Sie sind auf Seite 1von 705

1 Biologie der 9 Atmungs-

Zelle system

2 Genetik und 10 Verdauungs-


Evolution system

3 Gewebe 11 Nieren und


ableitende
Harnwege

4 Blut, Immun- 12 Geschlechts-


system und organe
lymphatische
Organe

5 Nervensystem 13 Fortpflan-
zung,
Entwicklung
und Geburt

6 Endokrines 14 Sinnes-
System (Hor- organe
monsystem)

7 Bewegungs- 15 Haut und


system Haut-
anhangs-
gebilde

8 Herz und Anhang


Gefäßsystem
Der Körper
des Menschen
Einführung in Bau
und Funktion

Adolf Faller †
Neu bearbeitet von
Michael Schünke

unter Mitarbeit von Gabriele Schünke

17., überarbeitete Auflage

450 farbige Abbildungen

Georg Thieme Verlag


Stuttgart • New York
1. Auflage 1966 9. Auflage 1980 Bibliografische Information der Deutschen National-
2. Auflage 1967 10. Auflage 1984 bibliothek
3. Auflage 1969 11. Auflage 1988 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese
4. Auflage 1970 12. Auflage 1995 Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
5. Auflage 1972 13. Auflage 1999 detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
6. Auflage 1974 14. Auflage 2004 über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
7. Auflage 1976 15. Auflage 2008
8. Auflage 1978 16. Auflage 2012
1. französische Auflage 1970
2. französische Auflage 1983
3. französische Auflage 1988
4. französische Auflage 1999
5. französische Auflage 2006
1. italienische Auflage 1973 Wichtiger Hinweis: Wie jede Wissenschaft ist die
Medizin ständigen Entwicklungen unterworfen.
1. japanische Auflage 1982
Forschung und klinische Erfahrung erweitern unse-
2. japanische Auflage 1993
re Erkenntnisse, insbesondere was Behandlung und
3. japanische Auflage 2001
medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in die-
4. japanische Auflage 2013
sem Werk eine Dosierung oder eine Applikation er-
1. niederländische Auflage 1970 wähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen,
2. niederländische Auflage 1974 dass Autoren, Herausgeber und Verlag große Sorg-
3. niederländische Auflage 1978 falt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem
4. niederländische Auflage 1981 Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes ent-
1. spanische Auflage 1968 spricht.
2. spanische Auflage 1984 Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Ap-
3. spanische Auflage 2006 plikationsformen kann vom Verlag jedoch keine Ge-
1. englische Auflage 2004 währ übernommen werden. Jeder Benutzer ist an-
gehalten, durch sorgfältige Prüfung der Beipackzet-
1. russische Auflage 2008
tel der verwendeten Präparate und gegebenenfalls
nach Konsultation eines Spezialisten festzustellen,
© 2016 Georg Thieme Verlag KG
ob die dort gegebene Empfehlung für Dosierungen
Rüdigerstr. 14
oder die Beachtung von Kontraindikationen gegen-
70469 Stuttgart
über der Angabe in diesem Buch abweicht. Eine sol-
Deutschland
che Prüfung ist besonders wichtig bei selten ver-
www.thieme.de
wendeten Präparaten oder solchen, die neu auf den
Printed in Italy Markt gebracht worden sind. Jede Dosierung oder
Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benut-
Zeichnungen: Gerhard Spitzer, Frankfurt am Main;
zers. Autoren und Verlag appellieren an jeden Be-
Markus Voll, München; Gay & Sender, Bremen; Karl
nutzer, ihm etwa auffallende Ungenauigkeiten dem
Wesker, Berlin
Verlag mitzuteilen.
Anatomische Tafeln: Markus Voll, München; Karl
Wesker, Berlin; unter Verwendung von Schünke M,
Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der
Anatomie
Umschlaggestaltung: Thieme Verlagsgruppe Geschützte Warennamen (Warenzeichen ®) werden
Umschlaggrafik: Martina Berge, Stadtbergen; nicht immer besonders kenntlich gemacht. Aus dem
verwendete Grafiken von © angelhell – iStockphoto. Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht ge-
com, © ag visuell – Fotolia.com, © Giovanni Cancemi schlossen werden, dass es sich um einen freien Wa-
– Fotolia.com, © ciawitaly – Fotolia.com rennamen handelt.
Satz: Druckhaus Götz GmbH, Ludwigsburg Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urhe-
Druck: LEGO S.p.A, Lavis TN berrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb
der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist
DOI 10.1055/b-004-129994 ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und
strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigun-
ISBN 978-3-13-329717-2 123456
gen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen oder die
Auch erhältlich als E-Book: Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen
eISBN (PDF) 978-3-13-151957-3 Systemen.
eISBN (epub) 978-3-13-167787-7
Vorwort zur 17. Auflage
In diesem Jahr feiert der „Faller“ einen run- Außerdem haben wir den Text natürlich
den Geburtstag: 50 Jahre wird das Buch dem aktuellen Informationsstand ange-
alt! Wir freuen uns deshalb ganz beson- passt. Dies betrifft insbesondere die span-
ders, dass es jetzt, pünktlich zu diesem Ju- nenden neuen Erkenntnisse zur Epigene-
biläum, zum 17. Mal neu aufgelegt wird. tik, einer noch jungen Forschungsrichtung,
17 Auflagen erlebt ein Buch nur, wenn es die unser tägliches Leben tiefgreifend be-
immer genau auf die Bedürfnisse seiner Le- einflussen wird und von der Krankheits-
serinnen und Leser eingeht und dadurch – vorsorge, Krebsforschung, Psychologie und
trotz stetig wachsender Konkurrenz – im- Evolutionsbiologie profitieren werden.
mer beliebt bleibt. So hat sich der Faller Die vorliegende 17. Auflage trägt ganz
über die letzten 50 Jahre nicht zuletzt auf- wesentlich auch die Handschrift des Thie-
grund Ihrer Anregungen und Ihrer Kritik me Verlags und profitiert von vielen äu-
immer weiterentwickelt. ßerst motivierten Menschen, deren Mit-
Dies gilt einmal mehr für diese neue op- arbeit wir sehr genossen haben und denen
timierte 17. Auflage. Schon rein äußerlich wir von ganzem Herzen danken möchten.
macht sie durch das jetzt 2-spaltige Layout Allen voran Sabine Bartl, die dank ihres di-
einen moderneren Eindruck als die 16. So daktischen Geschicks den Text vollkom-
sieht sie nicht nur besser aus, die Texte las- men neu bearbeitet und gestaltet hat und
sen sich damit auch angenehmer und für uns immer eine überaus kompetente
schneller lesen. Zur Lesefreundlichkeit und liebenswürdige Ansprechpartnerin
trägt außerdem bei, dass das das gesamte war. Sie hat diese vorliegende Auflage ent-
Buch sprachlich überarbeitet wurde. Jedes scheidend mitgeprägt. Nicht zu vergessen
Kapitel beginnt mit einer leicht und all- auch Dieter Schmid als Programmplaner,
gemein verständlichen Einleitung. Selbst, der vor allem die Umstellung der Kapitel
wenn Sie sich noch nie mit dem Aufbau angeregt und viele neue Gedanken bei-
einer Zelle, mit Genetik oder dem Nerven- gesteuert hat. Daneben möchten wir auch
system beschäftigt haben, finden Sie so all den anderen Thieme-Mitarbeitern dan-
mühelos einen Einstieg in das jeweilige ken, die im Pflege-Redaktionsteam, in der
Thema. Definitionen erklären Ihnen die Herstellung, in der Konzeption und im
Begriffe, die Sie zum weiteren Verständnis Marketing zum Gelingen dieser Auflage
benötigen, mehr als 400 Grafiken illustrie- beigetragen haben.
ren Zusammenhänge, Beispiele und Zu-
satzinformationen in gesonderten Kästen Kiel, im April 2016 Gabriele und
runden das Bild ab. Michael Schünke

5
Inhaltsverzeichnis
1 Biologie der Zelle .................. 18

1.1 Was ist eine menschliche Zelle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18


1.2 Eigenschaften von Zellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
1.2.1 Grundeigenschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
1.2.2 Spezifische Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
1.3 Grundbauplan einer eukaryoten Zelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
1.3.1 Zellmembran (Plasmalemm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
1.3.2 Zellleib (Zytoplasma) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
1.3.3 Zellkern (Nucleus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
1.4 Chromosomen und Gene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
1.4.1 Aufbau eines Chromosoms. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
1.4.2 Aufbau der DNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
1.4.3 Funktionen der DNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
1.5 Zellteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
1.5.1 Mitose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
1.5.2 Reduktions- oder Reifeteilung (Meiose) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
1.6 Die Zelle und ihre Umgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
1.6.1 Extrazelluläre Flüssigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
1.6.2 Intrazelluläre Flüssigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
1.7 Membran- oder Ruhepotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
1.8 Stoff- und Flüssigkeitstransport. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
1.8.1 Passive Transportprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
1.8.2 Aktive Transportprozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

2 Genetik und Evolution ............. 54

2.1 Genetik (Vererbungslehre) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54


2.1.1 Grundbegriffe der Genetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
2.1.2 Mendel-Gesetze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
2.1.3 Autosomale Erbgänge (dominant-rezessive) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
2.1.4 Gonosomale (geschlechtsgebundene) Erbgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
2.1.5 Mutationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

6
Inhaltsverzeichnis

2.2 Evolution (Abstammungslehre) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67


2.2.1 Grundbegriffe der Evolutionstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
2.2.2 Evolutionsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
2.2.3 Evolutionsbeweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

3 Gewebe ............................ 78

3.1 Gewebearten im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78


3.2 Epithelgewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
3.2.1 Oberflächenbildende Epithelien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
3.2.2 Drüsen- und Sinnesepithelien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
3.3 Binde- und Stützgewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
3.3.1 Bindegewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
3.3.2 Stützgewebe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
3.4 Muskelgewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
3.4.1 Glattes Muskelgewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
3.4.2 Quergestreiftes Muskelgewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
3.5 Nervengewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
3.5.1 Nervenzellen (Neurone) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
3.5.2 Nervenimpulse (Aktionspotenziale) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
3.5.3 Synapsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
3.5.4 Gliazellen (Neuroglia) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
3.5.5 Nerven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

4 Blut, Immunsystem und


lymphatische Organe . . . . . . . . . . . . . . 120

4.1 Blut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120


4.1.1 Aufgaben des Blutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
4.1.2 Blutzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
4.1.3 Blutgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
4.1.4 Blutplasma und Blutserum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
4.1.5 Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
4.1.6 Blut als Transportmittel von O2 und CO2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
4.1.7 Kohlenmonoxid und Hämoglobin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
4.1.8 Hämoglobinkonzentration im Blut (Hb-Wert). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

7
Inhaltsverzeichnis

4.1.9 Anämien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134


4.1.10 Steuerung der Erythrozytenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
4.1.11 Blutstillung, Blutgerinnung und Fibrinolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
4.2 Immunsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
4.2.1 Unspezifische und spezifische Immunabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
4.2.2 Aktive und passive Immunisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
4.3 Lymphatische Organe (Immunorgane) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
4.3.1 Thymus (Bries). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
4.3.2 Lymphknoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
4.3.3 Milz (Lien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
4.3.4 Lymphatisches Gewebe der Schleimhäute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

5 Nervensystem ..................... 164

5.1 Gliederung und Aufgaben des Nervensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . 164


5.2 Entwicklung des Nervensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
5.3 Zentrales Nervensystem (ZNS). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
5.3.1 Entwicklung von Gehirn (Encephalon) und Rückenmark . . . . . . . . . . . . 166
5.3.2 Hirngewichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
5.3.3 Hirnabschnitte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
5.3.4 Elektroenzephalogramm (EEG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
5.3.5 Schlafen und Wachen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
5.3.6 Rückenmark (Medulla spinalis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
5.3.7 Bahnen der Willkürmotorik (Pyramidenbahn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
5.3.8 Extrapyramidal-motorisches System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
5.3.9 Schlaffe und spastische Lähmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
5.3.10 Rückenmarkreflexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
5.3.11 Hirn- und Rückenmarkshäute (Meningen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
5.3.12 Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit und Ventrikelsystem . . . . . . . . . . . . . . 205
5.3.13 Blutversorgung des Gehirns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
5.4 Peripheres Nervensystem (PNS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
5.4.1 Peripherer Nerv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
5.4.2 Ganglien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
5.4.3 Rückenmarksnerven (Spinalnerven) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
5.4.4 Nervengeflechte (Plexus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
5.4.5 Hirnnerven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
5.5 Vegetatives Nervensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
5.5.1 Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
5.5.2 Allgemeiner Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
5.5.3 Sympathisches Nervensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
5.5.4 Parasympathisches Nervensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
5.5.5 Darmwandnervensystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230

8
Inhaltsverzeichnis

6 Endokrines System
(Hormonsystem) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244

6.1 Was sind Hormone und wo werden sie produziert? . . . . . . . . . . . . . 244


6.2 Wirkungsweise von Hormonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
6.2.1 Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
6.2.2 Wirkungsweise hydrophiler Hormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
6.2.3 Wirkungsweise lipophiler Hormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
6.3 Bildungsorte von Hormonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
6.4 Steuerung der Hormonsekretion (Hypothalamus-Hypophysen-
System) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
6.5 Klassische endokrine Hormondrüsen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
6.5.1 Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
6.5.2 Zirbeldrüse (Corpus pineale, Epiphyse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
6.5.3 Schilddrüse (Glandula thyreoidea) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
6.5.4 Nebenschilddrüsen (Epithelkörperchen, Glandulae parathyroideae) . . . . 256
6.5.5 Nebennieren (Glandulae suprarenales) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
6.5.6 Inselorgan der Bauchspeicheldrüse (Pancreas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
6.5.7 Geschlechtsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
6.6 Andere hormonbildende Gewebe und Einzelzellen . . . . . . . . . . . . . 262

7 Bewegungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . 268

7.1 Körperachsen und Körperebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268


7.2 Lage- und Richtungsbezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
7.3 Allgemeine Anatomie des Bewegungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
7.3.1 Knochen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
7.3.2 Gelenke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
7.3.3 Funktion und Bauprinzip des Skelettmuskels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
7.3.4 Muskelsehnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
7.3.5 Hilfseinrichtungen von Muskeln und Sehnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
7.4 Spezielle Anatomie von Hals und Kopf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
7.4.1 Hals (Collum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
7.4.2 Kopf (Caput) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
7.5 Spezielle Anatomie des Rumpfes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292
7.5.1 Rumpfskelett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292
7.5.2 Rumpfmuskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303

9
Inhaltsverzeichnis

7.6 Spezielle Anatomie der oberen Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313


7.6.1 Schultergürtel – Knochen, Gelenke, Muskeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314
7.6.2 Freie obere Gliedmaße – Knochen, Gelenke, Muskeln. . . . . . . . . . . . . . . 316
7.7 Spezielle Anatomie der unteren Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
7.7.1 Beckengürtel und Becken – Knochen, Gelenke, Muskeln. . . . . . . . . . . . . 328
7.7.2 Freie untere Gliedmaße – Knochen, Gelenke, Muskeln . . . . . . . . . . . . . . 332

8 Herz und Gefäßsystem ............ 356

8.1 Herz (Cor) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . 356


8.1.1 Gestalt und Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . 356
8.1.2 Rechtes und linkes Herz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . 358
8.1.3 Herzkranzgefäße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . 364
8.1.4 Systole und Diastole. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . 365
8.1.5 Arterieller Blutdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . 366
8.1.6 Herzzeit- und Herzminutenvolumen (HZV und HMV) . . .. . . . . . . . . . . 368
8.1.7 Herznerven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . 368
8.1.8 Herztöne und Herzgeräusche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . 369
8.1.9 Reizleitungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . 369
8.1.10 Elektrokardiogramm (EKG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . 371
8.1.11 Untersuchung des Herzens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . 375
8.2 Gefäßsystem – Bau und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . 376
8.2.1 Blutgefäße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . 376
8.2.2 Lymphgefäße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . 379
8.2.3 Großer und kleiner Kreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . 380
8.2.4 Fetaler Kreislauf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . 382
8.2.5 Arterien und arterielles System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . 384
8.2.6 Venen und venöses System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . 388
8.3 Gefäßsystem – physikalische und physiologische Grundlagen . . . . 392
8.3.1 Strömung, Druck und Widerstand im Gefäßsystem . . . . . . . . . . . . . . . . 392
8.3.2 Verteilung des Herzzeitvolumens (HZV). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
8.3.3 Regulation der Organdurchblutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
8.3.4 Reflektorische Kreislauf- und Blutdruckregulation . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
8.3.5 Blutzirkulation in den Kapillaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
8.3.6 Venöser Rückstrom zum Herzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398

10
Inhaltsverzeichnis

9 Atmungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406

9.1 Äußere Atmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406


9.2 Luftleitende Atmungsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406
9.2.1 Nasenhöhle und Nasennebenhöhlen. . . . . . . . .
... . . . . . . . . . . . . . . . . 408
9.2.2 Rachen (Pharynx) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
... . . . . . . . . . . . . . . . . 410
9.2.3 Kehlkopf (Larynx). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
... . . . . . . . . . . . . . . . . 410
9.2.4 Luftröhre und Bronchialbaum. . . . . . . . . . . . . .
... . . . . . . . . . . . . . . . . 414
9.3 Seröse Höhlen und Häute des Brust- und Bauchraums . . . . . . . . . . 417
9.4 Lungen (Pulmones) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
9.4.1 Lungenfell (Pleura visceralis) und Rippenfell (Pleura parietalis). . . . . . . . 419
9.4.2 Äußerer Aufbau der Lunge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
9.4.3 Innerer Aufbau der Lunge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420
9.5 Belüftung der Lungen (Ventilation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422
9.5.1 Lungen- und Atemvolumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423
9.5.2 Atemminutenvolumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423
9.5.3 Alveolar- und Totraumventilation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
9.6 Gasaustausch und Blut-Luft-Schranke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426
9.6.1 Gasaustausch in der Lunge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426
9.6.2 Blut-Luft-Schranke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430
9.6.3 Sauerstoffmangel (Hypoxie, Anoxie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430
9.6.4 Künstliche Beatmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431
9.7 Atemregulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431
9.8 Atemmechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433
9.8.1 Einatmung (Inspiration) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433
9.8.2 Ausatmung (Exspiration) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434
9.8.3 Atemwiderstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435
9.8.4 Atemarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436
9.8.5 Dynamischer Atemtest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436

10 Verdauungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . 444

10.1 Stoffwechsel, Energiebedarf und Nahrungsstoffe. . . . . . . . . . . . . . . 444


10.1.1 Stoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444
10.1.2 Energiebedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445
10.1.3 Nahrungsstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447
10.1.4 Antioxidanzien (Radikalenfänger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451

11
Inhaltsverzeichnis

10.1.5 Pflanzenwirkstoffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452


10.1.6 Ballaststoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453
10.2 Verdauungsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453
10.2.1 Mundhöhle (Cavitas oris) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453
10.2.2 Rachen (Pharynx) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463
10.2.3 Speiseröhre (Ösophagus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465
10.2.4 Magen (Ventriculus, Gaster). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467
10.2.5 Dünndarm (Intestinum tenue, Enteron) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470
10.2.6 Dickdarm (Intestinum crassum). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476
10.2.7 Bauchfellhöhle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480
10.2.8 Bauchspeicheldrüse (Pancreas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483
10.2.9 Leber (Hepar). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485
10.2.10 Gallenblase (Vesica fellea) und Gallengang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489
10.3 Übersicht über die Verdauungsvorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489
10.3.1 Fettverdauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489
10.3.2 Kohlenhydratverdauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491
10.3.3 Proteinverdauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492

11 Nieren und ableitende


Harnwege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502

11.1 Nieren (Renes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502


11.1.1 Aufgaben der Nieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502
11.1.2 Primär- und Sekundärharn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502
11.1.3 Form und Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502
11.1.4 Nierenarterien und -venen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505
11.1.5 Nierengewebe (histologischer Aufbau) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505
11.1.6 Nephron (funktioneller Aufbau) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506
11.1.7 Zusammensetzung des Harns. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514
11.2 Ableitende Harnwege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515
11.2.1 Nierenbecken (Pelvis renalis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515
11.2.2 Harnleiter (Ureter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516
11.2.3 Harnblase (Vesica urinaria) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518
11.2.4 Harnröhre (Urethra) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520

12
Inhaltsverzeichnis

12 Geschlechtsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . 528

12.1 Männliche Geschlechtsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528


12.1.1 Innere männliche Geschlechtsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528
12.1.2 Äußere männliche Geschlechtsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537
12.2 Weibliche Geschlechtsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539
12.2.1 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539
12.2.2 Innere weibliche Geschlechtsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539
12.2.3 Äußere weibliche Geschlechtsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549
12.2.4 Weibliche Brust (Mamma) und Brustdrüse (Glandula mammaria) . . . . . 550

13 Fortpflanzung, Entwicklung und


Geburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558

13.1 Keimzellentwicklung und Befruchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558


13.1.1 Keimzellentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558
13.1.2 Befruchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558
13.1.3 Implantation und Furchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562
13.1.4 Ausbildung und Aufbau der Plazenta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564
13.1.5 Nabelschnur (Funiculus umbilicalis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567
13.2 Menschliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568
13.2.1 Früh- und Embryonalentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568
13.2.2 Fetalentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570
13.2.3 Geburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574
13.2.4 Postnatale Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575
13.3 Anatomische Biotypologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582
13.3.1 Leptosomer Typ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582
13.3.2 Pyknischer Typ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583
13.3.3 Athletischer Typ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583

13
Inhaltsverzeichnis

14 Sinnesorgane ...................... 590

14.1 Rezeptoren und Sinneszellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590


14.2 Auge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591
14.2.1 Augapfel (Bulbus oculi) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591
14.2.2 Optischer Apparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600
14.2.3 Sehbahn. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603
14.2.4 Hilfseinrichtungen des Auges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606
14.3 Ohr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609
14.3.1 Gehörorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611
14.3.2 Gleichgewichtsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616
14.4 Geschmackssinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619
14.5 Geruchssinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620
14.5.1 Riechschleimhaut und Riechbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621
14.5.2 Organisation des Geruchssinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621
14.5.3 Das Vomeronasalorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624

15 Haut und Hautanhangsgebilde .... 632

15.1 Haut (Cutis) und Unterhaut (Subcutis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632


15.1.1 Hautdecke und Hautschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632
15.1.2 Hautsinnesorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635
15.1.3 Aufgaben der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635
15.2 Hautanhangsgebilde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635
15.2.1 Hautdrüsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 636
15.2.2 Haare. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637
15.2.3 Nägel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642
Messgrößen und Maßeinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642
SI-Basiseinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642
Vielfache und Bruchteile von Maßeinheiten (Zehnerpotenzen) . . . . . . . 643
Konzentration und Umrechnungsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643
Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645
Eigennamen in der Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662

Sachverzeichnis ...................................... 665


14
Anschriften
Prof. Dr. med. Adolf Faller †
ehem. Universität Fribourg, Schweiz

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Michael Schünke


Anatomisches Institut der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Otto-Hahn-Platz 8
24118 Kiel
Deutschland

Dipl.-Biol. Gabriele Schünke


Holländerey 6
24119 Kronshagen
Deutschland

15
© Jose Luis Calvo, shutterstock.com

Kapitel 1 1.1 Was ist eine mensch-


liche Zelle? 18
Biologie der Zelle
1.2 Eigenschaften von
Zellen 18

1.3 Grundbauplan einer


eukaryoten Zelle 20

1.4 Chromosomen und


Gene 25

1.5 Zellteilung 35

1.6 Die Zelle und ihre


Umgebung 40

1.7 Membran- oder Ruhe-


potenzial 42

1.8 Stoff- und Flüssig-


keitstransport 43
Biologie der Zelle

1 1 Biologie der Zelle


Der menschliche Körper setzt sich aus 75 Bil- Als eigenständiger Organismus tritt die Zel-
lionen „Bausteinen“ zusammen, den Zellen. le in Form von Einzellern (z. B. Geißeltier-
Die meisten davon sind rote Blutkörperchen chen und Amöben) auf. Bei den Mehrzel-
(25 Billionen), gefolgt von Nervenzellen (100 lern bilden die Zellen große Verbände und
Milliarden). Entsprechend dieser sehr großen sind funktionelle Einheiten im Rahmen
Menge von Zellen ist die einzelne Zelle mikro- einer übergeordneten Struktur. Gene im
skopisch klein. Mit bloßem Auge erkennbar Zellkern steuern die Vermehrung der Zel-
sind nur weibliche Eizellen, die mit einem len und die Synthese von Eiweißen. Beides
Durchmesser von 150 μm die größten Zellen zusammen stellt sicher, dass sich
des Menschen darstellen. Einige Bindege- ● aus einer befruchteten Eizelle ein vielzel-

webszellen sind dagegen nur 5 μm „groß“. liger Organismus entwickelt und


Jede Zellart hat bestimmte Aufgaben. Ery- ● aus gemeinsamen Vorläuferzellen so un-

throzyten z. B. transportieren Sauerstoff, Ner- terschiedlich differenzierte Zellen wie


venzellen leiten Erregungen weiter, Keimzel- z. B. Gehirn-, Lungen-, Muskel- oder Le-
len dienen der Fortpflanzung usw. Welche berzellen entstehen.
Leistung die jeweilige Zelle für den Organis-
mus erbringt, ist in bestimmten Abschnitten Recht unterschiedlich ist auch die Form
der sog. Desoxyribonukleinsäure (DNS bzw. von Zellen:
DNA) in den Genen im Zellkern gespeichert. ● Eizellen sind rund.
● Bindegewebszellen haben Fortsätze.
● Muskelzellen sind spindelförmig oder
1.1 Was ist eine platt.
● Epithelzellen sind kubisch oder hoch-
menschliche Zelle?


prismatisch.

Definition
L Unterschiedliche Größen und Formen ste-
hen häufig in engem Zusammenhang mit
Die Zelle ist der Grundbaustein des den jeweiligen Eigenschaften und Auf-
menschlichen Körpers sowie aller Tiere gaben von Zellen. So können z. B. Nerven-
und Pflanzen. Sie ist die kleinste selbst- zellen, die vom Gehirn zum Rückenmark
ständig lebende Einheit. Man unterschei- ziehen, inklusive ihres Fortsatzes bis zu
det zwei Kategorien von Zellen: 1 m lang sein.
● prokaryote Zellen: unter dem Mikro-

skop ist kein Zellkern zu sehen und


● eukaryote Zellen: unter dem Mikro- 1.2 Eigenschaften von
skop ist ein Zellkern zu sehen
(▶ Abb. 1.1). Zellen
Außer den Bakterien sind alle tierischen
1.2.1 Grundeigenschaften
und pflanzlichen Organismen sog. Euka- Obwohl Zellen hinsichtlich ihrer Aufgaben
ryoten. sehr unterschiedlich sind, haben sie alle
gemeinsame Grundeigenschaften:

18
1.2 Eigenschaften von Zellen

(Melanosom)

Abb. 1.1 Zelle. Grundbauplan einer eukaryoten Zelle (vereinfachtes lichtmikroskopisches


Bild).

● Stoffwechsel und Energiegewinnung: ● Vermehrung und begrenzte Lebensdau-


Um ihre Funktionen erfüllen zu können, er: Fast alle Zellen vermehren sich le-
benötigen Zellen Energie, die sie durch benslang durch Teilung. Auf diese Weise
regelmäßige Nahrungsaufnahme bekom- können sie z. B. Zellen ersetzen, die
men. Die aufgenommenen Stoffe werden durch eine Verletzung zugrunde gegan-
in zelleigene Verbindungen umgewan- gen sind (Regeneration = Wiederherstel-
delt und in Form von Endprodukten (z. B. lung von Geweben und Organen).
als Harnstoff bei der Elimination von
Stickstoff) wieder an den Organismus
abgegeben.

19
Biologie der Zelle

1 Zusatzinfo
Zellteilungsrate
●V 1.3 Grundbauplan einer
eukaryoten Zelle
Das menschliche Knochenmark bildet Für alle Zellen des menschlichen Körpers
etwa 160 Millionen rote Blutkörperchen (eukaryote Zellen) gibt es einen Grundbau-
pro Minute, die Keimdrüsen (Hoden) des plan. Unter dem Lichtmikroskop erkennt
Mannes etwa 85 Millionen Spermien pro man von außen nach innen (▶ Abb. 1.1):
Tag. Eine hohe Zellteilungsrate charakte- ● Zellmembran (Plasmalemm)

risiert auch die Schleimhautzellen des ● Zellleib (Zytoplasma) mit Zellorganellen

Dünndarms, die eine durchschnittliche und Zelleinschlüssen und


Lebensdauer von nur wenigen Tagen (30 ● Zellkern (Nucleus).

– 100 h) aufweisen. Andere Zellen wie-


derum teilen sich nur in einer bestimm-
ten Entwicklungsphase und bleiben da- 1.3.1 Zellmembran
(Plasmalemm)


nach lebenslang erhalten, z. B. Nerven-

L
zellen und Muskelzellen.

Definition
● Reizaufnahme und Reizbeantwortung:
Die Zellmembran (sog. Einheitsmem-
Fast alle Zellen stehen mit ihrer unmit-
bran) hält den flüssigen Zellleib zusam-
telbaren Umgebung durch spezifische
men und bildet eine Barriere zwischen
Zelloberflächenstrukturen (z. B. Rezepto-
Extra- und Intrazellularraum. Sie umgibt
ren) in Verbindung und können unter-
außerdem die Zellorganellen.
schiedliche Reize aufnehmen, auswerten
und beantworten.

Die sog. Einheitsmembran ist nur 7,5 nm


1.2.2 Spezifische (1 μm = 1000 nm) dick. Sie besteht aus
einer Lipiddoppelschicht, also zwei Lagen
Eigenschaften von Lipidmolekülen (Phospholipide, Cho-
Zusätzlich zu den Grundeigenschaften lesterin). Diese Lipidmoleküle sind so an-
(S. 18) besitzen einige Zellen spezifische Ei- geordnet, dass ihre fettlöslichen Anteile
genschaften: (Fettsäuren) einander zugekehrt sind (hel-
● Sie können sich bewegen (z. B. Abwehr- ler Mittelstreifen), während die wasserlös-
zellen im Bindegewebe, männliche Sper- lichen Anteile an die Innen- bzw. Außen-
mien im weiblichen Genitaltrakt). seite der Zellmembran grenzen (dunkle
● Sie können Stoffe aufnehmen (Abwehr- Außen- bzw. Innenlinie, ▶ Abb. 1.2).
zellen z. B. Zelltrümmer) oder abgeben Grundsätzlich ist die Lipiddoppelschicht
(Drüsenzellen z. B. Sekrete). sowohl für wasserlösliche als auch für gro-
● Sie können eine besondere Oberfläche ße Moleküle undurchlässig. Die Membran-
mit besonderen Funktionen ausbilden: proteine (Transmembranproteine, Kanal-
die Epithelzellen der Schleimhaut im proteine etc.), die die Lipiddoppelschicht
Atemtrakt z. B. Flimmerhaare, die Epi- mosaikartig durchsetzen, ermöglichen je-
thelzellen der Schleimhaut im Dünn- doch den Durchtritt von Molekülen und so
darm z. B. einen Bürstensaum. den Stoff- und Flüssigkeitsaustausch der
Zelle (S. 40) mit ihrer Umgebung.

20
1.3 Grundbauplan einer eukaryoten Zelle

Extrazellularraum 1
Außenseite der Zellmembran zuckerhaltige Glykocalyx

wasserlösliche
Komponente

fettlösliche Lipid-
Komponente doppel-
schicht
wasserlösliche
Komponente
Innenseite Trans-
der Zellmembran membranprotein Kanalprotein
Intrazellularraum peripheres Membranprotein

Abb. 1.2 Zellmembran. Im schematischen Querschnitt ist der 3-schichtige Aufbau der
Lipiddoppelschicht gut zu sehen. Zum Zellinneren und zur Zellaußenseite hin liegen die
wasserlöslichen Komponenten. Dazwischen befindet sich die fettlösliche Komponente.

Die an die Außenseite der Zelle grenzen- ● Zellorganellen


den Membranproteine und z. T. auch die ● Zelleinschlüsse (= Stoffwechselprodukte
wasserlöslichen Anteile der Phospholipide der Zelle = Paraplasma)
sind von einer dünnen Schicht komplexer
Zuckermoleküle (Kohlenhydrate) über-
zogen, der Glykocalyx. Der chemische Bau Intrazelluläre Flüssigkeit
der Glykocalyx ist genetisch festgelegt und (Hyaloplasma, Zytosol)
spezifisch für jede Zelle. Über sie können
Die intrazelluläre Flüssigkeit besteht aus
Zellen einander als körpereigen oder kör-
einer wässrigen Salzlösung sowie aus
perfremd „erkennen“, s. spezifische Im-
Proteinen (Mikrotubuli, Mikro- und Inter-
munabwehr (S. 140).
mediärfilamente). Diese Bestandteile be-
stimmen sowohl die Form als auch die
1.3.2 Zellleib (Zytoplasma) mechanische Festigkeit der Zelle (sog. Zy-


toskelett). Je nach Zelltyp und Zellfunktion

Definition
L sind die Organellen in unterschiedlicher
Anzahl vorhanden.

Der Zellleib oder das Zytoplasma ist der


gesamte Zellinhalt, der sich um den Zell- Zellorganellen
kern herum befindet.
Zellorganellen sind hoch organisierte, oft
nur mit einem Elektronenmikroskop sicht-
bare Körperchen, die von einer Einheits-
Im Einzelnen gehören zum Zytoplasma: membran umgeben und so als einzelne Be-
● intrazelluläre Flüssigkeit (Hyaloplasma
standteile innerhalb der Zelle erkennbar
oder Zytosol)

21
Biologie der Zelle

sind. Bei der eukaryoten Zelle werden fol- säuren verketten. Ribosomen sind nicht
1 gende wesentliche Zellorganellen unter- von einer Zellmembran umgeben. Man un-
schieden (▶ Abb. 1.1): terscheidet
● endoplasmatisches Retikulum, ● freie Ribosomen (kommen frei im Zyto-
● Ribosomen (keine Zellorganellen im en- plasma vor) und
geren Sinne, da sie nicht von einer Ein- ● membrangebundene Ribosomen, die auf

heitsmembram umgeben sind, wie alle der Oberfläche des endoplasmatischen


anderen Zellorganellen), Retikulums (S. 22) sitzen.
● Golgi-Apparat,
● Lysosomen, Das jeweils entstehende Protein wird je-
● Zentriolen und doch zu unterschiedlichen Zwecken ver-
● Mitochondrien. wendet. Freie Ribosomen stellen Proteine
für die eigene Zelle her (z. B. Enzyme,
▶ Endoplasmatisches Retikulum (ER). Es Strukturproteine), membrangebundene Ri-
durchzieht das Zytoplasma in Form von bosomen produzieren Exportproteine (z. B.
röhren- und bläschenförmigen Strukturen, Drüsensekrete), aber auch Membranpro-
die von Einheitsmembranen umgeben teine sowie lysosomale Proteine (z. B. Drü-
sind. Auf diese Weise unterteilt es das Zell- sensekrete).
innere in Unterbereiche (= Kompartimente)
und ermöglicht entlang seiner Hohlräume ▶ Golgi-Apparat. Der Golgi-Apparat be-
den Stofftransport innerhalb der Zelle steht aus mehreren Golgi-Feldern und sieht
(= intrazellulärer Stofftransport). Mit Aus- ähnlich aus wie das endoplasmatische Re-
nahme der roten Blutkörperchen besitzen tikulum. Er nimmt Stoffe in die Zelle auf
alle Zellen endoplasmatisches Retikulum. oder schleust Stoffwechselprodukte aus
Durch seine große Oberfläche ermöglicht der Zelle aus. Zu diesem Zweck bestehen
das endoplasmatische Retikulum einen die Golgi-Felder aus einem Stapel flacher,
schnellen Ablauf unterschiedlicher Stoff- leicht gebogener Zisternen mit einer Auf-
wechselreaktionen (z. B. Protein- und Li- nahme- und einer Abgabeseite (cis- und
pidsynthese). Darüber hinaus dient es als trans-Region). Vorstufen von Eiweißsekre-
Membrandepot, d. h., es ist der Ursprung ten wandern aus dem rauen endoplasmati-
für andere Membranen. Das endoplasmati- schen Retikulum zur Aufnahmeseite des
sche Retikulum (ER) wird weiter unterteilt Golgi-Feldes. Dort werden sie in Transport-
in vesikel verpackt, die von einer Membran
● raues ER (mit kleinen, körnchenartigen umgeben sind. Die Membran stellt sicher,
Strukturen besetzt, den Ribosomen, be- dass die transportierten Stoffe unbescha-
sonders ausgeprägt z. B. in Zellen der det durch die Zelle transportiert werden
Bauchspeicheldrüse, dient vor allem der können und auch selbst nicht andere Ele-
Proteinsynthese) und mente innerhalb der Zelle beschädigen,
● glattes ER (ohne Ribosomen, überwiegt wie das z. B. Lysosomen (S. 23) tun könn-
z. B. in Zellen, die Hormone produzieren, ten. Über die Abgabeseite der Golgi-Felder
dient vor allem der Lipid- und Hormon- werden die Stoffwechselprodukte wieder
synthese). aus der Zelle ausgeschleust, sog. Exozytose
(S. 48). Auch die Lysosomen werden auf
▶ Ribosomen. Sie sind sog. Multienzym- diese Weise im Golgi-Apparat gebildet.
komplexe aus Eiweiß- und RNA-Molekülen Beim Ausschleusen der Stoffwechselpro-
(r-RNA (S. 25)), die bei der Herstellung von dukte verschmilzt die Vesikelmembran mit
Eiweißen (= Proteinsynthese) die Amino- der Zellmembran. Die Erneuerung der Zell-

22
1.3 Grundbauplan einer eukaryoten Zelle

membran ist daher eine wichtige Aufgabe Enzyme zur Gewebsautolyse (= Selbstauf-
des Golgi-Apparates. Nur den Erythrozyten lösung/Selbstverdauung von Gewebe, z. B. 1
fehlt der Golgi-Apparat. bei eitrigen Geschwüren) beitragen.

▶ Lysosomen. Die mehr oder weniger ku- ▶ Zentriolen (Zentralkörperchen). Zen-


gelförmigen Lysosomen sind die Verdau- triolen sind Hohlzylinder mit offenem En-
ungsorgane der Zelle. Sie enthalten große de, deren Wand aus sog. Mikrotubuli, star-
Mengen von Enzymen, insbesondere saure ren, fadenartigen Eiweißkörpern, besteht.
Hydrolasen und Phosphatasen. Mit ihrer Sie spielen eine große Rolle bei der Zelltei-
Hilfe bauen sie aufgenommene Fremdkör- lung (S. 35), indem sie ein Fasergerüst von
per oder zelleigene, überalterte Organellen Spindelfasern aufbauen, das im Zusam-
ab und führen sie dem Zellstoffwechsel in menhang mit den Bewegungen der Chro-
Form von Ausgangsstoffen wieder zu (Re- mosomen (S. 25) steht. Dabei wird offenbar
cycling). Die Lysosomenmembran schützt die Polarität der Zelle für die Richtung der
intakte Zellen vor einer unkontrollierten Zellteilung bestimmt.
Wirkung der lysosomalen Enzyme. In ge-
schädigten Zellen können die freigesetzten

angelieferte, Energie- erzeugte zu leistende


in der Nahrung umwandlung Energieform Arbeit
enthaltene Energie

Kohlenhydrate Enzyme Bewegung von


Fette im Zyto- Muskeln
Eiweiße + O2 plasma
Transport von
Molekülen
„Kraftwerk“ Brennstoff
Mitochondrium ATP Aufbau neuer
Zucker Zellstrukturen
(Biosynthese)

Abfallprodukte
CO2, H2O

ADP + P

Abb. 1.3 Energieumwandlung. Schematische Darstellung der Energieumwandlungspro-


zesse in einer Zelle. Aus der in der Nahrung enthaltenen Energie wird eine spezielle
Energieform, ATP, hergestellt. Dieser Brennstoff wird eingesetzt, um die anstehenden
Arbeiten (z. B. Muskelkontraktion) leisten zu können.
ATP: Adenosintriphosphat, ADP: Adenosindiphosphat, CO2: Kohlendioxid, O2: Sauerstoff,
H2O: Wasser.

23
Biologie der Zelle

▶ Mitochondrien. Mitochondrien sind zu den Energie verbrauchenden Orten in-


1 kleine, 2 – 6 μm lange, fadenförmige Gebil- nerhalb der Zelle. ATP wird u. a. benötigt
de, die in wechselnder Menge (wenige bis für:
über tausend) in allen Zellen, mit Ausnah- ● den Transport von Stoffen durch die Zell-

me der roten Blutkörperchen, vorkommen. membran,


Ihre Wände bestehen aus einer inneren ● die Synthese von Eiweiß und anderen

und einer äußeren Einheitsmembran, wo- Zellbestandteilen,


bei die innere nochmals stark aufgefaltet ● die Bewegung (Kontraktion) von Mus-

ist und somit eine große Oberfläche be- keln.


sitzt.

Zusatzinfo
Adenosintriphosphat
●V Zelleinschlüsse (Paraplasma)
Zelleinschlüsse enthalten Stoffe, die die
Zelle selbst hergestellt oder von außen auf-
genommen hat. Sie befinden sich im Zyto-
Mitochondrien sind die „Kraftwerke“ der plasma (S. 21). Zu den Zelleinschlüssen ge-
Zellen, da sie die für alle Stoffwechselpro- hören u. a. (▶ Abb. 1.1):
zesse notwendige Energie in Form eines ● Lipidtropfen: Sie speichern in erster Li-
universellen biologischen Brennstoffs, nie Energie in Form von Neutralfetten
Adenosintriphosphat (ATP), liefern. (Triglyceride) und kommen daher beson-
ders zahlreich z. B. in Fettzellen vor.
● Pigmentgranula bzw. Melanosomen: Sie
In den Mitchondrien (und mehr oder we- enthalten ein braun-schwarzes Pigment
niger ausschließlich dort) findet die Her- (Melanin), das vor allem Licht ein-
stellung von ATP aus den drei Grundnah- schließlich der schädigenden UV-Strah-
rungsstoffen, Proteine, Fette und Kohlen- lung absorbiert (Vorkommen: Melanozy-
hydrate, statt (▶ Abb. 1.3). Dabei wird im ten der Haut sowie in den pigmentierten
Rahmen eines Verbrennungsprozesses mit- Zellen des Auges).
hilfe von Sauerstoff (mitochondriale At- ● Glykogenkörnchen: Glykogen ist die
mungskette) die frei werdende Energie Speicherform der Glucose. Glykogen-
nicht in Form von Hitze, sondern in Form körnchen sind daher vor allem in Mus-
energiereicher Verbindungen (ATP) gespei- kel- und Leberzellen enthalten.
chert. ATP besteht aus drei chemischen ● Proteosomen: bestimmte, mit Spezial-
Substanzen: methoden elektronenmikroskopisch
● einem stickstoffhaltigen Adenin,
sichtbare Granula, die gezielt Proteine
● dem Zucker Ribose sowie
des Zellzyklus eliminieren.
● drei Molekülen Phosphat, die unter-

einander durch energiereiche Verbin-


Lipidtropfen und Pigmentgranula sind von
dungen verknüpft sind (Adenosintri-
einer eigenen Biomembran umgeben und
phosphat).
werden daher nicht selten auch zu den
Zellorganellen gezählt.
Bei Abspaltung eines Phosphatmoleküls
wird Energie freigesetzt und aus dem ATP
entsteht ADP (Adenosindiphosphat), das
unter Energieaufwand in den Mitochon-
drien wieder in ATP überführt werden
kann. Aus den Mitochondrien gelangt ATP

24
1.4 Chromosomen und Gene

1.3.3 Zellkern (Nucleus) wird die RNA in Form von Ribosomen-


untereinheiten im sog. Kernkörperchen 1

Definition
L (Nucleolus). Stoffwechselaktive Zellen, die
besonders viel Eiweiß benötigen und her-
stellen, haben daher einen besonders gut
Der Zellkern enthält die komplette Erb- sichtbaren Nucleolus oder sogar mehrere
information des Organismus. Sie liegt Nucleoli.
dort in Form der Chromosomen (S. 25)
vor.
1.4 Chromosomen und
Gene


Die Chromosomen bestehen in erster Linie
aus DNA-Doppelsträngen (DNS oder
DNA = Desoxyribonukleinsäure, wobei das
‚A‘ für den engl. Ausdruck „acid“ für „Säu- Definition
L
re“ steht). Als fadenförmige Strukturen Chromosomen sind die Träger der Erb-
sichtbar sind sie nur, wenn sich die Zelle anlagen = Gene (S. 54). Sie liegen im Zell-
gerade teilt. Zwischen zwei Teilungspha- kern (S. 25). Menschliche Zellkerne ent-
sen (S. 35), in der sog. Interphase, sind die halten 46 Chromosomen (diploider
Chromosomen unsichtbar. Mit Ausnahme Chromosomensatz) in Form von 23
der roten Blutkörperchen hat jede eukaryo- Chromosomenpaaren (23 väterliche und
te Zelle mindestens einen Zellkern, manche 23 mütterliche Chromosomen).
Zellen haben zwei (z. B. einzelne Leberzel-
len), andere noch mehr Kerne z. B. Osteo-
klasten im Knochengewebe (5 – 20) oder
Die einzelnen Chromosomen lassen sich
Skelettmuskelzellen (über 1000). Je nach
unterscheiden anhand:
Zelle ist der Zellkern rund, gelappt oder ● der Gesamtlänge,
lang gestreckt. Außerdem hängen seine ● der Länge der Chromosomenarme sowie
Form und Struktur davon ab, in welcher ● der Lage von Einschnürungen.
Phase des Zellzyklus (S. 35) sich die Zelle
gerade befindet.
Auf diese Weise kann man die einzelnen
Gegenüber den anderen Zellbestandtei-
Chromosomenpaare bestimmten Gruppen
len ist der Zellkern durch eine doppelte
zuordnen (Aufstellung eines Karyo-
Einheitsmembran (innere und äußere
gramms) und sie nach abnehmender Grö-
Kernmembran) abgegrenzt. Sie enthält je-
ße von 1 – 22 durchnummerieren. Das 23.
doch sog. Kernporen, über die der Zellkern
Paar bestimmt das Geschlecht (▶ Abb. 1.4).
mit dem endoplasmatischen Retikulum so-
Mit Ausnahme der Geschlechtschromoso-
wie mit dem Zytoplasma in Verbindung
men (heterologe Chromosomen = Gonoso-
steht. Über diese Poren gelangen einerseits
men) entsprechen sich mütterliche und
Proteine aus dem Zytoplasma in den Kern
väterliche Chromosomen (homologe Chro-
und andererseits RNA (= ribonucleic
mosomen = Autosomen) in den Erbmerk-
acid = Ribonukleinsäure = einsträngige Ko-
malen. Während das weibliche Geschlecht
pie der DNA) in das Zytoplasma. Die RNA
zwei gleich große Geschlechtschromoso-
ist vor allem für die Produktion von Eiweiß
men (XX) aufweist, besitzt das männliche
in den Ribosomen zuständig, daher wird
Geschlecht ein großes und ein kleines Ge-
der Großteil der RNA als sog. ribosomale
schlechtschromosom (XY).
RNA, kurz rRNA, bezeichnet. Produziert

25
Biologie der Zelle

1–3 4–5

6 –12

13–15 16–18

a b 19–20 21–22 XY

Abb. 1.4 Chromosomensatz einer normalen menschlichen Zelle. a Die Chromosomen


werden dargestellt und sichtbar gemacht, indem man die Zellen in einem künstlichen
Medium kultiviert und anschließend mit einer Colchicinlösung behandelt. Dadurch werden
die Mitosen in der Metaphase (S. 37) blockiert. Anschließend werden die Zellen fixiert, auf
einem Objektträger ausgebreitet und gefärbt. b Anordnung der in a dargestellten
Chromosomen im Karyogramm nach Gesamtlänge und Lage des Zentromers. Die beiden
Geschlechtschromosomen (XY) bestimmen das Geschlecht (männlich).

Beim Menschen enthalten 23 Chromo- Die Chromatiden bestehen aus einer


somenpaare 21 500 Erbmerkmale oder Ge- Vielzahl von Nukleosomen, diese wieder-
ne. Hierbei kommt in jeder Körperzelle um aus einem Histonpartikel (= 8 Histon-
jedes Gen zweimal vor, und zwar als müt- moleküle = Oktamer, von okto, lat. = acht)
terliches und als väterliches (diploider und einem darum herumgewickelten Stück
Chromosomensatz). Im Gegensatz hierzu DNA (ca. 180 Basenpaare). Beide zusam-
haben die Keimzellen (Ei- und Samenzelle) men sehen aus wie die Perlen einer Kette
jeweils nur einen einfachen Chromo- (▶ Abb. 1.5). Um die Nukleosomen noch
somensatz (haploider Chromosomensatz). dichter packen zu können, sind außer den
direkt mit der DNA assoziierten Histonpro-
teinen weitere Proteine nötig. Der Komplex
1.4.1 Aufbau eines aus DNA und Proteinen (von denen etwa
Chromosoms die Hälfte Histone sind) wird als Chroma-
tin bezeichnet (▶ Abb. 1.7), da sich dieser
Man unterscheidet am einzelnen Chromo- Komplex mit bestimmten basischen Farb-
som zwei Chromosomenarme, die durch stoffen stärker anfärben lässt als die ande-
eine Einschnürung (Zentromer) verbunden ren Kernstrukturen. Die nur etwa 2 milli-
sind (▶ Abb. 1.5). In den Chromosomen- onstel Millimeter ‚dicken‘ DNA-Fäden wer-
armen sind während der Zellteilungen den daher auch als Chromatinfäden
zwei spiralig aufgewundene Chromatiden bezeichnet. Sie sind je nach Menge der da-
zu sehen, die zwischen den Zellteilungen rauf gespeicherten Informationen kürzer
(Interphase) entspiralisiert und somit un- oder länger.
sichtbar sind.

26
1.4 Chromosomen und Gene

Telomere 1

700 nm 2 nm

kurzer
Chromo-
Histon-
somenarm
moleküle

Zentromer DNA-
10 nm
Doppelhelix
langer
Chromo- Chromatiden Nucleosom
somenarm

30 nm

200 nm

a Telomere b

Abb. 1.5 Schema eines Chromosoms in der Metaphase. a Zwischen den beiden
unterschiedlich langen Chromosomenarmen, die aus jeweils zwei Chromatiden bestehen,
befindet sich das Zentromer (primäre Einschnürung). b Ausschnitt aus a: Die DNA bildet mit
den Histon-Proteinen stark aufgewickelte, perlenkettenartig angeordnete Komplexe, die
Nukleosomen.

Zusatzinfo
Länge der DNA
●V Die beiden DNA-Fäden verlaufen antiparal-
lel (entgegengesetzt) und verhalten sich
zueinander wie ein Negativ- zu seinem
Positivabzug. Sie winden sich um eine ge-
Würde man die DNA aller Chromosomen dachte Achse, sodass sie mit einer verdreh-
eines Zellkerns aneinanderreihen, ergäbe ten Strickleiter zu vergleichen sind (DNA-
sich bei einem Bakterium eine Länge von Doppelhelix, von griech. ‚helix‘ = Windung,
etwa 1 mm, beim Menschen hingegen Spirale). Unter dem Lichtmikroskop sicht-
eine Länge von über 2 m. bar sind diese Fäden nur während der Zell-
teilung, wenn das Chromatin zu Chromo-

27
Biologie der Zelle

1
somen spiralisiert (kondensiert = ver-
dichtet) ist. Zwischen den Zellteilungen, in
der Interphase (inter = lat. = zwischen),
ist es weitgehend entspiralisiert (auf-
Zusatzinfo
DNA-Molekül
●V
gelockert), damit die Transkription für die Verglichen mit einer Strickleiter, bilden
Eiweißbiosynthese bzw. Proteinsynthese die Zucker- und Phosphatsäureeinheiten
(S. 32) stattfinden kann. die Holme und die Basen die Sprossen
Nur wenige Bereiche des Chromatins der Leiter. Dabei verhalten sich je zwei
sind in der Interphase nicht entspiralisiert. gegenüberliegende Basen wie Nut und
Das sind die Bereiche, die sich nicht an der Feder zueinander.
Transkription beteiligen, genetisch also
nicht aktiv sind. Dieser genetisch inaktive
Teil des Chromatins wird als Heterochro- Aufgrund chemischer Wechselwirkungen
matin bezeichnet, das genetisch aktive bilden stets Adenin und Thymin sowie
Chromatin dagegen als Euchromatin Guanin und Cytosin ein Basenpaar.
(▶ Abb. 1.7). An den Enden der Chromoso-
menarme sind Heterochromatinabschnitte
lokalisiert, die die Lebensdauer der Zelle 1.4.3 Funktionen der DNA
bestimmen, sog. Telomere oder Satelliten) Die DNA lässt sich in einzelne Abschnitte,
(▶ Abb. 1.5 a u. ▶ Abb. 1.7 a). Bei jeder Zell- Gene oder Erbfaktoren, unterteilen und
teilung wird ein kleines Stück des Chroma- hat drei wichtige Funktionen:
tins abgetrennt, so lange bis der Satellit ● Speicherung der genetischen Informati-
verbraucht ist. Danach stirbt die Zelle ab. on, d. h. genetischer Code und epigeneti-
scher Code (S. 31),
● Übertragung der Information für die Bio-
1.4.2 Aufbau der DNA synthese von Eiweißen (Proteinbiosyn-
Die Bausteine der DNA sind die Nukleotide these) und
(▶ Abb. 1.6). Sie bestehen jeweils aus: ● identische Verdopplung (Replikation)

● einer Base (Adenin, Thymin, Cytosin oder der genetischen Information bei der Zell-
Guanin), teilung.
● einem Zucker (Desoxyribose) und
● einem sauren Phosphatrest.
Speicherung der genetischen
Die Phosphatreste zweier aufeinanderfol- Information (genetischer
gender Nukleotide bilden Phosphatbrü- Code)
cken, über die sie verbunden sind. Zwei ge-
genüberliegende Nukleotide sind über ihre Die genetische Information für den Aufbau
Base durch Wasserstoffbrückenbindungen von Eiweißen folgt aus der Art und Anord-
verknüpft. nung von Aminosäuren. Die Verschlüsse-
lung dieser Erbinformation, der genetische
Code, ist durch die Anordnung der vier Ba-
sen (= 4 verschiedene Nukleotide) inner-
halb der DNA (S. 28) gekennzeichnet und
bei allen Lebewesen gleich.

28
1.4 Chromosomen und Gene

1
A Adenin
0,34 nm T Thymin
Basen
C Cytosin
G Guanin
Z Zucker Desoxy-
ribose
P Phosphatbrücke
3,4 nm H Wasserstoff-
brückenbindung
1,0 nm

ZGHC Z Z G H C Z
P P
Z A H T Z P P
P P
Z T H A Z Z A H T Z
P P
Z CH G Z
P P
Z T H A Z
P P
Z C H G Z

Abb. 1.6 Aufbau eines DNA-Moleküls. Die Doppelhelix besteht aus den vier Basen, dem
Zucker und aus Phosphatbrücken. Eine der Basen bildet jeweils mit dem Zucker und einem
Phosphatrest ein Nukleotid. Die Basen sind untereinander mit Wasserstoffbrückenbindun-
gen verbunden. Verglichen mit einer Strickleiter, bilden die Zucker- und Phosphatsäure-
einheiten die Holme und die Basen die Sprossen der Leiter. Die Abstände zwischen den
einzelnen Sprossen und der Radius der Doppelspirale sind in Nanometer (nm) angegeben
(1 nm = 1 milliardstel Meter = 10–9 m).

Zusatzinfo
Basenabfolge der Gene
●V Jeweils drei Basen bilden in unterschiedli-
cher Kombination eine definierte Informa-
tionseinheit, ein Wort – auch Triplett oder
Codon genannt –, das in eine der 20 in
In ähnlicher Weise wie die sinnvoll anei- Eiweißen vorkommenden Aminosäuren
nandergereihten Buchstaben des Alpha- übersetzt werden muss. So bildet bei-
bets den Informationsgehalt eines Textes spielsweise die Anordnung der Basen Gua-
ausmachen, bestimmt die wechselnde nin (G), Adenin (A) und Thymin (T) – kurz
Aufeinanderfolge der verschiedenen Ba- GAT – die Information für die Aminosäure
sen den spezifischen Informationsgehalt Asparaginsäure, AAG wiederum für die
der Gene für den Bauplan von Millionen Aminosäure Lysin. Auf diese Weise werden
unterschiedlicher Eiweißmoleküle.

29
Biologie der Zelle

1 Präribosomen Heterochromatin mRNA


(granuläre
Komponente) Euchromatin

Telomer Telomer
RNA-Polymerase
DNA
Nucleo-
somen

fibrilläres Kernpore Chromatin


Zentrum
Kernmembran
des Nucleolus
(rRNA-Bildung) Nucleolus

a Zellkern b Transkriptionsaktive DNA-Schleife

Abb. 1.7 Zellkern in der Interphase. Durch die Verdopplung des genetischen Materials in
der Interphase sind Chromosomen mit 2 Chromatiden entstanden. a Innerhalb der
weitgehend entspiralisierten Chromosomen wechseln aufgelockerte, transkriptionsaktive
DNA-Bereiche (Euchromatin) mit genetisch inaktiven, nicht entspiralisierten DNA-
Abschnitten (Heterochromatin). b Ausschnitt aus a: zu sehen ist eine transkriptionsaktive
DNA-Schleife, d. h., der genetische Code wird gerade abkopiert.

gemäß der aufeinanderfolgenden Basen- Basentripletts (oder Codons). Die Gesamt-


tripletts die im Zytoplasma vorliegenden heit dieser Tripletts nennt man Gen.
Aminosäuren zu den entsprechenden Ei- Ein Gen legt also fest, aus wie vielen
weißmolekülen (S. 32) zusammengesetzt. Aminosäuren ein Protein besteht und in
Somit ergeben sich bei 4 Bausteinen 43 welcher Reihenfolge diese Aminosäuren
(4 × 4 × 4 = 64) Kombinationsmöglichkeiten aneinandergereiht werden müssen. Ein
(Informationseinheiten = Wörter). Von die- Gen erstreckt sich über durchschnittlich
sen werden 61 als Anweisung für die Bil- 300 – 3 000 Basentripletts. Ein Merkmal
dung von Eiweißen benutzt, die übrigen kann von mehreren Genen bestimmt wer-
Tripletts signalisieren Anfang und Ende den.
eines Eiweißmoleküls bzw. eines Gens. Das
Bauprogramm für ein Protein aus z. B. 340
Aminosäuren besteht also aus 340 solcher

30
1.4 Chromosomen und Gene

Epigenetischer Code ● DNA-Methylierung,


● Histon-Modifikation und 1
Das Zeitalter der modernen Genetik be- ● nicht codierende RNA.
gann 1953, als James Watson und Francis
Crick entdeckten, dass die DNA die Struk- Bei der DNA-Methylierung heften sich Me-
tur einer Doppelhelix aufweist. Genau thylgruppen an die Cytosinbasen der DNA
50 Jahre später, im Jahr 2003, war das und verhindern dadurch das Ablesen der
menschliche Genom entschlüsselt (im We- genetischen Information. Bei der Histon-
sentlichen durch den Amerikaner Craig Modifikation wird die Packungsdichte der
Venter). Es enthält etwa 3,3 Milliarden Ba- Histone (S. 26) verändert, also der Proteine,
senpaare der DNA. Dieser sog. genetische die für die ‚Verpackung‘ der Erbsubstanz
Code (S. 28) besteht aus 21 500 Genen und zuständig sind. Dies wirkt sich auf die Ab-
beinhaltet den kompletten Bauplan des lesbarkeit der Gene aus: Gene, die lockerer
Menschen. verpackt sind, können besser abgelesen
Trotz der Euphorie über die Entschlüsse- werden. Die nicht codierenden RNAs
lung des menschlichen Genoms blieben schließlich (sog. Mikro-RNAs) verhindern,
aber auch nach 2003 viele Fragen offen, dass abgelesene Gene in Proteine übersetzt
z. B.: Wie kann es sein, dass ein offensicht- werden.
lich nicht sehr komplexer Organismus wie Diese epigenetischen Prozesse sind
der sehr kleine Fadenwurm oder der Was- durch Umweltfaktoren zu beeinflussen.
serfloh über eine sehr hohe Zahl von Ge- Man nimmt heute an, dass die Entstehung
nen verfügt (ca. 20 000 bzw. sogar mehr als vieler Erkrankungen deutlich stärker durch
30 000)? Und warum sind Menschen und fehlerhaftes An- und Abschalten von Ge-
Schimpansen im Grunde sehr unterschied- nen beeinflusst wird als z. B. durch Ände-
lich, obwohl sie hinsichtlich ihrer Gene zu rungen in der Basenabfolge der DNA
98,7 % übereinstimmen? (= Mutationen). Umweltgifte, Rauchen und
Heute weiß man, dass weder die Anzahl Alkoholkonsum, aber auch biologische,
der Gene noch die exakte Abfolge der Ba- psychische und soziale Faktoren wie Er-
sentripletts innerhalb des Genoms über nährung, Stress, Erziehung oder der indivi-
die Komplexität eines Organismus ent- duelle Lebensstil wirken sich auf die epi-
scheidet. Ausschlaggebend ist vielmehr, genetischen Prozesse aus. Sie können so
wie die Gene reguliert werden und wie sie die Funktionsweise von Zellen dauerhaft
sich gegenseitig beeinflussen. Hierbei spie- verändern und diese Veränderungen sogar
len sog. epigenetische Schaltersysteme an Tochterzellen weitergeben. Auf diese
eine wichtige Rolle. Es handelt sich dabei Weise können früh erworbene Eigenschaf-
um molekulare Strukturen über oder am ten bis ins hohe Alter erhalten bleiben. Ak-
Genom (epi = darüber), die die Aktivität tuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zei-
bestimmter Gene dauerhaft, aber dennoch gen darüber hinaus, dass die im eigenen
reversibel verändern können. Wie Schalter Leben erworbenen Eigenschaften an die
sind sie in der Lage, einzelne Gene ‚an- nachfolgenden Generationen weiterver-
oder auszuschalten‘. Auf diese Weise sor- erbt werden können.
gen sie dafür, dass z. B. Leber-, Darm- oder Andererseits lassen sich die epigeneti-
Nervenzellen ganz unterschiedliche Funk- schen Schalter aber auch ‚zurückstellen‘,
tionen erfüllen, obwohl sie genetisch z. B. dadurch, dass der Mensch seine Um-
gleich sind. Heute sind im Wesentlichen welt gezielt verändert oder sich neuen und
drei epigenetische Schaltersysteme be- anderen Situationen aussetzt. Die epigene-
kannt, über die eine Genregulation pro- tisch ausgelösten Veränderungen sind also
grammiert werden kann:

31
Biologie der Zelle

1
potenziell reversibel. Vereinfacht lässt sich
sagen: Natürlich werden wir von den Ge-
nen gesteuert – die Gene aber zum Teil
auch von uns, z. B. durch unseren Lebens-
Zusatzinfo
Gene als Datenspeicher
●V
stil. So wird mehr als 200 Jahre später eine Betrachtet man die genetische Informa-
Theorie von Jean-Baptiste Lamarck, dem tion als biologischen Datenspeicher, so
einstigen Gegenspieler von Charles Dar- muss die Information jederzeit abrufbar
win, zumindest in Teilen bestätigt: La- sein und bei Bedarf durch einen bioche-
marck hatte im Jahr 1800 behauptet, dass mischen Mechanismus innerhalb der Zel-
sich Lebewesen zielgerichtet an ihre Um- le aus dem Zellkern an den Ort der Ei-
welt anpassen und diese erworbenen Ei- weißbiosynthese (Ribosomen) übertra-
genschaften an ihre Nachfahren vererben. gen werden.

Proteinbiosynthese Zu diesem Zweck findet im Zellkern zu-


Proteine erfüllen in allen Organismen le- nächst die Transkription statt, das Kopie-
bensnotwendige Aufgaben: ren des genetischen Codes (S. 28) für ein
● Als Bau- und Betriebsstoffe gehören sie ganz bestimmtes Eiweiß. Das Kopieren ist
zu den wichtigsten Bestandteilen der nur möglich, wenn der größte Teil des
Zelle. Chromatins (S. 26), das sog. Euchromatin
● Einige von ihnen, wie z. B. Kollagen in (S. 28), entspiralisiert ist (▶ Abb. 1.7), also
den Binde- und Stützgeweben, überneh- in der Interphase des Zellteilungszyklus.
men wichtige Aufgaben beim Aufbau Die Proteinsynthese beginnt damit, dass
und verleihen dem Organismus seine das Enzym RNA-Polymerase die Doppelhe-
Struktur. lix der DNA wie einen Reißverschluss öff-
● Andere, wie z. B. das Myosin und Aktin net, sodass die beiden einzelnen Stränge
der Muskelzellen, ermöglichen die Ver- freiliegen. Abkopiert wird immer nur ein
kürzung (Kontraktion) von Muskeln und bestimmter Abschnitt der DNA (der, der
damit die Bewegung. die Information für die Synthese des jewei-
● Wiederum andere Proteine transportie- ligen Proteins enthält). Es entsteht eine
ren Sauerstoff (das Hämoglobin der spiegelbildliche, einsträngige Kopie dieses
roten Blutkörperchen) oder DNA-Abschnitts in Form der Ribonuklein-
● wirken als Schutz- und Abwehrstoffe im säure (RNS oder engl. RNA, ▶ Abb. 1.8). Die
Immunsystem (Antikörper). RNA wird im Zellkern aus freien Baustei-
nen synthetisiert und mithilfe des Enzyms
RNA-Polymerase zu einer RNA-Kette ver-
Von besonderer Bedeutung sind Proteine,
knüpft. Die RNA-Kette verlässt den Zell-
die als Biokatalysatoren (Enzyme) die
kern und bringt ihre Botschaft, also den
Stoffwechselprozesse im Organismus sti-
abkopierten DNA-Abschnitt, zu den Ribo-
mulieren. Mithilfe der Enzymproteine wird
somen des endoplasmatischen Retikulums
alles, was eine Zelle braucht, um lebens-
im Zytoplasma. Sie wird daher auch als Bo-
fähig zu sein (Proteine, Fette und Kohlen-
ten- oder Messenger(= engl. für Bote)-RNA
hydrate), synthetisiert.
bezeichnet (▶ Abb. 1.8).
Wie die DNA setzt sie sich aus Nukleoti-
den zusammen, enthält jedoch anstelle des
Thymins die Base Uracil und anstelle des
Zuckers Desoxyribose die Ribose. Die Bin-

32
1.4 Chromosomen und Gene

einsträngige DNA 1

mRNA

5‘
5‘

mRNA

tRNA

Abb. 1.8 Proteinbiosynthese. Informationsübertragung der Bauanweisung für ein Protein


durch Kopierung (Transkription) der einsträngigen DNA mithilfe einer mRNA (oben im Bild).
An der Oberfläche der Ribosomen erfolgt der Aufbau des Proteinmoleküls (Translation)
mithilfe von tRNA-Molekülen, die einzelne Aminosäuren, z. B. Leucin, Glycin oder Methionin,
im Zytoplasma binden und sie zu den Ribosomen transportieren. Mithilfe von Enzymen und
ATP werden die einzelnen Aminosäuren zu einem Proteinmolekül zusammengebaut.

33
Biologie der Zelle

dung der mRNA an die Ribosomen erfolgt werden entsprechend der Abfolge der Tri-
1 durch Basenpaarung mit sog. tRNA-Mole- pletts auf der mRNA die verschiedenen
külen. Die relativ kurzen tRNA-Moleküle, Aminosäuren mithilfe von ribosomalen En-
die ebenfalls im Zellkern aus freien Bau- zymen zu einer Proteinkette verknüpft. Die
steinen synthetisiert werden, binden je- Information für die Bildung dieser Enzyme
weils eine der im Zytoplasma vorhandenen liefert die im Nucleolus produzierte rRNA.
Aminosäuren und transportieren diese zu Die frei werdenden tRNA-Moleküle kön-
den Ribosomen, auf denen die mRNA mit nen nun im Zytoplasma wieder mit der
den kopierten Basentripletts sitzt. Diese gleichen Aminosäure beladen werden.
kurzen RNA-Moleküle werden daher auch Dieser Vorgang, den man auch als Über-
als tRNA (Transport- oder Transfer-RNA) setzung oder Translation bezeichnet, setzt
bezeichnet und sind für jeweils eine Ami- sich so lange fort, bis das komplette Ei-
nosäure und das dazugehörende Triplett weißmolekül synthetisiert ist. Je nach Art
auf der mRNA spezifisch. Auf diese Weise des Proteins hat die Eiweißkette eine un-

T A
AT T Thymin
G A Adenin
GC G Guanin
altes Molekül G C C Cytosin
T A
freie Nukleo-
CG
altes Molekül tidbausteine
T
AT
G C
C G A A
AT
T C
T C
G G C
A T
T
T A
A C
C G
G
C G C G
G G neues Molekül
TA TA
A T A T
T A T A
TA TA
neues Molekül

AT AT
T A T A
T A T A

Abb. 1.9 Verdopplung der DNA-Doppelhelix. Öffnung des doppelsträngigen DNA-Mole-


küls nach Art eines Reißverschlusses und Bildung von zwei neuen, vollständig identischen
DNA-Molekülen. Die alten Stränge sind blau, die neu gebildeten pink dargestellt.

34
1.5 Zellteilung

terschiedliche Länge (wenige bis mehrere das die Telomerlänge in diesen Zellen im-
Hundert Aminosäuren) und kann sich im mer wieder ergänzt. Dadurch sind diese 1
weiteren Verlauf durch chemische Wech- Zellen potenziell unsterblich. Während
selwirkungen zu einem dreidimensional also die Telomerase im gesunden Organis-
funktionstüchtigen Eiweißmolekül auffal- mus die Teilungsfähigkeit bestimmter Zel-
ten. len aufrechterhält, kann sie auf der ande-
ren Seite auch das Wachstum eines Tumors
unterhalten, indem sich die Krebszellen
Verdoppelung des geneti- endlos teilen und vermehren.
schen Materials (Replikation)
Während bei der Transkription (S. 32) im-
1.5 Zellteilung


mer nur einer der beiden DNA-Stränge auf
einen RNA-Strang kopiert wird, führt die
Replikation zu zwei völlig identischen DNA-
Strängen. Hierbei trennen sich die Basen-
Definition
L
paare der Doppelhelix wie ein Reißver- Die Zellteilung stellt sicher, dass der
schluss in der Mitte und an jedem Einzel- menschliche Organismus wachsen und
strang wird ein exakt komplementärer sich fortpflanzen kann. Dazu gibt es zwei
Strang synthetisiert (▶ Abb. 1.9). Auf diese Möglichkeiten:
Weise entsteht eine Kopie der beiden Ein- ● Mitose: Das gesamte genetische Mate-
zelstränge des ursprünglichen Moleküls. rial, die Chromosomen, wird auf zwei
Diese Verdoppelung der DNA ist nötig, da- neu entstehende Tochterzellen ver-
mit bei der Zellteilung die komplette Erb- teilt, die dann beide den vollständigen
information der Zelle auf die neu entste- Chromosomensatz enthalten, und
hende Tochterzelle übertragen werden ● Meiose: findet nur in den männlichen
kann. Die Replikation der DNA und die da- und weiblichen Keimzellen statt; bei
mit verbundene Weitergabe der geneti- der Meiose wird der Chromosomen-
schen Information auf die beiden Tochter- satz halbiert, damit bei der Vereini-
zellen gehen daher jeder Zellteilung voraus gung von Ei- und Samenzelle wieder
und finden in der Interphase zwischen ein normaler doppelter (diploider)
zwei Zellteilungen statt. Chromosomensatz entsteht.
Die Teilungsfähigkeit menschlicher Zel-
len ist auf etwa 50 – 70 Teilungen be-
schränkt. Das liegt daran, dass die sog. Te-
lomere (▶ Abb. 1.5 und ▶ Abb. 1.7), die wie 1.5.1 Mitose
Schutzkappen auf den Enden der Chromo-
somen sitzen, bei der Replikation nicht Durch die Verdopplung des genetischen
vollständig mitverdoppelt werden können. Materials (S. 35) während der Interphase
Das heißt, die Chromosomen werden bei (Replikation) entstehen Chromosomen mit
jeder Zellteilung kürzer, bis schließlich kei- zwei Chromatiden. Damit sind die Voraus-
ne Zellteilung mehr möglich ist. Die Zellen, setzungen für eine mitotische Zellteilung
die sich nicht mehr teilen können, begin- geschaffen. Als Zeichen ihrer Verdopplung
nen zu altern und sterben schließlich ab. weisen die Chromosomen im mikroskopi-
Für bestimmte Zellen, wie z. B. Keimzellen, schen Bild einen Längsspalt auf. Durch zu-
embryonale Zellen, Stammzellen und Ab- nehmende Spiralisierung verkürzen und
wehrzellen, aber auch Tumorzellen hat die verdicken sie sich. Nach der Zellteilung
Natur das Enzym Telomerase erfunden, entspiralisieren sich die Chromosomen

35
Biologie der Zelle

und erfahren während der nun erneut fol- Mit Ausnahme weniger Zellen (Nervenzel-
1 genden Interphase eine erneute Replika- len, Herz- und Skelettmuskelzellen) geht
tion. die Teilungsfähigkeit während des gesam-
Mitotische Zellteilungen: ten Lebenszyklus nicht verloren, allerdings
● lassen aus einer befruchteten Eizelle ei- ist die Teilungsfähigkeit von Zellen unter-
nen Organismus heranwachsen, schiedlich ausgeprägt. In der Regel sind
● sind Voraussetzungen für die physiologi- Mitosen in hochdifferenzierten Geweben
sche Zellerneuerung und seltener.
● führen zur Regeneration des Gewebes Es lassen sich vier Stadien der Mitose
nach Verletzungen. unterscheiden (▶ Abb. 1.10):
● Prophase (pro = vor),
● Metaphase (meta = mitten),

Zentralspindel

a Prophase b frühe Metaphase c späte Metaphase

Äquatorialebene Spindelpole

d frühe Anaphase e späte Anaphase f Telophase

Abb. 1.10 Stadien der Mitose. a Chromosomen im Kern werden durch Spiralisierung
sichtbar, der Spindelapparat bildet die Zentralspindel aus. b Streckung der Zentralspindel
und Wanderung der Chromosomen in Richtung Äquatorialebene. c Die Aufteilung der
Chromosomen in jeweils zwei Chromatiden ist deutlich sichtbar. d u. e Auseinanderrücken
der Tochterchromatiden in Richtung der Spindelpole. f Entspiralisierung der Chromosomen,
Ausbildung einer Kernmembran und Durchschnürung des Zellleibs.

36
1.5 Zellteilung

● Anaphase (ana = aufwärts), en Kernmembran sind zwei neue Interpha-


● Telophase (telos = Ende, Ziel). sekerne entstanden. Nachfolgend kommt 1
es zur endgültigen Durchschnürung des
▶ Prophase. Mit Beginn der Prophase Zellleibs und in aller Regel entstehen zwei
rundet sich die Zelle ab und im Kern er- gleich große eigenständige Tochterzellen.
scheinen die Chromosomen als knäuelför- Eine Mitose dauert durchschnittlich
mige, fädige Strukturen. Gleichzeitig ver- etwa 60 Minuten, wobei die Anaphase mit
schwindet die Kernmembran und die bei- etwa 3 Minuten die kürzeste Phase dar-
den Zentralkörperchen (Zentriolen) rücken stellt.
auseinander. Sie wandern zu den Zellpolen
und bilden die sog. Zentralspindel aus.
1.5.2 Reduktions- oder
▶ Metaphase. In der nun folgenden Meta- Reifeteilung (Meiose)
phase verkürzen und verdicken sich die
Chromosomen, die beiden Chromatiden Eine besondere Form der Zellteilung stellt
werden sichtbar und sind in Größe und die Reduktions- oder Reifeteilung (Meiose)
Form deutlich unterscheidbar. Im weiteren dar. Als Vorbereitung für die spätere Be-
Verlauf ordnen sich die Chromosomen fruchtung müssen die männlichen und
zwischen den beiden Polen in der sog. weiblichen Keimzellen ihren Chromoso-
Äquatorialebene an. Am Ende der Meta- mensatz halbieren (haploider Satz). Das ist
phase haben sich die Chromosomen so in wichtig, damit bei der Vereinigung von Ei-
der Äquatorialebene angeordnet, dass ihre und Samenzelle wieder ein normaler dop-
jeweiligen Einschnürungen (Zentromere) pelter (diploider) Chromosomensatz ent-
zur Mittelachse gerichtet sind. Aufgrund steht. Diesen Vorgang bezeichnet man als
der sternförmigen Anordnung aus Sicht Meiose, die zwei Zellteilungsschritte um-
der beiden Pole nennt man diese Anord- fasst (▶ Abb. 1.11):
● die 1. Reifeteilung und
nung einen „Monaster“ (griechisch: Einzel-
● die 2. Reifeteilung.
stern).

▶ Anaphase. Mit Beginn der Anaphase Kurz vor der 1. Reifeteilung verdoppeln die
wandern die Chromatiden (Chromoso- männlichen und weiblichen Geschlechts-
menhälften) der einzelnen Chromosomen zellen wie bei der Mitose ihre DNS, sodass
auseinander und es entstehen zwei stern- jedes Chromosom zwei identische Chro-
förmige Figuren, sog. „Diaster“ (Doppel- matiden aufweist.
sterne). Durch die Wanderung jeweils
einer Chromosomenhälfte (Tochterchro-
matide) zu jeweils einem der beiden ent-
1. Reifeteilung
gegengesetzten Pole wird das gesamte ge- Bei der Meiose dauert die Prophase der
netische Material identisch auf beide Toch- 1. Reifeteilung sehr viel länger als die Pro-
terzellen verteilt. phase der Mitose. Bei männlichen Keimzel-
len sind das in der Regel 24 Tage und bei
▶ Telophase. In der anschließenden Telo- weiblichen, aufgrund einer eingeschalteten
phase versammeln sich die Chromatiden, Ruhephase (Diktyotän), unter Umständen
die jetzt die Chromosomen der beiden mehrere Jahrzehnte, s. Oogenese (S. 541).
Tochterzellen bilden, in der Nähe des Zen- Die Prophase gliedert sich in 5 Phasen:
triols, entspiralisieren sich und werden ● ein Leptotän,
wieder unsichtbar. Mit Bildung einer neu- ● ein Zygotän,

37
Biologie der Zelle

1 Leptotän: väterliches
dünn aus- Chromosom
gestreckte
Chromosomen mütterliches
Chromosom

Zygotän:
Paarbildung der
Chromosomen

Prophase I
Pachytän:
dick gespannte
Chromosomen
1. Reife-
teilung
Diplotän/Diakinese:
verdoppelte
Chromosomen,
Kernmembran „crossing over“
löst sich auf

Metaphase I

ausgetauschte
Bruchstücke
Anaphase I

Interkinese

Metaphase II
2. Reife-
teilung

Anaphase II

Keimzellen

38
1.5 Zellteilung

◀ Abb. 1.11 Stadien der Meiose. Aus Gründen der besseren Übersicht ist der Ablauf der 1
beiden Reifeteilungen an einer Keimzelle mit drei Chromosomenpaaren beispielhaft
dargestellt. Im Pachytän der Prophase der 1. Reifeteilung werden die Chromatiden sichtbar,
väterliche und mütterliche Chromosomen lagern sich aneinander und bilden eine Tetrade
(zwei Chromosomen mit jeweils zwei Chromatiden). Dabei überlagern sich väterliche und
mütterliche Chromatiden teilweise und beim Auseinanderweichen kommt es zum
Austausch von Bruchstücken („crossing over“). In der Metaphase der 1. Reifeteilung erfolgt
die Trennung der homologen (väterlichen und mütterlichen) Chromosomen, die nach dem
Zufallsprinzip auf die beiden Tochterzellen verteilt werden. Es entstehen zwei haploide
Tochterzellen mit einem einfachen Chromosomensatz. In der 2. Reifeteilung erfolgt in Form
einer mitotischen Zellteilung die Trennung der beiden Tochterchromatiden und es
entstehen am Schluss der 1. und 2. Reifeteilung vier haploide Geschlechtszellen.

● ein Pachytän, ▶ Meta-, Ana- und Telophase. In der


● ein Diplotän sowie nachfolgenden Metaphase ordnen sich,
● eine Diakinese. ähnlich wie bei der Mitose, die Chromoso-
men in der Äquatorialebene an.
▶ Prophase. Im Leptotän der Prophase Während der Anaphase wird die Tren-
werden die Chromosomen als feine Fäden nung der homologen Chromosomen unter
sichtbar und lagern sich im anschließen- Vermittlung des Spindelapparates beendet.
den Zygotän paarweise zusammen (Chro- Die Telophase beendet die 1. Reifeteilung
mosomenpaarung). Hierbei liegen immer und die beiden entstandenen Tochterzellen
die entsprechenden (homologen) mütterli- haben jetzt nur jeweils die Hälfte der Chro-
chen und väterlichen Chromosomen der mosomen der Ausgangszelle, wobei jedoch
Länge nach dicht aneinander. die einzelnen Chromosomen noch aus
Da jedes einzelne Chromosom zwei zwei Chromatiden bestehen.
Chromatiden enthält, bestehen die Chro- Nach einer kurzen Phase (Interkinese),
mosomenpaare aus vier Chromatiden, in der die DNA nicht mehr verdoppelt
zwei mütterlichen und zwei väterlichen. wird, schließt sich die 2. Reifeteilung an.
Diese Vierergruppe bildet eine sog. Tetra-
de, die im Diplotän der Prophase beson-
ders deutlich in Erscheinung tritt. Jetzt be- 2. Reifeteilung
ginnen auch die homologen Chromosomen Die 2. Reifeteilung läuft wie eine ganz nor-
sich zu trennen. Hierbei kann es durch male mitotische Zellteilung ab, d. h., in der
Überkreuzungen (Chiasmata) und Verkle- Anaphase werden die beiden Chromatiden
bungen parallel nebeneinanderliegender der jeweiligen Chromosomen getrennt und
homologer väterlicher und mütterlicher auf zwei Tochterzellen verteilt. Dies bedeu-
Chromatiden zu einem Austausch homolo- tet, dass nach erfolgter Halbierung des
ger Stücke kommen („crossing over“). Am doppelten Chromosomensatzes während
Schluss der Prophase löst sich die Kern- der 1. Reifeteilung die entstandenen haplo-
membran auf (Diakinese) und die Tei- iden Tochterzellen während der 2. Reifetei-
lungsspindel beginnt sich zu formieren. lung ihre DNA-Menge wieder halbieren.
Das Ergebnis der beiden Reifeteilungen
sind reife Geschlechtszellen. Aus den bei-
den Teilungsschritten der Meiose gehen

39
Biologie der Zelle

also insgesamt vier Tochterzellen (reife Ge-


1 schlechtszellen) hervor, bei denen sowohl
1.6 Die Zelle und ihre
die Zahl der Chromosomen als auch die Umgebung
DNA-Menge auf die Hälfte reduziert wor-
den ist. Vor Milliarden von Jahren entwickelte sich
Außerdem sind ihre Chromosomen auf- das Leben in Form kleinerer einzelliger
grund des „crossing over“ umgebaut und Organismen in einem großen Urmeer
durch die zufällige Verteilung der beiden (▶ Abb. 1.12 a). Ihre wässrige Umgebung
homologen Chromosomen auf die beiden zeichnete sich durch ein Milieu gleichblei-
Tochterzellen während der 1. Reifeteilung bender Zusammensetzung aus. Nährstoffe
neu kombiniert. In dieser Durchmischung waren ausreichend vorhanden und Aus-
von genetischem Material liegt die eigentli- scheidungsprodukte wurden sofort bis ins
che biologische Bedeutung der Meiose. Unendliche verdünnt.
Die Zellen eines vielzelligen Organismus
besitzen ebenfalls eine wässrige Umge-
bung, die alle für die Versorgung der Zellen
notwendigen Salze und Nährstoffe enthält.

Lunge Haut

Stoff-
austausch

Zelle
Zelle
(Intrazellu-
larraum)

Blutgefäße Extrazellu-
Interstitium larraum
Urmeer Niere Verdauungstrakt

a Einzeller b Mensch

Abb. 1.12 Lebensraum der Zelle. a Einzeller: Wechselwirkung der ersten Zellen mit ihrer
Umgebung, dem Urmeer, das sich durch ein Milieu gleichbleibender Zusammensetzung
auszeichnete. b Mensch: Die Zellen innerhalb eines vielzelligen Organismus werden von
extrazellulärer Flüssigkeit umspült, deren Volumen jedoch deutlich kleiner ist als das
intrazelluläre Volumen. Dieses „innere Milieu“ würde sich in seiner Zusammensetzung sehr
schnell verändern, wenn der Zwischenzellraum (Interstitium) nicht über den Blutweg an
Organe, wie z. B. die Lunge, die Nieren oder den Verdauungstrakt, angeschlossen wäre, die
neue Nahrung aufnehmen und Stoffwechselprodukte ausscheiden.

40
1.6 Die Zelle und ihre Umgebung

Im Vergleich zum Urmeer hat diese Flüs- bei spezifische Transportprozesse von Be-
sigkeit jedoch ein viel geringeres Volumen deutung, die dem Stoff- und Flüssigkeits- 1
und die Gefahr, dass ihre Zusammenset- austausch (S. 43) zwischen den Zellen und
zung sich kurzfristig ändert, ist viel größer. ihrer Umgebung dienen (z. B. Diffusion, Os-
Wasser (H2O) hat von allen chemischen mose, aktiver Transport). Größere Weg-
Verbindungen des Organismus den größ- strecken innerhalb des Körpers hingegen
ten prozentualen Anteil an der Körperflüs- werden durch Stofftransport innerhalb des
sigkeit (bei einem Erwachsenen etwa 60 %). Blutgefäßsystems zurückgelegt (z. B. die
Sie verteilt sich auf zwei Räume: aus dem Darm aufgenommenen Nährstoffe
● zu ca. zwei Dritteln auf den Intrazellular- und der in der Lunge aufgenommene Sau-
raum (Gesamtheit des von allen Zellen erstoff). Auch der Lymphtransport, die
eingeschlossenen Volumens) und Darmpassage sowie die Gallenblasenent-
● zu ca. einem Drittel auf den Extrazellular- leerung sorgen für eine schnelle Verteilung
raum (Gesamtheit des außerhalb aller von Stoffen und Flüssigkeiten.
Zellen vorhandenen Volumens, bei einer
ca. 70 kg schweren Person sind dies etwa
14 l). 1.6.1 Extrazelluläre
Flüssigkeit
Von den 14 l extrazellulärer (interstitieller)
Die in der extrazellulären Flüssigkeit gelös-
Flüssigkeit befinden sich drei Viertel in den
ten Stoffe (z. B. Salze) sind in Form elek-
feinen Spalträumen, die die Zellen von-
trisch geladener Teilchen (Ionen) vorhan-
einander trennen (interstitielle Flüssig-
den und werden als Elektrolyte bezeich-
keit = Interstitium), und ein Viertel im Ge-
net. Sie tragen eine elektrische Ladung und
fäßsystem (Arterien, Venen, Kapillaren und
können im elektrischen Feld wandern. Aus
Lymphgefäße), wo es den wässrigen Anteil
diesem Grund bezeichnet man positiv ge-
des Blutplasmas sowie die Lymphflüssig-
ladene Ionen auch als Kationen (wandern
keit bildet.
zum Minuspol = Kathode) und negativ ge-
Der Wassergehalt des Körpers wird mit
ladene Ionen als Anionen (wandern zum
großer Genauigkeit konstant gehalten. Dies
Pluspol = Anode). Das mengenmäßig am
ist notwendig, um das Gleichgewicht der
stärksten vertretene Salz ist das Kochsalz
zahlreichen in der Körperflüssigkeit gelös-
(NaCl). Es ist in einer Konzentration von
ten Stoffe nicht zu gefährden. Physiologi-
etwa 9 g pro Liter gelöst und besteht aus:
sche Wasserverluste (z. B. Urinproduktion,
● 1 positiv geladenen Natriumion (Na+)
Schweißsekretion und Verluste durch Be-
und
feuchtung der Atemluft) müssen daher
● 1 negativ geladenen Chlorion (Cl–).
beispielsweise durch Flüssigkeitsaufnahme
ausgeglichen werden. Die Konstanthaltung
des sog. „inneren Milieus (= Homöostase) ist Daneben kommen, allerdings in deutlich
eine lebensnotwendige Voraussetzung für geringeren Konzentrationen, weitere Kat-
das optimale Funktionieren aller Körper- ionen und Anionen vor, z. B.:
● Kalium (K+),
zellen. Da durch Atmung, Nahrungsaufnah-
● Kalzium (Ca2 +),
me und Stoffwechselaktivität der Zellen
● Magnesium (Mg2 +),
unterschiedlichste Substanzen in den Ex-
● Bikarbonat (HCO3–) sowie
trazellularraum gelangen, gehört die Auf-
● negativ geladene Proteine.
rechterhaltung der Homöostase zu den
wichtigsten Aufgaben des Organismus.
Neben der Tätigkeit vor allem der Lun- Die drei Kompartimente des Extrazellular-
gen, des Darms und der Nieren sind hier- raums, das Interstitium, das Blutplasma

41
Biologie der Zelle

Tab. 1.1 Vergleich der Ionenkonzentrationen im Intra- und Extrazellularraum


1
Ion Konzentration
Intrazellularraum in mM Extrazellularraum in mM
K+ 139 4
Na+ 12 145
Cl– 4 116
Organische Anionen– 138 34

und die Lymphflüssigkeit, unterscheiden Das Innere einer Zelle weist dabei gegen-
sich vor allem in ihrem Gehalt an gelösten über dem extrazellulären Raum in Ruhe
Proteinen. So ist die Wand der Blut- und eine negative Ladung auf (Ruhepotenzial).
Lymphkapillaren nur für kleine Ionen und Diese Potenzialdifferenz kann mit emp-
organische Substanzen mit geringer Größe findlichen Messmethoden gemessen wer-
durchlässig, große Proteine hingegen wer- den und beträgt etwa 60 – 80 mV. Die Ur-
den im Gefäßlumen zurückgehalten. sache für die negative Ladung im Zellinne-
ren gegenüber der Umgebung liegt in einer
unterschiedlichen Verteilung der Ionen im
1.6.2 Intrazelluläre intra- und extrazellulären Raum. So ist die
Flüssigkeit Kaliumkonzentration intrazellulär ca. 35-
mal größer als extrazellulär, als Anionen
Im Gegensatz zur extrazellulären Flüssig- überwiegen innerhalb der Zelle Proteine.
keit, in der Natrium überwiegt, ist im Zell- Extrazellulär überwiegen Natriumionen
inneren Kalium das mengenmäßig domi- und als negative Gegenionen Chloranionen
nierende Kation (K+). Dagegen ist die Na- (▶ Tab. 1.1).
triumkonzentration (Na+) in der Zelle etwa Die Anreicherung von Kaliumionen im
10-mal geringer als außen. Den Hauptteil Inneren der Zellen ist eine spezifische Leis-
intrazellulärer Anionen bilden Proteine, in tung fast jeder Zelle und stellt einen der
geringerer Konzentration sind anorgani- wichtigsten aktiven Transportprozesse
sche Phosphate (HPO42–/H2PO4–) vorhan- (S. 47) dar. Die sog. „Ionenpumpe“ trans-
den. portiert Kaliumionen in die Zelle hinein
und im Gegenzug Natriumionen aus der
Zelle heraus. Man bezeichnet sie daher
1.7 Membran- oder auch als Na+-K+-Pumpe.
Ruhepotenzial Sie besteht im Wesentlichen aus einem


Enzym (Na+-K+-ATPase), das ATP spaltet.

Definition
L Hierbei wird die für den Ionentransport er-
forderliche Energie frei (▶ Abb. 1.13). Die
Zellmembran ist für Ionen undurchlässig,
Durch die unterschiedliche Verteilung daher gibt es für Na+, K+ und Cl– Membran-
von Ionen im intra- und extrazellulären poren (Kanäle), nicht jedoch für Protein-
Raum entsteht an den Zellmembranen anionen.
eine Potenzialdifferenz, die man als Während des Ruhepotenzials sind die
Membran- oder Ruhepotenzial bezeich- K+-Kanäle häufig offen, während die Na+-
net.

42
1.8 Stoff- und Flüssigkeitstransport

Extrazellularraum 1

–
Na+ Na+/K+-
Pumpe
K+
Cl–
organische
Anionen
+ + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + +
– 60 mV

Na+ K+

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Natrium- Kalium- Chlorid-


kanal Na+
K+ kanal Cl– kanal
–
meist Protein-
geschlossen häufig offen Anion

Intrazellularraum

Abb. 1.13 Membranpotenzial. Der Intrazellularraum weist in Ruhe eine negative Ladung
auf, der Extrazellularraum eine positive Ladung. Die Differenz wird als Membranpotenzial
bezeichnet. Durch die Ionenpumpe werden über spezielle Kanäle Kaliumionen in die Zelle
hineintransportiert und als Gegenzug Natriumionen aus der Zelle heraustransportiert.

und Cl–-Kanäle meist geschlossen sind. Die Energie verbrauchenden Ionenpum-


Aufgrund der Konzentrationsdifferenz ha- pen können durch Sauerstoffmangel (feh-
ben die K+-Ionen das Bestreben, nach au- lende ATP-Produktion), aber auch durch
ßen zu diffundieren. Die Diffusion von po- Stoffwechselgifte (z. B. Cyanide) gehemmt
sitiv geladenen Kaliumionen aus der Zelle oder blockiert werden, was schwere Stö-
wird jedoch durch negativ geladene intra- rungen der zellspezifischen Leistungen zur
zelluläre Proteinanionen begrenzt, die auf- Folge hat. Die Entstehung und Fortleitung
grund ihrer Größe die Membran nicht pas- einer Erregung in einer Nerven- oder Mus-
sieren können. Der Ausstrom bereits weni- kelzelle beruhen auf kurzzeitigen Verände-
ger Kaliumionen lässt an der Innenseite rungen des Membranpotenzials, des sog.
der Zellmembran die negativ geladenen Aktionspotenzials (S. 108).
Gegenionen (Proteinanionen) zurück, wo-
durch das Zellinnere negativ gegenüber
der Umgebung geladen ist. Das Ruhepoten- 1.8 Stoff- und Flüssig-
zial wird daher auch als Diffusionspotenzial
bezeichnet. Der Ionenausstrom durch die keitstransport
Membranporen ist unabhängig von der Bei den spezifischen Transportprozessen, die
Na+-K+-Pumpe. sich im mikroskopischen Bereich abspie-
len, z. B. zwischen den Zellen einerseits

43
Biologie der Zelle

und zwischen Blutkapillaren und umge- ● aktive (energieabhängige) Transportpro-


1 benden Zellen andererseits, unterscheidet zesse: aktiver Transport sowie Endo-
man im Wesentlichen: und Exozytose.
● passive Transportprozesse: Diffusion, Os-

mose und Filtration sowie

elektrochemischer Gradient
Ladungs-
hohe Konzentration gradient niedrige Konzentration
–
+ + + + – freie Diffusion
–
Kanalprotein –

–
+ + + + +

passiver Transport
–
– Pore
–
– erleichterte
– Diffusion
+ + + + + + + + +

–
Carrier –
–

–
–
–
–
–
–
–
aktiver Transport

–
+ + + + +

–
Transport-ATPase
–
–
–
–
–
+ + +

–
Extrazellularraum – Intrazellularraum

Abb. 1.14 Passiver und aktiver Transport. Transportmöglichkeiten durch die Lipiddoppel-
schicht der Zellmembran: Beim passiven Transport findet ein Stoffaustausch vom Ort
höherer Konzentration zum Ort niedrigerer Konzentration über freie und erleichterte
Diffusion statt. Beim Energie verbrauchenden aktiven Transport werden Stoffe gegen ein
Konzentrationsgefälle befördert.

44
1.8 Stoff- und Flüssigkeitstransport

Es finden auch kombinierte Stoff- und Osmose und osmotischer


Wassertransporte statt, z. B. in den Nieren- 1
Druck


kanälchen und den Sammelrohren.

1.8.1 Passive Definition


L
Transportprozesse Befindet sich zwischen zwei unterschied-
lich konzentrierten Lösungen eine halb-
Diffusion


durchlässige, sog. semipermeable, Mem-

L
bran, die zwar das Lösungsmittel, nicht
aber die gelösten Stoffe hindurchlässt,
Definition spricht man von Osmose. Der Druck, der
auf der jeweils anderen Seite der Mem-
Die Diffusion ist der einfachste Stoffaus-
bran nötig ist, um diese Osmose rück-
tauschprozess. In wässrigen Lösungen
gängig zu machen, ist der osmotische
und Gasen sind Atome oder Moleküle
Druck. Kolloidosmotischer Druck be-
aufgrund ihrer thermokinetischen Ener-
zeichnet den osmotischen Druck, der
gie frei beweglich, Konzentrationsunter-
durch die Eiweiße (= Kolloide) im Blut
schiede gleichen sich durch Diffusion
bzw. in den Kapillaren entsteht.
aus. Dabei diffundieren („wandern“) Mo-
leküle so lange auf die Seite niedrigerer
Konzentration, bis ein Konzentrations-
ausgleich stattgefunden hat. Auch die Zellmembranen sind mehr oder
weniger semipermeable Membranen, da
die Lipidschichten für geladene Moleküle
wie z. B. Ionen und Proteine weniger gut
Treibende Kraft der Diffusion ist ein Kon-
durchlässig sind als für Wasser. Es diffun-
zentrations- oder ein Ladungsgradient,
diert so lange Wasser durch die Membran
übergreifend als elektrochemischer Gra-
zum Ort der höheren Konzentration, bis
dient bezeichnet. So beruht beispielsweise
ein Konzentrationsausgleich erreicht ist.
ein großer Teil des Stofftransports (Salze,
Dabei steigt das Volumen auf der ur-
Atemgase, Nährstoffe) im interstitiellen
sprünglich konzentrierteren Seite an
(zwischenzelligen) Raum sowie aus der
(▶ Abb. 1.15). Den Druck, der auf dieser
Zelle heraus und in die Zelle hinein auf Dif-
Seite ausgeübt werden müsste, um die Os-
fusionsvorgängen.
mose rückgängig zu machen, nennt man
Kleine Moleküle, wie z. B. die Atemgase
osmotischen Druck. Er wird in Millimeter
O2 und CO2 oder auch Wasser, passieren
Quecksilbersäule (mmHg) oder mit der SI-
die Zellmembran ungehindert. Dies be-
Einheit Pascal (Pa) gemessen. Die Höhe des
zeichnet man als freie Diffusion. Für Nähr-
osmotischen Drucks hängt ausschließlich
stoffe (z. B. Glukose und Aminosäuren in
von der Anzahl der gelösten Teilchen in
den Zellen der Darmschleimhaut) und für
einem gegebenen Volumen ab, nicht von
Ionen erleichtern membrandurchspannen-
deren Größe und Ladung.
de Poren (Kanalproteine, Membranporen)
Der osmotische Druck der extrazellulä-
oder bewegliche Transportproteine (Car-
ren Flüssigkeit hängt von deren Protein-
rier) den Durchtritt. Dies bezeichnet man
und Salzgehalt ab und entspricht etwa
als erleichterte Diffusion (▶ Abb. 1.14).
einer Salzlösung von 0,9 % Kochsalz (NaCl).
Eine solche „physiologische Kochsalzlö-
sung“ ist isotonisch.

45
Biologie der Zelle

osmotischer
Druck gelöste Moleküle

semipermeable
Membran

Abb. 1.15 Osmotischer Druck. An semipermeablen Membranen baut sich ein osmotischer
Druck auf, wenn gelöste Moleküle die Membran nicht durchdringen können. Es strömt so
lange Flüssigkeit durch die Membran zum Ort höherer Konzentration, bis ein Konzen-
trationsausgleich erreicht ist. Dadurch wird das Volumen auf der ursprünglich konzen-
trierteren Seite größer.

Zusatzinfo
Osmotischer Druck in und um
●V tisches Druckgefälle von etwa 25 mmHg
(3,3 kPa) aus dem Interstitium in Richtung
Kapillarinnenraum. Dies würde zu einer
Flüssigkeitsaufnahme in das Gefäßinnere
die Zelle führen, wenn nicht der im Gefäß wirkende
In hypertonischen (höher konzentrierten) hydrostatische Blutdruck entgegenwirken
Lösungen geben Zellen Wasser ab und würde. Da der Blutdruck am Beginn der
schrumpfen. In hypotonischen (geringer Kapillare mit 37 mmHg sogar größer als
konzentrierten) Lösungen hingegen neh- der kolloidosmotische Druck ist, erfolgt
men sie Wasser auf und quellen. Der Or- dort eine Filtration von Flüssigkeit in den
ganismus ist daher bestrebt, durch be- interstitiellen Raum, s. Blutzirkulation in
sondere Regelmechanismen den osmoti- den Kapillaren (S. 396).
schen Druck in der extrazellulären Flüs-
sigkeit möglichst konstant zu halten.
Filtration


Dies führt infolge der guten Wasser-

L
durchlässigkeit der Zellmembranen zu
einem ebenfalls recht konstanten osmo-
tischen Druck im Inneren der Zelle. Definition
Von Filtration spricht man dann, wenn
aufgrund einer hydrostatischen Druckdif-
Von kolloidosmotischem Druck spricht ferenz Wasser und die in ihm gelösten
man, wenn z. B. im Blutplasma, anders als Teilchen durch Zellmembranen oder Po-
im umgebenden Interstitium, Eiweiße ge- rensysteme gepresst werden.
löst sind, für die die Kapillarwand un-
durchlässig ist. Durch sie besteht ein osmo-

46
1.8 Stoff- und Flüssigkeitstransport

Bei den Poren handelt es sich z. B. um Lü- Ein solcher Transportprozess ist in der La-
cken zwischen den Endothelzellen (Inter- ge, eine Substanz gegen ein Konzentrations- 1
zellularspalte) oder um Löcher (Fenestrie- gefälle durch die Membran zu befördern
rungen) in den Zellmembranen. Filtration (▶ Abb. 1.14). So besitzen Zellen die Fähig-
findet z. B. in den Gewebekapillaren statt. keit, im Inneren z. B. bestimmte Ionenkon-
Werden hingegen bei Filtrationsprozessen, zentrationen aufrechtzuerhalten, die sich
z. B. in den Blutkapillaren der Nierenkör- deutlich von den Konzentrationen in der
perchen, größere Blutbestandteile an den extrazellulären Flüssigkeit unterscheiden.
Kapillarwänden zurückgehalten oder ge- Diese aktiven Transportprozesse werden
löste Moleküle aufgrund ihrer Größe oder von spezialisierten Proteinen der Zellmem-
Ladung getrennt, spricht man auch von Ul- branen übernommen, die gleichzeitig
trafiltration. mehrere Ionen befördern können.
Der gekoppelte Transport von Stoffen
kann in dieselbe Richtung (Symport) oder
1.8.2 Aktive aber in die entgegengesetzte Richtung (An-
Transportprozesse tiport) ablaufen (▶ Abb. 1.16). In der Niere
wird z. B. der Transport von Aminosäuren
Aktiver Transport


an den aktiven Na+-Transport gekoppelt.

L
Darüber hinaus sind aktive Ionentranspor-
te durch Zellmembranen Voraussetzung
Definition für die Entstehung des Membran- oder
Ruhepotenzials.
Unter aktivem Transport versteht man
den Transport von Stoffen durch die Zell-
membran mithilfe eines Energie verbrau-
chenden Transportsystems (Transport-
ATPase). ATP dient auch hier als univer-
seller Brennstoff.

Symport

Antiport

Abb. 1.16 Aktiver Transport. Spezialisierte Proteine der Zellmembran können gleichzeitig
mehrere Ionen transportieren. Wenn diese in dieselbe Richtung transportiert werden,
spricht man von Symport. Wenn sie in entgegengesetzte Richtungen laufen, von Antiport.

47
Biologie der Zelle

1 a Exozytose b Endozytose
Extrazellularraum Extrazellularraum

Intrazellularraum Intrazellularraum

Abb. 1.17 Vesikulärer Transport. Große Moleküle, z. B. Proteine, werden mittels Endozy-
tose in die Zelle hineintransportiert. Zelleigene Produkte gelangen mittels Exozytose aus der
Zelle heraus.

Vesikulärer Transport nere abgegeben (rezeptorvermittelte En-


dozytose). Man spricht in diesem Zusam-
(Endo- und Exozytose)


menhang, in Abhängigkeit von der Größe

Definition
L der aufgenommenen Partikel, auch von Pi-
nozytose und Phagozytose.
Bei der Exozytose gelangen zelleigene
Große Moleküle, z. B. Proteine, die in die Syntheseprodukte in membranumschlos-
Zelle gelangen (Endozytose) oder aus ihr senen Vesikeln an die Innenseite der Plas-
entfernt werden (Exozytose), überwin- mamembran und durch Verschmelzung
den die Zellmembranen durch den sog. mit ihr in den Extrazellularraum. Mittels
vesikulären Transport (▶ Abb. 1.17). Exozytose werden z. B. in den Synapsen die
Überträgersubstanzen an den Endigungen
von Nervenzellfortsätzen freigesetzt. In
Dabei werden zum Teil über membran- ähnlicher Weise verlassen bei den meisten
ständige Rezeptoren an der Außenseite der Drüsenzellen die Sekretprodukte das Zell-
Zellmembran Stoffe gebunden, von Teilen innere.
der Plasmamembran umschlungen und als Endo- und Exozytose sind ATP-abhän-
membranumschlossenes Vesikel ins Zellin- gig.

48
Zusammenfassung

Zusammenfassung – Biologie der Zelle


Was ist eine menschliche Zelle?

M
Apparat, Lysosomen, Zentriolen und
1

● Die kleinste lebende Einheit eines Orga- Mitochondrien) übernehmen die Stoff-
nismus ist die Zelle. Anders als bei Einzel- wechselfunktionen der Zelle.
lern, die eigenständige Organismen dar- ○ Das endoplasmatische Retikulum befin-

stellen, bilden die Zellen höherer Orga- det sich in allen Zellen, außer in Ery-
nismen Funktionsverbände. throzyten. Es ermöglicht den intrazel-
● Entsprechend ihrer Funktion sind die lulären Stofftransport. Das raue ER
Zellen hinsichtlich Größe, Form und Aus- dient vor allem der Proteinsynthese,
prägung bestimmter Merkmale unter- das glatte ER der Lipid- und Hormon-
schiedlich differenziert. synthese.
● Für alle Körperzellen gibt es einen ○ Ribosomen sind nicht von einer Ein-

Grundbauplan (S. 20) und zahlreiche heitsmembran umgeben. Sie sind


Grundeigenschaften. Zu den Grund- Multienzymkomplexe aus Eiweiß- und
eigenschaften (S. 18) gehört die Fähig- rRNA-Molekülen, die die Aminosäuren
keit, sich zu teilen sowie Reize aufzuneh- bei der Proteinsynthese verketten.
men und zu beantworten. Freie Ribosomen produzieren zelleige-
ne Proteine (z. B. Enzyme), Ribosomen
Aufbau von Zelle und Zell- am ER produzieren Exportproteine
organellen (z. B. Drüsensekrete).
● Im Großen und Ganzen besteht eine Zel- ○ Der Golgi-Apparat kommt in allen Zel-

le aus len außer in Erythrozyten vor und


○ der alles umgebenden Zellmembran, dient der Aufnahme und Abgabe von
○ dem flüssigen Zellleib, der die Zellorga- Syntheseprodukten in Form mem-
nellen enthält, und branbegrenzter Transportvesikel, die
○ dem Zellkern. aus der Zelle ausgeschleust werden
● Die auch als Einheitsmembran bezeich- (sekretorische Vesikel), der Erneue-
nete Zellmembran besteht aus einer Li- rung der Zellmembran dienen oder
piddoppelschicht (S. 20), deren fettlösli- sich als primäre Lysosomen an der in-
che Anteile einander zugekehrt sind, trazellulären Verdauung beteiligen.
während die wasserlöslichen Anteile ○ Lysosomen sind die „Verdauungsorga-

nach innen und außen weisen (3-schich- ne“ der Zelle. Sie bauen mithilfe von
tiger Aufbau). Die Lipidmoleküle sind Enzymen zellfremde Strukturen und
von Proteinen durchsetzt. zelleigene zugrunde gegangene Orga-
● Die Außenseite der Zellmembran ist von nellen ab.
einer Glykocalyx überzogen. Auch die ○ Zentriolen bauen bei der Zellteilung

Zellorganellen und der Zellkern sind von Spindelfasern auf.


Einheitsmembranen umgeben. ○ Mitochondrien sind die „Kraftwerke“

● Das Zytoplasma (S. 21) (Zellleib) besteht der Zelle. Hier werden die Nahrungs-
aus der intrazellulären Flüssigkeit (Hyalo- stoffe (Proteine, Fette, Kohlendydrate)
plasma, Zytosol)), den Zellorganellen und im Wesentlichen zu CO2 und H2O ab-
verschiedenen Zelleinschlüssen (Para- gebaut, wobei die für den Stoffwech-
plasma). sel (z. B. Muskelkontraktion, Synthese
● Die Zellorganellen (S. 21) (endoplasma- körpereigener Stoffe) notwendige
tisches Retikulum, Ribosomen, Golgi- Energie entsteht, die in Form von ATP
gespeichert wird.

49
Biologie der Zelle

1 ● Einen Zellkern (S. 25), d. h. einen Nu- ● Die im Zellkern synthetisierte einsträngi-
cleus, besitzen alle Zellen außer den Ery- ge mRNA kopiert den genetischen Code
throzyten. Der Zellkern enthält den Nu- (Transkription) und bringt die Botschaft
cleolus (Produktion von rRNA → Protein- zu den Ribosomen, dem Ort der Protein-
biosynthese) und die Chromosomen, die biosynthese (S. 32). Jedes kopierte Basen-
Träger der Erbanlagen (Gene) sind. triplett steht für eine Aminosäure. Eben-
● Menschliche Zellkerne enthalten 23 falls im Zellkern synthetisierte tRNA-Mo-
Chromosomenpaare (S. 25), 23 väterliche leküle binden dem genetischen Code
und 23 mütterliche. Sie ergeben zusam- entsprechend (= entsprechend der Ab-
men den diploiden Chromosomensatz folge der Tripletts) Aminosäuren und
(46 Chromosomen). Das 23. Paar be- transportieren sie zu Ribosomen, wo sie
stimmt das Geschlecht. mithilfe von Enzymen zu Proteinen ver-
● Das Erscheinungsbild des Zellkerns und knüpft werden. Jede tRNA ist spezifisch
der Chromosomen variiert in den einzel- für eine Aminosäure.
nen Phasen der Zellteilung. Zwischen
zwei Zellteilungen (Mitosen), in der Inter- Zellteilung
phase (S. 35) (= Arbeitsphase der Zelle),
erfolgt die Verdopplung des genetischen Mitose (S. 35)
Materials und es entstehen Chromoso- ● Durch die Verdopplung des genetischen

men mit zwei Chromatiden, die durch Materials in der Interphase entstehen
eine Einschnürung (Zentromer) verbun- Chromosomen mit 2 Chromatiden. Dies
den sind. Jede Chromatide besteht aus ist bei der Zellteilung Voraussetzung für
einem Molekül DNA (Desoxyribonuklein- die Weitergabe der genetischen Infor-
säure). mation an die Tochterzelle. Durch mito-
● Die Bausteine der DNA, die Nukleotide tische Zellteilungen sind Wachstum und
(S. 28), setzen sich jeweils aus Zellerneuerung möglich.
○ einer Base (Adenin, Thymin, Cytosin ● Die Mitose verläuft in vier Stadien: Pro-

oder Guanin), phase, Metaphase, Anaphase und Telo-


○ einem Zucker (Desoxyribose) und phase.
○ einem sauren Phosphatrest zusam-

men. Reduktions- oder Reifeteilung (Meiose)


(S. 37)
Die DNA enthält die gesamte Erbsubstanz ● Zwei aufeinanderfolgende Zellteilungen

in Form der Gene. lassen männliche bzw. weibliche Ge-


● Eine Informationseinheit (S. 28) wird von schlechtszellen mit halbiertem Chromoso-
jeweils drei Basen (Triplett, Codon) in mensatz (▶ Abb. 1.11) entstehen.
unterschiedlicher Kombination gebildet. ● Bei der 1. Reifeteilung (S. 37) trennen

Jedes Triplett stellt die Information für sich die nebeneinanderliegenden väterli-
eine Aminosäure dar. Ein Gen besteht chen und mütterlichen (homologen)
aus etwa 300 – 3 000 Basentripletts und Chromosomen, wobei es durch Über-
liefert die Information für ein Protein. kreuzungen zum Austausch homologer
Dieser genetische Code ist in allen Lebe- Stücke („crossing over“) kommt. Es ent-
wesen gleich und beinhaltet die Infor- stehen zwei Tochterzellen mit haplo-
mation für die Biosynthese von Protei- idem Chromosomensatz.
nen, die in allen Organismen den wich- ● Die 2. Reifeteilung (S. 39) entspricht

tigsten Bau- und Betriebsstoff darstellen. einer normalen Mitose. Die Chromatiden

50
Zusammenfassung

der Chromosomen werden getrennt. ● Durch diese unterschiedliche Verteilung 1


Aus den zwei Tochterzellen entstehen von Ionen im intra- und extrazellulären
vier reife Geschlechtszellen mit haplo- Raum entsteht eine Potenzialdifferenz an
idem Chromsomensatz. den Zellmembranen (Membran-, Ruhe-
● Bei der Befruchtung entsteht wieder ein potenzial). Die Ursache hierfür ist die ak-
diploider Chromosomensatz. tive Anreicherung von Kalium im Zellin-
● Der eigentliche Sinn der Meiose sind der nern (ATP-abhängige Na+-K+-Pumpe).
Umbau und die Neukombination der
Chromosomen, d. h. die Durchmischung Stoff- und Flüssigkeitstransport
des genetischen Materials. ● Bei der Aufrechterhaltung des „inneren
Milieus“ (Homöostase) (S. 41) spielen
Die Zelle und ihre Umgebung spezifische Transportprozesse zwischen
(S. 40) den Zellen und ihrer Umgebung eine
Der Körper eines Erwachsenen besteht zu wichtige Rolle. Man unterscheidet passi-
60 % aus Wasser, zwei Drittel befinden sich ve und aktive (energieabhängige) Trans-
intrazellulär, ein Drittel extrazellulär. Von portprozesse:
den 14 l extrazellulärer Flüssigkeit entfallen ○ Passive Transportprozesse (S. 45) sind

drei Viertel auf den Zwischenzellraum und die freie Diffusion (z. B. von O2, CO2,
ein Viertel auf das Gefäßsystem. H2O), die erleichterte Diffusion (z. B.
Glukose und Aminosäuren in den Zel-
Membran- oder Ruhepotenzial len der Darmschleimhaut), Osmose
einer Zelle und Filtration (z. B. Glukose und Ami-
● In der extrazellulären Flüssigkeit (S. 41) nosäuren in den Gewebekapillaren).
überwiegt Natrium als Kation und Chlor ○ Aktive Transportprozesse (S. 47) sind

als Anion, in der intrazellulären Flüssig- der aktive Transport (z. B. von Ionen)
keit (S. 42) Kalium als Kation und Protei- sowie Endo- und Exozytose (z. B. Pro-
ne dominieren als Anionen. teine).

51
© ccvision

Kapitel 2 2.1 Genetik


(Vererbungslehre) 54
Genetik und
2.2 Evolution
Evolution (Abstammungslehre) 67
Genetik und Evolution

2 Genetik und Evolution


Das menschliche Genom (Erbgut) umfasst gramm besteht aus einzelnen Informa-
2 20 000 – 25 000 Gene (Erbanlagen). Sie sind tionseinheiten, den Genen, die auf den
in 23 Chromosomenpaaren im Kern jeder Zel- Chromosomen linear angeordnet sind. Je-
le des Menschen gespeichert. Jedes Gen des Gen hat eine definierte Position und
kommt zweimal vor, einmal als mütterliches, Struktur und jedes Gen steuert eine ganz
einmal als väterliches. Diese Gene werden bestimmte Funktion, legt also fest, wie vie-
von Generation zu Generation weiterge- le Aminosäuren in welcher Reihenfolge an-
geben. Dabei folgen sie Verteilungsregeln, zuordnen sind, damit ein bestimmtes Pro-
die der Augustinerpater Johann Gregor Men- tein zusammengebaut werden kann.

●V
del (1822–1884) bei Kreuzungsversuchen mit
Gartenerbsen erkannte. Ungefähr im selben
Zeitraum beschrieb Charles Darwin (1809– Zusatzinfo
1882) in seinem Buch „On the origin of spe-
cies“ („Die Entstehung der Arten“, 1859), wie „Ramschanteil“ im Erbgut
und warum sich die auf der Erde lebenden Or- Das menschliche Erbgut besteht zu 97 %
ganismen aus früheren einfacheren Formen aus „junk“ (= „Ramsch“), nur 3 % des Erb-
zu immer differenzierten Arten entwickelt ha- guts enthalten Bauanleitungen für Pro-
ben. Dies war die Geburtsstunde der heute teine.
allgemein anerkannten Evolutionstheorie (Ab-
stammungslehre), die eng mit der Genetik
(Vererbungslehre) verknüpft ist. Ein Gen erstreckt sich über durchschnitt-
lich 1000–10 000 Basenpaare (300–3 000
Basentripletts), ein vergleichbar kurzer Ab-
2.1 Genetik schnitt auf einem Chromosom (der ein-
fache Chromosomensatz, also 23 Chromo-
(Vererbungslehre)


somen, enthält doppelsträngige DNA mit

Definition
L einer Gesamtlänge von rund 3 Milliarden
Basenpaaren).

Genetik ist die Wissenschaft von der Ver-


erbung. Sie befasst sich mit der Analyse
2.1.1 Grundbegriffe der
von Struktur und Funktion der Gene Genetik
(= Erbanlagen), die auf den Chromoso-
Hierzu zählen – außer Chromosom (S. 26),
men im Zellkern liegen.
Gen (S. 25) und DNA (S. 28) – folgende Be-
griffe:

Die Zellen aller lebenden Organismen ent- ▶ Genom. Hierunter versteht man die Ge-
halten ein Programm, das ihre Funktionen samtheit aller Gene (Erbanlagen), beim
steuert und das genetisch determiniert ist, Menschen 21 500 Gene (bezogen auf den
d. h., es wird bei jeder Zellteilung auf die einfachen Chromosomensatz).
beiden neu gebildeten Zellen übertragen.
Dies muss präzise erfolgen, da sonst Stö- ▶ Allele. Allele bezeichnen die Gene, die
rungen in den Funktionen auftreten, auf den mütterlichen und väterlichen
s. Mutationen (S. 65). Das genetische Pro- Chromosomen an gleicher Stelle lokalisiert

54
2.1 Genetik (Vererbungslehre)

sind. Mit Ausnahme der Geschlechtszellen Bei der Beschreibung benützt man als
enthalten die Zellen beim Menschen 23 Abkürzung für die dominante Erbanlage
mütterliche und 23 väterliche Gene. Da- einen Großbuchstaben, für die rezessive
durch ist jedes Gen in identischer oder einen Kleinbuchstaben: RR = homozygot 2
leicht abgewandelter Form jeweils auch dominant, rr = homozygot rezessiv, Rr = he-
auf dem homologen entsprechenden Part- terozygot bei dominant-rezessivem Erb-
ner-Chromosom vorhanden. Sind die bei- gang.
den Allele in Bezug auf ihre genetische In-
formation völlig identisch, ist der Träger in
diesem Merkmal homozygot (reinerbig); 2.1.2 Mendel-Gesetze
unterscheiden sie sich, ist der Träger für Verfolgt man die Weitergabe bestimmter
das betreffende Merkmal heterozygot einzelner Erbanlagen (Gene) von Genera-
(mischerbig). Hemizygot ist ein Merkmals- tion zu Generation, so ergeben sich aus
träger, wenn er jeweils nur ein Allel aller dem Verteilungsmechanismus der Chro-
Gene des X-Chromosoms besitzt. Dies ist mosomen während der Reifeteilungen be-
beim Mann der Fall. Eine Frau kann für ein stimmte Gesetzmäßigkeiten, s. Meiose
X-chromosomales Allel homozygot oder (S. 37). Sie beziehen sich auf die zufällige
heterozygot sein. Verteilung der homologen Chromosomen
während der Meiose und die nachfolgen-
▶ Genotyp, Phänotyp und Genlocus. Je- den Kombinationsmöglichkeiten beim Zu-
dem Merkmal, egal ob Haarfarbe oder sammentreffen von Eizelle und Samenzel-
Blutgruppe, liegt eine ganz bestimmte ge- le. Diese Gesetzmäßigkeiten wurden von
netische Information zugrunde, der sog. dem Augustinerpater Johann Gregor Men-
Genotyp. Sein jeweiliges Erscheinungsbild del (1822 – 1884) im Jahr 1866 bei Kreu-
(z. B. braune oder schwarze Haare) wird als zungsversuchen mit Gartenerbsen erkannt,
Phänotyp bezeichnet. Beide Begriffe bezie- ohne dass er etwas über die Prozesse bei
hen sich auf die genetische Information der meiotischen Reifeteilung wusste. Seine
eines Merkmals an jeweils einem Genort Erkenntnisse formulierte er in den sog.
(Genlocus). Mendel-Gesetzen. Folgende Voraussetzun-
gen müssen erfüllt sein, um die Vertei-
▶ Dominanz, Rezessivität und Kodomi- lungsregeln der Erbanlagen erkennen zu
nanz. Merkmale können dominant, rezes- können:
siv oder kodominant vererbt werden. ● Die für die Kreuzungsexperimente ver-
● Überdeckt bei Heterozygoten ein Allel
wendeten Organismen müssen reinerbig
stets das andere Allel, indem es für die (homozygot) sein, damit alle Keimzellen
Ausprägung eines Merkmals allein aus- die gleichen Erbanlagen enthalten.
schlaggebend ist, wird es als dominant ● Bei den beobachteten Erbanlagen muss
bezeichnet. es sich um äußerlich sichtbare Merkmale
● Das Allel, das sich im Phänotyp nicht
handeln (über Gene wusste man damals
ausdrückt, also nicht in Erscheinung nichts).
tritt, nennt man rezessiv (unterdrückt). ● Die Merkmale bzw. die Gene, die diese
● Wenn sich bei Heterozygoten beide Alle-
Merkmale bestimmen, müssen auf un-
le phänotypisch manifestieren, spricht terschiedlichen Chromosomen liegen.
man von Kodominanz der Allele.
Bei den Kreuzungsversuchen bezeichnet
man die Elterngeneration als Parentalge-
neration (P-Generation), die erste Nachfol-

55
Genetik und Evolution

gegeneration als erste Filialgeneration (F1- der Samen über die grüne, die runde Ge-
Generation) und die Nachkommen dieser stalt der Samen über die runzlige, der hohe
als zweite Filialgeneration (F2-Generation). Wuchs der Pflanzen über den niedrigen. Es
2 Die Mendel-Gesetze im Einzelnen sind: gibt jedoch auch eine sog. intermediäre
● 1. Mendel-Gesetz: Uniformitätsregel Vererbung, bei der sich die Gene mischen.
(phänotypische Uniformität der F1-Ge- Dies ist z. B. der Fall bei der Japanischen
neration). Wunderblume. Kreuzt man eine reinerbig
● 2. Mendel-Gesetz: Spaltungsregel (phä- rot blühende Japanische Wunderblume
notypische und genotypische Aufspal- mit einer reinerbig weiß blühenden, so ist
tung der F2-Generation beim dominant- die heterozygote F1-Generation einheitlich
rezessiven bzw. intermediären Erbgang). rosa blühend (▶ Abb. 2.2), weiße und rote
● 3. Mendel-Gesetz: Unabhängigkeitsregel Blütenfarbe haben sich also miteinander
(unabhängige Weitergabe der nicht ge- vermischt. Die beiden homozygoten El-
koppelten Gene = Gene, die nicht auf ternteile und die heterozygote F1-Genera-
demselben Chromosom liegen). tion unterscheiden sich bei dieser Form
der Vererbung phänotypisch.
Von Kodominanz der Gene spricht man
Uniformitätsregel


hingegen, wenn beide Allele gleichwertig

Definition
L sind und beide Merkmale im heterozygo-
ten Zustand nebeneinander in Erscheinung
treten.
Kreuzt man zwei homozygote Linien mit-
einander, die sich in einem oder mehre-
ren Allelen unterscheiden, so erhält man
eine heterozygote F1-Generation mit
Zusatzinfo
Kodominanz
●V
einem einheitlichen Phänotyp. Diesen
Sachverhalt bezeichnet man als Unifor- Ein Beispiel sind die Blutgruppen A und
mitätsregel. B: Erbt ein Kind vom Vater das Blutgrup-
penallel A und von der Mutter das B-Allel,
so hat das Kind die Blutgruppe AB.
Kreuzt man z. B. homozygot rot blühende
(RR) und homozygot weiß blühende (rr)
Erbsenpflanzen der P-Generation, so ist
die heterozygote F1-Generation uniform Spaltungsregel


rot (Rr) wie der eine Elternteil (▶ Abb. 2.1).
Das Merkmal des weiß blühenden Eltern-
teils ist unterdrückt, sodass es nicht in Er- Definition
L
scheinung treten kann. Man bezeichnet
deshalb das in der F1-Generation phäno- Die Spaltungsregel besagt Folgendes:
typisch auftretende Merkmal (hier rot) als Kreuzt man die heterozygote F1-Genera-
das dominante (dominierende), das andere tion untereinander, weist die nachfolgen-
als das rezessive (unterdrückte) Merkmal. de F2-Generation eine ganz bestimmte
Die dominant-rezessive Vererbung ist Verteilung („Aufspaltung“) des jeweils
die weitaus häufigste Form der Vererbung. vererbten Merkmals auf, z. B. 3:1.
So dominiert bei Mendels Erbsenver-
suchen nicht nur die rote Blütenfarbe über
die weiße, sondern auch die gelbe Farbe

56
2.1 Genetik (Vererbungslehre)

rot blühende Gartenerbse weiß blühende Gartenerbse


(dominant) (rezessiv)

2
× P-Generation

RR rr

R R r r Keimzellen

× F1-Generation

Rr Rr Rr Rr

R r R r Keimzellen

F2-Generation

RR Rr Rr rr

3 : 1

Abb. 2.1 Dominant-rezessiver Erbgang. Kreuzung einer homozygot rot blühenden (RR)
mit einer homozygot weiß blühenden (rr) Gartenerbse. Die heterozygote F1-Generation ist
einheitlich rot, da die Blütenfarbe rot dominant über weiß ist. Die F2-Generation spaltet sich
im Verhältnis 3:1 auf, d. h., 3 Nachkommen sind rot blühend (RR, Rr und Rr) und 1
Nachkomme ist weiß blühend (rr).

Um beim Beispiel der Erbsen zu bleiben: lel) dominant bzw. rezessiv ist. Bei Domi-
Aus Rr × Rr (R = rot blühend; r = weiß blü- nanz des Gens für rot blühende Erbsen-
hend) ensteht eine F2-Generation mit ¾ pflanzen über das für weiß blühende ist
rot blühenden und ¼ weiß blühenden das Verhältnis der Phänotypen rot (R) zu
Pflanzen. Das Zahlenverhältnis von 3:1 weiß (r) wie 3:1, da die Kombinationen RR
(▶ Abb. 2.1) tritt umso genauer auf, je und Rr den Phänotyp R ergeben.
mehr Nachkommen untersucht werden. Unterscheiden sich die Heterozygoten
Dabei hängt das phänotypische Aufspal- der F1-Generation (rw) im Phänotyp so-
tungsverhältnis davon ab, ob ein Gen (Al- wohl von den rr- als auch von den ww-

57
Genetik und Evolution

rot blühende weiß blühende


Japanische Wunderblume Japanische Wunderblume

2
× P-Generation

rr ww

r r w w Keimzellen

× F1-Generation

rw rw rw rw

r w r w Keimzellen

F2-Generation

rr rw wr ww

1 : 2 : 1

Abb. 2.2 Intermediärer Erbgang. Kreuzung einer homozygot rot blühenden (rr) mit einer
homozygot weiß blühenden Japanischen Wunderblume (ww). Die F1-Generation ist
einheitlich rosa blühend (rw), da sich beide Blütenfarben phänotypisch durchsetzen. Die F2-
Generation spaltet sich im Verhältnis 1:2:1 auf, d. h., jeweils 1 Pflanze ist rot (rr) bzw. weiß
blühend (ww), 2 weitere sind rosa blühend (rw, wr).

Eltern (intermediärer Erbgang der Japa- nung der homologen Chromosomen in der
nischen Wunderblume), ergibt sich in der 1. meiotischen Reifeteilung zurückzufüh-
F2-Generation phänotypisch wie auch ge- ren, denn die Keimzellen können, da sie
notypisch ein Aufspaltungsverhältnis von haploid sind, nur eines der beiden Allele
1:2:1 (▶ Abb. 2.2). Dies bedeutet, dass je- enthalten, entweder das für die rote (r)
weils eine Pflanze reinerbig rot (rr) bzw. oder das für die weiße Blütenfarbe (w). In
weiß (ww) ist, zwei weitere Pflanzen sind der Zygote wird nun eine Kombination der
rosa und mischerbig für die Blütenfarbe Gene rot/rot (rr), rot/weiß (rw), weiß/rot
(rw). Diese Aufspaltung ist auf die Tren- (wr) und weiß/weiß (ww) ermöglicht. Sind

58
2.1 Genetik (Vererbungslehre)

beide Gene für rot und weiß dominant 2.1.3 Autosomale Erbgänge
(oder beide rezessiv), sind alle Heterozygo-
ten rosa und die Homozygoten entweder (dominant-rezessive)
weiß oder rot. Das Aufspaltungsverhältnis 2
ist daher zwangsläufig 1:2:1.
Autosomal-dominanter
Erbgang


Ist der Erbgang nicht intermediär, son-
dern dominant-rezessiv, so hat man eben-
falls eine 1:2:1-Aufspaltung, jedoch nur
genotypisch. Phänotypisch erhält man ein Definition
L
Verhältnis von 3:1, da die Heterozygoten Eine Form der dominant-rezessiven Ver-
den Phänotyp des dominanten Allels zei- erbung ist der autosomal-dominante
gen. Erbgang. Ein autosomal-dominanter
Erbgang für ein Merkmal liegt vor, wenn
Unabhängigkeitsregel der Genlocus auf einem Autosom (S. 25)


liegt und der Phänotyp vom dominanten

Definition
L Allel bestimmt wird.

Die Unabhängigkeitsregel besagt Fol- Beim Menschen findet sich dieser Erbgang
gendes: Kreuzt man zwei homozygote bei vielen normalen Merkmalen (z. B. Do-
Organismen miteinander, die sich in zwei minanz der Blutgruppen A und B gegen-
Allelen (AAbb × aaBB) voneinander unter- über der Blutgruppe 0), aber auch bei zahl-
scheiden (▶ Abb. 2.3), werden die einzel- reichen Erbkrankheiten, z. B. Polydaktylie
nen Gene unabhängig voneinander auf (Vielfingrigkeit), familiäre Hypercholeste-
die folgenden Generationen vererbt. Dies rinämie (erhöhter Cholesteringehalt im
gilt jedoch nur für Gene, die sich auf ver- Blut), Chorea Huntington („Veitstanz“, eine
schiedenen Chromosomen befinden. extrapyramidalmotorische Bewegungsstö-
rung) (S. 172), Marfan-Syndrom (Kollagen-
synthesestörung).
Keine Gültigkeit besitzt diese Regel bei Ge- Bei autosomal-dominanten Erbkrank-
nen, die auf demselben Chromosom lokali- heiten des Menschen besitzt meist nur ein
siert sind, da sie in der Regel nur gekoppelt Elternteil das krank machende, dominante
weitervererbt werden können. Die Koppe- Allel (Gen) auf einem Chromosom (A),
lung aller Gene eines Chromosoms muss während das entsprechende Gen auf dem
jedoch nicht absolut sein, da während der zweiten Chromosom gesund ist (a). Der an-
Meiose z. B. Crossing-over zwischen homo- dere Elternteil hingegen weist zwei gesun-
logen Chromosomen stattfinden kann, de, intakte Allele (aa) auf (▶ Abb. 2.4 a). So-
s. Reduktions- oder Reifeteilung (S. 37). mit ergibt sich für den Vererbungsmodus
Dies ermöglicht eine erhöhte Kombinier- meist die Konstellation, dass sich ein hete-
barkeit von Genen, was unter dem Ge- rozygot Erkrankter mit einem homozygot
sichtspunkt der möglichen genetischen Va- Gesunden paart. Für jedes Kind, unabhän-
riabilität von großer Bedeutung sein kann. gig vom Geschlecht, ergibt sich damit bei
einem autosomal-dominanten Erbleiden
eine Erkrankungswahrscheinlichkeit von
50 %.

59
Genetik und Evolution

P-Generation ×
2 AAbb Ab aB aaBB

F1-Generation ×
AaBb AaBb

Genotyp
der Keim- AB Ab aB ab
zellen

AB
AABB AABb AaBB AaBb

F2-Generation Ab
AABb AAbb AaBb Aabb

aB
AaBB AaBb aaBB aaBb

ab
AaBb Aabb aaBb aabb

Abb. 2.3 Unabhängige Vererbung von 2 Merkmalen. Kreuzungen von 2 Rinderrassen, die
sich in Fellfarbe und Verteilung der Fellfarbe unterscheiden (schwarz-gescheckt und
rotbraun-ungescheckt). Es dominiert schwarz (AA) über rotbraun (aa) und ungescheckt (BB)
über gescheckt (bb). Die Tiere der F1-Generation sind alle schwarz und ungescheckt (AaBb).
Sind die beiden Allele für die Fellfarbe und die Verteilung der Farbe auf unterschiedlichen
Chromosomen lokalisiert und können die beiden Allelpaare bei der Bildung der
Geschlechtszellen unabhängig voneinander kombinieren, entstehen theoretisch 4 geno-
typisch unterschiedliche Ei- bzw. Spermienzellen: AB, Ab, aB und ab. Für die Vereinigung der
Geschlechtszellen ergeben sich somit mit gleicher Wahrscheinlichkeit 16 Möglichkeiten.
Kreuzt man die Individuen der F1-Generation untereinander, ergeben sich 4 phänotypisch
unterschiedliche Erscheinungsformen: schwarz-ungescheckt, schwarz-gescheckt, rotbraun-
ungescheckt, rotbraun-gescheckt im Zahlenverhältnis 9:3:3:1.

60
2.1 Genetik (Vererbungslehre)

P-Generation Aa × aa Aa × Aa AA × aa

Genotyp der 2
A a A a A A
Keimzellen
a Aa aa A AA Aa a Aa Aa
F1-Generation
a Aa aa a Aa aa a Aa Aa

Genotypen: 50 % : 50 % 25 % : 50 % : 25 % 100 %

Phänotypen: 50 % : 50 % 75 % : 25 % 100 %

a b c

= Allelträger (Merkmalsträger = Erkrankte)

Abb. 2.4 Autosomal-dominanter Erbgang. Genotypen und Phänotypen beim autosomal-


dominanten Erbgang. A = dominant vererbtes Allel (Merkmal); a = rezessiv vererbtes Allel
(Merkmal); AA = homozygot erkrankt, Aa = heterozygot erkrankt, aa = homozygot gesund, a
ein Elternteil heterozygot erkrankt, ein Elternteil homozygot gesund = 50 % der Kinder sind
erkrankt, b beide Elternteile sind heterozygot erkrankt = 75 % der Kinder sind erkrankt, c ein
Elternteil homozygot erkrankt, ein Elternteil homozygot gesund = 100 % der Kinder sind
erkrankt.

Dabei spielt es keine Rolle, welcher El- Autosomal-rezessiver


ternteil das krankhafte dominante Allel
Erbgang


trägt. Sind hingegen beide Elternteile hete-
rozygot erkrankt (▶ Abb. 2.4 b), sind 75 %
der Kinder erkrankt (25 % homozygot und
Definition
L
50 % heterozygot Erkrankte) und 25 % ho-
mozygot gesund. Ein autosomal-rezessiver Erbgang für
Bei dem seltenen Fall, dass ein Elternteil ein Merkmal liegt vor, wenn sich der
an einer autosomal-dominanten Erbkrank- Genlocus auf einem Autosom befindet
heit homozygot erkrankt ist, der andere El- und das Merkmal sich phänotypisch nur
ternteil aber völlig gesund ist (▶ Abb. 2.4 bei homozygoten Trägern ausprägt
c), werden alle Kinder heterozygote Merk- (▶ Abb. 2.5). Heterozygote Allelträger
malsträger sein. unterscheiden sich nicht von homozygo-
ten.

61
Genetik und Evolution

P-Generation Bb × BB Bb × Bb bb × BB

2 Genotyp der
B b B b b b
Keimzellen
B BB Bb B BB Bb B Bb Bb
F1-Generation
B BB Bb b Bb bb B Bb Bb

Genotypen: 50 % : 50 % 25 % : 50 % : 25 % 100 %

Phänotypen: 100 % 75 % : 25 % 100 %

a b c

= Nur homozygote Allelträger erkranken bzw. sind Merkmalsträger

Abb. 2.5 Autosomal-rezessiver Erbgang. Genotypen und Phänotypen beim autosomal-


rezessiven Erbgang. B = dominant vererbtes Allel (Merkmal); b = rezessiv vererbtes Allel
(Merkmal); BB = homozygot gesund, Bb = heterozygot gesund, bb = homozygot erkrankt,
a ein Elternteil heterozygot gesund, ein Elternteil homozygot gesund = 100 % der Kinder
sind gesund, b beide Elternteile sind heterozygot gesund = 25 % der Kinder sind erkrankt,
c ein Elternteil homozygot erkrankt, ein Elternteil homozygot gesund = 100 % der Kinder
sind gesund.

Eine phänotypische Merkmalsausprägung disch auf. Ist ein Elternteil homozygot er-
findet man daher nur bei homozygoten krankt und der andere Elternteil homozy-
Merkmalsträgern. Bei allen autosomal-re- got gesund, werden alle Kinder heterozy-
zessiven Erbleiden stammt der Erkrankte got gesund sein (▶ Abb. 2.5 c).
in der Regel von heterozygot gesunden El- Fast alle Stoffwechseldefekte, denen ein
tern, bei denen das krank machende Allel Ausfall eines Enzyms zugrunde liegt, wer-
sich phänotypisch nicht manifestiert. Ist den autosomal-rezessiv vererbt, z. B. Phe-
ein Elternteil heterozygot und der andere nylketonurie (Brenztraubensäureschwach-
homozygot gesund, werden alle Kinder ge- sinn), Albinismus (durch den Mangel an
sund sein (50 % homozygot und 50 % hete- Tyrosinhydroxylase ist der Stoffwechsel-
rozygot) (▶ Abb. 2.5 a). Sind beide Eltern- weg von der Aminosäure Tyrosin zum
teile heterozygot gesund, besteht für die Hautpigment Melanin gestört), zystische
Kinder ein Risiko von 25 % zu erkranken Fibrose (Mukoviszidose = durch das zähe
(▶ Abb. 2.5 b). 50 % der Kinder sind wieder- Sekret der sekretorischen Drüsen kommt
um heterozygot Gesunde, die als Anlage- es zu schweren Komplikationen im Bereich
träger das rezessive Allel tragen und wei- der Atemwege und des Magen-Darm-
tervererben. 25 % schließlich sind homozy- Trakts). Hierbei weisen heterozygot Er-
got Gesunde. Bei Familien mit geringer krankte in der Regel eine um 50 % vermin-
Kinderzahl treten die autosomal-rezessiv derte Enzymaktivität auf, die jedoch unter
vererbten Erkrankungen daher nur spora- normalen Stoffwechselbedingungen für

62
2.1 Genetik (Vererbungslehre)

ein intaktes Funktionieren des ent- X-chromosomal-dominanter


sprechenden Enzyms ausreicht. Erst bei
Erbgang


homozygot Erkrankten kommt es zu Krank-
heitszeichen. Beim dominant-rezessiven
Erbgang liegt häufig ein Übergang zum
Definition
L 2
intermediären Erbgang vor, da im hetero-
zygoten Zustand die rezessive Erbanlage Beim x-chromosomal-dominanten Erb-
nicht völlig unterdrückt ist. gang äußert sich das jeweilige Merkmal
Bei der Phenylketonurie (Häufigkeit phänotypisch bereits, wenn der Merk-
1:10 000) ist durch das Fehlen des Enzyms malsträger nur ein X-Chromosom hat,
Phenylalaninhydroxylase der Abbau von also bei Söhnen wie bei Töchtern. Ist der
Phenylalanin zu Tyrosin gestört. Dadurch Vater der Merkmalsträger, gibt er dieses
entsteht im Stoffwechsel Phenylbrenztrau- Merkmal über sein X-Chromosom grund-
bensäure, die als Ketonkörper mit dem sätzlich an seine Töchter weiter, nicht je-
Urin ausgeschieden wird. Unbehandelt doch an seine Söhne. Söhne, die dieses
kommt es bei Säuglingen zu geistiger Be- Merkmal aufweisen, haben es zwangs-
hinderung, verzögerter körperlicher Ent- läufig über das X-Chromosom der Mutter
wicklung und neurologischen Symptomen bekommen.
(Krampfanfälle). Bei rechtzeitiger Erken-
nung der Erkrankung ist durch strenge
phenylalaninarme Diät eine weitgehend Im Hinblick auf x-chromosomal-domi-
normale Entwicklung möglich. Die Diät nant vererbte Krankheiten bedeutet dies,
muss jedoch bis zum 10. Lebensjahr durch- dass alle Töchter eines erkrankten Vaters
gehalten werden, bis das Gehirn voll ent- Merkmalsträgerinnen und erkrankt sind,
wickelt ist. (▶ Abb. 2.6 a), alle Söhne eines erkrankten
Vaters jedoch gesund, da sie von ihm das
Y-Chromosom erhalten (▶ Abb. 2.6 a). Die
2.1.4 Gonosomale Kinder heterozygot erkrankter Mütter ha-
(geschlechtsgebundene) ben ein 50 %iges Risiko zu erkranken
Erbgänge (▶ Abb. 2.6 b). Insgesamt sind x-chromoso-
mal-dominant vererbte Krankheiten aller-
Geschlechtsgebundene Erbgänge liegen bei dings selten.

●V
Merkmalen vor, deren genetische Informa-
tion auf dem X-Chromosom lokalisiert ist.
Auf den X-Chromosomen gelegene Gene Zusatzinfo
haben keine homologen Allele auf den Y-
Chromosomen. Man unterscheidet x-chro- X-chromosomal-dominant ver-
mosomal-rezessive und x-chromosomal- erbte Krankheit
dominante Erbgänge. Wichtig bei diesen Ein Beispiel hierfür ist die Vitamin-D-re-
Erbgängen ist die Tatsache, dass männliche sistente Rachitis, bei der es durch einen
Nachkommen ihr X-Chromosom aus- niedrigen Blutspiegel von Phosphat zu
schließlich von der Mutter erben und es einer Unterentwicklung des Zahnschmel-
nie an ihre Söhne weitergeben. zes und einer Anomalie der Haarfollikel
kommt.

63
Genetik und Evolution

Vater ist Allelträger (krank) Mutter ist Allelträgerin (krank)

2
XX XY XX XY

XX XX XY XY XX XX XY XY

– alle Töchter krank – 50 % der Töchter krank


a – alle Söhne gesund b – 50% der Söhne krank

Zeichenerklärung: = Eltern = heterozygot


erkrankte Frauen
= Töchter
= heterozygot
erkrankte Männer
= Söhne

Abb. 2.6 X-chromosomal-dominanter Erbgang. X = X-Chromosom, Y = Y-Chromosom,


XX = weibliches Geschlecht, XY = männliches Geschlecht. a Der Vater ist Träger des X-
chromosomal-dominanten Allels und heterozygot erkrankt. b Die Mutter ist Trägerin des
X-chromosomal-dominanten Allels und heterozygot erkrankt.

X-chromosomal-rezessiver Heterozygote Genträgerinnen sind phäno-


typisch gesund, übertragen aber das
Erbgang


krankheitsverursachende Gen auf ihre

Definition
L Nachkommen, sind also sog. Konduktorin-
nen (▶ Abb. 2.7 b). Hierbei sind 50 % ihrer
Söhne erkrankt (Merkmalsträger) und 50 %
der Töchter wiederum Konduktorinnen.

●V
Beim x-chromosomal-rezessiven Erb-
gang äußert sich das jeweilige Merkmal
phänotypisch nur, wenn die betreffende
Person bezüglich dieses Gens entweder Zusatzinfo
homozygot (reinerbig) ist oder nur ein
X-Chromosom hat. Das heißt, das Merk- X-chromosomal-rezessiv ver-
mal tritt entweder bei homozygoten Frau- erbte Krankheiten
en auf oder – und dies ist deutlich häufi- Beispiele für x-chromosomal-rezessive
ger – bei Männern. Erbgänge sind die Rot-Grün-Blindheit
(Häufigkeit 1:15), die Hämophilie A und
B (Bluterkrankheit, Häufigkeit 1:10 000)
sowie die Muskeldystrophie vom Typ
Duchenne (Häufigkeit 1:3 000).

64
2.1 Genetik (Vererbungslehre)

Vater ist Allelträger (krank) Mutter ist Allelträgerin = Konduktorin

2
XX XY XX XY

XX XX XY XY XX XX XY XY

– alle Töchter Konduktorinnen – 50% der Töchter Konduktorinnen


a – alle Söhne gesund b – 50% der Söhne krank

Mutter Konduktorin – Vater krank Zeichenerklärung:

= Eltern

XX XY = Töchter

= Söhne

XX XX XY XY
= Konduktorinnen
– 50 % der Töchter krank
– nicht erkrankte Töchter = homzygot erkrankte Töchter
Konduktorinnen
c – 50 % der Söhne krank = heterozygot erkrankte Väter
bzw. Söhne

Abb. 2.7 X-chromosomal-rezessiver Erbgang. X = X-Chromosom, Y = Y-Chromosom,


XX = weibliches Geschlecht, XY = männliches Geschlecht. a Der Vater ist Träger des X-
chromosomal-rezessiven Allels und heterozygot erkrankt. b Die Mutter ist Trägerin des X-
chromosomal-rezessiven Allels, heterozygot gesund und Konduktorin. c Die Mutter ist
Konduktorin und der Vater ist erkrankt.

2.1.5 Mutationen Neben spontanen Mutationen kommt es


auch zu induzierter Auslösung von Muta-
In der Regel werden die Chromosomen tionen durch z. B. ionisierende Strahlung
und die auf ihnen lokalisierten Gene un- oder chemische Stoffe (sog. Mutagene).
verändert von Generation zu Generation Man unterscheidet:
weitergegeben. Kommt es jedoch zu spon- ● Genmutationen,
tanen oder durch mutagene Stoffe aus- ● Chromosomenmutationen (= strukturel-
gelöste Veränderungen im Genbestand, le Chromosomenaberrationen),
spricht man von Mutationen. Sie können in ● Genommutationen (= numerische Chro-
verschiedenen Zellen auftreten: mosomenaberrationen).
● in Körperzellen (somatische Mutationen)

und
● in Keimzellen (germinale Mutationen).

65
Genetik und Evolution

Genmutationen ● Deletion: Verlust eines Chromosomen-


stückes,

2 Definition
L ● Duplikation: Wiederholung eines Ab-
schnitts auf dem gleichen Chromosom,
● Inversion: umgekehrter Einbau eines
Bei Genmutationen liegen Änderungen Chromosomensegmentes,
in der Basensequenz vor. ● Translokation: Austausch von Segmen-
ten zwischen zwei nicht homologen
Chromosomen.
Genmutationen sind die wichtigsten und
häufigsten Gründe für Veränderungen im
Genommutationen


Genbestand. Die Häufigkeit, mit der sich
ein Gen verändert, liegt durchschnittlich
zwischen 1:10 000 und 1:100 000. Genmu-
tationen entstehen durch Fehler bei der Definition
L
identischen Replikation der Gene, d. h. Bei Genommutationen wird die Zahl der
durch Fehler, die bei der Replikation der Chromosomen verändert (numerische
DNA-Stränge auftreten und Änderungen in Chromosomenaberrationen).
der Basensequenz bewirken. Dadurch än-
dert sich die Abfolge der Aminosäuren in
dem Protein, das von dem betreffenden
Ursache hierfür sind Fehlverteilungen der
DNA-Molekül gebildet wird. Die Folge ist
Chromosomen bei Meiose und Mitose. Sie
eine Veränderung der Proteinfunktion, die
sind evtl. auf den Verlust der Zentromer-
sich im Phänotypus des von der Mutation
Region eines Chromosoms oder die fehler-
betroffenen Individuums niederschlagen
hafte Ausbildung der Teilungsspindel
kann.
zurückzuführen. Die Folge sind Chromoso-
menzahlen, die vom normalen Karyo-
Chromosomenmutationen gramm (S. 25) abweichen (Aneuploidie).


Kommt es beispielsweise in der 1. Reifetei-

Definition
L lung der Meiose zu einer fehlenden Tren-
nung homologer Chromosomen, spricht
man von „Non-disjunction“ (Nicht-Aus-
Bei Chromosomenmutationen liegen einanderweichen). Dies kann sowohl die
lichtmikroskopisch identifizierbare Verän- Autosomen als auch die Gonosomen be-
derungen der Chromosomenstruktur vor treffen.
(strukturelle Chromosomenaberrationen).
▶ Fehlverteilungen von Autosomen. Die-
se werden v. a. bei kleinen Chromosomen
Sie kommen z. B. durch „Crossing-over“, beobachtet. Lebendgeborene weisen fast
d. h. durch den Austausch von Chromo- ausschließlich Trisomien auf, wobei das
somenstücken zustande oder dadurch, Chromosom 21 am häufigsten betroffen ist
dass Chromosomen auseinanderbrechen (Trisomie 21 oder Down-Syndrom). Be-
und sich in anderer Form wiedervereini- merkenswert ist, dass autosomale Triso-
gen. Strukturelle Chromosomenaberratio- mien eine ausgeprägte Altersabhängigkeit
nen sind seltener als numerische (Verhält- aufweisen.
nis strukturelle/numerische Aberration:
1:2000). Man unterscheidet:

66
2.2 Evolution (Abstammungslehre)

Zusatzinfo
Down-Syndrom (Trisomie 21)
●V ▶ Fehlverteilungen von Geschlechtschro-
mosomen. Sie führen im Allgemeinen
nicht zu einem Absterben des Embryos.
Sowohl ein überzähliges (gonosomale Tri-
Während bei jungen Frauen das Risiko,
2
somie) als auch ein fehlendes Geschlechts-
ein Kind mit Trisomie 21 (Down-Syn- chromosom (gonosomale Monosomie) ha-
drom) zur Welt zu bringen, bei 1:2 500 ben meist keine schwere Behinderung zur
liegt, erhöht es sich bei Müttern ab 40 Folge, die geistige Entwicklung ist meis-
Jahren auf 1:50. Die erkrankten Kinder tens völlig normal. Lediglich die Fortpflan-
weisen unterschiedlich starke geistige zungsfähigkeit ist in der Regel aufgehoben.
Behinderungen sowie typische körper-
liche Auffälligkeiten auf, wie z. B. schräge
Lidachsen, eine Vierfingerfurche, einen 2.2 Evolution
kurzen runden Schädel, eine flache Na-
(Abstammungslehre)


senwurzel und einen gedrungenen Kör-

L
perbau. Von den Fehlbildung bei inneren
Organen ist am häufigsten das Herz be-
troffen. Definition

●V
Die Evolution (Abstammungslehre) be-
sagt, dass sich die heutigen Lebewesen
über Jahrmillionen durch bestimmte Evo-
Zusatzinfo lutionsfaktoren aus früheren, einfacheren
Turner- und Klinefelter-Syn- Lebensformen (eventuell sogar nur aus
drom einer einzigen) entwickelt haben.
Die einzige lebensfähige gonosomale
Monosomie betrifft das X-Chromosom
(Turner-Syndrom: Karyogramm 45, X0 Das Leben auf der Erde tritt in einer unge-
mit einer Häufigkeit von 1:2 500 – 45, X0 heuren Mannigfaltigkeit auf. Über 1,5 Mil-
bedeutet: 44 Autosomen + 1 Gonosom lionen Tierarten und fast 500 000 Pflan-
[X] = 45; 1 Gonosom fehlt [0]). Frauen zenarten sind bis heute beschrieben und
mit einem Turner-Syndrom haben einen nahezu täglich werden neue Arten ent-
weiblichen Phänotyp, sind aber nicht deckt (andererseits werden durch den
fortpflanzungsfähig. Auffällige Körper- Menschen nahezu täglich Arten ausgerot-
merkmale sind Minderwuchs, eine über- tet!). Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
schüssige Hautfalte am Hals (Pterygium galt in der Biologie die aus der biblischen
colli) sowie Fehlentwicklungen von inne- Schöpfungsgeschichte abgeleitete und vor-
ren Organen (z. B. Herzfehler). Beim herrschende Lehrmeinung von der „Unver-
Klinefelter-Syndrom handelt es sich um änderlichkeit der Arten“. So vertrat der
eine gonosomale Trisomie (Karyogramm: schwedische Naturforscher Carl von Linné
47, XXY mit einer Häufigkeit von 1:900 – (1707 – 1778) die Ansicht, dass die auf der
47, XXY bedeutet: 44 Autosomen + 3 Go- Erde vorkommenden Arten seit Beginn des
nosomen [XXY], 1 Gonosom ist überzäh- Lebens auf der Erde existieren. Sein Ver-
lig [X]). Betroffene haben einen männ- dienst war es, die zu seiner Zeit bekannten
lichen Phänotypus mit eunuchoidem Tier- und Pflanzenarten aufgrund von Bau-
Hochwuchs und unterentwickelten Ho- ähnlichkeiten in einem einheitlichen Sys-
den (Hypogonadismus). tem zu ordnen und zu beschreiben. Erst zu
Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die ge-

67
Genetik und Evolution

staltliche Ähnlichkeit auch unter einem strukturellen Abwandlungen vertreten


verwandtschaftlichen Aspekt gesehen, sein kann, stellt den sog. Genpool einer Po-
d. h., verwandte Arten wurden einem ge- pulation dar. Die Häufigkeit, mit der be-
2 meinsamen Ahnen zugeschrieben. Es war stimmte Allele in einer Population vertre-
schließlich Charles Darwin (1809 – 1882), ten sind, bezeichnet man als Genfrequenz.
der diese Gedanken aufgriff und sie durch Neben seltenen Genen oder Allelen mit ge-
eine Fülle von Beobachtungen aus der ver- ringer Frequenz, z. B. solchen, die durch
gleichenden Anatomie, der Paläontologie Mutation erst vor Kurzem entstanden sind,
und der Tier- und Pflanzengeografie er- gibt es Gene oder Allele mit sehr hoher
gänzte. Dies war die Geburtsstunde der Frequenz. Evolution läuft daher ab, wenn
heute allgemein anerkannten Abstam- sich die Genfrequenzen in einer Population
mungslehre (Evolutionslehre). In seinem im Laufe der Generationsfolge verändern.
1859 erschienenen Buch „Die Entstehung
der Arten“ („On the origin of species by ▶ Genetische Variabilität. Geschlechtliche
means of natural selection“) beschrieb er Fortpflanzung führt ständig zu neuen Gen-
die Abstammung der heutigen Lebewesen kombinationen bei den Individuen einer
von früheren einfachen Formen und gab Art. Man nennt diese Veränderbarkeit der
gleichzeitig eine einleuchtende Darstellung Genzusammensetzung genetische Varia-
der Ursachen für die Evolution der Orga- bilität. Sie wird erhöht durch das Auftreten
nismen an. neuer Allele infolge von Genmutationen.

▶ Ökologische Nische. Dieser Begriff be-


2.2.1 Grundbegriffe der zeichnet die Gesamtheit aller Umweltfak-
Evolutionstheorie toren, die eine Art in einem Lebensraum
(Ökosystem) nutzt. Die Besetzung ver-
Um die Wirkung der nachfolgend beschrie- schiedener ökologischer Nischen ermög-
benen Evolutionsfaktoren (S. 68) zu verste- licht es, dass eine Vielzahl von Arten in
hen, sind einige Grundbegriffe wichtig: einem Lebensraum (Ökosystem) miteinan-
der lebt, ohne untereinander zu konkurrie-
▶ Art und Population. Alle Lebewesen, ren.
die in ihren wesentlichen Merkmalen
übereinstimmen und miteinander frucht-
bare Nachkommen haben können, fasst 2.2.2 Evolutionsfaktoren
man zu einer Art zusammen. Die einzelnen
Als Motoren der Evolution sind folgende
Individuen dieser Art, die zu gleicher Zeit
Evolutionsfaktoren bekannt:
in einem bestimmten Gebiet leben und
● Selektion
sich fortpflanzen, bilden eine Population.
● Mutation
● Rekombination
▶ Genpool und Genfrequenz. Der Ge-
● Gendrift
samtbestand an Genen, von denen jedes in
● Isolation
sehr vielen verschiedenen Allelen, d. h.

68
2.2 Evolution (Abstammungslehre)

Selektion Hieraus folgerte Darwin, dass in dem Wett-


bewerb oder dem „Kampf ums Dasein“

Definition
L („struggle for life“) nur die am besten an
ihre Umwelt angepassten Individuen über- 2
leben (Überleben des Tauglichsten –„survi-
Selektion beschreibt nach Charles Dar- val of the fittest“). Der Wettbewerb hierbei
win die „natürliche Auslese“, die unter ist nicht auf eine Art beschränkt, auch Or-
Lebewesen stattfindet, die dieselbe öko- ganismen unterschiedlicher Arten können
logische Nische besetzen und sich daher untereinander konkurrieren, wenn sie z. B.
in einem Wettbewerb untereinander be- ähnliche ökologische Nischen besetzen.
finden. Es überlebt das Lebewesen, das Der Wettbewerb führt dazu, dass sich in-
am besten an die jeweiligen Umweltfak- nerhalb einer ökologischen Nische auf Dau-
toren angepasst ist („survival of the fit- er oft nur eine Art behaupten kann. Weni-
test“). ger gut angepasste Arten sterben aus oder
werden in andere Nischen abgedrängt. Die
natürliche Auslese, die Selektion („natural
Eine wichtige Frage innerhalb der Evolu- selection“), führt auf diese Weise durch
tionsforschung war und ist, die Ursachen eine sich ständig verbessernde Anpassung
des Evolutionsgeschehens, d. h. die eine an die Umweltverhältnisse zu einer all-
Evolution bewirkenden und ermöglichen- mählichen Umbildung der Arten. Die Taug-
den Faktoren zu erfassen (kausale Evolu- lichkeit („Fitness“) eines Lebewesens ist
tionsforschung). Auch hier war es Darwin, daher am einfachsten an der Zahl über-
der die verblüffend einfache Lösung des lebender Nachkommen festzustellen.
Kausalproblems mit seiner Selektionstheo- Charles Darwins Selektionstheorie kam
rie („survival of the fittest“ – Überleben jedoch erst zur vollen Geltung, als es im
der Tauglichsten) erklärte. Er ging hierbei letzten Jahrhundert gelang, die Ergebnisse
von folgenden Tatsachen aus: der Vererbungslehre (S. 54) in seine Theo-
● Die Lebewesen erzeugen viel mehr Nach- rie einzufügen.
kommen, als zur Erhaltung der Art not-
wendig wäre. Obwohl zur Erhaltung der
Mutation


Art zwei zur Fortpflanzung gelangende
Nachkommen genügen würden, werden
oft Tausende, ja Millionen von Nachkom-
men erzeugt. Trotzdem bleibt in einem Definition
L
Lebensraum bei gleichen Umweltbedin- Als Mutation bezeichnet man eine zufäl-
gungen die Anzahl der Individuen über lig auftretende Änderung der Erbsubs-
längere Zeit konstant. tanz.
● Die Nachkommen eines Elternpaars sind

nicht alle gleich, sie variieren in ihren


Erbmerkmalen.
Betrachtet man die Evolution als Prozess,
● Die Lebewesen schließlich stehen unter-
der dazu führt, dass die Nachkommen im
einander in ständigem Wettbewerb um
Laufe der Generationenfolge andersartig
günstige Lebensbedingungen, um Nah-
als ihre Vorfahren werden, kommt der Ver-
rung, Lebensraum und Geschlechtspart-
änderbarkeit der Gene (Mutabilität) eine
ner.
wichtige Bedeutung zu.
Die verschiedenen Arten von Mutatio-
nen (S. 65) erweitern zwangsläufig die ge-

69
Genetik und Evolution

netische Vielfalt einer Population, wobei Gendrift


die Summe der Änderungen in einem be-

2
stimmten Zeitraum als Mutationsdruck
bezeichnet wird. Ihm steht der von der na- Definition
L
türlichen Auslese (Selektion) gesetzte Se-
lektionsdruck gegenüber, der ungünstige Als Gendrift bezeichnet man zufalls-
Mutationen ausmerzt. bedingte Änderungen des Genpools.
Diese Veränderungen können z. B. auch
ohne Mutationen und Selektionen auf-
Rekombination


treten.

Definition
L So kann eine Gruppe von Trägern be-
Durch die Rekombination der Erbanla- stimmter Merkmale innerhalb einer Popu-
gen bei der Bildung der Keimzellen ent- lation durch Krankheiten, Unwetter, Wald-
stehen immer wieder neue Allelkombina- brände oder andere Umstände plötzlich
tionen, d. h. neue Genotypen. Dies führt aussterben. An ihre Stelle kann sich der
zu einer hohen Variabilität und damit zu überlebende Teil der Population mit ande-
neuen Phänotypen. rer genetischer Zusammensetzung aus-
breiten. Auf diese Weise beeinflusst zufäl-
liger Tod oder zufälliges Überleben von
bestimmten Merkmalsträgern (und ihrer
Hierdurch werden die Voraussetzungen
Gene) die Zusammensetzung einer Popula-
geschaffen, dass geeignete Phänotypen mit
tion entscheidend.
ihren günstigen Genkombinationen die
Chancen für zufällig gutes Angepasstsein
erhöhen, worin die grundlegende Bedeu- Isolation


tung der Bisexualität zu sehen ist.
Eine genetische Rekombination ist nur
bei geschlechtlicher Fortpflanzung mög- Definition
L
lich, denn sie erfolgt durch Zufallsvertei-
lung der väterlichen und mütterlichen Gruppen von Individuen einer Art, also
Chromosomen sowie durch „crossing over“ Populationen, können sich durch Isola-
bei der Meiose. Da die Organismen im All- tion unterschiedlich weiterentwickeln,
gemeinen sehr viele Gene besitzen, ent- d. h., wenn sie voneinander getrennt
steht eine Fülle von Rekombinationsmög- werden und keinen gemeinsamen Gen-
lichkeiten für die Nachkommen, was dazu pool mehr bilden.
führt, dass praktisch nie ein Nachkomme
desselben Elternpaares dem andern gene-
tisch völlig gleich ist (Ausnahme: eineiige Unter den verschiedenen Isolationsmecha-
Zwillinge). nismen hat die sog. geografische Separa-
tion die verbreitetste und nachhaltigste
Wirkung. Eine geografische Separation
kann z. B. eintreten, wenn sich das Klima
ändert und Teile von Populationen etwa
durch Versteppung, Versumpfung oder
Vereisung ihres Areals in verschiedene
Richtungen abgedrängt werden. Das ur-

70
2.2 Evolution (Abstammungslehre)

sprünglich einheitliche Verbreitungsgebiet Zwischen Onto- und Phylogenese besteht


einer Art wird dadurch stark aufgesplittert. ein Zusammenhang, den der deutsche Na-
Die nun eintretende Entwicklung ohne turforscher Ernst Haeckel (1834 – 1919) in
Genaustausch zwischen den Gruppen be- der sog. biogenetischen Grundregel formu- 2
wirkt eine Aufspaltung der Art. Zunächst lierte: Die Ontogenese eines Wirbeltier-
bilden sich Formen, die sich nur in weni- organismus ist die kurze und schnelle
gen Merkmalen voneinander unterschei- Rekapitulation (Wiederholung) der Phylo-
den. Auf diese Weise können sich Unter- genese. So durchlaufen nahezu alle Wirbel-
arten oder Rassen bilden, die sich jedoch tiere, also auch der Mensch, in der Keimes-
noch miteinander paaren und fruchtbare entwicklung ein Embryonalstadium, in
Nachkommen zeugen können. Nehmen die dem sie einem Fischembryo auffallend
Merkmalsunterschiede im Laufe der Zeit ähnlich sind und wie dieser z. B. Kiemen-
weiter zu, kann es zur Ausbildung einer bögen anlegen, auch wenn es nie zur Aus-
Fortpflanzungsschranke kommen und eine bildung eines Kiemenapparates kommt
Paarung ist nicht mehr möglich. Damit (▶ Abb. 2.8). Dies kann als Beweis dafür he-
sind die beiden Genpools endgültig ge- rangezogen werden, dass die Evolution der
trennt und es sind zwei voneinander unab- Wirbeltiere ganz sicher mit im Wasser le-
hängige Arten entstanden. benden und durch Kiemen atmende For-
men begann.

2.2.3 Evolutionsbeweise
Homologe Organe


Als Beweise für die Evolution werden fol-
gende Belege herangezogen:
● embryologische Fakten: Onto- und Phy-
Definition
L
logenese,
● homologe Organe, Homologe Organe sind Organe, die im
● rudimentäre Organe, Bauplan der Lebewesen dieselbe Lage
● Atavismen. einnehmen und sich stammesgeschicht-
lich auf die gleichen morphologischen
Strukturen zurückführen lassen.
Onto- und Phylogenese

Definition ●
L
Als Ontogenese bezeichnet man die indi-
In diesem Sinne sind der Flügel der Fleder-
maus, das Grabbein des Maulwurfs,
die Flosse eines Wals und der Arm des
viduelle Keimesentwicklung, als Phyloge- Menschen homologe Organe. Trotz ver-
nese die über Millionen von Jahren ablau- schiedener Gestalt ist dieselbe Einteilung
fende stammesgeschichtliche Entwicklung in Oberarm, Unterarm, Handwurzel- und
der Lebewesen von wenigen einfachen Mittelhandknochen sowie Fingerglieder
(einzelligen) Formen bis zu den heute vorhanden und jedes einzelne Teil hat bei
existierenden verschiedenen Tier- und allen noch so unterschiedlich aussehenden
Pflanzenarten mit unterschiedlich hoher Gliedmaßen dieselbe Lage im Verband.
Organisationsstufe.

71
Genetik und Evolution

Fisch Amphibie Reptil Vogel Mensch

Kiemen-
bögen

Abb. 2.8 Embryonalentwicklung. Unterschiedliche Entwicklungsstadien von Wirbeltieren


während der Embryonalentwicklung. Die frühen Entwicklungsstadien (obere Reihe) von
Mensch, Vogel, Reptil, Amphibie und Fisch sind sich sehr ähnlich und zeigen eine
auffallende Übereinstimmung in der Gestalt und in der Anlage der Kiemenbögen.
Menschliche Embryonen erinnern in der 5 .– 7. Entwicklungswoche an Keime von Fischen,
ein Beweis für die Abstammung des Menschen von ursprünglichen Formen.

Rudimentäre Organe Im Laufe der Evolution haben die Organis-


men ihre Lebensweise vielfach geändert.

Definition
L Dies hat einen Funktionswechsel ihrer
Organe bedingt. Zu den eindrucksvollsten
Beweisen der Abstammungslehre zählen
Rudimentäre Organe sind weitgehend daher rudimentäre Organe. Solche Rück-
funktionslos gewordene, rückgebildete bildungen (Organrudimente) sind beim
Stadien eines Organs bzw. einer Struktur, Menschen z. B. das dichte Haarkleid des
wie z. B. das Steißbein als Rudiment einer Embryos, das Steißbein als Anlage einer
Schwanzwirbelsäule. embryonal angelegten Schwanzwirbel-

72
2.2 Evolution (Abstammungslehre)

säule, der Blinddarm mit dem Wurmfort- So können beispielsweise manche Men-
satz als Rudiment eines früheren größeren schen ihre Ohren sehr gut bewegen. Neu-
Darmanhangs, in dem Nahrung auf- geborene tragen manchmal ein Stummel-
geschlossen wurde oder die funktionslos schwänzchen. Das Auftreten überzähliger 2
gewordenen Muskeln der Ohrmuscheln. Brustwarzen, die entlang einer bauchwärts
Auch der sog. Darwin-Höcker, ein bei eini- gerichteten Milchleiste angeordnet sind,
gen Menschen am Ohr befindlicher kleiner erinnern an bauchständige Zitzenpaare,
Höcker, soll einer entwicklungsgeschicht- wie sie bei Säugetieren mit einer größeren
lich umgeformten Spitze des Säugetieroh- Zahl von Jungen pro Wurf üblich sind. Das
res entsprechen. Auftreten solcher Atavismen spricht dafür,
dass in diesen Fällen die entsprechenden
Gene noch im Genom enthalten, aber ent-
Atavismus


weder blockiert sind oder zu einem fal-

Definition
L schen Zeitpunkt in der Ontogenese aktiv
werden.

Von Atavismus (Rückschlag) spricht


man, wenn bei Organismen plötzlich
wieder Merkmale auftreten, die im Laufe
der Stammesgeschichte bereits ver-
schwunden waren.

Zusammenfassung – Genetik und Evolution


Genetik (Vererbungslehre)

M
den sich jeweils entsprechenden (homo-
● Das genetische Programm ist in Form logen) Chromosomen.
von Informationseinheiten, den Genen ● Diese Gene heißen Allele (S. 54). Sind
(= Erbanlagen, S. 54), in den Chromoso- ihre Informationen identisch, ist der Trä-
men der Kerne jeder Zelle gespeichert. ger für dieses Merkmal reinerbig (homo-
Ein Gen erstreckt sich über 1000 – zygot), sind sie es nicht, ist er misch-
10 000 Basenpaare (300 – 3 000 Basen- erbig (heterozygot).
tripletts) der DNA und enthält z. B. die ● Bei Heterozygoten ist ein Allel dominant,
Information für ein Protein. Ein Merkmal wenn es für die Ausprägung eines Merk-
kann von mehreren Genen bestimmt mals, den Phänotyp (Genotyp = geneti-
werden. Die DNA aller Chromosomen sche Information dazu), allein verant-
(23 Chromosomen = haploider Chromo- wortlich ist. Das im Phänotyp nicht in Er-
somensatz) besteht aus 3 Milliarden Ba- scheinung tretende Allel wird überdeckt,
senpaaren. es ist rezessiv. Bestimmen beide Allele
● 23 Chromosomenpaare (= diploider den Phänotyp, liegt Kodominanz vor
Chromosomensatz) enthalten das ge- (d. h., beide Merkmale kommen neben-
samte Erbgut (= Genom, S. 54), das ca. einander vor). Beim intermediären Erb-
20 000 – 25 000 Gene umfasst. Hierbei gang ist das ausgeprägte Merkmal das
kommt jedes Gen zweimal vor, nämlich Ergebnis einer Mischung beider Allele.
als väterliches und als mütterliches auf

73
Genetik und Evolution

● Die Mendel-Gesetze (S. 55) beinhalten ● Man unterscheidet autosomale und go-
die Verteilungsregeln bei der Weiterga- nosomale Erbgänge und dabei jeweils
be einzelner Erbanlagen von Generation dominante und rezessive.
2 zu Generation und wurden formuliert, ○ Beim autosomal-dominanten Erbgang

bevor die Gene entdeckt wurden. Vo- (S. 59) ist der Phänotyp von einem
raussetzung sind erstens reinerbige Ver- dominantem Gen bestimmt, das auf
suchsorganismen (bezogen auf die be- einem Autosom liegt.
obachteten äußeren Merkmale) und ○ Beim autosomal-rezessiven Erbgang

zweitens die Lage der beobachteten (S. 61) liegt das rezessive Gen für das
Merkmale bzw. der sie bestimmenden Merkmal auf einem Autosom, das
Gene auf unterschiedlichen Chromoso- Merkmal prägt sich phänotypisch je-
men: doch nur bei homozygoten Trägern
○ 1. Mendel-Gesetz (Uniformitätsregel) aus.
(S. 56): Kreuzung zweier reinerbiger ○ Bei geschlechtsgebundenen (gonoso-

Organismen, die sich in einem oder malen) Erbgängen (S. 63) liegt die ge-
mehreren Merkmalen (Allelen) unter- netische Information für ein bestimm-
scheiden, ergibt phänotypische Uni- tes Merkmal auf dem X-Chromosom.
formität in der heterozygoten F1-Ge- Da kein homologes Allel auf dem Y-
neration beim dominant-rezessiven Chromosom vorhanden ist, besitzt ein
(dominantes Allel bestimmt Phäno- Mann jeweils nur ein Allel aller Gene
typ) sowie beim intermediären Erb- des X-Chromosoms, er ist somit hemi-
gang. zygot. Bei an das Geschlechtschromo-
○ 2. Mendel-Gesetz (Spaltungsregel) som gebundenen Erbkrankheiten sind
(S. 56): Aufspaltung der Phänotypen in bei X-chromosomal-rezessivem Erb-
der F2-Generation im Verhältnis gang Söhne häufiger erkrankt, wäh-
3:1 = dominantes : rezessives Merk- rend Töchter häufiger Überträger
mal; genotypische Aufspaltung (Konduktorinnen) sind. Bei den selte-
1:2:1 = reinerbig im dominanten nen X-chromosomal-dominanten Erb-
Merkmal : mischerbig mit dominan- gängen sind Töchter häufiger erkrankt
tem Merkmal : reinerbig im rezessiven als Söhne, weil bei erkranktem Vater
Merkmal. Beim intermediären Erb- die Söhne nie, die Töchter aber auf je-
gang ist die Aufspaltung phänotypisch den Fall das X-Chromosom des Vaters
wie genotypisch 1:2:1. erben.
○ 3. Mendel-Gesetz (Unabhängigkeits- ● Mutationen sind spontane oder durch
regel) (S. 59): Bei Kreuzung zweier mutagene Stoffe ausgelöste Verände-
reinerbiger Organismen, die sich in rungen im Genbestand der Körperzellen
zwei Merkmalen (Allelen) unterschei- (somatische Mutationen) oder der Keim-
den, werden die einzelnen Gene unab- zellen (germinale Mutationen):
hängig voneinander vererbt. Voraus- ○ Genmutationen (S. 66): Die Häufigkeit

setzung: Die Gene müssen sich auf beträgt 1:10 000 – 1:100 000. Verän-
verschiedenen Chromosomen befin- derungen der Basensequenz entste-
den. In der F2-Generation ergeben hen durch Fehler bei der identischen
sich 16 verschiedene Genotypen und Verdopplung (Replikation).
4 Phänotypen (Aufspaltung 9:3:3:1).

74
Zusammenfassung

○ Chromosomenmutationen (S. 66): Die herrschenden Umweltbedingungen


Häufigkeit liegt bei 1:200. Strukturelle am besten angepasst sind. Eine Verän-
Chromosomenaberrationen sind Ver- derung der Umwelt hat somit eine all-
änderungen der Chromosomenstruk- mähliche Umbildung der Arten zur
2
tur z. B. durch den Austausch von Folge.
Chromosomenstücken infolge eines ○ Mutationen (S. 69): Die verschiedenen

„crossing-over“, durch das Auseinan- Mutationen erhöhen die genetische


derbrechen von Chromosomen und Vielfalt der Population.
die Vereinigung in anderer Form (De- ○ Rekombination (S. 70): Durch die Re-

letion, Duplikation, Inversion, Trans- kombination bei der geschlechtlichen


lokation). Fortpflanzung (Zufallsverteilung der
○ Genommutationen (S. 66): Eine Verän- väterlichen und mütterlichen Chro-
derung der Chromosomenzahl durch mosomen bei der Meiose; Crossing-
Fehler bei Mitose und Meiose. Diese over) entstehen immer neue Geno-
numerischen Chromosomenaberratio- und Phänotypen (erhöhte Variabilität).
nen betreffen sowohl Autosomen als ○ Gendrift (S. 70): zufallsbedingte Ände-

auch Gonosomen. Bei Autosomen rungen des Genpools ohne Mutation


sind v. a. kleine Chromosomen betrof- und Selektion z. B. durch Naturkata-
fen (meist Trisomien: Trisomie 21, strophen.
altersabhängige Häufigkeit 1:50 – ○ Isolation (S. 70): Verhinderung des

1:2 500). Bei den Gonosomen gibt es Genaustausches innerhalb einer


gonosomale Trisomien (z. B. XXY = Kli- Population durch geografische Sepa-
nefelter-Syndrom), die abgesehen von ration. Dies bewirkt nach und nach die
einigen körperlichen Schwächen ledig- Aufspaltung der Art und die endgülti-
lich nicht fortpflanzungsfähig sind, ge Trennung des Genpools. Unter-
und Monosomien, die außer X0 (= Tur- schiedliche Umweltbedingungen be-
ner-Syndrom) nicht lebensfähig sind. günstigen unterschiedliche Merkmale.
Nach Ausbildung einer Fortpflan-
Evolution (Abstammungslehre) zungsschranke sind zwei voneinander
● Charles Darwin war einer der Begründer unabhängige Arten entstanden.
der Evolution (S. 67), die besagt, dass ● Als Art (S. 68) bezeichnet man alle Lebe-
sich die heutigen höheren Lebewesen im wesen, die in ihren wesentlichen Merk-
Laufe der Jahrmillionen aus früheren ein- malen übereinstimmen und miteinander
fachen Formen entwickelt haben. Als fruchtbare Nachkommen haben können.
Motoren der Evolution gelten heute fol- ● Zu einer Population (S. 68) zählen Indivi-
gende Evolutionsfaktoren: duen einer Art, die zu gleicher Zeit in
○ Selektion (S. 69): Gemäß der Selekti- einem Gebiet leben und sich fortpflan-
onstheorie von Charles Darwin gilt das zen.
Prinzip „survival of the fittest“. Als Fol- ● Der Genpool (S. 68) ist der Gesamt-
ge intraspezifischer (innerhalb der Art) bestand der Gene in einer Population;
und interspezifischer Konkurrenz (zwi- die Genfrequenz (S. 68) die Häufigkeit,
schen den Arten) werden durch natür- mit der bestimmte Allele in einer Popu-
liche Auslese die schwächsten Nach- lation vertreten sind.
kommen sterben, bevor sie die Ge-
schlechtsreife erreichen. Dadurch ver-
mehren sich nur diejenigen, die an die

75
Genetik und Evolution

● Es existieren folgende Evolutionsbewei- ○ Rudimentäre Organe (S. 72): Rückbil-


se: dung von Organen durch die Verände-
○ Embryologische Fakten (S. 71): Die Kei- rung der Lebensweise im Laufe der
2 mesentwicklung (Ontogenese) ist eine Stammesentwicklung.
kurze und schnelle Rekapitulation der ○ Atavismus (S. 73): plötzliches Wieder-
Stammesentwicklung (Phylogenese). auftreten von Merkmalen, die im Lau-
○ Homologe Organe (S. 71): Organe, die fe der Stammesgeschichte bereits ver-
stammesgeschichtlich auf die gleichen schwunden waren.
morphologischen Strukturen zurück-
zuführen sind.

76
© photoDisc

Kapitel 3 3.1 Gewebearten im


Überblick 78
Gewebe
3.2 Epithelgewebe 78

3.3 Binde- und Stütz-


gewebe 82

3.4 Muskelgewebe 95

3.5 Nervengewebe 106


Gewebe

3 Gewebe
Gewebe setzen sich aus Zellen und der von
ihnen produzierten, zwischen ihnen liegen-
3.2 Epithelgewebe
den Substanz (Interzellularsubstanz, von lat. Epithelgewebe ist Deckgewebe, es bedeckt
3 ‚inter‘ = zwischen) zusammen. Dabei bilden äußere und innere Körperoberflächen
immer die Zellen, die gleichartig gebaut (Haut und Schleimhaut). Mechanischen
(= differenziert) sind und ähnliche Aufgaben Halt bekommt es durch die dünne Basal-
erfüllen, einen Zellverband, z. B. Muskelzellen membran (Glashaut), auf der es sitzt. Da
das Muskelgewebe. Je nach Funktion des Ge- Epithelgewebe selbst keine Blutgefäße ent-
webes stehen Zelle oder Interzellularsubstanz hält, wird es vom darunterliegenden Bin-
im Vordergrund. So gibt es in Epithel-, Ner- degewebe ernährt. Im Unterschied zu die-
ven- und Muskelgewebe wenig Zwischenzell- sem besteht es hauptsächlich aus sehr eng
substanz, die Zellen stehen dicht nebeneinan- miteinander verbundenen Zellen und ist
der. Im Falle des Epithelgewebes hat dies u. a. so in der Lage, zwei Räume voneinander
den Sinn, dass eine Barriere nach außen oder abzugrenzen (Schutzfunktion). Innerhalb
innen entsteht, wie sie z. B. die Haut der Kör- der Epithelgewebe unterscheidet man im
peroberfläche darstellt. Im Bindegewebe da- Hinblick auf die im Vordergrund stehenden
gegen dominiert die Interzellularsubstanz, Leistungen:
weil das Bindegewebe neben vielen anderen ● oberflächenbildende Epithelien: bede-
Aufgaben die Funktion hat, Organe und Blut- cken äußere und innere Körperober-
gefäße miteinander zu verbinden. Dies erfor- flächen (als Haut und Schleimhaut),
dert viel Interzellularsubstanz zwischen nur schützen den Körper (Protektion) und
locker nebeneinanderliegenden Zellen. verbinden ihn durch Stoffausscheidung
(Sekretion) und Stoffaufnahme (Resorp-
tion) mit der Umwelt;
3.1 Gewebearten im ● Drüsenepithelien: produzieren Stoffe

(Sekrete), die sie über bestimmte Aus-


Überblick führungsgänge an innere oder äußere
Man unterscheidet herkömmlicherweise Körperoberflächen abgeben (exokrine
vier Gewebearten: Drüsen) oder die direkt, ohne Vermitt-
● Epithelgewebe, lung eines Ausführungsganges, in das
● Binde- und Stützgewebe, Blut gelangen (endokrine Drüsen), z. B.
● Muskelgewebe und als Hormone;
● Nervengewebe. ● Sinnesepithelien: sind am Aufbau von

Sinnesorganen beteiligt und vermitteln


Sinnesempfindungen (z. B. als Netzhaut
im Auge) (▶ Abb. 3.1).

Abb. 3.1 Epithelfunktionen. Beispiele unterschiedlicher Epithelfunktionen, a Epidermis der ▶


Haut, b Dünndarmzotten, c exokrine Drüse, d Netzhaut im Auge.

78
3.2 Epithelgewebe

Hornschicht
verhornende
Schicht

Stachelzellschicht

Basalzellschicht 3
Basalmembran
Blutgefäß
a Epidermis der Haut Lederhaut

resorbierendes
Epithel

Blutgefäß
Zottenbinde-
gewebe

b Dünndarmzotten

Epithel
Drüsenmündung

Ausführungsgang
der Drüse

Drüsenendstück

c exokrine Drüse Blutgefäß

Sinneszellen
(Stäbchen und Zapfen)
Kerne der
Sinneszellen

Kerne der bipolaren


Nervenzellen

Ganglienzellschicht
Blutgefäß
d Netzhaut im Auge Nervenfasern

79
Gewebe

3.2.1 Oberflächenbildende Plasmamembran (Mikrovilli), die eine star-


ke Oberflächenvergrößerung hervorrufen
Epithelien


(▶ Abb. 3.2). Dieser sog. Bürstensaum be-

Definition
L schleunigt im Dünndarm die Aufnahme
von Nahrungsbestandteilen und dient z. B.
in der Gallenblase durch Resorption von
3 Oberflächenbildende Epithelien werden Flüssigkeit der Eindickung der Galle. Eine
nach ihrer Gestalt unterteilt in: besondere Form der Zellausstülpungen
● Plattenepithel, stellen die Stereozilien dar, die schmaler als
● isoprismatisches (kubisches) und Mikrovilli sind und häufig in dichten Bü-
● hochprismatisches (Zylinder-)Epithel. scheln auf der Zelloberfläche angeordnet
sind. Im Nebenhodengang dienen sie eben-
falls Resorptions- und Sekretionsvorgän-
Aufgrund der Anordnung der Schichten
gen.
(Schichtenbildung) werden sie in ein-
schichtiges, mehrschichtiges und mehr-
▶ Kinozilien. Sind die Zellfortsätze eigen-
reihiges Epithel unterteilt.
beweglich, spricht man von Kinozilien. Sie
kommen z. B. am respiratorischen Epithel
des Atemtraktes vor (▶ Abb. 3.2), wo eine
Mehrschichtige Epithelien werden nach der
Zelle zwischen 200 und 300 Kinozilien
Gestalt der obersten Zellschicht benannt,
trägt (Flimmerhaare). Durch koordinierte
z. B. mehrschichtiges Plattenepithel
wellenartige Bewegungen (etwa 20 Schlä-
(▶ Abb. 3.2). Mehrreihige Epithelien sind
g