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Max P o hl en z, Paulus und die Stoa

c) Hexaemeron des Immanuel as-Sahhar (um 963).


Diodorus nämlich in der These gegen Bardeisan, indem er ihn 2JULY
tadelt, (sagt), daß die Seele ein Wesen wie ein Engel ist und daß sie
auch ferner im Leibe wirkt auch nach der Trennung, was zuvor auch
im Leihe wirklich war.
Hs. der Bibl. Berlin, Kat. Sachau Nr. 61 S. 199b und (in schlechterer Schrift)
Nr. 62 S. 195a (Baumstark § 38h)

(Abgeschlossen 1944)

Paulus und die Stoa


Von Max Pohlenz
(Göttingen, Friedländer Weg 47)

»Der Eifer, den die Menschen in Tarsos auf die Philosophie und
die allgemeine Bildung verwenden, ist so groß, daß sogar Athen und
Alexandreia übertroffen werden«, sagt der Geograph Strabon von
Paulus9 Heimatstadt (XIV 673). Er zählt dann in erster Linie eine
Reihe von Stoikern auf, die von dort stammten, und spricht dabei
ausführlich von Athenodor, der unter Augustus im Alter nach seiner
Vaterstadt zurückkehrte und, gestützt auf die Gunst des Kaisers, das
ganze Gemeinwesen reorganisierte und leitete. Kein Zweifel, daß ein
griechisch sprechender und den höheren Schichten seines Volkes an-
gehörender Jude wie Paulus sich dort in seiner Jugend ein gewisses
Maß hellenischer Bildung angeeignet hat und namentlich auch mit
der Stoa in Berührung gekommen ist1. Aber Paulus war aus ganz
anderem Holze geschnitzt als der Alexandriner Philon, der sich des
griechischen Geistesgutes bemächtigen wollte, um mit seiner Hilfe
die Religion der Väter in Einklang mit dem modernen Empfinden

Im großen Zusammenhang der Auseinandersetzung zwischen Christentum und


Stoa habe ich jetzt das Problem kurz in meinem Buche »Die Stoa. Geschichte
einer geistigen Bewegung«, Göttingen 1948, Band I, S. 402 behandelt. ^Böhlig,
Die Geisteskultur von Tarsos im augusteischen Zeitalter mit Berücksichtigung der
paulinischen Schriften (Forsch, z. ReL u. Lit. d. AT u. NT XIX).

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70 Max Pohlenz, Paulas und die Stoa

zu bringen2. Er konnte wohl eine v llige Umkelir erleben; aber welt-


anschauliche Kompromisse und Halbheiten ertrug er nicht.
Er begann als Eiferer f r das Gesetz und wurde dadurch zum
fanatischen Feinde der neuen Christengemeinde. Dann erlebte er sein
Damaskus und wurde zum ebenso leidenschaftlichen Bekenner des
Verfolgten. Weit ist er damit ber das Judentum ethisch — man
denke nur daran, da f r ihn die Liebe zur Erf llung des Gesetzes
wird! — wie religi s hinausgewachsen. Aber seine ererbte und an·
erzogene Dcnkform streifte er in seiner Theologie nicht ab. Gesetz
und Gerechtigkeit blieben der Angelpunkt seines Denkens. Das zeigt
sich am besten in der Art, wie er Christi Heilstat versteht: Weil die
Menschen nicht imstande waren, das Gesetz zu erf llen, sandte Gott
seinen Sohn, der als Stellvertreter der Menschheit sein Leben zum
S hnopfer hingab, damit der Gerechtigkeit Gen ge geschehe und
4
Gottes Zorn* abgewandt werde, und dadurch hat Gott den Weg zur
neuen Gerechtigkeit durch den Glauben er ffnet.
Diese theologische Konstruktion war v llig unhellenisch, und
h chstens an der Peripherie konnten griechische Gedanken einwirken.
Den Ansto dazu mochte die dringende Frage nach der Stellung der
Heiden zum Gesetz geben, mit der Paulus seine grundlegende Er-
rterung im R merbrief beginnt.
Αποκαλύπτεται γαρ δργή ·9·εου απ* ουρανού επί πασαν άσέβειαν
καΐ άδ:κ£αν — damit stellt Paulus einen Begriff an die Spitze, der
jeden philosophisch gebildeten Griechen vor den Kopf sto en mu te,
auch wenn er sp ter merken mochte, da dieser 4Zorn9 nicht ein — f r
den Griechen dieser Zeit v llig undenkbarer — Affekt Gottes war, son-
dern ebenso wie die Gnade einen dauernden Zug in Gottes Wesen be-
deutete, der die notwendige Reaktion gegen die menschliche S nd-
haftigkeit darstellte3. Dieser Zorn enth llt sich ber alle Gottlosig-
keit und Ungerechtigkeit, die f r Paulus von vornherein zusammen-
geh ren, w hrend z. B. der Stoiker Marc Aurel (IX 1) erst einer um-
st ndlichen Beweisf hrung bedarf, um sich zu vergewissern, da jedes
Unrecht zugleich auch ein Frevel gegen Gott ist. Das Unrecht der
Menschen besteht aber f r Paulus hier darin, da sie die Wahrheit
niederhielten, obwohl diese ihnen objektiv dadurch gegeben war, da
Gott sein Wesen, soweit es erkennbar ist, geoffenbart hatte. »Denn
sein unsichtbares Wesen wird mit dem Auge des Geistes aus seinen
2
) Vgl. meinen Aufsatz »Philon von Alexandreia« in den Nachrichten der G t-
tinger Akademie 1942, S. 409, auf den ich fters verweisen werde (= NGA.), sowie
die Schrift von V lker, Fortschritt u. Vollendung b. Philo v. Alexandrien, TU 49, l,
3
die ich dort leider bersehen habe. ) Genaueres in meiner Schrift »Vom Zorne
Gottes« (Forsch, z. Rel. u. Lit. d. AT u. NT XII), 1909 S. 3ff. und lOff. R. Otto,
Das Heilige, S. 19. 112 u. .

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Max Pohlenz, Paulus und die Stoa 71

Werken ersehen.« Das ist die Lehre von der nat rlichen Erkenntnis
Gottes, wie sie vor allem die Stoa entwickelt hatte4. Aber wir d rfen
nicht vergessen, da sie l ngst auch von anderen aufgenommen war,
so von dem peripatetischen Verfasser der Schrift von der Welt (399b 22)
und von dem Platoniker, dein Philon de prov. I (7 u. .) folgt, und da
sie auch Philon und der j dischen Theologie Alexandreias ganz ge-
l ufig war. Und in diese Gedankenwelt versetzt uns nicht nur der
Ausdruck από κτίσεως κόσμου. Auch die auffallende Wendung τα αόρατα
αύτοο ... νοούμενα καθ·ορατα'. erinnert gewi nicht zuf llig an die
platonische Scheidung der ορατά und νοητά, die f r Philon den Eck-
pfeiler seiner Welterkl rung bildet5, und vollends die Worte το γνωστόν
του Φεου, die doch voraussetzen, da Gott in seinem innersten Wesen
unfa bar bleibt6, werden nicht aus der stoischen Philosophie, sondern
nur aus der j dischen, platonisch beeinflu ten Gedankenwelt verst nd-
lich. Schon lange vor Philon hat sich n mlich die j dische Theologie
mit Ex 33 abgequ lt, wo Moses in v. is bittet: εμφάνισαν μοι σεαυτόν.
γνωστως ιδώ σε, aber (v. 2s) die Ablehnung erf hrt: δψΐ[) τα δπίσω μου,
το δε πρόσωπον μου ουκ όφθ-ήσεταί σοι, und sie hat die naive alte Gottes-
vorstellung durch eine modernisierende Auslegung dem eigenen Emp-
finden anzupassen versucht7. Danach will Gott sagen: »Nur meine
Wirkungen kannst du erkennen, mein Wesen aber, nicht.« Das ist die
offenbar schon ganz feste traditionelle Erkl rung, die Philon an einer
ganzen Reihe von Stellen bringt (Mut. nom. 8ff. L. all. III 101 Post.
C. 16 Fuga et inv. 165). So deutet er Mut. nom. 9 v. 23: ως των δσα
μετά το δν σωμάτων τε ομού καΐ πραγμάτων εις κατάληψιν ερχομένων ...,
μόνου δ' εκείνου μη πεφυκότος όρασ^αι, und weiter geht er noch L.
spec. I (de monarchia) 36ff. Da l t er Moses seine Bitte ausdr ck-
lich damit begr nden, da nur Gott selbst sein Wesen offenbaren
k nne, und da Gott das im Hinblick auf das unzul ngliche Fassungs-
verm gen des Menschen ablehnt, bittet Moses ihn, wenigstens seine
Doxa zu zeigen, die Dynameis, die Gott dienend umgeben. Auch
das mu Gott abschlagen: δς επιζητείς δυνάμεις, είσιν αόρατοι καΐ
νοηταί πάντως εμού του αοράτου και νοητού, λέγω δε νοητάς ουχί τάς
ήδη δπό νου καταλαμβανόμενες, αλλ9 δτι εί καταλαμβάνεσ&αι οίαό τε
4
) Belegstellen bes. in Lietzmanns Kommentar. 5) Zum Ausdruck verweist
Fridrichsen, Ztschr. f. nt. Wissenschaft 1903 S. 75 auf Josephos Arch. Prooem. 19 των
Ιργων των εκείνου (του θ·εου) θ·εατήν τφ νφ γενόμενον. Aus Philon vgl. etwa L.
spec. I 20 δπερβάντ2ς τφ λογισμφ πά"σαν την δρατήν ουσίαν επί την του... αοράτου κα
μόν# διανοίςρ καταληπτού τιμήν ϊωμεν. Doch sagt auch der Stoiker Seneca Nat
6
Quaest. ΥΠ 30, 3 von Gott: effugit oculos, cogitatione visendus est. ) Daxer hat*
in seiner Rostocker theologischen Dissertation »R mer 118—210 im Verh ltnis zur
ep tj dischen Lehrauffassung« 1914 S. 4ff. leider die philonischen Ausf hrungen
nicht herangezogen. ^ Genaueres NGA. S. 436.

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72 Max Pohlenz, Paulus und die Stoa

εΐεν, οδκ δν αϊσΟ-ησις αύτάς αλλ' ακραιφνέστατος νοος καταλαμβάνοι.


Dock f gt er hinzu: πε^ρυκυΐαι δ' ακατάληπτοι κατά την οδσίαν δμως
παραφαίνουσιν έκμαγείόν τι ... τ?)ς εαυτών ενεργείας; das sind, wie Gott
nun in einer auf uns etwas grotesk wirkenden Weise Moses belehrt,
die platonischen Ideen (όνομάζουσι δ* αύτάς ουκ από σκοποο τίνες των
παρ' ύμίν ίδέας). Dann schlie t er: μήτε οδν έμέ μήτε τ:νά των Ιμών
δυνάμεων κατά την ουσίαν έλπισες ποτέ ουνήσεσθ-α; καταλαβεΤν. των δ*
εφικτών ... προ&ύμως μεταοίοωμι. ταύτα δ' εστίν επί την τοο κόσμου
καΐ των εν αυτψ καλέσαι ^έαν. Was Philon hier aus seinem pers n-
lichen Exegcteneifer zuf gt, l t sich leicht abstreifen. Es bleibt dann
eine Anschauung, die sichtlich auch f r Paulus' Worte den Hinter-
grund bildet.
Den entscheidenden Beweis daf r, da Paulus nicht unmittel-
bar auf die Stoa zur ckgreift, liefert aber die ganze Tendenz des Ab-
schnittes. Von der nat rlichen Gotteserkenntnis spricht Paulus ja nur,
um zu zeigen, da die Menschen f r die αδικία, die sie mit ihrer Ab-
wendung von Gott begehen, keine Entschuldigung in einem Mangel
an Offenbarung haben (είς το είναι αυτούς αναπολόγητους 2ο). Da er
damit aber der j dischen Tradition folgt, beweisen die l ngst bemerk-
ten und in den Kommentaren verzeichneten Ber hrungen mit der Sa-
pientia Salomonis (13—15), die bis in den Wortlaut hineingehen. Aber
auch Philon wirft immer wieder den Chald ern und den χαλδαιζοντες
vor, da die Betrachtung der Gestirne und der Natur sie dazu verf hrt
hat, die Gesch pfe statt des Sch pfers zu verehren8, und gerade auch
an der vorher besprochenen Stelle L. sp. I 36ff. f hrt er 54 fort: των
5' από του έθνους ει τίνες κα9·υφιενται την του ενός τιμήν, ως λιπόντες
την αναγκαιοτάτων τάξιν ευσέβειας και οσιότατος ταϊς άνωτάτω τιμωρίαις
όφείλουσι κολάζεσθαι, σκότος αίρούμενοι προ αύγοειοεστάτου φωτός κτλ.
Da mag uns das Letzte an Paulus έσκοτίσθ-η ή ασύνετος α6τών καρδία
(ν. 2ΐ) erinnern, ebenso wie das dort vorauf gehende έματαιώθησαν an
Sap 13 ι (μάταιοι πάντες δνθ·ρωποι).
Mit der religi sen Betrachtung verbindet sich f r den Juden von
selbst die ethische. Wenn bei Philon der fromme Abraham durch die
Versenkung in die Naturordnung und die Gesetzm igkeit der Him-
melserscheinungen zu einem gesetzlichen und friedlichen Lebenswandel
angespornt wird (Abr. 61), so ist das Gegenst ck dazu die Schilderung
der Sapientia (1422), wie der G tzendienst die Heiden zur Sittenlosig-
keit f hrt. Auch darin folgt Paulus (v. 24 ff.) der j dischen Tradition,
und schon sie hatte den auf ihre 'nat rliche' Ethik stolzen Hellenen
vorgehalten, da diese sie nicht daran hindere, namentlich auf sexu-
8
) Abr. 69 Congr. eriid. gr. 49 Migr. Abr. 179 Rer. div. ber. 97, vgl.
Rm 125.

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Max Pohlenz, Paulus und die Stoa 73

ellem Gebiete die Gesetze der Natur zu bertreten9. Gewi konnte


Paulus Ausf lle auf die UnsittlicKkeit auch bei den Griechen in F lle
finden. Aber der Lasterkatalog, den er y. 29—31 gibt, weist ebensowenig
wie die verwandten Stellen irgend eine Spur stoischen Einflusses auf,
hat aber daf r um so mehr Parallelen bei j dischen Schriftstellern
der Sp tzeit10. Und wenn man viel Wert darauf gelegt hat, da Paulus
einleitend sagt: παρέδωκεν αυτούς 6 θεός είς άδόκιμον νουν. ποιείν τα
μη καθήκοντα, so hat schon Bonh ffer, Epiktet und das NT (RW X),
S. 157, mit vollem Rechte ausgesprochen, da das Wort καθήκον zwar
von der Stoa als scharf ausgepr gter Terminus verwendet wurde, aber
auch der allgemeinen Sprache ganz gel ufig war, und da gerade die
Stoa die pflichtwidrige Handlung nicht durch μη καθήκον, sondern
durch παρά το καθήκον bezeichnete, w hrend Paulus den negierten
Ausdruck formt, weil es ihm auf die Abkehr vom rechten Wege an-
kommt11.
Die Anklage gegen die Gottlosigkeit der Menschen versch rft
Paulus am Schlu (v. 32) durch den Vorwurf, sie seien nicht nur prak-
tisch der S nde verfa en, sondern auch ihr sittliches Urteil sei so
verderbt, da sie solch Tun auch theoretisch billigten. Nun kennt er
nat rlich Menschen genug·, die mit sittlicher Entr stung ber die
Verfehlungen der anderen aburteilen, und so wendet er sich 2 i diesen
zu — da schweben ihm gewi eher 'pharis ische' Volksgenossen vor
als Heiden —, um ihnen vorzuhalten, sie seien keineswegs besser, ja
sie st nden eher noch schlechter, weil sie sich mit ihrer Selbstgerech-
tigkeit und Unbu fertigkeit nur Zorn f r den Tag des Gerichtes auf-
speicherten12. »Das Gericht kommt«, schlie t er drohend ab »und
jedem wird Gott nach seinem Tun vergelten, dem Guten wie dem
B sen.«
Mit διό αναπολόγητος εί, ώ άνθρωπε (2 ι) weist Paulus auf das
Thema von 120 εις το είναι αυτούς αναπολόγητους zur ck, mit der από-
κάλυψις αργής 2 δ auf 1 is αποκαλύπτεται γαρ οργή θεού13, und wenn
er 116 das Heil jedem Gl ubigen in Aussicht gestellt hatte, Ίου-
δαίφ τε πρώτον καΐ Έλληνι, so wiederholt er diese Worte, allerdings
jetzt im Hinblick auf das "Gericht, 2 9, 10 sogar zweimal. Solche
'Ringkomposition*, die am Schlu das Thema des Anfangs wieder
9
) Philon Abr. 135, vgl. L. sp. II 50, III 37 und Lietzmanns Kommentar.
10 u
) Daxer S. 43ff. Bonh ffer, Epiktet u. d. NT 167. ) Vgl. meine Besprechung
des Buches GGA. 1913, 633, wo ich aber den Einflu der j dischen Theologie auf
12
Paulus nicht gen gend gew rdigt habe. ) Wenn Paulus 21 durch διό einleitet,
kn pft er au die Worte το δικαίωμα του θ-εου επιγνόντες (132) an, die freilich
dem* Gedanken von 214 vorgreifen. **) Man k nnte danach 25 erwarten εν
ήμερα (ohne καΐ) άποκαλύψεως καΐ δικαιοκρισίας του θ-εου, aber ήμερα οργής war
fester Terminus.

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74 Max Pohlenz, Paulus und die Stoa

aufnimmt und einprägt, ist in der Antike ein beliebtes Stilmittel, um


einen inhaltlich geschlossenen Abschnitt auch formell abzurunden« So
sollen wir auch liier l je—2 to als ein einheitliches Ganzes empfinden,
das uns besagt: »Alle Menschen sind vor Gott schuldig und haben
das Gericht zu erwarten,«
Diese allgemeinen Gedanken haben aber nur vorbereitenden
Charakter. Denn erst von 2 a an kommt Paulus auf sein eigentliches
Thema; erst jetzt führt er den Begriff ein, den er mit Bedacht bisher
zurückgehalten hatte und der von nun an die Erörterung beherrschen
wird14. Das ist der Begriff des Gesetzes, über dessen Bedeutung für
das Heil der Menschen Paulus in diesem Briefe grundsätzliche Klar-
heit schaffen will. Er birgt eine Fülle von Problemen. Als erstes und
aktuellstes drängt sich die Frage auf, ob der bloße Besitz dieses Ge-
setzes den Juden eine Vorzugsstellung einräumt und ihnen die An-
wartschaft auf die Gerechtigkeit vor Gott gewährleistet. Darum
wendet sich jetzt Paulus an diese, und während er vorher allgemein
von der Vergeltung für Gute und Böse gesprochen hatte, allerdings
schon mit dem nachdrücklichen Zusatz, die Vergeltung komme für
alle, für Juden und für Griechen und für die Juden in erster Linie,
stellt er jetzt gleich im ersten Satze klar, daß Gott kein Ansehen der
Person kennt, sondern nur die Sache. Wenn also die Juden, die das
Gesetz haben, trotzdem sündigen, so 'werden sie nach dem Gesetz
zur Verantwortung gezogen werden, ebenso wie Gott die nicht unter
dem Gesetz Lebenden nach dem für sie geltenden Maßstab richten
wird. Denn nicht das Hören des Gesetzes wird die Gerechtigkeit vor
Gott bringen, sondern das Tun15.
Während vorher c Juden und Hellenen' mehr ethnischen Klang
hatte, drängt sich jetzt der religiöse Gegensatz der Juden und Heiden
auf, und nun kann ein langer Abschnitt anschließen, der ihre ver-
schiedene Stellung zum Gesetz in scharfer Antithese und in streng
durchgeführter Zweiteilung (u—16. 17—29) beleuchtet. Schon durch
seinen größeren Umfang hebt sich dabei der zweite Teil als bedeutsamer
ab, und hier apostrophiert der Apostel ausdrücklich den gesetzesstolzen
Juden, den bloßen cHörer des Gesetzes'. Mit aller Schärfe schleudert
ihm Paulus die Sätze ins Gesicht: »Wenn du auf den Besitz des Ge-
setzes und auf dein persönliches Verhältnis zu Gott baust und dabei
14
) In derselben wohlüberlegten Weise stellt er bis 3 20 den Gedanken zurück,
1
daß für die Gerechtigkeit vor Gott die Pistis die Voraussetzung ist. ) Die
vier Sätze in V. 11—U werden alle durch eingeleitet; sie sind also die Glieder
einer Kette, von denen eins immer durch das folgende begründet oder erläutert
wird. Der ganze Gedankengang bringt aber die Ausführung der These von
26 mit spezieller Aufteilung auf die Juden und
Heiden, die durch den Begriff des Gesetzes nötig wird.

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Max Pohlenz, Paulus und die Stoa 75

den Nomos bertrittst, .dann mi achtest du Gott, und dann n tzt


dir Gesetz und Beschneidung g anrieht s. Denn Gott fragt nur, ob sein
Gesetz erf llt wird, und wenn die Vorhaut beobachtet, was das Ge-
setz f r gerecht erkl rt, dann wird ihr das als Beschneidung ange-
rechnet werden, και κρίνει ή εκ φύσεως άκροβυστία τον νόμον τελούσα
σε τον δια γράμματος καΐ περιτομής παραβάτην νόμου.« Diese scharfe
Warnung an die Juden ist das Ziel, dem die ganze Er rterung zu-
strebt, und der Abschnitt ber die Heiden, den er v. u—ic voraus-
schickt, ist nur als Gegenbild gemeint.
In Wirklichkeit sind sogar auch diese Verse f r die Juden be-
stimmt, und ihnen wird gleich in engem Anschlu an v. 13 l ποιηταΐ
νόμου δικαιωθ-ήσονται zu ihrer berraschung klar gemacht, da es
'T ter des Gesetzes' auch unter den Heiden gibt16. Wie es oft bei
Paulus geschieht, berst rzen sich auch hier bei ihm die Gedanken.
Die Frage, wie eine Erf llung des Gesetzes durch die Heiden m g-
lich ist, dr ngt sich vor, so da die Feststellung der Tatsache in einen
Nebensatz verwiesen wird: »Wo immer — δταν, nicht εάν! — Heiden,
die doch das Gesetz nicht haben, von Natur das vom Gesetz Ver-
langte tun — ποιώσιν nimmt das ποιηταί von v. 13 auf —, da sind diese,
ohne das Gesetz zu haben, f r sich selbst Gesetz.« Das ist so poin-
tiert ausgedr ckt, da es einer Begr ndung bedarf, die diesmal in
einem eng zugeh rigen Relativsatz gegeben wird: »Sie beweisen ja
durch ihr Tun, da ihnen das Gesetz, wenn nicht mit Worten diktiert,
so doch praktisch ins Herz geschrieben ist17, und zu ihrem u eren
Tun tritt noch das Zeugnis des Gewissens und der sittlichen Selbst-
reflexion.«
Der griechisch gebildete Leser stie hier auf das Begriffspaar
φύσις—νόμος, das in seinem Volke seit der Aufkl rungszeit des V. Jh.s
auf den verschiedensten Gebieten bis zum berdru angewendet wurde.
Er mu te sich aber v llig umstellen, wenn er Paulus' Gedanken folgen
wollte. F r die Griechen war die Physis von vornherein die h chste
Instanz auch in sittlichen Fragen, und ihr gegen ber wurde der No-
mos zur willk rlichen subjektiven Menschensatzung, die nur relative
Verbindlichkeit gewann, wenn sie sich bei einem Volke durchsetzte.
Von diesen einzelnen Nomoi schieden dann freilich die Stoiker den
die ganze Menschheit umfassenden und verpflichtenden Nomos, das
16
) In V. u k nnte έθνη an sich alle Heiden bezeichnen; aber von diesen in
der Gesamtheit wollte Paulus gewi nicht sagen, da sie die Anforderungen des
Gesetzes erf llen. An Heidenchristen darf man nach dem Zusammenhang des ganzen
Abschnittes nicht denken, und noch weniger kommt die Bedeutung »heidnische
17
V lker« in Betracht. ) Da das ins Herz geschriebene δργον nicht die u ere
Ausf hrung bezeichnen kann, ist έργον aus der so h ufigen Antithese λόγφ —
Ιργφ zu verstehen.

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76 Max Poblcnz, Paulas und die Stoa

Vernujxftgesetz; aber seine bindende Kraft hatte dieses nur, weil es


sich auf die Physifl gr ndete, die also den h chsten Platz behauptete.
Bei Paulus dagegen wurde dieser gerade von dem Nomos eingenommen;
denn er kannte nur das eine von Gott gegebene und seinem j dischen
Volke geoffcnbarte Gesetz, neben dem es keine andere Autorit t in
sittlichen Fragen geben konnte, am wenigsten in einer von Gott un-
abh ngigen Natur. Dieses g ttliche Gesetz ist auch den Heiden 'ins
Herz geschrieben', aber auch dann in seinem Ursprung und Wesen
von den άγραφα νόμιμα verschieden, die bei den Griechen im Gegen-
satz zum geschriebenen Gesetz der Einzelv lker die Anforderungen
einer in der allgemeinen Menschennatur begr ndeten Sittlichkeit dar-
stellten. Eine Reminiszenz an diese 'ungeschriebenen Gesetze9 h tte
den Leser auch nur von dem Punkte abgelenkt, auf den es Paulus
hier ankam. Bei ihm ist der Ausdruck 'ins Herz geschrieben9 durch den
Gegensatz veranla t, in dem dieses Gesetz zu dem in Moses9 Tafeln
und B chern niedergelegten steht, und Paulus' Ziel ist, die Juden
davor zu warnen, sich auf den blo en Besitz dieser schriftlichen ber-
lieferung zu verlassen. In diesem Sinne ruft er nachher v. 27 drohend
den Juden zu: κρίνει ή εκ φύσεως άκροβυστία τον νομον τελούσα σε
τον δια γ ρ ά μ μ α τ ο ς και περιτομης παραβάτην νομού und pr gt ihnen
ν. 29 nochmals ein: περιτομή καρδίας εν πνεύματ^ ου γ ρ ά μ μ α τ ι .
Ausschlie lich vom mosaischen Gesetz geht also Paulus hier aus.
Was das bedeutet, mag ein Vergleich mit dem Kompromi ler Philon
lehren, der sich nicht nur um des Proselytenfanges willen immer \vieder
krampfhaft um den Nachweis bem ht, da das j dische Gesetz in
bereinstimmung mit den Gesetzen der Natur und mit den άγραφα
νόμιμα stehe und da Moses als einzigen Leitstern τον όρθ-όν της φύσεως
λόγον gehabt habe (v. Mos. 143), und der den Wert des g ttlichen Ge-
setzes dadurch seinen Lesern zum Bewu tsein bringen will, da er auf
dieses die Definition bertr gt, die Chrysipp vom Vernunftgesetze der
Allnatur gegeben hatte18. F r Philon fallen Naturgesetz und g ttliches
Gesetz zwar praktisch zusammen; aber gedanklich trennt er beide,
und die 'Natur' wird ihm sogar zum Ma stab, nach dem sich Moses
richtet. F r Paulus w re so etwas ganz undenkbar. Er kennt nur
ein Gesetz, das von Gott gegebene. Er erkennt an, da es auch Heiden
18
) Migr. Abr. 130 sagt Philon zur Erkl rung von παρά τον νόμον μου (Gen
265): νόμος δε ουδέν άρα ή λόγος θείος προστάττων ά δει και άπαγορεύων ά μη χρή.
Das ist die stoische Definition (SVF III 323), die Philon mit direktem Bezug auf
die stoische Lehre von der μεγαλόπολις des Kosmos v. Jos 29 noch genauer wieder-
gibt: (νόμος εστί) λόγος φύσεως προστακτικός μεν ων ποιητέον, απαγορευτικός δε ων
οο ποιητέον. Genaueres NGA 1942 S. 464. — Es w re eine sehr lohnende und f r
die Denkweise beider M nner aufschlu reiche Aufgabe, die kontrastierende Ver-
gleichung von Paulus und Philon systematisch durchzuf hren.

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Max P ah lenz, Paulus und die Stoa 77

gibt, die seine Anforderungen — innerhalb der menschlichen Gren-


zen — erf llen; aber das tun sie nicht, weil ein aus der Natur stammen-
des Vernunftgesetz ihnen vorschreibt, was sie zu tun und zu lassen
haben, sondern weil sich auch ihnen Gott geoffenbart hat. Wie Gott
allen Menschen einen nat rlichen Weg er ffnet hat, um ihn aus seinen
Werken zu erkennen, so hat er ihnen auch seinen Willen ins Herz ge-
schrieben, so da sie auch ohne schriftlich niedergelegte Offenbarung
φύσει das Gute tun k nnen19.
Das Wort Physis war f r Paulus -— wie der Gegensatz von φύσις
und νόμος — in der griechischen Sprache mitgegeben und schillert bei
ihm wie auch sonst in verschiedenen Farben20. Wenn er 2 27 von der
εκ φύσεως άκροβυστία spricht, meint er die durch die ftphysische' Ab-
stammung bedingte Erbmasse, 120 μετήλλαξαν την φυσίκήν χρησ^ν ε?ς
την παρά φύσιν wie I Cor 11 u ή φύσις αυτή διδάσκει δμας die allge-
meine Ordnung der Natur. An unsrer Stelle 2 u ist der Sinn, da die
Heiden oder doch manche von ihnen nicht durch H ren und Lesen
des Gesetzes, sondern durch ihre 'nat rliche Anlage' zur Erf llung
getrieben werden. Aber diese ist ebenso wie die 'Naturordnung' von
Gott gewirkt. Eine selbst ndige 'Natur' neben Gott gibt es nicht. Voll-
ends der hellenische Begriff einer Natur, die ausschlie lich ihren eigenen
Gesetzen folgt und keinen Eingriff von au en duldet, w re f r Paulus'
Denken ebenso unfa bar wie die Allnatur, die f r den Stoiker selbst
die Gottheit ist.
Da er bei dem Gesetz, das die Heiden von Natur erf llen, nicht
an die mosaischen Einzelvorschriften und Ritualgebote denke, sondern
an die sittlichen Grundgedanken, wie sie etwa im Dekalog zusammen-
gefa t sind, durfte Paulus ohne weiteres bei seinen Lesern voraus-
setzen.
Als Zeugnis daf r, da die Heiden von Natur eine Kenntnis des
Sittengesetzes haben, f hrt er 215 auch das Gewissen an21. Auf dieses
beruft sich bei Cicero Legg. I 40 der Stoiker, um gegen die Epikureer
zu erweisen, da Recht und Sittlichkeit nat rlichen Ursprungs sind.
Im allgemeinen war aber die ltere Stoa zu intellektualistisch einge-
stellt, um die besonders dem r mischen Volksempfinden wohlbekannte
Stimme des Gewissens in ihr philosophisches System aufzunehmen22.
Eher mu ten f r diese die Pythagoreer Verst ndnis haben, die als
20
") Angedeutet ist das schon 132, vgL oben Anm. 12. ) Vgl. Bauers W rter-
buch. s ) Zum Folgenden vgl. NGA 1942 S. 465 und meine ,Stoa4 I 317, ferner
1

Bohlig, D. Gewissen bei Seneca und Paulus, St. u. Krit. LXXXVII Iff., Stelzen-
berger, Die Beziehungen der fr hchristlichen Sittenlehre zur Ethik der Stoa, M nchen
22
1933 S. 186—215 und V lker S. 95—105. ) Bei Chrysipp SVF III178 ist nicht
σονε&ησιν, sondern σοναίσθ-ησιν zu lesen, vgl. meine »Grundfragen der stoischen
Philosophie« (Abh. Gott. Ges., ph.-hist. Kl. III26) S. 7.

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78 Max Pohlenz, Paulus and die Stoa

wichtigste Forderung f r den sittlichen Fortschritt aufstellten, der


Mensch solle sich allt glich die Frage vorlegen: flf} παρέβην, τί ο9
έρεξα, τί μοι .δέον ουκ έτελέσθ*η; und sich ber sein Tun 'gewissenhaft*
Rechenschaft ablegen (Carm. aur, 40ff., wo Hierokles im Kommentar
mit Selbstverst ndlichkeit den Begriff des Gewissens einf hrt). Von
ihnen bernahm diese Vorschrift der in C sars Zeit lebende r mische
Philosoph Sextius, und auf diesen wieder beruft sich ausdr cklich der
Philosoph, der f r uns als erster das Ph nomen des Gewissens voll
w rdigt, Seneca (de ira III 36), f r seine Gewohnheit, jeden Abend
eine strenge Selbstpr fung vorzunehmen, bei der er vor den Richter-
Stuhl seines Gewissens tritt und diesem sein ganzes Tagewerk unter-
breitet23. »Qualis ille somnus«, lesen wir dort, »post recognitionem sui
sequitur, . . ., cum aut laudatus est animus aut admonitus et speculator
sui censorque secretus cognovit de moribus suisl«; und wenn Seneca
dann schildert, wie er sich selbst sagt: »vide ne istud amplius facias,
nunc tibi ignosco. in illa disputatatione pugnacius locutus es usw.«, so
m gen wir unmittelbar daran erinnert werden, wie bei Paulus 4die Ge-
danken sich untereinander verklagen und entschuldigen9. Aber auch
hier d rfen wir nicht bersehen, da die theoretische Besinnung auf das
Ph nomen des Gewissens, f r das es bekanntlich im Hebr ischen und
Aram ischen kein eigenes Wort gibt und das im AT erst in der grie-
chisch beeinflu ten Sapientia 17 10 ausdr cklich genannt wird, schon
l ngere Zeit vor Paulus in die ethische Reflexion der Juden einge-
drungen sein mu . Ahnlich wie Seneca schildert auch Philon (Opif. 128)
τον τοο συνειδότος §λεγχον, bei dem das Gewissen zugleich als An-
kl ger und Richter, bald strenger, bald milder auftritt (Decal. 87),
und kommt auch sonst immer wieder auf es zu sprechen24. Ob Paulus
von dieser Seite her Anregungen empfangen oder selbst ndig hier die
23
) Seneca gebraucht an dieser Stelle den Terminus conscientia nicht, aber da er
das Gewissen meint, zeigen Stellen wie Exhort, fr. 14^ wo er dieses in derselben Weise
als den W chter bezeichnet, der all unser Tun beobachtet und beurteilt. — Joach.
Jeremias, dem ich berhaupt f r manchen Hinweis zu Dank verpflichtet bin, macht
mich freundlichst darauf aufmerksam da Dibelius in seinem Aufsatz »Rom und die
Christen im ersten Jahrhundert« (Heidelb. Sitzber., phil.-hist. Kl. 1942, II) S. 92 sagt :
»συνείδησις bezeichnet in den echten Paulusbriefen nicht unser 'Gewissen', sondern die
berzeugung von Gut und B se, die einer hat«. Das trifft f r Rm 13 5 gewi zu;
aber an unserer Stelle zeigt doch die Zusammenstellung mit den »Gedanken, die sich
untereinander verklagen und entschuldigen«, da es sich nicht nur um eine theo-
retische berzeugung handelt, und gerade die Parallele mit Seneca best tigt, da
24
Paulus unser »Gewissen« meint. > Mehr NGA. 1942 S. 466. Da bei Philon das
konkrete Neutrum το συνειδος berwiegt und συνείδησις als Terminus noch in der
Entwicklung begriffen scheint, heben B hlig S. 21, Stelzenberger S. 205 und V lker S. 96
hervor. — In dem Zusatz zum Johannesevangelium 81—11 dringt in V. 9 in einem
Teile der Handschriften οπό της συνειδήσεως ελεγχόμενοι ein.

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Max Pohlenz, Paulus und die Stoa 79

griechische Philosophie herangezogen hat, l t sich daher nicht mit


Sicherheit entscheiden. Jedenfalls hat er auch diesen Begriff aus
seinem eigenen religi sen Empfinden und seinem Verantwortungsge-
f hl gegen ber Gott mit neuem Inhalt erf llt.
Ehe wir unser Ergebnis zusammenfassen, m ssen wir noch ein
Wort ber den Zusammenhang sagen, in dem 2 14.15 stehen, zumal
wir da auf eine gro e Schwierigkeit sto en.
Die Feststellung, da die Heiden, wenn sie das Gesetz erf llen,
'sich selbst Gesetz sind', kann nur zeitlos gemeint sein, ebenso wie
der Hinweis auf ihr Tun und ihr Gewissen. Um so berraschender ist
es, wenn in v. ie folgt: εν ήμερα δτε κρίνει δ θεός τα κρυπτά των ανθρώ-
πων κατά το εύαγγέλιόν μου δια Ιησού Χρίστου25. Da dieser Vers, so
wie er berliefert ist, aus dem Zusammenhang herausf llt, ist l ngst
gesagt und von J licher, Lietzmann u. a. ausf hrlich begr ndet. Er
kann weder an das pr sentische, zeitlose έαυτοΤς είσιν νόμος anschlie en
noch an das, wie wir sahen, mit diesem eng verbundene ενδείκνυνται
(nicht ένδείξονται!). Harmonisierungsversuche Nm gen den Ri ber-
kleistern, aber sie beseitigen ihn nicht. Auch der Vorschlag, v. H und 15
als Parenthese zu fassen und εν ήμερα an v. is δικαιωθήσονται anzu-
kn pfen, bringt keine L sung, da damit der Satzbau f r den Leser
v llig undurchsichtig w rde und v. 13 die allgemeine These aufstellt,
die Paulus in u—IG und 17—29 nach den zwei Seiten hin durchf hrt. Der
Vers bietet aber auch in sich einen Ansto . Denn die nachdr ckliche
Berufung auf das Evangelium, das Paulus selbst bringt, kann sich
nicht wohl auf das spezielle κρίνει τα κρυπτά των ανθρώπων beziehen,
sondern setzt etwas Allgemeineres, die Heilsbotschaft von Jesu Christo
voraus (wie lie 321 ff.). Man kommt um die Annahme nicht herum,
da hier wirklich einmal ein uralter Fehler der berlieferung vorliegt.
Keinesfalls d rfen wir dann aber mit Weisse u. a. den Vers als
sp teren Zusatz ansehen. Denn gerade der Hinweis auf das Endgericht
ist es, den wir hier erwarten. Auf dieses lenkt ja Paulus schon 2 s den
Blick, und diese Vorstellung beherrscht den ganzen Abschnitt (bes. 13.
26. 27). Schwer verst ndlich w re es vielmehr von der Anlage des Ganzen
aus, wenn Paulus in v. 14. ΐδ nur allgemein ber das Tun der Heiden
spr che, ohne die Beziehung auf das Endgericht herzustellen, die doch
unmittelbar vorher in v. 13 vorbereitet ist. In dem Abschnitt ber
die Juden stellt er v. 23—25 f r die Gegenwart fest, da sie παραβάται
του νόμου sind, f gt aber sofort die Drohung mit dem Endgericht
hinzu (27). Zu diesem Teile sollen wir aber die Ausf hrung ber die
**) εν ήμέρ$ δτε ist am besten bezeugt, aber die Varianten w rden sich leichter
erk ren, wenn wir als das Urspr ngliche εν ήμέρ$ T, ann hmen (mit der besonders bei
den Attikern sehr h ufigen Weglassung des zweiten εν vor demRelativum, K hner-
Gerth, Griech. Gramm. § 451, 4). Sicher ist wie in V. 27 κρίνει zu akzentuieren.

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80 Max Polil en z, Paulus und die Stoa

Heiden offenbar als Parallele empfinden; das zeigt eich besonders


deutlich am Schlu (20), der mit seinem 6 εν κρυπτφ Ιουδαίος auf das
τα κρυπτά των ανθρώπων von v. ιβ, das dort etwas berraschend kommt,
zur ckweist. Gerade dieser Parallelismus lehrt aber auch, da mit der
blo en Feststellung in v. u. 15 der von Paulus beabsichtigte Gedanke
noch nicht zu Ende gef hrt ist. Er verlangt eine Fortsetzung, wie sie
in v. IG vorliegt; aber εν ήμερα δτε schlie t nur an, wenn wir annehmen,
da vorher ein paar Worte, dem Sinne nach etwa {καΐ δίκαιωθήσοντα:}
ausgefallen sind. Dieses οικαιωθ-ήσονται war ja schon v. 13 den T tern
des Gesetzes in Aussicht gestellt, bei denen nach v. u. 15 auch Heiden
in Betracht kommen. Da die Voraussetzung f r das διχαιω(Η}να'. der
Glaube an Christus ist, kann Paulus an dieser Stelle des Briefes noch
nicht entwickeln, deutet aber gerade darum mit seinem κατά το
ευαγγέλιον μου und mit ota Ίησοο Χρίστου auf seine Heilsbotschaft hin.
Aber auch wenn Paulus diesen Teil (14—ie) so durch eine Heils-
verhei ung f r die Heiden abrundet, m ssen wir uns gegenw rtig
halten, da er nicht f r sich betrachtet werden darf, sondern im Rah-
men des gro en Ganzen, in dem Paulus ihn bringt. Uns sind diese
Gedanken ganz besonders wertvoll und lieb, weil Paulus so unbe-
fangen von der Sittlichkeit der Heiden spricht, die auch ohne Kennt-
nis des den Juden geoffenbarten Gesetzes Gottes Willen erf llen. Aber
das darf uns nicht dar ber hinwegt uschen,· da diese Anerkennung,
die uns ja nach Kap. l berraschend genug kommt, nicht um ihrer
selbst willen vorgetragen wird, sondern zun chst nur dazu bestimmt
ist, mit ihren lichteren Farben den Schatten, der auf die falsche Selbst-
gerechtigkeit der Juden f llt, um so dunkler wirken zu lassen. Das
ndert nichts an der Tatsache, da Paulus eine nat rliche Gesetzes-
erf llung der Heiden kennt; aber es ist bezeichnend, da er nur hier
von ihr spricht. In das Zentrum der paulinischen Theologie reicht
dieser Gedanke nicht hinein.
Blicken wir nun noch einmal auf diese grundlegenden Kapitel
des R merbriefes zur ck, so werden wir zu sagen haben: Paulus hat
gewisse Anregungen aus der stoischen Philosophie empfangen, aber
er gestaltet sie aus eigenem Geiste um, und sein Innerstes ber hren
sie kaum. Er war eben die starke, selbst ndige Pers nlichkeit, die von
ihrem zentralen Denkmotiv so beherrscht war, da alles, was an sie
herantrat, sich diesem von selbst ein- und unterordnen mu te. Nur
auf diesem Wege konnte er sich ja sogar dem j dischen Gesetz gegen-
ber zu einer neuen Stellung durchringen und die Gerechtigkeit durch
den Glauben verk nden. Die damit gewonnene innere Freiheit, die
ihn zum Knechte Gottes, aber zum Herrn aller Dinge auf Erden macht,
preist er mit derselben Inbrunst wie der Stoiker die seine (Rm 6 12 ff.,
vgl. Gal 2 4 4 22 ff. 5 i u, ., ferner I Cor 3 21 und II Cor 6 ίο ως μηδέν

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Max Pohlenz, Paulus und die Stoa 81

έχοντες καΐ πάντα κατέχοντες, vgl. SVF. Ill 590ff.), und bei Epiktet
vernehmen wir ganz hnliche T ne (I 14 ie. i? IV 3 9 III 24117 u. .).
W hrend aber der mit seiner griechischen Bildung kokettierende Philon,
der die gleiche Freiheit f r seinen Idealmenschen in Anspruch nimmt,
uns nie vergessen l t, da hinter dem frommen Juden der stoische
Weise steht26, kennt Paulus nur die Freiheit, die der Christenmensch
nicht durch eigene Kraft, sondern durch Gottes Gnade und Christi
Tod und Auferstehung erringt, die Freiheit von fleischlichem Leben
und S nde27. Wie die Stoa ist auch er davon berzeugt, da alles auf
die rechte seelische Gesamthaltung ankommt und von ihr aus auch
jedes einzelne Tun erst Wert oder Unwert erh lt. Aber wenn nach
der Stoa δ φαολος πάντα κακώς ποιεί (Stob. II 102, 23) und alle seine
Handlungen αμαρτήματα sind, weil ihm das rechte Wissen vom Guten
und B sen fehlt, erkl rt Paulus (Rm 14 23) 8 ουκ εκ πίστεως, αμαρ-
τία εστίν28, und schon dieser eine Begriff des Glaubens, des Glaubens
an den Auferstandenen, trennt ihn grunds tzlich von der gesamten
griechischen Philosophie und namentlich der Stoa29.
Dieser tiefe Gegensatz schlie t nicht aus, da sich gelegentlich
auch sonst bei Paulus Ankl nge an stoische .Gedanken und Wendungen
finden. Aber da von einem wirklichen Einflu der Stoa auf Paulus
nicht die Rede sein kann, hat Bonh fler in seinem S. 73 genannten
Buche so gr ndlich nachgewiesen, da sich ein Eingehen auf Einzel-
heiten er brigt. Gewi w re Paulus als Jude nicht von sich aus darauf
gekommen, das sittliche Streben mit dem Wettkampf im Stadion zu
vergleichen (I Gor 9 24 if.), und griechisch ist der Gedanke, »die Physis
selbst lehre«, da die beiden Geschlechter ihr Haar verschieden tragen
sollen (I Gor 1114). Aber das zeigt nur, da die popul r-ethischen Vor-
tr ge der Griechen an ihm nicht spurlos vor ber gerauscht waren30..
Viel lehrreicher ist, da gerade die entscheidenden Termini der stoischen
Ethik vollkommen bei ihm fehlen (απάθεια αταραξία ευδαιμονία ebenso

) Das gilt nicht* nur von der Schrift Περί του πάντα σπουδαίον είναι ελεύθερον,
vgl. NGA. S. 477. Oft spricht auch Philon davon, da die Gottesknechtschaft die
27
wahre Freiheit bringt, Sacr. Ah. et G. 127 Somn. II100 u. . ) Joh. Wei in
28
Komm, zu I Gor S. 189. ) Daraus macht Klemens Strom. YI111 aus seinem
eigenen Gef hl heraus mit streng stoischer Terminologie: Πασά πρ£ξις γνωστικού
29
κατόρθωμα. ) Da der Glaube als Lebensmacht uns schon in der j dischen
Theologie bei Philon begegnet und bei Paulus durch den Glauben an Christus eine
unendliche Vertiefung erfahrt, hat Bousset, Kyrios Ghristos S. 174 ff. sch n ausge-
30
f hrt. V lker 239—259. ) Auch deren Einflu d rfen wir aber nicht ber-
sch tzen. Besonnen urteilt Bultmann, Der Stil der .paulinischen Predigt und die
kynisch-stoische Diatribe (Forsch, z. Rel. u. Lit. d. AT u. NT. XIII), 1910, bes.
S. 107. Ganz anders steht es mit dem dritten Kapitel des Jakobusbriefes, vgL
Geffcken, Kynika und Verwandtes, Heidelberg 1909 S. 45.
Zeitschr. f. d. neutest. Wies. 42. Band 1949. 6

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82 Max Pohlenz, Pattlas und die Stoa

wie ηγεμονικών, φαντασία) oder (wie πάθ·ος und δόξα) ohne jede ter-
minologische Sch rfe im Sinne der Gemeinsprache verwendet werden81.
Von πάθη ατιμίας spricht kein Grieche, und die Gleichordnnng des
Begriffes πάθος mit seiner Ahart επιθυμία (Col 3 5) war f r den Stoiker
eine logische Unm glichkeit32. Das Pneuma aber, der Zentralbegriff
der paulinischcn Anthropologie, hat mit dem stoischen Pneuma nichts
zu tun. Der Tneumatiker' stammt ebenso wie der schroffe Dualismus
von πνεομα und ψυχή — σαρξ aus einer ganz anderen Sph re, aus der
hellenistischen Religiosit t und Mystik.
Pneuma ist f r Paulus auch der auferstandene, der zeitlose Chri-
stus als die Geistesmacht, die in ihm selbst wie in allen Gl ubigen
das neue Leben wirkt (II Gor 3 17, Bousset, Kyrios Christos 142ff.).
Wenn Paulus von Christus sagt: δι' ου τα πάντα (Ι Cor 8 β, vgl. τα
πάντα δι* αοτου καΐ είς αυτόν έκτισται Col 1 ιβ und dazu ber Gott
Rm 11 se), so erinnert das an die kosmologische Bedeutung, die der
Logos in der j disch-hellenistischen Theologie hat, vgL Philon L. sp.
It81 λόγος — δι* οδ συμπάς ό κόσμος έδημ^ουργείτο (vgl. Sacr. Ab.
et C. 8 Deus imm. 57 L. all. III 96 Fuga et inv. 95), und es ist nicht
denkbar, da Paulus die Logosspekulation unbekannt geblieben sein
sollte (vgl. den Anhang). Aber er meidet nicht nur den Terminus
Logos, sondern jeden Schritt, der dazu f hren konnte, Christi Gestalt
zu einem philosophischen Begriff zu verfl chtigen.
Philon hatte den Ehrgeiz, der griechischen Philosophie eine
φολοσοφία κατά Μωυσην entgegenzustellen. Paulus war der religi se
Mensch, den Gott selbst berufen hatte, den Glauben an Christum und
seine Gerechtigkeit zu k nden. Das war das eine, was not tat. Die
Heiden mochten das eine Torheit schelten; ihm selbst war es die
Kraft, die ihn ohne Schaden auf alle Weltweisheit verzichten lie .

Wie stimmt nun zu dem Bilde, das wir so von Paulus gewinnen,
die Rede, in der er nach der Apostelgeschichte den Athenern den
wahren Gott verk nden will, den sie schon ahnend verehren, ohne
ihn wirklich zu kennen32a ?
31
) Ausf hrlicher Nachweis bei Bonh ffer S. 197ff. hnlich schon Feine, Theol.
32
Literaturblatt 1905*8.73. ) Vgl. GGA. 1913, 647. 32*) Nach Ablieferung
des Manuskriptes erhielt ich durch die Freundlichkeit des Verfassers den Aufsatz
von W. Schmid, Die Rede des Apostels Paulus vor den Philosophen und Areo-
pagiten in Athen, Philologus XCV. 79—120. Ich freue mich, mit ihm in der Auf-
fassung von 17 26 wie auch sonst nicht selten bereinzustimmen. Im Endergebnis
weichen wir voneinander ab. Ich hoffe aber, da gerade meine unter ganz anderem
Gesichtspunkt gef hrte Untersuchung auch ohne besondere Polemik klarstellen
wird, was gegen Schmids These, Paulus sei der Verfasser der Rede, und gegen
die allgemeinen Erw gungen, auf die er sich zum Teil dabei st tzt, spricht. Eine

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Max P o hl en z, Paulus und die Stoa 83

Ausdrücklich werden wir von Lukas darauf aufmerksam gemacht,


daß Paulus hier nicht wie in Lystra zu einer nur hellenisierten Masse,
sondern zu philosophisch gebildeten Hellenen spricht. Als Vertreter
der Philosophie werden, wie auch sonst nicht selten in der Kaiser-
zeit, die weltanschaulichen Antipoden, die Stoiker und die Epikureer,
genannt. Von den epikureischen Atheisten trennte freilich den Christen
eine so tiefe Kluft, daß er auf eine Bekehrung hei ihnen nicht rechnen
konnte. Leichter war der Boden für eine Verständigung mit den Stoikern
zu finden, und geschickt schafft sich Paulus eine geeignete Plattform,
indem er auf ihre Denkweise eingeht und den Satz an die Spitze stellt:
»Gott, der Schöpfer der Welt und Herr des Alls, braucht keine Ver-
ehrung in Tempeln und durch Opfergaben; denn er ist über alle Be-
dürfnisse erhaben, schenkt er doch selbst allen Leben und Odem und
alles andere.« Das ist, wenn wir von der spezifisch theistischen Färbung
absehen, die Paulus dem Satze gibt, eine Überzeugung, die den fort-
geschrittenen Griechen seit Euripides' Zeit nahe lag und namentlich
seit Poseidonios Gemeingut nicht nur der Stoiker, sondern aller religiös
gesinnten Kreise war33. Ich erinnere nur daran, daß Seneca bei der
Frage, wie die Götter zu verehren seien,.vor allem die würdige Vor-
stellung von ihrer Majestät ans Herz legt: scire illos esse qui praesident
munde, qui universa vi sua temperant . . . ; deum mente condpere omnia
habentem, omnia tribuenten, beneficum gratis . . . ; non quaerit ministros
deus. quidni ? ipse humano generi ministrat, ubique et omnibus praesto
est34. Daß der christliche Missionsredner sich hier ganz bewußt auf das
Denken der Heiden einstellt, hat kürzlich Martin Dibelius in seiner
tiefdringenden und außerordentlich förderlichen Abhandlung'Paulus
auf dem Areopag' (Heidelb, Sitzb. 1939, II) S. 23, gezeigt, indem er
darauf hinwies, daß »das dein Hellenismus so vertraute Motiv von der
Bedürfnislosigkeit Gottes wie dem AT (außer II Macc 14 35 und III
Macc 2 9), so auch dem gesamten NT fremd ist, mit alleiniger Ausnahme
der Areopagrede«.
Allerdings gingen die Stoiker nicht so weit, den von den Vätern
ererbten Kult auch praktisch abzulehnen, und sie wußten ja auch
dem Polytheismus der Volksreligion einen Sinn abzugewinnen, indem
sie die Einzelgötter als Erscheinungsformen der Allgottheit auffaßten.
Daher muß Paulus, um für seine Predigt von dem einen unerkannten
Gott vorzubereiten, seinen Programmsatz vertiefen und begründen.
So schließt er zunächst v. 26. 27 an: £ ·
Änderung meiner Ausführungen war deshalb nicht nötig. Auf einzelne Punkte
konnte ich noch bei der Korrektur verweisen.
34
*) Norden, Agnostos Theos S. 13. ) Seneca ep. 95, 50. 48. 47, im Sinne
des Poseidonios. Theiler, Die Vorbereitung des Neuplatonismus (Problemata I),
1930 S. 106 ff.
6*

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84 Max Pohlcnz, Paulas und die Stoa

ανθρώπων κατοικεΐν επί παν το πρόσωπον της γί)ς, όρίσας προτεταγ-


μένους καιρούς καΐ τάς όροθ-εσίας της κατοικίας αυτών, ζητεΐν τον ·9·εόν,
εί άρα γε ψηλαφήσειαν αυτόν καΐ εοροιεν. Das Verst ndnis dieses Satzes
und damit des ganzen Aufbaus der Rede hat man sich dadurch ver-
sperrt, da man v. 20 isolierte und in ihm dann 'eine weltgeschichtliche
Betrachtung unter religi sem Gesichtspunkte* (Zahn) oder 'einen Hin·
weis auf die F rsorge des Sch pfergottes f r das gesamte Menschen-
geschlecht' (Ed. Meyer, Ursprung und Anf nge des Christentums, II 99)
oder den Gedanken, 'es ist der Gott, der sich in der Sch pfung der
Welt und des Menschen als seines Ebenhildes bekannt gegeben hat9
(Norden, Agnostos Theos 29) oder etwas hnliches fand, was zur Folge
hatte, da die enge logische Verbindung mit dem folgenden gel st
wurde. Man hat sich dabei unbewu t von der berlieferten sekund ren
Verstrennung unsrer Drucke leiten lassen. Lesen wir dagegen den
Text nach seinem syntaktischen Aufbau, so ergibt sich ohne weiteres,
da Paulus gar nicht von der Erschaffung des Menschen oder von
seiner Ansiedlung auf Erden an sich spricht, sondern von dem Zweck,
zu dem ihn Gott erschaffen hat. Er sagt ja nicht einfach έποίησεν
(κατοικειν), sondern έποίησεν (κατοικεΐν) ζητεΐν τον -8-εόν. Der Mensch
ist erschaffen, da er Gott suche. Da Paulus dies in v. 27 sagen will,
konnte man nat rlich nicht bersehen; aber dadurch, da man das
Suchen nach Gott nicht als das Ziel des in v. 26 Gesagten auffa te,
sondern als ein zweites Moment neben die F rsorge Gottes f r den
Wohnsitz der Menschen stellte, verkannte man die Einheitlichkeit und
den zielbewu ten Fortschritt der Rede. Selbst Dibelius ist hier auf
halbem Wege stehen geblieben. Er fa t zwar S. 4 ganz richtig den
Inhalt von v. 26. 27 so zusammen: »Gott hat die Menschen mit der
Bestimmung erschaffen, da sie ihn suchen sollten«, findet aber dann
doch S. 13 in έποίησεν den Sch pfungsakt als solchen und f gt hinzu:
»Davon h ngt dann ein finaler Infinitiv ab genau wie ζητεΐν im n ch-
sten Vers.« Er bersetzt demzufolge auf S. 15: »Und er schuf aus
einem Einzigen das ganze Geschlecht der Menschen, da sie wohnen
sollten auf der ganzen Fl che der Erde. Er bestellte ihnen geordnete
Zeiten des Jahres und begrenzte Zonen zum Siedeln; da sie Gott
suchen sollten usw.« Aber damit ver ndert er nicht nur den syntak-
tischen Aufbau, sondern auch den Sinn des Textes. Denn w hrend in
diesem όρίσας — αυτών nur eine n here Bestimmung zu έποίησεν
κατοικείν und diesem untergeordnet ist, macht Dibelius daraus einen
selbst ndigen Satz, an den sich nun das ζητεΐν anschlie en mu ,
w hrend es offenbar zu έποίησεν κατοικεΐν geh rt. Folgenschwerer ist
noch, da wir nun zwei finale Infinitive erhalten, und wenn wir nicht
wieder ζητεΐν von dem ersten abh ngig machen wollen, was eine schwer
ertragbare stilistische H rte erg be, so m ssen wir beide — und so

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Max Pohlenz, Paulus und die Stoa 85

scheint es Dihelius S. 13 aufzufassen — an έποίησεν ankn pfen. Dann


d re aber unbedingt bei ζητεΐν eine koordinierende Partikel wie καί
oder τε zu erwarten. Das Wichtigste ist aber, da wir bei Dibelius
zwei ganz verschiedene Absichten Gottes erhalten, die ohne innere
Verbindung nebeneinander stehen, die Ansiedhmg der Menschen auf
Erden und ihre Gottsuche.
All diese Schwierigkeiten fallen hinweg, sobald wir έποίησεν
κατοοκείν so auffassen, wie es der griechische Sprachgebrauch seit
Homers Zeit von vornherein nahelegt, der auch dem NT ganz ver-
traut ist* Es ist ein einheitlicher Ausdruck wie MC 7 37 τους κωφούς
ποιεί άκούειν (andere Beispiele in Bauers W rterbuch Sp. 1138), und .
der Gedanke ist: »Gott hat die Menschen zu Bewohnern des Erdballs
gemacht, auf da sie Gott suchen sollen.«*Gerade das ist aber wieder
ein Satz, der sich dem christlichen Redner aufdr ngen konnte, weil
er geeignet war, auf die stoischen H rer Eindruck zu machen35. Denn
ihre anthropozentrische Welterkl rung, nach der der Kosmos ein
σύστημα εκ θεών και ανθρώπων καΐ εκ των £νεκα τούτων γεγονότων ist
(SVFII527), spitzen die Stoiker gerade in der sp teren Zeit gern
auf den Gedanken zu: »Pflanzen und Tiere sind um des Menschen
willen geworden; der Mensch selbst aber ist dazu geschaffen, die Wun-
der des Kosmos zu betrachten und aus ihnen Gott zu erkennen.« So |
schlie t Chrysipp bei Cicero (N. D. II 37) diese Gedankenreihe mit j
dem Satze ab: Ipse autem homo ortus est ad mundum contemplandum j
et im andum. Cicero selbst macht sich diese Bestimmung auch sonst |
zu eigen36 und nennt daraufhin den Menschen Tusc. I 69 contempla-
torem caeli ac deorum cultorem, und Epiktet f hrt I 6, 19 (und ahn- !
lieh IV l, 104) ganz ebenso aus, da Gott die Tiere um des Menschen
willen schuf, τον δ' άν^ρωπον θ-εατήν είσήγαγεν αδτοο τε καΐ των Ιργων
των αδτου, καΐ οδ μόνον Φεατήν άλλα καί έξηγητήν αδτών.
Von dieser Erkenntnis des Gedankenzusammenhanges m ssen wir
aber auch ausgehen, wenn wir die vielbesprochenen Worte όρίσας
προτεταγμένους καιροός καί τάς όροθ-εσίας τ^ς κατοικίας αυτών ver-
stehen wollen, ber die zuletzt Dibelius mit gro er Gelehrsamkeit
gehandelt hat. Dibelius lehnt »die 'historische' Erkl rung ab, da hier
von der geschichtlich gewordenen Verschiedenheit der V lker ge-
sprochen werde, und entscheidet sich f r die 'philosophische' Deutung,
^ Gut fuhrt Dibelius S. 9 aus, da dieses ζητείν rein hellenisch vom Suchen
nach der Erkenntnis zu verstehen ist, w hrend im AT (au er Sap. Sal. 13, 6) das
Suchen nach Gott Sache des Willens ist. Philon sagt L. sp. I 32 δύο δ' εν ταίς
«ερί θεού ζητήσεσι τα άνωτάτω ταυτ* έπαπορει ή διάνοια του φιλοσοφοοντος άνό&ως,
2ν μεν εΐ εστί το $εΓον, έτερον δε το τ£ εστί κατά την ούσίαν. Das ist rein stoisch.

) N. D. II140. 153 Legg. I 24. 26. Von Platos Timaios bersetzt er p. 41 e φυναι
ζψων θεοσεβέστατον mit ut orcretur animal quod esset ad cultum deorum aptissimum.

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86 Max Pohlenz, Paulus und die Stoa

nach der allgemein von dem durch Gottes F rsorge f r die gesamte
Menschheit bestimmten Wohnraum die Rede sei. »Der Gedanke fa t
den Menschen als Weltb rger; die Teilung nach Nationen spielt keine
Rolle (S. 14).« Da man παν ίθ-νος ανθρώπων auf die ganze Mensch-
heit beziehen k nne statt auf 'alle V lker der Erde', wird man ruhig
zugeben. Desto mehr Schwierigkeiten machen die anderen Ausdr cke.
Όρο&εσία ist, wie Dibelius selbst vermerkt (S. 72), nach den Inschriften
in der hellenistischen Zeit fester Terminus f r die Grenzziehung zwi-
schen Lllndereien, und von dein untrennbar zugeh rigen Neutrum
όροθ-έσια lesen wir in PS. Galens Definitiones medicae (XIX 349):
ορισμός δε λέγεται από μεταφοράς τ<Σ>ν εν τοίς χωρίοις «δροθεσίων. Um
trotzdem die 'philosophische' Deutung durchzuf hren, verweist Dibelius
darauf, da Cicero Tusc. I 68. 69 bei dem Beweise f r die g ttliche
Vorsehung auch die Bewohnbarkeit der gem igten Zonen anf hrt,
und bezieht danach das Wort auf 'die Grenzen der kultivierbaren
Zonen'. Demgegen ber ist zun chst zu sagen, da dieser Vorsehungs-
beweis, der bei Cicero aus Aristoteles' Dialogen stammt (Bignone,
L'Aristotele perduto e la formazione filosofica di Epicuro, I 235), sehr
umstritten war. Denn die Epikureer wiesen umgekehrt auf die Unbe-
wohnbarkeit eines gro en Teiles der Erde hin, um das Gegenteil zu
beweisen (Lucrez V 204f.), und selbst bei M nnern, die der Stoa nahe
stehen, h ren wir viel h ufiger, da nur zwei Zonen bewohnbar sind
(Cicero de rep. VI 20, Vergil Georg. I 237f. und sogar Seneca Nat.
Quaest. I praef. 8, Dibelius selbst S. 8). Wichtiger ist aber, da der
Terminus όροΦεσία nach seiner urspr nglichen Bedeutung zwei Nach-
barn voraussetzt, zwischen deren Besitz die Grenzlinie gezogen wird,
und da man sich schwer vorstellen kann, wie dieses Wort auf die
Begrenzung der bewohnbaren Erde bertragen werden konnte. Irgend-
einen Beleg daf r gibt es denn auch nicht.36a Noch bedenklicher ist die
freilich auch von anderen vorgeschlagene Beziehung von προτεταγ-
μένους καιρούς auf die Jahreszeiten. Gewi wird deren regelm iger
Wechsel oft als Beweis f r die g ttliche F rsorge angef hrt, und so
sagt Paulus in Lystra von Gott (1417): ουκ άμάρτυρον εαυτόν άφήκεν
άγαθ-ουργων, οόρανόθεν ομιν διδοος όετοος και καιρούς καρποφόρους.
Aber hier erh lt καιρούς durch das Beiwort καρποφόρους und durch
den Zusammenhang seinen bestimmten Sinn. Das blo e καιρούς oder
καιρούς προτεταγμένους w re unm glich. Und so steht es an all den
zahlreichen Stellen, die Dibelius S. 71 anf hrt: Entweder werden ber-
haupt nicht die καιροί, sondern die ώραι genannt, oder wenn einmal
das Wort gebraucht wird, ist die Bedeutung durch den Zusammen-
hang gegeben (z. B. Sap 7 is). In der Areopagrede h tte ein Leser den
3ea
) Vgl. Schmid S. 103 und zum ganzen Verse S. 100 S.

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Max Pohlenz* Paulus und die Stoa 87

Ausdruck καιρούς προτεταγμένους ebensowenig wie όροθεσίας ohne Di-


belius' Kommentar in dessen Sinne verstehen k nnen. Dihelius ber-
setzt: »Er bestellte ihnen geordnete Zeiten des Jahres und begrenzte
Zonen zum Siedeln«; aber das steht eben nicht da, und kein Grieche
konnte das aus dem Texte herauslesen. Die Rede ist doch sonst ganz
/klar und einfach gehalten. Warum sollte da in diesem einen Verse der
Redner die naheliegenden Worte vermieden und durch geschraubte
Wendungen das Verst ndnis erschwert haben37?
Es war gewi keine Erkl rung des Verses, sondern der Verzicht
auf eine solche, wenn Norden (Agn. Theos. J§. ) ihn als freie Para-
phrase von Dtn 32 8 bezeichnete, zumal der Zusammenhang ein ganz
anderer ist. Denn wenn dort Moses sagt: δτε διεμέριζεν ό οψιστος
2θ·νη, ως διέσπεφεν υίούς Αδάμ, Ιστησεν δρια Iftv v, so ist das bei ihm
nur die Vorbereitung f r die Kennzeichnung der Sonderstellung, die
Gott seinem auserw hlten Volke angewiesen hat. Aber soviel sehen
wir doch aus diesem Verse, da es f r Redner und H rer das Nat r-
liche sein mu te, die όρο-9-εσίαι auf die historisch gewordenen Grenzen
und das Ganze auf die Gliederung der V lker zu beziehen. Dann ergab
sich aber auch von selbst, da bei der Zusammenstellung von καιροί
und όροϋεσίαι die zeitliche und r umliche' Entwicklung der Menschen-
v lker gemeint sein m sse. Wie diese Gliederung der V lkerwelt und
ihre geschichtliche Entstehung die Juden besch ftigte, zeigt uns der
berblick, den die Genesis in cap. 10 ber die zeitliche Entwicklung
(das ist doch der Sinn der Genealogie, aber auch einer Angabe wie
v. 11 εκ της γγ)ς εκείνης έξηλθεν Άσσούρ) wie ber die rtliche Ver-
teilung der V lker (z.B. v. is. 19 μετά τούτο δ ι ε σ π ά ρ η σ α ν — w i e
Dtn 32 a — αί φυλαΐ των Χαναναίων, καΐ έγένοντο τα δ ρ ι α των Χανα^
ναίων από Σιδώνος έως έλθ·εΐν είς Flpapaund v. so καΐ έγένετο ή κ α τ ο ι -
κησις αυτών από Μάσση £ως κτλ.) geben will. Dasselbe Interesse hat
doch auch die tiologische Erz hlung von den zw lf S hnen Jakobs und
von der Erzeugung der S hne Lots hervorgerufen38. Genau das gleiche
finden wir aber schon in der alten Zeit auch bei den Griechen, wenn
sie in ihren genealogischen Epen sich ein Bild davon zu machen suchen,
wie von einem Stamme aus sich allm hlich die verschiedenen V lker
verzweigt haben.
Erst wenn wir so die Worte auf die Differenzierung der V lker
37
) Wie gek nstelt w re der Ausdruck »Er hie die Menschen wohnen, indem
er bestimmte Zeiten abgrenzte«! Wie einfach wirkt demgegen ber Act 1417 διδούς
καιρούς καρποφόρους! Προστεταγμένοος k nnte nicht »geordnete« Zeiten bedeuten,
sondern »angeordnete«, was neben όρίσας kaum n tig ist; zu der theistischen F rbung
des Verses pa t dagegen gut die Lesart von D προτεταγμένους = »vorherbestimmte«,
vgl. Soph. Trach. 164 χρόνον προτάξας. So auch Schmid 10381. 38
) An die
V lkerepochen des Buches Daniel zu denken, liegt viel ferner.

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Max Poblenz, Paulus und die St o a

beziehen, verstehen wir auch, warum ihnen gegen ber der einheit-
liche Ursprung des Menschengeschlechts durch εξ ενός so stark betont
wird30. Erst so ordnet sich aber die Angabe auch dem Leitgedanken
ein. Gerade so erhalten wir die 'philosophische' Einheit des Gedanken-
ganges, die Dibelius mit richtigem Empfinden verlangt. F r die stoische
Theologie, auf die wir schon vorhin stie en, war fester Ausgangspunkt
der Gottesbcwcis c consensu gentium. Um ihn zu widerlegen, wiesen
aber die Skeptiker auf die Verschiedenheit der religi sen Vorstellungen
bei den Einzelv lkern hin. Diese konnten die Stoiker naturlich nicht
leugnen, legten aber nun ihrerseits allen Wert darauf, da trotz dieser
Differenzierung eine bereinstimmung im wesentlichsten Punkte vor-
handen sei, die auf einen gemeinsamen Urbesitz aller Menschen zu
schlie en zwinge. Itaque inter omnis omnium gentium summa constat;
omnibus enim innatum est et in animo quasi insculptum esse deos; quales
sini, varium est, esse nemo negat schlie t Ciceros Stoiker N. D. II 12
den Beweis e consensu ab, und in paralleler Darstellung skizziert diesen
Sextus math. IX 61 ausf hrlicher so: άπαντες άνθ-ρωποι σχεδόν, Έλληνες
τε καΐ βάρβαροι, νομίζουσιν είναι το Φείον καΐ δια τούτο συμφώνως μεν
·9·ύουσι τε καΐ εδχονται και τεμένη θ·εών άνιστωσιν, άλλοι δε άλλως ταύτα
ποιοοσιν, ως αν κατά μεν το κοινόν πεπιστοικότες το είναι τι θείον, μη την
αυτήν δε έχοντες περί της φύσεως αοτου προληψιν40. Als gemeinsamer
Urbesitz wird hier nur der Glaube an die Existenz der Gottheit
betrachtet; doch gingen die Stoiker auch noch weiter und suchten
zu zeigen, da auch ber gewisse Eigenschaften Gottes, ber seine
Ewigkeit, F rsorge und Vollkommenheit bereinstimmung bei allen
Menschen auf Grund einer κοινή έννοια herrsche (Plutarch Comm.
Not. 31—34). Von der stoischen Theologie aus verstehen wir es also
ohne weiteres, da in v. 26 sowohl der einheitliche Ursprung der Mensch-
heit wie auch ihre v lkische Differenzierung hervorgehoben werden.
Im allgemeinen beschr nkten sich die Stoiker dabei auf die einfache
Feststellung der Unterschiede bei den Einzelv lkern; aber gerade an
einer f r die Kaiserzeit wichtigen Stelle setzte auch das Interesse f r
die zeitliche und r umliche Entstehung der religi sen Vorstellungen
bei den verschiedenen V lkern ein. Ehe wir aber darauf eingehen,
wollen wir zun chst einmal den Gedankengang der Areopagrede weiter
verfolgen.
»All den ber den ganzen Erdball verteilten Menschen hat Gott
von ihrem einheitlichen Ursprung her unbeschadet ihrer v lkischen
Differenzierung gleicherma en das Suchen nach Gott ins Herz ge-
39 40
) εξ ενός ist wohl in philosophischem Sinne neutral zu fassen. ) Heine-
mann, Poseidonios' metaphysische Schriften II (1928) S. 106ff. Vgl. noch Cicero
Legg. I 24 in hominibus nulla gens est neque tarn mansueta neque tarn /era, quae non,
etsi ignoret qualem h here deum deceat, tarnen habendum sciat.

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Max P hlenz, Paulus und die Stoa 89

pflanzt« — die geradlinige Fortsetzung f r diesen Gedanken, und nur


f r diesen, lesen wir in v. 28; 29: »Die Menschen haben aber auch die
F higkeit zur Gotteserkenntnis; denn Gott ist uns ja nicht fern; in
seinem eigenen Wesen wurzeln wir mit Leben, Bewegung und Existenz.
Wir sind seines Geschlechtes.« Und damit ist der Redner an dem
Punkte angelangt, auf den er hinaus wollte. Denn nun kann er auf
die Eingangsthese zur ckgreifen und den Bewohnern der κατείδωλος
πόλις41 vorhalten: »Wo wir aber selbst von der Gottheit stammen,
d rfen wir doch nicht glauben, Gott gleiche den Bildern, die der Mensch
nach seinem Gutd nken aus irdischem Stoffe formt«42. Damit ist der
kritisch-polemische Teil abgeschlossen, und der Redner kann die posi-
tive Verk ndigung seiner Lehre mit der Erkl rung einleiten, Gott
richte jetzt an alle Menschen allerorten (R ckblick auf v. 20) die Auf-
forderung, sich von der Agnoia zu befreien und eine geistige Um-
stellung (μετά—vota) zu vollziehen. Die Andeutungen, die er ber den
Inhalt seiner eigenen Botschaft macht, sollen nat rlich nur etwas Vor-
l ufiges sein und die Anwesenden zu weiterem H ren und tieferer Be-
sch ftigung locken. Das entspricht einem hellenischen Brauch, der
seit der Sophistenzeit blich war. Als Isokrates seine Bildungsanstalt
er ffnete, brachte er in seiner Programmschrift (Κατά των σοφιστών)
eine Kritik an den bisherigen Bildungsmethoden und deutete nur am
Schlu an, da er selbst H heres zu bieten habe (Wilamowitz, Aristo-
teles und Athen I 32012).
»Allen Menschen hat Gott den Trieb eingepflanzt, ihn zu suchen,
und sie haben auch die M glichkeit, Gott zu erkennen, da sie selbst
seines Wesens sind. Dann ist es aber auch ihre Pflicht, sich von un-
w rdigem Aberglauben freizumachen und sich eine reine Vorstellung
von Gott anzueignen« — das ist ein ganz geschlossener Gedankengang,
eine Theorie der nat rlichen Gotteserkenntnis, die gerade f r den von
der Missionsrede verfolgten Zweck vorz glich geeignet war, weil sie
den gemeinsamen Boden festlegte, auf dem sich Heiden und Christen
finden konnten. Da dies die Absicht des Verfassers ist, deutet er
selbst durch das Aratzitat an. Genauer m ssen wir sagen: der Christ
bernimmt hier einfach r ckhaltlos eine auf heidnisch-philosophischem
Boden gewachsene Theorie. Denn da nicht nur der Vers τοο γαρ καΐ
γένος έσμέν, sondern auch der Gedanke εν αδτφ γαρ ζώμεν καΐ κινού-
tt
) VgL 1716. Die Kunst, mit der die Areopagrede ausgearbeitet und eingelegt
ist, zeigt sich auch darin, da Text und umgebende Erz hlung wie schon bei Thuky-
42
dides aufeinander abgestimmt sind. Dibelius S. 44ff. ) Der Ton liegt auf den
Εργα χειρών άνθ-ρώπων (Sap 1310). Wer meint, der Hinweis auf die Gottverwandt-
sehaft des Menschen h tte gerade die anthropomorphe Darstellung rechtfertigen
k nnen, verfehlt den Sinn. Die Verwandtschaft liegt doch im immateriellen Geist.

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90 Max Fohlen z, Paulus und die Stoa

με&α καΐ έσμέν aus pantheistischem Weltgef lil heraus konzipiert ist43,
kann keinem Zweifel unterliegen. Ebenso selbstverst ndlich ist freilich,
da der Christ diese Worte rein in theistischem Sinne versteht. Diese
Umsetzung ist ja ein Vorgang, den wir in dieser Zeit allenthalben
beobachten k nnen. Philon bernimmt ruhig Z ge des stoischen Welt-
bildes, die nur zur Immanenz Gottes passen, ben tzt aber die Schei-
dung zwischen Gottes Wesen und seinen Kr ften dazu, um die Tran-
szendenz Gottes trotz seines Wirkens innerhalb der Welt festzuhalten:
έξω του δημιουργηθ-έντος ων ουδέν ήττον πεπλήρωκε τον κόσμον εαυτού44,
und in dem hermetischen Asklepios lesen wir bei PS. Apuleius c. 34
(c. 74,18) omnia enim deus ...; omnia enim ab eo et in ipso et per ipsum45,
w hrend der Verfasser im gleichen Atemzuge die scharfe Trennung
zwischen der sichtbaren Welt und dem transzendenten Gotte einpr gt.
Auf den stoischen Ursprung der Theorie weist der Redner selbst
durch das Aratzitat hin, und besonders Norden, Agn. Theos S. 13—29,
und Theiler, Vorbereitung des Neuplatonismus S. 97ff. und 145 ff.,
haben nachgewiesen, da sich f r jeden Satz in den vv. 25—29 Parallelen
auf stoischem Boden finden. Beide haben auch schon ausgesprochen,
da wir noch einen Schritt weiter gehen und hier wirklich einmal
den so oft mi br uchlich angerufenen Geist des Poseidonios herauf-
beschw ren k nnen. In der Tat erh lt der Satz εν αοτφ ζωμεν καΐ
κ^ούμεΦα και έσμέν seine volle plastische Kraft erst, wenn wir an das
Allgef hl des Poseidonios denken, an seinen Glauben, da der Kos-
mos ein gro er einheitlicher Organismus ist, in dem alle Teile in engster
'Sympathie' miteinander stehen und ihr Leben und Dasein nur aus
dem Ganzen und im Zusammenhang mit ihm haben. Besonders die
Verbindung der Begriffe Leben und Bewegung ist f r Poseidonios kenn-
zeichnend. L ngst hat man den sicher von ihm beeinflu ten Lucanvers
(IX 580) herangezogen: luppiter est quodcumque vides, quodcumque
moveris, und Theiler f gt (S. 97) mit Recht das Scholion zu Statius
Theb. VI 338 hinzu, in dem von der platonischen Weltseele (!) gesagt
wird: dot mortalium animis cunctis species motumque et vitam. Bei
Cicero N. D. I 83 hei t es nach Poseidonios sogar von der Luft, da
sie mit dem Menschen zusammen sieht, h rt, t nt und sich bewegt46.
Noch enger sind die Seelen als Teile der Gottheit mit dieser verbunden,
«) Vgl. meine ,Stoa' S. 404. 383. ber V. 28 vgl. den Anhang. **) Weiteres
45
ber Philon NGA. 1942 S. 443. ) Vgl. cap. 2 p. 37, 18 non hoc dixi, omnia
unum esse et unum omnia, utpote quae in creatore fuerint omnia, antequam creasset
omnia? Proklos zu Platos Tim. I p. 209 (Theiler, Vorb. des Neuplat. 146) ούδενός
γαρ άφέστηκε το θ-ειον, άλλα πάΌιν εξ Ισου πάρεστι"... προελθ-όντα δε πάντα εκ
θεών ουκ έξελήλυθ-εν απ' αυτών, αλλ' ένερρίζωται εν αύτοΓς· ... θ-αυμαστόν οϊν τίνα
46
τρόπον καΐ προηλθ-ε πάντα καΐ οο προηλθ·ε · οο γαρ άπεσπάσθη των θεών. ) Rein-
hardt, Poseidonios 239 ff.

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Max Pohlenz, Paulus und die Stoa 91

so da Gott jede ihrer Bewegungen als die seinige empfindet (Epiktet I


14, 6 παντδς δ' αυτών κινήματος ά'τε οικείου καί συμφυοος ό θεός αι-
σθάνεται), und die prophetischen Tr ume erkl rt Poseidonios so, da
die Seele in manchen wohl allein ihre eigene Kraft entfaltet, bei anderen
aber entweder direkt von Gott bewegt wird oder in ihrer eigenen Be-
wegung mit dem Allgeist in Verbindung tritt, so da sie von ihm
*mitbewegt' wird47. Auch die Wendung, Ob sie wohl Gott ertasten
k nnten', erh lt gerade bei diesem Weltgef hl ganz konkreten Sinn,
wenn auch ψηλαφαν selbst f r Poseidonios nicht zu belegen ist und
hnliche Worte (wie έφάπτεσθαι und θ-ιγεΐν) sp ter gerade bei der spiri-
tualistischen Mystik beliebt sind (Theiler S. 101). Den st rksten Ein-
druck mag machen, da nicht nur der Gedanke unsrer Gottverwandt-
schaft, sondern auch die Formulierung ου μακράν από ενός εκάστου
ημών υπάρχοντα an einer Stelle begegnet, die von Poseidonios beein-
flu t ist, bei Dion Fr. XII 28. Aber wichtiger als solche Einzelheiten
ist, da uns der Gedankengang als Ganzes auf Poseidonios hinf hrt.
Da Dion in seiner Rede vor der Festversammlung von Olympia
eine Schrift des Poseidonios ben tzt hat, ist eines der Ergebnisse der
Poseidoniosforschung, das heute mit einer auf diesem Gebiete seltenen
Einm tigkeit anerkannt wird48. Dion ist allerdings kein sklavischer
Nachahmer, sondern ein feiner, selbst ndiger Kopf, und die Tendenz
seiner Hede steht sogar im Gegensatz zu Poseidonios. Denn w hrend
dieser den bildlosen Kult f r die reinste, urspr ngliche Form der
Gottesverehrung ansah, ist Dion aus dem Norden zum panhellenischen
Feste herbeigeeilt, um angesichts der Zeusstatue des Pheidias f r die
Berechtigung des von den V tern ererbten Bilderkultes einzutreten.
Aber diese Rechtfertigung bereitet er durch einen berblick ber die
Entstehung und die Entwicklung der Religion und des Kultes vor,
und da war Poseidonios die anerkannte Autorit t, der sich auch Dion
anschlo . Freilich bedingte auch hier Dions eigene Tendenz eine per-
s nliche Auswahl und freie Gestaltung des Stoffes. Aber andere ge-
sicherte Berichte ber Poseidonios' Lehre erm glichen uns, Dions Dar-
stellung zu erg nzen und ein klares Bild von Poseidonios' Gedanken-
gang zu gewinnen.
Die Religion geh rt, so f hrt Dion von § 27 an aus, zum Wesen
des Menschen. Denn alle Menschen, ob Hellenen oder Barbaren, tragen
47
) Cicero Div. 1110 Philon Somn. II l und 11, Reinhardt, Poseidonios 439.
457, Kosmos u. Sympathie 251, Heinemann, Poseidonios9 metaphysische Schriften
II 358. Bei Cicero Div. 1110 ist mit Davies zu lesen necesse est contagione (cognitione
codd.) divinorum animorum animos humanos commoveri (= συγκινεΐσθ-αι), vgl. GGA.
1926, 292. «·) Bes. Reinhardt, Poseidonios 411, Heinemann II 124ff. u. a. Zur
Tendenz von Dions Rede B. v. Borries, Quid veteres philosophi de idololatria
senserint, G ttingen 1918 S. 75 ff. Zuletzt Schund S. 87 ff.

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92 Max Polilenz, Paolos und die Stoa

in sich cine nat rliche Gotteserkenntnis, die ihrem gesamten Ge-


schlecht von seinem Ursprung an eingepflanzt ist. Sie sind ja verwandt
mit Gott, ja ein Teil seines Wesens, und auch von au en her bezeugt
sich ihnen Gott in vielfacher Weise. Gerade »schon die ltesten, bei
der Weltwerdung aus dem Urschlamm erzeugten Menschen hatten
dieses Gottesbewu tsein, άτε γαρ ου μακράν οοδ' Ιξω τοο Φείου
διωκισμένοι καα·' αυτούς αλλ* εν αοτω μέσο) πεφυκότες, μάλλον
δε συμπεφυκότες έκείνφ καΐ προσεχόμενοι πάντα τρόπον ο6κ έδύναντο
μέχρι πλείονος άξόνετοι μένειν, άλλως τε σόνεσιν καΐ λόγον είληφότες περί
αύτοο κτλ.40. Sie selbst waren ja mit dem Logos, mit Denken und
Sprache, begabt und erlebten mit unverbrauchter Frische die Wunder
der Sch pfung, empfanden unmittelbar den Zusammenhang mit der
g ttlichen Natur, die sie erschaffen hatte und erhielt, und sogen ge-
radezu mit allen Sinnen das G ttliche in sich ein. Selbst Tiere und
Pflanzen haben ein gewisses Empfinden f r die G ttlichkeit der Welt-
ordnung, deren Gesetz sie in ihrer Lebensf hrung folgen50. Dem Men-
schen haben aber die G tter als Vorrecht verliehen, da er vern nftig
ber sie nachzudenken und sie zu erkennen vermag. Wahrlich, er
braucht keine irdischen 'Mysterien' und Mystagogen, um Gott zu er-
kennen und zu schauen. Die wahren Mystagogen sind die G tter selbst
und ihr Herr, der Lenker des Alls.
Diese angeborene Gottesvorstellung, so f hrt Dion § 39 fort, ist
der Urquell alles religi sen Glaubens; sie herrscht seit Anbeginn der
Zeit und bei allen V lkern51, als dauernder fester Gemeinbesitz aller
Vernunftwesen. Zu ihr treten aber die επίκτητοι έπίνοιαι, die der
Mensch nachtr glich erwirbt und nicht unmittelbar aus seiner eigenen
Erkenntnis sch pft, sondern von seiner Umwelt durch Vernunftgr nde,
Mythen oder Tradition bermittelt bekommt. W hrend Dion sich vor-
her offenbar eng an Poseidonios angeschlossen hatte, mu te jetzt seine
eigene Tendenz ihm den Weg weisen. Er st tzt sich auf die von Panaitios
begr ndete und l ngst jedem Gebildeten vertraute tripertita theologia,
nach der die gegenw rtigen religi sen Vorstellungen und Kult bungen
aus drei Quellen abzuleiten sind, aus den Mythen der Dichter, den
Bestimmungen der Staatslenker und Gesetzgeber und aus den Lehren
der Philosophen52. Da der Philosoph der wahre Exeget und Prophet
der Gottheit ist und den Beruf hat, die urspr ngliche reine Gottes-
erkenntnis zu erneuern, deutet Dion kurz an (49), will aber bei der
49
) Die letzten Worte mit Unrecht von v. Arniin verd chtigt, δλλως τε =
50
zumal. ) 35. Ein γιγνώσκειν τον θ-εόν hat aber Poseidonios selbst gewi nicht
l
den Tieren zugesprochen, vgl. 32. ) εκ τοο παντός χρόνου και παρά πάσι τοις
ε&νεσιν άρξαμένην καΐ διαμένουσαν, σχεδόν τι κοινήν καΐ δημοσίαν του λογικού γένους.
52
) ber diese tripertita theologia und ihre Begr ndung durch Panaitios vgl.
v. Borries in seiner Anm. 48 genannten Dissertation S. 43 ff.

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Max Pohlenz, Paulus und die Stoa 93

Festfeier nicht etwa in eine Kritik der herkömmlichen Religion ein-


treten, sondern lieber die vielumstrittene Frage erörtern, ob der Bilder-
kult, der als vierte Macht die religiösen Vorstellungen beeinflußt, eine
innere Berechtigung hat. So gibt er Pheidias selbst das Wort zu einer
Verteidigung, in der dieser ausführt, daß der Mensch nicht nur den
natürlichen Trieb hat, die Götter zu erkennen, sondern auch sie wie
seine leiblichen Erzeuger zu ehren und zu verehren, und daß er dazu
sichtbare Symbole für die unsichtbare geistige Gottheit braucht, die
ihm die bildende Kunst liefert, indem sie die ideale Menschengestalt f
schafft, die auf Erden allein Gefäß des Geistes ist.
So Dion. Poseidonios' Erörterung über die Entwicklung der
Religion mußte ganz anders ausmünden. Den Bilderdienst mochte
er zwar als herkömmlich tolerieren; aber grundsätzlich verwarf er ihn
als Verfälschung der ursprünglichen reinen Gottesverehrung, und sein
Ziel war der Nachweis, daß man diese mit Hilfe der Philosophie wieder-
gewinnen müsse53. Die tripertita theologia hat er natürlich gekannt
und im Bedarfsfalle verwertet54; aber näher als solche systematische
Zergliederung lag ihm selbst eine andere Betrachtungsweise. Er dachte
historisch und war der erste Stoiker, der die geschichtliche Forschung
auch für die weltanschauliche Erkenntnis nutzbar machen wollte.
Das philosophische Grundproblem war für ihn die Entfaltung
der Einheit zur Vielheit, in der Natur wie im Reiche des Geistes, im
Makroskosmos wie auf Erden und im Leben der Menschen55. Unter
diesem Gesichtspunkte betrieb er die ethnographische Forschung und
versuchte sich ein klares Bild von der geschichtlichen Entstehung der
verschiedenen Menschenrassen und -Völker zu machen. So stellte er
fest, daß die Myser ein Teil des großen thrakischen Volksstammes
und erst in historischer Zeit nach Asien abgewandert seien. Er sah,
daß Syrer, Araber und andere Stämme zu einer großen Völkerfamilie
gehörten und daß sich erst nach ihrer Trennung unter verschiedenen
klimatischen Bedingtingen innerhalb der neuen Wohnsitze ihre Unter-
schiede herausgebildet hätten56, und all solche Einzelbeobachtungen
vereinten sich bei ihm zu einem Gesamtbilde, wie sich die in ihrem
Ursprung einheitliche Menschheit in geschichtlicher Entwicklung unter
**) Bes. Seneca ep. 90, 28; Heinemann 1118f. Daß schon Poseidonios den Bilder-
kalt als vierte Macht zu der tripertita theologia hinzugefügt hat, ist wahrscheinlich.
**) Soviel dürfen wir aus Cicero N. D. II 71 im Zusammenhang mit dem
Vorhergehenden schließen. Vgl. dazu v. Borries S. 50, doch auch Reinhardt, Kos-
5
mos u. Sympathie S. 121. Weiteres im Text. ) Das hat Reinhardt schön aus-
geführt. VgL zum Folgenden bes. seinen Poseidonios S. 392ff. Sonst Heinemann
188ff, -Reinhardts Grundanschauung anerkannt und verwertet auch von Jacoby
in den Fragmenten der Griech. Historiker, Band IIA und G (Poseidonios nr. 87).
w
) FGrHist. 87 F 104. 105. Reinhardt, Poseidonios 67 ff.

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94 Max Fohlen«, Paulus und die Stoa

dem Einflu zeitlicher und rtlicher Faktoren differenziert habe. Ins


Thcistische gewendet lesen wir dasselbe in der Areopagrede: έπο ίη σε ν
εξ ενός πάν έΦνος ανθρώπων χατοιχαν επί πάν το πρόσωπον τγ)ς γης,
όρίσας προτεταγμένους καιρούς καΐ τάς όροθ-εσίας τγ5ς κατοικίας αοτών.
Mehr noch als die physischen Verschiedenheiten interessierte dabei
Poseidonios die geistige Seite, und da diese f r ihn ihre Kr nung in
der Gotteserkenntnis erreichte, war es selbstverst ndlich, da er mit
besonderer Liebe die Differenzierung des religi sen Lebens in der Ge-
schichte und bei den Einzelv lkern verfolgte. Dabei stie er immer
wieder auf den gleichen Verlauf, auf die Entartung der urspr nglich
reinen Verehrung, die eine bewu te Erneuerung durch die Philoso-
phie n tig mache67. So war bei den R mern der bildlose Kult, der dort
170 Jahre lang geherrscht hatte, unter etruskischem Einflu verdr ngt
worden68, und selbst bei den Juden hatte sich allm hlich allerhand
Aberglaube eingeschlichen, wenn sie auch am Monotheismus und dem
bildlosen Kult streng festhielten, mit denen bei ihnen die v lkische
Existenz urs chlich verbunden war. Denn zum selbst ndigen Volk
waren die Juden dadurch geworden, da in einem bestimmten histo-
rischen Zeitpunkt — also einem καφές — der gyptische Priester
Moses mit einer gr eren Anzahl von Anh ngern nach Pal stina aus-
wanderte, weil er der berzeugung war, ως οοκ όρθ-ώς φρονοίεν οί
Αιγύπτιοι θ^ηρίοις είκάζοντες και βοσκήμασι το θείον, οοκ ευ δε οοδ* οί
Έλληνες άν·9·ρωπομόρφους τυποοντες. εΐη γαρ εν τούτο μόνον θεός το
περιέχον ημάς απαντάς καΐ γην καΐ θάλατταν, δ καλουμεν οορανόν και
κόσμον καΐ την των δντων φύσιν. τούτου δη τις αν εικόνα πλάττειν θαρ-
ρήσειεν νοον έχων όμοίαν τινι τον παρ' ήμΐν (Act 17 29!); αλλ' έαν δεΐν
πασαν ξοανοποιίαν, τέμενος δ' άφορίσαντας ... τιμαν εδους χωρίς. (Posei-
donios FGrHist. 87 F 70 = Strabon XVI p. 759; vgl. Reinhardt, Ur-
sprung und Entartung S. 6ff.)
Durch diese religionsgeschichtliche Betrachtung hat Poseidonios
die Geltung der tripertita theologia auf die geschichtliche Entwicklung
eingeschr nkt und scharf von der reinen Gotteserkenntnis der Urzeit
gesondert. Diese ist den Menschen unter dem Einflu der Dichter und
Staatslenker, zu denen noch die bildenden K nstler hinzutraten,
67
) Seneca ep. 90, 28. 29. Reinhardt, F Poseidonios 408ff„ und besonders in
seiner Schrift »Poseidonios ber Ursprung und Entartung« (Orient und Antike VI)
1928, namentlich ber die Darstellung der j dischen Geschichte und Religion bei
Strabon XVI 760ff. = F 70 (Norden in der Festgabe f r Harnack S. 292ff.) und ber
Strabon X p. 466—471 (K reten usw. und die Bedeutung des musikalischen Ele-
58
ments im Kult). Heinemann II 72 ff. 63ff. ) Varro bei Augustin C.D. IV 31 und
Plutarch v. Numae 8 gewi nach Poseidonios (vgl. F 59 S. 260, 23), vgl. v. Borries
S. 54 ff., Reinhardt, Ursprung u. Entartung 11 ff., Heinemann II 72 und meine Aus-
f hrungen GGA. 1913, 640.

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Max Pohlenz, Paulus und die Stoa 95

verlorengegangen und mu von den Philosophen wiederhergestellt


werden.
Wir d rfen danach seinen Gedankengang so zusammenfassen:
»Dem ganzen Menschengeschlecht ist von seinem Ursprung her das
Suchen nach Gott und die Gotteserkenntnis eingepflanzt; denn die
Menschen sind ja nicht von Gott getrennt, sondern sie leben und
bewegen sich in ihm als ein Teil seines Wesens. Das reinste Gottes-
bewu tsein hatten die ersten Menschen, die noch in unmittelbarer
F hlung mit dem g ttlichen Geiste standen. Seitdem ist bei allen
V lkern der Erde trotz ihrer sonstigen Verschiedenheit der Glaube an
Gott vorhanden. Im Laufe der geschichtlichen Entwicklung ist dieser
freilich bei den einzelnen V lkern in mannigfacher Weise getr bt
worden, so da man sich Gott sogar in Menschen- oder Tiergestalt
vorstellte. Deshalb ist es jetzt unsere Aufgabe, mit dieser άγνοια ein
Ende zu machen59 und durch bewu te Geistesarbeit uns wieder eine
reine Gotteserkenntnis zu verschaffen.«
Wie eng sich mit diesem Gedankengang v. 24—29 der Areopagrede
ber hren, liegt auf der Hand. Jeder Gedanke an Urzeugung und All-
vernunft ist freilich beseitigt und das Ganze theistisch gewendet. Aber
die Theorie von der nat rlichen Gotteserkenntnis und ihrer Entwick-
lung glaubte der Christ unbedenklich bernehmen zu k nnen, und f r
eine Missionspredigt vor den Heiden gab es tats chlich keinen g n-
stigeren Ansatz, als wenn man die Anschauung eines Mannes wieder-
holte, der bei ihnen selbst als wissenschaftliche Autorit t in Religions-
fragen galt. Es war im Jahre 96, da Dion Poseidonios9 Gedanken
zu einer Verteidigung des Bilderkultes umbog. Warum sollte da nicht
kurz vorher ein Christ die Empfehlung der allein zur reinen Gottes-
erkenntnis verhelfenden Philosophie, mit der Poseidonios abgeschlossen
hatte, durch die Forderung einer v lligen Sinnes nderung ersetzen
und damit zur Verk ndigung des wahren Gottes bergehen?
Es sind also nicht einzelne philosophische Lesefr chte oder Schul-
reminiszenzen, die der Paulus der Areopagrede verwendet. Vielmehr
bernimmt er einen geschlossenen Gedankengang, eine heidnische
Theorie der nat rlichen Gotteserkenntnis. Wie stimmt das zu dem
Paulus, den wir aus dem R merbrief kennen lernten ?
Es ist das Problem, das auch bei Dibelius im Hintergrunde seiner
ganzen Abhandlung steht. Und gerade weil ich bei der Interpretation
der Rede mehrfach von ihm abweiche, freut es mich um so mehr*
da ich bei der entscheidenden Frage auf meinem Wege genau zu
demselben Ergebnis komme wie er.
*") Dion XII 29 π<δς οδν άγνώτες είναι Ιμελλον ... του σπείραντος; κτλ. und
36f wo der ξύνεσις der Tiere in Polemik gegen Epikur die menschliche άπειρ(α τε και
in g ttlichen Dingen gegen bergestellt wird.

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96 Max P blenz« Paulus und die Stoa

Mit vollem Rechte hebt Dibelius S. 58 eine Anzahl von Punkten


hervor, in denen sich die Areopagrede von Paulus* Haltung unter-
scheidet. Die nat rliche Gottescrkcnntnis fuhrt nach der Rede zum
ahnenden Begreifen Gottes» nach dem R merbrief endet sie in un-
entschuldbarer Verkennung seiner Herrschaft. Die Verwandtschaft des
Menschen mit Gott, die der Arcopagredner im Anschlu an die Stoa
vertritt, hat Paulus niemals in dieser Weise anerkannt; f r ihn kenn-
zeichnet den Menschen nicht die Gottverwandtschaft, sondern die
Gottentfremdung. Ganz unpaulinisch ist Act 17 31 die Wendung π(στ:ν
παράσχων πάσιν άναστήσας αυτόν εκ νεκρών, da Paulus nie das Wort
πίστις f r 'Beweis* oder — so hier — 'B rgschaft f r die Wahrheit9
gebraucht, und darin wird der tiefere Unterschied sichtbar, da bei
Paulus berhaupt die neue Zeit des Heils vom Glauben abh ngt, in
der Rede ihr Anbruch von der neuen Erkenntnis erwartet wird. Ich
selbst f ge hinzu: Im R merbrief 110—21 h ren wir wie in der Rede
von der nat rlichen Gotteserkenntnis. Aber im Brief wird (wie Act 1417)
allein die objektive Seite betrachtet, die Offenbarung Gottes in der
Sch pfung, die sich von au en dem betrachtenden Menschen aufdr ngt.
In der Areopagrede wird dagegen (v. 25 b dient nur zur Kennzeichnung
von Gottes Wesen) ausschlie lich die subjektive Seite herausgestellt,
die F higkeit der gottverwandten Seele zur Erkenntnis. Das ist nicht
bedeutungslos; denn aus Dions Olympikos sehen wir, da man beides
sehr wohl auseinander hielt, wenn auch Poseidonios beides verband.
In § 27—32 spricht n mlich Dion zun chst von dem g ttlichen Wesen
der Menschenseele und zeigt dann, wie die ersten Menschen von au en
durch den Anblick des Himmels und durch die Wohltaten, die sie
erfuhren, angeregt wurden, ihre eingepflanzte F higkeit zu entwickeln60.
Viel wichtiger ist aber ein anderes. Beim R merbrief sahen wir: Auch
als Christ bewegt sich Paulus in der ihm durch Geburt und Erziehung
vorgezeichneten Denkform; die hellenischen Begriffe tauchen nur in
starker Umsetzung und am Rande bei ihm auf, und mit Entr stung
wehrt er sich dort in cap. 3 gegen den Verdacht, als wolle er irgendwie
den Vorzug antasten, den das j dische Volk dadurch hat, da ihm die
unmittelbare Offenbarung Gottes in Wort und Schrift zuteil geworden
ist61. Der Areopagredner dagegen versetzt sich absichtlich in die Denk-
60
) Diese beiden Momente hatte schon Kleanthes als die Hauptursachen angef hrt,
die den Glauben an die Gottheit erweckten, SVF I 528 (= Cicero N. D. II13—15
61
und III16). Poseidonios hat fters auf Kleanthes zur ckgegriffen. ) Rm 3 3 πρώ-
τον μεν γαρ, δτι έπιστεύθ-ησαν τα λόγια του θεού, vgl. Philon Dec. 16 ει λόγια του
θεού συμβέβηκεν είναι τους νόμους, Mos. II188 u. .— ber die Unterschiede zwischen
der Areopagrede und den paulinischen Briefen setzt sich Schmid S. 111 doch zu leicht
hinweg, und sein Versuch, sie aus der Entt uschung, die der Apostel in Athen erlebte»
zu erkl ren (120), befriedigt nicht.

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Max P o hl en JE, Paulus und die Stoa 97

form der Heiden hinein, macht sich eine Theorie zu eigen, nach der
die Gotteserkenntnis allen V lkern gleicherma en angeboren ist, und
stellt in v. so fest, da jetzt die Zeit der Gottesverkennung vorbei sei,
ohne irgendwie anzudeuten, da Gott sich schon fr her wenigstens
einem Volke geoffenbart habe. Das ist nat rlich durch die Tendenz
der Missionspredigt bedingt. Aber sollen wir dem Paulus, der im R mer-
brief mit so genialer Einseitigkeit seinen Weg geht, diese Wendigkeit
und Umstellungsf higkeit zutrauen?
Wir m ten uns dazu entschlie en, wenn wir durch die ber-
lieferung gezwungen w ren, in der Areopagrede ein authentisches Zeug-
nis f r Paulus' Predigt zu sehen. Aber soviel ist doch wohl heute un-
bestritten: Die achtzehn Reden der Apostelgeschichte, die ein Viertel
des ganzen Buches einnehmen, sind vom Verfasser eingelegt, weil er
der k nstlerischen heidnischen Historiographie ein ebenb rtiges christ-
liches Werk an die Seite stellen wollte. Zur k nstlerischen Form ge-
h rte dann aber nach der Natur der Sache wie nach dem festen Stil
der Gattung die freie Gestaltung der Reden. Das schlie t nicht aus,
da der Geschichtsschreiber im Einzelfalle Berichte ber eine wirklich
gehaltene Rede ben tzte. Aber von vornherein voraussetzen d rfen
wir das methodisch nicht. In· der Apostelgeschichte sehen wir deutlich,
da der Verfasser bei den Missionspredigten ein festes Dispositions-
schema zugrunde legt, und wenn er auch den didaktischen Teil, den
er dem par netischen vorausschickt, je nach dem H rerkreis ver-
schieden aufbaut, so kehren doch vielfach, gleichviel ob Paulus oder
Petrus oder ein anderer spricht, dieselben Gedanken wieder. Gewi
liegt das zum Teil in der Natur der ltesten Missionspredigt, und
insofern konnte Wikenhauser, Die Apostelgeschichte und ihr Ge-
schichtswert (NTliche. Abh. VIII 3—5) S. 154 sagen: »Da seine Reden
darin der historischen Wirklichkeit in den Haupt- und Kernpunkten
entsprechen, kann nicht in Abrede gestellt werden.« Aber diese histo-
rische Wirklichkeit ist dann eben die Missionspredigt im allgemeinen,
deren Prototyp Wikenhauser in Lc 24 44—48 wiedergefunden hat.
Die Einzelgestaltung bleibt das Werk des Verfassers der Apostel-
geschichte, also wohl des Lukas. Ob er au erdem authentisches Ma-
terial ber die wirklich gehaltenen Reden benutzt hat, mu im Ein-
zelfall gepr ft werden. Das wichtigste Kriterium mu dabei sein, ob
das, was er die Redner sagen l t, zu dem stimmt, was wir sonst
ber sie wissen. Bei der Areopagrede ist das nicht der Fall. Paulus
schildert IThess l 9 die Wirkung seiner Missionspredigt so: έπεστρέψατε
πρδς τον θ·εόν από των ειδώλων δουλεύειν ΰ-εώ ζώνπ καΐ άληθ-ινφ
καΐ άναμένειν τον υίόν αδτοο εκ των ουρανών, δν ήγειρεν εκ των νεκρών.
Da klingen. Gedanken nach, die ihn auch .die Apostelgeschichte am
Schlu (v. 2 b-3i) entwickeln la t. Aber von dem charakteristischen
Zeitschr. f. d. Xeutest. Wise. 42. Band 1949 7

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93 Max Pohleuz, Paulus und die Stoa

Gedankengang γ. 2β—2t>a sagt er nichts, und Rm 1. 2 zeigt eine ganz


andere Denkart.
Trotzdem bleibt die Areopagrede ein geistesgeschichtliches Do-
kument ersten Ranges. Wir wissen ja sonst so wenig ber die Form
der ltesten Heidenmission. Da ist es von unsch tzbarem Wert, wenn
wir sehen, wie schon in dieser Generation die Christen ganze hellenische
Gcdankeng nge tibernahmen und, ohne vom Eigenen etwas preiszu-
geben, das Gemeinsame herausarbeiteten.Ola

Anhang
I
Der Prolog des Johannesevangeliums
Mit st rkstem Nachdruck und offenbar im Hinblick auf ab-
weichende Anschauungen erkl rt das Johannesevangelium gleich in
den ersten Versen, da es der Logos ist, der von Anfang an da war
und durch den alles geschaffen wurde (πάντα oC αυτού έγένετο wie
Paulus I Cor 8 e, vgl. Col l ie). Der Zusammenhang mit der j dischen
Theologie von Alexandreia wird uns besonders greifbar in den Worten
6 λόγος ην προς τον θ-εόν, καΐ &εός ην δ λόγος. Denn den Untergrund
f r diese Worte bildet die von Philon Somn. 1228ff. mitgeteilte
Exegese von Gen 3113 (εγώ efyu ό θεός δ όφθεις σοι εν τόπφ θ-εου),
nach der die heilige Schrift die Bezeichnung δ θεός mit Artikel auf
den einen wahren Gott beschr nkt, w hrend sie θεός ohne Artikel
auch in weiterem Sinne gebraucht, 7*αλεΐ δε θεόν τον πρεσβύτατον
αοτοο νυνί λόγον. Aber wenn schon bei Philon der Logos nicht die
stoische Allgottheit, sondern der Mittler zwischen dem transzendenten
Gott und der Welt ist, so ist im Evangelium jede stoische F rbung
geschwunden, und der Logos ist nicht mehr Exponent philosophischen
Denkens, sondern religi sen Glaubens. Dieser Logos, der absolut, ohne
den Genetiv του θεού, eingef hrt wird, ist aber auch nicht das alt-
testamentliche Sch pferwort Gottes; er geh rt, wie namentlich die
Verbindung mit 'Licht' und 'Finsternis9 zeigt, in die Sph re orienta-
licher Religiosit t62. Der Evangelist kann ihn bereits in seiner Ge-
meinde als bekannt voraussetzen, und Bultmann hat in seinem reich-
eia
) Selbstverst ndlich konnte sieb der Missionsredner praktisch nicht anf die
wenigen S tzo von v· 24—29 beschr nken. Sie sind nur die Skizze f r einen breiter
62
auszuf hrenden Gedankengang, Darin stimme ich Schmid ganz zu· ) Au er
Bultmann vgl. besonders Bousset, Kyrios Ghristos 208.

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Max Pohlenz, Paulus und die St o a 99

haltigen Kommentar sogar mit Entschiedenheit die auch von dem


Iranisten Schadet (Studien d. Bibl. Warburg VII 306) vertretene An-
sicht verfochten, der ganze Prolog sei in Wirklichkeit ein Gemeinde-
lied, das der Evangelist schon vorgefunden und nur durch 'Anmer-
kungen' in v. 6—8. is. is. i? erweitert habe, um die Beziehung auf Christus
statt auf den urspr nglich gemeinten T ufer herzustellen. Gegen diese
Hypothese erheben sich freilich schwere Bedenken, sobald wir das
Verh ltnis des Prologes zum Gesamtev ngelium sch rfer ins Auge
fassen, als es gemeinhin geschieht.
Der Evangelist will nicht das Leben Jesu erz hlen, sondern zum
Glauben an den fleischgewordenen Logos f hren, von dem er schon
im Prolog gek ndet hat. Namentlich im ersten Teile tritt dabei zutage,
wie Auswahl und Anordnung des Stoffes durch die Absicht bestimmt
sind, die im Prolog gemachten Aussagen ber Christi Wesen und
Heilsbedeutung zu erl utern und zu erweisen.
Jesu Wirken beginnt mit der Hochzeit von Kana, weil er dort
das erste Zeichen tat, das seine Herrlichkeit offenbarte; 2 π έφα-
νέρωσεν την δόξαν αδτοο, vgl. l u έθεασάμεθ-α την δόξαν αοτοο, δόξαν
ως μονογενοος παρά πατρός63. Umrahmt wird die Erz hlung durch
die zwei Zeugnisse des T ufers, der nur wegen dieser Zeugnisse inter-
essiert, 119—34 und 3 22—36. Beide werden mit der gleichen Zweiteilung
im Prolog v. 6—8 und 15 angek ndigt. Die Worte καί αδτη εστίν ή
μαρτυρία (Artikel!) του Ιωάννου 1ΐ9 bezeichnen den ersten Bericht
ausdr cklich ah Ausf hrung von v. 7 οδτος ήλθ-εν είς μαρτυρίαν, und
in v. 15 nimmt der Evangelist mit οδτος ην, δν εϊπον »ό οπίσω μου
ερχόμενος έμπροσθεν μου γέγονεν, δτ& προτός μου ην« w rtlich voraus,
was er in v. so bringen wird, unbek mmert darum, da das εϊπον
eigentlich erst in cap. 3 pa t, wo Johannes seine J nger an seinen
fr heren Ausspruch erinnert (828 αυτοί δμεΤς μοι μαρτυρείτε, 8τι είπον!).
Die Erz hlungen von 135—3 21 stehen unter dem Stichwort πιστεύειν
(l 50 211.22.23 312ff.). Das Erwachen des Glaubens erleben wir in ver-
schiedenen Stufen, die schlichte Hingabe Nathanaels, der dem ersten
Eindruck folgt, aber 'mehr als dies erleben wird' (l 50), den Glauben,
der durch die σημεία geweckt wird (2 u. 23), aber auch schon den, der
durch den Schriftbeweis und Jesu Vorhersagen ber seine. Person ge-
kr ftigt wird64. Den u eren Erfolg fa t 2 23 zusammen: w hrend vor-
her nur einzelne und 'die J nger' gl ubig wurden (2n), hei t es von
Jerusalem: πολλοί έπίστευσαν είς το δνομα αοτοο, θεωροοντες αδτοο τα
σημεία. Im Prolog war uns gesagt (v. 12) 8σοι δε Ιλαβον αοτόν, §δω-
w
) Von dieser αρχή των σημείων (2,11) f hrt der Aufstieg bis zur Anferweckung
β4
des Lazarus, bei der es 1140 bei t: otyy την δόξαν του θ-εου. ) 222 έπίστευσαν
α< 1 λό πεν δ
*? ΥΡ ?3 *<* τή> ΥΦ> Φ " ΙησοΒς. Damit erkl rt sieb, da die Tempel-
reinigung einen ganz anderen Platz erb lt als bei den Synoptikern.
7*

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100 Max Pohlenz, Patdns und die Stoa

κεν αοτοίς έξουσίαν τέκνα θ·εοο γενέσθαι, τοίς π^στευουσιν είς το όνομα
αδτοο. Aber daf r gen gt ein u erlicher, durch Wunder gewirk-
ter Glaube nicht. Das lehrt uns das mit voller schriftstellerischer
Absicht hierher gestellte Gespr ch mit Nikodcmos: Voraussetzung f r
den vollkommenen Glauben und die Gewinnung des ewigen Lebens ist
το γεννηθήναι vco&ev (nachdr cklich in v. 3 und 7 eingepr gt), το
yevvrjfHjvac εκ πνεύματος. Denn το γεγεννημένον εκ της σαρκός σαρξ έσην,
καΐ το γεγεννημένον εκ τοο πνεύματος πνεΟμά εστίν. Gemeint sind die
πιστεύοντες, die im Prolog 13 durch den Zusatz charakterisiert wurden
οι ουκ εξ αιμάτων ουδέ εκ θελήματος σαρκός οδοέ εκ θελήματος ανδρός,
αλλ' εκ θεοΟ έγεννήθησανβδ. Der Dialog mit Nikodemos wird dann
allm hlich zur ersten Rede Jesu, und hier tauchen nun zum ersten
Male all die Begriffe auf, die uns schon der Prolog eingesch rft hat,
der μονογενής υίός τοο θ-εοο, die ζωή αιώνιος, das φως und sein Kampf
mit dem σκότος und die αλήθεια. Es sind die Motive, die schon in der
Ouvert re' anklingen und nachher das ganze Evangelium beherrschen,
ebenso wie in diesem auch der Schlu gedanke des Prologs Φεόν οοοείς
έώρακεν πώποτε, ό μονογενής υίός ό ων είς τον κόλπον τοο πατρός εκείνος
έξηγήσατο uns immer wieder entgegent nt (besonders 640).
Das k nnen wir hier nicht im einzelnen verfolgen; aber soviel
ist wohl schon aus diesen kurzen Bemerkungen klar geworden: Der
Prolog ist nicht eine blo e Einleitung,' sondern ein Programm, das
Glaubensbekenntnis, das der Evangelist ablegt und im folgenden er-
l utert und erh rtet66.
Sollen wir dann glauben, da dieses Bekenntnis nicht ein Er-
zeugnis seines eigenen Innern, sondern ein Gemeindelied ist, hinter
dem irgendein unbekannter Verfasser steht ? Sollen wir wirklich den
Mut zu der Folgerung aufbringen, der Evangelist habe aus einem
fremden Bekenntnis, und zwar aus dem einer Gemeinde, die er be-
k mpft, seine ganze Gedankenwelt in allen wesentlichen Z gen heraus-
gesponnen und danach sein Evangelium aufgebaut?
Da der Evangelist in l 6—8.15 gegen die T ufergemeinde pole-
misiert, weil diese in Johannes das 'Licht der Welt' sah, w hrend
er selbst diesen nur als 'Leuchter' gelten lassen wollte (5 35), scheint
Bultmann auch mir gesichert zu haben, und bei dieser Gemeinde fand
er wohl auch den Logos vor, der in seinem eigenen Glauben merk-
w rdig zur cktritt67. Jesus nennt sich das Licht der Welt, die Wahr-
65
) Die Verkennung dieser Beziehung hat zu der alten Variante δς ... έγεννήθ-η ge-
f hrt. Die richtige Auffassung von Ανω&εν = »von ohen her« 33.7 ergibt sich von hier
ββ
aus von selbst. ) Die Kehrseite ist, da im Evangelium wie im Prolog die Ethik
67
zur cktritt. Diese L cke will der erste Johannesbrief ausf llen. ) Dagegen
nimmt der erste Brief (der Sache nach eine Predigt), der die Parallele mit dem Evan-
gelium sucht, gleich im ersten Verse den Begriff des Logos auf. Vgl. Apc 1912 u. .

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Max P o 111 en z, Paulus und die Stoa 101

heit und das Leben, aber nie den Logos, und wenn er 843 sagt: δια
τι την λαλιάν την έμήν οο γονώσκετε; δτι ου δόνασθ-ε άκούειν τον λόγο ν
τον έμόν, oder wenn er im hohenpriesterlichen Gebet von dem g tt-
lichen Worte spricht, das er den J ngern bermittelt habe, und dabei
ohne Unterschied δέδωκα αδτοΐς τον λόγον σου (17 u) und τα βήματα,
α δέδωκάς μοί, δέδωκα αδτοΤς (β) gebraucht (vgl. 617), kann f r seinen
Glauben kaum die beherrschende Vorstellung gewesen sein, da Jesus
selbst der Logos sei68. Aber das Bekenntnis des Prologs als Ganzes
geh rt ihm selbst, und es zeugt gleicherma en von seinem k nst-
lerischen wie von seinem religi sen Empfinden, da er es in das feier-
liche Gewand des Kultliedes gekleidet hat69. Darauf beruht nicht zum
wenigsten die tiefe Wirkung, der sich auch ein Goethe nicht ent-
ziehen konnte.

II
Ischodad ber Act 17 2s.
Da die Angabe des Nestorianers Ischodad (9. Jh.), der Satz iv
αότφ γαρ ζωμεν καΐ κινούμεθα καΐ έσμέν sei die Paraphrase eines heid-
nischen Dichterverses, immer noch ernst genommen wird, selbst von
M nnern wie Dibelius (S. 26ff.) und Lake (The Beginnings of Chri-
stianity V 246), sei dar ber das N tigste gesagt70.
Der Vers, den Paulus im Titusbrief 112 zitiert: Κρητες αεί ψευστοκ,
κακά θηρία, γαστέρες άργαί stammt aus einer alten Theogonie des
Kreters Epimenides, die, wie es scheint, auch unter dem Titel χρησμοί
umlief (Vorsokr.5 3 B 1). Epimenides hat Hesiods Vers Theog. 26
ποιμένες άγραυλοι, κάκ' ελέγχεα, γαστέρες οίον nachgebildet, um wohl
wie dieser im Prooemium seine eigene Offenbarung der falschen Vulg r-
meinung entgegenzustellen (Kern in BE s. Epimenides, Wilamowitz,
Hellenist. Dichtling II 3). Der Vers wurde dann zum sprichw rtlichen
Spott auf die Verlogenheit der Kreter, und in diesem Sinne hat ihn
Kallimachos im Zeushymnus zitiert, um die Anspr che der Kreter,
da Zeus in ihrem Lande geboren sei, abzuweisen:
'Κρητες αεί ψευστα:'. καΐ γαρ τάφον, ώ δνα, σειο
Κρητες ετεκτήναντο. συ δ' ου Ό-άνες, έσσί γαρ αίεί.
β8
) Das hat Bousset, der im Kyrios Christos 205 noch weitere Stellen bespricht,
nicht gen gend gew rdigt. Auf die Frage der berarbeitung des Evangeliums bin ich
absichtlich nicht eingegangen. β9) Es zeugt nur von Stilgef hl, wenn der Evan-
gelist den feierlichen Klang in den Zwischenbemerkungen nicht anwendet, zu denen
70
ihn die aktuelle Lage zwang. ) The Commentaries of Isho'dad of Merv ed.
Maxgaret D. Gibson. With an introduction by James Bendel Harris, Cambridge
1913, IV. V (= Horae Semiticae X. XI), bes. Introd. IV p. Xllff. und V p. XIV.

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102 Max Pohlenz, Paulus und die Stoa

Da der ganze im Titusbriefe zitierte Vers von Epimenides stamme,


wu te schon Riemens Strom. I 59* Man kannte aber auch den Hymnus
dee Kallimachos, und da manche Paulus9 Zitat auf diesen bezogen, hat
Hieronymus zum Titusbrief (PL XXVI col. 607» kurz wiederholt ep. 70
PL XXII 665) die Frage ausf hrlich behandelt und das Verh ltnis
des Kallitnachos zu Epimenides vollkommen richtig dargestellt« Da-
gegen hat merkw rdigerweise Johannes Chrysostomos in der dritten
Homilie zum Titusbrief die Dinge durcheinandergeworfen (PGr LXII
675). Er nennt als Dichter des von Paulus zitierten Verses Epime-
nides, f gt aber als Anla hinzu, die Kreter h tten das Grab des
Zeus gezeigt, und darum habe der Dichter προιών und αδξων μέλλον
την κωμφοίαν gesagt: καΐ γαρ τάφο ν—edd. Er legt also Epimenides wie
den Protest gegen das Grab des Zeus so auch die Kallimachosverse
bei, und so hat, wie es scheint, auch sein Freund Theodor von Hopsu-
estia in seinem nur lateinisch erhaltenen Kommentar zu den Paulus-
briefen (ed. Swete, Cambridge 1882 II 242) die Sache aufgefa t. Denn
auch er h lt f r den Anla den Widerspruch gegen die Erz hlung
vom Grabe des Zeus und spricht nur von einem Dichter, den er frei-
lich nicht mit Namen nennt71. Aber nun wucherte die Phantasie, und
vier Jahrhunderte sp ter wissen Ischodad und ein anderer Nestorianer
in dem syrischen Gannat Busame72 ganz Neues zu berichten, was sie
nicht von Theodor haben k nnen, obwohl sie sonst dessen Kommentar
ben tzen. Da h ren wir die wundersame M r: Weil die Kreter be-
haupteten, Zeus sei ein irdischer Herrscher gewesen, von wilden Tieren
zerrissen und bei ihnen begraben worden, habe sein Sohn Minos73 in
einem Panegyricus auf den Vater die Kreter mit dem Verse Κρητες
αεί ψευσται κτλ. L gen gestraft und von Zeus gesagt: »for thou art not
dead JOT ever; thou an alive and risen« (Harris Introd. IV p. XIV). Das
hielt Harris f r eine hochwichtige alte berlieferung, und weil ein
hellenistischer Literat Lobon, der sich ein Vergn gen daraus gemacht
71
) Von Harris V p. XVI unrichtig behandelt, auch ungenau zitiert. Theodor
sagt von dem Dichter nat rlich: derogare illis (Cretensibus) voluit fnicht noluit) ea
ratione quam promittebant se lovis posse sepulcrum in suis monstrare, non homine
existente Iove+ ut poeta opinabatur (sc. lovem non hominem existere sed deum), sed
72
deo. ) Der Gannat Busame ist k rzer (er schweigt vom Aratzitat) und ver-
meidet auch die ausdr ckliche Angabe, Paulus habe den »Minos« zitiert; da er aber
nach Harris IV p. XV oft Ischodad mit Namen zitiert, wird er ilm wohl auch hier
k rzend ausgeschrieben haben. Jedenfalls d rfen wir nicht seine Minosgeschichte
unabh ngig von Ischodad aus Theodoros ableiten, sondern h chstens aus der da-
73
zwischen liegenden Exegetentradition. ) Im Kommentar zum Titusbrief sagt
er freilich von dem Dichter des Verses: some say it was Maxanidos, others that it was
Minos, son of Zeus (Harris Introd. V p. XV, der ohne weiteres voraussetzt, Maxa-
nidos sei Korruptel f r Epimenides).

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Max Pohlenz, Paulus und die Stoa 103

hat, Titel von Dichtwerken zu f lschen, auch von einem Epos des
Epimenides Περί Μίνω καΐ ΤαδαμάνθΊ>ος in 4000 Versen zu erz hlen
wu te (Diog. Laert. 1112), so folgerte er, in diesem sei Minos redend
aufgetreten, und dieses Gedicht sei von Paulus zitiert74. Von Kalli-
machos nahm Harris keine Notiz; sonst w rde er doch wohl so viel
gesehen haben, da diese Minosworte nichts anderes sind als eine ver-
w ssernde Paraphrase des Kallimachosverses. Denkbar ist ja, da
Ischodads Nachricht aus einem apokryphen Minosgedicht herausge-
sponnen ist; aber dann k nnte dieses mit seiner euhemeristischen Er-
findung und seiner Benutzung des Kallimachos erst lange nach diesem
verfa t sein. Oder soll etwa Kallimachos seine pointierte Wendung
von 'Minos' gestohlen haben ?
An seine Kallimachosparaphrase schlie t nun 'Minos' bei Ischodad
und hnlich im Gannat Busame unmittelbar die Worte an: »for in
thee we live and are moved and have our being« und Ischodad vermerkt
dazu »so therefore the blessed Paul took this sentence from Minos.« Auch
das hat man ernst genommen, und Harris hat sogar mehr schlecht
als recht vier Hexameter zurechtgezimmert, um 'Epimenides' Minos
wieder ins Leben zu erwecken75. Ihm sind dann die anderen gefolgt,
ohne sich zu fragen, ob denn ein alter Dichter, der gegen die Behaup-
tung vom Tode des Zeus protestieren wollte, Anla dazu hatte, un-
mittelbar die Begr ndung hinzuf gen, da wir Menschen in Zeus unser
Leben haben, oder ob eine derartige Formulierung pantheistischen
Weltgef hls f r einen Mann aus dem Anfang des V. Jhs berhaupt
denkbar ist, ob endlich Paulus wirklich klug daran getan h tte, in
einer Missionspredigt f r die Heiden einen Vers beif llig zu zitieren,
der ausdr cklich f r Zeus als Gott der Volksreligion Ewigkeit uncl den
Charakter als Urgrund alles Lebens in Anspruch nahm. Da das letzte
keine moderne T ftelei ist, k nnen Hieronymus und die brigen Kirchen-
v ter zeigen, die sich' mit der Frage abgequ lt haben, ob es nicht schon
unvorsichtig von Paulus gewesen sei, das Κρήτες αεί ψευσται zu zitieren,
weil man daraus eine Zustimmung zu dem Glauben an Zeus h tte
herauslesen k nnen.
Zu der Minosgeschichte kann, wie gesagt, irgendeine sp te apo-
kryphe Fabelei Anla geboten haben76. Hieronymus, Johannes Chryso-
stomos undTheodorps von Mopsuestia kannten sie aber nicht, oder sie
waren nicht leichtgl ubig genug, um auf den Schwindel hereinzufallen.
Wie im brigen die Angabe Ischodads oder seiner Vorg nger ent-
standen ist, liegt auf der Hand. Man fa te 17 28 ως και τίνες των καθ·*
74
) ber Lobon Cr nert in den Χάριτες f r Friedrich Leo 1911 S. 123ff.,
W. Kroll in RE XIII 931. 75) Beim dritten Verse h tte er sich die M he sparen

und einfach Kallimachos' Worte bernehmen k nnen. ) Daf r spricht das
Schwanken zwischen »Minos« und »Maxanidos«, vgl. Anm. 73.

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104 Gent z-AI and, Quellen der Kirchenge schichte des Nicephoras usw.

δμ£ς ποιητφν είρήκοκπν buchst blich auf, w hrend in Wirklichkeit ein


solcher Plural literarische Form war, wenn man die Nennung eines
bestimmten Namens vermeiden wollte77. So verfiel man darauf, die
Worte nicht nur auf das folgende τοΟ γαρ καΐ γένος έσμέν, sondern
auch auf den vorhergehenden Satz εν αυτψ γαρ ζωμεν καΐ χινοδμεθα
καΐ έαμέν zu beziehen. Aber ausgeschlossen ist nat rlich, da Lukas
dann die Zitate so gruppiert h tte (statt etwa zu sagen 'εν ούτω κτλ.'
καΐ 'τοο γαρ'), und ebenso unverst ndlich w re es, warum er das eine
Zitat in metrischer Form, das andere in prosaischer Paraphrase ge-
bracht haben sollte* Er hat den Vers des Stoikers Arat zitiert, den er
vielleicht schon bei Poseidonios angef hrt fand, und von diesem hat
er den Gedanken εν αϋτφ γαρ ζώμεν καί κινοόμεθ-α καΐ έσμέν ber-
nommen78.
(Abgeschlossen am 5. Mai 1943.)

Die Quollen der Kirchengeschichte des Nicephorus und ihre


Bedeutung f r die Konstituierung des Textes der lteren
Kirchenhistoriker
Von G nter Gentz f und Kurt Aland, Halle/Berlin
(Prof. Lie. K. Aland, Berlin-Steglitz, Lepsiusstr. 68)

Seitdem die KirchengescWclite des Nicephorus Kallistus Xantho-


pulus, welche dieser um 1320 (nach 1317) wohl in Konstantinopel in
vorger cktem Alter beendete, nachdem er seit seinem 36. Lebensjahr
daran gearbeitet hatte, im Jahre 15551 dem Abendland durch die latei-
nische bersetzung Johann Langes bekannt wurde, hat ihre Beurtei-
lung erheblich geschwankt. Im Osten ist Nicephorus stets ein gern
gelesener Schriftsteller gewesen, im Westen sind ihm die protestan-
tischen wie die katholischen Geschichtsschreiber von Anfang an mit
Mi trauen begegnet. Die Magdeburger Centimen bernehmen zwar
77
) Richtig Dibelius 291, der auf Philon L. sp. I 48 verweist. Der Verfasser von
Π. κόσμου sagt 397b 16 διό καΐ των παλαιών εΙπεΓν τίνες προήχθ-ησαν δτι πάντα
ταύτα εστί θεών πλέα, obwohl er gewi aus Aristoteles de anima 411 a 7 Thaies
78
als den Autor kannte. ) Schon Theiler S. 1032 hat die Zur ckfiihrung des
Satzes auf den Kreter Epimenides »geradezu komisch« gefunden.
*) Nicht 1553, so Fahricius-Harles, Bibliotheca graeca VII, 437 ff. (Migne 145,
549ff.), vgl. Dobsch tz RE3 14, 20.

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