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Die Wende zur Neuzeit in Europa

«Das Leben ist entweder ein Seil oder ein Federbett. Man gebe mir das Seil.»
Albrecht Dürer (* 21. Mai 1471 in Nürnberg; † 6. April 1528 ebenda) war ein deutscher Maler, Grafiker,
Mathematiker und Kunsttheoretiker.

„Die vier apokalyptischen Reiter“. Holzschnitt von Albrecht Dürer, entstanden um 1497.

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Epochen Europa Welt
Vor- und Frühgeschichte 5500 Jungsteinzeit in Mitteleuropa Ca. 2 Mio. Jahre Altsteinzeit
9000 Jungsteinzeit in Vorderasien
4000 Frühe Hochkulturen in
Ägypten und Mesopotamien
Antike (8. Jh. v. Chr. bis 5. Jh.) 8.-4. Jh. v. Chr. Antikes Griechenland
5. Jh. v. Chr.-5. Jh. Römisches Reich
Mittelalter (ca. 5. bis 15. Jh.) 5.-10. Jh. Frühes Mittelalter 1492 Entdeckung Amerikas
11.-13. Jh. Hochmittelalter
14.+15. Jh. Spätmittelalter
Neuzeit (ab dem 16. Jh.) 16. und 17. Jh. Frühe Neuzeit
Reformation
Dreissigjähriger Krieg
17. und 18. Jh. Absolutismus
Aufklärung 1776 Unabhängigkeitserklärung
1789 Französische Revolution USA
19. Jh. Industrialisierung
Soziale Frage
Nationalstaaten
Nationalismus Höhepunkt des Kolonialismus
Imperialismus

Neueste Geschichte Kommunismus, Faschismus, Weltkriege


(20.+ 21. Jh.) Nationalsozialismus
Spaltung Europas im Ost-West- Kalter Krieg zwischen USA und
Konflikt Sowjetunion
Globalisierung

Europa im Spätmittelalter: Krieg, Teuerung, Hunger und Not rasen über die Erde. Reich und Arm, Hoch und
Niedrig fallen ihnen zum Opfer. Gnadenlos jagen sie vorwärts, den Blick in eine Zukunft gerichtet, die den
Menschen verschlossen ist. Das Bild zeigt uns, wie die Menschen am Ende des 15. Jahrhunderts ihre Zeit
empfanden: Unsicherheit und Furcht kennzeichneten ihr Denken. Es war eine Zeit der großen Katastrophen,
hilflos waren die Menschen den Pestepidemien ausgeliefert.
In Wirtschaft und Gesellschaft kündigten sich tiefgreifende Wandlungen an. Der reiche, wagemutige Bürger
blickte auf den verarmenden adligen Grundherrn und den verelendenden Bauern herab. In der Landwirtschaft
führte der Bevölkerungsrückgang dazu, dass bisheriges Ackerland nicht weiter bebaut wurde und große Gebiete
Mitteleuropas wieder verödeten. Die Preise für Getreide fielen und die Armut der Landbevölkerung nahm zu. In
den Städten dagegen blühten Handel und Gewerbe auf und bald konnten hier einige große Handelshäuser – z. B.
die Fugger – nicht nur eine marktbeherrschende Stellung, sondern auch großen politischen Einfluss erringen.
Tiefgreifende Veränderungen gab es an der Wende zwischen Mittelalter und Neuzeit auch in der Politik: Papsttum
und Kaisertum, die beiden Gewalten, deren Miteinander und Gegeneinander die Jahrhunderte des Mittelalters
geprägt hatten, büßten Macht und Autorität ein. Die Einheit des christlichen Europa begann sich aufzulösen. An
ihre Stelle trat eine Vielzahl miteinander konkurrierender Mächte.
Im Deutschen Reich führte der Machtverlust des Kaisertums zum Aufstieg der Landesherren, die ihre verstreuten
Herrschaften zu geschlossenen Territorien ausbauten und in ihrem Staat Recht und Verwaltung vereinheitlichten
(= Landesherrschaft). Der Kaiser stand mit seiner Hausmacht (Eigenbesitz) dem „Reich“ mit seinen Ständen
gegenüber. Ende des 15. Jahrhunderts wurde der Reichstag1 verfassungsrechtlich zu einer Vertretung der
Reichsstände: der 7 Kurfürsten, der 133 geistlichen und 169 weltlichen Fürsten und Herren und der 85
Reichsstädte. Der Kaiser wurde mit einigen Sonderrechten zum blossen Symbol an der Spitze des Reiches. Im
Wettstreit mit anderen Fürstenhäusern stiegen die Habsburger im Reich zur Vormacht auf. Politische Heiraten
verschafften ihnen im 16. Jahrhundert aber auch die Herrschaft über Spanien, Burgund, Böhmen und Ungarn.
„Alles Erdreich ist Österreich untertan“ — mit diesem Ausspruch wollten die Habsburger als Kaiser künftig nicht
nur die Geschicke des Reiches, sondern ganz Europas bestimmen. Dem Streben der Habsburger nach
Vorherrschaft stand aber vor allem das neu erstarkte Königreich Frankreich entgegen. Anders als im Deutschen
Reich war es hier den Königen nach einem Jahrhundert der Kriege und des Zerfalls in der zweiten Hälfte des 15.
Jahrhunderts gelungen, gegen den Widerstand mächtiger Lehnsfürsten ihren zentralen Herrschaftsanspruch
durchzusetzen und ein neues, einheitliches Staatswesen zu schaffen.

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Reichstag, entwickelt sich aus dem bereits in fränkischer Zeit (Frühmittelalter) zunächst zu hohen Kirchenfesten mit den
Grossen des Reiches in Städten und Pfalzen der Reichsbischöfe abgehaltenen Hoftag und führt im Hochmittelalter zur
Versammlung aller weltlichen und geistlichen Fürsten in Reichs- oder Bischofsstädten aus besonderem Anlass (Krieg, Heer,
Gesetze, Steuern auf Reichsebene). Seit dem 12. Jahrhundert entscheiden die Fürsten mit, sogar auch gegen den Kaiser. Bald
sind auch neben den Fürsten die Grafen, freie Herren, Reichsstädte und Bischofsstädte vertreten. Seit 1663 tagt der Reichstag
als ständiger Gesandtenkongress in Regensburg.

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Krise und Neubeginn — hierdurch waren nicht nur Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in Europa um 1500
gekennzeichnet. Auch im kulturellen Leben gab es große Widersprüche: Auf dem Lande und in den Städten lebten
die Menschen um 1500 überwiegend noch nach den alten Regeln. Frömmigkeit und Volksbräuche, die sich in
vielen Generationen herausgebildet hatten, bestimmten neben der harten Arbeit den Alltag des Volkes.
Zur gleichen Zeit ging von den Gebildeten Italiens jedoch eine Revolution des Denkens aus, die bald – verstärkt
durch den von Johannes Gutenberg in Mainz erfundenen Buchdruck 1455 – ganz Europa erfasste. Philosophie,
Kunst und Literatur der griechischen und römischen Antike wurden von ihnen wiederentdeckt. Renaissance, d.h.
„Wiedergeburt“, hat man diese Epoche später genannt. Auch gingen diese Gelehrten bei der Erforschung der Natur
über bisherige von der Kirche verkündete Erklärungen hinaus. Und bei der praktischen Umsetzung ihrer
Naturbeobachtungen und wissenschaftlichen Forschungen entwarfen einige von ihnen – z. B. Leonardo da Vinci
– Maschinen, die uns heute noch sehr modern erscheinen.
Die Hinwendung zu Naturwissenschaften und Technik entsprang einem neuen Denken, in dem der Mensch den
Mittelpunkt bildete: „Humanisten“ hat man die Gelehrten dieser Zeit deshalb auch genannt. Der italienische
Humanist und Philosoph Pico della Mirandola gab diesem neuen Verständnis vom Menschen Ausdruck, als er in
einem seiner Werke Gott zu Adam sagen lässt: „Ich habe dich weder als göttliches noch als irdisches Wesen
geschaffen, weder sterblich noch unsterblich, damit du frei und souverän dich selbst formst in der Gestalt, die du
dir vorgenommen hast.“
Damit gehört diese Epoche dem Mittelalter und der Neuzeit zugleich an; oder besser: in ihr bahnt sich auf
mittelalterlichem Hintergrund in vielfältigen, sich fördernden oder sich hemmenden, teils von wenigen, teils von
vielen getragenen Prozessen die Neuzeit an. In den folgenden Geschichtsstunden werden deshalb keine lang
dauernden, strukturellen Entwicklungen, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher und relativ kurzfristiger Verläufe
zur Sprache kommen. Die Eigenart der Epoche verlangt – je nach den Schwerpunkten ihrer Entwicklung – einen
raschen Wechsel der Perspektiven. Die Darstellung springt deshalb zwischen einzelnen Ländern, Europa im
Ganzen und Übersee hin und her, stellt bald Ideen und Programme, bald Persönlichkeiten und Abläufe in den
Mittelpunkt.

Aufgabe: Trage in einer Tabelle die wichtigsten Entwicklungen in den Bereichen Wirtschaft, Gesellschaft, Politik
und Kultur zusammen.

1. Europa im Mittelalter – ein kurzer Rückblick

Die spätantike christliche Mittelmeerwelt des Römerreichs spaltete sich nach der Völkerwanderung in eine
südliche, islamische, und eine nördliche, christliche Hälfte. Die christliche Zone spaltete sich wieder in eine
oströmisch-griechische und eine weströmisch-lateinische Hälfte auf. Die lateinische Hälfte wurde dann
überwiegend im Frankenreich vereint. Doch als das römisch-fränkische Reich Karls des Großen im 10. Jahrhundert
vom Ostfrankenreich aus erneuert wurde, blieb Frankreich bereits außerhalb. Stärkste politische Kraft im
Westreich aber war nun für lange Zeit das römisch-deutsche Reich2.
Die gemeinsame kulturelle Grundlage Europas im Mittelalter war das Christentum und seine Organisation in der
Kirche, im Westen mit Latein, im Osten mit Griechisch als Kirchen-, Verwaltungs- und Literatursprache. Erst im
Hochmittelalter bildeten sich zahlreiche schriftfähige Volkssprachen. Vor allem an den Rändern zur heidnischen
bzw. nichtchristlichen Welt und besonders in Nord-, Ost- und Südosteuropa versuchte die Kirche das Christentum
weiter zu verbreiten. Um 1000 war der gesamte europäische Kulturraum christlich. An öffentlichen Großbauten
in Stein gab es fast nur Kirchen.
Die meisten europäischen Königreiche des Mittelalters beruhten überwiegend auf der Herrschaft des Adels und
der Kirche. Kirche und Staat wurden mit Hilfe des Lehnswesens auf der Grundlage der Naturalwirtschaft
zusammengehalten. Die adelig-kriegerische Führungsschicht im Staat, häufig auch in der Kirche, lebte von der
Arbeit und den Diensten der meist unfreien Bauern in Grundherrschaften.
Bei der engen Verzahnung von Staat und Kirche, Königtum und Kirche, Kaisertum und Papsttum entstanden
Spannungen zwischen den weltlichen und geistlichen Machtträgern, die sich im Reich und in Frankreich vor allem
seit dem Investiturstreit, in England im 12. Jahrhundert zum offenen Konflikt ausweiteten.
Nach dem Investiturstreit trat das gestärkte Papsttum in den Kreuzzügen als Führer des ritterlichen Adels in
Europa hervor und wies ihm neue Ziele im Dienste der Kirche zu, vor allem die Befreiung des heiligen Grabes. Es
bildete sich ein christlicher Ritterstand mit besonderen Standespflichten und fest umschriebener ritterlicher
Lebensweise und Kultur: Kämpfen und Jagen, Wohnen in Steinburgen, Turnierwesen und Ritterdichtung waren
seine gemeineuropäischen Kennzeichen. So entstand eine weltlich-ritterliche Kultur außerhalb der Kirche.

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Heiliges Römisches Reich (lateinisch Sacrum Romanum Imperium) war die offizielle Bezeichnung für den
Herrschaftsbereich der römisch-deutschen Kaiser vom Mittelalter bis zum Jahre 1806. Der Name des Reiches leitet
sich vom Anspruch der mittelalterlichen Herrscher ab, die Tradition des antiken Römischen Reiches fortzusetzen
und die Herrschaft als Gottes heiligen Willen im christlichen Sinne zu legitimieren. Das Reich bildete sich im 10.
Jahrhundert unter der Dynastie der Ottonen aus dem ehemals karolingischen Ostfrankenreich heraus. Der Name
Sacrum Imperium ist für 1157 und der Titel Sacrum Romanum Imperium für 1254 erstmals urkundlich belegt. Seit
dem späten 15. Jahrhundert setzte sich allmählich der Zusatz Deutscher Nation (lat. Nationis Germanicæ) durch.

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Aus dem Kreuzzugsgeist fand der europäische Ritteradel auch in Europa neue Ziele im Dienste der Kirche: in
Spanien ging die Eroberung der Halbinsel aus den Händen
des Islam weiter. In Deutschland und im slawischen Osten
wurden die heidnischen Slawenstämme kriegerisch
bekehrt, im Süden Frankreichs die „ketzerischen“
Albigenser vernichtet.
Durch die Kreuzzüge nahmen die italienischen
Seestädte als Vermittler des Orienthandels und der
Kreuzfahrertransporte einen großen Aufschwung. Mit
zahllosen Städtegründungen verbreitete sich die Stadt
von Westen nach Osten über ganz Europa. Neben das
Rittertum trat in den Städten eine zweite weltliche
Kultur, die von einem freien städtischen Bürgerstand
getragen wurde. Kaufmannsgeist, Gewerbefleiss und
Handwerkskunst, Geldwirtschaft mit weit gespannten
Handelsnetzen und Bankwesen bildeten den Kern der
bürgerlichen Städtekultur, die ihr Selbstbewusstsein in
steinernen Mauern, Toren und Türmen, Rat- und
Kaufhäusern, Stadtkirchen, Spitälern und Bürgerhäusern
ausdrückte. Im Spätmittelalter bildeten sich in ganz
Europa Universitäten als geistige Zentren heraus.
Im Osten Europas entstand durch Siedlerbewegung,
ritterlichen Kreuzzugsgeist, bäuerlichen und bürgerlichen
Wagemut eine wandernde Kulturgrenze (Ostsiedlung),
die verbesserte Anbaumethoden, Städtekultur, freiere Rechtsverhältnisse und festere Staatsorganisation nach
Osten trug, z. T. verstärkt durch die Deutsche Hanse oder durch geistliche Ritterorden. In den dünn besiedelten
Räumen Osteuropas entstanden neue Staaten und Reiche, vor allem Polen, Litauen, Böhmen, Russland.
An den offenen Ostgrenzen wehrten vor allem die slawischen Völker und die Ungarn die Angriffe mongolischer
und türkischer Nomadenvölker aus den Steppen Asiens ab. Mit dem Beginn der Neuzeit eroberten die
osmanischen Türken den Balkanraum bis vor Wien. Die Grossfürsten von Moskau begründeten nach der
Befreiung von der Oberherrschaft der mongolischen Tataren den russischen Staat und übernahmen das Erbe von
Byzanz als Führungsmacht der griechischen Kirche (Moskau als drittes Rom).

Q 1: Papst Innozenz III. (1198-1216) über die Menschen: „Wer gibt meinen Augen
den Tränenquell, dass ich beweine den bejammernswerten Eintritt in das menschliche
Dasein, beweine das schuldhafte Fortschreiten menschlichen Lebens. Aus Erde
geschaffen, in Schuld empfangen, zur Strafe geboren, tut der Mensch Böses, was er nicht
soll, Verwerfliches, was sich nicht ziemt, Nutzloses, was sich nicht lohnt, wird er
Nahrung für das Feuer, Köder für den Wurm, ein Haufen Dreck (…). Geschaffen ist der
Mensch aus Staub, aus Lehm, aus Asche. Empfangen ist er im Sumpf der Sünde.
Geboren ist er für die Qual, für die Furcht, für den Schmerz; und was noch elender ist:
für den Tod.“ (Nach Arnold Bühler, Imago Mundi, in: GWU 41 (1990), S. 485.)
Bild: Papst Innozenz III., Fresko (Frischmalerei) im Kloster San Benedetto in Subiaco,
Latium, um 1219.

T1 Was ist Feudalismus? Der Begriff Feudalismus ist vom mittelalterlich latinisierten feudum (wohl von
fränkisch fehu = Vieh, Geld, Vermögen) abgeleitet. Er bezeichnet eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in
der eine meist kriegerische, in sich hierarchisch abgestufte Adelsschicht über Grund und Boden verfügt und die
politische, militärische, grundherrliche und richterliche Herrschaft über die Untergebenen (Vasallen) und die
abhängige Masse der Bauern ausübt. Die feudale Struktur ist geprägt vom Lehnswesen und von der
Grundherrschaft. Grundlegend ist die Ackerbauwirtschaft. Rechte, Pflichten und Leistungen beruhen auf einem
persönlichen Treueverhältnis zwischen dem Herrn und seinen Vasallen oder den oft hörigen Bauern. Seinen
Anfang nimmt in Europa der Feudalismus mit der Organisierung des Heerwesens zur Zeit Karls d. Gr., um 800,
einen Höhepunkt erreicht er im 12. Jahrhundert. Aufkommender Handel und Gewerbe wie später
Industrialisierung zerstören den Feudalismus.
- Im Lehnswesen band der Herrscher den hohen Adel durch eine beiderseitige Treueverpflichtung an sich. Rat
(im Frieden) und Hilfe (im Krieg) seiner Lehnsträger (Vasallen) standen der „Leibe“ des Lehnsherren
(Herrschers) gegenüber. Verliehen wurde – ursprünglich auf Zeit – Land und/oder ein Amt oder ein bestimmtes
Recht. In Deutschland konnte der Vasall sowohl aus seinem Eigengut als auch aus dem erhaltenen Lehen selber
Lehen an Untervasallen vergeben und sich wiederum derer Dienste versichern. Der in dieser Art gestaltete
Herrschaftsverband wird als Personenverbandsstaat bezeichnet. Durch die im Laufe der Entwicklung
eingetretene Erblichkeit der Lehen und die zunehmende Belehnung mit Regalien (ursprünglich dem Herrscher
vorbehaltene Rechte) wurden vor allem im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (HRRDN, kurz:

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Deutsches Reich) die partikularen Kräfte gestärkt, weil so die Untervasallen zunehmend von der Krone
abgekoppelt wurden.
- Die Grundherrschaft – eine weitere Komponente des Feudalismus: sie war eine vom Mittelalter bis ins 19.
Jahrhundert geltende Form der Herrschaft des Adels und der Kirche über Land und abhängige Bauern, die den
Landbesitz bewirtschaften. Der adlige Lehnsträger war mit seinem Landlehen und seinem Eigengut Grundherr.
Seit dem 9. Jahrhundert waren die meisten der ursprünglich freien Bauern in West- und Mitteleuropa als Hörige
in die Abhängigkeit von Grundherren gekommen, weil diese ihnen die Verpflichtung zum Kriegsdienst abnahmen
und Schutz und Hilfe in der Not versprachen. Dafür verlangten die Grundherren festgelegte Abgaben von freien
Bauern und darüber hinaus Frondienst von unfreien Bauern. In Frankreich, wo der Begriff Feudalismus zum ersten
Mal im 17. Jahrhundert gebraucht wurde, galt der Feudalismus mit der Französischen Revolution von 1789 als
aufgehoben. In Deutschland existierten Formen von feudaler Abhängigkeit bis in das 19. Jahrhundert!

Setze die folgenden Begriffe in die jeweiligen Kästchen ein: „verwalten“ und schützen – (Bischöfe, Äbte) –
„Schutz“ und „Schirm“ – Lehen und Ämter – Bauernschaft, Handwerker, Bürger (Stadt) – Grundherr – König –
(besitzt Land, militärisches Monopol und Eigenkirchen) – gegenseitige Treue – Frondienst, Abgaben – „beten“.

Aufgaben: 1. Charakterisiere in eigenen Worten die mittelalterliche Ständegesellschaft. 2. Welches Menschenbild


wird in Quelle 1 aufgezeigt? Ist dieses Menschenbild für das Mittelalter repräsentativ? 3. Was bedeutet der Begriff
„Feudalismus“? Komplettiere das Schema und beschreibe das Verhältnis zwischen Grundherrn und Bauern sowie
jenes der Adligen untereinander.

2. Krisen des Spätmittelalters

Die Katastrophe der Pest: Seit der großen Hungersnot 1316 wurden die meisten europäischen Länder für gut
150 Jahre immer wieder von Krisen heimgesucht, die einzelne Regionen wellenartig überzogen. Damit endete eine
Periode, in der die Menschen von Naturkatastrophen, Hungersnöten und Seuchen weitgehend verschont geblieben
waren und in der eine im Allgemeinen günstige Ernährungslage die Lebenserwartung erhöht hatte.
Der Einbruch der Pest bedeutete in der Geschichte Europas einen epochalen Einschnitt. Als die Pest, der
„Schwarze Tod“, 1348 auf eine in Folge von Missernten gesundheitlich geschwächte Bevölkerung stieß, setzte ein

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vier Jahre währendes Massensterben ein, das die Bevölkerung im Durchschnitt um die Hälfte verminderte. Der
ersten Seuchenwelle folgten bis in das 15. Jahrhundert weitere schwere und lang andauernde Pestepidemien.
Besonders katastrophale Folgen hatte die Pest in den Städten: Wegen der dort vorherrschenden Hygienedefizite
und angesichts der städtischen Bevölkerungsdichte starben in den Städten in der Regel zwei Drittel der Bewohner.
Neue Todeserfahrung und die Suche nach Schuldigen: Da die Menschen die Infektionsursachen nicht kannten
– erst 1894 wurde der Pesterreger entdeckt –‚ griff man auf alte Erklärungsmuster zurück: Die Pest wurde als
Gottesstrafe gesehen oder man machte wieder die Juden zu „Sündenböcken“. Man beschuldigte sie die Brunnen
vergiftet zu haben, beraubte sie ihrer Habe, tötete sie oder jagte sie bestenfalls aus den Städten. Vor diesen
Pogromen (Hetze, Ausschreitungen) flüchteten viele Juden nach Osteuropa, wo sie sich vor Verfolgung sicher
wussten.
Mit der Pest machten die Menschen auch eine neue Todeserfahrung. Krankheit und Tod waren im Mittelalter stets
allgegenwärtig. „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“, lautet im 14. Jahrhundert die deutsche
Fassung eines lateinischen Kirchenliedes (Media vita in morte sumus). Starb der Mensch früher in Erwartung des
Seelenfriedens, der endlichen Erlösung von Qualen und Verzweiflung, im Kreise seiner Angehörigen, so war der
Kranke und Sterbende nun ein tödlicher Ansteckungsherd, den man meiden musste, um nicht selbst von der
Krankheit dahingerafft zu werden. Weil die Leichen der Verstorbenen wegen ihrer gefürchteten Ausdünstungen
möglichst rasch unter die Erde kommen sollten, wurden sie ohne Zeremonien in Massengräbern verscharrt. Diese
Art der Bestattung galt bisher nur Verdammten und verbreitete zusätzliches Grauen. Durch die Pestwellen des 14.
Jahrhunderts waren die Menschen in ihrem Glauben an die göttliche Weltordnung erschüttert, in der jeder den ihm
von Gott zugewiesenen Platz einnahm. Der desolate Zustand der Kirche als Institution im langen Zeitraum von
1309 bis 1492 machte es den Menschen noch schwerer, Glaubenssicherheit zu bewahren oder zu finden. Durch
die Gefangenschaft der Päpste in Avignon, die Spaltung der Kirche unter zwei Päpsten (abendländisches Schisma)
und die Reformkonzilien setzte sich das Papsttum scharfer Kritik aus, verlor Macht und Ansehen und verfiel dann
im 15. Jahrhundert einer zunehmenden Verweltlichung.

Q 1 Anzeichen des sicheren Todes. Eine sehr eingehende Schilderung der Pest erhalten wir durch den
italienischen Dichter Boccaccio (1313-1375): „Seit der gnadenvollen Menschwerdung des Gottessohnes waren
bereits tausenddreihundertachtundvierzig Jahre dahingegangen, als über das ehrwürdige Florenz, die erhabenste
aller Städte Italiens, die todbringende Pest hereinbrach. Diese – entweder durch die Einwirkung der Gestirne
verursacht oder durch den gerechten Zorn Gottes als eine Züchtigung für unser schändliches Treiben über uns
Sterbliche verhängt – war schon einige Jahre früher im Morgenland aufgeflammt, wo sie eine unendliche Anzahl
von Opfern dahingerafft hatte, um sich dann, ohne Aufenthalt von einem Ort zum andern eilend, gen Westen auf
grauenvolle Weise auszubreiten. Doch ob man auch jeglichen Unrat von eigens dazu bestellten Leuten aus der
Stadt entfernen ließ, allen Kranken den Eintritt verwehrte und mancherlei Verordnungen zum Schutze der
Gesundheit erließ, vermochten doch weder Vorsicht noch die verschiedenartigsten Vorkehrungen der Seuche
Einhalt zu gebieten. Ebenso erfolglos erwiesen sich die demütigen Bitten, die nicht nur einmal, sondern unzählige
Male auf feierlichen Prozessionen und bei jeder Gelegenheit von frommen Seelen zum Himmel emporgesandt
wurden.
Schon zu Frühlingsanfang des genannten Jahres zeigte die Seuche ihre entsetzlichen Auswirkungen auf
sonderbare Weise. Sie begann nicht wie im Orient damit, dass allen Opfern als ein Zeichen des unausbleiblichen
Todes das Blut aus der Nase rann, sondern kündigte sich hier bei Männern und Frauen gleicherweise in der
Leistengegend oder unter den Achseln mit gewissen Schwellungen an, die – bei einigen mehr, bei anderen weniger
– bis zur Größe eines Apfels oder eines Eies anwuchsen und vom Volke ‚Pestbeulen‘ genannt wurden. Von diesen
beiden Körperteilen aus begannen die todbringenden Pestbeulen in Kürze auf alle anderen über zugreifen und
sich auszubreiten. Später zeigte die Krankheit veränderte Anzeichen, es erschienen schwarze und schwarzblaue
Flecke, die sich bei vielen Menschen an den Armen, auf den Rippen und an verschiedenen anderen Körperteilen

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zeigten und bei manchen größer und spärlich, bei anderen dagegen kleiner und zahlreich auftraten. Und wie
anfänglich nur die Pestbeule das unfehlbare Anzeichen des sicheren Todes gewesen war und es auch weiterhin
blieb, so waren es nunmehr auch die kleinen Flecken für jeden, den sie befielen.
Gegen diese Erkrankung vermochte weder die Kunst der Ärzte noch die Kraft einer Medizin irgendetwas
auszurichten oder gar Heilung zu erzielen. Im Gegenteil, sei es, dass die Natur der Krankheit es nicht zuließ oder,
dass die Unwissenheit der Ärzte – deren Anzahl, neben den Studierten, an Weibern wie an Männern, die niemals
eine Lehre der Heilkunde durchgemacht hatten, ins Riesenhafte gestiegen war – die Ursache der Krankheit nicht
erkannte und demzufolge kein wirksames Gegenmittel anzuwenden vermochte, es genasen nur wenige davon. Die
meisten starben innerhalb von drei Tagen nach den ersten Anzeichen, der eine früher, der andere später, und viele
sogar ohne jegliches Fieber oder sonstige Krankheitserscheinungen. Die Auswirkung dieser Seuche war
verheerend, da sie schon durch den Umgang mit einem Kranken auf die Gesunden übersprang wie das Feuer auf
trockene oder fettige Dinge, die ihm zu nahe gebracht werden. Noch schlimmer war, dass sie sich nicht allein
durch Gespräche oder Umgang mit Kranken auf Gesunde übertrug oder die Ursache eines gemeinsamen Todes
wurde, sondern dass schon durch die bloße Berührung von Kleidungsstücken und Gebrauchsgegenständen, die
ein Kranker benutzt oder angerührt hatte, diese entsetzliche Seuche den Berührenden zu ergreifen schien.“
(Giovanni Boccaccio, Das Dekameron, Berlin/ Hamburg 1958, Bd. 1, S. 14ff.) Aufgabe: Nenne die Gründe für
die Hilflosigkeit gegenüber der Pest, die aus Boccaccios Bericht deutlich werden.

Agrarkrisen und Aufschwung in den Städten: Indem die Pest auf die Agrarkrise des 14. Jh. traf, verschärften
sich die Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft. Der Bevölkerungsrückgang in den Städten führte zur
Verknappung von Arbeitskräften, was wiederum die Löhne ansteigen ließ. So übte die Stadt einen Sog auf die
Landbevölkerung aus. Eine regelrechte Landflucht setzte ein, da die bäuerliche Bevölkerung in der Stadt bessere
Existenzbedingungen zu finden hoffte: Viele Bürger konnten sich hochwertige Handwerks- und Handelsware
leisten. Neue Gewerbe wie der Buchdruck, die Uhrmacherei, die Seidenweberei und die Papierherstellung blühten
auf. Regionen und Siedlungen mit weniger fruchtbaren Böden und geringerer Rentabilität wurden aufgegeben und
blieben als Wüstungen zurück. Aufgrund des Bevölkerungsschwundes produzierte selbst eine verkleinerte
Anbaufläche schon ein Überangebot an Getreide, dem einzigen Grundnahrungsmittel. Absatzkrisen waren die
Folge. Etwa zwischen 1370 und 1470 fielen die Getreidepreise bei erheblichen saisonalen Schwankungen
kontinuierlich. Grundherren und Bauern versuchten den Einkommenseinbussen zu entgehen, indem sie – wo es
Böden und Klima zuließen – Sonderkulturen anlegten: Obst, Wein, Flachs oder Waid und Krapp als Färbemittel
traten an die Stelle von Getreide. In der Nähe größerer Ortschaften wurden Karpfenteiche angelegt. Eine besondere
Entwicklung vollzog sich in England; dort wandelten die Grundherren in großem Maße Ackerbauflächen in
Weideland für Schafe um und hegten sie ein (enclosures). Viele Grundherren erhöhten angesichts der Absatzkrise
auch die Pachtzinsen ihrer Bauern, verstärkten dadurch wiederum die Landflucht und beraubten sich so ihrer
Arbeitskräfte. In Frankreich steigerten viele Grundherren die Abgaben und Frondienste für ihre Hörigen derart
rücksichtslos, dass es zu Bauernaufständen kam.

Sozialer Strukturwandel: Allgemein wurde durch diese wirtschaftlichen Veränderungen und die immer stärker
um sich greifende städtische Geldwirtschaft der Feudalismus erschüttert. Die Grundherren gerieten in eine
„Preisschere“: Während ihre Einkünfte durch die krisenhafte Entwicklung in der Landwirtschaft deutlich
geschmälert wurden, verteuerten sich die gewerblichen Güter. In besonderem Maße betraf das die kostspielige
militärische Ausrüstung der Ritter. Als Kleinadlige waren sie überwiegend auf die Abgaben ihrer hörigen Bauern
angewiesen, auf die sie verstärkt Druck ausübten. Weil ihnen die wirtschaftliche und soziale Deklassierung drohte,
wurden viele von ihnen zu „Raubrittern“. Sie beraubten Warentransporte und erpressten für die gefangen
genommenen Begleiter Lösegeld, denn sie wollten am Reichtum der neuen, aufstrebenden Kaufmannsschicht
teilhaben.

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3. Der Kaiser und das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“

Das Reich bildete sich im 10. Jahrhundert unter der Dynastie der Ottonen aus dem ehemals karolingischen
Ostfrankenreich heraus. Mit der Kaiserkrönung Ottos I. 962 knüpften die römisch-deutschen Herrscher (wie
zuvor die Karolinger) an die Idee des erneuerten Römerreiches an, woran bis zum Ende des Reiches zumindest
prinzipiell festgehalten wurde. An der Spitze des „Heiligen Römischen Reiches“, dem man im 15. Jahrhundert den
Zusatz „Deutscher Nation“ hinzufügte, stand der römisch-deutsche König. Alle Könige strebten an, durch den
Papst zum Kaiser gekrönt zu werden. Maximilian I. war der erste König, der sich 1508 mit päpstlicher Erlaubnis
zum „erwählten römischen Kaiser“ ernannte. Der König bzw. Kaiser galt als oberster Schutzherr der Kirche und
hatte - wie der Papst - ein Amt inne, das sich dem Anspruch
nach über die ganze Christenheit erstreckte. Er forderte
Gehorsam von den Fürsten und Städten Deutschlands –
zumeist vergebens.
Bei der Königswahl setzte sich das freie Wahlrecht der
Fürsten durch. Sieben Kurfürsten erhielten allmählich das
alleinige Wahlrecht, drei geistliche und vier weltliche; die
Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, der Pfalzgraf bei
Rhein, der Markgraf von Brandenburg, der Herzog von
Sachsen-Wittenberg und der König von Böhmen. Sie
erklärten 1338, der von ihnen gewählte König bedürfe der

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päpstlichen Bestätigung nicht mehr. Damit war der Einfluss des Papstes auf die deutsche Königswahl beseitigt.
In dem Reichsgesetz der Goldenen Bulle, 1356 (Q1), bestätigte Kaiser Karl IV. den Kurfürsten das Recht der
Königswahl. Diese Wahlfürsten wählten zumeist einen kleinen Fürsten, der noch keine Hausmacht aufgebaut
hatte. So wechselte die Königswürde zwischen 1273 und 1437 zwischen mehreren Fürstengeschlechtern, bis sie
schließlich beim Hause Habsburg - zuletzt nur noch als eine inhaltsleere Würde - blieb. Die wichtigsten politischen
Gruppen im Reich waren in Reichsstände gegliedert, die Sitz und Stimme im Reichstag besaßen: geistliche
Kurfürsten, Erzbischöfe und Bischöfe, Reichsäbte und Reichsäbtissinnen; weltliche Reichsstände waren die
weltlichen Kurfürsten Herzöge, Fürsten, Markgrafen, Grafen und reichsunmittelbare freie Herren und
Reichsstädte. Sie entschieden innerhalb ihres Reichsstandes mit Stimmenmehrheit, tagten aber seit 1498 in drei
Kollegien, die ihre Beschlüsse getrennt fassten: Kurfürsten, Reichsfürsten und Reichsstädte.

"Römischer Kaiser" - ein leerer Titel? Die Schwäche des Königtums war ein Erbe des Mittelalters. Nach dem
Untergang der Staufer (Herrscherdynastie im 12./13. Jh.) gelang es keinem Kaisergeschlecht, die Fürsten einer
starken Zentralgewalt zu unterwerfen, die Herrschaft des Kaisers wurde auf den deutschen Raum beschränkt.
Zwischen 1254 und 1273 drohte das Reich auseinanderzufallen. Die deutschen Fürsten wählten - zum Teil in
Doppelwahlen - Ausländer zu Königen, so Richard von Cornwall, Alfons von Kastilien u. a., die aber in
Deutschland nicht anerkannt wurden. Die Reichsfürsten strebten danach, ihre Macht auf Kosten des Reiches zu
vergrößern und das Reichsgut an sich zu reißen. Die Kurfürsten standen den von ihnen gewählten Kaisern fast
unabhängig gegenüber, drängten auf Mitregierung und beanspruchten das Recht, Herrscher wieder absetzen zu
können, die sie für unfähig hielten. Viele Fürsten waren wiederum fast ebenso mächtig wie die Kurfürsten. Die
Landesfürsten unterwarfen den Adel ihrer Herrschaft, und im 15. Jahrhundert schlossen sie ihre einzelnen
Besitzungen durch den Aufbau einer einheitlichen Verwaltungs- und Gerichtsorganisation zu fest gefügten Staaten
(Territorien) zusammen. Zwar konnten die Städte ihre Reichsunmittelbarkeit behaupten, aber wie die Reichsritter
gerieten sie immer mehr in die Abhängigkeit der Fürsten.
Das Recht, Abgaben und Steuern zu bewilligen, besassen die Landstände. Dies waren die politischen
Vertretungen der Stände – der Ritter, der Geistlichkeit und der Städte – gegenüber dem jeweiligen Landesherren.
Sie trafen sich auf Landtagen und verhandelten mit den Landesfürsten. Die Ritter wurden zu den Landtagen nicht
gewählt, sondern waren hier aufgrund ihrer adligen Geburt vertreten. Wie die Geistlichen beanspruchten die Ritter
für sich selbst die Steuerfreiheit. Sie bewilligten aber die Steuern, die die Bauern zu entrichten hatten. Die Vertreter
der Städte wurden im Rat der Stadt bestimmt, nicht etwa von den Bürgern gewählt. Auf den Landtagen wurde
auch über Gesetzgebung, Landesteilungen und andere Fragen beraten. Die Fürsten brauchten ihre Stände, die
Vorläufer der modernen Parlamente waren. Fürst und Landstände waren die Träger der Staatsmacht im
Territorium jener Zeit.
Die meisten der den Königen vorbehaltenen Rechte waren seit den Fürstengesetzen Friedrichs Il. (1194-1250) an
die weltlichen und geistlichen Fürsten übergegangen. Die Könige versuchten daher, sich eine eigene, starke
Landesherrschaft (Hausmacht) aufzubauen, denn der König hatte im Reich nur noch so viel Gewicht, wie seine
Hausmacht ihm gab.

Rudolf von Habsburg (1273-1291) legte den Grundstein zum Aufstieg seines Hauses. Seine Besitzungen lagen in
der Schweiz und in Süddeutschland. Er nahm dem König von Böhmen das Reichslehen Österreich ab, das dieser
an sich gerissen hatte, und belehnte seine eigenen Söhne mit Österreich, Steiermark und Krain. Als die Habsburger
im 14. Jahrhundert auch noch Kärnten und Tirol erwarben, gehörten sie zu den mächtigsten Fürsten in
Deutschland. Der Luxemburger Karl IV. (1347-1378) machte das Königreich Böhmen zum Kern seiner
Hausmacht. Seinem Kerngebiet in Böhmen und Mähren fügte er die Lausitz, Schlesien und Brandenburg hinzu
und verschaffte seinem Sohn Erbansprüche auf Ungarn. Den sieben Kurfürsten bestätigte er in der Goldenen Bulle
(Q 1) 1356 das alleinige Stimmrecht. Seine Hauptstadt Prag ließ er von deutschen Baumeistern zur prächtigen
Residenz ausbauen (Hradschin, St. Veitsdom). Er erreichte die Erhebung des Bistums Prag zum Erzbistum und
gründete in seiner Residenz die erste deutsche Universität (1348, s. S.161, K 3). Seine Kanzlei hatte einen
bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung der neuhochdeutschen Schriftsprache; doch erkannte er die tschechische
Sprache als gleichberechtigt an. Der Habsburger Maximilian (1493-1519) versuchte vergeblich, eine Reform des
machtlos gewordenen Reiches durchzuführen. Nach langen Verhandlungen mit den Reichsständen beschloss der
Reichstag von Worms 1495 aber nur einen "Ewigen Landfrieden", der das Fehdewesen verbot. Zu dessen
Überwachung entstand ein unabhängiges oberstes Reichsgericht, das Reichskammergericht; es entfaltete aber
wenig Wirksamkeit. Eine beschlossene direkte Reichssteuer scheiterte in der Praxis am Widerstand der Fürsten.
Ebenso scheiterte eine gemeinsame Reichsarmee durch die Einteilung des Reiches in zehn Reichskreise, in denen
der Kaiser auf die Zustimmung der Fürsten angewiesen war. Während an den Grenzen des Reiches, in England,
Frankreich, Polen und in Skandinavien, geschlossene nationale Königreiche entstanden, zerfiel das römisch-
deutsche Reich in eine Vielzahl von Kleinstaaten, die eigensüchtig auf ihrer Unabhängigkeit vom Kaiser und
König. Nicht einmal der Habsburger Karl V. (1519-1556), der als König von Spanien das größte Weltreich seiner
Zeit beherrschte, konnte sich gegen die Fürsten im römisch-deutschen Reich durchsetzen.

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Frage zu M2: Fasse den Aufbau des Reiches kurz zusammen. Versuche insbesondere, Rolle und Bedeutung des
Reichstags in diesem politischen System zu beschreiben.

Q 1 Aus der Goldenen Bulle Karls IV., 1356: „Nachdem aber die Kurfürsten oder ihre Gesandten die Stadt
Frankfurt betreten haben, sollen sie sogleich am folgenden Tage in der Frühe in der Kirche des hl. Bartholomäus
in deutscher Sprache den Wahleid schwören, den ihnen der Kurfürst von Mainz vorspricht. Nach Leistung des
Eides durch die Kurfürsten oder Gesandten sollen sie zur Wahl schreiten und nicht eher die Stadt Frankfurt
verlassen, bis die Mehrzahl von ihnen der Welt oder Christenheit ein weltliches Oberhaupt gewählt hat, nämlich
einen König der Römer und künftigen Kaiser. Wir bestimmen, dass der zum König Gewählte sogleich nach der
Wahl allen einzelnen Kurfürsten ... alle Privilegien, Urkunden, Rechte, Freiheiten und Schenkungen,
Gewohnheiten und Würden durch Brief und Siegel bestätigen und ihnen nach der Kaiserkrönung dieses erneuern
soll“ (Nach: Geschichte in Quellen, Bd. 11, bearb. von W. Lautemann, München 1970, S. 774 f.; stark gekürzt und
vereinfacht.)

Q 2 Kompetenzen des Reichsoberhauptes. Nach der Wahl Karls V., eines Habsburgers, zum König 1519 legte
die folgende „Wahlkapitulation“ mit den Kurfürsten die Kompetenzen (Befugnisse) des neuen Reichsoberhauptes
fest. Diese Abmachung erhielt in der Folgezeit Verfassungsrang und wurde Vorbild aller späteren Vereinbarungen
dieser Art: „Dieweil Uns die Kurfürsten zu einem römischen König erwählt, so haben Wir Uns gegen sie und das
heilige Reich verschrieben: Dass Wir die römische Kirche, den Stuhl zu Rom und das heilige römische Reich
treulich schützen und schirmen sollen und wollen. (…) Dass Wir die Goldene Bulle und andere Ordnung, durch
Kurfürsten und Stände des Reichs aufgehaltenen Reichstagen aufgerichtet, halten, handhaben und vollziehen
sollen und wollen und sie, wo nötig, mit den Ständen des Reichs helfen bessern. Dass Wir Frieden und Recht im
Reiche handhaben und halten wollen. (…) Dass Wir Uns gegen die deutsche Nation keiner andern Sprache, denn
Deutsch oder Latein zu schreiben, gebrauchen wollen. (…) Dass Wir nichts vom heiligen Reich ohne der
Kurfürsten Rat und Bewilligung versetzen oder hingeben sollen. (…) Dass Wir ohne der Kurfürsten und Stände
des Reichs Bewilligung keinen Anschlag oder gemeinen Pfennig aufs Reich schlagen oder anlegen wollen. (…)
Dass Wir ohne der Kurfürsten Rat und Einwilligung keinen neuen Zoll geben, noch die alten steigern sollen. (…)
Dass Wir ohne Unserer Kurfürsten Miterkenntnis keinen Fürsten in die Acht3 tun wollen. (…) Dass Wir auch,
soviel möglich, Unsern Aufenthalt und Hof den mehreren Teil des Jahres in deutscher Nation haben und halten
wollen. (…) Dass wir keine Versammlung im Reich erfordern und ausschreiben, auch kein Kriegsvolk sammeln
sollen, ohne der Kurfürsten Rat, Wissen und Einwilligung. Aber die Kurfürsten mögen, wie von alters her, zu ihrer
Notdurft sich verschreiben, vertragen und zusammenkommen und zu ihrer Notdurft handeln, daran wir Wir ihnen

3 Verhängung der Acht (Verdammung) über jemanden.

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keinen Eintrag noch Verbot tun sollen. (…) Dass Wir uns oder Unsern Erben keiner Sukzession [Ablösung] des
heiligen Reichs unterziehen, sondern die Goldene Bulle bei Kräften und die Kurfürsten bei ihrer freien Wahl
bleiben lassen wollen. (…) Dass wir alle Bündnisse, Gesellschaften und Liga im Reich, so vom Adel, Ritterschaft
oder anderen fürgenommen, verschrieben, verstrickt oder verpflichtet sind, abschaffen wollen, dass jedermann zu
gleichen Rechten bei dem andern leben möge.“ (Zit. nach: Karl Kaulfuss-Diesch (Hg.): Das Buch der Reformation,
Leipzig 1917, S.401f. (sprachlich vereinfacht))
Fragen: 1. Worin besteht der Machtverlust des deutschen Kaisers (vgl. Q 1 und Q 2)? 2. Wie versuchten die
deutschen Kaiser den Machtverlust auszugleichen?

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So, wie es ist, war es noch nie. Zur Corona-Pandemie werden historische Vergleiche
bemüht. Aber was kann man aus ihnen wirklich lernen? Von Volker Reinhardt4 (NZZ
18.3.2020)
Epidemien sind eine regelmässig wiederkehrende Erscheinung, also eine sogenannte «Konstante» der Geschichte.
Doch Konstanten haben es irritierenderweise an sich, von Variablen begleitet und dadurch wesentlich verändert
zu werden. Der Volksmund fasste das in eine tiefe, von den Historikern bis heute ungenügend berücksichtigte
Wahrheit: Jeder Vergleich hinkt. Oder wie es ein alter griechischer Philosoph mit der ihm eigenen Erhabenheit
sagte: Wir steigen niemals in denselben Fluss.
Will heissen: Jede Zeit ist anders, auch jede Epidemie-Zeit. Gerade deshalb lohnt sich ein Vergleich, nicht, um
daraus Lehren zu ziehen, die es wegen der ganz unterschiedlichen Zeitverhältnisse und Zeitbefindlichkeiten nicht
geben kann, sondern um nüchtern nebeneinanderzustellen: So war es einst, so ist es jetzt. Der Verzicht auf
moralische Wertungen, der damit einhergehen muss, verbietet es nicht, ein Punktesystem anzulegen, nach dem
Muster: jeweils ein Plus für die Vergangenheit oder die Gegenwart.
Einst, das ist das Jahr 1348, in dem die Beulenpest Europa von Süden her aufzurollen beginnt. Als der «schwarze
Tod» fünf Jahre danach seine fatale Wanderung beendet hat, ist nach heutigen Berechnungen etwa ein Drittel der
Bevölkerung der Seuche zum Opfer gefallen; selbst die pessimistischsten Prognosen apokalypseverliebter
Virologen sagen uns momentan nichts dergleichen voraus. Die Menschen des 14. Jahrhunderts wussten zudem

4
Volker Reinhardt ist Professor für allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit an der Universität Freiburg
i. Ü. 2019 erschien bei C. H. Beck sein Buch «Die Macht der Schönheit. Kulturgeschichte Italiens».

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nicht, wo das Übel lauerte – das Pestbakterium beziehungsweise der Pestbazillus wurde erst ganz am Ende des 19.
Jahrhunderts von dem westschweizerischen Forscher Alexandre Yersin identifiziert und heisst ihm zu Ehren
Yersinia pestis.
Auch das heisst also nochmals: Vorteil Gegenwart, die immerhin
weiss, womit sie es zu tun hat, ganz im Gegensatz zu den Ärzten des
14. Jahrhunderts. Deren vorherrschende Meinung besagte, dass den
Eingeweiden der Erde tödliche Ausdünstungen entströmten, eine
Theorie, die sich im Begriff «Malaria» – schlechte Luft – bis heute
erhalten hat. Doch das war für die Menschen des 14. Jahrhunderts noch
keineswegs die endgültige Erklärung: Warum wurden diese
mörderischen Lüfte gerade jetzt freigesetzt, wer und was stand
dahinter?

(Bild 1: Inbild des Schreckens: Arnold Böcklins Gemälde «Die Pest»


von 1898. (AKG))

Gott – oder der Teufel: Nach dem damaligen Welterklärungsangebot


kam in Europa mehrheitlich nur Gott als Urheber des Massensterbens
infrage, höchstens noch der Teufel, dem der Himmel bei seiner
Ausrottungsaktion freie Hand liess. Damit kamen die Theologen als
Chef-Interpreten ins Spiel, die schlechteste aller Lösungen. Denn als
Deutungsschema hatten sie wenig mehr zu bieten als das Konzept
Gottesstrafe: Die Menschen hatten so schwer gesündigt, dass sie jetzt zu Recht gezüchtigt wurden.
Damit offerierten sie zugleich probate Heilmittel: Um den zürnenden Herrn zu beschwichtigen und vielleicht sogar
zu versöhnen, mussten die Sünder Abbitte leisten, am besten in grossen Prozessionen, dicht an dicht gestaffelt
marschierend oder wie ein einziger Körper in Kirchenräumen zusammengedrängt. Für die Flöhe, die den Erreger
nach späterem Wissen übertrugen, war das im wahrsten Sinne des Wortes ein gefundenes Fressen.
Die Erklärung durch den strafenden Himmel hatte allerdings noch viel dramatischere Konsequenzen. Menschen
fühlen sich als Individuen niemals schuldig und sind daher bestrebt, die Schuld auf andere abzuwälzen – im 14.
Jahrhundert waren das verdächtige Fremde aller Art, die man als Akteure des Bösen ausfindig gemacht zu haben
behauptete, und vor allem die jüdischen Gemeinden, deren Mitglieder als Christus-Mörder und Wahrheitsleugner
verleumdet wurden und jetzt schlimmsten Pogromen ausgesetzt waren.
Zur Ehre des damals regierenden Papstes Clemens VI., eines hedonistischen Weltmanns von Format, sei
hinzugefügt, dass er die Mordaktionen und die Plünderungen dieses fanatisierten Mobs ausdrücklich verbot,
ebenso wie die damals grassierende Flagellanten-Bewegung, als deren Folge Tausende mit der Geissel in der Hand
durch die Strassen zogen und sich einen blutigen Rücken schlugen, woraus häufig Gewalt gegen Sündenböcke
entsprang.
Heutzutage verschonen uns selbsternannte Seuchen-Sinngeber glücklicherweise mit ihren abstrusen Theorien,
Rezepten und Diskriminierungen von Menschengruppen, zumindest im öffentlichen Raum. Dass im Web
abenteuerliche Verschwörungsgerüchte wuchern und gelegentlich auch xenophobe Töne angeschlagen werden, ist
bedauerlich, aber keine Entsprechung zu 1348. Somit steht es inzwischen fünf zu null für das 21. Jahrhundert.
Im Zeichen des Egoismus: Ein wesentlicher Unterschied besteht natürlich in der Verbreitungsgeschwindigkeit.
Im 14. Jahrhundert rückte die Seuche, der reduzierten Reisegeschwindigkeit der Menschen und dem weitaus
geringeren Globalisierungsgrad dieser Zeit entsprechend, langsam, gewissermassen Monat für Monat, vor. Das
erlaubte den Reichen und Schönen Fluchtbewegungen wie den eleganten jungen Damen und Herren, die in der
Rahmenhandlung von Giovanni Boccaccios Novellensammlung «Decamerone» in ihre noblen Villen aufs Land
ziehen, sich gegen die Aussenwelt abschotten und sich mehr oder weniger anzügliche Geschichten erzählen.
Das ist fraglos ein Pluspunkt für die Vergangenheit. Diejenigen, die weder über die dazu nötige Musse noch das
gleichfalls unabdingbare Kleingeld verfügten, waren arm dran, wiederum im wahrsten Sinne des Wortes. Vor
allem in den grösseren Städten wurde das öffentliche Leben nicht wie heute nach und nach zurückgefahren,
sondern brach völlig zusammen. Die wenigen Repräsentanten der öffentlichen Ordnung – einen «Staat» in
unserem Verständnis gab es damals noch nicht – machten sich aus dem Staub oder kamen ebenfalls ums Leben.
Das Ergebnis war in beiden Fällen dasselbe: Anarchie im Zeichen des krassen Überlebens-Egoismus. Die sozialen
Beziehungen dünnten aus, alle waren sich selbst die Nächsten, wer sich angesteckt hatte, war meist hoffnungslos
isoliert und starb einen einsamen Tod. Dem steht heute der durchorganisierte Wohlfahrts- und Vorsorgestaat
wirkungsvoll entgegen – noch, wie Pessimisten meinen. Dass seine Dienste überfordert sein könnten, mögliche
Heilung ausbleibt und ein serieller, jeglicher Würde beraubter Tod eintritt, ist nicht zufälligerweise die Hauptangst
unserer Tage – 1348 hallt hier nach. Trotzdem heisst es einstweilen hier: Vorteil Gegenwart.
Auf dem Höhepunkt der Durchseuchung stellte sich 1348 unter denen, die nicht geflohen waren, eine unheimliche
Egalität ein – vor dem Tod waren schliesslich alle gleich. Und einige sogar gleicher als gleich: die wenigen, die
die Seuche überlebten und oft den unteren Schichten entstammten, waren jetzt die neuen Mächtigen, die sich ihre
Hilfeleistungen teuer bezahlen liessen. Hier stossen wir bei unserem Bewertungssystem an ideologische Grenzen:
Für Befürworter einer sozialen Revolution auf der äussersten Linken ist das ohne Zweifel ein Pluspunkt für das
14. Jahrhundert, hatte die Dominanz der Ausbeuter doch immerhin eine Zeitlang ein Ende.

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Lassen wir es in diesem Fall also unentschieden;
eine solche Bewertung bietet sich umso mehr an,
als nach dem Abflauen der Seuche eine grosse
Vermögensumverteilung anstand – anstelle
ausgestorbener Hauptlinien grosser Familien
waren jetzt sehr oft entfernte Erben, also in den
Augen wohlgeborener Zeitgenossen obskure
Parvenüs, am Zuge. Allerdings schlägt auch zu
Buche, dass die einfachen Leute, die die
Katastrophe überlebt hatten, jetzt aufgrund der
starken Reduzierung von Arbeitskraft höhere
Löhne und damit bessere Lebensbedingungen
gewannen; es steht jetzt also sechs zu zwei für uns.

(Bild 2: Sie wurden zum Symbol der Corona-


Krise: Italienische Militärlastwagen, die Särge
abtransportieren. Mit diesem Schnappschuss hat
der Flugbegleiter Emanuele di Terlizzi ein
weltweites Echo ausgelöst (Emanuele di Terlizzi
via EPA).)

Ein Hymnus auf das Leben: Bleibt abschliessend


ein letzter Gesichtspunkt, nämlich die kulturellen
Folgeerscheinungen der Epidemie, ins Auge zu
fassen. Lange Zeit glaubte die Forschung, dass die
Menschen des 14. Jahrhunderts nach der
Katastrophenerfahrung «todesbewusster», also
nachdenklicher und frömmer geworden seien.
Gespiegelt sah man diese neue «posttraumatische»
Gesinnung zum Beispiel in den Fresken des alten
Friedhofs von Pisa, wo die Unausweichlichkeit und
Hässlichkeit des Sterbens unvergesslich
eindrucksvoll dargestellt ist und der Tod allenthalben triumphiert.
Doch das war schöner gedacht, als sich Geschichte vollzieht: Heute wissen wir, dass diese Bilder vor der grossen
Pest entstanden sind. Umgekehrt wird historische Wahrheit daraus: Ein Menschenalter nach der ersten grossen
Epidemie meisselt Donatello seinen David, malt Masaccio die ersten perspektivischen Fresken. Das waren Werke,
die den Menschen in einer ganz neuen Grösse, Würde und Unverwechselbarkeit zeigen, und das, obwohl die Pest
in der Zwischenzeit immer wieder zurückgekommen war – mit der Folge, dass Florenz jetzt 37 000 statt über
100000 Einwohner zählte.
Mit anderen Worten: Die künstlerische und intellektuelle Elite münzte die Epidemie in einen Hymnus auf das
Leben und den Lebensgenuss um. Das und die damit verbundene Gelassenheit sollte sich die Gegenwart trotz
ihrem klaren Punktsieg zu eigen machen und bei aller vernünftigen Vorsicht gegenüber dem Coronavirus auch
nachahmen.

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