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DIE FREIMAUREREI
IHREN ANHÄNGERN VERSTÄNDLICH GEMACHT
.. '
Die Freimaurerei
ihren Anhängern verständlich gemacht
DIE FREIMAUREREI
IHREN ANHÄNGERN VERSTÄNDLICH GEMACHT
DER GESELLE
LE COMPAGNON
Vorwort
Wer Oswald Wirth war und was er für die Freimaurerei bedeutet,
ist aus deutscher Sicht bislang schwer zu ermessen gewesen.
6 Der Geselle
,,L'acacia" und „La Lumiere", bevor er 1912 die Monatszeit
schrift „Le Symbolisme" gründete. Diese Zeitschrift trug zu
Beginn den Untertitel: ,,Organ der universellen Bewegung der
initiatischen Regeneration" und später „Organ der Einweihung
in die Philosophie der hohen Kunst der universellen Konstruk
tion". Es wurden zwischen 1912 und Juni 1940 insgesamt 244
Ausgaben veröffentlicht. 1935 rief ihn der Oberste Rat in seine
Mitte. Wir verdanken Wirth zahlreiche Veröffentlichungen über
die maurerische Symbolik, u. a. die Übersetzung und Kommen
tierung von Goethes „Märchen" unter dem Titel „Le serpent Vert
- Conte symbolique de Goethe traduit et commente par Oswald
Wirth" - Die grüne Schlange - Symbolische Erzählung von Goe
the (1922), ,,L'ideal initiatique" - Das initiatische Ideal, wie es
sich aus Riten und Symbolen erschließen lässt (1923, vervoll
ständigte Fassung 1927), ,,Le symbolisme hermetique dans ses
rapports avec l'Alchimie et la Franc-ma�onnerie" - Die herme
tische Symbolik in ihren Beziehungen zu Alchemie und Frei
maurerei (1930), ,,Les Mysteres de l' Art Royal" - Die Mysterien
der königlichen Kunst (1932) oder „Notions elementaires de
Ma�onnisme" - Grundbegriffe der Maurerei (1934). In seinem
letzten Werk „Qui est regulier? Le pur ma�onnisme sous le Re
gime des Grandes Loges inaugure en 1717" - Wer ist regulär?
- Die echte Maurerei unter dem Regime der 1717 gegründeten
Großlogen (1938), griff Oswald Wirth 26 seiner sehr zahlreichen
in ,,Le Symbolisme" veröffentlichten Artikel wieder auf. Er starb
am 9. März 1943 in Mouterre-sur-Blourde bei Poitiers im fran
zösischen Departement Vienne.
Vorwort 7
Die vorliegenden Bücher des Lehrlings, des Gesellen und des
Meisters, die regelmäßig in der Originalfassung neu aufgelegt
werden und hier erstmals in deutscher Übersetzung des franzö
sischen Originals zum Abdruck kommen, sind keine Lehrbücher,
anhand derer Schüler Lektionen lernen und diese im Anschluss
fehlerfrei vortragen müssen. Die Initiation als solche und die
Einführung in jeden neuen Erkenntnisgrad lehrt zu denken, also
sich persönlich in Richtung der Wahrheit zu bemühen. Jene wird
den Eingeweihten niemals offenbart; ihre Pflicht ist es, die sie
interessierenden Geheimnisse durch eigene Arbeit zu erfor
schen. Die Kunst, der sie sich dabei widmen, verlangt von ihnen,
dass sie lernen, das Gebäude ihres eigenen Glaubens nach ih
rem persönlichen Belieben zu errichten. Sie verfügen dabei über
die ganze Freiheit, mit sorgfältig ausgesuchten Materialien ein
stabiles Bauwerk zu errichten. Genauso wenig, wie hierzu jeder
Stein annehmbar ist, soll auch nicht jeder Begriff ohne Über
prüfung angenommen werden und so das Zusammenhalten des
Ganzen garantieren. Die Trilogie, die Oswald Wirth den drei
Graden widmete, ist dementsprechend vielmehr als Nachschla
gewerk zu sehen, das Lehrlinge, Gesellen und Meister in ihre
jeweils neue Welt einführt.
8 Der Geselle
eigener Initiation in die jeweiligen Grade durch Bearbeitung und
Fertigstellung des Manuskriptes unterstützt.
Maria-Rebecca Legat
Berlin, 2013
Vorwort 9
DAS BUCH DES GESELLEN
DEN EINGEWEIHTEN DES 2. GRADES ZUGEEIGNET
nach Abschluss Ihrer Lehrzeit hält man Sie für fähig, sinnvoll
am Großen Werk des Weltenbaus mitzuarbeiten. So wurden Sie
in die Reihen der Arbeiter aufgenommen, die etwas von ihrem
Beruf verstehen: Nun kann man Ihnen eine Aufgabe übertragen,
und Sie werden sie bestimmt nach allen Regeln unserer Kunst
getreulich ausführen.
Aber damit Sie sich auch des in Sie gesetzten Vertrauens wür
dig erweisen können, müssen Sie unbedingt zu wahren Gesellen
werden.
10 Der Geselle
Da unsere im Wesentlichen philosophische Vereinigung immer
gern den Weg der Synthese beschreitet, liebt sie es, das Ganze
in seinen Teilen einzuschließen. Der erste Grad ist unter die
sem Gesichtspunkt so gut aufgebaut, dass er der einzige bleiben
könnte, wenn unser Geist nur in der Lage wäre, wirklich alles zu
erfassen, was in ihm enthalten ist.
Vergessen Sie vor allem nicht, dass der Lehrlingsgrad die Basis
der gesamten Maurerei bildet. Alle weiteren Fortschritte gründen
sich auf ein vertieftes Studium dieses Grades. Man muss ständig
zu diesem Ausgangspunkt zurückkehren, wenn man weiterkom
men will. Der erste Grad ist der Schlüssel zu allen anderen. Da
mag ein Maurer so viele Hochgrade erreicht haben, wie er will -
wenn er die Esoterik des Lehrlingsgrades nicht kennt, verfügt er
nicht über ausreichendes maurerisches Wissen, und alle bunten
Bänder, mit denen er sich schmückt, sind nichts als eitler Tand!
Der zweite Grad ist im Übrigen die abschließende Weihe des
ersten Grades in dem Sinne, dass der Lehrling nur deshalb in die
Klasse der Werkleute oder Gesellen aufgenommen wird, weil er
als Lehrling entsprechende Fortschritte gemacht hat. Der erfolg
reiche Abschluss seiner Lehrzeit macht ihn einer Lohnerhöhung
wert.
Wie weit wir letztlich auch kommen, stets sollten wir uns die
Fähigkeit erhalten, Lehrling zu bleiben, denn wir dürfen nie auf
hören zu lernen. Als er schon das hundertste Lebensjahr über
schritten hatte, bezeichnete sich der berühmte Chevreul immer
noch als Student, denn er war der Überzeugung, ein wirklicher
Gelehrter dürfe niemals aufhören zu studieren. Behalten wir
diese Lehre im Gedächtnis, werden wir nie müde, an unserer
eigenen moralischen und geistigen Vervollkommnung zu arbei
ten! Diese immerwährende Lehrlingsausbildung müssen wir mit
aller Standfestigkeit weiter verfolgen, denn nur sie vermittelt das
wahre Gesellentum, anders ausgedrückt die Fähigkeit zu frucht
barem Handeln und praktischer Welt- und Lebensgestaltung.
12 Der Geselle
Gehen Sie also noch einmal all das sorgfältig durch, würdige und
geliebte Brüder Gesellen, was Ihnen früher beigebracht wurde;
wenden Sie sich dann den Rätseln zu, die Ihnen Ihr derzeitiger
Grad aufgibt. Mit Hilfe Ihrer inneren Erleuchtung werden Sie
alle Schwierigkeiten überwinden, wie groß sie auch sein mögen.
Schon der Maurerlehrling ist ein Weiser, wie er nur selten unter
den Menschen anzutreffen ist. Was wird dann erst der Geselle
sein, dieser aufgeklärte Denker, dem die uneingeschränkte Gabe
des Handelns zugewachsen ist!
Vor allem aber lassen Sie sich nicht entmutigen! Haben Sie den
Heldenmut jener Gefährten des Jason [ 1 ], die es wagten, sich mit
ihm einzuschiffen, um das Goldene V ließ zu erobern. Zählen Sie
auf Ihren Scharfsinn und greifen Sie zugleich zurück auf die ver
borgensten Energien Ihres Willens! Sie werden nichts erreichen,
wenn Sie sich nicht genug Mühe geben; aber Sie können alles
erwarten, wenn Sie Ihr Ziel ohne Schwäche weiter verfolgen
und dazu Ihr ganzes Herz einbringen!
***
Oswald Wirth
14 Der Geselle
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 6
Vorwort der Ausgabe von 1931 10
Teil I
Teil II
Teil III
16 Der Geselle
Teil IV
Teil V
LEHRGESPRÄCH IM GESELLENGRAD 87
Lehrgespräch im Gesellengrad 87
Teil VI
Teil VII
Inhaltsverzeichnis 17
Das Zeichenbrett 129
Winkelmaß und Zirkel 131
Der Kubische Stein mit Spitze 133
Die Knotenschnur 134
Teil VIII
RITUALUNTERSCHIEDE 137
Sprachverwirrung 137
Die heiligen Worte 138
Aktivität und Passivität 140
Die fünf Sinne 142
Die fünf Stilrichtungen der Architektur 143
Die Künste 143
Englische Bräuche 144
Plan einer angelsächsischen Loge 147
Teil IX
ANMERKUNGEN 156
18 Der Geselle
Inhaltsverzeichnis 19
Teil I
HISTORISCHE
BEMERKUNGEN ÜBER
DEN GESELLENGRAD
Jede Art von Kunst im weitesten Sinne des Wortes ist dadurch
gekennzeichnet, dass sie nicht einfach von jedem Erstbesten
ausgeübt werden kann. Um Künstler zu werden, muss man eine
besondere Fertigkeit erwerben und Fähigkeiten entwickeln, über
die nicht jeder verfügt.
Wer sich dergestalt durch sein Talent über den Durchschnitt der
übrigen Sterblichen erhebt, kann mit Recht stolz sein; im Ver
gleich zur ungeschickten und unwissenden Masse kann er sich
als Teil einer Elite betrachten. Jene verkörpert in seinen Augen
die profane Welt, von der er sich auf Grund seiner Überlegenheit
unterscheidet.
20 Der Geselle
und sich einer eigenen Gemeinschaft angeschlossen, deren Mit
glieder durch ganz besondere Bande der Solidarität miteinander
vereint sind. Diese Bande haben mit praktischer Organisation
nichts zu tun; sie entwickeln sich zwangsläufig, allenfalls getra
gen von dem allen Künstlern unabweisbaren Drang der Liebe
zur Kunst. Um in einer Kunstart erfolgreich zu sein, ist es in
der Tat unumgänglich, sich ihr mit Liebe zu widmen. Niemand
darf die Vorrechte des wahren Künstlers genießen, der nicht die
notwendigen Opfer gebracht, sondern sich stattdessen damit be
gnügt hat, die Kunst bloß als Liebhaber ohne innere Beteiligung
auszuüben, ohne also sein ganzes Herz hineinzulegen und sich
ihr wie einem Kult bis zur völligen Aufgabe seiner selbst hin
zugeben.
Wir stehen nicht mehr allein: Eine geheimnisvolle Art von Un
terstützung ermutigt unsere Anstrengungen, leitet unser Han
deln, befruchtet unsere Versuche; die Gemeinschaft übt ihren
seelischen Einfluss auf jeden Einzelnen aus, der ihr angehört.
Man wird nicht einfach dadurch zum Künstler, dass man es will.
Dazu braucht es vielmehr eine oftmals lange und immer undank
bare Vorbereitung, die der Lehrlingszeit entspricht, deren Ziel
es ist, den Lernenden schrittweise mit der Praxis seiner Kunst
vertraut zu machen.
22 Der Geselle
Diese Reisen wird er aber vor allem auch deshalb unternehmen,
um sich in der praktischen Ausübung seiner Handwerkskunst zu
vervollkommnen: Er wird Arbeitstechniken miteinander verglei
chen und sich bemühen, unter der Leitung der erfahrensten Mei
ster verschiedener Länder zu arbeiten. Überall nehmen ihn die
Mitglieder der Zunft brüderlich auf; sie haben vor ihm keinerlei
technische Geheimnisse und sind glücklich, ihm das beibringen
zu können, was er vielleicht noch nicht weiß. Sie behandeln ihn
wie einen der ihren ohne Rücksicht auf seine Begabung oder
seinen beruflichen Wert, denn bei allen unterschiedlichen Mög
lichkeiten und Fähigkeiten ist doch ausgemacht, dass alle sich
der Arbeit mit demselben Eifer und derselben Hingabe widmen.
Im Übrigen verfügen alle, die sich durch das heilige Band der
Kunst vereint fühlen, über die gleichen Rechte.
Nun ist er zum Weisen geworden und hat das Alter erreicht, in
dem die physischen Kräfte langsam nachlassen, während gleich
zeitig der Verstand in der Lage ist, den Gipfel der Luzidität zu er
klimmen. Er wird Meister vom Stuhl, auch wenn die Werkzeuge
in seinen schwach gewordenen Händen zittern. Was macht das
schon aus! Er muss den Stein nicht mehr behauen, er zeichnet
Pläne, und es sind sein Gehirn und vor allem seine Phantasie,
die arbeiten. Er tritt in enge Verbindung ein mit allen, die sich
bis hinab in die fernste Vergangenheit bebend und zitternd ganz
und gar in die Kontemplation des nämlichen Ideals versenkt
haben. So verkörpert der Meister jene unzerstörbare Tradition,
die notwendigerweise in allen wahren Adepten wieder auf- und
weiterlebt.
Ist damit auch gesagt, dass mit den drei Graden auch stets ze
remonielle Initiationsriten verbunden waren? Bis in die jüngste
Zeit hätte niemand gezögert, diese Frage zu bejahen und sich da
bei darauf berufen, was in der Freimaurerei seit ihren Anfängen
praktiziert wurde. Aber intensive historische Forschung hat in
den letzten dreißig Jahren dazu geführt, dass alle diese Vorstel
lungen umgestoßen wurden. Wir wissen nun, dass die moderne
Maurerei vor 1730 nur in zwei Graden arbeitete und die eng
lischen Logen des 17. Jahrhunderts nur eine einzige Zeremonie
gekannt zu haben scheinen, um jemanden zum Freimaurer zu
machen. Die Einzelheiten dieser Zeremonie sind uns bei wei-
24 Der Geselle
tem noch nicht genau bekannt. Folgende Punkte dürften jedoch
zweifelsfrei feststehen:
26 Der Geselle
Als eine erste Konsequenz dieser Strömung wurde eine Zere
monie wieder eingeführt, die man längst aufgegeben hatte und
an die sich nur noch einige ältere Maurer erinnerten. Man be
hauptete, sie bezöge sich auf jene tiefsten Geheimnisse, die man
nur den Meistem enthüllen dürfe. Damals wurden zwei Grade
bearbeitet, aber es ist schwierig, ihre Wertigkeit im Vergleich zu
den heutigen symbolischen Graden zu bestimmen. Unter ritua
listischen Gesichtspunkten darf man jedoch annehmen, dass der
erste Grad einem um später den Gesellen vorbehaltene Instrukti
onen erweiterten Lehrlingsgrad entsprach [2]. Was den höheren
Grad betrifft, so drängte sich seine Zugehörigkeit zum Meister
grad auf. Diese Fragen werden dadurch weiter kompliziert, dass
man sich nicht sogleich darüber verständigte, wie man die bei
den hier in Rede stehenden Grade nennen sollte. Einigen Texten
zufolge sind die Maurer des ersten Grades schlichte Lehrlinge,
die des zweiten Grades aber Meister und Gesellen. Wir finden
allerdings auch Lehrlinge und Gesellen im ersten und Meister
im zweiten Grad.
Ritualangleichung
28 Der Geselle
Zusammenkunft eines Mysterienbundes keineswegs sind, von
der schließlich alle Profanen und sogar die Freimaurerlehrlinge
ausgeschlossen sind.
RITUALISTIK DES
GESELLEN GRADES
Maurerische Eindrücke
30 Der Geselle
dann interessant, wenn sie ungeschminkt den Seelenzustand des
Anfängers wiedergeben, der noch ganz gepackt ist von dem, was
ihm nach dem Abnehmen der symbolischen Binde vor Augen
gekommen ist. Es ist gut, wenn er mutig alles in Frage stellt, was
er nicht verstanden hat, denn dadurch bezeichnet er selbst die
Schwerpunkte, an denen sich seine weitere Ausbildung wird ori
entieren müssen. Diese Ausbildung kann in der Loge geschehen,
etwa in der Form, dass der Stuhlmeister, der Redner oder ein an
derer kompetenter Bruder die im Rahmen jener Eindrücke auf
geworfenen kritischen Fragen sogleich beantwortet, aber auch
in Form von späteren Konferenzlogen, in denen die notwen
dige weitere Aufklärung vermittelt wird. Die in Gemeinschaft
erfolgte Instruktion genügt jedoch nicht. Kein Lehrling darf in
seiner Loge sich selbst überlassen werden; alle Mitglieder haben
die Pflicht, ihn weiterhin zu belehren. Was dergestalt die Aufga
be eines jeden Einzelnen sein sollte, wird aber nur allzu leicht
von allen vergessen, weil sich jeder auf den anderen verlässt.
Deshalb sieht die Tradition klugerweise vor, dass jeder Neophyt
während seiner Lehrzeit einem eigens dafür bestimmten Meister
zugesellt wird, der persönlich für die Ausbildung seines Lehr
lings verantwortlich ist. Die Auswahl dieses Meisters soll sich
nach den maurerischen Eindrücken des Neuinitiierten richten,
dessen erstes Werkstück ja dem ihm bestellten Ausbilder vorzu
legen ist, der dann die Aufgabe hat, seinen Schüler im Rahmen
mehrerer Einzelgespräche über alles aufzuklären, was er wissen
muss, bevor er für die Beförderung in den Gesellengrad vorge
schlagen werden kann.
Di� Lehrzeit
Auch der begabteste Neophyt hat eine harte Aufgabe vor sich,
wenn er sich ernsthaft auf die Gesellenzeit vorbereiten will.
Für die Aufnahme als Lehrling genügt es, wenn gewisse Fähig
keiten, guter Wille und die nötige Entschlossenheit, diesen guten
Willen in die Tat umzusetzen, vorhanden sind. Um die Gesellen
prüfung zu bestehen, wird indessen mehr verlangt als nur Ver-
32 Der Geselle
Die Prüfung des Kandidaten
Wohl nur aus einem Gefühl für Symmetrie heraus hat es die
angelsächsische Maurerei für nötig gehalten, dem Kandidaten
für den 2. Grad eine Vorbereitungshandlung aufzuerlegen, die
analog zu derjenigen verläuft, der sich der Profane zu stellen
hat, der sich erstmals in der Loge vorstellt. Das 1813 von der
Großloge von England verabschiedete Ritual sieht vor, dass der
in den 1. Grad Aufzunehmende allen Metalls beraubt, mit ver
bundenen Augen, entblößter linker Brust und entblößtem linken
Knie erscheint und dabei am rechten Fuß einen Pantoffel und um
den Hals einen Strick trägt. Für den 2. Grad ist die umgekehrte
Vorgehensweise vorgeschrieben. Dieses Mal sind der linke Arm
sowie die rechte Brust und das rechte Knie nackt; der Pantoffel
bekleidet nicht mehr den rechten, sondern den linken Fuß. Die
Augen sind in den britischen Logen nicht mehr verbunden, weil
der Maurer das Licht ja bereits gesehen hat. Anders in Amerika,
wo die Binde bei der Aufnahme in die drei ersten Grade jeweils
34 Der Geselle
zwingend vorgeschrieben ist; im Gesellengrad beschränkt man
sich jedoch darauf, sie lediglich über das rechte Auge zu legen.
Auch die amerikanischen Maurer lieben den Strick, den sie dem
in den Gesellengrad zu Befördernden zweimal auf Höhe des Bi
zepses um den rechten Arm schlingen. Im Meistergrad dient der
selbe Strick dem zu Erhebenden als dreifach geschlungener Gür
tel, während der Oberkörper und beide Arme nackt sind ebenso
wie beide Beine unterhalb des Knies.
36 Der Geselle
Zwischen den beiden Säulen
stehend, darf der Bewerber
um den Gesellengrad in mo
ralischer Hinsicht nicht hinter
jenem Helden der Mythologie
zurückstehen. Aufgefordert,
sich ohne Einschränkung für
das Wohl aller einzusetzen,
ist es seine Aufgabe, nach der
theoretischen Vorbereitung in
der Lehrlingszeit nunmehr eine
Laufbahn praktischer Tätigkeit
einzuschlagen und dabei die
Versuchungen eines auf Ge
nuss und sybaritische Hingabe
an die Freuden des Daseins be
ruhenden leichten Glücks zu
rückzuweisen.
Welche Vorstellungen soll sich nun der Bewerber von dem Grad
machen, den er anstrebt? ,,Die Prüfungen des 1. Grades", so er
klärt man ihm, ,,bestanden in einer Reihe von Reinigungsakten,
die Sie in die Lage versetzen sollten, das Licht zu sehen. Sie
wurden von allem befreit, was Ihrem spirituellen Weg hinder
lich sein konnte; dieser Vorgang ist indessen im Wesentlichen
negativ. Durch die Loslösung von profanen Vorurteilen haben
Sie sich zugleich bemüht, alles Falsche zu vergessen, das man
Ihnen beigebracht hat. Sie haben, wie Descartes sagte, reinen
38 Der Geselle
Die Reisen
Erste Reise
Zuerst wendet sich der Lehrling mit Hilfe einer Art Spitzhacke
oder Spitzhammer, der in den englischen Ritualen als „common
gavel" bezeichnet wird, dem Rauen Stein zu. Das Werkzeug er
laubt nur eine oberflächliche Glättung. So muss man weiterhin
auf Hammer und Meißel zurückgreifen, um Stück für Stück die
Unregelmäßigkeiten des Steinblocks abzuschlagen, den man zu
einem vollkommen Kubischen Stein zu formen hat.
40 Der Geselle
Zweite Reise
Kraft zum Handeln erwirbt man nur, wenn man sie zunächst an
sich selbst übt. Unser Verstand und unser Wille müssen sich auf
unsere eigene Vervollkommnung richten, bevor es uns gestat
tet ist, ein weitreichenderes Betätigungsfeld ins Auge zu fassen.
Der Geselle ist indessen keineswegs darauf beschränkt, sich nur
mit dem Gebrauch von Meißel und Hammer zu beschäftigen.
Zwar sind diese Werkzeuge für ihn von wesentlicher Bedeutung,
da er mit ihnen an das Urgestein herangeht, um es in Form zu
bringen. Aber andere Werkzeuge sind gleichfalls unerlässlich;
sie dienen der Überprüfung und Kontrolle der mit ersteren her
gestellten Werkstücke. Besonders wertvoll sind dabei Lineal und
Zirkel, denn nur sie ermöglichen die Entwicklung ausnahmslos
aller geometrischen Figuren.
Im Bereich der Ethik zeichnet uns die Strenge der Geraden eine
Verhaltensweise vor, von der wir niemals abweichen sollten.
Wir müssen - einem hohen Ideal verpflichtet - ohne Unterlass
versuchen, sie in die Tat umzusetzen. Aber selbst wenn wir die
angestrebte Vollkommenheit nie aus dem Auge verlieren, dürfen
wir es uns dennoch nicht gestatten, die realen Bedingungen au
ßer Betracht zu lassen, unter denen wir leben, denn ein abstraktes
Ideal lässt sich nur in dem Maße verwirklichen, indem es sich
den jeweils konkreten Notwendigkeiten anpasst. Diese können
Lineal und Zirkel lehren so, das Absolute mit dem Relativen zu
versöhnen. Niemals können wir unser Ideal zu hoch ansetzen,
aber wir verlangen nicht, dass eine Chimäre Wirklichkeit wird.
Vermeiden wir doktrinäre Intransigenz, die im wirklichen Le
ben zu nichts führen kann! Bei der Entwicklung von Ideen ist
der Geist durch nichts behindert, aber die Hindernisse, die uns
aus der Materie erwachsen, müssen erkannt und mit Erfindungs
reichtum und Geduld überwunden werden.
Dritte Reise
Der Kraft, die die Krampe oder Hebezange im Rahmen der Initi
ation symbolisiert, kann nichts widerstehen. Archimedes scheint
wie ein Eingeweihter zu sprechen, wenn er ausruft, er könne mit
jenem Werkzeug, dessen Anwendungsgebiet er soeben entdeckt
hatte, die ganze Welt aus den Angeln heben.
42 Der Geselle
Diese Fragen rühren an das bemerkenswerteste Geheimnis der
Freimaurerei. Ohne es hier preiszugeben, dürfen wir doch darauf
hinweisen, dass es ein unerschütterlicher, klug eingesetzter und
selbstloser Wille ist, der letztlich über alles triumphiert. Natür
lich ist ein wetterwendischer Wille machtlos, denn er kann kaum
irgendwelche Energien erzeugen. Fest aber auf Sinnloses gerich
tet, findet sich seine erstaunliche Kraft im Abseits wieder, ein
gesetzt für nichts und wieder nichts. Wenn Egoismus den Willen
leitet, erschaffi er sich ein Szenario, das zuletzt unvermeidlich in
der Katastrophe endet. Ein beständiger, gelassener, aber dennoch
kraftvoller und vor allem klarsichtiger Wille dagegen wird sich
als unüberwindbar erweisen, sofern er seinen Ausgangspunkt in
der absoluten Hingabe an eine erhabene, edle und großherzige
Sache genommen hat.
Ein Werkzeug von der Bedeutung des Hebels darf dem Gesellen
nur mit Bedacht anvertraut werden. Er erhält es erst, nachdem
er die Prüfungen mit Lineal und Zirkel bestanden hat. Je fürch
terlicher eine Kraft ist, desto mehr ist darauf zu achten, dass sie
in keiner Weise missbraucht wird. Die Kraft des Eingeweihten
würde sich im Übrigen gegen ihn selbst richten, wenn bei ihrem
Einsatz seine Absichten nicht vollkommen rein und nur an je
nem unwandelbaren Maßstab in Form eines Lineals ausgerichtet
wären, das er an sein Herz drückt, bevor er die Erlaubnis erhält,
die Krampe zur Hand zu nehmen.
Vierte Reise
Fünfte Reise
44 Der Geselle
keinerlei Zwang mehr unterworfen. Er ist vollkommen frei und
unabhängig geworden dank seines positiven Willens, der auf das
Gute gerichtet ist und ihn nur zu solchen Handlungen veranlasst,
die mit seiner Aufgabe als Arbeiter am Großen Werk des Fort
schritts übereinstimmen.
46 Der Geselle
Der wahre Weg zur Erleuchtung
Zum Ende seiner fünften Reise musste sich der Geselle mit nun
mehr gänzlich freien Händen in einen besonderen Zustand der
Aufnahmefähigkeit versetzen hinsichtlich eines ungreifbaren,
im Raum schwebenden und nicht näher zu fixierenden Lichtes.
In dieser Fähigkeit, die dunkel gefühlte Klarheit an sich zu zie
hen und sich nach und nach gänzlich mit ihr zu sättigen, liegt das
hauptsächliche Geheimnis des zweiten Grades der Initiation, der
den Weg zur Erleuchtung verkörpert.
Um zur Erkenntnis dieses geheimnisvollen Lichtes zu gelangen,
muss man nacheinander fünf [5] Stufen unterschiedlicher Farbe
emporsteigen, deren jede mit einem Planetenzeichen markiert ist.
Die erste ist schwarz und trägt das Zeichen des Saturn fi. Sie
deutet auf die Reinigung durch die Erde hin und auf die Not
wendigkeit, die Dinge zu vertiefen, ohne sich von ihrem äußeren
Anschein einfangen zu lassen.
Die folgende ist blau und dem Jupiter � gewidmet. Sie erinnert
an die Reinigung durch die Luft und an die Verpflichtung des In
itiierten, das Flüchtige vom Gebundenen, die Bezeichnung vom
Bezeichneten und den lebendigen Geist vom toten Buchstaben
zu befreien.
Die dritte ist grün und trägt damit die Farbe der Venus 9. Sie
nimmt Bezug auf die Reinigung durch das Wasser, die eine Säu
berung des geistigen Spiegels bewirkt, in dem sich für einen in
tuitiv begabten Menschen die Begriffe so klar spiegeln, dass er
fähig wird, selbst richtige Vorstellungen zu entwickeln.
Die vierte ist rot zu Ehren des Mars cf. Sie entspricht der Rei
nigung durch das Feuer, anders gesagt dem Aufflammen eines
inneren Brennens bis zur lodernden Erfüllung des ganzen Men
schen.
Das Pentagramm
Der Stern, der sich dem Gesellen als der endgültige Überwinder
der Anziehungskraft der Elemente offenbart, ist der Stern des
menschlichen Genius. Er hat fünf Zacken, die dem Kopf und den
Extremitäten des Menschen entsprechen. Diese wiederum ha
ben auszuführen, was das Gehirn befiehlt. Deshalb ist das Pen-
48 Der Geselle
tagramm, auch Stern des Mikrokosmos genannt, in der Magie
das Zeichen des souveränen Willens, der das unüberwindliche
Werkzeug des Initiierten ist.
Damit die Figur diese Wertigkeit haben kann, muss sie so gezeich
net werden, dass man ihr eine menschliche Gestalt in aufrechter
Haltung mit dem Kopf nach oben einfügen kann. Umgekehrt er
langt der fünfzackige Stern eine diametral entgegengesetzte Be
deutung. Dann ist er nicht mehr das leuchtende Pentalpha oder
der Stern der Weisen, das Emblem jener Freiheit, die es dem
Geist erlaubt, über die Materie zu herrschen, sondern das dunkle
Gestirn der niederen Instinkte und der Glut der lüsternen Hitze,
unter deren Joch die Tiere stehen. In der Folgezeit hat man darin
dann die schematische Darstellung eines Geißbocks gesehen. So
wird ein und dieselbe Abbildung, je nachdem, ob sie nach oben
oder nach unten ausgerichtet
ist, zum Symbol sowohl dessen,
was immer es an Edlem in der
menschlichen Natur gibt, als
auch für die brutale Triebhaf
tigkeit des Animalischen. Eine
entsprechend universale Kraft
wirkt im Übrigen in beiden Fäl
len; sie passt sich lediglich an
und ändert ihre Richtung - das
ist alles.
Von diesem wiederum ist in den Ritualen der Jahre vor 1737
nirgendwo die Rede. Erst von da an wurde das Emblem von den
französischen Logen verwendet, die seinerzeit stark vom Her
metismus beeinflusst waren. Die Maurer des 18. Jahrhunderts
bekundeten jedenfalls sehr bald eine Art kultischer Verehrung
für den Buchstaben G; den Worten des ältesten französischen
Katechismus zufolge hatten sie sich unter Bezugnahme auf ihn
zum Gesellen aufnehmen lassen. Die Bedeutung des Buchsta
bens hatte man in den Worten Glorifizierung, Größe, Geometrie
(Gloire, Grandeur, Geometrie) zu suchen, wobei sich „Glorifi
zierung" (Verherrlichung) auf Gott, ,,Größe" auf den Meister der
Loge und „Geometrie" auf die Brüder bezogen.
,,Was denn kann größer sein als ich, der Meister einer vollkom
menen und gerechten Loge?"
50 Der Geselle
,,Das ist Gott selbst, dessen Name durch diesen Buchstaben aus
gedrückt wird, der das aus dem Englischen stammende Wort
, God' bezeichnet."
Geometrie
Wenn sich die Bearbeitung der Steine nur um ein Weniges ver
kompliziert, muss der einzelne Arbeiter in der Lage sein, be
stimmte geometrische Probleme zu lösen. Diese Wissenschaft,
die fünfte nach der antiken Einteilung, stand dementsprechend
von Urzeiten her in hohem Ansehen bei den Maurern, die in ihr
die Lehre der Vernunft schlechthin und in gewisser Weise die
philosophische Grundlage ihrer Kunst sahen. Ihr Studium be
schränkte sich im Übrigen nicht auf die Vermessung verschie
dener Oberflächen und Festkörper. Nachdem die Geometrie
ihnen Führerin bei ihrer praktischen Konstruktionstätigkeit ge
wesen war, sollte sie ihnen darüber hinaus Klarheit verschaffen
über die Geheimnisse des Weltenbaus. Dank des auf Zahlen
und Formen gestützten spekulativen Denkens wurden die geo
metrischen Figuren zu Symbolen der Enthüllung. Es gibt in der
Tat eine rein initiatorische Geometrie, deren Lehrsätze sich auf
die schwierigsten Fragen von Metaphysik und Ontologie an
wenden lassen. Pythagoras war darin ein Meister, und Platon
war überzeugt davon, dass allein die Eingeweihten des zweiten
Grades die Tragweite seiner Lehren begreifen könnten, worauf
die berühmte Inschrift hinweist, die über dem Eingang zu seiner
Schule angebracht war: ,,Niemand möge hier eintreten, der die
Geometrie nicht kennt!"
52 Der Geselle
Insbesondere ist es seine Aufgabe, die beiden Faktoren, die sich
bei der Zeugung eines Wesens verbinden, genau zu unterschei
den. Dabei handelt es sich einerseits um eine aktive, konzen
trierte Energie, die danach strebt sich zu entfalten, um einen
Organismus zu bilden, der in der Lage ist, die Funktionen zu
erfüllen, die seinen Lebensgrund darstellen. Dieser Geist der Ini
tiative, des Ehrgeizes, der Eroberung und der maßlosen Ausdeh
nung hat die Säule J. ·. zum Symbol, deren Pendant und oft auch
Gegengewicht die Säule B. ·. darstellt. Diese verkörpert nun die
begrenzende Zurückhaltung, ohne die die schöpferische Energie
sich verschleudern und verlieren würde. Sie kann doch nur dann
bewahrt, in die rechte Bahn gelenkt und sinnvoll angewendet
werden, wenn ihre geballte Wucht exakt auf einen Punkt hin dis
zipliniert und klug koordiniert wird.
Alles, was sich auf die Zeugung bezog, blieb geheiligt, solan
ge die Religionen des Lebens vorherrschten, deren Ideal ganz
irdisch ist, die aber durch die Religionen des Todes abgelöst
wurden, die Glückseligkeiten jenseits des Grabes versprechen.
Die Freimaurerei kommt von den Kulten des Lebens her, deren
Symbolik sie bewahrt hat. Sie lehrt die Menschen, sich auf Er
den ihr gemeinsames Glück zu bauen, ohne ihnen jedoch zu ver
bieten, an künftiges Leben zu glauben,
wenn dies ihrem Empfinden entspricht.
Aber die Sorgen um die Zukunft dürfen
den Maurer nicht von seiner aktuellen
Aufgabe des Bauens ablenken. Das vo
rübergehende Leben hier unten gut zu
leben, das ist die unmittelbare Pflicht
vor allem des Gesellen, dessen Religion
die der Arbeit und der Tat ist.
Gravitation
Damit ein Bauwerk festen Stand hat, muss die Konstruktion auf
die Gesetze der Schwerkraft Rücksicht nehmen. Das Universum
selbst verdankt seine harmonische Durchbildung und seinen Zu
sammenhalt der Anziehungskraft, die alle Körper jeweils auf
einander ausüben. Die Gravitation, die dergestalt die physische
Welt beherrscht, wird im Bereich des Sittlichen zum Bild jener
Kraft des Zusammenhalts, ohne die die lebendige Materie des
maurerischen Bauwerks auseinanderfallen würde. Beschränkte
sich die Initiation auf die Schulung des Verstandes, könnte sie
zwar die individuelle Persönlichkeit bilden, wäre aber unfähig,
54 Der Geselle
Individuen zu kollektivem Handeln zu bewegen. Damit bliebe
ihr Werk ohne praktische Auswirkungen, denn der Mensch als
Einzelner kann nichts Großes schaffen; er wird mächtig nur in
der Verbindung. Aber die dauerhafte Vereinigung, die für jede
fruchtbare Gemeinschaftsaktion unerlässlich ist, ruht auf der
Basis der Gefühle, die die Mitglieder einer Verbindung gemein
sam bewegen. Zu allen Zeiten hat es höchst interessante Philo
sophenschulen und mehr oder weniger glanzvolle Zirkel von In
tellektuellen gegeben. Aber alle diese Denker kamen erst an dem
Tag zu entscheidender Wirkung, als sie über eine Organisation,
wie sie etwa die Freimaurerei darstellt, verfügen konnten. Die
se versammelt in sich nämlich nicht nur ähnliche Meinungen,
sondern auch übereinstimmende Gefühle. Sie verlangt von ihren
Anhängern, dass sie sich bis zur Preisgabe ihrer persönlichen
Interessen lieben und zugleich in einer tiefen Liebe zur Mensch
heit vereint sind. Der Lehrling wird erst zum Gesellen befördert,
wenn er fähig ist, an der gemeinsamen Arbeit teilzunehmen,
indem er sich ihr mit dem Herzen nicht weniger als mit dem
Verstand verschreibt. Die Kraft des Denkens bleibt steril, wenn
sie sich nicht auf die Kraft der Liebe stützen kann. Der Mau
rer muss also seine affektiven Fähigkeiten entwickeln, um dem
obersten Gesetz besser entsprechen zu können, das die Seelen
einander annähert und sie nach Art einer mystischen Gravitation
lenkt, deren Wirkungen sich unvermeidlich in allen Facetten der
menschlichen Persönlichkeit niederschlagen. Wie bei den bei
den erstgenannten Bedeutungen verdient der Buchstabe G also
durchaus tiefere Überlegung auch in seiner dritten Bedeutung.
Geist
Gnosis
Geselle ist ein Synonym für Genosse. Man kann nicht Geselle
sein, ohne Arbeitskollegen zu haben und mit ihnen ein einheit
liches Kollektiv psychologischer Natur zu bilden. Dieses Kol
lektiv wirkt auf den Einzelnen ein, und so verbreitet sich das
allgemeine Licht in jedem Einzelnen, soweit seine Geistigkeit
nur in der Lage war, sich dafür aufnahmefähig zu machen.
56 Der Geselle
durften. Gnosis, Wissensschau, erwirbt man nur durch persön
liche Meditation, die zahlreiche Symbole einbezieht, die den
Geist auffordern, ihren verborgenen Sinn zu enträtseln. Auf die
sem Punkt wollen wir jedoch nicht allzu lange verweilen: Für
einen denkenden Menschen ergibt sich aus der Gesamtheit un
serer Symbolik ein ganzes Lernprogramm der höchsten Stufe.
Verstehen wir es, die tiefste Bedeutung zu erfassen, wird unser
Verständnis sich in der strahlendsten Klarheit des Begreifens
erhellen. Dann dürfen wir - nunmehr im Besitz der Gnosis -
behaupten, dass wir den Buchstaben G wirklich kennen.
Nachdem er den Eid seines Grades abgelegt hat [8], wird der
neue Geselle durch fünf Schläge mit dem Hammer geweiht.
58 Der Geselle
Dann wird seine maurerische Bekleidung leicht verändert, denn
ein Geselle unterscheidet sich äußerlich nur wenig von einem
Lehrling. Wenn er, genauer gesagt, im Bereich des Oberbauches
weniger bekleidet ist, so beruht dies darauf, dass er nicht mehr
gegen eine allzu große Beeinflussbarkeit anzukämpfen hat. Als
Geselle ist er seiner selbst inzwischen so sicher, dass er auf eine
übertrieben massierte Abschottung nach außen verzichten kann.
Um neue Fortschritte zu machen, muss der Initiierte in Bezie
hung zur Außenwelt treten: Er zieht das diffuse Licht auf sich,
um sich ganz mit ihm zu durchtränken, damit er, wie es seine
Aufgabe ist, selbst zum Flammenden Stern wird. Dieses Em
blem, oder vielmehr das in einfachen Linien gezogene Penta
gramm, kann auf dem heruntergeklappten Oberteil des Schurzes
angebracht werden. Das umgekehrte Dreieck V versinnbildlicht
das Wasser, die Seele die Gefühlsstärke im Gegensatz zum Del
ta!'!,., dem Symbol des Feuers, des Verstandes oder des aktiven
Tuns. Der Lehrling musste gegen die Elemente kämpfen, die
sich gegen ihn verschworen hatten, und dabei ständig Aktivi
tät entwickeln. Nachdem er die gegen ihn anstürmenden Kräfte
gezähmt hat, kann er sie nun lenken und sich zu Nutze machen.
Das ist die Aufgabe des Gesellen, der, um wirksam handeln zu
können, auch fähig sein muss, sich in Klugheit passiv und auf
nahmebereit zu verhalten. Denn wer nur immer großzügig geben
wollte, ohne je etwas zu empfangen, wäre rasch erschöpft und
ausgelaugt. Gerade weil der Gesellengrad der Grad des frucht
baren Handelns ist, sieht er vor, dass der Einzelne seine Kräfte
einteilt und die außer ihm selbst vorhandene Energie aufgreift.
Aber was versteht man nun in der Maurerei unter Arbeit? Allzu
oft verwechseln die Maurer das Symbol mit der Realität: Sie
glauben, sie hätten recht ordentlich maurerisch gearbeitet, wenn
sie nur fleißig an den ,,Arbeiten" ihrer Loge teilgenommen und
bei dieser Gelegenheit auch die Kauwerkzeuge kräftig haben zu
Ehren kommen lassen! Wer auf diesem Standpunkt steht, kennt
von der Maurerei leider nur den toten Buchstaben, von wirklich
initiatischer Arbeit weiß er nichts.
60 Der Geselle
Das wird der einzige Tempel einer immer weiter aufgeklärten
Menschheit sein, die allseits harmonische Tätigkeit entfaltet al
lein auf Grund der Tatsache, dass sie von allen Übeln befreit ist,
die mit der Unwissenheit, dem Mangel an Intelligenz und Ver
ständnis einhergehen oder, anders gesagt, von jenem Feind des
Fortschritts herrühren, der nur einen Namen trägt: die mensch
liche Dummheit. Diese Dummheit, dieser Mangel an Intelligenz,
die für alle Leiden verantwortlich sind, die die Menschen einan
der zufügen, verkörpert für den Initiierten den großen Gegner,
den Feind schlechthin [9]. Er ist ohne Unterlass zu bekämpfen,
und zwar zunächst in uns selbst, dann in unserer Umgebung.
Sich selbst aufzuklären, um danach anderen Aufklärung zu ver
schaffen, das ist der wahre Inhalt der maurerischen Arbeit. Wir
arbeiten, wir kämpfen, um das Licht zu gewinnen und es dann
auszubreiten. Wir sind Arbeiter des Lichts, und als solche arbei
ten wir am Großen Werk des Großen Baumeisters aller Welten
mit.
Für den Maurer nimmt jede Arbeit einen heiligen Charakter an,
denn unter welcher Form auch immer sie sich vollzieht, immer
ist sie eingebunden in das große Tun, das alles, was ist, bestän
dig verändert. Arbeiten heißt Nützliches tun, Gutes tun und ist
ein Werk wahrer Frömmigkeit. Weit davon entfernt sich zu er-
62 Der Geselle
niedrigen, erhebt sich der arbeitende Mensch zur Würde, denn
er wird dem Großen Handwerker und Baumeister gleich! Wieso
haben diejenigen, die an einen Schöpfergott glauben, dies nicht
bemerkt? Wie konnten sie die Arbeit als Übel auffassen, als Stra
fe für einen von unseren Stammeltern begangenen Fehler? Wie
konnten sie zugleich das Idealbild des Glücks in ein so ewiges
wie absolutes Nichtstun verlegen?
Dieser Lehre der Faulheit, des Todes und der Auslöschung setzt
die Freimaurerei eine Philosophie entgegen, die die Tätigkeit,
das Leben und die ständige Bemühung preist, die nur unter
brochen wird, um nach kurzer Erholungspause mit verstärkter
Kraft wieder aufgenommen zu werden. Wir können nichts an
fangen mit einem Paradies aus Extase und Passivität, das uns
des edelsten aller Genüsse beraubt, der darin liegt, ein nützliches
und schönes Werk hervorzubringen. Ein Walhalla, in dem die
Krieger fortfahren, sich zu bekämpfen, hätte wenigstens das
Verdienst, nicht die Schreckensvision eines sogenannten ewigen
Lebens heraufzubeschwören, das aller wesentlichen Merkmale
des Lebens beraubt ist. Leben heißt in der Tat kämpfen, handeln,
arbeiten mit dem Ziel, ein Ergebnis zu erreichen; Aktionslosig
keit dagegen heißt Tod.
64 Der Geselle
65
Ritualistik des Gesellengrades
Teil III
Jede Philosophie zielt wie jede Religion darauf ab, diese drei
fache Problematik zu lösen. Auf ihrer Entschlüsselung beruhen,
metaphysisch betrachtet, alle menschlichen Gesellschaften, da
unsere Art zu handeln im letzten Verständnis determiniert ist von
unseren Vorstellungen über den Ursprung der Dinge, das We
sen unserer Persönlichkeit und unsere letzte Bestimmung. Unser
Verhalten sucht sich stets logisch zu rechtfertigen. Die Ideen,
die wir über den Grund unserer Existenz entwickeln, und über
die Beziehungen, die uns mit der Gesamtheit aller Dinge ver
knüpfen, sind demnach von größter Bedeutung. Alle Zivilisa
tionen sind auf ähnlichen Ideen aufgebaut. Um die Welt neu zu
gestalten, muss man damit beginnen, alte Überzeugungen neu zu
beleben, andernfalls kann man nur umstürzen und nichts Neues
machen. Als Maurer sind wir zum Bauen verpflichtet, und wenn
66 Der Geselle
wir im Zuge dieser Arbeit gezwungen sind einzureißen, dann
nur, um sogleich wieder aufzubauen.
Damit ist der Mensch der Hauptgegenstand der Studien des Ein
geweihten des zweiten Grades, wobei seine Überlegungen sich
zweckmäßigerweise zunächst mit den beiden klassischen Defi
nitionen beschäftigen sollten, deren eine den Menschen als ver
nunftbegabtes Tier, die andere als eine vom Körper unterstützte
Intelligenz darstellt.
Diese Formeln regen uns dazu an, als Erstes zu erforschen, was
denn das Tier ausmacht, das heißt das lebende Wesen. So wird
die entscheidende Frage des Gesellengrades aufgeworfen: Was
ist das Leben? Dann muss man sich fragen, was ist die Vernunft,
dieses Licht, das den Menschen, indem es ihn erleuchtet, von
einem reinen Instinktwesen abgrenzt? Worin besteht nun ande
rerseits die Intelligenz, wie bringt sie die Organe dazu, ihr zu
gehorchen, und wie kann sie dazu kommen, die Materie zu zäh
men, um sie zu beherrschen und als Souverän zu regieren?
Wir wollen hier die Neugier des Lesers nicht durch eigene Aus
führungen befriedigen. Unsere Rolle besteht nur darin, ihn dazu
zu verpflichten, selbst zu denken, wobei wir es tunlichst ver
meiden, ihm eine Lehre vorzugeben, die er sich dann nur noch
anzueignen hätte. Wir dürfen also nur in Symbolen antworten,
wenn wir den initiatischen Traditionen treu bleiben wollen.
Leben
Leben ist ein Synonym für Handeln. Alle Wesen leben nur, um
eine Funktion zu erfüllen, eine Aufgabe, die ihnen durch die Tat
sache ihrer bloßen Existenz gestellt ist. Wir leben nur, um zu
arbeiten. Die Arbeit beginnt für uns eigentlich schon mit unserer
Empfängnis. Zunächst müssen wir unseren Organismus aufbau
en, d. h. das Instrument, das es uns erlaubt, außerhalb unseres
Selbst tätig zu werden.
68 Der Geselle
verlangt, dass der Einzelne, ohne sich selbst zu vergessen und
die Bewahrung seines Ich zu vernachlässigen, sich mehr und
mehr der allgemeinen Interessen bewusst wird und die eigenen
Interessen den seinigen unterordnet.
Altruismus
In Kapitel V eines kleinen Traktats aus dem Jahre 1775 mit dem
Titel Le Grand ffiuvre devoile en faveur des Enfants de la Lu
miere [12] lesen wir Folgendes:
„Das Leben ist zu kurz für Menschen, die denken; es ist zu lang
für diejenigen, die nicht denken. Die Zeit vergeht schnell, wenn
Wer also lebt statt zu vegetieren? Die Philosophen. Ja, nur die
Philosophen sind es, die spüren, was Leben ist, die alle Vorzüge
des Lebens kennen und daraus Nutzen zu ziehen verstehen. Nicht
zufrieden damit, für sich zu leben, leben sie außerdem noch für
die anderen, und nach dem Beispiel des großen Hermes, dessen
Schüler sie sich nennen und es voller Stolz auch sind, leben sie
nur, um der menschlichen Gesellschaft Gutes zu tun."
70 Der Geselle
Die Schlange der Eingeweihten
Nun verkörpert der Herr der Götter und Menschen das Prinzip
der Bewusstheit. Aus diesem Anspruch heraus zeugt er Miner
va, die Weisheit, die in voller Rüstung seinem Kopf entspringt.
Ihre Herrschaft beginnt, sobald die Einzelnen sich ihrer selbst
bewusst werden. Dann treten sie aus dem Stadium des Unbe
wussten oder der reinen Instinkthaftigkeit heraus, das sie Saturn
unterwarf, dem Gott des Schicksals oder des blinden Fatums.
Die Vernunft
Das Lebewesen, das bis dahin rein instinktiv gewesen war, hat
sich nun von seiner schützenden Vormundschaft befreit, indem
es sich seiner selbst bewusst wurde. Von jetzt an auf sich selbst
gestellt, auf sein noch unsicheres Denkvermögen und sein eige
nes noch ungewisses Urteil, genießt der Mensch nicht mehr die
unfehlbare Klarheit, die sich mit dem Instinkt verbindet. Er steht
also außerhalb des Paradieses, aus dem er sich selbst vertrieben
hat und wohin er nicht mehr zurückkehren kann.
72 Der Geselle
wenn man Feuer macht. Aber das armselige Kind der Mythen
und Legenden wird größer. Es wird der Verfolgung durch die
Mächtigen der Erde entgehen, die sich vergeblich gegen den
künftigen Meister zusammenschließen. Die Vernunft wird näm
lich schlussendlich die Herrschaft antreten, aber das geht nicht
ohne Kampf. Ein Mensch wird nicht mit einem Schlage voll
kommen vernünftig. Er kann sich nur auf eigene Kosten wei
terbilden und wird die Erfahrung, die er nur ganz allein erwer
ben kann, sehr teuer erkaufen müssen. Uns ist nur gegeben, die
Wahrheit unter Mühen zu entwirren, nachdem wir von Irrtum zu
Irrtum getaumelt sind. Wir erkennen das Gute erst, wenn wir das
Böse erlitten haben, und es fällt uns sehr schwer, unsere wahren
Interessen zu begreifen. Warum? Weil unsere Vernunft verdun
kelt ist. Wir haben noch nicht gelernt, uns ihrer zu bedienen. Es
geht um Klarheit, die allzu oft mehr blendet als erhellt. Soweit
wir dem Instinkt unterworfen sind, sind auch unsere Handlungen
den ihnen entsprechenden Bedürfnissen unterworfen. Werden
wir von einer Art Halb-Vernunft geleitet, machen wir uns nur
allzu leicht willkürliche Vorstellungen, die dann unser Vorgehen
entsprechend beeinflussen. Dann kommt der Mensch dazu, we
niger vernünftig zu handeln als das Tier. Er tut unsinnige Dinge,
die, würde er sich dessen nicht früher oder später bewusst, zu
seiner Erniedrigung führen müssten. Das Gefühl seiner Würde
lässt ihn sich schämen, und deshalb bemüht er sich, vernünftig
zu werden. Denn die Vernunft macht den ganzen Adel des Men
schen aus. Weist er sie zurück, fällt er unter das Niveau der Tiere.
Steht ein Trinker nicht tiefer als sein Pferd oder sein Hund?
Der Mensch
Stellen wir uns also das Universum als einen Organismus vor, der
in seiner eigenen organischen Einheit alle anderen Organismen
umfasst. Im Herzen dieses großen Organismus wird uns jener
Sternennebel, dem unser Sonnensystem angehört, als ein Organ
erscheinen, dessen wesensbestimmende Elemente die Himmels
körper sind. Da haben wir dann unseren Erdball, diese „Welt",
die uns so groß erscheint, auf nichts als ein Atom zurückgeführt
oder, genauer gesagt, auf eine Zelle des wahren kosmischen Or
ganismus. Aber wir, die wir auf der Oberfläche dieses winzigen
kugelförmigen Sterns herumwimmeln, was können wir in Bezug
auf ihn eigentlich sein?
74 Der Geselle
und der Lymphdrüse zirkulieren. Derartige Verbindungen füh
ren im Übrigen keineswegs zu einem starren Parallelismus, denn
wenn auch zwingende und notwendigerweise einheitliche Ge
setze für jede Baustruktur gelten, so berücksichtigt doch jede
einzelne lebendige Konstruktion die Bedürfnisse, denen sie sich
anzupassen hat.
Der Eingeweihte
76 Der Geselle
persönlichen Interessen zu missachten oder zu vernachlässigen,
soweit sie ihre Berechtigung haben, ordnet der Eingeweihte sie
dennoch anderen, allgemeineren und edleren Interessen unter. Er
steht im Dienste dessen, was geschieht und geschehen soll, wo
bei er in allem als kluger Arbeiter an der universalen Verwand
lung des Bösen in das Gute mitwirkt, anders ausgedrückt, als
aufgeklärter Bauwerker des Fortschritts oder, maurerisch gesagt,
als geschickter Steinmetz bei der Verwirklichung des Plans des
Großen Baumeisters aller Welten.
Das ist die Arbeit der Elohim, jener Er-die-Götter, die die Gene
sis als den Ursprungsort des Lichtes bezeichnet, das das Chaos
ordnet. Es ist eine Tätigkeit, die weder Anfang hat noch Ende:
Sie ist ewig und von keiner Ruhepause unterbrochen. Das We
sen, das sich ihr verdingt, verurteilt sich zu ständigem Tun,
welches nie ein Ende findet, selbst nicht mit dem Verbrauch des
Werkzeugs Körper.
Eine solche Arbeit wird uns von keiner äußeren Notdurft aufge
zwungen: Wir bleiben frei, sich ihr zu entziehen; aber wenn wir
dies tun, laufen wir Gefahr, eines Tages schlicht und einfach nur
Die Persönlichkeit
Das Bewusstsein seiner selbst führt zum Empfinden des Ich. Je
der von uns fühlt sich als Meister auf einem bestimmten Gebiet,
das nur ihm gehört. Das Ich herrscht also wie ein Gott über alles,
was sein ist. Aber ist unser Ich ein wirkliches Wesen, eine objek
tiv fassbare Einheit? Entgegen der herrschenden Meinung ist es
nichts aus sich selbst; es ist nur eine Interferenzerscheinung, eine
geistige optische Täuschung. Man muss deshalb dahin kommen,
sich zu sagen: ,,Ich weiß, dass ich nichts bin", so wie Sokrates
gesagt hat: ,,Ich weiß, dass ich nichts weiß."
78 Der Geselle
Nichts zwingt uns also zu glauben, dass es in uns so etwas wie
einen besonderen göttlichen Funken gebe, der das Überdauern
unseres Ich über die Grenzen der irdischen Existenz hinaus si
cherstellte. Und dennoch hat der Mensch immer den ahnungs
vollen Eindruck gehabt, dass das Leben unzerstörbar ist, dass es
sich verwandelt, dass es zwar Erscheinungsform und Seinsweise
ändert, aber niemals verlöscht. Zweifellos geht nichts verloren,
weder im geistigen oder sittlichen Bereich noch im Bereich der
Kräfte oder der Materie. Aber, wie man bei Menschen unter
Hypnose hat beobachten können, die Zustände des Bewusstseins
sind bei ein und derselben Person vielfältig. Das Ich kann nach
Maßgabe der festgestellten Beeinflussung jeweils variieren.
Beharrlichkeit
Der Geselle muss arbeiten und insoweit den Lehrlingen ein gutes
Beispiel geben können. Er zeigt sich ihnen gegenüber außerdem
diskret, wie sie gehalten sind, gegenüber Profanen zu schwei
gen. Wenn er lehren will, begnügt sich der Initiierte damit, zu
denken zu geben, und enthält sich stets jeder dogmatischen Aus
sage. Seine Methode heißt Predigt durch Beispiel.
80 Der Geselle
Aber unsere Begeisterung als Maurer, unsere Hingabe an die
Maurerei lassen sich letztlich nur an dem Eifer ablesen, mit dem
wir alle Arbeiten unserer Loge besuchen. Auch wenn sie nicht
immer sehr interessant sind, sollen wir doch keine Angst davor
haben, ihnen profane Annehmlichkeiten oder Vorteile zu opfern.
Der wahre Maurer, den eine unwandelbare Entschlossenheit
davor zurückhält, außer in Fällen höherer Gewalt eine Zusam
menkunft seiner Loge zu versäumen, bringt seinen Brüdern je
des Mal ein unschätzbares Stück psychischer Energie mit. Er
trägt dazu bei, jene menschliche Batterie dynamisch aufzuladen,
deren eigentliche Bestandteile die wirklich aktiven Mitglieder
einer Loge sind.
Aber der Geselle kann von der Gemeinschaft nur in dem Maß
empfangen, in dem er selbst gibt. Kalt, gleichgültig, skeptisch,
nichts beitragend - so kann er aus der Maurerei weder geistigen
noch moralischen Nutzen ziehen. Er erschließt sich jedoch eine
ungeheure Kraftquelle, wenn er sich die Maurerei zu Herzen
nimmt, wenn er sich von ihrem Ideal inspirieren und für ihr Werk
begeistern lässt. Gewissheit über unsere Gefühle und Absichten
erlangen wir indessen nur durch Taten, daher die Notwendigkeit
der Praxis, einer Art von maurerischem Gottesdienst. Jede Reli
gion stirbt, wenn ihre Kirchen sich leeren. Genauso ist es mit der
Maurerei: Unsere Organisation wird umso lebendiger, stärker
und aktiver, mit je größerer Glut und Beharrlichkeit die Maurer
ihre Loge besuchen.
Aus gutem Grund muss es sich deshalb der Geselle zur Pflicht
machen, sich niemals der gemeinsamen Arbeit zu entziehen. Er
begeht einen schweren Fehler, wenn er sich nachlässig zeigt.
In einer initiatischen Gemeinschaft erhält nur derjenige seinen
Lohn, der ihn verdient hat. Ganz besonders trifft das zu für die
Vorteile, die aus der Säule B. ·. erfließen.
Man kann gar nicht genug die Wirkung betonen, die die Loge in
ihrer Eigenschaft als psychische Gemeinschaft ganz real auf die
jenigen ihrer Mitglieder ausübt, die sich für sie hingeben. Eine
Belohnung fließt zwangsläufigjedem Maurer zu, der seine Loge
wirklich liebt und ihr seine Zuneigung dadurch zeigt, dass er
sich bei allen Arbeiten der Bauhütte fleißig und pünktlich sehen
lässt. Diese Disziplin ist von äußerster Wichtigkeit. Sie allein
gibt der Loge ihre Kraft und erlaubt ihr ein erfolgreiches Wirken
sowohl in Bezug auf ihre eigenen Mitglieder als auch in Bezug
auf die Außenwelt. Eine kleine, aber geschlossene und höchst
disziplinierte Gruppe wird zum Brenn- und Sammelpunkt äu
ßerster Dynamik. Nichts kann ihr widerstehen, wenn jedes ihrer
Elemente das gibt, was es geben kann. Besteht die Loge aus Ge
sellen im wahrsten Sinne des Wortes, ist sie eine Macht, die alles
erreichen kann, was recht ist, vorausgesetzt, sie versteht es auch,
mit Energie und Standfestigkeit zu wollen.
82 Der Geselle
Aktivität
Für den Gesellen, der entschlossen ist, sich ernsthaft mit dem
Großen Werk zu verbinden, bedeutet aktiv sein etwas ganz an
deres als eine rein finanzielle Beteiligung. Ein Maurer, der sich
beispielhaft beharrlich und pünktlich zeigt, hat dadurch jedoch
noch nicht notwendigerweise seine volle Pflicht zum Tätigwer
den erfüllt. Regelmäßig an der Gemeinschaftsarbeit teilzuneh
men, die sich in der Loge vollzieht, ist sehr gut, aber es ist nicht
alles. Die symbolische Arbeit hat sicher große Bedeutung, aber
sie bliebe toter Buchstabe, wenn sie nicht bewirkte, dass der
Geist des Maurers über die regelmäßigen Zusammenkünfte hi
naus Aktivität entfaltete.
Die Tätigkeit, die wir entfalten, muss vernünftig sein, soll sie
nicht zu sterilem Aktionismus herabsinken. Deshalb ist es für
uns so wichtig, klar zu sehen.
Das ist die Erleuchtung, die derjenige suchen soll, der den Flam
menden Stern hat strahlen sehen. Im Laufe seiner Lebenswan
derung ist dem Menschen alles dazu berufen, ihm zur Lehre zu
dienen, wenn er es nur versteht, das Licht zu bündeln, das sich
in allen Dingen bricht. Wesentlich für ihn ist jedoch nicht, viel
zu wissen, sondern das, was er weiß, richtig zu wissen. Die Er
kenntnis ist Sache persönlichen Verstehens und intimer Durch
dringung, nicht Sache des Gedächtnisses oder oberflächlicher
Aneignung.
84 Der Geselle
Selbstbeherrschung
86 Der Geselle
Teil V
LEHRGESPRÄCH
IM GESELLENGRAD
Lehrgespräch im Gesellengrad
Die in Form von Fragen und Antworten ablaufenden initia
tischen Unterweisungen sind zu wiederholter Lektüre bestimmt.
Sie wollen den einzelnen Leser zum Weiterdenken anregen. Man
darf sich deshalb nicht damit zufrieden geben, die folgenden Sei
ten einfach zu überfliegen. Ein bedächtiger Geselle wird deshalb
wirklich jeweils die Stellen nachlesen, auf die in Klammern ver
wiesen wird. Mit Sicherheit wird er dadurch aus dem Studium
des vorliegenden Katechismus ernsthaft Nutzen ziehen.
Lehrgespräch im Gesel/engrad 87
Frage: Was ist ein Geselle?
Antwort: Ein Mann, dessen Arbeit anerkannt wird, der
fähig ist, seine Kunst auszuüben, und der
über seine volle Arbeitskraft verfügt. Seine
Aufgabe ist es, den von den Meistem vorge
legten theoretischen Plan in die Praxis umzu
setzen.
88 Der Geselle
Frage: Was hat Genese mit dem Gesellengrad zu
tun?
Antwort: Der Geselle ist aufgerufen, das Werk des
Lebens zu schaffen. Er muss seine Lebens
energie in die Tat umsetzen können, und
darum ist es für ihn von Bedeutung, tiefer in
die Geheimnisse des Lebens einzudringen.
Das Leben wiederum findet seinen Urgrund
in der Zeugung, deren Gesetzmäßigkeiten die
bemerkenswertesten Lehren der Antike inspi
riert haben.
Lehrgespräch im Gesellengrad 89
Grenzen seiner Begabung heraus. Um sich
selbst zu übertreffen und zu schöpferischer
Geistigkeit vorzudringen, muss man sich
äußeren Einflüssen hingeben, Begeisterung
entwickeln und im Einklang mit den
Schwingungen einer höheren Harmonie
leben.
90 Der Geselle
ker zu werden. Nachdem er gelernt hat,
seine Vernunft richtig einzusetzen, übt er sich
nun darin, durch sorgsame Schulung seiner
intuitiven Fähigkeiten auch seine Vorstel
lungskraft recht zu entfalten.
Lehrgespräch im Gesellengrad 91
wird. Da nun unsere Möglichkeiten begrenzt
sind, müssen wir unser Arbeitsprogramm so
einrichten, dass wir zugleich dem abstrakten
Ideal, dem wir zu folgen haben (Lineal), und
der konkreten Wirklichkeit, die uns fest im
Griff hält (Zirkel), gerecht werden können.
(siehe „Zweite Reise")
92 Der Geselle
geistige Aufklärung bereit zu machen, die
sein Begriffsvermögen Schritt für Schritt
erleuchten soll. (siehe „Fünfte Reise")
Lehrgespräch im Gesellengrad 93
die uns im 12. Kapitel des Buchs der Richter
erzählt, dass dieses Wort von den Gileaditern
ausgewählt wurde, um die Männer von
Ephraim zu erkennen. Diese sprachen das
Wort in ihrem Dialekt nicht korrekt Schibb. ·.
aus, sondern Sibb. · .. Die fehlerhafte Ausspra
che wurde für 42 000 Ephraimiten verhäng
nisvoll, die Jeftah umbringen ließ, als sie sich
daran machten, einzeln den Jordan zu über
queren.
94 Der Geselle
durch eigene Denkanstrengung finden kann.
Sobald er ihn geben kann, erfährt er den
dritten und so fort. Der Geselle ist nicht mehr
unwissend. Er musste seine geistige Beweg
lichkeit bereits unter Beweis stellen; außer
dem kann man von ihm verlangen, etwas zu
geben, bevor er etwas erhält.
Lehrgespräch im Gesel/engrad 95
Frage: Welches Maß schreibt die Bibel den beiden
von dem Erzgießer Hiram aus Tyros geschaf
fenen Säulen zu?
Antwort: Das erste Buch der Könige (Kapitel 7, Vers
13 ff.) gibt ihnen 18 Ellen Höhe ohne Kapi
tell, das seinerseits fünf Ellen misst. Es ist
außerdem die Rede von einer Schnur von
zwölf Ellen, die jede Säule umschlingt. Das
Kapitell geht in eine halbkugelförmige Haube
über, die von einer doppelten Reihe von Gra
natäpfeln umgeben ist. Diese Art der Ge
staltung gibt den Säulen des salomonischen
Tempels einen phallischen Aspekt und bringt
sie damit in die Nähe zahlreicher phönizi
scher Denkmäler, die der männlichen Zeu
gungskraft geweiht sind.
96 Der Geselle
kann ihn nicht in die Irre führen, denn auf
jeden Sprung der Phantasie folgt sogleich die
Rückkehr zu vernünftiger Geradheit.
Frage: Warum?
Antwort: Weil der Flammende Stern seine Strahlung
aus der Verbindung von Sonnen- und Mond
licht bezieht. Das will besagen: Intelligenz
98 Der Geselle
oder Begriffsvermögen entstammen ebenso
der Vernunft wie der Phantasie.
Lehrgespräch im Gesellengrad 99
Frage: Was bedeuten sie im ethischen Bereich?
Antwort: Das Winkelmaß fordert uns auf, unsere
Fehler auszumerzen, die uns daran hindern,
unseren Platz beim Bau des Tempels der
Humanität einzunehmen. Die Wasserwaage
verlangt, dass ein Maurer in jedem Menschen
Seinesgleichen erkennt. Das Bleilot lädt den
Initiierten, der gelernt hat, alle Fragen zu ver
tiefen, und deshalb den wahren Wert der Din
ge erkennt, dazu ein, erhaben zu sein über
alles Kleinliche und Schäbige.
Frage: Warum?
Antwort: Weil sie in ihrer Initiation so weit gekommen
sind, dass sie die volle Strahlkraft des Tages
lichts ertragen können.
INITIATISCHE PHILOSOPHIE
IM GESELLENGRAD
Das Rätsel
Der Mensch könnte sich nach dem Beispiel der Tiere damit be
gnügen, das Leben so anzunehmen, wie es sich ihm stellt. Sich
ihm so zuzuwenden, dass man daraus in glücklicher Sorglosig
keit die größtmögliche Lust bezieht - wäre das nicht klüger, als
sich den Kopf zu zermartern, um unauslotbare Geheimnisse zu
durchdringen? Für die breite Masse der Menschen stellt sich die
se Frage sicherlich nicht, denn sie verlangen nichts anderes, als
dass man sie leben lässt, wobei sie die alltägliche Befriedigung
suchen, ohne sich dabei von überflüssiger Plackerei beirren zu
lassen. Aber es gibt auch Menschen, die vom Mysterium beses
sen sind. Das Rätsel der Dinge macht sie unruhig: Sie wollen be
greifen, ihr Gehirn arbeitet ungeduldig daran, sich die Existenz
der Welt und der sie bevölkernden Wesen zu erklären.
Das Zahlenwissen
Was aber sollte Gegenstand Ihrer Meditation sein? Worüber soll
man meditieren, um den eigenen Geist zu bilden?
Da Sie Maurer sind, beginnen Sie damit, der Maurerei Ihre ganze
Aufmerksamkeit zuzuwenden. Jede ihrer Besonderheiten muss
Sie beschäftigen, denn natürlich sind manche Details eher dazu
bestimmt, Sie zu verblüffen, als Ihr Denken anzuregen.
Der Geselle nimmt dieses Studium wieder auf, aber jetzt wird
er von der Vier ausgehend zur Fünf, zur Sechs und sogar zur
Sieben hingeführt.
Als Meister wird er später auf dem aufbauen, was er über die
Zahl Sieben herausgefunden hat, wenn er sich zur Acht, Neun
und Zehn erhebt.
Drei, die Fläche, zeigt sich als Aufriss, dem sich alle Absichten
entnehmen lassen, in dem das Ideal seine Form findet und kon
kret wird. Das ist der Bereich der zwingenden Gesetzmäßig
keiten, die jede Handlung bestimmen und jeder Kunst ihre unab
änderlichen Regeln vorschreiben.
O + !'!,. D
J 08 Der Geselle
Das hebräische Tetragramm
Das Wesen aller Wesen an sich oder das Sein an sich (das, was
zwingend, mit Notwendigkeit ist, weil es undenkbar ist, dass es
nicht vorhanden ist) wird in der Bibel durch vier Buchstaben
verkörpert, die das heilige Wort bilden, das man nicht ausspre
chen darf:
Jod, der erste dieser Buchstaben (Hebräisch liest man von rechts
nach links), ist der kleinste der heiligen Buchstabenfolge. Es ist
nichts als ein Komma, in dem man das männliche Zeugungs
organ oder besser noch den väterlichen Samen, der das Kind
erzeugt, hat sehen wollen. Damit kommen wir auf den mathe
matischen Punkt zurück, der in seinem Nichts die ganze auf
brechende Fülle konzentriert, die geboren werden und sich ent
wickeln soll. Jod bezieht sich also auf das aktive Prinzip, auf
die handelnde Ursache und folglich auf das denkende, wollende,
befehlende Subjekt. Ebenso wie die Säule J. ·. spielt es an auf
das schöpferische Feuer� (Archeus, Schwefel oder Sulphur bei
den Alchimisten), das sich im Künstler, Arbeiter, Unternehmer,
Schöpfer, Erzeuger manifestiert.
Die Quintessenz
Das Sein zeigt sich nur im Tun; Nichtstun entspricht dem Nicht
sein: auch das, was ist, ist in immerwährender Arbeit begriffen.
Nichts ist unbeweglich oder tot; alles lebt - die Mineralien und
die Himmelskörper nicht weniger als Pflanzen und Tiere.
Das Leben ist jedoch von einem Reich der Natur zum anderen
unterschiedlich; überall ist es in Graden abgestuft je nach den
Arten und selbst von Individuum zu Individuum. So leben etwa
bei den Menschen die einen ein höheres und erfüllteres Leben
LUFT
fi
feucht j warm
WASSER V+-- D --+ !J. FEUER
kalt ! trocken
J,Z
ERDE
Aber so mächtig die äußeren Kräfte auch sein mögen, sie müs
sen im Zaum gehalten werden durch jene Energie, die ihre Quel
le in der Persönlichkeit findet. Der Mensch ist dazu berufen, in
sich eine Urkraft zu entwickeln, die stärker ist als die Elemente,
und deshalb tritt er im Laufe der initiatischen Prüfungen in den
Das Hexagramm
Fünf ist aus der Mitte der Vier geboren. Sechs bildet sich als ein
gleichsam synthetisches Umfeld, das aus der Fünf erfließt.
Das Ganze bildet in den Augen der Okkultisten das Pentakel par
excellence, ein Zeichen der Macht, der nichts widerstehen kann,
denn beseelt durch den in ihm enthaltenen Schwefel individua
lisiert sich der weltenweite Mercurius oder Azoth als Weisheits
element in der Person des Weisen, einer Substanz, die als Träge
rin des großen magischen Agens fungiert [20].
Die Siebenheit
Sieben ist die Zahl der Harmonie, die aus einer gerechten Ausge
wogenheit zwischen unterschiedlichen Elementen entsteht, wie
es die nachfolgende Abbildung zeigt:
Feuer /1.
ft
� Schwefel
Luft
� Merkur
V
Wasser
Erde JjZ
e Salz
Der Geselle darf nicht außer Acht lassen, dass es sich hierbei um
das Idealbild handelt, das ihm vor Augen geführt wird. Zweifel
los ist die volle Verwirklichung des Großen Werks, das in dem
Ideogramm verkörpert ist, mit dem wir uns hier beschäftigen,
nur dem zur Gänze Eingeweihten, dem Meister, vorbehalten.
12 LE PENDU
Im ersten Buch der Könige, Kapitel 7, Vers 21, lehrt uns die
Bibel, dass die beiden ehernen Säulen, das Werk des Erzgießers
Hiram aus Tyros, am Eingang des salomonischen Tempels auf
gerichtet waren, die eine mit dem Namen 'i:1 rechts und die
andere mit dem Namen :mn links.
Hätte man die Säulen nicht ins Innere des Tempels verbracht,
wäre ihre Aufstellung nicht zweifelhaft, da die Bibel die Säule
J.·. rechts, also im Süden, und die Säule B.·. links, also im Nor
den platziert. Diese Angaben hätten bei der Umsetzung der Säu
len respektiert werden sollen, denn J.·. entspricht der Sonne und
B.·. dem Mond; nun leuchtet aber im Orient das erstere dieser
Gestirne im Süden, während das zweite im Norden erglänzt.
Die Arbeitstafel
Ursprünglich konnte jede beliebige geschlossene, rechtwinklig
zugeschnittene Räumlichkeit ganz einfach in ein maurerisches
Heiligtum verwandelt werden. Zu diesem Zweck wurde ein Ses
sel an der der Tür gegenüberliegenden Wand aufgestellt, zwei
weitere Sitzgelegenheiten wurden links und rechts davon plat
ziert; dann zeichnete man mit Kreide ein längliches Viereck auf
den Fußboden, innerhalb dessen die wesentlichen Symbole der
Freimaurerei grob markiert wurden.
Die Tafel oder der Teppich, der in der Mitte der Loge dergestalt
ausgebreitet wird, muss schon nach den Worten der ältesten Ri
tuale die Aufmerksamkeit auf die folgenden Embleme hinlenken
[23]:
Üblicherweise fügt man noch ein Schwert und eine Kelle hin
zu.
Die Rhetorik sodann bezieht sich auf die Kunst, die Aufmerk
samkeit einer Zuhörerschaft zu gewinnen und sie durch die den
vorgetragenen Gedankengängen verliehene glückliche Form zu
beeindrucken.
Das erste erhellt sich durch die Strahlen der aufgehenden Sonne,
die die Finsternis zerstreut. Dieses kämpferische Licht entspricht
dem jugendlichen Sinn, der gegen alte Irrtümer und eingewur
zelte Vorurteile angeht. Dahinter steht eine Logik, die zersetzend
und zerstörerisch auf alles wirkt, was nicht auf solide Funda
mente gegründet ist.
Durch das Fenster des Südens dringt das volle Tageslicht herein,
das, indem es den Schattenwurf auf ein Mindestmaß verringert,
die Dinge in ihrer brutalen Wirklichkeit so zeigt, wie sie sind.
Dabei geht es um die von Gefühlen freie und positive Beobach
tung naturwissenschaftlich bestimmter Tatsachen.
Ein sehr alter Brauch schreibt indessen vor, einen Br.·. vor der
Schwelle des Tempels zu postieren, der den Auftrag hat, Pro
fane zu vertreiben, und zu diesem Zweck mit einem blanken De
gen bewaffnet ist. Lässt nicht schon die Bibel den Eingang zum
Paradies von Cherubim bewachen, die ihre blanken Waffen in
feurigem Kreis herumwirbeln lassen [24]? Die alexandrinischen
Übersetzer des hebräischen Textes waren der Meinung, dass
es sich hierbei um wellenförmig geschliffene oder Flammen
schwerter gehandelt habe; solche Waffen waren ihnen zweifellos
bekannt. Nun ist allerdings in der Antike kein Krieger bekannt,
der sich ein solches Flammenschwert hätte schmieden lassen,
eine aus militärischer Sicht sehr unpraktische Waffe. Wenn ein
solches Gerät existiert hat, dann nur, weil und soweit es einen
symbolischen Wert hatte. Die Wellenform nimmt nämlich Bezug
auf eine Bewegung, die das starre Schwert in eine lebende Waf
fe verwandelt - das Symbol für die Ausstrahlung des Denkens
und des Wortes. In diesem Sinne lässt die Apokalypse (Kapitel
19, Vers 15 und 21) ein scharfes Schwert aus dem Mund eines
Ritters auf einem weißen Pferd hervorbrechen.
12 8 Der Geselle
der mystischen Arbeitstafel entspricht sie dem alchimistischen
Ideogramm �. das die Vollendung des Großen Werkes darstellt.
Der in der Kunst bewanderte Geselle, die Kelle zu handhaben,
darf wirklich nach der Meisterschaft streben, denn er ist gewiss
von maurerischem Geist ganz und gar durchtränkt.
Das Zeichenbrett
Es ist den Meistern vorbehalten, über die Baupläne zu bestim
men; aber damit der Geselle sich bei der Ausführung seiner Ar
beit ihnen anpassen kann, muss er die Zeichnung kennen, und
das Zeichenbrett darf ihm nicht fremd sein. Dieses Brett enthält
im Allgemeinen die Zeichen, aus denen sich die verschiedenen
maurerischen Alphabete bilden lassen und die dadurch charak
terisiert sind, dass sie aus rechtwinkligen Elementen bestehen.
Es gibt zahlreiche Varianten, aber die Basis ist immer dieselbe.
Im 18. Jahrhundert war die folgende Form am meisten verbrei
tet:
h i I mn ::J==:IDEICE
op qr St 1-=inr-irr-
H 1 L M
*
N
> V < Az
R p s T0
u X y
1 2 3 8 1 6
4 5 6 3 5 7
7 8 9 4 9 2
Halten wir vorderhand einfach fest, dass die neun ersten Ziffern,
wenn man sie in drei Reihen in normaler Folge anordnet, eine
besondere Bedeutung gewinnen, von der sich die Kabbalisten
bei der Konstruktion des sephirotischen Baumes haben inspirie
ren lassen. Dieser ist dazu bestimmt, den Himmel mit der Erde,
das Abstrakte mit dem Konkreten oder auch das Unendliche mit
dem Endlichen zu verbinden. In diesem Zusammenhang sind die
folgenden Zahlengruppen zu beachten:
Das Winkelmaß dagegen ist mit seinen beiden Armen, die für
sämtliche Gegensätze, vor allem aber für den Gegensatz zwi
schen Recht und Pflicht stehen, zwiefältig. Grafisch kann man
seine Bedeutung unter acht verschiedenen Aspekten darstellen,
die sich aus nachstehenden Abbildungen ersehen lassen:
Der mit beiden Spitzen nach oben geöffnete Zirkel impliziert ein
rationales Studium nicht der Erde oder objektiv zu ermittelnder
Fakten, sondern des Himmels, also die intensive und sorgfältige
Erforschung abstrakter Prinzipien. Dem Gesellen wird mit ande
ren Worten die Erleuchtung nur für den Fall versprochen, dass er
es versteht, sie innerhalb der Fesseln der platonischen Geometrie
zu finden.
Das Winkelmaß, das nach oben hin die Strahlen des Flammen
den Sterns aufhält, um sie nach unten und auf jenen selbst zu
rückzulenken, spielt damit an auf die Geradlinigkeit im Urteil,
die gerade für den idealistisch gesinnten Menschen unerlässlich
ist. Dieser läuft ja allzu leicht Gefahr, sich im Irrealen zu verlie
ren, wo es doch in Wahrheit immer darauf ankommt, alles auf
die praktische Umsetzung auszurichten.
Die Knotenschnur
Will man einem Freimaurer glauben, der vor allem das germa
nische Altertum studiert hat [26], haben einige unserer Traditi
onen ihre Wurzeln in weit zurückliegender Vergangenheit.
Durch sie wurden außerdem die jungen Leute, die volljährig ge
worden waren und sich als würdig erwiesen hatten, in den Ge
nuss der Rechte und Vorrechte freier Männer zu gelangen, in
ihre Reihen aufgenommen. Diese Aufzunehmenden mussten zu
nächst ihre Waffen, Kopfbedeckungen und Handschuhe ablegen
und sie wurden allen Metalls befreit, um anschließend feierlich
erneut bewaffnet und vollständig ausgerüstet zu werden.
Die Bedeutung, die wir dem Hammer beilegen, kann sich durch
aus auf den Gott Donar zurückführen lassen, eine Art Jupiter
Tonans, dessen Priester jedes Familienoberhaupt im Inneren des
Hauses war, wo die in der Familie gepflegten Riten sich nur mit
Hilfe des Hammers durchführen ließen (27).
RITUALUNTERSCHIEDE
Sprachverwirrung
Ritualunterschiede 13 7
tieren. Alles, was in der Maurerei geschieht, muss sich logisch
begründen lassen. Riten, für die gute Gründe sprechen, müssen
erhalten bleiben; aber es ist angebracht, kategorisch alles zu re
formieren, was nur auf Phantasie, um nicht zu sagen: auf Irrtum
beruht.
Historisch gesehen geht der Streit bis in die Mitte des 18. Jahr
hunderts zurück, und zwar auf die Rivalität der zwei Großlogen,
die sich in England gegenseitig exkommunizierten [28]. Jede
von ihnen hatte ihr eigenes System, und je nachdem, von wel
cher Lehrart die Logengründer jeweils herkamen, legten sie in
ihren verschiedenen Ländern einander widersprechende maure
rische Riten fest.
Halten wir weiter fest, dass man vom Lehrling nicht verlangt,
dass er nach außen hin tätig, sondern dass er innerlich aktiv wird.
Er darf sich nicht wie ein braver Schüler verhalten, der nur zu
hört und sich den Lehrstoff aneignet, den seine Lehrmeister ihm
einzupflanzen sich bemühen. Die Freimaurerei überlässt ein
derartiges Vorgehen den Kirchen und den weltlichen Schulen.
Da es nicht ihre Aufgabe ist, Gläubige oder Doktrinäre heranzu
bilden, sondern gänzlich unabhängige Denker, kann sie dieses
Ziel nur dadurch erreichen, dass sie die Initiative des Einzel
nen anregt (Schwefel ). So begegnet sie dem Aufzunehmenden
mit beharrlichem Schweigen. Sie befragt ihn, zwingt ihn zum
Nachdenken und zeigt ihm, wo sie lehren will, Symbole, deren
Bedeutung nur ganz unbestimmt angegeben wird, denn der Ein
zelne initiiert sich nur, wenn er sich selbst bemüht, die Nacht des
Geheimnisses zu durchdringen. Alles in allem stimmt das Bil
dungsprogramm des Lehrlingsgrades mit dem der männlichen
oder dorischen Initiation überein, die die Entwicklung der männ
lichen Energie und des Willens betont. Der Lehrling nimmt sich
dadurch selbst in Besitz, dass er über alle gedankenlosen und
unüberlegten Versuchungen triumphiert. Der ist ein wohl ausge
glichener Weiser, der nur das tut, was er will, und sich dabei von
einer hellsichtigen und gefassten Vernunft anleiten lässt.
Auf den ersten Blick scheint es, als könne man über solche
Weisheit hinaus nichts verlangen, aber dennoch: Was wäre die
Ritualunterschiede 139
Welt, wenn sie nur aus Philosophen dieser Art bestünde? Eras
mus hat uns ein „Lob der Dummheit" hinterlassen, das das Un
genügende einer bloß männlichen oder vernunftbezogenen Initi
ation wunderbar aufzeigt. DasBeste und Edelste in uns ist genau
das, was nicht vernunftbestimmt ist. Nur die Aufschwünge des
Herzens führen uns zur Selbstverleugnung,zum Heroismus. Al
les wirklich Große ist Frucht eines Traums, der Phantasie, einer
sublimen Torheit und der Selbstvergessenheit. Alle diese Din
ge verweisen auf die weibliche oder ionische Initiation, die die
lmaginativkräfte und das Gefühl pflegt,also aufB.·.,das heilige
Wort der Gesellen.
Ritualunterschiede 141
Der Eingeweihte ist jetzt gereinigt und deshalb geschützt vor un
erwünschten Ausbrüchen. Da er keinerlei niedrigen Neigungen
mehr nachgibt, kann er sich Schritt für Schritt dieser rezeptiven
Passivität hingeben, die eines Gesellen würdig ist, der es wert
ist, seinen Lohn an der Säule B. ·. zu empfangen, würdig ist.
Wenn man schon von den fünf Sinnen sprechen will, was trotz
der Zahl Fünf für den Gesellengrad keineswegs erforderlich ist,
muss man sie wenigstens unter initiatischen Gesichtspunkten
betrachten. Die Fragen, die sich dann stellen, sind folgende:
Sind nicht manche Tiere mit Sinnen begabt, die uns fehlen?
Die Künste
Da der Geselle seine Sensibilität verfeinern soll, ist es gut ihn an
zuhalten, seine künstlerische Bildung zu vervollkommnen. Der
Sinn für das Schöne hilft beim Erfassen des Guten. Die Kunst
wendet sich an die Seele und bewegt sie, indem sie das Ich mit
der Außenwelt in eine harmonische Verbindung bringt. Das
künstlerische Fühlen knüpft ein starkes Band zwischen allen, die
es empfinden. Gemeinsame Bewunderung nähert die Menschen
Ritualunterschiede 143
einander noch stärker an als selbst die unmittelbarsten materi
ellen Interessen. Die Kunst hat also eine religiöse Aufgabe im
höchsten Sinne des Wortes. Der Künstler ist der Interpret oder
Priester des Schönen. Er enthüllt uns das Ideal, das heißt die sub
jektive Wirklichkeit, die in uns liegt und deren Objektivierung
wir erreichen wollen.
Englische Bräuche
In einer angelsächsischen Loge werden die Arbeiten erst für er
öffnet erklärt, wenn die sieben notwendigen Beamten ihre Plätze
eingenommen haben.
1. Der Meister vom Stuhl, der im Osten sitzt, wo die Sonne auf
geht, um den Tageslauf zu beginnen. Er leitet die Öffnung
der Arbeiten und lenkt sie dergestalt, dass alle Brüder be
schäftigt sind und ihre Instruktion sichergestellt ist.
4. Der Erste Diakon, der sich rechts oder zumindest nicht weit
entfernt vom Stuhlmeister aufhält, um seine Anordnungen
und Mitteilungen an den Ersten Aufseher weiterzugeben und
bei ihm die Rückkehr des Zweiten Diakons abzuwarten.
Ritualunterschiede 145
noch nicht eingerichteten Zentralbehörde einholen zu müssen.
Eine völlig reguläre Loge konnte so zum Zweck einer Aufnahme
ins Leben treten und sich danach wieder für immer auflösen.
Unter diesen Bedingungen hatten Redner, Sekretär, Schatzmei
ster und Gabenpfleger keine Daseinsberechtigung.
Der Sekretär ist nicht nur mit den Protokollen und der Korre
spondenz betraut, sondern auch mit der Einbringung der Beiträ
ge, über die er minutiös Buch zu führen hat.
Die Brr. · ., die kein Amt haben, nehmen im Norden, Westen und
Süden Platz. Wie die Beamten erscheinen sie in der Loge nur in
Gesellschaftskleidung: dunkler Anzug und weiße Handschuhe.
Während der Arbeiten bewahren sie sorgsam absolutes Schwei
gen und erlauben es sich nicht einmal, auch nur mit leiser Stim
me miteinander zu sprechen. Diese rigorose Disziplin gibt den
englischen Ritualarbeiten eine imposante Feierlichkeit, die ei
nen ausgesprochen günstigen Eindruck hinterlässt.
Auf dem Altar vor dem Meister vom Stuhl liegen in jeder angel
sächsischen Loge die Bibel, das Winkelmaß und der Zirkel.
Die Arbeit vollzieht sich also in der Loge unter den Auspizi
en der Säule J.·., die in dorischem Stil (tätiger Eifer) gehalten
ist, die Wiederherstellung der Kräfte dagegen vollzieht sich mit
Hilfe der Säule B.·., die in ionischem Stil (rezeptive Passivität)
ausgeführt ist.
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Ritualunterschiede 147
4. Platz des Schatzmeisters.
5. Platz des Sekretärs.
6. Platz des Senior Deacon oder Ersten Diakons.
7. Platz des Junior Deacon oder Zweiten Diakons.
8. Platz des Tyler oder Wachhabenden.
9. Altar, um den die Reisen durchgeführt werden. Dort liegen
auf einer geöffneten Bibel ein Zirkel und ein Winkelmaß.
10, 11, 12. Drei große Leuchter, die die Weisheit, Stärke und
Schönheit darstellen.
13. Plätze der Brr. ·. der Loge und der besuchenden Brr. ·.
14. Vorraum.
15. Vorbereitungsraum für den Aufzunehmenden.
16. Vestibül.
DIE ABBILDUNGEN
IM BUCH DES GESELLEN
S. 14:
Winkelwaage, in eins gesetzt mit dem Schwefelzeichen der Al
chimisten�- Diese Abbildung ist dem Werk „L 'Etoile flambo
yante ou la Societe des Francs-Mai;ons consideree sous tous ses
aspects" [31] entnommen, das 1766 erschien und von Baron von
Tschoudy verfasst wurde [32). Der Schwefel� entspricht dem
eingeborenen Feuer, das die Entwicklung des Individuums, das
Wachstum des Keims anregt; deshalb das Bleilot, das in eine
Pflanze verwandelt und dazu bestimmt ist, in den Boden einzu
dringen und dort Wurzel zu schlagen. Deshalb auch das Sonnen
zeichen 0 (Ausdehnung, Strahlung), das das oberhalb der Waa
ge angebrachte feurige Dreieck 11 der Winkelwaage bekrönt.
s. 19:
„Das Skelett", ein bemerkenswertes Werk des lothringischen
Bildhauers Ligier Richier (16. Jh.), schmückt das Mausoleum
des Fürsten Rene de Chälons in der Kirche Saint-Etienne in Bar
le-Duc. Es erinnert in erstaunlicher Weise an den Gesellengrad;
mit der Linken die kosmische Willensenergie ergreifend sam
melt es diese in seinem Herzen, um sie zur Errichtung des Tem
pels der Humanität zu gebrauchen. (Anm. d. Hrsg.)
s. 34:
Aufzunehmende, nach angelsächsischem Ritual zur Aufnahme
in die drei symbolischen Grade vorbereitet.
s. 37:
Der Verliebte, Arkanum VI des Tarot. Es ist der Lehrling, der
berufen ist, zum Gesellen befördert zu werden, dem Geschick
lichkeit und Intelligenz nicht mehr genügen, denn man erlangt
die wahre Teilhabe am Großen Werk durch das Herz, durch die
Erhebung der Gefühle.
s. 39:
Tue common gavel, der Spitzhammer, der zur ersten Bearbei
tung des Rauen Steins dient.
s. 41:
Lineal und Zirkel, Instrumente für jede Art von geometrischer
Konstruktion.
s. 48:
Der Flammende Stern, mit dem in das Pentagramm oder Pental
pha eingeschriebenen Buchstaben G.
S.49:
Der Stern des Mikrokosmos, der Mensch bildet dabei ein Stern
bild mit fünf Zacken.
s. 49:
Das umgekehrte oder teuflische Pentagramm, das den Kopf
eines Geißbocks zeigt.
S. 54:
Das T'ai-kih, grundlegendes Symbol der Kosmogonie und
Philosophie der Chinesen. Diese Zweiheit, in die Einheit des
Kreises eingeschlossen, verkörpert das schöpferische Prinzip
des Universums und von allem, was existiert.
s. 59:
Schurz des Gesellen in Fünfeckform, geschmückt mit dem Pen
tagramm.
S. 64:
Winkelmaß und Zirkel auf der bei Kapitel 1 des Johannesevan
geliums aufgeschlagenen Bibel, entnommen dem Werk des Br.·.
Denier van der Groon über das Ritual des Gesellengrades (De
Gezelleninwijding en de Gezellengraad, Den Haag 1911 ).
S. 65:
Der mit dem Schurz bekleidete Geselle durchläuft, das Lineal in
der Hand, die Welt, sicher, dass er überall Arbeit finden wird.
S. 79:
Der Punkt in der Mitte eines Kreises, Symbol der Persönlich
keit, deren Bereich von den Säulen J.·. und B.·. begrenzt ist (die
beiden seitlichen Tangenten des Kreises). Die alchimistischen
Zeichen entsprechen den beiden Säulen. Das linke Zeichen ent
spricht J.·. (Schwefel � kombiniert mit Steinsalz Q, das rechte
entspricht B.·. (Merkur�' der das Zeichen des Wassers bekrönt
V).
s. 86:
Der Kaiser, Arkanum IV des Tarot. Es ist die vollziehende Ge
walt, der Wille, der auf sicherem Rechtsgrund befiehlt. Es ist
zugleich die Festigkeit, die das Wollen verwirklichbar macht.
Der Kaiser entspricht dem l. Aufseher. Er ist nicht mit der Win
kelwaage geschmückt, aber sein Oberkörper bildet ein Dreieck
S. 102:
Das Leuchtende Dreieck inmitten des Flammenden Sterns, des
sen Feuerstrahlen die Zacken verlängern. Dies ist das wesent
liche Emblem des Grades des Schotten vom Heiligen Andreas,
dessen Ritual dem Baron Tschoudy zugeschrieben wird. Das
Symbol insgesamt verkörpert die universale Intelligenz (Leucht
endes Dreieck), die sich jenseits des menschlichen Geistes ma
nifestiert, um den Gott-Menschen zu gebären, der der vollkom
mene Initiierte ist, der Große Auserwählte, vollkommener und
sublimer Maurer, 14° Grad der Schottischen Hochgrade. Die
Abbildung ist Baron von Tschoudys „Etoile Flamboyante" ent
nommen.
S. 107:
Dreieck, das zehn Punkte einschließt, die so angeordnet sind,
dass sie den vier ersten Ziffern entsprechen. Die Schüler des Py
thagoras brachten diese Abbildung zu den Lehren in Beziehung,
die ihr Meister über die Tetraktys oder die initiatische Vierheit
gegeben hatte.
S. 111:
Schema der auf das Individuum einwirkenden Elementarkräfte.
S. 112:
Der Pelikan lehrt das Opfer die Selbstvergessenheit, die zur Fer
tigstellung des Großen Werkes unverzichtbar ist.
S. 114:
Das Hexagramm oder Siegel Salomos, gebildet aus zwei inei
nander verflochtenen Dreiecken, die für Feuer !i und Wasser V
stehen.
s. 115:
Schema der harmonisierenden Siebenheit.
s. 116:
Das Leuchtende Dreieck in einem Kreis von Wolken.
s. 116:
Das hebräische Tetragramm in einem Dreieck.
s. 117:
Schema, aus dem sich entnehmen lässt, wie die Dreiheit die
Vierheit erzeugt.
s. 118:
Der Gehängte, Arkanum XII des Tarot. Der Umriss dieser Per
son gibt das Zeichen für die Fertigstellung des Großen Werkes
� wieder. Der Gehängte ist insoweit das Gegenstück des Kai
sers (Arkanum IV), der dem Schwefel � entspricht. An einem
Fuß aufgehängt, den Kopf nach unten und die Hände gefesselt,
scheint dieser seltsame Verurteilte das klassische Bild der Ohn
macht zu bieten. Dennoch ist es der Träumer, dem die Zukunft
gehört. Wenn er im Augenblick auch tatenlos ist, so sind seine
genialen Ideen trotzdem nicht weniger fruchtbar. Sie entfallen
ihm wie jene Geldstücke aus Gold und Silber, die der Gehängte
ausstreut.
S. 119:
Mystische Arbeitstafel des Gesellen.
S. 123:
Doppeltes Schema, das die Beziehungen der Säulen J. ·. und B. ·.
zu Sonne und Mond bezeichnet.
s. 128:
Die Kelle, Emblem der Toleranz, die die für den Freimaurer cha
rakteristische Tugend darstellt.
S. 129:
Das maurerische Alphabet.
s. 130:
Das magische Viereck des Saturn.
s. 131:
Winkelmaß, Zirkel und Flammender Stern.
S. 131:
Die acht Positionen des Winkelmaßes.
s. 133:
Der Kubische Stein mit Spitze nach dem „Catechisme des
Francs-Ma9ons dediee au beau sexe" [34] von Leonard Gaba
non, Pseudonym für Louis Travenol (1740), und anderen zeitge
nössischen Veröffentlichungen wie etwa „Le Ma9on demasque
ou le vrai secret des Francs-Ma9ons" von 1757 usw.
s. 141:
Der aus seiner Asche ständig wiedergeborene Phönix, anders
gesagt das Prinzip des Lebens, im Zeichen des Schwefels . Ab
bildung entnommen dem Titelblatt der Douze clefs des Basile
Valentin, auf dem auch eine Reihe anderer Symbole zu sehen ist,
darunter ein Kubus, die Sonne und der Mond, sieben Blumen,
die die Planeten oder Metalle repräsentieren, ein flammendes
Kohlebecken, sieben Tränen und oberhalb des Phönix ein alter,
s. 147:
Plan einer angelsächsischen Loge.
S. 148:
Säule des salomonischen Tempels, rekonstruiert nach den in der
Bibel angegebenen Proportionen und nach den Vorgaben des
ägyptischen Stils der Zeit durch Br. ·. R. Hawcridge, Architekt,
dessen Arbeit vom „New Zealand Craftsman" und dann vom
Londoner Freemason (Ausgabe vom 21. August 1909) publiziert
wurde.
s. 155:
Der Gaukler, Arkanum I des Tarot. Das ist der Initiierte, der die
elementaren Einflüsse besiegt hat, also durch und durch Mei
ster seiner selbst (frei geboren) und nunmehr fähig ist, die initia
tischen Kenntnisse zu erwerben (Wissensschau), die ihn bei der
Ausübung der Macht der Magie leiten werden.
s. 159:
Die Päpstin, Arkanum II des Tarot. Die Hohepriesterin der Isis
ist die Enthüllerin der Mysterien. Sie personifiziert die Wissens
schau oder das geheime Wissen der Eingeweihten.
[10) Siehe Band I, Das Buch des Lehrlings, Kapitel „Die Zah
len"
[12) Das Große Werk zu Nutz und Frommen der Kinder des
Lichts enthüllt. (Anm.d. Übers.)
[13) Die Bibel hat diese Überlieferung wie viele andere zu ei
ner Zeit aufgenommen, als der Sinn für das Allegorische bereits
verloren gegangen war. Man müsste die ursprüngliche Urkunde
wahrscheinlich chaldäischen Ursprungs wiederfinden, um den
Mythos in seiner ersten Reinheit wiederherzustellen.
[15) Siehe Band I, Das Buch des Lehrlings, Kapitel „Die Vier
heit"
Anmerkungen 157
[ 18] Zur Theorie der Elemente wird der Leser auf Band I, Das
Buch des Lehrlings, Kapitel „Die Vierheit" und auf meine Her
metische Symbolik verwiesen.
[30] In dieser Lage befand sich der Schöpfer vor der Schöp
fung.
Anmerkungen 159
In der Fortsetzung zeigt Wirth im Buch des Gesellen neben dem Überblick über die
Ursprünge der Initiation in den zweiten Grad und deren esoterischer Bedeutung
zahlreiche alchimistische Bezüge auf und erforscht die Symbolik von Tarnt-Bildern
unter maurerischen Gesichtspunkten. Darüber hinaus nimmt der Autor eine voll
ständige Deutung des Symbolgehalts der fünf Gesellenreisen, des fünfzackigen
Sterns, der Gnosis, des Tragen des Schurzes und zahlreicher anderer Themen vor.
Ausgangspunkt für Wirths Betrachtungen ist der im Frankreich des späten 19. Jahr
hunderts praktizierte Schottische Ritus. Gleichwohl sind seine Instruktionen -
unabhängig von der jeweils praktizierten Lehrart� von großem Nutzen und stoßen
auf großes Interesse.
Für Oswald Wirth war die spekulative Freimaurerei nicht so sehr von äußeren
Gegnern als von zwei großen inneren Gefahren bedroht: dem Abgleiten in einen
bloßen Geselligkeitsbetrieb und dem Versinken in den Mystizismus. Vor diesen
Gefahren wollte er sie durch sorgsame Pflege des Rituals und der Symbolik sowie
ständige Besinnung auf ihre ursprünglichen Zielsetzungen bewahren, denen die
Freimaurerei ihre weltweite Verbreitung und ihren jahrhundertelangen Bestand
verdankt. Sein Lebenswerk „Die Freimaurerei, ihren Anhängern verständlich gemacht"
war und ist richtungweisend; seine Aktualität ist bis heute ungebrochen.
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Das Standardinstruktionswerk II liegt nun erstmals in deutscher Sprache vor.
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19.95CHF
ISBN 978-3-942051-60-6