Seit dem Ende der Finanzkrise beklagt die Wirtschaft wieder vehement einen Mangel an
Fachkräften - nun hat die Bundesregierung reagiert und ihr "Konzept Fachkräftesicherung"
beschlossen. Wer es liest, spürt vor allem die Vorsicht, mit der es formuliert wurde.
Und so wurde daraus eher ein kleiner Schritt als ein großer Sprung. Viele, von Wirtschaft bis
Wissenschaft, hatten sich weiter reichende Änderungen erhofft. Aber das politische System
folgt eben den Regeln der Politik, nicht denen der Wirtschaft oder der Wissenschaft.
Dabei ist die Bestandsaufnahme der Regierung korrekt: Es wird festgestellt, dass in
Deutschland noch kein allgemeiner und flächendeckender Fachkräftemangel vorliegt. Es
treten jedoch erste Engpässe auf - in bestimmten Berufen, bei bestimmten Qualifikationen, in
einzelnen Regionen und Branchen. Beispiele sind einige Ingenieurberufe wie die Maschinen-
und Fahrzeugbauingenieure oder die Elektroingenieure und bestimmte Gesundheitsberufe.
Das ist kein Grund zur Entwarnung. Durch den demografischen Wandel wird sich das
Fachkräfteproblem in Zukunft deutlich verschärfen.
Was will die Bundesregierung dagegen unternehmen? Sie betont: "Die Nutzung und
Förderung inländischer Potentiale hat Vorrang in der Fachkräftesicherungspolitik." Das
werde "aber mit Blick auf die Folgen des demografischen Wandels nicht ausreichen. Wir
müssen und werden deshalb auch verstärkt auf qualifizierte Zuwanderung setzen."
Das klingt auf den ersten Blick vernünftig, ist jedoch eine problematische Schlussfolgerung.
Die Mobilisierung der inländischen Potentiale, der Versuch, deutsche Arbeitskräfte für den
Bedarf der Unternehmen fitzumachen, ist ein zentrales Anliegen der Arbeitsmarktpolitik und
muss mit ganzer Kraft betrieben werden. Der Gedanke aber, dass diese Mobilisierung
Priorität vor der Migrationspolitik haben solle, ist falsch. Die Förderung qualifizierter
Zuwanderung liegt auf einer ganz anderen Ebene. Bei der Mobilisierung bedarf es einer
aktiven Förderung, die natürlich Kosten verursacht, bei der qualifizierten Zuwanderung
hingegen geht es um den Abbau von Restriktionen.
Beide Maßnahmen stehen nicht in Konkurrenz zueinander. Nur weil man Zuwanderung
erleichtert, muss man nicht die Förderung auf dem deutschen Arbeitsmarkt einstellen. Dazu
besteht auch kein Anlass - es braucht keine Priorisierung.
Offenbar schwingt immer noch die Vorstellung mit, dass qualifizierte Zuwanderer deutschen
Arbeitnehmern die Arbeitsplätze wegschnappen könnten. Die Zahl der Arbeitsplätze ist aber
nicht konstant, sie kann sich durch qualifizierte Zuwanderung durchaus erhöhen.
Beispielsweise können aufgrund der Konstruktionsarbeiten eines Ingenieurs Arbeitsplätze für
geringer Qualifizierte in der Produktion entstehen.
Wenn man von qualifizierter Zuwanderung als nachrangiger Maßnahme spricht, dann wirkt
das halbherzig und wird nicht gerade als Einladung verstanden. Deutschland wird aber nicht
gerade von qualifizierten Zuwanderern überrannt, im Gegenteil. Im Rennen um die besten
Köpfe stehen wir in Konkurrenz mit anderen attraktiven Zielländern.
Und man sollte auch nicht vergessen, dass qualifizierte Zuwanderung eine deutliche
Entlastungswirkung für unser Sozialsystem mit sich bringt. Denn teure Spezialisten zahlen in
die Sozialkassen unterm Strich deutlich mehr ein als sie an Leistungen in Anspruch nehmen.
Wie sehen nun die konkreten Schritte aus, die das Konzept enthält? Die Bundesregierung
skizziert fünf Pfade, die sie beschreiten will:
Das heißt: Bei diesen Berufen muss die Bundesagentur für Arbeit zukünftig nicht mehr
prüfen, ob ein bereits hier lebender Bewerber zur Verfügung steht, bevor ein Bewerber aus
einem Nicht-EU-Land eingestellt werden kann. Dies ist eine längst überfällige Maßnahme,
reicht aber keineswegs aus. Die Vorrangprüfung passt generell nicht in die heutige Zeit.
Stattdessen wären transparente generelle Regeln wie ein Punktesystem für die Steuerung der
Zuwanderung - nach kanadischem oder australischem Vorbild - sinnvoller.
Ohne solch eine systematische Steuerung wird es keinen Zuwanderungsstrom geben, sondern
allenfalls ein Tröpfeln. Das wäre aber nicht nur angesichts der kommenden
Fachkräfteengpässe zu wenig, sondern auch für die Stabilisierung unserer sozialen
Sicherungssysteme.