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Einführung in die Sprachwissenschaft

Gerrit Kentner

April 23, 2010


Organisatorisches
Willkommen

Auf geht’s!
Was ist überhaupt Sprache?
Was macht die Sprachwissenschaft?
Sprachwissenschaft als Grenzdisziplin
Willkommen

I Meine Kontaktdaten:
I Gerrit Kentner
Institut für Kognitive Linguistik
Johann Wolfgang Goethe - Universität
kentner@lingua.uni-frankfurt.de
http://user.uni-frankfurt.de/∼kentner/
Schön, dass Sie hier sind!
Mit wem habe ich es zu tun?

I Studiengang
I Germanistik?
I andere Philologien?
I Studienziel
I Magister?
I Lehramt?
I Muttersprachen
I Deutsch?
I andere?
Willkommen

I Räume und Zeiten


I Dienstags, 8-10 Uhr: Vorlesung
I Dienstags, 16-18 Uhr: Tutorium (Katharina Volkmann)
I IG 1.301
I kat.volkmann@gmail.com
I Sprechstunde Kentner: Dienstag 10-12 (IG-5.256)
I Virtueller Kursraum:
http://user.uni-frankfurt.de/∼kentner/EinfLing.html
I Umfang
I 2 Semester (Klausur am Ende des 2. Semesters)
Stellung dieser Veranstaltung im Studium

Grundlage für weiterführende Kurse in


I der Didaktik der Deutschen Sprache
I der germanistischen Linguistik
I der allgemeine Sprachwissenschaft
I Sprachtechnologie
I etc.
Zielsetzung

I Überblick über die Teildisziplinen in der Sprachwissenschaft


I Erlernen der Fachsprache, in der sprachliche Phänomene zu
beschreiben sind
I Erlernen von Methoden zur Analyse von Sprache;
selbstständige Anwendung
I Überprüfung der eigenen Überzeugungen, was Sprache, was
Muttersprache ist.
Was ist Sprache?

I Verwendung des Begriffs / Bedeutungsvarianten


I ’Null Bock’ ist eine Redewendung aus der Jugendsprache
I Er hat seine Sprache durch einen Unfall verloren
I Es hat ihr glatt die Sprache verschlagen
I Die Sprache unterscheidet den Menschen vom Tier
I Er hat versucht, sie mit der Sprache der Blumen zu umgarnen
I Sie hat in der Schule Französisch als Fremdsprache gewählt
I Carla kann zwei Programmiersprachen
I Die Sprache Goethes war prägend für eine ganze Epoche der
deutschen Literatur
Was ist Sprache?
I Verwendung des Begriffs / Bedeutungsvarianten
I die nur dem Menschen eigene Fähigkeit, sich einer natürlichen
Sprache zum Austausch von Gedanken zu bedienen
I die grundstzliche Fähigkeit des einzelnen Menschen, Sprache
zu gebrauchen
I die spontane Realisierung einer bestimmten sprachlichen
Äusserung in der aktuellen Kommunikation
I eine konkrete durch Lexikon und Grammatik konstituierte
Einzelsprache, Nationalsprache
I Dialekt einer Einzelsprache
I vom Menschen künstlich geschaffenes Zeichensystem
I eine durch den Sprachgebrauch bestimmter sozialer Gruppen
abgrenzbare Varietät einer Einzelsprache (Soziolekt)
I individuller habitualisierter Sprachgebrauch einer Person,
Individualstil
I nichtartikuliertes, instiktives akustisches Zeichensystem zur
Kommunikation
I symbolischer Gebrauch eines Gegenstandes zur Übermittlung
von Informationen
Was ist Sprache?
I Wieviele Sprachen (i.S.v. Einzelsprache mit eigenem Lexikon,
eigener Grammatik) gibt es?
I keine Einigkeit: Es wird meistens eine Zahl zwischen 4000 und
5000 genannt, www.ethnologue.com listet 7413 Sprachen auf
(darunter tote Sprachen)
I Tendenz abnehmend: Viele Sprachen sind akut vom
Aussterben bedroht
I Entdeckgung neuer Sprachen (Amazonasbecken, Zentralafrika,
Neuguinea)
I Probleme der Definition
I Sprache oder Dialekt: Konflikte treten auf, wenn die Kriterien
der nationalen Identität und der gegenseitigen Verständlichkeit
nicht zusammenfallen (politische, historische, ethnische,
religiöse oder andere Faktoren; z.B. Chinesisch wird als eine
einzige Sprache betrachtet, obwohl es mehrere hundert
Dialekte in China gibt, die gegenseitig mehr oder weniger
unverständlich sind)
I ’A language is a dialect with an army’
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

I Untersuchungsgegenstand ist die natürliche menschliche


Sprache.
die allgemeine Sprachwissenschaft beschränkt sich nicht nur
auf die Beschreibung einer Einzelsprache, sondern hat den
Anspruch, Phänomene in allen Sprachen zu erklären (Deutsch,
Englisch, mexikanische Gebärdensprache, Yoruba, Maung,
Alemannisch, Baskisch, Akan usw. usf.)
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

Es gibt sehr unterschiedliche Herangehensweisen an diesen


Untersuchungsgegenstand.
I Generative Sprachwissenschaft (im Rahmen der
Kognitionswissenschaft)
I Sprache und Kommunikation
I Soziolinguisitik
I Historische Linguisitk
I Angewandte Sprachwissenschaften
...
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

Generative Sprachwissenschaft
Zwei wesentliche Fragen: Wie ist unser sprachliches Wissen im
Gehirn / Geist repräsentiert und wie kommt es da hinein?
Es geht also um (spezifische) mentale Repräsentationen und um
deren Erwerb
Antworten auf diese Fragen müssen folgenden Eigenschaften der
menschlichen Sprache gerecht werden:
I Kreativität
I Systemcharakter
I Lernbarkeit
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

Generative Sprachwissenschaft
I Kreativität:
Wir haben die Fähigkeit, eine beliebige (unendliche) Anzahl
von Sätzen auszudrücken. Sprecher sind kreativ. Der
Kreativität sind aber formale Grenzen gesetzt. Linguisten
wollen diese Grenzen abstecken.
Wie weit geht sprachliche Kreativität? Was heisst das für den
menschlichen Geist?
I Systemcharakter
I Lernbarkeit
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

Generative Sprachwissenschaft
Kreativität:
Wir haben die Fähigkeit, eine beliebige (unendliche) Anzahl von
Sätzen auszudrücken.
I Maria hat einen Apfel gegessen.
Maria hat 5487 Äpfel gegessen.
Maria hat x Äpfel gegessen (x ∈ {0...∞ })
I Ilona glaubt, dass Heiner weiss, dass Rudi gesagt hat, dass
Ulla sich erkundigt hat, ob Maria denkt, dass Paul darum
bitten sollte, dass Dieter fragen möge, ob Karlo überzeugt ist,
dass... (da capo)
I Der Hund, der die Maus, die die Katze [...] essen wollte,
verjagte, sehnte sich nach seinem Frauchen.
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?
Generative Sprachwissenschaft
Kreativität:
Wir haben die Fähigkeit, neue Wörter zu erfinden oder alte Wörter
mit neuen Bedeutungen zu belegen.
I simsen
I kirschgrün
I abziehen (i.S.v. ausrauben)
Aber es gibt Grenzen der Kreativität:
I konsum-haft, *konsum-lich
I kannst Du mal den Mario ansimsen? - *kannst Du mal den
Mario anhandyen?
I Unaussprechlich: Präsens von Der Dirigent hat die Oper
uraufgeführt.
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

Generative Sprachwissenschaft
I Kreativität:
I Systemcharakter
Sprache kann als ein komplexes Regelsystem beschrieben
werden (+ Grammatik). Die Grammatik unterscheidet
verschiedene Subsysteme, die ebenfalls eigenen Regeln
unterliegen. Linguisten verstehen den Terminus ’Grammatik’
nicht so sehr als in Buchform gegossene Auflistung von
Regeln, sondern als implizites Wissen, das Sprecher einer
Sprache von ihrer Sprache haben - die Sprachkompetenz.
Linguisten wollen dieses regelhafte Wissen erforschen - es geht
also wieder um den menschlichen Geist.
I Lernbarkeit
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

Generative Sprachwissenschaft
I Kreativität:
I Systemcharakter
I Lernbarkeit
Sprache muss gelernt werden und kann als Muttersprache
mehr oder weniger mühelos gelernt werden; diese
Mühelosigkeit vermissen wir oft beim Fremdspracherwerb.
Wie kann es sein, dass kleine Kinder ein so hochkomplexes
System wie ihre Muttersprache innerhalb der ersten 3-5
Lebensjahre erlernen?
+ Sprachwissenschaft im Rahmen der Kognitionswissenschaft
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

Generative Sprachwissenschaft
Lernbarkeit
Kann der menschliche Geist die Unendlichkeit beherrschen???
Wie kann man eine Sprache lernen, wenn diese unendlich viele
Sätze hervorbringen kann?
Wohl nicht, indem sich der Sprachlerner alle Sätze merkt, die in
seiner Umgebung vorkommen (und bei Bedarf verwendet) - das
wäre kaum mit obigen Daten zur sprachlichen Kreativität vereinbar.
Es gilt, das System hinter den Sätzen zu erlernen (die Grammatik).
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?
Generative Sprachwissenschaft
Lernbarkeit
Die Schwierigkeit für den Lerner besteht darin, systemrelevante
von -irrelevanter Information zu unterscheiden
Das gilt insbesondere, weil die Information in mehrfacher Hinsicht
unzureichend ist (poverty of the stimulus).
I Wir hören recht häufig unvollständige, ungrammatische Sätze
- wie entscheidet der Lerner, welche Sätze in seiner Sprache
gültig sind?
I Die Menge an ”korrekten” Sätzen kann theoretisch von
verschiedenen Grammatiken erzeugt werden - welche ist die
richtige?
I In der Regel fehlt dem Sprachlerner negative Evidenz - wie
kommt er zu der Fähigkeit zu entscheiden, welche Sätze
ungrammatisch sind?
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

Generative Sprachwissenschaft
Die Universalgrammatik
Eine mögliche Lösung des poverty of the stimulus- Problems:
der Lerner hat eine angeborene Sprachfähigkeit, eine
Universalgrammatik, die von vornherein gewisse logisch
mögliche Strukturen als faktisch unmöglich ausschliesst.
Prinzipien der UG müssen nicht gelernt werden.
Die Universalgrammatik gilt für alle Sprachen, ist also recht
abstrakt und generell.
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

Generative Sprachwissenschaft
Die Universalgrammatik
Evidenz für die Universalgrammatik kommt von sprachlichen
Universalien, d.h. Prinzipien, die in allen Sprachen Gültigkeit
besitzen. Hier drei Beispiele:
I Jede Sprache hat mindestens 2 Vokale
I Alle Sprachen besitzen Glieder, die keine eigene Bedeutung
haben (Funktionswörter, beispielsweise Artikel)
I Ein Konjunkt aus einer Koordinationsstruktur kann nicht mit
vorangestelltem Fragepronomen erfragt werden:
I Die Maria hat den Hans geküsst. - Wen hat die Maria geküsst?
I Die Maria hat den Hans und den Paul geküsst.
*Wen hat die Maria den Hans und — geküsst?
...
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

Die Idee einer angeborenen Universalgrammatik ist nicht


unumstritten. Empiristische Theorien gehen davon aus, dass
allgemeine Lernmechanismen den Spracherwerb des Kindes und die
universal erlaubten Strukturen erklären können. Demnach bräuchte
es dafür keine eingene Spezifikation in Form von rein
grammatischen Prinzipien.
Emergenztheoretiker nehmen an, dass sich sprachliche Strukturen
und Gesetzmässigkeiten spontan auf Grundlage des
Zusammenwirkens der sprachlichen Elemente herausbilden (die
Gesetzmässigkeiten müssen demnach nicht angeboren sein). Die
emergenten Eigenschaften des Systems ”Sprache” lassen sich nicht
offensichtlich auf Eigenschaften der Elemente (z.B. Artikulations-
und Wahrnehmungsapparat, Umwelt) zurückführen, die diese
isoliert aufweisen.
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

weitere Herangehensweisen an Sprache:


I Sprachwissenschaft als Teil der Kommunikationswissenschaft:
Sprache gibt es nur im Dialog.
Wie vermitteln Sprecher in konkreten Situationen ihre
Informationen?
Was erreichen Menschen wie mit Sprache (befehlen,
überzeugen, entschuldigen, danken, um etw. bitten...)?
Mit Sprache Handlungen vollziehen (’How to do things with
words’)
+ Pragmalinguistik, linguistische Pragmatik
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

weitere Herangehensweisen an Sprache:


I Sprache und Gesellschaft:
Sprache wird je nach sozialer Gruppe unterschiedlich
verwendet
Sprache kodiert gesellschaftliche Unterschiede
In welchem sozialen Kontext wird (1) bzw. (2) verwendet?

(1) Los, mach schon!


(2) Ich möchte Sie dringend bitten, die Sache zeitnah zu
erledigen.

+Diese Fragen will die Soziolinguistik beantworten.


Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

weitere Herangehensweisen an Sprache:


I Nachzeichnen der Entwicklung der Sprache:
Sprache verändert sich mit der Zeit.
I Wo kommen die Wörter her? + Etymologie
bsp.: Grasmücke - ein grau geschmückter Vogel
I Lautwandel:
mhd.: tumb, zimber, lamp, wambes

nhd.: dumm, Zimmer, Lamm, Wams
I Historische Sprachwissenschaft
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

weitere Herangehensweisen an Sprache:


I Erwerb und Verarbeitung der Sprache:
I In welchen Schritten vollzieht sich der Spracherwerb beim Kind
/ beim Zweitsprachlerner?
dada  Ich will mitspielen!
I Was sagen uns Versprecher über die mentale Verarbeitung von
Sprache?
Reden ist Schweigen, Silber ist Gold!
I In welchen Schritten wird Sprache produziert, verstanden?
Vom physikalischen Ereignis (Schallstrom) zur Bedeutung und
andersherum
I Psycholinguistik (auch Teil der Kognitionswissenschaft)
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

weitere Herangehensweisen an Sprache:


I Lokalisation der Sprache im Gehirn / Sprachverlust:
I Welche Hirnareale sind bei sprachlichen Aufgaben aktiv?
I Was sagen aphasische Sprachstörungen über das Sprachsystem
aus?
I Neurolinguistik (auch Teil der Kognitionswissenschaft)
Anwendungsbereiche: Klinische Linguistik, Patholinguistik,
Logopädie
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

weitere Herangehensweisen an Sprache:


I Sprachverarbeitung per Computer
I Welche Aspekte der Sprache sind computationell modellierbar?
I Kann man einer Maschine Sprache beibringen?
I Kann ein Computer übersetzen?
I Kann ein Computer eine Zusammenfassung einer Geschichte
schreiben?
I Computerlinguistik
Anwendungsbereich: Grammatik- und Rechtschreibprüfung,
Dialogsysteme, Durchforsten grosser Sprachkorpora...
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?
Die Sprachwissenschaft hat vielfältige Beziehungen zu anderen
akademischen Disziplinen:
I Philosophie
I Mathematik (formale Logik)
I Biologie (Anthropologie)
I Psychologie (Kognitionswissenschaft)
I Medizin (Patholinguistik, Neurolinguistik)
I Jura (Sprache und Recht)
I Physik (Akustik, Psychoakustik - Beziehung zur Phonetik)
I Informatik
I Soziologie
I Literaturwissenschaft
...
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

Alle linguistischen (Sub-)Disziplinen brauchen einen gemeinsamen


Beschreibungsapparat, der es erlaubt, sprachliche Phänomene zu
analysieren. Die linguistischen Kernbereiche, auch Kernbereiche
der Grammatik:
I Phonetik und Phonologie (Lautsystem)
I Morphologie (Wortstruktur)
I Syntax (Satzstruktur)
I Semantik (Bedeutung)
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

I Phonetik und Phonologie (Sprachlaute)


I ’glack’ ist ein mögliches Wort des Deutschen, ’wlall’ wohl
kaum.
Sprecher des Deutschen wissen das - aber worauf gründet sich
dieses Wissen?
I Warum sagt man ’Atem’ und ’Atmung’ aber nicht ’Atemung’ ?
I Das Wort ’Arbeiter’ ist auf der ersten Silbe betont. In dem
Kompositum ’Gastarbeiter’ ist keine Betonung auf der
entsprechenden Silbe. Wieso?
I Aufgabe an die Phonologie: Beschreibung des Lautinventars
der Sprachen. Welche Lautkombinationen sind möglich und
welche Prinzipien bestimmen die Kombinationsmöglichkeiten
(Phonotaktik)? Wie sieht die Silbenstruktur aus? [...]
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

I Morphologie
I Aus welchen Wortbestandteilen besteht
’Wachstube’ ?
I Blau-beere, Stachel-beere, Erd-beere, Him(?)-beere
I Paradigmen:
laufen - lief - gelaufen
raufen - *rief/ raufte - *geraufen/ gerauft
I Dankbar+keit; *Dankbar+heit
I Aufgabe an die Morphologie: Beschreibung der
Wortbildungsmöglichkeiten und -prozesse.
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

I Syntax
Wörter stehen nicht allein, sondern typischerweise im Satz -
viele Kombinationen sind möglich - aber nicht alle:
I Der Hans will die Bücher in das Regal stellen.
I Die Bücher will der Hans in das Regal stellen.
I *Die Bücher wollen der Hans in das Regal stellen.
I In das Regal stellen will der Hans die Bücher.
I Die Bücher in das Regal stellen will der Hans.
I *Das Regal will der Hans die Bücher in stellen.
I *Der Hans die Bücher will in das Regal stellen.
I Aufgabe an die Syntax: Beschreibung aller erlaubten/
grammatischen Satzstrukturen.
Was ist/ was macht die Sprachwissenschaft?

I Semantik
Was bedeuten Wörter und Sätze?
I Da läuft etwas Graues - ein Elefant → ein grauer Elefant
Da läuft etwas Grosses - ein Elefant 9 ein grosser Elefant
I ?Das folgende Stück ist ebenfalls von Bach - allerdings von
seinem Sohn
I Alle Kinder sind nicht gekommen
I ?Colourless green ideas sleep furiously
I Schlaf endlich ein! - *Heiss endlich Paul!
I Einen Satz verstehen, heisst wissen, was der Fall ist, wenn er
wahr ist. (Man kann ihn also verstehen ohne zu wissen, ob er
wahr ist.)
Wittgenstein
Was bisher geschah
Was bisher geschah

I Der Sprachbegriff
I Einordnung der Linguistik in die Genealogie der
Wissenschaften
I Kernbereiche der Grammatik (Phonologie, Morphologie,
Syntax, Semantik)
Begriffsklärung

I Sprache: die Gesamtheit aller potentiellen und tatschlichen


Ausdrücke innerhalb einer (Sprach-)gemeinschaft (Bloomfield
1926).
I Grammatik, auch: linguistische Kompetenz;
mentales Wissenssystem, das der Verwendung von Sprache
zugrundeliegt.
Begriffsklärung

”Linguistic theory is concerned primarily with an ideal


speaker-listener, in a completely homogeneous speech community,
who knows its language perfectly and is unaffected by such
grammatically irrelevant conditions as memory limitations,
distractions, shifts of attention and interest, and errors (random or
characteristic) in applying his knowledge of the language in actual
performance.” (Chomsky 1965)
+ Unterscheidung zwischen Kompetenz und Performanz!
Kompetenz i.Ggs. zur Performanz ist nicht direkt beobachtbar.
Kompetenz ist ein idealisierter Gegenstand
Sprache als Zeichensystem

Grundlage für diese Sitzung:


Busch / Stenschke (2008). Germanistische Linguistik - eine
Einführung. Tübingen: Narr
Kapitel 2
Sprache als Zeichensystem

Mit Sprache kann man über etwas reden.


Die Linguistik kann als Teildisziplin der Semiotik (Zeichentheorie)
gesehen werden (versteht sich aber als selbstständige Disziplin).
Was ist ein Zeichen?
I Etwas, das für etwas steht - ’aliquid stat pro aliquo’ oder auch
Ein Zeichen steht für ein Bezeichnetes
+ Stellvertreterfunktion!!
I Dieser Zeichenbegriff enthält keine Einschränkung darüber,
was Zeichen und Bezeichnetes sein könnten.
I Rauch steht für Feuer
I ”Einhorn” steht für ein bestimmtes Fabelwesen
I rotes Licht an der Ampel steht für ”Stop!”
I ® steht für Fahrradweg
Sprache als Zeichensystem

Drei Typen von Zeichen (nach Charles Pierce)


I Index (auch Symptom)
I Zeichen und Bezeichnetes stehen in einem Folge-Verhältnis
(auch Ursache-Wirkungs-Zusammenhang)
Stimmlage steht für Geschlecht
Fieber steht für Krankheit
Rauch steht für Feuer
I Ikon
I Zeichen und Bezeichnetes stehen in einem
Ähnlichkeitsverhältnis
Piktogramme
Onomatopoetika (Wauwau, Kuckuck)
I Symbol
I weder Ähnlichkeits- noch Folgeverhältnis zwischen Zeichen und
Bezeichnetem
Sprache als Zeichensystem

Wie werden Zeichen benutzt


I Index (auch Symptom)
I Verhältnis von Zeichen und Bezeichnetem ist umwelt- /
situationsabhängig
Verhältnis von Rauch und Feuer gilt unabhängig davon, ob
jemand mit Rauch absichtlich auf Feuer hinweisen will.
Indem wir Rauch als Zeichen für Feuer deuten, bedienen wir
uns unseres Erfahrungswissens von der Welt.
I Indexe werden meist nicht intentional von Zeichenbenutzern
gesetzt sondern ergeben sich aus der Situation - damit
unterscheiden sie sich von Ikon und Symbol, die wir immer als
absichtlich gesetzte Zeichen interpretieren
Sprache als Zeichensystem

Wie werden Zeichen benutzt


I Ikon
I Ikone werden grundsätzlich mit einer Absicht gesetzt.
I Um Ikone als Zeichen zu nutzen, müssen wir im Zeichen das
Bezeichnete als Abbild wiedererkennen.
I Dazu müssen wir wissen, wie Dinge abgebildet werden
(prototypische Merkmale von Dingen).
I Im Prinzip sind Ikone sprach- und kulturunabhängig nutzbar.
Allerdings sind nicht alle Piktogramme ohne Weiteres zu
deuten (abhngig vom Abstraktionsgrad).
Auch gibt es Gesellschaften, die traditionell keine Bilder
herstellen und Probleme bei der Interpretation von
Abbildungen und Piktogrammen haben.
I Die Grenze zum Symbol ist unklar (Entwicklung der Schrift
von den Hieroglyphen zu abstrakteren Systemen)
PakinLufigjr
Sprache als Zeichensystem

Wie werden Zeichen benutzt


I Symbol
I Die Beziehung von Zeichen und Bezeichnetem ist
grundsätzlich arbiträr:
Das Wort ”Baum” hat nichts baumhafteres als das engl.
”tree”.
Ein gelbes, auf der Spitze stehendes Quadrat mit weissem
Rand kann ohne explizite Erklärung nicht als Zeichen für
Vorfahrt gedeutet werden.
I Die Zuweisung einer Bedeutung setzt also Konventionen
(Übereinkünfte) über den Zeichengebrauch voraus.
I Symbole werden wie Ikonen intentional gesetzt und
interpretiert.
Sprache als Zeichensystem

Objekte oder Phänomene werden nur über den Zeichenbenutzer


zum Zeichen. Er stellt den Referenzbezug zwischen Zeichen und
Bezeichnetem her
I Ein an einer Stange befestigtes, farbiges Stück Blech in
Quadratform ist erst dann ein Zeichen, wenn wir unser Wissen
um seine Funktion aufrufen.
I Die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem ist also
indirekt!
Das semiotische Dreieck...

...ist gar kein Dreieck


Sprache als Zeichensystem

Die Struktur des sprachlichen Zeichens:


Mit Saussure unterscheiden wir zwischen Form (signifiant) und
Inhalt (signifié) des sprachlichen Zeichens.
Achtung: signifié 6= Referenzobjekt
I signifié ≈ Bedeutung/ Konzept (ist ein Aspekt des Zeichens)
I Referenzobjekt ist nicht inhärenter Teil des Zeichens
Saussure verwendet für
signifant auch den Begriff image acoustique;
signifié wird auch concept genannt.
Sprache als Zeichensystem

Die Struktur des sprachlichen Zeichens:


Form und Bedeutung sind unmittelbar aufeinander bezogen. Die
Beziehung ist charakterisiert durch:
I Arbitrarität (s.o.)
Zuordnung von Laut und Bedeutung ist willkürlich.
I Konventionalität (s.o.)
Zuordnung kann nicht von jedem Benutzer nach Belieben
vorgenommen werden. Zuordnung muss innerhalb der
Sprechergemeinschaft einigermassen stabil sein, ansonsten
scheiterte Kommunikation.
I Assoziativität:
Zeichenform und -inhalt sind unterschiedliche aber
miteinander verbundene Gedächtnisinhalte.
Peter Bichsel: Ein Tisch ist ein Tisch

”Immer derselbe Tisch”, sagte der Mann, ”dieselben Stühle, das


Bett, das Bild. Und dem Tisch sage ich Tisch, dem Bild sage ich
Bild, das Bett heisst Bett, und den Stuhl nennt man Stuhl. Warum
denn eigentlich?” Die Franzosen sagen dem Bett ”li”, dem Tisch
”tabl”, nennen das Bild ”tablo” und den Stuhl ”schäs”, und sie
verstehen sich.[...] ”Warum heisst das Bett nicht Bild”, dachte der
Mann [...] und er sagte von nun an dem Bett ”Bild”.
”Ich bin müde, ich will ins Bild”, sagte er, und morgens blieb er oft
lange im Bild liegen [...] und er nannte den Stuhl ”Wecker”. [...]
Am Morgen blieb der alte Mann lange im Bild liegen, um neun
läutete das Fotoalbum, der Mann stand auf und stellte sich auf den
Schrank, damit er nicht an die Füsse fror, dann nahm er seine
Kleider aus der Zeitung, zog sich an, schaute in den Stuhl an der
Wand, setzte sich dann auf den Wecker an den Teppich, und
bltterte den Spiegel durch, bis er den Tisch seiner Mutter fand.
Sprache als Zeichensystem

Was ist angesichts Bichsels Gedicht über die Beziehung von Form
und Bedeutung zu sagen?
I Arbitrarität (s.o.)
Zuordnung von Laut und Bedeutung ist willkürlich.
Sprache als Zeichensystem

Was ist angesichts Bichsels Gedicht über die Beziehung von Form
und Bedeutung zu sagen?

I Konventionalität (s.o.)
Zuordnung kann nicht von jedem Benutzer nach Belieben
vorgenommen werden. Zuordnung muss innerhalb der
Sprechergemeinschaft einigermassen stabil sein, ansonsten
scheiterte Kommunikation.
Sprache als Zeichensystem

Was ist angesichts Bichsels Gedicht über die Beziehung von Form
und Bedeutung zu sagen?

I Assoziativität:
Zeichenform und -inhalt sind unterschiedliche aber
miteinander verbundene Gedächtnisinhalte.
Zeichenmodelle

Figure: Bühlers Organonmodell (Quelle: wikimedia commons)


Zeichenmodelle

Figure: Bühlers Organonmodell (Quelle: wikimedia commons)

I Kreis: Schallphänomen
I Zeichen in dreifacher Hinsicht:
I Symbol (Beziehung zum Bezeichneten)
I Index/ Anzeichen (Beziehung zum Sender)
I Signal (Appell an Empfänger)
Dimensionen des Zeichens

Figure: nach Morris (Quelle: Busch, Stenschke: Germanistische


Linguistik)
Verbale, paraverbale, nonverbale Zeichen

I sprachliche (verbale) Zeichen


I {Hund, Katze, Maus...}
I paralinguistische (paraverbale) Zeichen
I Lautstärke, Intonation, Sprechtempo, Stimmqualität...
I nichtsprachliche (nonverbale) Zeichen
I Gestik, Mimik, Blickkontakt...
I

Aufgabe: Gibt es einen Zusammenhang zwischen dieser


Zeichenklassifikation und der Klassifikation von Pierce (Index,
Ikon, Symbol)?
Sprache als Zeichensystem

Das System Sprache ist nicht als eine Liste von Zeichen zu
verstehen, aus der ein Sprecher bestimmte Elemente für seine
Äusserungen wählt und aneinanderreiht.
Die sprachlichen Zeichen sind nicht einfach aufgelistet, sondern
haben systematische, regelhafte Beziehungen untereinander. Eine
Sprache sprechen heisst daher, Regeln zu folgen (was Kreativität
nicht ausschliesst!).
I Syntagmatische Beziehungen
I Paradigmatische Beziehungen
I Analyse und Kombinatorik der Zeichen
Sprache als Zeichensystem

I Syntagmatische Beziehungen
I Beziehung zwischen benachbarten sprachlichen Elementen in
einer komplexen Einheit (Syntagma)
semantische Beziehung: Der Hund bellt / *Die Ente bellt
grammatische Beziehung: Der Hund bellt / *Der Hund bellen
I Paradigmatische Beziehungen
I ’vertikale’ Beziehung zwischen sprachlichen Elementen.
Austauschbarkeit / Substituierbarkeit von Elementen einer
Klasse (eines Paradigmas)
semantisches Paradigma:
Der Hund {bellt, knurrt, winselt, jault, *spricht ...}
morphosyntaktisches Paradigma:
Der Hund {bellt, bellte, hat gebellt, *bellten ...}
Sprache als Zeichensystem

I Analyse und Kombinatorik der Zeichen


Sprachliche Zeichen sind mehrfach strukturiert
(’Mehrstufigkeit der Zeichenorganisation, doppelte
Gegliedertheit, Dualität’)
I Wörter sind analysierbar in kleinere a) bedeutungstragende
Wortbestandteile (Morpheme) und diese wiederum in b)
bedeutungsunterscheidende Laute (nicht bedeutungstragende
Phoneme)
I Andererseits sind Wörter kombinierbar zu grösseren Einheiten:
Phrasen, Sätze, Texte
+ sprachliche Zeichen sind komplex und daher ökonomisch
(sie transportieren viel auf einmal)
Wörter

Analysierbar in
I Laute ohne eigene Bedeutung { v, œ, K, t, 5}
I Wortbestandteile mit Bedeutung {Wort + er }
Kombinierbar mit
I anderen Wörtern zu Sätzen und Texten
Sprache als Zeichensystem

I Analyse und Kombinatorik der Zeichen - in Zahlen


’Mehrstufigkeit der Zeichenorganisation, doppelte
Gegliedertheit, Dualität’
I Mit einer sehr kleinen Menge bedeutungsloser (aber
bedeutungsunterscheidender!) Einheiten (Phoneme, ca. 40 im
Deutschen) kann eine sehr grosse Menge an
bedeutungstragenden Elementen (Wörter, zwischen 50.000
und 500.000, je nach Zählweise) gebildet werden. Die
Kombinationsmöglichkeiten von Wörtern zu Sätzen sind
unendlich.
Was kommt als nächstes?

I Morphologie (4 Sitzungen)
I Phonetik / Phonologie (4-5 Sitzungen)
I Syntax (Rest des Semesters)
im kommenden Semester folgen: mehr Syntax, Semantik,
Pragmatik und je nach Zeit ein wenig Historische Linguistik und
Psycholinguistik
Aufgaben
I Wir haben grosse Probleme, einen Satz wie ”Der Mediziner,
der die Ministerin, die den Handwerker, dessen Geliebte Rosen
über alles liebt, überraschte, befragte, kritisierte den
Präsidenten.” zu verstehen.
Ist das ein Problem der Kompetenz oder der Performanz?
I Die Beziehung vom Symbol zum bezeichneten Gegenständ
oder Sachverhalt gilt als arbiträr. Was heisst das? Ist die
Beziehung zwischen der Zeichenkette ”Hans küsst Maria” und
dem entsprechenden Sachverhalt willkürlich? Warum? Was
könnte daran nicht willkürlich sein?
I Gestik und Mimik gelten als nonverbale / nichtsprachliche
Zeichenkategorie. Wie ist das bei Nutzern der
Gebärdensprache?
I es wurden verschiedene semiotische Modelle (meist dreieckig)
vorgestellt. Schauen Sie sich diese noch einmal an und
entwirren Sie die verschiedenen Dimensionen des darin
Dargestellten.

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