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Vincentian Family Office ● Bureau de la Famillie Vincentienne ● Oficina de la Familia Vicenciana

Rom, am 18. November 2022


WWW: famvin.org

ADVENTBRIEF
DIE EVANGELISCHEN RÄTE:
VFO@famvin.org

EINE ALLGEMEINE BERUFUNG ZUR HEILIGKEIT

An alle Mitglieder der vinzentinischen Familie


+1 (215) 715-3984

Liebe Brüder und Schwestern,

Die Gnade und der Friede Jesu seien immer mit uns
500 East Chelten Avenue, Philadelphia, PA 19144, USA

Dieser Adventsbrief ist eine Einladung zu beten, zu meditieren und die


evangelischen Räte zu verinnerlichen als Mittel, um unseren Weg mit Vinzenz von Paul,
dem „Mystiker der Nächstenliebe“, weiterzugehen. Jesus ist das Zentrum unseres Lebens,
unseres Handelns und unserer Sehnsüchte. Für uns Christen ist er der Mittelpunkt, das
Vorbild, den wir in unserem Leben an die erste Stelle setzen müssen, unabhängig davon,
ob unsere Berufung zum Eheleben, zum Zölibat oder zu einer Form des geweihten Lebens
besteht. Armut, Keuschheit und Gehorsam sind unbestrittene und eindrucksvolle Zeichen
im Leben Jesu, denn er war arm, keusch und gehorsam.

Wenn wir von den evangelischen Räten der Armut, der Keuschheit und des
Gehorsams sprechen, verbinden wir sie gewöhnlich mit dem geweihten Leben. Personen
des geweihten Lebens gehen einen speziellen Weg, der durch die Gelübde, die sie ablegen,
bestätigt wird. Die evangelischen Räte sind jedoch Teil der Antwort auf die allgemeine
Berufung zur Heiligkeit eines jeden Christen, aber immer im Blick auf seine besondere, von
Jesus selbst gegebene Berufung.

Jesus bleibt das Ideal für die Form, wie die drei evangelischen Räte gelebt werden.
Obwohl ihm alles gehörte, lebte er in Armut. Er war keusch, was ihm eine große Freiheit in
seinen Beziehungen ermöglichte. Er war gehorsam, er brachte mit großer Klarheit zum
Ausdruck, dass sich seine Mission auf Erden nach dem Plan des Vaters entfalten würde,

1
und er überließ sich bis zur letzten Sekunde seines irdischen Lebens völlig dem Willen
seines Vaters, bis hin zum Kreuz, auf dem er vor seiner Rückkehr in das Haus seines Vaters
ausrief: „Es ist vollbracht“ (Johannes 19,30).

Die Grundlage des evangelischen Rates der Armut ist das Leben des Sohnes Gottes:

„Obwohl Jesus Christus alles hatte …, nannte er nichts sein Eigen; er war Herr und
Gebieter der ganzen Welt, er hat die Güter geschaffen, die in ihr sind. Und doch wollte
er aus Liebe zu uns auf deren Gebrauch verzichten; obwohl er der Herr der ganzen
Welt war, wurde er der ärmste aller Menschen, er hatte sogar weniger als die Tiere.“1.

Unsere gemeinsame Berufung als Vinzentiner, den Armen zu dienen, drängt uns, in
der Welt Zeugnis zu geben von unserer Gleichgestaltung mit Christus, die mit unserer
Taufe ihren Anfang nahm und sich bis zu unserer Rückkehr in das Haus des Vaters
verfestigt. Für uns Vinzentiner ist es nicht vorrangig, materielle Güter und finanzielle
Ressourcen für unsere eigenen egoistischen Zwecke anzuhäufen, denn wir haben immer
im Geist und im Herzen vor Augen, dass die Armen „unsere Herren und Meister“ sind, die
ein Anrecht auf unsere Mittel haben. Die Überlegung, wie wir ihnen beistehen können, hilft
uns, den evangelischen Rat der Armut durch einen bescheidenen und einfachen Lebensstil
zu verwirklichen. Der vinzentinische Sendungsauftrag stellt uns hinein in die Welt der
Armen. Die vinzentinische Armut fördert eine Gemeinschaft des Dienstes und der
Solidarität mit unseren Brüdern und Schwestern.

Die vinzentinische Armut setzt auch voraus, dass wir unser Leben nach dem
Vorbild des armen Jesus gestalten, der den am meisten verlassenen Menschen das
Evangelium verkündet hat. Gemäß der langen Tradition der Kirche unterscheidet der
heilige Vinzenz zwischen innerer und äußerer Armut, die beide notwendig sind. Ohne
nach außen hin sichtbar zu sein, ist die „geistige Armut“ nicht glaubwürdig. Ohne geistliche
Begründung ist die „materielle Armut“ oft etwas Schlimmes.

Der evangelische Rat der Keuschheit geht ebenfalls alle Christen an, selbstver-
ständlich jene, die das Gelübde ablegen, aber auch die Verheirateten und die Allein-
lebenden. Als Vinzentiner, die regelmäßig mit den Armen in Kontakt sind, haben wir ihnen
nicht nur materiell, sondern auch spirituell zu helfen, indem wir die Person ganzheitlich
ansprechen und mit ihr den Wert der Keuschheit im Rahmen der Evangelisierung teilen.
Die Armen werden die christlichen Beziehungen verstehen dank der Haltung, wie wir in
Übereinstimmung mit den Werten des Evangeliums leben und so Licht und Salz für die
Menschheit sind.

Die Keuschheit schließt, je nach Lebensstand, die innere und äußere Enthaltsam-
keit mit ein, damit die Affektivität und Sexualität der Person mit tiefem Respekt vor den

1
Coste XI, 224 ; Konferenz 130, „Über die Armut“, 5.August 1655.

2
anderen und vor sich selbst gelebt werden. Der Zölibat setzt den Verzicht auf die Ehe und
die ihr eigenen sexuellen Ausdrucksformen voraus.

Für die Vinzentiner im geweihten Leben sind diese beiden Elemente des Gelübdes,
Keuschheit und Zölibat, äußere Ausdrucksweisen ihrer Ganzhingabe. Sie sollen als
Verpflichtung zu einer „besonderen Verantwortung: dem Dienst an den Armen“ verstanden
werden und nicht als Ablehnung der familiären Verantwortung. Die Anforderungen einer
radikalen Nachfolge Jesu veranlassen die geweihten Vinzentiner dazu, sich ganz für die Sache
des Reiches Gottes zur Verfügung zu stellen.

Den Vinzentinern im Allgemeinen hilft der evangelische Rat der Keuschheit in einer
innigen Beziehung zu Jesus zu wachsen. Als großmütige Hingabe seiner selbst an andere
ist die Keuschheit unserer Sendung zur Evangelisierung und Nächstenliebe gegenüber den
Armen förderlich als Kennzeichen von Großzügigkeit und Kreativität. So wie die Armut
begünstigt auch die Keuschheit eine Dienstgemeinschaft, die nur durch Freundschaft und
brüderlich/schwesterliche Beziehungen nachhaltig werden kann.

Wir sind aufgerufen, die Freiheit und die gegenseitige Hilfe durch gesunde
Freundschaften und Besonnenheit zu fördern, die zu einem apostolischen Eifer führen.
Wir müssen unsere eigenen Schwächen, unseren Wunsch nach Demut und nach der
unentbehrlichen Hilfe durch Jesus eingestehen. Der heilige Vinzenz sagt: „Die Demut ist ein
ganz vorzügliches Mittel, die Keuschheit zu erlangen und zu bewahren.“ 2 Es gibt Momente,
in denen die Treue zu Jesus Opfer abverlangt. Der heilige Vinzenz empfiehlt ein ehrliches
Opfer (die Abtötung) der inneren und äußeren Sinne und die Fähigkeit, Ausdrucksformen
der Affektivität und Sexualität zu vermeiden, die nicht mit dem Zölibat vereinbar sind.
Weil unsere Menschlichkeit Stärken und Schwächen hat, sollen wir mit Jesus und anderen
Personen, die uns helfen können, etwa unserem Beichtvater und unserem geistlichen
Begleiter, über die Schwierigkeiten sprechen.

Der dritte evangelische Rat ist der Gehorsam. Er ist bestimmt für Menschen, die
offen sind für die Botschaft Jesu. Trotz Zweifel und Unsicherheiten geben sie sich Jesus
anheim und vertrauen ihm, weil sie überzeugt sind, dass der Weg, den er uns empfiehlt,
letztlich der Beste ist. Der heilige Vinzenz erinnert uns daran: „Gottes Segen ruht auf den
Taten, die aus Gehorsam geschehen.“ 3

Der Gehorsam weist evangelische Werte und Haltungen auf wie Demut,
Einfachheit, Sanftmut, Dialog, die Gabe des Zuhörens im Eheleben, im Zölibat oder im
geweihten Leben. Selbst wenn der heilige Vinzenz sich an Personen des geweihten Lebens
wendet, erwähnt er oft das Beispiel des Gehorsams und der Hochachtung der Laien:

2
Coste XI, 168; Konferenz 111, „Über die Keuschheit“, 13. November 1654.
3
Coste VI, 560;>Brief 2431 an François Villain, Missionspriester in Troyes, 25.Oktober 1657.

3
„Ich kannte einen Hofrat... Er war ein alter Hofrat und tat nie etwas, ohne sich beraten
zu lassen. Wenn er niemanden hatte, rief er seinen Diener: „Peterle, ich habe da eine
Angelegenheit, was meinst du, was ich da tun soll?“ Sein Diener antwortete ihm:
„Monsieur, mir scheint, es wäre gut, wenn Sie es so machen würden.“ – „Ich verstehe,
Peter, du hast recht, ich werde deinen Rat befolgen." Und er sagte mir, er habe die
Erfahrung gemacht, dass Gott die Dinge, die er auf diese Weise tat, sehr gesegnet hat
und dass sie Erfolg hatten.“ 4.

Wenn zwei oder mehr Menschen sich nicht untereinander einigen können, vor
allem in wichtigen Fragen, ist es der evangelische Rat des Gehorsams, der sie in einen
Zustand des inneren Friedens und der Versöhnung führt, den sie sich nie hätten vorstellen
können. Als Christen und Vinzentiner bemühen wir uns, nicht das letzte Wort zu haben
oder Recht zu behalten, sondern uns in die Rolle des Dieners hineinzuversetzen, in jenen,
der dient, und nicht in jenen, der bedient wird.

Möge die Meditation und Verinnerlichung der evangelischen Räte jedem von uns helfen,
auf die allgemeine Berufung zur Heiligkeit zu antworten und so große Segnungen zu
empfangen.

„Wie selig sind jene, die sich Gott auf diese Weise hingeben, um zu tun, was Jesus
Christus getan hat, und die Tugenden zu üben so wie er sie geübt hat: die Armut, den
Gehorsam, die Demut, die Geduld, den Eifer und alle übrigen Tugenden! Denn so sind
sie wahre Jünger eines solchen Meisters; sie leben rein aus seinem Geist und verbreiten
mit dem Wohlgeruch seines Lebens das Verdienst seiner Werke zum Heil der Seelen,
für die er gestorben und auferstanden ist.“5

Mein Gebet im Advent für alle Mitglieder der vinzentinischen Familie: „Fahren Sie
fort, ihn (Unsern Herrn) zu fürchten und ihn sehr zu lieben; opfern Sie ihm Ihre Beschwerden
und Ihre kleinen Dienste auf, und tun sie alles nur, um ihm zu gefallen und auf diese Weise
werden Sie an Gnade und Tugend wachsen.“ 6

Ihr Bruder im heiligen Vinzenz,

Tomaž Mavrič, CM

4
Coste XIII, 642; Dokument 160, Rat vom 2. Juni 1647.
5
Coste VIII, 543; Brief 3314 an Joseph Beaulac [1656].
6
Coste IV, 410; Brief 1512 an die Schwestern in Valpuiseaux, 23. Juni 1652.

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