen“ verschiedener körperlicher Funktionen. Folgt man die-
sem „Defizitmodell“, so müsste man bspw. Lupen an Einkaufswagen montieren, Smart-
phones mit größeren Tastaturen konzipieren etc., um Barrieren für ältere Konsumenten
abzubauen. Das Defizitmodell ist allerdings eher für sehr alte Senioren relevant und eig-
net sich weniger, um Konsumenten nach dem 50. Lebensjahr von jüngeren abzugrenzen.
Während das Defizitmodell für alle älteren Konsumenten eine ähnliche Prognose trifft,
sieht man in der Realität jedoch sehr viele Facetten und verschiedene Lebensstile in der
Generation 50plus. Der psychologisch-soziologische Ansatz trägt dem Rechnung, indem
er individuell unterschiedliche Entwicklungen im Alter aufgrund von Interessen, Lebens-
stilen etc. vorsieht. Zudem sollte das subjektive Alter beachtet werden, d. h. die Frage,
wie alt sich der Konsument fühlt. Es ist häufig deutlich niedriger als das tatsächliche
Alter und die Diskrepanz nimmt mit steigendem Alter zu. Außerdem spielt es für das
Kaufverhalten häufig eine größere Rolle als das biologische Alter. Zusammenfassend
kann man feststellen, dass Konsumenten individuell altern und dass die Heterogenität
älterer Konsumenten groß ist. Unternehmen nehmen deshalb auch zunehmend innerhalb
der älteren Konsumenten Segmentierungen vor.
Trotz dieser Heterogenität im Alter wird man selten ältere Konsumenten finden, die
den YouTube-Channel von LeFloid verfolgen. Heißt das nun, dass die jetzigen LeFloid-
Fans sich später auch abwenden werden? Nicht unbedingt. Die Erklärung wird in diesem
Fall ein Kohorteneffekt sein. Auch die häufig getroffene Aussage, dass ältere Menschen
schlechter mit einem Tablet umgehen können, ist vermutlich kein Alterseffekt, son-
dern eine Frage des Geburtsjahrs. Unter einer Alterskohorte versteht man eine Gruppe
von Personen, die im selben Zeitraum geboren wurden. Sie wuchsen damit unter ähn-
lichen allgemeinen Rahmenbedingungen auf (z. B. Nachkriegszeit, neue technische
Entwicklungen, Ölkrise, Finanzkrise). Angehörige einer Alterskohorte bilden ähnliche
Interessen, Einstellungen und Verhaltensmuster aus, die sich von früheren oder späteren
Gruppen unterscheiden. Für das Marketing sind vor allem die Einflüsse der Kohorten-
zugehörigkeit auf das Kaufverhalten interessant. Man unterscheidet momentan insb.
die Kohorten Baby Boomer und die sog. Generationen X, Y und Z, die in Tab. 8.1 kurz
charakterisiert sind (Scholz 2014). Es ist deshalb beim Vergleich verschiedener Alters-
gruppen immer darauf zu achten, ob Unterschiede tatsächlich auf das Alter oder viel-
leicht auch auf die Kohorte zurückzuführen sind.
130

Tab. 8.1  Generationskonzepte. (Auf Basis von Belch und Belch 2011, S. 137; Scholz 2014)
Baby Boomer Gen X Gen Y (Millennials) Gen Z
Geburtsjahr Ab 1950 Ab 1965 Ab 1980 Ab 1995
Grundhaltung Idealismus Skeptizismus Optimismus Realismus
Hauptmerkmal Selbsterfüllung Perspektivenlosigkeit Leistungsbereitschaft „Flatterhaftigkeit“
Einkaufsverhalten Höchste jährliche Ausgaben Hoher subjektiver Zeitdruck, Hohe Wahrscheinlichkeit Noch recht unbekannt und
aller Gruppen, bevorzugen eher geplante Einkäufe für Impulskäufe, Online- schwer vorherzusagen,
lokale Geschäfte Shopping, geben Online- Smartphone, Social Media
Referenzen ab
8  Interindividuelle Unterschiede
8.3  Psychografische Variablen 131

8.2.2 Sozialer Status als Beispiel einer sozio-ökonomischen


Variablen

Der soziale Status einer Person leitet sich daraus ab, wie die Position bzw. funktionale
Einordnung der Person in ein soziales System bewertet wird und welche Wertschätzung
sie erfährt (Foscht et al. 2017, S. 152 ff.). So erfährt bspw. die Berufsgruppe der Ärzte
traditionell eine hohe Wertschätzung, während Versicherungsvermittler eher skeptisch
betrachtet werden. Blackwell et al. (2001, S. 347 f.) zufolge bestimmt sich der soziale
Status anhand folgender Kriterien: erstens ökonomische Variablen wie der Beruf, das
Einkommen und das Vermögen; zweitens interaktionale Variablen wie das persönliche
Prestige, die Vernetzung und die Sozialisation und drittens politische Variablen wie
Macht, Klassenbewusstsein und Mobilität. Eine soziale Schicht besteht aus Personen,
die einen ähnlich hohen sozialen Status aufweisen. Für das Marketing ist die soziale
Schicht relevant, da sie eine große Vorhersagekraft für das Kaufverhalten besitzt.

8.3 Psychografische Variablen

Psychografische Variablen weisen häufig eine größere Kaufverhaltensrelevanz auf als


soziodemografische Variablen. Zu den psychografischen Variablen zählen u. a. Lebens-
stile, Werte und kulturelle Prägung.

8.3.1 Lebensstile

Der Lebensstil umfasst die Persönlichkeit, Werte und Verhaltensweisen einer Person
und ist assoziiert mit verschiedenen psychologischen Zuständen, Eigenschaften und Dis-
positionen (Holt 1997). Anders als Werte beziehen sich Lebensstile nicht nur auf innere
Zustände, sondern manifestieren sich im beobachtbaren (Konsum-)Verhalten (Hoyer
et al. 2012, S. 401). Ein Lebensstil beinhaltet bspw. auch, was einer Person wichtig ist
und womit sie ihre Zeit verbringt. Lebensstile hängen auch damit zusammen, wie Konsu-
menten das ihnen zur Verfügung stehende Einkommen zwischen verschiedenen Produk-
ten und Dienstleistungen aufteilen und welche Produkte sie innerhalb einer Kategorie
auswählen. Lebensstile sind damit ein relativ breites Konstrukt. Ein weit verbreiteter
Ansatz, sie zu konkretisieren und messbar zu machen (d. h. zu „operationalisieren“), ist
der AIO-Ansatz (Wells und Tigert 1971, S. 27 ff.; Plummer 1974). Das Akronym steht
für die folgenden drei Begriffe:

• Activities (Aktivitäten): z. B. bzgl. Arbeit, Einkaufen, Freizeit, Urlaub, Sport, Mit-
gliedschaften
• Interests (Interessen): z. B. bzgl. Beruf, Familie, Mode, Heim, Ernährung
• Opinions (Meinungen): z. B. bzgl. Wirtschaft, Politik, Soziales, Bildung, Zukunft
132 8  Interindividuelle Unterschiede

Häufig werden auch noch demographische Variablen hinzugenommen, um Konsumenten


bestimmten Lebensstilen zuzuordnen. Lebensstile eignen sich deshalb dazu, bestimmte
soziale Gruppen abzugrenzen. Sie bieten damit einen ganzheitlichen Ansatz, um Konsu-
menten für Marketingmaßnahmen zu segmentieren (Lastovicka 1982). Lebensstiltypo-
logien sind weit verbreitet und werden von vielen großen Marktforschungsinstitutionen
bereitgestellt. Typische Beispiele sind die Sinus-Milieus des Sinus Instituts, die Roper
Consumer Styles der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) oder die „Values and
Lifestyles“-Typologie (VALS) (z. B. Kahle et al. 1986) von Strategic Business Insights
(SBI) (Tab. 8.2).
Unter einem sozialen Milieu versteht man eine Gruppe gleicher Gesinnung, die sich
durch ähnliche Werte, Einstellungen und Meinungen ausdrückt (Hradil 2010, S. 230). Die
Milieu-Studien des Markt- und Sozialforschungsinstituts Sinus Sociovision bspw. nutzen
u. a. die soziale Lage zur Segmentierung von Konsumenten (Sinus-Institut 2015): Sie tei-
len die Bevölkerung in Ober-, Mittel- und Unterschicht ein. Um Milieus zu definieren,
nutzt dieser Ansatz neben der sozialen Lage die Grundorientierung als zweites Kriterium.
Demnach richten sich manche Konsumenten an traditionellen Werten wie Pflichterfüllung
und Ordnung aus. Andere streben nach Modernisierung (inkl. Individualisierung, Selbst-
verwirklichung und Genuss). Eine dritte Gruppe verfolgt eine Neuorientierung im Sinne
von Multioptionalität, Experimentierfreude oder einem Leben in Paradoxien. Anhand
der zwei Dimensionen soziale Lage und Grundorientierung lassen sich zahlreiche Seg-
mente definieren. So ist bspw. das Milieu der Konservativ-Etablierten hauptsächlich in
der Oberschicht zu verorten. Es zeichnet sich zudem durch traditionelle Werte aus. Im
Gegensatz dazu gehören Hedonisten der Unter- oder Mittelschicht an und befürworten
eine Neuorientierung. Derartige Milieu-Studien helfen, Konsumenten ganzheitlich wahr-
zunehmen und viele für das Konsumentenverhalten bedeutende Aspekte gleichzeitig zu
berücksichtigen. Markenartikelhersteller und Dienstleister aller Branchen ebenso wie
Politiker, Medien und Verbände sowie Werbe- und Mediaagenturen ziehen Befunde der
Milieu-Studien für die strategische Planung ihrer Marketingmaßnahmen heran.

Tab. 8.2  Etablierte Lebensstiltypologien
Typologie Organisation Dimensionen Typen
Sinus-Milieus Sinus Institut Soziale Lage Konservativ-Etablierte, Liberal-
Grundorientierung Intellektuelle, Performer, Expeditive,
Sozial-ökologische, Adaptiv-
Pragmatische, Bürgerliche Mitte,
Traditionelle, Hedonisten, Prekäre
Roper GfK Haben vs. Sein Träumer, Abenteurer, Weltoffene,
Consumer Frieden/Sicherheit vs. Häusliche, Realisten, Kritische,
Styles Leidenschaft leben Bodenständige, Anspruchsvolle
Values and SRI Consulting Ressourcen Innovatoren, Denker, Glaubende,
Lifestyle Business Primäre Motivation Erfolgreiche, Nacheifernde,
Survey (VALS) Intelligence Austester, Macher, Überlebende
8.3  Psychografische Variablen 133

8.3.2 Wertorientierungen

Werte beziehen sich gemäß Rokeach (1969) auf allgemeine Lebensziele und Verhaltens-
regeln. Sie verkörpern, was der Einzelne oder eine soziale Gruppe als wünschenswert
erachtet. Werte sind relativ stabil und dauerhaft und sie adressieren – anders als Ein-
stellungen – mehrere Objektbereiche. Wer bspw. dem Wert „gesund leben“ folgt, der
wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit gesund ernähren, nicht rauchen, viel Sport trei-
ben, viel schlafen, häufig zur Vorsorge gehen etc. Allerdings lassen sich globale und
bereichsspezifische Werte unterscheiden (Vinson et al. 1977). Globale Werte sind zen-
tral für die Person. Sie sind zeitlich überdauernd und dienen als Richtlinie für Verhalten
in verschiedenen Kontexten (z. B. Freiheit, Fairness, Selbstverwirklichung). Bereichs-
spezifische Werte beziehen sich nur auf bestimmte Aspekte des Lebens wie das Arbeits-
leben, das Verhalten als Konsument oder als Familienmitglied. Jede Person verfügt über
deutlich mehr bereichsspezifische Werte als globale Werte. Sie sind weniger abstrakt und
haben stärkeren Einfluss auf das Konsumverhalten.
Werte dienen einer Person als Richtlinie dafür, wie sie sich in bestimmten Situatio-
nen verhält, und als Bewertungsmaßstab dafür, wie sie eigene und fremde Verhaltens-
weisen bewertet. Werte besitzen große Bedeutung für das Konsumentenverhalten, denn
Konsumenten sind prinzipiell daran interessiert, Produkte zu kaufen, die ihren Werten
entsprechen. Dadurch kann der eigenen Grundhaltung und Identität Ausdruck verliehen
werden. Lea hätte sich im Einstiegsbeispiel nicht für dieselbe Hunderasse entschieden
wie Bea, da sie über ihren tierischen Gefährten andere Werte ausdrücken möchte als
ihre ehemalige Klassenkameradin. Auch Marken stehen häufig für bestimmte Werte und
können Konsumenten deshalb helfen, sie zu verkörpern. Wer auf Apple-Produkte setzt,
möchte bspw. ausdrücken, welche Bedeutung technologische Überlegenheit, Design und
Status für ihn besitzen.
Die Wertkonzeption von Schwartz (1999, S. 26 ff.) baut auf den Vorarbeiten von
Rokeach (1969, 1986) auf. Sie unterscheidet die folgenden sieben Werte, die sich anhand
von drei Dimensionen anordnen lassen. Die diametral entgegengesetzten Endpunkte tre-
ten nicht gemeinsam auf.

• Hierarchie vs. Gleichheit. Die Wertorientierung Hierarchie legitimiert die ungleiche


Verteilung von Macht, Rollen und Ressourcen (z. B. soziale Macht, Autorität, Wohl-
stand). Bei der Fokussierung auf Gleichheit überwindet man dagegen eigennützige
Interessen und setzt sich für die Bedürfnisse anderer ein (z. B. soziale Gerechtigkeit,
Freiheit, Verantwortung). Beispielsweise würde ein hierarchiebewusster Konsument
im Gegensatz zu einem gleichheitsorientierten bei einer Bahnfahrt Wert darauf legen,
erster Klasse zu fahren und sonstige Sonderbehandlungen zu erhalten.
• Harmonie vs. Herrschaft: Der Wert Harmonie drückt sich darin aus, dass man im Ein-
klang mit der natürlichen Umwelt lebt (z. B. Umweltschutz). Wer sich am Wert Herr-
schaft orientiert, betrachtet hingegen Durchsetzungsvermögen und Selbstbewusstsein
134 8  Interindividuelle Unterschiede

als Zeichen von Erfolg (z. B. Ehrgeiz, Leistung, Kompetenz). Ein herrschaftsorientierter
Konsument wird stärker als ein harmonieorientierter dazu neigen, sich bei einer
­Verspätung des Zuges zu beschweren.
• Konservatismus vs. intellektuelle bzw. affektive Autonomie: Konservatismus zeigt
sich darin, dass man am Status quo festhält und Handlungen beschränkt, welche die
traditionelle Ordnung in Gefahr bringen könnten (z. B. soziale Ordnung, Respekt vor
Traditionen, Weisheit). Der Gegenpol lässt sich in zwei Aspekte unterteilen. Der Wert
intellektuelle Autonomie führt dazu, dass man individuelle Ziele und intellektuelle
Interessen verfolgt (z. B. Neugierde, Offenheit, Kreativität). Affektive Autonomie
bezeichnet die Suche nach positiven emotionalen Erlebnissen (z. B. Vergnügen, Erleb-
nisse, Abwechslung). So sucht der konservative Bahnfahrer das saubere Zugabteil,
während sich der intellektuell Autonome auf die potenzielle Bekanntschaft mit einem
noch unbekannten Reisenden freut, der anregende Geschichten zu erzählen weiß.

Neben der Wertekonzeption von Schwartz (1999) unterscheidet man auch zwischen
persönlichen bzw. individuellen Werten und kollektiven Werten, d. h. Werten, die in
einer sozialen Gruppe verbreitet sind. Viele Werte werden sozial erworben und sozial
geteilt. So könnte Leas ausgeprägtes Umweltbewusstsein evtl. darauf zurückzuführen
sein, dass viele ihrer Lehrerinnen und Lehrer diesen Wert hochhielten und auch viele
ihrer Freunde den Schutz der Umwelt befürworten. Häufig werden Werte bereits im
Kindesalter erworben; sie unterscheiden sich auch zwischen Familien, verschiedenen
Altersgruppen und sozialen Schichten. Deshalb stehen Werte im Kern der Betrachtung
von kulturellen Unterschieden (Müller und Gelbrich 2015), wie wir im nächsten
Abschnitt sehen werden. Da sich Werte innerhalb einer sozialen Gruppe ähneln und sich
zwischen verschiedenen Gruppen unterscheiden, dienen sie dem Marketing zur Ziel-
gruppendefinition und als Segmentierungsansatz.

8.3.3 Interkulturelle Unterschiede

Das breiteste und abstrakteste Konzept, das Einfluss auf das Konsumentenverhalten
nimmt, ist die Kultur. Sie wird häufig auf der Ebene von Nationen betrachtet. Das heißt,
Landesgrenzen werden häufig als sog. Proxy-Variablen (Hilfsvariable) für Kulturen ein-
gesetzt. Allerdings dürfen kulturelle Räume nicht mit nationalen Grenzen gleichgesetzt
werden. Ein Hamburger, der sich unvorbereitet auf einem niederbayerischen Volksfest
wiederfindet, mag dies bestätigen. Kulturelle Räume können sich auf Länder, aber auch
auf Regionen, gesellschaftliche Gruppen (sog. Subkulturen) etc. beziehen. Sie enden
aber nicht zwangsläufig an nationalen Grenzen. Nach Müller und Gelbrich (2015, S. 25)
ist Kultur ein verbindendes Element für größere Gemeinschaften und sie dient gleich-
zeitig der Abgrenzung von anderen Gemeinschaften. Es bilden sich kulturspezifische
Normen, Tabus, Werte und Gewohnheiten aus, die nicht angeboren sind, sondern von
8.3  Psychografische Variablen 135

Individualismus Kollektivismus
Westliche Östliche und
Industriena
onen weniger
Ist der Einzelne stärker … oder ist er in eine entwickelte Länder
für sich selbst Gemeinschaft eingebunden
verantwortlich, … und zu Loyalität verpflichtet?

hoch Akzeptanz von Machtdistanz gering


Osteuropa, Asien, Englisch- und
Lateinamerika, deutschsprachige,
Afrika Erwarten und akzeptieren … oder akzeptieren westliche Länder
weniger einflussreiche sie die ungleiche
Mitglieder eine ungleiche Verteilung von
Verteilung von Macht, … Macht nicht?

Maskulinität Femininität
Japan, Skandinavien,
deutschsprachige Niederlande
Länder Unterscheiden sich die … oder
geschlechtsspezifischen unterscheiden sie
Rollenerwartungen stark, … sich kaum?

hoch Unsicherheitsvermeidung gering


Ost-/Mi­eleuropa, Englischsprachige
Lateinamerika, Japan, Länder, Skandinavien,
deutschsprachige Fühlen sich Personen in … oder können China
Länder ungewissen und unbekannten sie damit gut
Situationen bedroht, … umgehen?

langfristig Orientierung kurzfristig


Ostasien, USA, Australien,
Ost- und Lateinamerika, Afrika,
Mi­eleuropa Berücksichtigen Personen, … oder handeln sie muslimische Länder
welche Konsequenzen aufgrund ihres Traditions-
ihr Verhalten langfristig bewusstseins und sozialer
haben könnte, … Verpflichtungen?

Genussorientierung Selbstbeherrschung
Nord-/Südamerika, Osteuropa,
Westeuropa, Asien,
teils Subsahara Wird es als wünschens- … oder sollte das muslimische Länder
wert erachtet, dass Bedürfnis nach Kontrolle
Bedürfnisse ungehindert über das eigene Leben
befriedigt werden, … überwiegen?

Abb. 8.1  Hofstedes Kulturdimensionen. (In Anlehnung an Hofstede et al. 2010; Müller und


Gelbrich 2015)
136 8  Interindividuelle Unterschiede

den Mitgliedern der jeweiligen Kultur erlernt werden. Kultur ist damit ein Orientierungs-
system, das starken Einfluss auf das Verhalten der Kulturangehörigen ausübt.
Verschiedene Kulturen weisen unterschiedliche Wertesysteme auf. Werte lassen sich
also nicht nur individuell verorten, sondern auch auf der Gruppen- oder gesellschaft-
lichen Ebene. Um Kultur messbar zu machen, verwendet man in der Konsumenten-
forschung meist sog. dimensionale Ansätze. Das heißt, man beschreibt nicht einzelne
Kulturen, sondern sucht mehrere voneinander unabhängige Dimensionen, anhand derer
man die kulturelle Ausprägung verschiedener Gruppen systematisch einordnen kann. Die
bekannteste Kulturkonzeption stammt von dem niederländischen Organisationsforscher
Geert Hofstede. Diese Konzeption unterscheidet in der aktuellen Fassung die sechs in
Abb. 8.1 dargestellten Dimensionen (Hofstede et al. 2010). Die wichtigste Dimension
mit der höchsten Trennschärfe und Erklärungskraft ist die Dimension Individualismus/
Kollektivismus. Insbesondere angelsächsische Länder gelten gemeinhin als stark indivi-
dualistisch, während asiatische Länder eher dafür bekannt sind, kollektivistisch orientiert
zu sein; d. h., der Einzelne richtet sein Verhalten an der für ihn relevanten Gruppe (z. B.
der Familie) aus und ordnet persönliche Ziele unter. Neben dem Ansatz von Hofstede
beschreibt das GLOBE-Projekt (House et al. 2004), bei dem mehr als 170 Forscher bei
der weltweiten Datenerhebung mitwirkten, neun kulturelle Dimensionen, die jeweils
als vorherrschende Praxis („as it is“), aber auch als Werte („as it should be“) verstanden
werden können.

Hintergrundinfo: Vergleichen Sie die kulturellen Profile verschiedener Länder


Daten und Befunde von Geert Hofstede sind auf der Website „The Hofstede Centre©“ dokumen-
tiert. Wenn Sie den QR-Code scannen, können Sie eigene Ländervergleiche durchführen.

8.4 Lernhilfe

Quintessenz
Zwischen Konsumenten bestehen große interindividuelle Unterschiede. Diese
Heterogenität spiegelt sich in Konsumpräferenzen und Marktreaktionen wider. Die
Marktsegmentierung zielt darauf ab, Cluster zu bilden, die intern homogen und
untereinander relativ heterogen sind. Soziodemografische Segmentierungskriterien
besitzen meist geringe Verhaltensrelevanz. Höhere Prognosekraft besitzen psycho-
grafische Kriterien wie Werte oder Lebensstile. Auch zwischen Angehörigen ver-
schiedener Kulturräume zeigen sich große Unterschiede im Konsumverhalten.
8.4 Lernhilfe 137

Übungsfragen und -aufgaben


Vervollständigen Sie folgenden Satz:
Zwischen Konsumenten bestehen große interindividuelle Unterschiede. Die Markt-
segmentierung zielt darauf ab, Cluster von Konsumenten zu bilden, die intern
____________ und untereinander relativ ____________ sind. Die ____________
wird als Methode eingesetzt, um die Segmente zu identifizieren.

Richtig oder falsch?


Soziodemografische Variablen wie das Alter und das Geschlecht werden in der Praxis
häufig als Segmentierungskriterien genutzt, da sie eine hohe Kaufverhaltensrelevanz
besitzen.

Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an.


Welche der folgenden Konzepte nutzen das Konzept Lebensstil, um Konsumenten zu
segmentieren?

O Sinus-Milieus
O Generation X, Y, Z
O Hofstede-Ansatz
O Roper Consumer Styles
O VALS
O GLOBE-Projekt

Vernetzende Fragestellung
Lea und Ben beobachten, dass es immer mehr verschiedene Kaffeevariationen gibt
und dass die Kaffeetrinker in ihrem Bekanntenkreis ganz bestimmte Arten bevor-
zugen. Einige pragmatische Bekannte trinken hauptsächlich Instant-Kaffee, während
manche Kaffeeliebhaber auf Espresso schwören. Wieder andere bestellen immer Latte
macchiato und bestimmte Personen brühen sich immer noch oder wieder Filterkaffee
auf. Die Liste ist bei Weitem noch nicht vollständig. Sicherlich kennen Sie diese
verschiedenen Kaffeetrinker-Typen auch aus Ihrem Bekanntenkreis. Fertigen Sie
eine Liste an. Überlegen Sie dann, welche Eigenschaften die verschiedenen Kaffee-
trinker-Typen auszeichnen. Lassen sich die verschiedenen Typen evtl. den Clustern
einer Lebensstiltypologie zuordnen? Überlegen Sie, welche Werte und Motive die
verschiedenen Typen wohl haben. Wenden Sie beim nächsten Mal, wenn Sie Ihre
Bekannten treffen, vorsichtig die in Abschn. 3.5 beschriebene Laddering-Technik an,
um herauszufinden, welche Motive und Werte tatsächlich hinter der Kaffeewahl ste-
hen. Überlegen Sie, wie ein Kaffeeröster dieses Wissen nutzen könnte, um seine Pro-
dukte zielgruppenspezifisch zu vermarkten.
138 8  Interindividuelle Unterschiede

Weiterführende Literatur

Halfmann, M. (Hrsg.). (2014). Zielgruppen im Konsumentenmarketing: Segmentierungsansätze –


Trends – Umsetzung, Wiesbaden: Springer Gabler.
Müller, S., & Gelbrich, K. (2015). Interkulturelles Marketing (2. Aufl.). München: Vahlen.
Wedel, M., & Kamakura, W. A. (2000). Market segmentation. Conceptual and methodological
foundations (2. Aufl.). Heidelberg: Springer.

Literatur

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Blackwell, R. D., Miniard, P. W., & Engel, J. F. (2001). Consumer behavior (9. Aufl.). Orlando:
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Foscht, T., Swoboda, B., & Schramm-Klein, H. (2017). Käuferverhalten. Grundlagen – Perspekti-
ven – Anwendungen (6. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler.
Freter, H. (1983). Marktsegmentierung. Stuttgart: Kohlhammer.
Halfmann, M. (2014). Der Konsument von morgen – Vom Homo oeconomicus zum Homo mysti-
cus. In M. Halfmann (Hrsg.), Zielgruppen im Konsumentenmarketing: Segmentierungsansätze –
Trends – Umsetzung (S. 1–15). Wiesbaden: Springer Gabler.
Hoffmann, S., Liebermann, S., & Schwarz, U. (2012). Ads for mature consumers: The importance
of addressing the changing self-view between the age groups 50+ and 60+. Journal of Promo-
tion Management, 18(1), 60–82.
Hoffmann, S., Franck, A., Schwarz, U., Soyez, K., & Wünschmann, S. (2018). Marketing-
Forschung. Grundlagen der Datenerhebung und Datenauswertung. München: Vahlen.
Hofstede, G., Hofstede, G. J., & Minkov, M. (2010). Cultures and organizations – software of the
mind: Intercultural cooperation and its importance for survival (3. Aufl.). London: McGraw-
Hill.
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Soziale Umwelt
9

u Lea will nicht mit ins neue Burgerrestaurant  „Lea, nun komm doch mit!“,
Ben ist verzweifelt. Sein Schulfreund Jan ist zu Besuch in der Stadt und sie
wollen wie in alten Zeiten einen Burger essen, bevor sie ausgehen. Da kommt
das neue Restaurant um die Ecke gerade recht. Allerdings weigert sich Lea
mitzukommen. „Was, wenn mich dort jemand sieht? Ich bin seit zwei Mona-
ten Veganerin und da kann ich mich doch nicht in einem Burgerrestaurant
blicken lassen.“ „Komm doch mir zuliebe mit“, bittet Ben. „Übrigens, Vanessa,
die ja immer alle neuen Läden zuerst kennt, hat mir erzählt, dass es dort ganz
hervorragende vegane Burger gibt. Sie weiß, was hip ist, und wenn sie das
Burgerrestaurant empfiehlt, dann kannst du dort auf jeden Fall aufschlagen.“
Wie wird sich Lea entscheiden? Zweifellos trifft man Konsument-
scheidungen selten alleine. Sehr oft erfolgt eine Absprache mit dem sozialen
Umfeld oder man nimmt zumindest gedanklich die Reaktionen des sozia-
len Umfelds vorweg. Doch unter welchen Umständen ist das soziale Umfeld
besonders relevant und nach wem richten sich Konsumenten?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 141
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_9
142 9  Soziale Umwelt

Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, …

• wie Bezugsgruppen das Konsumverhalten beeinflussen (Abschn. 9.1),


• wie Menschen in die Rolle des Konsumenten hineinwachsen (Abschn. 9.2),
• wann der Einzelne seine Entscheidungen an andere anpasst (Abschn. 9.3),
• was Meinungsführer auszeichnet (Abschn. 9.4) und
• wann Konsumenten nichts tun, weil andere das schon erledigen (Abschn. 9.5),

… indem Sie die soziale Umwelt durch folgende Theorien und Modelle
betrachten:

• Theorie des sozialen Vergleichs,


• Theorie der sozialen Identität,
• Rollentheorie und
• soziales Dilemma.

Die Meinungen und das Verhalten von Freunden und Bekannten, von Nachbarn und
Arbeitskollegen, aber auch von Feinden und Neidern beeinflussen in starkem Maße die
Entscheidungen und das Verhalten von Konsumenten. Dass Konsumenten soziale Wesen
sind, wird auch daran deutlich, dass viele häufig gemeinsam shoppen, sich von anderen
beraten lassen oder sich von deren Konsumerfahrungen inspirieren lassen. Wie kommt
es, dass man einen gemeinsamen Kinoabend anders wahrnimmt, als wenn man alleine
im Kino gewesen wäre (Raghunathan und Corfman 2006) und warum ähneln sich der
Kleidungsstil, die Frisuren etc. innerhalb eines Freundeskreises (Reingen et al. 1984)?
Zur Beantwortung dieser Fragen müssen wir uns zunächst mit dem Konstrukt der
Bezugsgruppen beschäftigen (Abschn. 9.1). Anschließend betrachten wir, wie Menschen
in die Rolle des Konsumenten hineinwachsen und nach und nach die in ihrer relevan-
ten Gruppe üblichen Konsummuster übernehmen (Abschn. 9.2) sowie wie das soziale
Umfeld die Einhaltung dieser Muster kontrolliert (Abschn. 9.3). Daraufhin werden wir
uns ansehen, wie einzelne Personen, die sog. Meinungsführer, besonders starken Einfluss
auf die Konsummuster anderer ausüben (Abschn. 9.4). Schließlich betrachten wir Kon-
flikte in Situationen, bei denen es darauf ankommt, dass Konsumenten ihr Konsumver-
halten aufeinander abstimmen (Abschn. 9.5).
9.1 Bezugsgruppen 143

9.1 Bezugsgruppen

9.1.1 Formen von Bezugsgruppen

Bezugsgruppen sind Gruppen (oder manchmal auch nur einzelne Personen), die Einfluss
darauf nehmen, wie Konsumenten ihre Umwelt wahrnehmen, welche Einstellungen und
welches Wissen sie ausbilden und vor allem welches Verhalten sie ausüben (Bearden und
Etzel 1982, S. 184). Es lassen sich drei Typen von Bezugsgruppen unterscheiden (Hoyer
et al. 2012, S. 305):

• Assoziative Bezugsgruppen sind jene Gruppen, denen man momentan angehört.


Das kann bspw. der Freundeskreis, die Familie oder die Arbeitsgruppe sein. Im Ein-
stiegsbeispiel gehört Lea der Gruppe ihrer vegan lebenden Freundinnen an. Für
das Marketing interessant sind auch sog. „Brand Communities“, d. h. Gruppen von
Konsumenten, die eine besondere Verbundenheit zu einer bestimmten Marke auf-
weisen.
• Aspiratorische Bezugsgruppen sind jene Gruppen, die man bewundert. Man
wünscht sich, so zu sein wie diese idealisierten Figuren. Hierzu zählen bspw.
berühmte Schauspieler, Sportler, Musiker oder ähnliches.
• Disassoziative Bezugsgruppen sind Gruppen, deren Werte und Einstellungen man
bewusst ablehnt. Um sich abzugrenzen, verhält man sich gezielt anders als diese
Gruppe. Für viele Apple-Jünger sind gewöhnliche PC-Nutzer eine Gruppe, von der
sie sich möglichst abgrenzen möchten. Und Lea möchte im Einstiegsbeispiel auf
keinen Fall mit Personen in Verbindung gebracht werden, die aus ihrer Sicht ver-
antwortungslos in einem Burgerrestaurant konsumieren.

Bezugsgruppen lassen sich ferner nach den folgenden Kriterien unterscheiden (Hoyer
et al. 2012, S. 306 ff.; Solomon et al. 2013, S. 395 ff.):

• Formelle vs. informelle Bezugsgruppen: Eine Bezugsgruppe kann eine formelle


Gruppe wie bspw. eine Schulklasse, aber auch eine informelle Gruppe wie das Treffen
von Freunden sein (so wie Lea, Ben und Jan im Einstiegsbeispiel). Kleine informelle
Gruppen sind für das Marketing weniger leicht greifbar; sie sind aber besonders rele-
vant, da sie starken normativen Einfluss ausüben. Mit normativem Einfluss ist dabei
gemeint, dass der Einzelne sich verpflichtet fühlt, soziale Normen der Gruppe ein-
zuhalten, und dass er bei Missachtung gegebenenfalls mit negativen Konsequenzen
rechnen muss.
• Primäre vs. sekundäre Bezugsgruppen: Zu primären Bezugsgruppen hat man häu-
fig persönlichen Kontakt (z. B. Familie und Freunde), während dies bei sekundären
Bezugsgruppen nicht der Fall ist. Im Einstiegsbeispiel wäre dies die Gruppe der urba-
nen Veganerinnen, denen sich Lea verpflichtet fühlt. Im Zuge von Social Media mit
144 9  Soziale Umwelt

Plattformen wie Facebook, Twitter, Pinterest, XING etc. nimmt der Einfluss von Per-
sonen, zu denen man keinen direkten Kontakt hat, auf das Konsumverhalten immer
mehr zu.

Weitere Kriterien zur Klassifizierung von Bezugsgruppen sind die Ähnlichkeit der
Gruppenmitglieder, die Attraktivität der Gruppe, die Stärke der Identifikation der Mit-
glieder mit der Gruppe und die Intensität der Verbindungen untereinander (Hoyer et al.
2012, S. 306 ff.).

9.1.2 Einfluss von Bezugsgruppen

Bezugsgruppen können direkten Einfluss auf das Konsumverhalten nehmen; bspw. wenn
Kinder mitbestimmen möchten, welchen Urlaub die Eltern buchen. Bezugsgruppen kön-
nen aber auch Normen und Erwartungen etablieren, die das Konsumverhalten indirekt
beeinflussen. Bearden und Etzel (1982, S. 184) identifizieren drei Arten des Bezugs-
gruppeneinflusses:

• Informatorischer Einfluss: Konsumenten möchten in vielen Fällen gut informierte


Entscheidungen treffen. Bei Unsicherheit bestehen verschiedene Möglichkeiten, die
erforderlichen Informationen einzuholen, wobei die Glaubwürdigkeit der Quelle
als Schlüsselfaktor gilt. So können Ratsuchende bspw. bei Experten und Fachleuten
Informationen einholen. Oder sie bitten Mitmenschen im persönlichen Umfeld um
Rat, wie Familienangehörige, Freunde, Bekannte oder Kollegen. Die Beobachtung
des Konsumverhaltens dieser Personen kann ebenfalls informatorischen Wert
besitzen. Lea könnte sich bspw. bei einem Arzt oder einem befreundeten Veganer
informieren, wenn sie unsicher ist, ob der Verzicht auf tierische Produkte gesundheits-
gefährdend sein könnte.
• Utilitaristischer Einfluss: Um positive Verstärkungen zu erhalten oder soziale Sank-
tionen bzw. Missbilligung zu vermeiden, passen sich Konsumenten häufig den Wün-
schen und Vorstellungen anderer an. Es ist also relevant, welche Präferenzen das
soziale Umfeld (wie etwa Freunde, Kollegen, Verwandte etc.) aufweist und inwieweit
der Einzelne gewillt ist, diese Erwartungen zu erfüllen. Lea versucht im Einstiegsbei-
spiel unbedingt, die Ächtung ihrer veganen Freundinnen zu vermeiden.
• Wertexpressiver Einfluss: Konsumenten möchten häufig durch ihr Konsumverhalten
das Bild, das andere von ihnen haben, verbessern. Man nutzt bspw. bestimmte Pro-
dukte und Marken öffentlich (z. B. Smartphones, teure Markenkleidung), um von
anderen bewundert zu werden oder um zu demonstrieren, dass man so ist wie andere,
die diese Produkte und Marken ebenfalls benutzen. Lea möchte im Einstiegsbeispiel
unbedingt als Teil der Veganer-Community wahrgenommen werden und sich deren
Wertorientierungen zu eigen machen. Dies lässt sich anhand der Theorie der sozia-
len Identität von Tajfel und Turner (1986) erklären, die besagt, dass Individuen neben
9.1 Bezugsgruppen 145

einer persönlichen Identität über eine soziale Identität verfügen, welche sich wie-
derum aus der Zugehörigkeit zu einer Gruppe („ingroup“) und der Abgrenzung von
anderen Gruppen („outgroup“) ergibt.

Beispiel: Bezugsgruppeneinfluss? Eine Frage der Öffentlichkeit und des Luxus?


Ob und wie stark die Bezugsgruppe Einfluss auf unser Konsumverhalten nimmt,
hängt auch von der Produktkategorie ab. Die klassische Untersuchung hierzu stammt
von Bearden und Etzel (1982). Wie Abb. 9.1 veranschaulicht, nimmt die Bezugs-
gruppe insb. bei Luxusgütern Einfluss darauf, ob man ein bestimmtes Produkt über-
haupt konsumiert oder nicht. Die Markenwahl hängt dagegen nur dann von der
Bezugsgruppe ab, wenn es sich um ein öffentlich konsumiertes Gut handelt.

9.1.3 Soziale Vergleiche

Gruppeneinflüsse können nicht nur normativ, sondern auch komparativ wirken (vgl.
Kelley 1968). Von normativem Einfluss sprechen wir, wenn sich der Konsument an
soziale Normen hält, um nicht negativ aufzufallen oder gar sozial sanktioniert zu wer-
den. Bei einem komparativen Einfluss findet dagegen ein Vergleich mit anderen statt.
Die Bedeutung von Vergleichen liegt insb. auch darin, dass jeder sich selbst gerne ein-
schätzen möchte und dass insb. bei sozialen Aspekten oft keine objektiven Norm-
werte existieren. Anders ausgedrückt: Warum ist jemand über sein ein Jahr altes und
voll funktionsfähiges Smartphone unglücklich, wenn er sieht, dass sich sein WG-Mit-
bewohner das iPhone der neuesten Generation leisten konnte? Offensichtlich ist häufig
nicht der absolute Besitz, das absolute Können oder das absolute Wissen relevant, son-
dern vielmehr die Relation zu anderen („Bin ich besser als der andere?“).
Festinger (1954) postuliert in seiner Theorie des sozialen Vergleichs, dass Men-
schen den Vergleich mit anderen suchen, um Informationen über sich selbst zu erlangen.

Alltagsgüter Luxusgüter

Einfluss auf die


Produktwahl
schwach stark

Öffentlicher
Konsum stark z.B. Armbanduhr z.B. SmartWatch
Einfluss
auf die
Markenwahl z.B. antike
Privater schwach z.B. Küchenuhr
Konsum Standuhr

Abb. 9.1  Bezugsgruppeneinfluss. (In Anlehnung an Bearden und Etzel 1982)


146 9  Soziale Umwelt

Soziale Vergleiche haben mehrere wichtige Funktionen. Je nachdem, welche Funktion


erfüllt werden soll, wählt man andere Vergleichspersonen:

• Um ein realistisches Bild von sich selbst zu erhalten, vergleicht man sich mit Perso-
nen, die einem ähneln oder gleichgestellt sind (horizontaler Vergleich). Dies sind häu-
fig die sog. „Peers“, d. h. die Gleichaltrigen.
• Möchte man sein eigenes Selbst schützen, führt man einen abwärtsgerichteten Ver-
gleich durch. Das heißt, man vergleicht sich mit sozial Schwächeren, weniger
Gebildeten, weniger Sportlichen etc. Dies führt zum sog. Self-Enhancement, d. h.
dem Versuch, den eigenen Selbstwert zu steigern.
• Möchte man dagegen erfahren, welche Selbstoptimierung möglich ist, führt man
einen aufwärtsgerichteten Vergleich durch. So vergleicht sich Lea im Einstiegsbei-
spiel mit der Gruppe der von ihr bewunderten urbanen Veganerinnen. Sie ist bestrebt,
sich so zu verhalten wie diese.

Beispiel: Mein Haus, mein Auto, mein Boot


Dieses Zitat stammt aus einem Werbespot der Sparkasse aus den 1990er Jahren, der
die soziale Vergleichstheorie aufgreift. Zwei Schulfreunde treffen sich nach Jahren
wieder und vergleichen, wer welche Besitztümer anhäufen konnte. Scannen Sie den
QR-Code, um sich den Spot anzusehen.

9.2 Konsumentensozialisation

Sozialisation bezeichnet die Vermittlung sozialer Normen und Wertvorstellungen


(Henecka 2015, S. 88). Die Person passt sich nach und nach an die Rolle an, die von
ihr vom sozialen Umfeld, d. h. von der Gesellschaft oder von ihrer relevanten sozialen
Gruppe, erwartet wird. Sie bildet typische Muster des Denkens, Fühlens und Handelns
aus. Die Sozialisation beginnt innerhalb der Familie und wird in verschiedenen Kontex-
ten wie Schule oder Arbeitsplatz fortgeführt.
Von Konsumentensozialisation spricht man, wenn eine Person ihre Rolle als Konsu-
ment erlernt und die in ihrer Gesellschaft vorherrschenden Konsummuster übernimmt
(Hoyer et al. 2012, S. 309). Die Person entwickelt u. a. ein Verständnis dafür, welchen
Wert Geld besitzt, und sie adaptiert die entsprechenden konsumrelevanten Einstellungen
und Verhaltensweisen (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013, S. 728). Im Prozess der
9.3  Normen und Konformität 147

Konsumentensozialisation ist das in Abschn. 5.3.2 vorgestellte Modelllernen besonders


relevant. Das heißt, Konsumenten beobachten auch, wie sich andere um sie herum ver-
halten und welche Belohnung und Bestrafung diese dafür erhalten.
Der Einfluss des sozialen Umfelds auf einen Konsumenten erfolgt nach der Rollen-
theorie (Dahrendorf 1967) auch über Rollen. Eine soziale Rolle beschreibt, welches
Verhaltensmuster das soziale Umfeld von einer Person erwartet, wenn sie in einem
bestimmten Kontext agiert (Gerrig 2014, S. 651). Je nach Kontext nimmt ein und die-
selbe Person unterschiedliche Rollen ein: als Ehemann, Bruder oder Freund, als Stu-
dierender, Praktikant oder Berufstätiger, als Fußballfan oder Hobbygärtner. Jede Rolle
erfordert ein anderes Verhalten. Lea nimmt im Einstiegsbeispiel zunächst an, dass die
Rolle der Veganerin erfordert, dass sie einen Besuch im Burgerrestaurant missbilligt.
Die Konsumentensozialisation erstreckt sich über einen längeren Zeitraum, wobei
sich die ersten Lebensphasen als besonders relevant herausstellten. Während dieser Zeit
nehmen verschiedene Personen und Institutionen auf die Sozialisation des Konsumenten
Einfluss. Man spricht hierbei von Sozialisationsagenten (Hoyer et al. 2012, S. 309).
Besonders relevant sind hierbei natürlich die Eltern und auch andere Familienmitglieder.
Vom Kindes- zum Jugendlichenalter reduziert sich die Prägung durch die Eltern und
der Einfluss der Gleichaltrigen, der sog. Peers, nimmt zu (z. B. Wooten 2006). Im Ein-
stiegsbeispiel richtet sich Lea nach der angenommenen Meinung ihrer Freundinnen und
insb. jener von Vanessa. Aber auch die Medien, inklusive Fernsehsendungen, Werbung,
YouTube etc. wirken als Sozialisationsagenten. Dies gilt heute durch Social Media noch
mehr als früher.

9.3 Normen und Konformität

Soziale Normen sind implizite oder explizite Regeln, die beinhalten, welche
Erwartungen das soziale Umfeld an das eigene Verhalten in bestimmten Situationen hat
(Gerrig 2014, S. 655). Ein Beispiel einer solchen Regel ist die regional übliche Höhe
des zu entrichtenden Trinkgelds in Restaurants. Soziale Normen haben verpflichtenden
Charakter für das Verhalten der Person. Sie koordinieren damit unser Zusammenleben.
Aus individueller Sicht sind Normen insofern positiv, als sie uns einen Rahmen vor-
geben, wie man sich zu verhalten hat (z. B. beim Kennenlernen einer neuen Person) und
sie damit Unsicherheit reduzieren. Sie haben aber auch die negative Eigenschaft, dass
sie vorschreibend sind und damit die Freiheit einschränken. Denn: Das soziale Umfeld
erwartet und kontrolliert die Einhaltung von Normen. Wer sie bricht, wird sozial bestraft
(z. B. indem man ausgegrenzt oder lächerlich gemacht wird).

Beispiel: Nachhaltige Produkte werden nur unter Beobachtung konsumiert


Luchs et al. (2010) wiesen nach, dass Konsumenten Produkten, die als nach-
haltig positioniert sind, unbewusst weniger Qualität, Geschmack etc. zuschreiben.
Ironischerweise hat damit die eigentlich positive Eigenschaft Nachhaltigkeit eine
148 9  Soziale Umwelt

negative Auswirkung auf das Konsumentenurteil. Die Forscher führten ein Feld-
experiment (Abschn. 2.4.4) durch, bei dem sie ihre Probanden in der Mensa einer
Universität beobachteten. Dabei war für einen Teil der Probanden der Beobachter klar
erkennbar. Sie befanden sich also in einer sozialen Situation, in der sie vermutlich
ihr Verhalten an sozialen Normen ausrichteten. Für einen anderen Teil der Probanden
war der Beobachter nicht sichtbar. Es gab folglich keinen äußeren Zwang, soziale
Normen zu beachten. Die Untersuchung belegt, dass die Probanden eine als nach-
haltig gekennzeichnete Flüssighandseife nur dann nutzten, wenn eine weitere Person
anwesend war, die sie beobachtete. War keine andere Person anwesend, griffen sie
zur konventionellen Variante. Das nachhaltige Verhalten wurde also nur gezeigt, wenn
soziale Normen relevant waren.

Wir passen unsere Konsumentscheidungen häufig an andere Personen an, die in


der jeweiligen Situation anwesend sind. Wir verhalten uns konform. Konformität
bezeichnet die Tendenz, Meinungen anderer Gruppenmitglieder zu übernehmen und ein
ähnliches Verhalten zu zeigen (Gerrig 2014, S. 655). Lea wollte im Einstiegsbeispiel das
Burgerrestaurant nicht betreten, da sie annahm, dass andere Veganer dies auch nicht tun
würden.

Beispiel: Geometrie ist ein soziales Phänomen


Die Forschung zur Konformität hat ihre Ursprünge in einem klassischen Experiment
des polnisch-amerikanischen Sozialpsychologen Solomon Asch (1955). Die Studie
offenbart auf eindrucksvolle Weise, dass in einem sozialen Kontext Konformitäts-
druck entsteht, der die Entscheidungen des Einzelnen beeinflusst. Obwohl die objek-
tiv korrekte Antwort in diesem Experiment offensichtlich war, beugten sich zahlreiche
Versuchsteilnehmer bei der Einschätzung der Länge einer Linie der Gruppenmeinung.
Sie passten ihre Einschätzung an die offenkundig verzerrte Einschätzung anderer Per-
sonen an, die sie für Versuchsteilnehmer hielten, die aber von den Forschern instruiert
waren. Scannen Sie den QR-Code, um mehr über das Experiment zu erfahren.

Die Neigung zur Konformität zeigt sich auch bei Konsumentscheidungen. Es liegen aber
auch zahlreiche Studien vor, die belegen, dass sich Konsumenten oft bewusst anders als
ihr soziales Umfeld verhalten, um sich abzugrenzen und zu zeigen, wie einzigartig oder
besonders sie wahrgenommen werden wollen. Interessant ist der Fall, wenn sich der
Wunsch nach Einzigartigkeit (Need for Uniqueness; Tian et al. 2001) und das Bedürfnis,
sich konform zu verhalten, diametral entgegenstehen.
9.4  Word-of-Mouth und Meinungsführer 149

Beispiel: Ich esse was, was Du nicht isst.


Ariely und Levav (2000) entwickelten ein Modell, das zeigt, wie Konsumenten Ent-
scheidungen in Gruppensituationen fällen. In der Studie wird als Beispiel von einem
gemeinsamen Abendessen im Restaurant ausgegangen, bei dem der Reihe nach jeder
seine Bestellung aufgibt. Die Forscher nahmen an, dass jeder Teilnehmer sein indi-
viduelles Ziel verfolgen möchte, d. h., dass er das Gericht auswählen möchte, das
ihm am besten schmeckt. Gleichzeitig sind aber auch Ziele im Zusammenspiel zwi-
schen Individuum und Gruppe zu beachten, die zwischen Anpassung und Ausdruck
der eigenen Individualität schwanken können. So kann es zu Gruppenkonformität und
damit einheitlichen Wahlentscheidungen oder zur Variation der Entscheidungen inner-
halb der Gruppe kommen. Das Experiment deckt auf, dass jeder Einzelne versucht,
zwischen seinen individuellen Zielen und den folgenden drei möglichen Zielen im
Kontext der Gruppe zu entscheiden:

• Minimierung von Bedauern: Wer Fehlentscheidungen vermeiden möchte


und nicht zuschauen möchte, wie andere später ein besseres Menü verspeisen,
der orientiert sich an der Entscheidung anderer. Das führt zu einheitlichen Ent-
scheidungen innerhalb der Gruppe.
• Informationssammlung: Wenn das Ziel ist, als Gruppe möglichst viele Eindrücke
zu sammeln und auszutauschen, werden Konsumenten eher unterschiedliche
Angebote auswählen.
• Selbstdarstellung: Individuen möchten ein bestimmtes Bild von sich präsentie-
ren. Das kann bspw. bedeuten, dass sie zeigen möchten, dass sie einzigartig oder
zumindest nicht konformistisch sind. Um eine einzigartige Entscheidung zu tref-
fen, müssen sie unter Umständen ein Angebot wählen, das bislang noch keiner
gewählt hat und das gar nicht optimal ihren individuellen Bedürfnissen entspricht.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Einzelne in dynamischen Gruppen-


entscheidungen häufig eine Entscheidung trifft, welche nicht den maximalen individu-
ellen Nutzen stiftet. Dies kann daran liegen, dass man entweder gemeinsam möglichst
viele Informationen sammeln oder sich selbst nach außen in einem möglichst guten
Licht präsentieren möchte.

9.4 Word-of-Mouth und Meinungsführer

Ob eine Kommunikation erfolgreich verläuft oder nicht, hängt insb. davon ab, für wie
glaubwürdig der Empfänger den Sender erachtet (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013,
S. 590 ff.). Zwei Kriterien beeinflussen die Glaubwürdigkeit besonders: ob der Kommu-
nikator als Experte gilt und ob er als vertrauenswürdig beurteilt wird. Für Letzteres ist
eine wahrgenommene Ähnlichkeit zwischen Kommunikator und Empfänger förderlich.
150 9  Soziale Umwelt

Word-of-Mouth (WoM) ist die (nicht-massenmediale) Kommunikation zwischen Konsu-


menten. Dieser Mund-zu-Mund-Propaganda wird ein sehr großes Beeinflussungspotenzial
zugeschrieben, da Rezipienten eine Botschaft i. d. R. als glaubwürdiger erachten, wenn
sie von einem Freund, Bekannten oder einem sonstigen nicht-kommerziellen Sender aus-
geht als wenn ein kommerzielles Unternehmen Urheber und Sender der Botschaft ist
(Herr et al. 1991; Duhan et al. 1997).
Als Meinungsführer bezeichnet man Personen, die im Rahmen der interpersonellen
Kommunikation einen besonders starken Einfluss auf die konsumrelevanten Ein-
stellungen, Meinungen und Verhaltensweisen anderer Personen ausüben (bspw. Flynn
et al. 1996; Rogers 2003). Im Einstiegsbeispiel wurde Vanessa von Ben als Meinungs-
führerin beschrieben. Meinungsführer werden von anderen Personen als glaubwürdige
und verlässliche Quelle für Informationen und Ratschläge angesehen. Häufig ist der Ein-
fluss von Meinungsführern auf bestimmte Produktkategorien beschränkt. Wer den Status
eines Meinungsführers im Bereich Fashion und Beauty genießt, muss nicht zwangsläufig
auch als kompetente Informationsquelle für Computerhardware gelten. Meinungsführer
zeichnen sich im Regelfall dadurch aus, dass sie eine soziale Schlüsselstellung ein-
nehmen und gut vernetzt sind sowie dass sie Experten in einem bestimmten Gebiet sind.
Meist weisen Meinungsführer ein hohes Produktinvolvement auf, sie wissen sehr viel
über bestimmte Produkte und sie nutzen Massenmedien. Oftmals sind sie auch gleich-
zeitig Innovatoren, d. h., sie kaufen neue Produkte früher als andere und können dadurch
ein bestimmtes produktspezifisches Wissen aufbauen (Childers 1986; Hoffmann und
Soyez 2010).
Meinungsführer spielen auch in der digitalen Kommunikation eine große Rolle. Ins-
besondere durch den Siegeszug von Social Media gewinnt WoM (in diesem Kontext
Word-of-Mouse) immer mehr an Bedeutung, da Informationen nun nicht mehr nur zwi-
schen Bekannten, sondern auch zwischen Unbekannten im großen Stil geteilt werden
können. So werden bspw. Blogger als glaubwürdig wahrgenommen und sie besitzen
einen großen Einfluss auf Konsumentscheidungen (Colliander und Dahlen 2011).
Die persönliche Kommunikation zwischen Konsumenten und insb. auch Meinungs-
führern ist äußerst wichtig, um Informationen (z. B. Werbebotschaften eines Unter-
nehmens) schnell und glaubwürdig zu verbreiten. Man spricht hierbei von Diffusion,
d. h. der Ausbreitung der Idee, des Gedankens oder der Botschaft des Unternehmens
in einem sozialen System. Diesen Prozess machen sich Unternehmen im Rahmen ihrer
Kommunikationsstrategie zunutze. Das sog. Word-of-Mouth-Marketing versucht, den
Diffusionseffekt bewusst zu initiieren (Kozinets et al. 2010), sodass Konsumenten
die Botschaft ohne weiteres Zutun des Unternehmens weiter verbreiten (Hutter und
Hoffmann 2014, S. 29). Wenn jeder Rezipient die Werbebotschaft an mehrere andere
weiterleitet, verbreitet sie sich ähnlich wie ein Virus. Man spricht deshalb von viralem
Marketing, dessen Erfolg vor allem von zwei Faktoren abhängt: Erstens muss das See-
ding, d. h. die Erstplatzierung, gelingen. Häufig sind Botschaften in Videoclips (z. B.
bei YouTube) platziert, die Nutzer über Social Media „liken“ und „sharen“ können.
9.5  Soziales Dilemma – Die Kehrseite … 151

Zweitens muss für den Konsumenten ein gewisses Interesse bestehen, die Botschaft
weiterzuleiten. Dies gelingt durch ungewöhnliche, aktivierende, lustige, erotische oder
auch abschreckende Inhalte.

9.5 Soziales Dilemma – Die Kehrseite des


Bezugsgruppeneinflusses

Wie wir im letzten Kapitel (Kap. 12) noch diskutieren werden, wird heutzutage
zunehmend kritisiert, dass Verbraucher durch ihr Konsumverhalten Einfluss auf öko-
logische und soziale Aspekte nehmen. Deshalb wird gefordert, dass sie bewusster kon-
sumieren sollten. Man spricht hierbei auch von Konsumentenverantwortung (Consumer
Social Responsibility; Devinney et al. 2006) in Anlehnung an die CSR (d. h. die Corpo-
rate Social Responsibility) aufseiten der Unternehmen. Verantwortlicher Konsum kann
sich darin äußern, dass Konsumenten durch ihr Kaufverhalten eine gute Sache unter-
stützen (z. B. Wechsel zu Ökostrom), oder auch dadurch, dass sie bewusst auf bestimmte
Produkte verzichten (z. B. Boykott von Smartphones, die mithilfe von Kinderarbeit her-
gestellt wurden).
In vielen Fällen kann jedoch ein einzelner Konsument relativ wenig bewirken
und es kommt vielmehr darauf an, dass viele Konsumenten das entsprechende Ver-
halten zeigen. Um den Klimawandel abzuschwächen, ist es nötig, dass die Mehrheit
der Konsumenten ihr Verhalten ändert. Auch wenn es darum geht, bspw. in Form von
Konsumentenboykotten (Abschn. 12.5) Einfluss auf Unternehmensentscheidungen zu
nehmen, müssen die Handlungen mehrerer Konsumenten aufeinander abgestimmt sein
(Hoffmann 2008). Diese Notwendigkeit des kollektiv gleichgerichteten Konsums schafft
interessante Bezugsgruppen-Phänomene. Ob der Einzelne sich bspw. einem Boykott
anschließt oder nicht, ist ein typisches Problem des kollektiven Handelns (Sen et al.
2001) und es entsteht häufig ein sog. soziales Dilemma. Darunter versteht man eine
Entscheidungssituation, in der die individuellen Interessen im Widerspruch zu den Inte-
ressen eines größeren Kollektivs stehen. Zum Beispiel könnte der Einzelne es weiter-
hin bevorzugen, bei einem großen Online-Händler zu bestellen, da die Auswahl groß ist
und die Lieferzeiten kurz sind. Aus kollektiver Sicht könnte es aber erwünscht sein, dass
man dieses Unternehmen boykottiert, um es dazu zu bewegen, höhere Sozialstandards
einzuführen. Der Einzelne müsste also ein subjektives Opfer bringen, damit das Kollek-
tiv sein Ziel erreichen kann. Folglich muss er zwischen der Maximierung seines indi-
viduellen Nutzens und einem Beitrag zum Gemeinwohl abwägen (vgl. Dawes 1980).
Lange et al. (1992)nennen drei Bedingungen, die dazu führen, dass eine Person in ein
soziales Dilemma gerät: Nicht-kooperatives Verhalten (d. h. als Konsument z. B. die
Verweigerung der Boykottunterstützung)

• stiftet dem Individuum größeren individuellen Nutzen als kooperatives Verhalten,


• ist mit einem Nachteil für andere verbunden,
• mindert den aggregierten Nutzen der Gemeinschaft.
152 9  Soziale Umwelt

Es werden insb. drei Effekte unterschieden, die erklären, wie sich Konsumenten in der-
artigen Situationen verhalten (Hoffmann 2008, S. 82).

• Soziales Faulenzen: Die Motivation des Einzelnen, einen Beitrag zu leisten, nimmt
mit zunehmender Gruppengröße ab, weil andere Gruppenmitglieder dann das Ver-
halten kaum mehr beobachten und bewerten können (z. B. Arnscheid et al. 1997).
Dieser Effekt wird sogar noch dadurch intensiviert, dass der Einzelne annimmt, dass
sein Beitrag bei großen Gruppen weniger bedeutsam ist, d. h., der Grenznutzen des
individuellen Beitrags sinkt. Dies bezeichnet man auch als Small-Agent-Problem
(John und Klein 2003).
• Trittbrettfahren: Je größer die Gruppe wird, desto größer ist auch der Anreiz, von
den Beiträgen der anderen Gruppenmitglieder zu profitieren (z. B. Kerr und Bruun
1983; Arnscheid et al. 1997). Dieser Effekt ist zwar ähnlich wie das soziale Faulen-
zen. Der Unterschied besteht aber darin, dass der Einzelne zum sozialen Faulenzen
neigt, wenn er annimmt, dass seine Verweigerung nicht aufgedeckt wird. Wer Tritt-
brett fährt, geht dagegen davon aus, dass sich bereits genügend andere Personen
beteiligen und dass demzufolge der eigene Beitrag nicht mehr entscheidend dafür ist,
ob das Kollektiv seine Ziele erreicht oder nicht.
• Gimpeleffekt: Es kann auch sein, dass der Einzelne nicht bereit ist, das Ziel des Kol-
lektivs zu unterstützen, nachdem er in Erfahrung gebracht hat, dass andere Gruppen-
mitglieder Trittbrett fahren. Er möchte sich nicht ausnutzen lassen und nicht als
„Gimpel“ gelten.

9.6 Lernhilfe

Quintessenz
Da Menschen soziale Wesen sind, wird das Verhalten jedes Konsumenten stark
durch sein soziales Umfeld mitbestimmt. Im Verlauf der Konsumentensozialisation
erlernen Menschen die in ihrer Gesellschaft vorherrschenden Konsummuster. Bezugs-
gruppen üben informatorischen, utilitaristischen und wertexpressiven Einfluss aus.
Soziale Vergleiche bieten dem Einzelnen die Möglichkeit, sich trotz fehlender
objektiver Normwerte einzuschätzen. Soziale Normen sind implizite oder explizite
Regeln darüber, was von einem in bestimmten Situationen erwartet wird. Konformi-
tät führt dazu, dass man seine Entscheidungen in Gruppensituationen an die anderer
anpasst. Meinungsführer sind Personen, die einen besonders starken Einfluss auf die
Konsumentscheidungen anderer ausüben. Unter sozialen Dilemmata versteht man
Entscheidungssituationen, in denen die individuellen Ziele mit den Interessen eines
größeren Kollektivs im Widerspruch stehen.
9.6 Lernhilfe 153

Übungsfragen und -aufgaben


Vervollständigen Sie folgenden Satz:
Bezugsgruppen nehmen Einfluss auf das Konsumverhalten. Es lassen sich folgende
Arten unterscheiden: Diejenigen, von denen man sich bewusst abgrenzt und deren Werte
und Einstellungen man explizit ablehnt, nennt man _________________________.
Personen oder Gruppen, die man bewundert und deren Verhalten man gerne
kopiert, bezeichnet man dagegen als _________________________. Der
_________________________ gehört man an. Sie umfasst z. B. Familie und Freunde.

Richtig oder falsch?


Word-of-Mouth, d. h. die Kommunikation zwischen Konsumenten, hat ein deutlich
geringeres Potenzial, den Empfänger der Botschaft zu überzeugen als kommerzielle
Werbung, da der Kommunikator ein Laie ist. Kommerzielle Werbebotschaften werden
von professionellen Agenturen, Marketing-Managern und Experten erstellt und diese
Botschaften werden deshalb als vertrauenswürdiger erachtet.

Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an.


Wenn man die Untersuchung von Bearden und Etzel (1982) zugrunde legt, hat die
Bezugsgruppe dann bei folgenden Gütern einen Einfluss auf die Produkt- und/oder
Markenwahl?

O Smartphone: Bezugsgruppe beeinflusst Produkt- und Markenwahl


O Flachbildfernseher: Bezugsgruppe beeinflusst Produktwahl
O Butter: Bezugsgruppe beeinflusst Markenwahl
O Dinieren in der Sterne-Gastronomie: Bezugsgruppe beeinflusst Produkt- und
Markenwahl
O Designerhandtasche: Bezugsgruppe beeinflusst Produktwahl
O Rasenmäher: Bezugsgruppe beeinflusst Markenwahl

Vernetzende Fragestellung
Rekapitulieren wir nochmals das Einstiegsbeispiel. Ben möchte ins Burger-Res-
taurant, weil sein Schulfreund in der Stadt ist. Er möchte seine Freundin Lea über-
reden mitzukommen. Lea weigert sich, weil ihre Freundinnen schlecht über sie
reden würden, wenn sie als Veganerin ein Burger-Restaurant besuchen würde. Die
Ansichten von Vanessa scheinen Lea umzustimmen. Eine komplexe, aber uns allen
doch sehr vertraute und alltägliche soziale Gemengelage. Entschlüsseln Sie all die
ablaufenden sozialen Prozesse in diesem Beispiel, indem Sie die in diesem Kapitel
angesprochenen Konzepte anwenden.
154 9  Soziale Umwelt

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Physische Umwelt
10

u Da passt noch was in den Einkaufswagen  Ein Blick auf das Smartphone und
Bens Laune trübt sich: „Kannst du bitte noch schnell einkaufen gehen? Hab es
vorhin nicht mehr geschafft. LG Lea“. Widerwillig, aber vom Hunger getrieben,
betritt Ben den Supermarkt. „Wo stand noch gleich der Aufschnitt?“ Einen
Verkäufer findet Ben zwar nicht, dafür aber einen Stand mit einer Produktver-
kostung. „Auch nicht schlecht“, denkt sich Ben, bedient sich an den kleinen
Snacks und führt seinen Einkauf fort. Zu Hause angekommen schaut Lea ver-
wundert auf die Tüten. „Danke, aber du hättest doch nicht direkt den ganzen
Wocheneinkauf machen müssen.“ Auch Ben ist überrascht, dass der Einkauf
größer ausgefallen ist als ursprünglich vorgesehen.
Häufig kaufen Konsumenten im Supermarkt mehr ein als ursprünglich
geplant. Dies ist kein Zufall, sondern der Gestaltung des Supermarkts und
damit einem Teil der physischen Umwelt geschuldet. Aber wodurch zeichnet
sich die physische Umwelt des Konsumenten aus und wie beeinflusst sie sein
Verhalten?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 157
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_10
158 10  Physische Umwelt

Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, …

• die Wechselwirkung zwischen Konsumverhalten und physischer Umwelt zu


verstehen (Abschn. 10.1),
• wie die physische Umwelt auf das Verhalten des Konsumenten wirkt
(Abschn. 10.2),
• wie die Gestaltung des Kaufkanals das Verhalten beeinflusst (Abschn. 10.3),
• den Einfluss von Produktverpackungen auf das Kaufverhalten zu verstehen
(Abschn. 10.4) und
• welche Rolle der Verkäufer und andere Personen am Verkaufsort spielen
(Abschn. 10.5),

… indem Sie die physische Umwelt des Konsumenten durch folgendes Modell
betrachten: umweltpsychologisches Verhaltensmodell

10.1 Wechselwirkungen zwischen Konsumenten und


physischer Umwelt

Das Verhalten von Konsumenten hängt von vielfältigen psychischen Prozessen ab, denen
wir in diesem Buch je ein Kapitel widmeten. Sie alle (Emotionen, Motivation, Ein-
stellungen etc.) stehen in wechselseitigen Beziehungen zueinander, auch wenn wir sie
aus Gründen der Komplexitätsreduktion – ganz im Sinne der Partialmodelle – isoliert
betrachten. Gemäß dem Totalmodell von Blackwell et al. (2001; Abschn. 1.3.1.1) beein-
flusst auch die Umwelt das Verhalten des Konsumenten. Man kann drei Umwelten unter-
scheiden: Neben der medialen Umwelt (Kap. 11) und der sozialen Umwelt (Kap. 9) ist
die physische Umwelt besonders relevant für das Konsumentenverhalten.
Die physische Umwelt ist definiert als Ausschnitt aus der materiellen Welt, der für
das Individuum Bedeutung besitzt (Hellbrück und Kals 2012). Dies können etwa Land-
schaften, Gebäude, Räume oder Einrichtungsgegenstände sein. Die physische Umwelt
bezieht auch immer die Beschaffenheit der materiellen Welt mit ein. So wirkt eine
Landschaft (physische Umwelt) je nach Klima, Wetter oder Jahreszeit (Beschaffenheit)
unterschiedlich auf das Individuum. Auch im Shoppingcenter (physische Umwelt) fühlen
sich Konsumenten mal mehr, mal weniger wohl, je nach Temperatur und Lichtverhält-
nissen (Beschaffenheit).
Dabei stehen die physische Umwelt und das Konsumentenverhalten in einer wechsel-
seitigen Beziehung zueinander (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013). Wenn man
in der Konsumentenverhaltensforschung von einer wechselseitigen Beziehung zwi-
schen zwei Variablen spricht, bedeutet dies, dass jede der beiden Variablen sowohl
10.2  Das umweltpsychologische Verhaltensmodell 159

Tab. 10.1  Wechselseitige Beziehung zwischen Konsumentenverhalten und physischer Umwelt


Konsumentenverhalten Physische Umwelt als …
Unabhängige Variable Abhängige Variable
Erwerb Wie beeinflusst die Laden- Reduziert die Teilnahme an Bike-
gestaltung den Kaufprozess? Sharing-Angeboten den Auto-
verkehr in Großstädten?
Ge- und Verbrauch Beeinflusst Hintergrundmusik Wie wirkt sich der Skitourismus
die Verweildauer in Restaurants? auf die Alpenregion aus?
Entsorgung Trennen Konsumenten ihren Führt der Kauf von Pfandflaschen
Abfall in videoüberwachten zu weniger Müll auf den Stra-
Arealen gewissenhafter? ßen?
Die Aspekte der physischen Umwelt sind fett hervorgehoben

die unabhängige Variable (UV) als auch die abhängige Variable (AV) sein kann
(Abschn. 1.3.2). Die physische Umwelt beeinflusst den Menschen in seiner Rolle als
Konsument beim Erwerb, dem Ge- bzw. Verbrauch und der Entsorgung von Gütern und
Dienstleistungen. So hatte der Verkostungsstand am Verkaufsort (man spricht auch vom
Point of Sale bzw. PoS) einen starken Einfluss auf Bens Einkaufverhalten. Gleichzeitig
wirkt sich das Verhalten des Konsumenten auf die physische Umwelt aus. Dies zeigt sich
bspw. in dem Trend, dass mehr und mehr umweltbewusste Konsumenten, zu denen auch
Lea zählt, beim Erwerb (z. B. Verzicht auf Plastiktüten), beim Gebrauch (z. B. Ände-
rung des Fahrstils im privaten Pkw) und bei der Entsorgung (z. B. Recycling) auf Aus-
wirkungen ihres Konsumverhaltens auf die natürliche Umwelt achten (Abschn. 12.4).
Tab. 10.1 gibt einen beispielhaften Überblick zu typischen Fragen, die sich aus dieser
wechselseitigen Beziehung ergeben.
In diesem Kapitel widmen wir uns den in der Praxis wichtigsten Einflüssen der phy-
sischen Umwelt auf das Konsumentenverhalten. Hierzu zählt u. a. die Gestaltung des
Kaufkanals oder die Verpackung von Produkten. Zuvor betrachten wir das umwelt-
psychologische Verhaltensmodell nach Mehrabian und Russell (1974), das die theoreti-
sche Grundlage bildet.

10.2 Das umweltpsychologische Verhaltensmodell

Das umweltpsychologische Verhaltensmodell von Mehrabian und Russell (1974) greift


das S-O-R-Schema des Neo-Behaviorismus auf (Abschn. 1.1) und nimmt an, dass die
physische Umwelt das Verhalten von Individuen über emotionale Reaktionen beeinflusst.
Es besagt, dass ein Stimulus aus der physischen Umwelt (S) zunächst Emotionen auslöst.
Diese sind im Sinne des S-O-R-Schemas Organismusvariablen, die als intervenierende
Variablen (I) eine Verhaltensreaktion (R) hervorrufen. Aufgrund der Persönlichkeit (P) des
Individuums führen allerdings objektiv gleiche Stimuli zu unterschiedlichem Verhalten.
160 10  Physische Umwelt

Intervenierende
Stimulus
Variable
Reaktion
Emotionale Reaktion
Annäherung
Pleasure
Vermeidung
Arousal
Persönlichkeit
Dominance

Abb. 10.1  Das umweltpsychologische Verhaltensmodell. (In Anlehnung an Mehrabian und Rus-


sel 1974)

Die Persönlichkeit wirkt damit als Moderatorvariable (Abschn. 1.3.2). Einige Einzel-


händler versuchen bspw. durch eine besonders edle Ladengestaltung (S), beim Konsu-
menten positive Emotionen (I) zu erzeugen, um dann mehr Verkäufe (R) zu generieren.
In Abhängigkeit von der Persönlichkeit des Konsumenten (P) gelingt dies mal mehr, mal
weniger gut. Schließlich lockt auch eine edle Atmosphäre einem sparsamen Menschen
wahrscheinlich nicht die Kreditkarte aus der Tasche.
Das Verhaltensmodell von Mehrabian und Russell (1974) bildet die theoretische
Grundlage für zahlreiche Studien zur Erklärung, wie die physische Umwelt auf das Ver-
halten des Konsumenten wirkt (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013). Daher erläutern
wir die einzelnen Konstrukte des Modells im Folgenden im Detail (Abb. 10.1).

10.2.1 Stimulus

Jeder Reiz aus der physischen Umwelt kann eine Stimulusvariable sein. Voraussetzung
für den Einfluss auf das Konsumentenverhalten ist, dass der Konsument den Reiz wahr-
nimmt (Abschn. 5.2). Der Prozess der Wahrnehmung beginnt damit, dass man einen Reiz
aus der physischen Umwelt mit den Sinnen aufnimmt (z. B. Geruch), ihn versteht („Es
riecht würzig aromatisch.“) und ihm ein Label („Das ist Kaffee.“) gibt (Gerrig 2014).
Sämtliche wahrgenommenen Reize bilden gemeinsam das Reizvolumen der physi-
schen Umwelt, das Mehrabian und Russell anhand der Informationsrate zusammen-
fassen. Darunter verstehen sie die Menge an Informationen in der Umwelt pro
Zeiteinheit. Sie unterscheiden zwischen objektiver und subjektiver Informationsrate.
Erstere bezieht sich auf die gesamte Menge an Informationen, die pro Zeiteinheit in der
Umwelt enthalten ist, Letztere auf die vom Individuum tatsächlich wahrgenommene
Information. Eine hohe Informationsrate ist das Resultat einer reizstarken Umwelt,
wohingegen eine niedrige Informationsrate aus einer reizarmen Umwelt resultiert. Neben
der Quantität, d. h. der Menge an Informationen, spielt auch die Qualität der Information
eine wesentliche Rolle. Neuartigkeit und Komplexität etwa sind qualitative Merkmale
von Reizen, welche die Informationsrate erhöhen.
10.2  Das umweltpsychologische Verhaltensmodell 161

10.2.2 Persönlichkeit

Objektiv gleiche Reize führen nicht bei allen Rezipienten zu identischen emotiona-
len Reaktionen. Die Wirkung des Umweltreizes auf das Individuum ist laut Mehrabian
und Russell (1974) von der Persönlichkeit abhängig. Die Forscher unterscheiden Reiz-
abschirmer, die eine physische Umwelt mit einem geringen Reizvolumen bevorzugen,
und Nicht-Reizabschirmer, die gegenüber Reizen aus der Umwelt aufgeschlossen sind.
Während sich Reizabschirmer wahrscheinlich in einem puristisch eingerichtetem Res-
taurant wohlfühlen, darf es für viele Nicht-Reizabschirmer gerne auch ein Teppanyaki-­
Restaurant sein, bei dem die Speisen vom Koch direkt am Tisch zubereitet werden.

10.2.3 Intervenierende Variable

Der Umweltstimulus löst beim Konsumenten eine emotionale Reaktion aus, die als inter-
venierende Variable (I) – man kann auch Mediatorvariable sagen – das Verhalten beein-
flusst. Mehrabian und Russell kategorisieren die emotionale Reaktion anhand von drei
Dimensionen. Aufgrund der Anfangsbuchstaben der Dimensionen spricht man auch vom
PAD-Modell:

• Pleasure (engl.: Vergnügen) beschreibt, als wie angenehm bzw. unangenehm ein
Umweltreiz vom Rezipienten wahrgenommen wird.
• Arousal (engl.: Aktivierung) beschreibt, wie aktivierend oder beruhigend der
Umweltreiz auf das Individuum wirkt.
• Dominance (engl.: Kontrollierbarkeit) beschreibt, ob der Rezipient das Gefühl hat,
seine Umgebung kontrollieren zu können, oder ob er sich ihr ausgeliefert fühlt.

Bei Besuchern einer Wellnessoase (physische Umwelt) entsteht nur dann ein wohli-
ges Gefühl (intervenierende Variable), wenn die Massage angenehm (Pleasure) und
beruhigend (Arousal) ist und der Masseur nachfragt, ob der ausgeübte Druck in Ordnung
ist (Dominance).

10.2.4 Reaktion

Die emotionale Reaktion auf die Umwelt drückt sich in Anlehnung an Kurt Lewins Feld-
theorie (Abschn. 3.3.4) in Annäherungs- oder Vermeidungsverhalten aus. Konsumenten
im Annäherungsverhaltens-Modus verweilen länger im Ladengeschäft, setzen sich
intensiver mit den Produkten auseinander und treten ggf. auch lieber mit den Verkäufern
in Kontakt. Konsumenten im Vermeidungsverhaltens-Modus wollen den Einkauf mög-
lichst schnell hinter sich bringen und danach das Ladengeschäft direkt verlassen.
162 10  Physische Umwelt

Insbesondere die Wirkung der Gestaltung des stationären Einzelhandels (physische


Umwelt) auf das Kaufverhalten ist mithilfe des Modells von Mehrabian und Russell viel-
fach untersucht worden (z. B. Bitner 1992; Baker et al. 2002; Donovan et al. 1994). Die
im Folgenden beschriebene Studie von Donovan und Rossiter (1982) gehört dabei zu den
bekanntesten.

Beispiel: Was Einzelhändler von Mehrabian und Russell lernen können


Donovan und Rossiter (1982) untersuchten auf Basis des umweltpsychologischen
Verhaltensmodells von Mehrabian und Russell, wie die Atmosphäre des Einzel-
händlers auf das Verhalten des Konsumenten wirkt. Demnach treten folgende Effekte
ein, wenn die Atmosphäre am PoS aktivierend ist und als angenehm empfunden wird:
Die Kunden verweilen länger im Ladengeschäft, sie sind gewillter, mit dem Ver-
kaufspersonal zu sprechen, sie geben mehr Geld aus als ursprünglich geplant und sie
suchen den Händler eher ein weiteres Mal auf. Die Studie belegt damit eindrücklich,
dass es sich für Einzelhändler finanziell lohnt, in eine angenehme und aktivierende
Ladengestaltung zu investieren.

10.3 Der Kaufkanal als physische Umwelt

Ein für das Konsumentenverhalten wichtiger Raum ist der physische Kaufkanal, d. h.
das stationäre Ladengeschäft des Einzelhändlers. Die Wirkung des Kaufkanals auf den
Konsumenten ist insb. von dessen Atmosphäre und räumlicher Aufteilung abhängig.

10.3.1 Atmosphäre des Kaufkanals

Konsumenten nehmen die Atmosphäre im Ladengeschäft über ihre Sinnesorgane wahr.


Fünf verschiedene Sinnesorgane nehmen entsprechende Reize aus der physischen
Umwelt auf, die dann im Gehirn verarbeitet werden und in Summe den atmosphärischen
Eindruck des Ladengeschäfts bilden.

10.3.1.1 Visuelle Reize
Typische visuelle Eindrücke sind Farben (Leuchtkraft, Sättigung, Spektrum) und Licht-
verhältnisse (Helligkeit, Beleuchtung, Tages- oder Kunstlicht). Sie können den emo-
tionalen Zustand des Konsumenten beeinflussen und in Abhängigkeit von dessen
Persönlichkeit ein bestimmtes Verhalten begünstigen. Empirische Untersuchungen
belegen etwa, dass Farben die Zahlungsbereitschaft, die im Ladengeschäft verbrachte
Zeit (Bellizzi und Hite 1992) oder den Aktivierungsgrad des Konsumenten (Crow-
ley 1993) beeinflussen. Grundsätzlich gibt es aber keinen Königsweg der farblichen
Gestaltung oder Beleuchtung des Ladengeschäfts. Simplifizierende Ratschläge wie
„Streiche die Wände dunkelrot, damit deine Kunden mehr kaufen“ greifen zu kurz, denn
10.3  Der Kaufkanal als physische Umwelt 163

die Bewertung der Farbwahl und Beleuchtung durch den Konsumenten hängt von vie-
len weiteren Faktoren ab, wie bspw. seiner Persönlichkeit, aber auch von dem Image des
Händlers (Baker et al. 1992). Edle Farben in einem Discounter wirken bspw. deplatziert,
erzeugen somit beim Konsumenten Reaktanz und führen dadurch zu negativen Emotio-
nen, wohingegen sie in einer edlen Boutique die erwünschte Wirkung erzielen können.
Allgemein zeigen Studien zwar, dass Konsumenten tendenziell warme Farben bevor-
zugen. Bei Produkten, die meist mit einem hohem Involvement verbunden sind – wie
etwa Autos – präferieren Konsumenten jedoch eine kältere Farbgebung (Bellizzi et al.
1983). Somit ist es nicht verwunderlich, dass Autohändler ihre Showrooms mit viel
Chrom und Stahl gestalten.

10.3.1.2 Akustische Reize
Musik ist ein typischer akustischer Reiz im Ladengeschäft. Sie beeinflusst den
Aktivierungsgrad des Konsumenten am PoS und in der Folge sowohl die wahr-
genommene als auch die tatsächliche im Ladengeschäft verbrachte Zeit (Milliman 1986;
Hui et al. 1997). Hintergrundmusik kann sich je nach Genre, Tempo und Lautstärke
unterschiedlich auswirken. So kann eine langsamere Hintergrundmusik dazu führen, dass
Konsumenten ihre Laufgeschwindigkeit anpassen und sich entsprechend gemächlich
durch den Laden bewegen. Die verlängerte Aufenthaltszeit wirkt sich wiederum positiv
auf die Anzahl der gekauften Artikel und somit auf die Höhe des Kassenbons aus (Mil-
liman 1982). Der Einfluss von Musik als akustischer Reiz am PoS hängt allerdings von
mehreren Randbedingungen ab, u. a. vom Alter des Konsumenten (Gulas und Schewe
1994), der Lautstärke und dem Tempo (Milliman 1982) sowie dem Musikgeschmack
(Herrington 1996). Musik wirkt auch – und teilweise sogar nur dann –, wenn Konsu-
menten sie nicht bewusst wahrnehmen (Gulas und Schewe 1994).

Beispiel: Kann Musik die Wein-Wahl beeinflussen?


Im Rahmen eines zweiwöchigen Feldexperiments gingen North et al. (1999) genau
dieser Frage nach. In der ersten Woche ließen sie typisch französische Musik über die
Lautsprecher des Händlers erklingen, in der zweiten Woche typisch deutsche Musik.
Parallel erfassten sie die Abverkäufe der Weinflaschen. Während in der ersten Woche
deutlich mehr französische (40) als deutsche (8) Weinflaschen über die Ladentheke
gingen, verkauften sich in der zweiten Woche mehr deutsche (22) als französische
(12) Weine. Eine anschließende Befragung zeigte zudem, dass die Kunden ihre Wein-
Wahl nicht mit der Musik in Verbindung brachten. Damit belegen die Forscher, dass
Musik am PoS das Konsumentenverhalten beeinflussen kann und zwar ohne dass sich
Kunden dessen bewusst sind.

10.3.1.3 Olfaktorische Reize
Das sog. Duftmarketing versucht, das Konsumentenverhalten unter Zuhilfenahme
von Duftstoffen zu beeinflussen, um so den Absatz von Produkten zu steigern. Einige
Shoppingcenter oder Bahnhofs-Malls setzen bewusst Aromen ein, um Konsumenten zum
164 10  Physische Umwelt

nächsten Café (Kaffeearoma) oder Teehändler (Beerenaromen) zu locken. Dabei können


zum Händler passende Düfte die Einstellung und das Verhalten des Konsumenten beein-
flussen (Mitchell et al. 1995). Ein frischer Duft kann etwa die wahrgenommene Kompe-
tenz eines Sportgeschäfts positiv beeinflussen (Stöhr 1998). Die Dosierung von Düften
ist dabei von besonderer Bedeutung. Sie dürfen nicht aufdringlich eingesetzt werden, da
sie ansonsten beim Konsumenten Reaktanz erzeugen und sich negativ auf sein Verhalten
auswirken. Allerdings gibt es auch hier Gegenbeispiele. Das US-amerikanische Mode-
unternehmen Abercrombie & Fitch bläst durch die Lüftungsanlagen seiner Filialen den
süßlichen Geruch seines Parfüms „Fierce“ und markiert damit buchstäblich die Klei-
dung im Ladengeschäft.

10.3.1.4 Gustatorische Reize
Für viele ist Essen Genuss und mit positiven Emotionen verbunden. Somit ist es ein-
leuchtend, dass Einzelhändler über Produktverkostungen oder Live Cooking Events im
Ladengeschäft beim Konsumenten geschmackliche Reize setzen möchten. Wir erinnern
uns, dass sich auch Ben im Einstiegsbeispiel von einer dieser Aktionen attrahieren ließ.
Empirische Studien belegen die Wirkung von Produktverkostungen am PoS (Phillips
et al. 2015). Sie können Konsumenten, die den Kauf eines bestimmten Markenproduktes
planen, zu einem Markenwechsel bewegen, aber auch den Kauf von Produkten fördern,
die der Konsument vorher nicht auf seinem Einkaufszettel hatte (Heilman et al. 2011).
Die Gründe, warum ein Konsument bei einer Produktverkostung zugreift, reichen von
hedonischen Motiven („Produktverkostungen machen das Einkaufen angenehmer.“) über
utilitaristische Motive („Ich möchte mehr über das Produkt erfahren.“) bis hin zu physio-
logischen Motiven („Ich habe Hunger.“).

10.3.1.5 Haptische Reize
Im Ladengeschäft nehmen Konsumenten Informationen über haptische Reize auf, indem
sie Produkte anfassen. Dabei ist das Bedürfnis nach haptischen Reizen für die Kauf-
entscheidung zwischen Individuen unterschiedlich stark ausgeprägt. Die „Need for
Touch“(NFT)-Skala misst dieses Bedürfnis anhand von zwei Dimensionen (Peck und
Childers 2003a; vgl. Abb. 10.2):

• Autotelic NFT ist intrinsisch motiviert. Das Anfassen von Produkten erfolgt aufgrund
hedonischer Ziele, wie etwa Spaß oder Freude, und passiert oft automatisch und
unbewusst.
• Individuen mit einer hohen Instrumental-NFT-Ausprägung fassen Produkte an, um
kaufrelevante Informationen zu weiteren Produkteigenschaften zu erhalten. Sie zeich-
nen sich durch eine höhere Zielorientierung im Kaufprozess aus.

Personen mit einem hohen NFT bewerten Produkte besser, wenn sie diese vorab anfassen
können (Peck und Childers 2003b; Nuszbaum et al. 2010). Der haptische Reiz kann
zudem die Kaufwahrscheinlichkeit erhöhen. Dieser Einfluss des haptischen Reizes
10.3  Der Kaufkanal als physische Umwelt 165

Item (Dimension) Stimme Lehne


zu ab
Wenn ich einkaufen gehe, muss ich alle
möglichen Artikel anfassen (A).
Es macht Spaß, alle möglichen Artikel
anzufassen (A).
Beim Kauf eines Artikels fühle ich mich
wohler, wenn ich diesen vorher durch
Anfassen eingehend geprüft habe (A).
Ich vertraue stärker auf Artikel, die man
vor dem Kauf anfassen kann (I).
Wenn ich einen Artikel im Geschäft nicht
anfassen kann, möchte ich diesen nur
ungern kaufen (I).

Abb. 10.2  Auszug aus der NFT-Skala

auf das Kaufverhalten des Konsumenten erfolgt unbewusst. Geschickte Verkäufer set-
zen daher haptische Reize, indem sie Konsumenten dazu ermuntern, Produkte auszu-
probieren. Haptische Reize erfordern auch im Zeitalter der Digitalisierung eine physische
Umwelt (stationärer Handel) und können ebenso wie geschmackliche und olfaktorische
Reize nicht in die mediale Umwelt transferiert werden.

Beispiel: Erlebnisorientierung im Ladengeschäft


Ob im Tauchbecken, im Klettertunnel oder in der Kältekammer: Die Ladengestaltung
und Atmosphäre des Outdoor Händlers Globetrotter bietet Konsumenten eine Vielzahl
an Möglichkeiten, Produkte direkt im Ladengeschäft auszuprobieren. Scannen Sie
den QR-Code, um Einblick in die Dresdner Erlebnisfiliale zu erhalten.

10.3.2 Räumliche Aufteilung des Kaufkanals

„Wo finde ich das Olivenöl? Haben Sie auch Sojamilch?“ Ein Großteil der Beratungs-
leistungen, die Konsumenten am PoS in Anspruch nehmen, dient der Orientierung. Für
den Einzelhandel ist eine reibungslose Orientierung des Konsumenten erfolgskritisch.
Schließlich zeigen Umfragen, dass Konsumenten jeden fünften geplanten Produkt-
kauf verschieben oder gar verwerfen, weil sie das entsprechende Produkt nicht finden
166 10  Physische Umwelt

können (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013). Die Orientierung im Raum und das
Bewegungsverhalten im Raum geben Aufschluss zur optimalen räumlichen Aufteilung
des Kaufkanals.

10.3.2.1 Orientierung im Raum
Wie orientieren sich Menschen in Shoppingcentern oder Ladengeschäften? Den Erkennt-
nissen der Sozialgeografie zufolge verwenden Menschen hierzu sog. kognitive Kar-
ten, sprich mentale Repräsentationen eines geografischen Raums. Bei Konsumenten
bezieht sich dieser geografische Raum bspw. auf ein Ladengeschäft oder auf das gesamte
Shoppingcenter. Kognitive Karten zeichnen sich durch die in Tab. 10.2 dargestellten
Merkmale aus (Lynch 1960).
Die kognitiven Karten von Konsumenten zu Shoppingcentern und Ladengeschäften
sind meist verzerrt und spiegeln die Realität nicht maßstabsgetreu und proportional
wider. Bekannte und markante Merkmale nehmen viel Raum ein, während andere Merk-
male unterrepräsentiert sind. Dies wirkt sich auf die Orientierung des Konsumenten in
Shoppingcentern und Ladengeschäften aus.

Orientierung im Ladengeschäft
Konsumenten orientieren sich in Ladengeschäften mithilfe räumlicher Bezüge zwischen
Objekten („Das Olivenöl steht rechts unter dem Balsamico-Essig.“) und über bildliche
Elemente („im Regal gegenüber der roten Säule“). Studien zeigen zudem, dass sich
Konsumenten an markanten Merkmalen im Ladengeschäft orientieren, wie etwa an
den Hauptwegen, großen Objekten wie Kühltheken oder Aufstellern sowie Farbflächen
und Werbetafeln. Diese Objekte stehen i. d. R. in den Randflächen des Ladengeschäfts.
Daher erinnern sich Konsumenten auch besser an den Standort von Produkten, die in
Außenlage stehen. Produktpositionen in Innenlage des Ladengeschäfts werden weniger
gut erinnert, da sie weniger Orientierungspunkte bieten und sich in Struktur und Auf-
teilung sehr ähnlich sind (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013, S. 509; Sommer und
Aitkens 1982). Um Konsumenten die Orientierung im Raum zu erleichtern und Mit-
arbeiter zu entlasten, stellen einige Händler Touchscreens und elektronische Info-­
Terminals auf. Einige Händler haben auch Apps entwickelt, die den Kunden durch
den Laden navigieren. Die Apps bieten je nach Händler zusätzliche Mehrwerte wie

Tab. 10.2  Merkmale kognitiver Karten für Ladengeschäfte und Shoppingcenter. (In Anlehnung


an Lynch 1960)
Merkmal Ladengeschäft Shoppingcenter
Wege Hauptgänge im Ladengeschäft Hauptgänge im Center
Begrenzungen Regale, Verkaufstische Sitzreihen, Blumenkübel
Gebiete Obstabteilung, Frischetheke Areale wie Gastronomie
Knotenpunkte Wegkreuzungen Wegkreuzungen
Orientierungspunkte Info-Terminals, Kassen Rolltreppen, Aufzug
10.3  Der Kaufkanal als physische Umwelt 167

z. B. Rabatte, Coupons und Produktinfos. Zu den neueren Entwicklungen gehören


sog. Beacons, kleine Bluetooth-Sender, die bspw. an Regalen, Schildern oder Türen
angebracht sind und mit dem Smartphone des Kunden kommunizieren. Mithilfe der
kleinen Sender können Händler sogar den Standort des Konsumenten im Ladengeschäft
bestimmen, ihn durch den Laden zu einem speziellen Angebot navigieren oder ihm einen
individuellen Rabatt gewähren und dadurch sein Konsumentenverhalten beeinflussen.

Orientierung im Shoppingcenter
In einem Einkaufszentrum finden Konsumenten Einzelhandelsgeschäfte und Dienst-
leister verschiedener Branchen räumlich unter einem Dach vereint. Die Orientierung des
Konsumenten in Shoppingcentern folgt ebenfalls den Gesetzen der Umweltpsychologie
und Sozialgeografie. In der kognitiven Karte sind architektonische Merkmale wie Ein-
und Ausgänge, Wegkreuzungen, Rolltreppen oder Aufzüge besonders markant. Anker-
mieter und sekundäre Anziehungspunkte sind weitere besondere Orientierungspunkte der
kognitiven Karte von Konsumenten. Von Ankermietern geht eine überdurchschnittliche
Anziehungskraft auf den Konsumenten aus, sodass sie für eine höhere Frequentierung
von Shoppingcentern sorgen. In der Regel handelt es sich dabei um große Warenhäuser
(z. B. Galeria Kaufhof), Bekleidungsschäfte (z. B. H&M) oder Elektronikhändler (z. B.
Saturn). Sekundäre Anziehungspunkte sind Restaurants, Banken oder Ruhe-Bereiche
(Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013).

10.3.2.2 Bewegungsverhalten im Raum
Es gibt zwei Beobachtungen zur menschlichen Fortbewegung, die für die Konsumenten-
verhaltensforschung besonders interessant sind. Zum einen neigen Menschen dazu, auf
der rechten Seite zu gehen. Dies hat mit der Sozialisation zu tun, wie etwa dem Rechts-
fahrgebot in den meisten Ländern. Zum anderen tendieren Menschen dazu, beim Gehen
nach links abzudriften. Verirren sich Menschen etwa in der Wildnis, laufen sie meistens
links herum in einem sehr großen Kreis. Viele Einzelhändler machen sich dieses Wissen
zunutze und leiten den Konsumenten gegen den Uhrzeigersinn durch das Ladengeschäft,
indem sie den Eingang rechts positionieren und den Konsumenten dann mithilfe der
Regalanordnung links durch den Laden führen. Weiterhin greifen Konsumenten ten-
denziell rechts nach Produkten, da die meisten Rechtshänder sind. Bedenkt man, dass
Konsumenten eine wandbezogene Orientierung haben, wundert es nicht, dass sie Innen-
gänge meiden und rechts liegende Verkaufsflächen stark frequentieren (Underhill 2009).
Diese Grundtendenzen menschlichen Bewegungsverhaltens sowie die Erkenntnisse zur
kognitiven Karte führen zu Top Spots und Flop Spots (Tab. 10.3) in Ladengeschäften
(Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013).
Einzelhändler richten die räumliche Aufteilung des Kaufkanals stark an Erkenntnissen
zur Orientierung des Konsumenten im Raum und seinem Bewegungsverhalten aus. Fasst
man diese Erkenntnisse zusammen, lassen sich prinzipiell vier Ladenzonen mit typi-
schen Verhaltensmustern von Konsumenten und entsprechenden verkaufsfördernden
Maßnahmen durch den Handel identifizieren (Underhill 2009; Tab. 10.4).
168 10  Physische Umwelt

Tab. 10.3  Top Spots und Flop Spots in Ladengeschäften. (In Anlehnung an Kroeber-Riel und
Gröppel-Klein 2013)
Top Spots Flop Spots
Hauptwegea Mittelgängeb
Rechts liegende Verkaufsflächenb Links liegende Verkaufsflächenb
Lift, Treppen etc.a Höhere und tiefere Etagenb
Gangkreuzungena Sackgassena
Kassenzonena Räume hinter den Kassenb
Begründung:
aKognitive Karten
bBewegungsverhalten

Tab. 10.4  Typische Ladenzonen im Einzelhandel. (Auf Basis von Underhill 2009)


Bereich Typisches Verhalten Marketing-Maßnahmen
Hintere und obere Laden- Kunden meiden hintere und Durch attraktive Angebote und
bereiche obere Ladenbereiche Architektur hintere und obere
Areale einbinden
Übergangszone Schnelles Überqueren der „Landebahn“ zur Ent-
Parkplätze und Betreten des schleunigung, bspw. durch
Geschäfts persönliche Begrüßung im
Eingangsbereich
Abstellflächen Kunden benötigen beim Ein- Bereitstellen von Ablage-
kaufen beide Hände flächen (Theken, Garderoben)
und von Behältnissen (Ein-
kaufskörbe, Tragetaschen)
Hinweistafeln und Plakate Kunden beachten Plakate nur, Hinweistafeln und Plakate in
wenn sie Zeit haben der Nähe von Rolltreppen,
Warteschlangen und Toiletten
platzieren

Nicht nur die räumliche Aufteilung des Kaufkanals allgemein, sondern auch die Posi-
tion des Produkts im Regal des Einzelhändlers formt die physische Umwelt des Konsu-
menten am PoS. Die Regalaufteilung erfolgt auf horizontaler Ebene und auf vertikaler
Ebene. Auf vertikaler Ebene unterscheidet man vier Regalzonen.

• Die Reckzone befindet sich auf einer Höhe von über 180 cm und somit außerhalb des
direkten Blickfeldes der meisten Konsumenten. Dadurch werden Produkte in dieser
Zone weniger stark wahrgenommen.
• Die Sichtzone ist auf einer Höhe von 140–160 cm angesetzt. Konsumenten beziehen
Produkte in diesem Bereich am stärksten in ihren Auswahlprozess ein, da sie sich im
10.4  Das Produkt als Teil der physischen Umwelt 169

direkten Blickfeld auf Augenhöhe befinden. Händler positionieren hier Premium-


produkte, bei denen die Gewinnmarge am höchsten ist.
• Die Griffzone zwischen 60–140 cm eignet sich zur Positionierung des Normalsorti-
ments, für Neuheiten und für Impulsartikel.
• Die Bückzone unterhalb von 60 cm steht für sog. Schnelldreher (d. h. Waren, die
schnell verkauft werden) und Handelswaren zur Verfügung.

Auf horizontaler Ebene gilt es zu berücksichtigen, dass Konsumenten entlang der


Leserichtung das Regal von links nach rechts wahrnehmen. Daher können bspw. ver-
schiedene Sorten nebeneinander platziert werden, statt eine Sorte in einer Reihe zu
positionieren. Das Facing drückt die Sichtbarkeit eines Produktes aus. Die Anzahl der
Facings bestimmt den Absatz. Sie lässt sich steigern, indem man die in diesem Abschnitt
besprochenen Hinweise zur vertikalen und horizontalen Regalaufteilung berück-
sichtigt. Daher sollten Produkte von ihrer Schokoladenseite gezeigt werden. Das Regal
sollte Abwechslung bieten. Grifflücken und Out-of-Stock sollten vermieden und lange
Kontaktstrecken (Präsentationsbreite von mindestens 30 cm) realisiert werden (Kroe-
ber-Riel und Gröppel-Klein 2013).

Beispiel: Kann ein ungeplanter Einkauf geplant sein? – In-Store-Slack


Stilley et al. (2010a) weisen nach, dass Konsumenten ungeplante Einkäufe vorab
einplanen. Offensichtlich rechnen die meisten Konsumenten vor einem Einkauf
ein, dass sie gewisse Produkte nicht auf ihrer Einkaufsliste aufgeführt haben, diese
aber benötigen bzw. in der Einkaufssituation plötzlich erwerben möchten. Für diese
geplanten Spontankäufe (In-Store-Slack) gibt es mehrere Gründe: Man kann einfach
vergessen haben, dass man das Produkt möchte oder braucht, und wird daran erinnert,
wenn man auf das Supermarktregal schaut. Auch die Impulsivität der Konsumenten
spielt hier eine Rolle. Eine weitere Untersuchung von Stilley et al. (2010b) zeigt Fol-
gendes: Konsumenten haben ein „mentales Budget“ und der geplante Umfang der
Gesamteinkäufe (in der Studie im Durchschnitt 66,45 US$) stimmt ungefähr mit dem
tatsächlichen Umfang der Gesamteinkäufe überein (69,84 US$). Die In-Store-Slacks
fielen allerdings mit durchschnittlich 34,59 US $ deutlich höher aus als geplant
(20,37 US$).

10.4 Das Produkt als Teil der physischen Umwelt

Jedes Objekt der materiellen Umwelt, das für eine Person Bedeutung besitzt, kann
Teil der physischen Umwelt sein (Hellbrück und Kals 2012). Als Informations- und
Bedeutungsträger gehört somit das Produkt selbst und insb. die Verpackung des Pro-
dukts zur physischen Umwelt und zu den relevanten Einflussgrößen am PoS. Produkt-
verpackungen erfüllen für den Konsumenten allgemein vier Funktionen (Meffert et al.
2018).
170 10  Physische Umwelt

1. Schutzfunktion: Die Verpackung schützt das Produkt vor Verunreinigung (z. B. ein-
geschweißter Käse) oder Beschädigung (z. B. TV in Karton und Styropor).
2. Distributionsfunktion: Die Verpackung ermöglicht und erleichtert es dem Konsu-
menten, das Produkt nach Hause zu transportieren (z. B. Tragehenkel am Wasch-
pulverpaket).
3. Verwendungsfunktion: Verpackungen können die Verwendung des Produkts
erleichtern (z. B. leichteres Öffnen oder Wiederverschließbarkeit).
4. Informationsfunktion: Die Verpackung kann genutzt werden, um über Produkt-
eigenschaften aufzuklären.

Die Informationsfunktion kann explizit, aber auch implizit sein. Explizite Produkt-
informationen bei Lebensmitteln sind bspw. Angaben zu den Nährwerten oder bei Haus-
haltsgeräten die Energieeffizienz. Implizite Produktinformationen werden durch die
Verpackungsgestaltung kommuniziert und sollen den Konsumenten zum Kauf animie-
ren. Konsumenten verarbeiten alle Reize (visuell, akustisch, olfaktorisch, haptisch), die
von Produktverpackungen ausgehen – und das oftmals unbewusst – und sie bilden sich
daraufhin ein Urteil. Die Verpackungen von Light-Lebensmitteln sind bspw. oftmals in
hellen Pastelltönen gehalten (z. B. hellblau) und sollen damit implizit Assoziationen wie
Leichtigkeit und Gesundheit kommunizieren. In Abhängigkeit von Farbe, Typografie,
Form und Material der Verpackung wirken unterschiedliche Reize auf den Konsumenten
(Ampuero und Vila 2006). Die Wirkung dieser Reize hängt allerdings auch vom Produkt
selbst ab, sodass wir an dieser Stelle keine allgemeingültigen Faustregeln (im Stile von
„rote Verpackungen animieren den Konsumenten zum Kauf“) formulieren können. Dafür
ist das Wechselspiel zwischen den Gestaltungsmöglichkeiten von Verpackungen und
dem Produkt selbst zu komplex, wie folgende Beispielstudie verdeutlicht.

Beispiel: Gesund und lecker? Das kann nicht sein! Die „Unhealthy = Tasty“-Intuition
Die „Unhealthy = Tasty“-Intuition (UTI)besagt, dass Konsumenten wenig schmack-
hafte Nahrungsmittel mit einer gesunden Lebensweise und schmackhafte Nahrungs-
mittel mit einer ungesunden Lebensweise verbinden (Raghunathan et al. 2006). Mai
et al. (2016) zeigen, dass sich die UTI bei Light-Produkten, die in der Verpackungs-
gestaltung oft Pastelltöne verwenden, ebenfalls durchsetzt; und zwar in Abhängigkeit
vom Gesundheitsbewusstsein. Gesundheitsbewusste Konsumenten haben eine posi-
tive Einstellung gegenüber pastellfarbenen Produktverpackungen. Konsumenten mit
einem niedrigen Gesundheitsbewusstsein beurteilen hingegen das Produkt aufgrund
der pastellfarbenen Verpackung unbewusst als nicht schmackhaft und entscheiden
sich gegen den Kauf.
10.5  Verkäufer und andere Personen am Point of Sale 171

10.5 Verkäufer und andere Personen am Point of Sale

Konsumenten begegnen am PoS dem Verkaufspersonal sowie anderen Konsumenten.


Diese gehören zwar auch der sozialen Umwelt an. Sie sind jedoch an den speziel-
len Kontext der physischen Umwelt, d. h. an den Point of Sale, gebunden. Deshalb
behandeln wir ihren Einfluss in diesem Kapitel.

10.5.1 Merkmale des Verkäufers

Die Forschung zum Einfluss des Verkäufers auf das Verhalten von Konsumenten befasste
sich lange Zeit mit den Eigenschaften des Verkaufspersonals. Der Erfolg im Ver-
kauf galt als Ergebnis persönlicher Eigenschaften und Merkmale des Verkäufers (z. B.
Alter, Geschlecht, Aussehen, Selbstsicherheit). Neuere Studien verstehen den Verkaufs-
vorgang als Interaktion zwischen Verkäufer und Konsument am PoS. Damit hängt der
Erfolg oder auch Misserfolg vom Verhalten beider Akteure ab. Gleichwohl können Ver-
käufer über geeignete Techniken die Interaktionssituation steuern und damit versuchen,
das Verhalten von Konsumenten – hin zu einem Kauf – zu beeinflussen (Kroeber-Riel
und Gröppel-Klein 2013). Mehrabian und Ferris (1967) postulierten vor 50 Jahren,
dass der Interaktionsprozess zu 7 % verbal, zu 38 % vokal und zu 55 % mimisch beein-
flusst wird (7-38-55-Regel). Die Werte sollten aufgrund ihrer geringen externen Validität
(Abschn. 2.4.4) nicht auf die Prozentzahl genau auf die Interaktion zwischen Verkäufer
und Konsument übertragen werden. Die drei Elemente zeigen aber, auf welchen Ebenen
das Verkäuferverhalten die Interaktion mit dem Kunden beeinflussen kann.

• Verbal: Über das gesprochene Wort kann der Verkäufer mit dem Kunden in Inter-
aktion treten, seine Fragen zum Produkt klären und Vertrauen schaffen. Vertrauen gilt
als kritischer Erfolgsfaktor für eine gelungene Interaktion. Ob der Kunde dem Ver-
käufer vertraut, hängt davon ab, ob er ihn als kompetent beurteilt, ob er das Gefühl
hat, dass der Verkäufer ihn nicht unter Kaufdruck setzt, sowie von der allgemeinen
Service-Qualität des Händlers (Kennedy et al. 2001).
• Vokal: Stimmqualität, Sprechmelodie und Sprechpausen werden unter vokalem
Verhalten zusammengefasst. Studien zeigen, dass Verkäufer, die besonders schnell
sprechen, mehr Überzeugungskraft besitzen. Allerdings wirkt ein gleichbleibendes
Sprechtempo – egal ob schnell oder langsam – wenig aktivierend und somit weni-
ger überzeugend (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013, S. 629). Selbst der Akzent
des Verkäufers wirkt sich auf das Konsumentenverhalten aus. Haben Kunde und Ver-
käufer den gleichen Dialekt, ist der Konsument mit der Beratungsleistung zufriedener
und die Kaufwahrscheinlichkeit steigt (Mai und Hoffmann 2011).
172 10  Physische Umwelt

• Mimik: Die Gestik und Mimik als Teil der nonverbalen Kommunikation können
den Verkaufsvorgang stark beeinflussen. Grundsätzlich ist nur authentisches non-
verbales Verhalten erfolgsversprechend (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013).
Eine zugewandte Gestik und Mimik (zustimmendes Nicken, Blickkontakt, leichtes
Lächeln etc.) erzeugt Sympathie und dadurch Annäherungsverhalten gegenüber dem
Interaktionspartner.

Verkäufer können die Interaktionssituation nicht nur verbal, vokal und mimisch steuern,
sondern auch durch Verkaufstechniken. Ziel der Verkaufstechniken ist es, Compliance
zu erzeugen. Compliance bedeutet allgemein, dass sich eine Person freiwillig an Regeln
oder Abmachungen hält. Die Sozialpsychologie definiert Compliance etwas enger: Dem-
nach handelt es sich um eine Verhaltensänderung aufgrund des Einflusses von außen
(Gerrig 2014). Wie Verkäufer mithilfe von Verkaufstechniken Compliance erzeugen und
wie diese zum Kauf führen, lässt sich mithilfe sozialpsychologischer Theorien erklären
(Tab. 10.5).

10.5.2 An- und Abwesenheit anderer Konsumenten

Während wir uns in einem gähnend leeren Club wahrscheinlich schnell langweilen
und das Weite suchen, fühlen wir uns in einem vollen Bahnabteil schnell unwohl. Arco
et al. (2005) ermittelten empirisch, dass Konsumenten beim Einkaufen weniger nega-
tive Emotionen erleben, wenn mindestens ein anderer Kunde anwesend ist. Eine direkte
Interaktion mit dieser Person ist dafür nicht nötig. Steigt die Anzahl der anderen Kun-
den allerdings an, nimmt auch das Erleben negativer Emotionen wieder zu. Der Wunsch
nach An- und Abwesenheit anderer Menschen beim Konsum von Produkten und Dienst-
leistungen lässt sich durch zwei unterschiedliche umweltpsychologische Erkenntnisse
erklären (Hellbrück und Kals 2012): Crowding ist das Erleben von Beengung und Über-
füllung. Studien zeigen, dass Crowding bei Menschen Stress und Belastung erzeugt. Wer
schon einmal am 23.12. die letzten Weihnachtsgeschenke besorgen musste, dem dürfte
dieses Phänomen nur allzu bekannt sein. Crowd Behavior zeigt, dass objektive Über-
füllung nicht immer subjektiv Crowding-Gefühle erzeugen muss. Stark frequentierte
Ladengeschäfte sind für Konsumenten auch eine Heuristik für Qualität („Wenn so viele
in dem Laden sind, kann er ja nur gut sein.“). Konsumenten empfinden bspw. das enge
Beieinandersein im Fußballstadion, auf Konzerten oder in Diskotheken als angenehm.
Crowd Behavior bezieht sich auf das Verhalten und Erleben Einzelner in der Masse.
Indem sie gleiche Gefühle und gleiches Verhalten zeigen, erleben Konsumenten eine
starke soziale Verbundenheit.
Tab. 10.5  Typische Verkaufstechniken am Point of Sale. (In Anlehnung an Bem 1972 und Festinger 1957)
Door in the face Foot in the door Low Ball
Erläuterung A stellt zuerst eine große Bitte, A stellt eine kleine Bitte, der eine große Bitte A stellt eine Forderung, gibt aber nur einen
die B ablehnt. Der anschließenden folgt. Wenn B zuvor auch der kleinen Bitte Teil der Ausgangsbedingungen preis. Wenn B
kleineren Bitte stimmt B dann zugestimmt hat, so stimmt er mit großer dieser Forderung zustimmt, gibt A weitere –
wahrscheinlich zu Wahrscheinlichkeit auch der großen Bitte zu meist negative – Informationen
Compliance Reziprozitätsnorm: Wenn jemand Selbstwahrnehmungstheorie: Menschen Konsistenztheorien: Gruppe von Theorien,
durch etwas für einen anderen tut, so schließen anhand ihres Verhaltens in der Ver- die der Widerspruchsfreiheit (Konsistenz) eine
fühlt sich Letzterer im Gegenzug gangenheit und Gegenwart auf ihre inneren motivierende Rolle zuteilen. Zum Beispiel
verpflichtet, auch etwas für erste- Zustände wie Einstellungen, Motive und Theorie der kognitiven Dissonanzb, wonach
ren zu tun Gefühlea Menschen nach widerspruchsfreien Ziel-
zuständen streben und sich widersprechende
Kognitionen anpassen
Beispiel Im Verkaufsgespräch bietet ein Wer sich zuvor bereit erklärt hat, eine Ein Fitnesstrainer macht dem potenziellen
Verkäufer ein Produkt zu einem Petition gegen die Abholzung des Regen- Kunden das Studio schmackhaft („Für nur
hohen Preis an („Der Gebraucht- waldes zu unterschreiben, der wird mit einer 20 EUR im Monat kannst du so oft trainieren,
wagen kostet 6000 EUR“) und größeren Wahrscheinlichkeit im Anschluss wie du magst.“). Nachdem sich der Konsument
10.5  Verkäufer und andere Personen am Point of Sale

rudert gleich zurück („Aber weil auch eine Geldspende tätigen. Der innere von den Vorteilen des Studios überzeugt hat
Sie es sind, mache ich 5800 EUR Dialog könnte wie folgt lauten: „Bin ich und den Vertrag unterschreiben will, eröffnet
draus“). Nachdem der Verkäufer bereit, monatlich 10 EUR zu spenden? ihm der Trainer weitere Kosten (z. B. 90 EUR
dem Kunden einen Gefallen Warum nicht, schließlich habe ich schon Aufnahmegebühr). Da der Kunde inzwischen
getan hat (mit dem Preis runter- in der Vergangenheit umweltfreundliches selbst viele positive Argumente generiert hat
ging), fühlt sich dieser gemäß Verhalten gezeigt, wie etwa die Teilnahme an („Der Besuch des Studios ist gut für meine
der Reziprozitätsnorm zum Kauf der Unterschriftenkampagne“ Gesundheit.“), passt er die negative Informa-
verpflichtet und die Kaufwahr- tion an, um Dissonanz zu vermeiden („Ich
scheinlichkeit steigt hatte mir sowieso einen höheren Monatsbeitrag
vorgestellt und die modernen Trainingsgeräte
rechtfertigen diese Aufnahmegebühr.“) und
setzt seine Unterschrift unter den Vertrag
aBem (1972)
173

bFestinger (1957)
174 10  Physische Umwelt

10.6 Lernhilfe

Quintessenz
Die physische Umwelt des Konsumenten beeinflusst sein Verhalten maßgeblich. Das
umweltpsychologische Verhaltensmodell von Mehrabian und Russell hilft, diese Wir-
kung zu erklären. Die Atmosphäre des Kaufkanals und die räumliche Aufteilung des
Ladengeschäfts nehmen eine besondere Rolle ein. Neben dem Raum beeinflussen
auch Objekte wie etwa Produkte und Produktplatzierungen sowie Subjekte wie etwa
Verkäufer und andere Konsumenten am PoS den Konsumenten in seiner physischen
Umwelt.

Übungsfragen und -aufgaben


Vervollständigen Sie folgenden Satz:
Die Wirkung des Umweltreizes hängt dem umweltpsychologischen Verhaltensmodell
zufolge auch von der Persönlichkeit des Rezipienten ab. Mehrabian und ­Russell
(1974) unterscheiden zwei Typen: ____________ sind gegenüber Reizen aus der
Umwelt aufgeschlossen, während ____________ eine physische Umwelt mit einem
geringen Reizvolumen bevorzugen.

Richtig oder falsch?


Das umweltpsychologische Verhaltensmodell von Mehrabian und Russell (1974)
nimmt an, dass die physische Umwelt das Verhalten von Individuen über emotionale
Reaktionen beeinflusst.

Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an.


Im Ladengeschäft können folgende Umweltreize auf den Konsumenten wirken:

O Visuelle Reize
O Akustische Reize
O Olfaktorische Reize
O Geschmackliche Reize
O Haptische Reize

Vernetzende Fragestellung
Ob Mymuesli oder Notebooksbillige: Immer mehr Online Pure Player eröffnen zusätz-
lich zum Online-Shop ein Stationärgeschäft. Diskutieren Sie diese Entscheidung vor
dem Hintergrund des umweltpsychologischen Verhaltensmodells von Mehrabian und
Russell (1974).
Literatur 175

Weiterführende Literatur

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strategische Empfehlungen. Wiesbaden: Gabler.
Underhill, P. (2009). Why We Buy: The science of shopping. New York: Simon & Schuster.
Mediale Umwelt
11

u YouTube killed the Radio Star  Während im Hintergrund das Radio läuft, sit-
zen Lea und Ben mit ihren Tablets auf dem Sofa und schauen sich die neu-
esten Vlogs ihrer jeweiligen Lieblings-YouTuber an. „Ich denke, ich probiere
das mit der veganen Ernährung auch mal aus.“ „Wie bitte?“, fragt Lea über-
rascht und schließt den Reise-Vlog, den sie sich soeben noch entspannt
angeschaut hatte. „Du willst freiwillig auf Burger verzichten?“ „Naja, mein Lie-
blings-YouTuber ist Sportler und ernährt sich auch vegan. Und irgendwie hast
du mit deinen Bedenken, dass die Tiere so leiden, ja auch Recht.“ „Ich finde
das super, Ben. Ich suche uns direkt mal einige vegane Rezepte raus, die wir
gemeinsam kochen können.“ Leas Antwort bekommt Ben allerdings nicht
mehr mit. Er hat soeben den Link zu einem veganen Proteinshake angeklickt,
den der Vlogger empfohlen hat.
Konsumenten nutzen Medien aus vielerlei Gründen: Sie entspannen sich
vor dem Fernseher, sie informieren sich über Produkte und Dienstleistungen
im Internet oder sie tauschen sich über soziale Medien mit anderen Konsu-
menten aus. Doch wie wählt der Konsument aus dem vielfältigen medialen
Angebot aus und wie beeinflusst die mediale Umwelt sein Verhalten?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 177
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_11
178 11  Mediale Umwelt

Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, ….

• wie Medien Informationen zwischen Unternehmen und Konsument vermitteln


(Abschn. 11.1),
• was Konsumenten mit Medien machen (Abschn. 11.2) und
• was die Medien mit Konsumenten machen (Abschn. 11.3),

… indem Sie die mediale Umwelt des Konsumenten durch folgende Modelle
und Theorien betrachten:

• Sender-Empfänger-Modell,
• Uses-and-Gratification-Ansatz,
• Mood-Management-Theorie und
• Flow-Theorie.

11.1 Wie Medien zwischen Konsumenten und ihrer Umwelt


vermitteln

Wohnst du noch oder lebst du schon? Just do it! Mach dir Freude auf. Ob Ikea, Nike
oder Coca-Cola, Unternehmen wollen mit Konsumenten kommunizieren. Dabei gilt:
Es gibt keine unvermittelte Kommunikation, sondern Kommunikation bedarf immer
eines Mediums (Batinic und Appel 2008). Das bekannteste Kommunikationsmodell, das
die vermittelnde Rolle von Medien bei der Kommunikation integriert, ist das Sender-­
Empfänger-Modell von Shannon und Weaver (1949; vgl. Abb. 11.1). Ein Sender (z. B.
Nike) übermittelt durch ein Übertragungsmedium (TV-Sendemast) eine Nachricht („Just
do it!“), die über den Übertragungskanal (Atmosphäre) das Empfangsmedium (TV-­
Gerät) des Empfängers (Konsument) erreicht.
Viele theoretische Ansätze zur medialen Umwelt lehnen sich an Shannon und Wea-
vers Arbeit an. Darin nehmen Störquellen eine besondere Rolle ein. Sie führen zu einer

Über- Über-
Empfangs-
Sender tragungs- tragungs- Empfänger
medium
medium kanal

Störquelle

Abb. 11.1  Sender-Empfänger-Modell. (In Anlehnung an Shannon und Weaver 1949)


11.1  Wie Medien zwischen Konsumenten … 179

Abweichung zwischen gesendeter und empfangener Information. Shannon und Wea-


ver verstanden unter Störquellen ursprünglich technische Übertragungsprobleme, wie
etwa ein Rauschen in der Leitung. Übertragungsstörungen können aber auch dadurch
entstehen, dass Sender und Empfänger die Informationen unterschiedlich en- und
decodieren, weil sie bspw. unterschiedliche Motive und Erwartungen haben oder aus
unterschiedlichen kulturellen Räumen stammen. Neuere Ansätze berücksichtigen des-
halb alle Prozesse der Informationsverarbeitung (Abschn. 5.1) beim Empfänger und
seine Motivation, sich mit medialen Inhalten auseinanderzusetzen. So werden Konsu-
menten, die der englischen Sprache nicht mächtig sind (Informationsverarbeitung) oder
die mit Sport wenig anfangen können (geringe Motivation), für den von Nike gesendeten
Slogan wohl nicht empfangsbereit sein und dem entsprechenden medialen Inhalt wenig
Beachtung schenken.

11.1.1 Systematisierung der medialen Umwelt

Medien übernehmen eine vermittelnde Funktion zwischen dem Sender und dem Emp-
fänger einer Information. Dabei unterscheidet man vier Gruppen von Medien (Burkart
2002; Pross 1972).

• Primäre Medien vermitteln Informationen ohne technische Hilfsmittel zwischen


Sender und Empfänger. Konsumenten nutzen bspw. Sprache, Gestik und Mimik, um
dem Kellner im Restaurant ihre Bestellung zu vermitteln.
• Bei sekundären Medien nutzt der Sender ein technisches Hilfsmittel zur Hervor-
bringung der Information, die für das Gegenüber ohne Hilfsmittel empfangbar ist. Zur
Produktion eines Print-Magazins als Medium benötigen Verlagshäuser etwa techni-
sche Geräte wie PCs und Drucker. Der Empfänger kann das Magazin aber ganz ohne
technische Hilfsmittel lesen.
• Tertiäre Medien setzen sowohl beim Sender als auch beim Empfänger technische
Hilfsmittel voraus. Für einen gemütlichen Fernsehabend braucht der Konsument ein
Empfangsgerät und das Fernsehstudio eine Sendestation.
• Quartäre Medien tragen der digitalen Revolution Rechnung. Die Produktion, Über-
tragung und Konsumtion von Informationen finden über digitale Medien und digitale
technische Hilfsmittel statt (z. B. Smartphone). Sie können auch als Mischform der
ersten drei Medientypen verstanden werden. Quartäre Medien brechen mit der star-
ren Rollenverteilung zwischen Sender und Empfänger, da im Zuge der Digitalisierung
Menschen mediale Inhalte nicht mehr nur konsumieren, sondern auch produzieren.
Über Social-Media-Angebote wie Facebook und YouTube können Konsumenten nicht
nur Inhalte anderer nutzen, sondern auch selbst Content, sprich Inhalte, erstellen.
180 11  Mediale Umwelt

11.1.2 Medien der Individual- und Massenkommunikation

Verschiedene Formen der Kommunikation zwischen Unternehmen und Konsumenten


unterteilt man in Abhängigkeit von der Zahl der Empfänger in Individualmedien und
Massenmedien (Six et al. 2007).

• Individualmedien wie bspw. Telefon, E-Mail oder Videokonferenz ermöglichen eine


sog. One-to-one-Kommunikation zwischen Sender und Empfänger. Einige Online-
Händler bieten Konsumenten die Möglichkeit an, über eine Chatfunktion oder einen
Messenger-Dienst wie WhatsApp direkt mit einem Mitarbeiter in Kontakt zu treten.
• Massenmedien ermöglichen es, mehrere Empfänger zu erreichen. One-to-­many-
Kommunikation vermittelt bspw. über Print, TV oder Radio zwischen einem Sender
und vielen Konsumenten (wie etwa das Unternehmen Redbull mit seinem Print-Ma-
gazin Redbull Bulletin). Many-to-many-Kommunikation vermittelt zwischen vielen
Sendern und vielen Empfängern, was bspw. in Webforen der Fall ist. Kunden des
Online-Retailers Amazon können sich in Diskussionsforen zu Produkten und Dienst-
leistungen des Händlers austauschen. Praktisch jeder kann sich am Diskussionsver-
lauf beteiligen oder diesen einsehen.

u Merke  Massenmedien sind technische Hilfsmittel zur Verbreitung von Inhalten an


eine Vielzahl von Rezipienten. Typische Massenmedien sind u. a. Printmedien (z. B. Zei-
tungen, Zeitschriften, Plakate) und elektronische Medien (z. B. Rundfunkmedien wie TV
und Radio sowie Online-Dienste).

Welches Medium das Unternehmen wählt, um mit dem Konsumenten in Kontakt zu tre-
ten, hängt von folgenden Faktoren ab (Bak 2014): Zielgruppenerreichbarkeit, Zielgrup-
pengröße, Heterogenität/Homogenität der Zielgruppe, Schwierigkeit/Einfachheit der zu
vermittelnden Botschaft und Ziel der Kommunikation. Die Unterscheidung zwischen
Individualmedium und Massenmedium ist dabei fließend, wie das Beispiel der „indi-
vidualisierten Massen-E-Mail“ zeigt. Für das Konsumentenverhalten spielen Massen-
medien eine wichtige Rolle. Von Interesse ist dabei, wie Konsumenten mit diesen
Medien umgehen, was wir in Abschn. 11.2 behandeln, und auch, wie sich die Medien-
nutzung auf den Konsumenten auswirkt, was wir in Abschn. 11.3 besprechen.

Hintergrundinfo: Beobachten Sie die Massenmedien und den deutschen Werbemarkt


Media Perspektiven ist eine monatlich erscheinende Fachzeitschrift für medienwissenschaftliche
und medienpolitische Themen des Hessischen Rundfunks. Die Zeitschrift analysiert die Lage und
Entwicklung der Massenmedien sowie ihre Rolle als Werbeträger. Über den QR-Code erhalten Sie
Zugang zu allen seit 1970 erschienenen Ausgaben.
11.2  Erklärungsansätze der Medienwahl … 181

11.2 Erklärungsansätze der Medienwahl und -nutzung

Was machen Konsumenten mit Medien? Oder anders gefragt: Wie wählen Konsumenten
Medien aus und wie nutzen sie diese? Aktuelle Theorien und Modelle der Medien-
nutzungsforschung gehen von einem aktiven Rezipienten (Benutzer, Empfänger von
Medieninhalten) aus, der sich passend zu seinen Interessen, Bedürfnissen und Motiven
bestimmten Medienangeboten zuwendet. Dabei geht man je nach Ansatz von einer ratio-
nalen, habitualisierten oder emotional motivierten Medienauswahl und -nutzung aus, die
wir im Folgenden erklären.

11.2.1 Rationale Medienzuwendung

Zwei Erklärungsansätze der Medienwahl und -nutzung, die auf rationalen Abwägungs-
und Entscheidungsprozessen beruhen, sind der Uses-and-Gratification-Ansatz (UGA)
sowie das GS-GO-Modell (Batinic und Appel 2008).

11.2.1.1 Uses-and-Gratification-Ansatz
Laut Uses-and-Gratification-Ansatz (UGA) ist die Medienwahl und -nutzung des Konsu-
menten eine problemlösungsorientierte und aktive Entscheidung (wir erinnern uns:
Konsumenten sind Problemlöser). Gratifikation heißt Belohnung. Sie setzt ein, nachdem
der Konsument durch die Nutzung der Medien seine Bedürfnisse befriedigen bzw. seine
Motive verfolgen konnte. Der UGA stellt fünf Grundannahmen auf (Katz et al. 1974):

• Menschen nutzen Medien aktiv und zielgerichtet.


• Im Mediennutzungsprozess nehmen Rezipienten eine Schlüsselrolle ein. Sie ent-
scheiden über Aufnahme und Abbruch des Kommunikationsprozesses.
• Massenmedien konkurrieren mit alternativen Quellen bzw. Möglichkeiten der Bedürf-
nisbefriedigung.
• Rezipienten sind sich ihrer Bedürfnisse und Motive der Mediennutzung bewusst und
sie können sie in Befragungen benennen.
• Kategorien, anhand derer Menschen ihre Bedürfnisse und Motive der Mediennutzung
beschreiben, sind für die Analyse der Zuwendung zu bestimmten Medien ausschlag-
gebend.
182 11  Mediale Umwelt

Studien, die dem UGA folgen, identifizierten eine Reihe von Motiven, weshalb Konsu-
menten bestimmte Medien (z. B. TV, Printmagazin) oder Medieninhalte (z. B. Soaps,
Reality-Dokus) rezipieren. Rubin (1983) benennt bspw. neun Motive der Fernseh-
nutzung, die man sich mit dem Akronym SIEGESZUG merken kann: Spannung, Infor-
mation, Entspannung, Geselligkeit, Eskapismus, soziale Interaktion, Zeitvertreib,
Unterhaltung, Gewohnheit. Während Lea bspw. auf YouTube Entspannung sucht, nutzt
Ben das Medium, um sich über das Thema Fitness zu informieren.
Mediennutzer konsumieren nicht nur Medien; sie generieren auch selbst Medien-
inhalte. Man spricht dabei vom User-generated Content. Wenn Konsumenten auf
Spiegel-Online einen Artikel kommentieren oder auf YouTube ein Video hochladen, ist das
User-generated Content. Mithilfe des UGA kann man den Umgang von Konsumenten mit
nutzergeneriertem Inhalt erklären (Shao 2009). Menschen konsumieren User-generated
Content, um sich zu informieren oder zu unterhalten. Sie interagieren mit Medieninhalten
und mit anderen Nutzern, indem sie bspw. auf Kommentare antworten und dadurch ihr
Bedürfnis nach sozialer Beziehung befriedigen. Durch das Produzieren von eigenem Con-
tent drückt sich ihr Motiv nach Selbstverwirklichung und Selbstdarstellung aus.

Hintergrundinfo: Auf der Flucht – Eskapismus


Eskapismus ist ein wichtiges Motiv der Mediennutzung. Es beschreibt die Flucht des Rezipienten
aus seinem Alltag. In modernen Gesellschaften bauen Menschen dadurch Spannungen auf, dass sie
sich bei der Ausübung verschiedener Tätigkeiten (z. B. im Job, an der Uni) an gesellschaftlich defi-
nierten Rollenmustern orientieren müssen. Gemäß des UGA können Medienangebote helfen, in
eine andere Wirklichkeit zu entfliehen und diese Zwänge hinter sich zu lassen und dadurch Span-
nungen abzubauen (Batinic und Appel 2008; Katz und Foulkes 1962).

11.2.1.2 GS-GO-Modell
Das GS-GO-Modell ist eine Weiterentwicklung des UGA (Palmgreen et al. 1985, vgl.
Abb. 11.2). Es betrachtet die gesuchte Gratifikation (engl.: GS: Gratification Sought)
und die erhaltene Gratifikation (engl.: GO: Gratification Obtained), die Menschen durch

Vorstellungen,
Erwartungen

Gesuchte Erhaltene
Medien-
Gratifikationen Gratifikationen
nutzung
GS GO

Bewertungen

Abb. 11.2  GS-GO-Modell. (In Anlehnung an Palmgreen et al. 1985)


11.2  Erklärungsansätze der Medienwahl … 183

die Nutzung der Medienangebote erfahren. Medienangebote können das Medium selbst
(TV), Genres, Programme oder Sendungen innerhalb des Mediums (Soap, Talkshow,
Reality-Doku) sowie Inhalte innerhalb des Programms (Beitrag über beliebte Reiseziele
in einem Boulevardmagazin) sein (Six et al. 2007). Konsumenten haben eine bestimmte
Vorstellung und Erwartung, inwiefern ein Medienangebot aufgrund seiner Eigenschaften
bestimmte Bedürfnisse befriedigen kann („Cicero ist ein Magazin für politische Kul-
tur, das man lesen sollte, wenn man sich tiefgreifend informieren will.“). Gleichzeitig
bewerten sie diese Eigenschaften des Medienangebots („Tiefgreifende Informationen
zu politischen Themen sind gut.“). Diese Erwartungen und Bewertungen verknüpfen sie
miteinander und entscheiden sich dann für die Nutzung des Medienangebots mit dem
höchsten angenommenen Ertrag („Cicero bietet tiefgreifendere Informationen zu poli-
tischen Themen als bspw. der Spiegel.“). Der Rezipient vergleicht, inwiefern die durch
die Nutzung des Medienangebots erhaltene Gratifikation dem erwarteten Ertrag ent-
spricht („Konnte ich durch das Lesen des Cicero-Magazins mein Informationsbedürfnis
befriedigen?“). Das Resultat dieses Vergleichs wirkt sich auf seine zukünftige Medienwahl
aus („Was für eine tolle Ausgabe, ich werde mir auch das nächste Exemplar kaufen.“).
Wenn Lea bspw. den Channel ihrer Lieblings-YouTuberin besucht, erwartet sie leicht ver-
dauliche Kost, die ihr hilft, aus ihrem Alltag zu entfliehen (Eskapismus). Diese Eigen-
schaften bewertet sie positiv. Zwar läuft parallel auch das Radio, doch nach der stressigen
Uni-Woche erwartet sie vom neuesten YouTube-Video mehr Entspannung. Die erhält sie
dann auch und beschließt, länger auf dem Channel zu verweilen als ursprünglich geplant.
Der UGA und das GS-GO-Modell basieren auf der Annahme, dass Menschen bei der
Medienwahl hohe kognitive Ressourcen aufwenden und dabei sehr reflektiert vorgehen.
Konsumenten wählen die genutzten Medien aber nicht immer bewusst und rational
gesteuert aus. Vielmehr wendet sich der Konsument häufig habitualisiert oder emotional
motiviert einem Medium zu.

11.2.2 Habitualisierte Medienzuwendung

Rubin (1983) unterscheidet zwischen instrumenteller und ritualisierter Mediennutzung.


Erstere beinhaltet die gezielte Suche nach Medieninhalten und eine hohe Aufmerksam-
keit bei deren Rezeption, so wie es etwa der UGA oder das GS-GO-Modell annehmen.
Unter ritualisierter Medienwahl und -nutzung versteht man dagegen ein habitualisier-
tes Verhalten, welchem der Konsument wenig Aufmerksamkeit schenkt und das er nicht
zielgerichtet ausführt (vgl. Kaufentscheidungstypologie, Abschn. 7.1.3.2). Um kognitive
Anstrengung zu vermeiden, bedienen sich Konsumenten bei der Auswahl von Medien ver-
schiedener Heuristiken. Häufig verläuft die Medienwahl am Anfang instrumentell („Wel-
che Serie schaue ich mir als nächstes auf Netflix an, um zu entspannen?“) und sie geht
nach und nach in ein habitualisiertes Verhalten über („Ach, ich könnte mal wieder eine
Folge schauen.“). Sollten sich die Rahmenbedingungen des habitualisierten Verhaltens
ändern („Oh, das war die letzte Folge.“), laufen wieder bewusste Entscheidungsprozesse
ab („Welche Serie schaue ich als nächstes?“).
184 11  Mediale Umwelt

11.2.3 Emotional motivierte Medienzuwendung

Zillmann (1988) postuliert mit der Mood-Management-Theorie, dass es von der Stim-
mung des Rezipienten abhängt, welche Medieninhalte er auswählt. Als theoretische
Begründung nennt er das hedonische Prinzip, wonach Menschen bestrebt sind, posi-
tive Emotionen zu erzeugen und negative Emotionen zu vermeiden. Für die Stimmung
spielt das psychophysiologische Erregungsniveau (Abschn. 4.1.2) eine wichtige Rolle.
Ist es zu niedrig (z. B. Langeweile) oder zu hoch (z. B. Stress), fühlt man sich unwohl.
Indem sie Medieninhalte konsumieren, können Konsumenten diese unangenehmen
Zustände ausgleichen und ihr Wohlbefinden wiederherstellen. Bei Langeweile wählt man
abwechslungsreiche und anregende Medieninhalte und bei Stress beruhigende Inhalte,
die nichts mit der Ursache des Stresses zu tun haben. Der Prozess des Stimmungs-
managements verläuft unbewusst, sodass laut Mood-Management-Theorie Fragebögen
kein geeignetes Instrument zur Messung der Medienwahl sind. Forscher analysieren den
Einfluss des Stimmungsmanagements auf die Wahl von Medieninhalten daher meist im
Rahmen von Experimenten, bei denen sie bei den Probanden eine bestimmte Stimmung
induzieren und im Anschluss deren Medienwahl beobachten. Derartige Untersuchungen
belegen, dass die Stimmung des Rezipienten die Auswahl verschiedener Medieninhalte
beeinflusst, wie bspw. von Fernsehsendungen (Bryant und Zillmann 1984), Zeitungs-
artikeln (Biswas et al. 1994) oder Musik (Knobloch und Zillmann 2002).

Hintergrundinfo: Liebeskummer lohnt sich nicht, oder doch? Das Sad-Film-Paradoxon


Mit knapp 19 Mio. Kinobesuchern in Deutschland und einem weltweiten Einspielergebnis von
über zwei Mrd. US-Dollar gehört Titanic zu den erfolgreichsten Filmen aller Zeiten. Ohne zu
Spoilern: Viele Zuschauer dürften zum Ende des Films einen Kloß im Hals gespürt haben. Doch
warum wählen Rezipienten traurige und tragische Medieninhalte? Gemäß der Mood-Manage-
ment-Theorie wirkt diese Entscheidung auf den ersten Blick unlogisch. Das Sad-Film-Para-
doxon offenbart jedoch, dass Rezipienten die durch Filme erzeugte negative Stimmung als positiv
erleben, u. a. weil das Erleben von medialer Trauer unbewusst mit positiver Selbstattribution ein-
hergeht („Ich bin ein mitfühlender und empathischer Mensch.“). Dadurch betreiben sie ebenfalls
Stimmungsmanagement (Oliver 1993).

11.3 Die Wirkung der medialen Umwelt auf den Konsumenten

Was machen Medien mit Menschen? Im Marketing interessiert diese Frage insb. im Rah-
men der Kommunikationspolitik und der Werbewirkungsforschung. Zweifellos wirkt
sich die über die Medien vermittelte Massenkommunikation auf das Erleben und Ver-
halten von Konsumenten aus. Wir widmen uns deshalb nun ausgewählten Effekten der
medialen Umwelt auf den Konsumenten.
11.3  Die Wirkung der medialen Umwelt … 185

11.3.1 Wissenskluft und Wissensillusion

Menschen nutzen Medien u. a., um ihr Informationsbedürfnis zu befriedigen. Studien


belegen einen positiven Zusammenhang zwischen Mediennutzung und Wissenszuwachs
(Batinic und Appel 2008). Laut Wissensklufthypothese verläuft dieser Wissenszuwachs
allerdings zwischen Menschen mit formal höherer Bildung und Menschen mit formal
niedrigerer Bildung ungleich ab (Six et al. 2007). Bildungsaffine Menschen erfahren aus
der Mediennutzung einen stärkeren Wissenszuwachs als bildungsferne Personen, weil sie

• Wichtiges besser von Unwichtigem trennen können.


• mehr Vorwissen zu bestimmten Themen haben.
• Informationen schneller verarbeiten.
• mehrere unterschiedliche Medien (z. B. TV, Tageszeitung etc.) statt nur eines Mediums
(z. B. nur TV) heranziehen.

Da der Informationsfluss stetig zunimmt und mehr und mehr Medienangebote vorliegen,
verstärkt sich die Ungleichheit zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Die
Wissenskluft vergrößert sich (Tichenor et al. 1970). Der Begriff Digital Divide (engl.:
digitale Spaltung) führt Wissensklüfte auf Unterschiede im Zugang zum Internet sowie
die Art und Weise der Nutzung des World Wide Web zurück. Beides hängt wiederum
vom sozioökonomischen Status (Abschn. 8.2.2) ab (Wei und Hindman 2011).
Unter Wissensillusion versteht man die Abweichung der subjektiven Einschätzung
des eigenen Wissens („Ich fühle mich gut informiert.“) vom tatsächlichen, objektiv
messbaren Wissen, das Konsumenten aus Medien beziehen. Insbesondere die Fernseh-
nutzung führt zur Wissensillusion, während Leser von Tageszeitungen ihr Wissen rea-
listischer einschätzen können. Erklärt wird dieser Zusammenhang damit, dass das TV
aufgrund seiner visuellen Komponente von der eigentlich zu übermittelnden Information
ablenkt (Six et al. 2007).

11.3.2 Flow-Erleben

Flow (engl.: Fließen) bezeichnet die völlige Vertiefung und das gänzliche Aufgehen in
einer Tätigkeit. Der Psychologe Mihalyi Csikszentmihalyi (1975, 1996) beobachtete die-
sen Zustand zunächst u. a. bei Extremsportlern (z. B. Bergsteigern) und verschiedenen
Berufsgruppen (z. B. Chirurgen). Später stellte man fest, dass Flow auch für das
Konsumverhalten relevant ist und dass er insb. im Umgang mit elektronischen Medien
(z. B. Internet, Computerspiele) auftritt (Hoffman und Novak 2009). Menschen, die
einen Flow-Zustand erleben (Csikszentmihalyi 1975, 1996),

• fühlen sich optimal beansprucht.


• können eine Handlung trotz hoher Anforderungen kontrollieren.
186 11  Mediale Umwelt

• empfinden die Anforderung und die Rückmeldung aus einer Handlung klar und ver-
ständlich.
• wissen jederzeit und ohne darüber nachzudenken, was sie machen müssen.
• berichten, dass die Zeit wie im Flug vergeht.

Ob ein Konsument einen Flow-Zustand erlebt, hängt von seinen Fähigkeiten und den
Anforderungen der Tätigkeit ab. Flow erfordert, dass beides hoch ausgeprägt und im
Gleichgewicht ist (Csikszentmihalyi 1996, vgl. Abb. 11.3). Bei der Mediennutzung
hängt der Flow-Zustand insb. von den Medieninhalten (Anforderungen) und der Fähig-
keit des Nutzers, diese Medieninhalte zu interpretieren, ab. Letztere wird durch die
Medienerfahrung und die kognitiven Fähigkeiten des Konsumenten beeinflusst (Sherry
2004). Im Online-Kontext tritt das Flow-Erleben durch das direkte Feedback („Das Kli-
cken führte zur gewünschten Unterseite.“) besonders leicht ein. Es hängt aber stark von
der Komplexität der Website ab, wie hoch die Anforderung an den Nutzer ist. Höhere
Komplexität bedeutet allerdings häufig auch, dass die Website reichhaltiger und damit
interessanter ist. Während Konsumenten bspw. bei der Navigation auf der Website eine
niedrige strukturelle Komplexität präferieren („Wie komme ich schnell wieder auf die
Hauptseite?“), fördert eine hohe gestalterische und inhaltliche Komplexität das emp-
fundene Vergnügen beim Surfen („Toll, es gibt so viel zu entdecken.“) (Hoffmann et al.
2011; Mai et al. 2014).

11.3.3 Social Media

Ob TV, Print oder Radio: Die meisten Medieninhalte finanzieren sich auch über Wer-
bung. Daher rezipieren Konsumenten nicht nur Medien-, sondern – gewollt oder
nicht – auch Werbeinhalte. Neue Werbeformate in den Sozialen Medien (engl. Social
Media) ergänzen die klassische Werbung im TV, auf Litfaßsäulen oder in Zeitschriften.

Abb. 11.3   Flow- hoch


Modell. (In Anlehnung an
Csikszentmihalyi 1996) Angst Flow
Herausforderungen

Apathie Langeweile

niedrig
gering Fähigkeiten hoch
11.4 Lernhilfe 187

Das Besondere: Während klassische Werbung i. d. R. die Medienzuwendung unter-


bricht (z. B. Werbeblock) und damit oftmals von Rezipienten als störend empfunden
wird, ermöglicht Social Media eine subtile und weniger aufdringliche Übertragung der
Werbebotschaft vom Sender zum Empfänger. Beispiele hierfür sind etwa Blogs (z. B.
Tumblr), Vlogs (z. B. YouTube), Mikroblogging-Dienste (z. B. Twitter) und natürlich
soziale Netzwerke (z. B. Facebook). Durch Social Media entstehen für Unternehmen
neue Werbeformate, die sie insb. auf den folgenden zwei Wegen nutzen.
Beim Content Marketing informieren, beraten oder unterhalten Unternehmen ihre
Zielgruppe über verschiedene Medien. Im Gegensatz zu Anzeigen oder Radiospots ste-
hen redaktionelle Inhalte (Content) im Fokus, die dem Konsumenten einen Mehrwert
bieten sollen (Heinemann 2014). Das Unternehmen Otto betreibt bspw. den Blog „Two
for Fashion“ und informiert damit seine Zielgruppe rund um das Thema Mode und Life-
style. User können Blogeinträge kommentieren und Inhalte auf Facebook oder Pinterest
teilen. Sie tragen damit im Sinne des viralen Marketings kostenlos die Botschaft des
Unternehmens an andere Konsumenten weiter (Hutter und Hoffmann 2014).
Beim Affiliate-Marketing treten Unternehmen nicht direkt mit dem Konsumenten
in Kontakt. Stattdessen vergüten sie einem Vertriebspartner (engl.: Affiliate) die Ver-
kaufsanbahnung (Heinemann 2014). Viele YouTuber berichten in ihren Vlogs auch über
Produkte und verlinken dann zu einem Online-Shop. Sie treten damit als Social Media
Influencer in Erscheinung. Klickt der Rezipient auf den Link, erhält der YouTuber als
Affiliate eine Provision vom Unternehmen. Im Social-Media-Kontext spielen aber
auch weiterhin klassische Werbetechniken eine Rolle, die dem Konsumenten in neuem
Gewand begegnen, wie bspw. Product Placement in YouTube-Videos, Werbeanzeigen auf
Facebook oder „Radiowerbung“ auf Spotify. Auch Ben ließ sich im Einstiegsbeispiel von
seinem Lieblings-Vlogger dazu verleiten, den angepriesenen veganen Proteinshake zu
bestellen.

u Merke  Social Media umfasst digitale Medien und Technologien, die Personen, Netz-
werke, Communities und Organisationen nutzen, um miteinander zu kommunizieren,
zu kollaborieren sowie Content, Meinungen, Erfahrungen und Informationen zu teilen
(Tuten und Solomon 2017).

11.4 Lernhilfe

Quintessenz
Medien vermitteln zwischen dem Konsumenten und seiner Umwelt. Das Modell
der Informationsübertragung von Shannon und Weaver beschreibt die vermittelnde
Funktion. Erklärungsansätze wie der Uses-and-Gratification-Ansatz sowie das
GS-GO-Modell zeigen, dass Konsumenten Medien zur Befriedigung vielfältiger
Bedürfnisse und Motive nutzen. Bei der Mediennutzung können Konsumenten einen
Flow-Zustand erleben.
188 11  Mediale Umwelt

Let’s check
Vervollständigen Sie folgenden Satz:
Gemäß rationaler Erklärungsansätze der Mediennutzung sind u. a. __________ und
___________ Motive der Mediennutzung.

Richtig oder falsch?


Das Sad-Film-Paradoxon beschreibt die Flucht des Rezipienten aus seinem Alltag,
indem er traurige und tragische Medieninhalte konsumiert.

Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an.


Was ist keine Grundannahme des Uses-and-Gratification-Ansatzes?

O Menschen nutzen Medien aktiv und zielgerichtet.


O Im Mediennutzungsprozess nehmen Rezipienten eine Schlüsselrolle ein und ent-
scheiden über Aufnahme und Abbruch des Kommunikationsprozesses.
O Menschen treffen ihre Medienwahl oft unbewusst.
O Massenmedien konkurrieren mit Alternativ-Quellen der Bedürfnisbefriedigung.

Vernetzende Fragestellung
Erläutern Sie mithilfe der Flow-Theorie, warum sich Reise-Blogs bei Konsumenten
großer Beliebtheit erfreuen, und diskutieren Sie mögliche Gefahren im Webdesign,
indem Sie die Forschungsergebnisse zur Websitekomplexität berücksichtigen.

Weiterführende Literatur

Batinic, B., & Appel, M. (2008). Medienpsychologie. Berlin: Springer.


Heinemann, G. (2014). Der neue Online-Handel: Geschäftsmodell und Kanalexzellenz im Digital
Commerce. Wiesbaden: Springer.
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mal web site complexity. Journal of Interactive Marketing, 28(2), 101–116.

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Konsumentenverhalten im Wandel
12

u Lea is(s)t nicht so wie ihre Mutter  „Sag mal, Lea, welches Auto fährt dein
neuer Freund Ben denn eigentlich?“ „Gar keins, Mama“, antwortet Lea genervt
durchs Telefon. „Und er wird sich auch nach dem Studium keines kaufen. Wir
fahren mit der Bahn. Der Umwelt zuliebe. Oder mit dem Fahrrad; das ist auch
gut für die Fitness. Wenn wir mal ein Auto brauchen, dann nutzen wir ein Car-
Sharing-Angebot.“ „Ach Lea, ohne eigenes Auto, das geht doch wirklich nicht.
Du, was soll ich eigentlich kochen, wenn ihr uns besucht? Schnitzel und Pom-
mes? Und danach gibt’s meine Spezialbowle, ja?“ „Kein Fleisch, kein Alkohol,
Mama. Und bitte nur Bio-Produkte und Fair Trade, o. k.?“ „Wo soll das nur hin-
führen? Euch kann man ja gar nichts mehr anbieten“.
Ganz offensichtlich unterscheiden sich die Konsummuster von Lea und
ihrer Mutter. Das Konsumentenverhalten ändert sich stetig im Einklang
mit verschiedenen gesellschaftlichen Trends. Doch auf welchen größe-
ren Entwicklungen beruhen diese Trends? Lassen sich allgemeine Muster
identifizieren? Und was sind derzeit die wichtigsten Verschiebungen im
Konsumverhalten?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 191
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_12
192 12  Konsumentenverhalten im Wandel

Lernziele
In diesem Kapitel lernen Sie, …

• welche Megatrends das Konsumverhalten verändern (Abschn. 12.1),


• warum vielen Menschen materielle Güter immer weniger bedeuten
(Abschn. 12.2),
• wann man gesund konsumieren möchte (Abschn. 12.3),
• welche Konsumenten die Umwelt schützen möchten (Abschn. 12.4),
• warum manche Konsumenten freiwillig weniger konsumieren (Abschn. 12.5)
und
• warum immer mehr Konsumenten Sharing-Angebote nutzen (Abschn. 12.6),

… indem Sie den Wandel des Konsumentenverhaltens durch folgende Modelle


betrachten:

• Postmaterialismus-Hypothese,
• sozial-kognitive Modelle und
• Norm-Aktivierungs-Theorie.

12.1 Megatrends mit Einfluss auf das Konsumentenverhalten

Es finden derzeit zahlreiche gesellschaftliche Veränderungen statt, die ihre Spuren auch
im Konsumentenverhalten zeigen. Ein besonders bedeutsamer Trend ist die zunehmende
Digitalisierung, insb. die Verbreitung der Nutzung des mobilen Internets und die
zunehmende Bedeutung von Social Media. Wir haben diese Entwicklung in Kap. 11
besprochen.
Auch der demografische Wandel, der vor allem in den Industrienationen dazu
führt, dass die Bevölkerung durchschnittlich immer älter wird, wirkt sich stark auf das
Konsumentenverhalten aus. Durch gesündere Lebensstile und verbesserte medizinische
Versorgung sind Konsumenten zudem auch im hohen Alter noch fit und aktiv. Ältere
Zielgruppen werden deshalb für das Marketing interessanter – und auch, weil sie ver-
gleichsweise viele finanzielle Mittel zur Verfügung haben. Wir haben diese Zielgruppe in
Kap. 8 gezielt beleuchtet.
Ein weiterer gesellschaftlicher Trend mit Einfluss auf das Konsumverhalten ist
der Wertewandel, der dazu führt, dass Konsumenten materiellen Gütern weniger
Bedeutung beimessen und dass Themen wie individuelles Wohlbefinden, Glück, Lebens-
zufriedenheit, Selbstverwirklichung, aber auch Umweltschutz und Gesundheit an Rele-
vanz gewinnen. Dieser Trend verändert unsere Konsumgewohnheiten so stark, dass sich
innerhalb der Association of Consumer Research (dem zentralen internationalen ­Verband
12.2 Postmaterialismus-Hypothese 193

zur Konsumentenforschung) in den letzten Jahren eine Untergruppe zum Thema Trans-
formative Consumer Research (TCR) gebildet hat. Anhänger dieser Forschungs-
strömung untersuchen das Konsumentenverhalten gezielt mit Blick darauf, wie sich das
subjektive und kollektive Wohlbefinden steigern lässt (Mick et al. 2011). Forschungs-
felder wie Tabak-, Alkohol- und Drogenkonsum (= „negatives“ oder dysfunktionales
Konsumverhalten) werden ebenso beleuchtet wie umweltbewusstes und gesund-
heitsbewusstes Konsumentenverhalten (= „positives“ Konsumverhalten). In diesem
Kapitel gehen wir auf einige ausgewählte Themen dieser spannenden, aufstrebenden
Forschungsrichtung ein.

12.2 Postmaterialismus-Hypothese

Schon in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts beschrieb der US-amerikanische


Politologe Roland Inglehart mit der Postmaterialismus-Hypothese einen gesellschaft-
lichen Wertewandel, der sich kaum merklich, aber stetig vollzieht und den er deshalb
als „stille Revolution“ bezeichnete (Inglehart 1997; Inglehart und Welzel 2005). Dem-
nach sind Veränderungen in der Ökonomie, Politik und Kultur einer Nation eng mit-
einander verknüpft. Je wohlhabender eine Nation wird und je mehr der Wohlfahrtsstaat
die großen Lebensrisiken absichert, desto stärker treten materielle Werte (des „Habens“)
in den Hintergrund und desto mehr gewinnen postmaterielle Werte (des „Seins“) an
Bedeutung. Aufgrund einer sich zunehmend verbessernden wirtschaftlich stabilen Situ-
ation rücken existenzielle Grundbedürfnisse (z. B. hinreichend Nahrung und ein Dach
über dem Kopf zu haben) in den Hintergrund. Mangelerlebnisse, die nach dem Zwei-
ten Weltkrieg in Deutschland allgegenwärtig waren, werden seltener. In diesem materiell
abgesicherten Zustand messen Menschen postmateriellen Werten wie der Selbstver-
wirklichung immer mehr Bedeutung bei.

Hintergrundinfo: Die stille Revolution beobachten


Die World Value Survey wird seit Jahrzehnten von einem weltweiten Netzwerk von Forschern
betrieben. In zwischenzeitlich sechs abgeschlossenen Erhebungswellen wurden Konsumenten in
zahlreichen Ländern zu soziokulturellen, moralischen, religiösen und politischen Werten befragt.
Auch der Grad an Materialismus und Post-Materialismus wurde regelmäßig erhoben und so ist es
möglich, den Wertewandel zu verfolgen. Wenn Sie den QR-Code scannen, erhalten Sie Zugang zu
den Daten und zahlreichen Auswertungen.
194 12  Konsumentenverhalten im Wandel

Die These der Wertesubstitution auf gesellschaftlicher Ebene ist eng mit der in
Abschn. 3.3.1.1 beschriebenen individuellen Bedürfnishierarchie von Maslow (1987)
und der ihr zugrunde liegenden Defizithypothese verbunden: Eine in materieller Hinsicht
zufriedene Person wendet sich dennoch unbefriedigten postmateriellen Werten zu und
Themen wie das individuelle Wohlbefinden, der Erhalt der eigenen Gesundheit und der
Schutz der natürlichen Umwelt gewinnen an Bedeutung.

Beispiel: Kann man Glück kaufen?


Die meisten Menschen halten das Anwachsen ihres Geldbeutels und die Anhäufung
materieller Güter für erstrebenswerte Ziele. Doch macht dies wirklich glücklich?
Zahlreiche ökonomische und psychologische Studien haben diesen Zusammen-
hang untersucht und zusammenfassend kann man davon ausgehen, dass bei einem
geringen Einkommen eine Gehaltssteigerung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer
Zunahme der Lebenszufriedenheit führt (Easterlin 1974, 1995; Tatzel 2014). Steigt
das Grundniveau, dann nimmt der Grenznutzen weiterer Einkommenssteigerungen
allerdings deutlich ab. Kahneman und Deaton (2010) wagen die konkrete Bezifferung
eines Jahreseinkommens von 75.000 US$, das ihrer Ansicht nach ausreicht, um alle
Dinge erwerben zu können, die man benötigt, um glücklich zu sein. Oberhalb die-
ser Schwelle ist der Effekt weiterer Einkommenszuwächse auf das emotionale Wohl-
befinden gering. Begründet wird dies damit, dass ein gewisses Grundeinkommen
nötig ist, um sich vor Unannehmlichkeiten zu schützen, die mit Armut verbunden
sind und die das Lebensglück deutlich schmälern können. Ist allerdings genügend
Geld vorhanden, um die grundlegenden Probleme zu lösen, so muss die Erhöhung der
finanziellen Ressourcen nicht zwangsläufig und nicht bei allen Menschen mit mehr
Glück verbunden sein. Zwei Prozesse sind für diese mögliche Entkoppelung von Geld
und Glück verantwortlich (Chancellor und Lyubomirsky 2014):

1. Hedonische Adaption: Eine Neuerwerbung kann zunächst ein subjektives Glücks-


empfinden auslösen. Allerdings gewöhnen wir uns schnell an dieses neue Objekt
und das Glücksgefühl schwindet. Nehmen wir an, wir stellen fest, dass unser
Badezimmer etwas renovierungsbedürftig wirkt und wir entscheiden uns dafür,
es neu zu gestalten. Der Anblick des neuen Badezimmers bereitet uns zunächst
Freude; doch allzu schnell gewöhnen wir uns daran und das empfundene Glücks-
gefühl schwindet.
2. Wachsende Ansprüche: Die Befriedigung hoher Ziele hat häufig zur Folge, dass
wir noch höhere Ziele anstreben. Wenn in unserem Beispiel nun das Badezimmer
hübsch aussieht, hat dies zur Folge, dass das Wohnzimmer im Vergleich dazu ver-
altet wirkt. Wir sind also wieder am Ausgangspunkt: Ein Zimmer in unserem Haus
gefällt uns nicht.

Ein wichtiger Aspekt im Zuge des Wertewandels und der Zunahme postmaterialistischer
Orientierungen sind die wachsende Konsumentenverantwortung (die Consumer Social
12.3  Gesundheitsbewusstes Konsumentenverhalten 195

Responsibility, ConSR; Devinney et al. 2006) und die zunehmende Bedeutung des ethi-
schen Konsums. Der Begriff ethischer Konsum soll hier als Sammelbegriff dienen, der
das nachhaltige, grüne, umweltbewusste und prosoziale Konsumverhalten vereint. All
diese Konsumformen beschreiben in Nuancen unterschiedliche Dinge. Die gemeinsame
Klammer besteht darin, dass Konsumenten neben ihren individuellen Vorteilen bei der
Kaufentscheidung auch ethische und moralische Kriterien beachten (Balderjahn 2013,
S. 199). Hierzu zählen bspw. Kriterien wie Gerechtigkeit und Fairness gegenüber ande-
ren Menschen und nachfolgenden Generationen. Ethisches Konsumverhalten steht häu-
fig im Spannungsverhältnis zwischen egoistischen Motiven (z. B. „Ich möchte schicke
und günstige Kleidung beim Händler XY kaufen.“) und moralischen Verpflichtungen
(z. B. „Ich kann kein Unternehmen unterstützen, das grundlegende soziale Standards im
Produktionsprozess nicht erfüllt.“). Da sich häufig eher die egoistischen Motive durch-
setzen und Konsumenten ihr Konsumverhalten nur nach außen oder vor sich selbst als
ethisch darstellen möchten (Symmank und Hoffmann 2017), sprechen manche Kritiker
auch vom „Mythos des ethischen Konsumenten“ (Devinney et al. 2010). Wir werden
darauf noch genauer eingehen, wenn wir das umweltbewusste Konsumentenverhalten
beleuchten (Abschn. 12.4).

12.3 Gesundheitsbewusstes Konsumentenverhalten

Die eigene Gesundheit zu erhalten, hat für immer mehr Menschen eine zunehmende
Bedeutung. Dies hat Auswirkungen auf das Konsumverhalten und äußert sich u. a., aber
nicht nur, im Ernährungsverhalten. Bioprodukte werden immer stärker nachgefragt und
die Zahl der Vegetarier und Veganer nimmt kontinuierlich zu. Ein besseres Verständ-
nis der Beweggründe der gesundheitsbewussten Konsumenten ist deshalb für Unter-
nehmen, die gesundheitspositionierte Produkte vermarkten, von Interesse. Aber auch
aus Sicht des Social Marketings ist dieses Wissen wichtig. Viele Erkrankungen wie
Diabetes Mellitus Typ 2, Adipositas oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden durch
gesundheitsschädigende Verhaltensweisen wie Rauchen, ungesunde Ernährung und
Bewegungsmangel (mit)verursacht und Änderungen im Lebens- und Konsumstil kön-
nen hier entgegenwirken. Social-Marketing-Kampagnen können Konsumenten zu Ver-
haltensänderungen hin zu einem gesünderen Lebensstil anregen (Loss und Nagel 2010).
Sie entfalten ihre Wirkung aber nur dann, wenn den Gestaltern der Kampagnen bewusst
ist, was Konsumenten dazu bewegt, sich gesünder verhalten zu wollen, und unter wel-
chen Bedingungen sie ihr Verhalten tatsächlich ändern.
Um erklären und beeinflussen zu können, wann sich Konsumenten gesundheits-
bewusst verhalten, sind insb. Modelle aus der gesundheitspsychologischen Forschung,
die auf sozial-kognitiven Ansätzen beruhen, hilfreich (Faselt et al. 2010). Diese Modelle
diskutieren Variablen, die sich – anders als sozio-ökonomische Variablen – durch die
Person selbst oder durch Anstöße von außen verändern lassen. Es gibt zwei grundsätz-
liche Typen sozial-kognitiver Modelle.
196 12  Konsumentenverhalten im Wandel

• Lineare Modelle wie das Modell der gesundheitlichen Überzeugungen (Becker


1974) oder die Schutzmotivationstheorie (Rogers 1975) postulieren, dass sich
Gesundheitsverhalten durch die Veränderung bestimmter Einflussgrößen kontinuier-
lich ändern lässt. Die meisten Modelle messen den folgenden drei Einflussgrößen
besondere Relevanz bei (Faselt et al. 2010): der Risikowahrnehmung sowie der Hand-
lungsergebnis- und der Selbstwirksamkeitserwartung. Kampagnen des Social Mar-
ketings sollten deshalb dem Konsumenten aufzeigen, dass der bisherige Lebensstil
Risiken birgt (Risikowahrnehmung), dass bestimmte Maßnahmen helfen, diese Risi-
ken zu verringern (Handlungsergebniserwartungen) und dass der Konsument in der
Lage ist, die notwendigen Handlungen auszuführen (Selbstwirksamkeitserwartung).
• Stadienmodelle basieren dagegen auf der Annahme, dass Personen bei dem Vor-
haben, sich gesundheitsbewusster zu verhalten, mehrere qualitativ unterschied-
liche Stadien durchlaufen. Ein bekannter Ansatz ist das transtheoretische Modell
(Prochaska und DiClemente 1984), das die folgenden Stadien abgrenzt: Absichts-
losigkeit, Absichtsbildung, Vorbereitung, Handlung, Aufrechterhaltung und bei man-
chen Verhaltensbereichen wie der Rauchentwöhnung auch Stabilisierung. Mit Blick
auf die Zielgruppensegmentierung bei gesundheitsbewussten Produkten und bei der
Gestaltung maßgeschneiderter Social-Marketing-Kampagnen ist dabei die Erkennt-
nis wichtig, dass man Verhalten schrittweise verändern muss und dass in jeder Phase
andere Faktoren darauf einwirken, ob die Person die nächste Stufe erreicht.

12.4 Umweltbewusstes Konsumentenverhalten

Über Umweltverschmutzung und Klimawandel wurde in den letzten Jahrzehnten viel


öffentlich diskutiert und es hat sich bei vielen Menschen allmählich das Bewusstsein
herausgebildet, dass sie durch eine Veränderung ihres Konsumstils zu einer Reduktion
dieser Problematik beitragen könnten und sollten. Umweltbewusstsein kann sich auf
unterschiedliche Art im Konsumverhalten ausdrücken (Balderjahn 2013, S. 207):

• Suffizienz-Option: Bewusster Verzicht auf bestimmte Produkte oder generelle


Reduktion des Konsumlevels (siehe Antikonsum, Abschn. 12.5).
• Effizienz-Option: Kauf der für die Umwelt unschädlichsten Produktalternative (z. B.
ein Elektroauto statt eines Benziners) und nachhaltige Nutzung (z. B. ressourcen-
schonender Fahrstil; Aufladen des Akkus nur mit Solarenergie).
• Recycling-Option: Wiederverwertung von Produkten bzw. Rückgabe in den
wirtschaftlichen Kreislauf.
12.4  Umweltbewusstes Konsumentenverhalten 197

Weshalb besitzen Konsumenten ein Interesse daran, ökologisch zu konsumieren? Als


Antwort auf diese Frage schlugen Stern und Kollegen die Value Belief Norm Theory
vor, die drei Wertorientierungen unterscheidet (vgl. Stern 2000; Stern et al. 1993):

• Egoistische Orientierung: Schutz der Umwelt um Nutzen für sich selbst daraus zu
ziehen.
• Altruistische Orientierung: Schutz der Umwelt, da die Umwelt dem Wohl der
(Mit-)Menschen dient.
• Biosphärische Orientierung: Schutz der Umwelt um ihrer selbst und der darin
lebenden Arten willen.

Viele empirische Studien belegen einen zunehmenden Trend, dass Verbraucher auf
ökologische Aspekte Wert legen. So zeigt bspw. das durch das Bundesministerium für
Ernährung und Landwirtschaft in Auftrag gegebene Ökobarometer 2013 auf, dass die
Einhaltung sozialer Standards (genannt von 44 % der 742 Befragten) und der Beitrag
zum Klimaschutz (41 %) wichtige Motive des Kaufs ökologischer Lebensmittel sind
(BMELV 2013). Auch andere aktuelle Umfragen wie die Otto-Trendstudie zum ethi-
schen Konsum bestätigen dies, wobei Kriterien wie Regionalität und Saisonalität an
Bedeutung gewinnen (Otto Group 2013). Nichtsdestotrotz sind die Verkaufszahlen von
ökologischen Produkten noch immer auf niedrigem Niveau (Eyerund 2016), die Bereit-
schaft höhere Preise zu bezahlen, gering und die Bedeutung ökologischer Kriterien
scheint auch nicht in allen Konsumbereichen gleich stark verbreitet zu sein. In Kap. 6
haben wir die Einstellungs-Verhaltens-Lücke anhand der Theorie des geplanten Ver-
haltens beleuchtet; das (nicht) umweltbewusste Konsumverhalten ist ein klassisches Bei-
spiel für diese Lücke. Welche speziellen Theorien tragen dazu bei, die Lücke in diesem
Bereich zu erklären?
Das Norm-Aktivierungs-Modell von Schwartz (1977) ist ein Erklärungsansatz, der
ursprünglich Hilfeverhalten erklären sollte und nun helfen kann, zu verstehen, wann die
genannten Motive unser Konsumverhalten steuern. Der Ansatz unterscheidet mehrere
Phasen eines kognitiven Verarbeitungsprozesses:

• Der Entscheidungsprozess beginnt damit, dass die Person die zunehmende Umwelt-
verschmutzung als Problem erkennt und zu der Erkenntnis gelangt, dass sie durch ihr
eigenes Konsumverhalten zur Minderung des Problems beitragen kann.
• Nun werden persönliche Normen salient. Diese umfassen internalisierte moralische
Überzeugungen, welche die Ansprüche der Person an sich selbst ausdrücken. Sie sind
von sozialen Normen abzugrenzen, die vom sozialen Umfeld vorgegeben werden. Die
Aktivierung persönlicher Normen führt dazu, dass sich die Person moralisch dazu
verpflichtet fühlt, zu intervenieren.
• Umweltbewusstes Konsumverhalten verursacht häufig subjektive Kosten (z. B. Ver-
zicht auf bevorzugte Produkte oder Aufpreise für ökologische Produktvarianten).
198 12  Konsumentenverhalten im Wandel

Will die Person diese vermeiden, muss sie ihre moralische Verpflichtung leugnen
oder die Situation in anderer Weise zu ihren Gunsten umdeuten.
• Ob eine Person tatsächlich ökologisch handelt, hängt ab vom Zusammenspiel der
aktivierten persönlichen Normen, der wahrgenommenen Verantwortung und den anti-
zipierten Konsequenzen des Nichthandelns.

Auch nach der Low-Cost-Hypothese verhalten sich Verbraucher vor allem dann
umweltfreundlich, wenn dies keine Kosten verursacht (Diekmann und Preisendörfer
2003). Die erlebten Kosten dürfen jedoch nicht nur monetär verstanden werden, son-
dern beinhalten auch die benötigten zeitlichen Ressourcen. Ethisches Konsumentenver-
halten (zu dem auch das umweltbewusste Konsumentenverhalten zählt) steht immer im
Spannungsverhältnis zwischen Eigeninteressen (z. B. Spaß haben, die eigene Gesund-
heit schützen) und empfundenen moralischen Verpflichtungen (z. B. andere schützen, die
Umwelt schützen) (Balderjahn 2013, S. 199). Umweltbewusster Konsum, der einer emp-
fundenen moralischen Verpflichtung folgt, widerspricht häufig unseren Eigeninteressen.
Wenn man sich selbst einschränkt (siehe Abschn. 12.5), reduziert dies die Möglichkeiten
der utilitaristischen und hedonischen Bedürfnisbefriedigung. Entscheidet man sich bei
der Wahl eines neuen Produktes für eine ökologische Alternative, so ist damit häufig ein
Aufpreis, mehr Recherche- oder Beschaffungsaufwand oder eine geringe Produktquali-
tät, eine schlechteres Design, eine eingeschränkte Funktionalität etc. verbunden.
Interessanterweise überlappt nur die egoistische Orientierung der Value Belief Norm
Theory mit den Eigeninteressen und es ist in diesem Fall am wenigsten wahrscheinlich,
dass für den Konsumenten ein Entscheidungsdilemma entsteht. Die altruistische und bio-
sphärische Orientierung widerspricht dagegen häufig den Eigeninteressen und erfordert
damit Opfer vom Konsumenten. Nicht jeder ist bereit, diese Opfer zu bringen. Möchte
man ökologische Produkte an breitere Bevölkerungsschichten vermarkten, ist es deshalb
sinnvoll, auch egoistische Motive anzusprechen. Dies ist bspw. bei Bio-Lebensmitteln
der Fall, die nicht nur zum Schutz der Umwelt gekauft werden. Für viele steht vielmehr
das Motiv der eigenen Gesundheit oder ein stärkeres Geschmacksempfinden als Motiv
im Vordergrund (Joerß et al. 2017).

12.5 Antikonsum

Immer mehr Menschen entscheiden sich bewusst dagegen, bestimmte Dinge zu kaufen.
Manche tun dies, um negative Auswirkungen auf die Umwelt oder andere Menschen zu
reduzieren. So boykottieren viele Menschen Unternehmen, die nicht ethisch handeln.
Auch Trends wie vegan zu leben, die sich immer weiter ausbreiten, sind Beispiele dafür.
Andere, z. B. die Voluntary Simplifier (die „freiwilligen Vereinfacher“ oder „Genüg-
samen“) reduzieren ihren Konsum insgesamt, um ein erfüllteres und stressfreieres Leben
zu führen, das weniger von materiellen Zwängen abhängt (Peyer et al. 2017). Die Anti-
konsum-Forschung analysiert all diese Trends, um gesellschaftliche Veränderungen zu
12.6 Sharing 199

beschreiben, aber auch um Handlungsempfehlungen für Unternehmen abzuleiten (z. B.


Lee et al. 2009). Eine Antikonsumentscheidung ist allerdings nicht einfach das Gegenteil
einer Konsumentscheidung („Ich kaufe Deo A nicht, weil Deo B besser ist.“), sondern
basiert auf bestimmten Motiven, die sich fundamental von den Konsummotiven unter-
scheiden können. Wer sich vegan ernährt, möchte verhindern, dass Tiere getötet wer-
den. Wer Fleisch isst, verfolgt vermutlich nicht das diametral entgegengesetzte Motiv
(­Chatzidakis und Lee 2013).
Oftmals wird „Antikonsum“ auch eingesetzt, um bestimmte politische, soziale, öko-
logische oder ökonomische Ziel zu erreichen. Ein typisches Beispiel hierfür ist der
Konsumentenboykott (Hoffmann 2011; Hoffmann und Müller 2009; Friedman 1999).
Konsumenten verzichten dabei bewusst auf einzelne Marken, Produkte oder Produkt-
kategorien, um auszudrücken, dass sie mit dem Verhalten von Unternehmen nicht einver-
standen sind. So boykottierten im Jahr 2008 zahlreiche deutsche Konsumenten Produkte
des finnischen Konzerns Nokia, nachdem dieser angekündigt hatte, das Bochumer Werk
nach Rumänien zu verlagern. Sie wollten mit ihrer Marktmacht Einfluss auf die Ent-
scheidung der Unternehmensleitung nehmen. Gelegentlich werden auch Produkte aus
bestimmten Ländern boykottiert, um Entscheidungen der Regierungen zu beeinflussen
oder zumindest der Missbilligung Ausdruck zu verleihen. Den Boykotteuren ist oft
bewusst, dass derartige Aktionen in vielen Fällen nicht die erwünschte Wirkung entfalten
können. Viele fühlen sich dennoch moralisch verpflichtet, entsprechend zu handeln,
oder sie möchten wenigstens ein Zeichen setzen. Insbesondere durch Social-Media-­
Plattformen wie Facebook und Twitter verbreiten sich Informationen über unverantwort-
liches Unternehmenshandeln und die entsprechenden Boykottaufrufe immer schneller.
Konsumenten sind damit zwar immer besser informiert. Es ist aber auch zu beachten,
dass Boykottieren Verzicht auf präferierte Produkte bedeutet. Aus diesem Grund ver-
suchen Konsumenten häufig, vor sich selbst und anderen zu rechtfertigen, weshalb sie
bestimmte Produkte nicht boykottieren (Symmank und Hoffmann 2017). Die in diesem
Buch beschriebenen Rationalisierungsprozesse und Aspekte des sozialen Dilemmas
(Abschn. 9.5) treten deshalb im Zusammenhang mit Boykotten besonders häufig auf.

12.6 Sharing

Teilen und nutzen statt kaufen und besitzen. Der gemeinschaftliche Konsum („Colla-
borative Consumption“) von Produkten gewinnt immer mehr an Bedeutung und wird
als Sharing bezeichnet (Botsman und Rogers 2010; Belk 2007). Sharing bedeutet, ich
gebe einem anderem etwas, das mir gehört, damit er es nutzen kann, und/oder erhalte
etwas von einem anderem, damit ich es nutzen kann. Dabei unterscheidet man zwi-
schen Sharing-in und Sharing-out (Belk 2010). Sharing-in bezeichnet das gemeinsame
Nutzen von Dingen mit Familie und Freunden. Es geschieht oftmals intuitiv und
automatisch. Wer bspw. im Restaurant eine Flasche Wein bestellt, teilt diese i. d. R.
mit seiner Begleitung, ohne im Anschluss aufzurechnen, wer wie viel getrunken hat.
200 12  Konsumentenverhalten im Wandel

Sharing-out betrifft dagegen den gemeinschaftlichen Konsum von Produkten mit


Fremden. Dies geschieht meist aus nützlichkeitsorientierten Gründen. Wer bspw. bei
BlaBlaCar eine Fahrt inseriert und damit sein Auto teilt, tut dies hauptsächlich, um bei
den Fahrtkosten zu sparen. Sharing-out findet heute in der sog. Share Economy statt.
In ihr bieten Unternehmen Konsumenten den Zugang zu Ressourcen für eine Gebühr
an. Gehört diese Ressource einem Unternehmen, spricht man von C2P-Sharing (Com-
pany to Person), gehört die Ressource einer Privatperson, spricht man von P2P-Sha-
ring (Person to Person). Das Unternehmen ist in diesem Fall lediglich Vermittler
zwischen Anbieter und Nachfrager und nimmt hierfür eine Provision. Der Unterschied
zwischen C2P und P2P wird durch die beiden Car-Sharing-Anbieter DriveNow und
Drivy deutlich. DriveNow stellt die Autoflotte (Ressource) selbst zur Verfügung. Hin-
gegen ist Drivy eine Plattform, auf der Privatpersonen ihr Auto für eine Gebühr mit
anderen Konsumenten teilen können. Damit nehmen Menschen in der Share Eco-
nomy zwei Rollen ein. Zum einen sind sie Konsumenten, die Produkte nutzen, ohne
sie kaufen zu müssen. Zum anderen stellen sie ihr Eigentum anderen zur Verfügung
und treten damit als sog. Micro-Entrepreneure in Erscheinung. Die Sharingangebote,
aus denen Konsumenten wählen können, sind vielfältig und reichen von Bekleidung
(Kleiderei) und Luxushandtaschen (Bag Borrow or Steal) bis hin zu mittlerweile
klassischen Leistungen wie Bike-Sharing (Call a Bike) und Car-Sharing (Car2Go).
Zahlreiche Studien befassen sich mittlerweile mit dem Sharingverhalten des Konsu-
menten (Lamberton und Rose 2012; Ozanne und Ballantine 2010; Hellwig et al. 2015;
Möhlmann 2015; Seegebarth et al. 2016; Akbar et al. 2016). Die Gründe, warum
Konsumenten Sharingverhalten zeigen, sind verschieden und werden beispielhaft in
Abb. 12.1 zusammengefasst.

12.7 Lernhilfe

Quintessenz
Die Digitalisierung, der demografische Wandel und der Wertewandel sind Mega-
trends mit enormen Auswirkungen auf das Verhalten von Konsumenten. Die Post-
materialismus-Hypothese postuliert, dass die Relevanz materieller Werte (des
„Habens“) dann schwindet und postmaterielle Werte (des „Seins“) an Bedeutung
gewinnen, wenn eine Gesellschaft wohlhabender wird. In den reichen Industrie-
nationen wird es für viele Menschen deshalb immer wichtiger, ihr Konsumverhalten
so zu gestalten, dass sie dabei die eigene Gesundheit schützen und der natürlichen
Umwelt möglichst wenig Schaden zufügen. Immer mehr Konsumenten praktizieren
auch „Antikonsum“, d. h., sie schränken ihr Konsumverhalten bewusst und freiwillig
ein. Ethisches Konsumverhalten steht allerdings häufig im Spannungsverhältnis zwi-
schen egoistischen Motiven und moralischen Verpflichtungen. Die immer beliebter
werdenden Sharing-Angebote bieten eine Möglichkeit, Produkte zu nutzen, ohne zu
viele Ressourcen zu beanspruchen.
12.7 Lernhilfe 201

Treiber Die Sharingtendenz ist höher, je höher:


• Besitzkosten2, 4 die Besitz- und Instandhaltungskosten sind.
• Sparsamkeit2, 4 die Neigung zur Sparsamkeit ist.
• Nachhaltigkeit5 die Nachhaltigkeitsorientierung ist.
• Anti-Konsum2, 6 die Anti-Konsum-Einstellung ist.
• Anti-Industrie4 die Anti-Industrie-Einstellung ist.
• Idealismus3 die Idealismusorientierung ist.
• Substituierbarkeit1 die Aussicht ist, dass Sharing den Kauf ersetzt.
• Sozialer Nutzen1, 2, 4 die Kontaktwahrscheinlichkeit mit anderen ist.
• Funktionaler Nutzen1 der wahrgenommene Nutzen durch Sharing ist.
• Vertrautheit2,5 die Vertrautheit mit dem Sharingsystem ist.
• Zufriedenheit5 die Zufriedenheit mit der Sharingoption ist.
• Einzigartigkeit6 der Wunsch nach einzigartigen Produkten ist.

Inhibitor Die Sharingtendenz ist niedriger, je höher:


• Materialismus2, 6 die Relevanz von materiellen Gütern ist.
• Suchkosten2, 4 der Suchaufwand nach Anbietern ist.
• Produktknappheit1 die Produktknappheit für das Sharingangebot ist.

Quelle: 1Lamberton und Rose (2012); 2Ozanne und Ballantine (2010); 3Hellwig et
al. (2015); 4Möhlmann (2015); 5Seegebarth et al. (2016); 6Akbar et al. (2016)

Abb. 12.1  Gründe des Sharingverhaltens von Konsumenten. (Akbar et al. 2016)

Übungsfragen und -aufgaben


Vervollständigen Sie folgenden Satz:
Der Postmaterialismus-Hypothese zufolge sind Veränderungen in der ____________,
____________ und ____________ einer Nation eng miteinander verknüpft. Je wohl-
habender eine Nation wird und je mehr der Wohlfahrtsstaat die großen Lebensrisiken
absichert, desto stärker treten ____________ Werte in den Hintergrund und desto
mehr gewinnen ____________ Werte an Bedeutung.

Richtig oder falsch?


Sozial-kognitive Stadienmodelle des Gesundheitsverhaltens bieten vor allem die fol-
gende Erkenntnis für die Gestaltung von Social-Marketing-Kampagnen: Verhalten
muss schrittweise verändert werden und in jeder Phase wirken andere Faktoren darauf
ein, ob die Person die nächste Stufe erreichen kann oder nicht.

Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an.


Folgende Optionen können Konsumenten prinzipiell wählen, wenn sie ihrem
Umweltbewusstsein Ausdruck verleihen möchten:
202 12  Konsumentenverhalten im Wandel

O Suffizienz-Option
O Rehearsal-Option
O Salienz-Option
O Effizienz-Option
O Recycling-Option

Vernetzende Fragestellung
Im Einstiegsbeispiel wurde beschrieben, dass sich Leas Konsumgewohnheiten stark
von denen ihrer Mutter unterscheiden. Welche Unterschiede im Konsumentenver-
halten können Sie zwischen Angehörigen Ihrer Generation und älteren Konsumenten
in Ihrem Umfeld beobachten? Rufen Sie sich die Unterscheidung von Alters- und
Kohorten-Effekten, die wir in Kap. 8 diskutiert haben, in Erinnerung. Welche der
beobachteten Unterschiede in Ihrem sozialen Umfeld sind Alterseffekte und welche
Unterschiede können auf die Kohorten zurückgeführt werden? Welche Unterschiede
sind auf die angesprochenen Megatrends Digitalisierung, demografischer Wandel und
Wertewandel zurückzuführen? Wagen Sie eine Prognose, welche Trends zukünftig
relevant sein werden und wie sich das Konsumentenverhalten in Zukunft ändern wird!

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Stichwortverzeichnis

A disassoziative, 143
Adaption, 78 informelle, 143
Affekt, 55 Bezugsgruppeneinfluss
Affiliate-Marketing, 187 informatorischer, 144
AIDA-Modell, 74 utilitaristischer, 144
AIO-Ansatz, 131 wertexpressiver, 144
Alterseffekt, 129 Bottom-up-Prozess, 78
Ankerheuristik, 119 Bounded Rationality, 112
Annäherungs-Annäherungs-Konflikt, 45 Brand Love, 60
Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt, 45
Anreiz, 38
Antikonsum, 198 C
Apparative Verfahren, 25 Chunking-Hypothese, 83
Appraisal-Theorie, 61 Clusteranalyse, 126
Association of Consumer Research, 192 Co-Creation, 4
Assoziation, implizite, 97 Collaborative Consumption, 199
Assoziatives Netzwerk, 84, 99 Compliance, 172
Atmosphäre, 162 Consumer Neuroscience, 25
Aufmerksamkeit, 73 Content Marketing, 187
Crowd Behavior, 172
Crowding, 172
B Customer Journey, 8
Banner-Blindness, 73 Customer-Participation, 4
Basisemotion, 59
Basisrate, 118
Bedrohungseinschätzung, 64 D
Bedürfnispyramide, 40 Default, 121
Bedürfnisse, 37, 40 Deklaratorisches Gedächtnis, 84
Befragung, 22 Dekomponierende Methode, 94
Beobachtung, 24 Deliberativer Modus, 98
Bewältigungseinschätzung, 64 Demografischer Wandel, 128, 192
Bezugsgruppe, 143 Digitalisierung, 192
aspiratorische, 143 Dilemma, soziales, 151
assoziative, 143 Door in the face, 173

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 205
S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3
206 Stichwortverzeichnis

Drei-Komponenten-Modell, 91 prozedurales, 84
Drei-Speicher-Modell, 82 Gefühl, 55
Duale Prozesstheorien, 98 Generalisierungsdesign, 21
Duftmarketing, 163 Generation, 129
Gesichtsausdrücke, Universalität, 60
Gestaltprinzipien, 79
E Gestaltpsychologie, 79
Einstellung, 89, 92 Gesundheitsbewusstes
implizite, 97 Konsumentenverhalten, 195
Einstellungsänderung, 95 Gimpeleffekt, 152
Einstellungs-Verhaltens-Hypothese, 91 GLOBE-Projekt, 136
Elaboration Likelihood Model (ELM), 95 Gruppendiskussion, 20
Emotion, 55 GS-GO-Modell, 182
Emotionstheorie, 58 Guerilla-Marketing, 76
biologische, 58
kognitive, 61
Entscheidung, 106 H
Anomalien, 117 Handeln, kollektives, 151
Eigenschaften, 108 Handlung, 35
Komponenten, 107 Hedonisches Prinzip, 43, 184
unter Unsicherheit, 112 Heuristik, 117
Entscheidungsarchitektur, 121 Ankerheuristik, 119
Entscheidungstheorie Repräsentativitätsheuristik, 118
deskriptive, 112 Verfügbarkeitsheuristik, 118
normative, 111 Hofstedes Kulturkonzeption, 136
Entsorgung, 4 Homo oeconomicus, 18, 111
Eskapismus, 182 Hygienefaktor, 41
Ethischer Konsum, 195
Event-Marketing, 57
Experiment, 26 I
Extrinsischer Anreiz, 38 Imitationslernen, 82
Implizite Assoziation, 97
Implizite Einstellung, 97
F Impliziter Assoziationstest (IAT), 99
Feldtheorie, 44 Inattentional Blindness, 73
Fishbein-Modell, 94 Individualmedien, 180
Flow, 185 Informationsrate, 160
Foot in the door, 173 Informationsverarbeitung, 72
Forschungsmethode Inhaltsanalyse, 20
qualitative, 19 Inhaltstheorie, 39
quantitative, 18 Interkulturelle Unterschiede, 134
Framing, 119 Interpretativer Ansatz, 18
Funktionelle Magnetresonanztomografie, 25 Interview, 20
Furcht, 64 Intrinsischer Anreiz, 38
Isolationseffekt, 116

G
Gedächtnis K
deklaratorisches, 84 Karte, kognitive, 166
Stichwortverzeichnis 207

Kaufentscheidung Maslows Bedürfnispyramide, 40


extensive, 109 Massenmedien, 180
habitualisierte, 110 Means End Chain, 49
limitierte, 109 Mediale Umwelt, 178
Kaufentscheidungsprozess, 108 Mediatorvariable, 9
Kaufentscheidungstypologie, 109 Medien, 179
Käufermarkt, 6 Meinungsführer, 150
Kausalität, 27 Mikroökonomischer Ansatz, 18
Klassische Konditionierung, 80 Mixed-Methods, 21
Kognition, 72 MODE-Modell, 98
Kognitive Emotionstheorie, 61 Moderatorvariable, 10
Kognitive Karte, 166 Mood-Management-Theorie, 184
Kohorteneffekt, 129 Motiv, 34
Kollektives Handeln, 151 Motivation, 35
Kompatibilität, 91 Motivator, 41
Komponierende Methoden, 94 Motivdispositionen, 37
Konditionierung Multiattributive Verfahren, 111
klassische, 80 Multi-Item-Skala, 23
operante, 81
Konformität, 148
Konjunktion, 119 N
Konsum, ethischer, 195 Need for Touch, 164
Konsumentenboykott, 199 Netnografie, 20
Konsumentenmotiv Netzwerk, assoziatives, 84
verhaltensspezifisches, 47 Neuromarketing, 25
verhaltensübergreifendes, 46 Norm-Aktivierungs-Modell, 197
Konsumentensozialisation, 146 Norm
Konsumentenverhalten, 3 soziale, 147
gesundheitsbewusstes, 195 subjektive, 93
Konsumentenverhaltensforschung, 3, 16 Nudging, 121
Kultur, 134
Kurzzeitgedächtnis, 83
O
Objektivität, 23
L Operante Konditionierung, 81
Laddering-Technik, 49 Operationalisierung, 23
Langzeitgedächtnis, 83 Orientierung
Lebensstil, 131 im Ladengeschäft, 166
Lebensstiltypologie, 132 im Shoppingcenter, 167
Lernen am Modell, 82 Orientierungsreaktion, 74
Low Ball, 173
Low-Cost-Hypothese, 198
P
Partialmodell, 9
M Periphere Route, 96
Magnetresonanztomografie, funktionelle, 25 Physische Umwelt, 158
Markenwissen, 84 Positivistischer Ansatz, 18
Marketing, virales, 150 Präventionsfokus, 43
Marktsegmentierung, 126 Primärerhebung, 21
208 Stichwortverzeichnis

Priming, 77, 120 Sharing, 11, 199


Prinzip Sicherheitseffekt, 114
der Ähnlichkeit, 79 Skript, 85
der Geschlossenheit, 79 Social Media, 186
der Nähe, 79 S-O-R-Schema, 5, 159
der Übersummativität, 79 Soziale Norm, 147
von Figur und Grund, 79 Soziale Rolle, 147
Projektive Verfahren, 20 Soziale Schicht, 131
Promotionsfokus, 43 Soziale Umwelt, 35
Prospect-Theorie, 112 Sozialer Status, 131
Prosument, 4 Sozialer Vergleich, 146
Protokolle lauten Denkens, 66 Soziales Dilemma, 151
Proximate Ursachen, 46 Soziales Faulenzen, 152
Prozedurales Gedächtnis, 84 Soziales Milieu, 132
Prozessmodell, 8 Sozialisation, 146
Prozesstheorie, 41 Sozialisationsagent, 147
duale, 98 Sozial-kognitives Modell, 195
Psychografische Variablen, 131 Soziodemografische Merkmale, 127
Spontaner Modus, 98
S-R-Schema, 5
Q States, 35
Qualitative Forschungsmethoden, 19 Stimmung, 55
Quantitative Forschungsmethoden, 18 Stimuli
affektiv, 75
intensiv, 74
R kollativ, 75
Rad der Emotion, 59 Storytelling, 84
Rational-Choice-Theorie, 111 Strukturmodell, 7
Reaktionstrias der Emotion, 56 Subjektive Norm, 93
Reflexionseffekt, 116 Suffizienz, 196
Reizverarbeitung, unbewusste, 76
Reliabilität, 23
Repräsentativitätsheuristik, 118 T
Rubinsche Vase, 80 Tagebuch, 65
Tasty-Intuition, 98, 170
Thematischer Apperzeptionstest (TAT), 49
S Theorie
Sad-Film-Paradoxon, 184 der Schutzmotivation, 64
Satisficing, 112 der sozialen Identität, 144
Schema, 84 des geplanten Verhaltens, 92
Schutzmotivation, 64 des regulatorischen Fokus, 43
Segmentierungskriterien, 127 des sozialen Vergleichs, 145
Sekundärforschung, 22 Top-down-Prozess, 78
Selbstwirksamkeitserwartung, 64 Totalmodell, 7
Selektive Wahrnehmung, 77 Touchpoint, 8
Sender-Empfänger-Modell, 178 Traits, 35
Sensorisches Gedächtnis, 83 Transformative Consumer Research, 16, 193
Serieller Flaschenhals, 73 Triangulationsdesign, 21
Share Economy, 200 Trittbrettfahren, 152
Stichwortverzeichnis 209

U Verpackung, 169
Ultimate Ursachen, 46 VIE-Theorie, 41
Umwelt Virales Marketing, 150
mediale, 178 Voluntary Simplifier, 198
physische, 158 Vorstudiendesign, 21
soziale, 142
Umweltbewusstes Konsumentenverhalten, 196
Umweltpsychologisches Verhaltensmodell, 159 W
Unbewusste Reizverarbeitung, 76 Wahrgenommene Verhaltenskontrolle, 93
Unhealthy Intuition s. Tasty-Intuition, 99 Wahrnehmung, 77
Universalität von Gesichtsausdrücken, 60 selektive, 77
User-generated Content, 182 Wear-out-Effekt, 78
Uses-and-Gratification-Ansatz, 181 Werte, 133
Wertefunktion, 114
Wertewandel, 192
V Wertkonzeption von Schwartz, 133
Valenz, 44 Wissen
Validität, 24 prozedurales, 85
externe, 28 semantisches, 84
interne, 28 Wissensillusion, 185
ökologische, 28 Wissensklufthypothese, 185
Value Belief Norm Theory, 197 Word-of-Mouth, 150
Vampireffekt, 75
Verbrauch, 3
Verfügbarkeitsheuristik, 118 Z
Verhaltenskontrolle, wahrgenommene, 93 Zentrale Route, 96
Verhaltenswissenschaften, 4 Zieldistanzierung, 36
Verkäufer, 171 Zielengagement, 36
Verkäufermarkt, 6 Zielsetzung, 38
Verkaufstechniken, 172 Zwei-Faktoren-Theorie, 41, 62
Vermeidungs-Vermeidungs-Konflikt, 45

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