Sie sind auf Seite 1von 2

Ruhr-Universität Bochum 05.05.

2021
Institut für Medienwissenschaft
SoSe 2021
Übung zur Vorlesung: Medien- & Kommunikationstheorie (06.05.2021; 14:00 Uhr)
Fr. Dr. Hohenberger
Tim Wetzer (Matrikelnummer: 108020225710)

Lesekarte

Text: Flusser, Vilém (1994): Gesten. Versuch einer Phänomenologie. Frankfurt am Main:
Fischer Verlag, S. 7-18 & S.119-124.

Fragestellung:
Wie kann man den Begriff der Gesten dahingehend definieren, dass er auch z.B. auf das
Medium des Films angewendet werden kann?
Antwort: Indem man die einzelnen Beobachtungen von als Gesten befundenen Akten
phänomenologisch herausarbeitet und auf dieser Basis den Begriff der Gesten eingrenzt.

Thesen:

1. Gesten sind Bewegungen ohne eine zufriedenstellende Kausalerklärung.


Argumente: Gesten sind spezifische Bewegungen des Körpers bzw. eines mit ihm
verbundenen Werkzeuges, die eine gewisse Intention ausdrücken. Kausal können
diese nicht zufriedenstellend erklärt werden. Wenn z.B. ein Arm in gewisser Weise
bewegt wird, kann man eine Erklärung der Umstände als Ursache akzeptieren, ist
aber damit nicht zufrieden, da man selbst darüber entscheidet, wie und wann man
diesen bewegt. Somit stehen Bewegungen als Reizreaktionen auf der einen und
Gesten auf der anderen Seite.

2. Gesten basieren auf einem Code bzw. sie sind kodifiziert.


Argumente: Beispiel: Wenn mir jemand in den Arm sticht und ich diesen in
spezifischer Weise hochwerfe, kann der Beobachtende die Annahme treffen, dass die
Bewegung einen Schmerz ausdrückt. Die Bewegung (→ Geste) ist als Symbol des
Schmerzes durch ihre spezifische Struktur kodiert.

3. Gesten verkörpern Stimmungen.


Argumente: Gesten artikulieren und drücken das aus, was sie symbolisch darstellen.
Im Rückschluss dazu gilt die sogenannte "Gestimmtheit" als eine symbolische
Darstellung von Stimmungen durch Gesten.

4. Die Gestimmtheit stellt formale und ästhetische Probleme.


Argumente: Bei der symbolischen Darstellung von Stimmungen durch Gesten (→
Gestimmtheit) werden Stimmungen aus ihrem ursprünglichen Kontext gelöst.
Daraufhin werden diese ästhetisch bzw. formal und somit künstlich. Die Stimmung
wird somit bearbeitet und man ist dieser nicht mehr "ausgeliefert".
5. Gesten sind ein Akt der Performanz.
Argumente: Gesten werden z.B. von Schauspielenden so ausgearbeitet, dass das
Publikum die vermittelte Stimmung einfängt. Der Schauspielende selbst bearbeitet
performativ und distanziert zur eigenen Stimmung diese Geste. So kann z.B. eine
schlechte Schauspielleistung in einem schlechten Stück als unwahr wahrgenommen
werden.

6. Die Geste des Filmes ist die des Schneidens und Klebens.
Argumente: Die mit Bildern und Tonspuren gefüllten Filmstreifen sind das Material
der filmischen Geste des Schneidens und Klebens. Auf diese Weise ist das bewusste
Komponieren und Zusammenstellen von Bändern, die historische Zeit darstellen
sollen die Geste. Als Ganzes und synchron ist dieses Band zudem ein Sachverhalt,
abgerollt und diachronisch jedoch ein Prozess.

7. Der Filmmachende befindet sich in einer schöpferischen Position.


Argumente: Im Gegensatz zum Fotografierenden betrachtet der Filmmachende die
Welt durch einen prozessualen Apparat, der die Welt in einem Bilderstrom festhält.
Daraus komponiert dieser Inhalte, die im Kino zu Prozessen werden. Er kann diesen
Prozess in einzelne Phasen gliedern, den Ablauf in der Geschwindigkeit beeinflussen
usw., sodass er in seinen Fähigkeiten über Gott steht.

8. Der Filmmachende kann im doppelten Sinne Geschichte machen.


Argumente: Der Filmmachende kann einerseits Geschehenes erzählen, als auch
zuvor unbekannte Phänomene neu kombinieren und im Hier und Jetzt ablaufen
lassen, also geschehen machen. Im Sinne der filmischen Geste des Schneidens und
Klebens wird somit Geschichte von außen und oben herab gemacht.

Fazit:
Gesten sind ein von zahlreichen Faktoren bestimmter Begriff (Codes, Stimmungen,
Performanz usw.). Zugespitzt auf das Medium des Films ist dessen Geste das Schneiden
und Kleben von Bändern, bei denen der schöpferische Filmmachende im doppelten Sinne
Geschichte machen kann. Zu beachten ist dabei allerdings die in Flussers Text betrachtete
analoge Filmproduktion auf Zelluloidstreifen fernab zahlreicher alternativer
Schnittkompositionen und die daraus resultierende Frage, ob diese filmische Geste heute
noch Bestand hat.

Das könnte Ihnen auch gefallen