bleiben im Schulalltag
Wissenswertes und Praktisches
zur Lehrer*innengesundheit
Handreichung für gute,
gesundheitsfördernde Schulen
Inhalt
Vorwort 4
1 Andrea Fraundorfer:
Gesund unterrichten: Warum die (psychosoziale)
Gesundheit von Lehrkräften an Bedeutung gewonnen hat 6
5 Julia Gerick:
Gesundheitsförderlich führen in Zeiten des Wandels 62
6 Andrea Fraundorfer:
Gesundbleiben durch QMS: Wie Qualitätsmanagement zur
Gesundheit aller an der Schule Beteiligten beitragen kann 74
11 Elke Poterpin:
So stärken Sie Ihre Resilienz als Lehrer*in 152
12 Karlheinz Valtl:
Achtsamkeits- und mitgefühlsbasierte Methoden zur
Förderung von Lehrer*innengesundheit 175
14 Nadeshda Stürzebecher:
Entspannen lernen! Hilfreiche Tipps und Übungen
für den Alltag 203
Impressum 216
Diesbezüglich stellt sich die Frage, welche Bedingungen erfüllt sein sollen, um
diesen Balanceakt zu meistern. Einerseits gibt es strukturelle V
oraussetzungen,
die den Arbeitsplatz, die Führung etc. betreffen. Andererseits bietet auch der
persönliche Umgang der Lehrerin bzw. des Lehrers mit den Anforderungen
und Belastungen gewisse Möglichkeiten. Das bedeutet auch, dass im Falle einer
Erschwerung der strukturellen Bedingungen die eigene Herausforderung größer
wird.
Keine festgesetzten Normen regeln den persönlichen Umgang mit der jeweiligen
Situation. Es ist die individuelle Auseinandersetzung mit sich und der Welt, die
einen umgibt, die es ermöglicht, die Gratwanderung so zu absolvieren, dass sich
psychosoziale Gesundheit und Erfüllung einstellen können.
Wir von hepi haben als Lehrkräfte Einblick in die psychosozialen Bedingungen
sowie strukturellen Herausforderungen an verschiedenen Schulstandorten. Es ist
uns ein Anliegen als NCoC (National Center of Competence) für Psychosoziale
Gesundheitsförderung, Angebote (in Form von Fortbildung, Vernetzung,
Information, Beratung etc.) zu konzipieren und auch umzusetzen, die Lehrer*innen
im persönlichen Umgang mit ihrer jeweiligen Situation zu stärken und somit zu
ihrer psychosozialen Gesundheit beitragen.
So freut es uns, dass wir mit dieser Publikation einen Diskussionsbeitrag zur
Realisierung dieses Anliegens leisten können.
Tipps und Werkzeuge, wie man als Lehrer*in gesund bleiben kann, werden im
vierten Abschnitt präsentiert. Dazu finden Sie einen Beitrag zur Resilienzstärkung,
einen Beitrag zu achtsamkeits- und mitgefühlsbasierten Methoden zur Förderung
von Lehrer*innengesundheit sowie einen Beitrag mit Tipps und Übungen, um sich
zu entspannen und die eigene Gesundheit zu stärken.
Wir möchten Sie ermutigen, dass Sie sich aus den für Sie interessanten Kapiteln
jeweils jene Informationen, Werkzeuge sowie Tipps holen, die Sie gerade als
Schulleiter*in, Lehrer*in oder Schulentwickler*in im Bereich der Gesundheitsför-
derung brauchen können. Wir wünschen Ihnen beim Lesen dieser Handreichung
spannende Erkenntnisse und vor allem viele Impulse zur Stärkung der Gesundheit
aller Lehrkräfte an Ihrem Schulstandort!
Die Herausgeberinnen
D
Andrea Fraundorfer er (bio-)psychosozialen Gesundheit von Lehrer*innen und Schulleiter*innen
wird aufgrund zunehmender Herausforderungen – zuletzt auch durch die
Digitalisierung des Lehrens und Lernens (Stichwort „Distance Learning/
Teaching“) – derzeit mehr Aufmerksamkeit geschenkt. So mussten Lehrkräfte ab dem
Schuljahr 2020/21 innerhalb von kurzer Zeit ihre Unterrichtstätigkeit in den digita-
len Raum verlagern, was nicht bei wenigen Lehrer*innen zu erhöhten Belastungen
und damit Stressreaktionen führte. Gesellschaftliche und technologische Entwick-
lungen wirken sich mitunter rasch auf die Bedingungen von Lehren und Lernen aus
und diese zeigen entsprechende Auswirkungen auf Wohlbefinden, Arbeitszufrie-
denheit und Gesundheit von Lehrkräften. Internationale Studien und Expertisen
beschäftigen sich mit dem Wohlbefinden und den berufsbedingten Belastungen im
Lehrberuf und deren Folgewirkungen.1
Der Lehrberuf ist – wie andere Berufe, die eine intensive soziale Interaktion verlangen – ein
äußerst herausfordernder. Belastungen und Beanspruchungen von Lehrkräften werden
seit vielen Jahren intensiv erforscht. Aus arbeitspsychologischer Sicht wird zwischen be-
lastenden Gegebenheiten am Arbeitsplatz (Belastung) und deren nachteiligen Wirkungen
auf die Person (Beanspruchung) unterschieden. Der Begriff Beanspruchung trägt dem
individuellen Erleben von Belastungen Rechnung.2 Potenziell belastende Arbeitsplatz-
bedingungen können zu mehr oder weniger Stresserleben führen, je nachdem wie sie
subjektiv von der Lehrkraft bewertet werden. Stressauslösend wirken demnach Ereig-
nisse oder Anforderungen, die die Anpassungsfähigkeit eines Menschen übersteigen.
Gleich vorweggenommen sei hier die gute Nachricht: Viele berufliche Belastungen lassen
sich über konstruktive Beziehungen zwischen den Lehrkräften, einem wertschätzenden
Führungsstil seitens der Schulleitung und einem insgesamt guten Schulklima abfedern. Kol-
legiale Unterstützung, Anerkennung und Wertschätzung seitens der Schulleitung können
wesentlich dazu beitragen, dass Herausforderungen, die Lehrer*innen im Unterricht erleben,
individuell gut bzw. besser bewältigt werden können. Ähnliches gilt auch für Schüler*innen:
Qualitätsvolle Beziehungen zwischen Lehrkräften und Schüler*innen wirken positiv auf
Wohlbefinden und psychosoziale Gesundheit ein.
Zur Förderung der Gesundheit von Lehrkräften gibt es eine Reihe von gesundheits-
fördernden Initiativen und Fortbildungsangeboten seitens mehrerer Institutionen.6
Diese Publikation richtet sich im Rahmen dieser Bemühungen an Lehrkräfte, Schullei-
ter*innen sowie an beratende Personen an Schulstandorten, die mit der psychosozialen
Gesundheit aller an der Schule Beteiligten zu tun haben. Die vorliegende Publikation
versteht sich als eine Art Werkzeugkasten und damit als ein Impulsgeber, um sich mit
dem Thema Lehrer*innengesundheit sowohl auf systemischer Ebene („Setting Schule“,
„Wir als Schulstandort bzw. als Kollegium“) als auch auf individueller Ebene („Ich in
meiner Rolle als Lehrkraft“, „Ich als Person“) auseinanderzusetzen.
Wünschenswert ist, dass sich Schulen im Sinne der Gesundheitsförderung aller mit
den Rahmenbedingungen des Lehrens und Lernens an ihrem Schulstandort kritisch-
konstruktiv auseinandersetzen und gemeinsam reflektieren, was zu einer gesünderen
Schule beitragen kann, in der sowohl Sie als Lehrkraft gerne unterrichten als auch die
Schüler*innen gerne lernen.
5 Steiner 2020
6 Siehe u. a. die Dokumentation der Veranstaltung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und
Forschung in Kooperation mit dem Fonds Gesundes Österreich (FGÖ) und der Versicherungsanstalt öffentlich
Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau (BVAEB) im November 2020 zum Thema „Gestärkt und resilient am
Arbeitsplatz Schule - Förderung der psychosozialen Gesundheit von Lehrer*innen in Zeiten von Umbrüchen “
unter https://wohlfuehlzone-schule.at/konferenz2020 (letzter Zugriff 10.05.2021)
In dieser Publikation wird der Schwerpunkt auf die psychosoziale Gesundheit gelegt.
Diese wird jedoch nicht als Gegenstück zur physischen Gesundheit, sondern als eng
mit dieser verwoben gesehen.
Wir gehen von einem Gesundheitsbild aus, das den ganzen Menschen in den Blick nimmt.
Auch wenn Lehrkräfte in ihrer professionellen Rolle als Wissensvermittler*innen, Erzie-
her*innen und Lehrende agieren, stehen diese als „ganze“ Person vor einer Klasse und
bringen damit ihre Persönlichkeit, ihr Denken, ihre Haltungen und ihre Emotionen ein. Belas-
tungen, die sich aus der beruflichen Tätigkeit ergeben, wirken also immer auch auf die ganze
Person einer Lehrkraft ein und beeinflussen ihr Denken, Fühlen und Handeln. Umgekehrt
spüren Schüler*innen intuitiv, wer als Person hinter der Rolle als Lehrkraft vor ihnen steht
und wie authentisch die Lehrkraft im Unterricht agiert.
Die WHO verfolgt bereits lange ein Konzept von Gesundheit, das dem neueren Para-
digma einer „biopsychosozialen Medizin“ entspricht.7 Dieser Ansatz sieht den Menschen
als eine seelisch-körperliche Ganzheit innerhalb eines sozialen Lebensraums, der sich
maßgeblich auf Gesundheit sowie Gesundheitseinstellungen und -verhalten auswirkt.
Psychische und physische Vorgänge werden als gleichwertig und gleichzeitig ablaufend
angesehen; unsere Emotionen gehen zum Beispiel immer mit hormonellen und neuro-
logischen Prozessen einher. Daher wird auch die Unterscheidung in psychosomatische
und rein somatische/körperliche Krankheiten obsolet, da immer beide – also unser
psychisches System und unser Körper als die Gesamtheit aller miteinander interagie-
renden Organsysteme – eng verwoben sind. Unsere Gesundheit und unser Befinden
werden stets von unseren sozialen Beziehungen beeinflusst und stehen in enger Ver-
bindung mit den ökonomischen und soziokulturellen Gegebenheiten, die unser Leben
mitbestimmen. Wer Zugang zu fundiertem Gesundheitswissen und zu Gesundheits-
ressourcen und -einrichtungen hat, kann damit auch seine Gesundheit besser steuern.
Gesundheit stellt in dieser Perspektive sowohl das Phänomen als auch die Kompetenz dar,
mit Anforderungen von außen (z. B. beruflichen oder familiären Belastungen) und von innen
(z. B. Krankheitsdispositionen) weitgehend selbstregulierend umzugehen. Daher wird Ge-
sundheit als ein dynamischer Prozess gesehen, der eine stets aufrecht zu erhaltene Balance
zwischen äußeren Anforderungen und inneren Anpassungs- sowie Regulationsprozessen
darstellt und damit auch beeinflussbar ist.
7 Egger 2017
Auch wenn in dieser Handreichung der Fokus auf die Lehrer*innengesundheit gelegt
wird, ist auch die Schüler*innengesundheit impliziert mitgedacht. Die Autor*innen
gehen davon aus (und das bestätigt die Forschung), dass sich psychosozial gesunde
Lehrer*innen durch eine bessere, motivierende und respektvolle Lehrer*innen-Schü-
ler*innen-Interaktion und durch mehr Engagement und Gerechtigkeit auszeichnen.8
So haben Lehrer*innen, die Humor und Spontaneität im Unterricht sowie eine selbstsiche-
re Körpersprache zeigen, bessere Beziehungen zu ihren Schüler*innen. Umgekehrt fühlen
sich Lehrkräfte, die positive Rückmeldungen von Schüler*innen bekommen, gesundheitlich
wohler und können damit auch anstrengende und belastende Situationen insgesamt besser
verarbeiten. Zur Schüler*innengesundheit liegen einige aufschlussreiche Studien vor, wie
die MHAT-Studie zu „Mental health in Austrian adolescents“9 oder die HBSC-Studie (Health
Behaviour in School-aged Children-Studie).10 Während der Pandemie verschlechterte sich die
psychosoziale Gesundheit der Jugendlichen wesentlich.11
Über die Gesundheit von Schüler*innen Bescheid zu wissen, ist insofern wichtig,
als psychosoziale Beeinträchtigungen und Erkrankungen von Heranwachsenden in
die Unterrichtssituation hineinwirken und diese erschweren können. Vor allem die
8 Bauer o. J.
9 Wagner/Zeiler et al. 2017
10 https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Kinder--und-Jugendgesundheit/HBSC.html
(letzter Zugriff Mai 2021). Diese europäische Kinder- und Jugendgesundheitsstudie erfasst den Gesundheits-
zustand, das Gesundheitsverhalten und auch Belastungen der österreichischen Schüler*innen jeweils im Alter
von 11, 13, 15 und 17 Jahren.
11 https://www.donau-uni.ac.at/de/aktuelles/news/2021/psychische-gesundheit-verschlechtert-sich-
weiter0.html (letzter Zugriff Februar 2021); vgl. Schlack et al. 2020
Die WHO definiert Gesundheit “as a state of well-being in which every individual realizes
his or her own potential, can cope with the normal stresses of life, can work productively and
fruitfully, and is able to make a contribution to her or his community“13 . Als zentrale Akteurin
im Gesundheitsbereich beschreibt die WHO die psychische/psychosoziale Gesund-
heit als wesentliche Voraussetzung von Gesundheit: „Without mental health there can
be no true physical health.“14 „Mental Health“ wird im deutsch-sprachigen Bereich meist
mit psychischer oder psychosozialer Gesundheit übersetzt, letztere betont die soziale
Verortung von Gesundheit. Individuelle Gesundheit ist also immer auch geknüpft an
Erfahrungen innerhalb sozialer Räume, die das psychosoziale und physische Wohl-
befinden fördern bzw. auch beeinträchtigen können.
Unter „psychosozialer Gesundheit“ wird ein dynamischer Zustand verstanden, der es ermög-
licht, sich konstruktiv mit den gesellschaftlichen und beruflichen Anforderungen auseinan-
dersetzen zu können und gleichzeitig auch individuelle Bedürfnisse, Ideen und Wünsche im
eigenen Leben zu verwirklichen.
Psychische bzw. psychosoziale Gesundheit stellt demnach eine Balance zwischen einer
produktiven Anpassung an gesellschaftliche Herausforderungen und einer mehr oder
minder gelingenden Selbstverwirklichung dar. Wie sehr das gelingt, ist häufig von
den sozioökonomischen Voraussetzungen und vom Bildungsgrad abhängig. Höhere
Bildungsabschlüsse korrelieren mit einem höheren Lebensstandard, einem besseren
Zugang zu Gesundheitsleistungen und damit über die Lebensspanne hinweg mit
besseren Gesundheitsdaten.
Gerade in Bezug auf die Aufrechterhaltung der Lehrer*innengesundheit ist das soge-
nannte salutogenetische Paradigma von Bedeutung. Es geht bei diesem Ansatz vorrangig
um die Frage, was uns gesund erhält und daher weniger darum, was uns krankmacht.
Dieses Paradigma richtet den Fokus darauf, wodurch Gesundheitskompetenzen und
damit gesundheitsbezogene Einstellungen sowie Verhaltensweisen gestärkt werden
können, aber auch, wie das jeweilige Setting so verändert werden kann, dass dieses
Menschen gesund erhält (und nicht krankmacht). Damit einher geht ein Gesundheits-
verständnis, das Gesundheit als dynamisches Gleichgewicht denkt, das sich zwischen
auftretenden Belastungssituationen und wirksamen Bewältigungsstrategien auf
körperlicher, psychisch-mentaler und sozialer Ebene bewegt. Um die Gesundheit von
Lehrkräften zu stärken, ist es also wichtig, gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen
(wieder-)herzustellen und Belastungen durch konstruktive und tragfähige Beziehungen
und Kooperationen zu reduzieren.
Häufig wird dieses Gesundheitsverständnis auch mit dem Kohärenzsinn, der vom
Medizinsoziologen Aaron Antonovsky definiert wurde, in Verbindung gebracht.
Dieser „Sense of Coherence“ betont die Wichtigkeit von Verstehbarkeit, Handhabbar-
keit und des Sinnerlebens, wenn wir mit Problemen, Herausforderungen und Krisen
konfrontiert sind.15 Sind die genannten drei Aspekte vorhanden, führen Belastungen
zu weniger Stressempfinden. Gerade in Krisenzeiten besteht die Gefahr, dass die ge-
nannten Aspekte, dass wir Anforderungen an uns verstehen, handhaben und ihnen
einen Sinn verleihen können, nicht mehr ausreichend gegeben sind.
Gesundheit ist eine zentrale Voraussetzung für die Lern-, Bildungs- und Arbeitsfähig-
keit eines Menschen. Gelingende Lern- und Bildungsprozesse sowie zufriedenstellende
Arbeitsbedingungen und -verhältnisse wirken sich wiederum positiv auf die Gesundheit
aus. Wir können das Eine ohne das Andere nicht haben.
Wenn wir also wollen, dass Menschen im Setting Schule gesund bleiben, müssen wir die Ver-
hältnisse, unter denen sie lernen und arbeiten, auch daraufhin überprüfen, ob Menschen dort
Anerkennung, Wertschätzung und Sinnhaftigkeit sowie tragfähige Beziehungen erleben.
Dazu kann grundsätzlich jeder etwas beitragen. Der Schulleitung kommt jedoch eine beson-
dere Aufgabe zu; die Rolle der Schulleitung in Bezug auf „salutogene (gesundheitsfördernde)
Führung“ wird im Beitrag von Julia Gerick in dieser Publikation gesondert thematisiert.
Psychosozial gesund zu bleiben ist vor allem für soziale Berufe, die mit heranwachsenden,
unterstützungs- und beratungsbedürftigen Menschen zu tun haben, eine kontinuierli-
che Herausforderung. Lehrer*innen müssen nicht nur Lernprozesse anleiten, begleiten
und unterstützen, sie erziehen auch, beraten, beurteilen und beeinflussen schließlich
durch Notengebung und Schullaufbahnempfehlungen die konkreten Lebenschancen.
Pädagogisches Handeln an sich ist ein letztlich nur schwer zu planendes Geschehen, da
die konkrete Situation häufig sehr viele rasch zu treffende Entscheidungen erfordert,
was auch zu Überforderung (z. B. im Bereich der Unterrichtsdisziplin) führen kann.
Unterrichten geht mit einer Vielzahl von Handlungsungewissheiten und Unabwäg-
barkeiten in der konkreten Unterrichtssituation einher, die aufgrund von in der Aus-
bildung und im Berufsalltag erworbenen Fähigkeiten täglich neu bewältigt und auch
immer wieder reflektiert werden müssen.
Berufliche Belastungen führen jedoch nicht bei allen Lehrenden zu den gleichen Emp-
findungen und Symptomen von Überforderung, Stress oder Erschöpfungsanzeichen.16
Auf den Umgang mit schulischen bzw. unterrichtlichen Belastungen wirken vor allem
die eigenen Denk- und Handlungsmuster bzw. die Verarbeitungs- und Bewertungs-
prozesse ein. Aus der Praxis weiß man, dass manche Lehrkräfte mit als „schwierig“
eingeschätzten Klassen und Einzelschüler*innen gut zurechtkommen und andere
wiederum weniger gut. Disziplinäre Herausforderungen sowie reale Gegebenheiten
(wie Klassengröße, Zusammensetzung der Klasse etc.) werden von Lehrkräften also
recht unterschiedlich eingeschätzt. Auch die sozialen und inneren Ressourcen, die
jeweils in einem Menschen aktivierbar sind, unterscheiden sich stark. Als Menschen
reagieren wir in Belastungs- und Stresssituationen mit unterschiedlichen Emotionen
und Bewertungen der erlebten Situationen. Emotionen, die durch Herausforderun-
gen im Beruf entstehen, stehen auch in enger Verbindung mit dem Erfolgserleben
im beruflichen Alltag, der Lebenszufriedenheit an sich sowie dem Erleben sozialer
Unterstützung.17 Erfolgserlebnisse im Unterricht oder positive Rückmeldungen von
Seiten der Schüler*innen oder auch der Schulführung stärken die eigene Belastungs-
fähigkeit. Ziel im Sinne der Gesundheitsförderung muss es daher auch immer sein,
die Beziehungen in unserem beruflichen Alltag so zu gestalten, dass sie als Ressource
und nicht als Gefährdung unserer Gesundheit wirksam werden. Hier zeigt sich einer
der Hebel, an dem man ansetzen kann.
Um auf die Gesundheit von Lehrkräften positiv einzuwirken, reicht es jedoch nicht, an den
individuellen Bewältigungsmustern und deren Veränderung anzusetzen. Es braucht einen
Setting-Ansatz, der die konkreten Arbeitsbedingungen unter die Lupe nimmt und somit
nicht nur das Verhalten einzelner Lehrkräfte, sondern die gegebenen Verhältnisse, unter
denen sie ihre herausfordernde Tätigkeit ausüben, zu verändern versucht. Hier muss Schul-
entwicklung ansetzen. Zahlreiche Publikationen, wie z. B. das Handbuch Lehrergesundheit 21
Lehrer*innen sehen ebenso darin Belastungen, dass sich ein Teil der Elternschaft
wenig für den Lernerfolg ihrer Kinder einsetzt und andere Teile der Elternschaft
überprotektiv bis hin zu einmischend in didaktische Fragen agieren. Zudem ist die
gesellschaftliche Anerkennung der geleisteten Arbeit nicht immer gegeben, und
Lehrkräfte sind nicht selten zweifelhaften Projektionen von Erwachsenen aus deren
eigenen Schulzeit ausgesetzt. Ein weiterer Faktor ist, dass Lehrkräfte häufig beengte
Arbeitsplätze im Konferenzzimmer und eine verbesserungswürdige technische Aus-
stattung am Schulstandort vorfinden. Lehrer*innen sind – wie andere Berufsgruppen
mit einem gesellschaftlichen Auftrag – also gefordert, sich immer wieder neuen Pro-
fessionsanforderungen anzupassen.
23 Vgl. dazu die Analysen und Vergleiche im europäischen Kontext im Eurydice-Bericht (European
Commission/Eurydice 2021) und TALIS 2018 sowie Ksienzyk/Schaarschmidt 2005; Bauer 2009; Heyse 2011
Selbstwirksamkeit (der Begriff geht auf den kanadischen Psychologen Albert Bandura
zurück) beschreibt die Überzeugung einer Person, herausfordernde oder schwierige
Situationen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können.25 Dahinter steht die
Annahme, dass Persönlichkeitsanteile, Denken und Verhalten in steter Wechselwirkung
mit dem sozialen Kontext stehen. Die inneren Überzeugungen, ob und wie Aufgaben
bewältigt werden, ändern sich mit dem fachlichen Wissen und den Berufserfahrungen.
Dazu gehört auch, dass positive Erfahrungen im Kollegium, z. B. über Kooperation und
Austausch, auf die Ausbildung von Selbstwirksamkeit einwirken. Die TALIS-Studie zeigt
vor allem die Selbstwirksamkeit von Lehrkräften im Bereich Classroom-Management,
Unterricht und Schüler*innenmotivation auf. Es finden sich in der Studie Verweise auf
Untersuchungen, die zeigen, dass ein Zusammenhang zwischen der Selbstwirksamkeit
von Lehrkräften und Schüler*innenleistungen bestehen. Lehrkräfte in Klassen mit
hohen Leistungen können demnach eine ausgeprägtere Selbstwirksamkeit vorweisen.26
Befindet sich der Mensch ständig in Belastungs- und Überforderungssituationen (und damit
in Alarmbereitschaft), werden die neurobiologischen Stresssysteme überbeansprucht und
aktiviert. Die Selbstregulationssysteme im Menschen werden beeinträchtigt, und die fragile
Balance zwischen Anspannung und Entspannung gerät zunehmend aus dem Lot. Lang-
anhaltender, als belastend empfundener Stress wirkt sich massiv auf die psychophysische
Verfasstheit des Menschen und damit auf sein Wohlbefinden und seine Gesundheit aus.
Als Menschen sind wir in jedem Alter auf tragfähige zwischenmenschliche Beziehungen an-
gewiesen. In beruflichen Settings, so auch in der Schule, reagieren unsere neurobiologischen
Belohnungssysteme, die mit Wohlfühlen einhergehen, auf zwischenmenschliche Zuwen-
dung, Anerkennung und Resonanz. Motivation und Leistungsbereitschaft entstehen nicht
ohne Beziehung zueinander.
Wie eine Lehrkraft eine Unterrichtsstunde beginnt oder eine Schulleiterin eine Konfe-
renz einleitet, bestimmt häufig den weiteren Verlauf der sozialen Begegnung zwischen
den Beteiligten. Annedore Prengel hat in einer umfassenden Studie untersucht und
beschrieben, wie wichtig die Art und Weise, wie Pädagog*innen Lernende ansprechen,
für deren Wohlbefinden und Leistungen ist. Anerkennende, verletzende oder ambi-
valente Handlungsmuster und Sprechweisen zeigen entsprechende Wirkungen auf
Viel ist in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften von Professionalität die Rede. An
Lehrkräfte werden hohe Professionsanforderungen gestellt. Was ist damit gemeint?
Kennzeichnend für die Profession der Lehrerin/des Lehrers ist, dass diese Tätigkeit
in ein historisch gewachsenes Bildungssystem eingebettet ist, das gesellschaftlichen
Notwendigkeiten verpflichtet ist und dem Selbstverständnis als (kindorientierte*r)
Pädagoge/Pädagogin teilweise zuwiderläuft. Lehrer*innen müssen nicht nur Wissen
vermitteln und Lernprozesse in Gang setzen sowie erziehen, sondern auch die entspre-
chenden Lernergebnisse und Leistungen beurteilen – und bedienen dadurch auch die
institutionellen Selektionsmechanismen. Somit fungieren Lehrkräfte schließlich als
Weichensteller für Schullaufbahnen (z. B. durch die Vergabe von Berechtigungen und
Schullaufbahnempfehlungen). Dies bringt Widersprüche in der eigenen Berufsrolle
mit sich, die viele Lehrer*innen auch als Belastung erleben (z. B. Volksschullehrer*in-
nen, die AHS-Reife bescheinigen bzw. nicht bescheinigen und damit über die weitere
Bildungslaufbahn entscheiden).
Pädagogisches Handeln an sich ist letztlich ein nur schwer planbares Geschehen, da
es in der konkreten Situation immer wieder zu unerwarteten Situationen und damit
zu rasch zu treffenden Entscheidungen kommt (z. B. hinsichtlich „Störungen“ des
Damit verbunden ist die Intention, Lehrer*innen (und auch Schüler*innen) ihre eigenen
Denkmuster und Bewältigungsstrategien in Bezug auf Gesundheit reflexiv zugäng-
lich – und damit veränderbar – zu machen. Zahlreiche Programme von Krankenkassen
und Unterstützungsstrukturen für gesundheitsfördernde Schulen helfen Schulstand-
orten in der konkreten Umsetzung von „Health Literacy“. Schulleiter*innen, deren
Sensibilität und Bewusstsein bezüglich der gesundheitsbezogenen Führungsaufgabe
ausgebildet ist, achten darauf, dass die Arbeitszufriedenheit, die Leistungsbereitschaft,
das Sinnerleben und die Anerkennung geleisteter Arbeit in einem entsprechenden
Ausmaß gegeben sind.
Sinnerleben im Lehrberuf hängt auch damit zusammen, dass Lehrer*innen erfahren, dass
ihre unterrichtliche und erzieherische Tätigkeit bei den Heranwachsenden ankommt, dass
Die Unterstützung im Kollegium und durch die Schulleitung ist vor allem in kri-
senhaften Zeiten wichtig. Dem salutogenetischen Ansatz entsprechend brauchen
Menschen das Gefühl der Durchschaubarkeit, Machbarkeit und Sinnhaftigkeit ihres
Tuns. Damit hängt eine hohe Selbstwirksamkeit zusammen, diese ist aber nicht nur
bei Lehrer*innen wichtig, sondern auch bei Schüler*innen, die diese im Laufe ihrer
Persönlichkeitsentwicklung erst aufbauen müssen.
Gesichertes Wissen ist heute, dass ein positives Schul- und damit Beziehungsklima
einen günstigen Einfluss auf die Gesundheit von Lehrer*innen und Schüler*innen
ausübt. Zu einem gesundheitsfördernden Schulklima gehören neben konstruktiven
pädagogischen Beziehungen, die sich durch gegenseitigen Respekt und Anerkennung
ausdrücken, die Partizipation aller, ein Vertrauensverhältnis zwischen den Schulpart-
nern, keine Ausgrenzung und Diskriminierung einzelner Personen oder Gruppen, eine
transparente Kommunikations- bzw. Konfliktkultur sowie eine hohe Leistungserwar-
tung bei Berücksichtigung der Lernvoraussetzungen der einzelnen Schüler*innen.
Aus Sicht der schulischen Gesundheitsförderung ist es wichtig, dass Sie als Lehrkraft
ihre Arbeitsbedingungen und Arbeitsbeziehungen als mitgestaltbar und konstruktiv
erleben. Ein gemeinsames Vorgehen am Schulstandort, um die jeweiligen strukturellen,
pädagogischen und didaktischen Herausforderungen zu erörtern und gemeinsam Lö-
sungsansätze dafür zu finden, kann zu einer veränderten Wahrnehmung der beruflichen
Belastungen beitragen. Eine veränderte Wahrnehmung wiederum bewirkt veränderte
(konstruktive) Verhaltensweisen, diese wiederum spiegeln sich in (verbesserten) Bezie-
hungen wider. Programme wie die von Joachim Bauer zur Gesundheitsprophylaxe für
Lehrkräfte können hier wertvolle Hilfestellungen bieten. Solche Programme themati-
sieren nach Vorbild professionell begleiteter Balint-Gruppen persönliche Einstellungen
im Hinblick auf die berufliche Identität und Identifikation, die Beziehungsgestaltung
zu Schüler*innen und Eltern sowie Spaltungstendenzen versus kollegialen Zusammen-
halt.32 Gesundheitsstärkung wird dort vorwiegend als Beziehungsstärkung gedacht. Auf
Basis neurobiologischer Erkenntnisse, dass schwierige Beziehungskonstellationen die
psychophysischen Stresssysteme im Menschen aktivieren, wird versucht, genau diese
Hier sind Empowerment-Ansätze, die Menschen dazu verhelfen, selbst Reflexivität und
Kontrolle in Bezug auf eigene Einstellungen und eigenes Gesundheitsverhalten auszuüben,
zentral. Das Konzept der Health Literacy verweist auf diese notwendige Lebenskompetenz,
die eng mit Bildung und dem Wissen sowie der Motivation des Einzelnen verknüpft ist. Es
geht dabei darum, auf Gesundheitsinformationen und -einrichtungen adäquat zugreifen
zu können, in Zeiten sich rasch verändernder Gesundheits- und Wissenschaftserkennt-
nisse selbständig Urteile fällen und einen gesundheitsfördernden Lebensstil entwickeln zu
können.
Mit dem Ansatz von Empowerment sollen die Ressourcen von Einzelnen oder Grup-
pen gestärkt werden. Empowerment schließt mit ein, dass Menschen die Räume, in
denen sie arbeiten, leben und lernen, mitgestalten können (und sich nicht bloß als
Empfänger*innen von Anweisungen erleben). Schulisches Qualitätsmanagement mit
dem Fokus auf (psychosoziale) Gesundheit kann diesen Ansatz aufgreifen, indem sie
eine breite Beteiligung an der Gestaltung von schulischen (Entwicklungs-)Prozessen
ermöglicht und die Ressourcen der Einzelnen über soziales Eingebunden-Sein stärkt.
Empowerment zielt darauf ab, dass Menschen die Fähigkeit entwickeln und verbessern,
ihre soziale Lebenswelt und ihr Leben selbst zu gestalten und sich nicht gestalten zu lassen.
Fachkräfte der Gesundheitsförderung sollen durch ihre Arbeit dazu beitragen, alle Bedin-
gungen zu schaffen, die eine ‚Ermächtigung’ der Betroffenen fördern und es ihnen ermög-
lichen, ein eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Leben zu führen. Dies gilt für Men-
schen mit und ohne eingeschränkte(n) Möglichkeiten, für Erwachsene ebenso wie für Kinder.
Empowerment beschreibt Prozesse von Einzelnen, Gruppen und Strukturen, die zu größerer
gemeinschaftlicher Stärke und Handlungsfähigkeit führen.
Psychosozial gesunde Lehrer*innen haben eine hohe Wirksamkeit als Lehrkraft, sie fördern
ein lernförderliches, soziales Klima und zeigen mehr Empathie, Humor und Gerechtigkeit.
Eine gute Schule wäre demnach eine, in der Lern- und Arbeitsleistungen hoch sind und die
Menschen sich gleichzeitig wohl und gesund fühlen. Tragfähige Beziehungen und gemeinsa-
me Werte, gegenseitige Anerkennung, Unterstützung und Kooperation sowie eine kompe-
tente Schulführung und die Ermöglichung von sinntragenden Bildungserfahrungen sind die
wichtigsten Schlüssel dazu.
Der wohl protektivste Faktor scheint nach heutigem Wissensstand die Stärkung der Be-
ziehungen zwischen allen an der Schule Beteiligten zu sein. Gelingende, vertrauensvolle
und wertschätzende Beziehungen sind wiederum die Basis für ein gutes Klassen- und
Schulklima. Sinnerleben, Anerkennung der geleisteten Arbeit und kollegialer Zusam-
menhalt sowie gegenseitige Unterstützung sind für die Gesundheit von Lehrkräften
zentral. Das Bewusstsein, wie eng Wohlbefinden, Gesundheit sowie Leistungs- und
Lernfähigkeit zusammenhängen, muss noch stärker in das Bewusstsein aller mit Bildung
befassten Personen verankert werden. Auf die in diesem Beitrag ausgeführten Aspekte,
sollte sich Schul- und Unterrichtsentwicklung beziehen, wenn sie die (psychosoziale)
Gesundheit der Lehrer*innen und Schüler*innen nachhaltig fördern will.
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Zur Autorin
M
Christian Scharinger und oderne Gesundheitsförderung versteht Gesundheit als einen Austausch-
Lisa Gugglberger prozess zwischen Person und unmittelbarer Lebenswelt und bezieht sich
daher auch immer auf die relevanten Settings einer Gesellschaft. Das Set-
ting Schule ist unter diesem Aspekt nicht nur ein Ort des Lernens und Lehrens, son-
dern in erster Linie eine zentrale Lebenswelt für Schüler*innen, deren Eltern und vor
allem für Lehrer*innen. Wie eng die Verknüpfungen dieser Lebenswelt zu relevanten
anderen Settings wie Betriebe, Familien oder Gemeinden sind, veranschaulichen die
radikalen Praxiserfahrungen durch die coronabedingten Schließungen bzw. Verlage-
rungen des Schulsettings.
Gleichzeitig begann die enge Verbindung der Lebenswelt Schule mit dem Thema
Gesundheit an ihre Wurzeln zurückzukehren. Seit Jahrhunderten war und ist die
Schule ein Ort der Gesundheitserziehung und Prävention, nicht zuletzt unter den Ge-
sichtspunkten von Hygiene und der Vermeidung von ansteckenden Krankheiten. Das
Konzept der Gesundheitsförderung versuchte vor diesem Hintergrund den Blick von
einer krankheitsbezogenen Betrachtungsweise in eine visionäre Richtung zu lenken,
in welcher Gesundheit dort entstehen und gefördert werden kann, „wo Menschen
spielen, lernen, arbeiten und lieben“34 .
Mag diese Vision angesichts der aktuellen Situation im Frühjahr 2021 einfältig erschei-
nen, so lohnt dennoch ein Rück- und Ausblick, da er zur Standortbestimmung beiträgt.
Rückblick
Über Jahrhunderte hinweg war die Schule des Präventionisten liebstes Kind. Viele
gesundheitlich relevante Themen wurden – meist in Form von Gesundheitserziehung
– am Standort Schule be- und verhandelt. Lange Zeit standen dabei ausschließlich
krankheitsorientierte Themen und die Zielgruppe der Schülerinnen und Schüler im
Mittelpunkt. Als Ende der 1960er Jahre die Infektionskrankheiten in Europa besiegt
schienen, konzentrierte sich die Gesundheitserziehung stark auf Themen des Lebens-
stils und der Prävention nicht übertragbarer Krankheiten. Die Klassiker der Präven-
tion – Bewegung, Ernährung, Tabakprävention – prägten längere Zeit das Bild der
Vor diesem Hintergrund entstand die Gesundheitsförderung als eine neue Erzählung
von Gesundheit, welche die Lebens- und Lernwelt Schule selbst in den Mittelpunkt
rückte und vor allem auf die gesundheitsrelevanten Effekte dieser Lebenswelt hinwies.
Dabei wurde der Doppelcharakter des Settings Schule herausgearbeitet: Schule kann
„krank machen“, kann aber auch einen zentralen Faktor zum Erhalt und zur Förderung
der Gesundheit aller an Schule Beteiligten darstellen.
betrachtet Gesundheitserziehung versucht alle Aspekte des Schullebens und der Beziehungen
unter der verengten Perspektive der schulischen Umwelt mit einzubeziehen und begreift die
des Klassenzimmers und einzelner Gesundheitsförderung ausdrücklich als fächerübergreifen-
Unterrichtseinheiten de Aufgabe
betrachtet kaum das gesundheitli- wertet die Gesundheit der Lehrer*innen als wichtige Vor-
che Wohlbefinden der Lehrkräfte im aussetzung für eine erfolgreiche Gesundheitsförderung der
schulischen Alltag Schüler*innen
sieht die Hauptfunktion der schu- versucht die schulischen Gesundheitsdienste stärker in den
lischen Gesundheitsdienste in der Schulalltag zu integrieren und deren Aufgabenbereich zu
Früherkennung durch Reihenunter- erweitern
suchungen
Als Anfang der 1990er Jahre ein Europäisches Netzwerk Gesundheitsfördernder Schulen
entstand, welches in weiterer Folge den Begriff der „Health Promoting Schools“ prägte,
trat Österreich diesem im September 1993 mit 12 Projektschulen offiziell bei. Nicht
zuletzt durch diese erfolgreiche Pionierphase gelang es, das Verständnis von Gesund-
heit im Setting Schule auch in Österreich nachhaltig zu verändern und u. a. eine enge
Verbindung zu Aspekten der Schulentwicklung herzustellen. Einen wichtigen Mei-
lenstein stellt der „Grundsatzerlass Gesundheitserziehung“ dar, welcher 1997 in Kraft
trat und einerseits ein erweitertes Verständnis von Gesundheit vermittelt. Gleichzeitig
wird Gesundheitsförderung dadurch „ein zentraler Bestandteil jeglichen pädagogischen
Handelns und sie ist in allen Schularten und Unterrichtsgegenständen zu verwirklichen.“36
Beginnend etwa in den 1990er Jahre und fortlaufend entstanden international ver-
schiedene Initiativen und Studien, die das Konzept der Gesundheitsfördernden Schule
weiterentwickelten. Ihnen ist gemeinsam, dass sie schulische Gesundheitsförderung
als komplexes Unterfangen betrachten, das auf verschiedenen Ebenen ansetzen sollte
– einerseits Ebenen innerhalb der Schule, die von der Schulleitung über das Lehrer-
team bis ins einzelne Klassenzimmer reicht, andererseits Ebenen des Schulsystems
von national, über regional zur einzelnen Schule. Schulische Gesundheitsförderung
als „whole school approach“ (d. h. als Aufgabe der ganzen Schule) sollte möglichst breit-
flächig implementiert werden und dabei möglichst verschiedene Akteur*innen mit-
einbeziehen. Dadurch soll nicht Gefahr gelaufen werden, dass Gesundheitsförderung
in der Schule zu einer Zusatzaufgabe von einzelnen Lehrpersonen wird, sondern sie
vielmehr automatisch in allen Prozessen und Entscheidungen des Schulalltags mitge-
dacht wird. Gesundheitsförderung in die Schule zu integrieren, soll am besten als ein
Prozess der Organisationsentwicklung gesehen werden – ähnlich wie das Einführen
von Qualitätsstandards.
Wissenschaftliche Studien waren es auch, welche die Gesundheit von Lehrerinnen und
Lehrern verstärkt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückten. Einen Meilenstein
bildet in diesem Zusammenhang die im Jahr 2000 gestartete „Potsdamer Lehrerstudie“,
welche einerseits auf die problematische Gesundheitssituation der Berufsgruppe hin-
wies und andererseits eine differenzierte Typologie an Bewältigungsmustern heraus-
arbeitete.38
Gleichzeitig wurde das Erleben sozialer Unterstützung im Kollegium und durch die
Schulleitung als die wichtigsten entlastenden Bedingungen bestätigt. Die Forschung
belegte damit die zwei Gesichter eines gesundheitsorientierten Zugangs: Ein krank-
heitsorientierter Blickwinkel betrachtet den Lehrberuf als einen hoch belasteten
Berufsstand, was sich nicht zuletzt in überdurchschnittlich häufig psychische Belas-
tungssituationen und einen hohen Anteil an Pensionierungen aufgrund von Dienstunfähigkeit
niederschlägt. Aus gesundheitsfördernder Perspektive gibt es hingegen kaum ein Berufsbild,
das so viele persönliche Entfaltungsmöglichkeiten und Ressourcen, z. B. eigenverantwort-
liche, vielfältige und sinnerfüllte Tätigkeit, aufweist.
Nicht zuletzt trug die erfolgreiche Etablierung des Konzepts der Betrieblichen Gesund-
heitsförderung dazu bei, „die Schule“ als Arbeitsplatz verstärkt in den Mittelpunkt zu
37 Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz 2018, S. 73ff
38 Schaarschmidt 2009
Das im Umfeld der Sozialversicherungsträger und deren Service Stellen Schule (die
mittlerweile Service Stellen gesunde Schule heißen) entstandene Praxishandbuch
„Gesundheitsförderung für Lehrerinnen und Lehrer“ stellt einen ersten konzeptio-
nellen Rahmen für die Umsetzung an österreichischen Schulen dar. Seitdem wird das
Handlungsfeld vor allem seitens der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter,
Eisenbahnen und Bergbau unter der Marke „Gesunder Arbeitsplatz Schule“ struk-
turiert weiterentwickelt. Ein österreichweites Netzwerk „Gesunder Arbeitsplatz
Schule“ unterstützt Schulen dabei, die Gesundheit von Schulleitungen, Lehrerinnen
und Lehrern sowie des nicht-unterrichtenden Personals zu fördern.
Als neues Thema ist in den vergangenen Jahren die Gesundheitskompetenz bzw. die
„gesundheitskompetente Schule“ hinzugekommen. Das Konzept gibt es zwar etwa
so lange wie das der Gesundheitsförderung, Schulen sind aber erst relativ spät in
seinen Fokus geraten. Gesundheitskompetenz bezeichnet die Fähigkeit von Perso-
nen, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu bewerten und anzuwen-
den39 ; eine gesundheitskompetente Schule unterstützt Schüler*innen, Lehrer*innen
und andere Zielgruppen dabei, möglichst einfach an Gesundheitsinformationen
zu gelangen und diese zu verstehen. Gesundheitskompetenz soll dabei nicht als
Konkurrenz zur Gesundheitsförderung verstanden werden, sondern als Ergänzung
des Konzepts. Genauso wie schulische Gesundheitsförderung setzt auch schulische
Gesundheitskompetenz in der Organisation an und schließt Lehrer*innen als eine
zentrale Zielgruppe mit ein.
Diese dynamische und positive Entwicklung wurde im März 2020 abrupt unterbrochen.
Die durch Corona bedingten Schulschließungen führten zu dramatischen Gleichzeitig-
keiten im Setting Schule: Einerseits setzte durch die Digitalisierung des Unterrichts
ein Modernisierungs- und Beschleunigungsschub ein, andererseits schien sich im
Home-Schooling die Zeit zu verlangsamen. Betrachtet man die rein technologischen
Aspekte, so erlebte das Setting Schule in den letzten Monaten eine „Disruption“,
welche eine OECD Studie wie folgt zusammenfasst: „Diese Krise hat, was soziale und
Gleichzeitig wurde die zentrale Bedeutung des sozialen Lebens- und Begegnungs-
raumes Schule radikal erlebbar. Zwar konnten viele Sprünge in Richtung Distance-
Learning gut bewältigt werden, die sozialen Funktionen des Setting Schule konnten
aber nicht ersetzt werden. Schule ist eben nicht „nur“ ein Ort des Lernens, sondern
vor allem auch ein Platz der Begegnung, dessen Kraft virtueller Unterricht nicht
ersetzen kann.
Hier wirkt die Corona-Krise gleichsam wie ein Verstärker, der Stärken und Schwächen
am jeweiligen Schulstandort offenlegt: Wo eine starke Gemeinschaft am Schulstand-
ort besteht, können die Herausforderungen gut bewältigt werden. Wo Schule eher
fragmentiert gelebt wird, führt Corona dazu, dass Kontakte brüchig werden und zer-
fallen. Schulen, die bereits Schritte in Richtung Gesundheitsförderung unternommen
haben und gute Lernerfahrungen im Umsetzen von neuen Programmen mitbringen,
könnten einen Vorsprung gegenüber Schulen haben, die sich mit den Themen noch
nicht auseinandergesetzt haben. Auch der Spalt zwischen digital kompetenten und
gut betreuten Gruppen und „bildungs- und schulferneren Zielgruppen“ hat sich noch
weiter aufgetan.
Aktuelle Studien weisen in die Richtung, dass viele radikale Umstellungen im Setting
Schule von den betroffenen Lehrerinnen und Lehrern großteils gut bewältigt werden
konnten. Als zentrale Gesundheitsfaktoren zeigen sich das Ausmaß an sozialer Ver-
bundenheit und erlebter Selbstwirksamkeit. In Krisenzeiten belegt sich daher „die hohe
Relevanz von sozialer Verbundenheit (mit wichtigen Personen und mit Schüler*innen) sowohl
für das eigene Wohlbefinden als auch für das Erzielen von Lernerfolgen bei den Schüler*in-
nen.“42 Das Handlungsfeld der psychosozialen Gesundheit und Widerstandsfähigkeit
hat in Zeiten von Corona massiv an Bedeutung gewonnen und wird auch zukünftig
von höchster Relevanz sein. Zusätzlich werden die Ansätze der Gesundheitskompetenz
Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz (2019): Gesundheit und
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Schaarschmidt, Uwe (2009): Gesundheit der Lehrerinnen und Lehrer erhalten und stärken – Ergebnisse
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WHO/Regionalbüro Europa (1993): Ressource Manual “The European Network of Health Promoting
School”, Kopenhagen.
Christian Scharinger, Dr., MSc, CAS, Gesundheitssoziologe und Historiker, Organisationsberater und
Coach, langjährige Praxis- und Leitungserfahrung in Profit- und Non-Profit-Bereichen, Management
und Projektleitung in nationalen und internationalen Gesundheitsförderungs-Projekten. National und
international tätiger Referent und Berater.
Lisa Gugglberger, Dr.in, Studium der Soziologie und Erziehungswissenschaft an der Universität Wien.
Expertin für Gesundheitsförderung an der Gesundheit Österreich GmbH, seit Jänner 2021 stellvertre-
tende Abteilungsleiterin der Abteilung Gesundheitskompetenz und Gesundheitsförderung, Lektorin am
Institut für Soziologie der Universität Wien.
V
or ungefähr 15 Jahren erregte die Potsdamer Studie zur psychischen Gesund-
heit von Lehrerinnen und Lehrern im deutschsprachigen Raum große Auf-
merksamkeit.43 Sie beinhaltete Daten von ca. 16.000 deutschen Lehrkräften
und 2.500 Lehramtsstudentinnen und -studenten. Ziel der Studie war, die Belastungs-
situation von Lehrkräften und den dafür verantwortlichen Bedingungen zu analysie-
ren. Berühmt wurde die Studie u. a. wegen der aus den Daten abgeleiteten Typisierung
arbeitsbezogener Erlebens- und Verhaltensmuster bei Lehrerinnen und Lehrern:
• Muster G (für Gesundheit): Lehrkräfte mit diesem Muster zeichnen sich durch ein starkes,
jedoch nicht exzessives Engagement im Beruf aus, zeigen sich widerstandsfähig gegen-
über Belastungen und verfügen über ein generell positives Lebensgefühl.
• Muster S (für Schonung): Diese Lehrkräfte zeigen eine ausgeprägte Schonungstendenz
gegenüber beruflichen Belastungen. Charakteristisch ist ein geringes berufliches Enga-
gement bei wenig Auffälligkeiten in den übrigen Bereichen.
• Risikomuster A (für Anstrengung): Hier mündet eine hohe berufliche Anstrengung bei
teilweiser Selbstüberforderung nicht in ein positives Lebensgefühl. Diese Lehrkräfte sind
auch nicht sehr widerstandsfähig gegenüber Belastungen und zeigen vermehrt negative
Emotionen.
• Risikomuster B (für Burnout): Bei Lehrkräften mit diesem Muster sind permanentes Über-
forderungserleben, Erschöpfung und Resignation vorherrschend. Sie zeigen ein reduzier-
tes Arbeitsengagement und stark negative Emotionen.
Im Jahr 2005 ließen sich 30 % der untersuchten Lehrkräfte dem Risikomuster A zuordnen.
Das Risikomuster B war mit 29 % ebenso deutlich vertreten, während das erwünschte
Muster G eher selten zu beobachten war. Das von Schaarschmidt & Co entwickelte
Messverfahren AVEM44 wurde in der Folge zur Frühdiagnostik von gesundheitlichen
Risiken und zur Planung von Interventionen für Lehrkräfte verwendet.
Seitdem ist die Gesundheit von Lehrkräften immer wieder Thema in der bildungs-
politischen Diskussion. Es wurden im deutschsprachigen Raum in der Folge einige,
Dieser Beitrag soll die Ergebnisse von neueren Studien zur Gesundheit von Lehrkräften aus
dem deutschsprachigen Raum in kompakter Kürze vorstellen und diskutieren.
Datenquellen
Es gibt bis dato keine neuere, für Österreich repräsentative Studie, in der die Gesund-
heit von Lehrkräften aus allen Bundesländern und allen Schultypen untersucht wurde.
Deshalb müssen wir uns hier auf eine Zusammenschau der Daten aus verschiedenen
kleineren, lokal begrenzten oder schultypspezifischen Erhebungen aus Österreich und
Deutschland beschränken.
Scheuch und Kolleginnen fassten die Ergebnisse verschiedener deutscher Studien aus
den Jahren 2007 bis 2013 zur Gesundheit von Lehrkräften zusammen und werteten im
Jahr 2015 Daten der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung zu Arbeitsfähigkeit,
Langzeiterkrankungen und Dienstunfähigkeit aus.46
Weitere Studien, die für diesen Artikel herangezogen wurden, sind der österreichische
Die Datenlage zur Gesundheit von österreichischen Lehrerinnen und Lehrern ist mangelhaft,
da keine regelmäßigen Erhebungen durchgeführt werden und aktuell nur schultypenspezi-
fische oder lokal begrenzte Ergebnisse vorliegen.
Ergebnisse
Körperliche Gesundheit
Eine negative Bewertung des eigenen Gesundheitszustands ist Studien zu Folge ein
sehr guter Indikator für das Vorliegen einer medizinisch diagnostizierten Erkrankung.
91 % der österreichischen Lehrkräfte aus der Befragung im Jahr 2010 gaben an, über
einen guten, sehr guten oder ausgezeichneten Gesundheitszustand zu verfügen. In
der österreichischen gleichaltrigen Gesamtbevölkerung betrug dieser Wert 84 %. Der
subjektive Gesundheitszustand verschlechtert sich bei Lehrkräften wie auch in der
Gesamtbevölkerung mit zunehmendem Alter.
In der Befragung von Wiener Lehrkräften im Jahr 2017 zeigte sich ein sehr ähnliches
Ergebnis wie in der österreichischen Studie aus 2010: 90 % der Lehrerinnen und Lehrer
gaben an, über eine gute, sehr gute oder ausgezeichnete Gesundheit zu verfügen. Das
Ergebnis war unabhängig davon, in welchem Schultyp unterrichtet wurde, sondern
korrelierte stark mit dem Alter der Lehrkräfte.
In Bezug auf den körperlichen Gesundheitszustand und der Prävalenz von diagnostizierten
Erkrankungen unterscheiden sich Lehrerinnen und Lehrer kaum von der vergleichbaren
Allgemeinbevölkerung.
Auch in Deutschland sind Lehrkräfte weniger oft im Krankenstand als die arbeitende
Allgemeinbevölkerung. Auch ist deren Anteil krankheitsbedingter Frühpensionie-
rungen kontinuierlich rückläufig, was natürlich auch durch gesetzliche Änderungen
mitbedingt ist. Hauptgründe für Frühpensionierungen sind bei deutschen Lehrerinnen
und Lehrern psychische und psychosomatische Erkrankungen.
In der österreichischen Studie aus dem Jahr 2010 berichteten 30–40 % der jungen
Lehrkräfte (bis 30 Jahre, mehr Frauen als Männer) und 43 % der Lehrkräfte ab 40
Jahren (ähnlich viele Frauen wie Männer), dass sie sich nicht sicher wären oder dass
es sogar unwahrscheinlich sei, dass sie bis zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter den
Lehrberuf ausüben können.
In der Wiener Befragung aus dem Jahr 2017 waren sich 46 % der Volksschullehrkräfte
und 35 % der Lehrerinnen und Lehrer aus anderen Schultypen nicht sicher, ob sie es
im Lehrberuf bis zum Pensionsantrittsalter schaffen würden.
Entgegen anderslautender Befunde aus der Vergangenheit sind Lehrerinnen und Lehrer
nicht öfter im Krankenstand als andere Berufsgruppen und gehen auch nicht mehr früher in
die Pension. Allerdings hegen relativ viele Zweifel, ob sie bis zum gesetzlichen Pensionsan-
trittsalter arbeiten können.
Gesundheitsförderliches Verhalten
52 wird wie folgt berechnet: Anzahl Krankenstandstage dividiert durch Sollarbeitszeit mal 100
Auch die Wiener Lehrkräfte pflegten 2017 in Bezug auf Bewegung, Ernährung und
Rauchen mehrheitlich einen gesunden Lebensstil.
Psychische Gesundheit
Wiener Lehrkräfte stuften im Jahr 2017 ihre Lebenszufriedenheit im Schnitt mit 6,56
ein, was deutlich schlechter ist, als in der vorangegangenen Wiener Befragung im Jahr
2012 und der Befragung der Sekundarschullehrkräfte im Jahr 2010 (siehe Tabelle 1).
Weder Geschlecht, Alter noch der Schultyp, in dem unterrichtet wird, hingen im Jahr
2017 mit der Lebenszufriedenheit der Wiener Lehrkräfte zusammen.
durchschnittliche
Gruppe Schultypen Erhebungsjahr
Lebenszufriedenheit
Sekundarschulen
Österreichische Lehrkräfte 2010 7,26
ohne Sonderschulen
Tabelle 1: Wie zufrieden verschiedene Gruppen mit ihrem Leben waren; dargestellt sind Mittelwerte mit einer möglichen Spannbreite von 0 (gar
nicht zufrieden) bis 10 (sehr zufrieden)
In der Wiener Studie aus 2017 berichteten 49 % der Lehrkräfte über regelmäßige Er-
schöpfungszustände, 27 % über Angespanntheit und 22 % über Schlafprobleme.
Fast die Hälfte der Wiener Lehrkräfte wies im Jahr 2017 einen hohen Grad an emotio-
naler Erschöpfung auf. Das ist ein wesentlich schlechteres Ergebnis als bei der Wiener
Befragung im Jahr 2012, in der sich 28 % der Lehrkräfte als hoch emotional erschöpft
zeigten. Es konnte jedoch – nicht so wie bei der Erhebung mit Sekundarschulkräften
im Jahr 2010, wo ältere Lehrerinnen und Lehrer emotional erschöpfter waren als
jüngere – kein Zusammenhang mit dem Alter der Lehrkräfte und auch nicht mit dem
Schultyp, an dem unterrichtet wird, festgestellt werden.
Die an sich relativ guten Werte zur körperlichen Gesundheit und zum Gesundheitsverhalten
werden durch schlechtere Werte bei der psychischen Gesundheit der Lehrkräfte relativiert.
Dies ist auf die besondere Rollen- und Beziehungsvielfalt des Lehrberufs, die hohe kommu-
nikative und soziale Fähigkeiten erforderlich macht, zurückzuführen.
In der österreichischen Studie aus dem Jahr 2010 zeigten sich folgende Faktoren als
besonders günstig für die psychosoziale Gesundheit der Sekundarschullehrkräfte:
• Zeitdruck,
• Schullärm,
• zu große Klassen,
• Probleme mit den Schulbehörden und mangelnde Autonomie,
• Leistungsschwächen, Verhaltensauffälligkeiten und mangelnde Motivation von Schüle-
rinnen und Schülern,
• Problemverhalten von Eltern und
• geringes gesellschaftliches Ansehen des Lehrberufs.
In der Wiener Studie aus 2017 zeigten folgende Faktoren die höchsten Zusammen-
hänge mit einer eingeschränkten psychischen Gesundheit:
• Überforderung im Lehrberuf,
• sehr hohes Arbeitsengagement,
• undiszipliniertes Verhalten der Schülerinnen und Schüler,
• Unzufriedenheit mit der Reputation des Lehrberufs in Österreich.
Laut einer nicht-repräsentativen Befragung von 1.759 Lehrerinnen und Lehrern aller
Schultypen aus ganz Österreich zu den Bedingungen des Unterrichts während der
Covid-19-Pandemie im Mai 2020, also am Ende des 1. Schul-Lockdowns, fühlten sich
die meisten Lehrkräfte wohl dabei, von zu Hause aus zu unterrichten. Es zeigte sich
jedoch ein deutlicher Zusammenhang zwischen Wohlbefinden und Arbeitsüberforde-
rung: Je eher sich die Lehrkräfte unter Zeitdruck fühlten und sie ihre Verantwortung
belastete, desto niedriger war auch ihr allgemeines Wohlbefinden.
Fazit
Wie aus vielen anderen Befunden und Berichten zur Gesundheit von Lehrerinnen
und Lehrern bekannt, zeigen auch die hier präsentierten Daten, dass der Lehrberuf ein
psychosozial überdurchschnittlich anstrengender Beruf ist. Zudem stehen Lehrkräfte
heute mit ihrer Tätigkeit und der damit verbundenen Verantwortung für die Entwick-
lung und den Erfolg ihrer Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt zahlreicher, oft
auch öffentlich ausgetragener Diskussionen.
Was die Lehrerinnen und Lehrer selbst für sich sowie die Schulleitungen für sie tun
können, ist beispielhaft in Tabelle 2 dargestellt oder kann in ausführlicheren Broschü-
ren und Leitfäden nachgelesen werden.54
Tabelle 2: Mögliche Maßnahmen zur Stärkung der psychosozialen Gesundheit von Lehrkräften
Dazu gehören auch Maßnahmen, die nicht in der alleinigen Entscheidungsmacht der
Schulleitungen stehen, sondern vom Schulerhalter oder einer anderen Schulbehörde
organisiert bzw. finanziert werden müssten: mehr administratives und/oder psycho-
soziales Unterstützungspersonal, Ruhezonen für Lehrkräfte, bessere Schallisolierung
oder weniger Vorschriften und Bürokratie.
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Bildungspersonal. Waxmann Verlag, Münster.
Rosemarie Felder-Puig, Dr.in, MSc ist Psychologin und seit den 1990er Jahren als Gesundheitswissen-
schaftlerin tätig. Ihre Spezialgebiete sind die Erhebung von gesundheitsrelevanten Daten spezifischer
Bevölkerungsgruppen und die Bewertung von Maßnahmen auf Basis von Primär- und Sekundärdaten im
Gesundheits- und Bildungsbereich.
Robert Griebler, Dr., ist Gesundheitssoziologe und seit 2012 in der Gesundheit Österreich GmbH be-
schäftigt. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Public Health und Strategie Monitoring, Soziale Determinan-
ten der Gesundheit, Messung von Gesundheitskompetenz, Gesundheit von Kindern, Jugendlichen und
Lehrpersonen.
D
Thomas Kapitany, as Leben hält so manche Herausforderung bereit. Ob Berufswechsel, Mob-
Thomas Niederkrotenthaler bing, das Ende einer Beziehung, der plötzliche Verlust von Angehörigen
und Laurin Koblicha-Rathausky oder für viele Menschen auch Gewalterfahrungen oder Naturkatastrophen.
Und auch wenn man selbst noch keine einzige dieser Situationen durchleben musste,
so hatte man sicher mit anderen schwierigen Situationen zu kämpfen, war mit dem
Gefühl konfrontiert, nicht mit allem fertig werden zu können.
Aktuell stellt die Covid-19-Pandemie eine besondere Situation dar, die uns in vielerlei
Hinsicht einiges abverlangt und unsere Kapazitäten auf eine harte Probe stellt. Rea-
ler und potenzieller Verlust von Angehörigen durch die Erkrankung, Einschränkung
sozialer Kontakte, Furcht um die Existenz, Sorgen um die eigene Gesundheit und um
jene von anderen, Ausgangsbeschränkungen, Isolation, Einsamkeit und konstanter
Stress, hervorgerufen durch eine Flut an Informationen über einen andauernden
Ausnahmezustand verbinden sich zu mehrfacher Belastung und machen uns allen das
Leben um ein Vielfaches schwerer.
Wenn es darum geht, mit der derzeitigen Pandemie oder anderen belastenden Situa-
tionen zurechtzukommen, sind Coping-Strategien wichtige Werkzeuge unserer Psy-
che. Coping bedeutet so viel wie „bewältigen“ und beschreibt im Grunde genommen
Strategien und Handlungen, die zum Ziel haben, psychologische, physiologische oder
emotionale Last zu reduzieren. Es geht also darum, einen Belastungszustand aufzulösen
oder bei einem bestehenden Problem Abhilfe zu schaffen und in jedem Fall Handlungs-
fähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen. Die Psychologie sieht Coping als jene
Prozesse, die es uns ermöglichen, mit den alltäglichen und den nicht so alltäglichen
Herausforderungen des Lebens fertig zu werden, ganz unabhängig davon, ob diese
intern oder extern ablaufen.56 Wenn die eine Person sich eine sich eine To-Do-Liste
schreibt, um mit dem Start in ein neues Schuljahr gut zurechtzukommen, so wird die
andere stattdessen versuchen, Kraft bei ihren Freunden zu tanken, während wieder
eine andere sich für eine Weiterbildung anmeldet, bei der sie hofft, neue Fertigkeiten
zu lernen, die ihr helfen sollen, den Schulalltag besser zu meistern.
Doch was geschieht, wenn die Last einfach zu groß ist? Wenn die eigenen Ressourcen
nicht mehr ausreichen? Wenn plötzlich jene Struktur zusammenbricht, die einem
zuvor Stabilität gegeben hat? Wenn wir so großem Stress ausgesetzt sind, dass auch
bewährte Coping-Strategien versagen? In diesem Fall sprechen wir vom Anfang einer
psychischen Krise.
Psychosoziale Krisen
Die gängigen Kategorien an kritischen Ereignissen, welche Auslöser einer Krise sein
können, sollen im Folgenden dargelegt werden. Der Verlust körperlicher Integrität,
wichtiger Beziehungen oder persönlicher Integrität gehört zu den am häufigsten
beschriebenen Ursachen für Krisen. Zu dieser Kategorie zählen Ereignisse wie Ge-
walttaten, sexueller Missbrauch, schwere Krankheitsdiagnosen, Verlust von engen
Bekannten und Familienmitgliedern, aber auch Scheidung, Mobbing etc.
Eine weitere Kategorie ist jene der Veränderungen des sozialen Status. Ein klassisches
Beispiel hierfür ist natürlich der Jobverlust, aber z. B. auch unverhoffte Schwanger-
schaften können unter diesem Banner zusammengefasst werden. Abschließend sind
noch Naturkatastrophen und, vielleicht nicht so intuitiv wie die bisher genannten
Kategorien, normale Reifungs- und Alterungsprozesse (z. B. Pubertät) zu nennen.59
Die Gefahren in einer Krise bestehen darin, dass es zum Gefühl der Ausweglosigkeit
kommen kann, wenn Probleme nicht lösbar erscheinen, und dass sich Gefühle der
Sinnlosigkeit und des Lebensüberdrusses entwickeln. Wenn aufgrund des steigenden
Drucks in einer psychosozialen Krisensituation die Verzweiflung und Hoffnungslosig-
keit immer weiter zunimmt, so kann es auch dazu kommen, dass Suizid als einziger
Ausweg angesehen wird.
Ebenso kann es aber auch zur Aggression gegen andere kommen. Gerade in Beziehungs-
konflikten und bei Trennungen kann das zum Entstehen von Gewalthandlungen füh-
ren. Femizide als Resultat davon sind hier als besonders tragisches Beispiel zu nennen.
Hier wird also deutlich, welch ernsthafte Gefahr in einer Krise entstehen kann und
wie entscheidend es dann ist, dass eine betroffene Person rechtzeitig Hilfe sucht und
Unterstützung und Krisenintervention erhält. Auch als Angehörige*r, Freund*in oder
Kolleg*in ist es wichtig, sich nicht zu scheuen, auf ein Gespräch über bedrohliche Ge-
danken, wie z. B. an Suizid, einzugehen. Oft wird dadurch erst die Chance eröffnet, dass
jemand dann auch professionelle Hilfe sucht. Und das Gespräch über die bedrohlichen
Gedanken kann schon eine erste Entlastung bringen.
Gefahr birgt auch eine potenzielle Chronifizierung des Krisenzustandes. Diese kann
dann eintreten, wenn für die Bewältigung von Krisen schädigende Strategien, wie
Alkohol- oder Drogenmissbrauch oder Rückzug aus sozialen Beziehungen, eingesetzt
werden. Die Folge können die Entstehung von chronischer Erkrankung, psychischer
Krankheit und Abhängigkeitsentwicklungen sein. Ebenso kommt es zu Chronifizie-
rungen, wenn soziale Notlagen nicht aufgelöst werden können.62
Umgekehrt führen ein hoher Stresslevel im Berufs- und Privatleben, Krankheiten und
fehlende Bewältigungsstrategien dazu, anfälliger für eine psychische Krise zu werden.
Um das Phänomen der Krise zu verstehen, ist es von zentraler Wichtigkeit, dass die
subjektive Bedeutung eines potenziellen Krisenanlasses für die*den Einzelnen ein ent-
scheidender Faktor ist. Darunter versteht man die innere Bedeutung und Bewertung
des Ereignisses.63 Sonneck bringt hier zum besseren Verständnis ein Fallbespiel, bei
dem das Kennenlernen eines jungen Mannes für eine 23-jährige Frau einen Krisen-
anlass darstellt. Sie nimmt ihre neue Verliebtheit als Versagen wahr, weil sie meint,
sie würde ihren derzeitigen Freund verraten. Ein solches Beispiel illustriert sehr gut
die Subjektivität von Krisenanlässen und dass auch Ereignisse, die viele als positiv
einschätzen würden (bspw. sich verlieben), zu einer psychosozialen Krise führen
können.64 Abgesehen von dem Aspekt der Subjektivität bei der Entstehung und dem
Verlauf von Krisen spielen auch die Reaktionen der Umwelt eine erhebliche Rolle.65
Als Risikofaktor nicht zu vernachlässigen sind zudem frühere unbewältigte Krisen,
die die Bewältigung eines ähnlichen Krisenanlasses besonders erschweren können,
weil alte Verletzungen und Kränkungen reaktiviert werden.66
Burnout
Um sich einen Überblick über den Verlauf von Burnout zu machen, haben Freuden-
berger und North (1992) ein 12-Phasen Modell beschrieben (siehe Abbildung 2). Es teilt
Burnout in 12 Stadien ein, die jeweils von bestimmten Symptomen oder Tendenzen
gekennzeichnet sind:
Stadium 1: Zwang sich zu beweisen – Dieses erste Stadium ist geprägt von erhöhtem
Ehrgeiz einerseits und starkem Perfektionismus, der es Betroffenen fast unmöglich
macht, sich eine Pause zu gönnen, andererseits.
Stadium 2: Verstärker Einsatz – Besteht als Fortsetzung der ersten Phase darin, Auf-
gaben hauptsächlich selbst erledigen zu wollen und Schwierigkeiten damit zu haben,
Arbeit an Kollegen und Kolleginnen abzugeben.
Stadium 7: Rückzug – Das soziale Leben wird als Belastung erlebt und der eigene Zu-
stand als hoffnungslos angesehen. Die Leistung an der Arbeitsstelle ist in dieser Phase
schon sehr stark abgesunken.
Stadium 10: Innere Leere – Mutlosigkeit, Leere, Nutzlosigkeit, Angst und Panik prä-
gen die Gefühlslandschaft von Betroffenen in dieser Phase. Oft wird jetzt auch auf
ungesunde Verhaltensweisen wie Alkohol oder Drogenkonsum zurückgegriffen, um
die Leere zu füllen.
Stadium 11: Depression – Es stellen sich Symptome von schwerer Depression ein.
Darunter fallen das Gefühl von Aussichtslosigkeit und Erschöpfung bis hin zu Selbst-
hass und Suizidgedanken.
Stadium 12: Völlige Erschöpfung – Der Eintritt dieser Phase bedeutet den körper-
lichen, psychischen und emotionalen Zusammenbruch der Betroffenen.
Erste Trends zeigten sich schon zu Beginn der Forschung auf diesem Gebiet bei Freu-
denberger selbst in seinem ersten Artikel zu Burnout, in dem er sich hauptsächlich
auf seine Erfahrungen und Beobachtungen in einer „Free Clinic“ mit den Heraus-
forderungen eines Sozialberufs bezieht. Bis heute finden sich besonders Berufe mit
starkem sozialem Kontakt im Fokus der Burnout Forschung. Von Krankenpflege über
Sozialarbeit und dem psychosozialen Tätigkeitsbereich bis hin zum Lehrberuf finden
sich immer wieder Anzeichen dafür, dass Personen, die in einem solchen Feld tätig sind,
besonderen Stressoren ausgesetzt sind, die zur Entstehung von Burnout beitragen.69
Bei den Untersuchungen, welche Faktoren zu Burnout führen, wird klar, dass es sich
immer um eine Konstellation aus verschiedenen Aspekten handelt. Zu diesen gehö-
ren meist ein hohes Arbeitspensum, häufig schlechte Arbeitsbedingungen und unter
Die mentale Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern ist nicht nur für diese selbst
von höchster Bedeutung. Sie beeinflusst sowohl die Leistungsfähigkeit des Bildungs-
systems auf einer Makroebene als auch die Lernerfolge bei den Schüler*innen und hat
sogar Auswirkungen auf deren psychische Gesundheit.
Lehrer*innen beschreiben ihren Beruf oft als erfüllend. Viele haben es sich schon vor langer
Zeit zum Ziel gesetzt Lehrer*in zu werden. Zugleich zeigt sich jedoch, dass der Lehrberuf
besonders vulnerabel für Burnout und andere psychische Belastung zu sein scheint.
Von besonderem Interesse sind auch steigende Anforderungen, wenn es um die emotio-
nale und psychische Unterstützung von Schüler*innen geht. Kinder und Jugendliche,
die als Flüchtlinge oder Einwanderer nach Europa kommen und oft aus Kriegsgebie-
ten oder wirtschaftlicher Aussichtlosigkeit flüchten, bedürfen zum Beispiel erhöhter
Aufmerksamkeit aufgrund von auftretenden Sprachbarrieren. Aber auch auf der emo-
tionalen und psychologischen Ebene können die oft traumatischen Erlebnisse dieser
Schüler*innen Herausforderungen für die Lehrerschaft darstellen und auch Sekundär-
Mobbing unter Schüler*innen ist ein bereits vielfach diskutiertes Problem. Viel zu
wenig untersucht sind allerdings Formen von Mobbing, die Lehrer*innen betreffen.
Wie an jedem Arbeitsplatz kann es auch in der Schule dazu kommen, dass es unter
Arbeitskolleg*innen zu Mobbing kommt. Allerdings gibt es jüngst auch Studien zum
Thema Schüler*innen-zu-Lehrer*innen Mobbing.72 Unter Mobbing versteht man jeg-
liches Verhalten, welches das Ziel oder den Effekt hat, die betroffene Person in ihrem
Selbstbewusstsein zu unterminieren, persönliches Wachstum einzuschränken oder
ihre Würde zu nehmen. Darunter fallen unangenehme Wortmeldungen oder Beleidi-
gungen genauso wie Provokationen und letztendlich auch Gewalt. Lehrer*innen, die
Opfer von Mobbing durch ihre Schüler*innen geworden sind, erfahren oft ein Gefühl
von Isolation und Scham, welches es für sie schwer machen kann, Unterstützung zu
suchen und mit jemandem über ihre Erfahrungen zu sprechen. Das genaue Ausmaß ist
schwer zu schätzen, Angaben dazu schwanken in einem Bereich von 15-62 %.73
Nicht zu vernachlässigen sind auch die Effekte der SARS-Cov2-Pandemie, die nun
schon seit mehr als einem Jahr den Alltag an Schulen verändert hat. Neben den Aus-
wirkungen von Lockdowns und Sorgen um die eigene Gesundheit sowie um die von
Freund*innen und Familie, hat sich für Lehrer*innen beruflich mehr verändert als
für viele andere Berufsgruppen. Obwohl mit dem Lehrberuf zwar die Existenzgrund-
lage nicht gefährdet ist, finden sich trotzdem einige gravierende Auswirkungen der
Pandemie auf die psychische Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern. Studien aus
verschiedenen Ländern zeigen erhöhte Werte bei Messungen von Stress, Ängstlichkeit
und Depression im Vergleich zu ähnlichen Untersuchungen, die vor 2020 durchgeführt
wurden.74 Besonders interessant ist außerdem die Beziehung von Burnout und der
Junge Lehrer*innen nennen oft die psychische Belastung als Grund für ihren Berufs-
wechsel. Fast 50 % aller Lehrer*innen verlassen den Beruf innerhalb von fünf Jahren nach
ihrem Berufseinstieg. Dies ist nicht nur ein Problem für die überlasteten Lehrer*innen,
sondern trägt auch zu schlechteren Bildungsergebnissen bei Schülerinnen und Schülern
bei. Erklären lässt sich dieser Effekt durch die dadurch resultierende Diskontinuität in
der Belegschaft und die Qualität von Lehrer*innen. Der Lehrberuf ist auch mit guter
Ausbildung einer jener Berufe, in denen man erst nach einiger praktischer Erfahrung
sein volles Potenzial ausschöpfen kann. Wenn also Lehrer*innen so großen Stressoren
ausgesetzt sind, dass es schwer für sie ist längere Zeit im Beruf zu bleiben, so stellt dies
ein Problem auf individueller wie auch auf struktureller Ebene dar.76
Krisenintervention
Um eine Krise zu bewältigen, besonders wenn die eigenen Ressourcen nicht ausrei-
chen, braucht es Unterstützung. Woher diese Unterstützung kommt, hängt von der
betroffenen Person, der aktuellen Krisensituation und auch besonders vom sozialen
Umfeld ab. Viele Krisen werden mithilfe des bestehenden sozialen Netzes überwunden.
Verwandte, Freund*innen, Partner*innen oder Arbeitskolleg*innen stellen in vielen
Fällen das Rettungsboot dar, das man braucht, um die Krise zu „wettern“. Wichtig ist
also, auf keinen Fall allein mit seinen Sorgen und Problemen zu bleiben, sondern sich
an Vertrauenspersonen zu wenden.
Krisen können aber ein Ausmaß annehmen, bei dem es professionelle Unterstützung
braucht. Solch eine professionelle Unterstützung sollte rasch und vor allem leicht
erreichbar zur Verfügung stehen. Krisenintervention ist nicht als etwas zu verstehen,
das die Krise und die Probleme für die Betroffenen einfach löst. So unterschiedlich
die Krisenauslöser, Verläufe und Auswirkungen sein können, genauso vielseitig sind
Eine besonders prekäre Phase stellt in traumatischen Krisen die Schockphase dar. Diese
tritt in unmittelbarer Folge des traumatisierenden Ereignisses auf und dauert meist
wenige Stunden bis maximal zwei Wochen. In dieser Phase setzen Mechanismen ein,
die zum Ziel haben, das Ereignis möglichst fernzuhalten. Betroffene wirken oft unver-
hältnismäßig ruhig und gelassen. Es kann aber auch zu Gefühlsausbrüchen kommen.
Wichtig ist in dieser Phase, Betroffene nicht allein zu lassen und als Unterstützer*in,
ob professionell oder als Laie, als „stellvertretende Hoffnung“ einzutreten.79
Wenn Gefühle der Ausweglosigkeit und der Verzweiflung in einer Krise sehr stark
werden, dann geht es auch darum, ausreichend für die Sicherheit betroffener Personen
zu sorgen. Wenn es zu Suizidgedanken kommt, dann ist es entscheidend, dass diese an-
gesprochen werden. Betroffene machen oft direkte, manchmal aber auch nur indirekte
Ankündigungen/Andeutungen ihre Suizidgedanken oder -absichten betreffend. Dann
ist es wichtig nachzufragen und ein Gespräch darüber zu beginnen. Es kann dann not-
wendig sein, jemanden rasch zu einer Notfalleinrichtung in der Krisenintervention oder
Krankenhausambulanz zu bringen, oder – abhängig von der Gefährdung –zumindest
eine andere psychosoziale Anlaufstelle zu vermitteln.
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Zu den Autoren
Thomas Kapitany, Dr. med., Ärztlicher Leiter und Geschäftsführer, Facharzt für Psychiatrie und
Psychotherapeutische Medizin, Psychotherapeut im Kriseninterventionszentrum Wien
www.kriseninterventionszentrum.at
Thomas Niederkrotenthaler, Assoc.-Prof., PhD, MMSc an der Medizinischen Universität Wien, Zentrum
für Public Health, Unit Suizidforschung & Mental Health Promotion
www.meduniwien.ac.at/sozialmedizin
Laurin Koblicha-Rathausky, Student der Psychologie und Philosophie an der Universität Wien,
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kriseninterventionszentrum Wien
G
Julia Gerick esundheitsförderung stellt eine wichtige Aufgabe von Schulleiter*innen dar.
Im Rahmen dieses Beitrags werden Konzepte und Befunde gesundheitsför-
derlichen Führungshandelns – insbesondere die transformationale Führung
und die salutogene Führung – vorgestellt und Anregungen für die schulische Praxis
gegeben. Abschließend wird ein aktueller Blick auf gesundheitsförderliche Führung
im Kontext der Digitalisierung geworfen.
Eine der vielen aktuellen Herausforderungen an Schulen stellt die Förderung der
Gesundheit von Lehrpersonen dar, die als neue Aufgabe von Schulleiter*innen so-
wie als Qualitätskriterium von Schule stärker in den Fokus rückt83 . Dies geschieht
vor allem vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der hohen Früh-
pensionierungs- und Dienstunfähigkeitszahlen von Lehrpersonen sowie der Frage,
wie Lehrpersonen möglichst langfristig leistungsfähig erhalten werden können, um
schulische Innovationen und Entwicklungsprozesse aktiv mitgestalten zu können. Für
die Gesundheitsförderung in der Schule wird Schulleiter*innen eine zentrale Rolle
zugeschrieben84 , vor allem hinsichtlich der Förderung und Sicherung der psychischen
In einer Untersuchung für den Schulkontext wurde diese differenzierte Betrachtung der
Dimensionen und der Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung transformationalen
Führungshandelns und der subjektiven Gesundheit der Lehrpersonen betrachtet.101
Anders als bei der transformationalen Führung handelt es sich bei der salutogenen
Führung um ein Führungskonzept, in dem der Gesundheitsaspekt explizit integriert ist.
Dies wird in der Definition des Konzepts deutlich: „Unter salutogenem Leitungshandeln
werden die systematische Steuerung der schulischen Prozesse und die systematische Gestaltung
der schulischen Strukturen sowie das Führen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter ex-
plizitem Einbezug gesundheitsrelevanter Erkenntnisse verstanden. Es umfasst alle Maßnahmen,
die die Gesundheit und das Wohlbefinden sowie die Leistungsfähigkeit der schulischen Akteure
und die Gesundheit und die Qualität des Systems Schule insgesamt erhalten und fördern.“ 105
· Transparenz in Entscheidungen
Verstehbarkeit · möglichst gute Informations- und Kommunikationswege
· klare Aufgaben mit verständlichen Erklärungen
· zielorientiertes Handeln
· Vermitteln von Visionen
Bedeutsamkeit
· gemeinsame Zielsetzung
· Handlungen erläutern/Zielklarheit
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie Führungshandeln mit dem Ziel der
Gesundheitsförderung von Lehrerinnen und Lehrern in die schulische Praxis über-
tragen werden kann.
Mit Fokus auf transformationale Führung lassen sich einige Anregungen für die schulische
Praxis ableiten: 107
Drücke ich mich verständlich und Verfügt die Schule über gute
Verstehbarkeit strukturiert aus? Kommunikationsstrukturen und
ist Transparenz gegeben?‘
Habe ich eine Begründung ge- Haben wir ein gemeinsames Ziel
geben bzw. die Bedeutsamkeit bzw. eine Vision, au die wir ziel-
Bedeutsamkeit aufgezeigt? strebig hinarbeiten?
Die Pandemiesituation seit Beginn des Jahres 2020 bringt gesamtgesellschaftliche He-
rausforderungen mit sich, die sich auch stark im Bildungsbereich manifestieren. Die
Schulschließungen und die damit verbundene Notwendigkeit, Schule und Unterricht
viel stärker als bisher digital unterstützt zu organisieren, bringt auch neue Heraus-
forderungen für das Führungshandeln in Schulen mit sich. Denn nicht alle Schulen
konnten bereits an abgeschlossene oder laufende digitalisierungsbezogene Schulent-
wicklungsprozesse anknüpfen.
Dexter entwickelte im Jahr 2018 ein Modell, in dem sie Führungspraktiken, die die
Richtung für die IT-Integration vorgeben, beschreibt (Leadership practices that set
directions for IT integration).114
Insbesondere die Pandemiezeit hat deutlich gemacht, dass Führung nicht immer vor Ort
und in Person stattfinden kann, sondern auch in Schulen das Arbeiten in ‚virtuellen‘
Teams zunimmt. In diesem Zusammenhang kann auf eine Studie von Purvanova und
Bono116 Bezug genommen werden, in der die Bedeutung transformationaler Führung
in Teams vor Ort (face-to-face) und virtuellen Teams, die also auf Distanz zusammen-
arbeiten, untersucht wurde. Die zentralen Ergebnisse: Transformationale Führung
wirkte sich in virtuellen Teams stärker auf die Teamleistung aus als in Teams vor Ort.
Zudem liegen Hinweise darauf vor, dass transformationale Führung besonders unter
den uneindeutigeren Kommunikationsbedingungen, die durch die elektronischen
Kommunikationsmedien geschaffen werden, für die Teamleistung von entscheiden-
der Bedeutung sind. Transformationale Führung scheint somit unter den aktuellen
Herausforderungen im Kontext der Digitalisierung und der Pandemie umso bedeut-
samer zu sein.
5.4 Abschluss
Gerade in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels und der damit für Schule verbundenen
Herausforderungen spielen Schulleiter*innen eine bedeutsame Rolle für die Erhaltung
und die Förderung der Gesundheit und des Wohlbefindens ihres Kollegiums. Diese
Erkenntnis sollte auch Eingang in Schulleitungsaus- und -fortbildung finden, um die
oben beschriebene Sensibilisierung für die Potenziale schulischer Führung in diesem
Bereich zu unterstützen.117 Es wurde deutlich, dass Schulleitungshandeln unmittelbar
gesundheitsförderliche Wirkung bei Lehrpersonen entfalten kann, ohne, dass es direkt
großer struktureller Veränderungen bedarf, nämlich beispielsweise durch Anerkennung
von Geleistetem und Wertschätzung von Engagement im Kollegium – Verhaltenswei-
sen, die selbst im herausfordernden Schulalltag umsetzbar erscheinen118 – ob in Person
vor Ort oder virtuell auf Distanz.
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D
Andrea Fraundorfer er folgende Beitrag widmet sich der Frage, in welcher Weise das Thema
(Lehrer*innen-)Gesundheit im Rahmen der Weiterentwicklung von Schul-
qualität aufgegriffen werden kann. Ausgangspunkt der nachfolgenden Aus-
führungen ist, dass eine qualitätsvolle Schule, in der Lehrer*innen gerne arbeiten und
die Schüler*innen gerne besuchen, untrennbar mit der psychosozialen Gesundheit
und damit dem Wohlbefinden aller verknüpft ist.
Die OECD war einer der ersten internationalen Akteure, die gleichwertig mit Perfor-
mance (Leistungsergebnissen) und Equity (Chancengerechtigkeit) das Thema Well-being
(Wohlbefinden) als zentrale Prämissen guter Schulen darstellte und das Wohlbefinden
der Schüler*innen untersuchte.119 Das Thema Wohlbefinden, das eng mit mentaler (also
psychosozialer) und auch physischer Gesundheit assoziiert wird, wird damit auch zu
einem wichtigen Aspekt von Schulqualität – und das schließt natürlich die Arbeits-
zufriedenheit der Lehrkräfte mit ein.120
Eine Zielsetzung des QMS ist, das Lernen und die Schüler*innen in den Mittelpunkt der
Qualitätsarbeit zu stellen. Es unterstützt dabei, dass schulische Entwicklungsprozesse
zielgerichtet, systematisch und evidenzorientiert stattfinden und ein qualitätsvoller
Unterricht sichergestellt wird. QMS will dafür die Kooperation zwischen Lehrkräften
stärken, um durch mehr Teamarbeit die professionelle Unterrichtsentwicklung zu
fördern und Entlastung durch kollegiale Unterstützung zu ermöglichen.
Das QMS bietet einen zeitgemäßen Qualitätsrahmen, der in die Bereiche (1) Qualitäts-
management, (2) Führen und Leiten, (3) Lernen und Lehren, (4) Schulpartnerschaft und
Außenbeziehungen sowie (5) Ergebnisse und Wirkungen unterteilt ist. Alle Bereiche
bieten Ansatzpunkte für die Thematisierung der Gesundheit der Lehrkräfte als auch
der Schüler*innen. So ist im Bereich Führen und Leiten die Auseinandersetzung mit
der so genannten salutogenen (also gesundheitsfördernden) Führung (siehe Beitrag von
Julia Gerick in diesem Band) zentral. Hier steht die Frage im Vordergrund, welche Rolle
die Schulleitung spielt, sodass Lehrkräfte keine krankmachenden Arbeitsbedingungen
und -beziehungen, sondern kollegiale Unterstützung und gut kooperierende Teams
vorfinden. Anerkennung, Wertschätzung, Kommunikation und Zusammenarbeit,
aber auch klare Führung, gemeinsame Ziele und Vorgehensweisen sind hier zentral.
122 Siehe Projekt Wohlfühlzone Schule https://wohlfuehlzone-schule.at/ (letzter Zugriff Juni 2021) oder
Netzwerke zur Gesunden Schule in Niederösterreich und Wien
123 Belastungen von Lehrkräften werden u. a. in der TALIS-Studie beschrieben. Vgl. BIFIE 2019; https://www.
iqs.gv.at/themen/internationale-studien/talis/talis-2018 (letzter Zugriff Mai 2021)
» Es braucht ein starkes Commitment und eine breite Partizipation der an der Schule
tätigen Personen. Gegen den Widerstand der Mehrheit der Lehrkräfte lassen sich keine
Veränderungen oder Neuerungen einführen. Es bedarf der Einsicht in die Sinnhaftig-
keit der Maßnahmen und die erwartbaren Wirkungen müssen nachvollziehbar sein.
Hier ist die Schulleitung gefordert: Zur erfolgreichen Umsetzung von Maßnahmen im
Bereich der Lehrer*innen (und auch Schüler*innengesundheit) braucht es eine breite
Zustimmung und die Mitwirkung möglichst vieler Lehrkräfte.
Dies ist ein Balanceakt, denn gerade engagierte Lehrkräfte neigen dazu, sich selbst zu
verausgaben und langfristig zu erschöpfen. Auch hier gilt es eine Balance zu halten
zwischen Anforderungen, die sich im schulischen Alltag ergeben, und der Ausschöp-
fung eigener Ressourcen zu deren Bewältigung. Ein Aspekt von Qualitätssicherung
ist daher auch, dass Schulleitungen darauf achten, dass die zu leistende Arbeit nicht
auf einigen wenigen Engagierten lastet, sondern sich so weit wie möglich alle Lehr-
kräfte engagieren.
Das neue Qualitätsmanagement stellt Instrumente zur Verfügung, die die Planung von
konkreten Maßnahmen zur Erreichung gesetzter Ziele zur Stärkung von Lehrkräften
unterstützen können. Qualitätsdimensionen und -kriterien wurden bereits zuvor von
Gesundheitsexpert*innen für den Bildungsbereich entwickelt.126
Das QMS mit seinen Qualitätsdimensionen, Qualitätsbereichen und -kriterien bietet eine
Grundlage für die Entwicklung eines Schulentwicklungsplanes (SEP). Sie finden einen
solchen modellhaften Schulentwicklungsplan zur Lehrer*innengesundheit am Ende dieses
Beitrags.
Um die oben genannten Ziele zu erreichen, kann es auch hilfreich sein, mit bewährten
Instrumentarien zu arbeiten, um Belastungen, die zu gesundheitlichen Beeinträchti-
gungen führen können, am Schulstandort zu erheben. Am bekanntesten ist das Ver-
fahren AVEM von Uwe Schaarschmidt und seinem Team zur interventionsbezogenen
128 Herausgegeben von DAK-Gesundheit & Unfallkasse NRW 2012 (siehe Literaturverzeichnis)
Was belastet Lehrkräfte am konkreten Schulstandort und wie kann diesen Belastungen
konstruktiv begegnet werden? An welchen Hebeln kann im Team und individuell angesetzt
werden, aber auch welche Rahmenbedingungen sind schwieriger oder vielleicht gar nicht zu
ändern? Auch mit letzteren ist ein Umgang zu finden, sodass gegebene (und manchmal nicht
abänderbare) Arbeitsbedingungen nicht krankmachend wirken.
Mit dem Instrument AVEM können wesentliche Aspekte der Haltungen und Be-
findlichkeiten in Bezug auf die Tätigkeit als Lehrkraft in elf Dimensionen (z. B.
subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit, Verausgabungsbereitschaft, Perfektionsstreben,
Distanzierfähigkeit etc.) ermittelt werden. Die Ergebnisse zeigen die Verteilung von
vier arbeitsbezogenen Mustern im Kollegium und damit (anonymisiert) das Ausmaß
an gesundheitlich gefährdeten Lehrkräften. Schaarschmidt und Kolleg*innen haben
im Rahmen des Programms Denkanstöße! weitere Analyseverfahren und darauf auf-
bauend Gestaltungs- und Fördermaßnahmen entwickelt.130 Diese Verfahren und die
dadurch generierten Ergebnisse stellen eine gute Basis im Sinne einer Ist-Analyse für
die Maßnahmenplanung im Rahmen der Schulentwicklung dar.
Auch Wolfgang Bauer hat aufgrund zahlreicher Studien und Projekte mit Schulen ein
Coaching-Modell für Lehrkräfte entwickelt, das unter dem Namen „Freiburger Modell“
bekannt wurde.131 Basierend auf der Annahme, dass schwierige Beziehungskonstellationen
zwischen Lehrkräften und Schüler*innen („schwierige Klassenkompositionen“, diszi-
plinäre Herausforderungen, …), aber auch zwischen Kolleg*innen oder zur Schulleitung
belastende und krankmachende Wirkungen auf Lehrkräfte haben können. Gesund-
heitsprävention im Lehrberuf muss also Maßnahmen einschließen, die den Umgang mit
schwierigen Beziehungssituationen und damit die Beziehungskompetenz verbessern.
Hier schließt sich wieder der Kreis: Auch das schulische Qualitätsmanagement zielt
auf die Stärkung der professionellen Zusammenarbeit, mit der Herausforderungen am
Schulstandort besser bewältigt werden können. Neben Schul- und Klassenklima ist
es also auch die soziale (im besten Fall kooperative und unterstützende) Atmosphäre
Als soziale Wesen, die wir Menschen nun einmal sind, können wir Entwicklungen
und Maßnahmen nur mittragen, wenn wir uns sozial eingebettet sowie verstanden
fühlen und wir den gemeinsamen Bestrebungen um Veränderungen Sinn abgewinnen
können. Dies wiederum hält uns gesund und leistungsfähig. Und schließlich brauchen
135 An dieser Stelle möchte ich mich bei meiner Kollegin im BMBWF, Dr.in Michaela Jonach, für die vielen
Hinweise und Impulse für die Erstellung des Schulentwicklungsplanes im Rahmen des neuen QMS herzlich
bedanken.
LA
HL
NE
SC
Schulentwicklungsplan – Ziel für den Zeitraum von Schuljahr 2021/22 bis Schuljahr
ÜBE
2023/24
RP
Ü
RE
R
FE Ü
H
N HF
DURC
Qualitätsrückblick
1. Ausgangslage
Unsere Lehrkräfte nehmen seit einigen Jahren eine Zunahme von beruflichen Be-
lastungen wahr. Zudem berichten Kolleg*innen, dass sie aufgrund dieser Belastungen
massiven Stress erleben und dadurch häufiger krank werden. Die Krankenstände haben
– auch aufgrund einer eher höheren Altersstruktur im Kollegium – in den letzten Jahren
zugenommen. Jüngere Kolleg*innen wollen teilweise keine ganze Lehrverpflichtung
mehr eingehen, um – wie sie sagen – eine optimalere Work-Life-Balance zu haben.
Einige Lehrer*innen wollen zukünftig weniger „Workload“ auf sich nehmen.
Insgesamt ist die Zusammenarbeit im Kollegium relativ gut und auch die Art der
Schulleitung erfährt eine hohe Zustimmung. Da wir uns in den letzten Jahren mit
dem Wohlbefinden der Schüler*innen und dessen Auswirkungen auf die Leistungs-
bereitschaft auseinandergesetzt haben, wollen wir uns ab dem Schuljahr 2021/22
stärker dem Thema Lehrer*innengesundheit widmen und die Lehrer*innen im kons-
truktiven Umgang mit beruflichen Belastungen stärken. Wir nehmen auch die empi-
rischen Befunde, dass (psychosozial) gesunde Lehrer*innen (schüler*innen-)gerechter,
engagierter und empathischer unterrichten, zum Anlass, um über die Stärkung der
Lehrer*innengesundheit auch das Wohlbefinden der Schüler*innen zu erhöhen.
2. SMARTes Ziel
Bis zum Ende des Qualitätszyklus schätzen 2/3 Drittel der Lehrer*innen ihr Wohlbe-
finden am Schulstandort sowie ihre psychosoziale Gesundheit als sehr gut bzw. gut ein.
Indikator/en:
• Erhebungen mittels eines normierten Erhebungsbogens zeigen am Ende des Qualitäts-
zyklus bei 2/3 der Lehrkräfte eine hohe Arbeitszufriedenheit, Kooperations- und Leis-
tungsbereitschaft und damit positive Veränderungen im Bereich des Wohlbefindens.
• Die eigene psychosoziale Gesundheit wird am Ende des Qualitätszyklus von 2/3 der Lehr-
kräfte als sehr gut oder gut eingeschätzt.
• Die Kooperation zwischen den Lehrkräften hat sich laut Erhebung um 40 % erhöht und
um die 65 % der Lehrkräfte erleben einen sozialen Rückhalt im Kollegium.
• Die Schule weist bis zum Ende des Qualitätszyklus um 1/4 weniger Krankenstandstage
und 1/5 weniger Frühpensionierungen auf.
• 85 % der Kolleg*innen unter 35 Jahren wollen bis zum Ende des Qualitätszyklus (wieder)
eine volle Lehrverpflichtung und kommen mit Doppelbelastungen (z. B. durch Familie und
Beruf) laut Erhebung gut zurecht.
QUALITÄTSDIMENSION/EN 2.0 Qualitätsmanagement
Qualitätskriterien: Lehrende …
… nutzen im Bedarfsfall die Expertise von Personen entspre-
chender Beratungs- und Unterstützungssysteme.
Die Schulleitung …
… sorgt für ein funktionierendes Beratungs- und Unterstüt-
zungssystem und stimmt schulinterne und außerschulische
Beratungs- und Unterstützungsangebote aufeinander ab.
Qualitätskriterien: Lehrende …
… fühlen sich wohl an der Schule und erleben Anerkennung und
Wertschätzung durch die Schulleitung, die Kolleg*innen, die
Lernenden, die Erziehungsberechtigten sowie die Koopera-
tions-partner*innen.
… schätzen den professionellen und respektvollen Umgang
miteinander.
… identifizieren sich mit den Zielen, Ergebnissen und Wirkungen
der Schule.
Maßnahmen sind Mittel und Wege, um die oben genannten Ziele zu erreichen.
Unsere Schule bestellt im ersten Jahr des Qualitätszyklus eine kompetente Vertrauensperson
bzw. ein Team, die/das sich um Gesundheitsfragen und Wohlbefinden kümmert und gesundheits-
fördernde Maßnahmen koordiniert („Schulgesundheitskoordinator*in“, „Schulgesundheitsteam“).
Die Bestellung erfolgt über die Schulleitung unter Einbindung der Kollegenschaft. Der*die Schü-
ler*innen-/ Bildungsberater*in sollte aufgrund seiner Beratungskompetenzen im Team sein, und
es erfolgt eine enge Abstimmung mit der Schulärztin.
Als Auftakt wird bis Ende des ersten Semesters des Qualitätszyklus ein pädagogischer Halbtag
zum Thema Resilienz und Lehrer*innengesundheit veranstaltet. Die Schulärztin und/oder eine
(Schul-) Psychologin begleiten den Prozess.
Die Schule nimmt Angebote von anderen Institutionen wahr, die die Gesundheit am Schulstand-
ort thematisieren und verbessern (z. B. Projekte des Fonds Gesundes Österreich, Programme der
BVAEB bzw. Gesundheitskassen, Angebote und Materialien der GIVE136, Fortbildungsangebote der
Pädagogischen Hochschulen, …). Welche Programme zur Umsetzung kommen, wird im ersten Jahr
des Qualitätszyklus entschieden.
Jüngere (bei Bedarf auch ältere) Kolleg*innen werden in besonderen Belastungssituationen von
erfahrenen Lehrkräften über den gesamten Qualitätszyklus hinweg beraten und unterstützt.
Wenn es die Situation erfordert, arbeiten wir hier eng mit der Schulärztin und der Schulpsycho-
login zusammen.
Die Schulleitung ermöglicht über den gesamten Qualitätszeitraum hinweg die (freiwillige) Teilnah-
me an Intervisions- und Supervisionsgruppen (buchbar über die Pädagogischen Hochschulen).
Wir tauschen uns bei Bedarf mit anderen, an Gesundheitsförderung interessierten Schulen aus
und spielen unsere Erfahrungen in diese Netzwerke ein (z. B. Netzwerke der Gesundheitskassen,
WIENGS137).
Wir verstärken die Kommunikation, den kollegialen Austausch und die Kooperation auf allen
Ebenen, um Belastungssituationen im Schulalltag weitgehend zu minimieren. Und wir sprechen
schwierige Situationen sowohl im Unterricht als auch im Kollegium zeitnah an und suchen dafür
gemeinsam nach Lösungen.
137 z. B. https://www.gesundheitskasse.at/cdscontent/?contentid=10007.825934&portal=oegknportal
(letzter Zugriff Juni 2021); https://www.wiengs.at/startseite/ (letzter Zugriff Juni 2021)
Welche Maßnahmen Wer ist die Ziel- Was genau wollen Sie Welche Instrumente
werden evaluiert? gruppe der Evalua- von der Zielgruppe werden eingesetzt?
tion? wissen?
Auswahl und Be- (Ausgewählte) Welche Aktivitäten/ Akkordierte Abstim-
stellung eines*einer Lehrer*innen Maßnahmen wann ge- mung im Kollegium
Schulgesundheits-ko- unserer Schule plant und umgesetzt Protokolle über Aktivi-
ordinator*in oder eines wurden täten; Einsatz von
Teams standardisierten Erhe-
bungsbögen zur Leh-
rer*innengesundheit
bzw. zum Befinden138
Lehrer*innenfortbil- Alle Lehrer*innen Erkenntnisse aus und Austausch in kleinen
dung zum Thema (psy- unserer Schule Erfahrungen mit den Gruppen, Berichte in
chosoziale) Gesundheit Inhalten der Fortbildung; einer der pädagogi-
und Wohlbefinden Kompetenzzuwächse schen Konferenzen,
im Sinne des profes- Sammlung von wichti-
sionellen Umgangs mit gen Informationsma-
Belastungen terialien zum Thema
Unterstützung von Dienstjüngere / Erfahrung, inwieweit Kurzer Leitfaden und
jüngeren (oder auch dienstältere Kol- kollegiale Beratung Kurzprotokolle über
älteren) Kolleg*innen in leg*innen und Begleitung bei Zweiergespräche im
Belastungssituationen der Bewältigung von Tandem (dienstjün-
beruflichen Belastungen gere – dienstältere
hilfreich ist/war Kolleg*innen)
Teilnahme an Intervi- Interessierte Leh- Rückmeldung, inwieweit Selbstevaluation jeder
sions- oder Supervi- rer*innen Inter- und Supervision teilnehmenden Lehr-
sionsgruppen hilfreich waren, z. B. bei kraft, Austausch in
schwierigen Klassen- Tandems
kompositionseffekten
Umsetzung eines Möglichst viele Wie konnte die eigene Selbstevaluation
Resilienzprojekts Lehrer*innen am Resilienz/Belastbarkeit Online-Fragebogen
(oder eventuell eines Schulstandort gestärkt werden? Inwie- nach 2 Jahren zur Ver-
anderen Gesundheits- weit konnten Stress- besserung der eigenen
projekts, Entscheidung bewältigungskompe- (Stress-) Bewältigungs-
fällt im ersten Jahr) tenzen gestärkt werden? kompetenzen
Inwiefern konnten die
eigenen Gesundheits- Diskussion der Ergeb-
kompetenzen verbessert nisse in einer pädago-
werden? gischen Konferenz
Stärkung der Kommu- Alle Lehrende; Wie konnte die Verbes- Online-Fragebogen
nikation und Koopera- Schulleitung serung der Kommuni- nach 2 Jahren, Dis-
tion im Kollegium kation und Kooperation kussion der Ergebnisse
zur Verbesserung des in einer pädagogischen
eigenen Wohlfühlens Konferenz
am Schulstandort bei-
tragen?
138 Siehe Beitrag von Marlies Kranebitter/Doris Schiestl, dort werden konkrete Erhebungsbögen genannt.
Der vorgelegte SEP ist als Vorschlag für eigene Überlegungen im Rahmen der Quali-
tätsentwicklung an Schulen zu verstehen. Finden Sie heraus, was an Ihrem Schulstand-
ort gebraucht wird und welche Schwerpunktsetzungen vom Lehrer*innenkollegium
mitgetragen werden. Holen Sie sich Unterstützung durch eine*n Schulentwicklungs-
berater*in bzw. nutzen Sie die Angebote der in Österreich relevanten Institutionen
(Sozialversicherungsträger bzw. Gesundheitskassen, FGÖ, GIVE etc.). Weitere Infor-
mationen finden Sie zu SMQ unter https://www.qms.at/.
Wir wünschen Ihnen viel Erfolg mit den Instrumenten des QMS im Bereich der schu-
lischen Gesundheitsförderung!
Brägger, Gerold/ Posse, Norbert (2007): Instrumente für die Qualitätsentwicklung und Evaluation in
Schulen (IQES). Wie Schulen durch eine integrierte Gesundheits- und Qualitätsförderung besser werden.
Hep Verlag, Bern. IQES-Handbuch der guten gesunden Schule – IQES (iqesonline.net) (letzter Zugriff
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Rahmenbedingungen des schulischen Lehrens und Lernens aus Sicht von Lehrkräften und Schulleitun-
gen im internationalen Vergleich. Hrsg.: Schmich, Juliane/ Itzlinger-Bruneforth, Ursula. Leykam, Graz.
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Lehrbuch Schulische Gesundheitsförderung. Hans Huber Verlag, Bern. S. 164 – 178.
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Felder-Puig, Rosemarie/ Kuso, Stefanie/ Flaschberger, Edith (2015): Argumente für die Gesunde Schule.
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Kretschmann, Rudolf (Hrsg.) (2012): Stressmanagement für Lehrerinnen und Lehrer. Ein Trainingsbuch
mit Kopiervorlagen. Beltz Verlag, Weinheim und Basel.
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Sieland, Erhard/ Heyse, Helmut (2012): Schulentwicklung – vom Änderungsbedarf zum Handlungsplan.
In: DAK-Gesundheit & Unfallkasse NRW (Hrsg.) (2012): Handbuch Lehrergesundheit – Impulse für die
Entwicklung guter gesunder Schulen. Carl Link, Köln. S. 151 – 194.
Zur Autorin
G
ute Beziehungen sind eine wichtige Ressource von Schulen. Sie unterstützen
die psychosoziale Gesundheit ihrer Schüler*innen und Lehrer*innen und er-
möglichen dadurch gelingendes Lernen und Lehren. Schulgemeinschaften
können auf vielfältige Weise zu einer guten Beziehungsgestaltung beitragen. Bei die-
sem vielschichtigen Thema ist es sinnvoll, auf mehreren Handlungsebenen anzusetzen.
Je umfassender das Thema „Beziehungsgestaltung“ behandelt wird, umso eher können
Erfolge verbucht werden. Dabei spielt es eine Rolle, dass Maßnahmen langfristig ange-
legt werden und der Großteil der Kolleginnen und Kollegen dieses Thema unterstützt
bzw. daran mitarbeitet. Der folgende Beitrag fasst die wesentlichen Ansatzpunkte schu-
lischer Beziehungsgestaltung zusammen und gibt praktische Tipps für die Umsetzung.
In der Lebenswelt Schule sind ein Großteil der Beziehungen nicht freiwillig entstanden
und Probleme im Umgang miteinander daher nichts Ungewöhnliches. Umso wichtiger
ist es, dass am Schulstandort gemeinsam aktiv an der Beziehungsgestaltung gearbeitet
wird. Schulgemeinschaft kann auf vielfältige Weise dazu beitragen, dass an der Schu-
le ein respektvolles und tolerantes Klima herrscht und Wert auf gute Beziehungen
gelegt wird. Welche Wege eine Schule gehen will und wo sie ihre Prioritäten setzt,
hängt von den Herausforderungen und Erfahrungen ab, mit denen sie im Schulalltag
konfrontiert ist.
Für die gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sind verlässliche Bezie-
hungen zu Erwachsenen, die auf Sicherheit, Geborgenheit und emotionaler Wärme
basieren, lebensnotwendig. Sie brauchen jemanden, der ihnen mit Achtung begegnet
und sich für ihre Gefühle und ihr Tun interessiert. Erwachsene können Kindern und
Jugendlichen beim Umgang mit ihren Stärken und Schwächen helfen und Orientie-
rung geben. Positives und wertschätzendes Feedback, Ermutigung zu selbstständigem
Handeln, gemeinsam erarbeitete Regeln und die Möglichkeit zur Mitbestimmung
und sind beispielhafte Ansatzpunkte. Dazu gehören auch geeignete Methoden der
Partner- und Gruppenarbeit, die gemeinsames Lernen erleichtern.
Der Umgang mit und Freundschaften zu Gleichaltrigen sind für die soziale und morali-
sche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sehr wichtig. Es geht um Solidarität,
ähnliche Interessen, gegenseitiges Vertrauen, Zusammenhalt und gegenseitige Hilfe.
Die Beziehung zu Gleichaltrigen ist insbesondere im Ablösungsprozess vom Elternhaus
von Bedeutung. Lehrer*innen können durch verschiedene Maßnahmen die Klassen-
gemeinschaft und den Gruppenzusammenhalt stärken und Außenseiter*innen dabei
unterstützen sich in der Klasse zu integrieren.
Nicht zu vergessen ist die Bedeutung guter Beziehungen im Kollegium – eine wich-
tige Ressource für die Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern. Kooperation und
gegenseitige Unterstützung im Kollegium fördern Motivation und Arbeitszufrieden-
heit und bieten Rückhalt in schwierigen, pädagogischen Situationen. Für ein gutes
Verhältnis zwischen Pädagog*innen und Eltern bzw. Erziehungsberechtigten ist ein
Es liegt in der Natur des Themas, dass schnelle und einfache Lösungen nicht erfolg-
versprechend sind: Beziehungsarbeit braucht Zeit, Durchhaltevermögen und unter-
stützende Rahmenbedingungen. Zielführend und kräftesparend ist es, Zusammen-
hänge mit bereits bestehenden Aktivitäten herzustellen. Viele Bezugspunkte gibt es
zu folgenden Themen:
» Soziale Integration in der Klasse fördern: Für das Wohlbefinden der Schüler*innen
ist es wichtig, in der Klasse akzeptiert und gut integriert zu sein. Kennenlern-Tage, ge-
meinsame Feste und Feiern stärken das Zugehörigkeitsgefühl und den Zusammenhalt.
» Soziales Lernen: Soziales Lernen ist an vielen Schulen bereits gut etabliert. Schü-
ler*innen erarbeiten gemeinsam Verhaltensregeln und lernen diese einzuhalten. Sie
trainieren faires Streiten, üben den konstruktiven Umgang mit Konflikten und unter-
stützen sich gegenseitig. Ihre Beziehungen zueinander werden gestärkt.140
» Klassenführung: Lehrer*innen gehen auf eine Art und Weise mit ihrer Klasse um,
die es allen Schülerinnen und Schülern ermöglicht, vom Unterricht zu profitieren. Es
geht dabei u. a. um eine konstruktive Arbeitsweise mit heterogenen Lerngruppen und
die Reduktion von unerwünschten Störungen. Der Aufbau tragfähiger Beziehungen
ist hier besonders relevant.
» Bewältigung von Lernproblemen: Es ist der Schule ein Anliegen, Lernprobleme mög-
lichst früh zu erkennen und die betroffenen Schüler*innen zu unterstützen. Verlässliche
Beziehungen sind in diesem Prozess eine wichtige Ressource. Bei Bedarf können Bera-
tungssysteme wie die Schüler*innen- und Bildungsberater*innen hinzugezogen werden.142
» Es braucht klare Verantwortlichkeiten. Klären Sie, wer für das Thema hauptver-
antwortlich ist und bei welchen Personen die Fäden zusammenlaufen (Teambildung).
» Nehmen Sie sich nun Zeit für eine detaillierte Bestandsaufnahme. Diese Fragen
sind relevant:
Wo liegen die Erfahrungen im Kollegium?
Was ist bereits fest im Schulalltag verankert?
Wo gibt es immer wieder Klagen?
Was könnte den Prozess möglicherweise behindern?
» Legen Sie nun Schritt für Schritt fest, wie Sie vorgehen wollen. Wählen Sie jene
Bereiche aus, wo es einen hohen Handlungsbedarf gibt. Achten Sie bei der Erstellung
des Maßnahmenplans darauf, sich nicht zu viel vorzunehmen und schulische Fixter-
mine im Blick zu behalten.
» Es ist notwendig, von Zeit zu Zeit innezuhalten und die bisherige Arbeit zu re-
flektieren. Es trägt zur Motivation bei, selbst kleine Erfolge sichtbar zu machen und
zu feiern.
» Gelangt man fürs Erste an ein erfolgreiches Projektende steht die Frage im Raum: Wie
geht es nun weiter? Wie kann es uns gelingen, vieles von dem, was in den v ergangenen
Wochen und Monaten ausprobiert wurde und gut funktioniert hat, beizubehalten?
Es ist wichtig, frühzeitig über die Zukunft nachzudenken.143
143 Eine Anleitung zum strukturieren Vorgehen und eine Vielzahl an Methoden finden Sie im GIVE-Material
„Unterwegs als gesunde Schule. Ein Reiseführer zur schulischen Gesundheitsförderung mit vielen praktischen
Tipps und Methoden“. www.give.or.at/material/unterwegs-als-gesunde-schule-ein-reisefuehrer/ (letzter Zu-
griff Juni 2021)
Schulleitungen können die Basis schaffen für ein Schulklima, das Sicherheit gibt, Tole-
ranz und Respekt fördert. Sie tragen wesentlich dazu bei, dass sich Schüler*innen, das
Lehrer*innen-Team und nicht unterrichtendes Personal der Schule zugehörig fühlen.
Ihre eigene Haltung und Vorbildwirkung sind ein wichtiger Einflussfaktor auf das
Schulklima, tragen zu einem höflichen und freundlichen Umgangston bei. Gleichzeitig
können sie eine Kultur der (spontanen) Hilfsbereitschaft befördern. Abgesehen von
dieser positiven Grundhaltung sind es vor allem folgende Aspekte und Ansatzpunkte,
die Sie als Schulleitung anregen oder bei denen Sie unterstützen können:
» Geben Sie als Schulleitung dem Thema die notwendige Bedeutung und definieren
Sie Beziehungsförderung als wichtige Aufgabe der Schule. Stellen Sie dabei Bezüge
zum Schulleitbild und den pädagogischen Zielen Ihrer Schule her. Indem Sie bei Kon-
ferenzen dem Thema Beziehungsgestaltung regelmäßig Raum geben, unterstreichen
Sie die Wichtigkeit des Themas.
Ein Impulsvortrag oder eine schulinterne Fortbildung kann hier zusätzliche Anre-
gungen liefern und mögliche Skeptiker*innen von der Sinnhaftigkeit Ihrer Vorhaben
überzeugen.
» Bei einem langfristigen Prozess ist es nicht unüblich, dass irgendwann die Motiva-
tion und das Engagement der Beteiligten nachlässt. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Möglicherweise liegen Konflikte vor oder es wurden die Ziele aus den Augen verloren.
Vielleicht sind Dinge unklar oder es mangelt an transparenter Kommunikation? Als
Schulleitung spielen Sie eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, in solchen Durch-
hängephasen das Vertrauen in den Prozess und die Sinnhaftigkeit des Tuns zu stärken.
Sie können bisher Erreichtes sichtbar machen, rasch auf Konflikte im Team eingehen
und noch einmal Ihre gemeinsamen Ziele und Visionen in Erinnerung rufen.
» Ein sozialer und wertschätzender Umgang miteinander ist die Basis eines konflikt-
armen Schulalltags. Dazu gehören transparente Kommunikation, offene Diskussionen,
das Akzeptieren von kontroversen Meinungen und Toleranz gegenüber den anderen.
Bloßstellungen, Kränkungen und abwertende Kritik sind unerwünscht. Dennoch
kommt es immer wieder vor, dass sich Konflikte nicht so einfach lösen lassen. Schulische
Beratungs- und Unterstützungssysteme oder Beratungsstellen für Lehrer*innen-Ge-
sundheit können beispielsweise bei verhärteten Konflikten innerhalb des Kollegiums
oder der Schülerschaft helfen. Erstellen Sie eine Liste an Personen und Organisationen,
die bei Bedarf kontaktiert werden können.
» Ihre Schule kann eine Willkommenskultur etablieren, die neue Lehrkräfte, Eltern/
Erziehungsberechtigte und neue Schüler*innen gleichermaßen anspricht. Das können
Willkommensfeste, Einführungsgespräche, eine kurze Zusammenstellung der wichtigsten
Informationen und Ansprechpersonen oder eine Führung durch das Schulgebäude sein.
Dazu gehört auch eine gute Beschilderung bzw. Wegweiser im Schulgebäude.
» Nicht zuletzt hat die Gestaltung der Schulräume einen wesentlichen Einfluss darauf,
ob Miteinander-Arbeiten und -Lernen unterstützt wird. Begegnungs- und Rückzugs-
bereiche, z. B. kleine Nischen oder Sitzgruppen, laden zum Austausch und Miteinander-
reden ein. Ein flexibles Mobiliar in den Klassenräumen und im Lehrer*innen-Zimmer
ermöglichen ein rasches Gruppieren und Umstellen. Angemessene Arbeitszonen für
Lehrer*innen und kleine Besprechungsbereiche oder -räume erleichtern Lehrer*innen
die Zusammenarbeit und den Austausch.
Wie Lehrer*innen ihren Unterricht gestalten und mit der Klasse umgehen, ist wesent-
lich dafür, ob Kinder und Jugendliche gerne in die Schule gehen oder eher Unbehagen
oder gar Angst empfinden. Gute, vertrauensvolle Beziehungen in der Klasse erleichtern
zielführendes Lehren und Lernen. Kooperative Lernformen, eine Unterrichtsstruktur
mit klaren Botschaften Ihrer Erwartungen und ein geeignetes Maß an Anforderungen
sind Beispiele beziehungs- und gesundheitsförderlicher Unterrichtsgestaltung. Weitere
Ansatzpunkte sind:
» Fehler- und Feedbackkultur: Es lohnt sich, die Angst vor Kritik zu überwinden und
Feedback als Chance für Weiterentwicklung zu betrachten. Gezielte Rückmeldungen
von Schülerinnen und Schülern sowie Eltern, Erziehungsberechtigten können Ihnen
helfen, eine andere Sichtweise zu bekommen und mögliches Verbesserungspotenzial
zu erkennen. Abgesehen von spontanem Feedback, das oft zwischen Tür und Angel
ausgesprochen wird, eignen sich Maßnahmen wie regelmäßige Halbjahresgespräche mit
Eltern und Erziehungsberechtigten oder Planungs- und Zielvereinbarungsgespräche
mit Schülerinnen und Schülern.
» Fairness fördern: Erarbeiten Sie gemeinsam mit Ihrer Klasse die wichtigsten
Punkte, die für Sie und Ihre Schüler*innen zu einem fairen und respektvollen Um-
gang miteinander gehören. Achten Sie darauf, dass dieses Verhalten von Ihnen und
Ihrer Klasse auch gelebt wird. Das braucht Zeit und es ist nicht ungewöhnlich,
dass trotz aller Bemühungen, Konflikte und Streit auftreten. Angebote, wie z. B.
Streitschlichterprogramme, Peermediation oder Schulsozialarbeit, können unterstüt-
zen, wenn sich Konflikte nicht so einfach lösen lassen. Idealerweise werden derartige
Angebote präventiv etabliert, um im Bedarfsfall rasch reagieren zu können.
» Lernen lernen: Selbstständiges Lernen oder das Erarbeiten von Inhalten in Gruppen
braucht Übung. Schülerinnen und Schüler brauchen Hinweise und praktische Tipps,
um herauszufinden, wie sie am besten lernen. Zielorientiertes Arbeiten kann beispiels-
weise durch Lernzielvereinbarungen unterstützt werden. Auch kooperatives Lernen in
heterogenen Lerngemeinschaften kann Schülerinnen und Schüler bei der Bewältigung
von Aufgaben unterstützen. Um gut miteinander lernen zu können, müssen solche
Gruppen gründlich vorbereitet werden. Die Auswahl der Gruppenzusammensetzung
ist dabei entscheidend, wobei ein heterogenes Leistungsniveau durchaus erwünscht
Eltern haben eine andere Sichtweise darauf, was in Schulen geschieht als Sie. Ihr
Eindruck ist von den Erzählungen ihrer Kinder geprägt. Es gehört zu den Aufgaben
von Schulen, sich um den Aufbau von guten Beziehungen zu Eltern und Erziehungs-
berechtigten zu bemühen. Oft ist die Beziehung zwischen Lehrer*innen und Eltern
beeinträchtigt, nicht zuletzt dadurch, dass Kontakt häufig erst dann stattfindet, wenn
es bereits Probleme gibt. Dieser negative Gesprächsanlass ist oft kein guter Start für
eine tragfähige Beziehung zum Wohle der Kinder. Es lohnt sich daher, aktiv in eine
funktionierende Eltern-Lehrer*innen-Beziehung zu investieren und eine gute Basis
zu schaffen. Mögliche Ansatzpunkte sind:
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bestehende Maßnahmen zur Förderung der psychischen Gesundheit in Schulen. bildung+gesundheit
Netzwerk Schweiz. Bundesamt für Gesundheit. Bern Liebefeld.
www.give.or.at
Zur Autorin
D
ie Initiative „Wohlfühlzone Schule“ ist ein Kooperationsprojekt des Fonds
Gesundes Österreich mit der Schulpsychologie-Bildungsberatung des
BMBWF und basiert auf der Grundlage der Nationalen Strategie schuli-
scher Gewaltprävention. Die drei Leitziele der Initiative bewegen sich rund um das
Thema der psychosozialen Gesundheitsförderung und der Prävention von Gewalt
und Mobbing an Schulen:
144 Fonds Gesundes Österreich (a) (o.J.): Wohlfühlzone Schule. Vorgeschichte und Ziele.
https://wohlfuehlzone-schule.at/vision (letzter Zugriff 21.4.2021)
Die konkrete Umsetzung der Projekte an den derzeit sechs teilnehmenden Pädago-
gischen Hochschulen und den von ihnen betreuten Schulen bewegt sich in der Pla-
nung, Begleitung und Durchführung partizipativer Schulentwicklungsprozesse über
einen Zeitraum von zwei Jahren, die einem akkordierten Aufbau folgen. Durch die
pandemiebedingten Herausforderungen wurden die Zeiträume für die Umsetzung
allerdings verlängert. Besonderer Wert in der Projektumsetzung wird daraufgelegt,
dass theoriegeleitete und evidenzbasierte Maßnahmen an den Schulstandorten in
eine Umsetzung gebracht werden. Zugleich geht es darum, Bestehendes und bereits
Gelungenes in diese Entwicklungsprozesse zu integrieren – also basierend auf einer
Ist-Stand-Erhebung maßgeschneiderte Entwicklungsschritte für die jeweiligen Schulen
zu planen. Ziele der Schulentwicklungsprozesse sind die Sensibilisierung, die Ge-
staltung und Umsetzung konkreter präventiver Maßnahmen sowie der Aufbau von
Case-Management-Strukturen.146
Gerade wenn es um die Prävention von Gewalt und Mobbing an Schulen geht, die
im Sinne von Expert*innen-Organisationen spezifischen systemischen Wirkfaktoren
unterliegen, ist eine standortspezifische Schulentwicklung nahe an den Bedürfnissen
des Standortes. Zu bedenken ist aber, dass bei dieser Vorgehensweise zwei Kompetenzen
miteinander verbunden werden müssen: Die fachlich-inhaltliche Kompetenz und die
Prozessbegleitungskompetenz. Dies kann entweder durch Doppelbesetzungen in der
Beratung (Prozess- und Fachberater*in) oder durch die umfassende Kompetenz von
einzelnen Berater*innen sichergestellt werden.147
Im Zentrum der Schulentwicklungsprozesse steht der Blick auf die Beziehungen, das
(Schul-)Klima und die Schulkultur. In diesem größeren Wirkbereich gibt es bestimmte
Aspekte, denen im Rahmen der teilnehmenden Projekte größere Aufmerksamkeit
geschenkt werden soll. Dies sind beispielsweise „Rahmenbedingungen für ein ressourcen-
orientiertes und einander stärkendes Klima in der Klasse und Schule […], das Orientierung,
Halt und klare Rahmenbedingungen eines förderlichen Miteinanders setzt“148 .
146 Fonds Gesundes Österreich (c) (2021): Detailinformation Förderschwerpunkt Wohlfühlzone Schule 2021
Endversion. https://wohlfuehlzone-schule.at/sites/wohlfuehlzone-schule.at/files/Detailinformation_Förder-
schwerpunkt_Wohlfuehlzone%20Schule_2021_Endversion.pdf (letzter Zugriff 21.4.2021), S. 11ff
Dass im Rahmen des Projekts ein zentraler Fokus auch auf die psychosoziale Gesund-
heitsförderung der Pädagog*innen gelegt wird, ergibt sich schon aus der thematischen
Verortung. Betrachtet man die berufsfeldbezogenen Belastungsfaktoren, so zeigen
in dieser Publikation Felder-Puig und Griebler150 , dass in verschiedenen Studien in
Deutschland Leistungsschwächen, Verhaltensauffälligkeiten und Motivationsprob-
leme von Schüler*innen als eine erhebliche Belastung wahrgenommen werden. Auch
in einer Wiener Erhebung werden die Aspekte der Überforderung und des undiszi-
plinierten Verhaltens als besonders bedeutsam für die psychosoziale Gesundheit der
Pädagog*innen eingeschätzt.151
Auch Luder beschreibt unter Bezugnahme auf eine Schweizer Studie von Keller et
al.152 , dass insbesondere auffälliges Verhalten der Schüler*innen, bei dem er zwischen
„alltäglichem auffälligem Verhalten, Verhaltensauffälligkeiten und Verhaltensstörungen“ 153
unterscheidet, ein wesentlicher Belastungsfaktor für Lehrer*innen ist.
In den einleitenden Worten zu dieser Publikation werden darüber hinaus von Fraun-
dorfer154 ebenfalls disziplinäre Herausforderungen, ein problembelastetes Unterrichts-
klima, Konfliktbearbeitung, Führungsstil, die Bedeutung von Partizipationskultur
Ergänzend kann festgehalten werden, dass Maßnahmen, die hierauf ausgerichtet sind
(bspw. auf ein positives Klassenklima), auch auf die Ermöglichung schulischen Lern-
erfolgs Einfluss haben.155 Je eher die Rahmenbedingungen und die Beziehungen Sicher-
heit und Halt vermitteln – ohne Angst vor Übertretung persönlicher Grenzen haben
zu müssen – desto positiver wird von Schüler*innen das Klassenklima eingeschätzt,
was sich auf die Gesundheit und Lebenszufriedenheit auswirkt.156 Downes et al. be-
schreiben dies so: „Research shows that the well-being of schoolchildren plays a decisive role
in their scholastic success. Accordingly, a school has to provide an environment that nurtures
the well-being of its students.“157
Somit ist davon auszugehen, dass gelingende Beziehungen dabei unterstützen, ein breites
Spektrum von Gewalthandlungen zu prävenieren und die psychosoziale Gesundheit
zu fördern. Auch in der Pisa-Auswertung zum Thema ‚Students Well-Being‘ finden
sich mit „School Environment“, „Teachers“ und „Peers“ drei hierfür zentrale Bereiche, die
im direkten Einflussbereich der Schule liegen.158 Es liegt auf der Hand, dass sich diese
Faktoren und ein Fokus auf gewaltpräventive und gesundheitsförderliche Beziehungen
auch direkt auf herausfordernde Klassensituationen, Überforderungswahrnehmungen
im sozialen Kontext und die Bereitschaft der Schüler*innen, Leistung zu erbringen
und gerne in die Schule zu gehen, auswirken.
Leadership kann als Querschnittsmaterie gesehen werden, die in allen Bereichen der
Schulentwicklung prozesshaft wirksam wird. Vor diesem Hintergrund ist es von großer
Bedeutung, sowohl die Wirkung der Schulleitung als auch das Führungshandeln von
Lehrpersonen in den Blick zu nehmen. Einschlägige Studien zeigen, dass Führungsper-
sonen innerhalb von Schulentwicklungsprozessen eine Schlüsselfunktion zukommt. Für
Huber sind Schulleiter*innen die zentralen „Change Agents“. Sie tragen Verantwortung
für die Qualitätsentwicklungsprozesse an den pädagogischen Einheiten.160 Wie auch
an einer anderen Stelle in diesem Text erwähnt bieten und schaffen Schulleiter*innen
Raum für prosoziales Verhalten, Empathie und die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel,
Gefühle erkennen, benennen und ausdrücken zu können oder auch unterscheiden zu
können zwischen Wahrnehmung und Bewertung. 161
Um dies zu gewährleisten, kann beispielsweise das Konzept des Positive Leadership zur
Anwendung gebracht werden. Dieser Ansatz bzw. dieses Modell sind wirksam darin,
Führungskräfte unter anderem auch in ihren Ressourcen und in ihrer Resilienz zu
stärken. Der Begründer dieses Führungsansatzes, der seinen Ursprung in der Positiven
Psychologie hat, ist Martin Seligman.
159 Alsaker 2017; Juul 2009; Olweus 2006; Wachs et al. 2016; Wallner 2018
160 Huber 2013, S. 239
161 Alsaker 2017
Einerseits geht es darum, sich selbst zu führen, was eine professionelle Reflexion des
eigenen Führungshandelns erfordert. Andererseits bedeutet für Seliger das Führen von
Menschen, die Kommunikation so zu gestalten, dass die Verbindung miteinander und
mit der Organisation und ihren Aufgaben sichergestellt ist, indem Mitarbeiter*innen
Orientierung für ihr Handeln gewinnen und sich emotional als Mitglied der Organi-
sation fühlen.162 Der dritte Bereich bezieht sich auf die Führung der eigenen Organisa-
tion – in diesem Fall Schule. Eine Organisation im pädagogischen Feld zu führen, legt
für Seliger nahe, den eigenen „Verantwortungsbereich zu gestalten und Entscheidungen zu
treffen, um Komplexität zu bearbeiten. Diese Entscheidungen betreffen einerseits die Arbeit
selbst, andererseits aber auch die Organisation mit ihren Prozessen, Strukturen, Werten,
Strategien und Perspektiven“163 .
Führung im Schulsystem bestimmt das Schulklima maßgeblich mit und kann die damit
verbundene Verantwortung auch in Schulentwicklungsprozessen bewusst aufgreifen,
reflektieren und gestalten. Seliger sieht Führung als Top-Down-Strategie, welche auch
auf Ebene der Schüler*innen durch Lehrpersonen wirksam wird. Für die Entwick-
lungsprojekte sind daher auch die spezifischen Grundüberlegungen von Schäfer von
Bedeutung. Sie ist davon überzeugt, dass der Führungsstil der Lehrperson Einfluss auf
die Mobbing-Interaktionen und auf die soziale Struktur der Klasse hat. Ebenso hat die
soziale Kultur Effekte auf die Mobbing-Interaktionen. Sie formuliert 4 Kernelemente
dieses Führungsstils wie folgt:164
Der Aufbau eines gewalt- und mobbingpräventiven Klassenklimas ist also stark mit
dem Führungsstil der Pädagog*innen verbunden. Die dargestellten Ansätze bieten einen
möglichen Blick hierauf – unter starker Bezugnahme auf die Gestaltung förderlicher
Beziehungen.
Beziehungsgestaltung in der Schule kann als eine Folge einzelner, aufeinander Bezug
nehmender Interaktionen verstanden werden. Prengel165 beschreibt, dass die Beziehun-
gen als förderlich und hilfreich oder auch als hinderlich und belastend wahrgenommen
werden können. Dahingehend verhelfen sie entweder (aus gesicherten Bindungen)
zur Entfaltung und zu bereichernden Selbstwirksamkeitserfahrungen oder engen im
umgekehrten Fall Entwicklungsmöglichkeiten ein. Wichtig hierfür ist die subjektive
Einschätzung der Beziehungen – insbesondere von Seiten der Schüler*innen.
Auch Bauer166 betont die Bedeutung von Resonanz zwischen Schüler*innen und Leh-
rer*innen im Sinne einer förderlichen sozialen und emotionalen Erziehung. Er geht
hierbei von zwei Seiten dieser Resonanz aus. Eine bezeichnet er als „verstehende Zu-
wendung“, die zweite als „Führung“. Beer und Eichhorn167 beschreiben in diesem Kontext,
dass eine gelingende Beziehung zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen auf Per-
sönlichkeitsentwicklung, Lernbereitschaft und die Anzahl von Unterrichtsstörungen
einen positiven Einfluss hat. Dies kann in Zusammenhang mit Ausführungen von
Bauer gesetzt werden, der darlegt, dass Menschen „auf soziale Resonanz und Kooperation
angelegte Wesen“168 sind. Und er führt weiter aus, dass soziale Anerkennung, positive
Zuwendung, Wertschätzung und gesehen zu werden, von besonderer Bedeutung für
die Motivation zu bestimmten Handlungsweisen sind169 , und dass es bei aggressiven
oder übergriffigen Verhaltensweisen (sofern es sich dabei nicht um krankhafte Ver-
haltensmuster handelt) „immer um das Bemühen um eine gelingende Beziehung, um die
Verteidigung einer Beziehung oder um eine Reaktion auf ihr Scheitern“ 170 geht.
Neben dieser Vorbildwirkung der Erwachsenen geht es besonders darum, mit geeigneten
didaktischen und methodischen Settings und Mitteln, soziale und emotionale Kom-
petenzen zu fördern. Beispiele hierfür sind prosoziales Verhalten, Empathie und die
Fähigkeit zum Perspektivenwechsel, Gefühle erkennen, benennen und ausdrücken zu
können oder auch unterscheiden zu können zwischen Wahrnehmung und Bewertung. 174
Eine sich daraus ableitende Frage ist, wie Lehrer*innen ihre Schüler*innen unter-
stützen können, ein reflexives Selbstverständnis aufzubauen und Zutrauen in sich,
ihre Fähigkeiten und auch ihr Gegenüber zu entwickeln. Dafür müssen sie in ihrem
Entwicklungsprozess gehört werden und die Möglichkeit haben, Fehler machen zu
können, ohne sich ihrer zu schämen oder dafür beschämt zu werden.175
Gruppenbezogene Maßnahmen
172 ebd.
173 Juul 2009
174 Alsaker 2017
175 Schröder/Wallner 2019
Betrachtet man diese Ebene aus der Perspektive der Prävention aggressiven, übergriffigen
Verhaltens und der Förderung prosozialer Handlungsweisen, kann dahingehend der
Leitsatz gelten: „In einem sozialen Kontext, in dem aggressives Verhalten nicht akzeptiert,
nicht verstärkt und auch nicht „vorgezeigt“ wird, kommt aggressives Verhalten seltener vor als
in einem Umfeld, das aggressivem Verhalten gegenüber gleichgültig ist oder es hinnimmt.“ 179
In Ergänzung hierzu baut die Initiative „Wohlfühlzone Schule“ bei den geförderten
Projekten darauf, dass es auf Schulebene klare und transparente Vorgehensweisen bei
Verdacht auf Mobbing gibt bzw. diese aufgebaut werden. Dies schafft einen klaren
Rahmen für Lehrer*innen, wie bei Verdachtssituationen vorzugehen ist und welche
Schritte in welcher Abfolge unternommen werden. Das stellt klar, wo die Verantwort-
lichkeiten liegen und welche konkreten Handlungen gesetzt werden (können), um die
Situation wieder zu verbessern. Dieser klare Rahmen und das begleitend aufzubauende
Unterstützungssystem soll somit auch einer Überforderung in diesen komplexen und
herausfordernden Situationen entgegenwirken und Belastungsfaktoren reduzieren.180
Fazit
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Initiative „Wohlfühlzone Schule“ das
Ziel hat, psychosoziale Gesundheit der Schüler*innen und Lehrer*innen zu fördern
sowie aktive und nachhaltige Prävention von Gewalt und Mobbing zu ermöglichen.
Die Vorgehensweise hierbei entspricht einem indirekten Präventionsmodell mit
181 Fonds Gesundes Österreich (d) (o.J.): Wohlfühlzone Schule. Hintergrundinformationen und Evidenz.
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Zu den Autor*innen
D
Marlies Kranebitter as im Mai 2017 gestartete Projekt „Lehrer*innen-Gesundheit: Gestärkt für
& Doris Schiestl den Schulalltag“ für Tiroler Pflichtschulen hat die Verbesserung der Arbeits-
bedingungen von Kollegien und die Stärkung der persönlichen Ressourcen
im Umgang mit den täglichen Arbeitsbelastungen im Fokus. Das Projekt unterstützt
Schulleiter*innen und Lehrer*innen dabei, mit sich und den eigenen Ressourcen
achtsam umzugehen und dabei die eigene Gesundheit bzw. die Gesundheit der ge-
samten Schule selbst in die Hand zu nehmen, um das (berufliche und private) Leben
gut meistern zu können.
Das Projekt „Lehrer*innen-Gesundheit: Gestärkt für den Schulalltag“ wurde von der
PH Tirol beim Fonds für Gesundes Österreich (FGÖ) beantragt, genehmigt und wird
seit 2017 von der PH umgesetzt. Das Projekt hat die Verbesserung der psychischen
Gesundheit der Tiroler Pflichtschullehrer*innen zum Ziel. Die Lehrenden sollen
nicht nur den Bildungsauftrag effektiv erfüllen, sondern dabei auch gesund bleiben,
motiviert und gern unterrichten. Dies bedeutet, dass die Qualität der Prozesse und
die Gesundheit der Lehrer*innen gleichzeitig, integriert und wechselseitig abhängig
gefördert werden.
Nach der Interessenbekundung durch die Schulleitung klärt das Projektteam der
PH Tirol und der BVAEB in Erstgesprächen an den Schulen die Motivation für die
Teilnahme am Projekt, Rahmenbedingungen, Konzept und Ablauf. Ist die Resonanz
im Kollegium (anonyme Abstimmung mindestens 80 %) positiv, kann die Schule am
Projekt teilnehmen.
Die sehr positive Resonanz dieses Projektes in den Schulen, das hohe gesundheits-
förderliche Potenzial sowie die produktive Zusammenarbeit aller Partner belegen die
Sinnhaftigkeit und Wichtigkeit dieses Unterstützungsangebots. Sie bestärken das
Projektteam der PH Tirol, mit einer dauerhaften Finanzierung das Unterstützungs-
angebot Lehrer*innen-Gesundheit für alle interessierten Tirol Schulen zu etablieren.
Ziel des Projektes sind verbesserte Arbeitsbedingungen an der Schule und gestärkte
persönliche Ressourcen im Umgang mit den täglichen Arbeitsbelastungen (Prävention)
der Lehrer*innen sowie die Reduktion der konkreten Belastungen und Beanspruchungen
der Beschäftigten an der Schule durch gemeinsame Schussfolgerungen von Kollegien
mit Hilfe von externen Moderator*innen sowie die Umsetzung von standortspezi-
fischen gesundheitsförderlichen Fortbildungen (SCHILF).
Im Modul 1 wurde und wird fachliche Expertise aufgebaut und weiter vertieft, damit den
Schulen ein großer Pool an qualifizierten Moderator*innen und Prozessbegleiter*innen
mit vielfältigen Kompetenzen zur Umsetzung dieses Projektes zur Verfügung stehen.
Im zentralen Modul 3 steht die Frage im Zentrum, wie Schulleiter*innen und Kol-
legium aus eigener Kraft gesundheitsförderliche Arbeitsverhältnisse an ihrer Schule
entwickeln können. Die Ergebnisse des Diagnoseverfahrens IEGL (Inventar zur Er-
fassung der Ressourcen im Lehrberuf) helfen den Schulen zu erkennen, welche Stärken
und Ressourcen, welchen Veränderungsbedarf sie haben und welche Interventionen
notwendig sind. Geplant war, das Unterstützungsangebot an 50 Tiroler Allgemeinbil-
denden Pflichtschulen durchzuführen. Derzeit befinden sich 71 Schulen im Projekt.
Die Aktivitäten im Modul 5 konzentrieren sich auf die Vernetzung der Projektschulen
und aller relevanten schulischen Systempartner, um die unterstützenden Maßnahmen
nach Projektende zu sichern, aber auch um das Thema der Lehrer*innen-Gesundheit
dauerhaft mit dem Konzept der Schulqualität zu verbinden.
Das Projekt wird von der PH Tirol und von einem Netzwerk (siehe Abb.) – dem
Projektträger FGÖ, Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und
Bergbau (BVAEB), Landesstelle Tirol Landesstelle Tirol, der Bildungsdirektion und
Sanitätsdirektion des Landes Tirol – finanziell getragen. Im Jahr 2020 schloss sich die
Kranken- und Unfallfürsorge (KUF) der Partnerschaft an. Durch die anteilige Finan-
zierung der Partner wurde erreicht, dass nach Ablauf des Förderzeitraums (Mai 2021)
die Fortführung der unterstützenden Maßnahmen finanziell für die nächsten zwei
Jahre gesichert ist und das Thema der Lehrer*innen-Gesundheit nachhaltig in den
Schul- und Qualitätsentwicklungsprozessen verankert werden kann.
Geplante Projektdauer 30 Monate: 15. Mai 2017 bis 30. November 2019
Antragsteller PH Tirol
Projektpartner Versicherungen:
BVAEB, Landesstelle Tirol und KUF (seit Juli 2020)
Land Tirol (Bildungs- und Landessanitätsdirektion)
Projektleitung PH Tirol
Wissenschaftlicher Hintergrund
Grundlage bildet die Potsdamer Lehrerstudie zur Belastung und Beanspruchung von
Lehrerinnen und Lehrern, die von Prof. Dr. Uwe Schaarschmidt von 1995 bis 2006
durchgeführt wurde. Sie umfasste neben breit angelegten Erhebungen zur Arbeits- und
Gesundheitssituation auch die Erprobung verschiedener Interventionen. Aufbauend
auf diesen Erkenntnissen entwickelte das Institut COPING (Uwe Schaarschmidt und
Andreas W. Fischer) das Diagnoseinstrument IEGL sowie das Unterstützungsprogramm
Denkanstöße! für Schulen, das seit 2008 im gesamten deutschsprachigen Raum genutzt
wird. Sowohl die Potsdamer Lehrerstudie als auch das Programm Denkanstöße! sind in
der Literatur umfassend dokumentiert.182
Nach Schaarschmidt & Fischer (2001) ist „Psychische Gesundheit … mehr als allgemei-
nes Wohlbefinden. Psychisch gesund ist … ein Mensch, dem es im Alltag gelingt, sich
engagiert und doch entspannt den Anforderungen zu stellen, der über eine positive
Einstellung zu sich selbst und zu den eigenen Wirkungsmöglichkeiten verfügt, der
Ziele verfolgt, in seinem Tun Sinn erfahren kann und sich sozial aufgehoben fühlt.“183
Das Ausmaß der psychischen Gesundheit eines Menschen hängt von dessen persön-
lichen Ressourcen wie auch Bedingungen seiner Umwelt ab und kann durch gezielte
Einflussnahme verbessert werden.
Zur Sensibilisierung der Schulleitungen und ihrer Lehrer*innen für das Thema Ge-
sundheit am Arbeitsplatz Schule nutzt/e das PH-Team die vielfältigen Möglichkeiten
und Kontakte seiner Organisation und Systempartner (v. a. Bildungsdirektion, Abt.
Schulpsychologie, SQM). Konzept und Umsetzung überzeugten die Schulen schnell.
Schritt 2 Erstgespräch an Schulen: Sind wir gut dafür gerüstet? In Form von
Workshops mit den Schulleiter*innen und den Mitgliedern der Steuer-
teams an den Schulen werden gemeinsam mit einer Mitarbeiterin des
Projektteams und einer Mitarbeiter*in der BVAEB geklärt:
Wenn sich Schulleitungen nach dem Erstgespräch für eine Umsetzung am Schulstand-
ort entscheiden (unterschriebene Checkliste durch Schulleitung) und das PHT-Team
und BVAEB-Team zum Schluss kommen, dass die Schule die erforderlichen Voraus-
setzungen mitbringt, wird ein*e passende*r IEGL-Moderator*in der Schule zugewiesen.
Schritt 5 Erhebung IST-Stand zur Analyse der Verhältnisse und der Beanspru-
chung
Die Erhebung an der Schule erfolgt durch die Firma COPING im Auftrag der PH Tirol.
Mit dem auf wissenschaftlicher Grundlage entwickelten Inventar zur Erfassung von
Gesundheitsressourcen im Lehrerberuf (IEGL; Schaarschmidt & Fischer, 2013) wird eine
breit angelegte Erhebung der schulischen Verhältnisse unter dem Aspekt Gesundheit
vorgenommen. Gegenstand der Analyse sind zum einen die Lehrer*innen selbst, zum
anderen die schulischen Bedingungen sowie das Führungsverhalten der Leitung. Um
die aktuellen Herausforderungen im Lehrberuf durch Corona-Bedingungen erfassen
zu können, wurde der Fragebogen IEGL 2020 um die beiden Merkmale Distance Tea-
ching und Distance Learning erweitert.
Das eigene Ergebnis dieser Analyse erhält jede Lehrperson per Knopfdruck. Sie kann
damit – ohne sich anderen offenbaren zu müssen – ihre persönlichen Gesundheitsres-
sourcen erkunden sowie auf mögliche Risiken gesundheitsgefährdender Entwicklungen
schließen und entsprechende Schlussfolgerungen ziehen.
Mit dem Fragebogen schätzen die Lehrpersonen einer Schule darüber hinaus die
Stärken wie auch die Defizite in den konkreten Arbeitsverhältnissen ein. Diese Aus-
sagen beziehen sich auf die pädagogische Arbeit im engeren Sinne, die sachlichen und
organisatorischen Bedingungen und nicht zuletzt die sozialen Beziehungen.
Alle Einzelergebnisse werden in einem Bericht für die Schule zusammengefasst, der die
Grundlage für die Analyse, Interpretation, Diskussion und Ableitung von Schlussfolge-
rungen durch Leitung und Kollegium bildet. Neben Gesamtdarstellungen erfolgt eine
differenzierte Betrachtung nach jenen Merkmalen, die für die Ableitung von Schluss-
folgerungen und die Begründung von unterstützenden Maßnahmen bedeutsam sind.
Ziel ist die Beratung und Hilfestellung beim Konkretisieren des gewünschten Bedarfs
an gesundheitsförderlichen Fortbildungen.
Checkliste184
Im Sinne des Qualitätskreislaufs (plan-do-check-act) findet nach 1,5 bis 2 Jahren ein
Reflexionsgespräch (PHT und BVAEB) mit Schulleitung und Steuerteam statt. Neben
der Bilanzierung wird der Ablauf der Zweitbefragung vereinbart und bei Bedarf eine
Integrationsvereinbarung (PHT und BVAEB) mit den Schulen abgeschlossen.
Die externe Analyse der Strukturbedingungen offenbart eine sehr vorteilhafte Aus-
gangssituation für die Durchführung der Projektaktivitäten.
Die hohe Qualität der Kooperationsbeziehungen an sich stellt ein wichtiges Resultat
des Projekts „Lehrer*innen-Gesundheit im Fokus“ dar, ist allerdings gleichzeitig eine
Voraussetzung für die hohe Akzeptanz der Projektaktivitäten an den Schulen.
Häufig kommt es vor, dass Modellvorhaben scheitern, weil sie nicht genügend in-
stitutionelle Unterstützung bekommen. Im Projekt „Lehrer*innen-Gesundheit im
Fokus“ gelingt es sehr gut, die relevanten Institutionen zu identifizieren und sie ins
Projektgeschehen einzubinden. Durch die Übereinstimmung von organisationalen
und Projektzielen ergibt sich ein dauerhaftes Engagement, das den teilnehmenden
Schulen und Lehrpersonen zugutekommt.
Das Projekt führt keine isolierten Aktivitäten durch, sondern steuert einen schul-
entwicklerischen Prozess, der sich gut in die Abläufe des schulischen QMS in den
Schulen einfügt. Darüber hinaus ist es von Vorteil, dass die Mechanismen, die durch
das Projekt genutzt werden, den Schulen bekannt sind. Sie sind zudem als Qualitäts-
zyklen (Diagnostik-Maßnahmen-Diagnostik etc.) konzipiert, wodurch die zukünftige
selbstständige Nutzung durch die Schulen gefördert wird.
Hierbei handelt es sich um eine der zentralen Wirkketten des Projekts „Lehrer*innen-
Gesundheit im Fokus“: Im Rahmen eines partizipativ gestalteten Prozesses auf Basis
von Ergebnissen, die unter Anwendung präziser Diagnostikinstrumente ermittelt
Durch die Leistung von Hilfe zur Selbsthilfe versucht das Projekt Resultate her-
beizuführen, die nicht mit dem Projektende vom Standort verschwinden, sondern
dauerhaft in die Schulkultur und -führung integriert werden. Zum einen wird dies
durch die Anbahnung von Prozessen und konkret durch die Einführung des Zyklus
„Diagnostik-Maßnahmen-Diagnostik“ gewährleistet. Zum anderen wird durch das
Projekt auf die (Beziehungs-)Strukturen der Schulen eingewirkt und somit nachhaltig
der Schulalltag verändert.
Eine Stärke des Projektkonzepts stellt auch seine hohe Transferfähigkeit dar. Es eignet
sich für den Einsatz in allen Schultypen und Einrichtungen von Kindergärten bis Hoch-
schulen (bei der Ausbildung von Lehramtsstudierenden) ohne oder mit nur minimalen
Veränderungen. Die Erfahrungen zeigen, dass es sowohl an kleinen wie auch an großen
Schulen zu positiven Resultaten führt. Vom gesamten Knowhow können nicht nur
die Letztzielgruppen, sondern auch andere Schulentwicklungsprojekte profitieren.
Resümee
Das Projekt gibt vielen Schulen Zuversicht, dass sie etwas Sinnvolles im Bereich der
Lehrer*innengesundheit tun und dies mit dem Schulqualitätsmanagement verknüpfen
können. Eine qualitätsvolle Schule ist eng mit der Gesundheit der Lehrenden und
auch der Schüler*innen verknüpft – beides sollte zukünftig noch mehr in den Blick
genommen werden.
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Schaarschmidt, U./Kieschke, U. (Hrsg.) (2007): Gerüstet für den Schulalltag. Psychologische Unter
stützungsangebote für Lehrer*innen. Weinheim und Basel: Beltz.
Zu den Autorinnen
Marlies Kranebitter, Mag.a, ist Projektinitiatorin und Projektleiterin des beschriebenen Projekts.
https://ph-tirol.ac.at/lehrerinnengesundheit
Eine ausführliche Darstellung zum Programm Denkanstöße! und zur Arbeit mit dem Inventar zur
Erfassung von Gesundheitsressourcen im Lehrerberuf IEGL findet sich unter ichundmeineschule.eu.
G
Victoria Gönitzer, Laurenz Stain, esundheit und Bildung hängen unweigerlich zusammen und sind auf mehre-
Siquia Santos Santiago, ren Ebenen miteinander verwoben. So hat nicht nur der Bildungsgrad einen
Julia Felix, Christina Fürst, starken Einfluss auf den Gesundheitszustand im Allgemeinen und die Le-
Sabine Fischer benserwartung, sondern auch das Schulleben und die Unterrichtsqualität wirken sich
entscheidend auf Lernende wie auch Lehrende aus – und guter, qualitätsvoller Unter-
richt kann wiederum nur von gesunden Pädagog*innen gestaltet werden186 .
Gesundheit wird nicht nur von genetischen Dispositionen oder anderen unveränder-
baren Faktoren, wie Alter oder Geschlecht, bestimmt, sondern neben unserem indivi-
duellen Lebensstil und Gesundheitsverhalten vor allem auch durch soziale Netzwerke,
Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie allgemeine sozioökonomische, kulturelle und
umweltbezogene Verhältnisse beeinflusst.187 Deshalb wirkt sich auch die Lern- und
Arbeitswelt Schule stark auf die Gesundheit von allen an Schulen beteiligten Personen
aus – das betrifft die Schulleitungen, die Pädagog*innen sowie das nicht-unterrichtende
Personal gleichermaßen wie die Schüler*innen.
Verhaltensorientierte Maßnahmen zielen in erster Linie auf die positive Beeinflussung des
Verhaltens der beteiligten Personen ab. Ein Beispiel wäre ein Stressmanagement-Workshop,
der die Teilnehmer*innen zu einem konstruktiven Umgang mit ihrem persönlichen Stress-
erleben befähigen soll. Im Gegensatz dazu verfolgen verhältnisorientierte Maßnahmen das
Ziel, Rahmenbedingungen und Arbeitsbedingungen positiv zu beeinflussen. Diese sollen
bestenfalls gesundheitsförderlich und nicht gesundheitsschädlich oder -belastend gestal-
tet werden193 – das kann beispielsweise von einer gesunden Verpflegung durch das Schul-
buffet über Rückzugsräume für Pädagog*innen bis hin zu einer guten Arbeits- und Unter-
richtsorganisation sehr viele verschiedene Bereiche betreffen.
Die BVAEB unterstützt Schulen im Rahmen des 2019 gegründeten Netzwerks „Ge-
sunder Arbeitsplatz Schule“ auf 3 verschiedenen Ebenen:
Prozessablauf im Detail
1. Projektstruktur
2. Diagnose
3. Planung
4. Umsetzung
5. Evaluierung
1. Projektstruktur – Vorprojektphase
Der Grundstein für die Silberpartnerschaft wird bereits in der Vorprojektphase gelegt
und beginnt mit einer detaillierten Beratung und Information der interessierten Schule,
im Rahmen derer abgestimmt wird, wie konkret ein Gesundheitsförderungsprozess direkt
Eine Projektvereinbarung, die die wichtigsten Eckpunkte der Projektplanung wie Ziele
und Meilensteine festhält und den Rahmen vorgibt, wird entworfen und unterzeichnet.
Zusätzlich bekennt sich die Schule mit der Unterzeichnung einer Charta als Grund-
satzdokument zu den Qualitätskriterien und Prinzipien der Gesundheitsförderung.
3. Planung
Praxisbeispiel I: In der Diagnosephase fand an der Volksschule als erster Schritt ein Sensibi-
lisierungsworkshop mit der Schulleitung statt, um Ressourcen, Belastungen und Lösungs-
ansätze aus Sicht der Führungsebene zu beleuchten. Im Anschluss waren in einem Gesund-
heitsworkshop die Lehrerinnen und Lehrer sowie der Schulsekretär gefragt. Im Bereich von
Belastungen der psychosozialen Gesundheit ergab sich schnell der Wunsch, die interne
Kommunikation zu thematisieren und zu verbessern. Auch der gesundheitsförderliche Um-
gang mit Schüler*innen sowie Eltern wurde in diesem Zusammenhang als Ziel im Kontext
von Kommunikation definiert. Weitere Belastungen wurden im Bereich des Gesundheitsver-
haltens identifiziert: Berufsbedingte Rückenbeschwerden und das fehlende Knowhow für
eine gesunde und einfach umsetzbare Ernährung im Arbeitsalltag wurden sowohl von der
Schulleitung als auch vom restlichen Team angesprochen.
Themen der psychosozialen Gesundheit spiegeln sich dabei in beinahe allen Themen-
feldern wider. Trotzdem ist es im Sinne der Ganzheitlichkeit und eines umfassenden
Gesundheitsbegriffs wichtig, alle Facetten und Bereiche im Zuge eines Gesundheits-
förderungsprozesses zu beleuchten.198
4. Umsetzung
In weiterer Folge werden die festgelegten Maßnahmen Schritt für Schritt umgesetzt.
Wie bereits erwähnt, ist dabei ein ausgewogenes Verhältnis bzw. eine Kombination
aus verhaltens- und verhältnisorientierten Maßnahmen wichtig – nicht nur das Ge-
sundheitsverhalten der Lehrkräfte und dessen Stärkung (z. B. durch Angebote im
Bewegungs- und Ernährungsbereich oder im Bereich des Stimmtrainings), sondern
auch Rahmenbedingungen, wie das Schulklima, die Teamkultur, die Ausstattung
der Schule sowie die Gestaltung des Arbeitsplatzes oder zeitliche Strukturen, spie-
len demnach eine wichtige Rolle. Anhand von Einzelmodulen, die von Schulen im
Rahmen des ganzheitlichen Gesundheitsförderungsprozesses der BVAEB kostenlos
in Anspruch genommen werden können, unterstützen Trainer*innen aus einem be-
währten Expert*innenpool je nach Bedarf mit Vorträgen, Seminaren oder Workshops
aus den Bereichen Ernährung, Bewegung, seelische Gesundheit, Stimmgesundheit
und Tabakentwöhnung. Außerdem erhalten die Schulen eine finanzielle Förderung,
die bei Erfüllung von festgelegten Qualitätskriterien ebenfalls für die Umsetzung von
gesundheitsfördernden Maßnahmen verwendet werden kann.
Praxisbeispiel I: Die Maßnahmenumsetzung an der Volksschule wurde auf Basis der Ergeb-
nisse aus der Diagnosephase mit mehreren Workshops zu verschiedenen Themenberei-
chen, wie „Gesunder Rücken“, „Entspannung“ oder auch diversen Workshops zur „Gesunden
Ernährung“ gestartet, um das Bewusstsein für diese Themen zu schärfen und das Hand-
lungs- und Effektwissen des Teams dazu zu erweitern. Im Kollegium stellte sich zusehends
auch Interesse an dem Themengebiet der „Neuen Autorität“ heraus. Es folgte ein Work-
shop, im Zuge dessen der Referent das gesamte Team für das Thema anhaltend begeistern
konnte. Nach und nach zeigte die Schule ein wachsendes Interesse an weiteren Workshops
zu Themen wie „Teambuilding“ und „Kommunikation“ oder auch „Stressmanagement“ mit
diesem Experten. Die Fortführung der Workshops mit dem Trainer wurde in regelmäßigen
198 Siehe dazu auch wieder die Grundprinzipien der Gesundheitsförderung, z. B. Fonds Gesundes Österreich
(o. J.)
5. Evaluierung
Goldpartnerschaft
Wenn Schulen nach Abschluss der Silberpartnerschaft bestimmte Kriterien auf allen drei
Qualitätsebenen (Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität) erfüllen, kann eine 2-jährige
Goldpartnerschaft mit der BVAEB abgeschlossen werden. In der Goldpartnerschaft
geht es darum, Gesundheitsförderung langfristig an Schulen zu implementieren. Der
Projektzyklus wird analog zur Silberpartnerschaft weitergeführt (siehe Abb. 2). Solange
die Qualitätskriterien von einer Schule erfüllt werden, kann die Goldpartnerschaft in
2-Jahreszyklen immer wieder verlängert bzw. wiederholt werden.
Zudem besteht in der Goldpartnerschaft die Möglichkeit, die an Schulen tätigen Per-
sonen zu Gesundheitsmultiplikator*innen zu verschiedenen Themen der Gesundheit
und Gesundheitsförderung ausbilden zu lassen.
Multiplikator*innenschulungen
Interessierte Schulleitungen, Pädagog*innen sowie nicht-unterrichtende Mitarbeitende
können im Zuge der BVAEB-Goldpartnerschaft an Multiplikator*innenausbildungen teil-
nehmen. Das erlernte Wissen und dessen praktische Umsetzung kann mit Begeisterung in
den Schulalltag getragen werden, wo die Inhalte mit der Zeit einen selbstverständlichen und
festen Platz in der Schulkultur finden und so nachhaltig wirken können. Das Erlernte trägt
zur Gesundheitsförderung aller Schulbeteiligten bei, da sowohl ausgewählte Übungen für
Die Inhalte des Schulungskonzeptes im Bereich der seelischen Gesundheit sind vielfältig –
zur Stärkung der seelischen Gesundheit werden Themen wie Atemtechniken, Resilienz und
Achtsamkeit, Kognition und Bewältigung von Stress sowie das Thema Selbstwertstärkung
behandelt. So kann jede*r Teilnehmer*in etwas Passendes für sich finden, um die eigene Ge-
sundheit zu fördern, zu erhalten, zu stärken und immer wieder zu regulieren – ganz im Sinne
des dynamischen Verständnisses von Gesundheit, als ein sich ständiges mehr oder weniger
Hin- und Herbewegen auf einem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum, wie es der Medizin-
soziologe und Gesundheitswissenschaftler Aaron Antonovsky im Rahmen seines Salutoge-
nese-Ansatzes beschreibt. 200
Praxisbeispiel III: Eine Allgemeine Sonderschule entschied sich für den Start eines BVAEB-
Gesundheitsförderungsprozesses, um die psychosoziale Gesundheit aller an der Schule Täti-
gen zu stärken und damit den Umgang mit den vielfältigen Herausforderungen im Schulall-
tag einer Sonderschule zu verbessern. An dieser Schule sind nicht nur Pädagog*innen tätig,
sondern auch unterstützendes nicht-unterrichtendes Personal wie Schulbegleiter*innen
sowie Nachmittagsbetreuer*innen. Für die Beteiligten war klar, dass die gewünschten Ziele
nur gemeinsam behandelt und erreicht werden können, weshalb sich im Gesundheitsteam
neben interessierten Lehrkräften auch Vertretungen der weiteren Berufsgruppen an der
Schule wiederfanden und so das gesamte Team in den Gesundheitsförderungsprozess ein-
bezogen wurde. Auf Grundlage der Ergebnisse aus der Diagnosephase wurde unter anderem
ein Achtsamkeits-Workshop für interessierte Pädagog*innen, Kolleg*innen des nicht-unter-
richtenden Personals und die Schulleitung durchgeführt. Nach der Veranstaltung setzte die
Schulleitung daraufhin die Anregungen und das erworbene Wissen aus dem Workshop nicht
nur auf der individuellen Ebene, sondern auch auf der Verhältnisebene um. Sie kümmerte
sich um kurze Achtsamkeits-Sprüche für den Alltag, um dadurch immer wieder einen Impuls
zum Innehalten zu geben und das gesamte Team einzuladen, Achtsamkeit im Alltag zu prak-
tizieren. Dadurch ermöglichte sie allen an der Schule Tätigen mehr Bewusstheit für dieses
Thema und bot gleichsam einen Erfahrungsraum dafür. Ferner stärkte die Erfahrung, dass
sich die Schulleitung um das Wohlergehen im gelebten Schulalltag einsetzte, das soziale Ge-
füge und somit die psychosoziale Gesundheit des gesamten Teams. Zusätzlich wurde als ver-
hältnisorientierte Maßnahme gemeinsam ein Ruheraum für die Mitarbeitenden eingerichtet.
Wie bereits Mag.a Dr.in Rosemarie Felder-Puig, MSc und Mag. Dr. Robert Griebler in
ihrem Beitrag „Studienergebnisse zur Gesundheit von Lehrkräften aus Österreich und
Deutschland“ in diesem Band gezeigt haben, sind durch die COVID-19-Pandemie zu-
sätzliche Herausforderungen im Schulalltag und für alle an Schulen tätigen Personen
entstanden. Um die Schulleitungen, Pädagog*innen sowie das nicht-unterrichtende
Personal auch in diesen Zeiten mit gesundheitsfördernden Maßnahmen und Angebo-
ten zu unterstützen, hat die BVAEB die Prozessbetreuung „Gesundheitsförderung am
Arbeitsplatz Schule“ gänzlich auf eine digitale Form umgestellt. Zusätzlich wurden
österreichweit eine Reihe von Impulsvorträgen und Workshops zu Themen der psycho-
sozialen Gesundheit im Online-Format veranstaltet, um den Pädagog*innen Wissen
und Fähigkeiten für den Umgang in psychisch belastenden Situationen in die Hand
zu geben. Im Rahmen der Fortbildungen konnten Inhalte wie „Die 5 Stufen der Krise
– eine psychologische Betrachtung“, „Resilienz – Wege zu mehr psychischer Wider-
standskraft“, „Gesundes Führen für Schulleitungen in herausfordernden Situationen“
oder „Kraftquelle: Erholsam schlafen“ vermittelt werden und von Lehrer*innen in ganz
Österreich aufgenommen und umgesetzt werden. Die Teilnehmer*innen hatten die
Möglichkeit, sich ein Bild zu den Themenbereichen zu machen, um in weiterer Folge
an der eigenen Schule vertiefend und personalisiert weiter daran arbeiten zu können.
Ferner wurden Online-Symposien – in Kooperation mit den Bildungsdirektionen und
Pädagogischen Hochschulen der jeweiligen Bundesländer – und österreichweite PH-
Fortbildungsseminare, die großteils online stattgefunden haben, ins Leben gerufen,
um die Zielgruppe für die Themen Gesundheit, Gesundheitsförderung, psychosoziale
Gesundheit und die Stärkung der Gesundheitskompetenz zu sensibilisieren.
Achermann, Fawcett Emilie/ Keller, Roger/ Gabola, Piera (2018): Bedeutung der Gesundheit von Schul-
leitenden und Lehrpersonen für die Gesundheit und den Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern.
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jung, um alt zu sein. Konzepte – Forschungsergebnisse – Instrumente. Bertelsmann, Bielefeld. S. 135-146.
Victoria Gönitzer, BA MA; Laurenz Stain, BSc MSc; Mag.a Siquia Santos Santiago; Julia Felix, BSc MPH;
Christina Fürst, MA; Sabine Fischer – alle Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und
Bergbau (BVAEB).
D
ie seelische Balance und Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern ist häufig
stürmischen Herausforderungen ausgesetzt. Bestimmte Gegebenheiten las-
sen sich oft nicht ändern. Wie wir jedoch darauf reagieren, kann einen Un-
terschied machen. Wenn wir Missgeschicken und Krisen als unvermeidbare mensch-
liche Erfahrungen begegnen, konstruktiv und flexibel damit umgehen, sie in unser
Leben integrieren und im besten Fall daran wachsen, steigern wir unsere Resilienz,
unsere Widerstandsfähigkeit weiteren Anforderungen gegenüber.
Dazu dienen uns nach Graham (2020) fünf Arten von Intelligenz, die uns Menschen
innewohnen. 202
1. Mit körperbasierten Werkzeugen wie Atmung, Bewegung, Visualisierung können wir auf
die somatische Intelligenz, jene, die dem Körper innewohnt, zurückgreifen.
2. Die emotionale Intelligenz hilft, mit heftigen Momenten und schwierigen Gefühlen
3. Wenn wir die Beziehungsintelligenz zu uns selbst einsetzen, können wir unsere inneren
verschiedenen Anteile erkennen und annehmen und so z. B. inneren Kritikern Gegenspieler
zur Seite stellen, innere Erwartungen und Einstellungen wahrnehmen und auf Stimmigkeit
prüfen und so unser sicheres, bewusstes, werterkennendes Selbst als Grundlage unserer
Widerstandsfähigkeit erleben.
2. mit rascher Regeneration, die Zweige könnten sich kurzfristig verbiegen und sich nach
dem Sturm wieder in die Ausgangslage zurückbewegen;
3. mit Rekonfiguration, der Baum nimmt da oder dort eine neue Form an, die künftigen
Stürmen weniger Angriffsfläche bietet. 205
Auf den Menschen übertragen würde die resistente Form der Resilienz eine psychische
Immunität bedeuten, das heißt, das Individuum bleibt hinsichtlich verschiedenster,
auch schwerwiegender Belastungen gegenüber stabil und gesund. Resiliente Menschen
können aber auch nach kurzfristigem Belastungserleben regenerieren, das heißt nach
einiger Zeit ohne größere Schwierigkeiten wieder zu ihrer Ausgangslage zurückfinden.
Das System funktioniert aus diesem Blickwinkel nach dem Prinzip der Homöostase,
wobei es mit selbstregulativen Fähigkeiten Stabilität erhalten kann. Nach besonderen
Belastungen wie traumatischen Erfahrungen kann es erforderlich sein, Verhaltenswei-
sen oder kognitive Prozesse (z. B. Einstellungen) zu verändern. Hier kann eine enorme
Anpassungsleistung notwendig sein.
Resilienz kann auch als inhaltliche Dimension verstanden werden, als nachhaltige und
generelle Resilienz. Diese sei unabhängig vom aktuellen Stressor. Trotz belastender
bzw. traumatischer Ereignisse würde die eigene Lebensenergie, Lebensfreude und die
Einschätzung der Sinnhaftigkeit des Lebens erhalten bleiben.206
Welche personalen und externalen Ressourcen können nun als schützend für den
Erhalt und den Aufbau von Widerstandskraft herangezogen werden? Im Folgenden
werden sechs ausgewählte Schlüsselfaktoren näher beleuchtet, die im gesundheits-
wissenschaftlichen und im pädagogischen Kontext relevant zu sein scheinen:
Ausgewählte Schlüsselfaktoren
„Die schwierigste Zeit in unserem Leben ist die beste Gelegenheit, innere Stärke zu
entwickeln.“ „Verbringe jeden Tag einige Zeit mit dir selbst.“
Beide Zitate: Dalai Lama
Gerade Lehrpersonen, die sich aufgrund ihres sozialen Berufes häufig um andere
kümmern, vergessen manchmal auf sich selbst, die eigenen Bedürfnisse, Emotionen
und Zustände wahrzunehmen und selbstverantwortlich und achtsam mit dem eigenen
Selbst umzugehen.209 Wenn wir Selbstreflexion betreiben, kann ein erweitertes Selbst-
bewusst-sein entstehen. Dafür braucht es Selbstzuwendung. Das darf uns unser Selbst
wert sein. Weil es persönlicher und weniger sperrig ist, erlaube ich mir als Pädagogin,
dich, liebe Leserin, lieber Leser in den Übungen mit dem kollegialen Du anzusprechen.
Übung 1: Sich selbst die beste Freundin, der beste Freund sein 210
Stell dir vor, deiner besten Freundin, deinem besten Freund geht es nicht gut. Die
beruflichen Herausforderungen sind zurzeit enorm, sie*er leidet unter mangelnder
Wertschätzung und auch privat spitzt es sich zu. Dein*e Freund*in spürt immer stär-
keres Unwohlsein, fühlt sich überfordert und sieht keinen Ausweg. Wie gehst du mit
dieser Person um? Was sagst du zu ihr? Was tust du?
Notiere hier deine Strategien, wie du andere, dir nahestehende Menschen bestmög-
lich unterstützt:
Stell dir nun vor, du selbst wärst in einer ähnlichen Situation. Wie gehst du mit dir
selbst um? Was denkst du? Was fühlst du? Was tust du?
Wenn du nun feststellst, dass du dir selbst gegenüber genauso verständnis- und liebe-
voll wie besten Freundinnen und Freunden gegenüber agierst, darfst du dich über dein
Selbstmitgefühl freuen. Solltest du einen Unterschied bemerkt haben, dass du mit dir
selbst kritischer, strenger, ungeduldiger, härter und zweifelnder umgehst, dann fühle
dich eingeladen, achtsam und neugierig deine Erwartungshaltungen zu beobachten
und wahrzunehmen. Notiere hier deine Gedanken und Gefühle:
Hast du Erwartungen an dir selbst wahrgenommen, die mit einem sehr anspruchsvollen
Selbstbild, perfektionistischer oder idealisierter Vorstellungen verknüpft sind? Fühlst
du dich enttäuscht von dir, weil etwas derzeit nicht so großartig funktioniert, wie du
dir das vorgestellt, gewünscht, erwartet hättest? Spürst du dabei eventuell Scham,
Sorge, Trauer, Zweifel oder Angst, zum Beispiel nicht zu genügen? Je höher unsere Er-
wartungen sind, umso bedrohlicher kann sich eine solche Situation anfühlen. Hast du
den Eindruck, andere schaffen das besser? An dieser Stelle nimm bitte den Gedanken
auf, dass uns die emotionalen Sorgen und Probleme anderer oft in ihrer Tragweite
verborgen bleiben, während uns unsere eigenen Schwächen deutlich bewusst sind.
Ein wichtiger Schritt ist nun, entsprechende Glaubenssätze und Prägungen ans Licht
zu holen, Wahrnehmungsverzerrungen zu korrigieren und überhöhte Selbstkritik
Wenn du möchtest, setze dich aufrecht und entspannt hin, schließe deine Augen, atme
ruhig ein und aus, richte deinen Fokus nach innen. Zähle von fünf rückwärts bis eins
und lasse ein inneres Bild der entsprechenden Zahl aufsteigen, zentriere dich. Du übst
nun konzentrative Entspannung und bist ganz bei dir. Lasse nun vor deinem geistigen
Auge einen hellblauen Himmel erscheinen. Stelle nun deine Fragen: Welche Glaubens-
sätze sind hinderlich für mich? Welche sollen losgelassen oder abgeändert werden?
Und weiter: Wie lautet mein stimmiges, freundliches und wertschätzendes Selbst-
gespräch? Was sage ich als meine beste Freundin, mein bester Freund zu mir selbst?
Welche Strategien empfehle und verordne ich mir selbst? Lass alles zu, was kommen
mag. Lausche deiner inneren Stimme und halte für dich fest:
Zu einem Leben, das Anstrengung und Leistung verlangt, gehören auch Pausen und
Phasen der Erholung, Ruhe, Entlastung und Entspannung.211 Belastungen, die die Kräfte
übersteigen und die Energiereserven leeren, können ebenso wie lange Phasen der Pas-
sivität gesundheitlichen Schaden anrichten. Auf die Balance kommt es an. Um diese
herzustellen, nutzen Menschen unterschiedliche Möglichkeiten, wie Ausruhen, Aus-
schlafen, Lesen, Musik hören, Spielen, in die Natur gehen, Sporteln, Tanzen, Singen usw.
All dies stellt keine außergewöhnlichen Phänomene dar, sondern das sind Fähigkeiten,
Zustände und Verhaltensweisen, die in jedem Menschen angelegt sind. Es handelt sich
um Ressourcen, die manchmal im Trubel des Alltags überlagert und vergessen wer-
den, die aber durch Bewusstmachung und/oder bestimmte Techniken und Methoden
aktiviert werden können. Um Regenerationseffekte zu erzielen, braucht es kontinu-
ierliches Training von Entspannung und ein Implementieren von Erholungsphasen
im Alltag.213 Es gilt herauszufinden, was die eigene Seele stärkt und jedem persönlich
guttut. Welche Wirkstoffe (Ressourcen und Strategien) beleben und stärken dein
seelisches Immunsystem nebenwirkungsfrei?
Ich lade dich ein, folgende Übung in Mischform auszuprobieren. Diese umfasst Ele-
mente der Achtsamkeit, der Meditation und Imagination. Sämtliche Intelligenzen
nach Graham (siehe Kapitel ) werden dafür eingesetzt und geübt.
Setze dich stimmig, aufrecht und dennoch bequem hin. Der Kopf balanciert auf dem
obersten Wirbel. Wir können uns vorstellen, eine unsichtbare Schnur zieht uns am
Scheitel etwas nach oben. Es entsteht eine angenehme Dehnung im Nacken, die Ab-
stände zwischen den Wirbeln werden größer. Beide Beine stehen fest am Boden. Die
Hände liegen locker auf den Oberschenkeln. Wenn du magst, schließe deine Augen,
um nicht mehr abgelenkt zu sein, oder richte deinen Blick auf irgendeinen Punkt.
Beobachte nun deinen Atem – wie er einströmt und wieder ausströmt. Versinke in
deinem Atem, wir üben konzentrative Entspannung, lass deinen Atem geschehen und
sei voll präsent, ganz bei dir. Schenke deinem Atem die volle Aufmerksamkeit und
beobachte, wo und wie du ihn in den einzelnen Phasen wahrnimmst. Genieße deinen
Atemstrom.
Lenke nun deine Aufmerksamkeit auf deine Stirn – und entspanne die Muskulatur in
diesem Bereich, lass locker, wandere weiter zu deinen Augen, lass auch hier die kleinen
Muskeln locker, spüre deine Wangen, lass dein Kiefer fallen, alle Gesichtsmuskeln
werden weich, entspanne. Spüre in deinen Körper, ob noch irgendwo eine Spannung,
ein Druck ist. Wenn du einen Bewegungsimpuls bekommst, gib diesem nach.
Und nun stell dich auf deine Mitte ein. Zentriere dich. Du kannst ein Pendel visua-
lisieren. Beobachte, wie es in dir schwingt und lass es nun so lange auspendeln und
einschwingen, bis es in deiner Mitte zur Ruhe kommt. Fühl in dich hinein. Was nimmst
du wahr?
Nimm wahr, ob noch Reste von Stress in dir zu spüren sind. Wo und wie nimmst du
diesen wahr? Wenn du möchtest, konzentriere dich nun auf die Ausatmung, die Ein-
atmung passiert von selbst. Spür hin, was genau es ist, was du loszulassen möchtest,
das kann ein Gedanke, ein Gefühl, ein Wort, eine Situation sein. Nimm nun das, was
in dir aufsteigt ins Bewusstsein und lass es mit der nächsten Ausatmung los. Atme
bewusst aus. Wiederhole dies zwei, drei Mal für dich selbst.
Nun konzentriere dich auf die Einatmung, das Ausatmen geschieht von selbst. Spür
hin, ob es eine Qualität gibt, die du derzeit etwas vermisst, zum Beispiel Leichtigkeit
oder Lockerheit, Vertrauen, Hoffnung, Gelassenheit, Humor, inneren Frieden. Nimm
diese ins Bewusstsein, atme bewusst dabei ein und lass das entsprechende Wort in dir
klingen und wirken. Nimm noch weitere Qualitäten, die dir in den Sinn kommen, in
dir auf. So, wie es für dich stimmt.
Wie fühlst du dich nun? Hast du dir selbst Gutes getan? Selbstverantwortung, Selbst-
fürsorge, Selbstwahrnehmung, Selbstreflexion, Selbstwertschätzung und Selbstliebe
sind Voraussetzungen dafür, mit anderen und allem liebevoll umzugehen und der Welt
Gutes zu geben.
„Die letzte der menschlichen Freiheiten besteht in der Wahl der Einstellung zu den Dingen.“
Viktor Frankl
Wie können wir zu mehr Gelassenheit finden und nicht änderbare Situationen und
Gegebenheiten annehmen, um uns unnötigen Energieverbrauch durch Ärgern, Ängs-
tigen, Jammern und Grübeln zu ersparen? Wie kann es uns gelingen, Veränderung als
Teil des Lebens anzuerkennen?
Übung 3: AHA!
Stelle bitte drei Sessel auf. Der erste Sessel erhält die Beschriftung „negativ/unange-
nehm/schwierig“, der zweite ein Kärtchen mit dem Wort „neutral“ und der dritte die
Bezeichnung „(eher) positiv“. Denke nun an eine Situation aus deinem beruflichen
oder privaten Kontext, die großes Unbehagen erzeugt (hat). Setze dich nun auf den
„Schwierig-Stuhl“ und erzähle die Gründe deines Unwohlseins aus dieser Perspektive.
Lass deine Gedanken und Argumente noch nachwirken und spüre hin: Was fühlst du?
Was nimmst du körperlich wahr?
Nun setze dich auf den „neutralen“ Stuhl und lasse die Situation noch einmal vor
deinem geistigen Auge ablaufen. Beobachte diese wie eine neutrale außenstehende
Person und denke oder sprich das kleine Wörtchen: „Aha.“ „So ist das.“ Spüre nun
hin, was du jetzt fühlst und was dein Körper ausdrückt. Hat sich etwas zur ersten
Sesselposition verändert? Wenn ja, dann kannst du, wenn du willst, einen Schritt
weitergehen und den einen oder anderen positiven Aspekt, den die Situation mit sich
bringt oder bringen könnte, am entsprechenden Stuhl formulieren. Wie fühlt sich das
an? Wenn dies (noch) nicht möglich ist, ist es auch völlig in Ordnung, im Annehmen
der Situation zu bleiben.
Achtsamkeit
Achtsam zu sein bedeutet, mit Sinnen und Gedanken bei dem zu sein, was man tut bzw.
was im Moment um einen herum geschieht und ist. In unserem alltäglichen Leben ist
häufig unser Körper an einem Ort, unser Geist aber an einem anderen.
Wende deine Sinne bewusst deiner Umgebung zu. Nimm etwas wahr, das du bisher
noch nicht wahrgenommen hast. Vielleicht siehst du etwas, das dir gerade erst auf-
fällt, vielleicht hörst du etwas, das du bisher nicht registriert hast? Vielleicht riechst
du etwas oder fühlst etwas auf der Haut? Nach einiger Zeit frage dich, ob sich etwas
verändert hat.
Nimm, wo auch immer du gerade bist, das wahr, was du gerade tust. In welcher Körper-
haltung tust du dies? Welche Bewegungen führst du aus? Wie nimmst du deine Mimik
wahr? Nimmst du das Geschehen rund um dich wahr? Nach einer Weile reflektiere
deine Wahrnehmung und dein Erleben.
„Wenn die Achtsamkeit etwas Schönes berührt, offenbart sie dessen Schönheit. Wenn sie
etwas Schmerzvolles berührt, wandelt sie es um und heilt es.“
Thich Nhat Hanh
„Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“
Albert Einstein
Ein weiterer Resilienzfaktor ist das Betrachten von Krisen als überwindbare Probleme
und das Ersinnen kreativer Lösungen dafür. Es braucht Übung, um gewohnte Pfade
verlassen zu können. Eine gute Grundlage für kreatives Denken ist das Erleben positiver
Emotionen, weil es Denk- und Handlungsspielräume erweitert (siehe Broaden-and-
Build-Theorie, Abschnitt 3.5).
Versetze dich in einen entspannten Zustand und stelle dich innerlich auf wohltuende
emotionale Qualitäten ein (siehe Übung 2). Blicke in Gedanken in einen blauen Him-
mel und frage nach der Lösung deines konkreten Problems. Lass nun kommen, was
kommen will. Lass alles zu, setze keine Grenzen und nimm wahr: Tauchen Wörter,
Sätze, Bilder, Szenen in deiner Vorstellung auf? Frage nach: Gibt es noch etwas, das für
dieses Problem eine Lösung sein könnte? Wenn nichts mehr hereinfällt, dann notiere
deine erhaltenen Lösungsansätze:
Versetze dich gedanklich ans Ziel und stell dir vor, dein Problem ist bereits gelöst.
Tauche in dieses Zielbild tief hinein. Was siehst du? Was tust du? Was fühlst du? Visu-
alisiere dieses Bild immer wieder, um dich mit deiner motivationalen Energie, deiner
selektiven Wahrnehmung und deine Handlungen dorthin zu bewegen.
„Jeder Mensch hat die Chance, mindestens einen Teil der Welt zu verbessern, nämlich
sich selbst.“ (Paul de Lagarde)
Schätze auf einer imaginären Skala von 0–10 ein, wie sehr jede der fünf PERMA-Fa-
cetten derzeit in den ausgewählten Lebensbereichen (z. B. Freizeit, Beruf) erfüllt ist.
Die Blütenblätter der PERMA-Blüte 1 können auch intuitiv anteilsmäßig bemalt
werden. Wähle nun aus, welchen Bereich du erweitern möchtest und formuliere ein
klares konkretes Vorhaben, wie du darin in nächster Zeit wertvolle Ressourcen ent-
wickeln wirst.218 Die Satzanfänge in der PERMA-Blüte 2 können Impulse dafür geben,
Umstände, Situationen oder Aktivitäten zu identifizieren, in denen und durch die du
deine Motivation, dein Wohlbefinden, dein Aufblühen und deine Resilienz anregst.
Charakterstärken:
Wenn wir unsere persönlichen Charakterstärken kennen und im Alltag vermehrt ein-
setzen, verstärken wir unmittelbar, relativ mühelos und energiegewinnend die fünf
PERMA-Bereiche und damit auch das Wohlbefinden, die Vitalität und die Resilienz.
Denke nun an eine Situation, in der du eine deiner Signaturstärken verwendet hast.
Wie hast du diese Stärke eingesetzt? Wie verlief diese Geschichte? Wie hast du dich
dabei gefühlt? Setze dich mit deinen anderen besonderen Stärken ebenso auseinander.
Wie und wo kannst du eine oder mehrere deiner Signaturstärken demnächst wieder
in deinem beruflichen und privaten Alltag einsetzen?
„Nicht, was wir erleben, sondern wie wir empfinden, was wir erleben, macht unser Schicksal aus.“
Marie von Ebner-Eschenbach
Das Erleben positiver Emotionen hat sich in empirischen Studien als schützend darge-
stellt, wobei es weniger relevant sein dürfte, wie intensiv diese Emotionen empfunden
werden. Entscheidend scheint zu sein, dass positive Emotionen regelmäßig erlebt werden.
Resiliente Menschen sind in der Lage, angesichts schwerwiegender Lebensereignisse
unabhängig von den unangenehmen Gefühlen, die auftreten, angenehme Emotionen
zu empfinden. Dies trägt zu einem adäquaten Umgang mit Herausforderungen und
zur Erholung bzw. Prävention von Erkrankungen bei.226
Wie können positive Emotionen nun aktiviert werden? Mit folgender Übung kannst
du trainieren, dich über Alltägliches zu freuen und scheinbare Kleinigkeiten zu fo-
kussieren und wertzuschätzen. So stärkst du die „Positiv“-Waagschale und hältst die
automatisch aufkommenden schwierigen und oft hartnäckigen Gedanken und Gefühle
in guter Balance, ohne diese zu leugnen oder weg zu regulieren.
Ergänze dein Abendritual mit einer Pflege deines emotionalen Zustands. Halte an
einem angenehmen Ort inne und spüre in dich hinein, welche drei – gerne auch vier
oder fünf – gute Dinge du an diesem Tag erlebt hast. Gehe dabei verschiedene Lebens-
bereiche (Freizeit, Freunde, Familie, Beruf, Lebensumstände, in Bezug auf dich selbst)
Wofür bin ich heute dankbar? Was stimmt mich hoffnungsvoll? Wer oder was inspi-
riert mich? Worüber freue ich mich? Was stimmt mich heiter? Worauf bin ich stolz?
Was macht mich zufrieden? Wo und wie spüre ich Liebe?
Führe diese Übung mehrere Tage, idealerweise einige Wochen durch. Bemerkst du eine
Veränderung? Hast du Lust dies weiterzuführen oder hie und da alte Notizen wieder
zu lesen? Was fühlst du dabei?
Schließe deine Augen und führe dich in einen entspannten Modus. Visualisiere nun
dein soziales Netz und bringe dies zu Papier. In die Mitte des Blattes zeichne ein
Symbol für dich selbst. Nun füge alle Menschen, mit denen du privat oder beruflich
zu tun hast, in einem intuitiv gewählten Abstand dazu.
Betrachte anschließend dein Bild. Was fällt dir auf? Stimmen die Abstände? Sind dir
manche Menschen zu nah oder andere zu weit weg? Gibt es einseitige Beziehungen,
in denen eine der beiden Personen vorwiegend Energie gibt und die andere empfängt?
Schreibe auf, was dir bewusst geworden ist. Was möchtest du in naher Zukunft konkret
tun? Was willst du beibehalten? Wo ist Veränderung angesagt?
Conclusio
Du hast nun einige Möglichkeiten kennengelernt oder dir wieder in Erinnerung ge-
rufen, wie Resilienz gestärkt werden kann und wie du zu einem gesunden und glück-
lichen Leben aktiv beitragen kannst. Wenn du Motivation spürst, schreibe dich in
dein privates Fitnessstudio für Resilienz ein, starte mit einer kleinen ausgewählten
Übung und führe diese häufig und regelmäßig durch. Bleib dran, bis diese zur Routi-
ne geworden ist und neue Nervenverbindungen etabliert sind. Erzähle auch anderen
davon, suche dir einen Trainingsbuddy bzw. trage deine Übungen in ein Tagebuch ein.
Probiere aus, was dir derzeit guttut!
Die vorgestellten Übungen sind einerseits als präventive und unterstützende Strategien
zu verstehen, um Zugänge zu sich selbst sowie adäquate Einstellungen und Haltungen
zu entwickeln. In manchen Lebenssituationen reichen diese allein allerdings nicht
aus. Dann ist es wichtig und notwendig, auch ärztliche oder therapeutische Hilfe
anzunehmen. Das Übernehmen von Selbstverantwortung des Individuums hat sicher
seine Berechtigung und auch Systeme, Organisationen, Gesellschaft und Politik sind
natürlich gefordert, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Doch auch diese werden
letztlich von Individuen gestaltet. Resilienter zu werden bedeutet jedenfalls nicht
Selbstoptimierung im Sinne von Selbstausbeutung, sondern authentischer und mit-
fühlender mit uns selbst und anderen zu sein. Jede einzelne Person, die ihre Balance
zwischen Anforderungen und Belastungen sowie Möglichkeiten und Chancen findet,
trägt zu einer Ausrichtung hin zu Glück und Gesundheit in der Gemeinschaft bei.
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Zur Autorin
Elke Poterpin, Dr.in, Dipl. Päd.in, Lehramt für Volksschulen, Diplomstudium Psychologie an der
Universität Wien; Doktoratsstudium an der School of Education, Universität Salzburg; tätig an der
Pädagogischen Hochschule Wien, Institut für bildungswissenschaftliche Grundlagen und reflektierte
Praxis; Arbeitsschwerpunkte: Pädagogische Psychologie, psychosoziale Gesundheit von Lehrer*innen,
Coaching.
D
Karlheinz Valtl ass Lehrer*innen keinen idyllischen Halbtagsjob machen und dass das Un-
terrichten von Kindern und Jugendlichen Erwachsene erstaunlich schnell
an ihre Grenzen bringen kann – das konnte die Öffentlichkeit im Home
Schooling während der Corona-Pandemie wiederholt aus nächster Nähe erleben. Viele
haben erst dadurch erkannt, wie anstrengend der Lehrberuf ist. Dabei ist das konkre-
te Unterrichten nur die Schauseite des Berufs, der point of delivery, hinter der viele
weitere, oftmals kräftezehrende Tätigkeiten stehen.
Auch wenn die meisten Lehrer*innen ihre Arbeit lieben und als persönlich erfüllend
erleben, summiert sich diese Komplexität zu einer Belastung, die viele krank macht
– ein Problem, das sich zunächst in den Gesundheitsstatistiken niederschlägt, das
aber nicht allein auf der medizinischen Ebene gelöst werden kann. Es braucht dazu
langfristige Strategien, die neben einer Behandlung der Leiden auch deren Ursachen
angehen und die eine systemische Veränderung anstreben, in die alle Akteure mit ihren
jeweiligen Ressourcen aktiv eingebunden sind und die den Alltag von Lehrpersonen
umfassend transformieren.
Ein solcher Ansatz, der sich in den letzten eineinhalb Jahrzehnten international als
sehr erfolgreich herausgestellt hat, ist die Anwendung von Übungsformen und schul-
kulturellen Veränderungen auf der Basis von Achtsamkeit (mindfulness) und Mitgefühl
(compassion). Im Folgenden soll kurz dargestellt werden, worum es dabei geht (Teil A),
welche Potenziale zur Förderung von Lehrer*innengesundheit dieser Ansatz im Spiegel
der aktuellen Forschung hat (Teil B) und welche konkreten Übungen und Programme
dafür zur Verfügung stehen (Teil C).
Achtsamkeit und Mitgefühl sind für die Schulpädagogik in dreifacher Weise relevant:
1. als Bildungsziele für die Schüler*innen, damit diese ihre positiven Effekte sowohl
aktuell als auch in ihrem weiteren Leben nutzen können, 2. als didaktische Prinzipien,
die den Unterricht in allen Fächern bereichern können sowie 3. als Mittel zur Verbes-
serung von Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit von Lehrer*innen. In
233 Für eine ausführlichere Darstellung vgl. Jennings 2017; Hawkins 2018; Valtl 2018
Mitgefühl ergänzt Achtsamkeit und kann in unserem Kontext als die Herzqualität von
Achtsamkeit betrachtet werden (im weiteren Text ist mit dem Begriff Achtsamkeit
jeweils auch Mitgefühl mitgemeint). Mitgefühl ist die Fähigkeit, sich tief einfühlen
zu können (sowohl in andere wie in sich selbst), dabei auch leidvolle Erfahrungen
(sowohl eigene wie die von anderen) ganz an sich heranzulassen und auf sie nicht mit
Abwehr und Härte, sondern mit Verständnis und Fürsorge zu antworten. Mitgefühl
ist in dieser entwickelten Form paradoxerweise kein vorübergehendes Gefühl, sondern
eine dauerhafte Lebenseinstellung, die einen radikalen Gegenentwurf zu dem in der
Konkurrenzgesellschaft vorherrschenden Egoismus darstellt.
Der Begriff Achtsamkeit hat eine lange Tradition, entstammt ursprünglich der buddhis-
tischen Lehre und ist heute ein wissenschaftlicher Fachbegriff von – wie oben bereits
angedeutet – relativ komplexer Struktur. Achtsamkeit wird als ein natürliches Poten-
zial von Menschen angesehen, das sich allerdings erst durch kontinuierliche Übung
voll entfaltet. Zu diesen Übungen zählen verschiedene Formen von Meditation sowie
Übungen zu Körpergewahrsein, sinnlicher Präsenz und bewusster Lebensführung im
Alltag. Diese werden zusammenfassend als Achtsamkeitspraxis bezeichnet und sind in
Teil C kurz beschrieben.
In den Fokus der Wissenschaft kam Achtsamkeit seit den 1990er Jahren, nachdem
festgestellt wurde, dass achtsamkeitsbasierte Trainingsprogramme – wie z. B. das
Acht-Wochen-Programm Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) – überraschend
positive Effekte selbst bei schwierigen klinischen Zielgruppen zeigen. Dies führte zu
zahlreichen wissenschaftlichen Studien sowie zur Entwicklung darauf aufbauender
Trainings- und Therapieprogramme sowie schulbasierter Programme für Schüler*innen
und entsprechender Weiterbildungsangebote für Lehrer*innen, die heute weltweit
Anwendung finden.
Werfen wir zunächst einen Blick auf die Erforschung der gesundheitsbezogenen Effekte
von Achtsamkeitspraxis, die allgemein, d. h. unabhängig von Beruf und individueller
Lebenslage festgestellt werden können. Diese positiven Effekte sind überraschend
zahlreich und liegen v. a. auf den Ebenen von physischer Gesundheit, psychischer
Gesundheit und Selbstregulationsfähigkeit.
Achtsamkeitspraxis
· verbessert die physische Gesundheit durch Harmonisierung von Puls, Blutdruck und
Muskelspannung234 sowie durch Erhöhung der Herzfrequenzvariabilität235 ; sie beugt damit
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie in geringerem Umfang Beeinträchtigungen des
Bewegungsapparats vor – den beiden häufigsten Krankheitsbildern bei Lehrpersonen,
Achtsamkeitspraxis
· reduziert psychische Symptome wie Angst, Depression, Selbstzweifel und Grübeln241 ,
Achtsamkeitspraxis
· verbessert die Emotionsregulation und fördern die Fähigkeit, Emotionen w
ahrnehmen,
ertragen und ausdrücken zu können , 245
Insgesamt zeigt die Forschung also, dass Achtsamkeitspraxis die physische und psy-
chische Gesundheit der Allgemeinbevölkerung auf breiter Basis fördern kann. Neben
diesen vielfältigen positiven Effekten wurden zwar auch in geringem Umfang negative
Wirkungen festgestellt, v. a. bei Personen mit psychischen Vorerkrankungen.249 Aber
auch diese Personen können, wie die Forschung zeigt, Achtsamkeit gewinnbringend
praktizieren, wenn sie entsprechend umsichtig angeleitet werden und geeignete
Übungsformen praktizieren.250
Neben diesen allgemeinen Forschungen gibt es auch spezielle Untersuchungen, die sich
mit der Zielgruppe der Lehrer*innen befassen und die Effekte von Achtsamkeitspraxis
im Lehrberuf aufzeigen. Sehen wir uns die Ergebnisse dieser Forschungsarbeiten im
Folgenden an.
Achtsamkeitspraxis
· verbessert das Wohlbefinden von Lehrer*innen im Beruf,251
Achtsamkeitspraxis
· verbessert Selbstmitgefühl und Selbstfürsorge von Lehrer*innen und stärkt damit
ihre Fähigkeit, sich in belastenden Situationen selbst zu stabilisieren,256
· verbessert die Fähigkeit von Lehrer*innen, Gefühle und andere innere Zustände
wahrnehmen und mitteilen zu können (was ihre Regulation erleichtert)262 und
· Insgesamt entsteht eine erhöhte Berufs- und Lebenszufriedenheit, die als Folge-
effekt die Gesundheit fördert.269
Achtsamkeitspraxis
· fördert eine selbstbewusstere und freiere Kommunikation sowie Metakommuni-
kation im Kollegium270 ,
· begünstigt die Fähigkeit, eigene Schwächen zu zeigen und damit bewusst umzuge-
hen; dies reduziert Überlastung aus Gründen der Selbstdarstellung und fördert einen
menschlicheren Umgangston im Kollegium,273 und sie
Achtsamkeitspraxis
· fördert die Qualität der Beziehung zu den Schüler*innen; diese wird einfühlsamer,
freundlicher, fürsorglicher und weniger fordernd (bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung
der Lernziele),275
· fördert sowohl Aufmerksamkeit als auch mentale und körperliche Präsenz von
Lehrer*innen; beides sind Grundbedingungen für gelingenden Unterricht, und dieser
steigert wiederum Berufszufriedenheit und Gesundheit.278
Im Folgenden finden Sie einige Anregungen für Ihre persönliche Suche, aufgegliedert
nach 1. individuell zu nutzenden und 2. schulbasierten Angeboten.
Wie sieht das konkret aus? Hier ein kurzer Überblick über die wichtigsten Achtsam-
keitsübungen:281
· Atemmeditation: Sie sitzen still auf einem Sessel oder Kissen und fokussieren Ihre
Aufmerksamkeit auf die körperlichen Empfindungen des Atmens (z. B. das Heben
und Senken der Bauchdecke). Wann immer Sie feststellen, dass Ihre Aufmerksamkeit
abschweift, holen Sie sie zur Empfindung des Atems zurück. Gefördert werden damit
bewusste Aufmerksamkeitslenkung, Ruhe des Geistes und Präsenz sowie Gelassenheit
gegenüber Störungen.282
· Body Scan: Sie machen einen mentalen Spaziergang durch den eigenen Körper (meist
im Liegen), bei dem die Aufmerksamkeit für einige Zeit in jeder Region des Körpers
verweilt und alles, was dort in diesem Augenblick zu spüren ist, unmittelbar und so
differenziert wie möglich erfasst. Gefördert werden damit Einfühlung in sich selbst und
(überraschenderweise) auch in andere, Körperbewusstsein, Entspannung und Präsenz.283
· Gehmeditation: Sie gehen an einem ruhigen Ort bewusst und langsam auf und ab
oder im Kreis und fokussieren dabei Ihre Aufmerksamkeit auf die körperlichen Emp-
findungen des Gehens (v.a. das Aufsetzen, Abrollen und Heben des Fußes). Gefördert
werden damit Aufmerksamkeitslenkung, Zentrierung auf eine bewusst ausgeführte
Aufgabe, Körperbewusstsein und Entschleunigung.284
281 Im Folgenden verweisen wir auf einige leicht zugängliche Anleitungen im Internet (die allerdings nicht
immer Ihrem persönlichen Geschmack entsprechen werden). Daneben gibt es zahlreiche CDs mit Begleitbü-
chern im Buchhandel (siehe Literaturverzeichnis).
282 Anleitung auf Deutsch z. B. Dr. Nils Altner: www.achtsamkeit.com/audio.htm (letzter Zugriff Juni 2021)
oder Maren Schneider: www.youtube.com/watch?v=oHskQQLprVc (letzter Zugriff Juni 2021), auf Englisch Prof.
Dr. Mark Williams: https://soundcloud.com/hachetteaudiouk/meditation-four-breath-and-body (letzter Zu-
griff Juni 2021)
283 Anleitung auf Deutsch z. B. Dr. Jörg Mangold: https://achtsamkeitundselbstmitgefuehl.de/downloads/
(letzter Zugriff Juni 2021) oder Maren Schneider: https://www.youtube.com/watch?v=j0nMvbvNcog (letzter
Zugriff Juni 2021)
· Achtsames Yoga: Sie führen einfache Yoga-Übungen im Stehen oder Liegen aus,
eher ohne sportlichen Anspruch, dafür aber mit einer klaren Wahrnehmung der ein-
zelnen Haltungen und Bewegungen sowie von Anspannung (und ggf. Schmerz) und
Entspannung (und ggf. Wohlgefühl). Gefördert werden damit Körperbewusstsein,
Selbstwahrnehmung, Präsenz sowie Containment von angenehmen und unangeneh-
men Empfindungen.286
· Achtsames Essen (als ein Beispiel für Übungen im Alltag): Sie essen langsam und
bewusst und nehmen alle sensorischen Erfahrungen möglichst differenziert und tief
wahr. Wenn Sie möchten, können Sie eine Kontemplation damit verbinden, die die
Herkunft der Speisen, die Rohstoffe, Transportwege, Arbeitsleistungen und das Leid,
das in ihnen enthalten ist, in Erinnerung ruft. Gefördert werden damit sinnliche Prä-
senz, Genussfähigkeit, bewusste Ernährung und globales Bewusstsein.287
Auch wenn die hier dargestellten Achtsamkeitsübungen relativ einfach klingen, so ist
es dennoch nicht leicht, eine solche Praxis im Alltag ohne äußere Hilfe aufzubauen
und über längere Zeit aufrechtzuerhalten. Die meisten Praktizierenden suchen daher
Unterstützung durch Kurse, Handy-Apps, Meditationsgruppen oder Retreats:
· Kurse, die auf eine zeitgemäße Weise in Achtsamkeit einführen, sind z. B. die
8-Wochen-Kurse in Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR) oder, für pädagogische
Berufe besonders empfehlenswert, in Mindful Self-Compassion (MSC). Diese Kurse
eignen sich speziell für den Einstieg und ermöglichen ein Erlernen der Übungen unter
professioneller Anleitung.
Eine speziell auf pädagogische Berufe ausgerichtete Übersicht über die Angebote im
deutschsprachigen Raum wird derzeit auf der Website des Instituts für Achtsamkeit,
Verbundenheit, Engagement (AVE-Institut) aufgebaut.292
In Österreich gibt es (neben anderen) eine Reihe von Angeboten, die vom Team des
Verfassers in den Projekten Achtsamkeit in Lehrer*innenbildung und Schule (ALBUS) und
Pädagogik mit Achtsamkeit und Selbst-Mitgefühl (PAS) am Zentrum für Lehrer*innen-
bildung der Universität Wien aufgebaut wurden.293 Dazu zählen:
Ein derartiger individueller Zugang, wie er in Punkt 1 beschrieben wurde, ist für
das Ernten der Effekte von Achtsamkeitspraxis zwar unerlässlich, er ist aber für ihre
Implementierung an Schulen nicht immer ausreichend. Es braucht dazu, wie viele
Projekte mittlerweile gezeigt haben, in den meisten Fällen auch Veränderungen auf
der Ebene der ganzen Schule und des Schulsystems. International gibt es dafür einige
vielversprechende Ansätze.298 In Europa ist hier v. a. das enorm erfolgreiche britische
Mindfulness in Schools Project (MiSP) hervorzuheben299 , in Deutschland die Projekte
von Nils Altner von der Universität Duisburg-Essen.300
In Österreich hat Helga Luger-Schreiner von der Universität Wien mit ihrem Projekt
PAS Pädagogik mit Achtsamkeit und Selbst-Mitgefühl (ehemals Projekt Achtsame Schule)
ein bisher einzigartiges Angebot zur achtsamkeits- und mitgefühlsbasierten Schulent-
wicklung vorgelegt und implementiert.301 Das Projekt bietet eine Serie von schulinter-
nen Fortbildungen an, die das ganze Kollegium adressieren und aus dem sich jeweils
· Phase I dient der Entwicklung der Haltungen von Achtsamkeit und Selbstmitgefühl
und unterstützt die Pädagog*innen im Aufbau einer individuellen Praxis.
· Phase III unterstützt die individuelle und systemische Integration von Achtsam-
keit und Mitgefühl und begleitet Lehrpersonen, Klassen, Eltern und Schulleitungen
durch maßgeschneiderte Angebote für die einzelnen Standorte (whole school approach).
Wie sich aus den Erfahrungen der ersten drei Jahre dieses Projekts gezeigt hat, ist dies
ein herausfordernder und Zeit in Anspruch nehmender Prozess, der neben den Themen
Achtsamkeit und Mitgefühl auch einige der latenten Themen der jeweiligen Schulen
bearbeitet und der nachhaltig Schulklima, Teamgeist, pädagogisches Engagement und
Gesundheit von Lehrer*innen und Schüler*innen fördert.
Falls Sie sich entscheiden sollten, einen dieser beiden Wege – den individuellen oder
den schulbasierten – zu gehen, sollten Sie in jedem Fall auf Nachhaltigkeit setzen. Nicht
der schnelle Erwerb einer oberflächlichen Technik oder eines aufgesetzten pädago-
gischen Stils sind das Ziel, sondern die langfristige Entwicklung Ihrer Persönlichkeit
und Ihrer Schule. Beides ist zugleich herausfordernd und lohnend.
Die Herausforderung, die Schule zu entwickeln, kann als übergroß und einschüchternd
empfunden werden, wenn wir nur auf die Trägheit der beharrenden Momente und auf
die zu ihrer Überwindung notwendigen Anstrengungen blicken. In der gegenwärtigen
historischen Situation kann aber Schule ohnehin nicht mehr lange so bleiben, wie sie
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Karlheinz Valtl, Dr.phil., ist Bildungswissenschaftler und lehrt am Zentrum für Lehrer*innenbildung
der Universität Wien. Er leitet dort das Projekt Achtsamkeit in Lehrer*innenbildung und Schule (ALBUS)
sowie zusammen mit Helga Luger-Schreiner das Projekt Pädagogik mit Achtsamkeit und Selbst-Mitgefühl
(PAS). Gemeinsam mit einer Gruppe von Kolleg*innen entwickelte und leitet er den Masterlehrgang
Achtsamkeit in Bildung, Beratung und Gesundheitswesen an der KPH Wien/Krems (der erste Masterlehrgang
zum Thema Achtsamkeit in deutscher Sprache). Darüber hinaus hat er mit Beginn 2021 die wissen-
schaftliche Leitung der Weiterbildung Achtsamkeitsbasierte Lehrer*innenbildung am AVE-Institut in Berlin
übernommen.
M
Werner-Heinz Kállay it dem folgenden Artikel möchte ich Ihnen gerne die Psychosomatik als
Hilfe für Ihr Gesundbleiben näherbringen. Sie erlauben, dass ich mich
zuerst einmal vorstelle. Ich bin praktischer Arzt in Wien mit psychoso-
matischer Zusatzausbildung. Die Geschichte, die ich Ihnen jetzt erzähle, handelt von
der Begegnung mit einem Arzt, als ich noch ein Zivildiener war. Ich war auf eige-
nen Wunsch hin einem Sonderkrankenhaus zugeteilt worden, sah aber, dass mein Job
dort vor allem aus Kistenschleppen bestand. Ich freute mich eigentlich auf den Zivil-
dienst, um etwas Neues kennen zu lernen, ich wurde jedoch furchtbar enttäuscht von
den dort gemachten Erfahrungen. Nach ein paar Tagen wurde ich krank; mein Frust
und ein Virus waren gepaart zur Krankheit geworden. Als ich dem Arzt mein Innen-
leben offenbarte, fiel er aus allen Wolken: „Was, die Arbeit macht Sie krank? Seelische
Gründe? So jung? Schon nach drei Tagen?“ Was ich mir dachte, als ich seine Ordina-
tion verließ, war, dass der Arzt keine Ahnung von den Zusammenhängen hatte. Jetzt,
mit einer Arzt- und einer Psychosomatik-Ausbildung, sehe ich es nicht viel anders.
Die Psychosomatik
Jeder Mensch macht täglich psychosomatische Erfahrungen und hat auch entsprechen-
de Beschwerden. Der Begriff „Psychosomatik“ ist sehr akademisch und verkürzend.
Der Begriff zielt auf das Phänomen, dass die Psyche den Körper beeinflusst – und vice
versa. Ein Beispiel: Wir erinnern uns, wie wir unsere Füße in den warmen Sand eines
Strandes steckten und die Sonne uns zum Klang des Meeresrauschens wärmte. Schon
fühlen wir uns körperlich wohler, nur durch eine rein mentale Erinnerung.
Man hätte das Gebiet auch „Somatopsychologie“ nennen können, der Körper be-
einflusst ja auch die Psyche, körperliche Empfindungen verändern wiederum unser
Denken. Körper und Psyche wirken wechselseitig aufeinander ein. In dem Moment,
wo der Körper den Geist entspannt, entspannt der Geist wiederherum den Körper:
Sie liegen im warmen Strand, die Muskeln und auch Ihre Psyche gehen in einen Ent-
spannungsmodus.
Das beste Beispiel ist vielleicht der Schmerz. Sie glauben gar nicht, wie schwer es für
eine*n Wissenschaftler*in ist, etwas so Einfaches und Körperliches wie Schmerz zu
erklären. Vieles wirkt bei der Schmerzentstehung mit. Wir nutzen das in der Medizin
z. B. für die Therapie von chronischen Schmerzen: Biofeedback, Entspannungstherapie,
Psychotherapie, Spiegeltherapie usw. – lauter Ansätze, die im ersten Moment kaum
einen Einfluss auf „harten“ Schmerz zu haben scheinen. Doch sie zielen alle auf die
Veränderung des sogenannten Schmerzgedächtnisses. Durch unterschiedliche mentale
und psychologische Techniken können Schmerz und seine Wahrnehmung sehr wohl
verändert werden.
Die Gedanken in unserem alltäglichen Leben lassen sich kaum von den körperlichen
Reaktionen trennen. Genauso wenig können wir den Einfluss dieser körperlichen
Reaktionen auf unser Denken wiederum verhindern. Wir können aber lernen, das zu
verstehen und bewusster darauf Einfluss zu nehmen.
Man kann keine endgültige Definition der Psychosomatik vornehmen, sie umfasst
so viel, was noch Gegenstand der Forschung ist. Ich würde es vielleicht aus meiner
heutigen Sicht so beschreiben:
Die Psychosomatik ist die Erforschung und „Erfühlung“ unseres Innenlebens, etwas, was mit
der Welt herum über unseren Körper in untrennbarer, wechselseitiger Verbindung als Einheit
besteht.
Die Psychosomatik ist die Beobachtung dieser innigen Beziehung von Psyche, Verstand,
Körper und Welt sowie die Lehre davon, wie man diese Beziehung positiv beeinflussen kann.
Wir nützen in der Psychosomatik vor allem unsere körperlichen Empfindungen, um uns
selbst und die Welt rundherum besser zu verstehen, um gesünder zu interagieren und zu
leben.
Um ja nicht als psychisch krank stigmatisiert zu werden, als ein „Psycho“, ein „Hypo-
chonder“ zu gelten, der sich alles einbildet und damit unglaubwürdig ist, haben viele
ein gespaltenes Verhältnis zur psychosomatischen Erklärung von Krankheiten. Das
Verständnis des subtilen Zusammenwirkens unseres Körpers, unserer Psyche und
unseres Geistes bzw. Verstandes sind aber wesentlich für unser Gesundsein und
Gesundbleiben.
Man könnte das als psychosoziale und psychosomatische Begleitkomponente all unseres
Seins bezeichnen. Das von Vornherein zu leugnen und abzulehnen, ist das eigentliche
Problem. Es verschwindet nicht, sondern es bleibt bestehen und beeinflusst uns, ohne
dass wir es bewusst bemerken.
Von unserem Innenleben, wo Ansprüche von außen, unsere Gedanken und Gefühle
sowie abgespeicherte Erfahrungen zusammenkommen, wissen wir meist wenig. Dieser
Weg, um sich selbst besser verstehen zu lernen, ist genau das, worum es geht. Erst damit
haben wir einen Norden für unseren „psychosomatischen Kompass“: Wie gelangen
wir zu mehr Zufriedenheit in unserem stressigen Alltag? Wie können wir mit den täg-
lichen Belastungen anders umgehen lernen? Indem wir uns besser verstehen lernen,
mit Hilfe unserer Gefühle und körperlichen Empfindungen. Das ist der erste Schritt
hin zu einer gesünderen Umgangsweise mit unseren eigenen Gewohnheitsmustern
und Problemlösungsstrategien, wenn diese nicht mehr greifen.
Ein großes Problem der heutigen Zeit ist ja das Phänomen des Burnouts, also das
berufliche Arbeiten über die eigenen gesunden Grenzen hinaus, bis es zur Sucht und
Krankheit wird. Es bleibt meist lange unerkannt, bis es zu einer ausgewachsenen Krank-
heit geworden ist, die Tendenz ist steigend. Eine der großen Herausforderungen der
heutigen Zeit sind auch die ausufernden und sich wandelnden Arbeitsbeschreibungen.
Die Regeln und Konventionen ändern sich. Früher waren Berufe sehr genau definiert
und sie veränderten sich nur langsam. Das ist anders geworden. Dass wir uns ständig
ändern und anpassen müssen, macht uns allen Stress.
Burnout und Stresserkrankungen werden immer mehr auch zu einem Phänomen der
jungen Generation, nicht nur derjenigen, die schon lange im Berufsleben stehen, son-
dern auch bei denen, die sich im Aufbau ihres Lebens befinden. Wir brauchen immer
längere Ausbildungszeiten, müssen immer mehr Entscheidungen treffen, Familie, Job,
Freizeit, Angehörigenpflege unter einen Hut bringen in einer sich immer schneller
wandelnden Welt, wo alles verschwimmt. Die Pandemie hat die psychischen Belas-
tungen für viele Menschen erhöht.
Es gibt auch immer mehr Stimmen, ob nicht ein analoges Krankheitsbild auch schon
für Schüler*innen, also Kinder und Jugendliche entworfen werden muss, da auch sie
schon zunehmend Zeichen von Stress und Überforderung zeigen. Doch es ist plausibel,
dass sich diese Probleme auch auf Kinder auswirken müssen. Wenn so viele Menschen
im Modus von Stress und Überforderung leben und keinen gesunden Weg für sich
mehr finden, wie sollen es dann die Kinder? Wie können wir einen guten (Lebens-)
Weg vorzeichnen, wenn wir keinen guten Weg für uns selber finden?
Es fehlt oft der aktuelle Blick für das Ganze, für die Zeit, die wir für uns selbst brau-
chen würden und für die anstehenden Veränderungen. Burnout verursacht viele
Als Hausarzt sehe ich oft den inneren Kampf der Menschen, die sich zusammenreißen,
um zu funktionieren. Ja, es ist oft fast unmöglich, zu Menschen durchzudringen, die
sich abkapseln, eben, um ihren ungesunden Lebensstil aufrechtzuerhalten. Oft erst
wenn die Menschen dekompensieren und nicht mehr können, dringt man zu ihnen
etwas durch. Es gibt Statistiken, die besagen, dass in etwa 50 % der Bevölkerung in
unseren Breiten an Depressionen, Angststörungen oder Burnout leiden oder gefährdet
sind, es zu erleiden. Ich weiß, wie schwer es für jede*n Einzelne*n ist, ein ungesundes
Verhalten bei sich zu entdecken, das die halbe Bevölkerung teilt und deshalb als gesund
fehlinterpretiert oder gar erwartet wird.
Der erste Schritt ist es, einen guten inneren Gesundheitskompass zu entwickeln, der
einem Orientierung gibt. Sie sollten die Ursachen dafür herausfinden, was Sie krank-
macht bzw. was Ihnen Energie raubt. Um das einschätzen zu können, benötigt man
Wissen und manchmal auch eine externe Begleitung. Es braucht zudem (Selbst-)Refle-
xion, gemeinsame Gespräche mit vertrauten Menschen über auftretende Belastungen
und vor allem ein Innehalten.
Wo stehe ich im Leben? Was fordert und überfordert mich? Wie geht es mir? Stehe ich zu sehr
unter Spannung? Ist es zu viel? Wie sieht die Zukunft aus? Schaut die Zukunft gut aus?
Bin ich zu gereizt oder zu traurig? Was sagen die Menschen um mich? An wen kann ich mich
halten, der mir ehrlich sagt, wie er mich sieht, wenn ich mich nicht sehe?
Kenne ich meine Persönlichkeit? Meine Spleene? Meine typischen Fallgruben? Mein „Kopf
kino“, also meine kreisenden Gedanken, worin ich mich verliere?
Bin ich schon so geladen, dass jedes Wort, das mich auf mich selber zurückwirft, mich der
Explosion oder der Implosion näherbringt?
Solche direkten Fragen helfen uns, unseren Kompass auszurichten, also zu sehen, wie
es uns geht, wie wir uns fühlen. Ich sage bewusst Kompass und nicht eine exakte Rich-
tung, da jeder Mensch seine einzigartige Biografie hat, seinen eigenen Weg finden und
gehen muss, den wohl nur jeder selber erkennen kann. Holen Sie sich professionelle
Unterstützung oder gönnen Sie sich ein Coaching. Man kann sich Orientierungen
geben lassen, sich helfen lassen, sich aufbauen und beizeiten auch herausfordern
lassen, über den Tellerrand hinauszublicken. Wir sind nicht allein damit und wir
sind gar nicht so verschieden voneinander. Jedes Problem, das wir haben, hatten und
haben Millionen andere. Diesen Erfahrungsschatz sollten wir nutzen. Ein typisches
Zeichen vieler psychischer Probleme ist das Unvermögen, sein Innerstes zu erkennen
und es anderen vertrauensvoll zu zeigen, damit sie einem helfen. Wir fühlen uns mit
unseren Problemen so „anders“, so getrennt und bauen Mauern und Minenfelder um
uns herum. Wir fühlen uns alleine inmitten des Stresses.
Wir brauchen Menschen, denen wir uns wirklich öffnen können, die sich nicht vor
uns fürchten, sondern zuhören und für uns da sind: Sie sind vielleicht das Wichtigste
im Leben. Sie fallen selten vom Himmel, sondern sie sind das Ergebnis vieler guter
Gespräche, an denen man gemeinsam gewachsen ist.
Ich kann es nicht genug betonen, dass es für all diese Probleme keine schnellen und
billigen Lösungen gibt. Es braucht Einsicht, Zeit, Verständnis, Ruhe und natürlich sinn-
volle, bewältigbare Herausforderungen. Ich möchte hier Ihr Basisverständnis weiter
ausbauen, Ihren inneren Kompass abstauben und Ihren Umgang damit schulen, damit
Sie als Kapitän*in Ihres Schiffes Ihre Häfen sicher erreichen.
Tun Sie sich zusammen und geben Sie diesen Themen einen gemeinsam Raum. Reden
Sie darüber, machen Sie es zum Thema, nämlich was es mit Ihnen macht, immer mehr
und anders die Arbeit machen zu müssen, immer mehr Aspekte und Aufgaben mitein-
beziehen zu müssen. Versuchen Sie kein*e Einzelkämpfer*in zu werden. Sie sind nicht
alleine. Und lassen Sie sich helfen! Führen Sie bitte keinen Krieg gegen das System!
Dieses Gefühl ankämpfen zu müssen, ist oft ein Zeichen der Überforderung und der
brennenden Sehnsucht nach Befreiung.
Fazit
Stresserkrankungen wie Burnout sind Teil unserer Zeit, in der sich sehr viel verändert,
Arbeitsbelastungen und Verantwortungen in vielerlei Hinsicht ausufern können, die
Welt immer mehr zusammenschmilzt und doch auch auseinanderdriftet.
Zunehmender und langanhaltender Stress führt schließlich zur Erkrankung. Mit den
Stresserkrankungen gehen oft starke psychosomatische Beschwerden einher.
Wir brennen für eine Sache und können leider dabei auch ausbrennen. Das hat viele
Ursachen und so gibt es auch viele Möglichkeiten, es zu bemerken und einzugreifen. Es
liegt an Ihnen, das zu sehen, anzuerkennen und zu reagieren. Bleiben Sie aber bitte nicht
damit alleine. Sie sind nicht alleine. Wir sind nie alleine, auch wenn es oft so scheint.
Beschäftigen Sie sich mit Ihrem Innenleben, Ihren Einstellungen, Ihren Gefühlen,
Ihren körperlichen Beschwerden und dem Grad Ihrer An- und Verspannung!
Seien Sie gut zu sich! Lernen Sie Ihren Körper als „Bio-Feedback“ zu nutzen, um
wieder mehr eins mit ihm sein zu können. Denn starker psychischer Stress führt oft
dazu, dass wir uns von unserer Körperlichkeit abtrennen wollen, von seinen Bremsen
und Limitierungen, um weiterhin besser, schneller zu funktionieren, um noch mehr
zu helfen, um noch mehr voranzubringen. Wir wollen dann scheinbar den Körper zur
Supermaschine umbauen. So schnell lassen wir uns die Dinge über den Kopf wachsen
und sehen nicht, wie allmählich unsere Probleme zu Krankheiten heranreifen.
In der Hoffnung, Sie motiviert zu haben, wünsche ich Ihnen, „es“ anzugehen, dass
Sie sich selbst Gutes und Heilsames tun – vor allem jetzt, wo Sie einige Startpunkte
dazu kennen und vielleicht einen Norden für Ihren psychosomatischen Gesundheits-
kompass gefunden haben.
Hansch, Dietmar (2021): Erfolgreich gegen Depression und Angst. Springer Verlag, Berlin.
Musalek, Michael/ Poltrum, Martin (2012): Glut und Asche – Burnout. Neue Aspekte der Diagnostik und
Behandlung. Parodos Verlag, Berlin.
Köhle, Karl/ Herzog, Wolfgang/ Joraschky, Peter/ Kruse, Johannes/ Langewitz, Wolf/ Söllner, Wolfgang
(2018): Uexküll. Psychosomatische Medizin. Theoretische Modelle und klinische Praxis. Urban & Fischer
Elsevier, Amsterdam.
Zum Autor
Werner-Heinz Kállay, Dr.med., ist praktischer Arzt in Wien mit Zusatzausbildung in Psychosomatik.
A
Nadeshda Stürzebecher ls Lehrer*innen fühlen wir uns nicht nur beruflich belastet, sondern manch-
mal auch überlastet. Die psychischen und physischen Auswirkungen von
langanhaltenden Belastungen, permanenter Anspannung und Stress sind in
dieser Handreichung bereits thematisiert worden. Kaum jemand kennt nicht die psy-
chischen und physiologischen Auswirkungen von Stress.
Doch Sie können viel für sich selbst tun, um eine gute Balance zwischen Anspannung
(die wir im Alltag brauchen, um unsere Tätigkeiten auszuüben) und Entspannung
(die Seele und Körper zur Regeneration brauchen) zu lernen. Täglich durchgeführte
Entspannungstechniken können Sie dabei unterstützen, den inneren Fokus auf Aus-
geglichenheit und Entspannung zu richten und aus dieser Quelle mit neuer Energie
in den Schultag zu gehen. Bei regelmäßiger Übung stellen sich nachweislich positive
Erfolge ein. Probieren Sie es einfach bzw. suchen Sie sich eine*n qualifizierte*n Leh-
rer*in, die*der Sie bei den Übungen unterstützt!
Die Techniken, die hier vorgestellt werden, sind außerordentlich effektiv. Sie wurden
einer ganzheitlichen Philosophie entnommen und von der Autorin, die selbst sowohl
als AHS- als auch als Yoga-Lehrerin tätig ist, speziell als Unterstützung von Lehrkräften
zusammengestellt. Die vorgestellten Übungen umfassen einfache Bewegungs- und
Atemtechniken sowie die hochwirksame Tiefenentspannungstechnik Yoga-nidra� und
sind im Alltag leicht anwendbare Mittel zur effektiven Stressbewältigung.
Ein erfolgreiches Mittel zum Erlernen von Entspannung ist, im Alltag ein stärkeres
Gewahrsein für das, was wir wahrnehmen, empfinden und denken, in Form von
Achtsamkeit zu entwickeln. Die drei Komponenten der Achtsamkeit, die sich auch
im Schulalltag als wirksam herausgestellt haben, sind: die Beobachterhaltung, Ent-
spannung und der innere Fokus.
• Durch eine regelmäßige achtsame Entspannung können wir den alltäglichen Stress
und Anspannungen lösen sowie uns und unsere Umwelt gelassener wahrnehmen. Wir
alle wissen, dass wir im angespannten Zustand eher verschlossen sind. Wenn wir uns
• Eine mögliche Wirkung der Entspannung ist die spontane und gelassene Fokussierung
des Geistes, mit dem tiefere kontemplative Zustände sowie Kreativität entstehen können.
Die eigene Praxis und Erfahrung auf den folgenden Ebenen bilden die
Basis für
• Körperhaltungen (Āsanas): Hier geht es um die Schulung der körperlichen Beweglichkeit
(Beweglichkeit der Wirbelsäule, Kräftigung und Dehnung der Muskulatur, Gleichgewicht,
Koordination, Aktivierung, Belebung und Entspannung). Entsprechend korrekt ausge-
führte Körperhaltungen können Haltungsschäden lindern und Stabilität, Vitalität sowie
die Gesundheit an sich fördern.
• Entspannung und Regeneration: Die Verbindung von Bewegung, Atem und achtsamem
Geist fördert das Entstehen von körperlicher und mentaler Ruhe, Entspannung und
Gelassenheit. Tägliche Entspannungsübungen wirken unterstützend für das richtige
Funktionieren des Immunsystems. Regelmäßige Entspannungsübungen wirken schlaf-
fördernd. Unser Schlaf wiederum regeneriert unser gesamtes psychophysisches System.
• Selbstwirksamkeit und Resilienz durch Yoga: Den eigenen Körper zu spüren und zu erken-
nen, wie man in Stresssituationen reagiert sowie stresslindernde Methoden zu beherr-
schen, ist essenziell, um die eigene Selbstwirksamkeit und die psychische Widerstands-
kraft zu verbessern. Indem wir körperliche Bewegungen und Atemübungen bewusst
ausführen, entsteht mehr Lebendigkeit, Ausgeglichenheit und körperliche sowie innere
Kraft. Es ist wichtig, diese Fähigkeit beizeiten zu entwickeln, um einen ausgeglichenen Zu-
stand bei Belastungen rasch wiederherstellen zu können.
Übung 1: Su
�rya Namaska
�ra – Der Gruß an die Sonne 303
Su�rya Namaska�ra, auch Sonnengruß genannt, ist eine sehr wirksame und abgerundete
Yoga-Übung, die für sich alleine steht und wichtig für die allgemeine Gesundheitser-
haltung ist. Sie fördert die Balance aller Organsysteme sowie Flexibilität und Vitalität
und wirkt vor allem ausgleichend auf das Nervensystem. Diese Übung besteht aus 12
Körperhaltungen (a �sanas), welche als eine dynamische oder langsame Übungsabfolge
mehrmals wiederholt werden können.
Mit dem Sonnengruß bringen wir den Kreislauf in Schwung, die Wirbelsäule wird
in den verschiedenen Richtungen bewegt und gelockert, alle Muskeln deines Körpers
werden gestärkt und gedehnt sowie die Funktion der inneren Organe aktiviert. Die Be-
wegungen „spiegeln“ sich in der Mitte und bringen uns wieder in die Ausgangsposition
für die nächste Wiederholung der Übungsreihe. Der Sonnengruß wird am besten am
Morgen vor dem Frühstück geübt und bewirkt ein ausgeglichener und aktivierender
Zustand zur Beginn des Tages.
Nachfolgend findet sich eine kurze Beschreibung der Übung. Bei gesundheitliche
Einschränkungen suchen Sie sich bitte eine*n erfahrenere*n Yogalehrer*in für das
Erlernen der Übung.
Ausgangshaltung304 : Im Stehen spüre den ganzen Körper und überprüfe, ob das Ge-
wicht zwischen beiden Fußsohlen gleich verteilt ist. Die Füße sind geschlossen, die
Arme neben dem Körper entspannt. Spüre, dass du ausgeglichen und stabil stehst. Be-
1. Gebetshaltung: Verfolge den natürlichen Atemfluss für ein paar Atemzüge. Der natür-
liche Atemfluss gibt den Rhythmus der Übung vor. Wenn du bereit bist, schließe während der
nächsten Ausatmung die Handflächen vor dem Brustbein.
2. Leichte Rückbeuge: Einatmend hebe die Arme über den Kopf, dehne die Wirbelsäule in
die Länge und komme in eine leichte Rückbeuge aus dem Brustraum, lasse dabei den Nacken,
die Schultern und Schulterblätter locker.
3. Vorbeuge: Ausatmend beuge die Knie, beuge den Rumpf von der Hüfte aus und komme
in die Vorbeuge – die Wirbelsäule bleibt gerade, führe die Bauchdecke zu den Oberschenkeln,
senke dabei die Arme seitlich und lege die Hände direkt neben die Außenseiten der Füße.
Hand- und Fußgelenke sind in einer Linie.
4. Reiterhaltung: Einatmend mache einen großen Schritt mit dem rechten Bein nach hinten
und lege das Knie ab, senke das Becken nach unten, öffne den Brustraum und bringe den
Nacken in die Länge.
6. Gruß mit acht Punkten: Halte den Atem an und lege die Knie, Brust und Stirn auf dem
Boden ab.
7. Kobrahaltung: Einatmend senke das Becken und hebe dabei Brustkorb und Kopf vom
Boden ab – die Ellbogen sind parallel zum Körper, die Schulterblätter zusammen, den Brust-
raum offen und den Nacken entspannt.
8. Berghaltung: Ausatmend drücke die Handflächen in den Boden, hebe das Becken in die
Höhe und komme in die Berghaltung, so wie in Position 5.
9. Reiterhaltung: Einatmend führe mit einem großen Schritt den linken Fuß nach vorne und
stelle den Fuß zwischen die Hände, so wie in Position 4.
11. Leichte Rückbeuge: Einatmend richte den Rumpf auf, indem du zuerst die Arme seitlich
auf Schulterhöhe hebst und dann den Kopf, Oberkörper und die Wirbelsäule in einer geraden
Linie aufrichtest und die Arme über den Kopf führst. Dehne dich in die Länge und komme in
die leichte Rückbeuge, so wie in Position 2.
12. Gebetshaltung: Ausatmend senke die Arme und lege die Handflächen aneinander vor
dem Brustbein, so wie in Position 1.
13. Ausgangshaltung: Einatmend senke die Arme locker neben dem Körper.
1.4 Ausatmend beginne von vorne, mit dem Unterschied, dass du in Position 4 das linke Bein
nach hinten führst und in Position 9 führst du den rechten Fuß als Erstes nach vorne.
Eine Runde ist vollständig, wenn du einmal mit dem rechten und einmal mit dem lin-
ken Bein nach hinten geübt hast. Wiederhole 3-mal und steigere die Wiederholungen
mit der Zeit. Schließe die Übungsserie in der Rückenlage (śava�sana) für 2-3 Minuten
ab und beobachte die Wirkung der Übung. Erlaube, dass Körper und Atem allmählich
zur Ruhe kommen.
Lege dich auf den Rücken. Beine abwickeln. Arme seitlich auf Schulterhöhe ausstrecken oder
die Finger unter dem Nacken verschenken. Die Arme sind dabei gebogen und liegen auf dem
Boden. Während des Ausatmens den Kopf nach rechts drehen und gleichzeitig die Beine
nach Links. Verharre einige Sekunden in der Haltung. Dann während des Einatmens den Kopf
und die Beine in die Mitte zurückbringen. Wiederhole in die andere Richtung. Wiederhole fünf
bis zehn Runden.
Durch das autonome Nervensystem reagiert das Zwerchfell auf Stress mit Verspannung
und so können auch Spannungen im Wirbelsäulenbereich entstehen. Die Atemübungen
unterstützen und stärken das Zwerchfell und erhöhen die Kapazität der Lungen und
wirken sich beruhigend auf Nervensystem und Gehirnwellen aus.
Wesentliche Rolle beim Prozess des Atmens spielt das Zwerchfell. Das Zwerchfell
steuert rhythmisch den Atemprozess, indem es sich bei der Kontraktion in Richtung
Bauchorgane wölbt und dadurch Unterdruck in den Lungen erzeugt, wobei sich der
Brustkorb weitet und die Luft in die Lungen hineinströmt. Die Bauchorgane werden
sanft massiert und nach unten gedrückt; dabei bewegt sich die Bauchwand leicht und
spontan vorwärts. Wenn das Zwerchfell sich entspannt – sich also zurück in Richtung
Lungen wölbt – zieht sich der Brustkorb leicht zusammen und die Luft entweicht aus
den Lungen. Die Bauchorgane und Bauchwand kommen in ihre ursprüngliche Position
zurück. Dieser Prozess wird unbewusst 24 Stunden am Tag durch die Impulse vom
autonomen Nervensystem und dem dazu gehörenden Zwerchfellnerv (Nervus phre-
nicus) durchgeführt. Im Yoga werden die Anspannung und Entspannung des Zwerch-
fells bewusst genutzt und gesteuert. Das Atmen wird bewusst vertieft und verlängert.
Der Atem spielt die Hauptrolle in der Yoga-Praxis – er verbindet den Geist mit dem
Körper und zieht sich thematisch wie ein roter Faden durch die Übungen. Den Atem
in jedem Moment wahrzunehmen, ist eine Praxis der Achtsamkeit, die sich dann im
Die Atemübungen sollten eher nüchtern geübt werden. Am besten in der Früh, nach
dem du die Körperhaltungen geübt hast. Es geht aber genauso vor dem Mittagessen
oder zur Beruhigung vor dem Schlafengehen.
Atme ruhig und spontan weiter, ohne den Atem zu beeinflussen. Die Augen sind geschlossen,
dennoch achte darauf, dass du nicht einschläfst! Beobachte die Bewegung der Bauchwand
und wie sich die Fingerkuppen der Mittelfinger während der Einatmung leicht auseinander
bewegen und während der Ausatmung wieder berühren. Schaue dieser Bewegung neutral
zu. Der Atem fließt frei und spontan. Die Übung dient als Entspannung und Bewusstwerdung
des Atems und kann z. B. vor dem Schlafengehen und während des Tages geübt werden.
Wichtig ist, dass der Atem spontan und natürlich bleibt, ohne jegliche Anstrengung. Übe die
Beobachterhaltung und dabei loszulassen, indem du den Atem nicht bewusst zu steuern
versuchst.
Beobachte die natürliche Atmung für ein paar Atemzüge, ohne einzugreifen. Lasse ihn ganz
natürlich fließen. Spüre in die Bewegung des Zwerchfells unterhalb der Lungen hinein. Versu-
che seine ganze Fläche zu erspüren – nach vorne, zur Seite und auch nach hinten in Richtung
Wirbelsäule. Allmählich beginne die Bewegung des Zwerchfells bewusst und achtsam zu ver-
tiefen, jedoch ohne jegliche Anstrengung. Beobachte, wie während der Einatmung die Bauch-
wand sich spontan nach oben bewegt und während der Ausatmung wieder nach unten sinkt.
Vertiefung: Wenn es sich angenehm anfühlt, kannst du die Dauer der Ein- und Ausatmung
angleichen, in dem du die Dauer der Ausatmung an die Dauer der Einatmung angleichst, so
dass sie gleich lang werden. Das ist das Verhältnis 1:1.
Sobald dieser Atemrhythmus leichtfällt, könntest du versuchen, die Dauer der Ausatmung
zu verdoppeln also zum Verhältnis 1:2 übergehen, um dann eine optimale Entspannung des
Nervensystems zu erreichen.
Wichtig: Der Atem darf nicht mit Anstrengung ausgeführt werden, da sonst eher mentaler
Stress entsteht. Die Atmung soll durchgehend angenehm bleiben.
Übe nun bewusst die Bauch- und Zwerchfellatmung in einem bestimmten Rhythmus, die
sich als sehr beruhigend für unser (sympathisches) Nervensystem herausgestellt hat. Bei
dieser Atemübung wird die Spanne der Ausatmung verlängert.
Lege dich – wenn möglich – flach auf den Rücken. Du kannst die Beine anwinkeln, die Füße
sollten flach am Boden stehen. Lege deine Hände auf den Bauch. Erst wenn du dich sicher
fühlst, wie sich die Bauchatmung anspürt, kann auch im Sitzen oder Stehen geübt werden.
Vielleicht muss erst die Gewohnheit verabschiedet werden, den Bauch einzuziehen, denn
diese verhindert, dass wir tief atmen.
Atme 4 Sekunden langsam durch die Nase in den Bauch ein. Dabei wölbt sich die Bauchwand
durch das Einatmen spontan vor, Brust und Schultern bleiben ruhig. Du kannst die rechte
Hand am Bauch halten und die linke auf der Brust, um zu spüren, dass die Brust ruhig bleibt.
Dann atmest du 6 Sekunden langsam und hörbar mithilfe der Lippenbremse (also gegen
den Widerstand der gespitzten Lippen) aus dem Mund wieder aus. Das Zwerchfell geht dabei
wieder zurück, die Bauchwand senkt sich, Schultern und Brust bleiben ruhig.
Auf der nächsten Stufe verlängere die Ausatmung auf das Doppelte, d. h. 4 Sekunden ein-
atmen und 8 Sekunden ausatmen.
Höre nun in dich hinein, wie sich Körper und Geist anfühlen. Bleibe noch entspannt
liegen und lächle sanft.
Ausgangsposition: Bequeme Sitzhaltung. Kann auch auf dem Sessel ausgeführt werden.
Wichtig ist, dass der Rücken aufgerichtet und der Brustraum offen ist, ohne den Rücken auf
die Rückenlehne abzustützen. Der Körper ist locker.
Beobachte den natürlichen Atem für ein paar Atemzüge und beginne den Atem leicht zu ver-
tiefen. Zähle die Dauer der Ein- und Dauer der Ausatmung mit. Allmählich beginne die Dauer
der Ein- und Ausatmung im Verhältnis 1:1 anzugleichen, in dem du die Dauer der Ausatmung
an die Dauer der Einatmung angleichst, sodass sie gleichlang werden.
Hebe die rechte Hand vor dem Gesicht. Lege die Kuppen der Zeige- und Mittelfinger direkt
Abb.3: Wechselatmung
auf das Augenbrauenzentrum. Daumen auf das rechte Nasenflügel und Ringfinger auf das
Linke. Die Finger liegen sanft auf die Nasenflügel und schließen sanft abwechselnd die
Wenn du bereit bist, schließe das rechte Nasenloch und atme durch das linke Nasenloch ein.
Zähle die Atemdauer mit.
Öffne das rechte und schließe das linke Nasenloch und atme durch das rechte Nasenloch
aus. Die Ausatmung ist so lang wie die Einatmung im Verhältnis 1:1.
Öffne das linke und schließe das rechte Nasenloch und atme links aus.
Das ist eine Runde. Fahre fort für 6 weitere Runden. Wenn du Zeit hast, kannst du meh-
rere Runden üben. Je länger man diese Atemübung übt, desto ausgleichender wirkt sie.
Sollte der rechten Arm müde werden, kannst du den rechten Ellbogen mit der linken
Hand stützen.
Vertiefung: Sobald dieser Atemrhythmus nach einiger Zeit leichtfällt und du ohne
großes Bemühen bis zehn zählen kannst, kannst du versuchen, die Dauer der Aus-
atmung im Verhältnis 1:2 zu verdoppeln, um dann maximale Entspannung für das
Nervensystem zu erreichen.
Wichtig: Der Atem darf nicht mit Anstrengung ausgeführt werden, da sonst eher
mentaler Stress entsteht. Die Atmung soll durchgehend angenehm bleiben. Beide
Nasengänge sollen frei sein.
Ausgangsposition: Bequeme Sitzhaltung. Die Übung kann auch auf dem Sessel ausgeführt
werden. Wichtig ist, dass der Rücken aufgerichtet ist und der Brustraum offen, ohne den
Beobachte den natürlichen Atem für ein paar Atemzüge und beginne den Atem leicht zu
vertiefen.
Hebe die Arme zur Seite an, beuge die Ellbogen und bringe die Hände zu den Ohren. Ver-
schließe mit Zeige- oder Mittelfingern die Ohren. Die vorderen Knorpel oder die Ohrläppchen
können angedrückt werden, ohne die Finger in die Ohren zu stecken.
Abb. 4: Position beim Bienensummen Richte die Achtsamkeit zur Kopfmitte. Atme durch die Nase ein. Atme langsam und kont-
rolliert aus, während du ein tiefen, gleichmäßigen Summton wie das Summen einer Biene
erzeugst. Das Summen ist sanft, gleichmäßig und hält während der ganzen Atmung aus. Das
ist eine Runde.
Wirkung: Löst Stress und mentale Anspannung, hilft Ärger, Ängste und Schlaflosigkeit
zu überwinden, regt die Selbstheilungskräfte des Körpers an. Die Stimme wird kraft-
voll, und Halserkrankungen werden gelindert. Die Wahrnehmung wird nach innen
gelenkt. Die Schwingung des Summtons besänftigt den Geist und das Nervensystem.
Śava�sana ist eine der wichtigsten Haltungen, die als kurze Entspannungsphase während
und nach Bewegungen (a�sanas) und zwischen Atemübungen Anwendung findet oder
auch als längere Entspannungsübung seine Wirksamkeit entfaltet.
Haltung: in Rückenlage. Der Körper liegt symmetrisch in einer geraden Linie mit
den hüftbreit auseinander platzierten Fersen, wobei die Fußspitzen locker zur Seite
fallen. Das Becken ist leicht nach oben gekippt, sodass sich der untere Rücken besser
entspannen kann. Die Arme ruhen entspannt und ausgestreckt neben dem Körper,
berühren ihn jedoch nicht; die Handflächen sind dabei in einer Auswärtsdrehung der
Arme nach oben gerichtet. Die Finger sind entspannt. Die Schultern sind locker, die
Schulterblätter liegen flach auf dem Boden, das Kinn ist in Richtung Brust gesenkt,
damit sich der Nacken dehnen und entspannen kann. Der Kopf ist mittig ausgerichtet.
Der Mund und die Augen sind sanft geschlossen.
Yoga-nidra
� („yogische Schlaf“) – die wirkungsvollste Tiefen
entspannungstechnik
Yoga-nidra� löst Spannungszustände im Körper, indem sich der Geist durch die Bewusst-
werdung sinnlicher Wahrnehmungen sowie durch das Kreisen der Achtsamkeit bei
verschiedenen Körperteilen auf natürliche Weise sukzessiv von äußeren Sinnesreizen
abwendet. Die Achtsamkeit wird nach innen gelenkt. Durch die Übung kann sich das
sympathische Nervensystem allmählich entspannen und Schlafprobleme können so
mit der Zeit behoben werden.
Die vorgestellten Übungen entfalten nur dann ihre volle Wirkung, wenn diese regel-
mäßig durchgeführt werden. So können wir lernen, mit Belastungen und Stresssitu-
ationen besser umzugehen und die Balance zwischen Anspannung und Entspannung
gut zu halten.
Saraswati, Satyananda Swami (2019): Yoga-nidra�. Yoga Publication Trust, Munger, Bihar, India
Schmid, Gary Bruno (2019): Selbstheilung stärken. Wie Sie durch Vorstellungskraft Ihre Gesundheit
optimieren. Springer-Verlag, Berlin.
Walker, Matthew (2018): Das große Buch vom Schlaf. Die enorme Bedeutung des Schlafs. Goldmann
Verlag, München.
Zur Autorin
Nadeshda Stürzebecher, MMag.a art, ist diplomierte Pädagogin, AHS-Lehrerin in Wien und akkreditierte
Lehrerin für Satyananda Yoga®. Spezialisierung für Yoga im Bildungswesen bei RYE (Research on Yoga in
Education), London, UK. Mitglied des BYO /EYU (Berufsverband der Yogalehrenden in Österreich) sowie
des ESYF (European Satyananda Yoga Family). Sie unterrichtet Yoga und Entspannungstechniken im
schulischen Kontext seit 2013. 2016–2018 Mitarbeit im zweijährigen-Forschungsprojekt des BYO „Yoga
macht Schule“.
Abbildungen mit der freundlichen Erlaubnis von ©Christina Jagusiak - Satya Live Yoga, Australien
Herausgeber
NCoC (National Center of Competence) für Psychosoziale Gesundheits
förderung an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich
Linz 2021
ISBN
978-3-9504968-1-9
Bezugsadresse
NCoC für Psychosoziale Gesundheitsförderung
der Pädagogischen Hochschulen Österreichs
Kaplanhofstraße 40
4020 Linz
Tel.: 0732 7470 8000
E-Mail: ncoc@hepi.at
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Lektorat
Prof.in Christa Hagler BEd MA, PH OÖ
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