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Grundlagen und Fortschritte der

Ingenieurwissenschaften

Klaus Gersten
Heinz Herwig

Strömungsmechanik
Grundlagen der Impuls-, Wärme- und
Stoffübertragung aus asymptotischer
Sicht
Klaus Gersten
Heinz Herwig

Strömungsmechanik
Grundlagen der Impuls-, Wärme- und Stoffübertragung
aus asymptotischer Sicht
Grundlagen und Fortschritte der Ingenieurwissenschaften

Fundamentals and Advances in the Engineering Seiences

herausgegeben von
Prof. Dr.-Ing. Wilfried B. Krätzig, Ruhr-Universität Bochum
Prof. Dr.-Ing. em. Theodor Lehmann t, Ruhr-Universität Bochum
Prof. Dr.-Ing. Oskar Mahrenholtz, TU Harnburg
Prof. Dr.-Ing. Peter Hagedorn, TH Darmstadt

Konvektiver Impuls-, Wärme- und Stoffaustausch


von Michael Jischa

Einführung in Theorie und Praxis der Zeitreihen- und Modalanalyse


von Hans G. Natke

Mechanik der Flächentragwerke


von Yavuz Basar und Wilfried B. Krätzig

Introductory Orbit Dynamics


von Fred P. J. Rimrott

Festigkeitsanalyse dynamisch beanspruchter Offshore-Konstruktionen


von Karl-Heinz Hapel

Abgelöste Strömungen
von Alfred Leder

Strömungsmechanik
von Klaus Gersten und Heinz Herwig

Manuskripte oder Buchentwürfe werden gerne im Herausgeberkreis beraten


und werden erbeten unter der Adresse der Herausgeber
oder an den Verlag Vieweg, Faulbrunnenstr. 13, D-6200 Wiesbaden.
Klaus Gersten
Heinz Herwig

Strömungsmechanik
Grundlagen der Impuls-, Wärme- und Stoffübertragung
aus asymptotischer Sicht

Mit 154 Bildern, 58 Tabellen


und 70 Beispielen

II
v1eweg
Prof. Dr.-Ing., Dr.-Ing. E. h. Klaus Gersten,
Direktor des Institutes für Thermo- und Fluiddynamik
der Ruhr-Universität Bochum,
Inhaber des Lehrstuhles "Strömungsmechanik"

Prof. Dr.-Ing. Heinz Herwig,


außerplanmäßiger Professor der Fakultät für Maschinenbau
der Ruhr-Universität Bochum,

Alle Rechte vorbehalten


© Springer Fachmedien Wiesbaden 1992
Ursprünglich erschienen bei Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH,
Braunschweig I Wiesbaden, 1992

Das Werk einschließlich aller seinerTeile ist urheberrechtlich geschützt. Jede


Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist
ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere
für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei-
cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Gedruckt auf säurefreiem Papier

ISBN 978-3-322-93971-5 ISBN 978-3-322-93970-8 (eBook)


DOI 10.1007/978-3-322-93970-8
Vorwort

Das vorliegende Buch ist aus Vorlesungen entstanden, die seit vielen Jahren re-
gelmäßig von den Autoren an der Ruhr-Universität Bochum für Ingenieur-Studenten
höherer Semester abgehalten werden. Dabei wird stets besonderer Wert darauf ge-
legt, daß neben den sehr wichtigen numerischen Verfahren der Strömungsmechanik
(CFD: Computational Fluid Dynamics) auch die asymptotischen Methoden be-
handelt werden, d.h. Methoden der Störungsrechnung, die immer dann vorteilhaft
eingesetzt werden können, wenn die für die Strömungen charakteristischen Kennzah-
len kleine oder große Werte annehmen. Da dieses für die überwiegende Anzahl der
Strömungsprobleme der Ingenieurpraxis zutrifft, spielen in der Strömungsmecha-
nik asymptotische Methoden eine außerordentlich wichtige Rolle. Es sei nur die von
Ludwig Prandtl1904 begründete Grenzschichttheorie erwähnt, welche die asympto-
tische Theorie für Strömungen bei hohen Reynolds-Zahlen darstellt und erstmalig
den Einsatz singulärer Störungsrechnungen in der Strömungsmechanik aufzeigte.
Wie in dem Buch genauer ausgeführt wird, eignen sich die asymptotischen
Methoden ganz besonders, grundlegende Phänomene der Strömungsmechanik zu
vermitteln und zu allgemeingültigen Aussagen zu gelangen.
Bei vielen in der Praxis als "empirisch" geltenden Beziehungen läßt sich zei-
gen, daß sie "asympotische" Beziehungen sind. Die asymptotische Theorie läßt bei-
spielsweise erkennen, daß in der Praxis für Differentialgleichungen oft nicht konsi-
stente Randbedingungen verwendet werden, etwa wenn bei turbulenten Strömungen
für die vollständigen, zeitlich gemittelten Navier-Stokes-Gleichungen das logarith-
mische Wandgesetz als Randbedingung verwendet wird, das nur für den Grenzfall
großer Reynolds-Zahlen gilt.
Dieses Buch wurde geschrieben, weil bisher eine zusammenfassende Darstel-
lung der Strömungsmechanik mit konsequentem Einsatz asymptotischer Methoden
nicht existiert und weil diese Methoden mehr Einsatz in der Praxis verdienen. Es
handelt sich um eine Darstellung der Strömungsmechanik mit systematischer An-
wendung regulärer und singulärer Störungsrechnungen. Dieses bezieht sich auf lami-
nare und auf turbulente Strömungen. Letztere sind Strömungen bei hohen Reynolds-
Zahlen und insofern besonders prädestiniert für den Einsatz asymptotischer Metho-
den.
Vieles im Buch mußte neu entwickelt werden. Da also nicht auf spezielle Li-
teratur verwiesen werden konnte, mußten manche Abschnitte bewußt ausführlicher
vi K. Gersten/ H. Herwig

dargestellt werden. Trotz oder gerade wegen seines großen Umfanges versteht sich
dieses Buch jedoch nicht als "Formelsammlung". Das Ziel ist vielmehr, stets den
physikalischen Zusammenhang deutlich werden zu lassen, ohne den eine sinnvolle
und kritische Anwendung asymptotischer Methoden nicht möglich ist. Das Buch
wendet sich damit an Studenten der höheren Semester, Doktoranden und in der
Forschung und Entwicklung tätige Ingenieure.
In der etwa fünfjährigen Entstehungszeit dieses Buches sind die einzelnen
Abschnitte sehr ausführlich mit wissenschaftlichen Mitarbeitern diskutiert worden.
Besonderer Dank gebührt in dieser Hinsicht den Herren Dr.-Ing. Karsten Klemp,
Dr.-Ing. Bernhard Jeken, Dipl.-Ing. Peter Schäfer und Dipl.-Ing. Marco Voigt. Von
Herrn Dr.-Ing. Jeken stammen außerdem zahlreiche Beispielrechnungen.
Bei der Erstellung der verschiedenen Versionen des Manuskriptes haben nie
die Geduld verloren: Frau Marianne Ferdinand, Frau Susanne Lau, Frau Gabriele
Schwarz und Herr Klaus-Peter Tyburski.
Frau Renate Gölzenleuchter gebührt besonderer Dank für die Anfertigung der
Bilder ebenso wie Frau Ursula Beitz für die sorgfältige "Betreuung" des Literatur-
und Namensverzeichnisses.
Die angenehme Zusammenarbeit mit dem Vieweg-Verlag und mit der Satz-
firma Jörg Steifenhagen sei besonders dankend erwähnt.

Bochum, September 1992


Klaus Gersten
Heim~ HeJ'H!ig
Inhaltsverzeichnis

A Grundlagen
1 Einleitung 1
2 Laminare Couette-Strömung: Einführung grundlegender Begriffe 6
2.1 Vorbemerkung 6
2.2 Reibungsgesetz von Newton 7
2.3 Wärmeleitungsgesetz von Fourier 11
2.4 Einfluß der Dissipation auf das Temperaturfeld 14
2.5 Diffusionsgesetz von Fick 17
2.6 Analogie zwischen Impuls-, Wärme- und Stoffübertragung 22
2.7 Zusammenfassung 23
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 25
3.1 Vorbemerkung 25
3.2 Globale und partielle Kontinuitätsgleichung 27
3.3 Impulsgleichungen 28
3.4 Energiegleichung 32
3.5 Stoffwerte 34
3.6 Rand- und Anfangsbedingungen 36
3.6.1 Randbedingungen an einer festen Wand 37
3.6.2 Randbedingungen an einer Gas/Flüssigkeits-
Phasengrenze 38
3.7 Grundgleichungen als physikalisch/mathematisches Modell;
Modellvereinfachungen 39
3.8 Turbulente Strömungen und ihre Bilanzgleichungen 42
3.9 Zusammenfassung 52
4 Dimensionsanalysis 53
4.1 Vorbemerkung 53
4.2 Entdimensionierung der Grundgleichungen 54
VIII K. Gersten/ Ho Herwig

4o3 Bestimmung der Kennzahlen eines Problems 61


40301 1I-Theorem 0 0 o 0 0 0 o 0 . 61
4.3.2 Erläuterungen zum .II-Theorem 62
4.3.3 Anwendung des JI-Theorems 64
4.4 Modell-Theorie . . . . . . . . . . . 67
4.5 Dimensionsanalysis und asymptotische Theorie 69
4.6 Zusammenfassung ....... . 71
5 Konzepte zur Lösung der Grundgleichungen 72
5.1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . 72
5.2 Numerische Methoden . . . . . . . 73
5.2.1 Finite-Differenzen-Methoden (FDM) 74
5.2.2 Finite-Elemente-Methoden (FEM) 76
5.2.3 Finite-Volumen-Methoden (FVM) 77
5.2.4 Einordnung der FDM-, FEM- und FVM-Methoden 78
5.3 Asymptotische Methoden . . . . . . . . . . . . . . 79
5.4 Methoden zur Erfassung des Einflusses variabler Stoffwerte 81
5.4.1 Empirische Methoden 82
5.4.2 Asymptotische Methode 85
5.5 Zusammenfassung ..... 96

B Laminare Strömungen
6 Ausgebildete Durchströmungen . . . . . . . . . . 97
6.1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . 97
6.2 Gleichungen für die ausgebildete Rohrströmung 98
6.3 Widerstandsgesetz und Wärmeübergangsgesetz für die
ausgebildete Rohrströmung 100
6. 3.1 Widerstandsgesetz 100
6.3.2 Wärmeübergangsgesetz 102
6.4 Berücksichtigung der Dissipation 109
6.5 Einfluß variabler Stoffwerte 114
6.6 Zusammenfassung 119
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion (Re --+ oo) 120
7.1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . 120
7.2 Grenzschichtgleichungen für erzwungene Konvektion 124
7.3 Erläuterungen zu den Grenzschichtgleichungen 132
7.4 Grenzschicht-Kenngrößen . . . . . . . . . 134
Inhaltsverzeichnis IX

1.5 Selbstähnliche Grenzschichten 138


7.5.1 Ähnlichkeitstransformation 138
7.5.2 Selbstähnliche Strömungsgrenzschichten
(mit Wand und Außenströmung) 140
7.5.3 Selbstähnliche Strömungsgrenzschichten
(mit Wand, ohne Außenströmung) 149
7.5.4 Selbstähnliche Strömungsgrenzschichten (ohne Wand) 155
7.5.5 Selbstähnliche Temperaturgrenzschichten 160
7.6 Integralverfahren 166
7.6.1 Integralsätze 167
7.6.2 Integralverfahren für Strömungsgrenzschichten
(Walz-Verfahren) 169
7.6.3 Integralverfahren für Temperaturgrenzschichten 173
7.7 Einfluß variabler Stoffwerte 175
7.7.1 Begriffsbestimmung bei Strömungen mit
veränderlicher Dichte 175
7.7.2 Strömungen mit Dichteänderungen O(c:) 177
7.7.3 Strömungen mit Dichteänderungen 0(1) 180
7.8 Grenzschichtbeeinflussung durch Absaugen oder Ausblasen 184
7.8.1 Vorbemerkung 184
7.8.2 Massives Absaugen (vw(x 0 )---+ -oo) 186
7.8.3 Massives Ausblasen (vw(x 0 )---+ oo) 188
7.8.4 Selbstähnliche Lösungen 190
7.9 Zusammenfassung 191
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion (Gr ---+ oo) 193
8.1 Vorbemerkung 193
8.2 Grenzschichtgleichungen für natürliche Konvektion 198
8.3 Selbstähnliche Grenzschichten 204
8.3.1 Ähnlichkeitstransformation 204
8.3.2 Grenzschichten an der ebenen Platte 206
8.3.3 Staupunkt-Grenzschicht 210
8.3.4 Auftriebsstrahl-Strömung 212
8.4 Indirekte natürliche Konvektion 214
8.5 Weiterer Einfluß variabler Stoffwerte 220
8.6 Zusammenfassung 221
9 Grenzschichtströmungen bei gemischter Konvektion 223
9.1 Vorbemerkung 223
9.2 Grundgleichungen für gemischte Konvektion 223
9.3 Grenzschichtgleichungen für gemischte Konvektion 224
9.4 Grenzschichten an einer beliebig geneigten ebenen Platte 227
9.5 Zusammenfassung 232
X K. Gersten/ H. Herwig

10 Schleichende Strömungen (Re____, 0) 233


10.1 Vorbemerkung . . . . . . 233
10.2 Grundgleichungen für Re ____, 0 234
10.3 Körperumströmung in einem unbegrenzten Strömungsfeld 236
10.4 Wärmeübergang für Re____, 0 239
10.5 Zusammenfassung 242

11 Asymptotische Entwicklungen 243


11.1 Vorbemerkung . . . . 243
11.2 Reguläre bzw. singuläre Störungsprobleme 245
11.3 Generelles Vorgehen bei der Methode der angepaßten
asymptotischen Entwicklungen . . . . . . . . . 247
11.4 Strömungen bei großen Reynolds-Zahlen (Re____, oo) 256
11.5 Strömungen bei kleinen Reynolds-Zahlen (Re____, 0) 272
11.6 Asymptotische Interaktionstheorie (Dreier-Deck-Theorie) 279
11.6.1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . 279
11.6.2 Strömung im Hinterkantenbereich einer Platte
endlicher Länge . . . . . . . . . . . . . 280
11.6.3 Weitere Anwendungen der Dreier-Deck-Theorie 288
11.7 Asymptotische Theorie laminarer Ablösung 291
11.7.1 Massive Ablösung . . . . . 292
11. 7. 2 Marginale Ablösung . . . . 295
11.7.3 Grenzschichtinterne Ablösung 302
11.8 Störungsprobleme mit mehreren Störparametern 303
11.9 Computerunterstützte Fortsetzung der Entwicklungen 306
11.10 Zusammenfassung 310

12 Nichtausgebildete Durchströmungen 312


12.1 Vorbemerkung . . . . . . 312
12.2 Einlaufeffekte bei konstantem Strömungsquerschnitt,
Re= 0(1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
12.3 Einlaufeffekte bei konstantem Strömungsquerschnitt, Re____, oo 318
12.4 Veränderliche Strömungsquerschnitte ohne Diskontinuitäten
in den Randbedingungen 324
12.4.1 Vorbemerkung . . . . . . . . 324
12.4.2 Schlankkanal-Gleichungen
(a ____, 0 , Re____, oo , aRe = 0(1)) . . . . . . 328.
12.4.3 Quasi-Poiseuille-Gleichung (a ____, 0, aRe ____, 0) 329
12.4.4 Parabolisierte Navier-Stokes-Gleichungen 333
12.5 Thermische Einlaufströmungen 336
12.6 Zusammenfassung 346
Inhaltsverzeichnis XI

13 Stoffübertragung 0 0 0 0 0 347
1301 Vorbemerkung 347
1302 Spezielle Definitionen 347
130201 Konzentration 347
130202 Geschwindigkeiten und Koordinatensystem 348
130203 Massenstromdichten 348
1303 Analogie zur Wärmeübertragung 349
13o3o1 Vorbemerkung 0 0 0 0 0 349
13o3o2 Allgemeine Strömungen o 352
130303 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 353
1304 Kopplungseffekte, Einfluß variabler Stoffwerte 360
1305 Zusammenfassung 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 366

C Thrbulente Strömungen
14 Thrbulente Impulsübertragung am Beispiel der Couette-Strömung 367
1401 Zweischichten-Strukturdes Geschwindigkeitsfeldes und
logarithmisches Überlappungsgesetz 0 0 0 0 0 367
1402 Universelles Wandgesetz (glatte Wandoberfläche) 375
1403 Defekt-Gesetz in der Kernschicht 0 0 0 0 381
14.4 Widerstandsgesetz und gleichmäßig gültige
Geschwindigkeitsverteilung 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 383
1405 Bilanzen der mechanischen Energie 0 0 o o o 386
140501 Mechanische Energie der mittleren Bewegung 386
140502 Energiebilanz der turbulenten Schwankungsbewegung 389
140503 Bilanzen der Reynolds-Spannungen 396
1406 Turbulenz-Modeliierung 0 0 0 0 0 0 0 0 398
140601 Einteilung der Turbulenz-Modelle 398
140602 Algebraische Turbulenz-Modelle 399
140603 Ein-Gleichungs-Modelle (Turbulente Energiegleichung) 407
1406.4 Zwei-Gleichungs-Modelle 0 0 0 0 0 0 409
140605 Reynolds-Spannungs-Modelle o o o o 411
14o6o6 Turbulenz-Modelle für die Wandschicht 415
14060 7 Grobstruktur-Simulation und direkte Simulation 417
1407 Einfluß der Oberflächenrauheit 0 0 0 0 0 0 0 418
140701 Sandrauheit o o o o 0 0 0 o o o 0 0 418
140702 Wandschicht bei rauher Wandoberfläche 419
XII K. Gersten/ H. Herwig

14.7.3 Äquivalente Sandrauheit 422


14.7.4 Widerstandsgesetz 424
14.8 Einfluß der Stromlinienkrümmung 425
14.8.1 Grundgleichungen 425
14.8.2 Geschwindigkeitsverteilung und Widerstandsgesetz 429
14.8.3 Mischungsweglänge 432
14.8.4 Berechnung mit dem k-Eu-Modell 433
14.9 Effekte höherer Ordnung 436
14.9.1 Geschwindigkeitsgradienten-Verteilung 436
14.9.2 Widerstandsgesetz 440
14.9.3 Geschwindigkeitsverteilung 442
14.9.4 Berechnung mit dem k-Eu-Modell 443
14.10 Einfluß von Ausblasen und Absaugen 448
14.10.1 Geschwindigkeitsgradienten-Verteilung 448
14.10.2 Widerstandsgesetz und Geschwindigkeitsverteilung 451
14.10.3 Wandschicht 454
14.10.4 TUrbulenz-Modell nach Stevensan 454
14.10.5 Berechnung mit dem k-Eu-Modell 455
14.11 Zusammenfassung 458
15 Turbulente Wärmeübertragung am Beispiel der Couette-Strömung 460
15.1 Mehrschichteu-Struktur des Temperaturfeldes 460
15.2 Wandgesetze (glatte Wand) 464
15.2.1 Mittlere Prandtl-Zahlen, Pr= 0(1) 464
15.2.2 Sehr kleine Prandtl-Zahlen, Pr -4 0 466
15.2.3 Sehr große Prandtl-Zahlen, Pr -4 oo 468
15.2.4 Universelles Wandgesetz für Prandtl-Zahlen Pr> 0, 5 472
15.3 Wärmeübergangsgesetz 475
15.3.1 Defekt-Gesetz in der Kernschicht 475
15.3.2 Temperatur auf der Mittellinie 475
15.3.3 Nußelt-Zahl 476
15.3.4 Stanton-Zahl 477
15.3.5 Sehr große Prandtl-Zahlen, Pr -4 oo 478
15.4 Bilanzen der Temperaturschwankungen 479
15.5 TUrbulenz-Modeliierung 482
15.5.1 Einteilung der TUrbulenz-Modeliierungen 482
15.5.2 TUrbulente Temperaturleitfähigkeit 483
15.5.3 Mischungsweglänge für die Wärmeübertragung 484
15.5.4 TUrbulente Prandtl-Zahl 484
15.5.5 Zwei-Gleichungs-Modell (ke -Ee- Modell) 485
15.6 Einfluß der Oberflächenrauheit 486
15.7 Einfluß der Stromlinienkrümmung 489
Inhaltsverzeichnis XIII

15.8 Einfluß der Dissipation . . . . . . . . . . . . . . 492


15.8.1 Analogie zum Geschwindigkeitsfeld der Couette-
Strömung mit Ausblasen 492
15.8.2 Kernschicht . . . . . . . 493
15.8.3 Wandschicht . . . . . . 494
15.8.4 Eigentemperatur der Wand 495
15.9 Einfluß von Ausblasen und Absaugen 497
15.9.1 Grundgleichung 497
15.9.2 Kernschicht . . . . . 498
15.9.3 Wandschicht . . . . 498
15.9.4 Wärmeübergangsgesetz 499
15.10 Einfluß variabler Stoffwerte 500
15.10.1 Zeitliche Mittelwerte bei variabler Dichte 500
15.10.2 Stoffgesetze . . . 502
15.10.3 Grundgleichungen 503
15.10.4 Kernschicht . . . 505
15.10.5 Gesetze für Widerstand und Wärmeübergang 508
15.10.6 Methode der Stoffwert-Verhältnisse 509
15.11 Einfluß der Schwerkraft . . . . . . 511
15.11.1 Vertikale Couette-Strömung . 511
15.11.2 Horizontale Couette-Strömung 515
15.12 Effekte höherer Ordnung 517
15.13 Zusammenfassung 519

16 Ausgebildete Durchströmungen 522


16.1 Kreisrohr-Strömung . . 522
16.1.1 Geschwindigkeitsfeld und Widerstandsgesetz 522
16.1.2 Turbulenz-Modelle . . . . . . . . . . . 529
16.1.3 Grundgleichungen für das Temperaturfeld . 537
16.1.4 Temperaturfeld und Wärmeübergangsgesetz für
q:_, = const . . . . . . . . . . . . . . . . 540
16.1.5 Temperaturfeld und Wärmeübergangsgesetz für
r:, = const . . . . . . . . . . . . . 542
16.1.6 Einfluß der Dissipation (Eigentemperatur) 544
16.1.7 Variable Stoffwerte . . . . . . . . . . 546
16.1.8 Vertikale Rohrströmung mit Schwerkraft-Einfluß 565
16.1.9 Effekte höherer Ordnung . . . . . . . . 569
16.2 Kanalströmungen (Couette-Poiseuille-Strömungen) 571
16.2.1 Geschwindigkeitsfeld und Widerstandsgesetz 571
16.2.2 Verschwindende Wandschubspannung . . . 578
16.2.3 Übergang von endlicher zu verschwindender
Wandschubspannung . . . . . . . . . . . . . . 583
XIV K. Gersten/ H. Herwig

16.2.4 Thrbulenz-Modellierung . . . . . . . . 588


16.2.5 Temperaturfeld und Wärmeübergangsgesetz 592
16.2.6 Kanal-Strömung . . . . . . . . . . . . 593
16.3 Zusammenfassung 598
17 Thrbulente Grenzschichten ohne Kopplung des Geschwindigkeitsfeldes
an das Temperaturfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599
17.1 Thrbulente Strömung an der ebenen Platte . . . . . . . 599
17.1.1 Schichtenstruktur der turbulenten Plattenströmung 599
17.1.2 Grundgleichungen 601
17.1.3 Wandschicht 602
17.1.4 Defekt-Schicht . . 603
17.1.5 Anpassungsbedingung 606
17.1.6 Widerstandsgesetz . . 607
17 .1. 7 Kenngrößen der Grenzschicht 609
17.1.8 Plattengrenzschicht mit laminarem Anlauf 612
17.1.9 Algebraische Thrbulenz-Modelle . . . . 613
17.1.1 0 Zweigleichungs-Thr bulenz-Modell (k-t:u- Modell) 618
17.1.11 Indirektes Thrbulenz-Modell (Nachlauf-Gesetz) 622
17.1.12 Einfluß der Rauheit . . . . . . . 624
17.1.13 Einfluß von Ausblasen und Absaugen . . 625
17.1.14 Effekte höherer Ordnung . . . . . . . 628
17.2 Temperatur-Grenzschichten an der ebenen Platte 631
17.2.1 Zweischichten-Struktur 631
17.2.2 Temperaturverteilung 631
17.2.3 Wärmeübergangsgesetz 633
17.2.4 Thrbulenz-Modelle . . 634
17.2.5 Wärmeübergangsgesetz bei ungeheizter Anlaufstrecke 636
17.3 Grenzschichten mit Druckgradient
(Gleichgewichtsgrenzschichten) 637
17.3.1 Geschwindigkeitsfeld 637
17.3.2 Temperaturfeld 641
17.4 Grenzschicht mit verschwindender Wandschubspannung 643
17.5 Allgemeine Grenzschichten mit Druckgradient
(Quasi-G leichgewichtsgrenzschichten) . . . . . . . . 649
17.6 Berechnung ebener Grenzschichten mit Integralverfahren 654
17. 6.1 Direktes Verfahren . . . . . . . . . . . . 654
17.6.2 Inverses Verfahren 657
17.7 Berechnung ebener Grenzschichten mit Feldverfahren 659
17.7.1 Grundgleichungen . . . . . . . . . . . . 659
17.7.2 Verfahren von Cebeci und Smith
(Algebraisches Thrbulenz-Modell) . . . . . . . . 659
Inhaltsverzeichnis XV

17.7.3 Verfahren von Bradshaw


(Eingleichungs-Turbulenz-Modell) . . . . . . . . 661
17.7.4 Das k-Eu-Modell (Zweigleichungs-Turbulenz-Modell) 662
17.7.5 Verfahren von Rotta . . . . . . 664
17. 7.6 Reynolds-Spannungs-Modelle 664
17.7.7 Berechnung des Temperaturfeldes 664
17.8 Grenzschichteffekte höherer Ordnung 665
17.9 Nichtausgebildete Durchströmungen 674
17.9.1 Technisch wichtige Beispiele . 674
17.9.2 Diffusor-Kenngrößen . . . . 676
17.9.3 Diffusoren mit dünnen Zuströmgrenzschichten 680
17.9.4 Diffusoren mit ausgebildeter Zuströmung 682
17.10 Einfluß einer laminaren Anlaufgrenzschicht
(Umschlag laminar-turbulent) . . . . . . . . . . . . . 685
17.11 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 686
18 Turbulente Grenzschichten mit Kopplung des Geschwindigkeitsfeldes
an das Temperaturfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . 689
18.1 Grundgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . 689
18.2 Grenzschichten mit variablen Stoffwerten bei isothermer
Außenströmung . . . . . . . . 692
18.2.1 Plattengrenzschicht 692
18.2.2 Allgemeine Grenzschichten 699
18.3 Kompressible Grenzschichten . . . 700
18.3.1 Vorbemerkungen . . . . . 700
18.3.2 Feldverfahren (Cebeci-Smith-Modell) 702
18.3.3 Integralverfahren für adiabate Wand 702
18.3 .4 Stoß-Grenzschicht-Interferenz 706
18.4 Strömungen mit Schwerkrafteinfluß 707
18.4.1 Natürliche Konvektion zwischen vertikalen Wänden 707
18.4.2 Natürliche Konvektion an der vertikalen
ebenen Platte . . . . . . . . . . . 714
18.4.3 Gemischte Konvektion an der horizontalen
ebenen Platte 719
18.5 Zusammenfassung 722
19 Turbulente freie Scherströmungen 723
19.1 Vorbemerkung . . . . . 723
19.2 Gleichungen für ebene freie Scherschichten 726
19.3 Ebener Freistrahl . . . 731
19.3.1 Globale Bilanzen 731
19.3.2 Fernfeld 731
19.3.3 Nahfeld . . . . 738
19.3.4 Effekte höherer Ordnung 739
XVI K. Gersten/ H. Herwig

19.4 Trennungsschicht 742


19.5 Ebener Nachlauf 743
19.6 Axialsymmetrische freie Scherströmungen 747
19.6.1 Gleichungen 747
19.6.2 Freistrahl 748
19.6.3 Nachlauf 749
19.7 Auftriebsstrahlen 751
19.7.1 Ebener Auftriebsstrahl 751
19. 7.2 Axialsymmetrischer Auftriebsstrahl 752
19.8 Ebener Wandstrahl 753
19.9 Zusammenfassung 756
20 Thrbulente Stoffübertragung 757
20.1 Analogie zur Wärmeübertragung 757
20.2 Stoffübertragung bei variablen Stoffwerten 761
20.3 Zusammenfassung 762

D Anhang
Anhang Al: Grundgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763
Anhang A2: Stoffwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 779
Anhang A3: Inversion von Widerstandsgesetzen turbulenter Strömungen 782
Anhang A4: Allgemeine Anpassungsbedingungen für turbulente
Strömungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 787

Verzeichnis der verwendeten Formelzeichen 796


Indizes 809
Andere Zeichen . . . . . . . . . . . . 810
Literatur- und Namensverzeichnis (Seitenzahlen im Buch in eckigen
Klammern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811

Sachverzeichnis (englische Begriffe in Klammern) 838


1 Einleitung

Effekte der Impuls-, Wärme- und Stoffübertragung bestimmen unser Leben in


nahezu allen Bereichen, ohne daß uns dies immer bewußt ist. Sowohl im biologischen
Geschehen (z.B.: Atmung, Wärmehaushalt, Stoffwechsel) als auch im technischen
Bereich (z.B.: Wasserversorgung, Heizung, Klimatisierung) sind die genannten
Übertragungsmechanismen von entscheidender Bedeutung. Es ist ein interessantes
Gedankenexperiment, sich bestimmte Alltagssituationen vorzustellen, in denen
Impuls-, Wärme- und Stoffübertragungen plötzlich nicht mehr existieren.
In sehr vielen Situationen ist man bemüht, diese Prozesse gezielt und kontrol-
liert einzusetzen oder sie unter bestimmten Gesichtspunkten zu optimieren. Dies
setzt die Kenntnis der entscheidenden physikalischen Zusammenhänge voraus. Ne-
ben einem allgemeinen Verständnis der Wirkungszusammenhänge, also einer quali-
tativen Beschreibung der Vorgänge, ist man naturgemäß auch an einer quantitativen
Aussage interessiert. Dies bedeutet stets, bezüglich des betrachteten Vorganges ein
physikalisch/mathematisches Modell zu entwerfen (s. dazu auch Landahl (1981) ).
Dieses Modell stellt eine Abbildung der Wirklichkeit auf ein System von mathema-
tischen Gleichungen dar, die ihrerseits physikalische Vorgänge auf einer "Modell-
ebene" beschreiben können. Dieses physikalische Modell muß zunächst durch den
Vergleich von Folgerungen, die aus dem Modell gezogen werden können, mit der rea-
len Situation daraufhin überprüft werden, ob diese Folgerungen eine Entsprechung
im realen Geschehen haben. Ist dies der Fall, so handelt es sich um ein brauchbares
Modell, das anschließend Vorhersagen über die betrachtete reale Situation erlaubt.
Ein einfaches Beispiel aus dem Bereich der Impulsübertragung soll dies ver-
deutlichen. Eine ebene Platte der Länge L * und Breite B* erfährt bei einer zur
Platte parallelen Anströmung eines Fluides (Dichte e*, Viskosität ry*) mit der Ge-
schwindigkeit U:X, einen Widerstand W* pro Plattenseite. • l Mit einer qualitati-
ven Vorstellung bezüglich der wesentlichen Mechanismen (hier: Gleichgewicht von
Reibungs- und Trägheitskräften) kann ein mathematisch/physikalisches Modell ent-
wickelt werden, also ein mathematischer Zusammenhang

W* = W*(e*, ry*, U:X,, L,* B*, .. .). (1.1)

• l In diesem Buch werden alle dimensionsbehafteten Größen mit einem hochgestellten Stern
gekennzeichnet.
2 K. Gersten/ H. Herwig

Die Punkte in (1.1) deuten an, daß weitere Abhängigkeiten in das Modell aufge-
nommen werden können, um es zu verfeinern. Im Beispiel der Plattenströmung
könnte z.B. die Wandrauheit hinzutreten. Hat eine Überprüfung an der Realität
die Brauchbarkeit des physikalisch/mathematischen Modells (1.1) ergeben, so kann
damit z.B. eine Vorhersage getroffen werden, welcher Widerstand bei doppelter An-
strömgeschwindigkeit entsteht.
Der Umgang mit physikalisch/mathematischen Modellen hat also stets zum
Ziel, Aussagen über die Realität zu gewinnen. Dazu ist ein solches Modell um so
geeigneter, je allgemeiner die Lösungen sind, die aus dem Modell zur Vorhersage
gewonnen werden können. Stehen allgemeine Lösungen zur Verfügung, so können
diese auf den jeweiligen Anwendungsfall spezifiziert werden. Die Lösungen aus
dem Modell (1.1) zum Beispiel können in einem einzigen Diagramm (Bild 17.3 in
Kap. 17 für einseitige Benetzung) zusammengefaßt werden, das zur Beantwortung
aller Fragen im Zusammenhang mit (1.1) herangezogen werden kann.
Leider gelingt es in den meisten Fällen nicht, die allgemeinen Lösungen aus
einem physikalisch/mathematischen Modell a priori zu ermitteln, um sie dann für
die spezielle Anwendung zur Verfügung zu haben. Dazu enthalten die meisten
Probleme zu viele Parameter. Wohl aber gibt es zwei Möglichkeiten, die Anzahl
der Parameter zu reduzieren und auf diese Weise zu allgemeineren Lösungen des
physikalisch/mathematischen Modells zu gelangen.
(1) Konsequente Anwendung der sog. Dimensionsanalysis (s. Kap. 4 dieses Bu-
ches). Dies überführt die Formulierung (1.1) in folgende dimensionslose Form,
die durch eine minimale Anzahl dimensionsloser Parameter gekennzeichnet ist:

cw = cw(Re, B* / L*, .. .) (1.2)

mit dem Widerstandsbeiwert


2W*
c ·- ---::---- (1.3)
w .- e*U~B*L*

und der Reynolds-Zahl


e*U*00 L*
Re:= (1.4)
rt*
(2) Bezüglich der verbleibenden dimensionslosen Parameter kann durch eine
asymptotische Betrachtung des Problems eine weitere Reduktion der Para-
meter erreicht werden, indem Lösungen nicht für feste Werte der Parameter
gesucht werden, sondern für Grenzwerte dieser Parameter als asymptotische
Lösungen des Problems ermittelt werden. Wie dies im einzelnen geschieht, ist
Gegenstand des vorliegenden Buches.
Am Beispiel der Plattenströmung (einseitige Benetzung) ergeben sich
aus der asymptotischen Betrachtung für die Grenzwerte B* / L * ---+ oo und
Re---+ oo
1 Einleitung 3

bei laminarer Strömung

1,328
cw=--+··· (1.5)
yRe
und bei turbulenter Strömung (K: = 0, 41)

(1.6)

Neben der angestrebten größeren Allgemeingültigkeit der Lösungen sind mit einem
asymptotischen Lösungsansatz zwei weitere Vorteile verbunden.

(1) Der physikalische Hintergrund eines Problems ist in vielen Fällen deutlicher
erkennbar als dies bei Einzellösungen für feste Parameterwerte der Fall ist.
Bei einer asymptotischen Lösung wird die explizite Abhängigkeit von den
Parametern und damit von bestimmten physikalischen Effekten ermittelt.

(2) Die bei einer asymptotischen Betrachtung eines Problems zu lösenden Glei-
chungen sind aus mathematischer Sicht oft erheblich einfacher als die ur-
sprünglichen Gleichungen (z.B. gewöhnliche statt partieller Differentialglei-
chungen, Reduktion auf lineare Differentialgleichungen, Übergang von ellip-
tischen in parabolische Differentialgleichungen). Dieser Vorteil hat auch bei
immer weiter steigender Computerleistung Bestand, weil die konsequente An-
wendung asymptotischer Methoden mit dem Einsatz leistungsstarker Compu-
ter kombiniert werden kann, um so zu möglichst allgemeinen Lösungen immer
komplexerer Probleme zu gelangen.

Das Ziel dieses Buches ist es, unter konsequenter Anwendung dimensionsanalyti-
scher und asymptotischer Methoden aufzuzeigen, wo und wie allgemeine Lösungen
im o.g. Sinne gefunden werden können. Bezüglich der betrachteten Strömungen
gelten folgende grundsätzliche Annahmen, die hauptsächlich aus Gründen der Um-
fangsbeschränkung getroffen wurden:

(1) Einphasen-Strömungen; d.h. entweder Flüssigkeits- oder Gasströmungen.


(2) stationäre Strömungen; bei turbulenter Strömung bezieht sich diese Aussage
auf die (zeitlich) gemittelten Größen.
(3) zweidimensionale bzw. rotationssymmetrische Strömung.
(4) Newtonsches Fluidverhalten.
(5) hinreichend dichte Fluide; d.h. die Fluide werden als Kontinuum betrachtet.
(6) inerte Fluide; damit sind chemische Reaktionen ausgeschlossen.
(7) Hyperschallströmungen (Ma > 5) sind ausgeschlossen, ebenso Strahlung,
elektrische und magnetische Kräfte.
(8) Strömungen im Transitionsgebiet (Umschlag laminar/turbulent) sind ausge-
schlossen.
4 K. Gersten/ H. Herwig

Für die Impuls-, Wärme- und Stoffübertragung liegt ein vollständiges ma-
thematisches Modell in Form der Navier-Stokes-Gleichungen sowie der Bilanzglei-
chungen für die innere Energie und die Masse vor (Bilanzgleichungen für Impuls,
Energie und Masse). Es handelt sich um nichtlineare partielle Differentialgleichun-
gen, die unter Berücksichtigung der entsprechenden Randbedingungen gelöst werden
müssen.
Von den vielen dimensionslosen Parametern, die in die Lösungen eingehen,
spielt die erwähnte Reynolds-Zahl eine herausragende Rolle.
Viele technisch wichtige Strömungen sind durch sehr hohe Reynolds-Zahlen
gekennzeichnet. Es ist daher naheliegend, die Grenzlösungen für Re --+ oo zu
betrachten und hierfür asymptotische Methoden einzusetzen.
Die Grundlagen der asymptotischen Methoden für Strömungen bei großen
Reynolds-Zahlen wurden 1904 von Ludwig Prandtl (s. Prandtl (1904)) in seiner
Grenzschichttheorie gelegt. Prandtl geht dabei von der Grenzlösung der reibungslo-
sen Strömung (1/Re = 0) aus und faßt die reibungsbehaftete Strömung bei großen,
aber endlichen Reynolds-Zahlen als Störung dieser Grenzlösung auf. Es handelt sich
jedoch nicht um eine reguläre Störungsrechnung, sondern wegen der Haftbedingung,
die von der Grenzlösung nicht erfüllt wird, um eine sog. singuläre Störungsrech-
nung. Die wichtigste Methode zur Lösung von singulären Störungsproblemen, die
Methode der angepaßten asymptotischen Entwicklungen (engl.: method of matched
asymptotic expansions) wurde also erstmals von Prandtl für Strömungen bei hohen
Reynolds-Zahlen eingesetzt. Inzwischen wird diese Methode auch auf Strömungen
bei sehr kleinen Reynolds-Zahlen und bei vielen Problemen der Impuls-, Wärme-
und Stoffübertragung angewendet, wie noch gezeigt werden wird. Heute hat diese
Methode auch in vielen anderen Bereichen der Physik und Technik Eingang gefun-
den.
Die mathematischen Grundlagen der singulären Störungsmethoden wurden
in den fünfziger Jahren am California Institute of Technology geschaffen. Sie sind
mit den Namen Kaplun, Lagerstrom und Cole verbunden, vgl. Gersten (1989a).
Zusammenfassende Darstellungen erfolgten von Van Dyke (1964, 1975), Cole (1968)
und Schneider (1978). Die umfassendste Beschreibung der Grenzschichttheorie
stammt von Schlichting (1982).
Die Anwendung asymptotischer Methoden auf turbulente Strömungen setzte
in den siebziger Jahren ein, verbunden mit den Namen Yajnik, Fendell und Mel-
lor, vgl. Gersten (1987). Dabei wurde auf einem Konzept der Zweischichtenstruktur
turbulenter Scherschichten von Millikau (1938) aufgebaut. Zusammenfassende Dar-
stellungen findet man bei Gersten (1985a, 1987, 1989c), Melnik (1987) und Kluwick
(1989).
Für laminare Strömungen kann in bezugauf die Anwendung asymptotischer
Methoden auf viele Arbeiten zurückgegriffen werden, die in den letzten Jahrzehnten
entstanden sind. Für diese Strömungen steht aber auch heute noch ein weites Feld
nicht vollständig gelöster Fragen offen, in dem asymptotische Methoden bereits
1 Einleitung 5

erfolgreich eingesetzt werden, um die physikalischen Hintergründe zu erhellen.


Beispielhaft hierfür sei das Problem der Strömungsablösung genannt (s. Kap. 11
dieses Buches).
Für turbulente Strömungen wird mit der konsequenten Anwendung asym-
ptotischer Methoden weitgehend Neuland betreten. Grundlage bilden die zeitlich
gemittelten Bilanzgleichungen. Obwohl diese einer Schließung durch ein Turbulenz-
Modell bedürfen, können sie formal auch hinsichtlich ihrer asymptotischen Lösungen
untersucht werden. Es zeigt sich dabei besonders deutlich, daß diese Methoden phy-
sikalische Zusammenhänge erhellen können, weil sie zu einer dem Schichtencharakter
turbulenter Strömungen entsprechenden Lösungsstruktur führen und Bedingungen
für asymptotisch korrekte Turbulenz-Modelle liefern.
Die in diesem Buch in vielfältiger Anwendung erläuterten asymptotischen
Methoden sollten in Zukunft verstärkt genutzt werden, um die Möglichkeiten, die
sich mit der schnellen Entwicklung leistungsstarker Computer ergeben, optimal nut-
zen zu können. Vielleicht wird dies letztendlich auch Eingang in die heute so po-
pulären Kurzbezeichnungen finden, indem statt "nur" von CFD (Qomputational
fluid .Qynamics) dann von ACFD (.~symptotic/~omputational fluid .Qynamics) ge-
sprochen wird.
2 Laminare Couette-Strömung:
Einführung grundlegender BegritTe

2.1 Vorbemerkung
Es wird die ebene, stationäre Strömung eines Fluides zwischen zwei parallelen
ebenen Platten mit dem Abstand 2H* entsprechend Bild 2.1 betrachtet. Die obere
Platte wird mit der Geschwindigkeit U* gegenüber der unteren feststehenden Platte
bewegt. Da zwischen einer Wand und dem angrenzenden Fluid die sogenannte
Haftbedingung gilt, bildet sich zwischen den Platten eine Strömung aus, die nach
dem französischen Forscher M. Couette als Couette-Strömung bezeichnet wird.

ZH*

Bild 2.1: Realisierungsmöglichkeiten


der Couette-Strömung

Für die weitere Betrachtung wird die idealisierende Annahme getroffen, daß
die Platten eine unendliche Ausdehnung besitzen. Solche Annahmen sind typische
Modellvorstellungen, die in der Praxis in guter Näherung realisiert werden können.
Dies ist für die Couette-Strömung zum Beispiel auf zwei Wegen möglich.
(1) Die bewegte Platte wird durch ein laufendes Band der Längserstreckung L*
realisiert, wie dies in Bild 2.1 gezeigt ist. Abweichungen von der Modellvorstel-
lung L * --+ oo sind dann sog. Randeffekte, die für 2H* / L * --+ 0 stets kleiner
werden.
(2) Die Strömung wird zwischen zwei konzentrischen Zylindern erzeugt, wobei der
innere ruht und der äußere mit der Winkelgeschwindigkeit w* umläuft, wie
dies in Bild 2.1 gezeigt ist. Es gilt dann: U* = R:w* und 2H* = R: - Ri.
2 Laminare Couette-Strömung: Einführung grundlegender Begriffe 7

Bei dieser Anordnung gibt es keine Randeffekte durch eine Plattenbegrenzung


in Strömungsrichtung, wohl aber Abweichungen von der Modellvorstellung in
Form von Krümmungseinfiüssen. Diese werden aber für 2H* / Rj' --> 0 stets
kleiner.

In den folgenden Abschnitten soll gezeigt werden, welche Geschwindigkeits-, Tem-


peratur- und Konzentrationsprofile bei der Couette-Strömung entstehen. Unter der
Annahme, daß an beiden Wänden jeweils konstante Bedingungen (Randbedingun-
gen) für Geschwindigkeit, Temperatur und Konzentration herrschen, ist zu erwar-
ten, daß die drei Profile in Strömungsrichtung unverändert erhalten bleiben, daß also
gilt: u* = u*(y*), T* = T*(y*) und c = c(y*). Hierbei ist y* der Abstand von der
unteren Wand. Dies folgt zunächst unmittelbar aus der physikalischen Anschauung,
kann aber natürlich auch aus einer Betrachtung der Gleichungen für dieses Problem
gefolgert werden.

2.2 Reibungsgesetz von Newton


Unter einem Reibungsgesetz versteht man den Zusammenhang zwischen der Schub-
kraft (Scherkraft) pro Flächenelement, der sog. Schubspannung, und der zugehörigen
Geschwindigkeitsverteilung.
Die (tangentiale) Schubkraft pro Fläche wird als Schubspannung

* . L:.F*
T := hm "A * , (2.1)
6A*-+0 u

bezeichnet.
Die Frage, wie diese Schubspannung mit dem Geschwindigkeitsfeld verknüpft
ist, kann nur empirisch beantwortet werden. Experimente zeigen bei sehr vielen
Fluiden eine direkte Proportionalität zwischen der Schubspannung 7* und dem
lokalen Geschwindigkeitsgradienten du* jdy*, so daß mit einem konstanten Propor-
tionalitätsfaktor ry* gilt

(2.2)

Diese Gleichung ist das gesuchte Reibungsgesetz und wird nach Isaac Newton
als Newtonsches Reibungsgesetz bezeichnet. Gleichung (2.2) ist aber auch die
Definitionsgleichung für die Konstante ry*, die dynamische Viskosität (oder einfach:
Viskosität, aber nicht: Zähigkeit) genannt wird und die Einheit [ry*] = kg/ms besitzt.
Die Koordinate y* steht senkrecht zur Strömungsgeschwindigkeit u*.
Die Viskosität ry* ist eine Stoffeigenschaft, die im allgemeinen von der Tem-
peratur und in deutlich geringerem Maße vom Druck abhängig ist. Bei Gemischen
kann zusätzlich eine Konzentrationsabhängigkeit auftreten. Zahlenwerte für einige
wichtige Stoffe sind im Anhang A2 angegeben.
8 K. Gersten/ H. Herwig

Eine Kräftebilanz an einem Fluidvolumen ergibt für die Couette-Strömung


das nur für diese Strömung so einfache Ergebnis

r* = const = r.;:, (Couette-Strömung). (2.3)

Der Index w bezeichnet den Wandwert. Aus der Kombination von (2.2) und (2.3)
kann sofort die Form des Geschwindigkeitsprofils abgelesen werden. Es ist ein
lineares Profil, wie in Bild 2.1 eingezeichnet, wenn die Viskosität ry* über dem ganzen
Querschnitt konstant ist, wie dies bei konstanter Temperatur und konstantem Druck
gilt. Das Profil lautet dann
r*
u*(y*) = .Y!.y*. (2.4)
ry*
In der Anmerkung am Ende dieses Abschnittes wird auf den Fall nicht konstanter
Temperatur eingegangen. Der Druck ist bei der Couette-Strömung stets im gesam-
ten Feld konstant, wenn die Wirkung der Schwerkraft vernachlässigt wird.
Das Newtonsehe Reibungsgesetz führt also im Falle konstanter Viskosität
(dann gilt du* jdy* = U* /2H*) für die Couette-Strömung auf den einfachen
Zusammenhang

(2.5)

Diese Beziehung wird Widerstandsgesetz der laminaren Couette-Strömung genannt


und stellt den Zusammenhang zwischen der aufgebrachten Kraft (in Form der
Schubspannung r.;:,) und der damit erzeugten Strömung (charakterisiert durch die
Plattengeschwindigkeit U*) dar.
Folgende physikalische Deutungen der Stoffeigenschaft Viskosität sind mög-
lich: Zunächst einmal beschreibt die Viskosität die Fähigkeit des Fluides, Schub-
kräfte zu übertragen. Die an der oberen Platte angreifende Kraft wird von der
Strömung mittels der Eigenschaft Viskosität bis auf die untere Platte übertragen
und von dieser durch eine entsprechende gleichgroße, aber entgegengesetzte Reak-
tionskraft im Gleichgewicht gehalten.
Es ist jedoch noch eine andere Deutung der Viskosität möglich, die von der
molekularen Struktur des Fluids ausgeht: Infolge der ungeordneten, zufallsbedingten
Molekül-Bewegungen, die der mittleren Bewegung der Moleküle überlagert sind,
durchdringt eine bestimmte Anzahl von Molekülen pro Zeiteinheit eine Ebene
y* = const von oben nach unten und dieselbe Anzahl von unten nach oben,
so daß insgesamt im zeitlichen Mittel kein Massentransport durch diese Ebene
stattfindet. Es erfolgt jedoch ein Impulstransport, da die Moleküle oberhalb der
betrachteten Ebene y* = const eine höhere mittlere Geschwindigkeit und damit
einen höheren mittleren Impuls (Impuls = Masse mal Geschwindigkeit) besitzen
als diejenigen unterhalb der Ebene. Infolge der Viskosität kommt es also zu einem
Transport von x* -Impuls in Richtung abnehmenden Impulses, also in negativer y*-
Richtung. Viskosität ist danach die Fähigkeit des Fluids, Impuls zu transportieren.
2 Laminare Couette-Strömung: Einführung grundlegender Begriffe 9

Man spricht deshalb auch von einer Transporteigenschaft bezüglich des Impulses.
Der Impulstransport erfolgt stets in Richtung niedrigerer Geschwindigkeit, d.h.
die Viskosität sorgt für eine Vergleichmäßigung der Geschwindigkeit bzw. des
Impulses. Positive Schubspannung ist damit gleichwertig mit einem Impulstransport
in negativer y* -Richtung.
Nicht alle Fluide gehorchen dem Newtonsehen Reibungsgesetz (2.2). Man un-
terscheidet deshalb zwischen Newtonsehen Fluiden, die sich gemäß (2.2) verhalten,
und sog. nicht-Newtonseben Fluiden, für die dies nicht gilt. Viele Flüssigkeiten, ins-
besondere Wasser, und alle Gase sind Newtonsehe Fluide. Blut ist eines von einer
großen Anzahl nicht-Newtonscher Fluide.
In diesem Buch sollen nur Newtonsehe Fluide betrachtet werden. Das Studium
der Strömungen nicht-Newonscher Fluide gehört zum Gebiet der Rheologie mit ihrer
Spezialliteratur, z.B. Ebert (1980), Böhme (1981), Bird et al. (1977), Irvine und
Karni (1987), Crochet et al. (1984).
Abschließend soll gezeigt werden, wie das Widerstandsgesetz in den Zusam-
menhang zweier dimensionsloser Kennzahlen übergeführt werden kann. Der phy-
sikalische Hintergrund dieser Darstellungsweise, die in diesem Buch weitgehende
Verwendung findet, wird in Kapitel 4 (Dimensionsanalysis) deutlich werden. Die
erste dimensionslose Kennzahl ist der Reibungsbeiwert
2-r*w
C . (2.6)
r·=-U2'
(!* *

wobei e* die zunächst als konstant angenommene Dichte des Fluides ist. Die Einheit
der Dichte ist [e*] = kgjm 3 . Zahlenwerte für einige wichtige Fluide sind im Anhang
A2 angegeben. Die Wandschubspannung T~ wird also auf den sog. Staudruck
(e*U* 2 /2) bezogen, der mit der Geschwindigkeit der oberen Platte gebildet ist.
Die zweite Kennzahl ist die Reynolds-Zahl
e* U* H* U* H*
Re:= =--, (2.7)
TJ* v*
die neben den Stoffwerten e* und TJ* die Geschwindigkeit U* und den halben
Plattenabstand H* enthält. Die Kombination v* = TJ* I e* wird kinematische
Viskosität genannt, da sie mit [v*] = m 2 /s nur "kinematische" Einheiten besitzt.
Diese Kennzahl ist für Strömungen, bei denen die Viskosität eine Rolle spielt, sehr
wichtig. Ihre physikalische Bedeutung wird ebenfalls im Zusammenhang mit der
Dimensionsanalysis deutlich werden.
Mit diesen beiden Kennzahlen läßt sich das Widerstandsgesetz wie folgt in
dimensionsloser Form schreiben:

Ier= ~e I· (2.8)

Diese Form der Darstellung ist für die hier betrachtete laminare Couette-Strömung
eigentlich unnötig aufwendig, da tatsächlich beide Kennzahlen immer nur in der
10 K. Gersten/ H. Herwig

festen Kombination als crRe vorkommen und somit als eine einzige Kennzahl auf-
gefaßt werden können. In diesem Sinne lautet das Widerstandsgesetz der laminaren
Couette-Strömung
2r.* H*
crRe := _w_ _ = 1. (2.9)
1J*U*
Trotzdem wird der Form (2.8) der Vorzug gegeben, weil für turbulente Strömungen
er = cr(Re) gilt, beide Kennzahlen also nicht mehr in der festen Kombination
crRe auftreten. In einem gemeinsamen Diagramm cr(Re) erscheint das laminare
Widerstandsgesetz in Form von Gleichung (2.8), vgl. Gleichung (14.67) (in der
jedoch u~ = U* /2 als Bezugsgeschwindigkeit dient). Der physikalische Hintergrund
ist folgender: Die Dichte hat auf die laminare Couette-Strömung keinen Einfluß, weil
in der Kräftebilanz (Schubkraft = Reibungskraft) keine Trägheitskräfte auftreten,
da es in Strömungsrichtung zu keiner Umbildung der Strömungsprofile kommt. Die
formale Hinzunahme der Dichte als Einflußgröße führt dann zu zwei dimensionslosen
Kennzahlen statt nur zu einer (siehe dazu Kap. 4). Im Fall der turbulenten Couette-
Strömung kommt es zwar auch nicht zu einer Profilumbildung, die Dichte hat aber
einen Einfluß auf den turbulenten Austauschmechanismus, der an späterer Stelle
beschrieben wird, und ist somit eine Einflußgröße des Problems, die berücksichtigt
werden muß. Dies führt zu zwei unabhängigen Kennzahlen.

Anmerkung (Temperaturabhängige Viskosität)


Soll die Temperaturabhängigkeit der Viskosität berücksichtigt werden und kommt es infolge einer
Wärmeübertragung zu Temperaturunterschieden und damit zu einer Verteilung 17*(y*), so ergibt
sich statt des linearen Profiles (2.4} folgendes nichtlineare Profil, das durch einfache Integration
von (2.2} bestimmt werden kann:

u*(y*) = -r*
w
J
y* d *
_Y_.
17*(y*)
(2.10}
0

Dabei gilt weiterhin (2.3}. Für das Widerstandsgesetz folgt an Stelle von (2.5} jetzt

Tw

=
u• [
2H*
dy*
!11*(y*}
l-l (2.11}

bzw. in der Form von (2.8}, formuliert mit dimensionslosen Kennzahlen

(2.12}

Die Reynolds-Zahl erhält den Index B, weil Dichte und Viskosität in der Reynolds-Zahl bei der
Bezugstemperatur Tfj zu nehmen sind. Im Falle der Couette-Strömung wäre dies sinnvollerweise
die Temperatur der unteren Wand, also Tfj = T\Vu . Die Koordinate und die Viskosität sind
jetzt auch dimensionslose Größen. Es gilt: y = y*/H* und 11 = 11*/118 mit 17a = 17*(Tfj). Der
Reibungsbeiwert er wurde ebenfalls mit dem Bezugswert uß = g*(Tfj} gebildet.
2 Laminare Couette-Strömung: Einführung grundlegender Begriffe 11

2.3 Wärmeleitungsgesetz von Fourier


Unter dem Wärmeleitungsgesetz versteht man den Zusammenhang zwischen dem
Wärmestrom pro Flächenelement und der zugehörigen Temperaturverteilung. Der
Wärmestrom pro Fläche wird als Wärmestromdichte

* r t:::.Q* [q*] = Wjm 2 (2.13)


q := ~l~o !:::.A* '

bezeichnet. Genaugenammen handelt es sich dabei um eine Komponente des


Wärmestromdichtevektors (s. die spätere Gleichung (2.60)).
Empirisch ergibt sich eine direkte Proportionalität zwischen der Wärmestrom-
dichte und dem lokalen Temperaturgradienten, so daß mit einem konstanten Pro-
portionalitätsfaktor .A * gilt
q* = -.A* dT* (2.14)
dy*

Hierbei bezeichnet y* wieder die Koordinate senkrecht zur Wand. Das negative
Vorzeichen in (2.14) berücksichtigt, daß die Wärme stets in Richtung abnehmender
Temperatur fließt, d.h. für dT* jdy* > 0 ist q* negativ.
Diese Gleichung ist das gesuchte Wärmeleitungsgesetz und wird nach Baron
Jean Baptiste Joseph Fourier als Fouriersches Wärmeleitungsgesetz bezeichnet.
Gleichung (2.14) ist gleichzeitig auch die Definitionsgleichung für die Konstante
.A *, die Wärmeleitfähigkeit genannt wird und die Einheit [.X*] = W jmK besitzt.
Die Wärmeleitfähigkeit ist wie die Viskosität ein Stoffwert des betrachteten
Fluides und kann als Transportkoeffizient bezeichnet werden. Während die Visko-
sität ry* die Transporteigenschaften des Fluides bezüglich des Impulses repräsentiert,
stellt die Wärmeleitfähigkeit .A * die Transporteigenschaften des Fluides bezüglich
der inneren Energie (kinetische Energie der Molekularbewegung) dar.
Mit Hilfe der Molekülvorstellung läßt sich wiederum anschaulich erklären, wie
es zu dem Wärmestrom in Richtung niedrigerer Temperatur kommt: Die Tempera-
tur des Fluides an einem bestimmten Ort ist ein makroskopisches Äquivalent für die
Stärke der mikroskopischen Molekülbewegung. Ein Temperaturgradient entspricht
somit einem Gradienten der kinetischen Energie pro Molekül (gemittelt über ein
Zeitintervall und über hinreichend kleine Teilvolumina, so daß makroskopisch ein
Gradient bezüglich der Ortskoordinate definiert werden kann). Ein Wärmestrom
durch eine Ebene y* = const entspricht damit dem Austausch kinetischer Energie
durch Molekülstöße. Da Moleküle durch freien Stoßaustausch einen Gleichgewichts-
zustand anstreben, kommt es mikroskopisch zu einem Transport von kinetischer
Energie in Richtung der langsameren Moleküle, makroskopisch zu einem Wärme-
strom in Richtung abnehmender Temperatur.
Die Wärmeleitfähigkeit ist ein Stoffwert und im allgemeinen abhängig von
der Temperatur und ganz schwach auch vom Druck, bei Gemischen zusätzlich noch
12 K. Gersten/ H. Herwig

von der Konzentration. Zahlenwerte für einige wichtige Fluide sind im Anhang A2
angegeben.
Das Wärmeleitungsgesetz gilt nicht nur für Festkörper und ruhende Fluide,
sondern beschreibt auch in strömenden Fluiden den Zusammenhang zwischen
der örtlichen Wärmestromdichte und dem Temperaturgradienten. Kennt man die
Verteilung der Temperatur in einem Strömungsfeld, so kann man daraus die
Wärmestromdichte und letztlich das sog. Wärmeübergangsgesetz für die betrach-
tete Strömungsanordnung bestimmen. Dieses Wärmeübergangsgesetz ist der Zu-
sammenhang zwischen der Wärmestromdichte an der Wand und einer charakteri-
stischen Temperaturdifferenz im Fluid. Dieses Gesetz soll für die Couette-Strömung
mit jeweils konstanten Wandtemperaturen TV.O und Twu für die obere bzw. untere
Wand bestimmt werden. In Bild 2.2 ist der Fall TV.O > TW., gezeigt, was nach dem
Wärmeleitungsgesetz zu einem Wärmestrom von oben nach unten, also von der
warmen zur kalten Wand, führt und bei der hier gewählten Koordinate y* gemäß
(2.14) einen negativen Wert für die Wärmestromdichte ergibt.

Bild 2.2: Geschwindigkeits-, Tem-


peratur- und Konzentrationsprofile
bei der ebenen Couette-Strömung
(konstante Stoffwerte)

Eine Wärme- bzw. Energiebilanz für ein Fluid-Kontrollvolumen ergibt für die
Couette-Strömung bei konstanten Wandtemperaturen das nur für diese Strömung
so einfache Ergebnis
q* = const = q:, (Couette-Strömung, T% = const, TW., = const). (2.15)
Aus der Kombination von (2.15) und (2.14) kann wieder die Form des Tempera-
turprofiles abgelesen werden. Es ist im allgemeinen ein nichtlineares Profil, da >. *
selbst von der Temperatur abhängen kann. Die Gleichung für dieses Profillautet

T *( Y*) - 'T'* *
.LWu = - qw
J
y*

dy*
.A*(y*) · (2.16)
0

Aus (2.16) folgt das Wärmeübergangsgesetz für die laminare Couette-Strömung,


wenn die Integration bis zur oberen Wand durchgeführt wird. Es gilt dann

(2.17)
2 Laminare Couette-Strömung: Einführung grundlegender Begriffe 13

Vernachlässigt man die Temperaturabhängigkeit der Wärmeleitfähigkeit, er-


gibt sich ein lineares Temperaturprofil, wie es in Bild 2.2 eingezeichnet ist. Diese
Näherung beschreibt die tatsächlichen Verhältnisse um so besser, je geringer die
Temperaturabhängigkeit von A* ist oder je kleiner TW, - T\Vu ist. Asymptotisch
handelt es sich also um Strömungen mit dA* /dT* --t 0 und/oder (TW,- T\Vu) --t 0.
Das Wärmeübergangsgesetz kann wieder in einen Zusammenhang dimensions-
loser Kennzahlen übergeführt werden. Bezüglich des physikalischen Hintergrundes
dieser Umformung sei wieder auf die Dimensionsanalysis in Kap. 4 verwiesen.
Als dimensionlose Kennzahl für die Wärmestromdichte wird folgende Kombi-
nation eingeführt, die nach Wilhelm Nußelt als Nußelt-Zahl bezeichnet wird:

(2.18)

In (2.18) ist zunächst die allgemeine Definition der Nußelt-Zahl mit einer charakte-
ristischen Länge Lß und einer charakterischen Temperaturdifferenz !::::.T* gegeben.
Für die hier betrachtete Couette-Strömung sind die entsprechenden Größen H* und
(T\Vu- TW,). Die Temperaturdifferenz wird stets so gewählt, daß Nu positiv ist. Wie
das Vorzeichen von q~ ist damit auch !::::.T* von der Wahl des Koordinatensystems
abhängig, d.h. die Bezeichnung oben bzw. unten bezieht sich auf die Koordinaten-
richtung.
Mit dieser Definition lautet das Wärmeübergangsgesetz der Couette-
Strömung

Nu=
1[1 ! A(y)
22
dy ]
2
-l
. (2.19)
0

Bei konstanter Wärmeleitfähigkeit (A := A*/Aß = 1) folgt aus (2.17)

* - - A* TW, - Twu (2.20)


qw- B 2H*
und aus (2.19)
1
Nu= 2. (2.21)

Dieses entspricht einer linearen Temperaturverteilung


T*(y)- T,* 1
-:::,..:.::..'---=-W~u _
T,* - T,*
\\b Wu
- 2Y .
Es ist vielleicht im ersten Moment überraschend, daß die Strömungsgeschwindig-
keit im Wärmeübergangsgesetz nicht vorkommt, d.h. (2.17) gilt gleichermaßen für
ein ruhendes Fluid zwischen zwei Platten wie für die Couette-Strömung, also bei
einer Relativbewegung der Platten zueinander. Der Grund hierfür ist, daß im
Fall der Couette-Strömung gegenüber dem ruhenden Fall zwar eine weitere Form
14 K. Gersten/ H. Herwig

des Wärmetransportes hinzukommt, nämlich der sog. konvektive Wärmetransport


durch Mitführen innerer Energie in Strömungsrichtung, diese aber auf die Energie-
bilanz (2.15) ohne Einfluß bleibt. Da es sich um eine ausgebildete Strömung handelt,
wird in bezug auf jedes Kontrollvolumen durch Konvektion gleich viel Wärme zu-
und abgeführt.

2.4 Einfluß der Dissipation auf das Temperaturfeld


Eine genauere Betrachtung des Temperaturfeldes zeigt, daß die Strömung doch
nicht ohne Einfluß bleibt und (2.17) tatsächlich nur eine Näherungsbeziehung für
kleine Geschwindigkeiten darstellt, asymptotisch also für U* -+ 0 gilt. Es wurde
nämlich bisher nicht berücksichtigt, daß die für die Plattenbewegung aufgebrachte
mechanische Leistung über einen Dissipationsprozeß im Fluid in innere Energie
übergeführt wird.
Die Leistung dP*, um eine Fluidschicht der Dicke dy* und der endlichen
Grundfläche A* zu bewegen, ist das Produkt aus der dazu erforderlichen Kraft
r* A* und der über der Dicke dy* auftretenden Geschwindigkeitszunahme du*. Mit
dem Reibungsgesetz (2.2) für r* gilt

2
dP* =r*A*du* =A*17* (du*) dy*. (2.22)
dy*
Diese mechanische Energie geht in innere Energie über. Man spricht in diesem Zu-
sammenhang von Dissipation. Die Strömung enthält also im Feld verteilte "Wärme-
quellen", die zu einer bisher nicht berücksichtigten Erhöhung der Fluiddtemperatur
führen. Die pro Schichtdicke dy* entstehende Differenz in der Wärmestromdichte
zwischen dem oberen und unteren Schichtrand, dq*, ist wegen der vollständigen
Dissipation der mechanischen Energie gleich dem Leistungsanteil dP*, so daß aus
(2.22) unmittelbar folgt

d *
q
= dP*
A*
= 17 * (du*)
dy*
2
d *.
y
(2.23)

Zusammen mit dem Fouriersehen Wärmeleitungsgesetz (2.14) ergibt sich daraus für
die Temperaturverteilung die Differentialgleichung

_ _:!:_
dy*
(>. * dT*
dy*
) _
- 1}
* (du* )
dy*
2
(2.24)

Für konstante Stoffwerte (dann gilt >. *, rJ* = const, du* j dy* = U* /2H*) und die
Randbedingungen TW, = const und Twu = const lautet die Lösung
'T'* 'T'* *U*2
T*( *) T* 1 1 Wu * 1J *( * *)
Y + 2).*(2H*)2Y 2H - Y . (2.25)
\\b-
Y - Wu = 2H*
2 Laminare Couette-Strömung: Einführung grundlegender Begriffe 15

In diesem Fall sind die Wärmequellen dq* / dy* zwischen den Platten gleichmäßig
verteilt. Die Lösung (2.25) setzt sich aus zwei Anteilen zusammen, dem linearen
Anteil gemäß (2.20) infolge der aufgeprägten Temperaturdifferenz T~ -T\Vu und ei-
ner parabelförmigen Verteilung infolge der Dissipation. Die dissipierte mechanische
Energie wird als ein zusätzlicher Wärmestrom gleichmäßig über die obere und untere
Wand abgeführt, fließt also dem aufgeprägten Wärmestrom infolge der Tempera-
turdifferenz T~ - T\Vu an der oberen Wand entgegen. An der unteren Wand fließt
er in dieselbe Richtung wie der aufgeprägte Wärmestrom, so daß für die Wärme-
stromdichten an den Wänden jetzt q% f:. q\vu gilt. Diese Wärmeströme ergeben
sich aus (2.25) zusammen mit (2.14) zu

* >..* 'T'* '1"'*


.LV\b- .LVVu
."
., .. U*2
qWu = - 2H* - -4-H-..-
(2.26)
* _ ->..* T~- T\Vu TJ*U*2
qV\b - 2H* + 4H* .
Dies sind die beiden Wärmeübergangsgesetze, die für U* -+ 0 in das Gesetz (2.20)
übergehen.
Diese Wärmeübergangsgesetze können wieder in den Zusammenhang dimensi-
onsloser Kennzahlen übergeführt werden. Mit der Definition (2.18) der Nußelt-Zahl
lautet das Wärmeübergangsgesetz z.B. für die untere Wand

(-q\vu)H* 1 ( 1 - T\Vu )
Nuu := >..*(T,*
Vlb -
T.*VVu ) = 2 1 + 2PrEcT,* T,*VVu (2.27)
Vlb -

Hier wurden zunächst zwei weitere dimensionslose Kennzahlen eingeführt. Eine


Kennzahl ist als Kombination von Stoffwerten selbst eine Stoffkennzahl und wird
in der Literatur Prandtl-Zahl genannt
TJ*c*
.-T*.
Pr ·- p (2.28)

Dabei ist c; die spezifische isobare Wärmekapazität mit der Einheit [cp] = kJ/kgK.
Zahlenwerte für c; und Pr verschiedener Fluide sind in Anhang A2 enthalten.
Die andere Kennzahl ist ein Maß für den Einfluß der Dissipation und wird in
der Literatur Eckert-Zahl genannt
- U*2
Ec := c;r-wu. (2.29)

Häufig wird statt der absoluten Temperatur eine charakteristische Temperaturdif-


ferenz gewählt (hier: T~- T\Vu), was zu einer etwas anderen Definition der Eckert-
Zahl führt. Diese soll zur Unterscheidung Ec genannt werden. Es gilt
U*2 - T.*
Ec:= *(T.* T,*) =EcT.* VVuT,* . (2.30)
cP Vlb - VVu Vlb - VVu
16 K. Gersten/ H. Herwig

Für das Gesetz (2.27) gilt nun Nuu --> oo für (T~ - Twu) --> 0, d.h. die Formu-
lierung des Wärmeübergangsgesetzes wird singulär, ohne daß eine ungewöhnliche
physikalische Situation vorliegt. Beim Fall T~ = T\\ru wird lediglich die im Inneren
des Fluides entstehende innere Energie über die Wände abgeführt wird, ohne daß
ein weiterer Wärmestrom über die thermischen Randbedingungen aufgeprägt wird.
Aus (2.27) ist zu erkennen, daß eine allgemeingültige, nicht singuläre Formu-
lierung des Wärmeübergangsgesetzes entsteht, wenn (2.27) mit der dimensionslosen
Temperaturdifferenz
D.T ·= T~ -T\\ru (2.31)
. T\\ru
multipliziert wird. Mit einer modifizierten Definition der Nußelt-Zahl
- ( -q* )H*
Nu:= >.*T,* (2.32)
Wu
lautet das Wärmeübergangsgesetz der unteren Wand
- (-qV-vu)H* 1( 1 - )
Nuu := .A*Twu = 2 D.T + 2PrEc . (2.33)

Für die obere Wand gilt entsprechend


- (-q%)H* 1( 1 - )
Nu0 := >.*T\\ru = 2 D.T- 2PrEc . (2.34)

Im Grenzfall Ec = 0 gehen (2.33) und (2.34) in die Form von (2.21) über. Aufgrund
der Definitionen von Nu und Nu gilt
Nu= NuD.T. (2.35)
Dabei kann Nu mit D.T das Vorzeichen wechseln.
Bei der Angabe dimensionsloser Gesetze müssen stets die Definitionen und
gewählten Bezugsgrößen mit genannt werden. Diese zunächst trivial erscheinende
Forderung wird leider in der Literatur längst nicht immer eingehalten.
Anmerkung (Definition der Nußelt-Zahl mit der Eigentemperatur)
Bei Berücksichtigung der Dissipation (Ec i' 0) hatte sich die Definition (2.18) der Nußelt-Zahl als
ungeeignet herausgestellt. Neben (2.32) ist für Ec i' 0 noch eine andere Definition der Nußelt-Zahl
gebräuchlich, die im folgenden erläutert wird.
Für eine bestimmte Temperatur r;d u der unteren Wand verschwindet gerade die Wärme-
stromdichte qW,.. Man nennt r;d u daher die adiabate Wandtemperatur (Index ad) oder die Eigen-
temperatur der unteren Wand. Analog gibt es die Eigentemperatur r;do der oberen Wand. Nach
(2.26) gilt mit (2.28)
r:du- TW,
--"'~,....,..-...!..""- =
r:do- T~ = -Pr
1
.
U* 2 /c;, U* 2 /c;, 2
Unter Verwendung der Eigentemperatur lassen sich geeignete Nußelt-Zahlen definieren und damit
die Wärmeübergangsgesetze auch wie folgt schreiben:
Nu := (-qW,.)H* =Nu := qV.,,H* ~
u A*(T;du-T\Vu) 0
A*(T;d 0 -TW,) 2
2 Laminare Couette-Strömung: Einführung grundlegender Begriffe 17

2.5 Diffusionsgesetz von Fick


Das betrachtete Fluid soll jetzt ein Gemisch sein, d.h. aus mehreren Komponenten
bestehen, die im Fluid an verschiedenen Orten mit verschiedenen Konzentrationen
vorliegen können. Die Konzentration einer Komponente i (Masse mi) ist dabei
definiert als

C· :=
r/
__..!_ mit und (2.36)
I /2*

wobei ei die sog. Partialdichte ist. Die Konzentration ci wird in der Literatur auch
Massenanteil genannt und z.B. bei Mersmann (1986, S. 34) mit wi bezeichnet.
Unter dem Diffusionsgesetz versteht man den Zusammenhang zwischen dem
Massendiffusionsstrom einer Komponente pro Flächenelement, der sog. Diffusions-
stromdichte, und der zugehörigen Konzentrationsverteilung in einem Fluid.
Die Diffusionsstromdichte der Komponente i ist definiert als

[Jl'.*] = kg2' (2.37)


sm
wobei rhirel der Massendiffusionsstrom der Komponente i ist, den ein Beobach-
ter wahrnimmt, der sich mit der sog. Schwerpunktsgeschwindigkeit bewegt. Dies
berücksichtigt, daß der Diffusion in der Regel ein konvektiver Massentransport über-
lagert ist. Genaugenammen handelt es sich bei it nach (2.37) um eine Vektorkom-
ponente des Diffusionsstromdichtevektors (s. die spätere Gleichung (2.60)).
Die Schwerpunktsgeschwindigkeit v* ist die massengemittelte Summe der
Einzelgeschwindigkeiten, also
(2.38)

Die Diffusionsstromdichte nach (2.37) ist damit

ii = ei(vi -v*). (2.39)


Empirisch zeigt sich eine direkte Proportionalität zwischen der Diffusionsstrom-
dichte it und dem lokalen Gradienten der Partialdichte ei = Ci/2*' so daß mit dem
Proportionalitätsfaktor D* gilt

* dci
J··• = - D* 12- (2.40)
I dy*

Das negative Vorzeichen berücksichtigt, daß die Komponente i in Richtung abneh-


mender Konzentration ci fließt, d.h. für dcjdy* > 0 ist it negativ.
Diese Gleichung ist das gesuchte Diffusionsgesetz und wird nach Adolph Fick
als Ficksches Diffusionsgesetz bezeichnet. Gleichung (2.40) ist gleichzeitig auch
die Definitionsgleichung für den Diffusionskoeffizienten D* der Komponente i im
Gemisch. Der Diffusionskoeffizient D* besitzt die Einheit [D*] = m 2 /s.
18 K. Gersten/ H. Herwig

Der Diffusionskoeffizient D* der Komponente i in einem Gemisch ist im


allgemeinen abhängig von der Temperatur, vom Druck und von der Konzentration.
Zahlenwerte für einige wichtige Gemische sind im Anhang A2 angegeben.
Der Diffusionskoeffizient D* ist wie die Viskosität und die Wärmeleitfähig-
keit ein Stoffwert, jetzt allerdings notwendigerweise eines Gemisches. Da es durch
den Diffusionsvorgang wieder zu einem Transport (diesmal einer Komponente)
kommt, beschreibt der Diffusionskoeffizient die Transporteigenschaften des Gemi-
sches bezüglich einer Komponente, also Stofftransporteigenschaften.
Wiederum ist eine anschauliche Erklärung mit Hilfe der Molekülvorstellung
möglich. Bei der ungeordneten Molekularbewegung ist die Aufenthaltswahrschein-
lichkeit der einzelnen Moleküle in einem zur Verfügung stehenden Raum an ver-
schiedenen Orten gleich, so daß eine zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehende
Ungleichverteilung ohne äußere Einflüsse nicht bestehen bleibt. Die damit verbun-
denen Ausgleichsvorgänge werden makroskopisch als Massenströme der entspre-
chenden Komponente durch eine Ebene y* = const wahrgenommen.
In diesem Buch erfolgt eine Beschränkung auf sog. Binärgemische, d.h. auf
Gemische mit nur zwei Komponenten A und B. Dann gilt nach (2.36)

und nach (2.38)

Da bei Binärgemischen der Diffusionskoeffizient der Komponente A bezüglich der


Komponente B identisch ist mit demjenigen der Komponente B bezüglich der
Komponente A, d.h. D.AB = DßA gilt, kann im weiteren eine Indizierung von D*
unterbleiben.
Das Diffusionsgesetz beschreibt auch in strömenden Fluiden den Zusammen-
hang zwischen dem örtlichen Massendiffusionsstrom und dem Konzentrationsgra-
dienten, wobei nochmals darauf hingewiesen sei, daß (2.40) für einen Beobachter
gilt, der sich mit der Schwerpunktsgeschwindigkeit mitbewegt. Kennt man die Ver-
teilung der Diffusionsstromdichte, so kann man daraus das Konzentrationsfeld und
letzlieh das sog. Stoffübergangsgesetz für die betrachtete Strömungsanordnung be-
stimmen. Dieses Gesetz ist der Zusammenhang zwischen der Diffusionsstromdichte
an einer Wand und einer charakteristischen Konzentrationsdifferenz. Dabei spielen
die Randbedingungen an der Wand eine ausschlaggebende Rolle. In diesem Buch
soll nur eine besonders wichtige Randbedingung betrachtet werden, nämlich die der
einseitigen Diffusion an halbdurchlässigen Grenzflächen.
Ziel ist die Bestimmung des Stoffübergangsgesetzes für die Couette-Strömung
eines Binärgemisches mit der erwähnten speziellen Randbedingung. Dazu wird ein
Gemisch aus Luft und Wasserdampf betrachtet, das als sog. feuchte Luft in vielen
Anwendungsgebieten von großer Bedeutung ist. Die Anordung ist folgende: Über
einer freien Wasseroberfläche bewegt sich im Abstand 2H* ein laufendes Band. Das
2 Laminare Couette-Strömung: Einführung grundlegender Begriffe 19

Band sei porös, so daß ständig Wasserdampf durch das Band hindurchdiffundiert.
Für Luft sei das Bandjedoch undurchlässig (halbdurchlässige Grenzfläche). In einer
ausgebildeten Couette-Strömung sind die Konzentrationen des Wasserdampfes, der
als Komponente A bezeichnet werden soll, an beiden Wänden jeweils konstant.
An der Wasseroberfläche als unterer Wand der Couette-Strömung herrscht die
Konzentration cAu , die physikalisch der Sättigungskonzentration entspricht und
somit den maximal möglichen Wert darstellt (100 % relative Feuchtigkeit, jedoch
nicht etwa cAu = 1). An der oberen Wand herrsche cAo < cAu , also ein nicht
gesättigter Zustand.
Dieses Beispiel beschreibt einen Diffusionsvorgang, bei dem nur eine Kom-
ponente (der Wasserdampf) über die jeweiligen Grenzflächen diffundiert, diese
Grenzflächen für die andere Komponente (Luft) aber undurchlässig sind (vß = 0).
Man spricht deshalb, wie bereits erwähnt, von einer einseitigen Diffusion an halb-
durchlässigen Grenzflächen.
Eine Massenbilanz bezüglich der Komponente A ergibt für dieses Beispiel das
einfache Ergebnis, daß die Massenstromdichte (Massenstrom pro Fläche) konstant
ist. Für diese Massenstromdichte gilt nach (2.39) und (2.40) wegen vß = 0,
{! * = {!A*/ CA un d V* = CAVA*

eA* v~ = j~ + {!~ v* = - D* e* dcA + {!~ v* = e*v* = const (2.41)


dy*
oder
D* dc
1= __ ___!!. +cA. (2.42)
v* dy*
Daraus folgt der Konzentrationsverlauf cA(y*) mit cA wu := cA(O) zu

1-cA(y*) =exp [v*y*]


-- , (2.43)
1- CAWu D*
wenn e* und D* konstant sind. Damit gilt für die Massenstromdichte der Kompo-
nente A
* * _ * * _ * D* 1 - cA(y*) _ e* D* 1 1 - cAw,
{!A VA-(! V - (! - 1n - -- n . (2.44)
y* 1-cAWu 2H* 1-cAWu
Mit (2.44) steht eine explizite Beziehung für die von y* unabhängige Schwerpunktge-
schwindigkeit v* zur Verfügung. Da diese Geschwindigkeit auch an der Stelle y* = 0
vorliegt, beschreibt sie also eine Normalgeschwindigkeit an der unteren Wand. Ganz
allgemein bezeichnet man eine solche Situation an der Wand als Ausblasen, wenn
v* > 0 gilt, und als Absaugen für v* < 0. Ein Beispiel für eine Situation mit Aus-
blasen ist die hier soeben besprochene Verdunstung an der unteren Wand. Analog
dazu liegt eine Situation mit Absaugen vor, wenn Wasserdampf an der unteren
Wand durch Kondensation verschwindet, s. hierzu auch die Anmerkung am Ende
dieses Abschnittes.
20 K. Gersten/ H. Herwig

Da der Konzentrationsverlauf, wie (2.43) zeigt, nichtlinear ist, besteht zwi-


schen der Massenstromdichte und der Konzentrationsdifferenz (cA w, -
cA w.t) keine
direkte Proportionalität. Folgende formale Umformung läßt die Nichtlinearität deut-
lich erkennen:
(2.45)

mit
(C ) ·- CA Wu -CA \\b = CB \\b - CB WJ
B in .- In 1-cAw, In~ .
1-CA Wu CBWu

Die Größe (cB )in wird in der Literatur auch logarithmischer Mittelwert von cB w,
und cB w.t genannt, siehe z.B. Mersmann (1986, S. 44).
Als Stoffübergangsgesetz wird der Zusammenhang zwischen der Massenstrom-
dichte durch Diffusion, jA_, und einer charakteristischen Konzentrationsdifferenz,
hier z.B. cA w.t - cA W>• bezeichnet. Aus (2.41) und (2.45) folgt

'*
JA Wu = (1- CA w.t)f1A
* *
VA=
[ {/ D* CA w.t -CA
(1- CA WJ) (cB)in 2H*
w,] . (2.46)

Abschließend soll wieder gezeigt werden, wie das Stoffübergangsgesetz in dimen-


sionsloser Form lautet. Als dimensionslose Massenstromdichte wird dazu die nach
T.K. Sherwood benannte Sherwood-Zahl eingeführt, deren allgemeine Definition für
ein Binärgemisch lautet
Sh := jA_wLß . (2.47)
D*e*6cA

Für die laminare Couette-Strömung mit H* als charakteristischer Länge und mit
6cA = cA w.t- cA w,
als charakteristischer Konzentrationsdifferenz lautet das Stoff-
übergangsgesetz für die Komponente A des Binärgemisches (Annahme: konstante
Stoffwerte)
1 (1- CA w.t)
2 (cB)in
(2.48)

Es sei darauf hingewiesen, daß die Sherwood-Zahl mit der Diffusionsstromdichte


JA.w und nicht mit der Massenstromdichte (eA. vA.)w gebildet wird. Diese sind im
hier vorliegenden Fall der einseitigen Diffusion nach (2.46) verschieden.
Bei der Definition der Sherwood-Zahl wurde letztlich von der Proportionalität
JA.w "' 6cA ausgegangen, was die Anwendung in dem hier vorliegenden Fall
mit einem nichtlinearen Zusammenhang zwischen JA.w und 6cA problematisch
macht. Mit dem logarithmischen Mittelwert nach (2.45) läßt sich die Sherwood-
Zahl trotzdem auch für diesen Fall bilden, wie (2.48) zeigt.
2 Laminare Couette-Strömung: Einführung grundlegender Begriffe 21

Im Grenzfall kleiner Konzentrationsdifferenzen, also asymptotisch für


(cA wu - cA wo) ____, 0 ist der Konzentrationsverlauf linear, wie man z.B. an (2.42)
für den Grenzfall cA ____, 0 erkennen kann. Für den logarithmischen Mittelwert nach
(2.45) gilt die asymptotische Entwicklung

(2.49)

für

so daß für diesen Grenzfall folgt

Sh= ~ (2.50)
2
Gilt die Proportionalität JA.w "' 6.cA nicht, weil die Konzentrationsdifferenzen nicht
sehr klein sind oder zusätzliche "Stoffquellen" in der Strömung (z.B. durch chemi-
sche Reaktionen) vorhanden sind, empfiehlt sich die Einführung einer modifizierten
Sherwood-Zahl
(2.51)

Anmerkung (Rückwirkung auf das Geschwindigkeitsfeld)

Im Zusammenhang mit (2.44) war schon erwähnt worden, daß bei der hier vorliegenden einseitigen
Diffusion an halbdurchlässigen Grenzflächen eine Schwerpunktsgeschwindigkeit

v* = __!!:___ CA Wu - CA Vlb
(cshn 2H*
vorliegt. Der Stofftransport hat also eine Rückwirkung auf das Geschwindigkeitsfeld. Es besteht
jetzt, auch bei konstanten Stoffwerten, keine lineare Geschwindigkeitsverteilung mehr. Es tritt
nämlich in der Impulsbilanz ein zusätzlicher Impulstransport durch Konvektion (Mitführen)
auf. Bei einer positiven Geschwindigkeit v* werden Fluidelemente aus unteren Bereichen mit
geringerem Impuls (geringere Geschwindigkeit) in Gebiete mit höherem Impuls gebracht, was eine
Beschleunigung zur Folge hat.
Die Impulsgleichung lautet für diesen Fall

* • du* dr* d ( * du*) (2.52)


(} V dy* = dy* = dy* TJ dy*

oder nach Integration (es ist f!* v* = const)


du*
(}*v*u* = TJ*-
dy*
- r*
Wu
. (2.53)

Die Lösung lautet


*( *) r~ .exp(f!*v*y*/TJ*) -1
u y =- y . (2.54)
TJ* (}*V*y*/TJ*
Es handelt sich dabei um eine Verallgemeinerung von (2.4), wie der Grenzfall v• --+ 0 zeigt, bei
dem (2.54) in (2.4) übergeht.
22 K. Gersten I H. Herwig

Es besteht eine Analogie zur Konzentrationsverteilung, die mit (2.42) und (2.43) wie folgt
geschrieben werden kann:

c -c ( *)-jAWu ,.exp(v*y*ID*)-1 (2.55)


A Wu A y - g* D* y v*y* I D*

Die Analogie zu (2.54) ist vollständig, wenn D* = 77* Iu* gilt. Mit der später einzuführenden
Schmidt-Zahl Sc:= 17* l(u* D*) ist dieses der Fall Sc= 1.
Auch für die Temperaturverteilung ergibt sich eine analoge nichtlineare Verteilung infolge
der zusätzlich auftretenden Konvektionsglieder, die für )..* l(u*c;,) = 77* I g*, also für
Pr:= 77*c;1 >.• = 1 exakt von der Form (2.54) ist.

2.6 Analogie zwischen Impuls-, Wärme- und Stotlübertragung

In den vorhergehenden Abschnitten 2.2 bis 2.5 sind die Gesetzmäßigkeiten für den
Impuls-, Wärme- und Stofftransport zwar getrennt behandelt worden, die Analogie
zwischen den drei Transportvorgängen sollte aber trotzdem deutlich geworden sein.
Eine Zusammenstellung der zentralen Gesetze veranschaulicht dies noch
einmal.
,.du*
Reibungsgesetz: r* = 'fJ dy* (2.56)

Wärmeleitungsgesetz: q* = ->.*dT* (2.57)


dy*

Diffusionsgesetz: .•
JA=-
D* e
.dcA
- (2.58)
dy*

Obwohl alle drei Gesetze sehr ähnlich aussehen, besteht mathematisch ein großer
Unterschied zwischen dem Reibungsgesetz einerseits und den Wärmeleitungs- und
Diffusionsgesetzen andererseits. Die Gleichungen (2.56) bis (2.58) beschreiben die
vollständigen Transportvorgänge nur für eindimensionale Zustände, wie sie im
Beispiel der Couette-Strömung gegeben sind. Für allgemeinere Fälle sind die drei
Gesetze jeweils nur eine Komponente, und zwar für das Reibungsgesetz eine
Komponente des allgemeinen Schubspannungstensors und für das WärmeleitungB-
und Diffusionsgesetz eine Komponente des Vektors der Wärmestromdichte bzw.
Diffusionsstromdichte.
Das Reibungsgesetz verknüpft also den Geschwindigkeitsvektor, der im all-
gemeinen dreidimensionalen Fall aus den Komponenten u*, v* und w* (kartesische
Koordinaten) besteht, mit dem Spannungstensor, der selbst aus neun Komponenten
besteht (von denen aus Symmetriegründen im allgemeinen aber nur sechs voneinan-
der verschieden sind). Im Falle einer ebenen Strömung reduziert sich dies auf zwei
Vektor- und vier Tensorkomponenten. In der allgemeinen Form einer ebenen, in-
2 Laminare Couette-Strömung: Einführung grundlegender Begriffe 23

kompressiblen Strömung lautet dieser Zusammenhang (s. dazu auch Abschnitt 3.3)

(2.59) .

Für die ebene Couette-Strömung reduziert sich dies auf das Reibungsgesetz (2.56),
da u* = u* (y*) ' v* = const und r* = r*xy = r*yx gilt ·
Das Wärmeleitungs- und Diffusionsgesetz verknüpfen hingegen die skalaren
Größen Temperatur bzw. Konzentration mit dem Wärmestromdichtevektor bzw.
dem Diffusionsstromdichtevektor. Die in der Couette-Strömung vorkommenden
Ströme sind also jeweils die y-Komponenten der vollständigen Vektoren

Iq* =-A* gradT* I und I],.\= -D*e* gradcA I· (2.60)

Der Vergleich von (2.59) und (2.60) zeigt, daß eine wirkliche Analogie der Über-
tragungsprozesse nur zwischen der Wärme- und Stoffübertragung besteht. Diese
Prozesse mögen in Sonderfällen (die Couette-Strömung ist ein solcher) auch der
Impulsübertragung gleichen, eine allgemeine Analogie gilt aber wegen der unter-
schiedlichen mathematischen Struktur nicht.
Die Analogie zwischen Wärme- und Stoffübertragung setzt analoge Rand-
bedingungen voraus. Der einseitigen Diffusion entspricht Wärmeübertragung mit
Ausblasen bzw. Absaugen. Dabei muß jedoch die Dissipation vernachlässigt werden
(Ec---> 0), da dazu ein Analogon bei der Stoffübertragung fehlt.
In diesem Buch werden zunächst nur die Impuls- und die Wärmeübertragung
behandelt. Für die Behandlung der Stoffübertragung wird anschließend jeweils von
der Analogie zur Wärmeübertragung Gebrauch gemacht.

2.7 Zusammenfassung
1.) Das Newtonsehe Reibungsgesetz stellt einen Zusammenhang zwischen dem
Spannungstensor und dem Geschwindigkeitsvektor her. Die für die Couette-
Strömung relevante Komponente ist (2.2). Daraus folgt (2.5) als Widerstands-
gesetz für die Couette-Strömung; in dimensionsloser Form ist dies (2.8).
2.) Das Fouriersehe Wärmeleitungsgesetz stellt einen Zusammenhang zwischen
dem Wärmestromvektor und der skalaren Größe Temperatur her. Die für die
Couette-Strömung relevante Komponente ist (2.14). Daraus folgt (2.17) als
Wärmeübergangsgesetz für die Couette-Strömung; in dimensionsloser Form
ist dies (2.19).
3.) Bei Berücksichtigung der Dissipation tritt im Wärmeübergangsgesetz ein wei-
terer Term hinzu. Außerdem sind die Gesetzmäßigkeiten an der unteren und
der oberen Wand verschieden. Für die untere Wand z.B. gilt in dimensionslo-
ser Form (2.27).
24 K. Gersten / H. Herwig

4.) Das Ficksehe Diffusionsgesetz stellt einen Zusammenhang zwischen dem


Diffusionsstromdichtevektor und der skalaren Größe Konzentration her. Die
für die Couette-Strömung relevante Komponente ist (2.40). Daraus folgt
(2.46) als Stoffübergangsgesetz für die Couette-Strömung eines Binärgemisches
(einseitige Diffusion); in dimensionsloser Form ist dies (2.48).
5.) Zwischen der Wärme- und Stoffübertragung besteht eine enge Analogie,
da beide Übertragungsprozesse durch weitgehend ähnliche mathematische
Gleichungen beschrieben werden.
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide

3.1 Vorbemerkung
In diesem Kapitel sollen die Grundgleichungen zur Beschreibung der Impuls-,
Wärme- und Stoffübertragung bereitgestellt werden, wobei Einzelheiten der Her-
leitung weniger interessieren als der physikalische Hintergrund. Bezüglich der de-
taillierten Herleitung sei deshalb auf entsprechende Lehrbücher verwiesen, wie z.B.
Schlichting (1982), Bird et al. (1960), White (1974), Whitaker (1977) und Jischa
(1982).
Die physikalischen Grundprinzipien, die im folgenden Verwendung finden, sind
(1) die Erhaltung der Masse; dies bezieht sich sowohl auf die Gesamtmasse des
Fluides als auch auf die Masse der Komponenten von Gemischen. Aus entspre-
chenden Massenbilanzen werden sowohl die globale Kontinuitätsgleichung für
die Gesamtmasse (im weiteren nur Kontinuitätsgleichung genannt) als auch
die partielle Kontinuitätsgleichung für die Komponente i eines Gemisches her-
geleitet.
(2) das Newtonsehe Grundgesetz der Dynamik (Kraft= Masse x Beschleunigung)
zusammen mit dem Prinzip des Kräftegleichgewichtes an einem Kontrollvolu-
men. Dieses Kräftegleichgewicht führt auf die sogenannten Impulsgleichungen
(in Komponentenschreibweise), die für Newtonsehe Fluide den Namen Navier-
Stokes- Gleichungen tragen.
(3) das Grundgesetz der Thermodynamik in der Form des 1. Hauptsatzes für
offene Systeme, s. Baehr (1989). Aus dem 1. Hauptsatz wird die sog. Ener-
giegleichung abgeleitet.
Alle Gleichungen werden zunächst in dimensionsbehafteter Form angegeben. Der
generelle Übergang auf eine dimensionslose Darstellung erfolgt im anschließenden
Kapitel zur Dimensionsanalysis. Lediglich bei den Grundgleichungen für turbulente
Strömungen in Abschnitt 3.8 wird bereits der Vorteil einer dimensionslosen Schreib-
weise ausgenutzt.
Die Grundgleichungen sind Bilanzgleichungen (bezüglich Masse, Impuls und
Energie), die in der endgültigen Form die sog. Materialgleichungen (auch: konsti-
tutive Gleichungen) enthalten. Diese Materialgleichungen sind die in Kap. 2 ein-
geführten Reibungs-, Wärmeleitungs- und Diffusionsgesetze. Die Einführung dieser
26 K. Gersten/ H. Herwig

Gesetze in die Grundgleichungen schränkt deren Gültigkeit natürlich entsprechend


der Gültigkeit der Materialgleichungen ein. Die Verwendung des Newtonsehen Rei-
bungsgesetzes bedeutet eine Beschränkung auf Newtonsehe Fluide.
Im folgenden werden zunächst die Bilanzgleichungen formuliert und an-
schließend die (Newtonschen) Materialgleichungen eingeführt.
Die nachfolgenden Gleichungen gelten für laminare wie für turbulente Ström-
ungen. Bei turbulenten Strömungen handelt es sich um die Grundgleichungen für
die sog. Momentangrößen. In Abschnitt 3.8 wird gezeigt, wie daraus die Gleichungen
für die in der Regel interessierenden zeitlich gemittelten Größen gewonnen werden
können. Die Gleichungen werden in kartesischen Koordinaten formuliert (x*, y*, z*;
u*, v*, w*), für andere Systemes. Anhang Al.
Es wird eine raumfeste Betrachtungsweise gewählt, d.h. die Bilanzen wer-
den bezüglich eines ortsfesten Kontrollraumes formuliert, der zu verschiedenen Zei-
ten im allgemeinen von unterschiedlichen Fluidteilchen besetzt ist. Dieses nennt
man Eutersehe Betrachtungsweise. Eine alternative Möglichkeit besteht darin, eine
aus immer denselben Fluidteilchen gebildete Kontrollmasse zu betrachten und Bi-
lanzen bezüglich dieser Kontrollmasse zu formulieren. Dies wird Lagrangesche-
Betrachtungsweise genannt und ist z.B. in Oswatitsch (1959) und Panton (1984)
näher beschrieben.
Hier tritt nun ein grundsätzlicher Konflikt auf. Einerseits sind die anschlies-
send zu behandelnden Bilanzgleichungen für Masse, Impuls und Energie eindeu-
tig von "Lagrangescher Natur", da sie in der ursprünglichen Form für eine feste
Kontrollmasse formuliert sind, andererseits verliert für strömende Fluide das "Ein-
zelschicksal" der Teilchen an Bedeutung, da die interessierenden Größen ortsfeste
Felder von Druck und Geschwindigkeit sind. Aus diesem Grund nimmt man die
zunächst umständlicher erscheinende Formulierung der Erhaltungssätze in der Eu-
lerschen Betrachtungsweise in Kauf, die durch die Formulierung für ein festes Kon-
trollvolumen entsteht.
Beim Übergang auf das ortsfeste Kontrollsystem ist den Zeitableitungen
besondere Aufmerksamkeit zu widmen, wie folgende Überlegung zeigt. Eine Größe
E* (Masse, Impulskomponente oder Energie), die in Lagrangescher Betrachtung
zeitlichen Änderungen unterliegen kann, für die also E* = E*(t*) gilt, ist in der
Eulerschen Betrachtung eine Funktion der Zeit und des Ortes, also E* (t*, x*, y*, z*).
Für die Zeitableitung gilt deshalb folgender Übergang auf das ortsfeste Eulersche
Koordinatensystem:

dE* = _!!:__ [8E* dt* 8E* dx* 8E* d * 8E* dz*] . (3.1)
dt* dt* ßt* + 8x* + ßy* y + ßz*

Da diese Gleichung sich auf ein konkretes Teilchen bezieht, das sich aus ortsfester
Sicht mit der Geschwindigkeit (u*, v*, w*) bewegt, gilt dx* = u* dt*, dy* = v* dt*
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 27

und dz* = w* dt*, so daß (3.1) folgende Form annimmt:


DE* 8E* 8E* 8E* 8E*
- - ·- --
Dt* .- 8t*
+ u*--
8x*
+ v*--
8y*
+ w*--
8z* ·
(3.2)

Um deutlich zu kennzeichnen, daß es sich auf der linken Seite von (3.2) um
eine Zeitableitung in einem teilchenfesten System handelt, ist die Schreibweise
D / Dt* eingeführt worden, die substantielle Ableitung genannt wird (manchmal auch
materielle Ableitung). Die Größe 8E* f8t* wird als lokale Ableitung bezeichnet. Die
drei letzten Terme auf der rechten Seite von (3.2) heißen konvektive Ableitung, da sie
für ein ruhendes Fluid verschwinden. In diesem Grenzfall werden die Lagrangesche
und die Eulersche Betrachtungsweise natürlich identisch.
In den folgenden Bilanzgleichungen werden die linken Seiten stets von der
Form (3.2) sein, was zum Ausdruck bringt, daß die Erhaltungssätze ursprünglich
für konkrete Teilchen formuliert sind. Nach dem Übergang auf die Eulersche Be-
trachtungsweise bezieht sich die physikalische Interpretation dann auf ein ortsfestes
Kontrollvolumen.

3.2 Globale und partielle Kontinuitätsgleichung


Die globale Kontinuitätsgleichung in Eulerscher Betrachtungsweise bringt zum
Ausdruck, daß in einem Kontrollvolumen die zeitliche Massenänderung infolge
Dichteänderung 8g* f8t* gleich der Summe der ein- und ausfließenden Massenströme
ist. Diese Bilanz führt auf folgende Gleichung:

8e* 8(e*u*) 8(e*v*) 8(e*w*)


&F + 8x* + 8y* + 8z* = 0 (3.3)

Die partiellen Kontinuitätsgleichungen treffen eine analoge Aussage bezüglich der


Massenänderungen bzw. Massenströme der einzelnen Komponenten eines Gemi-
sches. Die Formulierung ist allerdings nur dann vollständig analog, wenn chemische
Reaktionen ausgeschlossen werden, da andernfalls zusätzliche sogenannte Quell-
terme berücksichtigt werden müßten, s. dazu auch Jischa (1982). Die partielle Kon-
tinuitätsgleichung für die Komponente i lautet (keine chemischen Reaktionen)

8ei 8(eiui) 8(eivi) 8(eiwi) _ 0


(3.4)
8t* + 8x* + 8y* + 8z* - ·
In Abschnitt 2.5 war eine Beziehung für die Diffusionsstromdichte ii aufgestellt wor-
den, vgl. (2.39), die im dort beschriebenen Beispiel der Couette-Strömung nur eine
Komponente besaß. Im allgemeinen handelt es sich um einen Diffusionsstromdichte-
Vektor ft(j;i, j;i, j;J. Mit der Schwerpunktsgeschwindigkeit v*(u*, v*, w*) und
der Geschwindigkeit der Komponente i als vt(ui, vj, wi) gilt analog zu (2.39)

(3.5)
28 K. Gersten/ H. Herwig

Berücksichtigt man ferner ot


= Cj{!*' so kann die partielle Kontinuitätsgleichung
folgendermaßen umgeschrieben werden:

8ot * ( u * -aci+ v * -aci+ w


-+o * aci)
- =- - +aj;i
(aj~i - +aj:i)
- (3.6)
8t* 8x* 8y* 8z* 8x* 8y* 8z*

Wie sich anschließend herausstellen wird, ist sie in dieser Form ganz analog zur
Energiegleichung (ohne Dissipationsterm) aufgebaut, was wegen der in Abschnitt
2.6 festgestellten Analogie zwischen der Wärme- und Stoffübertragung nicht ver-
wunderlich ist.
Mit dem Ficksehen Diffusionsgesetz, vgl. Abschnitt 2.5, gilt für den Diffusions-
stromdichte-Vektor der Komponente A bei der binären Diffusion (mit DA_ 8 =
DßA = D*)
jA_ = -D* g* grad CA. (3.7)
In Gleichung (3.7) sind strenggenommen drei Effekte vernachlässigt worden, da der
vollständige Diffusionsstrom aus insgesamt vier Anteilen besteht. Neben der in (3. 7)
aufgeführten Ficksehen Diffusion sind dies
die Druckdiffusion, d.h. zusätzliche Diffusionsströme aufgrund von Druckgra-
dienten.
die Diffusion durch Volumenkräfte, die allerdings nur wirkt, wenn die einzel-
nen Komponenten unterschiedlichen Kraftfeldern unterliegen (was beim hier
nur betrachteten Schwerefeld nicht der Fall ist).
die Thermodiffusion, d.h. zusätzliche Diffusionsströme aufgrund von Tempe-
raturgradienten.
Der letztgenannte Effekt (Thermodiffusion) zählt zu den sog. Kopplungseffekten
und wird in Abschnitt 13.4 näher untersucht. Nähere Angaben zu den drei ver-
nachlässigten Effekten sind u.a. in Jischa (1982, S. 35) und Bird et al. (1960, S. 566)
zu finden.

3.3 Impulsgleichungen
Ausgangspunkt für die weiteren Betrachtungen ist die Tatsache, daß ein Fluidele-
v
ment aufgrund seiner Masse dm * und seiner Geschwindigkeit * (u *, v*, w*) Träger
von Impuls ist. Dieser Impuls v * dm* kann nach dem Newtonsehen Grundgesetz
der Mechanik nur durch die Wirkung von Kräften geändert werden. Diese Kräfte
können entweder auf das Kontrollvolumen verteilt (Volumenkräfte) oder an der
Kontrolloberfläche (Oberfiächenkräfte) angreifen.
Im Rahmen dieses Buches wird neben der Trägheitskraft als Volumenkraft
ausschließlich die Schwerkraft g * dm* mit der Fallbeschleunigung g * (g~, g;, g;)
vorkommen.
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 29

Die Oberflächenkräfte am Kontrollvolumen werden durch Normal- und Tan-


gentialspannungen in bezug auf das betrachtete Kontrollvolumen beschrieben. Im
allgemeinen Fall erfolgt die Beschreibung durch einen Spannungstensor.
Mit der substantiellen Ableitung nach (3.2) lauten die drei Komponenten der
Impulsgleichung, die das Gleichgewicht von Trägheitskräften und Volumen- bzw.
0 berflächenkräften beschreiben
*Du* * * 8a~ 8r;y ar;z
(3.8)
(} Dt* = (} gx + 8x* + 8y* + 8z*
* Dv* * * ar;x aa; ar;z
(3.9)
(} Dt* = (} gy + 8x* + 8y* + 8z*
* Dw* * * ar;x 8r;y Ba;
(} Dt* = (} gz + 8x* + 8y* + 8z* ·
(3.10)

Im Grenzfall u* = v* = w* = 0 (ruhendes Fluid) müssen diese Gleichungen das sta-


tische Gleichgewicht (Druckkraft = Gewichtskraft) bezüglich des Kontrollvolumens
beschreiben. Da in einem ruhenden Fluid keine Tangentialspannungen auftreten
(dies ist die Definition eines Fluides), müssen die verbleibenden Normalspannungen
dem statischen Druck entsprechen, der seinerseits der thermodynamische Druck p*
ist. Es gilt also
a; = a; = a; = -p* (ruhendes Fluid). (3.11)

Das Minuszeichen folgt aus den entsprechenden Vorzeichenvereinbarungen für die


Tensor komponenten.
Im Gegensatz zum statischen Fall ist in einer Strömung die Summe der Nor-
malspannungen (Invariante des Spannungstensors) nicht mehr gleich dem dreifachen
Wert des thermodynamischen Druckes p*, vielmehr gilt

p* ' -~(a*
·=3 x
+ a*y + a*)
z
= p*- 'TJ*v divv* · (3.12)

Dabei ist 'T}~ die sog. Volumenviskosität, auf die anschließend noch näher eingegangen
wird. Die Tatsache, daß es in strömenden Fluiden neben dem thermodynamischen
Druck p* noch einen zweiten Druck p* gibt, erscheint zunächst verwirrend, ist aber
unter praktischen Gesichtspunkten kaum von Bedeutung, da die Differenz p* - p*
(bis auf einige Sonderfälle, s. Landau und Lifshitz (1963, S. 304 ff.)) keine wesentliche
Rolle spielt. Die Differenz p* - p* ist darüber hinaus immer dann ohne Bedeutung,
wenn in dem betrachteten Problem die sog. deviatorischen Normalspannungen (im
folgenden häufig einfach "Normalspannungen") r;x, r;Y und r;z (s. die spätere
Gleichung (3.17)) keine Rolle spielen, wie dies z.B. bei Grenzschichten der Fall
ist.
Die Differenz ist zahlenmäßig um so geringer, je kleiner div v * ist, wie (3.12)
unmittelbar zeigt. Ein Fluid mit konstanter Dichte erfüllt diese Bedingung exakt, s.
(3.3). In diesem Fall gilt p* = p*, was der physikalischen Anschauung unmittelbar
30 K. Gersten/ H. Herwig

entspricht: Die Stoffkonstante 17~ charakterisiert einen Viskositätseffekt, der nur in


den Normalspannungen vorkommt. Diese viskosen Effekte von Normalspannungen
können aber nur auftreten, wenn es zu Volumenänderungen bei der betrachteten
Kontrollmasse kommt, genauso wie viskose Effekte der Schubspannungen nur
auftreten, wenn es zu Formänderungen der Kontrollmasse kommt.
Im Rahmen dieses Buches wird die Differenz zwischen p* und p* ver-
nachlässigt, da sie für die hier behandelten Strömungen ohne Bedeutung ist. Dies
entspricht der Vorgehensweise, die auch Stokes gewählt hat. Die nach ihm benannte
Hypothese lautet

1]~ =0 (Hypothese von Stokes) . (3.13)

Eine ausführliche Diskussion dieser Hypothese findet sich in Landau und Lifshitz
(1963, S. 304 ff) und Schlichting (1982, S. 60).
Im weiteren wird der Druck p* also stets im Sinne des thermodynamischen
Druckes verwendet, wie er in der entsprechenden thermodynamischen Zustandsglei-
chung f(e*, p*, T*, cJ = 0 vorkommt.
Die Bedingung (3.13) ist eine von drei Annahmen, die von Stokes im Jahre
1845 getroffen wurden, als er den nach ihm benannten Zusammenhang zwischen
dem Spannungs- und dem Verzerrungszustand formulierte (Schubspannungsansatz
von Stokes). Die beiden weiteren Annahmen sind: das Fluid ist isotrop, d.h. seine
Eigenschaften sind richtungsunabhängig, und die Komponenten des Spannungsten-
sors sind lineare Funktionen der sog. Formänderungsgeschwindigkeiten. Diese lassen
sich aus einfachen kinematischen Überlegungen durch die Gradienten der Geschwin-
digkeitskomponenten u*, v* und w* ausdrücken und bilden zusammen den sog.
Verzerrungstensor.
Unter Berücksichtigung der drei Annahmen von Stokes gilt für die Normal-
komponenten des Spannungstensors

(Jx* = -p* + Txx* = -p* + 21] * -8u* - -1] ~*


2 * d'lV V
8x* 3
CJ* = -p* + r*yy = -p* + 21]* 8y*
Bv* - ~17* div v * (3.14)
y 3

CJ*z = -p* + r*zz = -p* + 2"'*


., Bw*
8z* - ~"'*
3 ., div v*
mit

d1vv
~* 8u*
8-
:= - +8w*
+88v* -.
8 z* (3.15)
x* y*
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 31

Unter Berücksichtigung der Hypothese von Stokes lauten dann die Impulsgleichun-
gen

(3.16)

mit den deviatorischen Normalspannungen

Txx
* = 2ry .ou* 2 *d'lV V~·
- - - -TJ
ox* 3
* * ßv* 2 * d' ~ * (3.17)
Tyy = 2ry ßy* - 3TJ lVV

Tzz
* ßw*
= 2TJ * - - 2 * d'lV V~ *
- -TJ
ßz* 3
und den Tangentialkomponenten des Spannungstensors

ßu*)
*
Txy = Tyx* = "1 * (ßv*
ßx* + ßy*

)
*
Tyz = Tzy
*
= "1
* ( ßw*
ßy* + ßv*
ßz* (3.18)

ßw*)
*
Tzx = Txz* = "1 * (ßu*
ßz* + ßx*

Werden (3.17) und (3.18) in (3.16) eingesetzt, erhält man die nach Navier (1827)
und Stokes (1850) benannten Navier-Stokes-Gleichungen.
In Vektor-Schreibweise lautet (3.16)
D~*
e*-v_
Dt*
= [!*g*- grad p* + DiVT·~Y (i,j = X,y,z), (3.19)

wobei Div rij durch den Vergleich mit (3.16) als Operator bezüglich des Spannungs-
tensors rij definiert ist.

Anmerkung (Modifizierter Druck)

Der Druck in den Gleichungen (3.16) reduziert sich, wie bereits erwähnt, im Falle des ruhenden
Fluides mit der statischen Dichte e;t auf den statischen Druck P;t , d.h. es gilt
(3.20)
Die Abweichung des Druckes vom statischen Druck wird als modifizierter Druck p:;, bezeichnet,
p:;,
d.h. für gilt die Definition
(3.21)
32 K. Gersten/ H. Herwig

Es hat nun deutliche Vorteile, diesen modifizierten Druck (der genau genommen eine Druckdifferenz
darstellt) in die Gleichungen einzuführen. Für den Termgrad p* in (3.19) gilt dann
grad p* = e:tfJ • + grad p;;, ,
so daß die beiden ersten Terme auf der rechten Seite von (3.19) lauten
u· g. - grad p* = (e* - e:t )§. - grad p;;, . (3.22)
Die ursprünglich in der Gleichung vorhandene Volumenkraft e* g • ist mit dem statischen Anteil
u;t9 • zu einem Term (g* - u;t)9 * zusammengefaßt worden.
Bisweilen wird in der Literatur auf den modifizierten Druck übergegangen, ohne dies durch
einen besonderen Index zu kennzeichnen. Enthält der Impulssatz bei erzwungener Konvektion
keinen expliziten Volumenkraftterm oder ist bei natürlicher Konvektion ein Auftriebsterm mit
der Dichtedifferenz (e* - u;t) gebildet, so sind dies stets Hinweise, daß der modifizierte Druck
eingeführt wurde.

3.4 Energiegleichung
Die Energiegleichung besagt, daß die Energie eines Systems durch Zufuhr von
Wärme oder Verrichtung von Arbeit erhöht werden kann. Mit "Energie" ist hier
die sog. Gesamtenergie als Summe aus innerer und kinetischer Energie gemeint.
Im folgenden sollen nur die wichtigsten Zwischenschritte der Herleitung
bzw. die Endergebnisse der Umformungen angegeben werden; eine ausführliche
mathematische Darstellung findet man z.B. in Whitaker (1977).
In einem ersten Schritt wird die Impulsgleichung (3.19) mit dem Geschwin-
digkeitsvektor iJ *(u*, v*, w*) skalar multipliziert. Die dabei entstehende skalare
Gleichung ist die Bilanzgleichung für die kinetische Energie. Da in dieser Gleichung
ausschließlich mechanische, aber keine thermischen Größen vorkommen, wird sie
mechanische Energiegleichung genannt. Sie lautet in kartesischen Koordinaten

- (u* äp* + v* äp* + w* äp*) + A* - {[>*, (3.23)


äx* äy* äz*

wobei A * die Arbeit der viskosen Kräfte am Volumenelement beschreibt und {[>* den
Anteil der kinetischen Energie, der irreversibel in innere Energie umgewandelt wird.
Da mit {[>* ein dissipativer Prozeß beschrieben wird, heißt {[>* Dissipationsfunktion.
In kartesischen Koordinaten gilt für die Funktionen A * und {[>*

A * =ä- [11 * (äu*


2
----u -
2 * d'1vv-• +v * (äu* äv*) -
- +w* (äw*
+äx* Öx*
- ))]
- +äu*
äz*
äx* Öx* 3 äy*

ä [ ry* ( u* (äv*
+ -- äv*-2 - -v*diviJ*
äu*) + -
- - + -- 2 äw* ))]
- - + --
+w* (äv*
äy* äx* äy* äy* 3 äy* Öz*

+ -- - - + --
ä [ry* ( u* (äw* äu*) +v* (äv*
-- äw*) + -
+ -- -2 - -w*diviJ*
äw* 2 )]
Öz* äx* äz* Öz* äy* äz* 3
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 33

2 2 2 2
cl>*= 2 *[(8u*) (8v*) (8w*) ] *[(8v* 8u*)
'rf 8x* + 8y* + 8z* + 'rf 8x* + 8y*
+ (aw* + 8v*) 2 + (aw* + 8u*) 2]
8y* 8z* 8x* 8z*
_ ~f/*(divv*)
3
2
(3.24)

Neben der mechanischen Energiegleichung kann eine Erhaltungsgleichung für die


innere Energie formuliert werden, die zusammen mit der mechanischen Energieglei-
chung die Gleichung für die Gesamtenergie ergibt. Sie soll thermische Energieglei-
chung genannt werden. Diese Gleichung kann in verschiedenen Variablen formu-
liert werden, wovon hier die drei Versionen aufgeführt werden, die am häufigsten
Verwendung finden. Dies sind Darstellungen in e* (spezifische innere Energie), h*
(spezifische Enthalpie) und T* (Temperatur). Die drei Formen der thermischen
Energiegleichung lauten

(3.25)

* Dh* __ ( aq~ aq; aq;) Dp* ci>* (3.26)


{! Dt* - 8x* + 8y* + 8z* + Dt* +

* * DT* __ ( 8q~ aq; aq;) ß*T* Dp* cl>* (3.27)


e cP Dt* - 8x* + 8y* + 8z* + Dt* + ·
In (3.27) wurde der sog. isobare thermische Ausdehnungskoeffizient ß* verwendet,
dessen Definition lautet
ß* := _..!_ (
e* 8T* p
8(/) (3.28)

Wenn Wärmeströme nur durch Wärmeleitung entstehen, gilt für if* das Fouriersehe
Wärmeleitungsgesetz (2.60). Diese Annahme ist für reine Stoffe in vielen Situationen
sinnvoll und vernachlässigt lediglich den StrahlungsanteiL Bei Gemischen ist aber
zu beachten, daß der Wärmestrom ij* neben dem Leitungs-Anteil zwei weitere
Effekte umfaßt. Dies ist zum einen ein Wärmestrom infolge Diffusion und zum
anderen der sog. Diffusions- Thermoeffekt. Der letztgenannte Effekt ist häufig
von geringer Bedeutung und soll an dieser Stelle (ebenso wie die Strahlung)
vernachlässigt werden. Er wird in Abschnitt 13.4 im Zusammenhang mit den sog.
Kopplungseffekten näher erläutert. Für Gemische bleiben also die zwei Anteile
"Leitung" und "Wärmestrom infolge Diffusion" zu berücksichtigen. Damit gilt für
den Wärmestrom eines Binärgemisches

ij* = ->.* grad T*- e* D*(h'A- hß) grad CA' (3.29)

wobei hft. und hß die spezifischen Enthalpien der Komponente A bzw. B sind (also
gilt h* = cAhA + (1- cA)hß) s. dazu auch Bird et al. (1960, S. 566).
34 K. Gersten/ H. Herwig

Der zweite Term in (3.29) wird häufig vernachlässigt, so daß dann auch bei
Gemischen der Wärmestrom ausschließlich durch die Fouriersehe Wärmeleitung
beschrieben wird.
Für den Übergang von der spezifischen inneren Energie auf die spezifische
Enthalpie bzw. auf die Temperatur wurden folgende Zusammenhänge benutzt:

h* = e* + p*
e*'
( ßh*)
ßT* p,cA
= c;, ( ßh*)
ßp* T,cA
= 2_
e*
[1- ß*T*].

Falls gewünscht, kann die explizite Form der allgemeinen Energiegleichung auf ein-
fache Weise dadurch erhalten werden, daß die mechanische Energiegleichung (3.23)
und die thermische Energiegleichung (3.25) addiert werden. Wird die Gesamtenergie
in Form der sog. spezifischen Gesamtenthalpie H*, definiert als

H* := e* + !?__* + -v*
1
2 = h*
1
+ -v* 2 (3.30)
e* 2 2 '

verwendet, so ist statt der Energieform (3.25) der thermischen Energiegleichung


die Enthalpieform (3.26) zu addieren. In dieser allgemeinen Energiegleichung für
e* + v *2 /2 bzw. H* (die hier nicht explizit aufgeführt wird) tritt die Dissipations-
runktion ~· nicht mehr explizit auf.
Häufig werden die Terme für die substantiellen Änderungen auf den linken
Seiten der Bilanzgleichungen aufgrund der Beziehung

* DE* = ß(e* E*) + div( *E*v *) (3.31)


e Dt* ßt* e

umgeschrieben. Man spricht dann von der sog. konservativen Form der Bilanzglei-
chungen, vgl. Anderson et al. (1984, S. 255).

Anmerkung (Systematik bei der Herleitung der Energiegleichung)

Bei einer streng systematischen Vorgehensweise würde man zunächst die allgemeine Energieglei-
chung als Erhaltungsgleichung im Sinne des 1. Hauptsatzes formulieren. Davon würde man dann
die mit v • skalar multiplizierte Impulsgleichung als Bilanzgleichung für die kinetische Energie
(mechanische Energiegleichung) subtrahieren. Diese Differenz aus allgemeiner und mechanischer
Energiegleichung stellt dann die thermische Energiegleichung dar.

3.5 Stoffwerte
In den vorigen Abschnitten wurden mit (3.3), (3.6) für ein Binärgemisch, (3.16)
mit (3.17) und (3.18) sowie (3.27) mit (2.60) sechs Bestimmungsgleichungen für die
sechs Größen u*, v*, w*, p*, T* und cA bereitgestellt.
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 35

Zusätzlich treten in diesen Gleichungen folgende fünf sog. Stoffwerte auf:


(1) die Dichte e*
(2) die Viskosität ry*
(3) die Wärmeleitfähigkeit .X*
(4) der (binäre) Diffusionskoeffizient DA.s = D*
(5) die spez. isobare Wärmekapazität c;.
Diese Stoffwerte sind aus thermodynamischer Sicht sehr unterschiedlich.
Die Dichte und die spez. Wärmekapazität sind Zustandsgrößen, die über eine
thermodynamische Zustandsgleichung mit den Größen Druck, Temperatur
und Konzentration verbunden sind. Bezüglich der Dichte z.B. ist dies für
ein ideales Gas fester Zusammensetzung die Beziehung

e* = p* /(R*T*). (3.32)

Die Größen ry*, .X* und D* sind sog. Transportkoeffizienten (Nichtgleichge-


wichts-Thermodynamik).
Obwohl die fünf Stoffwerte von ganz unterschiedlicher Natur sind, lassen sie sich
mathematisch einheitlich beschreiben. Für alle reinen Stoffe gilt, daß sie Funktionen
der Temperatur T* und des Druckes p* sind, wobei dieser Zusammenhang für
die Dichte bei einem idealen Gas mit (3.32) explizit vorliegt. Steht a:* für einen
beliebigen Stoffwert, so gilt also

a:* = a*(T*,p*), a:* -- n* '


n* ,.,
~
.X* ' c*p· (3.33)

Dies gilt auch für Gemische mit fester Zusammensetzung (z.B. Luft). Bei allgemei-
nen Gemischen kann jedoch zusätzlich die Abhängigkeit von der Konzentration ci
hinzukommen. Dann muß auch der Diffusionskoeffizient D* betrachtet werden.
Da p* und T* zwei der gesuchten Größen sind, können die vier Gleichungen
(3.33) nicht von den Grundgleichungen des vorigen Abschnittes getrennt werden.
Im allgemeinen Fall (ohne Konzentrationsfeld) gilt es also, das gekoppelte System
aus neun Gleichungen für die Größen u*, v*, w*, p*, T*, e*, ry*, .X*, c;
zu lösen.
Schon diese Aufzählung macht deutlich, daß es einen ungeheuren Aufwand
bedeuten würde, dieses Problem ohne Einschränkungen und zusätzliche Annahmen
anzugehen. In diesem Sinne hat es sich als sinnvoll erwiesen, die vier Stoffwerte
zunächst von den fünf anderen Größen zu trennen. Dies liegt nahe, weil es eine
Reihe von Strömungen gibt, bei denen die a:*-Größen entweder konstant sind (weil
T* und p* im Strömungsfeld nicht oder nur wenig variieren) oder die Abhängigkeit
des Stoffwertes a:* von T* und p* von untergeordneter Bedeutung ist.
Statt die Stoffwerte als gleichwertige (abhängige) Variable zu behandeln, wird
deshalb häufig angenommen, daß gilt

a:* = const (Stoffwertkonstanz-Approximation),


36 K. Gersten/ H. Herwig

was die Zahl der Variablen von neun auf fünf reduziert. Auf der Basis dieser
Annahme kann man dann Methoden entwickeln, den zunächst vernachlässigten
Einfluß der Druck- und Temperaturabhängigkeit von o:* nachträglich (und in der
Regel näherungsweise) zu berücksichtigen (s. dazu den späteren Abschnitt 5.4).
Diese Vorgehensweise stößt dann an Grenzen, wenn o:*(T* ,p*)-Abhängigkei-
ten einen entscheidenden Einfluß gewinnen. Dann müssen die nachträglichen Kor-
rekturen entweder sehr genau sein, oder man kommt nicht umhin, o:* -Gleichungen
doch von vornherein in das System der Grundgleichungen aufzunehmen. Ein Bei-
spiel in diesem Zusammenhang sind Gasströmungen mit großen Dichteänderungen,
bei denen die Zustandsgleichung für ideale (oder auch reale) Gase von vornherein
mit berücksichtigt werden muß (s. Abschnitt 7.7.3).

3.6 Rand- und Anfangsbedingungen

Die Grundgleichungen werden benötigt, um die gesuchten Größen Geschwindigkeit,


Druck, Temperatur und Konzentration an einem bestimmten Ort und zu einer
bestimmten Zeit ermitteln zu können. Dazu müssen zunächst das Lösungsgebiet
und der Zeitpunkt t 0 = 0 spezifiziert werden. Die gesuchten Größen zu einem
Zeitpunkt t* > t 0 können ermittelt werden, wenn diese Größen zum Zeitpunkt
t 0 = 0 im ganzen Lösungsgebiet bekannt sind. Diese "Startwerte" bezüglich der
Zeit werden Anfangswerte genannt. Stationäre Strömungen liegen im Grenzfall
großer Zeiten vor. Sie sind im allgemeinen unabhängig von der konkreten Wahl
der Anfangsbedingungen.
Neben den Anfangswerten bezüglich der Zeit müssen bestimmte Bedingun-
gen am Rand des Lösungsgebietes eingehalten werden (Randbedingungen). Bei der
Bestimmung dieser Randbedingungen sollte man unterscheiden, ob der Rand des
Lösungsgebietes mit einer Fluidgrenze (feste Wand, freie Flüssigkeitsoberfläche) zu-
sammenfällt oder ob dieser Rand "willkürlich" im Fluidgebiet gesetzt wird, um das
Lösungsgebiet zu begrenzen. Im letzteren Fall setzt eine physikalisch sinnvolle For-
mulierung der Randbedingungen eigentlich die Kenntnis der Lösung voraus. Des-
halb wird man versuchen, solche "willkürlichen" Begrenzungen nur dort zu legen,
wo aus physikalischen Überlegungen auf die Eigenschaften der Lösung geschlossen
werden kann. Ein Beispiel hierfür ist eine Begrenzung des Lösungsgebietes weit
stromabwärts, wo u.U. ein ausgebildeter (in Strömungsrichtung unveränderlicher)
Zustand erwartet werden kann.
Eine ganz andere Situation tritt auf, wenn die Begrenzung des Lösungsge-
bietes mit einer Fluidgrenze bzw. Phasengrenze zusammenfällt, weil hier physika-
lische Bedingungen formuliert werden können. Im wesentlichen sind die zwei Fälle
Begrenzung durch eine feste Wand und Begrenzung durch einne Gas/Flüssigkeits-
Phasengrenze zu unterscheiden.
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 37

3.6.1 Randbedingungen an einer festen Wand

Hier gilt in der Regel die schon im Abschnitt 2.1 erwähnte sog. Haftbedingung, die
besagt, daß die Fluidteilchen mit unmittelbarer Wandberührung keine tangentiale
Relativgeschwindigkeit gegenüber der Wand aufweisen. Eine Ausnahme hiervon
kann nur bei stark verdünnten Gasen auftreten (Abweichungen vom Kontinuum),
bei denen die mittlere freie Weglänge der Gasmoleküle um ein Vielfaches über
den Werten für Gase bei Normalbedingungen oder gar Flüssigkeiten liegt. Eine
von White (1974) vorgenommene Abschätzung ergibt, daß Abweichungen von der
Haftbedingung für turbulente Strömungen generell ohne Bedeutung sind und für
laminare Strömungen nur in Extremfällen eine Rolle spielen, wie z.B. bei der
Vorderkantenumströmung im Hyperschallbereich. Im Rahmen dieses Buches gilt
stets die Haftbedingung an der Wand, also

*
Utangential, *
Fluid = Utangential, Wand · (3.34)

Diese Haftbedingung gilt unabhängig von der Normalgeschwindigkeit v~ormal• ob-


wohl bei einer porösen Wand der Ersatz vieler kleiner Einzelstrahlen durch eine
kontinuierliche Ausblaseverteilung bezüglich der Haftbedingung nicht unproblema-
tisch ist, vgl. Hokenson (1985). Die Differenz der Normalgeschwindigkeiten zwischen
Fluid und Wand v;el, Fluid ist aus kinematischen Gründen bei einer undurchlässi-
gen Wand null. Sie ist von null verschieden, wenn über eine poröse Wand Fluid
abgesaugt oder ausgeblasen wird, d.h. im Fall einer porösen Wand gilt

*
Vnormal, *
Fluid= Vnormal, Wand + Vrel,
* Fluid· (3.35)

Für die Temperatur als skalare Größe wird analog zur Haftbedingung angenommen,
daß es keinen Temperatursprung zwischen Wand und angrenzendem Fluid gibt, also
thermisches Gleichgewicht herrscht. Somit gilt

TFluid = Twand · (3.36)

Wiederum ergibt eine Größenordnungsabschätzung (White {1974)) die Gültigkeit


dieser Annahme mit den gleichen Einschränkungen bezüglich extremer Sonderfälle
wie im Falle der Haftbedingung.
Gleichung (3.36) ist maßgebend für den Fall einer vorgegebenen Wandtem-
peratur. Wird ein bestimmter Wärmestrom an der Wand als Randbedingung auf-
geprägt, so führt dies zur Festlegung des Temperaturgradienten an der Wand, da
nach dem Fouriersehen Wärmeleitungsgesetz gilt

qw* =- A* (8T*)
w ßy* w
(3.37)

Ganz im Sinne der Analogie zwischen Wärme- und Stoffübertragung kann an


der festen Wand bezüglich der Stoffübertragung entweder eine Konzentration ci
38 K. Gersten/ H. Herwig

vorgegeben werden oder ein Konzentrationsgradient und damit ein Stoffstrom


(Diffusionsstromdichte) an der Wand, also

JAw = -D*e* (~~~ )w (3.38)

Wichtige Spezialfälle von (3.37) und (3.38) sind q!, = 0 (adiabate Wand) und nach
(2.41) JAw = e!,v!,(1- CAw) (für Stoff B undurchlässige Wand).

3.6.2 Randbedingungen an einer Gas/Fiüssigkeits-Phasengrenze


Bei der Strömung von Flüssigkeiten ist häufig ein Teil des Lösungsrandes nicht durch
eine feste Wand, sondern durch eine freie Oberfläche gegeben, die eine Grenze zwi-
schen der Flüssigkeit und entweder dem entsprechenden reinen Dampf oder einem
Gas-Dampf-Gemisch darstellt. Beispiele sind eine offene Gerinneströmung, bei der in
der Regel die Strömung der Flüssigkeit interessiert, oder Gewässer (Ozean), bei de-
nen sowohl die Flüssigkeitsströmung als auch die Strömung im darüberliegenden Gas
von Interesse sein können. Für beide Phasen sind die physikalischen Bedingungen
an der gemeinsamen Grenze maßgebend. Insgesamt ergeben sich acht Bedingungen
an der Phasengrenze. Vier davon beziehen sich auf die gesuchten Größen Druck, Ge-
schwindigkeit, Temperatur und Konzentration und vier weitere beschreiben Kräfte-,
Massen- und Energiebilanzen. Im einzelnen sind dies folgende Bedingungen:
(1) Der Druck an der Flüssigkeitsoberfläche ist gleich dem Umgebungsdruck
im Gas, eventuell modifiziert durch die Wirkung von Oberflächenspan-
nungen bei gekrümmten Phasengrenzen.
(2) Die Temperaturen an der Gas/Flüssigkeitsphasengrenze sind gleich (ther-
modynamisches Gleichgewicht).
(3) Bezüglich der Konzentration sind verschiedene Bedingungen möglich, z.B.
das Vorliegen eines gesättigten Zustandes.
(4) Analog zur Haftbedingung gibt es keinen Sprung in den Tangentialge-
schwindigkeiten.
(5)- (8) Massen-, Partialmassen-, Impuls- und Wärmeströme über die Grenzfläche
sind flüssigkeits- und gasseitig jeweils gleich. Tritt Verdunstung oder Kon-
densation auf, so ist dies entsprechend in den Massen- und Wärmebilanzen
zu berücksichtigen.
Häufig wird es ausreichen, diese Übergangsbedingungen zwischen den Phasen (die
Randbedingungen für die Flüssigkeits- bzw. Gasphase sind) nur näherungsweise
zu erfüllen. Für die Gasphase bedeutet dies Randbedingungen wie an einer festen
Wand, für die Flüssigkeitsphase verbleibt dann als entscheidende Bedingung nur die
Aussage über den Druck bei Vernachlässigung aller anderen Effekte aus der Gas-
phase. Dies wird als (idealisierte) Bedingung an einer freien Oberfläche bezeichnet.
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 39

3.7 Grundgleichungen als physikalisch/mathematisches Modell;


Modellvereinfachungen
Die bisher in Kapitel 3 zusammengestellten Gleichungen sollen zusammen mit
den Rand- und Anfangsbedingungen dazu dienen, die unbekannten theoretischen
Größen u*, v*, w*, p*, ... als Funktionen von Ort und Zeit zu bestimmen. Die
Ergebnisse werden dann mit den entsprechenden physikalisch meßbaren Größen
der realen Strömung identifiziert. Es wird also angenommen, daß z.B. die aus den
Gleichungen ermittelte theoretische Größe p* geeignet ist, den meßbaren Druck in
seinem Orts- und Zeitverhalten zu repräsentieren. Diese Annahme scheint gerecht-
fertigt zu sein, da die Grundgleichungen aus physikalischen Überlegungen heraus
entwickelt worden sind. Es wurde dabei das Zusammenwirken einer bestimmten An-
zahl physikalischer Effekte unterstellt bei der gleichzeitigen Annahme, daß mögliche
andere Effekte unberücksichtigt bleiben können (z.B. die Volumenviskosität in der
Impulsgleichung).
Man hat sich also ein Modell der Realität geschaffen, dessen mathematische
Formulierung die Grundgleichungen sind. Diese Grundgleichungen sollen deshalb
als physikalisch/mathematisches Modell bezeichnet werden.
Die entscheidende Eigenschaft von Modellen in diesem Zusammenhang ist
nun, daß Modelle nicht "richtig" oder "falsch" sind, sondern ausschließlich an ihrer
Bmuchbarkeit gemessen werden können. Die einzig sinnvolle Frage in bezug auf ein
theoretisches (physikalisch/mathematisches) Modell ist, ob das betreffende Modell
geeignet ist, die Realität in befriedigender Weise zu beschreiben. "Beschreiben"
heißt in diesem Zusammenhang, beobachtbare Phänomene im Modell abzubilden.
Die Frage der Brauchbarkeit und Eignung eines theoretischen Modells läßt sich
somit immer nur durch den Vergleich mit der Realität beantworten.
Analysiert man den Begriff der Brauchbarkeit in bezug auf theoretische Mo-
delle näher, so ergibt sich neben dem Aspekt der befriedigenden Reproduzierbarkeit
beobachtbarer Phänomene zusätzlich die Forderung nach der Vorhersagbarkeit des
Verhaltens physikalischer Größen.
Werden diese theoretischen Modelle benutzt, um physikalisches Verhalten
vorherzusagen, so gewinnen diese Aussagen den Charakter von Hypothesen, deren
Überprüfung die Notwendigkeit zu Modellmodifikationen ergeben kann.
Im Zuge einer Modellentwicklung werden solche Überprüfungen durch be-
kannte Meßergebnisse oder durch auf anderem Wege gewonnene theoretische Er-
gebnisse notwendig und möglich sein. Letztlich sollen diese theoretische Modelle
aber dazu dienen, "in Neuland" vorzustoßen und nicht überprüfbare Ergebnisse zu
erzeugen. Zunächst sieht es so aus, als müsse man dem Modell dann "blind" ver-
trauen. Genau dies ist aber nicht der Fall, wenn das physikalisch/mathematische
Modell asymptotischen Chamkter hat, was bedeutet, daß die asymptotischen Eigen-
schaften des Modelles benutzt werden können, um (in Kenntnis der asymptotischen
Fehlerordnung) Aussagen zu nicht überprüfbaren Parameter-Werten zu treffen.
40 K. Gersten/ H. Herwig

Interpretiert man die Grundgleichungen als physikalisch/mathematisches


Modell, so erscheint die gelegentlich diskutierte Frage, ob die Navier-Stokes-
Gleichungen "universell gültig" oder noch schärfer "überhaupt korrekt" seien in
einem anderen Licht: Alle bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, daß sie ein sehr
brauchbares Modell für (fast) alle in der Realität vorkommenden Strömungen New-
tonscher Fluide sind. In diesem Buch wird angenommen, daß die behandelten
Strömungen von den Grundgleichungen "exakt" beschrieben werden, d.h. es wird
die generelle "Brauchbarkeit" dieses Modells vorausgesetzt.
Da man aus verständlichen Gründen bemüht ist, ein möglichst einfaches theo-
retisches Modell zu finden, liegt es nahe, die Grundgleichungen daraufhin zu un-
tersuchen, ob sie für bestimmte Fälle weiter vereinfacht werden können und somit
vereinfachte theoretische Modelle zur Verfügung stehen. Solche Modellvereinfachun-
gen bestehen letztlich immer darin, den asymptotischen Charakter bestimmter Mo-
dellaspekte auszunutzen, wie folgende drei Beispiele verdeutlichen sollen.

(1) stationäre Strömung: Jede reale Strömung ist irgendwann aus einem zeit-
abhängigen "Anfahrvorgang" hervorgegangen. Ist sie im betrachteten Zeit-
raum zeitunabhängig, so ist dies der asymptotische Grenzfall t* -+ oo.

(2) zweidimensionale Strömung: Jede reale Strömung ist dreidimensional, da


stets Randeinflüsse vorhanden sind. Diese müssen für eine sinnvolle zweidi-
mensionale Näherung asymptotisch klein sein.

(3) konstante Stoffwerte: In Kap. 5 wird gezeigt, daß die Annahme konstanter
Stoffwerte der asymptotische Grenzfall eines allgemeinen Fluides mit varia-
blen Stoffwerten ist.

Abschliessend soll ein vereinfachtes theoretisches Modell der Strömung eines Binär-
gemisches (aus den Grundgleichungen der Abschnitte 3.2 bis 3.4 abgeleitet) mit den
asymptotischen Eigenschaften

-stationär (8/ßt* = 0)
- zweidimensional (w* = 0; a;az* = 0)
dargestellt werden, das in dieser Form dann notwendigerweise nur noch für la-
minare Strömungen gilt. Dabei sind in der nachfolgenden Energiegleichung (3.42)
der Wärmestrom infolge Diffusion und der Diffusions-Thermoeffekt und in (3.43)
die Druckdiffusion und die Thermodiffusion vernachlässigt. Diffusion durch Volu-
menkräfte tritt bei dem hier einzig betrachteten Schwerefeld nicht auf. Die Glei-
chungen lauten
8(e*u*)
--'-:--'- + 8(e*v*) = 0 (3.39)
8x* 8y*
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 41

* ( * au* * au*) * * ap*


(! U OX* + V ay* = (! gx - OX*
8 [ ( 2 au* 2 (au* av*))] (3.40)
+ ax* 'Tl* ax* - 3 ax* + ay*
8 [ (au* av*) J
+ ay* 'Tl* ay* + ax*

(3.41)

(!
* c*
p
(u* aT* v* aT*) - _p_
ax* + ay* - ax*
(.x* OT*)
ax*
+ _p_ (.A * aT*)
ay* ay*
+ ß*T* [u* ap* + v* ap*]
ax* ay*
+ 11* [2 (8{):.*)2 + 2 ({)8~.*)2 (3.42)

av* au*) 2
+ ( ax* + ay*
_ ~ ({)u* +
3 ax* ay*
8v*) 2
]

.acA
e* ( u -+v
ax*
.acA)
- -
ay*
_ -a (n* e
ax*
.acA)
ax*
a-
- +ay* (v· e.acA)
- ·
ay*
(3.43)

Unter Verwendung von (3.39) lassen sich die linken Seiten von (3.40) bis (3.43) auch
als
{) {)
-(e* u* o:*) + -(e* v* o:*), o:* = u*, v*, T*, cA
ax* ay*

schreiben (konservative Form).


42 K. Gersten/ H. Herwig

3.8 Turbulente Strömungen und ihre Bilanzgleichungen


Strömungen treten in zwei unterschiedlichen Formen auf, als laminare und als turbu-
lente Strömungen. Charakteristisches Merkmal einer turbulenten Strömung ist eine
starke, unregelmäßige, d.h. weitgehend zufallsbedingte, Schwankungsbewegung, die
einer geordneten Grundströmung überlagert ist. Diese Schwankungsbewegung sorgt
insbesondere für eine starke Vermischung in der Strömung quer zur Strömungsrich-
tung und damit für einen erhöhten Impulsaustausch (zusätzlich zu den Effekten der
Viskosität). Wie aus den Grundgleichungen hervorgehen wird, hat die turbulente
Schwankungsbewegung auf die (mittlere) Grundströmung die Wirkung von schein-
baren Reibungskräften. Turbulente Strömungen sind stets instationär, dreidimen-
sional und drehungsbehaftet (Wirbelströmungen). Selbst wenn die Grundströmung
stationär, zweidimensional und drehungsfrei sein sollte, hat die Schwankungsbewe-
gung stets die drei genannten Eigenschaften.
Im Gegensatz zu instationären laminaren Strömungen oder Wellenbewegun-
gen ist bei turbulenten Strömungen die Schwankungsbewegung regellos und weitge-
hend zufallsbedingt. Während beispielsweise bei periodischen laminaren Strömun-
gen die Geschwindigkeitsschwankungen bei diskreten Frequenzen auftreten, besitzen
die turbulenten Geschwindigkeitsschwankungen ein kontinuierliches Frequenzspek-
trum. Neben der Geschwindigkeit sind auch die übrigen Größen in der Strömung,
wie Druck, Temperatur und Konzentration, derartigen Schwankungen unterworfen.
Es ist üblich, die Strömungsgrößen in Werte einer geordneten Grundströmung
und in Werte der Schwankungsbewegung aufzuteilen. Da die Grundströmung auch
instationär sein kann, muß diese Aufteilung eindeutig möglich sein. Das ist der Fall,
wenn es sich um mäßige Beschleunigungen bzw. Verzögerungen oder um eine rein
periodische Grundströmung handelt.
Dieses sei im folgenden vorausgesetzt, für andere Fälle vgl. Hinze (1975, S. 5).
Im vorliegenden Buch sind die Grundströmungen stets stationär. Bei turbulenten
Strömungen erhält man die Grundströmung durch eine zeitliche Mittelung. Der
zeitliche Mittelwert einer Größe E* (t*) ist definiert als
t*0

ß* .-
·- 2-jE*(t*)dt*
t* . (3.44)
0
0

Dabei ist t 0 eine genügend lange Zeit (etwa einige Sekunden), so daß F;* von t 0
unabhängig wird.
Im folgenden wird eine formale Entdimensionierung der Gleichungen ein-
geführt, um die zusätzliche Kennzeichnung aller Größen mit* zu vermeiden. Dazu
werden alle Größen mit den formalen Bezugsgrößen Lß, Uß, Tß und 7Js entdimensio-
niert, s. Tabelle 3.1. Durch diese Wahl der Bezugsgrößen sind die Grundgleichungen
für die dimensionslosen Größen identisch mit denjenigen der dimensionsbehafteten
Größen. Letztere Gleichungen erhält man, indem die Bezugsgrößen eins gesetzt wer-
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 43

den (und alle Größen zur Kennzeichnung als dimensionsbehaftete Größen mit einem
Stern versehen werden). Der physikalische Hintergrund einer sinnvollen Entdimen-
sionierung wird im folgenden Kapitel 4 erläutert.

x,y,z u,v,w t p,T g T {} TJ


x• u• t* p*
LB, ... u;;•"' L~/U~ QB Uß'2' ...

A cp V D qx,qy h ß
>.* c• .,• D* q* h*
QB Lß Uß'3/Tß u•2~T*
B B
Uj3Lß U~L~ Q* ~ ·3' ...
B B
u;p ß*Tß

k <I> q2 ix,jy

Eu ke
k*
u;p u•a'fL*
4>*
QB Uß'3/Lß
q•2
u;p
k*
~ A
QB UB'
...
B B B

Tabelle 3.1: Formale Entdimensionierung für die turbulenten Grundgleichungen

Zunächst werden konstante Stoffwerte e, 17, .A und cP vorausgesetzt. Fälle mit va-
riablen Stoffwerten werden später besprochen. Es wird ein kartesisches Koordina-
tensystem benutzt, für andere Koordinatensystemes. Anhang AL
Die Aufteilung der Strömungsgrößen geschieht wie folgt:

u= ü(x, y, z) + u'(t, x, y, z), u' = 0


v = ii(x, y, z) + v'(t, x, y, z), v' = 0
(3.45)
w = w(x,y,z) +w'(t,x,y,z), w' = 0
a = a(x, y, z) + a'(t, x, y, z), a' = 0.
Dabei steht a stellvertretend für p, T und cA. Bei turbulenten Strömungen ist man
primär an der Grundströmung interessiert, d.h. an den Größen ü, ii, w und a der
mittleren Bewegung. Die Gleichungen für die Grundströmung erhält man aus den
Gleichungen für allgemeine (zeitabhängige) Strömungen durch Einsetzen von (3.45)
und anschließende zeitliche Mittelung. Die so entstehenden Gleichungen für eine
allgemeine dreidimensionale, instationäre Grundströmung mit variablen Stoffwerten
sind im Anhang Al zusammengestellt. Hier werden der Einfachheit halber die
Grundgleichungen nur für zweidimensionale, stationäre Grundströmungen (von
Binärgemischen) mit konstanten Stoffwerten angegeben.
Kontinuitätsgleichung:
8ü av 0
-+-=
ax 8y
. (3.46)
44 K. Gersten/ H. Herwig

Es sei angemerkt, daß die weiterhin dreidimensionale Schwankungsbewegung auch


eine entsprechende Kontinuitätsgleichung erfüllt, also
au' 8v' aw'
(3.47)
ax + 8y + az = 0 .

Beide Gleichungen folgen aus (3.3).


lmpulsgleichungen:
Du ap a - a -
-
eDt = eg
X
-
- ax axxx - eu' ) + 8y(fxy- eu'v' ),
+ -(7' 2 (3.48)

Dv _ ap a (- -,-,) a (- 12 )
g Dt - ggy - ßy + ßx T xy - gu V + ßy T yy - gv . (3.49)

Dabei gilt für eine skalare Größe E bei stationärer zweidimensionaler Strömung
DE aE aE (3.50)
Dt := u 8x + v 8y .
Diese Gleichungen entstehen aus (3.16). Sie stimmen mit den entsprechenden Glei-
chungen der laminaren Strömung überein bis auf entscheidend wichtige Zusatzterme
auf der rechten Seite, die charakteristische Merkmale turbulenter Strömungen sind.
Es handelt sich um Ableitungen von Mittelwerten der Produkte der Schwankungs-
geschwindigkeiten. Diese Mittelwerte folgen aus der Nichtlinearität der Differenti-
algleichungen, stammen also von den konvektiven Beschleunigungen auf der linken
Seite der Gleichungen. Sie stehen jedoch formal auf der rechten Seite bei den Span-
nungen, da sie wie zusätzliche Spannungen wirken. Sie werden daher auch scheinbare
Spannungen (oder turbulente Spannungen) genannt. Da Reynolds (1894) erstmals
die scheinbaren Spannungen aus den Bewegungsgleichungen hergeleitet hat, wer-
den sie auch als Reynolds-Spannungen bezeichnet. Man unterscheidet zwischen den
turbulenten Normalspannungen gu12 und gv'2 und der turbulenten Schubspannung
eu'v'. Die Größe u'v' nennt man auch Korrelation, da sie ein Maß für die Wechsel-
beziehung zwischen u' und v' ist. Besteht zwischen den beiden Komponenten der
Schwankungsgeschwindigkeit keine Korrelation, gilt u'v' = 0. Dieser Fallliegt bei
isotroper Thrbulenz vor, bei der für die Thrbulenz unabhängig von der Orientierung
des Koordinatensystems gilt

u'v' = u'w' = v'w' = 0, u' 2 = v'2 = w' 2 (isotrope Thrbulenz). (3.51)

In Scherströmungen ist u'v' im allgemeinen von null verschieden, und zwar negativ
bei positivem Geschwindigkeitsgradient 8uf8y. Dies läßt sich anhand von Bild
3.1 leicht einsehen. Bewegt sich ein Teilchen infolge der Querbewegung nach oben
(v' > 0), gelangt es in ein Gebiet höherer Geschwindigkeit. Da es seine urspüngliche
Geschwindigkeit im wesentlichen beibehält, ist das gleichbedeutend mit einem
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 45

T
I

+I
_L
Bild 3.1: Entstehung einer von
null verschiedenen Korrelation
u'v' bei Scher-Strömungen; die
Länge f. wird in Kap. 14 als
Mischungsweglänge eingeführt,
s. (14.122)
[J

negativen u', also insgesamt einem negativen u'v'. Eine entsprechende Überlegung
gilt für eine Bewegung nach unten.
Wie die Schubspannung f xy ein Maß für eine Impulsübertragung infolge
Viskosität ist, entspricht die turbulente Schubspannung -eu'v' einer zusätzlichen
Impulsübertragung infolge der turbulenten Schwankungsbewegung.
Die drei Gleichungen (3.46), (3.48) und (3.49) stehen für die drei Unbekann-
ten ü(x, y), v(x, y), p(x, y) zur Verfügung. Wegen der ebenfalls unbekannten tur-
bulenten Spannungen ist dieses Gleichungsystem so noch nicht lösbar. Dazu müßte
ein Zusammenhang zwischen den turbulenten Spannungen und Größen der Grund-
strömung hergestellt werden. Wie noch gezeigt wird, lassen sich auch für die tur-
bulenten Spannungen Bilanzgleichungen aufstellen. Diese enthalten jedoch wieder
zusätzliche Korrelationen, sog. Tripel-Korrelationen, d.h. Korrelationen zwischen
drei Schwankungsgrößen. Es ist erkennbar, daß auf diesem Wege das System von
Differentialgleichungen für die Grundströmung prinzipiell nicht geschlossen werden
kann. Um dieses sog. Schließungsproblem für turbulente Strömungen zu lösen, muß
aufgrundvon gewissen Modellvorstellungen der Zusammenhang zwischen den tur-
bulenten Spannungen und Größen der Grundströmung hergestellt werden. Diese sog.
Turbulenz-Modellierung stellt die zentrale Aufgabe bei der Berechnung turbulenter
Strömungen dar.
Durch die zeitliche Mittelung sind offensichtlich Informationen über die Fein-
struktur der turbulenten Strömung, insbesondere der Schwankungsbewegung, verlo-
rengegangen, die jedoch bei der Turbulenzmodeliierung benötigt werden. Sie müssen
daher im Rahmen der Turbulenz-Modelle durch entsprechende Modellgleichungen
und empirische Daten ersetzt werden. Obwohl primär nur die Lösung für die Grund-
strömung interessiert, sind eigentlich sehr ausführliche und genaue Detailkenntnisse
über die Struktur der turbulenten Schwankungsbewegung für die Turbulenzmodel-
Iierung notwendig. Auf diese kann jedoch im Rahmen dieses Buches nicht näher
eingegangen werden. Dazu wird auf entsprechende Bücher verwiesen, vgl. Rotta
(1972a), Hinze (1975), Townsend (1976).
46 K. Gersten/ H. Herwig

Mit (3.17), (3.18) und (3.46) lauten die Impulsgleichungen

- = eg - -afJ
eDü a ( ",_
+ -ßx aü - 12)
f2U a ( ",_
+ -ßy aü - -,-,)
eu v , (3.52)
Dt x ßx ßx ßy

- = eg - -afJ + -a ( ",_
eDv av - eu v + -a ( ",_
-,-,) av - f2V12) • (3.53)
Dt Y ßy ßx ßx ßy ßy

Die Gleichung für die mechanische Energie der mittleren Bewegung entsteht, indem
(3.52) mit ü, (3.53) mit v multipliziert werden und dann die Summe der Gleichungen
gebildet wird, also

D
e- (1-:::;2)
-v = Konvektion
Dt 2
potentielle
e(ügx + vgy) Energie
Dp Arbeit der
Dt Druckkräfte

+-
ßx
{) ( -v
{) [",_
ax 2
1- 2) +"' ( ßü + vßü)
Ü-
ßx
- -
ßy
- 12
(JÜU -]
- (JfJu'v'

-J
Diffusion

+ -ßy
8 [ry-
8
ßy2
-v +"' (ü-
(1-2) av + v-
ßx
av) -
ßy
-
eüu'v'- (JfJv'2

direkte (viskose)
- cp(ü, v, 0)
Dissipation
Turbulenz-
+ [e(u'2-
- - aü + eu'v'
v'2)- -(aü - +-
av)J
ßx ßy ßx produktion.
(3.54)

Die ersten drei Terme entsprechen dem Energiegleichgewicht zwischen Konvektion,


potentieller Energie und Arbeit der Druckkräfte einer nichtviskosen, nichtturbu-
lenten Strömung, die sich entlang einer Stromlinie auf die bekannte Bernoulli-
Gleichung reduzieren. Die Terme in der vierten und fünften Zeile sind reine Gra-
dienten und beschreiben damit einen Energietransport infolge der Viskosität und
aufgrundvon Schwankungsbewegungen, der in Anlehnung an die Diffusion bei der
Stoffübertragung als "Diffusion" der mechanischen Energie der mittleren Bewegung
bezeichnet wird. Auch bei anderen noch folgenden Bilanzgleichungen wird häufig
nur von "Diffusion" gesprochen werden. Es handelt sich dann stets um einen Trans-
port bezüglich der gerade bilanzierten physikalischen Größe.
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 47

Die Größe <P beschreibt einen Verlust an mechanischer Energie in Form


direkter Dissipation, d.h. den Übergang in innere Energie. Dieser Term entspricht
der Größe (DIS) der allgemeinen Gleichung (A1.16) in Anhang Al.
Im Vergleich zur Gleichung für die mechanische Energie laminarer Strömungen
tritt jetzt zur direkten Dissipation ein weiterer Energieverlust auf, der als Turbu-
lenzproduktion bezeichnet wird. Wie noch gezeigt wird, beschreiben die Terme der
letzten Zeile denjenigen Energieanteil der Grundströmung, der zur Erzeugung der
turbulenten Schwankungsbewegung dient. Endgültig wird auch dieser Energieanteil
in innere Energie übergehen, jedoch auf dem Umweg über die turbulente Energie
der Schwankungsbewegung.
Gleichung für die mechanische Energie der turbulenten Schwankungsbewegung:

Konvektion

turbulente Diffusion

(3.55)
viskose Diffusion

- [Q(u'- 2 - -v' 2)ax


au- + {}u'v'
-(au av)]
- +-
ay ax Turbulenzproduktion

Dissipation
Dabei wurde gesetzt
q2 : = u'2 + v'2 + w'2 , (3.56)
1- 1
k : = - q 2 = - (u'2 + v'2 + w'2) . (3.57)
2 2
Mit k wird also die auf die Masse bezogene mittlere kinetische Energie der
Schwankungsbewegung bezeichnet. Diese Größe ist mit dem sog. Turbulenzgrad
Tu = ..j2k/3 verknüpft. Der Term {}'lu beschreibt die Dissipation, d.h. den Anteil
der kinetischen Energie der Schwankungsbewegung, der in innere Energie übergeht.
Ein genaueres Studium der turbulenten Schwankungsbewegung, insbesondere der
Verteilungen der kinetischen Energie über der Frequenz (Frequenz-Spektren), ergibt,
daß der Transport der Energie von ihrer Produktion durch die mittlere Bewegung
bis hin zum Übergang in innere Energie durch Dissipation als Kaskaden-Prozeß
abläuft. Bei der Produktion der Turbulenz herrschen zunächst niedrige Frequenzen
vor, das entspricht größeren Turbulenz-Elementen (auch Turbulenz-Ballen, engl.:
turbulent eddies), die somit Hauptträger der kinetischen Energie sind. Infolge
der Schwankungsbewegung kommt es allmählich zu einem Zerfall der größeren
Turbulenz-Elemente in kleinere. Dieser Kaskaden-Prozeß setzt sich fort, bis die
Turbulenz-Elemente so klein werden, daß die kinetische Energie unter der Wirkung
48 K. Gersten/ H. Herwig

der molekularen Viskosität dissipiert, also in innere Energie übergeführt wird. Dieser
Übergang spielt sich also im Bereich sehr kleiner Turbulenz-Elemente, d.h. hoher
Frequenzen, ab. In diesem Bereich ist die Turbulenz bei hohen Reynolds-Zahlen
praktisch isotrop und besitzt einen universellen Gleichgewichtszustand, der allein
durch die beiden Parameter fu und v bestimmt ist ( Ähnlichkeitshypothese von
Kolmogorov (1941), bisweilen auch Kolmogoroff). Aus diesen beiden Parametern
läßt sich die sog. Kolmogorov-Länge

(3.58)

bilden, ein Mikro-Maß der Turbulenz, das die Feinstruktur im Bereich kleiner
Turbulenz-Elemente charakterisiert.
Die ausführliche Formel für eu ist im Anhang Al (Al.23) angegeben. Wird
jedoch isotrope Turbulenz angenommen, reduziert sich die Formel auf

mit

cu
v
= 3(8u')
8x
2
+ 6(8u')
8y
2
= 15 (8u'
8x
) 2
(3.59)

Die neu eingeführte Größe cu stellt eine Art "Pseudo-Dissipation" dar. Leider wird
sie in der Literatur häufig zu Unrecht auch Dissipation genannt.
Die Summe von (3.54) und (3.55) ergibt die Bilanz für die gesamte mechani-
sche Energie, bestehend aus mittlerer Bewegung und Schwankungsbewegung. Die
Turbulenzproduktion hebt sich heraus, und die Energieverluste bestehen aus der
direkten Dissipation ~ und der Dissipation efu.
Gleichung (3.55) spielt eine wichtige Rolle bei der Turbulenz-Modellierung. In
dieser Gleichung selbst müssen wiederum hauptsächlich die Terme für die turbulente
Diffusion modelliert werden. Auch die folgenden Gleichungen (3.60) bis (3.63), (3.67)
und (3.71) werden bei der Turbulenz-Modeliierung eingesetzt.

Gleichungen für die turbulenten Normalspannungen:

-
- 8x 2
({!- - -)
8 -u' 3 + u'p'- u'r'
xx
-
- 8y 2
({!- -)
8 -v'u'2 u'r' 1
- -n€
-
3"' xy u '

(3.60)
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 49

((!- -)
8 -u'v'2
- 8x
- 2
8 ((!-
v'r.' - 8y
- --v' + -
v'p'- -)
xy
v'r.' - -ri€
2
3
YY
1
3 u '
(3.61)
D -
e- (w'2) = p8z' - - -8x ((!-
Dt 2
ffül -u'w' -) 8
w'r.'
2
2 -
xz
(3.62)

Die Entstehung der Gleichungen (3.60) bis (3.62) ist im Anhang Al erläutert (s. An-
merkung 1 nach (A1.36)). Die Summe der drei Gleichungen ergibt (3.55). Dabei fal-
len die Druck-Scher-Korrelationen wegen der Kontinuitätsgleichung (3.47) heraus.
Die Gleichungen (3.60) bis (3.62) sind analog zu (3.55) aufgebaut. Die Druck-Scher-
Korrelationen treten jedoch als zusätzliche positive oder negative Produktionsterme
auf. Sie beschreiben eine Kopplung zwischen den Normalspannungen und bilden im
Falle von w'2 /2 den einzigen Produktionsterm. Wie sich noch herausstellen wird,
gelangt die Energie aus der mittleren Bewegung zunächst in den Anteil u' 2 /2. Von
dort sorgen dann die Druck-Scher-Korrelationen für die Übertragung auf die beiden
anderen Anteile v' 2 /2 und w'2 /2. Wegen der Isotropie liefern alle drei Anteile gleiche
Beiträge zur Dissipation.

Gleichung für die turbulente Schubspannung:

(!
D(u'v') = -8ü
-(!V/2_- (!U/2_
-8v + p' (8u'
- +-8v')
Dt 8y 8x 8y 8x

- !__ "' v' + v'p' - u'r.'xy - v'r.'xx )


8x (nu
12 (3.63)

-
8y
-
8(
v +-
u'p'-
m11
."~
- - -)
- u'r.'
12 v'r.' yy xy

Hier tritt wegen der Isotropie kein "Dissipations"-Term auf, dagegen zusätzlich die
Druck-Scher-Korrelation.

Gleichung für die innere Energie:

(3.64)

Diese Gleichung entsteht durch Mittelung von (3.27). Danach besteht eine Bilanz
zwischen Konvektion, Wärmestrom (statt der Bezeichnung Diffusion) und Dissipa-
tion. Letztere wirkt hierbei wie eine Energiequelle. Sie stellt diejenige mechanische
Energie dar, die in innere Energie übergeht. Die Summe der drei Gleichungen (3.54),
50 K. Gersten/ H. Herwig

(3.55) und(3.64) läßt sich als Bilanzgleichung für die mittlere Gesamtenthalpie nach
(3.30)
- 1 - 1-2
H := h + -iJ 2 = h + -iJ + k (3.65)
2 2
interpretieren, da für ein Fluid mit konstanten Stoffwerten gilt

Dh
Dt
DT
e
1 Dp
= cP Dt + Dt ' (3.66)

wobei sich bei cP dann eigentlich der Index p erübrigt.


Die Bilanzgleichung für H enthält keine Dissipationsterme (s. Anmerkung 2
nach (A1.38) in Anhang Al). Eine Änderung von H ist also nur über Änderung der
potentiellen Energie oder durch Diffusion bzw. Wärmeübertragung möglich.
Neben den Wärmestromdichten lix = ->.(aTjßx) und liy = ->.(aTjßy) in-
folge Wärmeleitfähigkeit treten ähnlich wie in den Impulsgleichungen zusätzliche
Terme infolge der Schwankungsbewegung auf, die scheinbare Wärmestromdichten
oder turbulente Wärmestromdichten genannt werden. Auch diese müssen wieder mit
dem mittleren Temperaturfeld und evtl. auch mit dem mittleren Geschwindigkeits-
feld durch Turbulenz-Modeliierung in Beziehung gesetzt werden, um das System
zur Berechnung des mittleren Temperaturfeldes zu schließen.
Gleichung für die Varianz der Temperaturschwankung:

Konvektion

Produktion

turbulente Diffusion

molekulare Diffusion

Dissipation (3.67)

mit der Temperaturleitfähigkeit


(3.68)

Dabei wurde für die Varianz


1-
·- -T'
ke .- 2 2 (3.69)

gesetzt. Die Gleichung ist analog zu (3.55) und spielt in der Turbulenz-Modeliierung
dieselbe Rolle für das Temperaturfeld wie (3.55) für das Geschwindigkeitsfeld.
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 51

Gleichung für die mittlere Konzentration {keine chemische Reaktion):

DcA _ 8 (-:
12 Dt - - 8x JxA + I2U- 1CA1 ) 8 (-:
- 8y JyA + {!V- 1CA1) . (3.70)

Diese Gleichung ist durch Mittelung aus (3.6) entstanden. Wie im Temperaturfeld
treten auch im Konzentrationsfeld neben den mittleren Diffusionsstromdichten
]xA = -D128cAj8x und ]yA = -D128cAj8y auch scheinbare oder turbulente
Diffusionsstromdichten auf.
Gleichung für die Varianz der Konzentrationsschwankung:

Dkc =- (ulcl 8cA


Dt A 8x
+ vlcl
A
8cA)- ~ [!!_(ulc12) + !!_(vlcl2)]
8y 2 8x A 8y A

+D (8 2kc
ßx2
+ 8 2kc)
8y2
_ D [ (8cA_)
8x
2
+ (8dA) 2 + (8cA.) 2 ]
ay 8z
( 3.71 )
Dabei wurde für die Varianz
(3. 72)

gesetzt. Die Gleichung ist analog zu (3.67), wobei die Temperatur der Konzentration
und a dem D entsprechen. Es sei erwähnt, daß sich auch Bilanzgleichungen für die
Korrelationen u 1T 1, v 1T 1, u1cA_ und v 1dA aufstellen lassen, vgl. Launder (1976) und
(15.101) in Kapitel 15.
Bei Fluiden mit variabler Dichte ist eine weitere Art der zeitlichen Mittelung
gebräuchlich, die massengewichtete zeitliche Mittelung genannt wird. Dabei ist der
massengewichtete Mittelwert einer Größe E*(t*) wie folgt definiert:

- := ~
E* 1
t* 12*
J t(j
n*E*
12*(t*)E*(t*) dt* = ~.
12*
--
(3.73)
0 0

Wie in Abschnitt 15.10.1 gezeigt wird, bietet es erhebliche Vorteile, wenn man
massengemittelte Geschwindigkeiten u, v
verwendet. Insbesondere erfüllt nur dann
die Grundströmung die Kontinuitätsgleichung in der Form, wie sie für laminare
Strömungen gilt.
Die Formulierung der Randbedingungen ist bei turbulenten Strömungen
nicht so einfach wie bei laminaren Strömungen. Wegen der Haftbedingung ist
unmittelbar an der Wand die Schwankungsbewegung nicht möglich. Dennoch sind
die Wandwerte T w und qw im allgemeinen zeitlich schwankende Werte. In diesem
Buch werden die Temperatur Tw und die Konzentration cAw an der Wand als zeitlich
konstant angenommen, vgl. dazu Abschnitt 15.1.
Turbulenzfelder besitzen auch freie Grenzen, an denen der Übergang von einer
turbulenten Strömung in eine nichtturbulente Strömung erfolgt. Auf diese besondere
Problematik wird in Abschnitt 17.1.1 eingegangen, vgl. auch Rotta (1972a, S. 162).
52 K. Gersten/ H. Herwig

3.9 Zusammenfassung
1.) Die Grundgleichungen werden bezüglich eines ortsfesten Kontrollraumes for-
muliert und nicht bezüglich einer festen Kontrollmasse, so daß sich in einem
betrachteten Kontrollvolumen zu verschiedenen Zeiten verschiedene Fluidteil-
chen befinden (Eulersche Betrachtungsweise).
2.) Das Prinzip der Massenerhaltung angewandt auf das gesamte Fluid führt auf
die globale Kontinuitätsgleichung (3.3), angewandt auf eine Komponente i
eines Gemisches auf die partielle Kontinuitätsgleichung (3.4).
3.) Aus dem Newtonsehen Grundgesetz der Mechanik zusammen mit dem Prin-
zip des Kräftegleichgewichtes an einem Kontrollvolumen folgt die vektorielle
Impulsgleichung mit den drei Komponenten (3.16). Unter Berücksichtigung
der Stokessehen Annahmen bezüglich des Spannungstensors heißen diese Glei-
chungen Navier-Stokes-Gleichungen; es sind nichtlineare partielle Differenti-
algleichungen.
4.) Der Druck in den Navier-Stokes-Gleichungen entspricht zunächst dem thermo-
dynamischen Druckp* (Vernachlässigung der Volumenviskosität TJ~ in (3.12)).
Häufig wird die Differenz zum statischen Druck als sog. modifizierter Druck
p~ eingeführt, so daß ein Term (e* - e;t)if * entsteht, s. (3.22).

5.) Die allgemeine Energiegleichung als Bilanzgleichung bezüglich der Gesamt-


energie wird als Summe von zwei Teilgleichungen formuliert. Diese sind
- die mechanische Energiegleichung (3.23)
-die thermische Energiegleichung (3.25) bis (3.27).
Die Dissipationsfunktion (3.24) tritt explizit nur in den Teilgleichungen auf.
6.) Die Grundgleichungen stellen ein physikalisch/mathematisches Modell dar,
in dem unter asymptotischen Gesichtspunkten Modellvereinfachungen vor-
genommen werden können.
7.) Bei turbulenten Strömungen werden alle abhängigen Variablen in zeitliche
Mittelwerte und zugehörige Schwankungsgrößen aufgeteilt, s. (3.45). An-
schließend werden die Grundgleichungen für die zeitlich gemittelten Größen
formuliert, indem die zeitabhängigen Grundgleichungen nach Einsetzen aller
Variabien-Aufteilungen einem zeitlichen Mittelungsprozeß unterzogen werden.
8.) In den Gleichungen für die zeitlich gemittelten Größen treten durch den Mit-
telungsprozeß weitere unbekannte Größen auf, die aus zeitlich gemittelten
Produkten von Schwankungsgrößen bestehen. Damit ist die Zahl der Unbe-
kannten größer als die Zahl der Gleichungen (Schließungsproblem).
9.) Das Gleichungssystem kann durch die Hinzunahme weiterer Gleichungen für
die neuenUnbekannten geschlossen werden. Dies sind sog. Turbulenz-Modelle,
die bis heute nicht ohne empirische Daten auskommen.
4 Dimensionsanalysis

4.1 Vorbemerkung

Die im vorigen Kapitel behandelten Grundgleichungen waren zunächst weitgehend


in dimensionsbehafteter Form geschrieben worden. Der Übergang auf eine dimen-
sionslose Darstellung ist weit mehr als eine formale Umstellung, vorausgesetzt er
geschieht auf eine physikalisch sinnvolle Weise.
Die hauptsächlichen Anwendungsgebiete für die anschließenden Überlegungen
zur Dimensionsanalysis sind Probleme, bei denen die Grundgleichungen nicht
bekannt sind, für die also kein explizites physikalisch/mathematisches Modell (im
Sinne von Abschnitt 3. 7) vorliegt.
Die zunächst folgende dimensionsanalytische Betrachtung der Grundglei-
chungen kann auf sehr anschauliche Weise die Prinzipien der Dimensionsanalysis
erläutern, die dann auf Situationen übertragen werden können, in denen die Grund-
gleichungen des Problems nicht vorliegen.
Zuerst sollen jedoch wichtige Begriffe im Zusammenhang mit der Dimensions-
analysis erläutert werden. Betrachtet man eine allgemeine Größe E*, so hat diese
als physikalische Variable folgende drei Merkmale bzw. Eigenschaften (z.B. m* = 10
kg):

(1) einen Zahlenwert, geschrieben {E*} (z.B. : {m*} = 10)


(2) eine Einheit, geschrieben [E*] (z.B. : [m*] = kg)
(3) eine Dimension, geschrieben (E*) (z.B. : (m*) = M für Masse).

Dimensionen sind z.B. Länge, Zeit, Masse, Geschwindigkeit, Kraft, usw .. Man unter-
scheidet nach Basisdimensionen und abgeleiteten Dimensionen, die Potenzprodukte
der Basisdimensionen sind. Die Aufteilung in Basisdimensionen und abgeleitete Di-
mensionen ist eine Vereinbarung und nicht etwa die Folge verborgener Naturgesetze.
So vereinbart man z.B. im Bereich der Dynamik, die Größen Länge (L), Zeit (Z)
und Masse (M) als Basisdimensionen einzuführen, und nennt dieses LZM-System.
Größen wie die Geschwindigkeit und die Kraft besitzen dann die abgeleiteten Di-
mensionen Lz-l bzw. MLZ- 2 • Die Auswahl der Basisdimensionen hat zwar Ver-
einbarungscharakter, es muß aber sichergestellt sein, daß das System aus Basisdi-
mensionen vollständig ist. Folgende zwei Kriterien sind für diese Vollständigkeit zu
54 K. Gersten/ H. Herwig

erfüllen:
(1) Keine Basisdimension läßt sich aus den anderen Basisdimensionen ableiten.
(2) Jede weitere in einem betrachteten Problem enthaltene Dimension läßt sich
aus den Basisdimensionen ableiten.
Zu den jeweiligen Dimensionen gehören entsprechende Einheiten, die dann analog
als Basiseinheiten bzw. abgeleitete Einheiten bezeichnet werden. Basiseinheiten im
vorher erwähnten LZM-System sind also Meter (m), Sekunde (s) und Kilogramm
(kg). Die Krafteinheit Newton (N) ist dann eine abgeleitete Einheit, für die gilt :
1N=1kgms- 2 •
Es sollte besonders betont werden, daß sich ein System von Basisdimensionen
stets auf das jeweils betrachtete Problem bezieht. Für die durch die Grundgleichun-
gen des vorigen Kapitels beschriebenen Probleme kann folgendes System aus vier
Basisdimensionen vereinbart werden, wobei für spezielle Probleme z.T. nicht alle
vier Dimensionen benötigt werden. Die Basisdimensionen sind
(1) Länge L
(2) Zeit Z
(3) Masse M
(4) Temperatur T.
Dieses System soll LZMT-System genannt werden.
Alternativ könnte z.B. statt der Masse M auch die Kraft F (engl.: force)
als Basisdimension eingeführt werden. Aus den Basiseinheiten m, s und N würde
dann die Einheit der abgeleiteten Dimension Masse lauten : 1 kg = 1 N m -l s2 .
Eine sehr ausführliche Darstellung verschiedener physikalischer Größen und ihrer
Einheiten findet man in Baehr (1974).

4.2 Entdimensionierung der Grundgleichungen


Für die Grundgleichungen gilt ein System aus vier Basisdimensionen, das LZMT-
System. Diese Gleichungen können durch Einführen von vier Bezugsgrößen entdi-
mensioniert werden. Diese sind: eine Bezugslänge, eine Bezugszeit, eine Bezugsmasse
und eine Bezugstemperatur. Die einzelnen Bezugsgrößen können dabei durchaus
eine Kombination von verschiedenen Größen sein. Eine Bezugszeit z.B. kann durch
die Division einer Länge durch eine Geschwindigkeit entstehen, da Z = LI (LI Z)
gilt.
Die entscheidende Frage ist nun, nach welchen Kriterien diese Bezugsgrößen
zu wählen sind. Zwei Gesichtspunkte sind hierbei von besonderer Bedeutung. Die
Bezugsgrößen müssen
(1) charakteristische (natürliche) Größen des Problems sein,
(2) problem-immanente (interne) Maßstäbe des Problems darstellen.
4 Dimensionsanalysis 55

Am Beispiel der Bezugslänge bei der laminaren Couette-Strömung wird deutlich,


daß der Plattenabstand 2H* oder der halbe Plattenabstand H* geeignete Be-
zugslängen darstellen (konstante Zahlenfaktoren spielen in diesem Zusammenhang
keine Rolle). Die Größe H* charakterisiert die Geometrie des Problems und kann
offensichtlich als ein interner Maßstab dienen. Zwei Couette-Strömungen mit unter-
schiedlichen Zahlenwerten von H* werden zu ähnlichen Strömungsfeldern führen,
die unter Berücksichtigung der verschiedenen Zahlenwerte für H* ineinander über-
geführt werden können.
Als Bezugslänge ungeignet wäre z.B. die Breite B* einer Couette-Strömungs-
Realisierung mit endlich großen Platten der Breite B*. Diese Größe wäre im
hier vorliegenden Fall ein externer Maßstab, mit dem das Problem zwar formal
entdimensioniert werden könnte, der aber nicht charakteristisch ist. Beim formalen
Entdimensionieren mit B* entstünde das Verhältnis H* I B*. Die Couette-Strömung
in der hier vorgestellten Form (ohne Randeinflüsse) beschreibt aber gerade den
Grenzfall H* I B* --> 0.
In den meisten Fällen besteht keine Schwierigkeit, die charakteristischen,
problem-immanenten Bezugsgrößen eines Problems zu identifizieren. Es gibt jedoch
auch Situationen, in denen dies nicht ohne eine genaue Analyse des physikalischen
Hintergrundes möglich ist. Ein Beispiel hierfür ist die Auswahl der Bezugsgeschwin-
digkeit bei natürlichen Konvektionsströmungen, s. dazu Anmerkung 1 am Ende von
Abschnitt 8.2.
Als interne Maßstäbe (Bezugsgrößen) der Grundgleichungen aus Kap. 3 wer-
den folgende vier Größen gewählt, die im konkreten Anwendungsfall mit spezifischen
Größen des betrachteten Problems identifiziert werden müssen:
(1) Bezugslänge Lß
(2) Bezugsgeschwindigkeit Uß; (Bezugszeit : LßiUß)
(3) Bezugsdichte eß; (Bezugsmasse : eßLß 3 )
(4) Bezugstemperatur Tß.

Anmerkung (Verwendung von ßT8 statt TB)

Statt der Bezugstemperatur TB kann in bestimmten Fällen eine charakteristische Differenz ßT8
verwendet werden. In gleicher Weise kann bei Mehrstoffsystemen eine Konzentration durch
Bezug auf eine charakteristische Dichtedifferenz gebildet werden. Die Wahl von Temperatur-
bzw. Dichtedifferenzen als interne Maßstäbe wird möglich, wenn nicht die Absolutwerte, sondern
nur die Abweichungen von Basiswerten der Temperatur bzw. der Dichte maßgeblich sind.
Diese Vorgehensweise ist möglich, wenn sowohl die Energiegleichung als auch die partielle
Kontinuitätsgleichung lineare Gleichungen sind und damit eine Aufspaltung in die Anteile der
Basisgrößen und Abweichung zulassen. Die Basisgrößen treten dann nur indirekt auf, indem
sie die Basiswerte der Stoffgrößen (z.B. 17i3 = 17*(T8,pj3,c; 8 ) festlegen, sind aber selbst keine
Bezugsgrößen.
Diese Linearität liegt streng genommen nur für den Grenzfall konstanter Stoffwerte vor, da
beide Gleichungen für temperatur- bzw. konzentrationsabhängige Stoffwerte nichtlinear werden.
Für eine Störungsrechnung zur Erfassung des Einflusses variabler Stoffwerte (vgl. Abschnitt 5.4.2)
kann die Aufspaltung trotzdem beibehalten werden, da die Störansätze letztlich zu einem System
aus linearen Gleichungen führen.
56 K. Gersten/ H. Herwig

Betrachtet man die vollständigen Stoffwertabhängigkeiten in einem nichtasymptotischen


Sinne, ist die Aufspaltung in Basisgrößen und Abweichungen nicht mehr zulässig. Ein Beispiel
hierfür sind Strömungen mit starken Dichteänderungen (s. Abschnitt 7.7.3).

X y u V p e q>i
x* y* u* v* p* T*-Tß 11i-11is
Lß Lß Uß Uß tJ.
g*B B 2 T*B uß

{l ", >. cP DQ ß
u* '1* ).* _:E._ D*u*
uß '7s .Xß c* Dßuß ß*Tß
pB

Tabelle 4.1: Dimensionslose Variable der Grundgleichungen (4.1) bis (4.5); p~ = p* - p;t,
s. (3.21).

Mit den dimensionslosen Größen nach Tab. 4.1 können die Grundgleichungen
(3.39) bis (3.43), gültig für stationäre, zweidimensionale und laminare Strömun-
gen eines Binärgemisches, in eine dimensionslose Darstellung übergeführt werden.
Dabei entstehen aus den Bezugsgrößen, den Basiswerten der Stoffwerte und der
Fallbeschleunigung g* fünf dimensionslose Kennzahlen K 1 bis K 5 . Für die x*-
Komponente der Fallbeschleunigung wird g~ = -g* sin a geschrieben, so daß a
den Winkel zur Horizontalen beschreibt, wie er in Bild 4.1 eingezeichnet ist. Ent-
sprechend gilt g; = -g* cos a.

y*
g; = -g* sin a
g*y = -g* cos ct

g* Bild 4.1: Lage des Koordinatensystems,


Definition des Winkels a

Die Gleichungen lauten


a(ou) ß(Qv)
--+--=0 (4.1)
ßx ay

au)
au +v-
o( u- ap . [ 8 ( rt ( 2au- - -2 (au av) ))
ßx ay =--+Kill-
ßx o]sma+K2 -
ßx ßx 3 -ßx +- ay
+~
ay (rt(au av))]
ay + ax
(4.2)
4 Dimensionsanalys is 57

(4.4)

(4.5)

Die dimensionslosen Kennzahlen K 1 bis K 5 lauten

K 1 ·-
g*L* ry* A*
.- u•2,
B
K2 := *U~ L*, K 3 .·-- * *
B
f2BCpB U*
B f2B B B B L*B
(4.6)
K ·- TiB* U*B ·- Dßgß
4 .- g*B c*pB T,*B L *B ' K5 .- g* U* L*
B B B

Der Druck in (4.2) bis (4.4) ist der modifizierte Druck (Abweichung zum
statischen Druck, s. (3.21) in Abschnitt 3.3), weshalb z.B. in (3.40) zunächst ein
Term (g*- f2;t)g~ entsteht. Dieser wird mit g~ = -g* sina zu (f2;t- g*)g* sina und
nach der Division durch die konstante Bezugsdichte gß zu

( :~ - f2) g* sin a . (4.7)

In (4.2) und (4.3) wird f2;t! f2s = 1 geschrieben, was auf zwei Weisen interpretiert
werden kann. Entweder als Vernachlässigung von Dichteunterschieden im statischen
Druckfeld (f2;t = gß) oder als eine abgeänderte Definition des modifizierten Druckes.
Dieser ist jetzt nicht die Abweichung zum statischen Druckfeld allgemein, sondern
zu einem fiktiven statischen Druckfeld, das bei einer konstanten Dichte gß im ganzen
Feld gelten würde (f2;t = gß).
Die Kennzahlen (4.6) sind ein zentrales Element der Dimensionsanalysis.
Dabei ist es nicht die Form der einzelnen Kennzahlen, die eindeutig von der
Dimensionsanalysis bestimmt wird, sondern deren Anzahl.
An dieser Stelle nun kann man deutlich den Vorteil der Entdimensionierung
mit internen Maßstäben erkennen. Zur Lösung des Gleichungssystems (4.1) bis (4.5)
58 K. Gersten/ H. Herwig

müssen die fünf Kennzahlen K 1 bis K 5 zahlenmäßig festgelegt werden (es wird an-
genommen, daß über die Randbedingungen keine weiteren Kennzahlen hinzukom-
men). Ein bestimmter zahlenmäßig fixierter Satz von Kennzahlen kann aber auf
unendlich viele Weisen entstehen, da diese Kennzahlen aus mehr als fünf, in diesem
Falle neun, einzelnen Größen zusammengesetzt sind. Ein bestimmter Kennzahlen-
Satz (für den es eine Lösung des Gleichungssystems gibt) entspricht somit unend-
lich vielen Kombinationsmöglichkeiten aus Einzelgrößen. Das heißt aber, daß einer
Lösung der dimensionslosen Gleichungen unendlich viele Lösungen der dimensions-
behafteten Gleichungen entsprechen! Eine sinnvolle (interne Maßstäbe!) Entdimen-
sionierung erhöht also die Allgemeingültigkeit der Lösungen.
Es ist üblich, dimensionslose Kennzahlen nach Forschern zu benennen. Einige
Beispiele solcher Namensgebungen waren in Kap. 2 bereits erwähnt worden. Über
300 dimensionslose Kennzahlen sind von Wetzler (1985) zusammengetragen worden.

Die Kennzahlen K 1 bis K 5 lassen sich auf folgende Weise mit namentlich
benannten Kennzahlen (s. dazu Tab. 4.2) in Verbindung bringen (zur dann üblichen
Wahl der Bezugsgeschwindigkeit s. die nachfolgenden Ausführungen):

K 2 = Re- 1 , K 3 = Re- 1 Pr- 1 = Pe- 1


(4.8)
K5 = Re- 1 Sc- 1
Die Auftriebsterme in (4.2) und (4.3) beschreiben den Effekt der natürlichen
Konvektion. Da auch Effekte erzwungener Konvektion vorhanden sind, spricht man
in diesem allgemeinen Fall von gemischter natürlicher und erzwungener Konvektion
(s. dazu Kap. 9). Die Bezugsgeschwindigkeit Uß ist dabei als eine charakteristische
Geschwindigkeit des Anteils der erzwungenen Konvektion gewählt worden. Dies
könnte z.B. die Geschwindigkeit einer ungestörten Anströmung sein. Diese Wahl ist
sinnvoll, solange die Effekte der natürlichen Konvektion nicht absolut dominieren
und deshalb eine charakteristische Geschwindigkeit aus diesen Effekten folgen
müßte.
Es gibt als asymptotischen Grenzfall auch diese Situation, in der also die
Strömung ausschließlich durch Auftriebseffekte zustande kommt. Dies ist dann der
Grenzfall der reinen natürlichen Konvektion (s. dazu Kap. 8). Für diesen Grenzfall
kann die bisher gewählte Bezugsgeschwindigkeit nicht beibehalten werden, sondern
muß durch eine charakteristische Geschwindigkeit der Auftriebsströmung ersetzt
werden, wie dies in Abschnitt 8.2 gezeigt wird.
Für den Grenzfall der reinen natürlichen Konvektion ist eine besondere
Betrachtung der Auftriebsterme in (4.2) und (4.3) sinnvoll. Diese Auftriebsterme
sind dann von null verschieden, wenn aufgrund der Temperaturabhängigkeit der
Dichte e die Größe [1 - e] von null verschieden wird.
4 Dimensionsanalysis 59

ABKÜRZUNG DEFINITION NAME

Re UßLßfvi3 Reynolds-Zahl
Pr Tls c;Bf.>.ß Prandtl-Zahl
Sc ryß/(eßDß) Schmidt-Zahl

Gr g*ßß6TJ3Lß 3 /v;/
Grashof-Zahl
Grq g* ßßq;,Lß4 /(vß 2.Aß)
Ra g*ß86TßLß 3 eßc;B/(v8.A8) (= GrPr)
Rayleigh-Zahl
Raq g* ß8q;.Lß4 eßc;B/(v8.Aß 2) (= GrqPr)

Ri g• ß86TßLß/Uß 2 (= Gr/Re 2)
Richardson-Zahl
Riq g• ß8q;.Lß/(eßc;Bus 3 ) (= Grq/(Re 3 Pr))

Ec Uß 2/(c;Bt::.Tß)
Eckert-Zahl
Ec Uß2/(c;BTß)
Fr Uß/Jg*Lß Froude-Zahl
Pe eßUßLßc;B/.Aß Peclet-Zahl (= PrRe)

Br T/aUß 2/(.Aß6Tß) Brinkman-Zahl (= PrEc)

Ma Uß/aß Mach-Zahl

Cf 2r:,/(eßUß 2) Reibungsbeiwert

cw 2F* /(eßUß 2Lß2) Widerstandsbeiwert

Nu q;,Lß/(.>.ß6T*)
Nußelt-Zahl
Nu q;,Lß/(.>.ßTß)
St q;,/(eßc;Bußt::.T*)
Stanton-Zahl (= Nu/Pe)
st q;,/(eßc;BußTß)
Sh j:,Lß/(D8eß6c)
Sherwood-Zahl
sh j;, Lß/(Da eß)
Lv i;,/(eß Uß6c) (= Sh/(ReSc))
Levich-Zahl
Lv i;,/(eßUß) (= Sh/(ReSc))

Tabelle 4. 2: Dimensionslose Kennzahlen


Hinweis: Der Index B bei 6Tß zeigt an, daß es sich um eine feste Bezugsgröße handelt. Sonst
gilt 6T* := T\V(x*) - Tß; 6c := cw(x*) - cB. Der Index B bei den Stoffwerten ist in dieser
Tabelle konsequent verwendet worden. Im Text erscheint er nur, wenn aufgrundvariabler Stoffwerte
verschiedene Zahlenwerte für die Stoffwerte vorkommen können.
60 K. Gersten/ H. Herwig

Die Taylor-Reihenentwicklung der Dichte (vgl. Abschnitt 5.4.2, (5.20)) lautet

~= 1 +Ku 18+ ...


/:iT,*
e = c:(), "'·=r,
"'. B (4.9)
B

so daß gilt
(4.10)
Eine im Zusammenhang mit Auftriebseffekten häufig benutzte Näherung ver-
nachlässigt nun alle Terme O(c: 2 ) in (4.10) und ist damit eine asymptotischen Nähe-
rung für c: --+ 0. Diese Näherung heißt Boussinesq-Approximation, s. dazu auch
Abschnitt 8.2.
Im Rahmen der Boussinesq-Approximation gilt z.B. für den Auftriebsterm in
(4.2) unter Berücksichtigung von Ku 1 = -ßi3TJ3

(4.11)

was mit der sog. Grashof-Zahl (s. Tab. 4.2) wie folgt geschrieben werden kann:

Kd1- ~] sina = Gr2 () sina. (4.12)


Re
Die Wahl der Bezugsgeschwindigkeit Uß bei reiner natürlicher Konvektionsströmung
erfolgt dann so, daß in den Auftriebstermen GrRe- 2 = 1 gilt. In den Kennzahlen
K 2 bis K 5 nach (4.8) gilt damit formal entsprechend Re= Gr 112 .

Anmerkung (Kennzahlen als Verhältnisse phyikalischer Effekte)


Da die dimensionslosen Kennzahlen neben den Stoffwerten und physikalischen Konstanten die
chamkteristischen Größen eines Problems enthalten, werden sie häufig auch als Verhältnis zweier
an dem Problem beteiligter physikalischer Effekte interpretiert.
In diesem Sinne kann etwa die Prandl-Zahl Pr = v• ja• als Verhältnis von molekularem
Impulstransport zum Transport innerer Energie (Wärmeleitung) interpretiert werden. Dies führt
dann für Extremwerte, also für Pr __. 0 oder Pr --> oo, zu einer sehr anschaulichen Deutung der
physikalischen Verhältnisse, s. Bild 7.2 in Kap. 7.
Bei Interpretationen in diesem Sinne ist aber durchaus Vorsicht angebracht. Zum einen muß
bedacht werden, daß charakteristische Größen jeweils nur bis auf frei wählbare Konstanten ein-
deutig bestimmt werden können. Zum anderen darf nicht vergessen werden, daß Größenordnungs-
abschätzungen nur dann zulässig sind, wenn die Kennzahlen mit den tatsächlich charakteristischen
Größen gebildet sind. Zum Beispiel wird die Reynolds-Zahl Re= u;"L• jv• häufig als das Verhält-
nis von Trägheitskräften zu Reibungskräften interpretiert. Große Reynolds-Zahlen bedeuten dann:
kleine Reibungskräfte, so daß die Theorie einer reibungsfreien Strömung eine gute Näherung dar-
stellen müßte. Dies gilt aber keineswegs generell. Wie sich in Kap. 7 zeigen wird, bilden sich im
wandnahen Bereich für Re __. oo Grenzschichten aus, in denen Trägheits- und Reibungskräfte von
gleicher Größenordnung sind. Für diese Grenzschichten ist aber auch die Größe L •, mit der die
Reynolds-Zahl gebildet ist, kein charakteristischer Längenmaßstab. Dies ist in diesem Fall eine
sehr viel kleinere Länge c*,..., L*Re- 1 /2.
4 Dimensionsanalysis 61

4.3 Bestimmung der Kennzahlen eines Problems

4.3.1 II- Theorem

Die Grundlage der Dimensionsanalysis ist das sog. TI- Theorem, das von Buckingham
(1914) erstmals formuliert wurde. Dieses Theorem besagt, daß jeder physikalische
Vorgang durch den Zusammenhang einer bestimmten Anzahl dimensionsloser Kenn-
zahlen dargestellt werden kann. Deren Anzahl ergibt sich als Differenz zwischen der
Anzahl der Einflußgrößen und der Anzahl der Basisdimensionen des entsprechen-
den Problems. Die genaue mathematische Formulierung lautet wie folgt:
Gegeben ist ein Zusammmenhang von n Einflußgrößen ai mit m Basisdimen-
sionen als
f(ai, a;, ... , a~) = 0. (4.13)

Die Lösung des Problems hat die Form


(4.14)

wenn
(1) die Gleichung J( .. .) der einzige funktionale Zusammenhang zwischen den
Einflußgrößen ai ist,
(2) die Gleichung f( .. . ) unabhängig von den Einheiten gilt, in denen die Größen
ai gemessen werden.

Die Größen Tii sind die dimensionslosen Kennzahlen des Problems. Das Symbol
TI, das in der mathematischen Symbolik ein Produkt bezeichnet, wurde gewählt,
weil die Kennzahlen Potenzprodukte der Einflußgrößen sind. Das TI-Theorem
bestimmt weder eindeutig die Form der Kennzahlen noch legt es den funktionalen
Zusammenhang F( .. .) fest. Die wesentliche Aussage des TI-Theorems bezieht sich
auf die (minimale) Anzahl von dimensionslosen Kennzahlen, durch die ein Problem
beschrieben werden kann.
Das ursprünglich von Buckingham formulierte TI-Theorem ist später von
Bridgeman (1922) mathematisch präziser gefaßt worden. Er geht ebenfalls von dem
Zusammenhang (4.13) aus, unterteilt aber die Liste der Einflußgrößen in zwei Teil-
mengen. Die erste Menge enthält alle Größen ai, deren Dimensionen voneinander
linear unabhängig sind, die zweite Menge alle Größen, deren Dimensionen linear
abhängig von denen der ersten Menge sind.
Nach dieser Unterteilung können alle Größen ai in einer Dimensionsmatrix
dargestellt werden, deren Rang r der Anzahl linear unabhängiger Einflußgrößen
(also der Elementezahl der ersten Teilmenge) entspricht. Die Anzahl von TI-
Kennzahlen ergibt sich in dieser Vorgehensweise als Differenz zwischen der Anzahl
der Einflußgrößen und dem Rang der Dimensionsmatrix.
62 K. Gersten/ H. Herwig

Für die praktische Anwendung sind die beiden Formulierungen von Bucking-
ham bzw. Bridgeman gleichwertig. Die Formulierung von Bridgeman soll hier nicht
im Detail beschrieben werden, es sei dazu auf eine ausführliche Darstellung von
Pawlowski (1971) verwiesen.

4.3.2 Erläuterungen zum II ·Theorem


Bevor im nächsten Abschnitt die konkrete Anwendung des II-Theorems beschrieben
wird, soll jetzt zunächst der physikalische Hintergrund erläutert werden.
Das zentrale Element der Dimensionsanalysis ist die Liste der Einflußgrößen
aj, aus denen die dimensionslosen Kennzahlen entstehen. Durch das Aufstellen die-
ser Liste ist alles weitere festgelegt. Die entscheidende Frage lautet also: welche
Größen eines physikalischen Problems sind in die Liste der Einflußgrößen aufzuneh-
men und welche nicht?
In Abschnitt 3. 7 wurde gezeigt, daß die Wahl eines bestimmten Satzes
von Gleichungen zur Beschreibung eines physikalischen Vorganges einer physika-
lisch/mathematischen Modellbildung entspricht. Mit der Wahl dieser Gleichun-
gen sind die Einflußgrößen festgelegt. Es bedarf nur noch der Festlegung interner
Maßstäbe, um die Gleichungen in dimensionsloser Form zu schreiben, wobei die
dimensionslosen Kennzahlen explizit auftreten, wie dies in Abschnitt 4.2 für die
Grundgleichungen gezeigt wurde.
Dieser Sachverhalt beschreibt genau den Zusammenhang zwischen der Mo-
dellbildung einerseits und dem Auftreten einer bestimmten Anzahl von Kennzahlen
andererseits. Umgekehrt bedeutet dies: Mit der Wahl einer bestimmten Liste von
Einflußgrößen (und damit der Festlegung einer bestimmten Anzahl von Kennzahlen)
erfolgt eine Modellbildung, ohne daß diese explizit mathematisch formuliert werden
müßte. Die Modellbildung besteht darin, daß bestimmte Effekte berücksichtigt wer-
den, andere als irrelevant (weil von vernachlässigbarem Einfluß) angesehen werden.
Dies führt zu einer Liste von relevanten Einfiußgrößen, die deshalb häufig auch als
Relevanzliste bezeichnet wird. Der Zusammenhang zur Modellbildung ist deshalb
wichtig, weil damit die Beurteilungskriterien für eine Relevanzliste gegeben sind.
Die Frage, ob eine bestimmte Größe in die Relevanzliste aufzunehmen ist, kann
nicht nach den Kategorien "richtig" und "falsch" beurteilt werden, sondern steht
im Zusammenhang mit der Brauchbarkeit der entsprechenden Modellbildung.
In diesem Sinne bedeutet die Einbeziehung einer Größe in die Relevanzliste
eine Erweiterung des Modells um Effekte im Zusammenhang mit dieser Größe.
Wird beispielsweise die Fallbeschleunigung g* in die Relevanzliste aufgenommen,
so werden Effekte im Zusammenhang mit der Gravitationswirkung als relevant
angesehen und in die Modellbildung einbezogen (ohne daß diese spezifiziert werden
müßten).
In diesem Zusammenhang wird deutlich, daß die Dimensionsanalysis nur auf
Probleme angewendet werden kann, deren physikalische Mechanismen im Prinzip,
4 Dimensionsanalysis 63

nicht aber notwendigerweise im Detail, bekannt sind. Durch die Dimensionsanalysis


erhält man zu einem physikalischen Problem keine neuen Informationen. Die
Methode der Dimensionsanalysis dient "lediglich" dazu, vorhandene physikalische
Informationen zu strukturieren.
Zur Festlegung der Relevanzliste eines bestimmten Problems sollte man fol-
gende fünf Punkte nacheinander betrachten und daraus die relevanten Einflußgrößen
gewinnen:
(1) Zielvariable: Dies ist die gesuchte physikalische Größe. Auch wenn in einem
Problem mehrere Größen gesucht sind, darf zunächst zur eine Zielvariable
gewählt werden. Für die anderen gesuchten Größen sind jeweils eigene Rele-
vanzlisten aufzustellen.
Beipiel: Der Druckabfall in einer Rohrströmung.
Ist zusätzlich der Wärmestrom an der Wand gesucht, so ist in Bezug auf diese
Fragestellung eine eigene Relevanzliste aufzustellen.
(2) Geometrievariable: Dies ist eine geometrische Größe, die im Sinne von Ab-
schnitt 4.2 als interner (Geometrie-)Maßstab dienen kann. Nur wenn in
dem betrachteten Problem geometrisch nichtähnliche Anordungen auftreten,
müssen weitere charakteristische Geometriegrößen hinzugenommen werden.
Werden keine globalen Zusammenhänge gesucht, sondern Gesetzmäßigkeiten,
nach denen bestimmte Größen lokal verteilt sind, so müssen entsprechende Ko-
ordinatenwerte (unabhängige Variablen des Problems) hinzugenommen wer-
den.
Beispiel: Wird die Strömung in einem ebenen Diffusor mit festem Öffnungs-
winkel und fester relativer Länge untersucht, so sind alle diese Diffusoren
geometrisch ähnlich und durch eine charakteristische Länge, z.B. die Ein-
trittshöhe, festgelegt. Werden zusätzlich verschiedene Öffnungswinkel betrach-
tet, so tritt eine zweite charakteristische Länge, z.B. die Austrittshöhe, hinzu.
Ist der gesuchte Zusammenhang z.B. der lokale Wert der Geschwindig-
keit, so sind zwei Koordinaten, z.B. x*, y*, als weitere Einflußgrößen hinzu-
zunehmen.
(3) Prozeßvariable: Dies ist eine charakteristische Größe für die "Stärke" des
betrachteten Prozesses (also der Impuls-, Wärme- oder Stoffübertragung).
Dies sind häufig globale Größen, wie Volumen- und Wärmeströme oder durch
Randbedingungen aufgeprägte Prozeßgrößen. Werden kombinierte Prozesse
betrachtet, treten zwei oder mehrere Größen auf.
Beispiel: Die mittlere Geschwindigkeit (Volumenstrom) bei der Rohrströ-
mung. Wird der Wärmeübergang betrachtet, tritt eine weitere Prozeßgröße,
z.B. ein aufgeprägter Wandwärmestrom, hinzu.
(4) Stoffwerte: Es sind die Basiswerte (bei Tß, pß und cm) derjenigen Stoffwerte
zu berücksichtigen, die im Zusammenhang mit dem betrachteten physikali-
64 K. Gersten/ H. Herwig

sehen Prozeß auftreten. Im Rahmen dieses Buches können dies bis zu fünf
c;
Stoffwerte sein, nämlich : r/, ry*, .X*, und D*.
Beispiel: Bei der Berechnung der Strömung eines reinen Fluides konstanter
Dichte und Viskosität in einem Diffusor sind die Dichte eß (Auftreten
von Trägheitskräften) die Viskosität ryß (reibungsbehaftete Strömung) zu
berücksichtigen, nicht aber die thermischen Größen .Xß und c; 8 und nicht
der Diffusionskoeffizient Dß.

(5) Konstanten: Dies sind Konstanten aus physikalischen Gesetzen, die zur
Beschreibung des betrachteten Prozesses herangezogen werden müssen.
Beispiel: Bei Strömungen mit Auftriebseffekten ist stets die Konstante g* in
die Relevanzliste aufzunehmen.

Die nach den Punkten (1) bis (5) aufgestellte Relevanzliste kann durch folgen-
des "Gedankenexperiment" daraufhin überprüft werden, ob die darin enthaltenen
Größen relevante Einflußgrößen sind, bzw. ob die Relevanzliste vollständig ist:
Man überprüft die einzelnen Größen daraufhin, ob eine gedachte Änderung
dieser Größe Auswirkungen auf die Zielgröße hat, bzw. ob es andere, nicht in der
Relevanzliste enthaltene Größen gibt, deren Variation relevante Auswirkungen auf
die Zielgröße zu Folge hätte.

4.3.3 Anwendung des II ·Theorems

Im vorigen Abschnitt wurde gezeigt, wie die Relevanzliste in bezug auf eine be-
stimmte Zielvariable (gesuchte Größe) aufgestellt werden kann. Diese gesuchte
Größe, die selbst auch zur Relevanzliste zählt, wird nach Anwendung des II-
Theorems in einer Kennzahl auftreten. Diese Kennzahl soll im folgenden Ziel-
Kennzahl genannt werden, alle anderen Kennzahlen eines Problems System-
Kennzahlen.
In typischen Fragestellungen, in denen die Impuls-, Wärme- oder Stoffüber-
tragung an begrenzende Wände gesucht ist, sind solche Ziel-Kennzahlen Reibungs-
bzw. Widerstandsbeiwerte und die Nußelt- oder Sherwood-Zahl (s. Tab. 4.2, unterer
Teil). Diese Kennzahlen treten nicht in den zugrunde liegenden Gleichungen auf,
sondern stellen dimensionslose "Übertragungsgrößen" (r;, q~, j~) dar. Es sei aber
deutlich darauf hingewiesen, daß es von der untersuchten Fragestellung abhängt, ob
eine Kennzahl zur Ziel-Kennzahl wird.
Statt in Form der Beziehung (4.14) kann die allgemeine Lösung auch in
folgender Weise geschrieben werden:

(4.15)

wobei II 1 zur Ziel-Variable erklärt wird und alle anderen Kennzahlen entsprechend
Systemvariable sind.
4 Dimensionsanalysis 65

Die Bestimmung der Kennzahlen selbst stellt kein Problem dar. Ihre allge-
meine Form lautet
rri = rr a;<>j'
n

1
(4.16)

wobei aj die n Einflußgrößen des betrachteten Problems darstellen. Da IIi dimen-


sionslose Größen sind, muß gelten (zu [aj] s. Kap. 4.1) :
n
IT[aj] 0 i = 1. (4.17)

Beim Basisdimensionen folgen aus (4.17) unmittelbar m Bestimmungsgleichungen


für die n Exponenten a:j .
Ein System von m homogenen linearen Gleichungen für n Unbekannte hat
genau (n-m) linear unabhängige Lösungen, wenn der Rang der Koeffizientenmatrix
m ist (was durch die Bedingung (1) nach (4.14) sichergestellt ist). Den (n-m) linear
unabhängigen Lösungen entsprechen die (n - m) Kennzahlen des Problems. Diese
Lösungen findet man, indem zur Bestimmung jeder der (n- m) Kennzahlen (n- m)
unbekannte Exponenten willkürlich vorgegeben werden. Bei jeder Wahl erhält man
ein inhomogenes lineares Gleichungssystem von m Gleichungen mit den restlichen
m unbekannten Exponenten.
Die willkürliche Wahl der freien Exponenten macht deutlich, daß die Kenn-
zahlen nicht eindeutig festgelegt werden. Das II-Theorem bestimmt zunächst nur
ihre Anzahl zu (n- m). Hat man bestimmte Kennzahlen ermittelt, so sind Poten-
zen dieser Kennzahlen gleichwertig mit den ursprünglich ermittelten Kennzahlen.
Ebenso können die Kennzahlen mit beliebigen Zahlenfaktoren versehen werden.
Zwei unterschiedliche Kennzahl-Systeme, die durch unterschiedliche Wahl der
freien Exponenten erzeugt wurden, sind selbstverständlich gleichwertig und können
darüber hinaus stets durch Kombination von Kennzahlen eines Systems ineinander
übergeführt werden.

Anmerkung (Einfache Ermittlung der Kennzahlen)

Die formale Bestimmung der Kennzahlen auf der Basis von (4.17) ist für die praktische Anwendung
häufig unnötig aufwendig. Da das II-Theorem die Anzahl der Kennzahlen zu (n-m) festlegt, kann
ein vollständiger Kennzahlen-Satz sehr einfach wie folgt erhalten werden:
Ausgehend von einer beliebigen Einflußgröße kombiniert man diese solange mit Potenzen
von anderen Einflußgrößen, bis eine dimensionslose Kombination entsteht. Man hat damit die erste
Kennzahl ermittelt. Dieses Verfahren muß insgesamt (n- m) mal durchgeführt werden, wobei nur
darauf zu achten ist, daß die so entstehenden Kennzahlen nicht Potenzen oder Kombinationen
bereits erhaltener Kennzahlen sind. Dies kann man sicher dadurch ausschließen, daß man die
Ermittlung einer neuen Kennzahl mit einer Einflußgröße beginnt, die in den bereits ermittelten
Kennzahlen noch nicht vorkommt.
66 K. Gersten/ H. Herwig

Beispiel 4.1: Rohr-Einlaufströmung

(a) Strömungsproblem; gesucht: T;(x)

Aufgrund der physikalischen Vorstellungen von Einlaufströmungen werden nach den fünf Gesichts-
punkten aus Abschnitt 4.3.2 folgende Einflußgrößen ausgewählt:

(1) Zielvariable: T*
w
(2) Geometrievariable: D*,x*
(3) Prozeßvariable: u•m
(4) Stoffwerte: (}.' ry•
(5) Konstanten:

Die sechs (n = 6) Einflußgrößen besitzen drei Basisdimensionen (m = 3), nämlich : Länge, Zeit
und Masse (Basiseinheiten: m, s, kg). Somit existieren 3 dimensionslose Kennzahlen der Form
(4.16), also
(B4.1-1)

Unter Berücksichtigung der Dimensionen der einzelnen Einflußgrößen gilt aufgrundvon (4.17)
damit
Exponent von m: -al + a2 + a3 + a4 - 3a5 - a6 =0 (B4.1-2)
Exponent von s: -2al - a4 - a6 =0 (B4.1-3)
Exponent von kg: Ql + Q5 + Q6 = 0. (B4.1-4)

Jetzt können (n- m) = 3 Exponenten (n- m) = 3 mal willkürlich vorgegeben werden .

1. Vorgabe: a 1 = 1, a 2 = a 3 = 0
Die Lösung von (B4.1-2) bis (B4.1-4) lautet damit

T*
K =-w-.
1 Q* u;,,2
2. Vorgabe: a 5 = 1, a 1 = a 3 = 0
Die Lösung von (B4.1-2) bis (B4.1-4) lautet damit

3. Vorgabe: a 3 = 1, a 1 = a 4 = 0
Die Lösung von (B4.1-2) bis (B4.1-4) lautet damit

Der von der Dimensionsanalysis vorhergesagte Zusammenhang lautet also mit K 1 als Zielvariable

(B4.1-5)

Wegen K 1 = ctf2, K2 =x und K 3 =Re ist dies der Zusammenhang


4 = er(x,Re). (B4.1-6)
4 Dimensionsanalysis 67

(b) Wänneiibergangsproblem; gesucht: q;.(x) bei Vorgabe von T! = const # T~

Die Relevanzliste für die gesuchte Größe q;. lautet jetzt


(1) Zielvariable: q;.
(2) Geometrievariable: D*,x*
(3) Prozeßvariable: u~, T!- T~

(4) Stoffwerte: o*, r/*, .X*, c;


(5) Konstanten:
Die Änderungen gegenüber dem Strömungsproblem unter a) sind durch Unterstreichungen mar-
kiert. Die Zielvariable ist ausgetauscht worden, drei zusätzliche Einflußgrößen sind hinzugetreten.
Da die Temperatur als vierte Basisdimension (Basiseinheit: K) hinzutritt, sind gegenüber a) jetzt
n - m = 9 - 4 = 5, also zwei Kennzahlen mehr zu bilden.
Mit einem Vorgehen vollständig analog zur Bestimmung der Kennzahlen in a) können
zusätzlich zu K 2 und K 3 in a) folgende Kennzahlen gebildet werden:

K-
q * D*
w
7'/*c;
K4=-- (B4.1-7)
1 - .X*(T_;- T~)' .x• '
Wegen K 1 =Nu, K 4 =Pr und K 5 = Ec entsteht also der Zusammenhang
Nu= Nu(x, Re, Pr, Ec). (B4.1-8)

4.4 Modell-Theorie
Ein bestimmter Satz von zahlenmäßig festgelegten Kennzahlen kann auf verschie-
dene Weise zustande kommen, da die Anzahl von Einflußgrößen die Anzahl der
Kennzahlen übersteigt. Unterschiedliche Zahlenwerte von Einflußgrößen können also
auf dieselben Zahlenwerte der Kennzahlen führen. Eine Lösung für einen spezifischen
Satz von Kennzahlen gilt damit für alle diejenigen unterschiedlichen physikalischen
Situationen, deren Kennzahlen zahlenmäßig gleich sind. Dies ist die Grundlage der
Modell-Theorie.
Unter Modell wird jetzt die geometrisch ähnliche, verkleinerte oder vergrößerte
Ausführung eines eigentlich interessierenden Prototyps verstanden. Das Ziel ist,
durch Untersuchungen am Modell Aussagen über den Prototyp zu gewinnen. Ist
neben der geometrischen Ähnlichkeit die Gleichheit der Anfangs- und Randbedin-
gungen sowie die zahlenmäßige Gleichheit aller gemeinsamen Kennzahlen gegeben,
so sind beide Fälle durch eine gemeinsame Lösung beschrieben. Alle aus der Lösung
gewonnenen Aussagen gelten sowohl für das Modell als auch für den Prototyp.
Diese Überlegung geht aber davon aus, daß das physikalische Geschehen
durch die gemeinsame Lösung vollständig beschrieben ist, d.h. daß es neben
den betrachteten Einflußgrößen af keine anderen Einflußgrößen gibt. Dies ist ein
wichtiger Punkt, der durch die umgekehrte Formulierung noch verdeutlicht werden
kann: Es wird unterstellt, daß Modell und Prototyp denselben Gesetzmäßigkeiten
unterliegen, also durch die Einflußgrößen af (und nur durch diese) beeinflußt
68 K. Gersten/ H. Herwig

werden. Im Sinne von Abschnitt 3. 7 findet damit eine physikalisch/mathematische


Modellbildung statt, die gleichermaßen für Modell und Prototyp gelten soll. Es
ist hierbei wichtig, den doppelten Aspekt von Modellbildung gedanklich klar zu
trennen: zum einem das (geometrisch ähnliche) Modell des Prototyps, zum anderen
das beiden gemeinsame physikalisch/mathematische Modell. In diesem Sinne stellt
(4.13) das physikalisch/mathematische Modell dar mit der gemeinsamen Lösung der
allgemeinen Form (4.14) bzw. (4.15).
Für die praktische Anwendung können sich zwei Schwierigkeiten ergeben.
(1) Weil nicht alle Einflußgrößen frei variiert werden können, ist es nicht immer
möglich, für das Modell und für den Prototyp alle gemeinsamen Kennzahlen
gleichzeitig einzuhalten. Besitzt nur ein Teil der gemeinsamen Kennzahlen
denselben Zahlenwert, spricht man von partieller Ähnlichkeit. Welche Kenn-
zahlen dann als wichtigste Kennzahlen eingehalten werden sollten, kann nur
aus der Kenntnis der physikalischen Vorgänge heraus entschieden werden.

Beispiel4.2: Modelluntersuchung zur Rohr-Einlaufströmung


Es soll der Wärmeübergang bei der Rohr-Einlaufströmung experimentell untersucht werden.
Es wird ein Modell des Rohres mit einem Durchmesser DModell = 0, lDPrototyp verwendet.
Als Fluid steht in beiden Fällen Luft zur Verfügung. Aus Beispiel 4.1 ist bekannt, daß der
allgemeine Zusammenhang lautet
Nu= Nu(x, Re, Pr, Ec). (B4.2-1)
Da in beiden Fällen Luft verwendet werden soll, ist die Prandtl-Zahl in beiden Situationen
gleich. Soll die Reynolds-Zahl gleich sein, muß die mittlere Geschwindigkeit u;;, im Modell
zehmal so groß sein wie im Prototyp. Die Forderung nach gleicher Eckert-Zahl führt damit
auf
(T,;;- T;;,)Modell = 100(T,;;- T;;,)Prototyp · (B4.2-2)

Dies wird sich unter Umständen nicht realisieren lassen, so daß nur die partielle Ähnlichkeit
Nu= Nu(x, Re, Pr) (B4.2-3)
eingehalten werden kann.

(2) Es stellt sich heraus, daß das gemeinsame physikalisch/mathematische Modell


für den Prototyp oder das Modell unzureichend ist, d.h. die tatsächlichen
Verhältnisse nicht befriedigend genau beschreiben kann. Beim Übergang vom
Modell auf den Prototyp oder umgekehrt treten Effekte hinzu, die im jeweils
anderen Fall vernachlässigt werden konnten. Diese werden Skalierungseffekte
genannt.

Beipiel4.2 (Fortsetzung): Modelluntersuchung zur Rohr-Einlaufströmung


Im genannten Zahlenbeispiel sollte die mittlere Geschwindigkeit u;;, im Modell auf den
zehnfachen Wert angehoben werden. Beträgt sie beim Prototyp z.B. 20 m/s, so müßte
sie im Modell 200 m/s erreichen. Damit treten im Rohr aber Geschwindigkeiten auf,
die in der Nähe der Schallgeschwindigkeit liegen, und Effekte variabler Dichte spielen mit
Sicherheit eine wichtige Rolle. Diese sind in dem physikalisch/mathematischen Modell, das
4 Dimensionsanalysis 69

bisher benutzt wurde, aber nicht enthalten. Die Liste der Einflußgrößen müßte um die
Schallgeschwindigkeit a• ergänzt werden, um diesen Effekt zu erfassen. Als Folge davon
würde die Mach-Zahl Ma := u':nfa• als weitere Kennzahl hinzutreten.

Anmerkung (Dimensionsanalysis bei variablen Stoffwerten)

Wie Temperatur-, Druck- und ggf. Konzentrationsabhängigkeiten der Stoffwerte in den Mo-
dellüberlegungen berücksichtigt werden müssen, kann am besten anhand des mathematischen
Modells zur Beschreibung des betrachteten Problems beurteilt werden.
In den entsprechenden Gleichungen treten die Stoffwerte in dimensionsbehafteter Form als
a• (T*, p•, cA) mit a• = g•, TJ*, ... auf. Nach der Entdimensionierung können so unter Verwendung
der Basiswerte (vgl. die Anmerkung in Abschnitt 4.2) als a := a•jaß = a(e,p,<PA) geschrieben
werden. Die Basiswerte aß gehen dann in die Kennzahlen ein. Damit sind die Funktionen
a(8,p, <PA) aber Bestandteile des Gleichungssystems, so daß eine Ähnlichkeit im Sinne der
Modell-Theorie nur vorliegt, wenn die Fluide im Modell und im Prototyp denselben Stoffgesetzen
gehorchen. Dies wird fast immer bedeuten, daß es sich um dieselben Fluide handeln muß, womit
eine starke Einschränkung verbunden ist.
Eine Realisierung mit verschiedenen Fluiden wird im allgemeinen nur möglich sein, wenn
lediglich kleine Abweichungen von den Basiswerten auftreten. Dann kann eine Taylorreihe der
Stoffwerte nach dem linearen Term abgebrochen werden, also z.B. für a(e) als a = 1 + K"' 1 e,
wie dies in Kap. 5, Gleichung (5.20), näher ausgeführt wird. Die dimensionslose Größe K"' 1 ist
dann eine Kennzahl im Sinne der Dimensionsanalysis. Dies macht deutlich, daß eine genauere
Approximation der Funktion a(e) mit immer weiteren Kennzahlen verbunden wäre, die durch die
zusätzlichen Terme der Taylorreihe entstehen würden.
Bei Potenzgesetzen für die Stoffwerte reicht, wie bei der linearen Näherung, eine Kennzahl
zur Beschreibung aus. Die Kennzahl ist dann der Exponent. Damit ist bei Potenzgesetzen die Nähe
in den Basiswerten nicht erforderlich.
Für eine weitergehende Behandlung der gesamten Problematik sei auf Schneider (1971) und
Pawlowski (1991) verwiesen.

4.5 Dimensionsanalysis und asymptotische Theorie


In vielen Fällen ist die Anzahl von Kennzahlen eines Problems so groß, daß es nicht
möglich ist, alle Lösungen (mit den Kennzahlen als Parameter) vorab zur Verfügung
zu stellen. Gibt es in einem Problem neben der Ziel-Kennzahl nur eine System-
Kennzahl, so könnte das Ergebnis für die Ziel-Kennzahl mit der System-Kennzahl
als Parameter ermittelt werden. Schon bei zwei System-Kennzahlen wird man nur
noch spezielle Lösungen suchen. Diese gelten im Sinne der Dimensionsanalysis
dann zwar für mehr als einen konkreten Fall, es ist aber fraglich, ob die anderen
Realisierungsmöglichkeiten tatsächlich benötigt werden.
Je mehr Kennzahlen ein Problem aufweist, um so unbedeutender wird also
der Vorteil der dimensionsanalytischen Vorüberlegungen zu einem Problem: Die
Allgemeingültigkeit eines Problems verliert an praktischer Bedeutung, da es im-
mer unwahrscheinlicher wird, zwei physikalische Realisierungen zu finden, die alle
Kennzahlen gemeinsam haben.
Physikalisch/mathematische Modelle, die auf nur wenige Kennzahlen führen,
sind deshalb für die Suche nach allgemeinen Lösungen besonders geeignet. In diesem
70 K. Gersten/ H. Herwig

Sinne ist es eine wichtige Frage, wie Modellvereinfachungen vorgenommen werden


können, die mit einer Reduzierung der Anzahl von Kennzahlen einhergehen.
Grundsätzlich gibt es hierzu zwei Möglichkeiten, die durch das II-Theorem
nahegelegt werden.
(1) Bestimmte physikalische Effekte werden als Ganzes vernachlässigt, was zu
einer reduzierten Liste der Einflußgrößen führt. Die unmittelbare Folge ist
eine verminderte Anzahl von Kennzahlen.
Beispiel4.3: Ausgebildete laminare Rohrströmung
Für die Rohreinlaufströmung (Beispiel 4.1) spielen die Trägheitskräfte physikalisch sicher-
lich eine bedeutende Rolle. Für große Lauflängen (x -+ oo) muß deren Bedeutung aber
ständig abnehmen, da das Profil sich asymptotisch dem ausgebildeten Zustand nähert. Ein
vereinfachtes physikalisch/mathematisches Modell braucht also die Dichte g*, die für die
Trägheitskräfte bestimmend ist, nicht zu berücksichtigen. Streicht man sie aus der Liste
der Einflußgrößen, so verbleibt formal der Zusammenhang zwischen zwei Kennzahlen. Eine
dieser Kennzahlen wird, wie in Beispiel 4.1, unverändert x* / D* sein. Physikalisch liegt mit
dem reduzierten Modell aber eine ausgebildete Strömung vor, die naturgemäß keine x*-
Abhängigkeit aufweist, so daß die Größe x* auch aus der Liste der Einflußgrößen genommen
werden kann. Jetzt ist der allgemeine Zusammenhang durch eine Kennzahl beschrieben, so
daß gilt
r* D*
K 1 = _w_ _ = const. (B4.3-1)
7J*u;;,
Formal entsteht diese Kennzahl als das Produkt ~cfRe. Das Hagen-Poiseuillesche Gesetz
der ausgebildeten Rohrströmung, das nur in seiner allgemeinen Form (B4.3-1) von der
Dimensionsanalysis "vorhergesagt" wird, lautet bekanntlich cfRe = 16, s. dazu Abschnitt
6.3.1.

(2) Die allgemeinen Lösungen rrl = F(II2, ... ' rrn-m) werden als asymptotische
Lösungen im Sinne von Lösungen für große oder kleine Werte einer (oder meh-
rerer) System-Kennzahlen gesucht. Die allgemeine asymptotische Lösung ist
dann keine explizite Funktion dieser Kennzahl mehr (bzw. dieser Kennzahlen
bei mehrfachem asymptotischem Grenzprozeß).
Beispiel 4.4: Impulsübertragung bei großen Reynolds-Zahlen
Für die Impulsübertragung auf eine feste Wand in einem Fluid konstanter Stoffwerte folgt
aus dimensionsanalytischen Überlegungen der Zusammenhang cf = F(x, Re). Im Rahmen
der Grenzschichttheorie als asymptotischer Theorie für große Reynoldszahlen (s. dazu Kap.
7) gilt jedoch für eine laminare Strömung cf..;Iie = F(x). Die Kombination erv'Re ist
dimensionsanalytisch als eine Kennzahl anzusehen.
Anders als unter (1) ist die Liste der Einflußgrößen gegenüber dem Ausgangssystem
nicht reduziert worden, so daß dimensionsanalytisch eine scheinbar unveränderte Situation
vorliegt. Durch die Bedingung Re-+ oo ist jedoch neben dem allgemeinen Zusammenhang
(4.13) zwischen den Einflußgrößen ein zusätzlicher funktionaler Zusammenhang zwischen
einzelnen Einflußgrößen eingeführt worden, der sich in der Grenzschichttransformation
manifestiert (und der auch nur im Grenzfall Re -+ oo, nicht aber allgemein gilt). Somit
ist die Bedingung (1) zu Gleichung (4.14) "verletzt", was zu einer verminderten Anzahl von
Kennzahlen führt. Ganz allgemein führen asymptotische Theorien zur Verminderung von
Kennzahlen eines Problems, wobei man bezüglich der Vorgehensweise zwischen singulären
und regulären Störungsproblemen unterscheiden muß (s. dazu Abschnitt 11.2).
4 Dimensionsanalysis 71

Bei singulären Störungsproblemen treten diejenigen Kennzahlen, für die


asymptotische Betrachtungen angestellt werden, in der führenden Ordnung dann
nur noch in Kombination mit anderen der ursprünglichen Kennzahlen auf, mit denen
sie neue dimensionslose Kennzahlen bilden. Bei regulären Störungsproblemen sind
die Basislösungen im allgemeinen frei von den Parametern, für die asymptotische
Betrachtungen angestellt werden.
Als allgemeine Literatur zur Dimensionsanalysis kann empfohlen werden:
Zierep (1972), Taylor (1974), Görtier (1975), Isaacson and Isaacson (1975) sowie
Kline (1986).

4.6 Zusammenfassung
1.) Nach der Entdimensionierung dimensionsbehafteter Gleichungen mit charak-
teristischen Größen (internen Maßstäben) entstehen in den Gleichungen di-
mensionslose Kennzahlen. Im Falle der Grundgleichungen aus Kap. 3 sind
dies die fünf Kennzahlen (4.6), die mit namentlich benannten Kennzahlen
verbunden sind, s. (4.8).
2.) Das Buckinghamsche II-Theorem erlaubt es, eindeutig die Anzahl dimensions-
loser Kennzahlen eines Problems zu bestimmen, auch wenn die Gleichungen
zur Beschreibung des Problems nicht explizit bekannt sind. Es wird lediglich
die Liste der sog. Einflußgrößen benötigt. Mit dieser können die Kennzahlen
gebildet werden.
3.) Die Modell-Theorie beruht auf den Aussagen des II-Theorems. Danach sind
Aussagen über einen Prototyp und ein geometrisch ähnliches Modell bei glei-
chen Rand- und Anfangsbedingungen vollständig übertragbar, wenn in bei-
den Fällen die Zahlenwerte aller dimensionslosen Kennzahlen übereinstimmen
(Ähnlichkeit). Gilt dies nur für einen Teil der Kennzahlen, spricht man von
partieller Ähnlichkeit.
5 Konzepte zur Lösung der Grundgleichungen

5.1 Vorbemerkung
Es gibt grundsätzlich zwei verschiedene Wege, an die Lösung physikalischer Pro-
bleme heranzugehen: experimentell oder theoretisch. Experimentelle Methoden sind
nicht Gegenstand dieses Buches. In bezug auf die theoretischen Methoden liegt der
Schwerpunkt auf den sog. asymptotischen Methoden. Sie werden in diesem Kapitel
kurz in den Gesamtzusammenhang einer theoretischen Behandlung von Problemen
eingeordnet, bevor sie in diesem Buch dann das wesentliche "Handwerkszeug" dar-
stellen.
Der Versuch, physikalische Probleme theoretisch anzugehen, erfordert stets
zwei Schritte.

(1) Es muß ein physikalisch/mathematisches Modell entwickelt werden, in dem


die Realität "abgebildet" wird. Häufig besteht dieses aus einem Satz von
Grundgleichungen. In den meisten Fällen werden dies Differentialgleichungen
mit den zugehörigen Rand- und Anfangsbedingungen sein.

(2) Die Gleichungen des physikalisch/mathematischen Modells müssen exakt oder


näherungsweise gelöst werden. Diese Lösungen dienen dann dazu, Aussagen
über das reale, physikalische System zu treffen.

Die Behandlung der Gleichungen in Schritt (2) kann aufverschiedene Weise erfolgen.
Grundsätzlich lassen sich folgende drei Methoden ausmachen:

(Ml) Numerische Methoden; hierbei werden Näherungsgleichungen entwickelt,


indem von einem kontinuierlichen auf ein diskretes System übergegangen
wird. Lösungen des diskreten Systems werden dann als Näherungslösungen
des ursprünglichen, kontinuierlichen Systems interpretiert. Im günstigsten Fall
läßt sich mit einem entsprechend guten numerischen Verfahren der Fehler
unterhalb einer beliebig vorgehbaren Schranke halten.

(M2) Asymptotische Methoden; diese Methoden sind bevorzugt Gegenstand des


vorliegenden Buches. Der Grundgedanke besteht darin, Lösungen für Grenz-
werte von Parametern oder Koordinaten zu suchen und diese als Nähe-
rungslösungen für endliche Parameter- bzw. Koordinatenwerte zu verwenden.
5 Konzepte zur Lösung der Grundgleichungen 73

(M3) Analytische Methoden; hierbei wird man versuchen, analytische Lösungen


der Grundgleichungen zu finden. Unter einer analytischen Lösung wird hier
das Zurückführen der Lösung auf die gängigen und ausführlich tabulierten
(vgl. Abramowitz and Stegun (1970)) Funktionen der mathematischen Physik
verstanden.
Die drei Methoden M1 bis M3 sind nicht im Sinne sich ausschließen der Methoden
zu verstehen. Die schematische Darstellung in Bild 5.1 soll das verdeutlichen.
Zwischen den einzelnen Methoden gibt es Überschneidungen. Aus der Sicht der
asymptotischen Methoden bedeutet dies: In Teilaspekten wird man auch bei einer
asymptotischen Betrachtung auf numerische Methoden angewiesen sein bzw. in
Sonderfällen auch auf analytische Lösungen zurückgreifen können.

analytische osymptotische
Methoden Methoden

Bild 5.1: Theoretische Behandlung


physikalischer Probleme (schematische
Darstellung)
~~~~~~~numerische Methoden

Im allgemeinen erfordern die Probleme aus der Impuls-, Wärme- und Stoffüber-
tragung so komplizierte physikalisch/mathematische Modelle, daß analytische Me-
thoden nur eine untergeordnete Rolle spielen, weil nur in wenigen Ausnahmefällen
analytische Lösungen eines Problems gefunden werden können.
Asymptotische Methoden sind in diesem Buch die Basis für die theoretische
Behandlung von Problemen der Impuls-, Wärme- und Stoffübertragung. Zur kurzen
Einführung sollen die Grundgedanken in Abschnitt 5.3 erläutert werden. Vorher
wird in Abschnitt 5.2 etwas ausführlicher auf numerische Methoden eingegangen.
Diese sind zwar als solche kein Hauptaspekt dieses Buches. Wie aber vorher erwähnt,
ist man auch bei Anwendung asymptotischer Überlegungen fast immer auf die Hilfe
numerischer Methoden angewiesen, um zu den gesuchten Lösungen zu gelangen.
Für komplexe Probleme verknüpfen sich beide Vorgehensweisen zu einer Methodik,
die in der Einleitung zu diesem Buch bereits als ACFD (asymptoticfcomputational
fluid dynamics) bezeichnet worden war.

5.2 Numerische Methoden


Geht man von einem physikalisch/mathematischen Modell in Form einer oder
mehrerer Differentialgleichungen für die gesuchten Funktionen F 1 , F 2 , ••.. aus, so
sind diese Lösungen zunächst als kontinuierliche Funktionen in dem betrachteten
74 K. Gersten/ H. Herwig

Lösungsraum gesucht. Für ein zweidimensionales, stationäres Problem mit einer Un-
bekannten ist die gesuchte Lösung also die Funktion F(x, y), wenn ein kartesisches
(x, y)-Koordinatensystem gewählt wird und die Grundgleichung in dimensionsloser
Form vorliegt.
Numerische Methoden bestimmen nun statt der exakten kontinuierlichen
Lösung F(x, y) "nur" Näherungslösungen F(xi, Yj) an einer endlichen Anzahl von
diskreten Stellen xi, Yj des Lösungsgebietes, die im folgenden Stützstellen oder auch
Gitterpunkte genannt werden. Statt eine Differentialgleichung für F (x, y) zu lösen,
wird ein System von endlich vielen algebraischen Gleichungen für F(xi, Yj) gelöst.
Diese Vorgehensweise ist natürlich nur sinnvoll, wenn unter bestimmten Bedingun-
gen (F(xi, Yj) -F(xi, Yj)) ---> 0 gilt. Man spricht dann von einer konvergenten Lösung.
Um eine solche konvergente Lösung zu erhalten, sind zwei Kriterien zu
erfüllen, s. Anderson et al. (1984).
(1) Die algebraischen Gleichungen müssen mit der Differentialgleichung konsistent
sein, d.h. sie müssen in spezifisch festzulegenden Grenzfällen der diskreten Va-
riablen mit der Differentialgleichung identisch sein. Beispielsweise müssen alle
Differenzenquotienten im Grenzfall in die entsprechenden Differentialquotien-
ten übergehen.
(2) Der Lösungsalgorithmus muß numerisch stabil sein, z.B. müssen Abbruchfeh-
ler mit fortschreitender Iteration kleiner werden.

Das Kernstück numerischer Methoden ist der Übergang von der Differentialglei-
chung zu einem System endlich vieler algebraischer Gleichungen. Verschiedene Me-
thoden hierzu werden ganz allgemein als Diskretisierungsmethoden oder Finite Ap-
proximationsmethoden bezeichnet. Es gibt nun eine Vielzahl von Diskretisierungs-
methoden, in denen teilweise sehr unterschiedliche Wege beschritten werden. Ent-
sprechend groß ist die Anzahl numerischer Methoden, die daraus resultieren. Ganz
grob lassen sich drei Klassen unterscheiden. Die Kennzeichnung als (M1- · · ·) soll
unterstreichen, daß es sich um numerische Methoden handelt, s. Abschnitt 5.1.

(M1-1) Finite-Differenzen-Methoden (FDM)


(M1-2) Finite-Elemente-Methoden (FEM)
(M1-3) Finite-Volumen-Methoden (FVM)

Im folgenden werden die drei Klassen numerischer Methoden kurz beschrieben und
anschließend in Abschnitt 5.2.4 grob bewertet.

5.2.1 Finite-Differenzen-Methoden (FDM)

Die Diskretisierung bei den sog. Differenzen-Methoden erfolgt durch eine Reihen-
entwicklung der gesuchten Funktionen in den Gitterpunkten. Vorzugsweise wird
hierbei die Taylorreihe verwendet. Für eine gesuchte Funktion F(x) gilt z.B. am
5 Konzepte zur Lösung der Grundgleichungen 75

Gitterpunkt i -1 und i +1, siehe Bild 5.2, im Sinne einer abgebrochenen Taylorreihe
folgende Näherung:

-
Fj_ 1 : - -
= F(xi_ 1 ) = F(xJ + [dF]
dx i ( -6-x) + 21 [ddxi'l
2
2 i (6x) + 0[(6x) ]
2 3 (5.1)

_ = F(xi+
Fi+1: _ 1)
-
= F(xJ + [dF] 1 [d i'l
dx i6-x + 2 dx i(6-x)
2
2
2
+ 0[(6-x) 3 ] . (5.2)

Das Symbol 0[(6x) 3 ] bedeutet in diesem Fall: der Abbruchfehler ist von der
Größenordnung (L.x) 3 , also klein für 6-x--+ 0. Diegenaue Definition dieses Symbols
erfolgt in (7.11) im Kap. 7.

xi-1 xi xi•1

.I
Bild 5.2: Lage und Bezeichnung der äquidi-
stanten Gitterpunkte in einem eindimensionalen
Problem.
\. Llx .I. Llx X

Subtrahiert bzw. addiert man (5.1) und (5.2), folgt für die erste bzw. zweite
Ableitung am Gitterpunkt i als eine mögliche Art der Diskretisierung

[di'
dx
l = i'i+l26-x
i
-i'i-1 + o[(6x)2J (5.3)

[ ~]' ~ F,_, ~:~~- 2F\ + O[(ßx}'[. (5.4)

Bei der Addition von (5.1) und (5.2) heben sich die Terme 0[(6x) 3 ] weg, so daß
das Restglied in (5.4) von der Größenordnung 0[(6x) 2 ] ist. Über Beziehungen wie
(5.3) und (5.4) können Differentialquotienten in den Differentialgleichungen durch
Differenzenquotienten ersetzt werden. Die Gleichungen (5.3) und (5.4) lassen aber
auch deutlich erkennen, daß nach der Ersetzung nicht mehr die Funktionswerte Fj in
den Differenzengleichungen stehen, sondern nur Näherungen .F;, weil die Taylorreihe
nach einer bestimmten Ordnung in L.x abgebrochen wird.
Als Lösung erhält man nach dieser Vorgehensweise aus einem System von
algebraischen Gleichungen eine endliche Anzahl diskreter Näherungswerte Fi. Die
(Näherungs- )Lösung trifft im Grunde genommen keine Aussage über den Verlauf
der gesuchten Funktion F zwischen den Gitterpunkten. Eine Verbesserung der
Näherungslösung kann auf zwei Wegen erfolgen. Entweder man verkleinert den
Abbruchfehler, indem weitere Terme der Reihenentwicklung berücksichtigt werden,
oder man erhöht die Gitterpunktdichte, d.h. verkleinert die Schrittweite. Natürlich
können beide Maßnahmen auch kombiniert werden.
76 K. Gersten/ H. Herwig

Differenzen-Methoden werden sehr häufig zur numerischen Lösung von Pro-


blemen der Impuls-, Wärme- und Stoffübertragung eingesetzt. Die Literatur dazu
ist nahezu unüberschaubar, da sich sehr viele spezielle Vorgehensweisen herausgebil-
det haben. Dem "Anfänger" kann für häufig auftretende, aus mathematischer Sicht
parabolische Probleme, die sog. Keller-Box-Methode empfohlen werden, da sie sehr
anschaulich und übersichtlich ist, siehe dazu speziell: Keller (1975), Keller (1978).
Allgemein kann zu Differenzen-Verfahren als Literatur empfohlen werden: Roache
(1972), Peyret and Taylor (1983), Anderson et al.(1984), Minkowycz et al.(1988),
Fleteher (1991).

5.2.2 Finite-Elemente-Methoden (FEM)

Während die Finite-Differenzen-Approximation auf der Entwicklung der Lösungs-


funktion in einem Gitterpunkt beruht und damit letztlich D.x -+ 0 unterstellt (Ab-
bruchder Taylorreihe), wird bei einer Finite-Elemente-Approximation die Lösungs-
funktiondurch eine unendliche Reihe von Basisfunktionen (sin, cos, ... ) angenähert.
In der praktischen Anwendung wird man zwangsläufig nur endlich viele Terme
berücksichtigen und deshalb das Lösungsgebiet in Unterbereiche (finite Elemente)
der Größe !::::.x (im Beispiel des eindimensionalen Falles) aufteilen. Konzeptionell ist
mit dieser Methode aber nicht der Grenzfall D.x -+ 0 unterstellt, sondern "Anzahl
der Entwicklungs-Basisfunktionen -+ oo."
Bei dieser Vorgehensweise werden wiederum aus Differentialgleichungen alge-
braische Gleichungen für Näherungen der Funktionswerte F;, an diskreten Stellen
xi hergeleitet. Für diese Diskretisierung gibt es im Rahmen der FEM grundsätzlich
zwei Wege.
(1) In bestimmten (aber nicht in allen) Fällen ist es möglich, für die zu lösende
Differentialgleichung ein Variations-Äquivalent zu finden. Dazu muß ein aus
der Differentialgleichung herleitbares Integral für die gesuchte Lösung ein Ex-
tremum (meist ein Minimum) besitzen. Man bezeichnet diese Äquivalenz als
Variationsprinzip, das zur Differentialgleichung gehörende Integral als Funk-
tional. Existiert ein solches Variations-Äquivalent für den betrachteten Fall, so
kann die Minimierung des Funktionals, ausgedrückt durch die Funktionswerte
in diskreten Gitterpunkten, zur Diskretisierung der Differentialgleichung ge-
nutzt werden. Dieses Vorgehen wird als Rayleigh-Ritz-Methode bezeichnet.
Ein solches Variations-Äquivalent existiert im Bereich der Impuls-,
Wärme- und Stoffübertragung aber nur in bestimmten Fällen (z.B. bei
Potentialströmungen oder bei reiner Wärmeleitung). In der Regel existiert
es nicht, wenn konvektive Anteile vorhanden sind.
(2) Eine allgemein anwendbare Vorgehenweise ist dagegen die Methode der ge-
wichteten Residuen. Der Grundgedanke ist folgender: Mit einem Differen-
tialoperator L( ... ) laute die Differentialgleichung L(F) = 0. Eine Nähe-
5 Konzepte zur Lösung der Grundgleichungen 77

rungslösung F erfüllt die Gleichung nicht exakt, sondern es gilt L(F) = R,


wobei R das sog. Residuum bezeichnet (mit R = 0 für die exakte Lösung F).
Die Näherungslösung F ist umso besser, je kleiner R ist. Ein integrales Maß
für die Genauigkeit ist, im eindimensionalen Fall, J Rdx. Die Forderung an
die Näherungslösung lautet also

J Rdx=O. (5.5)

Mit der Bedingung (5.5) könnte eine unbekannte Größe der mit freien
Parametern angesetzten Näherungslösung F ermittelt werden. Man erhält
weitere Bestimmungsgleichungen, wenn man statt (5.5) fordert:

j WRdx=O, (5.6)

wobei W eine beliebige, sog. Gewichtsfunktion ist. Mit N verschiedenen


Gewichtsfunktionen können also N Parameter der Entwicklung von F (z.B.
Koeffizienten einer Potenzreihe o.ä.) bestimmt werden.
Unterschiedliche Gewichtsfunktionen führen zu verschiedenen Versionen
der Methode der gewichteten Residuen. Eine häufig benutzte Version ist die
sog. Galerkin-Methode, bei der die Gewichtsfunktionen gleich den Basisfunk-
tionen sind, durch die die gesuchte Lösung F als F approximiert wird.
Eine Übersicht über verschiedene Methoden und detaillierte Beschreibungen findet
man z.B. in Holt (1977), Baker (1983), Bathe (1986) und Fleteher (1991), eine sehr
ausführliche Literaturübersicht in Noor (1991).

5.2.3 Finite-Volumen-Methoden (FVM)

Die Diskretisierung bei den Finite-Volumen-Methoden geschieht auf eine Weise, die
"zwischen FDM und FEM" liegt, wie am Ende dieses Abschnittes erläutert werden
soll. Die Vorgehensweise ist anschaulich und physikalisch gut zu interpretieren.
Der Lösungsbereich wird in eine endliche Anzahl von Kontrollvolumina auf-
geteilt, und zwar so, daß in jedem Kontrollvolumen genau ein Gitterpunkt liegt.
Im eindimensionalen Fall mit einem Gitterabstand 6.x könnte man z.B. Kontroll-
volumen der Größe 6.x · 1 · 1 wählen, also Volumen mit einer Einheitslänge in y-
und z-Richtung. Die Differentialgleichung wird dann formal über die Kontrollvo-
lumen integriert. Die Integrale können ausgewertet werden, wenn Annahmen über
den Verlauf der gesuchten Funktion in den Kontrollvolumen getroffen werden. Es
entstehen damit algebraische Gleichungen für die Näherungen der Funktionswerte
in den Gitterpunkten, also für F;.
Der entscheidende Vorteil dieser Vorgehensweise ist, daß die integralen Erhal-
tungssätze für Masse, Impuls und Energie zunächst einmal für das Kontrollvolumen,
78 K. Gersten/ H. Herwig

damit aber auch für den gesamten Lösungsraum, exakt erfüllt sind. Dies gilt für
alle Gitterpunktdichten, also auch auf sehr groben Gittern. Im Gegensatz dazu sind
die integralen Erhaltungsgleichungen z.B. in einer Finiten-Differenzen-Formulierung
bezüglich des gesamten Lösungsraumes nur im Grenzfall D.x---> 0 erfüllt!
Versucht man, die Diskretisierung bei den Finite-Volumen-Verfahren auf dem
Hintergrund der beiden anderen Verfahren (FDM, FEM) zu interpretieren, so zeigen
sich gewisse Ähnlichkeiten mit beiden Verfahren.
Aus der Sicht der Finite-Elemente-Verfahren entsteht die Finite-Volumen-
Diskretisierung, wenn in der Methode der gewichteten Residuen die Gewichtsfunk-
tion W als W = 1 in einem Teilgebiet des Lösungsraumes und W = 0 außerhalb
dieses Teilgebietes gesetzt wird. In diesem Sinne handelt es sich also um einen Spe-
zialfall der Finite-Elemente-Methode.
Aus der Sicht der Finiten-Differenzen-Verfahren besteht die Gemeinsamkeit
mit dieser Methode darin, daß die Näherungslösungen nur für die Funktionswerte in
den Gitterpunkten gesucht sind, über die Näherungen zwischen den Gitterpunkten
aber letztlich keine Aussagen getroffen werden. Die Annahmen über den Funkti-
onsverlauf zwischen den Gitterpunkten haben dann in diesem Sinne nur die Bedeu-
tung von HUfsfunktionen zur Auswertung der Integrale. In dieser Sichtweise können
verschiedene Terme derselben Gleichung auch mit verschiedenen HUfsfunktionen
ausgewertet werden.
Konzeptionell kann die FVM-Diskretisierung also zwischen der FDM- und der
FEM-Diskretisierung angesiedelt werden.

5.2.4 Einordnung der FDM-, FEM· und FVM-Methoden

Alle drei Verfahrensweisen haben ihre spezifischen Vor- und Nachteile, so daß
ein Vergleich bzw. eine Bewertung jeweils nur im Licht eines speziellen Problems
möglich ist. Generell kann aber folgendes festgestellt werden:
FDM-Verfahren sind von allen drei Vorgehensweisen für den "Anfänger" die-
jenigen, zu denen man den leichtesten Zugang findet. Insbesondere in einfachen
Formulierungen (wie z.B. Keller-Box) ist die Diskretisierung unmittelbar einsichtig
und die Umsetzung in ein Computer-Programm leicht nachzuvollziehen. Im Bereich
der Impuls-, Wärme- und Stoffübertragung werden FDM-Verfahren sehr häufig und
sehr erfolgreich eingesetzt. Probleme ergeben sich allerdings, wenn das Lösungsge-
biet geometrisch sehr unregelmäßig aufgebaut ist, weil dann die Formulierung der
Randbedingungen Schwierigkeiten bereiten kann.
Wenn unregelmäßige Berandungen des Lösungsgebietes vorliegen, können
FEM-Verfahren mit großem Erfolg eingesetzt werden, s. dazu speziell Schönung
(1990). Diese Verfahren wurden zunächst im Bereich der Strukturmechanik ent-
wickelt, um Spannungsverteilungen in komplizierten Bauteilen berechnen zu kön-
nen. Anwendungen im Bereich der Impuls-, Wärme- und Stoffübertragung sind
5 Konzepte zur Lösung der Grundgleichungen 79

später hinzugekommen. FEM-Verfahren sind bis heute auf diesen Gebieten weniger
stark verbreitet als FDM-Verfahren.
FVM-Verfahren sind auf eine zuvor beschriebene Weise eng mit den häufig
benutzten FDM-Verfahren verwandt. Sie bieten aber zusätzlich den Vorteil, auch
auf groben Gittern die integralen Erhaltungssätze zu erfüllen. Auch wenn der
Programmieraufwand zunächst höher als bei FDM-Verfahren ist, können FVM-
Verfahren als die "Verfahren der Zukunft" angesehen werden, soweit es sich um
Probleme der Impuls-, Wärme- und Stoffübertragung handelt. Schon heute basieren
viele große Programmpakete, die industriell/kommerziell eingesetzt werden, auf der
FVM-Diskretisierung.

5.3 Asymptotische Methoden


Die asymptotischen Methoden sind entwickelt worden, um sog. Störungsprobleme
zu lösen. Darunter versteht man eine Lösung mit Hilfe einer Störungsrechnung,
d.h. Parameter oder Koordinaten, von denen die Lösung abhängt, befinden sich in
der Nähe von Grenzwerten (häufig Null oder Unendlich). Die Grenzlösung selbst,
also die Lösung für den Grenzwert der Parameter oder Koordinaten, stellt eine
Näherungslösung für die gesuchte Lösung dar. Man spricht von einer asymptotischen
Lösung, wenn diese umso besser ist, je näher die Parameter oder Koordinaten bei
den entsprechenden Grenzwerten liegen.
Eine systematische Verbesserung der asymptotischen Lösung ist möglich,
indem durch eine Störungsrechnung weitere Glieder zur Grenzlösung hinzugefügt
werden und die Lösung damit in Form einer asymptotischen Reihe ermittelt wird.
Ohne hier schon auf Einzelheiten einzugehen, muß grundsätzlich nach re-
gulären und singulären Störungsproblemen unterschieden werden. Reguläre Stör-
ungsproblerne erlauben eine asymptotische Lösung in Form einer Reihenentwick-
lung, die im gesamten Lösungsgebiet einheitlich gültig ist. Die (asymptotische)
Lösung derartiger Probleme stellt keine besondere Schwierigkeit dar, wie an meh-
reren Beispielen in diesem Buch demonstriert wird. Die Behandlung des Problems
variabler Stoffwerte im nachfolgenden Abschnitt 5.4 gehört in diese Kategorie.
Bei singulären Störungsproblemen ist die Situation schwieriger, weil mehr als
eine Entwicklung erforderlich ist. Für Einzelheiten bezüglich der Unterscheidung
nach regulären und singulären Störungsproblemen sei auf Abschnitt 11.2 verwiesen.
Für die Lösung singulärer Störungsprobleme haben sich im Laufe der Zeit verschie-
dene asymptotische Methoden herausgebildet. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit
sollen vier verschiedene asymptotische Methoden genannt werden.

M2-1: Methode der angepaßten asymptotischen Entwicklungen (engl.: method of


matched asymptotic expansions). Diese wichtigste asymptotische Methode
ist die Grundlage für die Behandlung singulärer Störungsprobleme in diesem
Buch, s. dazu besonders auch Kap. 11.
80 K. Gersten/ H. Herwig

M2-2: Methode der gleichmäßig gültigen Differentialgleichungen (engl.: method


of composite equations). Ein Beispiel für die Anwendung dieser Methode
wird in Kap. 10 im Zusammenhang mit den sog. schleichenden Strömungen
gegeben.
M2-3: Methode der mehrfachen Variablen (engl.: method of multiple scales)
M2-4: Methode der gestreckten Koordinaten (engl.: method of strained Coordina-
tes)
Da die beiden letztgenannten Methoden in diesem Buch nicht zur Anwendung
kommen, sei für Einzelheiten und Anwendungsbeispiele auf die Literatur verwiesen;
z.B. Van Dyke (1975a) und Schneider (1978).
In Bild 5.1 sind asymptotische Methoden gleichwertig mit den numerischen
und analytischen Methoden genannt. Konzeptionell besteht jedoch ein gewisser
Unterschied. Während die beiden anderen Methoden in der Regel direkt zu den
gewünschten Endergebnissen eines betrachteten Problems führen, ist das bei asymp-
totischen Methoden normalerweise zunächst nicht der Fall. Es verbleiben in der
Regel Gleichungsysteme, die analytisch oder numerisch gelöst werden müssen.
Entscheidend ist aber, daß diese nach dem Einsatz asymptotischer Methoden
gegenüber den Ausgangsgleichungen wesentlich vereinfacht sind.
Unabhängig von der konkreten Lösungsmethode lassen sich drei wesentliche
Merkmale bzw. Vorteile asymptotischer Methoden angeben.
(1) Allgemeingültigkeit: Lösungen eines Störungsproblems gelten als Näherungs-
lösungen für alle kleinen Werte der Störparameter, während z.B. numerische
Lösungen nur für einen endlichen, diskreten Wert dieses Parameters gelten.
Häufig ist es möglich, weitere Parameter eines Problems durch entsprechende
(asymptotische) Lösungsansätze zu separieren.
(2) Physikalische Interpretierbarkeit: Asymptotische Lösungen zeigen explizit,
wie die Probleme von bestimmten Parametern oder Koordinaten abhängen.
Häufig ist die explizite funktionale Abhängigkeit Teil der Lösung. Bei sin-
gulären Störungsproblemen trägt die Struktur der Lösung, häufig in Form
von zwei oder mehr Schichten bzw. von identifizierbaren Teilgebieten, wesent-
lich zum physikalischen Verständnis bei. Ein typisches Beispiel hierfür ist die
Grenzschichttheorie. Bei turbulenten Strömungen wird dies besonders deut-
lich, da diese als Wandgrenzschichten einen ausgeprägten Mehrschichtencha-
rakter besitzen, der durch eine asymptotische Betrachtungsweise klar zutage
tritt.
(3) Vereinfachte mathematische Form: Durch die Anwendung asymptotischer
Methoden werden die endgültig zu lösenden Gleichungen gegenüber den Aus-
gangsgleichungen des betrachteten Problems häufig drastisch vereinfacht. In
vielen Fällen sind statt partieller nur noch gewöhnliche Differentialgleichun-
5 Konzepte zur Lösung der Grundgleichungen 81

gen zu lösen. Nichtlinearitäten werden weitgehend beseitigt. Der Aufwand zur


Lösung der verbleibenden Gleichungen ist in vielen Fällen deutlich geringer.

Allgemein kann zu asymptotischen Methoden als Literatur empfohlen werden:


Nayfeh (1973), Van Dyke (1975a), Aziz and Na (1984), Schneider (1978), Eckhaus
(1979), Kevorkian and Cole (1981) und Lagerstrom (1988).

5.4 Methoden zur Erfassung des Einflusses variabler Stoffwerte


Bereits im Kap.2 war beschrieben worden, daß die Voraussetzung "konstante
Stoffwerte" nur in asymptotischen Grenzfällen erfüllt ist. In diesen Grenzfällen
besteht entweder eine verschwindende Abhängigkeit der Stoffwerte von Druck
und Temperatur oder Druck- und Temperaturunterschiede verschwinden in der
betrachteten Strömung.
In diesem Sinne kann der Zustand "konstante Stoffwerte" als der führende
Term einer asymptotischen Entwicklung interpretiert werden. Der Einfluß variabler
Stoffwerte wird dann durch Terme höherer Ordnung systematisch erfaßt. Bevor wie-
der am Beispiel der laminaren Couette-Strömung gezeigt wird, wie diese Störungs-
rechnung durchzuführen ist, sollen zunächst häufig verwendete nicht-asymptotische
Methoden vorgestellt werden, mit denen der Einfluß variabler Stoffwerte nähe-
rungsweise erfaßt werden kann. Mit Hilfe der asymptotischen Theorie läßt sich
anschließend zeigen, daß alle diese empirischen Methoden mit dem linearen Term
der asymptotischen Beschreibung identifiziert werden können. Dies ist nicht weiter
verwunderlich, da auch die empirischen Methoden von einer grundlegenden asym-
ptotischen Eigenschaft des betrachteten Systems ausgehen. Dies ist der in der Natur
real nie existierende Zustand konstanter Stoffwerte. Der Begriff "Einfluß variabler
Stoffwerte" ist nur auf dem Hintergrund des in Gedanken eingeführten Grenzfal-
les "konstante Stoffwerte" überhaupt sinnvoll. Eine solche Unterscheidung in einen
Grenzzustand und Abweichungen von diesem Grenzzustand ist aber die Grundlage
der asymptotischen Theorie.
In der Tat spielt der Begriff "Einfluß variabler Stoffwerte" überall dort keine
Rolle, wo von vornherein die vollständigen Abhängigkeiten der Stoffwerte von Druck
und Temperatur berücksichtigt werden.
Dieser Abschnitt behandelt Methoden, mit denen die Abweichungen von ei-
nem Grenzzustand bezüglich der Stoffwerte erfaßt werden können. Da dieser Grenz-
zustand bei natürlichen Konvektionsströmungen kein Fall konstanter Stoffwerte ist,
s. dazu Kap. 8, ist die übliche Indizierung mit "cp" (constant properties) für diese
Strömungen eigentlich irreführend.
Da es aber allgemein üblich ist, die Bezeichnung "konstante Stoffwerte"zu ver-
wenden, soll dies im Text auch dieses Buches geschehen. In den meisten Fällen wird
aber die Indizierung "0" verwandt, da es sich bei der Beschreibung dieses Grenzzu-
standes um die führende Ordnung einer asymptotischen Entwicklung handelt.
82 K. Gersten/ H. Herwig

Wie bereits bei der Herleitung der Grundgleichungen (vgl. Abschnitt 3.5) er-
folgt in bezugauf die Darstellung der Stoffwerteinflüsse zunächst eine Beschränkung
auf reine Stoffe bzw. auf Gemische mit fester Zusammensetzung. In Kap. 13 wird
der zusätzliche Einfluß der Konzentration betrachtet.

5.4.1 Empirische Methoden


Es sollen im folgenden zwei empirische Methoden vorgestellt werden, mit deren
Hilfe Ergebnisse, die unter der Annahme konstanter Stoffwerte gewonnen wurden,
bezüglich des Einflusses variabler Stoffwerte korrigiert werden können. Im weiteren
soll a* stellvertretend für die physikalischen Stoffwerte stehen, die in einem betrach-
teten System auftreten können. Dies sind die Stoffwerte {/ (Dichte), 'T/* (Viskosität),
c;
>. * (Wärmeleitfähigkeit), D* (Diffusionskoeffizient) und (isobare spez. Wärme-
kapazität).

a Methode der Stoffwertverhältnisse (Temperaturverhältnisse)


Hierbei wird das Ergebnis für konstante Stoffwerte, charakterisiert durch den
Reibungsbeiwert cro, 0 0)
die Nußelt-Zahl Nu (oder Nu und die Sherwood-Zahl Sh 0
(oder Sh0 ) mit geeigneten Potenzen der Verhältnisse bestimmter Stoffwerte bei
zwei verschiedenen Temperaturen multipliziert. Es stellt sich heraus, daß auf diese
Weise eine Korrektur nur bezüglich der Temperaturabhängigkeit möglich ist. Die
Korrekturansätze lauten also mit ai := a*(Ti) und a2 := a*(T2)

(5.7)

Sind alle Stoffwerte (eines reinen Stoffes) variabel, lautet der Ansatz also

~ = (Q!)m ('T/!)m17 ().!)m>. (C~l)mc


0
(5.8)
cro Q2 'T/2 >-2 cp2
Für die Nußelt- und Sherwood-Zahl gilt entsprechend

(5.9)

~
Sho
= rr· (Q!i)Pai .
a2i
(5.10)
I

Um die Zuordnung zu erleichtern, sind die Exponenten entsprechend der Basis in-
diziert. Die beiden Temperaturen sind zwei verschiedene charakteristische Tempe-
raturen des betrachteten Problems. Bei Durchströmungen sind dies in der Regel die
5 Konzepte zur Lösung der Grundgleichungen 83

Wandtemperatur (T;) und die kalorische Mitteltemperatur (T2), bei Umströmun-


gen die Wandtemperatur (T;) und die Außentemperatur (T2).
Für ein Modellfluid, bei dem nur die Viskosität variabel ist, lautet der Ansatz
für den Reibungsbeiwert z.B.

~ = (T7!)m71 (5.11)
cro 112
In der Realität existieren solche Stoffe nicht, es handelt sich um eine idealisierende
Modellannahme für Stoffe, bei denen die Temperaturabhängigkeit der Viskosität
sehr viel größer als die aller anderen Stoffwerte ist, wie dies in guter Näherung z.B.
für Wasser und viele Öle gilt.
Für Gase können die Stoffabhängigkeiten a*(T*) in sehr guter Näherung
durch Potenzgesetze beschrieben werden, so daß alle Stoffwerteinflüsse in einer
einzigen Temperaturfunktion zusammengefaßt werden können. Die Ansätze lauten
dann
Nu (Ti)n ~ = (Ti)P. (5.12)
Nu 0 = T2 ' Sh0 T2
Dies ist eine spezielle Form der Stoffwertverhältnis-Methode und wird in der
Literatur als Methode der Temperaturverhältnisse bezeichnet.
In den Kennzahl-Verhältnissen auf den linken Seiten von (5.7) bis (5.12) sind
die darin vorkommenden Stoffwerte stets bei derselben Temperatur zu nehmen, so
daß sie sich formal "herauskürzen" (z.B.: e*(T2) in Cf und in Cro)·

b Methode der Referenztemperatur

Hierbei wird das unter der Annahme konstanter Stoffwerte gewonnene Ergebnis
für cro, Nu0 bzw. Sh0 formal unverändert beibehalten. Alle darin vorkommenden
Stoffwerte werden jedoch bei einer zunächst unbekannten Temperatur, der sog. Re-
ferenztemperatur, genommen. Diese Referenztemperatur ist so zu wählen, daß die
Ergebnisse für variable Stoffwerte formal durch die Beziehungen für konstante Stoff-
werte wiedergegeben werden. Für die Referenztemperatur wird folgender Ansatz
gewählt:
Tr* =Ti+ j(T2 - T;), (5.13)
so daß j zwischen zwischen 0 und 1 liegt, wenn für die Referenztemperatur
Ti < Tr* < T2 gilt.
Bei dieser Methode muß der Faktor j bestimmt werden. Bei Anwendung der
asymptotischen Theorie stellt sich später heraus, daß der Faktor j für Impuls-,
Wärme- und Stoffübergang im allgemeinen nicht denselben Zahlenwert hat. Aus
diesem Grunde sollte eine Indizierung als jcf• jNu und Jsh vorgenommen werden.
Dies wird leider häufig übersehen.
84 K. Gersten/ H. Herwig

Im Fall j = 0, 5 wird die Referenztemperatur in der Literatur als Filmtem-


peratur bezeichnet. Diese wurde von Eckert (1955) als allgemeine Referenztempe-
ratur vorgeschlagen. Mit Hilfe der asymptotischen Theorie läßt sich zeigen, daß
j = 0, 5 jedoch nur für spezielle Fälle die richtige Referenztemperatur im Sinne der
Referenztemperatur-Methode ist.
Im allgemeinen ist bei der Referenztemperatur-Methode folgendermaßen vor-
zugehen. Ausgangspunkt sind die Gesetze für konstante Stoffwerte, die die Kenn-
zahlen cro, Nu0 und Sh0 als Funktionen anderer charakteristischer Kennzahlen be-
schreiben. Diese Funktionen sind problemspezifisch, für die Couette-Strömung sind
dies (2.8), (2.21) und (2.48). Für andere Strömungen kommen gegenüber den Glei-
chungen für die Couette- Strömung weitere Abhängigkeiten hinzu. Für laminare
Grenzschichten (vgl. (7.25), (7.26), (13.26)) z.B. gilt folgende Abhängigkeit von den
Kennzahlen:

cro = F 1 (Re0 ) (5.14)


Nu 0 = F 2 (Re 0 , Pr0 , Ec 0 ) (5.15)
Sh0 = F 3 (Re0 , Sc0 ). (5.16)

Alle Stoffwerte liegen bei der Bezugstemperatur Tß vor. Bei Durchströmungen


wird dies in der Regel die kalorische Mitteltemperatur, bei Umströmungen die
Außentemperatur sein. Diese Beziehungen sollen formal auch bei variablen Stoff-
werten gelten, wenn alle Stoffwerte, die in den Kennzahlen auftreten, bei der Refe-
renztemperatur Tr* genommen werden. Es soll also gelten

Beide Methoden, Stoffwertverhältnis-Methode und Referenztemperatur-


Methode, sind ursprünglich rein empirische Methoden. Im folgenden Kapitel wird
deutlich, wie die Konstanten m, n, p und j dieser Methoden analytisch aus den
Grundgleichungen gewonnen werden können. Nur so lassen sich die genauen Para-
meterabhängigkeiten klären, und nur auf diesem Wege kann eine eindeutige Ent-
scheidung getroffen werden, welche Stoffwerte a* in den Ansätzen (5.7) bis (5.10)
berücksichtigt werden müssen.
5 Konzepte zur Lösung der Grundgleichungen 85

5.4.2 Asymptotische Methode


a Vorbemerkung
Der Ausgangspunkt ist eine Taylor-Reihenentwicklung der Stoffwerte a* ( = e*,
ry*, ... ) in einem Bezugspunkt Tß, pß (Basiszustand). Mit der dimensionslosen
Temperaturdifferenz e := (T* - Tß)/Tß und der dimensionslosen Druckdifferenz
P:= (p*- pß)/pß gilt für a := a* /aß

a = 1 + K al e + K-alP- + 21 K a2 e 2 + 2K a2P- 2 + f< a2P-e + · · · ·


1 (5.20)

Die Ka- Werte in (5.20) sind dimensionslose Stoffwerte, vergleichbar mit der Prandtl-
Zahl, und zwar gilt

Kal: = [ äa* T*]


8T* a * B '
-
K ·- [ äa*
al . -
p*]
äp* a* B
(5.21)

Ka2: = [82a*T* 2 ]
8T*2 a* B '
K- a2 ·- ß2a*-
[- p* 2]
. - 8p*2 a* B
(5.22)

[ 8 2a* T*p*] . (5.23)


f<a2: =
8T*8p* a* B

Im Anhang A2 sind Zahlenwerte von Ka 1 und Ka 1 für Luft (als typischem Beispiel
für Gase) und Wasser (als typischem Beispiel für Flüssigkeiten) aufgeführt. Dabei
zeigt sich, daß die Druckabhängigkeit für alle Stoffe mit Ausnahme der Gase jeweils
um mehrere Größenordnungen kleiner als die entsprechende Temperaturabhängig-
keit ist. Wegen dieser extrem niedrigen Werte soll im weiteren die Druckabhängigkeit
vernachlässigt werden. Es muß aber betont werden, daß die Druckabhängigkeit ge-
nauso erfaßt werden könnte, wie dies im folgenden für die Temperaturabhängigkeit
demonstriert wird (s. dazu Anmerkung 2 am Ende von Kap. 6 und Beispiel16.8 in
Kap. 16). Die Vernachlässigung der Druckabhängigkeit auch für Gase bedeutet die
Beschränkung auf kleine Mach-Zahlen (asymptotisch den Grenzfall Ma-+ 0), wie
in Abschnitt 7.7 gezeigt wird.
Unter dieser Voraussetzung verbleibt also die Temperaturabhängigkeit der
Stoffwerte. Für kleine Temperaturunterschiede in der betrachteten Strömung, d.h.
für kleine Wärmestromdichten, ist die dimensionslose Temperaturdifferenz e ein
kleiner Zahlenwert. Dies wird deutlich, wenn 8 folgendermaßen umgeschrieben wird:

e (T* - T*)
B !:::.T*
B (5.24)
= /:::,.T,* T,* .
B B
Dabei ist I:::.Tß eine charakteristische Temperaturdifferenz des Problems, z.B. die
Differenz zwischen den Wandtemperaturen bei der Couette-Strömung. Diese Form
ist für die thermische Randbedingung T:, = const sinnvoll. Die entsprechenden
Größen bei der Randbedingung q;,
= const sind in Tabelle 5.1 enthalten. Dabei
86 K. Gersten/ H. Herwig

ist dann q~ eine charakteristische Wandwärmestromdichte. Der erste Faktor in


(5.24), (T*- Tß)/ 6.Tß, bleibt für verschwindenden Wärmeübergang, das heißt für
6.Tß ---+ 0, als eine Größe der Größenordnung eins erhalten. Der zweite Faktor
strebt aber gegen null. Diese kleine Größe wird E: genannt und erfüllt im weiteren
die Funktion eines Störparameters. Es gilt also
6.T*B
"'.
c.=~ für r:, = const . (5.25)
B

r:, = const q~ = const


e T*-Tß .6Tß
.6Tß T*B
T*-Tß
q~Lß/-Xß
q;_,Lß/-Xß
T*B
.6Tß q;_,Lß
E: T*B -XßTß
T*-Tß T*-Tß
{}
.6Tß q~Lß/-Xß

Tabelle 5.1: Definition von 8, c und{} für die thermischen Randbedingungen T:_ = const (z.B.
mit 6Tß = r;- Tß) und q;_, = const

Damit lautet die Stoffwertentwicklung, die nur noch die Temperaturabhängigkeit


berücksichtigt,

(5.26)

wobei für {} gilt


T* -Tß
{} := 6.T* für r:, = const . (5.27)
B

Das Größenordnungssymbol O(c3 ) in (5.26) beschreibt das Restglied als "von der
Größenordnung c3 ", die genaue Definition folgt in Kap. 7, Gleichung (7.11). Ausge-
hend von der Stoffwertentwicklung (5.26) kann eine reguläre Störungsrechnung zur
Erfassung des Einflusses variabler Stoffwerte durchgeführt werden, wie dies ausführ-
lich von Herwig (1985b) beschrieben ist und im folgenden kurz erläutert wird.

b Anwendungsschema für die asymptotische Methode


An dieser Stelle soll die Methode wieder am Beispiel der laminaren Couette-
Strömung erläutert werden (thermische Randbedingung: T:, = const). Mit den An-
nahmen ry* = ry*(T*); r/, .X*, D*, c~ = const, U* ---+ 0 (keine Dissipation) soll ein
möglichst einfaches Beispiel gewählt werden, weil es an dieser Stelle um die Dar-
stellung der Methode geht. Es soll auch nur die Korrektur des Reibungsbeiwertes
hergeleitet werden. Alle Erweiterungen durch abweichende Annahmen bzw. die Kor-
rekturen für die Nußelt- und Sherwood-Zahlen sind dann auf ganz analogen Wegen
5 Konzepte zur Lösung der Grundgleichungen 87

möglich. Aus Gründen der Übersichtlichkeit empfiehlt es sich, die asymptotische


Betrachtung in fünf Einzelschritte S1 bis S5 zu unterteilen.

(S1) Aufstellen der dimensionslosen Grundgleichungen des betrachteten Problems


Für das Beispiel der laminaren Couette-Strömung mit temperaturabhängiger Visko-
sität werden die Bilanzgleichungen für Impuls und Energie benötigt. Die Bezugstem-
peratur sei die Temperatur der unteren Wand, Tß = Twu, die Temperaturdifferenz
in (5.27) sei ~Tß := Two - Twu· Mit den weiteren Bezugsgrößen H* (halbe Ka-
nalhöhe) und U* (Differenzgeschwindigkeit zwischen den beiden Platten) lauten die
dimensionslosen Gleichungen (4.2) und (4.4) für diesen Fall

0 = .!!_
dy
(1] du)
dy
(5.28)

d2'19
0 = dy2 (5.29)

mit den Randbedingungen


y =0: u='l9=0 (5.30)
y = 2: u='l9= 1, (5.31)
wobei nach (5.26) gilt

(5.32)

(S2) Aufstellen von Störansätzen für alle abhängigen Variablen


Analog zur Taylor-Reihenentwicklung der Stoffwerte (hier der Viskosität nach
(5.32)) werden Störansätze für alle abhängigen Variablen (hier u und 19) formuliert.
Gleichung (5.29) zeigt aber, daß '19 aufgrundder hier getroffenen Annahmen (>.* =
const) frei von Stoffwerteinflüssen ist und somit nur eine Entwicklung für u benötigt
wird. Der Ansatz lautet
(5.33)
Das Ziel dieses Ansatzes ist es, anschließend Gleichungen für die Funktionen u 0 (y),
u 1 (y), ... zu erhalten, die frei von c und vor allem auch frei von allen K'7-Werten
sind. Diese Forderung ist nur zu erfüllen, wenn statt einer Funktion u 2 (y) in
der Ordnung O(c 2 ) eine Aufspaltung in die zwei Funktionen u 21 (y) und u 22 (y)
vorgenommen wird, wie im nächsten Schritt leicht zu erkennen ist.
(S3) Herleiten der Gleichungssysteme für die einzelnen Ordnungen und deren
Lösungen
Die Stoffwertentwicklung gemäß (5.32) und die Störansätze aus dem vorherigem
Schritt S2 sind in die Grundgleichungen aus Schritt S1 einzusetzen. Im hier
88 K. Gersten/ H. Herwig

betrachteten Beispiel ist dies nur (5.28). Es entstehen dann Terme frei von c und
K 17 -Werten, solche mit dem Faktor cK171 , solche mit c 2 K 172 und c2 K~ 1 . Man erkennt
sofort, daß (5.28) erfüllt ist, wenn folgende Gleichungen für die Terme der jeweils
gleichen Ordnung erfüllt sind :
0 = d2uo (5.34)
dy2

0 = .!!._ ('13 du 0 ) + d2u 1 (5.35)


dy dy dy2
0= .!!._ (?J2duo) + d2u21
dy 2 dy dy2
(5.36)

0 = .!!._ ('13 du1) + d2u22 . (5.37)


dy dy dy2
Die Randbedingungen ergeben sich aus (5.30) und (5.31) zu
y = 0: ui = 0, i = 0, 1, 21, 22 (5.38)
y=2: u0 = 1, ui = 0, i = 1, 21, 22.
(5.39)
Die Lösungen erfolgen durch einfache Integration unter Berücksichtigung der Rand-
bedingungen. Sie lauten mit '13 = y/2 gemäß (5.29)
u0 = '#. (5.40)
2
u1 = ~ (1- ~) (5.41)

u21 = 12
y (1- 4y2) (5.42)

y ( 1 + 2y
u22 = - 24 3 - y 2) . (5.43)

(S4) Aufstellen der Korrekturbeziehung für variable Stoffwerte


Für die Couette-Strömung soll die Korrekturbeziehung für den Reibungsbeiwert
hergeleitet werden. Aus der Definition von cf als cf := 2r!/(e*U* 2 ) und dem
Newtonsehen Reibungsgesetz (2.2), spezifiziert an der unteren Wand (dann gilt
1] = ry* fry*(Twu) = 1), folgt durch einfache Umformung

cfRe = 2 ( ~~) w

- 2 (duo
- dy + € K 171 du1
dy + €
2K du21
172 d
y +€
2K2 du22 0(
171 d
y + €
3)) w
.
(5.44)

Für konstante Stoffwerte gilt

(cfRe) 0 = (2~~) w = 1, (5.45)


5 Konzepte zur Lösung der Grundgleichungen 89

so daß unter Verwendung der Zahlenwerte aus den Lösungen (5.40) bis (5.43)
folgende Korrekturbeziehung entsteht :

(5.46)

(S5) Formulierung der Ergebnisse in der Form der Stoffwertverhältnis- bzw.


Referenztemperatur-Methode

Die gesuchte Korrekturbeziehung liegt mit (5.46) bereits in Schritt S4 vor. Dieses
Ergebnis kann aber noch so umgeformt werden, daß es den Ergebnissen der eingangs
vorgestellten "empirischen" Methoden entspricht. Auf diese Weise gelingt es, alle
empirischen Konstanten auf analytischem Wege zu bestimmen, wie wieder am
Beispiel der Couette-Strömung gezeigt werden soll.

(1) Stoffwertverhältnis-Methode

Der Ansatz für einen Stoff, bei dem nur die Viskosität temperaturabhängig ist,
lautet nach der Stoffwertverhältnis-Methode, vgl. (5.11),

(5.47)

Gegenüber (5.11) ist die Korrekturbeziehung nicht für er, sondern für erRe formu-
liert (s. dazu die Erläuterungen im Zusammenhang mit (2.9)). Die beiden charak-
teristischen Temperaturen Ti = Two und T2 = Twu sind die obere und untere
Wandtemperatur. Nach einer Entwicklung in eine binomische Reihe unter Verwen-
dung von (5.26) lautet (5.47)

(5.48)

Ein Vergleich mit dem Ergebnis (5.46) aus Schritt S4 ergibt

(5.49)

Dieses Ergebnis folgt aus der Gleichheit der Beziehungen (5.46) und (5.48) bis
zur ersten Ordnung einschließlich. Sollen auch die Terme der Ordnung O(c 2 )
übereinstimmen, ist m'7 keine Konstante mehr, sondern eine Funktion von c und
K'7-Werten. Die Forderung, daß der Exponent eine Konstante sein soll, führt
notwendigerweise zu einer Beschränkung auf lineare Effekte in bezug auf c. Mit
konstanten Exponenten ist die Stoffwertverhältnis-Methode damit eine "lineare"
Methode.
90 K. Gersten/ H. Herwig

(2) Referenztemperatur-Methode

Der empirische Ansatz bei dieser Methode lautet gemäß (5.17), vgl. (5.45),

(5.50)

woraus unmittelbar folgt

(5.51)

Hierbei wurde (5.32) benutzt und gemäß (5.13) für die gesuchte Referenztemperatur
Tr* angesetzt
(5.52)

Der Vergleich mit dem Ergebnis (5.46) ergibt unmittelbar

(5.53)

wobei auch hier die notwendige Beschränkung auf eine Übereinstimmung bis zum
linearen Term gilt und damit auch diese Methode eine "lineare" Methode ist.

c Vergleich : asymptotische Theorie I vollständige Lösung

Abschließend sollen die asymptotischen Ergebnisse mit einer vollständigen Lösung


verglichen werden. Dazu soll ein Modellfluid mit folgenden Eigenschaften herange-
zogen werden:

e* , "'\ * , cP* = const , ry* (T*) = ry* (Tß)e-e, 8 = (T*- Tß)/Tß. (5.54)

Für dieses Modellfluid können die Grundgleichungen, (5.28) bis (5.31) in Schritt
81, unmittelbar integriert werden. Man erhält somit eine vollständige Lösung. Das
vollständige Widerstandsgesetz lautet

(5.55)

In diesem Zusammenhang hat c natürlich nicht die Funktion eines Störparameters,


sondern steht als Zahlenwert für die vorgegebene Temperaturdifferenz zwischen den
Wänden (c := (Two- Twu)/Twu)·
5 Konzepte zur Lösung der Grundgleichungen 91

Bei Anwendung der Störungsrechnung lautet das Ergebnis für das Wider-
standsgesetz
(5.56)

Dies ist die Auswertung des asymptotischen Ergebnisses (5.46) für das Modellfluid,
bei dem für alle Temperaturen Tf3 gilt : K 111 = -1 und K 112 = 1. Es ist aber auch
gleich der Reihenentwicklung des exakten Ergebnisses (5.55) für kleine c. Bild 5.3
zeigt die gute Übereinstimmung selbst bei großen Werten des Störparameters. Für
c = 1 beträgt die Abweichung vom exakten Wert für die lineare Theorie 14%,
für die Theorie bis zur Ordnung O(c 2 ) nur 0.2 %. Dies ist eine wohl zunächst
unerwartet geringe Abweichung, da der Wert c = 1 den Fall beschreibt, bei dem die
Temperaturdifferenz der absoluten Temperatur der unteren Wand entspricht, also
für praktische Fälle bei Werten von etwa 300 K liegt!

1.0
c1Re
-- - __
....
__ _
-- --
....

............ _
0.5

0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 E: 1.0


Bild 5.3: Einfluß des Wärmeübergangs auf das Widerstandsgesetz der Couette-Strömung eines
Modellfluides mit der Viskosität 17*(T*) = 1'/*(Twul exp[(T* - Twu)fTwul; Vergleich
der exakten und der asymptotischen Ergebnisse, E: = (Two- TV.,J/Twu
------ bis 1. Ordnung, bis 2. Ordnung: asymptotische Theorie
oooooooo exakte Lösung

Häufig reicht es aus, nur den linearen Term der asymptotischen Theorie zu be-
trachten, zumal damit bereits die Genauigkeit erzielt wird, die prinzipiell mit den
genannten "empirischen" Methoden überhaupt nur erreicht werden kann. In Ab-
schnitt 11.9 wird dieses Beispiel wieder aufgegriffen. Dort wird gezeigt, wie die Ent-
wicklung computerunterstützt zu sehr viel höheren Ordnungen fortgesetzt werden
kann.

d Wichtige Eigenschaften der asymptotischen Methode


Folgende fünf Eigenschaften charakterisieren die asymptotische Methode zur Erfas-
sung des Einflusses variabler Stoffwerte :
(1) Die Methode ist prinzipiell auf alle Strömungen anwendbar. Dies umfaßt
insbesondere auch turbulente Strömungen, wobei das grundsätzlich ungelöste
Turbulenzproblem die konkrete Anwendung erheblich erschwert, vgl. die
späteren Abschnitte 15.10, 16.1.7, 18.2 und 20.2.
92 K. Gersten/ H. Herwig

(2) Die Ergebnisse sind universell in folgendem Sinne:


Für einen bestimmten Strömungstyp (z.B. laminare Couette-Strömung mit
T:, = const) erhält man aus der einmal durchzuführenden Rechnung Nähe-
rungslösungen (im asymptotischen Sinne) für alle Fluide, da die dimensions-
losen Stoffwerte Ko. erst im Endergebnis spezifiziert werden. Es entfällt damit
insbesondere auch die bei empirischen Methoden häufig getroffene Unterschei-
dung zwischen Gasen und Flüssigkeiten.
Die einmal gewonnene Lösung gilt in einem asymptotischen Sinne für alle
Werte des Störparameters, was am Beispiel der Couette-Strömung bedeutet:
für alle (kleinen) Temperaturdifferenzen. Der Vergleich mit einer exakten
Lösung zeigte am Beispiel der Couette-Strömung, daß für die praktische
Anwendung selbst ein Zahlenwert des Störparameters von eins noch eine gute
Näherung ergab.
(3) Die Methode ist vollständig frei von empirischen Informationen. Empirische
Daten, die bei turbulenten Strömungen benötigt werden, sind ausschließlich
aufgrundder Turbulenzbeschreibung erforderlich.
(4) Die asymptotische Methode erlaubt die getrennte Erfassung der Einflüsse der
verschiedenen an einem Problem beteiligten Stoffwerte. Dies ist von großem
Vorteil, da sich die Einflüsse verschiedener Stoffwerte häufig kompensieren
und somit bei nichtasymptotischen Methoden eine eindeutige Zuordnung der
Effekte zu den einzelnen Stoffwerten nicht möglich ist.
(5) Die Ergebnisse der asymptotischen Methode ermöglichen die exakte Bestim-
mung der einzelnen Größen in den "empirischen" Methoden und lassen diese
letztlich zu empiriefreien Methoden werden. Zum Beispiel kann für die Me-
thode der Stoffwertverhältnisse aufgrund der asymptotischen Ergebnisse ein-
deutig geschlossen werden, welche Stoffwerte in der Korrekturbeziehung vor-
kommen müssen und von welchen Parametern die einzelnen Exponenten
abhängen.
Die asymptotische Methode zur Bestimmung des Einflusses variabler Stoffwerte
wird in den folgenden Kapiteln auf verschiedene Strömungen angewandt. Darüber
hinausgehende Anwendungen findet man z.B. bei Herwig (1988), Herwig und Körber
(1989) sowie Herwig und Koch (1990).

Beispiel 5.1: Laminare Couette-Strömung mit variablen Stoffwerten

Die jetzt betrachtete Situation stellt eine Erweiterung des in Abschnitt 5.4.2 b beschriebenen Falles
dar. Es sollen jetzt das Widerstands- und das Wärmeübergangsgesetz der Couette-Strömung für ein
Fluid bestimmt werden, bei dem alle Stoffwerte variabel sind. Zusätzlich soll auf die Voraussetzung
U* -+ 0 verzichtet werden, so daß die Dissipationseffekte mitberücksichtigt werden. Aus Gründen
der Übersichtlichkeit werden nur die linearen Abweichungen vom Ergebnis für konstante Stoffwerte
ermittelt, die jedoch bereits die entscheidenden Stoffwert-Einfiüsse erfassen und für viele praktische
Anwendungen vollkommen ausreichen.
5 Konzepte zur Lösung der Grundgleichungen 93

Wie in Abschnitt 5.4.2 b erfolgt die Berechnung wieder in fünf Schritten.

(S1) Grundgleichungen
Die dimensionslosen Bilanzgleichungen für Impuls und Energie lauten jetzt (Randbedingung wie
in Abschnitt 5.4.2 b)

0 =~
dy
(TJdu)
dy
(B5.1-1)

2
0 =d- ( >.-
diJ) +TJBr (du)
- (B5.1-2)
dy dy dy

Da es sich weiterhin um eine ausgebildete Strömung handelt (8u/8x 0), spielen sowohl die
Dichte e* als auch die spezifische Wärmekapazität c~ keine Rolle. Beide Stoffwerte treten im
Zusammenhang mit den Konvektionstermen auf den jeweils linken Gleichungsseiten auf (vgl.
hierzu die vollständigen Grundgleichungen (4.2) und (4.4) ). Diese sind für ausgebildete Strömungen
jedoch nicht vorhanden. Aus diesem Grunde tritt auch die Prandtl-Zahl Pr= TJ*c~/>.* nicht als
eigenständiger Parameter des Problems auf. Dies gilt aber nur in Fällen, in denen über die Wand
hinweg kein Fluid abgesaugt oder ausgeblasen wird, da sonst auch für ausgebildete Strömungen
Konvektionsterme vorhanden wären, s. dazu die Anmerkung am Ende von Abschnitt 2.5.
Durch die Berücksichtigung der Dissipation tritt in (B5.1-1) und (B5.1-2) jetzt ein weiterer
dimensionsloser Parameter auf. Dieser wird nach H.C. Brinkman als Brinkman-Zahl bezeichnet
und lautet im Falle der Couette-Strömung

TJ* U* 2 PrEc
Br := Wu = PrEc = - - , (B5.1-3)
>-tvu (Two - T.Wul D.T

Für die Stoffwerte in den Grundgleichungen gelten die Taylor-Reihenentwicklungen, die den
Ausgangspunkt für die Formulierung des Störungsproblems darstellen, also

TJ =1+ cK.,., 1iJ + O(c 2 ) (B5.1-4)

>. = 1 + cK>. 1iJ + O(c 2 ) (B5.1-5)

mit c = b.T = (Two- Twu)fTwu·

(S2) Störansätze
Als abhängige Variable treten jetzt u und iJ auf, für die folgende Ansätze notwendig und
hinreichend sind, um eine Formulierung frei von c, K.,., 1 , K>. 1 und Br zu erreichen:

u = u 0 + cK.,., 1 (u 11 + Bru 12 ) + O(c2) (B5.1-6)


iJ = iJI + Br iJu (B5.1-7)
iJI = iJw + cK>.1 (iJm + Br iJ112) + O(c 2) (B5.1-8)
iJu = iJuo + cK>.l (iJuu + BriJm2l + cK.,.,l (iJm3 + BriJul4) + O(c 2 ) · (B5.1-9)

Mit dem Ansatz (B5.1-7) gelingt es, auch die Abhängigkeit von der Brinkman-Zahl explizit
zu formulieren. Dies ist möglich, weil die Energiegleichungen der einzelnen Ordnungen lineare
Gleichungen sind und damit eine Aufspaltung der Temperaturfunktionen iJ 0 , iJ 11 , . . . in zwei
Summanden iJ 10 +BriJu 0 , ... gestatten. Wie man sich leicht überzeugen kann, sind die Gleichungen
für iJw, iJu 0 , ... dann frei von der Brinkman-ZahL Da die thermischen Randbedingungen (5.30)
und (5.31) für alle Brinkman-Zahlen erfüllt sein müssen, sind diese Randbedingungen von iJ1 allein
zu erfüllen. Für iJu gelten dann homogene Randbedingungen (d.h.: iJu(O) = iJu(2) = 0).
94 K. Gersten I H. Herwig

(S3) Teil-Gleichungssysteme; Lösungen

Wie in Abschnitt 5.4.2 b demonstriert, können nach Einsetzen der Störansätze und Stoffwertent-
wicklungen in die Grundgleichungen elf Bestimmungsgleichungen für die Funktionen ui, 19n und
19m hergeleitet werden. Deren Lösungen lauten mit y := y* I H*

(B5.1-10)

(B5.1-11)

(B5.1-12)

y ( 1+-y-y
19uu=--
24
3
2
2) (B5.1-13)

y2 ( 1-y+-
19m2=-- y2) (B5.1-14)
32 4

19u13 = -y ( 1 - -y
3 + -y2) (B5.1-15)
6 4 8

19u 14 = -y ( 1 - Y + -y2 - -y3) (B5.1-16)


48 2 8

(S4) Korrekturbeziehungen

Wie in Abschnitt 5.4.2 b beschrieben, ergibt sich folgende Beziehung für den Reibungsbeiwert:

- - ) = 1 + cK711 ( -1 + -Br) + O(c 2) ,


-(crRe (B5.1-17)
crRe 0 2 12

die für Br = 0 (keine Dissipation) mit (5.46) übereinstimmt.


Analoge Beziehungen können auch für die beiden Nußelt-Zahlen an der unteren und der
oberen Wand aufgestellt werden. Wegen des Einflusses der Dissipation ist, wie in Abschnitt 2.4
erläutert wurde, Nu die adäquate Wärmeübergangsfunktion und nicht Nu.
Zum Beispiel gilt für Nuu mit dem Fouriersehen Wärmeleitungsgesetz und >.ß = >.*(T\Vu),
b.T := (Two- TV.,u)ITwu

Nu := (-q\vu)H* =b.T(d19) =b.T(d191 +Brd19u) (B5.1-18)


u >.ß Twu dy wu dy dy Wu

Im Grenzfall konstanter Stoffwerte ist dies

Nuuo = b.T (d19ro + Brd19uo) = ~b.T (1 + Br) ' (B5.1-19)


dy dy Wu 2 2

was unter Berücksichtigung von (B5.1-3) auf die Form von (2.33) führt.
Die Korrekurbeziehungen lauten damit

Nu 1 ~Br + ..l..Br 2
~ = 1+cK 1 - - +cK 3 12 +O(c 2) (B5.1-20)
Nuuo .>.. 2 + Br 711 2 + Br
Nu -1 + Br -l!Br- ...!.Br2
.",......-2- = 1 + cK - - - + cK711 6 12 + O(c 2). (B5.1-21)
N Uoo .Xl 2 - Br 2 - Br
5 Konzepte zur Lösung der Grundgleichungen 95

(S5) Stoffwertverhältnis- und Referenztemperatur-Methode


(1) Stoffwertverhältnis-Methode
Die Ansätze nach dieser Methode lauten, vgl. dazu Abschnitt 5.4.1 a,

crRe _ • )m'l
('Yiwo (85.1-22)
(crRe)o - 'Yiwu '
wobei die Exponenten wiederum durch den Vergleich mit den Ergebnissen aus Schritt S4 ermittelt
werden können. Sie lauten für die Unterseite, vgl. (85.1-17) und (85.1-20),
6 + Br Br 8 + Br 1
m'l = ---u-• n'l = 12 Br + 2' n.\ = Br + 2' (85.1-23)

und entsprechend für die Oberseite


6+Br Br 10 + Br Br-1
m'l = ---u-• n'l = 12 Br- 2' n.\ = ---.
2- Br
(85.1-24)

Im Spezialfall Br = -2 gilt Nuuo = 0, d.h. für konstante Stoffwerte liegt eine adiabate Wand
vor (q\vu = 0). Statt der Korrekturbeziehung (85.1-20) muß dann Nuu unmittelbar aus (85.1-18)
bestimmt werden. Entsprechendes gilt bei Br = 2 an der oberen Wand.

(2) Referenztemperatur-Methode
Die Ansätze nach dieser Methode lauten, vgl. dazu Abschnitt 5.4.1 b,
(85.1-25)

-
NUur = 21 t:.T ( 1 + 21 Br, ) (85.1-26)

(85.1-27)

Mit dem Referenztemperatur-Ansatz T: = Twu + j(Tw0 - Twu) lauten die Korrekturbeziehungen


er Re= 1 + eK'1 1 j + O(e 2 ) (85.1-28)

Nuu = ~L:.T([1 + eK.\ 1 j] + ~Br[1 + eK'1 1 j]) + O(e 2 ) (85.1-29)


2 2

Nu0 = ~L:.T([1 + eK.\d]- ~Br[1 + eK'1 1 j]) + O(e2 ) (85.1-30)


2 2
Hier werden nun die Grenzen dieser Methode sichtbar. Der Vergleich mit den Ergebnissen aus
Schritt S4 ergibt für das Widerstandsgesetz

(85.1-31)

Für das Wärmeübergangsgesetz besteht aber keine Möglichkeit, j so zu bestimmen, daß z.B.
(85.1-29) mit dem entsprechenden Ergebnis aus S4 übereinstimmt. Gleichung (85.1-18) lautet in
vergleichbarer Form

Nuu = ~t:.T([1 + eK.\ 1 { ~ + Br 11J] + ~Br[1 + eK'1 1 U + Br 112 }

(85.1-32)

Nur für den Fall ohne Dissipation ist eine Übereinstimmung möglich. Dann gilt mit Br = 0

(85.1-33)
96 K. Gersten I H. Herwig

Für den allgemeinen Fall (Br i- 0) versagt die Methode. Dies war zu erwarten, da es nicht gelingen
kann, zwei voneinander unabhängige Effekte (erzwungene Wärmeübertragung und Dissipation)
mit einem Korrekturfaktor zu erfassen.

Anmerkung (Asymptotische Größenordnung von Br)

Bei der Aufspaltung von ß gemäß (BS.l-7) ist implizit vorausgesetzt worden, daß die Brinkman-
Zahl in einem asymptotischen Sinne, hier also bezüglich e, von der Größenordnung eins ist, was
üblicherweise als Br = 0(1) geschrieben wird. Nur unter dieser Voraussetzung ist z.B. ein Term
BreK.ußu 11 von der Größenordnung O(e). Physikalisch bedeutet die Voraussetzung Br = 0(1)
wegen Br = 71wu u· 2 I ( Awu (Two - Twu)) und € = (Two - Twu) ITwu, daß für € --+ 0 auch die
Dissipation entsprechend klein werden muß. Dies ist physikalisch aber nur durch u• --+ 0 zu
realisieren. Der asymptotische Grenzfall e --+ 0 als Ausgangspunkt der Störungsrechnung ist also
die Couette-Strömung im doppelten Grenzfall (Two- T\Vu)--+ 0 und u•--+ 0.

5.5 Zusammenfassung
1.) Die theoretische Lösung physikalischer Probleme beginnt stets mit der Ent-
wicklung eines physikalisch/mathematischen Modells, das in den meisten
Fällen aus einem Satz von Grundgleichungen besteht. Diese Gleichungen
müssen dann exakt oder näherungsweise gelöst werden. Dazu können numeri-
sche, asymptotische oder (in seltenen Fällen) auch analytische Methoden zum
Einsatz kommen.
2.) Der Grundgedanke bei asymptotischen Methoden besteht darin, Lösungen
für Grenzwerte von Parametern oder Koordinaten zu suchen und diese an-
schließend als Näherungslösungen für endliche Parameter- bzw. Koordinaten-
werte zu verwenden. Durch die Anwendung asymptotischer Methoden werden
die endgültig zu lösenden Gleichungen gegenüber den Ausgangsgleichungen
des betrachteten Problems häufig drastisch vereinfacht.
3.) Wesentliche Vorteile asymptotischer Methoden gegenüber rein numerischen
Methoden sind die größere Allgemeingültigkeit der asymptotischen Lösungen,
die bessere physikalische Interpretierbarkeit der Ergebnisse und die meist
wesentlich vereinfachte mathematische Form der verbleibenden Gleichungen.
4.) Der Einfluß variabler Stoffwerte kann mit Hilfe der asymptotischen Theo-
rie systematisch erfaßt werden, wenn alle vorkommenden Stoffwerte in eine
Taylorreihe um einen Bezugspunkt Tß, pß entwickelt werden. Dieser Vorge-
hensweise ist gegenüber weitverbreiteten empirischen Methoden der Vorzug
zu geben, weil dabei bereits mit dem linearen Term der Entwicklung alle
bisher empirisch gewonnenen Informationen ohne Empirie aus den zugehöri-
gen Grundgleichungen abgeleitet werden können. Darüber hinaus sind weitere
Korrekturen durch Terme höherer Ordnung möglich.
6 Ausgebildete Durchströmungen

6.1 Vorbemerkung
Strömt Fluid aus der Umgebung in ein Rohr bzw. einen Kanal ein, so treten im Ein-
laufhereich Umbildungsprozesse in der Strömung auf. Mit wachsender Lauflänge x*
werden die Veränderungen des Geschwindigkeitsprofiles stets kleiner, so daß die
Strömung für x* IR* --+ oo bzw. x* I H* --+ oo einem asymptotischen Grenzzustand,
dem ausgebildeten Zustand, zustrebt. Diese dann ausgebildete Strömung ist durch
ein x* -unabhängiges Geschwindigkeitsprofil gekennzeichnet. Der Begriff der "aus-
gebildeten Strömung" soll aber in einer erweiterten Bedeutung verwendet werden.
Danach bezieht sich dieser Begriff nicht nur auf Strömungen, bei denen für große
Lauflängen an verschiedenen Stellen x* identische Geschwindigkeitsprofile vorliegen,
sondern auch auf solche Strömungen, bei denen die Profile erst nach einer geeig-
neten Normierung diese Eigenschaft aufweisen. Aus mathematischer Sicht gelingt
für solche Strömungen stets eine Reduktion partieller Differentialgleichungen auf
gewöhnliche Differentialgleichungen. Eine analoge Aussage gilt bezüglich der Tem-
peraturprofile, so daß dann von thermisch ausgebildeten Strömungen gesprochen
wird.
Sehr anschaulich lassen sich zwei (zusammen genommen) hinreichende Bedin-
gungen für die Existenz eines ausgebildeten Strömungszustandes angeben.

(1) Der Strömungsquerschnitt ist x* -unabhängig, kann selbst aber natürlich sehr
verschiedene Formen haben. In der Literatur werden Durchströmungen bei
konstantem Querschnitt uneinheitlich als Rohr- oder auch Kanalströmungen
bezeichnet. Werden im folgenden keine speziellen Angaben gemacht, soll
unter Rohrströmung die Durchströmung mit Kreisquerschnitt und unter
Kanalströmung die Strömung zwischen zwei ebenen Platten unendlicher
Querausdehnung verstanden werden.
(2) Das Fluid hat konstante Dichte. Mit dieser Annahme ist bei der Durch-
strömung nicht nur der Massenstrom, sondern auch der Volumenstrom kon-
stant. Bei x* -unabhängigem Strömungsquerschnitt folgt damit für große
Lauflängen ein ausgebildeter Strömungszustand mit identischen Strömungs-
profilen für verschiedene Stellen x*.

Eine genauere Behandlung der Strömung im Einlaufbereich erfolgt in Kap. 12.


98 K. Gersten/ H. Herwig

6.2 Gleichungen für die ausgebildete Rohrströmung

Die Gleichungen zur Beschreibung der Impuls- und Wärmeübertragung vereinfa-


chen sich gegenüber den vollständigen Gleichungen in Kap. 4. (bzw. dem Anhang
Al) erheblich. Beschreibt die x* -Koordinate die Hauptströmungsrichtung, so ver-
schwinden zunächst definitionsgemäß alle x* -Ableitungen der Geschwindigkeiten.
Aus der Kontinuitätsgleichung ((A1.43) in Anhang Al) folgt dann unmittelbar (mit
{/ = const) v* = 0.
Die Entdimensionierung der Gleichungen gemäß Tab. 4.1 kann formal beibe-
halten werden, wenn UP, mit der Mittelgeschwindigkeit u~ und L8 mit dem Rohr-
radius R* identifiziert werden. Für die Mittelgeschwindigkeit gilt

R*

u* :=
m
_2._
A*
jj u* dA* = - 1-
7rR*2
j u* (r* )27rr* dr* . (6.1)
0

Mit den Bedingungen aujax = 0 und V= 0 ergeben sich folgende Gleichungen:

0 = _ 8p + _2.._~~
8x Rer dr
(r du)
dr
(6.2)

0=- 8p (6.3)
ar

PrReu 8 t9 = 82 t9 +
ax 8x 2 r ar
~~ (r 8art9) +Br (du)
dr
2
(6.4)

In der Energiegleichung ist t9 die dimensionslose Temperaturdifferenz


t9 := (T* -TP,)/ 6TP,, wobei t:::.TP, später (abhängig von der thermischen Randbedin-
gung) festgelegt wird. Die Definitionen der Reynolds-, Prandtl- und Brinkman-Zahl
lauten
1J*c* 1J*U~2
Re·- r/u*m R* ·- (6.5)
, Pr .- T*' Br := >.• t::,.T,* =Pr Ec .
p
.- 1J*
B

Die x-Impulsgleichung zeigt, daß der Druck eine lineare Funktion der Lauflänge
x ist, da der Gradient 8pj8x eine x-unabhängige Konstante sein muß. Die X-
Unabhängigkeit des Geschwindigkeitsprofils ist durch das gewöhnliche Differential
(dujdr statt 8uj8r) berücksichtigt. Aus (6.3) folgt, daß auch für den Druckgradi-
enten in (6.2) das gewöhnliche Differential geschrieben werden kann, da der Druck
unabhängig von r ist. Daß der Druck über dem Querschnitt konstant ist, war zu
erwarten, da in der Strömung keine Kräfte vorhanden sind (z.B. Zentrifugalkräfte
aufgrundgekrümmter Stromlinien), die Druckdifferenzen in Querrichtung kompen-
sieren könnten.
6 Ausgebildete Durchströmungen 99

Die Energiegleichung (6.4) zeigt, daß die Temperatur zunächst eine Funktion
beider Koordinaten ist. Es wird sich herausstellen, daß (abhängig von den thermi-
schen Randbedingungen) sog. thermisch ausgebildete Temperaturprofile durch eine
entsprechende Normierung entstehen.
Der Term 8 2 {) j8x 2 in der Energiegleichung (6.4) beschreibt physikalisch die
Änderungen der axialen Wärmeleitung und kann in der Regel als klein gegenüber
den anderen Termen vernachlässigt werden. Dies gilt in einem asymptotischen Sinne
(s. dazu die Ausführungen nach (6.10)). Wenn{) eine lineare Funktion von x ist, wie
dies für die thermische Randbedingung q;,
= const gilt (s. dazu Abschnitt 6.3.2a),
so ist die zweite Ableitung nach x exakt null.
Die Gleichungen (6.2) bis (6.4) enthalten drei Parameter (Re, Pr und Br), so
daß zunächst allgemeine Lösungen nicht möglich erscheinen. In Abschnitt 6.4 wird
gezeigt, wie unter Ausnutzung der Linearität von (6.4) Lösungen für alle Parameter
Br gefunden werden können. Darüber hinaus ergibt sich nach der Transformation
auf eine neue x-Koordinate, daß die Gleichungen vollständig frei von Re und Pr
sind, in diesem Sinne also allgemeine Lösungen existieren.
Die Transformation lautet
- p
x--+ x mit -
x := Pe'
X
p:=-.
Pr
(6.6)

Dabei ist Pe die Peclet-Zahl mit der Definition


e*u* R*c* * R*
Pe:= m P = ~ =RePr. (6.7)
>.• a*

Die Gleichungen für die Kreisrohrströmung lauten damit (Berücksichtigung von


8pj8r = 0 in dpjdx)
0 = _ d~ + ~ ~
dx r dr
(r du)
dr
(6.8)

8fJ 1 ( 8 2 fJ ) 1 8 ( 8fJ) (du) 2 (6.9)


u 8x = Pe2 8x 2 + ; 8r r 8r + Br dr
Die Randbedingungen lauten

r = 0: dujdr = 8fJj8r = 0
(6.10)
r = 1: U = 0, fJ = {)w.
Der Term (8 2 fJj8x 2 )/Pe2 ist für Pe--+ oo asymptotisch klein, aber auch für mäßige
Pe-Zahlen spielt dieser Term nur eine untergeordnete Rolle. Spürbare Einflüsse sind
nur für Peclet-Zahlen Pe < 50 festzustellen, s. dazu Michelsen and Villadsen (1974).
Dieser Term wird im folgenden nicht weiter berücksichtigt.
Die Reynolds-Zahl ist ohne Einfluß auf die Lösungen von (6.8) und (6.9),
da sie auch in den Randbedingungen nicht explizit vorkommt. Sie spielt nur im
Einlaufbereich des Rohres eine Rolle und bestimmt wesentlich die Lauflänge, nach
100 K. Gersten/ H. Herwig

der sich der ausgebildete Zustand einstellt (s. dazu Kap. 12). Physikalisch kann die
Reynolds-Zahl als ein Maß für das Verhältnis von Trägheits- zu Reibungskräften
interpretiert werden. Da in ausgebildeten Strömungen keine Trägheitskräfte auftre-
ten, verwundert es auch nicht, daß die Reynolds-Zahl durch eine Transformation
aus dem Gleichungssystem entfernt werden kann.
Da u nur eine Funktion der Radialkoordinate r ist, gilt nach (6.8)

- dfi
C := dx = const. (6.11)

Diese Konstante wird im anschließenden Abschnitt 6.3 zu C = -8 bestimmt.


x
Die Koordinate wird gelegentlich als Graetz-Zahl bezeichnet, was jedoch
zu Verwirrungen führen kann, da in der Literatur auch verschiedene andere De-
finitionen der Graetz-Zahl existieren. Deshalb spricht man besser nur von einer
dimensionslosen axial gestauchten Koordinate.
Es sollte betont werden, daß es sich bei den Gleichungen (6.8) und (6.9) für
ausgebildete Durchströmungen um die vollständigen Grundgleichungen aus Kap.
4 handelt (angewandt auf eine spezielle Strömungssituation), und nicht etwa um
Näherungsgleichungen. Die Lösungen des Strömungsproblems sind somit Lösungen
der vollständigen Navier-Stokes-Gleichungen. Die Energiegleichung (6.9) wird häufig
ohne den Term (8 2 fJ I 8x2 ) 1Pe2 gelöst. Die dann gefundene Lösung ist exakt, wenn
in dem betrachteten Problem 82 {) l8x 2 identisch verschwindet. Sonst handelt es sich
um eine asymptotische Näherung für Pe---> oo.

6.3 Widerstandsgesetz und Wärmeübergangsgesetz für die


ausgebildete Rohrströmung
6.3.1 Widerstandsgesetz

Wie am Beispiel der Couette-Strömung (Abschnitt 2.2) erläutert wurde, ist das
Widerstandsgesetz der Zusammenhang zwischen der aufgebrachten Kraft (hier in
Form des Druckgradienten dp* I dx*) und der damit erzeugten Strömung (hier in
Form der Mittelgeschwindigkeit u;;,). Dieser Zusammenhang kann unmittelbar aus
(6.8) gewonnen werden.
Eine zweimalige Integration von (6.8) ergibt unter Berücksichtigung der Haft-
und Symmetriebedingung (6.10) für das Geschwindigkeitsprofil

(6.12)

Aus der Definition (6.1) folgt mit um= 1 (es gilt UB = u;;,) unmittelbar

dp* 87]* *
C := ~~ = -8 bzw. dimensionshaftet -=--U
dx* R* 2 m
(6.13)
6 Ausgebildete Durchströmungen 101

Eingesetzt in (6.12) ergibt dies die parabolische Geschwindigkeitsverteilung

Iu = 2(1 - r I· 2) (6.14)

Mit dem Geschwindigkeitsprofil ist auch der Verlauf der Schubspannung bekannt,
da nach dem Newtonsehen Reibungsgesetz r* = ry* du* ldr* gilt (vgl. Anhang Al,
(A1.47)). Dies führt unmittelbar auf den Zusammenhang
* 4ry*u* r* 4
-T = __ m_r* bzw. dimensionslos -T := - - - = -r. (6.15)
R*2 e*u:r? Re

0 2 0 ~

Bild 6.1: Geschwindigkeits- und


Schubspannungsprofile der ausgebilde-
ten Rohrströmung
:~~~
0~ - ·- · - --
~--u-- >--(-T)Re--

Es liegt also ein linearer Schubspannungsverlauf mit dem Maximum an der Wand
vor, wie Bild 6.1 zeigt. Für die Rohrströmung mit der Koordinate r* ist die Schub-
spannung ein negativer Zahlenwert. Da das Reibungsgesetz für die Rohrströmung
der Spezialfall einer allgemeinen Tensorbeziehung ist, lautet die hier betrachtete
Komponente r* = ry* du* I dr*. Gelegentlich findet man r* = -ry* du* I dr*, weil mit
dr* = -dy* der Übergang aus einem kartesischen Koordinatensystem erfolgt ist.
Diese Vorgehensweise übersieht aber, daß der Ausgangspunkt eine Tensorbeziehung
ist und deshalb r* = ry* du* I dr* geschrieben werden muß. Das Vorzeichen der
Schubspannung hängt also von der Wahl des Koordinatensystems ab.
Das Widerstandsgesetz wird üblicherweise entweder mit dem Reibungsbeiwert
er := 2(-r:,)l(e*u::r?) oder der Rohrreibungszahl >.R := 2D*( -dp* ldx*)l(e*u';;)
gebildet und lautet damit unter Verwendung von (6.13) und (6.15)

IerRe 0 = 16j bzw. I>.RRe 0 = 64,, Re 0 :=


e*u* D*
TJU:. (6.16)

Die Reynolds-Zahl ist hier mit dem Index D versehen, um darauf hinzuweisen, daß in
diesen Endbeziehungen (und nur hier!) der Durchmesser D* (und nicht der Radius
R*) als charakteristische Länge verwendet wurde. Dies ist in der Literatur allgemein
üblich, obwohl sich aus der konsequenten Ableitung aus den Grundgleichungen R*
als charakteristische Länge ergibt (da r := r* IR* als dimensionslose Koordinate
eingeführt wurde).
Das Widerstandsgesetz (6.16) wurde bereits in den Jahren 1839140 von
den beiden Forschern Hagen und Poiseuille gefunden und heißt daher Hagen-
Poiseuillesches Widerstandsgesetz. In der englischsprachigen Literatur wird die
Rohrreibungszahl er oft als "Darcy friction factor", der Reibungsbeiwert >.R als
"Fanning friction factor" bezeichnet, s. dazu White (1974).
102 K. Gersten/ H. Herwig

6.3.2 Wärmeübergangsgesetz

Das Wärmeübergangsgesetz als Zusammenhang zwischen der Wärmestromdichte an


der Wand und einer charakteristischen Temperaturdifferenz kann unmittelbar aus
der Energiegleichung (6.9) gewonnen werden. Dabei wird die Lösung der Impuls-
gleichung in Form des Geschwindigkeitsprofiles (6.14) berücksichtigt. Für konstante
Stoffwerte ist das Geschwindigkeitsprofil vom Temperaturfeld unabhängig. Es liegt
also nur eine einseitige Kopplung vor.
Da die Art der thermischen Randbedingung einen entscheidenden Einfluß
auf das Wärmeübergangsgesetz hat, muß nach verschiedenen Fällen unterschieden
werden. Im folgenden werden die Standard-Fälle q:,
= const und T;_ = const
behandelt, wobei zunächst der Sonderfall Br = 0 (kein Einfluß der Dissipation)
betrachtet wird.
Andere thermische Randbedingungen (z.B. T;_(x*) =/:- const oder q:,(x*) =1-
const) führen in der Regel nicht zu "ausgebildeten" Temperaturprofilen.

a Thermische Randbedingung q:, = const

Die physikalische Situation ist in Bild 6.2 skizziert. Es wird davon ausgegangen, daß
die Wärmestromdichte q:,
direkt an der Kontaktfläche zwischen Fluid und Rohr-
wand zur Verfügung steht, d.h. mögliche Leitungsvorgänge in der Rohrwand werden
vernachlässigt (deren Berücksichtigung führt zu sog. konjugierten W ärmeübergangs-
problemen, s. dazu Shah and London (1978)). Von einer bestimmten Stelle x* = 0 an
herrscht eine konstante Wärmestromdichte q:,.
Aufgrund des Fouriersehen Wärme-
leitungsgesetzesgilt q:, q:,
= ->..*(ßT* jßr*)w, so daß < 0 bei Wärmezufuhr an das
Fluid ("Heizen", wie in Bild 6.2) und q:,
> 0 bei Wärmeentzug ("Kühlen") gilt.

r*-C

Bild 6.2: Wärmeübergang bei der


I t
x* Rohrströmung mit q;, = const (hier:
thermisch~r thermisch aus- Heizung des Fluides, q;, < 0); konstante
gebildete Strömung Stoffwerte; keine Dissipation (Br = O)
Übergangs-
bereich
6 Ausgebildete Durchströmungen 103

Eine globale Energiebetrachtung ergibt das anschauliche Ergebnis, daß eine mittlere
Fluidtemperatur für x* > 0 linear mit der Lauflänge ansteigen (oder abfallen) muß.
Eine solche mittlere Temperatur, die ein direktes Maß für die thermische Energie
der Strömung bei x* darstellt, kann unter der Voraussetzung c; = const wie folgt
alsr; definiert werden:

T~u~A* = JJ T*u* dA* (6.17)

also:

J
R*

T~u~1rR* 2 = T*(r*)u*(r*)27rr* dr* (c; = const).


0

Die Temperatur r;
wird als kalorische Mitteltemperatur oder kurz als Mitteltem-
peratur bezeichnet. Diese Bezeichnung weist darauf hin, daß (6.17) eigentlich (d.h.
für c; -!- const) aus einer Bilanz der kalorischen Größe Enthalpie abgeleitet ist. Die
Mitteltemperatur für die ausgebildete Rohrströmung entsteht gemäß der Definition
(6.17) durch Integration von (6.9) mit Br = 0 als

T* - T* = 2( -q:,) x* oder (6.18)


m oo e*c*u*
P m R*

In Bild 6.2 ist der lineare Anstieg von T~ - T~ zusammen mit dem zu erwarten-
den Wandtemperaturverlauf eingezeichnet. Zwar kann es kein ausgebildetes Tem-
peraturprofil im Sinne von T* - T~ -!- f(x*) geben, aber für x* -----+ oo gilt
T*- T~ -!- f(x*), da dieses Differenzprofil nicht ständigen Veränderungen unterlie-
gen kann. Dieser Zustand soll als thermisch ausgebildeter Zustand bezeichnet werden
und tritt nach einem thermischen Übergangsbereich auf.
In der Energiegleichung (6.9) tritt die dimensionslose Temperatur
{} := (T* - Tß)/ l:J.Tß auf, wobei Tß eine feste Bezugstemperatur ist, hier z.B. T~
(nach Bild 6.2 die isotherme Zuströmtemperatur), und l:J.Tß eine feste charakteri-
stische Temperaturdifferenz des Problems. Diese kann mit der gegebenen Wärme-
stromdichte an der Wand gebildet werden und lautet l:J.Tß := ( -q:, )R* / >. *. Diese
Kombination hat die Bedeutung einer Bezugsgröße, ohne daß l:J.Tß als Temperatur-
differenz in dem Problem unmittelbar auftritt. Der Vorteil gegenüber einer ebenfalls
möglichen Wahll:J.Tß = T;- T; liegt darin, daß q:, gegeben ist, T;- aber einen r;
Teil der gesuchten Lösung darstellt.
Die Temperatur fJ kann durch eine einfache Erweiterung mit und T; r;
sinnvollerweise wie folgt aufgespalten werden:

{}( - ) T* - T~ r; - T~ r; - r; fJ ( ) (6.19)
x,r := (-q~)R*j>.* = (-q~)R*j>.* + (-q~)R*/>.* + r r
104 K. Gersten/ H. Herwig

mit
T*(x*,r*) -T;(x*)
(6.20)
t?r(r) := (-q;.)R*I)..* ·

Die gesuchte Temperatur t? ist für x* ---+ oo die Summe aus einem x-abhängigen
Term (vgl. (6.18)), einer Konstanten und einem r-abhängigen Term t?r(r).
Unter Berücksichtigung von (6.19) folgt aus der Energiegleichung (6.9) mit
Br = 0 und d[(T; - T~)l(( -q:.,)R* I )..*)Jidx = 2 gemäß (6.18) die Differentialglei-
chung für t?r(r) als

2(1-r 2 )2 = ~.!!:_
r dr
(rdt?r).
dr
(6.21)

Als Randbedingungen folgen aus q:., = ->.*[8T* lßr*Jw und der Definition von t?r
in (6.20)

r = 1: dt?r = 1, {)r = 0. (6.22)


dr

Die zweimalige Integration von (6.21) unter Berücksichtigung von (6.22) ergibt für
das Temperaturprofil {) r (r)

(6.23)

Zur Bestimmung der Nußelt-Zahl (vgl. Tab. 4.2) muß die Mitteltemperatur {)rm :=
(T; - T;)l(( -q:.,)R* I)..*) gebildet werden. Aufgrund der Definition (6.17) gilt

J{)
1

{) rm =2 r ur dr , (6.24)
0

woraus mit (6.23) für {)r und (6.14) für u folgt

{) =-11 (6.25)
rm 24

Die Nußelt-Zahllautet damit

( -q:.,)D*
Nu 0 := >.*(T; _ T;) = -:a: 2
=
48
U = 4, 36 (6.26)

Der Index D bei der Nußelt-Zahl weist wieder auf den Durchmesser als charakteri-
stische Länge (statt des Radius') hin.
6 Ausgebildete Durchströmungen 105

Beispiel 6.1: Axiale Ringspaltströmung

Durch die Gleichungen (6.8) und (6.9) ist auch der allgemeinere Fall der axialen Ringspaltströmung
beschrieben, wie er in Bild B6.1-1 gezeigt ist. Als geometrischer Parameter des Problems tritt das
Radienverhältnis AR := Rj' / R: auf. Die Grenzfälle dieses Parameters sind AR = 0 als reine
Kreisrohrströmung und AR-+ 1 als ebene Kanalströmung. In diesem zweiten Grenzfall wird der
örtliche Krümmungsradius (Ri oder R:) im Vergleich zur Kanalhöhe R:- Rj' unendlich groß, so
daß es sich im Grenzfall um ein ebenes Problem handelt. Die Radiendifferenz entspricht dann dem
Abstand der Kanalwände.

Bild B6.1-1: Wärmeübergang


bei der axialen Ringspaltströmung
mit q\..,3 = const und q\..,; =
const; konstante Stoffwerte; keine
thermischer thermisch aus- x*
Dissipat ion (Br = 0), in der Skizze:
q\v... < o, q\..,; > o Ubergongs- gebildete Strömung
bereich

Als zweiter Parameter der hydrodynamisch und thermisch ausgebildeten Ringspaltst römung tritt
das Verhältnis der Wärmestromdichten Aq := q\..,Jqwa auf. Die Spezialfälle je einer adiabaten
Wand sind Aq = 0 (q\..,; = 0) und IAql = oo (q\..,3 = 0).
Definiert man den Reibungsbeiwert a ls

2(- r;J (B6.1-1)


4 := g•u;:,? '

und die Nußelt-Zahl mit der Temperaturdifferenz Twa- T;, als


( - q* )D*
Nu ·-
Dh . -
w h
A*(Tw a - T;. ) '
q;., = q\..,,. oder ( -q\v;) , D j; = 2(R: - Rj) , (B6.1 - 2)

so sind die bisherigen Ergebnisse für das Kreisrohr d irekt als Spezialfall ent halten. Die Größe
Dj; wird hydraulischer Durchmesser genannt und entspricht im Falle der Kreisrohrströmung dem
Rohrdurchmesser, im Falle der ebenen Kanalströmung der doppelten Kanalhöhe. Allgemein gilt
Dj; := 4A* /U;er• wobei A* der durchströmt e Querschnitt und u;er der benetzte Umfang ist (eng!.:
perimeter) . Folgericht ig gilt für die Reynolds-Zahl jetzt

g*u* D *
Renh := m h (B6.1 - 3)
7J*
106 K. Gersten/ H. Herwig

Bild B6.1- 2 zeigt das Widerstands- und das Wärmeübergangsgesetz für den Fall Aq -1
(q\v; = -qwa = -q;.,). Für weitere Einzelheiten s. Herwig and Klemp (1988).

C Re
f Dh
Zt..r------z->711
20
16
/ <t
(o)
Bild B6.1-2: Ausgebildete axiale
Ringspaltströmung; keine Dissipation
16....._ (Br = 0)
6 (a) Widerstandsgesetz; er nach
Nuoh 5 (b)
(B6.1-1)
4 (b) Wärmeübergangsgesetz ,
Nu 0 h nach (B6.1-2) für
qwa = -q\v;

b Thermische Randbedingung T_: = const

Erfolgt bei x* = 0 ein Sprung auf die konstante Wandtemperatur T_: I= T~ , so


stellt sich eine physikalische Situation ein, wie sie in Bild 6.3 dargestellt ist. In
einem thermischen Übergangsbereich kommt es zunächst zu sehr hohen Werten
der Wärmestromdichte, da an der Wand hohe Temperaturgradient en auftreten.
Weiter stromabwärts gleicht sich die Temperaturverteilun g über den Querschnitt
immer weiter aus, da für x* --+ oo der neue isotherme Fall T* (x*, r*) = T; erreicht
werden muß. Die gesamte übertragene Wärmemenge dient also zur Veränderung
der Mitteltemperatur um den Wert T_:- T~. Da dieser Wert endlich ist, muß die
Wärmestromdichte für x* --+ oo auf null abklingen. Wie sich herausstellen wird,
geschieht dies exponentiell.
Die Strömung wird für T; = const als thermisch ausgebildet bezeichnet, wenn
gilt
'19 := T*(x*, r*)- T_:(x*) = '19 (r) ...J.. f(x) (6.27)
r T;,(x*)- T;(x*) r 1 '

d.h. es wird eine x-unabhängige Form des mit T~- T_: normierten Temperaturde-
fektes T*- r;
erreicht.
Die Temperatur kann damit als ein Produkt zweier Funktionen geschrieben
werden, dessen Faktoren jeweils nur r-abhängig bzw. nur x-abhängig sind. Es gilt
in dimensionsloser Schreibweise (die Bezugstemperatur Tß ist jetzt sinnvollerweise
T_:)
(6.28)
6 Ausgebildete Durchströmungen 107

q*w

q*
w

I
I
I
. _,L~..:....L. J__ . - .

I I
I I
Bild 6.3: Wärmeübergang bei I
der Rohrströmung mit r:,
= const
1*-T.""*
I I
I
(hier: Heizung des Fluides); konstante I
Stoffwerte; keine Dissipation (Br = 0)
l*- r*
Asymptoten für x• --+ oo mit m '""
C := -A1/(2PeR*):
thermischer thermisch ausgebildete x*
1: r;;, -T~
Übergangs- Strö mung
= (T_:- T~)[l- C 1 exp(Cx*)] bereich
2: q;_ = C 2 exp(Cx*)

mit
-T*w T* -T*
73 ·- T*m 73 r : = T* - T: . (6.29)
X . - T* - Y:* '
00 w m w

Die Energiegleichung (6.9) kann damit, wieder mit Br = 0 , u = 2(1 - r 2 ) und jetzt
auch mit Pe --> oo , wie folgt geschrieben werden:

(6.30)

In (6.30) ist eine Separation der Variablen erfolgt. Die linke Seite ist nur eine
Funktion von x,
die rechte Seite nur eine Funktion von r, so daß beide Seiten
notwendigerweise gleich einer Konstanten sein müssen, die aus später ersichtlichen
Gründen -~A~ genannt wird (s. dazu Abschnitt 12.5).
Es entstehen damit zwei gewöhnliche Differentialgleichungen für 73r ( r) und
73x(x)
:r (r ~r) + A~r(1 - r 2 )73r = 0 (6.31)

d73x 1 A2.a
dx +2 lvx = 0. (6.32)

Zwei Randbedingungen bezüglich der Temperatur 73, nämlich 73(x, 1) 0 und


(873/ßr)r=O = 0, werden durch die Funktion 73r(r) erfüllt, wenn gilt

73r(1) = 0 und ( d73r) = O (6.33)


dr r=O .
108 K. Gersten/ H. Herwig

Es stellt sich nun heraus, daß Lösungen für 'I'Jr nicht bei beliebigen Werte A1
existieren. Prüft man in (6.31) ausgehend von A1 = 0 monoton steigende Werte von
A1 , so ergibt sich der erste Wert, bei dem eine Lösung existiert, zu A1 = 2, 7044.
Diese Lösung muß numerisch gewonnen werden. Im folgenden interessiert von der
Lösung nur der Wandgradient mit dem Zahlenwert (d'I'Jr/dr)r=l = -1,0143. Die
Konstante A1 heißt (erster) Eigenwert der Differentialgleichung, die zugehörige
Lösung 'I'Jr wird (erste) Eigenfunktion genannt. Insgesamt handelt es sich um ein
sog. Eigenwertproblem. Der Index 1 bei A1 deutet an, daß weitere Lösungen für
A2 , A3 , ..• existieren, die im hier betrachteten Fall der thermisch ausgebildeten
Strömung (x -+ oo) jedoch ohne Bedeutung sind. In Abschnitt 12.5 wird dies
auf dem Hintergrund einer allgemeinen Lösung für thermisch nicht ausgebildete
Strömungen deutlich.
Die Lösung von (6.32) für die Funktion 'I'Jx(x) lautet

'I'Jx(x) = C 1 exp ( - ~A~x) . (6.34)

Die Konstante C 1 wird aus der Anfangsbedingung 'I'J(O, r) = 1 bestimmt, s. dazu


Abschnitt 12.5. Der Zahlenwert ist C 1 = 1, 4764.
Das gesamte asymptotische Temperaturprofil (x -+ oo) lautet somit

'I'J(x,r)='I'Jx'I'Jr=C1 '1'Jr(r)exp( -~A~x), x-+oo. (6.35)

Daraus folgt für die Mitteltemperatur T;, bzw. 'I'Jm

J
1

'I'Jm(x) := ~i =~i = C 2( 1 'I'Jrurdr) exp ( - ~A~x)


0

=0,8190exp( -~A~x) (x-+oo). (6.36)

Für die Nußelt-Zahl Nu 0 gilt

( -q* )D* 2(8'1'J/8r)w


Nuo := >.*(T*w- T*) {}
w m m
=- 2 ·1,4764(-1,0143) = 3 66 (6.37)
0,8190 '

Bemerkenswert ist, daß die Bezugs-Temperaturdifferenz in der Definition der


x
Nußelt-Zahl eine Funktion von ist, und zwar gerade so, daß die Nußelt-Zahl für
x -+ oo, d.h. im ausgebildeten Zustand, von der Lauflänge unabhängig wird. x
Die analoge Beziehung für die ebene Kanalströmung lautet Nu = 8, 24, wenn die
Nußelt-Zahl mit dem hydraulischen Durchmesser D}; = 4H* gebildet wird, vgl.
(6.58).
6 Ausgebildete Durchströmungen 109

6.4 Berücksichtigung der Dissipation

a Vorbemerkung

Wie am Eingangsbeispiel der Couette-Strömung erläutert wurde (Abschnitt 2.4),


kann die Dissipation in einem asymptotischen Sinne nur für u~ ----> 0 vernachlässigt
werden, da in einer reibungsbehafteten Strömung stets Energie dissipiert wird. Bei
der ausgebildeten Rohrströmung dient der Druckgradient ausschließlich zur Über-
windung der Reibungskräfte, so daß die gesamte aufzubringende mechanische Lei-
stung dissipiert, also in innere Energie übergeführt wird. Diese mechanische Leistung
kann aus dem Impulssatz durch Integration über den Querschnitt ermittelt werden.
Dazu wird die Differentialgleichung (6.8) für den Impuls zuvor mit der Geschwindig-
keit multipliziert (es entsteht dann der Erhaltungssatz für die mechanische Energie,
vgl. Kap. 3). Die anschließende Integration ergibt

1 1 2

j
C ur dr = - j (~~) r dr . (6.38)
0 0

Die entsprechende integrale Form der thermischen Energiegleichung (6.9) enthält


ebenfalls den Term J0\dujdr) 2 rdr für die Dissipation, also die rechte Seite von
(6.38), jedoch mit anderem Vorzeichen. Der Vorzeichenwechsel bringt zum Aus-
druck, daß mechanische Energie in innere Energie umgewandelt wird.
Diese Umwandlung tritt bei der ausgebildeten Rohrströmung x-unabhängig in
jedem Querschnitt gleichmäßig auf. Ein nicht durch andere Maßnahmen thermisch
beaufschlagtes Rohr zeigt also einen Grundzustand, der nicht mehr isotherm ist.
Es kommt zur Ausbildung eines Temperaturprofiles TR_ (der Index R steht für
x
Reibung), das aber unabhängig von ist, so daß TR_ = TR_(r) gilt. Die in einem
Querschnitt erzeugte innere Energie wird vollständig über die Wand abgeführt.
x
Wird das Rohr nun zusätzlich ab einer bestimmten Stelle = 0 thermisch
beaufschlagt, so überlagern sich beide Effekte. Aufgrund der Linearität der Ener-
giegleichung können die gesuchten Lösungen (q;. = const oder T,; = const für > 0) x
jeweils als Linearkombination aus der Grundlösung für reine Dissipation und der
jeweiligen Lösung ohne Dissipation (Abschnitt 6.3) dargestellt werden. Es ist dann
lediglich darauf zu achten, daß die geforderte thermische Randbedingung für die
Gesamtlösung gilt.
Im folgenden muß also nur die Grundlösung für eine ausgebildete Strömung
mit Dissipation gefunden werden, die dann anschließend mit den Fällen q;.
= const
und r.; = const aus den vorherigen Abschnitten linear kombiniert werden kann.
110 K. Gersten/ H. Herwig

b Grundlösung der Rohrströmung mit Dissipation

Aus der Energiegleichung (6.9) folgt für die Grundlösung '!?R durch zweimalige
Integration (beachte: 8'!9Rf8x = 0) unter Berücksichtigung der Randbedingungen
'!9R(1) = 0 und (8'!9R/8r)r=O = 0
T,*(r)- T* ry*u*2
'!?R(r) := R D"T,* w = Br(1- r 4), Br := >..*D..T,* . (6.39)
B B

Die konkrete Form von D..TP, als Bezugsgröße kann später festgelegt werden, da sie
zunächst nur der formalen Entdimensionierung dient.
Der über die Wand abgeführte Wärmestrom q~R ist damit (dimensionsbehaf-
tet)

q*
wR
= -).. * (8T,*)
___R
ßr* w
= 4 TJ *R*um•2 . (6.40)

Für die Mitteltemperatur des Temperaturprofiles '!?R(r) gilt nach (6.17)

T,* - T* 5
19
Rm.
·= Rm
D..T*
w = -Br
6 . (6.41)

Damit lautet die Nußelt-Zahl für die Grundlösung '!?R

( -q* )D* 48
Nuo := )..*(T:_w~ Titm) = 5 = 9, 6 (6.42)

Es sei nochmals darauf hingewiesen, daß für diese Grundlösung sowohl T:, = const
als auch q~R = const gilt, so daß sie unmittelbar mit den beiden Lösungen aus
Abschnitt 6.3 (ohne Dissipation) zu Lösungen mit T:, = const bzw. q~ = const
kombiniert werden kann.

c Überlagerung mit der Lösung q~ = const

Bei der Lösung für q~ = const, Br = 0 aus Abschnitt 6.3 war davon ausgegangen
worden, daß dem Fluid ab der Stelle x* = 0 die Wärmestromdichte q~ zugeführt
wird, vgl. Bild 6.2. Bei der Kombination mit der Grundlösung Tit ist zu beachten,
daß die effektiv übertragene Wärmestromdichte für x* > 0 dann

q~R nach (6.40) (6.43)

ist. So wird z.B. dieadiabateWand (q~eff = 0) für x* > 0 durch eine Kombination
der Grundlösung Tit mit dem Fall q~ = -q~R = -4ry*u:-n2j R* aus Abschnitt 6.3
realisiert. In diesem Fall steigt ab x* = 0 die Mitteltemperatur entsprechend der
Dissipation proportional zu x* an, s. (6.47).
6 Ausgebildete Durchströmungen 111

Das wesentliche Ergebnis einer Wärmeübergangs-Rechnung mit q~ = const


ist die Wandtemperatur. Wählt man als Bezugstemperatur die Mitteltemperatur
bei x* = 0, also TRm , so gilt
*
= -----5 'f/ ).*
•2
x* < 0: T* ---- T,*
w Rm 6
Um (6.44)

x* 2: 0: T*---- T,*
w Rm
= ( -q~)R*
).*
(2-X+ ~) - - ~ rt*u~2
24 6 ).* •
(6.45)

Mit diesen Größen kann formal auch eine Nußelt-Zahl gebildet werden, obwohl dies
bei Berücksichtigung der Dissipation zu Singularitäten führen kann, die keinerlei
Entsprechungen im physikalischen Geschehen haben, wie in Abschnitt 2.4 erläutert
wurde.

Nu := ( -q~eff)D* = 48 1 + 4Br rt*u~2


X-H)O (6.46)
0 >.*(T; ---- T~) 11 + 20Br ' Br = ( -q;_)R*,

d.h. es gilt 6Tß = (-q~ )R* I>.* in der Brinkman-Zahl Br. Wie erwartet, geht (6.46)
für Br ~ 0 in (6.26) über, für Br ~ oo in (6.42).
Für den Fall q~eff = 0 wird die Wandtemperatur zur adiabaten Wandtem-
peratur r;d oder auch Eigentemperatur. Aus (6.45) folgt mit ( -q~) = 4rt*u~2 IR*,
also q~eff = 0, für die Eigentemperatur

x~oo. (6.47)

d Überlagerung mit der Lösung T:V = const

Bei der Lösung für T:V = const, Br = 0 aus Abschnitt 6.3 war davon ausgegangen
worden, daß die Wandtemperatur an der Stelle x* = 0 sprungartig um einen Betrag
T:V ---- T~ verändert wird. Das wesentliche Ergebnis ist die Wärmestromdichte an
der Wand. Mit einer Veränderung der Wandtemperatur um T:V ---- T~ bei x* = 0
gilt für die Wärmestromdichte

n*u*2
x* < 0: *
qweff
* = 4"'
= qwR ~
m

(6.48)
rt*u* 2 >.*(T*---- T*)
x* 2: 0: q~eff = 4 R::' ---- 1, 4975 R* <Xl exp( ----3, 6568x).

Gleichung (6.48) zeigt, daß der Wärmeübergang durch die Wandtemperaturände-


rung bei x* = 0 für x* ~ oo exponentiell abnimmt und schließlich die Wärme-
stromdichte aus dem Dissipations-Anteil dominiert.
112 K. Gersten/ H. Herwig

Bildet man auch hier wieder formal eine Nußelt-Zahl, so gilt

Nun := ( -q;,eff)D* = 12 4Br- 1, 4975 exp( -3, 6568x) x--+ 00 ( 6 .49 )


.\*(T;- T~) 5Br- 4, 9140exp( -3, 6568x) '

Auch hier geht (6.49) erwartungsgemäß für Br--+ 0 in (6.37) und für Br--+ oo
in (6.42) über.

Anmerkung (Weitere ausgebildete Durchströmungen)

Es seien noch folgende weitere ausgebildete Durchströmungen erwähnt.

(1) Couette-Poiseuille-Strömungen
Sie ergeben sich, wenn der Couette-Strömung zusätzlich ein Druckgradient aufgeprägt wird. Es
handelt sich um eine Superposition von Couette- und Kanalströmung. Die Strömungen haben
u.a. bei Gleitlagerströmungen Bedeutung. Auch der Spezialfall verschwindenden Volumenstroms
hat zahlreiche praktische Anwendungen (z.B. windgetriebene Strömungen in flachen "stehenden"
Gewässern). Das Temperaturfeld irrfolge Dissipation wurde von Millsaps and Pohlhausen (1953)
berechnet. Auf die turbulenten Couette-Poiseuille-Ström ungen wird in Abschnitt 16.2 näher
eingegangen.

(2) Natürliche Konvektionsströmungen (s. Kap. 8) zwischen vertikalen parallelen Wänden


unterschiedlicher Temperatur
Diese Strömungen sind in sehr guter Näherung in schlanken vertikalen Behältern gegeben, vgl.
Merker (1987, S. 336). Bei linearer Temperaturverteilung ergibt sich eine kubische Geschwindig-
keitsverteilung.

(3) Gemischte Konvektionsströmungen (s. Kap. 9) in vertikalen Kanälen oder Rohren bei
q;, = const
Hierbei stellt sich asymptotisch (d.h. für x* -+ oo) eine thermisch ausgebildete Strömung ein. Wird
eine nach oben gerichtete Strömung geheizt, so unterstützen die Auftriebskräfte die erzwungene
Konvektion und führen zu einer Erhöhung des Reibungsbeiwertes und der Nußelt-Zahl. Bei
Kühlung wird durch die natürliche Konvektion die Aufwärtsströmung vermindert, bis es schließlich
sogar zu Rückströmung kommen kann, vgl. da Silva (1990).

(4) Rohrwendel (Rohrschlange)


Auch bei Rohrwendeln liegt eine ausgebildete Strömung vor, jedoch entsteht irrfolge der Krümmung
eine nicht leicht zu berechnende Sekundärströmung, so daß es sich um eine dreidimensionale
Strömung handelt, vgl. Van Dyke (1978).

(5) Rohrströmung mit homogenem Ausblasen bzw. Absaugen


Diese Strömung hat für die Stoffübertragung im Rohr große praktische Bedeutung. Bei konstanter
Dichte nimmt der Volumenstrom und damit die Mittelgeschwindigkeit u;;, bei Ausblasen aus der
Wand in die Strömung linear mit der Lauflänge x* zu. Wie Terrill and Thomas (1969) gezeigt
haben, ist das auf u;;. bezogene Geschwindigkeitsprofil ausgebildet. Interessanterweise gibt es bei
einer vorgegebenen Ausblasegeschwindigkei t v;, im allgemeinen mehrere Lösungen, wobei auch
solche mit Rückströmungen auftreten. Dagegen hat man im Bereich -19, 2 < Rew < -4, 6 mit
Rew := v;,v• fv* (Ausblasen: v;, < 0, Absaugen: v;, > 0) überhaupt keine Lösung gefunden.
6 Ausgebildete Durchströmungen 113

Beispiel 6.2: Ebene Düsen- und Diffusorströmungen (Jeffery-Hamel-Strömungen)

Düse Diffusor

u*(r *. ~l u* (r*. <!>)

1 0 1 ~7-1 p~ ·
Bild B6.2-1: Strömungsprofile
in konvergenten und divergenten
Kanälen, also Düsen- und Diffusor-
strömungen (Jeffery-Hamel-Strö-
mungen) Senke Quelle

Es handelt sich um ebene Strömungen zwischen geraden, nicht parallelen Wänden nach Bild
B6.2-l. Im Fall einer Quelle bei r* = 0 entsteht eine Diffusorströmung (divergenter Kanal), im
Fall der Senke eine Düsenströmung (konvergenter Kanal). Aus den Navier-Stokes-Gleichungen in
Polarkoordinaten erhält man mit dem Ansatz
u*(x*,r*) -F
* ( •) - (7]),
\1>
1] :=-:::;'
-
Re:= u:;,ax r*ä (ii > 0 : Diffusor) (B6.2-1)
umax X a v* ä <0: Düse

für das normierte Geschwindigkeitsprofil die gewöhnliche Differentialgleichung (ausgebildete


Strömung)
(B6.2-2)

mit den Randbedingungen

F(-1)=0, F(0)=1, F(1)=0. (B6.2-3)

Die Lösung liefert folgende Ergebnisse:

(a) Volumenstrombeiwert (Breite B*) :

,._..
-v := --=----
~-
B*2r•;:;:u•max u;
= u:;,
u*max
= ~2 j
1
F(17) d7J (B6.2-4)
- 1

(b) Reibungsbeiwert:
2IT.;I 2F'(1)
er := (}*u;.? = Rec2. . (B6.2-5)
V

Die (analytischen) Lösungen von (B6.2-2) lassen sich auf elliptische Integrale zurückführen, vgl.
z.B. White (1974, S. 184).
Im Grenzfall Re -+ 0 verschwinden die Trägheitskräfte, und (B6.2-2) wird linear. Es handelt
sich um sog. schleichende Strömungen, die in Kap. 10 ausführlich behandelt werden. Im Grenzfall
Re -+ oo handelt es sich um sog. (selbstähnliche) Grenzschichtströmv.ngen, auf die in Kap. 7
ausführlich eingegangen wird.
In Bild B6.2-2 sind die Ergebnisse für die Düsenströmung mit ä = -7r/ 4 dargestellt.
Zusätzlich eingetragen sind die Asymptoten für Re -+ 0 und Re -+ oo. In Beispiel 12.1 in Kap. 12
werden die Jeffery-Hamel-Lösungen als Vergleichslösungen für dort behandelte Näherungslösungen
herangezogen.
114 K. Gersten I H. Herwig

<t-
0 . 1 '------':-------~----:o---'
10
..... ....

100
.... .....
..... .....

Re
Bild 86.2-2: Volumenstrom- und Reibungsbeiwert aus der Jeffery-Hamel-Lösung für eine Düsen-
strömung mit dem Düsen-Öffnungswinkel 90° (ii = -7rl4)
Asymptoten: Re ---+ 0, schleichende Strömungen: cy = ~, 4 = 1r 3 I (4Re)
Re---+ oo, Grenzschichttheorie: cy = 1, cf = 2V7ri(3Re)

6.5 Einfluß variabler Stoffwerte


In Abschnitt 5.4.2 ist die asymptotische Methode zur Erfassung des Einflusses va-
riabler Stoffwerte ausführlich beschrieben worden. Bei der Anwendung auf ausge-
bildete Innenströmungen ist es hilfreich, zunächst zu klären, wann und in welcher
Bedeutung die Näherung "konstante Stoffwerte" sinnvoll ist.

a Konstante Stoffwerte

Bei dieser Annahme gilt in den Grundgleichungen des betrachteten Problems a = 1,


wobei Q = a* /aß für alle dimensionslosen Stoffwerte, also (2 = e* I eß, 'T} = ry* /ryß,
... , steht. Dies ist eine gute Näherung, wenn

(1) die Stoffwerte selbst nur schwach (oder gar nicht) temperatur- bzw. druck-
abhängig sind (Stoffeigenschaft), oder
(2) in dem betrachteten System nur geringe Temperatur- bzw. Druckdifferenzen
auftreten (Systemeigenschaft).
Die erste Möglichkeit ist bezüglich der Druckabhängigkeit für fast alle technisch
interessierenden Stoffe gut erfüllt. Eine Ausnahme bildet lediglich die Stoffgruppe
der Gase, bei denen die Druckabhängigkeit der Dichte berücksichtigt werden muß,
wenn in der konkreten Situation starke Druckänderungen auftreten, s. Abschnitt
7.7.3 und Anmerkung 2 am Ende dieses Abschnittes. Sieht man von dieser speziellen
6 Ausgebildete Durchströmungen 115

Situation ab, können die Stoffwerte bezüglich ihrer Druckabhängigkeit in guter


Näherung als konstant angesehen werden.
Bezüglich der Temperaturabhängigkeit kann eine so weitgehende Aussage
über die Stoffeigenschaften nicht getroffen werden. Das heißt aber, daß konstante
Stoffwerte nur dann eine gute Näherung darstellen, wenn entsprechende Systemei-
genschaften vorliegen.
Geringe Temperaturdifferenzen treten in einem asymptotischen Sinne in
folgenden Grenzfällen auf:

r:, = const : u~ -+ 0 und r:, - T~ -+ 0 (6.50)


q'; = const : u~ -+ 0 und q';x* -+ 0. (6.51)

In beiden Fällen darf es nicht zu einer nennenswerten Erwärmung durch Dissipation


kommen (u~ -+ 0). Die weitere Bedingung des geringen Temperatursprunges
für T:, = const ist unmittelbar einsichtig. Bei q'; = const ist die entsprechende
Bedingung aber nicht q';-+ 0, wie man vielleicht zunächst denken würde! Vielmehr
muß die auf der gesamten Länge x* zugeführte thermische Energie klein sein
(asymptotisch: q';x* -+ 0), denn jeder noch so kleine Wärmestrom q:V führt für
hinreichend große Lauflängen zu deutlichen Temperaturerhöhungen.
Ist die Bedingung (6.51) verletzt, muß das Problem trotzdem nicht sofort als
ein Problem mit variablen Stoffwerten angesehen werden. Für diesen Fall ist es
vielmehr sinnvoll, eine Näherung einzuführen, die als Näherung "quasi-konstanter
Stoffwerte" bezeichnet werden soll.

b Quasi-konstante Stoffwerte für den Fall q:V = const, Br = 0

Betrachtet man zunächst einen infinitesimalen Abschnitt dx* an einer beliebigen


Stelle x* der ausgebildeten Rohrströmung für q:V = const, so ist für diesen
Abschnitt die Annahme konstanter Stoffwerte eine gute Näherung, weil die auf der
Länge dx* zugeführte thermische Energie proportional zu q:Vdx*, also klein ist. Die
Bezugstemperatur für diese lokale Betrachtungsweise ist die lokale Mitteltemperatur
r;(x*). An dieser Stelle x* gelten in guter Näherung die Gesetzmäßigkeiten der
ausgebildeten Rohrströmung für konstante Stoffwerte, also u nach (6.14) und 79r
nach (6.23). Wichtig ist, daß alle Stoffwertejetzt bei der örtlichen Mitteltemperatur
r;(x*) vorliegen. Die genannten Gesetzmäßigkeiten werden lokal in guter Näherung
dann gelten, wenn sich die Temperatur r;(x*) mit x* "nur langsam verändert". Dies
gilt aber gerade im Grenzfall q';-+ 0, da dT;/dx* proportional zu q:V ist, wie (6.18)
zeigt.
Für q:V -+ 0 können also im Sinne einer lokalen Näherung bei lokalen Be-
zugsgrößen konstante Stoffwerte angenommen werden. Betrachtet man endliche x*-
Bereiche, so ist über x* zu integrieren, wobei an jeder Stelle x* die Gesetzmäßigkei-
ten für (lokal) konstante Stoffwerte gelten. Diese Vorgehensweise wird als Näherung
116 K. Gersten/ H. Herwig

"quasi-konstanter Stoffwerte" bezeichnet. Sie berücksichtigt die Stoffwertvariatio-


nen in x*-Richtung, nicht aber in r*-Richtung. Anstelle von (6.51) gilt jetzt

q~ = const : u~ --+ 0 und q~ --+ 0. (6.52)

Im Sinne dieser Näherung gilt in einer ausgebildeten Rohrströmung für das Ge-
schwindigkeitsprofil u = 2(1 - r 2 ) nach (6.14). Dies bedeutet für die lokale Ge-
schwindigkeitsverteilung mit u := u* fu':n und rh * = e*u':nA* = const (A*~ Quer-
schnittsfläche)
2"*
u* = _!!!:__ (1 - r 2 ) . (6.53)
e*A*
Danach ist das Geschwindigkeitsprofil wegen e*(T~) und T~(x*) nicht mehr kon-
stant, sondern (schwach) x* -abhängig. Ist q;,
im Sinne dieser Näherung nicht mehr
klein, so muß nicht nur die Stoffwert-Variation mit x*, sondern die vollständige
Abhängigkeit von x* und r* berücksichtigt werden. Dies kann mit der asymptoti-
schen Methode nach Abschnitt 5.4.2 geschehen und wird im folgenden Abschnitt c
erläutert.

c Variable Stoffwerte

Die Impuls- und Energiegleichungen (6.8) und (6.9) gelten unter der Annahme
(lokal) konstanter Stoffwerte, d.h., es wurde e = 17 = >. = cP = 1 gesetzt. Die
vollständigen Grundgleichungen zeigen, an welchen Stellen die von eins verschie-
denen dimensionslosen Stoffwerte in den beiden Gleichungen auftreten, wenn die
Einflüsse variabler Stoffwerte berücksichtigt werden. Besondere Aufmerksamkeit
muß dabei der Dichte e gelten, die in den Impulsgleichungen einmal als Faktor
in den Trägheitstermen und einmal als [e - 1] in den sog. Auftriebstermen auftritt.
Diese Auftriebseffekte sollen hier nicht berücksichtigt werden. Sie sind die entschei-
denden Terme bei den natürlichen Konvektionsströmungen (s. dazu Abschnitt 8.2).
Asymptotisch bedeutet die Vernachlässigung der Auftriebseffekte, daß der Grenzfall
großer Froude-Zahlen (Fr:= u':n/ff!F--+ oo) betrachtet wird.
Die asymptotische Methode zur Erfassung des Einflusses variabler Stoffwerte
ist in Abschnitt 5.4.2 ausführlich beschrieben worden. Nach fünf Schritten S1 bis
S5 kann die Wirkung der Temperaturabhängigkeit aller vorkommenden Stoffwerte
in Form der sog. Stoffwertverhältnis-Methode erfaßt werden (Einzelheiten hierzu
in Herwig (1985c) und Herwig et al. (1989)). Für das Beispiel der thermischen
Randbedingung q;,= const führt diese Vorgehensweise auf folgendes Ergebnis.
Werden alle Stoffwerte, die in den Definitionen von er, Ren, Pr und Nun
vorkommen, bei der örtlichen Mitteltemperatur T~ genommen, so gelten für die
thermische Randbedingung q;,
= const folgende lokale Korrekturbeziehungen im
6 Ausgebildete Durchströmungen 11 7

Sinne einer Korrektur der quasi-konstanten Stoffwert-Ergebnisse (mit Br = 0) :

Nun = e0,340-0,128/Pr'll-0,149 _x0,245c0,255 (Nun)o = 4, 36, (6.55)


(Nun)o w ·tw w pw

wobei gilt
a = a*(T;) (6.56)
w a*(T~)'

Für die thermische Randbedingung T; = const ist die Darstellung der Ergebnisse
in dieser Form nur bedingt empfehlenswert, da dies streng genommen dann nur im
Grenzfall Pr ---+ oo möglich ist. Stattdessen sollte man Korrekturbeziehungen analog
zu (5.46) in Abschnitt 5.4.2 formulieren. Für Einzelheiten sei auf die Originalarbeit
von Herwig et al. (1989) verwiesen.

Anmerkung 1 (Kanalströmung)
Für die ebene Kanalströmung (hydraulischer Durchmesser: Di; = 4H*, symmetrisches Tempera-
turfeld) lauten die Korrekturbeziehungen zur Erfassung des Einflusses variabler Stoffwerte analog
zu (6.54) und (6.55) für q;
= const und Br = 0 wie folgt:

c Re := 2IT;I e*u:'r,4H* = (c Re ) (e-0,235/PrT/0,525) (crReoh)o = 24 (6.57)


f Dh e•u-:;: TJ* f Dh 0 w w •

Nu := lq;I4H* =(Nu ) (,.,0,173-0,043/PrTJ-0,079~0,37lcO,l29) (Nuoh)o = 8,24.


Dh ~·IT; _ T;,l Dh 0 O<w w w pw

(6.58)
Anmerkung 2 (Berücksichtigung der Druckabhängigkeit der Dichte)
Die Taylor-Reihenentwicklung der Stoffwerte ergab eine nicht zu vernachlässigende Druckabhängig-
keit nur für die Dichte bei Gasen, s. Anhang A2 mit den Zahlenwerten Kcd aus Tabelle A2.1. Es
liegt damit zunächst die Vermutung nahe, daß die Rohrreibungszahl ~R• vgl. (6.16), einen Mach-
Zahl-Einfluß aufweist, da für die Druckabhängigkeit gilt (vgl. (A2.2) in Anhang A2 und (7.137) in
Kap. 7)
- + · .. = 1 +"'M a 2 p~ + ...
Ci := -e* = 1 + K- nlP (6.59)
eß ~

mit
c• u• ~ p*- p*
"':= _E., Ma := _.!!!_
a*s
und p·- - - -8
.- eßu;';-,2 .
(6.60)
~
Dies ist jedoch erstaunlicherweise nicht der Fall, wie sich folgendermaßen zeigen läßt.
Ausgangspunkt sind zunächst die Kontinuitäts- und die Impulsgleichung für große Rey-
x
nolds-Zahlen (vgl. Anhang Abschnitt Al.3, mit = x*/(R*Re), Re= eßu:'r,R*/TJ* für Re-+ oo)

(6.61)

(6.62)
118 K. Gersten/ H. Herwig

Das Gleichungssystem entspricht den sog. Schlankkanal-Gleichungen, die in Abschnitt 12.4.2


ausführlich behandelt werden. Dabei wurde zusätzlich bereits v = 0 gesetzt, da die Druckabhängig-
keit der Dichte (genau so wie die Temperaturabhängigkeit) auch in den höheren Ordnungen hier
nicht zu einer von null verschiedenen V-Komponente führt.
Multipliziert man (6.62) mit u und integriert anschließend über den Querschnitt, so folgt
die globale Bilanzgleichung für die kinetische Energie als
1 1

~ j ~u 3 r dr = -: j ur dr - D (6.63)
0 0

mit

D := J
0
1

r( ~; r dr. (6.64)

Das Dissipationsintegral (6.64) ist ein Maß für den Verlust an kinetischer Energie. Die Rohrrei-
bungszahl ).R als Maß für die Verluste in der Rohrströmung sollte deshalb direkt proportional zu
D sein. Mit der Definition
16
).R:= - D (6.65)
Reo
ergibt sich für konstante Dichte, also u = 2(1- r 2 ) nach (6.14), die bereits in Abschnitt 6.3.1
angegebene Beziehung ).RR.eo = 64, s. (6.16), weil dann D = 4 gilt. Dabei handelt es sich um eine
lokale Größe im Sinne der zuvor eingeführten Näherung "quasi-konstanter Stoffwerte", bei der die
in >.R und Re 0 auftretenden Stoffwerte bei dem lokalen Druck zu nehmen sind.
Bei variabler Dichte wird für die Geschwindigkeit u analog zu (6.59) folgende Entwicklung
angesetzt:
u = u 0 (r) + -yMa 2 u 1 (x, r) + O(Ma4 ). (6.66)
Eingesetzt in D nach (6.64) folgt daraus

J
1
D = 4 + 2-yMa2 duo au 1 r dr + O(Ma4 ). (6.67)
dr ar
0

Eine partielle Integration und die Verwendung von (6.8) für die Größen der nullten Ordnung (und
dpjdx = dpjdx in (6.8)) ergibt für das Integral in (6.67)

J
1
duo -
- au1 rdr
dr 8 r
= -dßo
-
dx
J 1

u 1rdr = 0. (6.68)
0 0

Dabei wurde als Integralbedingung für u 1 verwendet


1 1

j u 1rdr = 0 weil j ur dr = const . (6.69)


0 0

Damit bleibt das Dissipationsintegral (mindestens) bis zur Ordnung O(Ma2 ) frei von Einflüssen
variabler Dichte. Dieses Ergebnis bestätigt die in der Literatur häufig getroffene Aussage, daß die
Rohrreibungszahl keinem Mach-Zahl-Einfluß unterliegt.
6 Ausgebildete Durchströmungen 119

6.6 Zusammenfassung
1.) Ausgebildete Durchströmungen liegen vor, wenn das Geschwindigkeits- bzw.
Temperaturprofil unmittelbar oder nach einer geeigneten Normierung un-
abhängig von der Lauflänge x* ist.
2.) Der Druckgradient bei der ausgebildeten Rohrströmung ist konstant, s. (6.13).
Das Geschwindigkeitsprofil ist parabolisch, s. (6.14), daraus folgt unmittelbar
das Widerstandsgesetz (6.16).
3.) Für den Wärmeübergang ist nach der thermischen Randbedingung zu un-
terscheiden. Für q;_, = const gilt ein linearer Anstieg der Mitteltemperatur,
s. (6.18), als Wärmeübergangsgesetz folgt ein konstanter Zahlenwert für die
Nußelt-Zahl, s. (6.26). Für r; = const nähert sich die Mitteltemperatur ex-
ponentiell dem stromabwärts geltenden Temperaturwert r;, s. (6.36). Als
Wärmeübergangsgesetz ergibt sich auch in diesem Fall ein konstanter Zahlen-
wert für die Nußelt-Zahl, s. (6.37).
4.) Der Einfluß der Dissipation auf den Wärmeübergang kann additiv zu den
Ergebnissen ohne Dissipationseinfluß hinzugenommen werden, weil der Ener-
giesatz linear ist. Dazu wird zunächst der Dissipationseinfluß in Form der
Nußelt-Zahl (6.42) allein ermittelt und anschließend zu den Ergebnissen ohne
Dissipation hinzugenommen. Dies führt auf die erweiterten Wärmeübergangs-
r;
ergebnisse (6.46) für q;_, = const und (6.49) für = const.
5.) Der Einfluß variabler Stoffwerte kann systematisch mit der asymptotischen
Methode nach Abschnitt 5.4.2 ermittelt werden. Für q;_, = const führt dies
auf die Korrekturbeziehungen (6.54) und (6.55) in Form der Stoffwertverhält-
nismethode. Für r; = const ist diese Form problematisch, da sie nur im
Grenzfall großer Prandtl-Zahlen gilt.
6.) Als Besonderheit bei Durchströmungen mit q;_, = const kann der Begriff
der quasi-konstanten Stoffwerte eingeführt werden, mit dem eine Situation
beschrieben wird, in der die Strömung nur lokal durch die Gesetze konstanter
Stoffwerte beschrieben wird, s. z.B. (6.53).
7 Grenzschichtströmungen bei ·erzwungener Konvektion
(Re- cx:>)

7.1 Vorbemerkung
Der Ausgangspunkt für die Entwicklung der sog. Grenzschichttheorie war folgende
Beobachtung: Betrachtet man eine zunächst ungestörte Strömung und bringt dann
einen Körper (z.B. ein Tragfl.ügelprofil) in diese Strömung, so treten im Strömungs-
feld erwartungsgemäß Änderungen in der Geschwindigkeits- und Druckverteilung
auf. Es überrascht auch nicht, daß diese Änderungen in der Nähe des Körpers am
größten sind und mit zunehmender Entfernung abklingen. Trotzdem gibt es eine
lange Zeit nicht bemerkte Besonderheit, die man erst bei dem Versuch erkannte,
das Strömungsfeld theoretisch zu beschreiben. Es stellt e sich nämlich heraus, daß
die Strömung sich fast im gesamten Strömungsfeld wie eine reibungslose Strömung
verhält und damit der theoretischen Behandlung relativ leicht zugänglich ist. Es
verbleibt nur ein verschwindend geringer Teil des Strömungsfeldes, der gesondert
betrachtet werden muß, dem aber große Bedeutung zukommt. Reibungseffekte sind
nämlich nicht vollständig vernachlässigbar, sondern konzentrieren sich auf einen ex-
trem dünnen wandnahen Teil des Strömungsfeldes. Dieser wandnahe Bereich, die
sog. Grenzschicht oder Reibungsschicht, wird um so dünner, je höher die Strömungs-
geschwindigkeit wird.
Eine genauere Beobachtung ergibt folgende Verallgemeinerung: Die Dicke der
Grenzschicht verringert sich nicht nur mit wachsender Strömungsgeschwindigkeit
(charakterisiert durch die Bezugsgeschwindigkeit Uß), sondern auch mit abnehmen-
der kinematischer Viskosität v*. Insgesamt ergibt dies eine Abhängigkeit von der
Reynolds-Zahl Re= UßL* fv* als dimensionsloser Kombination dieser Größen, wie
in Bild 7.1 skizziert ist. Dabei ist L* eine charakteristische Körperabmessung.

Bild 7.1: Steigende Reynolds-Zahl:


Ausbildung des Grenzschichtcharakters
der Strömung in Wandnähe.
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 121

Es gilt aber auch eine Einschränkung: Das eben beschriebene Verhalten der Grenz-
schichten ist nur an sehr schlanken Körpern (z.B. Tragflügeln) ohne nennenswer-
ten Anstellwinkel im gesamten Körperbereich zu beobachten. Bei sog. stumpfen
Körpern (z.B. Kreiszylindern) beobachtet man Grenzschichten nur am vorderen
Teil. Im hinteren Bereich treten in der Regel große (reibungsbehaftete) Rezirkula-
tionsgebiete auf, die sich mit steigender Reynolds-Zahl nicht wesentlich verändern.
Dieses Strömungsverhalten nennt man Grenzschicht-Ablösung. Obwohl das Gebiet
abgelöster Strömung keinen Grenzschichtcharakter besitzt, ist die theoretische Be-
schreibung dieses Phänomens sehr eng mit dem Grenzschichtkonzept verbunden,
wie in Abschnitt 11.7 deutlich werden wird.
An diese Beobachtungen schließt sich natürlich unmittelbar die Frage nach
dem physikalischen Hintergrund an: Warum gibt es Grenzschichten? Die Antwort,
die im folgenden näher erläutert werden soll: Weil in der Strömung Transport-
mechanismen mit extrem verschiedenen "Transportgeschwindigkeiten" vorhanden
sind. Für die weiteren Ausführungen muß zunächst der Begriff Transportmechanis-
mus präzisiert werden.
Wie am Eingangsbeispiel der Couette-Strömung erläutert wurde, entsteht
durch die Wechselwirkung der Fluidmoleküle ein Impulstransport in Richtung nied-
rigerer Geschwindigkeiten. Der Transportkoeffizient für diesen Vorgang, der mole-
kularer Impulstransport genannt werden soll, ist die Viskosität ry*. Eine charakteri-
stische Geschwindigkeit für diesen Transport läßt sich aus der Viskosität (aus Di-
mensionsgründen in Form der kinematischen Viskosität v* = ry* / e*) und der Länge
bilden, über die der Transportvorgang stattfindet. Diese charakteristische Länge sei
b*, so daß für die molekulare (viskose) Transportgeschwindigkeit als charakteristi-
scher Wert gilt
(7.1)

Diese Geschwindigkeit ist aus dimensionsanalytischer Sicht ein Maßstab für den
molekularen Impulstransport.
Ein umströmter Körper verursacht einen solchen (Impuls-) Transportvorgang
dadurch, daß die Haftbedingung an der Wand einen Geschwindigkeitsgradienten im
wandnahen Fluid erzwingt und damit den molekularen Transportvorgang auslöst.
Dieser Effekt ist in einer Schichtdicke erkennbar, für die 8* einen charakteristischen
Maßstab darstellt. Die Frage nach der Größe von 8* ist nun unmittelbar mit der
Frage gekoppelt, welche wandnahen Teilchen von dem molekularen Transportme-
chanismusnoch erfaßt werden und welche durch die Konvektionsbewegung bereits
den Körper passiert haben, ohne erfaßt worden zu sein.
Die Konvektion als zweiter Transportmechanismus für den Impuls ist durch
die charakteristische Strömungsgeschwindigkeit Uß gekennzeichnet, die z.B. die Ge-
schwindigkeit der ungestörten Anströmung sein kann. Die Verweilzeit eines Teil-
chens im Bereich des Körpers mit der charakteristischen Länge L* ist damit L* /Uß.
Nur Teilchen, die innerhalb dieser Zeit von dem molekularen Impulstransport von
122 K. Gersten/ H. Herwig

der Wand her erfaßt werden, sind effektiv durch Reibung (d.h. durch die Viskosität)
beeinfiußt und zählen zur (reibungsbehafteten) Grenzschicht der charakteristischen
Dicke 6*. Diese Dicke ist somit das Produkt aus der molekularen Transportgeschwin-
digkeitu: = v* I 6* und der Verweilzeit L *IUß, also

6* rv (1/*)
6*
(-L*)--+

~
L*
rv (-v_*_)l/2 = Re-1/2
UßL*
(7.2)
L-------------------~

Das "' Symbol besagt, daß es sich um Aussagen bezüglich der charakteristischen
Werte handelt, die jeweils nur bis auf frei wählbare Konstanten festliegen. Der
durch Reibungseffekte beeinfiußte Grenzschichtbereich der Dicke 6* wird gemäß
(7.2) für Re --+ oo also beliebig dünn, er behält aber trotzdem seine Bedeutung
für die Gesamtströmung bei. Andererseits macht (7.2) aber auch deutlich, daß ein
grenzschichtähnlicher Charakter (6* « L*) nur für große Reynolds-Zahlen existiert.
Die zu Anfang gegebene Erklärung, daß Grenzschichten durch das Zusam-
menwirken von Transportmechanismen mit stark unterschiedlichen Transportge-
schwindigkeiten entstehen, kann jetzt präzisiert werden. Für das Verhältnis von u:
(viskoser Impulstransport) zu Uß (konvektiver Impulstransport) gilt mit (7.2)

u: = v* 16* "'Re-1/2. (7.3)


Uß Uß
Dieses Verhältnis wird für Re --+ oo beliebig klein. Die Grenzschichttheorie ist
deshalb eine asymptotische Theorie für Re--+ oo.
Eine ganz ähnliche Überlegung kann bei Wärmeübertragungsproblemen die
Ausbildung von Temperaturfeldern mit Grenzschichtcharakter erklären. Die beiden
entscheidenden Transportmechanismen für die innere Energie des Fluides sind -
analog zum Strömungsproblem - der konvektive Transport innerer Energie und der
Transport durch Wärmeleitung. Der konvektive Transport, d.h. der Transport der
inneren Energie, verursacht durch die Strömung der Fluidteilchen (in diesen ist über
die Wärmekapazität innere Energie gespeichert), ist natürlich durch die Strömungs-
grenzschicht beeinfiußt. Für die Abschätzung der Dicke einer thermischen Grenz-
schicht ist es damit wichtig, wie dick die Strömungsgrenzschicht im Verhältnis zu der
erwarteten Temperaturgrenzschicht ist. Ganz allgemein kann zunächst angenommen
werden, daß die Temperaturgrenzschicht dicker als die Strömungsgrenzschicht ist,
wenn die Leitungs-Transportgeschwindigkeit für die innere Energie deutlich größer
ist als die entsprechende Geschwindigkeit für den Impuls. Über die Transportko-
effizienten ausgedrückt liegt dieser Fall für a* » v* vor, wie eine anschließende
Abschätzung ergibt. Die Größe a* hat dieselbe Dimension wie v* und ist ein di-
rektes Maß für die Wärmeleitung. Die Definition ist a* := )...*I e*c;. Diese Größe
wird Temperaturleitfähigkeit genannt. Man sollte allerdings nicht versuchen, diese
Bezeichnung physikalisch zu interpretieren. Das Verhältnis beider Transportgrößen
ist die Prandtl-Zahl Pr := v* I a*. Der hier zunächst betrachtete Fall a* » v* ist
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 123

also durch kleine Prandtl-Zahlen bestimmt. Eine typische Stoffgruppe mit kleinen
Prandtl-Zahlen sind flüssige Metalle.
Umgekehrt ist zu erwarten, daß die Temperaturgrenzschicht dünner als
die Strömungsgrenzschicht ist, wenn die Transportgeschwindigkeit für die innere
Energie deutlich kleiner als die für den Impuls ist, also a* « v* gilt. Dies ist
dann der Fall großer Prandtl-Zahlen. Eine typische Stoffgruppe hierfür sind Öle. In
Bild 7.2 sind beide Grenzfälle bezüglich der Prandtl-Zahl skizziert. Zahlenwerte für
verschiedene Stoffe sind im Anhang A2 zu finden.

u* r*- r: u* r *-Too*
-- ---o;
Bild 7.2: Temperaturgrenz-
schichten bei extremen Prandtl-
Zahlen (T~2 Temperatur in
der Außenströmung)
(a) Pr-+ 0: 6.j. » 6*
{a) Pr - o (b) Pr - oo
(b) Pr-+ oo: 6.j. « 6*
(z.B.: flüssige Metalle) (z.B.: Öle}

Einfache physikalische Überlegungen führen wieder auf eine Aussage über die Dicke
der Temperaturgrenzschicht, die mit 8f bezeichnet wird. Eine solche Abschätzung
soll zunächst für die beiden Grenzfälle Pr ---* 0 und Pr ---* oo in Form des
Verhältnisses 8ff8* vorgenommen werden.
Ganz allgemein gilt bezüglich der charakteristischen Geschwindigkeit für den
Transport innerer Energie durch Leitung (analog zu (7.1))
a*
U.j. = 8* . (7.4)
T
Im Grenzfall kleiner Prandtl-Zahlen ist die charakteristische Verweilzeit aufgrund
der konvektiven Bewegung durch die Geschwindigkeit Uß gegeben, also L* /Uß . Die
Dicke der Temperaturgrenzschicht ist wieder dadurch bestimmt, daß Teilchen in
dieser Zeit von Leitungseffekten erfaßt werden. Somit gilt

8T ~ (;;) (~~) , (7.5)

woraus mit 8* nach (7.2) unmittelbar folgt

8T ~ Pr- 112 für Pr---* 0. (7.6)


8*
Im anderen Grenzfall, Pr ---* oo, ändert sich gegenüber dem Fall kleiner Pr-Zahlen
lediglich die Verweilzeit der Teilchen, die durch Leitung beeinflußt werden. Bild 7.2
124 K. Gersten/ H. Herwig

für Pr --> oo macht dies deutlich. Eine charakteristische Konvektionsgeschwindigkeit


im Bereich der erwarteten Temperaturgrenzschicht ist jetzt nicht mehr durch Uß
gegeben. Sie muß erheblich kleiner sein, z.B. kann die Geschwindigkeit am Rand
der Temperaturgrenzschicht, also bei y* = 8T, als charakteristische Geschwindigkeit
dienen. Schätzt man diese Geschwindigkeit über eine Taylor-Reihenentwicklung um
die Stelle y* = 0 (Wand) ab, so gilt
U.f =(du* jdy*)w 8T + .... (7.7)

Für den Geschwindigkeitsgradienten an der Wand gilt (du* /dy*)w ""Uß/8*, so daß
insgesamt mit der Verweilzeit L* /U.f = L* /(Uß8.r/8*) gilt

8T rv
(8Ta*)(L*8*)
Uß8T '
(7.8)

woraus mit 8* nach (7.2) folgt

8T ""Pr-1/3 für Pr --> oo . (7.9)


8*
Für Prandtl-Zahlen in der Nähe von eins ist zu erwarten, daß die Pr-Abhängigkeit
von 8T/8* zwischen Pr- 112 und Pr- 113 liegt. Das Verhalten von 8T/8* folgt aus
physikalischer Sicht dann jedoch nicht mehr einer Potenzfunktion bezüglich der
Prandtl-Zahl.
Diese einfachen Überlegungen führen also auf folgende asymptotischen Aus-
sagen bezüglich der Dicke der Temperaturgrenzschichten:

Re --> oo, Pr --> 0: 8T ""Re-1/2pr-1/2


L*
(7.10)
Re --> oo, Pr --> oo :

7.2 Grenzschichtgleichungen für erzwungene Konvektion


Die Grenzschichtgleichungen sind ein Teilaspekt einer asymptotischen Theorie für
die Strömung bei großen Reynolds-Zahlen und können systematisch auch nur im
Rahmen dieser Theorie hergeleitet werden, s. dazu Abschnitt 11.3 und Abschnitt
11.4 (singuläre Störungsprobleme).
Historisch gesehen ist die Entwicklung der Grenzschichttheorie allerdings "un-
systematisch" verlaufen. Erst nachdem Prandtl (1904) die Grenzschichtgleichungen
heuristisch aufgestellt hat, ist (sehr viel später) die allgemeine asymptotische Theo-
rie entstanden, in der die Grenzschichtgleichungen systematisch eingebettet sind.
Die mathematische Systematik der asymptotischen Theorie hat natürlich ihre Ent-
sprechung im zugrundeliegenden physikalischen Geschehen, das L. Prandtl als erster
klar erkannt hat.
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 125

Um den physikalischen Hintergrund deutlich werden zu lassen, sollen die


Grenzschichtgleichungen in diesem Kapitel auf anschauliche Weise aus den Grund-
gleichungen (Navier-Stokes-Gleichungen, Energiegleichung) abgeleitet werden. Es
soll aber gleichzeitig auch der asymptotische Aspekt betont werden, so daß der
Zusammenhang mit der allgemeineren Theorie der singulären Störungsprobleme
deutlich wird. Eine "strenge" Ableitung aus den Navier-Stokes-Gleichungen erfolgt
in Kap. 11.
Es ist für das Folgende sehr wichtig, den Begriff der "asymptotischen Größen-
ordnung' präzise zu definieren und seine Bedeutung zu verstehen, da er das zentrale
Element bei der Herleitung der Grenzschichtgleichungen darstellt.
Zunächst ist wichtig, daß sich der Begriff "asymptotische Größenordnung" auf
Funktionen (und nicht auf einzelne Zahlenwerte) bezieht. Es werden Funktionen
einer Variablen c im Grenzfall c --> 0 betrachtet, also z.B. /(c). Es geht also
um den Begriff "asymptotische Größenordnung der Funktion /(c) für c --> 0".
Diese Größenordnung kann nun im Vergleich zu einer anderen Funktion, die eine
bestimmte Abhängigkeit von c hat und 8(c) lauten soll, festgestellt werden. Die
Funktion 8(c) heißt in diesem Zusammenhang auch Vergleichsfunktion, häufig sind
dies Potenzfunktionen 8 = cn.
Man schreibt "/(c) ist von der asymptotischen Größenordnung 8(c)" formal
als
. /(c)
f(c) = 0[8(c)], wenn hmr;-() =C<oo. (7.11)
V c
e_.O

Dies bedeutet sehr anschaulich, daß f(c) "gleich schnell" wie 8(c) dem Grenzwert
zustrebt, der Quotient f(c)/8(c) im Grenzfall c --> 0 also eine Konstante ist, die
beschränkt ist und nicht verschwindet.
Für den Fall, daß der Quotient null wird, schreibt man das Symbol o, also

f(c) = o[8(c)], wenn lim /(c) =0 (7.12)


e:--o 8(c)

Die beiden in (7.11) und (7.12) eingeführten Symbole heißen Landau-Symbole.


Deren Definitionen sollte man im weiteren sorgfältig beachten, weil der Begriff
"Größenordnung" bisweilen auch auf den Vergleich von Zahlenwerten angewandt
wird. So spricht man fälschlicherweise davon, zwei Effekte seien von der gleichen
Größenordnung, wenn sie in einer bestimmten Situation (und nicht im Sinne
eines asymptotischen Grenzprozesses) annähernd gleiche Zahlenwerte besitzen. Die
Feststellung der asymptotischen Größenordnung sagt aber zunächst nichts über
das konkrete Zahlenverhältnis aus. So sind z.B. f = 10 4 c und 8 = c von der
gleichen asymptotischen Größenordnung, obwohl ihr Zahlenverhältnis 104 ist! In
der praktischen Anwendung wird man jedoch bemüht sein, Vergleichsfunktionen 8
zu wählen, die Zahlenverhältnisse in der Nähe von eins ergeben.
126 K. Gersten/H. Herwig

Diese Überlegungen sollen nun auf den wandnahen Bereich der Strömung
angewandt werden, der als Bereich der Grenzschicht ausgemacht worden war.
Die Frage ist, ob sich in diesem Bereich die Grundgleichungen (Navier-Stokes-
Gleichungen, Energiegleichung) vereinfachen lassen, weil dieses Gebiet die Eigen-
schaft besitzt, asymptotisch dünn zu sein. Dies ist die Frage danach, ob alle Terme
der Grundgleichungen von der gleichen asymptotischen Größenordnung bezüglich
des Grenzprozesses Re --+ oo sind. Von der Reynolds-Zahl ist zunächst nur die
Grenzschichtdicke gemäß (7.2) abhängig, was jedoch zwei entscheidende Konsequen-
zen hat.

(1) Bei der Entdimensionierung der Grundgleichungen war die Länge L* als
charakteristische Größe für beide Koordinatenrichtungen gewählt worden. Die
charakteristische Quererstreckung der Grenzschicht ist aber L* Re- 1/ 2 , wie
(7.2) zeigt. Dies kann durch die Transformation

y-+N: N = yRe 1/ 2 = y* (7.13)


L*Re- 112

berücksichtigt werden. Wird als dimensionslose Querkoordinate N eingeführt,


so ist y* mit der charakteristischen Querabmessung L*Re- 112 entdimensio-
niert, und es gilt im Sinne von (7.11) in der Grenzschicht N = 0(1). Damit
ist also N eine mit Re 112 gestreckte Koordinate.

(2) Eine ähnliche Abschätzung wie für die charakteristische Quererstreckung


ergibt für die charakteristische Quergeschwindigkeit die Größe (Uß/ L*)8*,
was mit (7.2) auf UßRe- 1/ 2 führt. Auch dies kann durch eine entsprechende
Transformation auf v = 0(1) berücksichtigt werden.

v*
V-+V: v = vRe 1/ 2 = -----=-=
U*Re- 112
(7.14)
B

Mit den beiden Transformationen (7.13) und (7.14) lauten die vollständigen Grund-
gleichungen (4.1) bis (4.4)
a(eu) a(@) _ 0
ax + aN - (7.15)

e( uau _au) = -ap


- +v- 1
- + -(1- . a(au)
e)sma+- TJ-
ax aN 2ax Fr aN aN
1 a ( ( au
+Re _ [ fu: 2(au
TJ 2& - 3 fu: + ßN a (TJ&:
av))) + ßN av)] (7.16)
7 Grenzschichtströmunge n bei erzwungener Konvektion 127

eRe
_1[ av av J ap
u-+v- _112 -(1-e)cosa+R
1 _ 2 a ( av)
ax aN =--+Re
aN Fr 2
e -
ax "'-
ax

+Re
_1 [a8x ("'EiNau) +
a ("' ( 28N
8N av - 32(au av)))]
8x + aN (7.17)

ae
ecp ( uax _ae )
+vaN 1 [
=Pr
a ( >..aN
aN ae ) J +Ec
- ['f/ ( aN
au ) 2
+ß( 1 +e)
(
uax _ap ) J
ap +vaN

ax (>.. ae)]
+_!_Re_ 1 [!___ (7.18)
Pr ax
-
+ "'EeRe- 1[ (
2 - au) 2 ( av ) 2 au +av- ) 2 + 2av- -au- +Re _1 ( -av ) 2]
-2 ( -
ax + 2 -aN - 3 ax aN axaN ax .

Die Frage nach den asymptotischen Größenordnungen der einzelnen Terme kann
nun sofort beantwortet werden, da nach der Grenzschichttransfo rmation (7.13) und
(7.14) die Re-Abhängigkeiten explizit vorliegen.
Im Grenzfall großer Reynolds-Zahlen (Re ---+ oo) sind alle nicht unterstriche-
nen Terme von der Größenordnung 0(1), alle unterstrichenen Terme von o(1), d.h.
sie sind im Verhältnis zu den nicht unterstrichenen Termen asymptotisch klein im
Sinne von (7.12). Durch diese Terme werden physikalische Effekte beschrieben, die
in Grenzschichten vernachlässigbar klein sind, und zwar in einem asymptotischen
Sinne, d.h. sie sind um so unbedeutender, je größer die Reynolds-Zahl ist. In (7.17)
wird der zweite Term auf der rechten Seite zunächst als ein Term 0(1) behandelt,
da hier noch keine Annahme über die Froude-Zahl Fr getroffen werden soll, also
Re- 112 Fr- 2 (1 - e) von der Größenordnung 0(1) sein kann.
Daß für die Abschätzung der Größenordnungen in einem asymptotischen
Sinne gedacht werden muß, macht die y-Impulsgleichung (7.17) für den Sonderfall
konstanter Dichte (e = 1) deutlich. Dort ist -apjaN
dann der einzige Term der
Größenordnung 0(1). Alle anderen Terme sind asymptotisch klein. Sie sind nicht
einfach zahlenmäßig klein gegenüber apjaN,
denn nach der richtigen asymptoti-
schen Abschätzung gilt apjaN
= 0. Es ist also apjaN
= 0(1) mit dem Zahlenwert
null! Physikalisch bedeutet dies, daß alle Effekte, die einen Druckgradienten apjaN
in Grenzschichten erzeugen könnten, vernachlässigbar klein sind, so daß der Druck
über die Grenzschicht hinweg in N-Richtung konstant ist.
Formal kann dies dadurch berücksichtgt werden, daß in der x-Impulsgleichung
das gewöhnliche Differential für den Druckgradienten geschrieben wird, also dpjdx.
Damit ist das Gleichungssystem aber nun um eine Gleichung reduziert worden, so
daß auch eine Variable weniger bestimmt werden kann! Die gesuchten Funktionen
waren ursprünglich (in (7.15) bis (7.18)) u, v, p, e. Tatsächlich ist der Druck in
128 K. Gersten/ H. Herwig

den Grenzschichtgleichungen aber nicht mehr unbekannt! Er ist nur eine Funktion
von x und damit zwangsläufig gleich dem Wert am Außenrand der Grenzschicht.
Hier wird er, wie man sagt, von der Strömung außerhalb der Grenzschicht "auf-
geprägt". Man erkennt hieran, daß diese Außenströmung bekannt sein muß, be-
vor die Grenzschichtgleichungen gelöst werden können! Beide, Außenströmung und
Grenzschichtströmung, sind eng miteinander gekoppelt, und zwar wieder in einem
asymptotischen Sinne. Bevor dies erläutert wird, sollen die Grenzschichtgleichun-
gen zunächst noch einmal aufgeführt werden. Es werden jetzt alle unterstrichenen
Terme in (7.15)bis (7.18) vernachlässigt.·

ä(eu) ä({fü) _ 0
äx + äN - (7.19)

äu _äu) äp ä(äu) 1 .
{} ( uax + v[ijj = -8x +EiN Tl[ijj + ~(1- e) sma (7.20)

lo = -~ +Re- 1 1 2 ~(1- e)cosal (7.21)

(7.22)

Außerdem wird ab jetzt iJ = (T*- Tß)/!::.Tß = 8Tß/!::.Tß mit !::.Tß als charakte-
ristischer Temperaturdifferenz verwendet, so daß in der Energiegleichung Ec statt
Ec auftritt (vgl. Tab. 4.2 und die Anmerkung in Kap.4, Abschnitt 4.2.). Für ß*T*
in (7.22) gilt ß*T* = 1- e*(ßh* /ßp*h .
Sonderfälle sind
(1) konstante Stoffwerte: f! = TJ = >. = cP = 1, ß = 0
(2) keine Dissipation: Ec = 0.
Die weiteren Überlegungen werden zunächst für diese beiden Sonderfälle angestellt.
Dies schließt auch die natürlichen Konvektionsströmungen aus, da jetzt 1 - f! = 0
gilt. Sie werden in gesonderten Kapiteln für reine natürliche Konvektion (Kap. 8)
und für gemischte Konvektion (Kap. 9) behandelt.
Aufgrund der Ordnungen der Differentialgleichungen sind insgesamt fünf
Randbedingungen für u, v und iJ erforderlich. Diese sind (vgl. dazu Abschnitt 3.6)
(1) an der Wand: u, v und iJ entsprechen den jeweiligen Wandwerten (u = 0 :
ruhende Wand; v = 0: undurchlässige Wand in Ruhe; iJ = {}w für T:, = const,
bzw. (ßiJ/ßN)w = const für q~ = const)
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 129

(2) am Außenrand: asymptotischer Übergang von u und '19 in die Werte der rei-
bungslosen Außenströmung (beachte: keine Randbedingung für v am Außen-
rand)
Dieser asymptotische Übergang in die Außenströmung ist ein zentrales Element der
Grenzschichttheorie. Er spielt für deren Verständnis eine wichtige Rolle und soll
deshalb hier ausführlich erläutert werden.
Geht man noch einmal zur Gleichung (7.16) zurück, so ist zu erkennen, daß von
allen Reibungstermen (Terme mit der Viskosität 71) nur 8(1J8uf8N)f8N erhalten
bleibt. Dies aber auch nur, weil für die (asymptotisch) dünne Grenzschicht zuvor der
Übergang auf die GrenzschichtkoordinateN erfolgt war. In nicht transformierten
(x,y)-Koordinaten lautet dieser Term Re- 1 [8(7]8uf8y)f8y] und ist damit auch von
der Größenordnung o(1). Für die Außenströmung ist dies die asymptotisch richtige
Schreibweise, so daß dieser Term dort im Grenzfall Re ~ oo wie alle anderen
Reibungsterme vernachlässigbar klein ist. Physikalisch bedeutet das: Außerhalb der
Grenzschicht sind die Reibungseinflüsse (asymptotisch) klein, so daß die Strömung
für Re ~ oo als reibungsfrei betrachtet werden kann. Bedeutende Reibungseffekte
gibt es nur innerhalb der Grenzschicht.
Am Außenrand der Grenzschicht erfolgt der Übergang in ein Gebiet reibungs-
freier Strömung. Nun reicht diese reibungsfreie Strömung aber nicht bis zur Wand,
so daß man annehmen könnte, die Übergangsbedingung müßte ein Stück von der
Wand entfernt formuliert werden. Dies ist nicht der Fall! Weil die Grenzschicht
asymptotisch dünn ist, können die wandnahen Werte der Außenströmung direkt an
der Wand bestimmt werden, also unter Vernachlässigung der tatsächlich vorhande-
nen Grenzschicht. Der Fehler, der dadurch entsteht, ist nicht nur klein, sondern -
wie später gezeigt wird - asymptotisch klein.
Der Vorteil, die Werte der Außengeschwindigkeit direkt an der Wand bestim-
men zu können, liegt auf der Hand: Grenzschicht und Außenströmung müssen nicht
simultan durch ein Iterationsverfahren bestimmt werden, sondern nacheinander.
Zuerst wird der Druck P(x, y) in der reibungsfreien Außenströmung berechnet. Die
Druckverteilung 8P/ ßx an der Wand ist die Vorgabe für die anschließende Grenz-
schichtrechnung. Da es sich um eine reibungsfreie Strömung handelt, ist mit der
Druckverteilung an der Wand auch unmittelbar die Geschwindigkeitsverteilung der
Außenströmung an der Wand gegeben. Aus den Euler-Gleichungen für reibungslose
Strömungen (s. (11.17) mit Re- 1 = 0 und U, V,P statt u,v,p), ausgewertet an der
Wand, folgt

(~=) y=O = - ( U ~~) y=O '


so daß der Druckgradient ßpjßx in (7.20) wegen ßpjßx = (8Pf8x)y=O durch
den Term -U8Uf8x ersetzt werden kann. Dabei ist U(x) die Geschwindigkeit
der reibungslosen Außenströmung an der Wand, die für die Grenzschichtrechnung
bekannt sein muß. Der Übergang zwischen der Grenzschicht und der Außenströmung
130 K. Gersten/ H. Herwig

(in der Außenströmung gelten die Größen U(x, y) und '!9a(x, y)) führt auf folgende
noch fehlenden Randbedingungen für die Grenzschichtgrößen u(x, N) und '!9(x, N):

lim u(x, N) = lim U(x, y) (7.23)


N -->oo y-->0

lim '!9(x,N) = lim '!9a(x,y). (7.24)


N -->oo y-->0

Der Grenzwert N -+ oo bedeutet, daß es keinen bestimmten Wandabstand N gibt,


bei dem der Übergang in die Außenströmung erfolgt. Der Übergang ist asympto-
tisch und kann auch nur verstanden werden, wenn man sich vor Augen hält, daß
(7.23) und (7.24) im Grenzfall großer Reynolds-Zahlen gelten. Bild 7.3 verdeutlicht,
daß die Übergangsbedingungen für endliche Reynolds-Zahlen gar keinen kontinu-
ierlichen Übergang zwischen Grenzschicht und Außenströmung beschreiben, da am
Grenzschichtrand nicht der dort geltende Wert der Außenströmung erreicht wird.
Die "Diskontinuitäten" sind aber asymptotisch klein. Die Darstellung in den beiden
verschiedenen Variablen y und N verdeutlicht den Anpassungsprozeß einmal "aus
der Sicht der Außenströmung", also in y formuliert, und einmal "aus der Sicht der
Grenzschicht", also in N formuliert.

t
y Bild 7.3: Außen- und Grenzschicht-

1
strömungsprofile in Wandnähe bei
steigender Reynolds-Zahl
Außenströmung (grau unterlegt);
Grenzschicht (Pfeil-Kennzeichnung)
obere Reihe: y-Koordinate, Außenströ-
mung bleibt unverändert
untere Reihe: N-Koordinate, Grenz-
schicht bleibt unverändert

Aus den beiden Teillösungen (Außenströmung, Grenzschichtströmung) läßt sich ein


geschlossenes Geschwindigkeitsprofil gewinnen, indem beide Lösungen addiert wer-
den und anschließend der gemeinsame Anteil subtrahiert wird, weil er nicht doppelt
gezählt werden darf. Diese zusammengesetzte Lösung ist dann natürlich abhängig
von der Reynolds-Zahl und entweder in Grenzschicht- oder in Außenströmungs-
variabien darstellbar. In Bild 7.4 ist das Geschwindigkeitsprofil an einer gegebe-
nen Stelle x für eine solche zusammengesetzte Lösung gezeigt; der gemeinsame
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 131

Anteil von Außen- und Grenzschichtströmung ist gleich der Geschwindigkeit der
Außenströmung an der Wand.

Bild 7.4: Entstehung der zusammen- AUSSEN- GRENZ- GE ME INS. ZUSAMMEN-


gesetzten Lösung (bei einer bestimmten STRÖMUNG SCHICHT ANTEIL GESETZlE
Reynolds-Zahl) LÖ SUNG

Für den Spezialfall der Plattenströmung mit U*(x*, y*) = U:X, vereinfacht sich Bild
7.4 erheblich. Die Außenströmung ist dann gleich dem gemeinsamen Anteil mit
der Folge, daß das Grenzschichtprofil selbst bereits dem zusammengesetzten Profil
entspricht.

Beispiel 7.1: Außenströmung am Kreiszylinder


Unterstellt man eine potentialtheoretische Umströmung des Kreiszylinders, so lautet die reibungs-
lose Außenströmung in einem kartesischen Koordinatensystem mit den Komponenten U und V
für die x- bzw. y-Richtung und mit Uß = u;., und L* = R*

(B7.1-1)

Im Scheitelpunkt S (x = 0, y = 1) gilt damit U = 2, V = 0. In der unmittelbaren Umgebung


y 2: 1 von S gilt nach einer Taylor-Reihenentwicklung um y = 1
U(O, y) = 2- 2(y- 1) + · · · . (B7.1-2}
• R*
Die Grenzschichtvariable im ScheitelpunktS ist N := ~VRe = (y- 1)VRe, so daß für die
Außenst römung in der für die Grenzschicht relevanten Koordinate N gilt

U(O, N) = 2- ~ + O(Re- 1 ). (B7.1-3)

Dies zeigt, daß die der Grenzschicht aufgeprägte Außengeschwindigkeit tatsächlich der Wandwert
der Außenströmung U = 2 ist.

u: y*

Bild B7.1: Koordinatensysteme


am Kreiszylinder
132 K. Gersten/ H. Herwig

Für die drehungsfreie Außenströmung gilt in einem der Kontur folgenden sog. natürlichen
Koordinatensystem X*, Y* (s. Bild B7.1) stets

au·)
( 8Y* U*(X*,O)
(B7.1-4)
Y*=O = R*(X*) '

wobei R*(X*) der lokale Krümmungsradius der Wand ist und Y* senkrecht von der Wand aus
zählt. Der Geschwindigkeitsgradient au• j8Y* der Außenströmung an der Wand ist also direkt
proportional zur örtlichen Wandkrümmung. Anders als für den Kreiszylinder ist der Wandgradient
für die ebene Platte (R* = oo) also null.

7.3 Erläuterungen zu den Grenzschichtgleichungen


Die physikalischen und mathematischen Konsequenzen des Grenzschichtcharakters
der Strömungen bei hohen Reynolds-Zahlen sollen durch folgende sechs Punkte
erläutert werden:
(1) Weil Grenzschichten asymptotisch dünn sind, können sie in einem Koordina-
tensystem beschrieben werden, das der Wand folgt. In der Regel ist dieses
System orthogonal. Der Einfluß der Wandkrümmung ist asymptotisch klein,
da das Verhältnis aus der örtlichen Dicke der Grenzschicht und dem örtli-
chen Krümmungsradius von der Größenordnung O(Re- 112 ) ist. Für Re-+ oo
konnte dieser Einfluß in (7.19) bis (7.22) deshalb vernachlässigt werden. In
Grenzschichtvariablen (x, N) ist die Wandkrümmung im Grenzfall großer Rey-
nolds-Zahlen "nicht mehr wahrnehmbar". Asymptotisch gesehen handelt es
sich bei der Krümmung um einen Effekt höherer Ordnung, s. dazu Kap. 11.
(2) Weil in den Grenzschichtgleichungen die zweiten Ableitungen in Strömungs-
richtung vernachlässigt werden konnten (sie sind asymptotisch klein), sind
die Grenzschichtgleichungen mathematisch vom parabolischen Typ. Das be-
deutet, daß in den Gleichungen keine Stromaufwärtswirkung vorhanden ist.
Bei einer numerischen Lösung muß deshalb nicht die gesamte Grenzschicht
auf einmal berechnet werden (was dann iterativ geschehen müßte), sondern
die Grenzschichtgleichungen können in Strömungsrichtung fortschreitend mit
einer einzigen Rechnung gelöst werden (engl.: marehing procedure).

(3) Die Grenzschichtgleichungen (7.19) bis (7.22) sind nicht explizit von der Rey-
nolds-Zahl abhängig. Eine Lösung dieser Gleichungen für eine bestimmte
Außengeschwindigkeit gilt (im asymptotischen Sinne) für alle großen Rey-
nolds-Zahlen. Die explizite Reynolds-Zahl Abhängigkeit der Grundgleichun-
gen (Navier-Stokes- und Energiegleichungen) ist für große Reynolds-Zahlen
gerade durch die Grenzschichttransformationen (7.13) und (7.14) berücksich-
tigt worden. Die Rücktransformation der Ergebnisse in die "physikalischen"
Variablen (x*, y*) ergibt dann die explizite Reynolds-Zahl-Abhängigkeit der
Ergebnisse. Für die Wandschubspannung gilt aufgrunddes Newtonsehen Rei-
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 133

bungsgesetzes r; = ry*(ou* joy*)w ganz allgemein für laminare Wandgrenz-


schichten

·- 2r; _ ( ou) g*U* L*


er .- {ifjfi - 2 ßN w Re
-1/2
, Re:= B
rt*
(7.25)

Entsprechend gilt z.B. bei r;


= const für die Wärmestromdichte an der Wand
aufgrunddes Fouriersehen Wärmeleitungsgesetzes q:._, = ->.*(8T* joy*)w

N = q:._,L * = - ( {){) ) R 1/2 (7.26)


u >.*/:::,.T,* aNB w
e .

Die Größe (8uj8N)w ist eine Funktion nur von x, die Größe (8{)j8N)w
zusätzlich eine Funktion der Prandtl- und Eckert-Zahl.
(4) Während die u-Komponenten der Grenzschicht- bzw. Außenströmung anein-
ander angepaßt sind ((7.23) und Bild 7.3)), gilt dies nicht für die V-Kompo-
nenten, wie folgendermaßen gezeigt werden kann:
Aus den Kontinuitätsgleichungen für die Außenströmung (8Uj8x +
8Vjoy = 0) und für die Grenzschicht (oufox + ovjoy = 0) folgt durch
Integration mit V(x, 0) = v(x, 0) = 0

V
(x, y ) _V( )_
x, y -
J y
[8U(x,y) _ ou(x,y)] d
OX ox y. (7.27)
0

Mit U(x, y) = U(x, 0) = U(x) gilt mit der Grenzschichtvariablen


N = y Re 112 ---+ oo dann

(1- U~x)) dN].


00

J~m,)v(x,N)- V(x,N)} = d~ [u(x) j (7.28)


0

Hierbei ist V:= VRe 112 . Die rechte Seite von (7.28) ist nur in Ausnahmefällen
gleich null, so daß für die meisten Grenzschichten auch im Grenzfall Re---+ oo
eine am Grenzschichtrand (N ---+ oo) nicht augepaßte Quergeschwindigkeit
verbleibt. Es ist aber zu beachten, daß diese Differenzgeschwindigkeit v- V von
der Größenordnung O(Re- 112 ) ist, der "Fehler" in der Quergeschwindigkeit
also asymptotisch klein ist.
(5) Die Grenzschichtgleichungen gelten exakt im Grenzfall Re = oo (besser ge-
schrieben als Re- 1 = 0). Für endliche Reynolds-Zahlen gelten sie nähe-
rungsweise mit einem asymptotisch kleinen Fehler (d.h. einem Fehler, der für
Re---+ oo zu null wird). Die Grenzschichtgleichungen (7.19) bis (7.22), wie sie
ursprünglich von Prandtl (1904) formuliert worden sind, stellen den führen-
den Term einer systematischen asymptotischen Entwicklung dar, wie in Kap.
11 näher ausgeführt wird.
134 K. Gersten/ H. Herwig

(6) Die Berechnung einer Strömungsgrenzschicht in der hier vorgestellten Form


ist nur möglich, solange die Strömung nicht ablöst. Ablösung heißt, daß die
Grenzschicht den Wandschubspannungswert r; = 0 erreicht. Danach wäre
Rückströmung in Wandnähe zu erwarten. Folgende einfache Überlegung zeigt,
daß dies nur in einem Gebiet mit positivem Druckgradienten (Druckanstieg in
Strömungsrichtung) erfolgen kann. Gleichung (7.20) reduziert sich bei N = 0
mit TJ = 1 auf die Beziehung 8pj8x = (8 2 u/8N 2 )w, die Wandbindung
genannt wird. Ein Ablöseprofil mit (8u/8N)w = 0 muß notwendigerweise
einen Wendepunkt zwischen der Wand und dem Außenrand besitzen, d.h.
aber, daß (8 2 uj8N 2 ) entsprechend das Vorzeichen wechselt. Da diese Größe
am Außenrand negativ ist, gilt an der Wand (8 2 u/8N 2 ) > 0 und damit
8p/8x > 0.
Über die Stelle r;= 0 hinaus kann die bisher dargestellte einfache
Grenzschichtberechnung nicht fortgesetzt werden, da die Lösung der Grenz-
schichtgleichungen an dieser Stelle eine Singularität aufweist, s. dazu Ab-
schnitt 11.7. Dort werden Erweiterungen der einfachen Grenzschichttheorie
behandelt.

7.4 Grenzschicht-Kenngrößen
Neben den unmittelbar anschaulichen Grenzschichtdicken 8* und 8r
nach (7.2) bzw.
(7.5) können für Grenzschichten weitere "Dicken" definiert werden, die ein direktes
Maß für die Wirkung der Grenzschichten im wandnahen Bereich sind.

(1) Grenzschichtdicken 899 , 8f01


Da Grenzschichten die Außenrandbedingungen asymptotisch (und nicht an einer fe-
sten Stelle y*) erreichen, kann eine Grenzschichtdicke nur durch die Vereinbarung ei-
nes bestimmten Kriteriums definiert werden. Häufig definiert man den Grenzschicht-
rand der Strömungsgrenzschicht als diejenige Stelle, an der die u-Komponente der
Grenzschicht 99% der U-Komponente der Außenströmung erreicht hat. Die so de-
finierte Grenzschichtdicke wird dann als 899 bezeichnet. In der Grenzschichttheorie
werden die nachfolgend definierten Größen bevorzugt, da 899 aufgrund der Defini-
tion in praktischen Fällen nur ungenau oder gar nicht bestimmt werden kann. Für
die Temperaturgrenzschicht kann analog eine Größe 8f01 definiert werden. Es ist da-
mit diejenige Stelle am Außenrand der Temperaturgrenzschicht bezeichnet, an der
die Temperatur nur noch um den Betrag 0,01 (T;- T~) von der Außentemperatur
T~ abweicht.

(2) Verdrängungsdicke 8i
Da das Fluid in unmittelbarer Wandnähe durch die Grenzschicht eine geringere
Geschwindigkeit besitzt, liegt hier nur ein (gegenüber dem reibungslosen Fall) ver-
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 135

minderter Massenstrom vor. Alle Stromlinien, auch diejenigen außerhalb der Grenz-
schicht, verschieben sich deshalb durch die Verzögerungswirkung der Grenzschicht
ein Stück nach außen.

on
STROMLINIE

.::_
...
. f

Bild 7.5: Verdrängungswirkung der


Strömungsgrenzschicht beim Übergang y* ·'
von einer (gedachten) Strömung ohne
Grenzschicht (A) auf eine Strömung mit
'

=
Grenzschicht (B)
6j Verdrängungsdicke A
' / //

Bild 7.5 verdeutlicht diese Wirkung. Es wird dabei angenommen, daß die Grenz-
schicht von A nach B "zugeschaltet" werden kann (bzw. daß von A nach B der
Wechsel von Re = oo auf eine endliche Reynolds-Zahl erfolgt). Die reibungslose
Außenströmung wird um einen Betrag 8r nach außen verdrängt. Aus diesem Grunde
heißt 8r Verdrängungsdicke. Sie kann durch Integration über U*(x*) - u*(x*, y*)
bestimmt werden, wie Bild 7.5 anschaulich zeigt. Es gilt (wenn h* die Grenzschicht
vollständig erfaßt)
h*

U*(x*)8; = j[U*(x*) -u*]dy*. (7.29)


0

In dimensionsloser Form (Bezugsgrößen UP,, L *) gilt

(7.30)

Die Verdrängungsdicke 81 ist eine asymptotisch kleine Größe mit 81 -> 0 für
Re -> oo. Nach der Transformation auf die Grenzschichtvariable N entsteht als
transformierte Verdrängungsdicke der Größenordnung 0(1)

(7.31)

Damit gilt nach (7.28) für die Differenz der Quergeschwindigkeiten am Außenrand
der Grenzschicht ii - V = d(U8 1 )/ dx.
136 K. Gersten/ H. Herwig

(3) Impulsverlustdicke 82

Infolge des verminderten Massenstromes ist auch der Impulsstrom in Wandnähe


(gegenüber dem Fall ohne Grenzschicht) vermindert, und zwar um den Betrag
f (U*- u*)dm*. Hierbei ist dm* der infinitesimale Massenstrom dm* = rlu* B* dy*.
Der insgesamt "fehlende" Impulsstrom entspricht dem Impulsstrom einer Schicht
der Dicke 82 in der Strömung ohne Grenzschicht. Der Impulsstrom dieser Schicht
ist U*m2 = U* g*U* B*82. Die Größe 82 dient der Charakterisierung des Impulsver-
lustes und kann aus U*m2 = J(U*- u*)dm* unmittelbar bestimmt werden. In der
Grenzschichtkoordinate N gilt ·

J
00

82 ·=

82Re 112
L*
= (1 - ~)
U U
~ dN (7.32)
0

(4) Energieverlustdicke 83 (kinetische Energie)

Durch den verminderten Massenstrom in Wandnähe ist auch der Strom kine-
tischer Energie geringer, und zwar um den Betrag J(U* 2 - u* 2 )dm*. Dieser
"fehlende" Energiestrom entspricht dem Energiestrom einer Schicht der Dicke 83
in der Strömung ohne Grenzschicht, also U* 2 m3 = U* 2 r/ U* B* 83. Die für
den Energiestrom-Verlust charakteristische Größe 83 folgt damit aus U* 2 m3 =
f(U* 2 - u* 2 )dm* zu

j (1 - Uu2 ) ~U dN
00

83 ·= 83 Rel/2 = (7.33)
. L* 2
0

(5) Enthalpieverlustdicke 8j;, Energieverlustdicke 8f (thermische Energie)

In Temperaturgrenzschichten liegt gegenüber dem Fall ohne Grenzschicht ein um


J(h* - h;)dm* veränderter Enthalpietransport vor, wobei h; die Enthalpie am
Außenrand der Temperaturgrenzschicht (eigentlich Enthalpiegrenzschicht; Indexe,
engl.: edge) bezeichnet. Zur Charakterisierung dieses Vorganges wird eine Schicht
der Dicke 8j; mit der Geschwindigkeit U* und der Enthalpiedifferenz h~ - h; heran-
gezogen. Der Enthalpiestrom dieser Schicht ist (h~- h;)mj; = (h~- h;)e*U* B*8j;.
Daraus ergibt sich die Enthalpiedicke 8j; zu

8 ·=
h •
oj; R 1/2 =
L* e
J
00

0
h- he ~ dN
hw - he U
(7.34a)
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 137

Entsprechend kann eine Energieverlustdicke 8f definiert werden als

c ·= 8f R 1/2 =
vT . L* e
J00

T- Te u dN
T - T U
w e
' (7.34b)
0

die für h = cPT mit cP = 1 (d.h. c; = const) in die Definition von Eh übergeht.

Anmerkung 1 ( Formparameter)

Verschiedene Verhältnisse zweier Dicken werden als sog. Formparameter eingeführt, weil ihre
Zahlenwerte die Form der Profile charakterisieren. So definiert man

H12 := 8i = 61 und Ha2 := 83 = ~a .


82 62 82 82
Diese Formparameter finden insbesondere bei Integralverfahren (s. Abschnitt 7.6) Anwendung.
Zahlenwerte H 12 einiger laminarer Grenzschichtprofile sind in Tab. 7.5 enthalten.

Anmerkung 2 ( Grenzschichtdicken bei endlichen Reynolds-Zahlen)

Für die Definition der verschiedenen Dicken wird der asymptotische Charakter der Grenzschicht-
strömungen unterstellt. In allen Definitionen treten deshalb die Wandwerte der Außenströmung
auf. Für die Anwendung bei endlichen Reynolds-Zahlen kann genau dies problematisch werden.
Wird z.B. durch Messungen ein Profil wie in Bild 7.1 (linkes Profil) ermittelt, so ist die Bestimmung
z.B. von 81 nach (7.29) nicht ohne weiteres möglich. Anstelle von f[U*(x*, 0)- u*(x*, y*)J dy* ist
dann das Integral f[U*(x*, y*)- u*(x*, y*)J dy* auszuwerten, wobei U*(x*, y*) durch Extrapola-
tion der Geschwindigkeit über die Grenzschicht hinweg bis zur Wand gewonnen werden muß. Bild
7.1 zeigt, daß für steigende Reynolds-Zahlen sowohl der Grenzschichtrand als auch der Wandwert
der Außenströmung immer besser identifiziert werden können. In diesem Sinne unproblematisch ist
lediglich die Plattenströmung, da die Geschwindigkeit der Außenströmung im ganzen Feld konstant
ist.
Für die praktische Anwendung ist die Verdrängungsdicke der Grenzschichtdicke vorzuzie-
hen, da sich die genannten Probleme am Außenrand bei der Integration über das ganze Profil er-
heblich weniger auswirken, als dies bei der Festlegung des Außenrandes gemäß des 99 %-Kriteriums
bei 8* der Fall ist. Trozdem muß auch dabei für Strömungen an gekrümmten Wänden U*(x*) durch
Extrapolation aus U* (x*, y*) gewonnen werden.
138 K. Gersten/ H. Herwig

7.5 Selbstähnliche Grenzschichten


7 .5.1 Ähnlichkeitstransformation
Für eine bestimmte Klasse von reibungslosen Außenströmungen weisen die Grenz-
schichten eine Eigenschaft auf, die Selbstähnlichkeit genannt wird. Wie in Bild 7.6
am Beispiel der Strömungsgrenzschicht erläutert wird, sind damit Grenzschichten
gemeint, deren Profile nach einer entsprechenden Normierung für alle Stellen x*
gleich sind. Mit Normierung ist hier der Übergang auf eine Darstellung u* /U* über
y* /8* gemeint, wobei U* die Geschwindigkeit der reibungslosen Außenströmung
und 8* eine der Grenzschichtdicken aus Abschnitt 7.4 sind. (Es spielt dabei keine
Rolle, ob hierzu 8*, 8t, 82 oder 83 verwendet werden; dies verändert nur den Zah-
lenwert von y* / 8*, der in diesem Zusammenhang aber ohne Bedeutung ist.) Nicht
selbstähnliche Grenzschichten können auch dieser Normierung unterzogen werden,
ergeben dann aber keine identischen Profile.
Für die Temperaturgrenzschichten gilt unter bestimmten Bedingungen das
gleiche. Nach einer entsprechenden Normierung können die Profile alle auf ein ein-
ziges Profil reduziert werden. Da die Differentialgleichungen zur Beschreibung der
Strömungs- bzw. Temperaturgrenzschichten (bei konstanten Stoffwerten) einseitig
gekoppelt sind (erst nach der Lösung des Strömungsproblems kann das Temperatur-
problem gelöst werden), ist davon auszugehen, daß die Temperaturgrenzschichten
nur dann selbstähnlich sein können, wenn es auch die zugehörigen Strömungsgrenz-
schichten sind.

y*
o*(x,*)
nY~~~~~T-7n/.~~n7,ryT

Bild 7.6: Einheitliche Darstellung


y*lo* selbstähnlicher Strömungsprofile durch
eine Normierung
(y* -+ y* /6*; u*-+ u* /U*)
der Profile

Im folgenden ist zunächst zu klären, für welche Außenströmungen Selbstähnlichkeit


der zugehörigen Grenzschichten vorliegt. Der in Bild 7.6 gezeigten Normierung ent-
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 139

spricht mathematisch eine Transformation der Grundgleichungen. Neben der Trans-


formationder unabhängigen Variablen (x, N) gilt es, die abhängigen Variablen (u,
v und t?) so zu formulieren, daß sie als Funktionen der neuen Ähnlichkeitsvariablen
auftreten können.
Mit einer zunächst noch unbestimmten Normierungslänge 8N(x) lautet die
Ähnlichkeitstransformation mit der Ähnlichkeitsvariablen TJ
(x, N) ----* (x, TJ), TJ = N I8N(x). (7.35)
Die abhängigen Variablen sollen auf eine Normierungsgeschwindigkeit UN(x) bzw.
eine Normierungstemperatur t?N(x) bezogen werden. Alle drei Größen, 8N(x), UN(x)
und t?N(x), werden erst für die speziellen Einzelfälle festgelegt.
Zur Vereinfachung der Schreibweise empfiehlt es sich, die Stromfunktion
"IJ!*(x*' y*) einzuführen, die über die Ableitungen 8"1J!* l8y* = u*, a "IJ!* I a x* = -v*
definiert ist (dimensionslos: w(x,N) = "IJ!*Re 112 1(UßL*)). In Erwartung des selbst-
ähnlichen Verhaltens werden folgende normierte Funktionenfund J eingeführt:

(7.36)

Unter Berücksichtigung der Normierungsfunktionen lauten die transformierten


a
Grenzschichtgleichungen (' ~ I 8TJ; konstante Stoffwerte)

!'" + a1!!" + a2 - a3 !'2 = a4 (t 81' - !" 81 )


ax ax (7.37)

J"+Pr[a 1 JJ'-a 5 !'J] =a4 Pr(f'aJ 81


ax -J' ax ) -a6 PrEc/" (7.38)
2

mit den Hilfsfunktionen ai (x) als

_ 8~ udu
a2 - UN dx'
(7.39)
"' _ uN8~ dt?N "' _ u~
._.5 - ~ dx ' ._.6 - t?N .

Die Gleichungen (7.37) bis (7.39) sind weiterhin ein System partieller Differential-
gleichung und stellen zunächst nur eine formale Transformation des Grenzschicht-
gleichungssystems (7.19) bis (7.22) - allerdings für konstante Stoffwerte - dar. In
der neuen Form lassen die Gleichungen sofort erkennen, wann eine Selbstähnlichkeit
des Systems vorliegt. Mit Ausnahme von a 4 müssen alle ai aus (7.39) Konstanten
sein, dürfen also nicht von x abhängen. Dann gilt f = f(TJ) und J = J(TJ), d.h.
(7.37) und (7.38) werden zu gewöhnlichen Differentialgleichungen, also
!"' + adf" + a2- a3!' 2 = 0 (7.40)

J" + Pr[adtr- a 5 J'J + a 6 Ecf" 2 ] = 0. (7.41)


140 K. Gersten/ H. Herwig

Zu (7.40) und (7.41) gehören fünf Randbedingungen, die in f bzw. J zu formu-


lieren sind. Die zu fordernde X-Unabhängigkeit dieser Randbedingungen bestimmt
weitgehend die Wahl der Normierungsfunktionen UN(x) und t9N(x). Die Geschwin-
digkeitskomponenten u undvergeben sich aus f(ry) als

(7.42)

7.5.2 Selbstähnliche Strömungsgrenzschichten (mit Wand und Außenströmung)

Am Außenrand der Grenzschicht gilt nach (7.42) mit u = U(x) für die Stromfunk-
tion f' = U(x)/UN(x). Damit ist f' nur dann frei von x, wenn UN = G U(x) gilt.
Mit G = 1 ist a 2 = a 3 , so daß mit a 1 = const, a 2 = const zwei gewöhnliche
Differentialgleichungen zur Bestimmung von 8N(x) und UN(x) = U(x) verbleiben.
Die Zahlenwerte der Konstanten sind frei wählbar, müssen anschließend aber selbst-
verständlich konsequent beibehalten werden.
Es ist sofort zu erkennen, daß die Gleichungen erfüllt sind, wenn 8N und UN
Potenzfunktionen von x sind. Dies ist allerdings keine notwendige Bedingung, wie
eine ausführliche Darstellung aller selbstähnlichen Lösungen in Evans (1968) zeigt.
Es können also folgende Ansätze gewählt werden:

(7.43)

woraus folgt
(7.44)

Die geforderte X-Unabhängigkeit ergibt unmittelbar 2n + m - 1 = 0, d.h. n =


(1- m)/2. Damit lautet (7.44) jetzt

(7.45)

Zwei Konstanten können frei gewählt werden. Es ist in der Literatur üblich,
a 1 =Gm = 1 zu setzen, woraus unmittelbar folgt

Gn=J 2
m+1
=~. (7.46)

Mit (7.46) wurde die Größe ß = 2m/(1 + m) eingeführt, die später Verwendung
findet. Durch Gm = 1 ist ein Zusammenhang zwischen den Bezugsgrößen Uß und
L * hergestellt. Die Bezugsgeschwindigkeit Uß ist die (Außen-) Geschwindigkeit bei
x* = L*, also Uß = U*(L*).
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 141

Unter Berücksichtigung der Konstanten lautet die x-Impulsgleichung (7.40)


jetzt
1!"' + !!" + ß(1- !' 2 ) = o1, ß=~.
1+m
(7.47)

Die zugehörigen Randbedingungen lauten

7] = 0 : f = !' = 0, 7] ----> 00 : !' = 1 . (7.48)

Die Gleichung (7.47) wurde 1931 von V.M. Falkner und S.W. Skan entwickelt (in
einer etwas anderen Form; mit Cn = Gm = 1) und heißt seitdem Falkner-Skan-
Gleichung, die zugehörigen Geschwindigkeitsprofile heißen Hartree-Profile.
Als physikalische Besonderheit zeichnet diese Strömungen das Fehlen einer
endlichen Bezugslänge aus. Dimensionsanalytisch gesehen fehlt gegenüber Fällen
mit einer endlichen Bezugslänge damit eine Einfl.ußgröße, was zur Folge hat, daß
eine dimensionslose Kennzahl weniger auftritt. In Fällen, bei denen eine endli-
che Bezugslänge L * existiert, kann die dimensionslose Kennzahl x* / L * zur Cha-
rakterisierung der verschiedenen Profilformen an verschiedenen Stellen x* gelten.
Bei selbstähnlichen Strömungen fehlt diese Kennzahl - die Profilformen sind un-
abhängig von x*.
Die trotzdem formal zur Entdimensionierung benutzte Länge L * ist bei
selbstähnlichen Strömungen willkürlich gewählt und fällt beim Übergang auf eine
dimensionsbehaftete Darstellung heraus.
Als anschauliches Beispiel für eine selbstähnliche Strömung kann die Grenz-
schicht an der halbunendlichen Platte dienen. Es existiert keine endliche Länge,
die für die Geometrie charakteristisch ist. Dies ist z.B. bei der Umströmung ei-
nes Kreiszylinders anders. Der Zylinderradius ist eine charakteristische Länge, die
Strömungsgrenzschichten sind nicht selbstähnlich.
Ein Exkurs in die Potentialtheorie zeigt, daß es eine Reihe von Außenströmun-
gen gibt, die selbstähnliche Grenzschichten ermöglichen. Die Größe ß als einziger
Parameter in (7.47) kann direkt zur Unterscheidung verschiedener Strömungen ver-
wendet werden und unmittelbar zur Charakterisierung der reibungslosen Strömung
dienen.
Bei allen diesen Strömungen handelt es sich um eine Potentialströmung
entlang halbunendlicher Wände, die von einer Stelle x* = 0 bis x* ----> oo
reichen. Bild 7. 7 zeigt drei typische Strömungen dieser Art, die alle zu einer
Geschwindigkeitsverteilung U = xm (mit m = ß/(2- ß)) an der Wand führen.
Diese Strömungen und die zugehörigen (selbstähnlichen) Grenzschichten können
als (asymptotische) Näherungen realer Strömungssituationen, die stets an endlichen
Geometrien vorliegen, verwendet werden. Von besonderer Bedeutung sind in diesem
Zusammenhang die Platten- und die Staupunktströmung als Spezialfälle der sog.
Keil-Strömungen (s. Bild 7.7), die anschließend genauer behandelt werden.
142 K. Gersten/ H. Herwig

-2 "' ß "' 0 Q",p",z ß = -00


ECKEN-UMSTRÖMUNG KEIL- STRÖMUNG SENKEN-STRÖMUNG

~··
I
I
I
I

~
···~~ -~
>)///?7/?AV//JJ/J//?

(o) ·.. (b) .. (c)

Bild 7. 7: Verschiedene Potentialströmungen mit U f'::j xm an der Wand


m = ß/(2- ß); ß7r/2;;: halber Keilwinkel bei Keilströmungen
---Winkelhalbierende

In bezug auf die Keil-Strömungen sei noch einmal betont, daß es sich nicht um
die Umströmung eines endlichen Keiles handelt, was insbesondere bedeutet, daß
es in der Anordnung nach Bild 7. 7b keine konstante Anströmgeschwindig keit des
Keiles gibt. Die Potentialströmung in der oberen Hälfte des Strömungsfeldes ist
symmetrisch zu der gestrichelt angedeuteten Winkelhalbierenden, so daß auch in
der Anströmung auf der Staupunktstromlinie eine Geschwindigkeitsver teilung als
Potenzfunktion in m vorliegt. Als Sonderfall tritt die Plattenströmung auf, wenn
der Keil für ß = 0 zur halbunendlichen Platte "entartet" und im ganzen Feld eine
konstante Geschwindigkeit herrscht.
Die Falkner-Skan-Gleich ung (7.47) ist eine nichtlineare Differentialgleichung
und kann im allgemeinen nur numerisch gelöst werden. Im weiteren interessieren
ausgewählte Daten, die zur Bestimmung der Wandschubspannun g, Verdrängungs-,
Impuls- und Energieverlustdicke dienen. Unter Berücksichtigung von (7.35), (7.36)
gilt mit (7.25) und (7.31) bis (7.33) bei Verwendung von UN = U = xm und
8N = J2/(m + 1)xCl-m)/ 2

crRel/2 = 28 U J:; = .j2(m + 1) x(3m-l)/2J:; (7.49)


N

00

ß1 := /(1 -/')dry= '1/-+00


lim (77-!) (7.50)
0

(7.51)

00

ß3:= /(1-/' 2)/'dry. (7.52)


0
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 143

Tabelle 7.1 enthält etmge Zahlenwerte für Grenzschichtströmungen


aus Bild 7.7, in Bild 7.8 sind die zu Bild 7.7 a und b gehörigen Geschwindigkeits-
und Schubspannungsprofile in Form von f' (= u/U) bzw. f" (= rRe 112 6N/(2U),
r := 2r*/(r;/Uß 2 )) dargestellt. Die in Tabelle 7.1 enthaltenen fünf Fälle werden im
folgenden näher erläutert.

Grenzschicht daten
ß m Strömung
t:: ßl ß2 ß3
-0,1988 -0,090 Ablöseprofil 0,0 2,3586 0,5854 0,8870
0,0 0,0 Ebene Platte 0,4696 1,2168 0,4696 0,7385
0,5 0,333 Keil-Strömung 0,9277 0,8045 0,3503 0,5645
1, 0 1, 0 Staupunkt 1,2326 0,6479 0,2923 0,4753
00 - 1,0 Senken-Strömung• l 1,1547 0,7785 0,3762 0,6229

Tabelle 7.1: Numerische Ergebnisse einiger Falkner-Skan-Strömungen


•l für die Senkenströmung gelten 1j und J nach (7.63)

0 0.5 1.2
{" r
Bild 7.8: Ergebnisse aus der Lösung der Falkner-Skan-Gleichung für vier verschiedene Werte von
ß = 2m/(l + m); u• ;u· = =
/'(TJ)i erRe112 v'2(m + l)x(3m-1)/2 /"(0)

Für weitere selbstähnliche Lösungen sei auf die sehr ausführliche Darstellung aller
selbstähnlichen Lösungen in Evans (1968) verwiesen.
144 K. Gersten/ H. Herwig

a Plattengrenzschicht (ß =m = 0); UN =U = 1, ON =v'2i


Diese Strömung stellt einen Sonderfall der allgemeinen Keilströmungen dar. Da in
der Außenströmung konstante Geschwindigkeit herrscht (U = 1 ~ U* = Uß), ist
die Bezugsgeschwindigkeit Uß gleich der Anströmgeschwindigkeit. Es sei nochmals
darauf hingewiesen, daß eine solche konstante Anströmgeschwindigkeit bei allen
anderen Keilströmungen nicht existiert.
Der Sonderfall ß = 0 beschreibt physikalisch die reibungslose Strömung an
einer halbunendlichen Platte, also einer Platte, deren Hinterkante "im Unendlichen"
liegt. Die zugehörige (selbstähnliche) Grenzschichtlösung kann als Näherungslösung
für die Strömung an einer endlichen Platte der Länge L * herangezogen werden.
Es ist damit möglich, den Reibungswiderstand dieser Platte zu ermitteln. Die
Widerstandskraft der einseitig benetzten Platte pro Breite B* ist

J
L*

W*
ß* = Tw
* dX * '
0

so daß mit cf nach (7.49) für den dimensionslosen Widerstandsbeiwert cw gilt

Cw
2W*
:= e*U*2L·B· =
J 1

Cf
d
X=
rr.
2v2fwRe
II -1/2
= 1,328
R -1/2
e . (7.53)
B 0

Diese Lösung wurde erstmals von Blasius (1908) gefunden, weshalb diese Strömung
Blasiussche Plattenströmung genannt wird.
Eine genauere asymptotische Betrachtung zeigt allerdings, daß die Beziehung
(7.53) durchaus problematisch ist, weil die Grenzschichtgleichungen, die der Falkner-
Skan-Gleichung (7.47) zugrunde liegen, in der Nähe der Vorderkante (und in der
Nähe der Hinterkante der Platte endlicher Länge) in einem asymptotisch kleinen
Gebiet ungültig sind!
In der Nähe der Vorderkante liegt für die Grenzschichtgleichungen ein sin-
guläres Verhalten vor, weil cfRe 112 "' x- 112 für x ~ o+ unendlich große Werte
annimmt. Da im Sinne der Grenzschichttheorie gleichzeitig Re~ oo gilt, kann we-
gen cf "' (xRe)- 112 geschlossen werden, daß die Grenzschichttheorie versagt, wenn
xRe = 0(1) bzw. x = O(Re- 1 ) gilt. Tatsächlich muß in einer Umgebung O(Re- 1 )
die Strömung durch die vollständigen Navier-Stokes-Gleichungen beschrieben wer-
den. Da dieses Gebiet aber asymptotisch klein ist, führt die asymptotisch korrekte
Betrachtung lediglich zu einem additiven Term der Größenordnung O(Re- 1 ) in
(7.53), wie dies z.B. von Veldmann (1976) beschrieben worden ist, s. auch die nach-
folgende Anmerkung.

Anmerkung (Widerstandsbeiwert der halbunendlichen Platte)


Eine genauere asymptotische Betrachtung der Strömung an der halbunendlichen Platte muß die
Vorderkantenkorrektur einbeziehen, deren führender Term von der Größenordnung O(Re- 1 ) ist.
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 145

Imai (1957) zeigt mit Hilfe einer globalen lmpulsbilanz, daß der zweite Term des asymptotischen
Widerstandsgesetzes eine Folge der Verdrängungswirkung der Blasiusschen Grenzschicht ist und
deshalb unmittelbar mit dem Wert ß 1 nach (7.50) zusammenhängt, s. dazu auch die Diskussion in
Van Dyke (1975a, S. 138). Liegt die stromabwärtige Kontrollraumgrenze für diese Impulsbilanz bei
großen Werten von x*, so liegt mit Rex = U::C,x* fv* dort eine Lösung bei großen Reynolds-Zahlen
vor, die asymptotisch beliebig genau durch die Blasiussche Plattenströmung beschrieben wird. Mit
ß 1 = 1, 2168 (s. Tab. 7.1) und ßf7r/2 = 2, 326 gilt nach Imai (1957) für die halbunendliche Platte

Icw = 1,328Re- 1 1 2 +2,326Re- 1 +O(Re- 3 12 ) I· (7.54)

Der Term O(Re- 1 ) ist aber nicht etwa ebensogut durch Integration der Schubspannungsverteilung
der Grenzschicht 2. Ordnung zu gewinnen, da diese an der halbunendlichen Platte nicht existiert,
s. dazu Beispiel 11.3 in Kap. 11.
Er entsteht vielmehr durch Integration der Schubspannungsverteilung längs der Wand,
die in der Nähe der Vorderkante durch die Lösung der vollständigen Navier-Stokes-Gleichungen
bestimmt werden muß, s. dazu van de Vooren and Dijkstra (1970).

Eine ähnliche Situation tritt an der Hinterkante einer Platte endlicher Länge
auf. Hier entsteht eine Singularität bei x = 1, weil die Haftbedingung "plötzlich"
nicht mehr gilt und für x > 1 durch eine Symmetriebedingung im Nachlauf
ersetzt wird. Dies hat Auswirkungen auch für x < 1, und zwar wieder in einem
asymptotischen Sinne, diesmal für x-Werte (1 - x) = O(Re- 318 ). Eine genauere
Betrachtung (Dreier-Deck-Theorie, s. Abschnitt 11.6.2) ergibt eine Korrektur in cw
von der Größenordnung O(Re- 718 ), die damit größer als die Vorderkantenkorrektur
ist.
Insgesamt gilt (mit den konkreten Ergebnissen aus der Dreier-Deck-Theorie)

Iew = 1,328Re- 1 1 2 +2,67Re- 718 +0(Re- 1 )1. (7.55)

Der Fehlerterm O(Re- 1 ) enthält nicht nur die Vorderkantenkorrektur nach (7.54),
sondern auch eine weitere Korrektur aus der Hinterkantenbetrachtung (Dreier-
Deck-Theorie 2. Ordnung, s. Kap. 11.6.2). Bild 11.7 in Kap. 11 zeigt, daß erst
durch (7.55) für kleine Reynolds-Zahlen eine befriedigende Übereinstimmung mit
Meßwerten erzielt werden kann. Gleichzeitig zeigt dieses Bild aber auch eine ganz
unerwartet gute Übereinstimmung mit Meßwerten für Reynolds-Zahlen bis in die
Nähe von Re= 10. Es darf schließlich nicht übersehen werden, daß auch (7.55) nur
asymptotisch für Re --+ oo gilt.

b Ebene Staupunktgrenzschicht (ß = m = 1); UN =U = x, ON =1


Mit "Staupunktgrenzschicht" ist diejenige Strömung gemeint, die für x-Werte aus
0 ~ x < oo durch die Außenströmung U = x entsteht. Diese Lösung kann wie folgt
als Näherungslösung für die Strömung in der Umgebung des Staupunktes eines
endlichen Körpers herangezogen werden.
Die Geschwindigkeitsverteilung der reibungslosen Strömung um einen endli-
chen Körper wird man üblicherweise mit der konstanten Anströmgeschwindigkeit
146 K. Gersten/ H. Herwig

U~ (die für eine Keilströmung nicht existiert) entdimensionieren. Um die Stau-


punktströmung mit der Strömung in Staupunktnähe des endlichen Körpers zu
identifizieren, muß der Zusammenhang zwischen Uß (Staupunktströmung) und U~
(endlicher Körper) hergestellt werden. Die Bezugslängen sollen in beiden Fällen
L * sein. Diese Größe kann mit einer charakteristischen Abmessung des endlichen
Körpers identifiziert werden.
In der Staupunktumgebung eines endlichen Körpers gilt folgende Taylor-
Reihenentwicklung der Außengeschwindigkeit an der Wand (im Staupunkt: x = 0,
U(O) = 0):

d(U* /U~)
u := !!..:.._ = (dU) X + ... = BX + ... ' B= . (7.56)
U:XO dx 0 d(x* / L*)

Für die Staupunktströmung gilt U := U* /Uß = x, so daß ein Vergleich mit (7.56)
für die Bezugsgeschwindigkeit Uß ergibt

Uß =BU~. (7.57)

Dieser Zusammenhang erlaubt es, die Ergebnisse (7.49) bis (7.52) von den Be-
zugsgrößen L *, Uß auf die Bezugsgrößen L *, U~ der realen Strömung umzuschrei-
ben. Es gilt (UN = x, 8N = 1, Cfoo := 2r;,/ e*U~2 ' Reoo = e*U~L* /ry*)

cfoo Re1/2
oo = 2xfw"B3/2 (7.58)
(5ioo = ßiB- 112 , i = 1, 2, 3 (7.59)

mit ßi nach (7.50) bis (7.52) und Tabelle 7.1 .


Als physikalische Besonderheit der ebenen Staupunktströmung ergeben sich
also konstante, x-unabhängige Dicken 8ioo• wie (7.59) zeigt, d.h. die reibungslose
Außenströmung wird nur um einen bestimmten Betrag von der Wand "abgehoben"
(8 1 = const), bleibt aber sonst unbeeinflußt.
Eine genauere Analyse ergibt, daß diese spezielle Grenzschichtlösung auch
Lösung der vollen Navier-Stokes-Gleichungen ist. Damit kann durch Einsetzen der
Grenzschichtlösung in die vollen Navier-Stokes-Gleichungen, (4.1) bis (4.3), der
Druckgradient in N-Richtung ermittelt werden (die x-lmpulsgleichung ist identisch
erfüllt). Dies ergibt

:~ = -~ (ff' + !")' (7.60)

was erwartungsgemäß mit dem Ergebnis aus der vollständigen Lösung überein-
stimmt, vgl. White (1974, S. 179).
Gleichung (7.60) bestätigt gleichzeitig, daß der Druckgradient quer zur Grenz-
schicht asymptotisch klein ist, nämlich von der Größenordnung O(Re- 1 ).
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 147

Anmerkung (Barker-Effekt)

Gleichung (7.60) kann überN integriert werden und führt direkt zur Druckverteilung auf der sog.
Staulinie (bei x• = 0). Ausgedrückt durch den Gesamtdruck p; = p* + e*(u* 2 + v* 2 )/2 in Form
des dimensionslosen Gesamtdruckes Pg := p;/(e•u;,,2) gilt danach

(Pg)außen = (pg)Staupunkt- Re-l · (7.61)


Verursacht durch Reibungseffekte kommt es zu einem Unterschied zwischen dem Gesamtdruck
der Strömung außerhalb der Grenzschicht ((pg)außen) und dem Gesamtdruck im Staupunkt
((pg)Staupunkt). Bei Messungen mit Pitotsonden wird infolge der Grenzschicht an den Sonden
(Pg)Staupunkt gemessen, also nicht der eigentlich interessierende Gesamtdruck der Außenströmung
(Pg)außen· Dies muß durch entsprechende Korrekturen berücksichtigt werden, ist aber nur für kleine
Reynolds-Zahlen von Bedeutung, wie (7.61) zeigt. Dieser Fehlereinfluß der Viskosität wird in der
Literatur als Barker-Effekt bezeichnet, s. dazu auch Wuest (1969, S.62).

c Mäßig beschleunigte Grenzschicht (ß = ~. m = ~), UN = U = x 1 13 ,


ON = jf x 113 (auch: Rotationssymmetrische Staupunktgrenzschicht)
Mit Hilfe einer von Mangier (1948) angegebenen Transformation gelingt es, die
Gleichungen für Grenzschichten an rotationssymmetrischen Körpern auf dieselbe
mathematische Form zu bringen, die für zweidimensionale Körper gilt. Auf der Basis
dieser Transformation gibt es sich entsprechende ebene und rotationssymmetrische
Körper (Beispiele dafür findet man in White (1974, S. 342 ff.)).
In diesem Sinne entsprechen z.B. den ebenen Grenzschichten an einem Keil
rotationssymmetrische Grenzschichten an einem Kegel. Die Grenzschichtgleichun-
gen zur Keilströmung mit der Außengeschwindigkeit U = xm sind identisch
zu den transformierten Grenzschichtgleichungen zur Kegelumströmung mit der
x
Außengeschwindigkeit u = 3 m, wobei X die transformierte X-Koordinate ist. Der
allgemeine Zusammenhang zwischen den jeweils entsprechenden Keil- bzw. Kegel-
winkeln ist allerdings kompliziert. Von besonderem Interesse ist hier nur der Fall
m = 1/3.
Im ebenen Fall ist dies ein (ganzer) Keilwinkel von 90°, im rotationssym-
metrischen Fall ein (ganzer) Kegelwinkel von 180°, d.h. es handelt sich um die
rotationssymmetrische Staupunktströmung! Für diesen Fall gelten also die Zahlen-
werte aus Tab. 7.1 für m = 1/3 (ß = 1/2) als Lösung der rotationssymmetrischen
Grenzschicht zur Außenströmung U = x.
Vergleicht man die Ergebnisse für den ebenen Staupunkt mit denen des
rotationsymmetrischen Falles, so ergeben sich qualitativ gleiche Verläufe aller
physikalischen Größen, lediglich die Zahlenwerte sind verschieden.
148 K. Gersten/ H. Herwig

d Ablösegrenzschicht (ß = -0,1988, m = -0,090), UN = U = x- 0 •09 ,


ON = 1, 4828xO,M52
Untersucht man die Lösungen für Ecken-Umströmungen (s. Bild 7.7.a), also für
ß < 0, so stellt der Fall ß = -0, 1988 gewissermaßen einen unteren Grenzfall dar.
Physikalisch ist dies ein Profil "beginnender Ablösung", da für dieses Profil gerade
Tw = 0 (wegen (8u/8N)w = 0) gilt. In Bild 7.9 ist die Lösung f:/r als Funktion
von ß für Ecken-Umströmungen dargestellt. Dieses Bild ist einer Arbeit von
Stewartson (1954) entnommen, der zeigen konnte, daß für Ecken-Umströmungen
im Bereich -0, 1988 ~ ß ~ 0 zwei Lösungen existieren. Jeweils eine weist ein
Rückströmungsgebiet in Wandnähe auf(!.:; < 0). Für Werte ß < -0, 1988 existieren
nur Lösungen mit Übergeschwindigkeiten, die hier ausgeschlossen werden sollen.

f"w

0.1 Bild 7.9: Zweifache Lösung für die


Wandschubspannungsbeiwerte bei
I -0.1 ß Eckenströmungen
ß = -0.1988 [nach: Stewartson (1954))

CfRe 112 = (2UN /8N )J:;.

Die Geschwindigkeitsprofile für verschiedene ß- Werte aus -0, 1988 < ß < 0 haben
qualitativ den Verlauf wie entsprechende Profile unmittelbar vor bzw. hinter der
Ablösestelle einer nicht selbstähnlichen ablösenden Grenzschichtströmung. Eine ge-
nauere Betrachtung zeigt aber, daß in der Umgebung der Ablösestelle die Strömung
nicht einfach durch diese Profile beschrieben wird, sondern die Verhältnisse erheb-
lich komplizierter sind (s. dazu Abschnitt 11.7).
Trotzdem haben diese selbstähnlichen Profile mit Rückströmung ihre eigene
Bedeutung in Integralverfahren (s. dazu Abschnitt 7.6).

e Grenzschichten mit U =UN =-xm , -1 ~ m <0


speziell: Senkengrenzschicht (m = -1, ß = -oo)
Mit der Außenströmung U = -xm liegt eine andere geometrische Situation als
bisher vor, die Strömung bewegt sich jetzt auf den Ursprung x = 0 zu. Solche
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 149

Strömungen entstehen als Sekundärströmungen an Wänden in der Umgebung von


Freistrahlen (m = -2/3) oder Wandstrahlen (m = -3/4), s. dazu die beiden
folgenden Abschnitte.
Der allgemeine Fall -1 < m < 0 kann mit einer Ausnahme zunächst genauso
wie die Falkner-Skan Strömungen behandelt werden. Die freie Wahl der Konstanten
a 1 und Gm muß nur den Vorzeichenwechsel gegenüber dem Falkner-Skan Fall
berücksichtigen, so daß jetzt a 1 = Gm = -1 gesetzt wird. Damit ergibt sich die
allgemeine x-lmpulsgleichung als

!"'- !! 11 - ß(1- f' 2 ) = 0, ß=~. (7.62)


1+m
Als Spezialfall wird mit m = -1 die sog. Senkenströmung (s. Bild 7.7c) beschrieben.
Dabei ist gegenüber (7.43) eine transformierte Normierungslänge 8N = 8N/( -ß) 112
einzuführen, die für ß---+ -oo (m---+ -1) beschränkt bleibt und für die im Grenzfall
m = -1 gilt: 8N = x. Analog dazu ist auch die Stromfunktion f entsprechend zu
transformieren, so daß endgültig mit

_ N N
TJ= ---- = -, (7.63)
8N(X) X

für die x-Impulsgleichung der Senkenströmung gilt

1"' + 1 -1' 2 = 0. (7.64)

Die Gleichung hat eine einfache analytische Lösung, vgl. Schlichting (1982, S. 168).
Die wichtigsten Zahlenwerte der Lösung sind Tab. 7.1 zu entnehmen, in der statt J.:;
1.:;
geschrieben wird.

7.5.3 Selbstähnliche Strömungsgrenzschichten (mit Wand, ohne Außenströmung)

a Grenzschicht an der gezogenen Platte

Wird eine ebene Platte in ruhender Umgebung mit der konstanten Geschwindigkeit
u; bewegt, so entsteht wegen der Haftbedingung in Wandnähe eine Grenzschicht,
wie in Bild 7.10 skizziert. Die konstante Wandgeschwindigkeit bietet sich sowohl als
Bezugs- als auch als Normierungsgeschwindigkeit an, so daß UN = 1 = const gesetzt
wird. Mit m = ß = 0 lautet die allgemeine Gleichung (7.47) jetzt

f II/ + f f = 0,
II TJ = 0 : f = !' - 1 = 0, TJ ---+ 00 : !' = 0 · (7.65)

Gegenüber der augeströmten ebenen Platte sind also lediglich die Randbedingungen
bezüglich f' an der Wand und für TJ ---+ oo vertauscht.
150 K. Gersten/ H. Herwig

--- ------

u.*w
Bild 7.10: Geschwindigkeitsprofil an einer
gezogenen Platte

Man könnte vermuten, daß damit die Lösung für das Geschwindigkeitsprofil 1 - /~ 1
lautet (!~ 1 ;:;: Blasiussche Plattenströmung). Dies gilt jedoch nicht, was physika-
lisch leicht einzusehen ist. Gleichung (7.65) beschreibt das Gleichgewicht zwischen
Reibungs- und Trägheitskräften. Da die Trägheitskräfte eine nichtlineare Funktion
der Geschwindigkeit sind, können sie an vergleichbaren Stellen einer augeströmten
bzw. gezogenen Platte nicht gleich groß sein. Man kann sich leicht überlegen, daß
die Trägheitskräfte in vergleichbaren Fällen bei der gezogenen Platte in Wandnähe
größer als bei der augeströmten Platte sind, was zu größerer Wandschubspannung
und damit zu größeren Werten für 1.::
führt. Der Wert für die gezogene Platte ist
J.:;= -0,6276, woraus mit c5N = ffx aus (7.49) unmittelbar der Widerstandsbei-
wert er folgt. Ein direktes Maß für den Volumenstrom V* auf der Tiefe B* ist f( oo ).
Es gilt
V* [2X
U*B*L* =yRef(oo), f(oo) = 1,1426. (7.66)
w

Es sei darauf hingewiesen, daß diese Lösung nur für eine Plattenanordnung gilt,
wie sie in Bild 7.10 skizziert ist. Dabei ist wichtig, daß die gezogene Platte
aus einer Wand heraustritt (und damit den Ursprung des Koordinatensystems
festlegt). Dieser Wandaustritt hat eine ähnliche Funktion wie die Vorderkante
einer augeströmten Platte. Beide ermöglichen erst eine stationäre Lösung in einem
ortsfesten Koordinatensystem.

b Wandstrahl

In Abschnitt 7.1 wurde die Ausbildung einer Grenzschicht als Folge des Zusammen-
wirkens von konvektivem Impulsstrom in Strömungsrichtung und viskosem Impuls-
stromquer dazu veranschaulicht. In den bisherigen Beispielen wurde der konvektive
Transport dabei entweder durch eine Außenströmung oder eine bewegte Wand be-
wirkt.
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 151

Eine physikalisch vergleichbare Situation tritt auf, wenn der konvektive Im-
pulsstrom durch einen parallel zur Wand ausgeblasenen (ebenen) Strahl hervorge-
rufen wird. Betrachtet man den Grenzfall, in dem das Verhältnis der Transportge-
schwindigkeiten beider Effekte sehr groß ist, so hat diese Strömung wieder Grenz-
schichtcharakter und wird durch die Grenzschichtgleichungen (7.19) bis (7.21) be-
schrieben. Dies ist der Grenzfall sehr großer Reynolds-Zahlen, wie (7.3) zeigt.
In Bild 7.11a ist die Anordnung skizziert. In diesem Bild wird davon aus-
gegangen, daß der Strahl am Austritt das symmetrische Profil einer ausgebildeten
Kanalströmung (Kanalhöhe 2H*) aufweist. Für x* > 0 wird dieser Strahl zu ei-
nem Wandstrahl, der jetzt unsymmetrisch werden muß, da auf der Wandseite die
Haftbedingung gilt, auf der Außenseite aber der asymptotische Übergang in die ru-
hende Umgebung erfolgt. Die beiden eingezeichneten Profile sind erkennbar nicht
selbstähnlich. Für große Lauflängen (x* I H* ---> oo) ist aber zu erwarten, daß die Prcr
file selbstähnlich werden, da der Einfluß des Strahlanfanges (x* I H* = 0) abklingt.
Die selbstähnliche Lösung für x• I H* ---> oo ist für endliche, aber große Lauflängen
eines realen Wandstrahles eine gute Beschreibung. Den Bereich des realen Wand-
strahles, der durch die asymptotische Lösung für x* I H * ---> oo beschrieben wird,
nennt man Fernfeld. Im sogenannten Nahfeld, das häufig nur eine x* -Erstreckung
von wenigen Kanalhöhen besitzt, kommt es zu einer starken Umbildung des Profiles
vom Austrittsprofil zum "Fernfeldprofil". Nah- und Fernfeld sind also Begriffe, die
sich auf den realen Strahl beziehen. Eine genauere Analyse unter asymptotischen
Gesichtspunkten unterscheidet nach Nah-, Übergangs- und Fernfeld, wie dies z.B.
beim turbulenten Freistrahl im Kap. 19 geschieht.

I NAHFELD I
i
FERNFELD
~
(o )
Bild 7.11: Geschwindigkeitsprofile des
Wandstrahles
2H*IJ ------ ----
(a) realer Wandstrahl ~· ~>77777777777~/7777777777
(Koordinate: x•) ' *
(b) fiktive Ersatzströmung
VIRTUELLER ' x ~ (b)
URSPRUNGL --- --- -- -----
(Koordinate: x*)
L // ~ -
Schraffiert: Übergangsbereich zwischen
Nah- und Fernfeld
x*

Die weitere theoretische Betrachtung des Wandstrahles als selbstähnliche Grenz-


schichtströmung (die bezogen auf den realen Strahl nur Aussagen für das Fernfeld er-
geben kann) unterstellt eine fiktive Strömung, die von ihrem Ursprung an selbstähn-
lichen Charakter besitzt. Dieser Ursprung wird in der Regel nicht bei x* = 0 liegen,
wenn mit dieser Lösung die Strömung im Fernfeld des realen Strahles beschrie-
ben werden soll. Die Lage dieses virtuellen Ursprungs muß so gewählt werden, daß
152 K. Gersten/ H. Herwig

die fiktive Ersatzströmung das Fernfeld des realen Strahles richtig wiedergibt. Die
Lage des virtuellen Ursprungs ist damit abhängig vom Umbildungsprozeß der realen
Strömung im Nahfeld und wird für verschiedene Austrittsprofile verschieden sein.
Das in Bild 7.11 unterstellte "Kanalprofil" im Austritt ist nur ein Beispiel für ein
x
Anfangsprofil, das auch ganz anders aussehen kann. Mit wird eine neue Koordi-
nate eingeführt, deren Ursprung im virtuellen Ursprung liegt (s. Bild 7.11). In der
konkreten Anwendung kann die Lage des virtuellen Ursprungs aus der Kenntnis der
Profile an zwei verschiedenen Querschnitten im Fernfeld bestimmt werden.
Das Vorgehen zur Ermittlung der selbstähnlichen Lösung erfolgt zunächst
ganz analog zu den Wandgrenzschichten und geht von den transformierten Grenz-
schichtgleichungen (7.37) bis (7.39) aus. Im Unterschied zu den Wandgrenzschichten
ist jetzt U = 0 (keine Außenströmung), so daß a 2 = 0 gilt. Es verbleiben a 1 und a 3
als Konstanten in den gewöhnlichen Differentialgleichungen für 8N und UN. Wählt
man wieder als Potenzansätze

(7.67)

so erfordert die X-Unabhängigkeit auch hier wieder (wie bei Wandgrenzschichten)


n = (1 - m)/2. Damit gilt jetzt, ganz analog zu (7.44),

(7.68)

Anders als bei den Wandgrenzschichten kann hier zunächst nur eine Konstante
frei gewählt werden. Mit a 1 = 1 (aber nicht zusätzlich Gm = 1) lautet die
Differentialgleichung für f(ry) gemäß (7.37) bzw. (7.40)

/ 111 + !!"- ß/'2 = 0, ß=~


1+m
(7.69)

mit den Randbedingungen

ry=O: f=f'=O, ry---.oo: f'=O. (7.70)

Diese Gleichung sieht ähnlich wie die Falkner-Skan-Gleichung (7.47) aus, zeigt aber
zusammen mit den Randbedingungen (7.70) ein ganz anderes Lösungsverhalten.
Zunächst fällt auf, daß f = 0 eine Lösung des Systems ist, da die Differentialglei-
chung und alle Randbedingungen homogen sind. Diese triviale Lösung ist offensicht-
lich nicht die gesuchte Lösung, so daß noch mindestens eine andere nicht-triviale
Lösung als sog. Eigenlösung der Differentialgleichung existieren muß. Da (7.69) noch
einen freien Parameter ß enthält, könnte man vermuten, daß abhängig von ß unend-
lich viele Lösungen existieren, so wie die Falkner-Skan-Gleichung für verschiedene
ß- Werte jeweils verschiedene Lösungen hat. Andererseits gibt es beim Wandstrahl
jedoch keinen Geometrieparameter, der mit ß verknüpft werden könnte.
Tatsächlich zeigt sich, daß nicht-triviale Lösungen von (7.69) mit den Rand-
bedingungen (7.70) nur für den Wert ß = -2 existieren. Dies wurde von Glauert
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 153

(1956) auch auf analytischem Wege gefunden. Nach einer zweimaligen Integration
der Differentialgleichung und der (physikalisch sinnvollen) Annahme, daß f' ;::: 0
(keine Rückströmung) gilt, konnte er zeigen, daß ß als Eigenwert der Differential-
gleichung nur den Wert -2 annehmen kann. Damit gilt also m = -1/2 und n = 3/4.
Die Lösung für ß = -2 ist aber zunächst nicht eindeutig, da Aj0 (A17) eine Lösung
ist, wenn j 0 (17) die Differentialgleichung (7.69) und die zugehörigen Randbedingun-
gen erfüllt. Ohne Einschränkung der Allgemeingültigkeit kann aber die Konstante
Aso gewählt werden, daß z.B. f(oo) = 1 gilt.
Als ein weiteres entscheidendes Ergebnis folgt aus der Studie von Glauert, daß
der Wandstrahl durch eine Größe F* charakterisiert werden kann. Diese lautet

j u* ( j u*
00 00

F* = B* 2 2 dy*) dy* (7.71)


0 y*

und ist eine x* -unabhängige konstante Größe des Wandstrahls, die deshalb als
Wandstrahlkonstante F* bezeichnet werden soll. Diese Größe selbst ist physikalisch
schwer zu interpretieren, entspricht aber bis auf einen Zahlenfaktor dem Produkt
aus dem Volumenstrom und dem kinematischen Strahlimpuls, s. (7.80).
Mit dieser Größe F* kann eine Bezugsgeschwindigkeit Uß definiert werden.
Es gelte
(7.72)
Die Bezugslänge L * kann willkürlich festgelegt werden (da keine ausgezeichnete
physikalische Länge existiert), muß anschließend aber selbstverständlich beibehalten
werden. Damit ist dann die Wandstrahl-Reynolds-Zahl Re= UßL* jv* definiert.
Durch die Wahl von a 1 = 1 wurde zusammmen mit dem Exponenten
m = -1/2 gemäß (7.45) nur das Produkt C~Cm = 4 bestimmt. Die Konstante
Gm folgt aus der Definition von F*, (7.71), unter Verwendung von Uß nach (7.72).
Es gilt

(7.73)

In (7. 73) wurde das Integral in der inneren Klammer aus der Lösung der Diffe-
rentialgleichung (7.69) zu 1/10 bestimmt. Aufgrund der Bedingung C~Cm = 4 gilt
dann
5
Cn = ( 32Re
)-1/4 (7.74)

Dies ist nun insofern ein bemerkenswertes Ergebnis, als es zeigt, daß 8N = Cnxn
und UN = Cmxm als Normierungsfunktionen selbst noch von der Reynolds-Zahl
abhängen! Dies bedeutet aber nichts anderes, als daß die mit der Variablen N nach
(7.13) unterstellte Re 112-Abhängigkeit für den Wandstrahl nicht mehr zutrifft.
154 K. Gersten/ H. Herwig

Die Re 112-Abhängigkeit war in Abschnitt 7.1 aus der Überlegung abgeleitet


worden, daß eine von der Reynolds-Zahl unabhängige Konvektionsgeschwindigkeit
Uß vorhanden ist. Wird diese in (7.2) durch UßRe 1/ 2 ersetzt, wie es für den
Wandstrahl gilt, so folgt

i:*
_u ( II *
) 1/2 Re-3/4
rv - (7.75)
L* UßRe1/2 L* - .

Wegen TJ = Nf6N = 0(1) und TJ "' y* /6* folgt dies für den Wandstrahl auch
unmittelbar aus N nach (7.13) und 6N = O(Re- 114).
Für die Wandschubspannung des Wandstrahles gilt wieder (7.49), also mit ÖN
und UN des Wandstrahles und dem numerischen Ergebnis = 2/9 1::
1/4
Re-1/4 - ~ ( 125 ) x
-5/4 - 0 442 -5/4
- ' x . (7.76)
er - 9 8

Die Verdrängungs- und Impulsverlustdicken verlieren ihre physikalische Bedeutung,


da keine Außenströmung vorhanden ist. Für den Volumenstrom V* auf der Tiefe
B* gilt
.
V:= UßB*L* =
V* (40x)
Re
114
/(oo)' f(oo) = 1,0. (7.77)

Für den sog. kinematischen Impuls K*, definiert mit dem Strahlimpuls I* als
00
4
K* :=I* = B* Ju* 2dy*, [K*]-~ (7.78)
e* 0
- s2 '

ergibt sich für den Wandstrahl

1/ 4
K* - (250Re)
·- Uß2B*L*-
K .- -X-
"
fw' f w" = ~9' (7.79)

Damit gilt unter Verwendung von (7.72) für die Wandstrahlkonstante F*

F* = CV*K*, C = [10/(oo)f::t 1 = 0,45. (7.80)

Glauert (1956) gibt folgende implizite analytische Lösung der Differentialgleichung


(7.69) mit ß = -2 an, die als Parameter eine Größegaus 0 $ g < 1 enthält:

y'1 + g + g2 g/3
TJ = In
1-g
+ v'3 arctan - -.
2+g
(7.81)
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 155

7.5.4 Selbstähnliche Strömungsgrenzschichten (ohne Wand)

a Trennungsschicht
Ersetzt man in Gedanken die Platte bei der Blasiusschen Plattenströmung durch
eine ruhende Umgebung, so entsteht wiederum eine Grenzschicht, die jetzt aber am
unteren Rand nicht durch eine Haftbedingung begrenzt ist, sondern asymptotisch in
die ruhende Umgebung übergeht. Es entsteht also eine Strömungssituation, wie sie
in Bild 7.12 noch etwas verallgemeinert dargestellt ist: die untere Hälfte des Feldes
muß nicht in Ruhe sein, sondern kann eine von null verschiedene, aber konstante
Geschwindigkeit >.U* (0 ::; >. < 1) besitzen.

u* U*

- - - ---F=-...-1
r-----<w- - - - - - -

---
Bild 7.12: Geschwindigkeitsprofile
der Trennungsschicht; fiktive Ersatz-
strömung (Koordinate: x*) zur Be-
schreibung des Fernfeldes realer Scher-
schichten
A.U*

Dies ist wieder eine idealisierte Vorstellung, im Sinne einer fiktiven Ersatzströmung,
zur Beschreibung des Fernfeldes einer realen Strömung, da in der Realität kein
Geschwindigkeitssprung erzeugt werden kann, wie er bei x* = 0 unterstellt ist. Bei
der Anwendung der nachfolgenden Ergebnisse muß aus zwei Profilen im Fernfeld
des realen Strahles also zunächst wieder der virtuelle Ursprung bestimmt werden
(vgl. dazu die Ausführungen beim Wandstrahl).
Die selbstähnliche Lösung der Trennungsschicht gehorcht derselben Differen-
tialgleichung wie die Blasiussche Plattenströmung, aber mit anderen Randbedin-
gungen. Setzt man wieder Uß = U*, so gilt

! 111 +/f"=O (7.82)

mit den drei Randbedingungen

Ti-+ 00: !' = 1


Ti -+ -oo : !' = >.
lim (Ti-!) = ->. lim (Ti>.-!).
11-oo 11--oo

Die dritte Randbedingung folgt aus einer globalen Impulsbilanz (s. Ting (1959)),
die für die V-Komponenten der Geschwindigkeit am oberen Rand (Ti -+ oo) bzw.
156 K. Gersten/ H. Herwig

am unteren Rand (ry - t -oo) den Zusammenhang V00 = ->.v_ 00 ergibt. Mit v nach
(7.42) sowie f' = 1 am oberen und f' = >. am unteren Rand folgt daraus die oben
aufgeführte dritte Randbedingung.
Der Spezialfall der Trennungsschicht mit >. = 0 wird auch als Strahlrand
bezeichnet, weil damit der Übergang in eine ruhende Umgebung beschrieben wird.
Aus der allgemeinen Beziehung v00 = ->.v_ 00 folgt, daß (nur) in diesem Fall die
v-Komponente am oberen Rand null wird, die ankommende Außenströmung also
unbeeinflußt bleibt. Das bedeutet aber, daß die Trennstromlinie mit wachsender
Lauflänge immer weiter nach unten verschoben werden muß, da immer mehr Fluid
oberhalb dieser Linie verzögert wird. Auf der Trennstromlinie gilt f = 0. Die Lage
der Trennstromlinie folgt also aus dem Wert ry, für den f = 0 gilt. Für den Strahlrand
"'o
(>. = 0) ist dies der Zahlenwert = -0,3740, so daß wegen 'Tl= yRe 112 !V'iX für
die Lage der Trennstromlinie YT := yf/ L * folgt: YT = -0, 529y'X/Re. Tabelle 7.2
enthält weitere Zahlenwerte aus der Lösung für den Strahlrand. Bild 7.13 zeigt den
Verlauf von YT und die Verteilung der v-Komponente am unteren Grenzschichtrand,
für die mit f_ 00 = -0,8757 aus Tab. 7.2 gilt: v_ 00 = 0, 8757 /V2XRe .

1) I !' !"
-+ 00 1) 1 0
0 0,2392 0, 6914 0,2704
-0,3740 0 0,5872 0,2825
-+ -00 -0,8757 0 0

Tabelle 7.2: Numerische Ergebnisse für die Strahlrand-Lösung (Trennungsschicht mit A = 0)


Lage der Trennstromlinie bei 7J = -0,3740

y
u
Bild 7.13: u-Komponente der
Geschwindigkeit und V-Komponente
am unteren Rand für die Strahlrand-
Strömung
Trennstromlinie:
YT = -0, 529Jx/Re
V-Komponente am unteren Rand:
unterer Rand
~~~~~~~~~·-- v_ 00 =0,619/v'xRe
X
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 157

Anmerkung {Bestimmung von f mit geänderter dritter Randbedingung)

Statt (7.82) mit den dort angegebenen Randbedingungen zu lösen, kann die Funktion f in einer
transformierten Koordinate f] = TJ + a aus {7.82) mit der dritten Randbedingung f] = 0 : f = 0
berechnet werden. Die Koordinate f] zählt also von der Trennstromlinie aus, deren Lage im (x*, y* )-
Koordinatensystem zunächst unbekannt ist. Am oberen Rand, also für f] --+ oo, ergibt diese Lösung
z.B. für den Strahlrand (>. = 0) jetzt f]- f = 0, 3740. Da am oberen Rand für die Strahlrandlösung
f = TJ gilt, folgt daraus unmittelbar a = 0, 3740. Damit ist jetzt die Lage der Trennstromlinie
(fJ = 0) bekannt und das Ergebnis f(f]) kann in f(T/) umgerechnet werden.

Beispiel 7.2: Trennungsschicht für >. --+ 1


Gesucht ist die Lösung von {7.82) mit der dritten Randbedingung f(O) = 0 {s. dazu die vorige
Anmerkung) für kleine Differenzen zwischen den beiden Außenströmungen, also für >. --+ 1 bzw.
e--+ 0 mit e := 1- >.. Es ist zu erwarten, daß die Werte für / 1 (0) immer besser durch {1 + >.)/2
angenähert werden, da dann (7.82) durch eine linearisierte Form ersetzt werden kann, deren Lösung
antisymmetrisch zu f] = 0 ist, wie im folgenden gezeigt wird.
Es handelt sich hierbei um ein typisches Beispiel für ein (reguläres) Störungsproblem mit
einem Störparameter e ; zur allgemeinen Theorie s. Kap. 11.
Mit dem Störansatz
(B7.2-1)

lassen sich aus (7.82) sofort folgende Differentialgleichungen und Randbedingungen für fo und / 1
herleiten:

!~" +laff;=0 (B7.2-2)


!{" + fof{' + !~' !1 = 0 {B7.2-3)
fJ ...... 00 : /~ = !{ + 1 = 1, fJ ...... -00: /~ = - !{ = 1. (B7.2-4)

Es ist leicht zu erkennen, daß fo die homogene Strömung fo = f] bzw. fo = 1 ist, so daß (B7.2-3)
jetzt lautet
!{" + fJ!{' = 0. (B7.2-5)

Mit dem Ansatz J{' = C 1 exp[-f] 2 /2] kann C 1 aus der unteren Randbedingung zu C 1 = 1/v'27i
bestimmt werden. Eine einmalige Integration ergibt dann f{ (0) = -1/2. Für die Geschwindigkeit
bei f] = 0 gilt also
/'{0) = 1- ~e + O(e 2 ) = 1 + >. + 0((1- >.) 2 ). (B7.2-6)
2 2
In Bild B7.2 ist diese Asymptote für>.--+ 1 eingezeichnet.

1.0 r------------~

f'(O)
Bild B7.2: Geschwindigkeit auf der
Trennstromlinie der Trennungsschicht 0.5
(T/ = 0) für verschiedene Werte>.
>.:?o Verhältnis der Außengeschwin-
digkeit auf beiden Strahlseiten
(s. Bild 7.12) 0
0 0.5 1.0
158 K. Gersten/ H. Herwig

b Freistrahl
Entfernt man in Gedanken die untere Begrenzung des Wandstrahles, so entsteht
ein sog. Preistrahl, der in eine ruhende Umgebung ausgeblasen wird. Wie beim
Wandstrahl ist die selbstähnliche Grenzschichtlösung die fiktive Ersatzströmung
zur Beschreibung des Fernfeldes eines realen ebenen Freistrahles, weshalb wieder
x
die Koordinate eingeführt wird. Bild 7.14 zeigt diese Strömung. Eine Impulsbe-
trachtung ergibt wegen fehlender Begrenzungswände und des konstanten Druckes
im gesamten Strömungsfeld, daß der kinematische Impuls des Strahles konstant ist,
also
+oo

K* := B* j u* 2 dy* = const. (7.83)


-oo

INAHFELD~ FERNFELD

1f·
/. ~

t~~x• = - lol
Bild 7.14: Geschwindigkeitsprofile des
Freistahles
(a) realer Freistrahl

.Y"k;.:::g;-- . ~-(b)
VIRTUELLER (Koordinate: x*)
URSPRUNG (b) fiktive Ersatzströmung
-~- (Koordinate: x*)
schraffiert: Übergangsbereich zwischen
Nah- und Fernfeld

Mit einer willkürlich gewählten Bezugslänge L * kann damit eine Bezugsgeschwin-


digkeit
Us = -/K*/(B*L*) (7.84)
gewonnen werden, so daß die Reynolds-Zahl für den Freistrahl als Re= UßL* fv*
definiert ist.
Erwartungsgemäß lautet die Differentialgleichung des Freistrahles wie die des
Wandstrahles, vgl. (7.69),

! 111 + !!"- ß/' 2 = 0, (7.85)

jetzt aber mit der Randbedingung

TJ-+oo: f' = O (7.86)


7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 159

und den Symmetriebedingungen

rJ=O: f=f"=O. (7.87)

Als Normierungsfunktionen wurden wie beim Wandstrahl angesetzt

(7.88)

Wie beim Wandstrahl liegt auch hier ein Eigenwertproblem vor, da f = 0 als
(triviale) Lösung möglich ist. Eine von null verschiedene Lösung existiert nur für
ß = -1, so daß zusammen mit n = (1- m)/2 für den Freistrahl m = -1/3 und
n = 2/3 gilt. Dies wiederum bedeutet aufgrundvon (7.83) und (7.84)

= [Re ( /+oo ,2 ) -
2 1 3
] 1 = (3 Re) 1/3 (7.89)
Gm 3 J d'rj 256
-oo

In (7.89) wurde das Integral aus der Lösung der Differentialgleichung zu 16/3
bestimmt. Aufgrund der Bedingung C~Cm = 3 gilt dann

Cn = (2304Re)- 116 . (7.90)

Für den Freistrahl gibt es eine einfache analytische Lösung. Sie lautet (s. Schlichting
(1982, s. 180))

f(TJ) = 2tanh rJ --4 f'(TJ) = 2(1- tanh2 TJ). (7.91)

Aus der Lösung (7.91) folgt das dimensionsbehaftete Geschwindigkeitsprofil in


physikalischen Variablen (x*,y*), wie es in Bild 7.14 skizziert ist, als

{"J(*(3Re)113 (x* )- 1/ 3 [ ( y* 48 1f3Re 213 )]


u* = u;pNJ'(TJ) = V""iF"V 256 L* 2 1- tanh2 x•2/3 L*l/3
(7.92)
mit
UßL* (K*/B*)tf2L*lf2
Re = - - = .o..._-'---''---- (7.93)
v* v*
Wie man sich leicht überzeugen kann, fällt die Länge L * aus der obigen Beziehung
heraus, was noch einmal zeigt, daß L * für selbstähnliche Lösungen als willkürliche
Größe gewählt werden darf.
Die Reynolds-Zahl-Abhängigkeit von Gm und C0 zeigt, daß auch beim Frei-
strahl nicht mehr die Re 112-Skalierung wie bei Wandgrenzschichten vorliegt. Die
entsprechenden Überlegungen, die dazu beim Wandstrahl angestellt wurden, gelten
genauso für den Freistrahl, lediglich die Zahlenwerte entsprechender Exponenten
sind verschieden.
160 K. Gersten/H. Herwig

7.5.5 Selbstähnliche Temperaturgrenzschichten

a Voriiberlegungen

Die Differentialgleichung für die Temperaturverteilung in der sog. Temperatur-


grenzschicht, (7.38), verdeutlicht die drei Bedingungen, unter denen selbstähnliche
Lösungen möglich sind. Als notwendige Bedingung muß zunächst die zugehörige
Strömungsgrenzschicht selbstähnlich sein, also f = f(TJ) gelten, da (7.38) einseitig
mit (7.37) gekoppelt ist. Darüber hinaus muß zweitens gelten, daß o:5 und o: 6 nach
(7.39) Konstanten und damit keine Funktionen von x sind. Als dritte Bedingung
ist die X-Unabhängigkeit der Randbedingungen zu fordern.
Im folgenden sollen in diesem Sinne exemplarisch nur die Grenzschichten mit
Wand und Außenströmung untersucht werden, die vom Falkner-Skan-Typ sind, also
Grenzschichten zur Außenströmung U = xm. Die Strömungsgrenzschichten sind
mit den Normierungsfunktionen UN = U und 8N = (2/(m + 1)) 112 xCl-m)/ 2 durch
die Falkner-Skan-Gleichung (7.47) beschrieben. Ferner sei vorausgesetzt, daß die
Temperatur außerhalb der Temperaturgrenzschicht konstant ist.
Wegen der Linearität der Temperaturgleichung (7.38) kann mit dem Ansatz
'11*
't8 U*2
{} = {}1 + Br x m-rf} 11
~ ~ 2 ~ 8
, Br := "\* !::::.T,* =Pr Ec (7.94)
8 8

eine Abspaltung des Dissipationseinflusses erreicht werden. Der Faktor x 2m-r in


(7.94) berücksichtigt die spezielle x-Abhängigkeit des Dissipationseinflusses und
führt mit 191(ry), 1911 (ry) zu einer Temperaturverteilung 19(x, ry), die" quasi-selbstähn-
lich:' genannt werden soll. Statt (7.38) gelten damit folgende Differentialgleichungen
für 191 bzw. 1911 (mit o: 1 = 1):

19{' + Pr(/19~ - o:sf'191) = 0 (7.95)

19{{ + Pr(f19b - o:5!'19n) + a6xr-2m f 112 = 0. (7.96)

Die zugehörigen Randbedingungen werden erst mit der Wahl von o: 5 und o:6
festgelegt. Wählt man als Ansatz für die Normierungsfunktion f}N analog zu (7.43)

(7.97)

so ergibt sich mit o:5 = 2rj(m + 1) und o:6 = x 2m-r /Cr für (7.95) und (7.96) jetzt

(7.98)

::011 ( ~,
v 11 +Pr jfJ 11 - -4m
- ! ,;;;v 11 ) + f 112 = 0 . (7.99)
m+1
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 161

Hierbei wurde er = 1 gewählt, d.h. es gilt in (7.96) o: 6 xr- 2m = 1. Beide


Gleichungen unterliegen keiner Einschränkung bezüglich des Exponenten r. Es ist
bemerkenswert, daß (7.99) und damit die Funktion 1911 von r unabhängig ist (s.
dazu die Ausführungen nach (7.102)).

b Kein Dissipationseinfluß (Br = 0)

Temperaturfelder ohne Dissipationseinfluß sind durch die Differentialgleichung


(7.98) für 191 beschrieben. Da o:5 = const für beliebige Werte des Exponenten r
gilt, liegt Selbstähnlichkeit also offensichtlich für beliebige Potenzabhängigkeiten
xr der charakteristischen Temperaturdifferenz (die zur Normierung diente) vor. In-
terpretiert man in 19 = (T* - T~)/(l::.Tf.,Crxr) den Nenner als (T;(x*) - T~),
fordert also 19(0) = 1, so gilt mit er = 1 damit r;(x*) - T~ = t::.T;"xr (also:
l::.Tß = (T;- T~)x*=L* ). Darin sind insbesondere die beiden bisher stets betrach-
teten Spezialfälle enthalten.

(1) r; = const: Dieser Fall gilt für r = 0.


(2) q~ = const: Aus q~ = ->.*(8T* jßy*)w folgt unmittelbar die Abhängig-
keit q~ "' x< 2r+m-l)/ 2 , so daß der Fall q~ = const durch die Bedingung
r = (1- m)/2 realisiert ist.

Zur Bestimmung der Temperaturverteilung muß (7.98) numerisch gelöst werden,


wobei die unterschiedlichen Strömungssituationen durch die Stromfunktion f Ein-
gang in diese Gleichung finden. Die zu (7.98) gehörenden Randbedingungen sind
aufgrund der vorhergehenden Überlegungen

TJ = 0 : 191 = 1, (7.100)

Für den Wärmeübergang in Form der Nußelt-Zahl gilt

* L*
Nu := qw = Re 112 y'(m + 1)/2 x<m-l)/ 2 (-19' ) (7.101)
>.•(T;(x*)- T~) Iw

Tabelle 7.3 enthält Zahlenwerte zur Platten- und Staupunktströmung für beide
thermischen Randbedingungen und unterschiedliche Prandtl-Zahlen. Für die Stall-
punktströmung sind die Lösungen für r;
= const und q~ = const identisch, da in
beiden Fällen r = 0 gilt.
162 K. Gersten/ H. Herwig

-J;w
Plattenströmung (m = 0) Staupunktströmung (m = 1)
Pr r:, = const q:, = const r:, = const/q:, = const
(r = 0) (r = 1/2) (r = 0)
-+0 0, 798Pr 112 1, 253Pr1 12 0, 798Pr 112
0,1 0,1980 0,2838 0,2195
0, 7 0,4139 0,5740 0,4959
7 0, 9135 1,2525 1,1784
10 1,0297 1,4112 1,3388
-+ 00 0, 479Pr 113 0,656Pr 113 0, 661Pr 113

Tabelle 7.3: Wandwerte des Temperaturgradienten ( -ß;wl aus der Lösung von (7.98);
weitere Werte in Herwig und Wiekern (1986)

Anmerkung 1 (Pr-+ 0, Pr-+ oo)

In Tabelle 7.3 sind die asymptotischen Ergebnisse für kleine bzw. große Prandtl-Zahlen angegeben.
Diese Ergebnisse erhält man, indem die in Bild 7.2 skizzierten Grenzfälle in entsprechend
transformierten Variablen beschrieben werden. Dies bedeutet bezüglich der Gleichung (7.98)
(a) für Pr-+ 0: 6.j. :» 6* -+I= 1J
Die Transformation auf Tj = 1JPr112 ergibt für die Energiegleichung mit · ~ 8/8Tj
~ ~ 2r ~
fli . + Tffli - --fJI
m+l
=0
(b) für Pr-+ oo: 6.j. « 6* -+ I= ~ 1.::11 2 + 0(TJ 3 ), (Taylorreihe)
Die Transformation auf Tj = 1JPr113 ergibt für die Energiegleichung mit · ~ 8/8fi

;?·.
I
+ ~,11~2;?·
w1J I
- ~,~~~;?
m+ w1JI
=0
2 1
Die Randbedingungen gelten unverändert. Bei der Rücktransformation der Ergebnisse auf die
Koordinate 1J entstehen die Faktoren Pr 112 bzw. Pr 113 in Tab. 7.3.
Diese asymptotischen Ergebnisse bezüglich der Prandtl-Zahl können für die thermische
Randbedingung T:, = const auch noch auf anderem Wege gewonnen werden. Die nachfolgenden
Beziehungen für asymptotisch kleine und große Prandti-Zahlen stellen eine Verallgemeinerung
der zuvor behandelten Fälle dar, weil Sie nicht nur für Geschwindigkeitsverteilungen gelten, die
zu selbstähnlichen Strömungsgrenzschichten führen, sondern für beliebige Außengeschwindigkeiten
U(x). Sie haben außerdem den Vorteil, daß die Ergebnisse für den Wärmeübergang in geschlossener
Form angegeben werden können, ohne daß jeweils erneut Differentialgleichungen gelöst werden
müßten. Ausgangspunkt ist dabei die thermische Energiegleichung in der Form (7.22) für konstante
Stoffwerte und Ec = 0 (keine Dissipation), also
8fJ 8f} 1 ß2fj
u 8x + v8N = Pr 8N 2
(a) für Pr-+ 0:
Wegen 6.j. » 6* gilt u* = U*(x*) bzw. u = U und v* = -~y* bzw. v =- ~~ N.
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 163

Mit der Ähnlichkeitstransformation


~ NU(x)Pr 112
(x, N) --+ (x, ii), TJ=
)4lUdx
wird der Energiesatz zu folgender gewöhnlichen Differentialgleichung für 19(7)):

19 11 + 27)19 1 = 0 mit 19(0) = 1, 19(7)--+ oo) = 0.

Die Lösung ist die sog. "Fehlerfunktion"

so daß für die Nußelt-Zahl Nu= q;_L* /(>..*(T;- T~)) gilt

U(x)Pr 112
(Pr--+ 0).
X
1r J U(x)dx
0

Für die Plattenströmung (U = 1) gilt damit NuRe- 112 = 0,564Pr 112 x- 112 , für die Staupunkt-
strömung (U = x) gilt NuRe- 112 = 0, 798Pr 1 12 , beides in Übereinstimmung zu den Werten aus
Tab. 7.3 eingesetzt in (7.101).

(b) für Pr--+ oo:


Wegen 8-'f « 8* gilt u• = (8u* f8y*)wy• bzw. u = ~4N mit 4 = cfRe 112 , Cf nach (7.25).
Ferner wird angenommen, daß Cf in der Energiegleichung keine Funktion von x ist, bzw. sich
"vernachlässigbar langsam" mit x verändert. Damit gilt dann v = 0. Die Temperaturgrenzschicht
entwickelt sich ausgehend von x = x 0 also im wandnahen Bereich einer "ausgebildeten" Strömungs-
grenzschicht. Mit der Ähnlichkeitstransformation

(x,N)--+ (x,1)),

lautet die Energiegleichung

Die Lösung dieser Gleichung läßt sich mittels unvollständiger Gammafunktionen in geschlossener
Form angeben und führt für die Nußelt-Zahl auf

(Pr--+ oo).

Für die Plattenströmung mit 4 = 0, 664/.JX nach (7.49) gilt für den Spezialfall x 0 = 0 damit
NuRe- 112 = 0,339Pr 1 13 x- 112 , für die Staupunktströmung mit 4 = 2,4652x entsprechend
Nu Re- 112 = 0, 661 Pr 113 , beides wieder in Übereinstimmung zu (7.101) und Tab. 7.3.
164 K. Gersten/H. Herwig

Anmerkung 2 (Zur Problematik der Nußelt-Zahl-Definition)

Bereits in Kap. 2 war darauf hingewiesen worden, daß die übliche Definition der Nußelt-Zahl pro-
blematisch sein kann, s. dazu die Diskussion im Zusammenhang mit (2.32). Die auch in (7.101)
verwendete Definition wird immer dann ihren Sinn verlieren, wenn die darin unterstellte Pro-
portionalität q:_. ,. . , (T; - T~) verletzt ist. Dies ist der Fall, wenn der Einfluß der Dissipation
berücksichtigt wird, wie in Kap. 2 gezeigt wurde, aber auch, wenn Verteilungen der Wandtem-
peratur vorliegen, die nicht den beiden Spezialflillen r;= const und q:_. = const entsprechen.
Schlichting (1951) untersucht solche Fälle und zeigt, daß die oben genannte Nußelt-Zahl dann
ihren Sinn verliert, da singuläre Werte (Nu = oo) auftreten, ohne daß dies eine Entsprechung in
der Physik des betrachteten Problems hätte.
Zum Beispiel gilt für eine Plattenströmung mit einer linearen Wandtemperaturverteilung
(Überlagerung der Fälle r = 0 und r = 1), bei der die vordere Plattenhälfte eine Temperatur
oberhalb von T~ und die hintere Hälfte eine Temperatur unterhalb von T~ besitzt, daß nur
auf dem vorderen Drittel ein Wärmestrom von der Wand in das Fluid vorliegt, während der
Wärmestrom auf dem Rest der Platte das umgekehrte Vorzeichen aufweist. Damit liegt in der
Plattenmitte ein endlicher Wärmestrom vor, die Temperaturdifferenz r; -
T~ ist aber wegen des
angenommenen linearen Wandtemperaturverlaufes null. Damit wird aber die Nußelt-Zahl nach
(7.101) unendlich groß. In solchen Fällen sollte man stets die modifizierte Nußelt-Zahl Nu (s. Tab.
4.2) verwenden, die physikalisch einen dimensionslosen Wandwärmestrom darstellt.

c Einfluß der Dissipation (Br -::/ 0)

Zur Bestimmung des Dissipationseinflusses muß JII aus (7.99) berechnet werden.
Die Randbedingungen sind homogen, also

'TJ = 0: 'l?n = 0, 'TJ ---+ oo : 'l?n = 0, (7.102)

da die Randbedingungen bezüglich der Temperatur J nach (7.94) bereits durch


den Temperaturanteil J1 erfüllt sind. Da (7.99) unabhängig von r (Exponent
der Wandtemperaturverteilung) ist, muß für die Lösung nicht nach verschiedenen
thermischen Randbedingungen unterschieden werden. Dies ist auch physikalisch
einsichtig, da der Dissipationseffekt ausschließlich die Folge einer bestimmten
Geschwindigkeitsverteilung ist und diese (für konstante Stoffwerte) unabhängig vom
Temperaturfeld ist.
Für den Wärmeübergang in Form der Nußelt-Zahl gilt jetzt als Erweiterung
von (7.101)

(7.103)

Tabelle 7.4 enthält Zahlenwerte von Jbw für die Platten- und die Staupunkt-
strömung bei unterschiedlichen Prandtl-Zahlen. Bezüglich der Grenzwerte Pr ---+ 0
und Pr---+ oo s. Gersten und Körner (1968).
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 165

J;Iw
Plattenströmung Staupunktströmung
Pr (m = 0) (m = 1)
-->0 0,3692 0,7129
0,1 0,3043 0,6076
0, 7 0, 2471 0,5085
7 0, 1649 0,3524
10 0,1525 0,3276
_. 00 0, 4604Pr- 113 0, 6353Pr- 1 13

Tabelle 7.4: Wandwerte des Temperaturgradienten i?;Iw aus der Lösung von (7.99)

Für den dimensionslosen Wärmestrom an der Wand gilt mit ,0"Tß


(T:;, - T~)x•=L*

·- q:,L* _ T:;,(x*)- T~ _ r
qw .- )..*,0"T* -Nu !:::.T* - Nux . (7.104)
B B
Der Fall qw = 0 (adiabate Wand) liegt demnach für Nu = 0 vor, was wiederum
gilt, wenn die eckige Klammer in (7.103) verschwindet. Dies kann nur dann für alle
x-Werte gleichzeitig gelten, wenn die Bedingungen

r=2m, (7.105)

erfüllt sind. Dabei ist Brk die sog. kritische Brinkman-Zahl. Die zu dieser Situation
gehörige adiabate W andtempemturverteilung T;d wird auch als Eigentempemturver-
teilung bezeichnet, für die aufgrundder allgemeinen Definition der Brinkman-Zahl,
s. z.B. (7.94), gilt
.,.,•u•2
T* (x*) - T*
ad oo
= ~x
)..*Brk
2m (7.106)

Damit läßt sich der sog. Rückgewinn-Faktor r (engl.: recovery factor, nicht zu
verwechseln mit r nach (7.105)) bilden, für den gilt
T* (x*) - T* 2 Pr 2
r := U:~(x*)/(2c~ = Brk =Eck= r(m,Pr)' (7.107)

wobei dann Eck entsprechend die kritische Eckert-Zahl ist, also die Eckert-Zahl
für verschwindenden Wärmeübergang an der Wand. Beispielsweise gilt für die
Plattenströmung (m = 0) und Pr = 0, 7 der Wert r = 0, 836, für Pr = 1 gilt
r = 1.
166 K. Gersten/ H. Herwig

Anmerkung 1 (Alternative Entdimensionierung bei q;, = const)


Für die normierte Temperatur gilt :0 = (T* - T~)/(l:.TfiCrxr). Bisher war der Nenner als
T;(x*)- T~ interpretiert worden, was als Spezialfall auch die thermische Randbedingung q;,=
const enthält. Wie bereits im Zusammenhang mit (5.24) erläutert, kann l:.Tß als charakteristische
Temperaturdifferenz mit q;,>.ß/L* identifiziert werden. Aus der Randbedingung q;, = const folgt
dann unter Beibehaltung von :0 = fJ/fJN , {JN = Crxr

J:,.Re1/2_S:_ xr+(m-1)/2 = -1. (7.108)


~
Die zu fordernde X-Unabhängigkeit ergibt (wie bisher) r = (1- m)/2. Mit er = ~Re- 1 1 2
lauten die Randbedingungen für :0(11) dann li'(O) = -1 und li(TJ-+ oo) = 0.

Anmerkung Z (Andere selbstähnliche Strömungen)

Bezüglich der Temperaturgrenzschichten zu Strömungen, die nicht vom Falkner-Skan-Typ sind,


sei auf die Literatur verwiesen, z.B. für die gezogene Platte: Beese und Gersten (1979), Char et
al. (1990); für den Wandstrahl: Schilawa (1981) und für den Freistrahl: Gersten et al. (1980). Das
Temperaturfeld der turbulenten Trennungsschicht wird in Abschnitt 19.3 bestimmt, die Ergebnisse
gelten wie dort erläutert auch für laminare Strömungen.

7.6 Integralverfahren
Zur Berechnung der in Abschnitt 7.5 ausführlich behandelten selbstähnlichen
Grenzschichten mußten nur gewöhnliche Differentialgleichungen gelöst werden, was
heute ohne Schwierigkeiten schon mit programmierbaren Taschenrechnern möglich
ist. Im allgemeinen Fall sind Grenzschichten jedoch nicht selbstähnlich. Die Lösung
der dann geltenden Grenzschichtgleichungen erfordert einen erheblich größeren
Aufwand, da es sich um partielle Differentialgleichungen handelt. Dabei ist es bei
vielen praktischen Problemen gar nicht nötig, die "exakten" Lösungen zu ermitteln,
sondern es genügt, die Ergebnisse "bis auf wenige Prozent genau" zu kennen.
Mit folgender Überlegung können Näherungslösungen der vollständigen
Grenzschichtgleichungen gewonnen werden. In einem ersten Schritt werden die
Grenzschichtgleichungen über die Normal-Koordinate N hinweg integriert. Dies
überführt die partiellen Differentialgleichungen in den Variablen (x, N) in Inte-
gralsätze mit nur noch der einen Variablen x. Die dabei auftretenden Integrale
stellen Integrationen über die gesuchten Profile für die Geschwindigkeit und die
Temperatur dar, und zwar genau diejenigen Integrale, die in den Definitionen der
Grenzschicht-Kenngrößen auftreten. Damit können die Integrale formal durch die
Kenngrößen 61 , 62 und 6h aus Abschnitt 7.4 ersetzt werden. Dadurch entstehen
also gewöhnliche Differentialgleichungen (in x) für die Grenzschicht-Kenngrößen.
Diese Gleichungen für sich stellen wohlgemerkt keine Näherung dar, sondern gel-
ten exakt. Leider ist die Anzahl der auftretenden Kenngrößen aber größer als die
Anzahl der Gleichungen, so daß zu den überN integrierten Differentialgleichungen
weitere Bestimmungsgleichungen hinzugenommen werden müssen. Hier tritt nun in
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 167

einem zweiten Schritt eine erste Näherungsannahme auf: Es wird unterstellt, daß
die Profile der Geschwindigkeit bzw. der Temperatur alle aus jeweils einer bestimm-
ten "Profilfamilie" stammen, d.h. jeweils Profile aus einer vorgegebenen Anzahl von
möglichen Profilen sind. Die einzelnen Profile der Profilfamilie unterscheiden sich
durch einen oder mehrere Parameter, weshalb von einer ein- bzw. mehrparametri-
gen Profilfamilie gesprochen wird. Über diese Annahme sind die eigentlichen Un-
bekannten nicht mehr die Grenzschicht-Kenngrößen als Funktionen von x, sondern
die Parameter der Profilfamilie als Funktionen von x. Ob und wieviele Gleichungen
zu den integrierten Differentialgleichungen hinzugenommen werden müssen, hängt
unmittelbar von der Anzahl der Profilfamilien-Parameter ab. Diese zusätzlichen
Gleichungen können aus den Ausgangsgleichungen gewonnen werden, wie später
gezeigt wird.
Die auf dieser Vorgehensweise basierenden Näherungsverfahren heißen Inte-
gralverfahren. Der wesentliche Unterschied zwischen den einzelnen Verfahren be-
steht in der Vorgabe der Profilfamilien, gelegentlich auch in der Verwendung modi-
fizierter Integralsätze. Im folgenden wird konkret ein Integralverfahren vorgestellt,
bei dem eine einparametrige Profilfamilie verwendet wird. Zuvor werden die allge-
meinen Integralsätze angegeben, die so oder in leicht modifizierter Form von allen
Integralverfahren benutzt werden.

7.6.1 Integralsätze
Wie zuvor beschrieben, werden die Grenzschicht-Differentialgleichungen über die
Normalkoordinate hinweg integriert. In den dimensionslosen Grenzschichtkoordina-
ten x, N bedeutet dies eine Integration von N = 0 (Wand) bis N--+ oo (Übergang
in die Außenströmung). Die obere Integrationsgrenze oo stellt kein Problem dar,
weil alle Integranden für N --+ oo null werden.
Aus den Grenzschichtgleichungen (7.19) bis (7.22) folgen dann unter der
Annahme konstanter Stoffwerte (e = 1, TJ = 1, ... ) die integralen Gleichungen für
den x-Impuls und die thermische Energie. Als Zwischenschritt sei folgende Form der
x-Impulsgleichung angegeben, die nach der formalen Integration unter Verwendung
der Kontinuitätsgleichung entsteht:
00 00

-d / (u 2 dU! (u-U)dN=--cr.
-uU)dN+- 1_ (7.109)
dx dx 2
0 0

Dabei wurde der mit Re 1/ 2 multiplizierte örtliche Reibungsbeiwert

2r* e*U* L*
c := __w_Re 112 = c Re 112 mit Re = B (7.110)
r e*U82 r TJ*

eingeführt.
An (7.109) ist leicht zu erkennen, daß unter Verwendung der Kennzahl-
Definitionen (7.31) und (7.32) mit H 12 = 8J8 2 folgende endgültige Form als
168 K. Gersten I H. Herwig

Integmlsatz für den Impuls entsteht:

d6 2 (2 H ) 82 dU _ er (7.111)
dx + + 12 U dx - 2U 2

Weitere Integralsätze können formal dadurch gewonnen werden, daß die Differenti-
algleichung für den x-Impuls vor der Integration mit Potenzen der Geschwindigkeit
u, also mit un, multipliziert wird. Man spricht dann von Impulsmomentensätzen,
vgl. Jischa (1982, S. 239). Für n = 1 läßt sich die mit u multiplizierte Impuls-
gleichung als Erhaltungssatz für die kinetische Energie interpretieren, s. dazu auch
Abschnitt 3.4. Die anschließende Integration ergibt unter Verwendung von 83 nach
(7.33) folgenden lntegmlsatz für die kinetische Energie:

(7.112)

mit dem sog. Dissipationsintegml

J(:~)
00 2

D := dN. (7.113)
0

Diese Größe stellt ein unmittelbares Maß für die in einem Strömungsquerschnitt
dissipierte Energie dar.
Als Integmlsatz für die thermische Energie entsteht durch ein ganz analoges
Vorgehen aus (7.22) unter Verwendung von 8T nach (7.34b)

(7.114)

Dieser Integralsatz gilt für beide thermische Randbedingungen (T:, = const mit
{)w := (T:, - TP,)/(T:, - TP,) = 1, also d{)w/dx = 0; q;, = const mit
{)w := (T:,- TP,)/(q:,Lß/.Xß)).
Gleichung (7.114) zeigt, daß die innere Energie der Grenzschicht, für die bT ein
Maß ist, auf zwei Arten verändert werden kann: entweder durch Wärmeleitung über
die Wand (Nu ist ein dimensionsloser Wand-Wärmestrom) oder durch Dissipation.

Belspiel 7.3 : Auswertung des Impulssatzes für die Plattenströmung


Für die Plattenströmung gilt U := U* IUß = 1, so daß der Impulssatz (7.111) lautet

1M2 ~ (B7.3-l)
dx 2
Integriert über die Plattenlänge L* ergibt dies mit x := x* I L* und 82 (0) = 0

(B7.3-2)
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 169

An der Hinterkante, also bei x = 1, gilt damit

I
1 1

62(1) = ~I Cr dx = ~Re 1 1 2 Cf dx 0
(B7o3-3)
0 0

Ausgedrückt durch den Widerstandsbeiwertes cw (vgl. (7053)) gilt damit


cw = 262(1)Re- 112 = 2ß2v'2Re- 1 / 2 = 1,3282Re- 1 12 0 (B7o3-4)
Mit dem Wert ß2 = 0, 4696 nach Tabelle 701 ergibt sich also erwartungsgemäß der führende Term
des Widerstandsgesetzes (7o55)o

7.6.2 Integralverfahren für Strömungsgrenzschichten (Walz-Verfahren)


Wie eingangs zu Abschnitt 7o6 beschrieben, unterscheiden sich die einzelnen Inte-
gralverfahren hauptsächlich durch die Vorgabe der Profilfamilieno Häufig werden Po-
tenzansätze mit einem oder mehreren Parametern zur Beschreibung der Strömungs-
profile gewählt. So schlägt Pohlhausen (1921) für die Geschwindigkeitsprofile ein
Polynom 4. Grades in der Normalkoordinate vor, was unter Berücksichtigung der
Randbedingungen letztlich auf eine einparametrige Profilfamilie führt.
Eine andere Wahl trifft Walz (1966), der unterstellt, daß das Geschwindig-
keitsprofil jeweils lokal einem Hartree-Profil entsprechen soll. Dies wird auch als
lokale Selbstähnlichkeit bezeichnet. Diese Profile sind Lösungen der (einparametri-
gen) Falkner-Skan-Gleichung (7.47), stellen damit also ebenfalls eine einparametrige
Profilfamilie mit dem Parameter ß dar. Wie man sich leicht überzeugen kann, reicht
der Integralsatz (7.111) allein nicht aus, den Parameter ß(x) zu bestimmen. Der In-
tegralsatz lautet mit 81 = ß1 6N, 82 = ß2 8N und er = 2U nach (7.49) bis (7.51) 1.::
mit UN = U jetzt

(7.115)

Da ß1 , ß2 und 1.::
jeweils Funktionen von ß sind, treten in (7.115) zwei unbekannte
Funktionen von x auf, nämlich 8N(x) und ß(x). Nur für eine "nullparametrige
Profilfamilie", die dann aus einem einzigen Profil besteht, reicht (7.115) aus, die
dann einzige Unbekannte, 8N(x),zu bestimmen, s. dazu das nachfolgende Beispiel
7.4. Für jeden weiteren Parameter der Profilfamilie muß eine weitere Gleichung
hinzutreten.
Im hier vorliegenden Fall wird also eine weitere Gleichung benötigt. Eine
Möglichkeit besteht darin, die sog. Wandbindung als zweite Gleichung zu verwenden.
Damit ist die x-Impulsgleichung für N = 0 gemeint, also (7.20) an der Wand. Daraus
folgt

0 = U dx
dU (
+ 8N2
a2 u) w mit (7.116)

Auch (7.116) verknüpft bei vorgegebener Geschwindigkeitsverteilung U(x) die


beiden Funktionen 8N(x) und ß(x), so daß diese zusammen aus (7.115) und (7.116)
170 K. Gersten/ H. Herwig

ermittelt werden können. Aus der Lösung für ß(x) und 8N(x) könnten dann über
(7.49) bis (7.51) die lokalen Werte cr(x), 81 und 82 bestimmt werden.
Statt ß und 8N zu bestimmen, führt Walz zwei Hilfsfunktionen ein, die
folgendermaßen definiert sind:
-2 2
r: = - ~ ( :N~) w = -ßi(ß) J.::'(ß) = r(x) (7.117)

(7.118)

Umgeschrieben in r und Z stellen die beiden Gleichungen (7.115) und (7.116) die
folgenden zwei Bestimmungsgleichungen für diese Größen dar:
dZ ZdU
dx + (3 + 2H12 ) U dx = F 1 (r), mit F1 = cr8 2 jU (7.119)

ZdU
u dx = r(x). (7.120)

Zusammengefaßt folgt daraus

(7.121)

Die Funktion F 2 (r) kann für die Hartree-Profilfamilie bestimmt werden, indem für
alle zulässigen Werte des Profilparameters ß die Größen r und F 2 ermittelt werden.
Dabei zeigt sich nun der eigentliche Vorteil der Einführung vonrund z. Zwischen
dem ß-Wert der Ablösung (ß = -0, 1988 ; r = -0,0681) und dem des Staupunktes
(ß = 1, 0; r = 0, 0855) ist der Kurvenverlauf F 2 (f) nahezu linear und kann in sehr
guter Näherung abschnittsweise durch folgende Geraden approximiert werden:
a = 0,441, b = 4,579 für r < 0
(7.122)
a = 0, 441, b = 4, 165 für r > 0.
Dabei sind die Zahlenwerte für a und b so gewählt worden, daß die Plattenströmung,
Staupunktströmung und die Ablöseströmung durch (7.122) exakt beschrieben wer-
den. Walz (1966) setzt b = 5, 165 für r < 0, kann damit dann aber die Ablöse-
strömung nicht exakt beschreiben.
Mit F 2 (f) nach (7.122) liegt die Differentialgleichung (7.121) für Z(x) in
Normalform vor und kann deshalb unmittelbar integriert werden. Für Z(O) = 0
lautet das Ergebnis

J
X

Z(x) = ;b Ubdx (7.123)


0

Da alle umströmten Körper entweder einen Staupunkt oder eine Vorderkante


besitzen, gilt allgemein Z(O) = 0 aufgrundder Definition (7.118) (Staupunkt: U = 0;
Vorderkante 82 = 0).
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 171

Ist Z(x) bekannt, so können daraus durch Rücktransformation in die ur-


sprünglichen Variablen die gesuchten Größen ermittelt werden. Es gilt
62 = (Z/U)l/2 (7.124)
61 = 62 H12(r) (7.125)
er= u F 1 (r)j62 . (7.126)
Die Funktionen F 1(r) und H 12 (r) können mit r = (ZdUjdx)/U Tabelle 7.5 ent-
nommen werden. Diese Tabelle ist durch Auswertung der Hartree-Profile entstan-
den.

ß r Fl(r) F2(r) Hdr)


-0,1988 -0,0681 0,0 0,7528 4,0275 Ablösung

-0,1 -0,0265 0,3288 0,5568 2,8011


0,0 0,0 0,4410 0,4410 2, 5911 Platte
0,1 0,0190 0, 5112 0,3599 2,4809
0,2 0,0333 0,5607 0,3002 2,4108
0,4 0,0538 0,6266 0,2150 2,3252
0,6 0,0677 0,6690 0,1580 2,2743
0,8 0,0778 0,6987 0,1167 2, 2405
1,0 0,0855 0,7207 0,0852 2,2162 Staupunkt

Tabelle 7.5: Hilfsfunktionen des Walz-Verfahrens (Ausgewertet für Hartree-Profile)

Unter Verwendung von (7.123) reduziert sich also die Berechnung laminarer Wand-
grenzschichten auf die (numerische) Auswertung einer Quadraturformell Näherun-
gen gehen bei der Herleitung dieser Beziehung an zwei Stellen ein: erstens bei der
Annahme, daß das Geschwindigkeitsprofil an einer beliebigen Stelle x durch ein
entsprechendes Hartree-Profil beschrieben werden kann (lokale Selbstähnlichkeit),
zweitens bei der Approximation der HUfsfunktion F 2 (r) durch zwei Geraden für
r < 0 bzw. r > 0. Diese Geraden sind jedoch so gewählt, daß die selbstähnlichen
Lösungen für Staupunkt, Platte und Ablösung exakterfaßt sind, d.h. daß (7.123)
bezüglich dieser drei selbstähnlichen Strömungen (mit Geschwindigkeitsprofilen aus
der Hartree-Profilfamilie!) keine Näherung darstellt.
Praktische Anwendungen zeigen, daß das Integralverfahren nach Walz immer
dann sehr gute Näherungslösungen liefert, wenn die Strömung nicht einem extremen
Druckgradienten dpfdx unterliegt. Auszuschließen wären demnach stark verzögerte
oder stark beschleunigte Strömungen (lßl » 1). Für solche Strömungen versagen
Integralverfahren aber nicht etwa grundsätzlich, sondern es muß nur dafür Sorge
getragen werden, daß die zugrunde gelegten Profilfamilien die zu erwartenden
Strömungsprofile näherungsweise enthalten. Das nachfolgende Beispiel zeigt, daß
die Anforderungen an die Näherungsprofile aber offensichtlich nicht sehr groß sind.
172 K. Gersten/ H. Herwig

Anmerkung (Alternative zur Wandbindung)

Statt der Wandbindung (7.116) kann als zweite Gleichung im Integralverfahren auch der Integral-
satz für die kinetische Energie, (7.112), verwendet werden. Das daraus resultierende Rechenver-
fahren wird von Walz (1966) ausführlich beschrieben.

Beispiel 7.4 : Formulierung eines Integralverfahrens mit einer "nullparametrigen Profilfamilie"

Die Überlegungen zu den Integralverfahren ergaben, daß zu dem integralen Impulssatz für jeden
Parameter der zugrunde gelegten Profilfamilie eine weitere Gleichung hinzugenommen werden
muß. Unterstellt man eine Profil "familie", die nur aus einem einzigen Profil besteht, also keinen
Parameter besitzt, so reicht der Impulssatz allein aus, ein Integralverfahren zu formulieren.
Als ein solches Profil soll
u
c;=TJ für Ü~T/~1, rJ:=N/8N (B7.4-1)

gewählt werden, wie es in Bild B7.4 dargestellt ist. Für dieses Profil folgt aus (7.49) bis (7.51) mit
UN =U
(B7.4-2)

Bild B7.4: Näherungsprofil im Integral-


verfahren

Eingesetzt in den Impulssatz (7.111) folgt daraus folgende Differentialgleichung für 8N(x) als
einziger Unbekannten:
d8 2 82 dU 12
___li + 10_1!.- = - . (B7.4-3)
dx Udx U
Analog zur Lösung (7.123) folgt daraus die einfache Quadraturformel

.N ~ [~;, zu'dzr (B7.4-4)

Die Größe 8N(x) hat die physikalische Bedeutung einer Normierungsfunktion für die Grenz-
schichtgrößenund ist aufgrundder Definition (B7.4-1) ein unmittelbares Maß für die Grenzschicht-
dicke, die in dem angenommenen Profilverlauf als eindeutige Grenze zur Außenströmung unterstellt
ist.
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 173

Die Lösung (B7.4-4) könnte zur näherungsweisen Berechnung beliebiger Grenzschichten


herangezogen werden. Sie gilt damit selbstverständlich auch in Situationen, die zu selbstähnlichen
Grenzschichten führen.
Wertet man (B7.4-4) für die Plattenströmung (U = 1) aus, folgt 6N = v'I2x. Für die
Impulsverlustdicke gilt danach 62 = .JX73 , also die richtige X-Abhängigkeit mit einem um 13%
zu niedrigen Vorfaktor, wie ein Vergleich mit der exakten Lösung in Abschnitt 7.5.1 zeigt.
Ausgewertet für die Staupunktströmung (U = x) folgt 6N = y'675 mit der lmpulsverlust-
dicke 62 = 0, 183. Wiederum stimmt die (in diesem Fall fehlende) X-Abhängigkeit mit der exakten
Lösung überein, der Vorfaktor ist jetzt aber schon um 37% zu niedrig.

7.6.3 Integralverfahren für Temperaturgrenzschichten


Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Integralverfahrens zur Berechnung-
des Wärmeüberganges an der Wand ist der thermische Energiesatz (7.114). Bei
Vernachlässigung der Dissipation (Ec = 0) ist diese Gleichung analog zum Impuls-
satz (7.111) aufgebaut. Es liegt also nahe, diese formale Ähnlichkeit auszunutzen,
um eine der Gleichung (7.123) entsprechende Quadraturformel zu erhalten.
In diesem Sinne definiert man zunächst analog zu (7.117) und (7.118) folgende
Hilfsgrößen:

r T(x) :=- u
8~ ( ßN2
82 u )
w
2 dU
= bh dx,
-2
ZT(x) := bh u. (7.127)

Entsprechend (7.121) ergibt sich damit aus dem Energiesatz (7.114) und der
kinematischen Wandbindung (7.116)

dZT . 2Nubh ( U d'IJw/dx)


dx =FT2(rT), mit FT2=PrRe1/2-rT 1+2dU/dx 'IJw . (7.128)

Wiederum gilt 'IJW = 1, d'IJwfdx = 0 für die thermische Randbedingung = const. r;


Mit der Annäherung der Funktion FT2 durch eine (hier: einzige) Gerade
analog zu (7.122) gilt mit ZT(O) = 0
X

ZT(x) = ;~ j UbT dx , aT = aT(Pr), bT = bT(Pr). (7.129)


0

Die Konstanten aT und bT sind jetzt abhängig von der Prandtl-Zahl und der ther-
mischen Randbedingung. Sie können dadurch ermittelt werden, daß die Funktion
FT2(r T) für jede Prandtl-Zahl jeweils durch eine Gerade approximiert wird, und
zwar so, daß die Ergebnisse der Plattenströmung und die der Staupunktströmung
exakt auf dieser Näherungs-Geraden liegen. Für das gesuchte Ergebnis in Form der
Nußelt-Zahl folgt dann aus (7.114)

T; = const: NuRe- 112 = Pr [a + ZT dU (1- b )] (7.130a)


2JZT/U T U dx T

-1/2 PrJETZ;
q~ = const: NuRe = . (7.130b)
X
174 K. Gersten/ H. Herwig

Pr
r:, = const q;, = const

aT bT aT bT
--+0 4/(Pnr) 1 0, 785/Pr 0,234
0,01 106,58 0,845 60,170 0,042
0,1 7,841 0,627 4,027 -0,164
0, 7 0,699 0,393 0,336 -0,330
1 0,441 0,355 0,211 -0,353
5 0,053 0,222 0,025 -0,425
7 0,034 0,202 0,016 -0,435
10 0,011 0,183 0,010 -0,445
100 0,001 0,108 0,000 -0,481
--+ 00 0, 459Pr- 4 13 0,051 0, 215Pr- 4 13 -0,508

Tabelle 7.6: Konstanten des Integralsatzes (7.130)

Die Zahlenwerte für aT(Pr) und bT(Pr) sind in Tabelle 7.6 zusammengestellt. Für
r; = const und Pr = 0, 7 ist die maximale Abweichung der Geraden aT - bTr T
vom tatsächlichen Funktionsverlauf für den r T-Bereich zwischen Staupunkt- und
Plattenströmung etwa 10 %, für den Bereich zwischen Platten- und Ablöseströmung
etwa 30% (für den Fall q;_, = const sind die entsprechenden Zahlenwerte 15% und
40 %). Die maximalen Abweichungen treten stets in der Nähe der Ablöseströmung
auf, so daß für diese Fälle nur eine sehr grobe Approximation erreicht werden kann.

Anmerkung (Formulierung mit der Leitungsdicke c5i)


In der Literatur (Smith and Spalding (1958)) wird bisweilen ein etwas anderer Weg beschritten,
indem eine andere Größe, o;:, als integrale Kenngröße an Stelle von 8i eingeführt wird. Die
Definition lautet
oi. := .X*(T:,- r;,) __, 8 == o;: Re1/2 = Re1/2 . (7.131)
q:, L L* Nu
Die Größe 8i. wird in der Literatur Leitungsdicke genannt und kann mit q:,
-.X*(8T* /8y*)w anschaulich gedeutet werden, wie Bild 7.15 zeigt. Sie entsteht nicht durch In-
tegration über die Temperaturgrenzschicht, sondern ist durch (7.131) mit der Vorstellung definiert
worden, daß für die so eingeführte Größe eine Beziehung
z
Z L :=8 L2 U= ~~UbLdX
UbL • (7.132)
0

analog zu (7.129) existiert. Bei vorgegebenem Temperaturprofil sind die beiden Größen 8T(x) und
8dx) zwangsläufig miteinander verbunden. Die Nußelt-Zahl folgt dann aus der Beziehung
NuRe- 112 = (Zdx)/U)- 112 • (7.133)
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 175

y*

Bild 7.15: Anschauliche Deutung der


0 r *- r*
00 w r*-r*
w Leitungsdicke 6i,

Zahlenwerte adPr) und bdPr) für T;, = const zur Auswertung der Quadraturformel (7.132)
sind z.B. in White (1974, 8.328) zu finden. Da auch diese Zahlenwerte durch Auswertung der
Platten- und Staupunktströmung entstehen, gilt der einfache Zusammenhang aL = 4/(Pr 2 aT)
und bL = (3- bT)/(1 + bT) mit den Größen aT und bT nach Tabelle 7.6 (T;, = const).

7. 7 Einfluß variabler Stoffwerte


7.7.1 Begriffsbestimmung bei Strömungen mit veränderlicher Dichte
Die bisher in Kap. 7 angegebenen Ergebnisse gelten alle unter der Annahme kon-
stanter Stoffwerte, d.h. für a = 1 (a = (}, 'f/, .. .) in den Grundgleichungen (7.19)
bis (7.22). Der Einfluß variabler Stoffwerte kann mit Hilfe der in Abschnitt 5.4.2
beschriebenen regulären Störungsrechnung erfaßt werden, wenn die größten vor-
kommenden Abweichungen 6a := max Ia -11 klein sind. In einem asymptotischen
Sinne muß 6a von der Größenordnung O(c) mit c-+ 0 sein.
Sind die Abweichungen 6a aber so groß, daß eine Theorie für 6a = O(c)
mit c -+ 0 nicht als brauchbare Näherung angesehen werden kann, so müssen
die vollständigen Grundgleichungen (7.19) bis (7.22), ergänzt um entsprechende
Gleichungen für die Stoffgesetze a, gelöst werden.
Eine solche Unterscheidung in "kleine" und "große" Abweichungen 6a ist
aus praktischen Gründen bei Grenzschichtströmungen hauptsächlich bezüglich der
Dichte (} erforderlich. In diesem Sinne werden im folgenden zwei verschiedene
Fälle von Dichtevariationen behandelt. Für beide Fälle werden anschließend alle
Stoffwerteinflüsse entsprechend berücksichtigt.
(1) 6e = O(c); Die Dichtevariationen werden wie alle anderen Stoffwertände-
rungen durch eine reguläre Störungsrechnung bezüglich der Grundströmung
(a = 1) erfaßt (s. Abschnitt 7.7.2).
176 K. Gersten/ H. Herwig

(2) 6(} = 0(1); Die Dichtevariationen sind so groß, daß sie vollständig in den
Gleichungen berücksichtigt werden müssen. Wie im folgenden gezeigt wird,
tritt dies in Situationen auf, die auch bezüglich der anderen Stoffwerte zu
großen Änderungen führen können, so daß aus diesem Grunde dann alle
Stoffwerte von vorne herein als a # 1 berücksichtigt werden (s. Abschnitt
7.7.3).
Die Dichte (} nimmt gegenüber den anderen Stoffwerten aber auch noch insofern
eine Sonderstellung ein, als sie für Gase gleichermaßen vom Druck wie von der
Temperatur abhängt, während alle anderen Stoffwerte eine deutlich dominierende
Temperaturabhängigkeit aufweisen. Da Dichteänderungen durch zwei verschiedene
Mechanismen bewirkt werden können, ist in der Literatur leider eine uneinheitliche
Bezeichnungsweise entstanden (hauptsächlich in bezugauf die Begriffe "kompressi-
bel" und "inkompressibel"). Es erscheint daher angebracht, im folgenden zunächst
eine Begriffsbestimmung vorzunehmen.
Ausgangspunkt ist das vollständige Differential der Funktion f2* (p*, T*) in der
Form
1 DQ* ~* Dp* * DT*
(7.134)
f2* Dt* = a Dt* - ß Dt* '
wobei die Größen a* und ß* wie folgt definiert sind:

a* : = _!._ (8(}*) (7.135)


f2* 8p* T

ß* : = _ _!._ ( 8(}*) (7.136)


(}* ßT*
p

Die Größe a* wird als isothermer Kompressibilitätskoeffizient bezeichnet. Der


Koeffizient ß* war bereits in Kapitel 3 eingeführt worden und heißt isobarer
thermischer Ausdehnungskoeffizient.
Ob Dichteänderungen DQ* / (}* bei der Berechnung von Strömungen berück-
sichtigt werden müssen oder nicht, hängt nun zum einen von den Stoffeigenschaften
des betrachteten Fluides (a*, ß*), zum anderen aber von den Strömungseigenschaf-
ten (Dp*, DT*) ab. Da a*, ß*, Dp* und DT* jeweils für sich gleich null oder von
null verschieden sein können, entstehen zunächst 16 verschiedene Situationen. Diese
reduzieren sich aber auf 4 zu betrachtende Fälle, wenn man berücksichtigt, daß es
nur auf die beiden Produkte a* Dp* und ß* DT* ankommt. Durch vier Fälle, die im
folgenden aufgeführt werden, sind damit alle 16 realen Situationen zu beschreiben.
In diesem Sinne beschreibt ein physikalisch/mathematisches Modell mit a* Dp* = 0
zwei verschiedene Klassen realer Strömungen. Eine, in der die Stoffeigenschaft des
Fluides a* = 0 ist (z.B. in guter Näherung Wasser) und die Strömungseigenschaft
Dp* # 0 (z.B. Kreiszylinderumströmung) und eine andere, in der als Stoffeigen-
schaft a* # 0 ist (z.B. Luft), aber Dp* = 0 gilt (z.B. Plattenströmung). In beiden
Fällen gilt a* Dp* = 0 in (7.134).
Alle realen Situationen sind also durch eines der folgenden vier physika-
lisch/mathematischen Modelle zu beschreiben. Strömungen, die durch das Modell
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 177

eines Fluides mit a* Dp* ~ 0 beschrieben werden, sollen kompressibel, solche mit
&* Dp* = 0 inkompressibel heißen, Strömungen mit ß* DT* ~ 0 analog dann tempe-
raturexpansiv und mit ß* DT* = 0 nicht temperaturexpansiv.
Die vier physikalisch/mathematischen Modelle sind gekennzeichnet durch
o,
(MI)
(MII)
&*Dp*
&*Dp* ~ o
~ ß*DT*
ß*DT*
~0
=0 } kompressible Strömungen

&*Dp* = o,
(MIII)
(MIV) a*Dp* = o
ß*DT* ~ 0
ß*DT* = 0 } inkompressible Strömungen

Wie anschließend deutlich wird, ist nur das Modell MII ohne praktische Bedeutung,
da in realen Strömungen stets ß* DT* in (7.134) berücksichtigt werden muß, wenn
a* Dp* eine Rolle spielt. Bei kompressiblen Strömungen muß also keine weitere
Unterscheidung getroffen werden, da stets das physikalisch/mathematische Modell
MI gemeint ist. Nach dieser Begriffsbestimmung sind alle Gleichdruckströmungen
inkompressibel.
Bei inkompressiblen Strömungen ist zusätzlich festzulegen, ob es sich um eine
temperaturexpansive Strömung (Modell MIII) oder eine nicht temperaturexpansive
Strömung handeln soll (Modell MIV). Das Modell MIV wird in der Literatur auch
als Strömung eines dichtebeständigen Fluides bezeichnet. Dabei kann aber die Dichte
im Feld durchaus variieren, wie z.B. bei dichtegeschichteten Strömungen im Meer,
die substantielle oder totale zeitliche Ableitung der Dichte ist jedoch null.
Mit der Definition der Mach-Zahl als dem Verhältnis aus der Bezugsgeschwin-
digkeit Uß und der Schallgeschwindigkeit a;
U* ~
U* = --=B:....,Y=
Ma := ___!"! ~:!=
u,- wegen: a* 2 := ( -8p* ) c* [ -8p* ]
= -E. (7.137)
a; ~ 8
8e* Entropie c~ 8e* T

ist deutlich, daß Ma = 0 in einer realen Strömung eine hinreichende Bedingung


dafür ist, daß diese Strömung durch ein Modell einer inkompressiblen Strömung
beschrieben werden kann (oder im allgemeinen Sprachgebrauch: als inkompressible
Strömung behandelt werden kann).
Eine Mach-Zahl Ma ~ 0 einer realen Strömung ist aber keine hinreichende
Bedingung dafür, diese Strömung als kompressible Strömung zu betrachten. In
diesem Sinne ist die Plattenströmung bei Überschallanströmung (Ma > 1, also
Ma ~ 0, aber p* = const, d.h. Dp* = 0) mit dem Modell einer inkompressiblen
Strömung zu beschreiben. Wegen des Auftretens starker Dissipationseffekte muß es
Modell MIII sein, also das Modell einer inkompressiblen, aber temperaturexpansiven
Strömung.

7.7.2 Strömungen mit Dichteänderungen 0(e)


Die jetzt betrachteten Strömungen seien inkompressibel und im Sinne des vorigen
Abschnittes bezüglich des Temperatureinflusses schwach temperaturexpansiv. Unter
178 K. Gersten/ H. Herwig

praktischen Gesichtspunkten kann jedoch nicht nur die Druckabhängigkeit der


Dichte, sondern die Druckabhängigkeit aller Stoffwerte vernachlässigt werden, da sie
extrem gering ist (s. dazu die Diskussion im Zusammenhang mit (5.20) in Abschnitt
5.4.2). Insgesamt ist also nur die Temperaturabhängigkeit der Stoffwerte e, 'fJ, A., cP
zu berücksichtigen.

ebene Platte; r:, = const; mQ = nQ = 0


Pr 00 mQTt nllT/ ng:>.. nc
--+0 0,500 0,000 0,318 0,182
0,7 0,266 -0,148 0,397 0,103
7 0,115 -0,204 0,404 0,097
--+ 00 0,000 -0,243 0,404 0,096

ebene Platte; q;, = const; mll = k 11 = 0


Pr 00 mllTt ki/T/ ki/A kc
--+0 0,667 0,000 -0,304 -0,194
0,7 0,313 0,134 -0,389 -0,111
7 0,132 0,190 -0,392 -0,108
--+ 00 0,000 0,231 -0,393 -0,107

Staupunkt; q;, = const (auch: r;, = const)


Pr00 mi/Tt mll ki/T/ kQ kQA kc
--+0 0,500 -0,750 0,000 0,125 -0,318 -0,182
0,7 0,393 -0,462 0,101 0,096 -0,379 -0,121
7 0,277 -0,285 0,155 0,061 -0,394 -0,106
--+ 00 0,000 -0, 695Pr- 113 0,243 0, 144Pr- 113 -0,404 -0,096

Tabelle 7. 7: Exponenten der Stoffwertverhältnis-Methode für die Platten- und Staupunktströ-


mung; Korrekturfunktionen: (7.138) bis (7.140)

In Form der Stoffwertverhältnis-Methode kann das Endergebnis der asympto-


tischenAnalysewie folgt angegeben werden:

(7.138)

r; = const: (7.139)

q~ = const: (7.140)
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 179

Solche Ansätze sind für selbstähnliche Strömungen sinnvoll, da dann die Exponenten
mi, ni und ki keine Funktionen der Koordinate x* sind. Der allgemeine Stoffwert aw
ist als aw := a*(T:;J/a*(T:X,) definiert. Die Größen cro, Nu 0 und Two beschreiben
die Ergebnisse für konstante Stoffwerte bei der Bezugstemperatur T:X, (Temperatur
der ungestörten Anströmung). Die Exponenten mi, ni und ki sind Funktionen der
Prandtl-Zahl Pr und z.B. bei Keil-Strömungen des Falkner-Skan-Parameters ß (s.
(7.47)). Einige Zahlenwerte für die Platten- und Staupunktströmung sind in Tabelle
7. 7 enthalten. Weitere Zahlenwerte können den Originalarbeiten von Gersten
und Herwig (1984) sowie Herwig und Wiekern (1986) entnommen werden. Eine
näherungsweise Berücksichtigung von Stoffwerteffekten bei beliebigen zylindrischen
Körpern ist in Herwig (1984) beschrieben.
Für Mach-Zahlen Ma #- 0 muß im allgemeinen auch die Druckabhängigkeit
der Dichte berücksichtigt werden. Im Sinne der asymptotischen Theorie erhält man
dann ein Zweiparameter-Störungsproblem. Da zwei unabhängige Effekte auftreten,
können diese im allgemeinen Fall nicht durch einen Exponenten pro Stoffwert erfaßt
werden, wie dies bei der Stoffwertverhältnis-Methode geschieht. Eine Darstellung
der Ergebnisse in der Form (7.138) bis (7.140) ist bei Ma #- 0 damit nur in
Sonderfällen möglich (solche Fälle sind die Platten- und die Staupunktströmung),
im allgemeinen Fall sollten Korrekturfunktionen von der Form (5.46) in Abschnitt
5.4.2 gewählt werden. Für Einzelheiten und insbesondere für numerische Ergebnisse
sei auf die Originalarbeit Herwig (1987) verwiesen.

1.0
c,
Cto
0.8

1.0 lc:=O
Bild 7.16: Einfluß von Wärmeüber-
tragung und Dissipation auf den 0.8
Schubspannungsbeiwert an der
ebenen Platte (T..:; = const)
e := (T..:;- T0)/T0 (Wärmeübertra-
gungsparameter) 1.0~
f := Ec (Dissipationsparameter)
- Van Driest (1952) 0.8
- - asymptotische Theorie
0 5 10 15 20
E:.

Als ein Beispiel dafür, daß mit dieser Methode zwar asymptotisch kleine Werte
der Störparameter unterstellt sind, die Ergebnisse trotzdem aber für relativ große
Werte der Störparameter eine gute Näherung darstellen, können die Ergebnisse für
180 K. Gersten/ H. Herwig

die Plattenströmung nach Bild 7.16 dienen. Die asymptotischen Ergebnisse sind mit
Rechnungen unter Berücksichtigung der vollständigen Stoffwertabhängigkeiten von
Luft verglichen (van Driest (1952)). Störparameter sind ein Wärmeübertragungspa-
rameter c := (T; -T0)/T0 und ein Dissipationsparameter f:= Ec = U0 2 /(c~0 T0 ).
Bis zu Eckert-Zahlen Ec::::::: 10 und Heizraten Iei::::::: 1 ist eine gute Übereinstimmung
mit den vollständigen Ergebnissen zu erkennen. (Für ideale Gase mit c~ = const
und c~jc~ = 1, 4 liegt die Eckert-Zahl Ec = 10 für Mach-Zahlen von Ma = 5 vor!)

7.7.3 Strömungen mit Dichteänderungen 0(1)


Änderungen der Dichte und auch der anderen Stoffwerte sind jetzt so groß, daß eine
Vorgehensweise, die auf einer Approximation der Stoffwerte durch eine Taylorreihe
basiert, problematisch wird. Ein Abbruch der Reihen nach dem linearen Term reicht
als Näherung nicht mehr aus, die Hinzunahme weiterer Reihenglieder führt aber zu
sehr umfangreichen Gleichungssystemen.
Eine Alternative besteht darin, die Stoffgesetze in ihrer vollständigen Form
beizubehalten. Es handelt sich also um kompressible Strömungen. Der Ausgangs-
punkt in Form der anschließend aufgeführten Gleichungen ist derselbe wie im vo-
rigen Abschnitt 7.7.2. Auch bei der dort vorgenommenen Entwicklung für kleine
Dichteänderungen mußte von den vollständigen Gleichungen ausgegangen werden.
Anders als im vorigen Abschnitt löst man diese Gleichungen jetzt aber direkt, was
natürlich die Kenntnis der Stoffgesetze voraussetzt.
Die Gleichungen zur Beschreibung der Strömungs- und Temperaturgrenz-
schichten sind die Gleichungen (7.19) bis (7.22). Statt der thermischen Energie-
gleichung (7.22) soll aber die vollständige Energiegleichung (mechanische und ther-
mische Energie) in Form der Erhaltungsgleichung für die Gesamtenthalpie H ver-
wendet werden. Dies ist sinnvoll, weil in der kompressiblen Außenströmung diese
Größe konstant bleibt, nicht aber die Temperatur. Die vollständige Energiegleichung
ergibt sich als Summe aus der thermischen Energiegleichung und der mit der Ge-
schwindigkeit multiplizierten Impulsgleichung (s. dazu Abschnitt 3.4). FürHin der
Grenzschicht gilt H := H* j(c~ 0 T0 ), H* = h* +u* 2 /2, wobei die Bezugstemperatur
T0 die Ruhetemperatur der reibungsfreien Außenströmung ist.
Das Grenzschicht-Gleichungssystem lautet damit, wenn Fr ---t oo (keine
Auftriebseffekte) vorausgesetzt wird

a(eu) a(efl) _ 0
ax + aN - (7.141)

au _au) ap a(au)
e ( uax +V aN = - ax + aN 1} aN (7.142)

0 = ap (7.143)
aN
aH _aH)
e( u ax +V aN
1aNa(>..aH)
=Pro
a[( 1)- a(uaN/2)] .(
aN +aN
cp 1 - Pr 7]ECo
2
7· 144 )
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 181

Bei der Herleitung von (7.144) wurde dh* = c; dT* vorausgesetzt, also angenom-
men, daß die Enthalpie h*(T*) keine Funktion des Druckes ist. Dann gilt ß*T* = 1.
Es sei besonders darauf hingewiesen, daß Pr0 := 77oc;0 /.A 0 mit den Bezugsgrößen
gebildet ist, in (7.144) aber auch Pr= 77*c;/>.* vorkommt, wobei Pr mit den lokalen
Größen gebildet ist. Für die Reynolds-Zahl in N = yRe~/ 2 gilt Re0 := g0UP,L* /77o·
Wenn die Gleichungen (7.141) bis (7.144) als Bestimmungsgleichungen für u, v und
H interpretiert werden, müssen vier weitere Gleichungen zur Bestimmung von g, 77,
>.und cP hinzukommen, s. dazu Abschnitt 3.5 (Stoffwerte). Es ist zu beachten, daß
jetzt die Absolutwerte des Druckes und der Temperatur in die Lösung eingehen.
Dies wurde bereits in der Entdimensionierung von H* berücksichtigt, das auf c;0 T0
bezogen wurde und nicht auf eine Differenz f:::.H*.
Zusammen mit den üblichen Grenzschicht-Randbedingungen (neu ist: Hw =
const für r; = const; (8H/8N)w>-w/cpw = const für q:,_ = const; H ---> 0 für
N---> oo) kann das Gleichungssystem aus sieben Gleichungen, von denen drei parti-
elle Differentialgleichungen sind, numerisch gelöst werden. Da dies sehr aufwendig
ist, liegt die Frage nahe, unter welchen Umständen es möglich ist, Näherungslösun-
gen zu erhalten.
Die folgenden Überlegungen gehen auf Arbeiten von Busemann und Crocco
aus den Jahren 1931 und 1932 zurück, (s. dazu White (1974)). Sie behandeln den
Sonderfall Pr= 1. Damit entfällt der letzte Term auf der rechten Seite von (7.144).
Diese Bedingung ist zunächst willkürlich gewählt und wird von keinem realen Fluid
erfüllt werden, da es sich, wie bereits erwähnt, um die lokale Prandtl-Zahl handelt.
Das heißt also, daß die drei Stoffwerte 77*, c;
und >. * so mit dem Druck und der
Temperatur variieren sollen, daß die Kombination Pr = 77* c;/ >. * stets gleich eins
ist. Weil die Prandtl-Zahl von Luft über große Temperatur- und Druckbereiche
nahezu konstant den Wert Pr = 0, 7 besitzt, ist davon auszugehen, daß die
folgenden Näherungslösungen für Luft als nichtrationale Näherungen verwendet
werden können.
Der letzte Term in (7.144) ist aus zwei Termen der Ausgangsgleichungen
(3.23) und (3.26) entstanden, die dort Wärmeleitung in N-Richtung bzw. die
Arbeit viskoser Kräfte beschreiben. Der Fortfall dieses Termes beschreibt also die
Situation, daß die lokal durch die Arbeit viskoser Kräfte "erzeugte" Energie nicht
zur Erhöhung von H an dieser Stelle beiträgt, sondern vollständig durch eine erhöhte
Wärmeleitung kompensiert wird. Folgende zwei Fälle werden unterschieden:

(1) Eine mögliche Lösung von (7.144) bei Pr= 1 ist H = 0, also dieselbe Lösung,
die auch außerhalb der Grenzschicht gilt. Für diese Lösung ist (8H/8N)w = 0.
Ganz allgemein gilt aufgrund der Definition von H*

8H* c; * * äu*
oy* = - >. * q + u oy* , (7.145)

Der Gesamtenthalpiegradient an der Wand ist somit null für q:,_ = 0. Dies ist
die sog. adiabate Wand. Aus H = 0 folgt für die Temperaturverteilung mit
182 K. Gersten/ H. Herwig

dh* = c; dT*, wenn zusätzlich c; = const unterstellt wird,


T0 -T*
T.*0
(Pr= 1, q~ = 0, c; = const). (7.146)

Für diesen Fall ist die Wandtemperatur konstant (u* = 0 an der Wand),
und zwar gleich der Temperatur im Staupunkt (Ruhetemperatur) r;
= T0 =
r; + U* 2 /(2c;0 ) mit Te* als Temperatur am Außenrand der Grenzschicht (U*
ist die Geschwindigkeit am Außenrand der Grenzschicht).
Ganz allgemein definiert man bei Strömungen mit Dissipation eine
adiabate W andtempemtur T~ oder auch Eigentempemtur als diejenige Tem-
peratur, die die Wand bei q~ = 0 annimmt. Diese Temperatur ist im
allgemeinen verschieden von der Ruhetemperatur T0 in der reibungsfreien
Außenströmung. Das Verhältnis
T* -T* T* - T*
r ·- ad e - ad e - r(Pr) (7.147)
.- T.*0 - T*e - U* 2 /(2c*pO ) -

wird als Rückgewinn-Faktor (engl.: recovery factor) bezeichnet und ist im


allgemeinen eine Funktion der Prandtl-Zahl (s. dazu z.B. White (1974,
S. 269)). Im hier vorliegenden Fall (Pr= 1) mit r;d
= T0 gilt r(1) = 1.
(2) Eine zweite mögliche Lösung von (7.144) bei Pr= 1 ist eine lineare Funktion
der Gesamtenthalpie bezüglich der Geschwindigkeit u. Setzt man zunächst
allgemein H = a + bu an, so folgt aus (7.143) mit Pr = 1 unter Verwendung
von
8H _ dH 8u _ b 8u 8H _ dH 8u _ b 8u
(7.148)
8x - du 8x - 8x' 8N- du 8N- 8N
unmittelbar die Gleichung

e(u:~ +v%~) = 8~ (~:~) (7.149)

Diese Gleichung ist für dpjdx = 0 aber identisch mit der Impulsgleichung
(7.142), weil für Pr= 1 dann >..jcP = TJ gilt.
Für diesen Falllautet die Lösung unter Beachtung der Randbedingun-
gen (N = 0 : H = Hw; N ---+ oo : H = 0) also

nH w
= 1- uu . (7.150)

Unterstellt man wieder c; = c;0 = const, so folgt daraus die Temperatur-


verteilung

(7.151)

(Pr= 1,
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 183

Als thermische Randbedingung sind bei diesem Fall beide Standardfälle


(T:, = const, q~ = const) möglich. Der Zusammenhang zwischen der
Wandwärmestromdichte q~ und der Wandtemperatur r;
folgt aus (7.145)
und (7.150) mit c; = const zu

* = A:.,(r;- T0) (au*)


qw U* ay* w
(7.152)

Für q:_, = 0 folgt T:, = T0 , und (7.151) geht in (7.146) über.


Ausgedrückt in den dimensionslosen Kennzahlen Nu:= q~L* j[A~(T:,- T0)],
er:= 2r;/(e0U* 2 ) und Re:= e0U* L* /r/'0 lautet (7.152)

Nu cf Re 1/ 2 dp*
(Pr= 1, - = 0, cP* = const). (7.153)
JRe dx*
Dabei wurde die konstante Außengeschwindigkeit U* als Bezugsgeschwindig-
keit gewählt. Mit der Stanton-Zahl St = Nu/(RePr) kann (7.153) auch als
St = (cr/2)/TJw geschrieben werden. Diese Form wird auch als Reynolds-
Analogie bezeichnet (Analogie zwischen Impuls- und Wärmeübergang bei
Pr= 1 und dp* jdx* = 0).
Beide soeben besprochenen Lösungen für H stellen einen Zusammenhang zwischen
den Temperatur- und den Geschwindigkeitsprofilen her. Daher ist jetzt nur noch
die Imp.ulsgleichung (7.142) zu lösen. Für spezielle Lösungen sei auf die ausführliche
Darstellung in Schlichting (1982) und White (1974) verwiesen.
Für die numerische Lösung der allgemeinen Gleichungen (7.141) bis (7.144)
ist es sinnvoll, die Gleichungen nicht in (x, N)-Koordinaten zu belassen, sondern
in einer transformierten Version zu verwenden. Diese Transformation ist mit
dem Ziel entwickelt worden, die Gleichungen auf dieselbe Form zu bringen, wie
sie im inkompressiblen Fall vorliegt, also alle "Kompressibilitätseffekte" durch
die Transformation zu kompensieren. Insbesondere ist man dabei an der Frage
interessiert, ob auch selbstähnliche kompressible Grenzschichtlösungen existieren.
Es gelingt im allgemeinen Fall nicht exakt, die angestrebten Gleichungen zu
erhalten, wohl aber kann eine Form der Gleichungen erreicht werden, die derjenigen
inkompressibler Strömungen (z.B. Falkner-Skan-Gleichungen) sehr nahe kommt.
Durch zusätzliche spezielle Annahmen bezüglich der Stoffgesetze (die insbesondere
für Luft in guter Näherung erfüllt sind) kann eine vollständige Übereinstimmung
mit den Gleichungen für inkompressible selbstähnliche Strömungen erreicht werden.
Diese Transformation wird in der Literatur unterschiedlich benannt, da sie
auf mehrere Autoren zurückgeht. Häufig heißt sie fllingworth-Stewartson oder
fllingworth-Dorodnitsyn Transformation. Das wesentliche Merkmal dieser Trans-
formation ist, daß zwei Ähnlichkeitskoordinaten eingeführt werden, eine Koordi-
e
nate (X) und eine Querkoordinate TJ( X, N). Für Einzelheiten dieser Transformation
und eine sehr ausführliche Diskussion der Frage einer möglichen Selbstähnlichkeit
bei kompressiblen bzw. temperaturexpansiven Strömungen sei auf White (1974, S.
581ff) verwiesen. Eine große Anzahl von Lösungen findet man bei Dewey and Gross
184 K. Gersten/ H. Herwig

(1967). Die numerischen Verfahren zur Berechnung der sich ergebenden Differenti-
algleichungen sind z.B. bei Cebeci and Smith (1974, S. 258) beschrieben.

7.8 Grenzschichtbeeinflussung durch Absaugen oder Ausblasen


7.8.1 Vorbemerkung
Bisher war stets eine undurchlässige Wand unterstellt worden, was zu der kinema-
tischen Randbedingung vw = 0 führte. Eine von null verschiedene Geschwindig-
keitskomponente quer zur Wand kann durch eine poröse Wand, durch die Fluid
abgesaugt (vw < 0) oder ausgeblasen (vw > 0) wird, realisiert werden. Eine ver-
gleichbare Situation entsteht bei einem Phasenwechsel des Fluides, wobei die Pha-
sengrenze die "Wand" darstellt. Wird dem zur Phasengrenze parallelen Gasstrom
Fluid durch Kondensation an der Phasengrenze entzogen, so entspricht dies einer
Absaugung (vw < 0), umgekehrt bedeutet ein Verdampfen oder Verdunsten Aus-
blasen (vw > 0).
Die Wirkung einer Geschwindigkeitskomponente vw f- 0 auf den Impulsüber-
gang kann qualitativ unmittelbar angegeben werden, wenn man sich vor Augen
führt, daß über die Wand Fluid ohne x-Impuls ab- bzw. zugeführt wird, da an
der Wand weiterhin uw = 0 gilt. Diese Bedingung kann streng genommen nicht
mehr "Haft"bedingung genannt werden, da das Fluid an der Wand mit iiw f- 0
eine Relativgeschwindigkeit zur Wand besitzt. Mit der Bedingung uw = 0 wird eine
Diskontinuität in der Geschwindigkeitsverteilung ausgeschlossen, weil diese in der
Realität durch die molekulare Wechselwirkung verhindert wird. Im Wandmaterial,
durch das sich das abgesaugte oder auszublasende Fluid hindurchbewegt, ist die
Geschwindigkeitskomponente in x-Richtung gleich null, und zwar entweder weil
das Fluid durch senkrechte Wandschlitze strömt (Bild 7.17a) oder weil es im
makroskopischen Mittel nur in y-Richtung strömt (Bild 7.17b). Es ist hilfreich, sich
zu vergegenwärtigen, daß die Bedingung uw = 0 zunächst nur eine Bedingung an
ein physikalisch/mathematisches Modell ist, die aber aufgrund der physikalischen
Situation an der Wand sinnvoll erscheint.

HAUPTSTRÖMUNGSRICHTUNG

Bild 7.17: Entstehung der Geschwin-


digkeitskomponente vw
{o) {b)

Die Wirkung der Geschwindigkeitskomponente vw i= 0 kann qualitativ wie folgt


beschrieben werden:
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 185

(1) vw < 0 (Absaugen): Der Grenzschicht wird ständig Fluid entzogen. Der
in der Grenzschicht verbleibende x-Impuls muß gegenüber dem Fall mit
vw = 0 auf den verminderten Fluidstrom in der Grenzschicht verteilt werden,
was zu höheren Geschwindigkeiten in Wandnähe führt. Daraus folgt eine
Verringerung der Grenzschicht-Kenngrößen c\, 82 und 83 und aufgrund des
dann erhöhten Wandgradienten (8uj8y)w eine Erhöhung von er.
(2) vw > 0 (Ausblasen): Der Grenzschicht wird ständig Fluid (ohne x-Impuls)
zugeführt. Eine Verteilung des wandnahen x-Impulses auf den erhöhten Vo-
lumenstrom führt zu insgesamt verminderten u-Komponenten in Wandnähe
und wegen kleinerer Gradienten (8uj8y)w zu verminderten er-Werten. Die
Grenzschichtdicken 81 , 82 und 83 erhöhen sich gegenüber dem Fall mit vw = 0.
Aufgrund des qualitativen Einflusses von vw =I= 0 auf den Widerstandsbeiwert er
kann geschlossen werden, daß der Ablösepunkt (er= 0) bei Absaugen generell später
erreicht wird als im Fall vw = 0. Grenzschichtabsaugung hat also eine ablösungs-
verzögernde Wirkung. Wenn es gelingt, durch Grenzschichtabsaugung den Ablöse-
punkt deutlich stromabwärts zu verschieben, läßt sich der Strömungswiderstand
eines Körpers z.T. erheblich verringern. Der dann verminderte Druckwiderstand
übertrifft in seiner Wirkung die durch Absaugung erhöhten Wandschubspannun-
gen. Absaugung wirkt auf die laminare Grenzschicht stabilisierend, d.h. verzögert
bzw. vermeidet den laminar-turbulenten Umschlag, was z.B. für die Flugtechnik
von Bedeutung ist (Laminarflügel, engl.: LFC = laminar flow control), für nähere
Einzelheiten s. Schlichting (1982).
Im Rahmen der Grenzschichttheorie findet die Quergeschwindigkeit an der
Wand in Form der transformierten Variablen v := (v* /U8)Re 1/ 2 als vw Eingang in
das Gleichungssystem. Da vw als gegebene Größe anzusehen ist, führt dies bei der
Lösung des allgemeinen Grenzschichtgleichungssystems (7.19) bis (7.22) lediglich zu
der Randbedingung v = vw(x) statt v = 0.
Bezüglich des Wärmeüberganges entsteht durch Absaugen oder Ausblasen
ein doppelter Effekt. Zum einen wird das Grenzschicht-Temperaturprofil durch das
veränderte Strömungsfeld beeinflußt, was die Wärmeleitung an der Wand verändert,
zum anderen tritt an der Wand bei vw =I= 0 neben der Wärmeleitung auch ein
konvektiver Wärmestrom auf. Dies wird an der sog. thermischen Wandbindung
deutlich (Energiegleichung (7.22) bei N = 0), die für konstante Stoffwerte und
Ec = 0 lautet

vw ( :~) w = ;r (:~) w
(7.154)

Wenn der Wärmeübergang weiterhin durch die Nußelt-Zahl Nu .-


q;_L* /(>.* D.T*) beschrieben werden soll, muß man beachten, daß q;_ nur den Lei-
tungsanteil q;_ = ->.*(aT* j8y*)w des an der Wand übertragenen Wärmestro-
mes und nicht den gesamten übertragenen Wärmestrom (Leitung und Konvektion)
umfaßt.
Bei der Formulierung der thermischen Randbedingung ist zu beachten, daß
mit der Größe T; stets die Temperatur des Fluides bei y* = 0 gemeint ist, im Falle
186 K. Gersten/ H. Herwig

der durchlässigen Wand also die Temperatur des abgesaugten bzw. ausgeblasenen
Fluides, von der jedoch unterstellt wird, daß sie mit der Wandtemperatur über-
einstimmt. Durch Ausblasen kann der Wärmeübergang drastisch reduziert werden
(exponentielles Abklingen). Dieser Effekt wird bei der sog. Thanspirationskühlung
(auch Schwitzkühlung) ausgenutzt.
Im folgenden soll zunächst untersucht werden, wie sich die Strömung und
der Wärmeübergang in den Grenzfallen sehr starken (massiven) Absaugens bzw.
Ausblasens verhalten. Dazu wird die Geschwindigkeitsverteilung v:,(x*) wie folgt
geschrieben:
(7.155)
Mit x 0 ist eine beliebige, aber feste Stelle x eingeführt worden, so daß die auf
V(x 0 ) = 1 normierte Funktion V(x) die x-Abhängigkeit der Geschwindigkeit
vw(x) beschreibt. Starkes Absaugen bzw. Ausblasen bedeutet dann betragsmäßig
große Werte von vw(x 0 ), asymptotisch also vw(x 0 ) _. -oo für massives Absaugen
und entsprechend vw(x 0 ) -> oo für massives Ausblasen. Für beide Genzfälle sind
durch asymptotische Entwicklungen der Lösungen drastische Vereinfachungen der
Grenzschichtgleichungen möglich. In den folgenden beiden Abschnitten werden die
führenden Terme dieser asymptotischen Lösungen angegeben.

7.8.2 Massives Absaugen (vw(Xo) --+ -oo)


Durch starkes Absaugen ist die durch vw(x) aufgeprägte Quergeschwindigkeit sehr
groß, insbesondere auch im Vergleich zur v-Komponente der ungestörten (vw = 0)
Grenzschicht, so daß vw(x) zum führenden Term in der Entwicklung von v(x, N)
wird. Es gilt also v = v 1 + · · · mit v 1 = vw. Wie bereits erwähnt, wird die
Grenzschicht durch massives Absaugen sehr dünn, so daß die gestreckte Koordinate
(7.156)
eingeführt wird. Damit ist sichergestellt, daß N = 0(1) für vw(x 0 ) -> -oo gilt. Es
gilt nach Definition V(x) = 0(1).
Mit (7.156) und den Entwicklungen u = u 1 +· · ·, v = vw+ ···folgt aus (7.20)
unter der Annahme konstanter Stoffwerte für die führende Ordnung der Entwicklung
(vw(x 0 )-> -oo)
8~ = _ _8 2_u_1 (7.157)
8N 8N2.
Mit der Lösung u 1 = U(x)[1 - exp( -N)] gilt also

J u 1 (x, N) = U(x)[1- exp(vw(x)N)JJ. (7.158)


Analog erhält man aus (7.22) mit Ec = 0 (Vernachlässigung der Dissipation) und
iJ = iJ 1 + · · · als führenden Term die Lösung iJ 1 = 1- exp( -PrN), also
T*(x, N)- T:,(x) _
iJ1(x,N) = T~ -T.;(x) = 1-exp(vw(x)PrN) (7.159)
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 187

Die Verteilungen u 1 (x, N) und '19 1 (x, N) werden asymptotisehe Absaugeprofile ge-
nannt. Es handelt sich dabei um Lösungen, die vom Grenzschichtverhalten vor der
betreffenden Stelle unabhängig sind und allein durch die lokalen Werte U(x) und
vw(x) bestimmt sind.
Aus den Gradienten an der Wand ergeben sich besonders einfache Beziehun-
gen für die Wandschubspannung (als er:= 2r;_/(r/U~)) bzw. den Wärmeübergang
(als Nu:= q;_L* j(>.*(T;_(x)- T~J)). Mit Re= U:X,L* jv* gilt

erRe 1/ 2 = -vw(x) 2U(x) bzw. er= -vw(x) 2U(x) (7.160)

Nu
~ = -vw(x) Pr bzw. Nu= -vw(x) Pe. (7.161)
vRe
Bemerkenswert ist, daß r;_(x) von der Viskosität ry* unabhängig ist (s. (7.160)). Das
bedeutet, daß in diesem Grenzfall der Strömung Impuls ausschließlich durch Absau-
gen entzogen wird. Der damit verbundene Widerstand wird daher Senkenwiderstand
genannt. Nur im Grenzfall massiven Absaugens ist der Widerstand ausschließlich
Senkenwiderstand, bei geringer Absaugestärke setzt er sich aus Reibungs-, Druck-
und Senkenwiderstand zusammen. Daß bei massivem Absaugen neben dem Rei-
bungswiderstand auch der Druckwiderstand verschwindet, folgt daraus, daß bei
massivem Absaugen keine Ablösung (r;_ < 0) auftreten kann, wie (7.160) unmit-
telbar zeigt. Auch bei stärksten Druckanstiegen kann danach durch entsprechend
massives Absaugen stets ein Ablösen der Strömung vermieden werden. In einem
asymptotischen Sinne (Re --+ oo) ist damit der betrachtete Körper vollständig
von einer reibungslosen (Außen)Strömung umgeben und besitzt damit keinen
(Druck)Widerstand (d'Alembertsehes Paradoxon, s. Gersten (1974b)). Die Erwei-
terung auf kompressible Strömungen findet man in Gersten et al. (1977).

Beispiel 7.5: Kreiszylinder mit massivem homogenen Absaugen

Geht man von der potentialtheoretischen Geschwindigkeitsverteilung U(x) = 2sinx aus (x :=


x• / R*; x• ~ Koordinate längs der Wand, R*~ Radius), so löst die dazugehörige laminare
Grenzschicht bei X = 1, 824 c~ 105° vom vorderen Staupunkt) ab, was zum Widerspruch zur
vorgegebenen U(x)-Verteilung führt.
Durch hinreichend starkes Absaugen kann jedoch die Ablösung vermieden werden. Wird
mit vw = const homogen abgesaugt, so rückt der Ablösepunkt für steigende Werte von 1iw
in Richtung auf den hinteren Staupunkt. Für 1iw ~ -8, 5 wird Strömungsablösung vermieden,
weil der Ablösepunkt den hinteren Staupunkt erreicht hat. Die Grenzschicht ist dann in sehr
guter Näherung durch die asymptotischen Absaugeprofile (7.158) bzw. (7.159) beschrieben, vgl.
Wiedemann (1983). Damit gilt für das Widerstandsgesetz

cw := U
2W*
=
!1f crsinxdx = 211'(-vw), für (-v ) > 8' 5 (B7.5-1)
g• • 2 2R* B* w -~
00 0

Q;, = ~ J q;, dx
7f
und für das Wärmeübergangsgesetz bei konstanter Wandtemperatur mit
0

Q* R*
Num :=
.x·cr..:- r~) = -v
w
w
Pr \~"Re. (B7.5-2)
188 K. Gersten/ H. Herwig

Beispiel 7.6: Plattenströmung mit homogenem Absaugen; Ermittlung der Anlauflänge xA


Es ist zu erwarten, daß bei homogenem Absaugen nach einem Anlaufbereich der Länge xA . -
xft./L* = xA(vw) der Übergang in den durch das asymptotische Absaugeprofil beschriebenen
Zustand erfolgt. Da für die V-Komponente der Plattenströmung ohne Absaugen v(x, N) ~ 1/ "jX
gilt (s. (7.42) mit UN = 1, .5N = ffx), wird vw = const =f. 0 bei homogenem Absaugen für
x-+ oo zum dominierenden Anteil der gesamten V-Komponente. Dann liegt wie stets bei massivem
Absaugen über die ganze Grenzschicht hinweg eine konstante Geschwindigkeitskompo nente v = vw
vor, die dann auch gleich der konstanten V-Komponente der Außengeschwindigkeit ist.
Wenn man unterstellt, daß das asymptotische Absaugeprofil "ungefähr" dann erreicht wird,
wenn die Wandgeschwindigkeit vw größer wird als die maximale V-Komponente einer Strömung bei
vw = 0, so folgt mit v nach (7.42) unter Beachtung, daß der Maximalwert vmax am Grenzschicht-
Außenrand erreicht wird, als "Grenze" des Anlaufbereiches die Bedingung
-)-- .. _ _ d(ffx), [ _1,217_1/2
( -vw "1/ - f 1-
1
- Cvmax mit. vmax - - - - hm rn x . (B7.6-1)
dx fl->oo v2
Dabei ist C eine Konstante der Größenordnung 0(1) in bezugauf den Grenzprozeß x-+ oo. Diese
Konstante kann nur aus konkreten Rechnungen unter Zugrundelegen eines bestimmten Kriteriums
für das Erreichen des asymptotischen Zustandes bestimmt werden. Iglisch (1949) gibt für die
Anlaufstrecke x A folgende Beziehung an:

(B7.6-2)

Dies entspricht einer Konstanten C = 2, 32 in (B7.6-1). Gleichung (B7.6-2) zeigt die erwartete
reziproke Abhängigkeit von der Absaugegeschwindigkei t vw : je kleiner diese wird, um so größer
ist die Anlaufstrecke x A.

7.8.3 Massives Ausblasen (vw(x 0 ) ---+ oo)


Durch massives Ausblasen wird die V-Komponente in der Grenzschicht sehr groß,
und die Grenzschichtdicke nimmt gegenüber dem Fall ohne Ausblasen stark zu.
Führt man mit
(7.162)
entsprechend "gestauchte Größen" ein, ist wieder sichergestellt, daß = 0(1) und v
N = 0(1) im Grenzfall vw(x 0 ) -+ oo gilt. Damit folgt aus (7.19) bis (7.21) unter
der Annahme konstanter Stoffwerte für die führende Ordnung der Entwicklung
(vw(x 0 ) -+ oo)

ßu 1 + ß~ = 0 (7.163)
ßx ßN
ßu 1 _ ßu 1 ßp 1
(7.164)
u 1 ßx + v 1 ßN = - ßx

0=- 0P2. (7.165)


ßN
Aus der Wandbindung ((7.164) bei N = 0) folgt mit er nach (7.25) folgende einfache
Beziehung für den Widerstandsbeiwert (der Index 1 ist weggelassen):
rr;- ( ßu ) 2 dp (7.166)
CrY n.e = 2 ßN w - vw(x) dx .
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 189

Die Grenzschicht selbst ist reibungsfrei, aber drehungsbehaftet. Der Grenzschicht-


rand ist identisch mit der Trennstromlinie, die ausgeblasenes Fluid vom anströmen-
den Fluid trennt. Dort besteht kein stetiger Übergang in den Ableitungen der Ge-
schwindigkeiten. Wegen dieser Unstetigkeiten an der Trennstromlinie entsteht eine
viskose Schicht (Trennungsschicht) in der Umgebung der Trennstromlinie, die für
einen stetigen Übergang sorgt, vgl. Gersten and Gross (1974).
Die Temperatur T* springt an der Trennstromlinie von T~ auf T;. Die
Grenzschicht selbst ist isotherm mit T* = T;, so daß für massives Ausblasen q;_ = 0
wird. Wie sich zeigen läßt, strebt q;_ für iiw(x 0 ) -+ oo exponentiell gegen null, vgl.
Acrivos (1962), Gersten et al. (1972) und Rajappa (1973).
Die hier beschriebene Lösung gilt auch für massives Absaugen, wenn an einem
Körper zunächst in dem Bereich mit Druckabfall (Umgebung des vorderen Stau-
punktes) Fluid massiv ausgeblasen wird und genau an der Stelle mit dpfdx = 0 der
Übergang zum Absaugen erfolgt, s. dazu Gersten (1973) und Wiedemann (1983).
Die Stelle mit dpfdx = 0 ist dann im Sinne dieser Theorie ein "Unbestimmtheits-
punkt". Das nachfolgende Beispiel erläutert die physikalische Situation am Beispiel
der Kreiszylinder-Umströmung. Die Widerstandsverminderung durch kombiniertes
Ausblasen und Absaugen an verschiedenen Körpern wird von Gersten und Wie-
demann (1982) beschrieben. Die spezielle Situation beim Ausblasen in Ablösenähe
untersucht Gersten (1982 b).

Beispiel 7.7: Kreiszylinder mit massivem Ausblasen auf der vorderen Konturhälfte und massivem
Absaugen auf der hinteren Konturhälfte durch die Verteilung iiw = iiw(O) cosx
Die Verteilung der wandnormalen Geschwindigkeitskomponente wechselt bei x := x* IR* = 1r12
das Vorzeichen. Da in der betrachteten Anordnung Strömungsablösung vermieden wird, gilt die
potentialtheoretische Geschwindigkeitsverteilung U := U* lU~ = 2sinx für den (asymptotisch)
führenden Term der Außenströmung. Die dazugehörige Druckverteilung p := (p* -p;;.,) I (g" U~) =
(1- U 2 )12 = 112- 2sin 2 x besitzt ebenfalls bei x = 1rl2 einen Vorzeichenwechsel im Druckgra-
dienten dpldx = -2sin 2x. Damit kann die im vorigen Abschnitt beschriebene Theorie auf diesen
Fall angewandt werden. Die Strömung ist in Bild B7. 7 skizziert.

Bild B7. 7: Kreiszylinder mit


massivem Ausblasen und Absaugen
Schicht 1: Grenzschicht (reibungs-
frei, drehungsbehaftet)
Schicht II: Trennungsschicht
(reibungsbehaftet)
Schicht III: Außenströmung (rei-
bungsfrei, drehungsfrei)
190 K. Gersten/H. Herwig

Für den Reibungsbeiwert gilt nach (7.166)


ln" _
crv n.e-
4sin2x _ 8 .
- - - smx, Re=
u· R*
.....Q2...._' (B7. 7-1)
vw(O) cosx iiw(O) v•
und damit für das Widerstandsgesetz

2W*
Cw := u•U•22R*B* =
.
!"' ersmxdx= V
411'
(O)VRe
(B7. 7-2)
00 0 w

Damit gelingt es also, eine analytische Lösung der Grenzschichtgleichungen an einem umströmten
Körper zu finden! Man vergleiche auch Gersten (1979).

7.8.4 Selbstähnliche Lösungen

Im folgenden sollen Grenzschichten mit iiw = 0(1) auf mögliche selbstähnliche


Lösungen untersucht werden. Im Zusammenhang mit den Gleichungen (7.40) und
(7.41) zur Beschreibung selbstähnlicher Strömungen war deutlich geworden, daß die
Randbedingungen für die normierte Stromfunktion f(TJ) x-unabhängig sein muß,
d.h. fw muß eine Konstante sein. Für die V-Komponente an der Wand gilt für
selbstähnliche Strömungen mit !!_. = 0 (Haftbedingung) nach (7.42)

(7.167)

Nur iiw-Verteilungen, die (7.167) mit fw = const erfüllen, führen zu selbstähnlichen


Grenzschichten. Dabei ist davon auszugehen, daß die Normierungsfunktion 8N(x)
gegenüber dem Fall iiw = 0 solange unverändert bleibt, wie iiw(x) von der
Größenordnung 0(1) ist.
Für die selbstähnlichen Falkner-Skan-Strömungen z.B. gilt demnach mit 8N
und UN nach (7.43) bis (7.46) als einzuhaltende Bedingung

_ {'l+"iTi fw < 0: Ausblasen


-y ~-
m -1
vw(x) = 2-x---r- fw, (7.168)
fw > 0 : Absaugen

Für die Plattenströmung bedeutet dies eine Geschwindigkeitskomponente iiw ~


1/ .,fX, für ~lie Staupunktströmung iiw = const.
Für die Wandschubspannung gilt unverändert das Newtonsehe Reibungsge-
setz, so daß der Reibungsbeiwert er nach (7.49) bestimmt werden kann, wenn J:;
bekannt ist. Tabelle 7.8 enthält einige Zahlenwerte für J:;. Der Einfluß des Para-
meters fw auf den Wärmeübergang kann einer ausführlichen Studie von Gersten
und Körner (1968) entnommen werden. Der Parameter-Wert fw = -1 ist für die
Plattenströmung (m = 0) nicht möglich, da bereits bei fw = -0,8757 Ablösung
durch Ausblasen auftritt, s. dazu Gersten und Körner (1968). Weitere Ergebnisse
findet man z.B. in Dewey and Gross (1967).
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 191

m fw 2,0 1,0 0,5 0 -1,0


0 2,1945 1,2836 0,8579 0,4696 -

1/3 2,4510 1,6242 1,2540 0,9277 0,4604


1 2,6701 1,8893 1,5418 1,2326 0,7566
Absaugen
I -
1 Ausblasen

Tabelle 7.8: Zahlenwerte 1:: für drei verschiedene Falkner-Skan-Strömungen

7.9 Zusammenfassung
1.) Strömungsgrenzschichten entstehen bei großen Reynolds-Zahlen durch die
Überlagerung von konvektivem, wandparallelem Impulstransport und einem
senkrecht dazu, also senkrecht zur Wand, wirkenden Impulstransport auf-
grund viskoser Effekte. Ähnliche Überlegungen bezüglich des Transportes in-
nerer Energie führen auf die Erklärung für das Entstehen von Temperatur-
grenzschichten. Einfache Größenordnungsabschätzungen ergeben bereits die
asymptotisch korrekte Abhängigkeit der Grenzschichtdicken von der Rey-
nolds- bzw. der Prandtl-Zahl, s. (7.2) bzw. (7.10).
2.) Die Grenzschichtgleichungen entstehen aus den Navier-Stokes-Gleichungen
und der Energiegleichung nach einer Transformation der Querkoordinate y (s.
(7.13)) und der Quergeschwindigkeit v (s. (7.14)) durch den Grenzübergang
Re --+ oo. Die Grenzschichtgleichungen (7.19) bis (7.22) werden Prandtlsche
Grenzschichtgleichungen genannt und dienen zur Bestimmung von u(x, N),
v(x, N) und '!?(x, N). Der Druck wird der Grenzschicht durch die Außenströ-
mung aufgeprägt.
3.) Bestimmte Außenströmungen führen auf sog. selbstähnliche Grenzschichten.
Diese sind dadurch gekennzeichnet, daß die Strömungs- bzw. Temperaturpro-
file an verschiedenen x-Stellen nach einer entsprechenden Normierung ((7.35)
und (7.36)) identisch sind. Die Bestimmung dieser normierten Profile erfolgt
durch Lösen von gewöhnlichen Differentialgleichungen. Eine wichtige Klasse
solcher Strömungen sind die sog. Keilströmungen mit der Platten- und Stau-
punktströmung als Spezialfälle.
4.) Grenzschichten liegen nicht nur an überströmten Wänden vor, sondern können
auch ohne Außenströmung z.B. an einer gezogenen Platte oder durch Ausbla-
sen parallel zur Wand (Wandstrahl) entstehen, s. Abschnitt 7.5.3. Beispiele für
Grenzschichten ohne Wand sind die Trennungsschicht zwischen zwei Parallel-
strömungen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und der sog. Freistrahl,
s. Abschnitt 7.5.4.
192 K. Gersten/ H. Herwig

5.) Bei der Bestimmung des Temperaturfeldes einer Strömung kann von der
Linearität der Energiegleichung (Voraussetzung: konstante Stoffwerte) Ge-
brauch gemacht werden. Der Einfluß der erzwungenen Wärmeübertragung
einerseits und der Dissipation andererseits können durch einen entsprechen-
den Ansatz (s. (7.94)) getrennt bestimmt werden. Dies ermöglicht allgemeine
Lösungen, die für alle Brinkman-Zahlen gültig sind.
6.) Mit Hilfe von Integralverfahren können Näherungslösungen für Strömungs-
und Temperaturgrenzschichten auf sehr einfache Weise ermittelt werden. Im
sog. Walz-Verfahren ist dazu lediglich eine bestimmte Integration über die
Außenströmung U(x) auszuführen, s. (7.123) bzw. (7.129).
7.) Bei Berücksichtigung variabler Dichte wird von kompressiblen Strömungen
gesprochen, wenn die Druckabhängigkeit in der betrachteten Situation eine
Rolle spielt, andernfalls von inkompressiblen Strömungen. Zusätzlich wird
mit der Bezeichnung temperoturexpansiv bzw. nicht temperoturexpansiv zum
Ausdruck gebracht, ob die Temperaturabhängigkeit der Dichte eine Rolle
spielt oder nicht.
8.) Grenzschichten können durch Absaugen oder Ausblasen über eine poröse
Wand beeinflußt werden. Asymptotisch große Werte der Geschwindigkeits-
komponentesenkrecht zur Wand führen zu massivem Absaugen bzw. massi-
vem Ausblasen. Bei massivem Absaugen entstehen asymptotische Absaugepro-
file, die nur von den lokalen Werten der Absauge- und Außengeschwindigkeit
abhängen, s. (7.158) und (7.159). Bei massivem Ausblasen wird eine reibungs-
behaftete Scherschicht von der Wand abgehoben, so daß der unmittelbar
wandnahe Bereich durch eine reibungslose Strömung beschrieben wird.
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion
(Gr--+ oo)

8.1 Vorbemerkung
Natürliche Konvektionsströmungen kommen zustande, wenn aufgrundvon Dichte-
unterschieden Auftriebskräfte entstehen, die als "treibende Kräfte" wirken. Dabei
kann es sich entweder um das Zusammenwirken von verschiedenen Fluiden mit
unterschiedlichen Dichten handeln oder um ein Fluid, in dem aufgrund von Tem-
peraturunterschieden Dichtevariationen auftreten. Da die Dichte ein Stoffwert wie
c;
TJ*, >. * und ist, handelt es sich bei natürlichen Konvektionsströmungen aufgrund
temperaturbedingter Dichtevariationen (temperaturexpansive Strömung) um einen
Effekt variabler Stoffwerte.
Nur die so zustande gekommene Strömung und nicht die Strömung mehre-
rer Fluide unterschiedlicher Dichte soll im folgenden als natürliche Konvektions-
strömung behandelt werden. Dabei interessieren insbesondere Strömungen, die wie
im Fall der erzwungenen Konvektion durch eine asymptotische Theorie (Grenz-
schichttheorie) beschrieben werden können. Ähnlich wie in Abschnitt 7.1 soll
zunächst wieder eine anschauliche Beschreibung der physikalischen Mechanismen
erfolgen, die zur Ausbildung von Strömungen mit Grenzschichtcharakter führen.
Die unmittelbare Ursache für das Zustandekommen der hier betrachteten
natürlichen Konvektionsströmungen ist ein Wärmeübergang durch Wärmeleitung
über feste, den Fluidraum begrenzende Wände. Als einfaches Beispiel soll zunächst
eine senkrechte Wand betrachtet werden, deren Temperatur zu einem bestimmten
Zeitpunkt t 0 = 0 auf eine Wandtemperatur T:, gebracht wird, die oberhalb der
Umgebungstemperatur T~ liegt. Diese Temperatur T:, soll für t* > t 0 unverändert
beibehalten werden.
Unterstellt man zunächst eine temperaturunabhängige konstante Dichte e~
des Fluids, so handelt es sich um ein instationäres Wärmeleitungsproblem, da der
gesamte ruhende Fluidraum mit der Zeit aufgeheizt wird. Ein stationärer Zustand,
in Form einer zeitunabhängigen Temperaturverteilung kann sich nicht einstellen.
Die Situation verändert sich vollständig, wenn das Fluid eine tempera-
turabhängige Dichte besitzt. Aufgrund der Dichteunterschiede, die jetzt im Fluid
entstehen, treten Auftriebskräfte parallel zur vertikalen Wand auf. Nimmt die Dichte
mit steigender Temperatur ab, so besitzen wandnahe Schichten durch die erhöhte
194 K. Gersten/ H. Herwig

Wandtemperatur eine geringere Dichte, und wärmeres Fluid steigt längs der Wand
auf. Neben der Wärmeleitung existiert also in Form der Konvektion ein zweiter
Transportmechanismus für innere Energie. Damit wird ein stationärer Zustand
möglich, der sich für große Zeiten t* » t 0 in einem zeitunabhängigen Tempera-
turprofil äußert, wie es in Bild 8.1 an zwei Stellen xi und x2 skizziert ist.

LEITUNG ( ---.++-
T*(xty*) - r: (

Bild 8.1: Grundlegende Mechanismen


für den Transport innerer Energie in der
Strömung

Offensichtlich werden Fluidteilchen weit weg von der Wand zu keinem Zeitpunkt
t* > t 0 von der Wärmeleitung im Fluid "erfaßt", da die zusätzliche innere Energie,
die dem Fluid über die Wand zugeführt wird, durch den konvektiven Transport
längs der Wand "wegtransportiert" wird. Die Temperaturerhöhung bleibt also auf
einen wandnahen Bereich beschränkt. Aus diesen einfachen Überlegungen lassen
sich schon zwei wichtige Schlußfolgerungen ziehen.

(1) Es liegt eine gegenseitige Kopplung zwischen Impuls- und Wärmetransport


vor. (Bei erzwungener Konvektion ist diese nur einseitig, wenn konstante
Stoffwerte unterstellt werden).

{2) Wählt man als Dicke der "Temperaturschicht" (Bereich mit T* > T~) einen
Wandabstand, bis zu dem die Temperaturerhöhung gegenüber T~ bis auf
einen bestimmten Prozentsatz abgeklungen ist (z.B. 1 %), so wird diese Dicke
mit der Lauflänge anwachsen, s. Bild 8.1. Dies folgt aus einer einfachen
Energiebilanz, die besagt, daß die gesamte bis zu einer Stelle x* über die
Wand zugeführte innere Energie durch Konvektion des Fluides mit erhöhter
Temperatur über den Querschnitt x* =const "fließen" muß.
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 195

Es soll nun untersucht werden, unter welchen Bedingungen die Strömung Grenz-
schichtcharakter besitzt. Bild 8.2 zeigt zunächst qualitativ je ein Strömungs- und ein
Temperaturprofil mit den entsprechenden Schichtdicken 8* und 8.'j. an der senkrech-
ten beheizten Platte. Diese könnten als 801 und 8T01 (vgl. Abschnitt 7.4) definiert
werden. Für die weiteren Überlegung spielt aber ein Zahlenfaktor der Größenord-
nung 0(1) keine Rolle, so daß 8* und 8T als allgemeine Schichtdicken beibehalten
werden.

Bild 8.2: Prinzipieller Grenzschichtverlauf


an einer geheizten ebenen Platte
ae· ar•
hier: a = 1r /2, ct.h.: sin a = 1, 1 <o

Betrachtet man zunächst die "Strömungsschicht", so entsteht diese durch das Zu-
sammenwirken zweier Transportmechanismen für den Impuls. Wie bei der erzwun-
genen Konvektion ist ein Mechanismus der viskose Impulstransport mit der charak-
teristischen Transportgeschwindigkeit, vgl. (7.1),

*
U * = voo (8.1)
V 8* •

Der zweite Mechanismus wird jetzt aber nicht mehr "erzwungen" (z.B. durch eine
Anströmung des entsprechenden Körpers), sondern entsteht durch die Wirkung von
Auftriebskräften.
Dieser (statische) Auftrieb ist direkt proportional zur plattenparallelen Be-
schleunigung g~ = -g* sina und zur Dichtedifferenz 6eß := e;,.- e~ , wobei e;,.
eine charakteristische Dichte an der Wand ist. In der Strömung nach Bild 8.2 ist
6eß negativ. Damit läßt sich als charakteristische Geschwindigkeit für den konvek-
tiven Transport aufgrund von Auftriebskräften eine Geschwindigkeit Ufi definieren,
die später auch als Bezugsgeschwindigkeit dienen wird. Mit der charakteristischen
196 K. Gersten/H. Herwig

Dichtedifferenz ~eß gilt

Uß = g*L* ~eß (8.2)


X g~ '

wobei sichergestellt ist, daß stets g;~{!B > 0 gilt, wie später erläutert wird.
Die Verweilzeit eines Fluidteilchens im Bereich des Körpers mit der charak-
teristischen Länge L* ist damit L* /UB. Im Sinne der Dimensionsanalysis ist L* die
Bezugslänge Lß. Für die hier speziell betrachtete halbunendliche Platte ist L* = Lß
eine willkürlich gewählte Länge, da in diesem Problem keine charakteristische geo-
metrische Länge existiert. Die charakteristische Dicke 6* der Strömungsschicht er-
gibt sich als das Produkt aus dieser Verweilzeit und der Geschwindigkeit des viskosen
(Quer-) Transportes von Impuls u:, vgl. (7.2), also als

(8.3)

Daraus ist unmittelbar die Bedingung für den Grenzschichtcharakter erkennbar, also
6* / L* -+ 0. Es gilt
6* g*_
_x L*3
___8 ~l!*) -+
-+ 0 für ( 00
L* v'("} e~ ·
Die hier auftretende dimensionslose Kombination wird nach Franz Grashof als
Grashof-Zahl bezeichnet. Es gilt

An ._ e:..- e~ (8.4)
u".B . - {?~

Der Index a weist darauf hin, daß die Definition nach (8.4) g; = -g* sina enthält.
Die asymptotische Theorie für Gr 0 -+ oo führt bei natürlicher Konvektion
also auf eine Strömung mit ausgeprägtem Schichtencharakter (-+ Grenzschicht).
Für die Grenzschichtdicke 6* gilt nach (8.3)

(8.5)

Die charakteristische Dichtedifferenz kann aus einer charakteristischen Tempera-


turdifferenz gewonnen werden, da r/ = e*(T*,p*) gilt. Bezüglich der Tempera-
turabhängigkeit ist dieser Zusammenhang durch die Taylor-Reihenentwicklung (vgl.
Abschnitt 5.4.2, (5.20)) gegeben. Sie lautet in dimensionsloser Form

{! = 1 + Ku 1 8 + · .. , (8.6)
woraus für die Dichtedifferenz folgt

~es= KnleB
" + .. ·, T* T~ =
8 s = T:,- ~T.*/T*
s oo· (8.7)
00
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 197

Der Abbruch der Reihe nach dem linearen Term ist gerechtfertigt, solange die
Temperaturdifferenz es als charakteristisch für die Dichtedifferenz angesehen
werden kann. Dies wird in fast allen Situationen zutreffen, stellt streng genommen
aber den asymptotischen Grenzfall es ----> 0 dar.
Damit lautet die Grashof-Zahl unter Verwendung der charakteristischen
Temperaturdifferenz 8s

(8.8)

Die so definierte Grashof-Zahl ist für K ul < 0 stets positiv, da ein Vorzeichenwechsel
in es durch einen entsprechenden Vorzeichenwechsel von g~ kompensiert wird (s.
dazu die genaueren Ausführungen zur Plattenströmung, Abschnitt 8.3.2). Die Größe
Ku 1 ist immer dann negativ, wenn ße* /ßT* < 0 gilt. Dies ist bei allen Fluiden
erfüllt mit Ausnahme von Wasser unterhalb von 4 °C. Für diesen Spezialfall ist eine
gesonderte Betrachtung nötig, s. z.B. Herwig (1985a).
Häufig wird auch der sog. isobare thermische Ausdehnungskoeffizient ß~
verwendet. Die Definition lautet

* ·= __
ß00 1 ( oe*) = __1_K (8.9)
• n*
~oo
ßT* p,oo
T*oo ul '

so daß für die Grashof-Zahl gilt

-g* L •3ß* 6T,*


Gr = x oo s (8.10)
a v;J

Dabei ist 6TP, ganz allgemein eine charakteristische Temperaturdifferenz des


betrachteten Problems, vgl. (8.7). Im Fall der Randbedingung = const gilt r;
l:,Tß = T; - T:X,.
Bezüglich der Temperaturgrenzschichtdicke o;
kann folgende Überlegung an-
gestellt werden. Wegen der direkten Kopplung der Temperatur- und Geschwindig-
keitsfelder kann es nicht zu einer Situation mit o;
» b* kommen, wie dies bei
erzwungener Konvektion im Grenzfall Pr----> 0 der Fall ist, weillokale Dichtevaria-
tionen stets eine Strömung zur Folge haben. Bei natürlicher Konvektion gilt deshalb

~~ = 0(1) für Pr----> 0 und Pr= 0(1). (8.11)

Ganz anders liegt der Fall für Pr ----> oo, da die Strömungsgrenzschicht sehr viel
"dicker" als die Temperaturgrenzschicht sein kann. Die Auftriebskräfte wirken nur
in unmittelbarer Wandnähe und üben auf das weiter außen liegende Fluid eine
"Schleppwirkung" aus. Die charakteristische Transportgeschwindigkeit für innere
Energie parallel zur Wand ist damit die Geschwindigkeit UP, nach (8.2). Die
Grenzschichtdicke o;
ist wieder das Produkt aus der "Leitungsgeschwindigkeit"
198 K. Gersten / H. Herwig

U.'f = a"oc,/8"T , vgl. (7.4), und der Verweilzeit L* /Uß, so daß mit L* /Uß = 8* 2 jv~
aus (8.3) jetzt gilt

8T "' Pr- 112 für Pr --+ oo. (8.12)


8*

Anmerkung 1 (Vorzeichen von Gr"')

Die bisher gewählte Definition der Grashof-Zahl unterstellt letztlich eine x-Koordinate längs einer
ebenen Wand (die unter einem bestimmten Winkelostehen kann) mit dem Koordinatenursprung
an der Vorderkante. Ein Vorzeichenwechsel von .6.Tß (Heizen/Kühlen) führt nicht zu einem
Vorzeichenwechsel in der Grashof-Zahl Gr"', da gleichzeitig auch die Strömungsrichtung umgekehrt
wird. Die X-Koordinate weist immer in die Hauptströmungsrichtung, bei der geheizten senkrechten
Platte also von unten nach oben, bei der gekühlten Platte (deren Vorderkante oben liegen muß !)
entsprechend von oben nach unten. Für die senkrechte geheizte Platte gilt also g;
= -9, 81 m/s 2 ,
für die senkrechte gekühlte Platte g;
= 9, 81 mfs 2 , so daß der Vorzeichenwechsel in .6.Tf3
kompensiert wird. In Problemen mit gekrümmten Wänden verwendet man sinnvollerweise eine
Grashof-Zahl, die statt g; den Betrag g• enthält, muß aber dann beachten, daß die so definierte
Grashof-Zahl, s. die spätere Gleichung (8.15), mit .6.Tf3 das Vorzeichen wechseln kann.

Anmerkung 2 (Gr a für r; = const bzw. q:, = const)


Für die thermische Randbedingung r; = const ist .6.Tf3 in (8.10) unmittelbar durch (T;- T.::O)
gegeben. Für die thermische Randbedingung q; = const ist die Wandtemperatur jedoch zunächst
unbekannt (und darüber hinaus im allgemeinen eine Funktion von x*). In diesem Fall kann .6.Tf3 :=
q:,L*/X;"_, eingeführt werden (s. dazu die nachfolgende Gleichung (8.26)). Zur Unterscheidung
beider Fälle wird der Index q eingeführt, wenn es sich um den Fall q; = const handelt. Damit gilt
also

-g•x L* 3 ß*oo (T*w - T*oo )


Gr
a
: =
v;J für r:, = const, (8.13)

für q;_ = const. (8.14)

Auch Graq ist stets positiv (Heizen: q; > 0, -g; > 0; Kühlen: q; < 0, -g; < 0).

8.2 Grenzschichtgleichungen für natürliche Konvektion


Die Grenzschichtgleichungen sollen aus den Navier-Stokes-Gleichungen und der
Energiegleichung abgeleitet werden, indem die asymptotischen Überlegungen, die
in Abschnitt 7.2 für erzwungene Konvektionsströmungen angestellt wurden, auf die
Situation bei natürlicher Konvektion übertragen werden.
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 199

Da im folgenden Grenzschichten auch an gekrümmten Wänden betrachtet


werden sollen, wird eine Grashof-Zahl eingeführt, die mit g* als dem Betrag der
Erdbeschleunigung anstelle von g~ definiert ist. Diese Grashof-Zahl wurde bereits
in Tab. 4.2 in Kap. 4 eingeführt. Die Definition lautet

g* L* 3 ß* t:,.T,* g* Gr 0
Gr := 00 8 = -Gr - = - - (8.15)
v;;J 0 g~ sin a

Die so definierte Grashof-Zahl kann positiv oder negativ sein.

Tab. 8.1 enthält die beiden Definitionen der Grashof-Zahl nach (8.15) und
(8.10) sowie deren Spezifikationen auf die thermischen Randbedingungen T;_ =
const und q! = const.

angewandt auf die thermische Randbedingung


allgemeine Definition
r;, = const q~ = const
{8.10)
-g* L * 3 ß* (T* -T* )
G- X oowoo
ra- v6c:,""

{8.15)

G g
*L* 3 ß*
oo(T*-T*)
woo
r = v6c:,"l.

Tabelle 8.1: Übersicht über die Definitionen der Grashof-Zahl nach {8.10) und (8.15) sowie ihre
Spezifikationen für verschiedene thermische Randbedingungen

Zur Herleitung der Grenzschichtgleichungen sind zunächst eine transformierte


Querkoordinate und eine transformierte Quergeschwindigkeit einzuführen. Aus
(8.5) wird unmittelbar deutlich, daß die Transformation auf die charakteristische
Quererstreckung L * G r - 1I 4 erfolgen muß. Gleichzeitig ist dann eine transformierte
Geschwindigkeit v einzuführen. Es gilt

N _ G 1/4 _ y* - _ 1/4 _ v*
- Y r - 1/4' v- vGr - 114 . (8.16)
L*Gr- UßGr-

In der Transformation (8.16) und in allen nachfolgenden Rücktransformationen ist


stets der Betrog von Gr zu nehmen, ohne daß dies besonders gekennzeichnet wird.
200 K. Gersten/ H. Herwig

Die vollständigen Grundgleichungen (4.1) bis (4.4) lauten mit (8.16) und der
Bezugsgeschwindigkeit UB = Jg*L*!::::.eB mit !::::.eB nach (8.4), und mit e= e*/e'"oo,
- "1 */"loo'
"1- * ... '

a(eu) a(efJ) _ 0 (8.17)


ax + aN -

a ("1 ( 2-
+ G r -1;2( -ax au 2 (au +av- )))
ax- -3 -
ax aN

+EiN
a ("'ax
av)) (8.18)

Gr- 1/2 e ( uav av ) ap e a ( av))


ax +v-
- 1-
= - - +Gr- 1; 4 --cosa+Gr- 1( -
aN aN !::::.eB ax ry-
ax

+ Gr _
112 ( a ["lßN
ßx au J + a ("1 ( 2ßN
ßN av - 32 (au av ))))
ßx + aN (8.19)

ar- 112 (
+~
a (>.ßx
ßx ae)) - ( uax
+ß(1+8)Ec
_ap)
ap +vaN

+ ryEcGr
- _ 112 ( 2 (au)
- + 2 ( -av
2
) 2 - -2 (au
- + -av )
2
ax aN 3 ax aN

+
0 _ 112
r
(av)
ax
2
2avau)
+ axaN (8.20)

Der Winkel a ist der lokale Neigungswinkel der Kontur. An gekrümmten Flächen
ist a eine (gegebene) Funktion der Koordinate x, s. Bild 8.3.
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 201

Bild 8.3: Lokaler Konturwinkelet an gekrümmten Flächen

Die in (8.18) bis (8.20) unterstrichenen Terme sind im Grenzfall Gr -+ oo asym-


ptotisch klein und werden in den Grenzschichtgleichungen führender Ordnung als
Effekte höherer Ordnung vernachlässigt. Aus (8.19) folgt bei Vernachlässigung aller
unterstrichenen Terme wie bei erzwungenen Grenzschichtströmungen ßpjßN = 0.
Der Druck ist also quer zur Grenzschicht konstant. Da sich das Gebiet außerhalb
der Grenzschicht in Ruhe befindet, herrscht überall ein konstanter Druck, so daß
p = 0 gilt. Dabei ist zu beachten, daß p der modifizierte Druck ist, der in Kap. 3
eingeführt wurde. Die Grenzschichtgleichungen führender Ordnung lauten also

(8.21)

ßu _ ßu 1 8 ( ßu) 1 (1 ) .
ußx +vfijj = (JßN "lßjj + ~ Q-1 smo: (8.22)

(8.23)

In der Energiegleichung wird ab jetzt {} = (T* - T~) I .6TJ3 = 8T~ I .6TJ3 verwendet,
so daß Ec statt Ec auftritt (vgl. Tab. 4.2 in Kap. 4). Im weiteren wird stets von
einer konstanten Außentemperatur T~ ausgegangen, für Lösungen bei temperatur-
geschichteten Außenfeldern s. z.B. Chen and Eichhorn (1976) sowie Venkatachala
and Nath (1981).
202 K. Gersten/ H. Herwig

Die Randbedingungen lauten


N=O: u=v=O (8.24)
'!9=1 für T; = const mit L.Tß := T; - T~ (8.25)
* L*
8'!9 - -G
{)N-
-1/4
rq für q;, = const mit . ~
L.T,*B ·= ).* (8.26)
00

N-+oo: u='!9=0. (8.27)

Die Eckert-Zahl Ec := Uß 2/(c;BL.Tß) lautet für beide Randbedingungen einheitlich


Ec = g* L*ß~/c;oo.
Da natürliche Konvektionsströmungen nur bei Fluiden mit variabler Dichte
vorkommen, sind die Grenzschichtgleichungen (8.21) bis (8.23) konsequenterweise
zunächst für ein Fluid mit variablen Stoffwerten formuliert worden. Die in Abschnitt
5.4.2 entwickelte Theorie variabler Stoffwerte gibt unmittelbaren Aufschluß darüber,
wie sich diese Grenzschichtgleichungen im Grenzfall verschwindender Wärmeübert-
ragung verhalten. Zur Erinnerung: Im Falle der erzwungenen Konvektion war dies
der Grenzfall "konstante Stoffwerte".
Mit dem Störparameter c: := L.Tß/T;, = SB, vgl. (5.25) in Abschnitt 5.4.2,
gilt nach (5.26) für alle Stoffwerte (mit a als allgemeinem Stoffwert)

a= 1 + c: Kal'!9 + ~c:2 Ka2'!92 + O(c:3), (8.28)

so daß die Impulsgleichung (8.22) im Grenzfall c:--+ 0 (verschwindende Wärmeüber-


tragung) lautet

u~: +v:~ = {1+0(c:)} 8~ ({1+0(c:)}!~) +{'!9+0(c:)}sina. (8.29)

Besonders wichtig ist hierbei das Verhalten des Auftriebsterms, der zunächst für
(!--+ 1 einen unbestimmten Ausdruck darstellt, da 1/L.eB--+ oo und (1/e-1)--+ 0
für (! --+ 1 gilt. Mit der Entwicklung (8.28) für (! zeigt sich in (8.29), daß der
führende Term in der Entwicklung des gesamten Auftriebsterms '!9 sin a ist. Weitere
unbestimmte Ausdrücke treten in den Grenzschichtgleichungen nicht auf, so daß
im Grenzfall verschwindender Wärmeübertragung (SB --+ 0 bzw. c: --+ 0) folgende
Gleichungen gelten:
ßu ßv _ 0
(8.30)
ßx +aN-

(8.31)

(8.32)
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 203

Die Randbedingungen sind weiterhin durch (8.24) bis (8.27) gegeben.


Dieser Grenzfall wird in der Literatur als Boussinesq-Approximation (biswei-
len auch als Oberbeck-Boussinesq-Approximation) bezeichnet und stellt nichts an-
deres als den asymptotischen Grenzfall e -+ 0, d.h. 8 8 -+ 0, dar (s. dazu auch die
Diskussion im Zusammenhang mit (4.9) bis (4.12) in Kap. 4).
Für die Grenzschichttheorie im Rahmen der Boussinesq-Approximation gilt
also der doppelte Grenzprozeß

e = .6TJ3 -+ 0 und (8.33)


T~

Die Energiegleichung (8.32) enthält noch den Einfluß der Dissipation, der asympto-
tisch von der gleichen Größenordnung wie die anderen Effekte in (8.32) ist. Zah-
lenmäßig ist dieser Effekt jedoch so klein, daß er in den meisten Fällen vernachlässigt
wird.
Die Gleichungen (8.30) bis (8.32) sind partielle Differentialgleichungen, die in
der Regel nur numerisch gelöst werden können. Beispiele für solche Lösungen findet
man u.a. bei Merkin (1977).
Saville and Churchill (1967) schlagen eine Transformation (x, N) -+ (e, 'TJ) vor,
mit
(43)
X

e= f(sina(x)) 1 dx, 1 3 'TJ =


1/4
N (sin a(x)) 113 C 1/ 4
0

mit deren Hilfe die Lösung des partiellen Problems durch eine Reihenentwicklung auf
die Lösung von gewöhnlichen Differentialgleichungen zurückgeführt werden kann.
Eine grundsätzliche Alternative besteht in der Anwendung von Integralver-
fahren, s. dazu z.B. Ede (1967).

Anmerkung 1 (Bezugsgeschwindigkeit)

Der Auftriebsterm in der Impulsgleichung (8.22) bleibt auch im Grenzfall verschwindender


Wärmeübertragung (c --+ 0) als ein Term der Größenordnung 0(1) erhalten. Der Grund hierfür
ist, daß in der allgemeinen Formulierung der Impulsgleichung nach (4.2) der Auftriebsterm zwar
als K If1 - e] sin a erscheint, und [1 - e] --+ 0 für c --+ 0 gilt, gleichzeitig aber K 1 für c --+ 0 gegen
Unendlich strebt. Dies gilt, weil die Bezugsgeschwindigkeit Uß nach (8.2) in K 1 = g* L* /Uß 2 für
c --+ 0 null wird. In diesem Sinne wäre z.B. ff• := ..;g*1}' als Bezugsgeschwindigkeit ungeeignet,
da ff• den Grenzfall verschwindender Wärmeübertragung nicht erfaßt. Die Bezugsgeschwindigkeit
muß vielmehr eine charakteristische Geschwindigkeit im Sinne eines internen Maßstabes sein.
204 K. Gersten/ H. Herwig

Anmerkung 2 (Ablösung bei natürlicher Konvektion, Effekte höherer Ordnung)

Experimentelle Befunde zeigen, daß auch bei natürlicher Konvektion Ablösung auftreten kann.
Wie bei erzwungener Konvektion lautet eine notwendige Voraussetzung dafür (8 2 u/8N 2 )w > 0,
s. Punkt (6) in Abschnitt 7.3. Aus (8.31) folgt aber für N = 0 (Wandbindung): (8 2 uj8N 2 )w =
-iJw sin a < 0 für 0 < a < 7r, s. Bild 8.3 für a. Danach können die Lösungen des Gleichungssystems
(8.30) bis (8.32) nur Strömungen ohne Ablösung beschreiben. Dieser scheinbare Widerspruch
erklärt sich in einem asymptotischen Sinne wie folgt: Strömungsablösung wird bei natürlicher
Konvektion durch ein Druckfeld bewirkt, das durch die Wandkrümmung entsteht (Kompensation
von Zentrifugalkräften durch entsprechende Druckkräfte). Diese Krümmungseffekte sind aber im
Rahmen der Grenzschichttheorie Effekte höherer Ordnung (s. dazu Kap. 11).
Erst eine Theorie höherer Ordnung oder eine sog. Interaktions-Theorie (s. Abschnitt 11.6.3)
können Strömungen mit Ablösungen beschreiben, für nähere Einzelheiten s. Gersten et al. (1991).
Eine Übersicht über weitere Arbeiten zu Effekten höherer Ordnung bei natürlicher Konvektion
findet man bei Gersten (1982a).

8.3 Selbstähnliche Grenzschichten

8.3.1 Ähnlichkeitstransformation

Wie bei der erzwungenen Konvektion soll jetzt zunächst untersucht werden, ob
und unter welchen Bedingungen die Grenzschichtgleichungen (8.30) bis (8.32)
selbstähnliche Lösungen besitzen. Das weitere Vorgehen erfolgt analog zu Abschnitt
7.5 für erzwungene Konvektion.
Ein wesentlicher Unterschied besteht allerdings in der gegenseitigen Kopplung
der Impuls- und Energiegleichungen. Deshalb müssen beide Gleichungen stets ge-
meinsam betrachtet werden. Darüber hinaus ist zu erwarten, daß die Stromfunktion
proportional zur Normierungstemperatur '!?N(x) ist, so daß statt (7.36) jetzt eine
modifizierte Funktion f eingeführt werden muß. Für f und '!9 gelten in Erwartung
des selbstähnlichen Verhaltens die Ansätze

w(x,N)
f(x, TJ) = 8N(x)UN(x)'!9N(x),
~ '!9(x,N)
'!?(x,ry) = '!9N(x) , (8.34)

N
77 = 8N(x).

Anstelle von (7.42) bei erzwungener Konvektion gilt damit jetzt z.B. u = UN'!?Nf'·
Unter Berücksichtigung der Normierungsfunktionen lauten die transformierten
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 205

Grenzschichtgleichungen ( '~ ~)

(8.35)

(8.36)

mit den Hilfsfunktionen ai als

82
a7 = UN sina
N (8.37)
a6 = U~t9N.

Der Vergleich mit den Grenzschichtgleichungen (7.37) und (7.38) bei erzwungener
Konvektion zeigt, daß im Impulssatz der Druckgradiententerm a2 fehlt und statt
dessen der Auftriebsterm a 7 Jhinzugekommen ist. Die Hilfsfunktionen ai unterschei-
den sich von ai wegen der Hinzunahme von t9N in der normierten Stromfunktion f.
Die Lösungen der Gleichungen (8.35) und (8.36) sind dann selbstähnlich, wenn
alle ai, mit Ausnahme von a 4 , Konstanten darstellen und die Randbedingungen x-
unabhängig sind.
Mit denselben Ansätzen für die Normierungsfunktionen wie in Kap. 7, also

(8.38)

lauten die Hilfsfunktionen ai

a 1 = c2c c (n + m + r) x2n+m+r-1
n m r

a3 = c2c c (m + r) x2n+m+r-1
n m r

(8.39)
a6 = c2c
m r
x2m+r
a7 = c~c;;;t x 2n-m sin a.

Die Größen ai sind konstant, wenn alle Exponenten von x null sind. Dies ist mit drei
festen Werten von m, n und r nicht zu erreichen, wie man sich leicht überzeugen
kann. Ein Ansatz J = J 1 + BrJII analog zu (7.94) führt hier wegen der Kopplung
von Energie- und Impulsgleichung nicht weiter, da das Gesamtsystem nichtlinear ist.
Nur im Grenzfall Ec = 0 (keine Dissipation) sind selbstähnliche Lösungen möglich,
da dann auf die Bedingung aus a6 verzichtet werden kann.
206 K. Gersten/ H. Herwig

8.3.2 Grenzschichten an der ebenen Platte


In Abschnitt 8.1 war das Zustandekommen von Grenzschichten bei natürlicher
Konvektion am Beispiel der senkrechten geheizten Platte anschaulich beschrieben
worden. Diese Überlegungen gelten aber nicht nur für eine senkrechte Platte,
sondern für jede Platte, die unter einem Winkel o: steht, wie er in Bild 8.2
eingetragen ist (o: positiv im Gegen-Uhrzeigersinn). Sehr sorgfältige experimentelle
Untersuchungen bestätigen dies, s. King and Reible (1991). Genaugenammen
müssen Winkel o::::::! 0 und o::::::! 1r allerdings ausgeschlossen werden, s. dazu Abschnitt
8.4. Die wirksame plattenparallele Beschleunigungskomponente ist g~ = -g* sin o: .
Der Vorzeichenwechsel für o: > 1r wird kompensiert, weil eine von der Vorderkante
mit x* = 0 beginnende Grenzschicht dann nur bei Kühlung existiert und dies durch
einen Vorzeichenwechsel in 6gB berücksichtigt wird. Dabei wird wieder unterstellt,
daß ßg* jßT* für alle Fluide dasselbe (negative) Vorzeichen besitzt, was bis auf
Wasser unterhalb von 4 °C auch stets zutrifft.
Die Bezugsgeschwindigkeit gemäß (8.2) lautet damit für die angestellte Platte
mit 6eB/e'"oo = Ku 1 8 8 = -ß'Jx,6Tß
Heizen: 6Tß >0
Uß = y'g* sino:L*ß~6Tß (8.40)
Kühlen: 6Tß <0
Die Beziehung g~ = -g* sin o: wird folgerichtig für die Plattenströmung auch in die
Grashof-Zahl-Definition (8.10) übernommen, so daß gilt
g* sin o: L * 3 ß'Jx,6Tß
Gro = 2 . (8.41)
v*00
Es hat deutliche Vorteile, bei der ebenen Platte Gr 0 anstelle von Gr nach (8.15)
zu verwenden, da dann der Winkel o: in den Grenzschichtgleichungen nicht mehr
explizit auftritt (Dieser Wechsel von Gr auf Gr 0 gilt natürlich auch in der Trans-
formation (8.16)). Für ä 7 gilt danach
- - c2c-1 2n-m (8.42)
0:7- n m X •

Bei Vernachlässigung der Dissipation (Ec = 0), die physikalisch bei natürlicher
Konvektionsströmung praktisch keine Rolle spielt, gelten zur Erfüllung der X-
Unabhängigkeit der Hilfsfunktionen iii nach (8.37) die Bedingungen 2n+m+r-1 =
0 und 2n - m = 0, woraus unmittelbar folgt
1-r 1-r
n=--,
4
m=-2-. (8.43)

Der zunächst freie Exponent r charakterisiert die Verteilung der Wandtemperatur.


Mit den Definitionen (8.34) und (8.38) gilt J := (T*- T~)/(Cr6Tßxr). Setzt man
er= 1 und
T*(x*)-
w
T*00 = 6T,*8 xr ' jetzt mit 6Tß := (T; - TC:Jx•=L*, (8.44)
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 207

so gelten für J' = (T*-T~)/(T;-T~) die Randbedingungen i?(O) = 1 und J'(oo) = 0


für die beiden thermischen Randbedingungen T* = const und q;_. = const.
Die in der Literatur übliche Form der Differentialgleichungen erhält man mit
der Wahl der noch freien Konstanten zu Gm= 2 und Cn = y'2, Es gilt dann

!"' + (r + 3)!!"- 2(r + 1)/'2 + J' = 0 (8.45)


i?" + (r + 3)Pr/i?''- 4rPri?!' = 0 (8.46)

mit den Randbedingungen

17 = 0: /=!'=i?-1=0 (8.47)
!' = i9 = 0. (8.48)

Für den Reibungsbeiwert er := 2r;/(e~Pß 2 ) folgt mit Uß nach (8.2) und r; =


17*(8u* j8y*)w

r.Gr
--r a1 = 2Cm Cr
1 4 c-n 1xm+r-nf"w = 2V:.t.'2x<Har)/4 f"w· (8.49)

Für den Wärmeübergang in Form der Nußelt-Zahl Nux := q;_.x* f(..\*(T;(x*) -T~))
folgt mit q;_. = -..\*(8T* f8y*)w

(8.50)

Die Wandwärmestromdichte qw := q;_.L* /(..\* b.Tß) ist entsprechend

(8.51)

Gleichung (8.51) zeigt, daß ein konstanter Wärmestrom an der Wand für r = 1/5
vorliegt. Für die andere Standard-Randbedingung, T; = const, gilt wegen (8.44) der
Exponent r = 0. Beide Fälle können also einheitlich als Lösung von (8.45) und (8.46)
gewonnen werden. Es sei aber ausdrücklich darauf hingewiesen, daß für q;_. = const
als dimensionslose Temperatur wegen (8.44) J' := (T* -T~)f((T; -T~)x*=L*x 1 1 5 )
gilt und nicht die Entdimensionierung mit q;_., s. dazu die Anmerkung am Ende
dieses Abschnittes.
Ergebnisse für eine Reihe von Exponenten r findet man z.B. bei Sparrow and
Gregg (1958). In Tab. 8.2 sind Zahlenwerte für r = 0 (T; = const) und r = 1/5
(q;_. = const) zusammengestellt. Die asymptotischen Grenzwerte für Pr -+ 0 und
Pr-+ oo sind dabei durch Sonderbetrachtungen der Impuls- bzw. Energiegleichung
gewonnen worden.
208 K. Gersten/ H. Herwig

r; = const (r = 0) q:, = const (r = 1/5)


Pr

t.:: -1?~ foo t.:: -1?~ foo


1 1 1 1
-+0 1,0700 0,8491 Pr2 0,4891Pr -2 1, 0116 1,0051Pr2 0,4526Pr -2
0,01 0,9878 0,0806 4,8480 0,9354 0,0947 4,4790
0,1 0,8592 0,2302 1,5239 0,8136 0, 2670 1,4034
0, 7 0,6789 0,4995 0,6061 0,6420 0,5701 0,5548
1 0,6422 0,5672 0,5230 0,6070 0,6455 0,4782
7 0,4508 1,0543 0,2752 0,4250 1,1881 0,2509
10 0,4192 1,1693 0,2492 0,3950 1, 3164 0,2272
100 0,2517 2,1914 0,1366 0,2367 2,4584 0,1245
1 1 1 1 1 1
-+ 00 0,8245Pr -4 0, 7110Pr4 0,4292Pr -4 0, 7743Pr -4 0, 7964Pr4 0,3909Pr -4

Tabelle 8.2: Selbstähnliche Lösungen für die ebene Platte unter dem Winkel a "=I 0.

Zusätzlich zu den Wandwerten J.:;


und :;§:,_ enthält Tab. 8.2 noch Zahlenwerte
für foo := f(TJ --+ oo). Diese Größe ist ein Maß für den Volumenstrom in der
Grenzschicht und gibt damit an, wieviel Fluid aus der Umgebung durch die
Grenzschicht "eingesaugt" und "mitgeschleppt" wird (engl: entrainment).
Für den Volumenstrom V* gilt

V*
UßB*L*
Grl/4
a
=C
n
C C xn+m+r f = J2 x(3+r)/4 f (8.52)
m r oo 00 ,

d.h. V*
nimmt für r > -3 mit x laufend zu.
Neben der örtlichen Nußelt-Zahl Nux nach (8.50) kann der Wärmeübergang
auch durch eine mittlere Nußelt-Zahl beschrieben werden, in die der gesamte auf
der Länge L * übertragene Wärmestrom eingeht. Für diesen Wärmestrom gilt
L*

Q* = B* j q~(x*) dx*. (8.53)


0

Mit der Definition einer mittleren Nußelt-Zahl


Q*
Num := B* >.* t::,T,* (8.54)
oo B
gilt unter Verwendung von (8.51) für q;
N G -1/4 = - 2v'2 :01
um ra 5r + 3 vw (8.55)
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 209

Mit den Ergebnissen aus Tab. 8.2 lassen sich unmittelbar die asymptotischen
Grenzfälle Pr -+ 0 und Pr -+ oo bestimmen. Es gilt

C1 = 0,800 (T; = const)


Pr-+ 0: Nu m (Gra Pr 2 )- 114 = C1• (8.56)
C1 = 0, 711 (q;,. = const)
C2 = 0, 670 (T; = const)
Pr-+ oo: (8.57)
c2 = 0, 563 (q;,. = const) .

Anmerkung {Alternatives Vorgehen für q:, = const)


Der Fall q:,= const kann auch in der sonst üblichen Entdimensionierung behandelt werden, indem
zunächst iJ := (T*- T~,)l(q:,L* I>.';,.,) definiert wird. Dies hat zur Folge, daß die Randbedingung
an der Wand aiJiaN = -Gr;;-~/ 4 lautet, wenn jetzt die Spezifikation (8.14) für Gr"' nach {8.10)
verwendet wird. Um die Randbedingung frei von der Grashof-Zahl formulieren zu können, wird
deshalb J := (T* - T~)Gr1Jq4 /(q:,L* I>.';";,) definiert.
Für die normierte Temperatur ß := J/iJN gilt dann mit (aßlaN)w = -1

ß'
w
:=(aß)
aTJ
=iJN (aß)
w aN
=_ener
liN
w
xn-r. (8.58)

Die X-Unabhängigkeit gilt für n = r, woraus mit {8.43) n = r = 115, m = 215 folgt.
Setzt man weiterhin en = er, so lautet die thermische Randbedingung ß~ = -1. Mit der
Wahl en = er = 5 1 / 5 und em = 52 / 5 erhält man die in der Literatur übliche Form der
Differentialgleichungen (mit ':;;818TJ und den Funktionen 7, ß statt f, J), s. z.B. Sparrow and
Gregg {1956), als

]"' +47f"-37' 2 +Ö=O {8.59)


ü" + Pr(47i?' -J'i?) = 0 {8.60)

mit den Randbedingungen

TJ = 0: 7 = 7' = 0 (8.61)
ö' = -1 (8.62)
TJ-+00: J'=Ü=O. (8.63)

An dieser Stelle ist nun Vorsicht geboten. Die zunächst verwendete Grashof-Zahl ist Gr aq nach
{8.14), die mit 6TI3 = q:,L* I>.';";, eine Spezifikation der allgemeinen Grashof-Zahl-Definition
(8.10) darstellt. Diese Größe L.Tß ist formal eine Temperaturdifferenz, sie ist aber nicht direkt
proportional zu der Temperaturdifferenz zwischen der Wand und dem Außenraum und damit im
strengen Sinne keine charakteristische Temperaturdifferenz in der Grashof-Zahl. Aufgrund der
Definition von J gilt T:,- T~ = ßw(q:,L*I >.';";,)Gr;;-~ 14 , d.h. q;, tritt nicht nur als linearer Faktor,
sondern zusätzlich auch noch in Gr 0 q auf. Eine Grashof-Zahl-Definition, die diesem Umstand
Rechnung trägt, müßte Gr0 q = Gr~5 lauten.
210 K. Gersten/ H. Herwig

Für den Reibungsbeiwert und die Nußelt-Zahl, dargestellt in Gr"q nach (8.14) gilt mit den
Lösungen f und 19 aus (8.59) und (8.60)

<>q = 2. 52/5 x2/5 ,-"


cf Gr1/5 w (8.64)

Nu Gr-1/5 = 5-1/5 x4/5 19-1 (8.65)


x aq w ·

Es treten jetzt die Exponenten 1/5 bei der Grashof-Zahl auf, weil Gr~4 = Gr~5 gilt. Statt den
"Umweg" über die Einführung von Gr<>q zu gehen, kann dieser speziellen Situation auch durch
eine Transformation mit Gr;:; 115 statt Gr;:; 1 / 4 in (8.16) Rechnung getragen werden.

8.3.3 Staupunkt-Grenzschicht
Im folgenden wird die Strömung an einem horizontalen Kreiszylinder mit der
thermischen Randbedingung T:, = const betrachtet. Bild 8.4 zeigt den prinzipiellen
Grenzschichtverlaufund die Lage des "unteren Staupunktes" . Nur in der Umgebung
dieses Punktes ist die Strömung selbstähnlich, wie gezeigt werden soll. Im Falle eines
gekühlten Zylinders liegt dieser Staupunkt auf der Oberseite, was deutlich macht,
daß sich die Bezeichnung als unterer Staupunkt an der Hauptströmungsrichtung
und nicht an der Geometrie orientiert.

Bild 8.4: Prinzipieller Grenzschichtverlauf


am Kreiszylinder für T! > T~; Lage des
"unteren Staupunktes"
UNTERER STAUPUNKT

Die Grenzschichtgleichungen (8.30) bis (8.32) können der Transformation (8.34)


unterzogen werden, wobei für die Funktionen c5N, UN und t?N wieder die Ansätze
(8.38) gelten sollen. Es ist leicht zu erkennen, daß die Gleichungen nur deshalb
keine selbstähnlichen Lösungen besitzen, weil sin a in ii7 für den Kreiszylinder eine
Funktion von x ist. Es gilt

sina: = sinx mit x := x* /R* . (8.66)


8 Grenzschichtst römungen bei natürlicher Konvektion 211

Für x -+ 0, also in der Nähe des unteren Staupunktes gilt die Entwicklung
sin x = x + · · · . Eine selbstähnliche Lösung im Staupunktbe reich wird möglich,
wenn a7 neben den restlichen ai (mit Ausnahme von a4 ) ebenfalls konstant wird.
Für x-+ 0 gilt mit sinx = x

- - c2 c-1 2n-m+l
Ct7- n m X ' (8.67)

woraus jetzt analog zu (8.43) folgt

r 2-r
n= --, m=-2-. (8.68)
4

Wählt man wieder Cn = '\1"2, Gm = 2 und Cr = 1, so gelten mit r = 0 (konstante


Wandtempe ratur) die nachfolgenden Grenzschichtgleichungen (mit den üblichen
Randbeding ungen), deren Transformation durch die erwartete Selbstähnlichkeit in
Staupunktsn ähe motiviert ist. Für (sinx)jx = 1 sind f und J nur Funktionen der
Ähnlichkeitsvariable 77 und somit selbstähnlich. Die Grenzschichtgleichungen lauten

f /II + 4f f II - 4f I 2 + :;§ = 0 (8.69)


J" + 4 Pr JJ' = 0 (8.70)
Zahlenwerte für die Staupunktlö sung x -+ 0 sind in Tabelle 8.3 enthalten.

Pr J.:: -u~ foo


-+0 0, 8716 0, 8695 Pr 112 0, 3864 Pr- 112
0,01 0,8275 0,0829 3,8322
0,1 0, 7440 0,2384 1,2047
0, 7 0,6077 0,5236 0,4770
1 0,5777 0,5960 0,4107
7 0, 4133 1,1210 0, 2141
10 0,3852 1,2452 0,1937
100 0,2332 2,3474 0,1059
-+ 00 0, 7673Pr- 1 14 0, 7640 Pr 114 0,3326Pr- 114

Tabelle 8.3: Selbstähnliche Lösungen für den unteren Staupunkt

Diese Lösungen gelten auch im unteren Staupunkt anderer nicht kreiszylindrischer


Körper, weil die Körpergeometrie im Staupunkt stets durch einen Kreis mit dem
lokalen Krümmungs radius angenähert werden kann.
212 K. Gersten/ H. Herwig

Die allgemeine Beziehung für den Wandwärmestrom zeigt, daß in Stau-


punktnähe auch der Wärmestrom konstant ist. Es gilt q:,
q Gr-1/4 = -c-1xr-n :;§' = _.2_ :;§' (8.71)
w n w J2 w

und entsprechend für er bzw. Nux

crGr 1/ 4 = 2CmCrC;; 1 xm+r-n 1:: = 2J2x 1::, (8. 72)


14 1
Nux Gr- 1 = -c-n 1 x 1-r '!9'w = -J2
~
- x'!9'

~
(8.73)

8.3.4 Auftriebsstrahl-Strömung
Infolge einer horizontalen linienförmigen thermischen Energiequelle (in der betrach-
teten Ebene einer punktförmigen Energiequelle) kommt es zu einer Auftriebsstrahl-
Strömung, die in Bild 8.5 skizziert ist. Da dieses Problem keine charakteristische
Länge besitzt, wird auch diese Strömung durch eine selbstähnliche Lösung beschrie-
ben.

1 ~.
. I
r*rx*.y*J- r:
I . I
·•

\
I
I I

\ I /
\ I /
\\ I ,'I
I ,. f
1 X 1
\ I
\ I
I ,'
~I Bild 8.5: Auftriebsstrahl-Strömung
(Pr~ 1)
y* ------ Thermische
Energiequelle. 6*
Mit einer Begründung analog zum Wand- bzw. Freistrahl (Abschnitt 7.5) gelten
auch im hier vorliegenden Fall die Grenzschichtgleichungen im Sinne einer asym-
ptotischen Lösung für Gr -+ oo. In der Grashof-Zahl nach (8.15) ist die charakte-
ristische Temperaturdifferenz 6Tß jetzt eine noch zu bestimmende Größe (s. die
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 213

nachfolgende Gleichung (8.80)), die mit der Leistung der Energiequelle Q* verbun-
den ist. Über diesen "Umweg" erfolgt die Entdimensionierung letztlich mit Q*, es
kann aber die formale Schreibweise J := (T*- T;.,)/(6.TP,fJN) aus Abschnitt 8.3.1
beibehalten werden.
Aufgrund der gewählten Entdimensionierung entsteht eine Situation, die
formal derjenigen bei der Plattenströmung entspricht. Die Differentialgleichungen
(8.45) und (8.46) gelten weiterhin, nur zwei Randbedingungen ändern sich: statt
f'(O) = J(O)- 1 = 0 gelten jetzt die Symmetriebedingungen f"(O) = J'(O) = 0.
Anders als bei der Plattenströmung ist der Temperaturexponent r in (8.44)
aber nicht frei wählbar, sondern ergibt sich aus der Bedingung, daß die von
der thermischen Energiequelle abgegebene Energie in jedem Querschnitt x* =
const vorhanden sein muß. Beschreibt Q*, mit [Q*] = W /m, die Leistung der
Wärmequelle pro Einheitslänge, so gilt

J
+oo

Q* = e*c;u*(T*- T:;J dy* (8.74)


-oo

bzw. mit Q:= Q* /(e*c;UßL* 6.TP,)

JJ'J
+oo

QGr 114 = 8NUNf)~ dry. (8.75)


-oo

Mit den Ansätzen (8.38) für ON, UN und f)N folgt aus der X-Unabhängigkeit von Q
unmittelbar
n+m+2r = 0, (8.76)

was mit (8.43) für n und m die Lösung

3
r= -- (8.77)
5
ergibt.
Aus den Lösungen der Impuls- bzw. Energiegleichung folgt z.B. für die maxi-
malen Werte der Geschwindigkeit bzw. Temperatur (jeweils auf der Strahlachse)

u*
u max ·= --.!!!!!:15. = 2 x 115 J'(O) (8.78)
• U*
B

(8.79)
214 K. Gersten/ H. Herwig

J
Dabei gilt Uß = g* L *ß~ 6Tß. Die charakteristische Temperaturdifferenz
6TP, ist direkt mit Q* verknüpft und lautet
/.':,.T,*
B
= (g*ß* n*4 c*4 v*2L*3)-lf5Q~*4/5
oo «poo poo oo · (8.80)

Zahlenwerte für f'(O) und J(O) sind in Tab. 8.4 zu finden. Weitere Angaben, wie
z.B. über die Strahlausbreitung, den Volumenstrom und den kinematischen Impuls
findet man in Gersten et al. (1980). Afzal (1980) beschreibt die Auftriebsstrahl-
Strömung längs einer senkrechten Wand, die entsteht, wenn die Energiequelle auf
der Vorderkante der Wand angeordnet ist (engl.: wall plume).

Pr /'{0) D{O)
--+0 0, 7537Pr 115 0, 4544 Pr2 15
0,01 0,2638 0,0721
0,1 0,3552 0,1784
0,7 0,4044 0,3733
1 0,4097 0,4275
5 0,4299 0,8226
10 0,4376 1, 1170
100 0,4555 3,3020
--+ 00 0,4667 0, 3196 Pr 112

Tabelle 8.4: Laminare Auftriebsstrahl-Strömung

8.4 Indirekte natürliche Konvektion


Bei der bisherigen Betrachtung der natürlichen Konvektionsströmung an der Platte
war zwar ein allgemeiner Neigungswinkel a eingeführt worden. Werte für a in
der Nähe von 0 und 1r mußten aber ausgeschlossen werden. Für diese Winkel
wird die plattenparallele Komponente der Erdbeschleunigung null, so daß eine
natürliche Konvektionsströmung im bisher behandelten Sinne nicht auftritt. Da
die anschließend zu beschreibende Konvektionsströmung auf indirektem Wege über
einen induzierten Druckgradienten zustande kommt, wird sie in Abgrenzung zu
den bisher behandelten (direkten) natürlichen Konvektionsströmungen als indirekte
natürliche Konvektion bezeichnet.
Bild 8.6 verdeutlicht den physikalischen Mechanismus, wobei der stationäre
Zustand beschrieben ist, der sich für große Zeiten nach einem instationären "Anfahr-
vorgang" einstellt. Bei einem Fluid, dessen Dichte mit steigender Temperatur ab-
nimmt, entsteht an einer horizontalen heißen Platte eine Grenzschichtströmung, wie
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 215

sie in Bild 8.6 gezeigt ist. Vor der Platte herrscht überall die Temperatur T~, so daß
eine lineare Druckverteilung mit dem Gradienten 8p* / 8y* = -Q'"oog* vorliegt. Über
der Platte ist die Temperatur im Grenzschichtbereich größer als T~, die Dichte also
kleiner als Q'"oo. Die verminderten Druckgradienten jßp* / 8y* I = [J* g* < Q'"oog* führen
zu einem verminderten Druck im Grenzschichtbereich. Dadurch entsteht aber ein
Druckgefälle in x* -Richtung. Dieser induzierte Druckgradient in x* -Richtung ist die
Ursache für die plattenparallele Strömung, die (analog zur direkten natürlichen Kon-
vektion) wieder Grenzschicht-Charakter besitzt. Dies soll im folgenden für die ho-
rizontale Platte (cosa = 1) mit der thermischen Randbedingung T:, = const > T~
erläutert werden.

- - DRUCKAB AHME _ ___._


(IN DER GRENZSCHICHT}
0
VERMINDERTER
SlAliSCHER
DRUCK
Bild 8.6: Indirekte natürliche Konvektion; Entstehung eines Druckgradienten op• jox• in der
Grenzschicht durch verminderten statischen Druck über der geheizten Platte.

Stewartson (1958) konnte als erster zeigen, daß auch für eine horizontale Platte eine
grenzschichtartige (selbstähnliche) natürliche Konvektionsströmung existiert, "ob-
wohl" die Auftriebskräfte dann senkrecht zur Plattenoberfläche wirken. Die zitierte
Arbeit von Stewartson enthält allerdings einen für die physikalische Interpretation
entscheidenden Vorzeichenfehler, auf den u.a. Gill et al. (1965) hinweisen.
Wie bei der direkten natürlichen Konvektion existiert eine charakteristische
Transportgeschwindigkeit u:
für den viskosen lmpulstransport, s. (8.1). Der zweite
Transportmechanismus ist jetzt aber der eben beschriebene konvektive Transport
aufgrund des indirekt erzeugten Druckgradienten. Folgende einfache Überlegung
führt auf die hierfür maßgebliche charakteristische Geschwindigkeit Uß.
Unterstellt man, daß Druck- und Trägheitskräfte von gleicher Größenordnung
sind, so gilt
1 ap• au· au·B_2
- - - "' U* ____!! "' _ _ (8.81)
Q~ 8x* B 8x* 8x* ·
216 K. Gersten/ H. Herwig

Da die maßgebliche Differenz zwischen dem Druck vor der Platte und dem Druck in
der erwarteten Grenzschicht (als charakteristischer Wert wird hier der Druck direkt
an der Wand gewählt) durch eine jeweils unterschiedliche vertikale Dichteschichtung
über die Höhe 8* (charakteristisches "Dickenmaß" der Grenzschicht) entsteht, gilt

6p* := (p~(y* = o)- p;_,) "'(e~- e;")g*8*. (8.82)

Mit der für die charakteristischen Größen gültigen Beziehung ßp* I ßx* "' 6p* I L *
folgt aus (8.81) mit (8.82) sofort

(e~ - e;,) 9• 8• = (8.83)


l?~

Da nun die Verweilzeit eines Fluidteilchens im Bereich der Platte mit der Länge
L* durch L* IUP, gegeben ist, kann die charakteristische Dicke 8* unmittelbar aus
dieser Verweilzeit und der charakteristischen (Quer-) Geschwindigkeit ermittelt u;
werden, wie dies ganz analog in (7.2) und (8.3) geschehen ist. Es gilt dann

* [ L * ] [ v~]
8 "' UP, 8*' =?
8* [ v~
L*"' UP,L*
]
1
/2
"'
[ v~2
g*L*(-6ej,Jie~
]
1/5
(8.84)

Ein Vergleich mit (8.3), dort gilt g~ = -g* (senkrechte Platte), zeigt den ähnlichen
Aufbau beider Beziehungen; die unterschiedlichen Exponenten entstehen, weil UP,
in (8.2) mit L *, UP, in (8.83) aber mit 8* gebildet ist.
Führt man wieder die Grashof-Zahl ein, so gilt mit der Defintion (8.15) unter
Berücksichtigung von (8.7) und (8.9)

für Gr ---+ oo . (8.85)

Der Vergleich mit (8.5) zeigt, daß gegenüber der direkten natürlichen Konvektion
nur eine (geringfügige) Änderung im Exponenten vorliegt. Es ist zweckmäßig, bei der
indirekten natürlichen Konvektion stets die Grashof-Zahl nach (8.15) zu benutzen.
Aufgrund des asymptotischen Charakters der Grenzschichtströmung für
Gr ---+ oo vereinfachen sich die vollständigen Grundgleichungen (4.1) bis (4.4) er-
heblich.
Anders als in den Grenzschichtgleichungen für direkte natürliche Konvektion,
(8.21) bis (8.27), spielen Druckänderungen jetzt aber eine entscheidende Rolle, wie
nach der Grenzschichttransformation und dem Grenzübergang Gr ---+ oo deutlich
wird. Analog zu (8.16), jetzt aber unter Beachtung von (8.85), werden folgende
Grenzschichttransformationen eingeführt (da nur gerade Wände betrachtet werden,
kann cos o: als Konstante ohne weiteres in die Transformation übernommen werden):

(8.86)
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 217

Die Bezugsgeschwindigkeit Uß in den Grundgleichungen ist bereits mit (8.83) für


den Spezialfall cos a = 1 festgelegt worden. Läßt man allgemeine Winkel a (in der
Nähe von 0 und 11") zu, lautet die erweiterte Beziehung unter Verwendung von (8.7)

( l::.e* )
u~ = g*cosa8*- (!~ 8 =[-K 8 cosag*L* 112 v* 112 ] 215 . (8.87)
Ql 8 00

Die Bezugsgeschwindigkeit Uß ist damit wohldefiniert für eine geheizte Platten-


oberseite (8 8 > 0, cosa > 0) und für eine gekühlte Plattenunterseite (8 8 < 0,
cosa < 0). Eine gekühlte Plattenoberseite bzw. eine geheizte Plattenunterseite er-
zeugen keine an der Vorderkante beginnende Grenzschicht, wie sie hier untersucht
wird.
Die Grenzschichtgleichungen, analog zu (8.30) bis (8.32), lauten für konstante
Stoffwerte (Grenzfall c:---. 0, s. dazu die Vorgehensweise in Abschnitt 8.2, Gleichung
(8.28) /Boussinesq-Approximation)

au av -0 (8.88)
ax +aN-

u-
au +v-
au = -ap 1; 5 ; a2 u
- +'!9Gr (cosa) 1 5 tana+ - - (8.89)
ax aN ax aN2

lo=-~+'!91 (8.90)

(8.91)

Der Term proportional zu Gr 115 in (8.89) beschreibt den Anteil der direkten
natürlichen Konvektion, der für a = 0 und a = 11" exakt null wird (tana = 0). Für
allgemeine Winkel a in der Nähe von 0 und 11" läßt sich unmittelbar die asymptotische
Bedingung für die Vernachlässigung dieses Termes erkennen. Es muß gelten

mit n > 1/5 für Gr---. oo.


Im weiteren soll unterstellt werden, daß diese Bedingung erfüllt ist, also aussch-
ließlich indirekte natürliche Konvektion vorliegt.
Das Gleichungssystem (8.88) bis (8.91) unterscheidet sich von (8.30) bis
(8.32) für die direkte natürliche Konvektion durch das explizite Auftreten des
modifizierten Druckes und den Austausch der "treibenden Kraft": Statt der direkten
Auftriebskraft ('!9 sin a in (8.31)) ist es jetzt die indirekte Auftriebskraft ('!9 in (8.90) ).
Die Randbedingungen (8.24) bis (8.27) bleiben unverändert.
Aufgrund der physikalischen Situation (keine ausgezeichnete Länge) ist wieder
eine selbstähnliche Lösung zu erwarten. Der Übergang auf das Ähnlichkeitssystem
218 K. Gersten/ H. Herwig

(x, ry) kann in enger Anlehnung an die Vorgehensweise in Abschnitt 8.3 erfolgen.
Zusätzlich zu den transformierten Größen j, J und "7 nach (8.34) muß ein trans-
formierter Druck eingeführt werden. DieN-Impulsgleichunglegt folgenden Ansatz
nahe:
(8.92)

Damit lauten die transformierten Grenzschichtgleichungen (8.88) bis (8.90) analog


zu (8.35)

! 111 + ä 1 JJ"- ä 3 !'2 = ä 4 (r 81' - !" 81 ) +


öx öx ä 8 g- ä 9 ryg' 89
+ ä 10 öx (8.93)

g' = J. (8.94)
Die Energiegleichung gilt unverändert in der Form (8.36).
Gegenüber der direkten natürlichen Konvektion ist ä 7 in (8.37) entfallen. Neu
hinzugekommen sind die Hilfsfunktionen
_ 8~ d(8N!JN) _ 8~ d8N _ 8~ ( )
as = UNl?N dx ag = UN dx ' aw = UN . 8.95
Die Lösungen sind selbstähnlich, wenn alle äi mit Ausnahme von ä 4 und ä 10
Konstanten sind und zusätzlich die Randbedingungen nicht von x abhängen. Mit
den Normierungsfunktionen nach (8.38) gilt neben (8.39) für ä 1 bis ä 6

- = c3c-lc-1(
ag n m r n + r ) X 3n-m-1
(8.96)
- - c3c-1
O:g- n m nx 3n-m-1 .
Bei Vernachlässigung der Dissipation (ä 6 = 0) folgt unmittelbar
2-r 1-3r
n=-5-, m=--5-. (8.97)

Der zunächst freie Exponent r ist durch die thermische Randbedingung bestimmt.
Soll stets J(o) = 1 gelten, folgt unmittelbar r = 0 für r:,
= const und r = 1/3 für
q: = const. Damit gilt n = 2/5, m = 1/5 für T:, = const und n = 1/3, m = 0 für
q: = const.
Die in der Literatur übliche Form der gewöhnlichen Differentialgleichungen
erhält man mit der Wahl der noch freien Konstanten zu Cn = Gm = Cr = 1. Für
r:, = const gilt z.B. (vgl. Stewartson (1958))

! 111 + ~ f !"- ~ !' 2 = ~(g- "79 1) (8.98)


5 5 5
g' =:;? (8.99)

J" + ~PrJJ'
5
= 0 (8.100)
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 219

mit den Randbedingungen

1] = 0: f=!'=J-1=0 (8.101)
!' = :a = 0. (8.102)

Zahlenwerte aus der Lösung z.B. für Pr= 0, 72 sind J.:;


= 0, 9787 und J' = -0,3574,
s. Gill et al. (1965).
Damit können der Reibungsbeiwert cf und die Nußelt-Zahl Nu angegeben
werden. Von Wiekern (1987) sind aus den Lösungen für Pr -+ 0 und Pr -+ oo
Näherungsgleichungen (nach der Methode von Churchill und Usagi (1972)) für
beliebige Prandtl- Zahlen bereitgestellt worden. Danach gilt an einer Stelle x* = L *
mit den Definitionen cf := 2r;,/(r;/~UB 2 ), Nux := q:,.x* j(>.."oo(T:;,- T~)), Gr nach
(8.15) und UB nach (8.87)
cfGr 115 = 2[(1, 231 Pr- 3 110 )- 3 •2 + (0, 975 Pr- 215 )- 3 •2 t 113 •2 (8.103)

NuxGr- 115 = [(0,576Pr 213 )- 2 •7 + (0,456Pr 115 )- 2 •7 t 112 •7 . (8.104)

Bezüglich der entsprechenden Ergebnisse für die thermische Randbedingung q:,. =


const sei auf die Originalarbeit verwiesen (Wickern (1987)).

Beispiel 8.1: Bestimmung des Wärmestroms an der Wand


Anhand der Beziehung für die Nußelt-Zahl soll bestimmt werden, wie groß die Wärmestromdichte
q:, in einer Entfernung L • = 0, 1 m von der Vorderkante der Platte mit T; - T;, = 10 K
(T;, = 293 K) in Luft ist (s. Anhang A2: v;,
= 15, 3 · w- 6 m 2 /s, A-::0 = 0, 026 W /mK,
ß::O = 1/293 = 0, 0034, Pr= 0, 72), und zwar
a) für eine horizontale Platte, b) für eine vertikale Platte.
Für die Grashof-Zahl gilt als Zahlenwert in beiden Fällen 1, 43 · 106 .
a) Nach (8.104) gilt für die horizontale Platte

Nux = 5,84 '* q;, = 15,2 W/m2


b) Nach (8.50) gilt für die vertikale Platte

Nux=14,1 '* q;,=36,5W/m2 •


Erwartungsgemäß ist der Wärmeübergang bei der direkten natürlichen Konvektion größer, im
vorliegenden Beispiel etwa 2,4 mal so groß wie bei der indirekten natürlichen Konvektion.
220 K. Gersten/ H. Herwig

8.5 Weiterer Einfluß variabler Stoffwerte

Die bisher in Kap. 8 behandelten Strömungen kommen nur zustande, weil die
Dichte temperaturabhängig ist. Es handelt sich also um eine Strömung mit einem
variablen Stoffwert. Im Rahmen der Boussinesq-Approximation reichte es aus, die
Dichtevariationen als{!= 1+Ku1 e, also unter Vernachlässigung aller Terme höherer
Ordnung (8 2 , e 3 , ... ), zu berücksichtigen.
In diesem Abschnitt sollen die für die direkte natürliche Konvektion (Ab-
schnitt 8.3) bisher vernachlässigten Dichte-Effekte sowie der Einfluß der Tempe-
raturabhängigkeit aller anderen Stoffwerte berücksichtigt werden. Dazu wird wie-
der die in Abschnitt 5.4.2 beschriebene asymptotische Methode benutzt. Nach der
systematischen Anwendung dieser Methode kann das Ergebnis in Form der sog.
Stoffwertverhältnis-Methode angegeben werden (für Einzelheiten s. Herwig et al.
(1985)). Wenn mit cro, Nu0 und Two die Ergebnisse im Rahmen der Boussinesq-
Approximation bezeichnet werden, lauten die Korrekturbeziehungen zur Berück-
sichtigung der einzelnen Stoffwert-Effekte

;r =
fO
(ewTJw)mQTI (ew!ßw)mQß (ew.Xw)mQ>. c~~ (8.105)

Nu
r; = const: Nu = (ewTJwtQTI (ewlßw)nQß (ew.Xw)nQ>. C~~ (8.106)
0
T
q:_. = const: T w = (ew'fJw)kQT/ (ew/ ßw)kQß Ü?w.Xw)kQ>.c~~ · (8.107)
wO

Zahlenwerte für die Exponenten in (8.105) bis (8.107) sind in Tab. 8.5 für die
Plattenströmung (direkte natürliche Konvektion) enthalten, weitere Zahlenwerte
finden sich in der Originalarbeit Herwig et al. (1985).
Im Vergleich zu den entsprechenden Korrekturbeziehungen bei erzwunge-
ner Konvektion (Abschnitt 7.7.2, (7.138) bis (7.140)) treten zwei Änderungen auf.
Wegen der gegenseitigen Kopplung der Impuls- und Energiegleichung bei natürli-
cher Konvektion treten alle Stoffwert-Einflüsse auch in der Reibungsbeiwertkor-
rektur (8.105) auf, während (7.138) nur die Stoffwerte enthält, die in der Im-
pulsgleichung auftreten. Da die Größen nullter Ordnung (cro• Nu0 , Two) bereits
unter der Wirkung des linearen Temperatur-Terms der Dichte-Entwicklung (also:
{! = 1 + K" 1 8) zustande kommen, muß in den Korrekturfunktionen (8.105) bis
(8.107) der nächste Term der Taylor-Reihenentwicklung von {! berücksichtigt wer-
den (also: e= 1+Ku1 8+0,5K"2 e 2 , s. auch (5.20)). Dies führt dazu, daß jetzt
zusätzlich der "Stoffwert" ß nach der Definition (8.9) in den Korrekturfunktionen
auftritt, da mit Kß 1 := (aß*/ßT*) 00 (T~/ß~) gilt Ku 2 = KßdKul·
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 221

(a) T:, = const


Pr 00 ml/11 m(lß m(/"' mc n(/11 n(lß n(/"' nc
---+0 0,5000 -0,3750 0 0 0 -0,0703 0,3314 0,2233
0,01 0,4521 -0,3504 0,0383 -0,0137 -0,0247 -0,0703 0,3514 0,2034
0,1 0,3891 -0,3414 0,0825 -0,0288 -0,0652 -0,0701 0, 3840 0,1710
0, 7 0,3232 -0,2908 0,1241 -0,0399 -0,1181 -0,0690 0,4245 0,1315
1,0 0,3123 -0,2857 0,1305 -0,0412 -0,1275 -0,0686 0,4312 0,1252
7,0 0,2616 -0,2642 0,1570 -0,0463 -0,1666 -0,0655 0,4556 0,1039
10,0 0,2539 -0,2616 0,1604 -0,0470 -0,1716 -0,0650 0,4582 0,1019
100,0 0,2187 -0,2508 0,1745 -0,0502 -0,1930 -0,0627 0,4676 0,0948
-t 00 0,2151 -0,2389 0,1778 -0,0509 -0,2059 -0,0613 0,4721 0,0916

(b) q;, = const


Pr 00 ml/11 m(/ß me>- mc kl/11 keß kll-" kc
---+0 0,5101 -0,3167 -0,1830 -0,1337 0 0,0512 -0,2593 -0,1895
0,01 0,4763 -0,2975 -0,1640 -0,1335 0,0215 0,0519 -0,2777 -0,1704
0,1 0,4344 -0,2721 -0,1437 -0,1283 0,0552 0,0525 -0,3058 -0,1417
0,7 0,3944 -0,2446 -0,1274 -0,1173 0,0961 0,0523 -0,3376 -0,1101
1,0 0,3880 -0,2402 -0,1249 -0,1153 0,1030 0,0520 -0,3426 -0,1054
7,0 0,3569 -0,2218 -0,1125 -0,1092 0,1318 0,0500 -0,3604 -0,0896
10,0 0,3522 -0,2195 -0,1106 -0,1089 0,1356 0,0497 -0,3623 -0,0880
100,0 0,3291 -0,2104 -0,1022 -0,1082 0,1513 0,0481 -0,3692 -0,0827
-t 00 0, 3137 -0,2057 -0,0975 -0,1081 0,1608 0,0471 -0,3726 -0,0803

Tabelle 8.5: Exponenten für die Plattenströmung bei direkter natürlicher Konvektion

8.6 Zusammenfassung
1.) Sind die treibenden Kräfte bei natürlichen Konvektionsströmungen Auf-
triebskräfte, so spricht man von direkter natürlicher Konvektion (Abschnitte
8.2, 8.3). Wird die Strömung durch einen Druckgradienten bewirkt, der sei-
nerseits durch Dichteunterschiede induziert ist, handelt es sich um indirekte
natürliche Konvektion (Abschnitt 8.4).
222 K. Gersten/ H. Herwig

2.) Die natürlichen Konvektionsströmungen nehmen bei großen Grashof-Zahlen


Grenzschichtcharakter an. Eine einfache Überlegung bezüglich der beteiligten
Impuls-Transportmechanismen führt auf die asymptotische Größenordnung
der Grenzschichtdicken, s. (8.5) bzw. (8.85).
3.) Die Grenzschichtgleichungen entstehen aus den Navier-Stokes-Gleichungen
und der Energiegleichung nach einer Transformation (s. (8.16) bzw. (8.86)) der
Querkoordinate y und der Quergeschwindigkeit v durch den Grenzübergang
Gr-+ oo.
4.) Mit einer Reihenentwicklung aller Stoffwerte bezüglich ihrer Temperatur-
abhängigkeit zeigt sich, daß bei direkter natürlicher Konvektion von allen
Stoffwerteinflüssen in der führenden Ordnung nur die Dichtevariation e*(T*)
im Auftriebsterm berücksichtigt werden muß. Es handelt sich dabei um den
Grenzfall des asymptotisch geringen Wärmeüberganges (c -+ 0 mit c nach
(5.25)), der als Boussinesq-Approximation bezeichnet wird. In dieser führen-
den Ordnung muß dabei nur der lineare Term der Taylor-Reihenentwicklung
von e*(T*) berücksichtigt werden.
5.) Soll der Einfluß des quadratischen Terms der Taylor-Reihenentwicklung von
e* (T*) miterfaßt werden, so müssen gleichzeitig die linearen Terme aller an-
deren Stoffwertentwicklungen berücksichtigt werden. Nur so kann der Einfluß
variabler Stoffwerte bei direkter natürlicher Konvektion asymptotisch korrekt
erfaßt werden (s. Abschnitt 8.5).
6.) Bestimmte Grenzschichten besitzen die Eigenschaft der Selbstähnlichkeit, d.h.
sie können nach einer entsprechenden Ähnlichkeitstransformation (Normie-
rung, (8.34) bzw. (8.92)) durch gewöhnliche Differentialgleichungen beschrie-
ben werden. Aus physikalischer Sicht sind dies Grenzschichten an Körpern
ohne charakteristische Länge (z.B.: halbunendliche Platte).
9 Grenzschichtströmungen bei gemischter Konvektion

9.1 Vorbemerkung
Eine Strömung kann grundsätzlich durch zwei verschiedene Mechanismen zustande
kommen.
(1) Durch "von außen" aufgeprägte Kräfte; diese können entweder durch Druck-
gradienten, wie z.B. bei der Rohrströmung, oder durch an der Wand übertra-
gene Schubkräfte, wie z.B. bei der Couette-Strömung, hervorgerufen werden.
In diesen Fällen spricht man von erzwungener Konvektion.
(2) Durch "innere" Volumenkräfte aufgrund von Dichteunterschieden in der
Strömung; diese können als direkte Auftriebskräfte oder indirekt über einen
induzierten Druckgradienten wirken. Man spricht in diesen Fällen von natürli-
cher Konvektion. In diesem Zusammenhang werden im vorliegenden Buch
nur Druckunterschiede betrachtet, die durch Temperaturgradienten entste-
hen. Effekte natürlicher Konvektion können also hier nur bei nicht-isothermen
Strömungen auftreten.
Im allgemeinen Fall kommen beide Mechanismen gleichzeitig vor, weshalb man dann
auch von gemischter (erzwungener und natürlicher) Konvektion spricht.

9.2 Grundgleichungen für gemischte Konvektion


Die allgemeinen dimensionslosen Grundgleichungen (stationär, zweidimensional)
(4.1) bis (4.5) enthalten fünf Kennzahlen K 1 bis K 5 , s. (4.6), die bei der Entdi-
mensionierung mit charakteristischen Größen entstanden sind. Da zwei verschiedene
physikalische Effekte vorhanden sind, existieren auch zwei verschiedene charakteri-
stische Geschwindigkeiten. Jede für sich ist grundsätzlich als Bezugsgeschwindigkeit
geeignet.
Die allgemeinen Grundgleichungen enthalten die reinen erzwungenen bzw.
natürlichen Strömungen jeweils als Grenzfälle.

(1) Grenzfall der reinen erzwungenen Konvektion


Als Bezugsgeschwindigkeit wird eine charakteristische Geschwindigkeit für erzwun-
gene Konvektion gewählt (z.B. die Anströmgeschwindigkeit U~,). In (4.2) und (4.3)
224 K. Gersten/ H. Herwig

folgt als asymptotische Bedingung für die Vernachlässigung von Effekten natürlicher
Konvektion
g*L* l?*
Kd1 - l?] ---+ 0, Kl = U*2' [J= *' (9.1)
B l?B
was z.B. für eine isotherme Strömung (l? = 1) stets erfüllt ist. Es ist zu beachten,
daß die Effekte der natürlichen Konvektion nicht allein aus Geometriegründen
vernachlässigbar sein können, da sowohl sin a als auch cos a in den Gleichungen
auftritt.

(2) Grenzfall der reinen natürlichen Konvektion


Um diesen Grenzfall beschreiben zu können, müssen die Grundgleichungen mit einer
für Effekte natürlicher Konvektion charakteristischen Geschwindigkeit entdimensio-
niert werden. Dabei wird die Reynolds-Zahl formal in die Grashof-Zahl übergeführt,
üblicherweise so, daß formal Re= Gr 1/ 2 in den Kennzahlen K 2 bis K 5 nach (4.8)
gilt. Anschließend ist es aber nicht möglich, die Effekte der erzwungenen Konvek-
tion bestimmten Termen der Grundgleichungen zuzuordnen, die dann im Grenzfall
wegfallen würden. Vielmehr entsteht der Grenzfall der reinen natürlichen Konvek-
tion durch den Fortfall der aufgeprägten Kräfte, was sich im allgemeinen durch
entsprechende Änderungen in den Randbedingungen äußern wird.

9.3 Grenzschichtgleichungen für gemischte Konvektion


Wenn als Bezugsgeschwindigkeit zunächst die charakteristische Geschwindigkeit des
Anteils der erzwungenen Konvektion U~ gewählt wird, können die Grenzschicht-
gleichungen vollständig aus Kap. 7 ( Grenzschichtströmungen bei erzwungener Kon-
vektion) übernommen werden, allerdings nur in einer Form, die noch variable Dichte
zuläßt. Dies sind die Gleichungen (7.19) bis (7.22), die hier noch einmal aufgeführt
werden sollen. Es wird aber von vornherein Ec = 0 (keine Dissipation) gesetzt.

ö(Qu) ö(Qv) _ 0
~+ öN- (9.2)

(9.3)

0 = - :~ + Re- 112 ~ (1- Q) cosa


2 (9.4)

(9.5)

In diesen Gleichungen lassen sich zwei Effekte natürlicher Konvektion identifizieren.


9 Grenzschichtströmungen bei gemischter Konvektion 225

(1) Fr- 2 (1- Q) sinn: in (9.3) beschreibt den Effekt direkter natürlicher Konvek-
tion.
(2) Re- 112Fr- 2 (1- Q) coso: in (9.4) beschreibt den Effekt indirekter natürlicher
Konvektion.
In Kapitel 8 wurden Strömungen behandelt, die ausschließlich durch einen die-
ser Effekte zustande kommen. Dort wurde dann als Bezugsgeschwindigkeit selbst-
verständlich nicht U::.O, sondern die charakteristische Geschwindigkeit des jeweils
betrachteten Effektes gewählt. Diese beiden Geschwindigkeiten werden im weiteren
als Ußd (direkte natürliche Konvektion) und Ußi (indirekte natürliche Konvektion)
bezeichnet.
Schreibt man die beiden Terme natürlicher Konvektion in (9.3) bzw. (9.4)
formal auf ihre "natürlichen" Bezugsgeschwindigkeiten um, so entstehen Potenzen
der Verhältnisse UP,d/U::.O und UP,)U::.O jeweils als Vorfaktoren, die dann physikalisch
anschaulich interpretiert werden können. Es gilt unter Verwendung von UP,d =
[(g*sino:)L*ß*~TP,jl/ 2 und UP,i = [(g*coso:)L* 1 1 2 v* 1 1 2 ß*~TP,] 2 1 5 mit cKu1 =
-ß*~TP,
2
-
U* )
1 (1- Q) sinn:= ( ___1M Q- 1
-- = -Gr2 -
Q- 1 .
- smo: (9.6)
2
Fr U~ cKu 1 Re cKu 1

-1/2 1 _ ( UP,i ) 512 Q - 1 _ Gr Q - 1 (9.7)


Re - 2 (1- Q)coso:- -U* ~- --s[2 ~coso:.
Fr oo c u1 Re c ul
Die Verhältnisse [UP,d/U::.CJ2 und [UP,)U::.CJ 512 können als zwei Parameter des Glei-
chungssystems aufgefaßt werden. Sie legen fest, wie die drei darin vorkommenden
Effekte (erzwungene, direkte natürliche, indirekte natürliche Konvektion) unterein-
ander gewichtet sind. Diese Verhältnisse sollen jetzt formal als Parameter eingeführt
werden. Auf der Basis von (9.6) und (9.7) wird definiert
Gr
P 1 := Re 2 sin o: (9.8)

Gr -1/2 (9.9)
P11 := ~12 coso: = P1 Re coto:.
Re
Die Grenzschichtgleichungen (9.2) bis (9.5) gelten asymptotisch für
Re--> oo, s. Kap. 7. Sollen mit diesen Gleichungen gemischte Konvektionsströmun-
gen beschrieben werden, muß im Sinne einer asymptotischen Bedingung (Prinzip
der geringsten Entartung der Differentialgleichung, s. Kap. 11) zusätzlich gelten

P1 = 0(1) für Re --> oo, Gr --> oo, o: fest. (9.10)

Mit dieser Forderung wird die "Stärke" der beiden Effekte (hier zunächst erzwun-
gene und direkte natürliche Konvektion) in einem asymptotischen Sinne als gleich
unterstellt. Dies ist deutlich an (9.6) zu erkennen, da mit (9.10) UP,d "' U::.O gilt.
226 K. Gersten/ H. Herwig

Beide Bezugsgeschwindigkeiten sind als charakteristische Geschwindigkeiten aber


gerade ein Maß für die "Stärke" der jeweiligen Effekte. Trotzdem verbleibt die
Möglichkeit, daß der Grenzfall der reinen erzwungenen Konvektion in den Grenz-
schichtgleichungen erreicht wird, jetzt aber nicht in einem asymptotischen, sondern
in einem "algebraischen" Sinn: Der Parameter PI ist zwar asymptotisch von der
Größenordnung 0(1), kann aber sehr wohl algebraisch den Zahlenwert PI = 0 an-
nehmen.
Bildet man aus (9.6) und (9. 7) das Verhältnis beider Effekte der natürlichen
Konvektion, so gilt
. d"1rekt
m ~ P,11 _ R _ 112 ~ R __
_e -l/ 2
d" k -p, - e cot o: ~ für o:--+ 0. (9.11)
1ret I o:
Das Verhältnis (9.11) zeigt, daß die indirekte natürliche Konvektion im Grenzfall
Re --+ oo gegenüber der direkten natürlichen Konvektion vernachlässigt werden
kann, solange die Winkeldifferenz zur Horizontalen nicht asymptotisch klein ist
(d.h., daß nicht gilt o: + jrr = O(Re- 112 ); j = 0, 1). An einem allgemeinen zy-
lindrischen Körper (0 ::::; o: ::::; 2rr) liefert die indirekte natürliche Konvektion nur im
Bereich kleiner Winkeldifferenzen zur Horizontalen einen Beitrag, der mit den ande-
ren Effekten vergleichbar ist. Für die Bestimmung des Impuls- und Wärmeübergan-
ges am gesamten Körper, für die eine Integration über einen Winkelbereich der
Größenordnung 0(1) erfolgt, kann dieser Effekt wiederum als asymptotisch klein
(Effekt höherer Ordnung) vernachlässigt werden.
Bisher war nicht unterstellt worden, daß e = 6TBfTP, klein sei (dann gilt
nach (5.26) e --+ 1). Folgerichtig sind deshalb alle Stoffwerte noch als variabel
zugelassen. Betrachtet man aber den Grenzfall e --+ 1, so erhält man auch hier
eine Näherung im Sinne der Boussinesq-Approximation, wie sie in Kap. 8 für die
reine natürliche Konvektion eingeführt worden war (s. dort (8.28) bis (8.33)). Bei
dieser Näherung wird von der Taylor-Reihenentwicklung der Dichte nur der lineare
Term berücksichtigt, alle anderen Stoffwerte sind konstant.
Im Grenzfall e --+ 1 lauten die Grenzschichtgleichungen für gemischte Kon-
vektion, in denen unterstellt wird, daß die Effekte der natürlichen und der erzwun-
genen Konvektion asymptotisch von gleicher Größerordnung sind (s. dazu auch die
folgende Anmerkung), mit e = 1 + eKe 1'!9 + O(e 2 ), also (e -1)/(e Ke 1 ) = '!9 + O(e),
8u 8v _ 0
8x + 8N- (9.12)

8u _ 8u 8p 8 2u
u-+v 8 N =--+--+R'!9 (9.13)
8x 8x 8N2
8p
0 = -8N +Pn'!9 (9.14)

8'!9 8'!9 1 8 2 '!9


u 8x + v8N = Pr 8N2 . (9.15)
9 Grenzschichtströmungen bei gemischter Konvektion 227

Die Gleichungen besitzen als Parameter die Prandtl-Zahl Pr und die beiden
"Verhältnisparameter" PI und P11 nach (9.8) bzw. (9.9). Die Randbedingungen
lauten wie diejenigen für reine erzwungene Konvektion, s. Abschnitt 7.2.
Anmerkung (Alternative asymptotische Näherung)
Mit (9.10) wurde das Prinzip der geringsten Entartung angewandt, was hier bedeutet, daß auch im
Grenzfall Re -+ oo die natürliche Konvektion eine Rolle spielen soll und somit in den Gleichungen
die Terme erhalten bleiben müssen, die dieses Phänomen beschreiben. Aus (9.6) geht hervor,
daß dies gleichbedeutend mit der Forderung Fr- 2 (1 - 12) = 0(1) ist. Das bedeutet, daß für
12 -+ 1, wie in der Boussinesq-Approximation gefordert, Fr- 2 = g* L* /U~ -+ oo gelten muß.
Bei verschwindendem Wärmeübergang (12-+ 1) muß also entweder eine große Länge L* vorhanden
sein, über die dann auch bei kleinen Heizraten beträchtliche natürliche Konvektionseffekte erreicht
werden, oder die Geschwindigkeit U~ muß sehr klein werden, was eine schwache erzwungene
Konvektion bedeutet.
Die Forderung (9.10) ist aber nicht zwingend, sondern führt nur zu einem bestimmten
Modell, mit dem dann Strömungen beschrieben werden können, bei denen beide Effekte von
gleicher Bedeutung sind.
Will man Strömungen beschreiben, bei denen die natürliche Konvektion nur eine kleine
Störung der erzwungenen Konvektion darstellt, wird man auf (9.10) verzichten und statt dessen
Fr- 2 = 0(1) fordern. Dann ist der gesamte Auftriebsterm für 12-+ 1 von der Größenordnung O(e),
so daß gleichzeitig mit der Berücksichtigung des Auftriebs als Effekt höherer Ordnung auch die
Einflüsse aller anderen Stoffwerte, also z.B. von (12-+ 1) in den Trägheitstermen und (77 -+ 1) im
Reibungsterm von (9.3) berücksichtigt werden müssen. Bezüglich der Dichtevariationen ist dies
dann nicht mehr die Boussinesq-Approximation.

9.4 Grenzschichten an einer beliebig geneigten ebenen Platte


Die Grenzschichtgleichungen (9.12) bis (9.15) sollen jetzt auf die Strömung an einer
beliebig geneigten (0 ::=:; o: ::=:; 2 1r) ebenen Platte angewandt werden. Das Ziel ist
es, die Gesamtheit aller möglichen Grenzschichtlösungen zu erfassen, in der alle
Spezialfälle (z.B. reine erzwungene Konvektion oder reine natürliche Konvektion)
enthalten sind. Die folgenden Ausführungen stützen sich im wesentlichen auf eine
sehr ausführliche Studie von Wiekern (1987, 1991), in der für die beiden thermischen
Randbedingungen r:,
= const und q~ = const der Impuls- und Wärmeübergang
(mit konkreten numerischen Ergebnissen für Pr= 0, 72) berechnet worden sind.
Da die drei beteiligten Effekte untereinander sowohl "gleichgerichtet" als
auch "gegenläufig" auftreten können, kommt es in verschiedenen Situationen zu
abgelösten Strömungen, wobei sowohl singuläre als auch reguläre Annährungen
an den Punkt verschwindender Wandschubspannung auftreten. Dies führt dazu,
daß in dem allgemeinen Lösungsfeld, das durch PI und P11 aufgespannt wird,
nicht alle Parameterkombinationen zu Lösungen im Rahmen der hier vorliegenden
Grenzschichttheorie führen. Bild 9.1 zeigt für die thermische Randbedingung = r:,
const den Bereich der möglichen Grenzschichtlösungen.
Obwohl die Strömungen mit jeweils nur einem der drei beteiligten Effekte für
sich genommen stets selbstähnlichen Charakter haben (und damit mathematisch
auf gewöhnliche Differentialgleichungen führen, s. (7.47), (8.45) und (8.46) sowie
228 K. Gersten/ H. Herwig

0.5

Pr

nicht
0.0
erreichbar

si Bild 9.1: Bereich der möglichen


Grenzschichtlösungen bei einer
beliebig geneigten ebenen Platte
(thermische Randbedingung
-0.5 T:, = const); Ausschnitt aus dem
-0.5 0.0 0.5 (P1, Pu)-Parameterfeld
~I

(8.98) bis (8.100)), sind partielle Differentialgleichungen zu lösen, sobald mindestens


zwei Effekte beteiligt sind. Die physikalische Erklärung dafür ist, daß sich die drei
Effekte unterschiedlich bezüglich der Lauflänge L * verhalten und somit bei einer
Kombination dann eine charakteristische Länge in das Problem einführen (z.B. die
Länge von der Vorderkante bis zur Ablösestelle).
Interpretiert man die Bezugsgeschwindigkeiten der Einzeleffekte als Maß für
die "Stärke" der jeweiligen Effekte, so ergeben sich deren Lauflängen-Abhängigkei-
ten wie folgt.

(1) reine erzwungene Konvektion: Uß"" (L*) 0

(2) reine indirekte natürliche Konvektion: Uß ""(L*) 115

(3) reine direkte natürliche Konvektion: Uß ""(L*) 112 .

Diese Aufzählung verdeutlicht, daß bei Vorhandensein aller drei Effekte für L * --> 0
stets die reine erzwungene Konvektion dominiert, während für L * --> oo stets die
direkte natürliche Konvektion überwiegt. Dies ist physikalisch leicht einsehbar, da
in der Nähe der Vorderkante (L* --> 0) einer Platte noch nicht genug thermische
Energie übertragen worden ist, um nennenswerte natürliche Konvektionseffekte zu
ermöglichen. Andererseits wächst der Effekt der direkten natürlichen Konvektion
mit steigender übertragener thermischer Energie (L* --> oo) unbegrenzt an, und
zwar stärker als derjenige der indirekten natürlichen Konvektion.
Wenn alle drei Effekte vorhanden sind, muß eine Rechnung also stets an der
Vorderkante (x* = 0) mit der Blasiusschen Lösung für erzwungene Konvektion als
Anfangsbedingung beginnen.
Um die Zuordnung der Ergebnisse zur realen Strömungssituation zu erleich-
tern, empfiehlt es sich, die Parameter P1 und Pu noch einmal durch ihre dimensi-
9 Grenzschichtströmungen bei gemischter Konvektion 229

ansbehafteten Einzelgrößen darzustellen. Es gilt


g* L *ß* t0,Tß .
PI= U* 2 sma (9.16)
00

- g* L •1/2 ß* t0,Tß v*
Pn- u~/ 2 cosa. (9.17)

Wie man sich leicht überzeugen kann, bedeuten positive Werte von PI bzw. Pn,
daß die erzwungene Konvektion durch den jeweiligen natürlichen Konvektionseffekt
unterstützt wird, negative Werte bedeuten physikalisch ein Entgegenwirken, was
zur Folge hat, daß die Strömung "in Richtung Ablösung" beeinflußt wird.
Stellt man sich anschaulich eine Situation vor, bei der g*, ß*, t0,Tß, a, v*
und u~ vorgegebene feste Größen sind, so ist die einzige freie Variable in PI und
Pn die Lauflänge L *. Verschiedene Werte von L * beschreiben dann die gesuchte
Lösung in verschieden großen Abständen von der Vorderkante, so daß die Lauflänge
L * in dieser Interpretation auch durch die Koordinate x* ersetzt werden könnte.
In der hier gewählten Vorstellung besteht dann natürlich eine Kopplung zwischen
den Parametern. Da PI "' L* und Pn "' L* 112 gilt, liegen alle Lösungspunkte für
wachsenden Abstand von der Vorderkante (bei festem g*, ß*, t0,Tß, a, v* und U~)
auf der Kurve
(9.18)
also auf einer Parabel im (PI, Pn)-Diagramm. Für die Konstante C folgt aus (9.16)
bis (9.18)
U* 3 sin a Re 3 sin a
C= oo =-----. (9.19)
g* ß* t0,Tßv* 2 cos 2 a Gr cos 2 a

Bild 9.2: Lage der Lösungen im


(P1, Pu)-Parameterfeld längs einer
ebenen Platte für steigende Lauflängen
L * bei festen Werten g*, ß*, ll.Tß,
a, v* und u;;,. Eingezeichnet sind
verschiedene Parabeln gemäß (9.18)
mit C = const.
230 K. Gersten/ H. Herwig

In Bild 9.2 sind die Linien mit C = const eingezeichnet. Die Pfeile deuten in Rich-
tung wachsender Lauflänge. In diesem Diagramm wird noch einmal deutlich, daß
die Strömungen an der Vorderkante stets mit der reinen erzwungenen Konvektion
beginnen (im Ursprung des PI, Pu-Diagrammes) und daß für große Lauflängen der
Einfluß der direkten natürlichen Konvektion überwiegt (betragsmäßig große Werte
von PI)·

~ .60

7
.56
6

3 -3

2
-5
-0.8 -0.6 -0.20 0.4 0.8 1.2 1.6 .04 .12 .20 .24 .28 .32 .36 .40
Bild 9.3: Höhenlinien-Diagramme für r; = const, Pr= 0, 72
(b) für Nu Re- 112 x 112

u· L* x•
NU :=
q• L*
.-
Re ·-~
v• ' X:= L•' ---==w----:-
.>.•(T;- T~)

Die in Bild 9.3 enthaltenen Höhenlinien gestatten es, die Werte crRe 112 x 112 und
NuRe- 112 x 112 für den FallT:, = const und Pr = 0, 72 abzulesen. Aus Gründen
der Übersichtlichkeit sind die Parabeln nach Bild 9.2 nicht noch zusätzlich in
das Bild aufgenommen worden. Im Ursprung des Diagramms liegt die Blasiussche
Plattenlösung mit crRe 112 x 112 = 0, 664 und NuRe- 112 x 112 = 0, 293 (vgl. Kap. 7,
(7.49) und (7.101)).
9 Grenzschichtströmungen bei gemischter Konvektion 231

Die Strömungen in den einzelnen Quadranten des Diagramms haben physika-


lisch gesehen einen sehr unterschiedlichen Charakter und sollen jetzt im einzelnen
beschrieben werden.

Quadrant 1; P1 > 0, Pn > 0:


In diesen Fällen wird die Grundströmung der erzwungenen Konvektion durch
beide Arten der natürlichen Konvektion beschleunigt. Für alle Lösungen in diesem
Quadranten steigen daher sowohl der Reibungsbeiwert er als auch die Nußelt-Zahl
Nu mit der Lauflänge monoton an.

Quadrant 2; P1 > 0, Pn < 0:


In diesem Quadranten ist die Strömungssituation sehr viel komplizierter. Die
Grundströmung wird durch die indirekte natürliche Konvektion zunächst verzögert
(Pn < 0), durch die direkte natürliche Konvektion aber wieder beschleunigt
(P1 > 0). Es gibt nun einen Grenzfall, bei dem gerade an einer Stelle auf der
Platte die Wandschubspannung r:,= 0 erreicht wird, für größere Lauflängen
aber wieder Werte r:, > 0 gelten. Dieser Fall tritt für Ckrit = 4, 4366 ein
und stellt die Grenzparabel im Quadranten 2 dar. Rechnungen für C < Ckrit
führen zu flacher verlaufenden Parabeln, die physikalisch einer stärker wirkenden
indirekten natürlichen Konvektion entsprechen und damit dann Fälle mit Ablösung
darstellen. Die Grenzschichtlösungen zeigen bei Annäherung an die Ablösestelle
singuläres Verhalten und können aus diesem Grunde nicht weitergeführt werden.
Diese Begrenzung ist in den Diagrammen (s. besonders auch Bild 9.1) durch die
Linie "singulär" gegeben.

Quadrant 3; P1 < 0, Pn < 0:


Beide Arten von natürlicher Konvektion verzögern die erzwungene Grundströmung,
so daß es zwangsläufig mit wachsender Lauflänge zur Ablösung kommt. Da auch hier
ein singuläres Lösungsverhalten vorliegt, sind alle Rechnungen längs entsprechender
Parabeln an der Linie "singulär" nicht fortführbar. Diese "singuläre Linie" endet
genau auf der vertikalen Achse (P1 = 0).

Quadrant 4; P1 < 0, Pn > 0:


Bei Strömungen in diesem Quadranten wird die erzwungene Grundströmung durch
die indirekte natürliche Konvektion beschleunigt (Pn > 0), durch die direkte
natürliche Konvektion aber verzögert (P1 < 0). Aufgrund der bisherigen Überle-
gungen ist dieser letzte Effekt für große Lauflängen stets dominierend, so daß jede
Strömung in diesem Quadranten für L* ---+ oo (s. Bild 9.2) zwangsläufig ablöst.
Anders als in den Quadranten 2 und 3 ist die Lösung an der Ablösestelle aber
vollständig regulär und kann deshalb auch im Rahmen der Grenzschichtnäherungen
232 K. Gersten/ H. Herwig

über den Punkt r:,


= 0 hinaus fortgesetzt werden. Bild 9.3 a enthält daher auch
Ergebnisse für negative er Werte.
Für Einzelheiten der Lösungen sowie für Ergebnisse bei q;_ = const, die
qualitativ denen bei r:,
= const entsprechen, sei auf die Originalarbeit von Wiekern
(1987) verwiesen.
Anmerkung (Auftriebseffekte beim Wandstrahl)
Schilawa (1981) untersucht im Zusammenhang mit Auftriebseffekten in laminaren Grenzschichten
an horizontalen Wänden insbesondere den WandstrahL Dabei unterscheidet er nach den Fällen
"geheizter Wandstrahl" und "heißer Wandstrahl", je ne.chdem ob der Wärmeübergang an einen un-
geheizt ankommenden Wandstrahl erfolgt oder ob dieser mit einer von der Umgebungstemperatur
verschiedenen Temperatur ankommt. In beiden Fällen vergrößert der Auftrieb die Wandschubspan-
nung. Der Wärmeübergang nimmt aufgrund von Auftriebseffekten beim geheizten Wandstrahl zu,
beim heißen Wandstrahl jedoch ab.

9.5 Zusammenfassung
1.) Die Grundgleichungen für gemischte Konvektion beschreiben den "allgemei-
nen Fall". Sie enthalten die reine erzwungene Konvektion sowie die reine
natürliche Konvektion als Spezialfälle.
2.) Zur Entdimensionierung kann als Bezugsgeschwindigkeit eine charakteristi-
sche Geschwindigkeit des Anteils der erzwungenen Konvektion gewählt wer-
den. Lediglich im Grenzfall der natürlichen Konvektion muß dann auf eine
Bezugsgeschwindigkeit übergegangen werden, die charakteristisch für diese
Strömung ist.
3.) Die Grenzschicht an der beliebig geneigten ebenen Platte ist neben der
Prandtl-Zahl durch zwei Parameter Pr und Pn gekennzeichnet, s. (9.8)
und (9.9). Diese legen fest, wie die drei Effekte der erzwungenen, direkten
natürlichen und indirekten natürlichen Konvektion untereinander gewichtet
sind.
4.) Grenzschichtlösungen existieren nicht für beliebige Kombinationen von Pr
und Pn. Bestimmte Bereiche der (P1, Pu)-Ebene sind wegen des Auftretens
(singulärer) Strömungsablösung ausgeschlossen, s. Bild 9.1.
5.) Das Lösungsverhalten in der Umgebung der Ablösung kann singulär oder
regulär sein. Während die Ablösung im zweiten und dritten Quadranten
singulär ist (und damit die Grenzschichtrechnung über den Punkt = r:,
0 hinaus nicht fortgesetzt werden kann), tritt im vierten Quadranten ein
reguläres Lösungsverhalten bei r:,
= 0 auf.
10 Schleichende Strömungen (Re-+ 0)

10.1 Vorbemerkung

Der Begriff schleichende Strömungen ist durchaus wörtlich zu verstehen: gemeint


sind Strömungen mit extrem niedrigen Geschwindigkeiten. Als Folge davon spielen
in diesen Strömungen die Trägheitskräfte, deren Geschwindigkeitsabhängigkeit
quadratisch ist, eine untergeordnete Rolle. Sie können deshalb in einer ersten
Näherung vollständig vernachlässigt werden.
Genau genommen ist die Bedingung niedriger Geschwindigkeiten allerdings
nicht ausreichend bzw. in bestimmten Situationen sogar irreführend. Ein Blick
auf die dimensionslosen Grundgleichungen zeigt, daß die Trägheitskräfte für kleine
Reynolds-Zahlen unbedeutend werden und schleichende Strömungen somit im
Grenzfall Re ---+ 0 vorliegen. Da Re = eßUßLß/118 gilt, kann dieser Grenzfall nicht
nur durch niedrige Geschwindigkeiten, sondern auch durch extrem niedrige Dichte
(verdünnte Gase), durch extrem hohe Viskosität oder durch kleine Abmessungen
erreicht werden.
Zwei wichtige Anwendungsgebiete der Theorie schleichender Strömungen sind
die hydrodynamische Schmierungstheorie (s. z.B. Vogelpohl (1967)) und Strömungen
in porösen Medien (s. z.B. Bear (1972), Dullien (1979)).
Zunächst einmal sollen die wesentlichen Konsequenzen erörtert werden, die
sich aus der Vernachlässigung der Trägheitskräfte ergeben. Das Kräftegleichgewicht
wird dann nur noch durch Druck- und Reibungskräfte aufrechterhalten. Für ein
Newtonsches Fluid wird es durch eine lineare Differentialgleichung beschrieben. Die
Vernachlässigung der nichtlinearen Trägheitskräfte hat zwei wichtige Konsequenzen.

(1) Schleichende Strömungen sind immer laminar, da Reynoldsche Spannun-


gen gerade aus den nichtlinearen Trägheitstermen entstehen (s. dazu Ab-
schnitt 3.8).

(2) Unter der Annahme konstanter Stoffwerte sind die Gleichungen linear, so
daß Lösungen durch Überlagerung einzelner Teillösungen gewonnen werden
können (Superpositionsprinzip ).
234 K. Gersten/ H. Herwig

10.2 Grundgleichungen für Re ---+ 0


Die dimensionslosen Grundgleichungen für schleichende Strömungen ergeben sich
unmittelbar aus den vollständigen Grundgleichungen (4.1) bis (4.4), wobei al-
lerdings bezüglich der Entdimensionierung des Druckes eine neue Situation ent-
steht. Der (doppelte) Staudruck eß Uß 2 , der bisher als charakteristischer Druck
zur Entdimensionierung benutzt werden konnte, ist unmittelbar mit der Wir-
kung von Trägheitskräften verbunden. Druckänderungen entstehen bei schleichen-
den Strömungen aber durch die Wirkung von Reibungskräften. Demzufolge ist ein
charakteristischer Bezugsdruck mit der Viskosität 77i3 zu bilden, was aus Dimensi-
onsgründen unmittelbar auf 77i3UB/ Lß führt. Mit p := (p*- p;t)/(7JßUß/ Lß), also
p = p Re, lauten die Bewegungsgleichungen für eine stationäre, zweidimensionale
Strömung in kartesischen Koordinaten (dimensionslose Variable nach Tab. 4.1)

(10.1)

a-p -_ !.._
ax ax _~3 (au
ax [1J ( 2 au ay [1J (au
av))] + !._
ax + ay av)]
ay + ax
+ R~ (1 - e) sin a (10.2)
Fr

a-p -_ !.._
ay ax + au)]
ax [1J (av ay + !._ av _~3 (auax + av))]
ay [1J ( 2 ay ay
Re
+ -2(1- e)cosa. (10.3)
Fr

Die Energiegleichung gilt zunächst unverändert in der Form (4.4), s. auch die spätere
Gleichung (10.11).
Die beiden Komponenten der Impulsgleichung enthalten noch die Auftriebs-
terme, die bei vorhandener Wärmeübertragung sehr sorgfältig bezüglich ihrer
asymptotischen Größenordnung untersucht werden müssen. Zunächst ist unmittel-
bar erkennbar, daß die Auftriebsterme im isothermenFall (e = 1) entfallen. Für
nicht-isotherme Strömungen können sie im Grenzfall Re --t 0 von vornherein nur
dann vernachlässigt werden, wenn die Dichteunterschiede (1 - e) nicht "zu groß"
werden. Asymptotisch gilt (1- e) = -€Ku 1 1'J + O(c2 ), s. (4.10) mit c = !::::..TBJTP,,
so daß der Auftriebsterm nur dann klein gegenüber den anderen Termen ist, wenn
gilt

(10.4)
10 Schleichende Strömungen 235

Im Grenzfall konstanter Stoffwerte vereinfachen sich die Grundgleichungen für


schleichende Strömungen erheblich. Mit {! = 'Tl = 1 gilt

8u+8v=O (10.5)
8x 8y
8p 8 2 u 82 u
- =-+-
8x 8x2 8y 2
(10.6)

8p 8 2 v 8 2v
(10.7)
8y = 8x 2 + 8y 2 •
Diese Gleichungen werden häufig Stokes-Gleichungen genannt. Die Randbedingun-
gen der vollständigen Navier-Stokes-Gleichungen gelten unverändert.
Führt man mit u = 8\I! I 8y und v = -8\I! I 8x die Stromfunktion \I! ein,
so erhält man nach Differentiation von (10.6) nach y und Differentiation von
(10. 7) nach x und anschließender Subtraktion der beiden Differentialgleichungen
(dabei wird der Druck eliminiert) eine Impulsgleichung, die mathematisch von der
folgenden, sog. biharmonischen Form ist:

(10.8)

In (10.8) ist der sog. Laplace-Operator D. verwendet worden (der auch als
div grad geschrieben werden kann), für den in kartesischen (x, y) bzw. Polarko-
ordinaten (r, <p) gilt

(10.9)

Der Druck p erfüllt für schleichende Strömungen die Laplace-Gleichung, d.h. aus
(10.6) und (10.7) folgt unmittelbar
(10.10)

Die Energiegleichung nach (4.4) in Kap. 4 lautet

{!CpPe ( u8e
- +V- 8e) +-
8e) = -8 ( A- 8 ( A-
8e)
8x 8y 8x 8x 8y 8y

- [ (8u) (8v)
+ Ec Pr"' 2 -
8x 8y
2
+2 -
2
- +8u)
+ (8v -
8x 8y
2
2
- +8v)
- - (8u -
3 8x 8y
2
] (10.11)

(u 8- +v 88-)~
+ß(1+8)EcPr 8: .

Die maßgebliche Kennzahl im thermischen Energiesatz ist die Peclet-Zahl


Pe (s. Tab. 4.2), die deshalb in (10.11) eingeführt wird, s. dazu auch die Diskussion
am Ende von Abschnitt 11.8. Unter der Annahme konstanter Stoffwerte
236 K. Gersten / H. Herwig

(e = 'Tf = .X = ~ = 1, ß = 0) ist diese Gleichung linear. Dann ist wieder fol-


gende Aufspaltung in einenAnteildes erzwungenen Wärmeübergangs und in einen
Anteil der Dissipation möglich :
9 = 9 1 + EcPr8 11 • {10.12)
Eingesetzt in {10.11) ergibt sich z.B. für den Anteil des erzwungenen Wärmeüber-
gangs, also für el

P ( ae1 ae1 ) _ 829 1 a2 e1


e U 8x +V 8y - 8x2 + 8y2 . {10.13)

Die thermischen Randbedingungen sind so für 9 1 und 8 11 zu formulieren, daß


sie von der Gesamtfunktion e erfüllt werden. Bei variablen Stoffwerten kann die
Aufspaltung nach {10.12) beibehalten werden, wenn die asymptotische Methode
zur Erfassung des Stoffwert-Einflusses verwendet wird, s. dazu Abschnitt 5.4.2,
insbesondere auch Beispiel 5.1. Gleichung {10.13) beschreibt das Zusammenwirken
zweier Effekte {konvektiver Transport innerer Energie und Wärmeleitung). In
Fällen, bei denen für Pe --+ 0 der konvektive Transport vollständig verschwindet,
liegt dann ein reines Wärmeleitungsproblem vor. Aber nicht in allen Fällen sind
stationäre Lösungen ohne konvektiven Anteil in der Energiegleichung möglich, so
daß u.U. konvektive Terme in der Energiegleichung {10.11) berücksichtigt werden
müssen, s. dazu Anmerkung 2 am Ende von Abschnitt 10.4.

10.3 Körperumströmung in einem unbegrenzten Strömungsfeld


Als Standardfälle der Umströmung von endlichen Körpern sind in der Literatur die
Umströmung des Kreiszylinders (zweidimensional) und der Kugel {dreidimensional)
ausführlich untersucht worden. DieerstenUntersuchungen schleichender Strömun-
gen stammen von Stokes {1850). In der Nachfolge sind in einer Reihe von Arbeiten
Versuche unternommen worden, die Probleme im Zusammenhang mit der ursprüng-
lichen Stokes-Lösung zu beheben, s. z.B. Oseen {1910). Erst mit der Entwicklung
der asymptotischen Theorie konnten zwei Paradoxien erklärt werden, die im Zu-
sammenhang mit der Lösung für kleine Reynolds-Zahlen auftreten. Beide werden
anschließend erläutert. Kaplun and Lagerstrom {1957) konnten zeigen, daß es sich
um ein singuläres Störungsproblem handelt.
Für die weiteren Ausführungen ist von Bedeutung, daß ein unbegrenztes
Strömungsfeld vorliegt. Darüber hinaus macht es einen bedeutenden, wenn auch
nicht grundsätzlichen Unterschied, ob die Strömung zwei- oder dreidimensional
ist. Im folgenden wird der zweidimensionale Fall am Beispiel der Kreiszylinder-
Umströmung näher beschrieben, auf Unterschiede zum dreidimensionalen Fall wird
jeweils hingewiesen.
Die systematische Beschreibung der Strömung für kleine Reynolds-Zahlen als
singuläres Störungsproblem erfolgt im nachfolgenden Kapitel 11 (Abschnitt 11.5),
in dem auch auf die Effekte höherer Ordnung eingegangen wird.
10 Schleichende Strömungen 237

In den jetzt folgenden Ausführungen werden die Lösungsversuche und die


dabei schon in den früheren Arbeiten aufgetretenen Schwierigkeiten beschrieben.

u.*
00

Bild 1 0.1: Koordinaten am Kreiszy-


linder

Stokes (1850) ging von der Überlegung aus, daß die Trägheitskräfte bei schlei-
chenden Strömungen vollständig vernachlässigt werden könnten, da sie im Ver-
gleich zu den Druck- und Reibungskräften jeweils klein seien. Zur Bestimmung des
Strömungsfeldes gilt damit (10.8) (in Polarkoordinaten r := r* / R* , r.p s. Bild 10.1)
mit den Randbedingungen

IJ!(1, r.p) = 81J!(1, r.p) = 0 (10.14)


ßr
IJ!(r --> oo, r.p) = r sin r.p. (10.15)
Mit der Randbedingung (10.15) ist eine ungestörte Parallelströmung für r --> oo
unterstellt worden.
Bei der Lösung treten nun grundsätzliche Schwierigkeiten auf, da keine
Funktion IJ!(r, r.p) existiert, die (10.8) sowie die Randbedingungen (10.14) und (10.15)
erfüllen kann. Es läßt sich zeigen (s. z.B. Rosenhead (1963, S. 171) oder Van Dyke
(1975a, 8. 152)), daß die gesuchte Lösung von folgender Form sein muß:

IJ! = C 1 (rlnr-.!:.
2
2.)
+ 2r sinr.p. (10.16)

Es existiert jedoch kein Wert C 1 , der mit der Randbedingung (10.15) im Unend-
lichen verträglich ist. Mit jedem Wert C 1 -:/:- 0, der erst eine nicht-triviale Lösung
ergeben könnte, bleibt die Lösung für r --> oo nicht beschränkt und kann damit
nicht die ungestörte Parallelströmung beschreiben.
Die Tatsache, daß die Stokes-Gleichungen im ebenen Fall (zweidimensional)
für endliche Körper im unbegrenzten Strömungsfeld keine Lösung besitzen, wird als
Stokessches Paradoxon bezeichnet.
Folgende Überlegung führte Oseen (1910) zu der Auffassung, daß die vollstän-
dige Vernachlässigung der Trägheitsterme unzulässig ist. Stokes hatte angenommen,
238 K. Gersten/ H. Herwig

daß die Trägheitskräfte als klein gegenüber den Druck- bzw. Reibungskräften
vernachlässigt werden könnten. Dies muß, wenn es gilt, natürlich im gesamten
Strömungsfeld gelten, also auch für r -+ oo. Eine einfache Abschätzung der
Größenordnung der einzelnen Kräfte zeigt aber ein anderes Verhalten für große
Abstände vom Körper. Für das Verhältnis der Trägheits- und Reibungskräfte gilt
(s. Van Dyke (1975a, S. 154))

Trägheitskräfte O(C R 1 )
. . = 1 er nr für r-+ oo. (10.17)
Re1bungsknifte
Dies bedeutet aber, daß für jede noch so kleine Reynolds-Zahl die Trägheits-
kräfte in einem zwar großen, aber endlichen Abstand vom Körper nicht mehr klein
gegenüber den Reibungskräften sind. Physikalisch heißt dies, daß die Reibungskräfte
(und Druckkräfte) mit zunehmendem Körperabstand schneller abklingen als die
Trägheitskräfte.
Oseen (1910) berücksichtigte daraufhin die Trägheitskräfte, aber nur soweit,
daß das singuläre Verhalten der Lösung im Unendlichen vermieden wird. Er konnte
zeigen, daß eine linearisierte Version der ursprünglich nichtlinearen Trägheitsterme
ausreicht, eine im ganzen Strömungsfeld gleichmäßige Lösung zu ermöglichen.
Dieses Vorgehen ist ein Beispiel für die sog. "Methode der gleichmäßig gültigen
Differentialgleichungen", vgl. dazu Abschnitt 5.3.
Statt (10.8) gilt jetzt mit der Linearisierung u au
ax
+ V au
8y
rv au
ax

Re~~ = 6 2 \11, (10.18)

weiterhin mit den Randbedingungen (10.14) und (10.15). Diese Gleichung wird
Oseen-Gleichung genannt. Sie ist zwar wieder linear, die Lösung ist aber trotz-
dem recht aufwendig. Für die Umströmung des Kreiszylinders wurde eine Lösung
zuerst von Lamb (1911) angegeben, auf deren Wiedergabe hier aber zugunsten ei-
ner alternativen Vorgehensweise in Abschnitt 11.5 verzichtet werden soll. Dort wird
gezeigt, daß eine systematische Lösung des Problems möglich ist, wenn nicht eine
gleichmäßig gültige Lösung wie durch (10.18) gesucht wird, sondern das Lösungs-
gebiet im Sinne einer singulären Störungsrechnung in ein Innen- und Außengebiet
aufgeteilt wird. Am Beispiel der Kreiszylinder-Umströmung wird die Methode der
augepaßten asymptotischen Entwicklungen für kleine Reynolds-Zahlen (Re -+ 0)
erläutert. Diese führt auf folgenden führenden Term des Widerstandsgesetzes für
den Kreiszylinder

c ,_ 2W* _ 81r (In 3, 703) - 1 (10.19)


w .- e*U~}R*B*- Re Re
mit Re = U:X,R* jv'Jx,, U:X,~ Anströmgeschwindigkeit, R*~ Zylinderradius, B*~
Zylinder breite.
10 Schleichende Strömungen 239

Anmerkung I (Kugelumströmung)

Bisher war der Fall der ebenen Strömung {Kreiszylinder) behandelt worden. Historisch gesehen
ist aber immer auch der räumliche Fall (Kugelumströmung) untersucht worden, der mathematisch
gesehen "weniger singulär" ist. Dies bedeutet, daß die Stokessehen Gleichungen für den dreidimen-
sionalen Fall doch eine Lösung besitzen, die darüber hinaus sehr einfach aufgebaut ist. Sie lautet
mit der Randbedingung W(r-+ oo, ({)) = r 2 sin 2 ({)statt {10.15), s. z.B. Van Dyke {1975a, S.151),
2

W= ~ ( 2r 2 - 3r + ~) sin 2 ({) {10.20)

und führt zum berühmten Stokessehen Widerstandsgesetz für die Kugel. Es lautet
2W* 12
c ·- -- {10.21)
w .- u*U~}rrR* 2 - Re
(mit Re= U~R* /v~, u~;;: Anströmgeschwindigkeit, R*;;: Kugelradius).
Trotzdem ist die Situation im dreidimensionalen Fall nicht grundsätzlich anders als im
ebenen Fall, da es nicht möglich ist, die erste Näherung, die durch die Lösung der Stokessehen
Gleichung als gleichmäßig gültige Lösung im ganzen Strömungsfeld existiert, im Sinne einer
zweiten Näherung zu verbessern. Dazu würde man die Lösung {10.20) in die Trägheitsterme der
vollständigen Navier-Stokes-Gleichungen übernehmen, um in einem Iterationsprozeß eine neue
verbesserte Lösung zu erhalten. Dieser Versuch wurde erstmals von Whitehead {1889) mit dem
Ergebnis unternommen, daß keine verbesserte Lösung existiert, die die Randbedingungen für
r -+ oo erfüllen könnte. Dies ist ein ganz ähnliches Phänomen wie im zweidimensionalen Fall,
nur daß es "eine Stufe später" auftritt, nämlich bei dem Versuch, die Stokessehe Lösung iterativ
zu verbessern. Nach Whitehead wird dieses Lösungsverhalten von dreidimensionalen Strömungen
im unbegrenzten Raum für Re -+ 0 als Whiteheadsches Paradoxon bezeichnet.

Anmerkung 2 {Begrenzter Außenraum)

Die Ausführungen des Abschnittes 10.3 beziehen sich auf ein unendlich ausgedehntes Strömungs-
feld. Das am Kreiszylinder bzw. der Kugel gezeigte Verhalten tritt bei allen anderen Körpern in
ähnlicher Weise auf. Da die Stokessehen Gleichungen ein singuläres Verhalten für r -+ oo zeigen,
tritt dieses erwartungsgemäß bei schleichenden Strömungen in einem begrenzten Raum nicht auf,
s. dazu auchRappeland Brenner {1965, S. 61). Schneider {1978, S. 218) weist darauf hin, daß eine
Strömung in einem zwar unbegrenzten Raum, aber mit einem ruhenden Fluid für r -+ oo eben-
falls kein singuläres Verhalten aufweist. Ein Beispiel ist das von einer rotierenden Kugel erzeugte
Strömungsfeld.

10.4 Wärmeübergang für Re--+ 0


Das Problem des Wärmeüberganges bei schleichenden Strömungen ist z.B. bei der
sog. Hitzdrahtmeßtechnik von besonderer Bedeutung. Bei dieser weitverbreiteten
Meßtechnik wird ein extrem dünner Draht (Durchmesser 1- 5 J.Lm) in die Strömung
gebracht und elektrisch beheizt. Schon bei relativ kleinen Strömungsgeschwindig-
keiten entsteht eine Wärmeübergangssituation, die dem Wärmeübergang an einem
Kreiszylinder bei erzwungener Konvektion entspricht, da die Temperaturdifferenz
zwischen dem Draht und dem Fluid so niedrig gehalten werden kann, daß Effekte
natürlicher Konvektion nur einen geringen Einfluß haben. Über eine Kalibrierung
des Drahtes kann der Zusammenhang zwischen der aufzubringenden elektrischen
240 K. Gersten/ H. Herwig

Leistung und der Geschwindigkeit, mit der der Draht augeströmt wird, hergestellt
werden. Damit kann der Hitzdraht zur Bestimmung der örtlichen Geschwindigkeit
in einem Strömungsfeld dienen. Für nähere Einzelheiten sei z.B. auf Perry (1982)
oder Bradshaw and Johnson (1963) verwiesen.
Im Zusammenhang mit dieser Meßtechnik ist das Wärmeübergangsgesetz für
das physikalische Verständnis der Vorgänge von zentraler Bedeutung. Die Reynolds-
Zahlen sind sehr klein, so daß ein asymptotisches Gesetz für Re -+ 0 sinnvoll
angewandt werden kann. Für einen Draht von 2 J.Lm Durchmesser gilt für die
Reynolds-Zahl in Luft bei U:X, = 10 m/s z.B.: Rer := {!;U:X,R* /TJ; ~ 0, 3, wobei die
Stoffwerte bei der sog. Referenztemperatur Tr* = (T:, + T:X,)/2 = 450 K genommen
worden sind (T:,:; Wandtemperatur, T:X,:; Fluidtemperatur).
Die beiden ersten Terme einer asymptotischen Lösung für Re -+ 0 und
Pr = 0(1), also Pe := RePr -+ 0 lauten nach Rosenhead (1963, S. 193) bei
Vernachlässigung von Termen der Größenordnung O(Pe 4 )

Nu ·=
m ·
q\vm2R* =
..\*(T:,- T:X,)
2
ln(4/Pe)- ')'
_ (Pe)
4
2
[s + (ln(4/Pe)-
2
1')2
]
( 10 ·22 )

mit
Re= U:X,R* jv:X,, 1' = 0, 5772, Q:,:; gesamter Wärmestrom,
q\vm = Q:,j(27rR* B*).
Für Luft (Pr = 0, 72) wird häufig eine nicht-rationale Näherungsbeziehung
von Collis and Williams (1959) verwendet, die auch eine Korrektur bezüglich
variabler Stoffwerte enthält. Diese stellt eine Kombination aus der Referenz- und
der Stoffwertverhältnismethode dar, s. dazu Abschnitt 5.4.1. Mit Tr* als der bereits
zuvor beschriebenen Referenztemperatur und Rer := U:X,R* jv; gilt danach

q* 2 R*
Num : = ..\*(';_';-
r w
T*)
oo
T*)0,17
= (0 24 + 0 76 Re0 •45 ) ( _r 0, 01 < Rer < 22 . (10.23)
' ' r T~ '

Tabelle 10.1 zeigt den Vergleich der asymptotischen Beziehung (10.22) mit der
empirischen Korrelation (10.23). In (10.23) wurde die Temperaturkorrektur dabei
vernachlässigt, was asymptotisch dem Grenzfall (T:, - T:X,) -+ 0 entspricht. An
der unteren Grenze des für (10.23) angegebenen Gültigkeitsbereiches (Re > 0, 01)
werden die asymptotischen Ergebnisse recht gut wiedergegeben, der Grenzfall
Re -+ 0 ist naturgemäß nicht enthalten, da die empirische Beziehung für Re -+ 0 auf
den Wert 0,24 zuläuft, die Asymptote für Re-+ 0 nach (10.22) aber 2/ln(4/RePr)
lautet. Das Ergebnis für Re = 0, 001 in Tab. 10.1 liegt bereits außerhalb des
Gültigkeitsbereiches von (10.23) und weist eine deutlich größere Abweichung zu
den asymptotischen Werten auf als bei Re= 0, 01.
10 Schleichende Strömungen 241

Num
Abweichung
Re asymptotisch empirisch von (10.22)

(10.22) (10.23) in%

0,001 0,249 0,274 10,0


0,01 0,348 0,336 -3,4
0,1 0,579 0,510 -11,9
0,5 1,022 0,796 -22,1

Tabelle 10.1: Vergleich der asymptotischen Beziehung (10.22) für Pe -+ 0 mit Werten der
empirischen Beziehung (10.23).
Gültigkeitsbereich der empirischen Beziehung: 0, 01 < Re < 22, Pr= 0, 72

Vilimpoc et al. (1990) weisen mit sehr detaillierten Messungen nach, daß der Einfluß
natürlicher Konvektion erst oberhalb eines Verhältnisses Gr/Re 2 in der Nähe von
eins auftritt. Im zuvor gewählten Zahlenbeispiel, Re ~ 0, 3 , ist dieses Verhältnis bei
Luft und einer Temperaturdifferenz T:, -Tr* = 300 K, also einer Referenztemperatur
Tr* = 450 K, gleich einem Zahlenwert von nur ~ 7 · w- 8 •

Anmerkung 1 (Kugelumströmung, r; = const)


Für die Kugelumströmung wurde das Wärmeübergangssgesetz für Re-+ 0 und beliebige Prandtl-
Zahlen Pr von Acrivos and Taylor (1962) mit Hilfe der angepaßten asymptotischen Entwicklungen
hergeleitet. Danach gilt für die mittlere Nußelt-Zahl mit Re = u;;"R* jv;;", Pe = Re Pr, qwm =
Q;,/(47rR* 2 ), (Q;,~ gesamter Wärmestrom)
q• 2R*
Nu := Wm
m .X~(T;- T~)
1
= 2 + Pe + Pe 2 In Pe + 0, 829Pe 2 + '2 Pe3 In Pe + · · · . (10.24)

Während in diesem Gesetz das Geschwindigkeitsfeld in Form von (10.20) berücksichtigt wurde, hat
Rimmer (1968) das Wärmeübergangsgesetz unter Berücksichtigung des nächsten Termes O(Re) in
der Geschwindigkeitsverteilung hergeleitet, dann allerdings unter der Einschränkung Pr = 0(1).
Dies führt zu einem zusätzlichen Term O(Pe 2 ) im Wärmeübergangsgesetz (10.24).

Anmerkung 2 (Stationäre Lösungen der Wärmeleitungsgleichung)

Die Wärmeübergangsgesetze für den Kreiszylinder und für die Kugellauten im Grenzfall Pe-+ 0
wie folgt:

Kreiszylinder, (10.22):
Kugel, (10.24):

Interpretiert man die Nußelt-Zahl als dimensionslosen Wärmestrom, so ist der Wärmeübergang
an beiden Geometrien (bei gleicher Temperaturdifferenz (T; - T;;")) offenbar sehr unterschiedlich.
242 K. Gersten/ H. Herwig

Der Grund dafür ist, daß für die Kugel eine stationäre Lösung des reinen Wärmelei-
tungsproblems existiert (Pe = 0 in (10.13)), während dies für den Kreiszylinder (und auch für
den ebenen Fall einer geheizten oder gekühlten Platte) nicht der Fall ist, s. dazu auch Grigull
und Sandner (1986, S. 17). Für die Kugel bedeutet der Einfluß der (kleinen) Peclet-Zahl also
eine (kleine) Veränderung des Wärmeübergangs aufgrundvon Leitung (Num = 2), während der
Wärmeübergang am Kreiszylinder nur dann als stationärer Vorgang möglich ist, wenn Wärmelei-
tung und Konvektion als physikalische Mechanismen gleichzeitig beteiligt sind.

10.5 Zusammenfassung
1.) Die Gleichungen für schleichende Strömungen entstehen aus den Navier-
Stokes-Gleichungen durch den Grenzübergang Re ---+ 0 , nachdem zuvor als
dimensionsloser Druck ji = p Re eingeführt worden ist. Sie heißen Stokes-
Gleichungen und führen für konstante Stoffwerte auf die biharmonische
Gleichung (10.8).
2.) Die Stokes-Gleichungen vernachlässigen die Trägheitskräfte vollständig. Dies
führt bei der Körperumströmung in einem unbegrenzten Strömungsfeld zu
einem Versagen der Gleichungen (Stokessches Paradoxon). Durch die Hin-
zunahme der Trägheitskräfte in einer linearisierten Form entsteht die Oseen-
Gleichung (10.18), für die auch bei einem unbegrenzten Strömungsfeld Lösun-
gen existieren.
3.) Der Druck erfüllt für schleichende Strömungen die Laplace-Gleichung (10.10).
4.) Der Energiesatz (ohne Dissipationsanteil) reduziert sich durch den Grenzüber-
gang Pe ---+ 0 auf eine reine Wärmeleitungs-Beziehung. Nicht in allen Fällen
sind stationäre Lösungen ohne konvektiven Anteil in der Energiegleichung
möglich, so daß u.U. konvektive Terme in der Energiegleichung (10.11)
berücksichtigt werden müssen, wenn eine stationäre Strömung beschrieben
werden soll.
11 Asymptotische Entwicklungen

11.1 Vorbemerkung
Lösungen der Strömungs-Differentialgleichungen sollen durch eine Störungsrechnung
ermittelt werden. Dabei befinden sich Parameter, von denen die Lösung abhängt, in
der Nähe von Grenzwerten (im allgemeinen null oder unendlich). Die Grenzlösung
selbst, also die Lösung für den jeweiligen Grenzwert der Parameter, stellt eine
Näherung für die gesuchte Lösung bei endlichen Werten der Parameter dar. Man
spricht von einer asymptotischen (Näherungs-)Lösung, weil diese Näherung umso
besser ist, je näher die Parameter bei den entsprechen Grenzwerten liegen.
Die gesuchte Lösung kann noch besser approximiert werden als allein durch
die Grenzlösung, indem eine Reihenentwicklung nach den Parametern formuliert
wird. Die Grenzlösung ist der führende Term dieser Entwicklung und wird durch
die nachfolgenden Terme der Reihenentwicklung "gestört" ( ~ Störungsrechnung).
Die Reihe selbst wird als asymptotische Reihe bezeichnet.
Das besondere Merkmal der asymptotischen Reihe ist, daß sie im Sinne eines
Grenzübergangs ( ~ 0 oder ~ oo) betrachtet wird. Bei diesem Grenzübergang
müssen nachfolgende Terme stets kleiner als vorhergehende Terme sein. Die Reihe
muß deshalb nicht notwendigerweise konvergent sein, d.h.: bei einem festen Wert
der Parameter muß die Lösung durch Hinzunahme weiterer Reihenglieder nicht
notwendigerweise verbessert werden, entscheidend ist nur das Verhalten für den
Grenzübergang des Parameters. Van Dyke (1975a, S. 30) erläutert dieses Verhalten
sehr anschaulich anhand verschiedener Entwicklungen der Bessel-Funktionen.
Häufig sind nur die ersten (ein oder zwei) Glieder der asymptotischen Reihe
mit vertretbarem Aufwand zu bestimmen. Sie enthalten aber meist schon die
wesentlichen Informationen. Die grundsätzliche Möglichkeit, das Ergebnis durch
Hinzunahme beliebig vieler Terme zu verbessern, macht dieses Vorgehen zu einer
sog. mtionalen Näherung (vgl. Van Dyke (1975a)). Der Fehler ist definitionsgemäß
von der Größenordnung des ersten vernachlässigten Terms der asymptotischen
Reihe. In bestimmten Situationen kann unter Zuhilfenahme von Computer-Algebra-
Programmen auch eine sehr große Anzahl von Termen (teilweise über 50!) bestimmt
werden, s. dazu Abschnitt 11.9.
Als Störungsrechnung war bisher die Suche nach Lösungen in der Nähe von
Grenzwerten eines oder mehrerer Parameter bezeichnet worden. Genauer sollte in
244 K. Gersten/ H. Herwig

diesen Fällen von Parameter-Störungsproblemen gesprochen werden. Es gibt auch


den Fall, daß Lösungen in der Nähe des Grenzwertes von Koordinaten gesucht sind,
z.B. Lösungen für x --+ 0 oder x --+ oo. In diesen Fällen spricht man dann von
K oordinaten-Störungsproblemen.
In diesem Kapitel soll u.a gezeigt werden, daß mit der Methode der angepaßten
asymptotischen Entwicklungen zur Lösung singulärer Störungsprobleme die Berech-
nung von Strömungen sowohl bei großen Reynolds-Zahlen (Re--+ oo, Grenzschicht-
strömungen, Kap. 7) als auch bei kleinen Reynolds-Zahlen (Re --+ 0, schleichende
Strömungen, Kap. 10) einheitlich und systematisch erfolgen kann.
Im weiteren wird die Störungsrechnung also auf die Differentialgleichungen
der Strömungsmechanik angewandt werden. Die grundlegenden Begriffe können
aber sehr anschaulich schon an dem nachfolgenden einfachen algebraischen Beispiel
erläutert werden, das in Anlehnung an ein Beispiel aus Simmonds and Mann (1986)
gewählt wurde.

Beispiel 11.1: Parameter-Störungsproblem


Gesucht sind die asymptotischen Lösungen x;(c) für c---> 0 der quadratischen Gleichung
x(x - 2) + c = 0. (B11.1-1)
Es handelt sich um ein Störungsproblem mit dem Paramter c, also um ein Parameter-Störungs-
problem. Der interessierende Grenzwert des Parameters ist c = 0, die Grenzlösung also die Lösung
der Gleichung x 0 (x 0 - 2) = 0, die sofort als x 0 ,1 = 0, x 0 ,n = 2 erkennbar ist.
Eine verbesserte Näherungs-Lösung ist durch eine Reihenentwicklung bezüglich des Para-
meters c zu erreichen. Da der (Stör-)Parameter c linear in der Ausgangsgleichung vorkommt, liegt
es nahe, eine Reihenentwicklung in ganzzahligen Potenzen von c anzusetzen, also
x(c-) = x 0 + c-x 1 + c- 2 x 2 +... . (B11.1-2)
Setzt man diesen Ansatz in die Ausgangsgleichung (B11.1-1) ein und multipiziert alle Terme aus,
so kann man sie folgendermaßen nach Potenzen von c ordnen:
{x~-2x 0 }+c{2x 1 (x 0 -1)+1}+c- 2 {2x 2 (x 0 -1)+xi}+ .. ·=O. (B11.1-3)
Gleichung (B11.1-3) ist für beliebige Werte von c genau dann erfüllt, wenn alle Ausdrücke in den
geschweiften Klammern für sich genommen jeweils null sind. Dies sind die Bestimmungsgleichungen
für x 0 , x 1 , x 2 , .... Die erste Gleichung ist quadratisch und hat deshalb zwei Lösungen, die natürlich
die zuvor bereits erwähnten Grenzlösungen x 0 ,1 = 0 und x 0 ,n = 2 sind.
Alle nachfolgenden Gleichungen sind linear und haben deshalb je eine Lösung, allerdings für
jede der zwei Grenzlösungen x 0 ,1 und x 0 ,n jeweils eine Lösung. Die Gleichungen höherer Ordnung
bezüglich c können nur der Reihe nach gelöst werden, da die Ergebnisse der vorherigen Ordnungen
jeweils benötigt werden. Die Lösungen lauten
1
xl,I = 2'
(B11.1-4)
1 1
x2,I = B' x2,II = -8 .
Setzt man dies in den Ansatz (B11.1-2) ein, erhält man also folgende Näherungslösungen der
Ausgangsgleichung (B11.1-1) für c---> 0:
1 1 2
x1 = 2c- +Be + · · ·
(Bll.l-5)
1 1 2
xu =2_ -c- _ -c- + ....
2 8
11 Asymptotische Entwicklungen 245

Dieses einfache Beispiel wurde gewählt, weil hierfür die vollständigen analytischen Lösungen
bekannt sind und zum Vergleich herangezogen werden können. Diese Lösungen sollen exakte
Lösungen genannt werden. Sie lauten

x1 = 1- v'f=e, xrr = 1 + v'f=e. (B11.1-6)

-- -- -- --
,.~
-- -- -- --
Z-dZ-c 2/8
Z-EIZ

1-Yk'
c/Z + c 2/8
dZ
Bild 811.1: Vergleich zwischen exakter
Lösung und asymptotischen Näherungen
für die Gleichung x(x - 2) + e = 0

Bild B11.1 zeigt diese exakten Lösungen im Vergleich mit den asymptotischen Näherungen
(B11.1-5). Deutliche Abweichungen von den exakten Lösungen sind erst für relativ große Werte
von e zu verzeichnen. Für e --+ 0 stimmen die Näherungen immer besser mit der exakten Lösung
überein. In eben diesem Sinne handelt es sich um eine asymptotische (Näherungs-)Lösung für
e--+ 0.

11.2 Reguläre bzw. singuläre Störungsprobleme


Im folgenden soll beispielhaft der Fall eines Parameter-Störungsproblems mit einem
Parameter P > 0 beschrieben werden (für mehrere Parameters. Abschnitt 11.8).
Zusätzlich soll angenommen werden, daß der interessierende Grenzwert dieses
Parameters P = 0 ist. Für Koordinaten-Störungsprobleme bzw. für den Grenzwert
P = oo gelten die folgenden Überlegungen entsprechend.
Gesucht ist also die asymptotische Lösung des Parameter-Störungsproblems
für P ---> 0. Dazu wird zunächst ein Störparameter c eingeführt, der durch folgende
Eigenschaft bestimmt ist:

c = c(P) mit: c ---> 0 für P ---> 0. (11.1)


Die Funktion c(P) kann z.B. eine Potenzfunktion c = pm mit m > 0 sein. In
Abschnitt 11.5 wird z.B. für den Grenzfall Re ---> 0 (schleichende Strömungen)
246 K. Gersten/ H. Herwig

e =Re gewählt. Im anderen Grenzfall Re---+ oo (Grenzschichtströmungen) kann ein


Störparameter analog zu (11.1) ebenfalls durch eine Potenzfunktion, jetzt aber mit
m < 0, gebildet werden. Für die Grenzschichttheorie gilt e = Re- 112 .
Die gesuchte Lösung wird nun in Form einer asymptotischen Reihe formuliert,
wobei der führende Term die Lösung für e = 0 darstellen soll. Dies ist die
Grenzlösung, die durch die nachfolgenden Terme "gestört" wird. Alle nachfolgenden
Terme sind Korrekturglieder (Störglieder) in bezug auf die Grenzlösung. Statt von
einer asymptotischen Reihe mit dem Störparameter e spricht man gleichwertig auch
von einer asymptotischen Entwicklung mit dem Entwicklungsparameter e.
Bezüglich dieser asymptotischen Reihe bzw. Entwicklung sind nun grundsätz-
lich zwei verschiedene Fälle zu unterscheiden.
(1) Reguläres Störungsproblem
Die asymptotische Reihe stellt eine gleichmäßig gültige Näherung der Lösung
dar. Dies heißt, die Reihe ist im gesamten Strömungsfeld - einschließlich
der Berandungen durch Wände und der Punkte im Unendlichen, wenn das
Strömungsgebiet nicht vollständig von Wänden begrenzt ist - eine asympto-
tische (Näherungs-)Lösung mit der gleichen Größenordnung des Fehlers in
jedem Punkt. Trifft dies zu, so spricht man von einem regulären Störungs-
problem. Ein Beispiel für ein reguläres Parameter-Störungsproblem ist die
asymptotische Theorie zur Erfassung des Einflusses variabler Stoffwerte, die
in Abschnitt 5.4.2 ausführlich dargestellt ist. Die Korrekturbeziehungen, die
auf der Basis der asymptotischen Entwicklung nach e, vgl. (5.25), gewonnen
wurden, gelten gleichmäßig im ganzen Strömungsfeld.
(2) Singuläres Störungsproblem
Die asymptotische Reihe hat nicht im gesamten Lösungsgebiet Fehler von der
gleichen Größenordnung, d.h. sie ist nicht gleichmäßig gültig. Häufig treten
solche Ungleichmäßigkeiten in der Nähe von Wänden oder in großem Abstand
vom Körper (im "Unendlichen") auf. Man spricht in diesem Fall von einem
singulären Störungsproblem.
Im Laufe der Zeit ist eine ganze Reihe von Methoden entwickelt worden, mit
denen singuläre Störungsprobleme behandelt werden können. Die wichtigste ist die
Methode der angepaßten asymptotischen Entwicklungen (engl.: method of matched
asymptotic expansions), die im folgenden näher beschrieben werden soll. Bei dieser
Methode werden mindestens zwei verschiedene asymptotische Entwicklungen in
verschiedenen Teilgebieten benötigt, um einen Fehler von gleicher Größenordnung
im gesamten Lösungsgebiet zu erreichen.
Ein Beispiel für ein singuläres Störungsproblem ist die Körperumströmung
bei großen Reynolds-Zahlen. Die Anwendung der Methode der angepaßten asym-
ptotischen Entwicklungen führt unmittelbar zur Grenzschichttheorie.
Alternative Methoden für singuläre Störungsprobleme (bezüglich derer auf die
Literatur verwiesen wird, besonders auf Schneider (1978) und Van Dyke (1975a))
11 Asymptotische Entwicklungen 24 7

gehen vollständig andere Wege. Beispiele für alternative Methoden sind: Die
Methode der gleichmäßig gültigen Differentialgleichung (engl.: method of composite
equations), die Methode der mehrfachen Variablen (engl.: method of multiple
scales) und die Methode der gestreckten Koordinaten (engl.: method of strained
coordinates).
So klar die Trennung nach regulären und singulären Störungsproblemen durch
die entsprechenden Definitionen auch ist, so schwer ist es bisweilen, auf den ersten
Blick zu entscheiden, welcher Fall vorliegt. Zwei Kriterien für das Vorliegen eines
singulären Störungsproblems können hier entscheidend weiterhelfen.
(Kl) Entartungs-Kriterium
Ein singuläres Störungsproblem liegt vor, wenn die Differentialgleichungen im
Grenzfall c: = 0 "entarten", d.h. die höchsten Ableitungen verlieren. Damit
wird die Ordnung der Differentialgleichungen erniedrigt mit der Folge, daß
nicht mehr alle Randbedingungen erfüllt werden können.
(K2) Längen-Kriterium
Ein singuläres Störungsproblem liegt vor, wenn der Störparameter c: physi-
kalisch als das Verhältnis zweier charakteristischer Längen Li und Lj1 des
betrachteten Problems interpretiert werden kann. Der Grenzfall c: - t 0 bedeu-
tet, daß die beiden charakteristischen Längen nicht mehr von vergleichbarer
Größe bleiben. Es gibt dann in der Strömung offensichtlich verschiedene Ge-
biete, die durch extrem unterschiedliche Längenmaßstäbe (charakteristische
Längen) beschrieben werden müssen.
Für die Körper-Umströmung bei großen Reynolds-Zahlen (Re - t oo) sind, wie sich
zeigen wird, beide Kriterien erfüllt. Die Erfüllung nur eines Kriteriums ist aber schon
hinreichend. Beispielsweise erfüllt die Körperumströmung bei kleinen Reynolds-
Zahlen (Re - t 0) in bestimmten Situationen (unbegrenztes Strömungsfeld) nur das
zweite Kriterium und ist damit ein singuläres Störungsproblem.

Anmerkung (Instationäre Probleme)


Die Unterscheidung nach regulären bzw. singulären Störungsproblemen wurde bisher nur danach
getroffen, ob eine gleichmäßige Gültigkeit bezüglich der Ortskoordinate gegeben ist. Für insta-
tionäre Probleme gilt eine ganz analoge Überlegung dann auch bezüglich der Zeitkoordinate.
Ein Beispiel hierfür, das ursprünglich von L. Prandtl angegeben wurde, ist die gedämpfte
Schwingung einer kleinen Masse, vgl. Schlichting (1982, S.80).

11.3 Generelles Vorgehen bei der Methode der angepaßten


asymptotischen Entwicklungen
Die Lösung von singulären Störungsproblemen mit der Methode der augepaßten
asymptotischen Entwicklungen ist sehr viel komplizierter als die Lösung von re-
gulären Störungsproblemen mit der Methode der (einfachen) asymptotischen Ent-
wicklung. Gerade Anfängern bereitet dies oft erhebliche Schwierigkeiten. Aus diesem
248 K. Gersten/ H. Herwig

Grunde sollen zunächst am Beispiel einer gewöhnlichen Differentialgleichung 2. Ord-


nung die wesentlichen Schritte bei der Anwendung der Methode der angepaßten
asymptotischen Entwicklungen erläutert werden, die später dann bei partiellen Dif-
ferentialgleichungen Anwendung finden. Anschließend wird dann das systematische
Vorgehen in vier Schritten Sl bis S4 erläutert. Diese vier Schritte sind schon in dem
folgenden Beispiel benannt.

Belspiel 11.2: Singuläres Parameter-Störungsproblem


Gesucht ist eine asymptotische Lösung y(x, e) für E:--+ 0 der Differentialgleichung
E:y" + y' + y = 0 (B11.2-1)
mit den Randbedingungen
y(O,e)=O, y(l, e) = 1. (Bl1.2-2)
Die Lösung erfolgt nach der Methode der angepaßten asymptotischen Entwicklungen in folgenden
vier Schritten, die im Anschluß genauer erläutert werden.

(SI) Problemformulierung
Dieser Schritt ist durch die Aufgabenstellung bereits vollzogen. Insbesondere ist damit bereits der
Störparameter E: des Problems identifiziert.

(S2) Näherung I
Da Lösungen für kleine E: gesucht werden, setzt man in der Differentialgleichung zunächst E: = 0
(naive Näherung). Ausgehend von dieser Lösung, die y 1 (x) genannt wird, setzt man folgende
Entwicklung an:
y(x, e) = Y! (x) + E:Y2(x) + E:2 Y3(x) + .... (B11.2-3)
Die Bestimmungsgleichungen für Yi erhält man durch Einsetzen von (B11.2-3) in (B11.2-1) und
Ordnen der Terme nach Potenzen von E:. Die Gleichung für y 1 (x) lautet
(B11.2-4)
die allgemeine Lösung also
(B11.2-5)
Von dieser Gleichung kann nur eine Randbedingung (B11.2-2) erfüllt werden, und zwar y 1 (1) = 1,
was auf die Konstante A = e führt. Die andere Randbedingung wäre nur durch A = 0 zu erfüllen
und ergäbe die triviale Lösung y 1 = 0, die hier nicht weiter betrachtet werden soll. Die zweite
Randbedingung bei x = 0 kann von (B11.2-5) nicht erfüllt werden, die Lösung versagt also
zumindest in der Umgebung von x = 0.

(S3) Näherung II
In der Umgebung von x = 0 (Versagen der Näherung I) wird das Problem in einer transformierten
x
Variablen neu formuliert. Diese neue Variable berücksichtigt, daß dieses Gebiet II eine andere
charakteristische Länge besitzt als das Gebiet I. Für gilt x
- X
(Bl1.2-6)
X=-,
E:
so daß die Ausgangsgleichung (Bl1.2-l) jetzt wie folgt lautet (zur Unterscheidung wird y statt y
geschrieben, die Striche bedeuten jetzt Ableitungen nach x) :
fl' + y' + ey = o. (Bl1.2-7)
11 Asymptotische Entwicklungen 249

Die Randbedingungen für die Lösung y(x, e) sind

y(O,e) = 0, (B11.2-8)

Analog zu (B11.2-3) wird folgende Entwicklung für y angesetzt:


fl(x, e) = 'il1 (x) + efl2 (x) + e 2 fl3 (x) + · · · . (B11.2-9)
Die Gleichungen für Y; entstehen durch Einsetzen von (B11.2-9) in (B11.2-7) und Ordnen nach
Potenzen von e. Die Gleichung für fj1 (x) lautet

~+fl;.=O, (B11.2-10)
die allgemeine Lösung ist also
(Bll.2-ll)
Mit fj1 können zwei Randbedingungen erfüllt werden. Aus der Randbedingung bei = 0, also x
fj1 (0) = 0 folgt B + C = 0, also fj1 = C(1 - e-i). Die zweite Randbedingung ist aber nicht
fj1 (1/e) = 1, wie man nach der formalen Umschreibung des Problems vermuten könnte. Die zweite
Randbedingung folgt vielmehr aus dem Übergang zwischen Gebiet II und Gebiet I.

(S4) Anpassung

In diesem für die asymptotische Methode entscheidenden Schritt wird davon ausgegangen, daß
y(x, e) die Lösung für alle x mit Ausnahme der Werte in der Umgebung von x = 0 beschreibt.
In dieser Umgebung wird die Lösung durch y(x,e) beschrieben, so daß beide Lösungen nur noch
aneinander angepaßt werden müssen. Dies kann auf folgende Weise geschehen. Für e --+ 0 muß
gelten
!imy(x,e)= !im fj(x,e). (B11.2-12)
x-+0 i-+oo

Für e --+ 0 dominieren jeweils die führenden Terme y 1 (x) bzw. fj1 (x) der Entwicklungen, so daß
gilt
!imy(x,e)= limy 1 (x)= !imee-"'=e (B11.2-13)
x-+0 x-+0 x-+0
,_,o
)im fj(x,e) =)im fj1 (x) =)im C (1- e-'") = C. (B11.2-14)
:C-+00 X-+00 X-+00
e-->0

Zusammen mit (B11.2-12) bedeutet dies also

C=e. (Bll.2-15)
Die zweite Randbedingung für fj1 folgt also aus einer Anpassung an das Gebiet I und nicht aus
der physikalischen Randbedingung fj1 (1/e) = 1, die weit außerhalb des "Geltungsbereichs" der
Näherung y liegt und von der Lösung y(x) erfüllt wird. Der wichtige Schritt der Anpassung wird
später noch genauer erläutert.
Das Gesamtergebnis liegt also in Form von zwei Teillösungen (genauer: zwei asymptotischen
Teillösungen für e --+ 0) vor, die darüber hinaus auch noch in zwei unterschiedlichen Variablen
formuliert sind. Sie lauten
y 1 (x) = ee-"'
(B11.2-16)
fj1 (x) = e ( 1 - e-i)

Aufgrund der Anpassungsprozedur haben beide Teillösungen im sog. "Überlappungsgebiet" einen


gemeinsamen Anteil. Wegen y 1 (x--+ 0) = e und fj1 (x--+ oo) = e ist dies im vorliegenden Beispiel
der konstante Anteil e.
250 K. Gersten/ H. Herwig

Aus beiden Teillösungen läßt sich nun eine gemeinsame sog. gleichmäßig gültige Lösung
gewinnen, indem beide Teillösungen addiert werden und der gemeinsame (doppelt gezählte)
Anteil einmal wieder subtrahiert wird. Diese Gesamtlösung sollte natürlich nur in einer Variablen
geschrieben werden. Entscheidet man sich für die Variable x, gilt also

(Bll.2-17)

Der Index 1 weist darauf hin, daß es sich auch bei der gemeinsamen Lösung nur um den führenden
Term einer asymptotischen Entwicklung für c --+ 0 handelt. Weitere Glieder könnten durch
Bestimmung der Lösungen höherer Ordnung, also y 2 , y 3 , .•• und y2 , y3 , •.. ermittelt werden,
worauf hier aber verzichtet werden soll.

3 3

z z

z 3 --x-- 5 0.5 --x--- 1.0


Bild B11.2-1: Verlauf der Teilfunktionen li1 und y 1

Bild Bll.2-l zeigt die Teillösungen y1 (x) und y 1 (x). Zusätzlich ist die jeweils andere Teillösung
(durchbrochene Linien) eingetragen, die wegen der dann erforderlichen Koordinaten-Transfor-
mation x--+ x, bzw. x --+ x jeweils abhängig vom Störparameter c ist. Für c--+ 0 ist deutlich der
"Grenzschicht-Charakter" der Gesamtlösung erkennbar, d.h. die Teillösung y1 beschreibt einen
immer kleineren Teil der Gesamtlösung in der Umgebung von x = 0. Dies ist deutlich auch in der
gleichmäßig gültigen Gesamtlösung fj in Bild Bl1.2-2 zu erkennen.

Bild B11.2-2: Gleichmäßig gültige


Lösung fj1 (x) = y 1 (x) + y1 (x)- e für
verschiedene Werte von c
0.5 --x-- 1.0

Die in Beispiel 11.2 illustrierte Vorgehensweise soll nun als 4-Schritte-Schema im


Hinblick auf die vorgesehene Anwendung erläutert werden. Tabelle 11.1 enthält
eine Zusammenstellung der Einzelschritte.
11 Asymptotische Entwicklungen 251

81 Entdimensionierung der Grundgleichungen


PROBLEM-
FORMULIERUNG Identifizierung des Störparameters c

82 c = 0 (naive Näherung) in Gebiet I


NÄHERUNG I
Störansatz F 1 = ...

83 Koordinatentransformation x 1j --+ xuj


NÄHERUNG II
Störansatz Fn = ...

84 Identifizierung der primären Entwicklung


ANPASSUNG
Anpassen der prim./sek. Entwicklung

Aufstellen einer gleichmäßig gültigen Lösung

Tabelle 11.1: Schematisches Vorgehen bei der Methode der angepaßten asymptotischen Entwick-
lungen

(Sl) Problemformulierung: Mathematische Formulierung des Störungsproblems


und Identifizierung des Störparameters
In den vollständigen Grundgleichungen (in der Regel: Navier-Stokes-Gleichungen,
Energiesatz) wird nach einer Entdimensionierung mit globalen, charakteristischen
Bezugsgrößen ein Störparameter c identifiziert. Es können auch mehrere Störpara-
meter c 11 c 2 , •.• gleichzeitig auftreten. Im weiteren wird jedoch von einem einzigen
Störparameter ausgegangen.

(S2) Näherung 1: Naive Näherung und asymptotische Entwicklung in einem Ge-


biet I
In der sog. "naiven Näherung" setzt man zunächst c = 0. Mit den so reduzierten
Gleichungen kann das Strömungsfeld nicht überall im Sinne einer gleichmäßig gülti-
252 K. Gersten/ H. Herwig

gen Näherung (s. Abschnitt 11.2) beschrieben werden, da ein singuläres Störungs-
problem vorliegen soll. Die Gültigkeit ist vielmehr auf ein Teilgebiet beschränkt,
das Gebiet I genannt werden soll.
Es empfiehlt sich, schon jetzt den Bereich zu identifizieren, in dem diese erste,
naive Näherung versagt, weil der Fehler dort nicht beschränkt bleibt, sondern im
Vergleich zum Fehler im Gebiet I (asymptotisch) groß wird. Dieser Bereich soll
Gebiet II genannt werden und wird im nächsten Schritt betrachtet.
Für die gesuchte Lösung in Gebiet I wird folgende asymptotische Entwick-
lung (asymptotische Reihe) formuliert, deren führender Term die naive Näherung
darstellt:

00

F1(x 1j,e) = 2:9n(e)Fn(x 1) , (11.2)


i=l

Der Index j kennzeichnet die verschiedenen Koordinaten x*, y*, z*.


Die Funktionen 9n (e) heißen Vergleichsfunktionen und bestimmen unmittel-
bar die asymptotische Größenordnung der einzelnen Reihenglieder. Häufig, aber
nicht notwendigerweise, sind es Potenzen von e. Gleichung (11.2) ist dann eine
asymptotische Reihe, wenn gilt

Il. m --= 0
gli+l bzw. 9Ii+l = o(gn) · (11.3)
c-+0 9n
Die Größenordnungssymbole 0( ... ) und o( .. .) wurden bereits in Kap. 7 eingeführt,
s. (7.11) und (7.12).
Die Entwicklung (11.2) wird in die vollständigen Grundgleichungen einge-
setzt. Die Funktion F1 steht dabei für alle abhängigen Variablen des betrachteten
Problems, also z.B. u, v,p, e, .... Faßt man anschließend jeweils alle Terme dersel-
ben asymptotischen Größenordnung für sich zusammen, so entsteht aus dem einen
Grundgleichungssystem eine Hierarchie von Einzelgleichungssystemen jeweils für die
Funktionen F11 , F 12 , •.• mit den entsprechenden Randbedingungen, abgeleitet aus
den vollständigen Grundgleichungen. In praktischen Fällen werden meist nur die
ersten zwei oder drei Gleichungssysteme ermittelt.

(S3) Näherung II: Einführen von transformierten Variablen und asymptotische


Entwicklung im Gebiet II

Wie bereits in S2 erwähnt, gibt es ein Gebiet II, in dem die Entwicklung (11.2)
nicht gültig ist. In diesem Gebiet gilt ein anderer Längenmaßstab Lj1, so daß die
unabhängigen Variablen dort x 11j := xj / Lj1 lauten. In bezug auf die zuvor bereits
eingeführten Koordinaten x1j handelt es sich also um die Transformation

(11.4)
11 Asymptotische Entwicklungen 253

Bei Problemen mit mehreren unabhängigen Variablen wird häufig nur eine un-
abhängige Variable auf diese Weise transformiert.
Für die gesuchte Lösung im Gebiet II wird wieder als asymptotische Entwick-
lung angesetzt
00

Fn(xnj,e:) = Lgm(e:)Fm(xnj), (11.5)


i=l

Auch diese Entwicklung wird in die vollständigen Grundgleichungen eingesetzt,


nachdem diese in die Variablen Xnj umgeschrieben worden sind. Durch das Zu-
sammenfassen aller Terme derselben asymptotischen Größenordnung entsteht wie-
derum eine Hierarchie von Einzelgleichungssystemen, diesmal für F111 , F112 , ... mit
den entsprechenden Randbedingungen.

(S4) Anpassung: Anpassen der Entwicklungen I und II, Identifizierung der pri-
mären Entwicklung und Aufstellen einer gleichmäßig gültigen
Lösung
Beide Reihen, F 1 und FII, sind bisher gleichberechtigt behandelt worden. Tatsächlich
gibt es jedoch eine klare Hierarchie im Sinne einer primären und einer sekundären
Entwicklung (vgl. Schneider (1978, S. 204)).
Die primäre Entwicklung ist diejenige, deren Lösung in der führenden Ord-
nung, also O(gn (e:)) oder O(gm (e:)), von der anderen Entwicklung unabhängig ist,
also ohne Kenntnis der anderen Lösung vollständig bestimmt werden kann.
Die Entscheidung, welche Entwicklung als primäre Entwicklung angesehen
werden muß, ist eng mit der Frage nach den Randbedingungen verknüpft, die
jeweils erfüllt werden können. Diese wiederum ergeben sich z. T. erst im Prozeß des
Anpassens, der anschließend behandelt wird. Deshalb wird es häufig erst möglich
sein, die primäre Entwicklung zu identifizieren, wenn die Frage der Anpassung beider
Entwicklungen geklärt ist.
Statt der Unterscheidung nach "primärer" und "sekundärer" Entwicklung
hat sich auch die Klassifizierung nach "äußerer" und "innerer" Entwicklung ein-
gebürgert, die sich an der physikalischen bzw. geometrischen Anschauung orientiert.
Häufig, aber nicht zwingend, ist die primäre Entwicklung die "äußere Entwicklung",
wie in fast allen Beispielen dieses Buches.
Folgende Überlegungen führen zur Anpassung der Entwicklungen I und II:
Von entscheidender Bedeutung ist die asymptotische "Größe" der Gebiete I und
II. Beide Gebiete sind durch charakteristische Längen Li bzw. Lir beschrieben, die
asymptotisch nicht gleich groß sind. Im Grenzfalle:~ 0 geht das Verhältnis Li/ Lir
entweder gegen Null oder gegen Unendlich. Im asymptotischen Grenzübergang
e: ~ 0 kann es somit keine festen Grenzen zwischen den Gebieten geben, an denen
beide Entwicklungen übereinstimmen könnten, da sich die Gültigkeitsbereiche in
ihrer Ausdehnung analog zu den charakteristischen Längen verändern. Statt dessen
254 K. Gersten/ H. Herwig

wird gefordert, daß beide Entwicklungen asymptotisch aneinander angepaßt werden.


Dabei wird folgendermaßen vorgegangen.
Da man beim Übergang von einem Gebiet in das andere an keiner Stelle ein
Gebiet definitiv ''verläßt" und das andere "erreicht", muß der Übergang in einem
sog. Überlappungsgebiet erfolgen, in dem beide Entwicklungen gemeinsam gültig
sind, d.h. für c: ---+ 0 gegen dieselbe Lösung streben. Die charakteristische Länge in
diesem Überlappungsgebiet ist weder Li noch Li1• Dieses Gebiet ist in bezugauf eine
der Längen asymptotisch klein (z.B. bezüglich Li, wenn Li/ Li1 ---+ oo für c: ---+ 0)
in bezug auf die andere hingegen asymptotisch groß. Mit einer charakteristischen
Zwischenlänge Li kann aber die Lösung in diesem Überlappungsgebiet wieder durch
eine asymptotische Entwicklung (Zwischenentwicklung) Fz(xzj, c:) mit Xzj := xj /Li
dargestellt werden.
Da die Lösungen F 1(x 1j, c:) und Fn(xnj• c:) beidein diesem Überlappungsgebiet
gültig sind, müssen dort beide für c: ---+ 0 auf die Lösung zustreben, auf die auch
die Zwischenentwicklung zustrebt. Das bedeutet aber, daß beide Reihen F1 und
Fn, in die Zwischenvariable Xzj umgeschrieben, bis zu der jeweils betrachteten
asymptotischen Ordnung gleich sein müssen!
Diese Vorschrift zur Anpassung asymptotischer Entwicklungen geht auf Kap-
lun und Lagerstrom zurück (s. z.B. Kaplun und Lagerstrom (1957)). Sie ist in der
Anwendung relativ aufwendig.
Als Alternative dazu hat Van Dyke ein sog. asymptotisches Anpassungsprinzip
(engl.: asymptotic matehing principle) entwickelt. Statt beide Reihen in einer
Zwischenvariablen zu entwickeln und dann entsprechend der gewünschten Ordnung
gleichzusetzen, werden die Reihen in der jeweils anderen Variablen entwickelt und
dann in einem allerdings z.T. aufwendigen Verfahren gleichgesetzt, s. z.B. Van Dyke
(1975a, S. 220). Der Zusammenhang zwischen beiden Arten der Anpassung ist sehr
ausführlich in Eckhaus (1977) behandelt. Die asymptotische Anpassungsvorschrift
lautet

Die sekundäre Entwicklung der primären Entwicklung muß mit


der primären Entwicklung der sekundären Entwicklung überein- (11.6)
stimmen.

Dabei bedeutet die "sekundäre Entwicklung der primären Entwicklung": Die primä-
re asymptotische Reihe (Entwicklung) wird in sekundäre Variable umgeschrieben
und anschließend für c: ---+ 0 entwickelt. Entsprechendes gilt für die "primäre
Entwicklung der sekundären Entwicklung".
Dies soll kurz an den Entwicklungen im Beispiel 11.2 erläutert werden. Dort
ist die Entwicklung in Gebiet I die primäre Entwicklung, weil der führende Term
ohne Information aus Gebiet II ermittelt werden kann. Sie lautet

y(x,c:) = y 1 (x) + c:y2 (x) + · · · = ee-x + O(c:), (11. 7)


11 Asymptotische Entwicklungen 255

umgeschrieben in die sekundäre Variable x = xfe und anschließend nach e


entwickelt,

y = ee-EX + O(e) = e [1- ex + O(e2 )] + O(e) = e + O(e). (11.8)

Die sekundäre Entwicklung ist entsprechend

(11.9)

umgeschrieben in die primäre Variable x = ex und anschließend nach e entwickelt,

(11.10)

Die Forderung, daß beide Entwicklungen für e -+ 0 übereinstimmen sollen, führt auf
die Bedingung C = e. In Beispiel 11.2 wurde die Konstante auf eine etwas andere
Art bestimmt, s. {11.12) gegen Ende dieses Abschnittes.
Der Begriff "übereinstimmen" muß präzisiert werden, wenn nicht nur die
führenden Terme der Entwicklung, sondern auch höhere Ordnungen angepaßt
werden sollen. Dann gilt folgende asymptotische Vorschrift (s. Van Dyke (1975a,
S. 220)), wenn z.B. F 1 die primäre Entwicklung ist:

Die sekundäre Entwicklung bis zur Ordnung O(gun(e)) der primä-


ren Entwicklung bis O(g1m(e))
ist gleich (11.11)
der primären Entwicklung bis zur Ordnung O(g1m(e)) der se-
kundären Entwicklung bis 0 (9nn (e)).

Dabei gilt für die Ordnungen m, n = 1, 2, 3, ... in der Regel Im - nl = 0 oder 1. In


(11.11) bedeutet "die sekundäre Entwicklung der primären Entwicklung" wieder:
Die primäre asymptotische Reihe wird in sekundäre Variable umgeschrieben und
anschließend für e -+ 0 entwickelt. Mit Hilfe dieser Anpassungsvorschrift ergeben
sich Randbedingungen für die einzelnen Summanden der asymptotischen Reihen.
Diese zunächst nicht sehr anschauliche Vorschrift (die in den folgenden
Abschnitten angewandt und damit erläutert wird) ist sehr einfach zu handhaben,
wenn nur der jeweils führende Term betrachtet wird. Die zuvor erläuterte Anpassung
aus Beispiel 11.2, (11.7) bis (11.10), war genau ein solcher Sonderfall. Dort galt
m = n = 1 und g1m(e) = 1, 9nn(e) = 1.
In den Anpassungsvorschriften (11.6) bzw. (11.11) werden die beiden asym-
ptotischen Entwicklungen dadurch angepaßt, daß sie für e -+ 0 bis zu definierten
Ordnungen (im Überlappungsgebiet) zur Übereinstimmung gebracht werden.
Eine andere, nicht gleichermaßen systematisch anwendbare Vorschrift, die
meist nur für die Bestimmung der führenden Terme zu benutzen ist, s. Van Dyke
{1975a, S. 90), wurde von Prandtl im Zusammenhang mit der von ihm entwickelten
Grenzschichttheorie verwendet. Sie kann am besten am Beispiel der primären
256 K. Gersten/ H. Herwig

Entwicklung G in y := y* / L * und der sekundären Entwicklung g in N := y* V'ffß! L *


erläutert werden. Sie lautet für eine allgemeine abhängige Variable G bzw. g

lim G(y) = lim g(N) für Re----> oo (11.12)


y-+0 N-+oo

und kann als Anpassen durch Grenzwertbildung bezeichet werden. Mit dieser einfa-
chen Vorschrift (Van Dyke nennt sie "primitive rule") war die Anpassung in Beispiel
11.2 vorgenommen worden.
Falls dies gewünscht wird, kann man anschließend die beiden getrennten
Entwicklungen zu einer gleichmäßig gültigen Lösung zusammenfassen. Dies ist
möglich, weil sich die Gültigkeitsbereiche beider Lösungen überlappen. Eine häufig
verwendete Methode ist die additive Zusammensetzung, bei der nach der Addition
beider Entwicklungen der gemeinsame Anteil aus dem Überlappungsgebiet (der
doppelt auftritt) einmal subtrahiert wird.
Nach der Addition beider Entwicklungen treten in dieser Summe beide
Koordinaten, x 1j und x 11j, auf. Man sollte das Problem dann formal in die primäre
Koordinate umschreiben (x 1j oder x 11j), so daß erwartungsgemäß der Störparameter
explizit in der gleichmäßig gültigen Lösung auftritt (s. Beispiel 11.2).
Mit den Schritten S1 bis S4 ist die generelle Vorgehensweise bei singulären
Störungsproblemen beschrieben. Stellt sich in Schritt S2 heraus, daß das Teilgebiet
I das gesamte Strömungsfeld (einschließlich der Berandung) umfaßt, so handelt es
sich um ein reguläres Störungsproblem, bei dem die Notwendigkeit für eine zweite
Entwicklung naturgemäß entfällt. In diesem Sinne gelten die Schritte S1 bis S2 für
ein reguläres und S1 bis S4 für ein singuläres Störungsproblem. Charakteristisch für
ein singuläres Störungsproblem ist die Streckung der Variablen (Schritt S3) und das
Anpassen der Entwicklungen (Schritt S4), (engl.: stretching and matching).

11.4 Strömungen bei großen Reynolds-Zahlen (Re ~ oo)

Die in Kapitel 7 ausführlich beschriebene Prandtlsche Grenzschichttheorie soll jetzt


verallgemeinert bzw. in die Systematik der Methode der augepaßten asymptotischen
Entwicklungen eingebunden werden. Dabei wird sich herausstellen, daß die Prandtl-
sche Grenzschichttheorie den führenden Term einer asymptotischen Entwicklung
der Navier-Stokes-Gleichungen für Re----> oo liefert. In diesem Sinne entsprechen die
nachfolgenden Gleichungen (11.31) genau den Prandtlschen Grenzschichtgleichun-
gen (7.19) bis (7.21), wenn konstante Stoffwerte vorliegen.
Gemäß der generellen Vorgehensweise nach Abschnitt 11.3 ist in folgenden
Schritten vorzugehen.
11 Asymptotische Entwicklungen 257

(Sl) Problemformulierung

Ausgangspunkt sind die vollständigen Navier-Stokes-Gleichungen, hier der Einfach-


heit halber für zweidimensionale und stationäre Strömungen, die im Rahmen die-
ses Buches ausschließlich behandelt werden. Darüber hinaus werden die Stoffwerte
als konstant angesehen. Es soll die Umströmung eines Körpers betrachtet werden,
dessen Konturform zunächst keinen Einschränkungen unterliegt. Um die asympto-
tischen Eigenschaften der Strömung für die theoretische Behandlung ausnutzen zu
können, sollen die Ausgangsgleichungen in einem körperangepaßten Koordinaten-
system formuliert werden, s. Anhang Al. Es handelt sich um ein orthogonales Ko-
ordinatensystem, bei dem die Koordinate x* der Körperkontur folgt und die y*-
Koordinate senkrecht auf der Wand steht und nicht gekrümmt ist. Diese Wahl des
Koordinatensystems ist bei konvex gekrümmten Körpern unproblematisch.
Bei konkaver Körperkrümmung kann es aber weiter entfernt vom Körper zur
Überschneidung von Koordinatenlinien kommen, so daß unter Umständen auf ein
allgemein krummliniges Koordinatensystem übergegangen werden muß.
Entdimensioniert man die Gleichungen mit einer charakteristischen Körper-
abmessug L *, einer Bezugsgeschwindigkeit Uß (z.B. der Anströmgeschwindigkeit
U:X,) und dem Bezugsdruck gßUß 2 , so erhält man die anschließend aufgeführten
dimensionslosen Gleichungen. Die lokale Konturkrümmung, charakterisiert durch
den Krümmungsradius R*(x*), erscheint jetzt explizit in den Gleichungen. Zur
Vereinfachung der Schreibweise sollen folgende Abkürzungen eingeführt werden (mit
R := R*/L*, y := y*/L*):
- L* 1
R ·- -=---- (----> 0 für R----> oo, y beschränkt) (11.13)
.- R* +y* R+y
~ R* R
R ·- -=--- (----> 1 für R----> oo, y beschränkt) (11.14)
.- R* +y* R+y
R' := dR* jdx* = dRjdx. (11.15)

Die Navier-Stokes-Gleichungen lauten damit


~au av -
R-+-+Rv=O (11.16)
ax ßy
~ au au - ~ap -1{~2a2 u 82u
Ru ax + V ßy + Ru V = - R ax + Re R ßx2 + ßy2

+R [ au - Ru + 2R av + RRR' (y au - v)] } (11.17)


ßy ax ax
~ av av - 2 ßp -1 { ~2 8 v 8 v 2 2
Ru-+v--Ru
ßx ßy
=--+Re
ßy
R -+-
ßx2 ßy2

-
+R [av -
ßy- Rv- ~au
2R ßx - ~
+ RRR' ( y ßx
av + u)] } . (11.18)
258 K. Gersten/ H. Herwig

Als Randbedingungen gelten


y =0: u=v=O (11.19)
y-->oo: J u2 + v 2 = 1 , p = 0. (11.20)

Gleichung (11.20) bringt zum Ausdruck, daß in großer Entfernung vor dem Körper
die ungestörte Anströmung mit dem Druck p* = p~ herrscht (Dabei ist p~
der modifizierte Druck in der Anströmung, s. dazu Kap. 3, (3.21)). Gesucht sind
Lösungen dieser Gleichungen für Re--> oo, weshalb ein Störparameter

c =Re-n, n>O (11.21)


eingeführt werden soll. Der Exponent n bleibt zunächst unbestimmt und wird in
diesem speziellen Fall in S3 (im allgemeinen aber erst in S4) festgelegt.

(S2) Näherung I

Aus der Definition des Störparameters (11.21) folgt unmittelbar Re - 1 = c: 11n, so


daß die naive Näherung c = 0 bedeutet, daß Re- 1 = 0 gilt. Damit entfallen in den
Navier-Stokes-Gleichungen (11.17) und (11.18) auf den rechten Seiten alle Terme,
die Re- 1 als Vorfaktor haben. Diese Terme sind leicht als sog. Reibungsterme zu
identifizieren, so daß die verbleibenden Gleichungen, die Euter-Gleichungen genannt
werden, eine reibungsfreie Strömung beschreiben. Das grundsätzliche Problem bei
diesen Gleichungen zur Beschreibung von Körperumströmungen ist, daß sie die
Haftbedingung an der Körperoberfläche (abgesehen von wenigen Spezialfällen) nicht
erfüllen können.
Aufgrund dieser Überlegungen kann der wandnahe Bereich der Strömung als
"Gebiet II" identifiziert werden, in dem die naive Näherung versagt. Gleichzeitig ist
dies eine Bestätigung dafür, daß es sich tatsächlich um ein singuläres Störungspro-
blem handelt.
Für die gesuchte Lösung in Gebiet I werden analog zu (11.2) folgende
Entwicklungen gewählt:

u1(x, y, c:) = u11 (x, y) + c u12 (x, y) + O(c:2 )


v1(x, y, c:) = v11 (x, y) + c:vdx, y) + O(c:2 ) (11.22)
PI(x, y, c:) =Pu (x, y) + c: p 12 (x, y) + O(c: 2 ).
Die allgemeinen Vergleichsfunktionen g11 (c:) sind hier bereits spezifiziert worden.
Der führende Term muß aufgrund der Randbedingung (11.20) von der Größen-
ordnung 0(1) sein. Für die nachfolgenden Vergleichsfunktionen ist (versuchsweise)
eine Potenzreihe in c angenommen worden. In Schritt S4 wird sich erweisen, daß
damit ein Anpassen der beiden Entwicklungen möglich ist. Würde man allgemein
Yn ansetzen, wären diese Vergleichsfunktionen in S4 zu spezifizieren.
11 Asymptotische Entwicklungen 259

Die Ansätze (11.22) werden nun in die Grundgleichungen (11.16) bis (11.18)
eingesetzt und nach Potenzen von c zusammengefaßt. Dabei wird deutlich, daß die
Potenz n darüber entscheidet, in welcher Ordnung im Gebiet I erstmals Reibungs-
einflüsse auftreten, weil Terme aus den Ausdrücken Re - 1 { ... } berücksichtigt wer-
den müssen. Wegen Re- 1 = c 1/n ist dies die asymptotische Größenordnung O(c 11n).
Erst wenn n festliegt (die Festlegung wird im Schritt S3 erfolgen), können die Glei-
chungssysteme endgültig aus den Grundgleichungen abgeleitet werden. Statt nach
Festlegung von n in den Schritt S2 zurückzukehren, soll jetzt unterstellt werden,
daß Reibungseinflüsse in den beiden ersten Ordnungen nicht vorkommen; es wird
also unterstellt, daß n < 1 gilt. Damit können die beiden ersten Gleichungssysteme
schon jetzt formuliert werden. Es gilt
1. Ordnung:

(11.23)

2. Ordnung:

~( avl2 avll ) avl2 8vn - 8pl2


R Un ax + ul2 ax + Vn 8y + vl2 8y - R 2 Uu ul2 = - 8y . (11.24)

Die Gleichungen (11.23) und (11.24) können nicht mehr die gleiche Anzahl von
Randbedingungen erfüllen wie die vollständigen Grundgleichungen, da die Ord-
nung der Differentialgleichungen gegenüber den Ausgangsgleichungen durch den
vollständigen Fortfall der Reibungsterme erniedrigt worden ist (Entarten der Diffe-
rentialgleichung, s. Kriterium K1 in Abschnitt 11.2).
Weit weg vom Körper gilt aufgrund von (11.20)

y-+oo: Vu11 + Vf1 = 1 ; Pu =0


(11.25)
J + Vf2 =
u12 0; P12 =0·
An die Stelle der Randbedingungen an der Wand (z.B. Haftbedingung), die von
diesen Gleichungen nicht erfüllt werden können, treten die Anpassungsbedingungen
zum wandnahen Gebiet II, die in S4 ermittelt werden.
260 K. Gersten/ H. Herwig

(S3) Näherung II

Als Gebiet II konnte bereits der Bereich des Strömungsfeldes in unmittelbarer


Wandnähe identifiziert werden. In diesem Bereich müssen Reibungskräfte berück-
sichtigt werden, damit bei y = 0 die Haftbedingung erfüllt werden kann.
Da der Störparameter eines singulären Störungsproblems als das Verhältnis
zweiercharakteristischer Längen interpretiert werden kann (s. Kriterium K2 in Ab-
schnitt 11.2), ist aus E: :=Lid Li =Re-n neben Li = L* die Größe L*Re-n als cha-
rakteristische Länge Li1 zu identifizieren, die als viskoser Längenmaßstab bezeichnet
werden soll. Diese Größe kann aber offensichtlich nur für die "Dicke" der wandnahen
Schicht als Maßstab zur Entdimensionierung dienen, da in Strömungsrichtung un-
verändert L * die Ausdehnung charakterisiert. Im Gebiet II wird deshalb jetzt eine
neue, transformierte Variable senkrecht zur Wand eingeführt, die dem Wechsel in
der Bezugslänge von Li auf Li1 Rechnung trägt. Es gelte (N;; Normalen-Richtung)

y* y*
N := L* = L*Ren = yRen. (11.26)
II

An dieser Stelle ist nun bereits die Bestimmung des Exponenten n durch eine
genauere Analyse der Reibungsterme in den Grundgleichungen (11.17) und (11.18)
möglich. Da der Exponent n selbstverständlich unabhängig von der lokalen Wand-
krümmung R(x) ist, kann die folgende Überlegung exemplarisch für den Spezialfall
der geraden Wand (R = 0 und R = 1) angestellt werden. Außerdem reicht es,
nur die x-Impulsgleichung zu betrachten. Die Reibungsterme in (11.17) lauten
dann Re- 1 {ß 2 ujßx 2 + ß2 ujßy 2 } bzw. mit Re- 1 = E:l/n und ßjßy = RenßjßN =
c 1ßjßN
(gerade Wand) . (11.27)

Im asymptotischen Grenzfall E: ---> 0 soll dieser Ausdruck nicht null werden, denn
dann wären die Gleichungen in den Gebieten I und II identisch, und gleich "entartet"
gegenüber den Grundgleichungen. Er soll aber auch nicht gegen Unendlich streben,
denn dann würde die gesamte x-Impulsgleichung zu der Gleichung ß2 ujßN 2 = 0
entarten. Der Ausdruck (11.27) bleibt jedoch für n = 1/2 endlich und von null ver-
schieden; er lautet dann ß2 ujßN 2 für E: ---> 0. Das Prinzip, nach dem n bestimmt
wurde, ist als das Prinzip der geringsten Entartung der Differentialgleichung be-
kannt, s. Van Dyke (1975a, S. 86).
Gemäß (11.5) wird nun folgende Entwicklung im Gebiet II mit N = yVRe
vorgenommen:

u11 (x, N, E:) =um (x, N) + E: u112 (x, N) + O(e 2 )


vn(x, N, E:) = vm (x, N) + E:v112 (x, N) + O(e2 ) (11.28)
Pn(x, N, e) =Pm (x, N) + E: p112 (x, N) + O(e2 ).
11 Asymptotische Entwicklungen 261

Bevor diese Entwicklungen in die Grundgleichungen (11.16) bis (11.18) eingesetzt


werden, müssen die Grundgleichungen in das (x, N)-Koordinatensystem umge-
schrieben werden (damit gilt dann z.B. 8j8y = e- 1 8j8N und R = 1- eN/R +
O(e 2 )).
Setzt man un und vn in die so transformierte Kontinuitätsgleichung (11.16)
ein, folgt für die führende Ordnung O(e- 1 )

(11.29)

Unterstellt man eine undurchlässige Wand, so folgt unmittelbar vm = 0. Da erst v112


von null verschieden ist, wird häufig auch die v-Komponente der Geschwindigkeit
wie folgt transformiert (vgl. (7.14) in Abschnitt 7):

(11.30)

Im weiteren soll vn als abhängige Variable verwendet werden, da dann eine


einheitliche Indizierung möglich ist. Dies entspricht formal einer Entwicklung
vu(x, N, e) = eVm (x, N) + e 2 v112 (x, N) + O(e3 ) statt der Entwicklung (11.28). Der
Querstrich auf vm erinnert im folgenden an diese Besonderheit.
Die beiden ersten Gleichungssysteme, die nach Einsetzen der Ansätze für un,
Vu und Pn aus den transformierten Grundgleichungen folgen, lauten

1. Ordnung:
8u111 8vm _ 0
8x + 8N -

(11.31)

2. Ordnung:
8un 2 8v 112 _ ]:_ (N 8um _ _ )
8x + 8N - R 8x vm

(11.32)
262 K. Gersten/ H. Herwig

In der x-Impulsgleichung 2. Ordnung ist die rechte Seite unter Benutzung der
x-Impulsgleichung 1. Ordnung umgeformt worden, so daß dort z.B. ßp111 jßx nicht
mehr explizit auftritt. Die Gleichungen 2. Ordnung sind so geschrieben worden,
daß die rechten Seiten nur Terme aus der 1. Ordnung enthalten. Es sei noch
einmal darauf hingewiesen, daß alle Gleichungen zweiter und höherer Ordnung
(zwangsläufig) linear sind.
Als Randbedingungen stehen unmittelbar nur die Bedingungen (11.19) zur
Verfügung. Es gilt damit
N=O: (11.33)
Bedingungen am Außenrand des Gebietes müssen aus den Anpassungsbedingungen
im nachfolgenden Schritt S4 gewonnen werden.

(S4) Anpassung
Die jetzt zu treffende Entscheidung, welche der beiden Entwicklungen I und II
die primäre Entwicklung darstellt, ist eng mit dem Anpassungsprozeß bzw. mit
der Frage nach der Erfüllbarkeit von Randbedingungen verknüpft. Der führende
Term der primären Entwicklung muß definitionsgemäß unabhängig von der anderen
Entwicklung bestimmt werden können.
Diese Forderung legt die Entwicklung I eindeutig als primäre Entwicklung fest.
Am Ende von S2 war beschrieben worden, daß die Gleichungen in I von erniedrigter
Ordnung sind und deshalb nicht mehr die gleiche Anzahl von Randbedingungen
erfüllen können. Tatsächlich reichen die Randbedingungen (11.25) für u 11 , v11 und
Pu aus, das Gleichungssystem (11.23) zu lösen, wenn zusätzlich eine "kinematische
Strömungsbedingung", also eine Aussage über v11 in Wandnähe, getroffen wird. Die
Frage ist nun, ob v11 in Wandnähe durch das Gebiet II beeinflußt ist (dann wäre
I nicht unabhängig von II) oder nicht. Im Grenzfall c: --+ 0 geht die Schichtdicke
des Gebietes II (charakteristische Länge: L* /VRe) ebenfalls gegen null, so daß
die kinematische Strömungsbedingung für das Gebiet I unbeeinflußt von Gebiet II
formuliert werden kann. Im Fall der undurchlässigen Wand lautet diese Bedingung:
v11 = 0.
Eine entsprechende Überlegung für den führenden Term der Entwicklung im
Gebiet II muß berücksichtigen, daß die Ordnung der x-Impulsgleichung gegenüber
der Ausgangsgleichung (11.17) nicht erniedrigt worden ist. Damit müssen neben
den Randbedingungen an der Wand, (11.33), zusätzlich noch Randbedingungen für
N --+ oo zur Verfügung stehen. Diese folgen aus der Anpassung an die Entwicklung
in I, so daß die Gleichungen für um, v111 und p111 nicht unabhängig von der
führenden Ordnung im Gebiet I gelöst werden können. Damit ist die Entwicklung
im Gebiet II also die sekundäre Entwicklung.
Statt von primärer und sekundärer Entwicklung kann auch von äußerer und
innerer Entwicklung gesprochen werden (s. (S4) in Abschnitt 11.3), was in diesem
Fall sehr anschaulich mit den geometrischen Verhältnissen übereinstimmt.
11 Asymptotische Entwicklungen 263

Die sekundäre oder innere Entwicklung II beschreibt die Wandgrenzschicht.


Die Gleichungen (11.31) sind genau die Prandtlschen Grenzschichtgleichungen
((7.19) bis (7.21) mit f2 = 'f/ = 1 in Kap. 7). Sie stellen die führende Ordnung
einer allgemeinen asymptotischen Theorie dar.
Mit den Anpassungsvorschriften (11.6) und (11.11) stehen klar definierte
Übergangsbedingungen zur Verfügung, die im Grunde genommen nur noch formal
angewendet werden müssen. Trotzdem erweist es sich in der konkreten Anwendung
als sehr hilfreich, die physikalische Situation im Auge zu behalten.
Ausgangspunkt für die weiteren Überlegungen muß stets die primäre Entwick-
lung sein, deren führender Term nach Definition unabhängig von der sekundären
Entwicklung festliegt. Im hier vorliegenden Fall handelt es sich um die Gleichungen
(11.23), die eine reibungslose Körperumströmung beschreiben. Da der erste Term
der primären (äußeren) Entwicklung der naiven Näherung c = 0 entspricht, "ent-
artet" das Gebiet II (Grenzschicht) zur Dicke null. Die kinematische Strömungsbe-
dingung für die erste Ordnung lautet also, unbeeinfiußt von Gebiet II,

Vn (x, 0) = 0. (11.34)

Für die Komponente un (x, 0) kann aufgrundder Reduktion der Ordnung gegenüber
den Navier-Stokes-Gleichungen keine Bedingung an der Wand gestellt werden. Sie
folgt als Ergebnis aus der Lösung des Gleichungssystems (11.23).
Es ist zu beachten, daß (11.34) nur für die führende, d.h. 1. Ordnung gilt. Da
aber die 2. Ordnung der Außenströmung, (11.24), von der gleichen Art wie die 1.
Ordnung ist, kann erwartet werden, daß aus dem Anpassungsprozeß eine Bedingung
für die Komponente v12 entsteht und u 12 dann wieder aus der Lösung von (11.24)
folgt.
Wäre das Problem (11.23) über die Einführung einer Stromfunktion W =
Wn +c w12 +0(c 2 ) formuliert worden, lautete die kinematische Strömungsbedingung

Wn (x, 0) = const. (11.35)

In einem ersten Schritt ist jetzt die führende Ordnung im Gebiet II (Grenzschicht)
an die Lösung un, vn, p 11 anzupassen. Zunächst soll die u-Komponente betrachtet
werden und dazu die Vorschrift (11.11) mit m = 1 und n = 1 Anwendung finden.
Folgende drei Schritte sollen im weiteren jeweils in einer Zeile geschrieben werden:

(1) Auswahl der Terme bis zur Ordnung m bzw. n


(2) Umschreiben in die andere Variable
(3) Entwicklung für c---. 0 bei fester Koordinate N bzw. y.
264 K. Gersten/ H. Herwig

Für die u-Komponente bedeutet dies

u 1 = uu(x,y) = uu(x,c:N) = uu(x,O) +c:N ( 8un)


ay 0 + ··· (11.36)

u11 =um (x, N) =um (x, yjc:) =Um (x, oo) + · ·· . (11.37)
Da im Vergleich zwischen (11.36) und (11.37) die Terme bis zur Ordnung 0(1)
übereinstimmen sollen, gilt
um (x, oo) = uu (x, 0) . (11.38)
Die V-Komponenten der Ordnung 0(1) müssen nicht weiter betrachtet werden, sie
erfüllen die Anpassungsbedingung entsprechend (11.38) automatisch. Ferner gilt
Vm = 0 (vgl. (11.28), nicht (11.30)!), was mit der kinematischen Strömungsbedin-
gung (11.34) verträglich ist und wieder zum Ausdruck bringt, daß es keine Rück-
wirkung der Größenordnung 0(1) auf die primäre Entwicklung gibt.
Der Druck Pm ist nur eine Funktion von x, also bezüglich y bzw. N konstant,
wie (11.31) sofort zeigt. Ganz analog zu (11.38) gilt dann für den Druck

Pm(x) = Pu(x,O). (11.39)


Der Druck ist der Grenzschicht 1. Ordnung somit von der Außenströmung (1. Ord-
nung) "aufgeprägt", also keine abhängige Variable der Grenzschichtgleichungen
1. Ordnung. Ersetzt man 8pmf8x durch dpmfdx und berücksichtigt damit
8p111 j8N = 0, so verbleiben zwei Gleichungen für die unbekannten Funktionen
u 111 (x, N) und v111 (x, N).
Im nächsten Schritt soll die Außenströmung 2. Ordnung angepaßt werden.
Wie bereits erläutert, muß eine "kinematische Strömungsbedingung 2. Ordnung",
also eine Aussage über v 12 für y --> 0 gefunden werden. Die Vorschrift (11.11) mit
m = 2 und n = 1lautet für die V-Komponente (man beachte: wegen der besonderen
Entwicklung von v ist g12 (c:) = Ym (c) = O(c)!)

v1 = v11 (x, y) + c vdx, y) = v11 (x, cN) + c v12 (x, cN)


= v11 (x, 0) + c [N ( a;~1 ) 0 + V12(x, 0)] + · · · (11.40)

v11 = cvm(x,N) = cv 111 (x,yjc) = cv111 (x, oo) + · · ·. (11.41)


Die geforderte Übereinstimmung bis zur Ordnung O(c) ergibt wegen
Vu (x, 0)= 0 und N = 0 in (11.40)
vdx, 0) = v111 (x, oo). (11.42)
Mit dieser und der Randbedingung (11.25) können jetzt die Gleichungen (11.24)
gelöst werden. Als Ergebnisse stehen dann u.a. die im weiteren benötigten Funk-
tionen u12 (x, 0) und pdx, 0) zur Verfügung (zur physikalischen Interpretation s.
Anmerkung 3 am Ende dieses Abschnittes).
11 Asymptotische Entwicklungen 265

Als letztes sollen durch Anpassen die Randbedingungen für die Grenzschicht-
gleichungen 2. Ordnung, (11.32), ermittelt werden. Dazu ist die Vorschrift (11.11)
mit m = n = 2 anzuwenden, was zunächst für die u-Komponente erfolgen soll (es
handelt sich also um die "Fortsetzung" der Anpassung (11.36), (11.37))
u1 = un(x,y) +c- u 12 (x,y) = un(x,c-N) +c- u12 (x,c-N)

= un (x, 0) + e [N (0;~ 1 ) 0
+ U12(x, 0)] + · · · (11.43)

un = um(x, N) + c-ull2(x, N) = um(x, yjc-) + c-ull2(x, yjc-)


=um (x, oo) + e ull2(x, oo) + · · · . (11.44)

Die Übereinstimmung bis zur Ordnung O(c-) ergibt (s. dazu auch die anschließende
Anmerkung 1)
ull2(x, oo) = u12 (x, 0) + N ( ßun)
ßy 0 • (11.45)

Diese Bedingung kann noch umgeschrieben werden, wenn man ausnutzt, daß die
Drehung w im körperaugepaßten x, y-System wie folgt lautet:

w* L * 1 ( ~ ßv ßu - )
w := Uß = 2 R ßx - ßy - Ru . (11.46)

Betrachtet man die führende Ordnung der Außenströmung (un, vn) und unterstellt,
daß es sich um eine Potentialströmung bei drehungsfreier Anströmung handelt, so
gilt wn = 0 im ganzen Feld. Speziell bei y = 0 gilt dann wegen ßv / ßx = 0 und
R= 1/R
(8 ;~ 1 ) 0 = - ~un(x,O). (11.47)

Damit lautet die Randbedingung (11.45) für den Fall wn = 0


N
ull2(x, oo) = udx, 0) - Run (x, 0). (11.48)

Für den Druck ergibt sich ganz analog zu (11.43) und (11.44), wobei nur u durch p
zu ersetzen ist,

PII2(x, oo) = p 12 (x, 0) + N ( 8Pn)


ßy 0 . (11.49)

Aus der y-Impulsgleichung (11.23) an der Wand folgt unmittelbar


(8pnf8y) 0 = R- 1 ut
1 (x,O), so daß (11.49) jetzt lautet

N 2
PII2(x, oo) = p12 (x, 0) + Run (x, 0). (11.50)
266 K. Gersten/ H. Herwig

Damit stehen alle Randbedingungen für die Grenzschichtgleichungen 2. Ordnung


zur Verfügung. Die aus der Lösung von (11.32) folgende V-Komponente am Außen-
rand, vll2(x, oo), dient dann der Anpassung an die Außenströmung 3. Ordnung, die
hier aber nicht weiter betrachtet wird.

Anmerkung 1 (Anschauliche Deutung der Anpassungsbedingung (11.45))


Die bisher benutzte Schreibweise zur Kennzeichnung der Grenzwerte ---+ 0 bzw. ---+ oo ist aus
Vereinfachungsgründen "0" bzw. "oo". So ist z.B. mit (11.45) gemeint

ull2(x, N ...... oo) = UI2(x, y ...... 0) + N a


( 8un)
y y->0
Dies kann sehr anschaulich gedeutet werden.
Während (11.38) nur sicherstellt, daß die u-Komponente der Grenzschicht an die Wand-
werte der Außenströmung anschließt, wird mit (11.45) sichergestellt, daß auch die Steigungen der
Profile von Grenzschicht und Außenströmung übereinstimmen. Aufgrund der Entwicklungen der
Profile ist diese Aussage in einem "hierarchischen Sinne" zu verstehen. In (11.45) tritt die Profil-
steigung von un auf, von u 12 zunächst nur der Wandwert. In der nächsten Ordnung würde dann
(auf der Basis der Taylor-Reihenentwicklung von un) die Krümmung von un und die Steigung
von u 12 (sowie der Wandwert von u 13 ) auftreten, usw.

Anmerkung 2 (Ablösung)
Der Vorgang der Anpassung läßt eine klare Hierarchie erkennen, die in Bild 11.1 verdeutlicht ist.
Insbesondere sind dort noch einmal die durch Anpassen ermittelten Größen aufgeführt.

I. Ordn. :-~~~-~B-~::_;~~[~~~1~~~-t~l!i~:~
/ ____ r____
o
: 0 :
vl2 (x,
)

J
0

/
: __________ Jl
I I

y
(11.38). (11.39) (11.1.2) (11.1.8). (11.50) ( ... )

r-----~-~! ,----~-~
:
lI Un1 (X, 0<))
: Prrl (X)
1 I
Ull2 (X,oo)
: _______ : Pu2 (X, oo)
:
!_______________________
I
t_______ _
//, /
8 _ ::___ 8_:_,_,~~----------------- ~N~i~:~
Bild 11.1: Anpassen der primären und sekundären Entwicklungen für Re---+ oo

Das bisher beschriebene Vorgehen hat allerdings zur Voraussetzung, daß die Grenzschichten nicht
ablösen (T-!(x*) > 0)! Nur dann ist sichergestellt, daß die Rückwirkung der Grenzschicht auf die
Außenströmung asymptotisch klein ist und die Außenströmung die primäre Entwicklung darstellt.
11 Asymptotische Entwicklungen 267

Tritt Ablösung auf, entsteht eine vollständig andere asymptotische Struktur, die in Abschnitt 11.6
behandelt wird.
Mit der Forderung, daß keine Ablösung auftreten darf, wird eine Mehrdeutigkeit der äußeren
Lösung erster Ordnung vermieden, deren Gleichungen und Randbedingungen zunächst mehr als
eine Lösung zulassen (in der Regel sind es unendlich viele). In diesem Zusammenhang spricht man
dann auch von der relevanten Eu/er-Lösung, s. dazu z.B. Lagerstrom (1975).

Anmerkung 3 (Verdrängungswirkung)

Für die Außenströmung 2. Ordnung war durch_Anpassen die Randbedingung v12 (x, 0) =tim (x, oo)
ermittelt worden. In der zweiten Ordnung existiert also für y -+ 0 eine endliche, im allgemei-
nen positive V-Komponente, die physikalisch als Ausblasgeschwindigkeit oder als Wirkung von
Quellen an der Wand interpretiert werden kann. Beide Interpretationen machen deutlich, daß die
Außenströmung durch die Grenzschicht "verdrängt" wird.
Diese Verdrängungswirkung wird noch deutlicher, wenn die Anpassung über die Strom-
funktion statt über die Geschwindigkeitskomponenten erfolgt. In der Außenströmung gilt dann
IJ!n (x, 0) = 0, vgl. (11.35), für die zweite Ordnung IJ! 12 (x, 0) = f(x) ~ 0. Die gesamte Strom-
funktion IJ! 1 = IJ!u + e: IJ! 12 ist also bei y = 0 nicht mehr null. Der Wert IJ! 1 = 0 (Begrenzung
des Strömungsgebietes) tritt jedoch in einem gewissen Wandabstand auf, so daß die Linie IJ!1 = 0
als neue fiktive "Wand" interpretiert werden kann. Die Außenströmung ist um einen bestimmten
Betrag verdrängt worden. Die Außenströmung 2. Ordnung ist eine Potentialströmung um einen Er-
satzkörper ("effektiver Körper"), der gegenüber dem gegebenen Körper um die Verdrängungsdicke
"aufgedickt" ist. Zur Verdrängungsdicke s. (7.31) in Abschnitt 7.4, zur speziellen Problematik der
Verdrängungsdicke bei Grenzschichten höherer Ordnungs. Gersten (1974a).
Die Verdrängungswirkung läßt sich, wenn dies gewünscht ist, durch Absaugen von Fluid
über die Wand (poröse Wand) kompensieren, vgl. Abschnitt 7.8.

Anmerkung 4 (Effekte 2. Ordnung)

Die Außenrandbedingungen (11.48) und (11.50) zeigen deutlich, daß es zwei verschiedene Ef-
fekte zweiter Ordnung gibt, einen aufgrund der Verdrängungswirkung und einen aufgrund der
Wandkrümmung. Da die zugehörigen Differentialgleichungen linear sind, können beide Einflüsse
über entsprechende Ansätze getrennt behandelt und dann überlagert werden, s. dazu Gersten and
Gross (1976) oder Gersten (1982a).

Beispiel 11.3: Grenzschichttheorie höherer Ordnung für die halbunendliche Platte bei homogener
(drehungsfreier) Anströmung

Re=--
u:t•
Bild B11.3: Strömung an der v*
halbunendlichen Platte;
L * ~ willkürlich gewählte Länge zur
formalen Entdimensionierung
"'"<l/7/177777/ ///777777777???77777 ...

Die Plattenströmung nach Bild B11.3 soll als Spezialfall der allgemeinen Grenzschichtströmung
systematisch in den Schritten (S1) bis (S4) behandelt werden. Als Bezugsgeschwindigkeit Uß dient
jetzt die Anströmgeschwindigkeit U::O.
268 K. Gersten/ H. Herwig

(S 1) Problemformulierung
Aufgrund der Geometrie gilt für den lokalen Krümmungsradius R*- 1 = 0, also R = 0 und R = 1
in (11.13) bzw. (11.14). Die Navier-Stokes-Gleichungen vereinfachen sich dadurch erheblich. Mit
Einführung der Stromfunktion IJ! (es gilt: u = aw j8y, V= -81J! j8x, IJ! := IJ!* /(L*U;;_,)) lauten die
Navier-Stokes-G leichungen ( 11.16) bis ( 11.18)

( aw !.._ _ aw
8y 8x 8x 8y
!.._) .6.w = .2_.6.2
Re
w (B11.3-1)

mit den Randbedingungen (vgl. (11.19), (11.20))


aw
y =0: -
8y
= IJ!(x, 0) = 0 (B11.3-2)

x __. -oo : IJ!(x, y) = y. (B11.3-3)


Gleichung (B11.3-1) entsteht durch Subtraktion der nach x abgeleiteten y-Impulsgleichung von der
nach y abgeleiteten x-Impulsgleichung. Sie wird Wirbeltransportgleichung genannt, da w = -.6.1J! /2
gilt, s. dazu z.B. Schlichting (1982). Wie sich im folgenden zeigen wird, hat es Vorteile, die Navier-
Stokes-Gleichungen in der Form (B11.3-1) zu verwenden. Sie ist vollkommen äquivalent zu (11.16)
bis (11.20) mit R = 0, R = 1. Eine Besonderheit dieser Schreibweise ist, daß der Druck nicht mehr
explizit in den Gleichungen auftritt. Es wird die Lösung für Re __. oo gesucht. Der Stör- bzw.
Entwicklungsparameter ist wieder e: = 1/VRe.

(S2) Näherung I
In der naiven Näherung e: = Re- 1 12 = 0 entfallen die Reibungsterme auf der rechten Seite von
(B11.3-1), damit aber auch die höchsten Ableitungen (__. singuläres Störungsproblem).
Analog zu (11.22) wird für die Stromfunktion angesetzt

(B11.3-4)
Die Gleichungen 1. und 2. Ordnung, (11.23) bzw. (11.24), lauten in der Wirbeltransport-
Formulierung

( 81J!n
8y 8x
!.._- 81J!n
8x 8y
!.._) .6.1J!n = 0 (B11.3-5)

( 81J!n !.._
8y 8x
_ 81J!n
8x 8y
!.._) .6.1J! 2 + (81J!12
1 8y 8x
!.._ _ 81J!12 !.._) .6.1J!n = 0
8x 8y
(B11.3-6)

mit einer Aufteilung der Randbedingung analog zu (11.25).

(S3) Näherung II
Nach Einführung der neuen KoordinateN gemäß (11.26) gelten die Gleichungen (11.31) für die 1.
Ordnung und (11.32) mit 1/ R = 0 für die 2. Ordnung. Diese Gleichungen könnten auch wieder in
die Wirbeltransport-Form (dann mit IJ!n := IJ!j1Re 112 j(L*U;;.,)) umgeschrieben werden, was hier
aber unterbleiben soll, da die nachfolgende Anpassung über die Geschwindigkeitskomponenten u,
v und nicht über die Stromfunktion erfolgen soll.

(S4) Anpassung
Da die äußere Entwicklung I die primäre Entwicklung darstellt, kann der führende Term unter
Berücksichtigung der kinematischen Strömungsbedingung (11.34) ermittelt werden. Die Lösung
der Gleichung (B11.3-5) für drehungsfreie Anströmung (s. (B11.3-3)) lautet

IJ!n = y. (B11.3-7)
11 Asymptotische Entwicklungen 269

Es handelt sich also um die ungestörte Strömung mit u 11 = 8'V 11 /8y = 1.


Die Anpassung an den führenden Term in Gebiet II ergibt für um{x,oo) gemäß {11.38)
damit
um (x, oo) = 1. {Bll.3-8)
Die Anpassung der Außenströmung 2. Ordnung benötigt als Ergebnis der Innenströmung 1.
Ordnung die Größe 'iim (x, oo), s. {11.42). Diese Größe ist nach (7.42) mit (7.50)
'iim (x, oo) = ß1 {2x)- 112 , ß1 = 1, 2168. {B11.3-9)
Gemäß der Anpassung {11.42) lautet die Randbedingung für die 2. Ordnung Außenströmung also
v12 {x, 0) = ß1 {2x)- 112 --> 'V 12 {x, 0) = -ß1 {2x) 112 . {B11.3-10)
Der Übergang auf die Stromfunktion 'V 12 erfolgt durch eine Integration bzgl. x, da v12 = -8'Vr 2 /ßx
gilt.
Insgesamt gilt in Wandnähe damit für die Außenströmung

{B11.3-11)
Mit 'V 1 = 0 für die "effektive Wand" folgt, daß mit {B11.3-11) die Umströmung des Körpers

{B11.3-12)
beschrieben wird. Dabei handelt es sich um eine Parabel mit dem Nasenradius ßf/Re, s. dazu
auch Van Dyke {1975a, S. 138).
Die Lösung von {Bl1.3-6) mit der Randbedingung {B11.3-10) lautet (s. Van Dyke {1975a,
s. 135))
{B11.3-13)
Damit kann nun die Anpassung an die 2. Ordnung der Innenströmung erfolgen. Dazu wird u 12 {x, 0)
benötigt. Aus {B11.3-13) folgt mit u 12 = ß'V 12 /ßy für die gesuchte Größe aber u 12 (x, 0) = 0! Da
für die ebene Platte auch R- 1 = 0 gilt, lautet {11.48) also

u 112 (x,oo) = 0. {B11.3-14)


Damit sind aber alle Randbedingungen für die Grenzschichtgleichungen 2. Ordnung null. Da für
diesen Fall die Gleichungen {11.32) homogen sind, lautet die Lösung u 112 = v112 = 0, d.h. für die
halbunendliche Platte existiert keine von null verschiedene Lösung der Grenzschichtgleichungen
2. Ordnung (Bezüglich der Diskussion möglicher Eigenlösungen des homogenen Problems sei auf
Van Dyke {1975a, S. 132) und Stewartson {1957) verwiesen).
Obwohl für die Strömung an der halbunendlichen Platte keine von null verschiedenen Grenz-
schichtlösungen 2. Ordnung existieren, kann ein Korrekturterm der Größenordnung O(Re- 1 ) im
Widerstandsgesetz gefunden werden, s. dazu die Anmerkung nach (7.55) in Kap. 7. Offensichtlich
werden dabei dann in einem asymptotischen Sinne Effekte höherer Ordnung berücksichtigt, die in
bezug auf den (integralen) Widerstandsbeiwert zu einem Term O(Re- 1 ) führen.

Anmerkung (Optimale Koordinaten)


Bisher wurden kartesische Koordinaten verwendet. Hätte man statt dessen parabolische Koordina-
ten verwendet, wäre die Außenströmung erster Ordnung bereits die Summe der hier angegebenen
Außenströmungen erster und zweiter Ordnung, so daß die Anpassungsbedingung {B11.3-10) für
die v-Komponente in parabolischen Koordinaten bereits in der ersten Ordnung erfüllt wäre. Für
die Plattenströmung sind daher parabolische Koordinaten sogenannte "optimale Koordinaten".
Optimale Koordinaten hängen von der Geometrie der betrachteten Körper ab, vgl. Van Dyke
{1975a, S. 144). Beispielsweise sind für die Staupunktströmung kartesische Koordinaten optimal,
da die Lösung der Grenzschichtgleichung 1. Ordnung in diesem Fall auch Lösung der vollständigen
Navier-Stokes-Gleichungen ist (s. dazu (7.60) in Kap. 7 sowie das nachfolgende Beispiel 11.4).
270 K. Gersten I H. Herwig

Beispiel 11.4 : Grenzschichttheorie höherer Ordnung für die Staupunktumgebung eines umström-
ten Körpers (drehungsfreie Anströmung; symmetrische Strömung)

u.* {''
Re ~ -""- -
"" v*
R*'. J _ _ · - · - · - Bild B11.4: Strömung in der
1 Staupunktumgebung eines umströmten
I
.... / Körpers (symmetrische Strömung)
L • ;:;:, willkürlich gewählte Länge zur
formalen Entdimensionierung

Die Staupunktumgebung eines allgemeinen symmetrischen sog. stumpfen Körpers kann wie in Bild
B11.4 dargestellt werden. Zur Beschreibung der Strömung wird ein körperangepaßtes orthogonales
Koordinatensystem gewählt. Soll als Bezugslänge der Krümmungsradius R* im Staupunkt gewählt
werden, so gilt R* I L • = 1.
In diesem Beispiel sollen die Schritte (S1) bis (S4) nicht explizit ausgeführt werden, sondern
es soll im wesentlichen nur das Ergebnis mitgeteilt werden. Für Einzelheiten sei auf eine sehr
ausführliche Darstellung in Van Dyke (1962) verwiesen.
Da ein allgemeiner Staupunkt betrachtet wird, d .h. der Körper, zu dem der Staupunkt
gehört, zunächst beliebig sein kann, wird die Außenströmung in einer allgemeinen Reihenentwick-
lung angegeben. Die Koeffizienten müssen im konkreten Anwendungsfall dann aus der U mst römung
des betreffenden Körpers gewonnen werden, s. Tab. B11.4.
In Erweiterung der Entwicklung (7.56) aus Kap. 7 gilt bei Berücksichtigung der zweiten
Ordnung für die Außengeschwindigkeit (Näherung I) an der Wand

U := ~ = Bx + B 1 x 2 + · · · + Re;;;,112 { Cx + C 1 x 2 + · · ·} + · · · . (B11.4-1)
00

Nach d er Anpassung der Näherungen I und ll bis zur zweiten Ordnung folgt für den Reibungsbei-
wert bei der Außenströmung (B11.4-1) folgendes Ergebnis:

<oo Reoo1
r. 1 2 = 2x !"wl B 312 + ~
1/ 2 (t"w2K L*
R* B + f"w2V B 112 c) + .. . · (B11.4-2)
Reoo
Dies ist die konsequente "Fortsetzung" des Ergebnisses (7.58) aus Kap. 7 zur nächst höheren
Ordnung. Aus Gründen der Systematik ist jetzt lediglich J!;, 1 statt J!;, geschrieben worden.
Gleichung (B11.4-2) zeigt deutlich, daß es zwei verschiedene Effekte zweiter Ordnung gibt. Der
mit /!;, 2 K verbundene Anteil beschreibt den Einfluß der Längskrümmung der Wand (Index K:
Krümmung) . Der Zahlenwert für /!;, 2 K ist -1,9133, so daß eine konvex gekrümmte Wand, wie sie
in Bild B11.4 gezeigt ist, zu einer verminderten Wandschubspannung führt. Der Krümmungsterm
entfällt für eine senkrechte, nicht gekrümmte Wand, da dann der Krümmungsradius unendlich groß
wird und L • IR* = 0 gilt. Der mit !!;, 2 v verbundene Anteil beschreibt den Verdrängungseinfluß
(Index V: Verdrängung). Der Zahlenwert für /!;, 2v ist 1,8489.
An dieser Stelle ergibt sich nun ein interessanter "Widerspruch" . In Kap. 7 war festgestellt
worden, daß die Grenzschichtlösung zur Außenströmung U = Bx identisch mit der Lösung der
vollen Navier-Stokes-Gleichungen für diesen Fall ist, s. die Diskussion im Zusammenhang mit
(7.60). Wieso kann es dann einen Effekt höherer Ordnung geben, da Effekte höherer Ordnung
11 Asymptotische Entwicklungen 271

doch gerade die Abweichungen der Grenzschichtlösung niedrigster Ordnung von der vollständigen
Lösung beschreiben? Zur Klärung dieser Frage sollen die beiden Gleichungen für U und 4 00 wie
folgt formal umgeschrieben werden (beachte: Bei der Außenströmung U = Bx gilt L* / R* = 0, s.
Bild 7.7 mit ß = 1, d.h. als Effekt höherer Ordnung kann nur der Verdrängungseffekt auftreten):

U = (B + Re;;;,112C)x = Ex, (B11.4-3)

4 00 Rel/2
oo
= 2x !"w1 { 8 a;2 ( 1 + Re-1/2
oo
~ !!;, 2v)} + ....
B /!;,
(B11.4-4)
1

Die Lösung der Gleichung für f 2v lautet, s. Van Dyke (1962)

f!;,2V
f2v = 21 ( /1 + Tl/1') -+ - "
1w1 = 23 · (B11.4-5)

Damit gilt aber für den Ausdruck in geschweiften Klammern in (B11.4-4)

(B11.4-6)

woraus folgt
12
.,oo Re oo1 =
r. 2x f"
wl B
312 + O(Re-oo1) · (B11.4-7)

Der Vergleich mit (B11.4-2) zeigt, daß der mit J!;, 2v verbundene Anteil der zweiten Ordnung effek-
tiv nur die Konstante B in der ersten Ordnung verändert. Die Lösung der Grenzschichtgleichung
erster Ordnung ist aber frei von dieser Konstanten, die vollständig in der Bezugsgeschwindigkeit
"aufgeht", s. (7.57) in Kap. 7. Für das Verständnis dieser Zusammenhänge ist es wichtig, die bei-
den Fälle Staupunktgrenzschicht (Grenzschicht zur Außenströmung U = Bx) und Grenzschicht
in der Umgebung eines Staupunktes (Grenzschicht zur Außenströmung U = Bx + B 1 x 2 + · · ·) zu
trennen. "Echte" Effekte höherer Ordnung für die Strömung in der Umgebung eines Staupunktes
entstehen also erst durch Hinzunahme weiterer Terme der Entwicklung bezüglich x in (B11.4-1),
s. dazu Van Dyke (1962).
Tabelle B11.4 enthält Zahlenwerte der Konstanten B und C für die Staupunktgrenzschicht
an verschiedenen Körpern.

Strömung B c Literatur

Kreiszylinderurnströmung
7r
mit kombiniertem starken 2 2vw(O) > 0 Gersten (1979)
Ausblasen/ Absaugen

Kreiszylinderum-
strömung mit 2 vw(O) < 0 Gersten et al. (1977)
starkem Absaugen

Überströmung der 1 -0,61 Van Dyke (1964)


ebenen Parabel
Überströmung des
ebenen Rankine- 1,5 -0,62 Devan (1964)
Halbkörpers

Tabelle B1L4: Zahlenwerte für die KonstantenBund C in (B11.4-1)


272 K. Gersten/ H. Herwig

11.5 Strömungen bei kleinen Reynolds-Zahlen (Re ---. 0)


In Kap. 10 wurde bereits gezeigt, daß bei Körperumströmungen in einem unendlich
ausgedehnten Strömungsfeld der Grenzfall Re ---+ 0 (schleichende Strömungen) ein
singuläres Störungsproblem darstellt, da keine gleichmäßig gültige Entwicklung
gefunden werden kann. Zwar "entarten" die Navier-Stokes-Gleichungen im Grenzfall
Re---+ 0 nicht (Kriterium K1 für ein singuläres Störungsproblem, s. Abschnitt 11.2),
es existieren in dem Problem aber zwei charakteristische Längen Li und Lj1. Die
genauere Analyse des Problems wird ergeben, daß diese Längen die charakteristische
Körperabmessung L * und die "viskose Länge" v* /U:X, sind. Damit ist das Kriterium
K2 für ein singuläres Störungsproblem erfüllt.
Eine von mehreren möglichen Methoden (s. Abschnitt 5.3) zur Behandlung
des vorliegenden singulären Störungsproblems ist die Methode der angepaßten
asymptotischen Entwicklungen, die im folgenden wieder gemäß der allgemeinen
Vorschrift S1 bis S4 aus Abschnitt 11.3 angewandt werden soll. Diese Vorgehensweise
kann nur dann vollständig sequentiell erfolgen, wenn sowohl der Störparameter
c als auch die Vergleichsfunktionen 9u(c) und 9m(c) bei ihrer Einführung im
jeweiligen Schritt bereits explizit bekannt sind. Beide können aber letztendlich erst
im Schritt S4 bestimmt werden. "Letztendlich" soll heißen, daß man bisweilen schon
in früheren Schritten ''versuchsweise" bestimmte Annahmen bezüglich c, 9u (c) und
9w(c) treffen kann, wie dies zum Beispiel in Abschnitt 11.4 für Re---+ oo geschehen
war. Diese Annahmen müssen sich dann nachträglich (nämlich in Schritt S4) als
asymptotisch korrekt herausstellen, und zwar dadurch, daß die Anpassung der
beiden Entwicklungen problemlos möglich ist.
Im jetzt vorliegenden Fall Re ---+ 0 ist die richtige Wahl der Vergleichsfunk-
tionen nicht von vornherein erkennbar. Das ändert jedoch nichts an dem Ablauf-
schema S1 bis S4, außer daß an bestimmten Stellen in vorherige Schritte zurückge-
gangen werden muß, um diese dann explizit auszuführen.
Im folgenden soll beispielhaft die Umströmung eines Kreiszylinders bei ho-
mogener Anströmung betrachtet werden. Als Bezugsgrößen dienen die Anströmge-
schwindigkeit U:X, und der Zylinderradius R*.

(Sl) Problemformulierung
Ausgangspunkt sind wieder die Navier-Stokes-Gleichungen (zweidimensional, sta-
tionär, konstante Stoffwerte). Es erweist sich im folgenden als zweckmäßig, die
Stromfunktion w := w* /U:X,R* zu verwenden. Die Grundgleichungen reduzieren
sich dann formal auf

Re[:x(u.6"1J!)+ :Y(v.6w)] =.6(.6"1l1)=.6 2 w. (11.51)

Der Laplace-Operator .6 lautet


82 82 82 18 182
.6 := 8x2 + 8y2 ' bzw. .6 := -8
r2 + --8
r r + 28
r cp 2.
(11.52)
11 Asymptotische Entwicklungen 273

Soll (11.51) in Polarkoordinaten gelten, so ist neben u = 8\I! j8y, v = -8\I! j8x
lediglich der Zusammenhang x = r cos cp bzw. y = r sin cp zu berücksichtigen, der in
Bild 11.2 verdeutlicht ist. Gleichung (11.51) ist wieder die Wirbeltransportgleichung,
vgl. Beispiel 11.3.

u.*
00

y* r*

Bild 11.2: Koordinatensysteme


(x*, y*) und (r*, ~) bei der
Kreiszylinder-Umströmung

Die Randbedingungen für die Kreiszylinder-Umströmung bei homogener Anströ-


mung lauten (s. Bild 11.2)
r=1: W=8\I!j8r=O (11.53)
r~oo: W=rsin cp . (11.54)

Für den Störparameter c: muß gelten: c: ~ 0 für Re ~ 0, so daß c: = Ren mit


n > 0 sinnvoll erscheint. Der Störparameter c: soll wieder das Verhältnis der zwei
charakteristischen Längen des Problems darstellen. Der Exponent n soll, wie im
Fall Re~ oo, nach dem Prinzip der geringsten Entartung der Differentialgleichung
in Schritt S3 bestimmt werden.

(82) Näherung I

Die naive Näherung c: = 0 bedeutet Re = 0 und damit den vollständigen Fortfall


der konvektiven Glieder in der Wirbeltransportgleichung (11.51). Es verbleibt
die biharmonische Gleichung .6 2 \I! = 0, die in Kap. 10 bereits als sog. Stokes-
Gleichung aufgetreten war. Physikalisch beschreibt sie das Kräftegleichgewicht
zwischen Druck- und Reibungskräften.
Deren Lösung konnte die Randbedingung (11.54) für r ~ oo nicht erfüllen
(Stokessches Paradoxon, s. Abschnitt 10.3). Damit ist das Strömungsgebiet für
r ~ oo, also in der Umgebung des "unendlich fernen Punktes", als Gebiet II
identifiziert, in dem die naive Näherung versagt. Für die gesuchte Lösung im Gebiet
I wird analog zu (11.2) folgender Störansatz gewählt:
(11.55)
274 K. Gersten/ H. Herwig

Erst nachdem der Exponent n im Störparameter und die Vergleichsfunktionen


g11 (c) festliegen (s. Schritt S4), können die Gleichungen für 11tn(r,cp) aus der
Grundgleichung (11.51) bestimmt werden.

(S3) Näherung II

Als Gebiet II konnte bereits der Bereich des Strömungsfeldes für r --" oo identifiziert
werden. In diesem Gebiet gilt die neue unabhängige Variable R := r* I Li1 =
(r* I Li) Ren = r Ren (mit c = Li I Li1 = Ren). Zunächst soll der Exponent n
so bestimmt werden, daß die Ausgangsgleichung (11.51) nach der Transformation
auf die Koordinaten (R, cp) im Grenzfall c --" 0 geringstmöglich entartet. Dies
bedeutet, daß die linke Seite von (11.51) für c--" 0 von der gleichen asymptotischen
Größenordnung sein muß wie die rechte Seite. Physikalisch bedeutet dies die
Berücksichtigung von Trägheitskräften im Gebiet II.
Zur Bestimmung des Exponenten n soll (11.51) auf der Symmetrielinie y = 0
für x --" oo betrachtet werden. Die Wirbeltransportgleichung (in den Koordinaten
R, cp) wird dann besonders einfach, weil speziell gilt

=0, ~=Ren~ (für y = 0). (11.56)


V
ax 8R
Mit dem Laplace-Operator in R statt r, also

- 82 1 8 1 82
!'::. := 8R2 +RaR+ R 2 8cp 2 '
(11.57)

lautet die Wirbeltransportgleichung auf der Symmetrielinie y = 0

(11.58)

Die geforderte asymptotische Gleichheit beider Seiten von (11.58) führt unmittelbar
auf die Bedingung 1 + 3n = 4n für die Exponenten der Reynolds-Zahl, so daß gilt

n=1--" c=Re. (11.59)


Die Radialkoordinate im Gebiet II, bestimmt nach dem "Prinzip der geringsten
Entartung der Differentialgleichung", lautet also R = r Re. Gemäß (11.5) wird
folgende Entwicklung angesetzt:

(11.60)

Die Gleichungen für 111m können wiederum erst nach der Festlegung der Vergleichs-
funktionen 9m (c) hergeleitet werden.
11 Asymptotische Entwicklungen 275

(S4) Anpassung
Es ist jetzt zunächst zu entscheiden, welche der Entwicklungen als primäre Ent-
wicklung anzusehen ist. Dies kann diesmal nur die Entwicklung im Gebiet li sein,
da die führende Gleichung im Gebiet I (Stokes-Gleichung 6 2 \ll = 0) nicht für sich
gelöst werden kann. Dazu ist ein Anpassen an die entsprechende Lösung im Gebiet
li erforderlich.
Die Entwicklung für Wn stellt also die primäre (und gleichzeitig auch
"äußere") Entwicklung dar. Anders als im Grenzfall Re ~ oo ist jetzt also Näherung
li die primäre Entwicklung. Beiden Fällen gemeinsam ist, daß es sich jeweils um die
körperferne Entwicklung handelt, so daß die Bezeichnung "äußere Entwicklung" in
beiden Fällen direkt mit den geometrischen Verhältnissen korrespondiert.
Der Anpassungsprozeß beginnt wie stets mit dem führenden Term der pri-
mären Entwicklung, hier also mit 9m(c)W'm(R,cp) aus der Entwicklung (11.60).
Dieser muß aufgrund der Definition der primären Entwicklung ohne Informationen
aus dem "Innen"-Gebiet I bestimmt werden. Daraus folgt unmittelbar, daß es sich
um die ungestörte Grundströmung (Anströmung) handeln muß, da jeder Einfluß
der Körpergeometrie ausgeschlossen ist. Durch Vergleich von (11.54) und (11.60)
mit r = Rj c folgt

9m (c:) = c- 1 , Wm(R,cp) = R sincp. (11.61)

Jetzt gilt es, den führenden Term der "Innen"-Entwicklung I an die Lösung (11.61)
anzupassen. Dieser führende Term entspricht der naiven Näherung c = 0 und damit
der Lösung der biharmonischen Gleichung 6 2 \ll = 0, die in Kap. 10 bereits ange-
geben worden war. Der entscheidende Unterschied zu dem (nicht-asymptotischen)
Vorgehen in Kap. 10 besteht darin, daß jetzt eine noch unbestimmte Vergleichsfunk-
tion g11 (c) zur Verfügung steht, um die führende Innenlösung an die Außenlösung
anzupassen.
Setzt man die Entwicklung (11.55) für w1 in die vollständige Grundgleichung
(11.51) ein, so folgt unter der Annahme g11 (c) = o(1), d.h. g11 ~ 0 für c ~ 0,
daß Wu der biharmonischen Gleichung 6 2 w11 = 0 gehorcht. Die Lösung kann
unmittelbar aus Kap. 10, dort (10.16), übernommen werden, wobei die Konstante
C 1 in der Vergleichsfunktion g11 (c) enthalten ist. Damit gilt

(11.62)

>Itn (r,<p)
276 K. Gersten/ H. Herwig

Die Anpassungsvorschrift (11.11) mit m 1 und n 1 ergibt nun (Überneh-


men/Umschreiben/Entwickeln)

W' 1 = 9n (e)W'n (r, cp) = 9n (e)W'n (R/ e, <p) = 9n (e) R ln e- 1 sin cp + .. · . (11.63)
f:

Wn = Ym(e)W'm(R, cp) = Ym(e)W'm(re, cp) = rsincp. (11.64)

Der Vergleich von (11.63) mit (11.64) unter Berücksichtigung von r = Rje führt
unmittelbar auf
(11.65)

was die zuvor getroffene Annahme 9n (e) = o(1) bestätigt.


Im nächsten Schritt gilt es, die zweite Ordnung der Außenströmung Wu zu be-
stimmen. Die Bestimmungsgleichung für WII2 kann aber erst bei Kenntnis der zwei-
ten äußeren Vergleichsfunktion g1n(e) aus der Grundgleichung (11.51) hergeleitet
werden. Diese Funktion gii2 muß so gewählt werden, daß die Anpassungsvorschrift
(11.63) und (11.64) einen Schritt weitergeführt werden kann (m = 2, n = 1). Dazu
ist die sekundäre Entwicklung w1 = 9n(e)W'n(r,cp) in primären Variablen (also R)
einen Term weiterzuentwickeln. Für w1 gilt dann

W' 1 = 9n Wn (r, cp) = Yn Wn (Rje, cp)


(11.66)
= ~ [1 + Yn(e) (lnR- ~) + .. ·] sincp.
Um den zweiten Term der Außenströmung WII2 anpassen zu können, muß gelten

(11.67)

Jetzt kann die Gleichung für WII2 bestimmt werden, nachdem zuvor (11.51) mit
(11.57) auf die primäre VariableR umgeschrieben worden ist. Die entstehende Glei-
chung ist vom selben Typ wie die Oseen-Gleichung (10.18) in Kap. 10, berücksichtigt
also die Trägheitskräfte in einer linearisierten Form.
Die Lösung ist, wie bereits im Zusammenhang mit (10.18) erwähnt, sehr
aufwendig. In Form der Geschwindigkeitskomponenten uii2 = &w 112 j&(Rsincp) und
vll2 = -&W'II2/&(R coscp) kann sie explizit angegeben werden, s. z.B. Van Dyke
(1975a, S. 162). Für den Anpassungsvorgang interessiert jedoch nur das Verhalten
für R--+ 0, für das gilt (s. Van Dyke (1975a, S. 163))

W'u 2 = -C2 R (1n! + 1- r) sincp + O(R 2 lnR). (11.68)

Die Größe r ist die Eulersche Konstante r = 0, 5772 ... Um den Anpassungs-
prozeß (m = 2, n = 1) durchzuführen, ist zusätzlich zu (11.66) jetzt noch die
Außenentwicklung mit zwei Termen zu betrachten (Übernehmen/Umschreiben/Ent-
11 Asymptotische Entwicklungen 277

wickeln). Damit gilt

"Wu = 9m (c-)"Wm (R, cp) + g112 (c-)"W 112 (R, cp)


= 9m (c-)"Wm (rc-, cp) + g112 (c-)"W 112 (r c, cp)
(11.69)
= r [1 + C 2 gn (c-) (In~ + ')'- 1)] sin cp.
Ein Vergleich von (11.66) mit (11.69) unter Berücksichtigung von r = R/c ergibt
für die Konstante C2

lnr-lnc--.!
c2 = ln(r/4)-lnc+')'-1
2 = 1 für c --> 0, r fest. (11.70)

Als nächstes muß jetzt die Funktion "W 12 (zweite Ordnung innen) bestimmt werden,
die dann systematisch mit m = 2, n = 2 augepaßt werden kann.
Im hier vorliegenden Fall kann dies aber umgangen werden. Man kann
erreichen, daß "W 12 = 0 wird. Diese Überlegungen gehen auf einen Vorschlag von
Kaplun (1957) zurück. Die Notwendigkeit zu einer Funktion "W 12 # 0 ergibt sich aus
den Anpassungsbedingungen für (m = 2, n = 2). In (11.69) kommt für n = 2 ein
weiterer Term hinzu, aber nur, weil C 2 = 1+0(g12 (c-)) gilt, vgl. (11.70). Weder "Wm
noch "W 112 führen für n = 2 zu einem zusätzlichen Term der Größenordnung O(g[1 )
in (11.69). Wenn es nun gelingt, (11.66) und (11.69) anders als beim bisherigen
Vorgehen so anzupassen, daß C2 für alle c (und nicht nur für c --> 0) bestimmt
werden kann, so entfällt die Funktion "W 12.
Dies ist möglich, wenn in der Vergleichsfunktion 9n (c-) eine freie Konstante k
eingeführt wird, also statt (11.65) gilt

(11. 71)

Der Zusammenhang mit 9n ist dann

(11. 72)

Damit gilt mit "W 1 = "§r 1 "Wu + · · · statt der Anpassungsbedingungen (11.66) und
(11.69) jetzt (Übernehmen/Umschreiben/Entwickeln)

"Wr = · · · = · · · = ~ [1 + 9u (c) (lnR- ~- k) + · · ·] sincp (11. 73)

"W 11 = · · · = · · · = r [1 + C 2 9u (c) (In ~ + ')' - 1)] sin cp. (11.74)


278 K. Gersten/ H. Herwig

Wählt man nun k = In 4 - r + 1/2 = ln 3, 703, dann gilt 0 2 = 1 und, wie vorher
ausgeführt, wl2 = 0.
Die Vergleichsfunktion g11 ( e) lautet damit (e = Re)

~
g11 ( e)
1 ) - 1 ( 3, 703) - 1
= ( In ~4 - r + 2 = In ~ (11.75)

Es ist leicht zu zeigen, daß eine Fortsetzung der Reihe für 'll 1 als 'll 1 = 1 gl 1 Wn 2::::
für alle Funktionen Wn auf die biharmonische Gleichung führt. Die Lösungen sind
dann Vielfache der Lösung w11 , so daß für w1 insgesamt gilt

703) - 1 +
W1 = [ ( In 3 'Re t;
00
ai (
ln 3'Re
703) -il ( r In r - ~+ 1 )
2 r sin cp . (11.76)

Kaplun(1957) hat die Konstante a 3 zu -0, 87 bestimmt. Damit gilt für den
Widerstandsbeiwert des Kreiszylinders der Breite B*, s. Van Dyke (1975a, S. 164)
2W*
c . - --::--c=-=---=-
w.- e*U;JR*B*
(11.77)
= ~: [ (rn 3 ,~~ 3 ) - _
1
0,87 (rn 3 ,~~ 3 ) - + 0
3
((lnRe- 1 )- 4 )]

Die Darstellung dieses Ergebnisses in Bild 11.3 zeigt deutlich die bessere Wiedergabe
experimenteller Daten, wenn der zweite Term in (11. 77) hinzugenommen wird.

2.0.----.-,.--------------,
I
I
I
I
I
\
\
\
o\
\
\ GI. (11.77). ein Term

'd',,/
0 ........ ........ _
1.0 0
Q)o
---
oO:>
0 0
GI. (11.77) 0 0
0
zwei Terme

0 0.5 1.0 Re
Bild 11.3: Widerstandsbeiwert cw des Kreiszylinders als Funktion der Reynolds-Zahl;
nach Van Dyke (1975a)
w• u* R*
cw := e•u;:"}R*B*' Re=~; o o o Experiment, Tritton (1959)
11 Asymptotische Entwicklungen 279

Anmerkung (Kugel-Umströmung)
Ein analoges Vorgehen bei der Kugel-Umströmung führt auf folgende Beziehung für den Wi-
derstandsbeiwert, wenn die Entwicklung im Gebiet I noch einen Term weiter als im Fall der
Kreiszylinder-Umström ung ausgeführt wird, s. Proudman and Pearson (1957):
2W*
cw .. -- ---=---=-
g•u;;1r R* 2
(11.78)

mit Re= U~R* jv*.

11.6 Asymptotische Interaktionstheorie (Dreier-Deck-Theorie)


11.6.1 Vorbemerkung
Ein wesentliches Element der Grenzschichttheorie höherer Ordnung ist der hierar-
chische Aufbau der asymptotischen Entwicklungen, wie er in Bild 11.1 zum Aus-
druck kommt. Als Folge davon haben die Ergebnisse die Form einer Potenzreihe
Li qc:i = Li Ci Re-i/ 2 , (in höheren Ordnungen können auch lnc:-Terme auftre-
ten). Zum Beispiel gilt für den Widerstandsbeiwert der halbunendlichen ebenen
Platte (W*~ Widerstandskraft einer Plattenseite der Breite B*), vgl. Abschnitt
7.5.2 a,
2 W*
c . - -::-::-:::-::--:::,-
w.- e*U-;,2L* B*
(11.79)
= 1,328Re- 1/ 2 +2,326Re- 1 +O(Re- 312 ).
Der Einfluß einer endlichen Plattenlänge muß durch eine genauere Analyse der
Strömung im Hinterkantenbereich ermittelt werden. Man war lange Zeit der Mei-
nung, dabei könne es sich nur um einen Effekt zweiter Ordnung handeln, d.h. der
Hinterkanteneinfluß müsse in einem Term der Ordnung O(Re- 1 ) in (11.79) zum
Ausdruck kommen.
Dies hat sich als falsch erwiesen, weil die Strömung in der Umgebung
der Hinterkante nicht in das Hierarchie-Schema der Grenzschichttheorie höherer
Ordnung eingepaßt werden kann. Erst als man den Hinterkanteneinfluß selbst als
eine lokale Störung (des üblichen Grenzschichtschemas) interpretiert hat, ist eine
konsistente asymptotische Beschreibung gelungen. Diese Betrachtungsweise geht auf
Stewartson (1969), Neiland (1969) und Messiter (1970) zurück, die diese Theorie
unabhängig voneinander entwickelt haben.
280 K. Gersten/ H. Herwig

Es hat sich herausgestellt, daß diese Theorie, die den Hinterkanteneinfluß


asymptotisch korrekt beschreibt, von viel allgemeinerer Bedeutung ist. Sie be-
schreibt ganz allgemein lokale Störungen in Grenzschichtströmungen und soll aus
Gründen, die anschließend deutlich werden, asymptotische Interaktionstheorie ge-
nannt werden. Ein wesentliches Element dieser Theorie ist, daß es zu einer starken
Wechselwirkung zwischen der Grenzschicht und der Außenströmung kommt, so daß
die Lösungen für die Grenzschicht bzw. die Außenströmung nicht mehr nacheinan-
der, sondern nur simultan durch einen Iterationsprozeß bestimmt werden können.
Im folgenden Abschnitt 11.6.2 werden wesentliche Aspekte dieser Theorie aus
einfachen physikalischen Überlegungen für die Hinterkantenströmung abgeleitet, s.
dazu auch Herwig (1991). Beispiele für weitere Anwendungen folgen in Abschnitt
11.6.3.

11.6.2 Strömung im Hinterkantenbereich einer Platte endlicher Länge


Zur Beschreibung der Strömung in der Umgebung der Plattenhinterkante wird ein
kartesisches Koordinatensystem mit dem Ursprung in der Hinterkante gewählt,
s. Bild 11.4. Für große negative x*- Werte wird (asymptotisch) das ungestörte
Blasiussche Plattenprofil erreicht, während für große positive x*- Werte ein sog.
Nachlaufprofil vorliegt, wie es in Bild 11.4 skizziert ist und von Goldstein (1930)
formuliert wurde.

u: ""I

Plotten
Bild 11 .4: Prinzipieller Verlauf der
Hinterkante u*-Komponente vor und nach der
Blosius Nochlauf Plattenhinterkante
Profil Prot il

Betrachtet man die Strömung in der Nähe der Hinterkante genauer, so ergibt
sich folgendes Bild. Beim Erreichen der Hinterkante wechselt die Haftbedingung
u* = 0, die zur Verzögerung der Strömung im Wandbereich und damit zur
Ausbildung einer Grenzschicht geführt hat, "plötzlich" auf die Symmetriebedingung
ßu* / ßy* = v* = 0. Als Folge davon kommt es zu einem "schnellen" Auffüllen
des Defektprofiles u:-.c - u* in der Umgebung der Symmetrielinie y* = 0, wie dies
in Bild 11.5 angedeutet ist. Verantwortlich hierfür ist die "plötzlich" wegfallende
11 Asymptotische Entwicklungen 281

Wandschubspannung. Vor der Hinterkante herrscht an der Wand die Schubspannung


r:,-:/= 0, nach der Hinterkante gilt wegen 8u* j8y* = 0 dann r*(O) = O!
Die Wirkung der viskosen Kräfte ist auf eine dünne Schicht um die Symme-
trielinie y* = 0 beschränkt, und zwar aufgrund der gleichen physikalischen Me-
chanismen, die zur Entstehung von Grenzschichten überhaupt führen. Gemeint ist
das Zusammenwirken von viskosen und konvektiven Transportmechanismen, das in
Abschnitt 7.1 ausführlich beschrieben worden ist. Die dünne Schicht um die Sym-
metrielinie wird als viskose Unterschicht bezeichnet.

---r------t~--~========1==-====f
~
=--== VSTROMLINIEN
ERSCHIEBUNG
-
I
I
/

//
/
HAUPT-EFFEKT:
.. AUFFÜLLEN;;-OES-
·--~ PROFILES UM Y~ 0
ZUM 'NACHLAUF-PROFIL"
FOLGE-EFFEKT:
' ::-.._...,.."""'"".-:-:
.VERSCH[EBUNV DES
''\
\ GESAMTEN PROFILES
I
I
I

Bild 11.5: Profilumbildung im Hinterkantenbereich

Bild 11.5 zeigt einen wichtigen Folge-Effekt der Profilumbildung. Durch den erhöh-
ten Volumenstrom in der Nähe der Symmetrielinie wird das gesamte Profil aus Kon-
tinuitätsgründen zur Symmetrielinie verschoben. Diese Stromlinienverschiebung ist
wie jeder Verdrängungseffekt (hier: "negative" Verdrängung) bis in die reibungslose
Außenströmung zu spüren. In der reibungslosen Außenströmung kommt es zu einer
Veränderung der Druckverteilung aufgrund dieser Stromlinienverschiebung.
Die entscheidende Frage lautet jetzt: Welche asymptotische Größenordnung
haben diese Vorgänge? Das heißt: Wie verhalten sich die Stromlinienverschiebung
und die Druckänderung im Grenzfall Re ~ oo? Diese Frage kann aus einfachen phy-
sikalischen Überlegungen heraus beantwortet werden, wenn die Modellvorstellung
über diesen Vorgang hinreichend präzisiert ist.
282 K. Gersten/ H. Herwig

Folgende drei Hypothesen, die im nachhinein zu verifizieren sind, sollen der


Modellvorstellung zugrunde liegen:
(H1) Der Prozeß der Profilumbildung von je einem Grenzschichtprofil auf je-
der Plattenseite (Blasius) in ein einziges Nachlaufprofil (Goldstein) findet
hauptsächlich in einer viskosen Unterschicht der zunächst unbekannten Dicke
8~ statt. Das restliche Grenzschichtprofil wird lediglich in y* -Richtung ver-
schoben, wie dies in Bild 11.5 gezeigt ist. Der Umbildungsprozeß findet auf
einer Länge L~ statt und ist beendet, wenn das Nachlaufprofil (Goldstein)
erreicht ist.
(H2) Die (negative) Verdrängungswirkung im Bereich der viskosen Unterschicht
(um die Symmetrielinie) ist so schwach, daß in der gesamten Grenzschicht
keine Krümmungseffekte und damit keine normalen Druckgradienten 8p* I 8y*
berücksichtigt werden müssen. Der Verdrängungseffekt ist darüber hinaus
als asymptotisch so klein unterstellt, daß die Störung der reibungslosen
Außenströmung infolge dieser Verdrängungswirkung einer vereinfachten Rand-
bedingung, die auf das sog. Hilbert-Integral (s. (11.84)) führt, gehorcht.
(H3) In der viskosen Unterschicht spielen Reibungskräfte eine wesentliche Rolle.
Sie sind asymptotisch von der gleichen Größenordnung wie die Druckkräfte.
Die dimensionslose Verdrängungsdicke der viskosen Unterschicht, deren Verdrän-
gung wegen (H1) bis in die Außenströmung wirkt, sei !:::, := !:::, *I L *, wobei L * die
Plattenlänge ist. Die Dicke der viskosen Unterschicht (s. Bild 11.5) sei 8~ bzw. 8u :=
8~1 L *. Beide sind asymptotisch notwendigerweise von gleicher Größenordnung, die
durch den im folgenden zu bestimmenden Exponenten n 6 festgelegt ist. Es gilt also

(11.80a)

Für die Länge L~ bzw. Lu := L~IL*, auf der die Umbildung zum Nachlaufprofil
stattfindet, also die Störung durch die Hinterkante wirkt, gelte entsprechend

(11.80b)

Für den "Stördruck" p := (p* - P'"oo)l e*U;,; wird analog dazu angesetzt
(11.80c)

Die Frage lautet jetzt: wie groß sind n 6 , nL und nP? Zur Bestimmung der
drei Exponenten werden drei Gleichungen benötigt, die unmittelbar aus den drei
Hypothesen (H1) bis (H3) folgen.
(1) Es existiert eine viskose Unterschicht der Dicke 8~, also eine "Grenzschicht
in der Grenzschicht", die durch das Zusammenwirken von konvektivem und
viskosem Impulstransport entsteht. Der konvektive Transport wirkt über
die Länge L~ mit der Geschwindigkeit Uk (beides sind charakteristische
Größen bezüglich des Grenzprozesses Re - t oo ). Der viskose (molekulare)
11 Asymptotische Entwicklungen 283

Transport quer zur Hauptströmungsrichtung wirkt über die Länge 8~ mit der
Geschwindigkeit u:.Es gilt nun (s. dazu auch Abschnitt 7.1)

U*
_x_
8*
f'V _..!!.. (11.81)
uk L~ ·

Die molekulare (viskose) Transportgeschwindigkeit ist = v* /8~. Für u:


die konvektive Transportgeschwindigkeit ergibt sich ein charakteristischer
Wert aus der ungestörten Grenzschichtströmung durch eine Taylor-Reihen-
entwicklung zu Uk = (ßuP, 1jßy*)w 8~ mit uP,1(y*) als dem Blasius-Profil der
Plattenströmung. Eingesetzt in (11.81) ergibt sich daraus in dimensionsloser
Schreibweise (N = y Re 112 , s. auch Abschnitt 7.5)

C = 2-1/2 (ßuBI)
ßN w
= 0, 332 ' (11.82)

woraus für die Exponenten folgt (vgl. (11.80), (11.81))

3
nL = 2 +3nc... (11.83)

(2) Die Außenströmung "sieht" eine schwach gekrümmte Verdrängungskontur,


die zu einer Druckverteilung p*(x*) =f. const führt. Aus der Potentialgleichung
folgt ein expliziter Zusammenhang zwischen dieser Druckverteilung und der
Wandkontur (hier: Kontur der Verdrängungslinie), der in der Literatur als
Hilbert-Integral bezeichnet wird, s. z.B. Stewartson (1974),
+oo
p(x) = _.!_ J, dD.j~x dx. (11.84)
7r j X-X
-oo

Das "C" im Integrationssymbol bezeichnet den sog. Cauchyschen Hauptwert,


bei dem die Singularität für x = x entsprechend beseitigt worden ist.
Da die dimensionslose Koordinate x asymptotisch von der Größenordnung
Lu = O(RenL ), also von der Größenordnung des Umbildungsbereiches ist,
folgt aus (11.84) mit 6 = O(Renc..) und p = O(RenP) für die Exponenten

(11.85)

(3) Die Bedingung, daß in der viskosen Unterschicht Reibungs- und Druck-
kräfte asymptotisch von gleicher Größenordnung sein müssen, bedeutet mit
rt* ß2 u* jßy* 2 als typischer Reibungskraft

dp = 0 (Re-1 ß2u) (11.86)


dx ßy2
284 K. Gersten/ H. Herwig

Die asymptotische Größenordnung der Geschwindigkeitskomponente u* ist die der


konvektiven Transportgeschwindigkeit Uk_. Für diese gilt (vgl. die Ausführungen
nach (11.81))
(11.87)

Aus (11.86) und (11.87) folgt für die Exponenten

nP - nL = -1 + ( ~ + n D.) - 2 n D. = - ~ - n D. . (11.88)

Die drei Exponentengleichungen (11.83), (11.85) und (11.88) haben die Lösung

nL = -3/8 -t L u "'Re- 318

nD. = -5/8 -t 8u "'Re- 518 (11.89)

nP = -2/8 -t P"' Re-1/4.

Mit diesem Ergebnis wird deutlich, warum die "normale" Grenzschichthierarchie


durchbrochen wird. Zur Ausbildung der Blasiusschen Plattengrenzschicht kommt
es, weil zwei charakteristische Längen Li = L* und Lir = L*Re- 1/ 2 existieren. Mit
nL = -3/8 gibt es in dem Problem aber eine dritte Länge L~ = L* Re- 318, die
zwischen Li und Lir liegt, für die also asymptotisch gilt: L~/ Li - t 0, L~/ Lir - t oo
für Re= U~L* jv* - t oo.
Dies kann auch so interpretiert werden, daß neben dem Störparameter
e = Lirf Li = Re- 112 ein zweiter Störparameter hinzutritt, der das Verhältnis
der Längen Lir und L~ darstellt, also
L*
~·- __!!- Re-1/8
".- L*- . (11.90)
u

Dieser Parameter ist asymptotisch groß gegenüber e (fi = e!), so daß die asym-
ptotischen Entwicklungen im Hinterkantenbereich vor dem Grenzschichtterm O(e),
vgl. (11.28), noch einige asymptotisch größere Terme aufweisen werden (nämlich
0(~), n = 1, 2, 3).
Mit den Exponenten nL und nD. ist die asymptotische Größe der viskosen Un-
terschicht festgelegt: die Ausdehnung in Strömungsrichtung (L~j L*) ist O(Re- 3 18),
quer dazu ist (8~/L*) = O(Re- 5 / 8).
In der Außenströmung wirkt die Hinterkantenströmung wie eine punktförmige
Druckstörung, die sich in beiden Koordinaten "gleich weit" auswirkt, so daß dort
Abweichungen in einem Gebiet gleicher Längs- und Quererstreckung ("' Re- 318)
auftreten können. Außerhalb dieses Gebietes sind die Störungen bis zur betrachteten
asymptotischen Ordnung abgeklungen.
Insgesamt ergibt sich damit eine Aufteilung des Strömungsfeldes, wie sie in
Bild 11.6 skizziert ist. Es handelt sich dabei um eine rein schematische Darstellung,
11 Asymptotische Entwicklungen 285

die nur die Größenordnung angibt, aber alle Details (wie etwa das Dickenwachstum
mit der Lauflänge) vernachlässigt. Die drei Gebiete werden in der englischsprachigen
Literatur als "lower", "main" und "upper deck" bezeichnet, die gesamte Theorie
als "triple deck theory". In Anlehnung daran sind die deutschen Begriffe Unter-,
Haupt- und Ober-Deck gewählt worden. Die gesamte Theorie wird Dreier-Deck-
Theorie genannt.
\.INGES1ÖRTE AUSSENSTRÖMUNG
_ . _Re·_31_8_ _ _--l

ANKOMMENDE NACH-
GRENZSCHICHT LAUF

HINTERKANTE

Bild 11.6: Dreier-Deck-Struktur in der Umgebung der Plattenhinterkante

Nachdem die Skalierung der Koordinaten und der führende (weil asymptotisch
größere) Störparameter f festliegen, ist das weitere Vorgehen prinzipiell vorgezeich-
net. Die Navier-Stokes-Gleichungen werden in jede der drei Koordinatensysteme
umgeschrieben. Nachdem entsprechende Entwicklungen für die abhängigen Varia-
blen in den drei Gebieten eingesetzt worden sind, lassen sich für alle drei Gebiete
die Gleichungssysteme in aufsteigenden Ordnungen ableiten. Meistens werden an-
schließend nur die führenden Gleichungen weiter betrachtet und für diese Anpas-
sungsbedingungen in Analogie zu den Anpassungsvorschriften (11.6) bzw. (11.11)
aufgestellt.
Mit den Ergebnissen aus den Dreier-Deck-Gleichungen führender Ordnung
lassen sich die drei Hypothesen H1 bis H3 verifizieren. Als ein entscheidendes
Merkmal der Dreier-Deck-Theorie tritt dabei der interaktive Charakter hervor.
Anders als bei der Grenzschichttheorie aus Abschnitt 11.4 können die Grenzschicht-
und Außenströmung in den jeweiligen Ordnungen nicht nacheinander berechnet
werden, sondern müssen simultan (in einem Iterationsprozeß) gelöst werden.
Als Grenzschichtrechnung sind dabei konkret nur die Unter-Deck-Gleichungen
zu lösen, die formal wie die Prandtlschen Grenzschichtgleichungen aussehen, aber
in anders transformierten Variablen formuliert sind. Die Lösung in der "restlichen"
286 K. Gersten/ H. Herwig

Grenzschicht, dem Haupt-Deck, ist anschaulich als seitliche Verschiebung des


ungestörten Profils interpretierbar (s. Hypothese H1).
Zur Lösung der Ober-Deck-Gleichungen führender Ordnung ist lediglich
das Hilbert- Integral (11.84) auszuwerten, nachdem in diesem Gebiet Ober-Deck-
Variable eingeführt worden sind.
Auf Details der Lösung soll hier nicht eingegangen werden; dazu sei auf
die Originalarbeiten von Stewartson (1969) und Messiter (1970) verwiesen. Das
Ergebnis dieser Berechnungen ist u.a. eine zusätzliche Wandschubspannung (s.
Anmerkung 3 am Ende dieses Abschnittes), die aufintegriert über einer Länge
Lu mit Lu = O(Re- 318 ) zu einem Term der Größenordnung O(Re- 718 ) im
Widerstandswert cw führt. Statt (11.79) gilt für eine Platte endlicher Länge, s.
z.B. Messiter (1983),
cw = 1, 328Re- 1 / 2 + 2, 67Re- 718 + O(Re- 1 ). (11.91)
Bild 11.7 zeigt den Widerstandsbeiwert nach (11.91) im Vergleich zu experimen-
tellen Daten wie auch zu Lösungen der vollständigen Navier-Stokes-Gleichungen.
Erwartungsgemäß führt die Hinzunahme des zweiten Terms in (11.91) zu einer bes-
seren Übereinstimmung mit der vollständigen Lösung bzw. den experimentellen
Daten.

1.328 Re- 112 • 2.67 Re-718

Bild 11.7: Widerstandsbeiwert der


0.1 ebenen Platte endlicher Länge, nach
Veldman (1976)
o o o Experiment, Janour (1951)
• • • Navier-Stokes-Lösungen
10 100 1000
Re
Die Übereinstimmung ist selbst bei einer Reynolds-Zahl von Re = 1 so gut, daß man
schon in Interpretationsschwierigkeiten gerät, wie mit Hilfe von Bild 11.8 deutlich
wird. Dort sind einige charakteristische Strömungsgrößen im Bereich der Hinter-
kante gezeigt. Die Größen sind jeweils in Unter-Deck-Variablen aufgetragen, die in
Tabelle 11.2 zusammengestellt sind. Die Kurvenverläufe zeigen, daß ein deutlicher
Einfluß der Hinterkante stromaufwärts bis etwa X = -5 spürbar ist. Diesem Wert
X entspricht für Re= 1 die physikalische Koordinate x* = -19,4L* (Umrechnung
nach Tab. 11.2 mit c = 0, 332, vgl. (11.82)). Das heißt, der Hinterkanteneinfluß ist
"formal" bis weit über die Plattenvorderkante hinaus "spürbar". Diese Interpreta-
tion ist natürlich irreführend. Die einzig vernünftige Erklärung ist, daß die Struktur
nur für Re--+ oo physikalisch sinnvoll zu interpretieren ist. Daß im vorliegenden Fall
selbst bei Re = 1 eine hervorragende Übereinstimmung mit experimentellen Daten
besteht, ist physikalisch nicht "zu erklären".
11 Asymptotische Entwicklungen 287

0.2 3

z
U(X,O)
-1
'·.....:. 1.0
l__----'-X
x---=-3---=-z--:---1--:.o 0 Z 3 X5
(o) (b) (c) (d)

Bild 11.8: Charakteristische Strömungsgrößen in der Umgebung der Plattenhinterkante, nach


Veldman (1976); Hinterkante bei X= 0
Asymtoten der Plattenströmung (Blasius)
Asymptoten der Nachlaufströmung (Goldstein)
schraffierte Fläche in (c): Zusatz-Reibungswiderstand durch den Hinterkauten-Effekt
zur Definition von P, ~ 1 und U s. Tab. 11.2

X y p

x* c5/4Re3/8 r_c3/4Re5/8 ( p* - p;;.") c-1/2Re1/4


L* L* g•U;J
u ~1

~c-1/4Re1/8 (61 - 61Bl)c3/4Re1/8


u•00

Tabelle 11.2: Unter-Deck-Variable; 6 1 nach (7.31); c = 0,332

Die Ergebnisse der asymptotischen Dreier-Deck-Theorie werden in einem Vergleich


mit numerischen Lösungen der vollständigen Navier-Stokes-Gleichungen auf ein-
drucksvolle Weise bestätigt, s. dazu Chen and Patel (1987).

Anmerkung 1 (Stromaufwärtswirkung)

Die Skizzierung der Lösungsgebiete in Bild 11.6 deutet an, daß der Einfluß des Unterdecks
auch stromaufwärts der Hinterkante wirksam ist. Zwar sind die Grenzschichtgleichungen, die in
transformierten Variablen im Unter-Deck gelöst werden, vom parabolischen Typ und lassen für
sich damit keine Stromaufwärtswirkung zu, die iterative Kopplung mit den elliptischen Ober-Deck-
Gleichungen führt dann aber doch zu einer Stromaufwärtswirkung.

Anmerkung 2 (Erläuterung zur Unter-Deck-Skalierung)

Das Unter-Deck war als "Grenzschicht in der Grenzschicht" bezeichnet worden, weil es physikalisch
auf demselben Zusammenspiel von konvektivem und molekularem Impulstransport beruht wie die
"Trägergrenzschicht". Gleichung (11.83) macht dies noch einmal deutlich. Würde das Unter-Deck
nicht auf eine asymptotisch kleine Längenerstreckung Lu "" RenL mit nL < 0 beschränkt bleiben,
sondern von einer Länge der Größenordnung 0(1) sein, dann wäre nL = 0 und aus (11.83) folgte
288 K. Gersten/ H. Herwig

n 6 = -1/2. Dies ist die Skalierung der Trägergrenzschicht, und beide Grenzschichten wären
asymptotisch nicht mehr zu unterscheiden.

Anmerkung 3 (Fortsetzung der asymptotischen Entwicklung)


Der sprungartige Wechsel in der Randbedingung bei x* = 0 (Hinterkaute) ist und bleibt eine
Singularität im Strömungsgebiet, die durch die Dreier-Deck-Theorie nicht beseitigt worden ist.
Auch die asymptotischen Entwicklungen der Dreier-Deck-Theorie gelten nicht beliebig nahe an
der Hinterkante (Die Dreier-Deck-Gleichungen sind damit keine gleichmäßig gültige Näherung!).
Aber: Der Einfluß der fehlenden gleichmäßigen Gültigkeit kann asymptotisch abgeschätzt werden.
Der größte Beitrag daraus zum Widerstandsbeiwert nach (11.91) ist von der Größenordnung
O(Re- 7 16 = Re- 1 •167 ) und damit asymptotisch kleiner als O(Re- 1 ), s. dazu Stewartson (1974,
S. 150). Man nennt die Singularität dann hinreichend schwach für ein Ergebnis bis zur Ordnung
O(Re- 1 ).
Einegenaue Analyse (auch der schwachen Singularität) zeigt, daß die Dreier-Deck- Struktur
nach Bild 11.7 um folgende zwei Gebiete ergänzt werden muß, wenn weitere Terme in cw bestimmt
werden sollen:
(1) Das Haupt-Deck muß auf einer Länge der Größenordnung O(Re- 112 ) um die Hinterkante
gesondert betrachtet werden. Dies führt zu dem o.g. Beitrag O(Re- 7 16 ) in cw·
(2) Um die Hinterkante im Unter-Deck existiert ein Gebiet der Größe O(Re- 3 14 ) in beiden
Koordinatenrichtungen, in dem die vollen Navier-Stokes-Gleichungen gelöst werden müssen.
Der Beitrag aus diesem Gebiet zu cw ist von der Größenordnung O(Re- 5 14 = Re- 1 •25 ).

11.6.3 Weitere Anwendungen der Dreier-Deck-Theorie


Die asymptotische Interaktionsstruktur der Dreier-Deck-Theorie mit ihren ganz
spezifischen Reynolds-Zahl-Skalierungen ist offensichtlich eine Folge der plötzlichen
Änderung der Randbedingung an der Hinterkaute. Dieser Sprung in der Randbe-
dingung ist aber an keine bestimmte Potenz der Reynolds-Zahl gekoppelt, die dann
ihrerseits die Dreier-Deck-Skalierung bedingen würde, sondern "aktiviert" offen-
sichtlich eine "systemimmanente Interaktionsstruktur". Das legt den Schluß nahe,
daß diese Aktivierung der systemimmanenten Interaktionsstruktur auch durch an-
dere Formen einer lokalen Störung erreichbar sein müßte.
Eine Möglichkeit, solche Störungen zu erzeugen, besteht darin, Kontur-
oder Strömungsparameter gemäß der asymptotischen Dreier-Deck-Skalierung an die
Reynolds-Zahl zu koppeln. Vier typische Beispiele hierfür sind
(1) lokale Wanddeformationen der allgemeinen Form Y = F(X). Die Koordinaten
X, Y sind Unter-Deck-Variable (zur Reynolds-Zahl-Skalierung s. Tab. 11.2),
F beschreibt die konkrete Form der Wanddeformation. Beispiele sind: lokale
Wanderhebung, Smith (1973); lokale Wanddeformation in Form einer Delle,
Herwig (1982).
(2) Hinterkantenumströmung mit endlichem HinterkantenwinkeL Die Kopplung
an die Dreier-Deck-Skalierung erfolgt über den Hinterkantenwinkel, der zu
O(Re- 114 ) gesetzt wird, Stewartson (1974, S. 222).
11 Asymptotische Entwicklungen 289

(3) Hinterkantenumströmung mit endlichem Anstellwinkel der asymptotischen


Größenordnung O(Re- 1116 ), Stewartson (1974, S. 225).
(4) Ausblasen aus einem Schlitz der asymptotischen Breite O(Re- 3 18 ) mit einer
Ausblasgeschwindigkeit O(Re- 318 ), Stewartson (1974, S. 203).
Eine Übersicht über weitere Anwendungen der Dreier-Deck-Theorie bei erzwungener
Konvektion, insbesondere auch bei Überschallströmungen, findet man bei Kluwick
(1987).
Bei natürlichen Konvektionsströmungen führt ein "plötzlicher" Wechsel in den
Randbedingungen ebenfalls zur Aktivierung einer systemimmanenten Interaktions-
struktur. Da im Vergleich zu den erzwungenen Strömungen keine Außenströmung
vorhanden ist, liegt aber ein anderer physikalischer Mechanismus vor. Dieser führt
zu etwas anderen Skalierungen, wie im folgenden kurz erläutert werden soll. Die
Überlegungen gelten nicht nur für natürliche Konvektionsströmungen, sondern auch
bei erzwungener Konvektion, wenn keine Außenströmung vorhanden ist, wie dies
z.B. beim Wandstrahl (s. Abschnitt 7.5.3) der Fall ist.
Die Verdrängungswirkung der viskosen Unterschicht steht jetzt nicht mit der
Druckverteilung in der Außenströmung im Wechselspiel, sondern mit der Druckver-
teilung in der "Trägergrenzschicht", die hier das Haupt-Deck ist. Ein Ober-Deck exi-
stiert bei diesen Strömungen nicht, weshalb man von einer sog. Doppel-Deck- Theorie
(double deck theory) spricht. Die Druckverteilung im Haupt-Deck entsteht, weil
die Verdrängungskontur der viskosen Unterschicht eine asymptotisch nicht mehr
zu vernachlässigende Krümmung aufweist. Es kommt zu Druckgradienten normal
zur Hauptströmungsrichtung, d.h. im Störbereich ist fJp* / fJy* nicht mehr zu ver-
nachlässigen. Es gilt mit R* als lokalem Krümmungsradius
fJp 1 fJ2yk
f)y rv R rv fJx2 ' Yk:;:; Verdrängungskontur, (11.92)

wie dies z.B. aus der Grenzschichttheorie 2. Ordnung, (11.32), erkennbar ist.
Diese Beziehung tritt an die Stelle des Hilbert-Integrals (11.84) und ergibt
für die Exponenten statt (11.85) die Beziehung (beachte: y = O(Re- 112 ), Yk =
O(Ren.::o. ), x = O(RenL) und p = O(RenP))
1
nP + 2 = n ~:::. - 2 nL . (11.93)

Zusammen mit den beiden anderen Exponentengleichungen (11.83) und


(11.88) folgt für die drei Exponenten

(11.94)

Die Skalierung ist somit geringfügig anders als bei der Dreier-Deck-Theorie. Ein
Anwendungsbeispiel ist die Strömung eines Wandstrahles in der Nähe konkaver
Ecken, s. Smith and Duck (1977).
290 K. Gersten I H. Herwig

Die Grenzschichten bei natürlicher Konvektion werden üblicherweise mit der


Grashof-Zahl skaliert, s. Abschnitt 8.1. Da die Haupt-Deck-Skalierung mit Gr- 114
statt Re- 1/ 2 erfolgt, ist beim Übergang auf diese Skalierung in allen Exponenten
(11.94) der Doppel-Deck-Theorie für natürliche Konvektionsströmungen der Faktor
1/2 zu berücksichtigen, es gilt also
nL = -6/28 -+ L u "' Gr-3/14

nt::. = -9/28 -+ 8u "' Gr-9/28 {11.95)

nP = -4/28 -+ p"' Gr-1/7.

Anwendungsbeispiele sind die Plattengrenzschicht bei natürlicher Konvektion mit


lokaler Wandkonturstörung, wie sie Merkin (1983) beschreibt, s. auch Gersten et al.
{1991), und der Einfluß der Hinterkante einer Platte endlicher Länge, s. Messiter
{1976).

Beispiel 11.5: Strömung im Bereich einer Wanddelle


Im Rahmen der Dreier-Deck-Theorie soll die erzwungene Strömung im Bereich einer lokalen
Wanddelle einer sonst ungestörten Plattenströmung näher betrachtet werden, s. dazu Herwig

r
(1982). Die Geometrie der Delle lautet

= -H { cos [2?r ( ~ + D] -1
i i
Yo 14; --<X<-
2- -2
(B11.5-1)

mit
H = H*c3 14 JW5 18 IL* = 0(1),

In Bild Bll.S wurde die Größe i = 2 gewählt, die Delle liegt dann im Dreier-Deck-Intervall
-1 < X < 1. Die Unter-Deck-Koordinaten (x* = 0 in der Dellenmitte) sind in Tabelle
11.2 (Abschnitt 11.6.2) definiert. Für die !Wynolds-Zahl gilt mit L* als Abstand zwischen der
Plattenvorderka.nte und der Dellenmitte
g*U* L*
lW= 00 (B11.5-2)
1'/*
Bild B11.5 zeigt die Druckverteilung und die Wandschubspannung für den Fall i = 2, H = 1. In
physikalischen, dimensionsbehafteten Variablen ist dies für jede Reynolds-Zahl eine andere Delle.
Für lW = 105 z.B. gilt für die Tiefe H* I L* = 0, 0017 und für die Länge /.*I L* = 0, 106, s.
dazu Bild Bll.S. Es handelt sich also um eine Delle der relativen Tiefe H* Ii* = 0, 016, d.h.
z.B. 1, 7 mm Tiefe auf 106 mm Länge, mit einem Abstand zwischen Plattenvorderka.nte und
Dellenmitte von L • = 1 m. Diese zunächst geringfügig erscheinende Konturänderung hat erhebliche
Auswirkungen auf die Wandgrenzschicht. Ohne Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen
Grenzschicht und Außenströmung ergibt eine einfache Grenzschichtrechnung Strömungsablösung
kurz nach dem Dellenbeginn, wie der gestrichelt gezeichnete er Re 112 -Verlauf in Bild B11.5 zeigt.
Durch die Wechselwirkung sind die tatsächlichen Druckgradienten jedoch erheblich schwächer, und
die Wandschubspannung erreicht nicht den Wert er Re 112 = 0. Eine weitere Vertiefung der Delle
führt trotz Wechselwirkung schließlich zu Rückströmungen und zwar für H > 1, 36. Auch diese
Strömungen können ohne Schwierigkeiten im Ral!men der Dreier-Deck-Theorie berechnet werden,
s. dazu auch den nachfolgenden Abschnitt 11.7.
Der Einfluß der Konturdeformation auf den Wärmeübergang kann ebenfalls durch die
Dreier-Deck-Theorie erfaßt werden (Herwig (1983)).
11 Asymptotische Entwicklungen 291

D 1/1.
pneL
,, ''\
ll \
\\
,,
,'
\

I ' X

I*

···-- L *----·~f--x-· *
Bild B11.5: Verlauf der Druck- und Reibungsbeiwert-Verteilung im Dellenbereich
Lösung der Dreier-Deck-Theorie für H = 1, l = 2
Lösung der Grenzschichttheorie 1. Ordnung für H* /l* = 0, 016
Dellentiefe nicht maßstabsgerecht gezeichnet
L * 2: Abstand zur Plattenvorderkante

11.7 Asymptotische Theorie laminarer Ablösung


Wie bereits in Kap. 7 erwähnt, weist die Lösung der Grenzschichtgleichungen im
sog. Ablösepunkt xA eine Singularität auf. Es gilt unter der Wirkung eines von der
Außenströmung aufgeprägten Druckgradienten für Re - oo und x - x A
crRe1/2 "'(xA- x)1/2' vRe1/2"' (xA- x)-1/2'
(11.96)
d(o1Re 112 ) ( )-1;2
dx "'XA-x .
Dieses Verhalten wurde erstmals von Goldstein (1948) analysiert und heißt seit-
dem Goldstein-Singularität. Für die weiteren Ausführungen ist wichtig, daß das
singuläre Verhalten [(xA- x)- 112 - t oo für (xA- x)- 0] unter der Wirkung eines
aufgeprägten Druckgradienten im Grenzfall Re - oo und nicht etwa für endliche
Reynolds-Zahlen gilt.
Die Überwindung der mit (11.96) verbundenen Schwierigkeiten hat sich als
extrem schwierig erwiesen. Bis heute ist eine Reihe von Fragen im Zusammenhang
mit der asymptotischen Theorie abgelöster Strömungen ungeklärt.
292 K. Gersten/ H. Herwig

Für die weitere Behandlung dieses Problems empfiehlt es sich, folgende drei
Kategorien von Ablösung zu unterscheiden, da die physikalischen Mechanismen und
dementsprechend ihre mathematische Beschreibung (physikalisch/mathematisches
Modell, vgl. Abschnitt 3.7) jeweils sehr verschieden sind:
(1) Massive Ablösung
(2) Marginale Ablösung
(3) Grenzschichtinterne Ablösung.
In Bild 11.9 ist an je einem Beispiel skizziert, wie sich in den verschiedenen Fällen die
Körpergeometrie, die Grenzschicht und das Rückströmgebiet zueinander verhalten.

MASSIVE ABLÖSUNG
(Beispiel: Kreiszylinder-
umströmungl
MARGINALE ABLÖSUNG
~.
(Beispiel: flache. obge-
rundete Stufe) ~
H ~

GRENZSCHICHT INTERNE
ABLÖSUNG !iif,~~wf:f3t~tit '4 ·~ • -~
-=
(Beispiel: Wonddeformotionl / H* ~/// Bild 11.9: Ablösungskategorien

Im folgenden werden die drei Fälle in der o.g. Reihenfolge mit ihren wesentlichen
Eigenschaften beschrieben. Allen gemeinsam ist, daß die Singularität (11.96) ver-
mieden werden muß, da diese zwangsläufig zu einem "Zusammenbruch" aller nume-
rischen Verfahren führt. Die Vermeidung der Goldstein-Singularität erfolgt in den
drei genannten Ablösungskategorien auf unterschiedliche Art.

11.7.1 Massive Ablösung

Dieser Fall ist dadurch gekennzeichnet, daß die Grenzschicht als Ganzes die Wand
verläßt und als freie Scherschicht die Grenze zwischen der Außenströmung und ei-
nem Ablösegebiet (Rückströmgebiet) darstellt. Zunächst einmal muß die Stelle be-
trachtet werden, an der die Grenzschicht die Wand verläßt. Sie wird als Ablösepunkt
bezeichnet.
Das starke Anwachsen der v*-Komponente in Ablösenähe, s. (11.96), läßt
vermuten, daß die Rückwirkung auf die Außenströmung nicht mehr asymptotisch
klein ist. Es liegt damit wieder ein Wechselwirkungsprozeß vor; ~r mit der Dreier-
Deck-Theorie zu beschreiben sein müßte. Stewartson (1970) konnte aber zeigen,
daß der Einsatz der Dreier-Deck-Theorie die Singularität nicht beseit igen kann.
Es stellte sich heraus, daß der aufgeprägte positive Druckgradient , der in der
11 Asymptotische Entwicklungen 293

Dreier-Deck-Theorie nur in einem asymptotisch kleinen Gebiet modifiziert wird,


das entscheidende Hindernis darstellt.
Damit entstand aber ein Dilemma: Der positive Druckgradient ist eine not-
wendige Bedingung für das Zustandekommen der Ablösung, gleichzeitig aber die
Ursache für das singuläre Verhalten der Grenzschichtlösung. Den genial einfachen
Ausweg aus diesem Dilemma fand Sychev (1972): In der Umgebung vor dem Ablöse-
punkt wird der Druckanstieg als asymptotisch klein angenommen, er existiert also
nur für endliche Reynolds-Zahlen. Im Grenzfall unendlicher Reynolds-Zahlen (nur
in diesem Grenzfall kann die Goldstein-Singularität auftreten) gibt es unmittelbar
vor dem Ablösepunkt keinen Druckanstieg und damit keine Goldstein-Singularität.
Diese wurde also nicht beseitigt, sondern vermieden!
Drei wesentliche Aspekte bestimmen die asymptotisch konsistente Beschrei-
bung von Strömungen mit massiver Ablösung. Dies soll am Beispiel der Kreiszylin-
derumströmung erläutert werden.
(1) Im Grenzfall Re- 1 = 0 "entarten" alle (bei hohen Reynolds-Zahlen dünnen)
Scherschichten zu Linien. Geht man von der Vorstellung aus, daß die Grenz-
schicht im Ablösepunkt die Wand verläßt, so verläßt im Grenzfall Re- 1 = 0
eine sog. freie Stromlinie den Körper. Diese trennt die reibungsfreie Außen-
strömung von dem Rückströmgebiet. Sie ist eine Unstetigkeitslinie, weil die
Geschwindigkeiten auf beiden Seiten im allgemeinen verschieden sein werden.
Am Kreiszylinder gibt es nur einen Winkel, bei dem die freie Stromlinie die
Wand tangential verlassen kann, ohne daß stromaufwärts ein Druckanstiegs-
gebiet existiert (Brillouin-Villat-Bedingung, s. Sychev (1972)). Dieser Winkel
beträgt etwa 55 ° vom vorderen Staupunkt aus und wird Winkel des glatten
Abströmens genannt.

u:
p!
Bild 11.10: Freie Stromlinien
am Kreiszylinder (Helmholtz-
Kirchhoff-Theorie)

In der nach Helmholtz (1868) und Kirchhoff (1869) benannten Theorie freier
Stromlinien (Re- 1 = 0) wächst der Abstand der freien Stromlinien für
große Werte von x x
proportional zu 112 , s. Bild 11.10, so daß ein sog.
Totwassergebiet von der Form eines Parabelkörpers entsteht. In der Theorie
der freien Stromlinien wird unterstellt, daß in diesem Gebiet keine Strömung
294 K. Gersten/ H. Herwig

herrscht und der statische Druck gleich dem Druck der Anströmung ist. Damit
ist die Differenz im Gesamtdruck über die freie Stromlinie hinweg gleich dem
dynamischen Druck der ungestörten Anströmung, e* u:,; 12.
Bild 11.10 zeigt diese Strömung, die als Grenzlösung (Re- 1 = 0) für eine
asymptotische Beschreibung dienen soll. Wegen des unendlich großen Totwas-
sergebietes wird diese Grenzlösung allerdings nur im sog. Nahfeld verwendet,
d.h. in einem Gebiet, dessen charakteristische Länge der Zylinderdurchmesser
D* ist. Dieses Nahfeld wird für x* I D* - t 00 an ein sog. Fernfeld (s. Punkt
(3)) angepaßt.
(2) Im Nahfeld ist die Strömung für Re- 1 = 0 durch die Helmholtz-Kirchhoff-
Lösung beschrieben. Für Re- 1 -:/:- 0 muß sie so modifiziert werden, daß
ein Druckgradient entsteht, der mit der Dreier-Deck-Skalierung des Druckes
verträglich ist, da die Dreier-Deck- Theorie den lokalen Ablöseprozeß beschrei-
ben soll.
y;
Für die freie Stromlinie Ys := I L * gilt an einem beliebigen Körper
unmittelbar nach dem Verlassen der Wand in einem körperaugepaßten Ko-
ordinatensystem x := x* I L*, y := y* I L* folgender Verlauf (s. dazu J.H.B.
Smith (1977)):

Ys = ~c0 (x- x0 ) 312 + (x ;~ 0 ) 2 + ~c 1 (x- x 0 ) 512 + 0 ((x- x 0 f1 2)(11.97)

für x > x 0 und x-+ x 0 , c0 , c1 > 0.


Dabei ist R := R* IL* der Krümmungsradius der Wand an der Stelle x 0 • Diese
Stelle x 0 wird als Abströmpunkt bezeichnet. Es ist diejenige Stelle, an der die
freie Stromlinie die Wand verläßt. Die zugehörige Druckverteilung unmittelbar
vor x 0 lautet (J.H.B. Smith (1977)) mit p0 := p(x 0 )
p- Po= -eo(x0 - x) 112 + O((x0 - x)) (11.98)
für x < x0 und x -+ x0 .
Man erkennt sofort, daß ein glattes Abströmen im zuvor genannten Sinn
(kein Druckanstieg vor x 0 ) nur für c0 = 0 vorliegen kann; dieser spezielle
x
Abströmpunkt sei 0 (am Kreiszylinder bei 55 °, s. Bild 11.10, Kennzeichnung
x
durch 0 statt x 0 ). Alle weiter stromabwärts liegenden Abströmpunkte x 0
weisen einen Druckgradienten der Größe c0 (x 0 -x)- 112 +0((x0 - x)) auf, der
für x = x 0 singulär ist. Soll diese Singularität durch die Dreier-Deck-Theorie
vermieden werden, muß der Druckgradient die asymptotische Größenordnung
O(Re 1/ 8 ) besitzen wie in der Dreier-Deck-Theorie, da dort p = O(Re -l/ 4 ),
x = O(Re- 318 ), also dpldx = O(Re 118 ) gilt.
In einer Entfernung (x 0 - x) mit (x 0 - x) = O(Re- 318 ) vom Ab-
strömpunkt soll also gelten
c0 (x 0 - x)- 112 = O(Re 118 ) -+ c0 (Re- 318 )- 112 = O(Re118 ). (11.99)
11 Asymptotische Entwicklungen 295

Diese Gleichung fordert für Co die asymptotische Größenordnung

(11.100)
Für große, aber endliche Reynolds-Zahlen liegt der Abströmpunkt x 0 strom-
x
abwärts vom speziellen Abströmpunkt 0 • Diese Verschiebung x 0 - 0 "akti- x
viert" den führenden Term der Entwicklung (11.97) bzw. (11.98), da jetzt Co
von null verschieden ist. Der allgemeine Zusammenhang c0 = f(x 0 - 0 ) hat x
die Taylor-Reihenentwicklung

Co = eo(O) + d( dco ~ ) (xo - Xo) + ... ' (11.101)


xo -xo

c0 (0) = 0, d(
deo_ ~ ) = 0(1),
xo Xo
so daß mit c0 = O(Re- 1116 ) für die Verschiebung (x 0 - x0 ) ebenfalls folgt
(11.102)

Mit Co = O(Re- 1116 ) (und nicht 0(1) wie ursprünglich bei Stewartson (1970)!)
ist eine asymptotisch konsistente Beschreibung der Strömung im Nahfeld
möglich, s. dazu F.T. Smith (1977). Die Konstante Co wird von Smith zu

(11.103)
bestimmt, wobei c = (8uf8N)w den Wandgradienten der ankommenden
Strömungsgrenzschicht beschreibt, am Kreiszylinder gilt c = 0, 955.
(3) Die asymptotische Beschreibung der Strömung im sog. Femfeld, also weit
stromabwärts des Körpers, ist gegenwärtig der Schwachpunkt der asympto-
tischen Theorie abgelöster Strömungen. Bis heute konnte keine asymptotisch
vollständig konsistente Beschreibung gefunden werden.
F.T. Smith (1979) schlägt ein asymptotisches Modell vor, bei dem hinter
dem Körper ein elliptisches Rückströmgebiet der Länge O(Re) und der Dicke
O(Re 1/ 2 ) existiert, das asymptotisch an das Nahfeld des Körpers angepaßt
werden kann. Probleme entstehen in der Nähe des stromabwärts gelegenen
Scheitelpunktes des Ellipse, an dem die freien Scherschichten als Fortsetzung
der abgelösten Wandgrenzschichten zusammentreffen. Für Einzelheiten sei auf
die Originalarbeit Smith (1979) verwiesen, s. auch Smith (1986).

11.7.2 Marginale Ablösung


Während bei dem zuvor behandelten Fall massiver Ablösung im Grenzfall Re - 1 = 0
ein Totwassergebiet vorhanden war, ist dies bei der sog. marginalen Ablösung
"gerade nicht mehr" der Fall. Diese Situation kann bei Körpergeometrien bzw.
296 K. Gersten/ H. Herwig

Strömungsanordnungen auftreten, die über einen bestimmten Parameter verfügen.


Dieser soll im folgenden Singularitätspammeter S genannt werden. Dieser Parameter
muß sowohl Werte annehmen können, bei denen eine einfache Grenzschichtrechnung
längs der gesamten Körpergeometrie ohne Auftreten der Goldstein-Singularität
(11.96) möglich ist (anliegende Strömung), als auch Werte, bei denen die Grenz-
schichtrechnung wegen des Auftretens der Goldstein-Singularität nicht fortgesetzt
werden kann. Die Grenze zwischen diesen beiden Möglichkeiten ist durch den sog.
"kritischen Wert" Sk beschrieben. Bei marginaler Ablösung ist die Strömung für
Re- 1 = 0 durch diesen Grenzfall gegeben. Die Goldstein- Singularität tritt gerade
noch nicht auf, sie wird also in diesem Sinne wieder vermieden. Zwei Beispiele sollen
dies erläutern.
Bei der abgerundeten zurücktretenden Stufe (mittleres Bild in Bild 11.9) ist
die Stufenhöhe H* ein solcher Singularitätsparameter, wenn alle anderen Geometrie-
parameter festgehalten werden. Es ist unmittelbar einsichtig, daß ein Hk. existiert,
so daß für H* < Hi:. eine Prandtlsche Grenzschichtrechnung möglich ist, ohne daß
die Goldstein-Singularität auftritt, also längs der gesamten Körperkontur r! > 0
gilt. Für H* > Hk. tritt das durch (11.96) beschriebene Verhalten im Bereich der
zurücktretenden Stufe auf, und die Grenzschichtrechnung kann deshalb nicht fort-
gesetzt werden.
Ein zweites Beispiel für einen Singularitätsparameter ist der Anstellwinkel
o: eines (hinreichend schlanken) Tragflügelprofils. Für o: > o:k tritt die Goldstein-
Singularität (11.96) auf, s. Stewartson et al. (1982).
In der Theorie der marginalen Ablösung wird die Strömung in der (asympto-
tisch kleinen) Umgebung des Parameterwertes Sk betrachtet, und zwar für Para-
meterwerte S, für die gilt

für Re ---> oo . (11.104)

Die Reynolds-Zahl-Skalierung in (11.104) ist Teil der asymptotischen Theorie der


marginalen Ablösung, die auf Ruban (1981), Ruban (1982) und Stewartson et al.
(1982) zurückgeht.
Ausgangspunkt für diese Theorie ist das Verhalten der Wandschubspannung
einer einfachen Prandtlschen Grenzschichtrechnung im Grenzfall S = Sk, der auch
der Grenzfall beginnender Ablösung für Re ---> oo (engl.: incipient separation for
Re ---> oo) genannt wird. Der mittlere Fall in Bild 11.11 zeigt dieses Verhalten.
Besonderes Kennzeichen ist der lineare Verlauf der Wandschubspannung vor und
nach x; mit einem Sprung in der Steigung von r! bei x;. Mit x; wird diejenige
Konturstelle bezeichnet, bei der für S = Sk die Wandschubspannung im Grenzfall
Re---> oo null wird.
11 Asymptotische Entwicklungen 297

··. S<Sk ,.

x- ~
tÄ_/
<w
j' X~
~-
T. T.
X~
x*s
Bild 11.11: Schubspannungsverlauf für GRENZFALL GOLDSTEIN-
Re -+ oo (Prandtlsche Grenzchichttheo- BEGINNENDER SINGULARITÄT
rie) ABLÖSUNG

Durch den Sprung in dr;fdx* bei x; wird in einer asymptotisch kleinen Umge-
bung von x;
nun wieder die systemimmanente Interaktionsstruktur aktiviert (vgl.
Abschnitt 11.6.3), die sich in einem Dreier-Deck manifestiert. Die Reynolds-Zahl-
Skalierung ist allerdings anders als z.B. in Abschnitt 11.6.2. Der Grund hierfür sind
die gegenüber den bisherigen Dreier-Deck-Skalierungen geänderten charakterischen
Größen, insbesondere Uk nach (11.87). Für Einzelheiten sei auf die Originalarbeiten
verwiesen.
Nach der Formulierung in Dreier-Deck-Variablen gelingt es, die Wandschub-
spannung um die Stelle x;
als Funktion von (S- Bk) darzustellen, und zwar univer-
sell und unabhängig von der konkreten Körpergeometrie. Damit kann eine asympto-
tische Korrektur der Wandschubspannungsverteilung um x;
erreicht werden. Bild
11.12 zeigt die Wandschubspannung bei in Form x;
von 7w(O) und für einige aus-
gewählte Werte des Singularitätsparameters auch den Verlauf der Wandschubspan-
nung in der Umgebung von x;
in Form von 7w0~), s. dazu die Bildunterschrift von
Bild 11.12. Die gezeigten Verläufe gelten jeweils qualitativ, Proportionalitätsfakto-
ren müssen im konkreten Fall ohnehin durch Rücktransformation in die physikali-
schen Variablen ermittelt werden.

Bild 11.12: Universelle Abhängigkeit


der Wandschubspannung im Punkt x; ·. "-. tw :__..
vom Singularitätsparameter S
Teilbilder: Verlauf der Wandschub-
x; ~-
spannung in der Umgebung von
-:z:;) Rel/5
-X "' ( :z:*L* '

- (-) "' ___:;__ Rel/5


'Tw X Q*U*2 '
B
u• L*
Re=~
a : Beginn der Ablösung
b : Ablösepunkt bei x;
c : maximaler Wert des Parameters
(S- Sk)/Re-2/5

Die Ergebnisse in Bild 11.12 sind universell, also unabhängig von der konkreten
Körpergeometrie. Sie sollen in vier Punkten näher erläutert werden.
298 K. Gersten/ H. Herwig

(1) Für 8 = 8k ist die Wandschubspannung stets positiv, d.h. der Einfluß der
Wechselwirkung, die im Dreier-Deck erfaßt wird, wirkt ablösungsverhindernd.
(2) Ausgehend von einer zunächst vollständig anliegenden Strömung treten mit
r
steigendem 8- 8k Fälle mit doppeltem Nulldurchgang von w auf. Das bedeu-
tet Ablösung und Wiederanlegen (s. das rechte untere Teilbild in Bild 11.12).
Der Fall, bei dem rwgerade an einer Stelle null wird (Punkt a in Bild 11.12),
ist mathematisch allerdings nicht besonders ausgezeichnet, physikalisch be-
deutet er "beginnende Ablösung bei endlichen Reynolds-Zahlen".
(3) In bestimmten (8 - 8k)-Bereichen ist die Lösung nicht mehr eindeutig. Es
existieren zwei Lösungen. Ein Beispiel einer solchen Doppellösung ist in Bild
11.12 eingezeichnet. In einer späteren Arbeit weisen Brown and Stewartson
(1983) nach, daß es für bestimmte (kleine) Parameterbereiche sogar vier
Lösungen gibt.
(4) Lösungen existieren nicht für beliebig große Parameter 8 - 8k. Es gibt
eine obere Grenze. Das bedeutet physikalisch, daß auf diese Weise kein
kontinuierlicher Übergang in den Fall massiver Ablösung existiert!
Damit stellt sich nun die Frage, wie der Übergang von einer anliegenden Strömung,
die für kleine Werte des Parameters 8 vorliegt, zu dem Fall massiver Ablösung (der
für sehr große Werte von 8 vorliegen muß) stattfindet, wenn die Theorie marginaler
Ablösung keinen kontinuierlichen Übergang gestattet.
Die einzige Erklärung liegt in einer Faltung der Lösungsfläche, wie sie in Bild
11.13 für den Maximalwert des Druckes an der abgerundeten Stufe skizziert ist. Der
obere Teil des Bildes ist die Draufsicht auf das "Lösungsgebirge" cP max als Funktion
von H* I e* und Re -l/ 2 . Der untere Teil stellt eine Seitenansicht für Re = const dar
und verdeutlicht die Faltung des Lösungsgebirges. Der hellgrau unterlegte Bereich
kennzeichnet anliegende Strömungen, d.h. diejenigen Fälle, bei denen an keiner
Stelle der Kontur Ablösung auftritt. Im dunkelgrau unterlegten Bereich gibt es
mehr als eine Lösung (Faltung des Lösungsgebietes).
Die Bereiche mit Ablösung sind durch eine Schraffur gekennzeichnet. Die
dichte Schraffur im schmalen Bereich zwischen M A und C liegt auf der oberen
Lösungsfläche und gehört zum Bereich der marginalen Ablösung. Von hier gibt es
keinen kontinuierlichen Übergang in das Gebiet massiver Ablösung, sondern einen
Sprung auf die untere Lösungsfläche, wie der Pfeil 8 1 im unteren Bild andeutet.
Der umgekehrte Übergang, der bei einer Verkleinerung von H* I f* auftritt,
führt mit einem Sprung 8 2 zu überall anliegender Strömung. Da 8 1 und 8 2 bei ver-
schiedenen Werten H* I f.* liegen, tritt also eine sog. Hysterese im Lösungsverhalten
auf. Diese Hysterese existiert aber nur oberhalb einer bestimmten Reynolds-Zahl,
wie der obere Teil in Bild 11.13 zeigt. Für wachsende Reynolds-Zahlen tritt im Punkt
C erstmals mehr als eine Lösung auf, weil dort die Faltung (der weiterhin glatten,
knickfreien) Lösungsfläche beginnt. In der Projektion ist der Winkel zwischen den
11 Asymptotische Entwicklungen 299

-u:
~ . .. ;;;;;;;;;;m;!~f{*

I L* f
I
~~~////fl»)
t

U. ,. L"
Re=-""--
v"

MARGINALE ABLÖSUNG

Bild 11.13: Gefaltete Lösungsfläche für Stufenströmungen; die Darstellung gilt für ein festes
Verhältnis L* /l* = const (s. Kontur-Skizze)
C-A- M A: Grenze zwischen anliegender und abgelöster Strömung
C-B 1 -MA: Linie für Sprung von lokaler zu massiver Ablösung
C-B2 -MA: Linie für Sprung von massiver Ablösung zu anliegender Strömung

Kurven 0 - C und M A - C im Punkt C gleich null und wird K uspe (engl.: cusp)
genannt. Die mathematische Theorie, die sich mit gefalteten Lösungsflächen befaßt,
ist die sog. Katastrophentheorie, s. z.B. Saunders (1980). Der hier vorliegende Fall
ist eine sog. Kuspe-Katastrophe.

Dieses soeben qualitativ beschriebene Lösungsverhalten konnte von Sommer


(1992) durch eine sehr sorgfältig durchgeführte numerische Studie eindrucksvoll
bestätigt werden. Dazu wurde die Strömung an einer abgerundeten Stufe betrachtet,
deren Form durch ein Polynom 7. Grades beschrieben wird, s. Bild 11.14a.
300 K. Gersten/ H. Herwig

0.019

0.017
-KEINE ABLÖSUNG --r--- ABLÖSUNG -
A

0.0065 0.007 0.0075 H

1.2 1.2
c,YRex ® c,YRex CD
O.B 0.8

0.4 0.1.

0.0 0.0

-0.1. -0.4
0.8 1.0 1.2 1.1. x"IL* 1.8 0.8 1.0 1.2 1,4 X */L * 1.8
Bild 11.14:
(a) Schnitt durch die gefaltete Lösungsfläche cp max(Re,H) bei Re= 107 ; t• /L* = 0,5
A, B 1 , B 2 , 8 1 , 8 2 wie in Bild 11.13
o o o numerisch berechnete Fälle
(b) Beispiel für marginale Ablösung -- Asymptotische Theorie marginaler Ablösung
(c) Beispiel für massive Ablösung
Rex := u;;"x• jv• in den Bildern (b) und (c)
11 Asymptotische Entwicklungen 301

Das Ziel war es, durch Grenzschichtrechnungen bei endlichen Reynolds-Zahlen (die
dann keine Goldstein-Singularität aufweisen, s. (11.96)) das generelle Lösungsver-
halten im Bereich der gefalteten Lösungsfläche zu bestätigen. Dazu wurden in den
Gleichungen für die Außenströmung und in den Grenzschichtgleichungen alle Terme
zusätzlich berücksichtigt, die im Sinne von Abschnitt 11.4 zur zweiten Ordnung
gezählt werden. Diese beschreiben Verdrängungs- und Krümmungseffekte. Es wurde
aber keine Trennung in erste und zweite Ordnung vorgenommen, sondern ein (ge-
genüber den Prandtlschen Grenzschichtgleichungen erweitertes) Gleichungssystem
verwendet. In diesem tritt die Reynolds-Zahl explizit auf und erlaubt damit Lösun-
gen bei endlichen Reynolds-Zahlen. Die Grenzschichtrechnungen wurden dabei nach
der sog. inversen Methode durchgeführt, bei der die Verdrängungsdicke als Rand-
bedingung vorgegeben wird und der Druck berechnet wird, s. dazu z.B. Veldman
(1981).
Die relative Stufenhöhe H := H* IC* wurde bei festem Verhältnis C* IL * = 0, 5
und fester Reynolds-Zahl Re= U:.C L* lv* = 10 7 systematisch variiert. Bild 11.14a
zeigt den jeweiligen Maximalwert des Druckbeiwertes, cp max• als charakteristische
Größe der Lösung. Ausgehend von einem niedrigen Wert von H, bei dem überall
anliegende Strömung vorliegt, tritt bei einer Erhöhung von H bei etwa 6, 8 · w- 3
erstmals Ablösung auf. Eine weitere Erhöhung von H hat ein kontinuierliches
Anwachsen von cP max zur Folge. Bei H = B 1 = 7, 25 · w- 3 springt die Lösung
jedoch auf den unteren Zweig und zeigt bei weiterem Anstieg von H wiederum
einen kontinuierlichen (jetzt aber abfallenden) Verlauf.
Geht man nun "rückwärts" vor, beginnt also bei einem hohen Wert von H, so
bewegt man sich auf der unteren Lösungskurve, jetzt aber über den Wert H = B 1
hinaus zu kleineren Werten von H! Bei jj = B2 = 7,175. w- 3 springt die Lösung
auf den oberen Zweig. Der in Bild 11.13 eingezeichnete Hysteresebereich liegt in
Bild 11.14a also zwischen B 2 und B 1 . Im Unterschied zu dem prinzipiellen Verlauf
in Bild 11.13 findet in dem berechneten Beispiel der Rücksprung 8 2 auf eine Lösung
mit Ablösung statt. Die Kurve C- B 2 - 0 liegt in dem Beispiel bei Re= 107 also
lediglich rechts von der Kurve C - A - M A, was mit dem prinzipiell unterstellten
Lösungsverhalten vereinbar ist.
Die Bilder 11.14b,c zeigen den Verlauf des Reibungsbeiwertes er für die zwei
verschiedenen Lösungen bei demselben Wert H = B 2 • Bild 11.14b aus dem Bereich
der marginalen Ablösung zeigt nur ein kleines Rückströmgebiet, während Bild
11.14c aus dem Bereich der massiven Ablösung wie erwartet ein deutlich größeres
Rückströmgebiet aufweist.
Bild 11.14b enthält zusätzlich das asymptotische Ergebnis der Theorie mar-
ginaler Ablösung, das hier auf die endliche Reynolds-Zahl Re = 107 umgerechnet
wurde. Dies zeigt sehr eindrucksvoll, daß das universelle Ergebnis der asymptoti-
schen Theorie (s. Bild 11.12, unteres Teilbild) gut mit den numerischen Ergebnissen
für eine bestimmte Geometrie übereinstimmt.
302 K. Gersten / H. Herwig

Insgesamt gehört das Problem abgelöster Strömungen zu den bis heute


nicht vollständig geklärten Phänomenen der Strömungsmechanik Bild 11.13 zeigt
aber, daß zumindest qualitativ eine widerspruchsfreie Erklärung der z.T. sehr
komplizierten Zusammenhänge gefunden werden kann.

11.7.3 Grenzschichtinterne Ablösung

Dieser Fall ist relativ eng verwandt mit dem zuvor behandelten Fall marginaler
Ablösung, soll aber trotzdem als eigene Kategorie behandelt werden. Beide Fälle
unterscheiden sich durch die Art und Weise, in der die Goldstein-Singularität
vermieden wird. Während bei der marginalen Ablösung eine Störungsrechnung
um B = Bk durchgeführt wurde, wird die grenzschichtinterne Ablösung mit einer
Störungsrechnung um B = 0 ermittelt. Der Fall B = 0 bedeutet am Beispiel
der zurücktretenden Stufe H* = 0, d.h. die Stufe ist "zur Höhe H* = 0
entartet". Im Grenzfall Re- 1 = 0 liegt also die ebene Platte vor. Die gesamte
"Störgeometrie" (hier: Stufe) ist mit der Reynolds-Zahl gekoppelt und damit nur
für endliche Reynolds-Zahlen vorhanden. Diese aktiviert die systemimmanente
Interaktionsstruktur in Form eines Dreier-Decks (s. Abschnitt 11.6.3). Im Grenzfall
Re- 1 = 0 ist die Goldstein-Singularität vermieden, weil die gesamte Störgeometrie
entfallen ist.
Beiden Fällen gemeinsam ist also die Interaktionsstruktur des Dreier-Decks,
der Unterschied besteht neben der unterschiedlichen "Grenzkontur" für Re- 1 = 0
(B = Bk bzw. B = 0) in der Skalierung des Dreier-Decks. Diese unterschiedliche
Skalierung entsteht, weil bei marginaler Ablösung das zu störende Geschwindig-
keitsprofil den Wandgradienten (8uf8N)w = 0 besitzt, bei grenzschichtinterner
Ablösung aber das Blasiussche Plattenprofil mit (8uf8N)w = 0, 332 =/= 0 gilt.
Weil sowohl die gesamte Störgeometrie, als auch das gesamte Ablösegebiet
stets im wandnahen Bereich der Grenzschicht liegen, ist dieser Fall "grenzschichtin-
terne Ablösung" genannt worden. In Abgrenzung zur massiven Ablösung könnte
man diesen Fall auch als Grenzschichten mit Rückströmung bezeichnen. Die Theorie
marginaler Ablösung stellt dann das Bindeglied zwischen diesen beiden Extremen
dar.
Als Beispiel für grenzschichtinterne Ablösung ist bereits in Abschnitt 11.6.3
Beispiel11.5 gegeben worden.
In der Darstellung nach Bild 11.13 beschreibt die Theorie grenzschichtinterner
Ablösung den oberen Bereich (etwa für Re- 1/ 2 > Re~ 1 1 2 ), also für Reynolds-Zahlen
Re < Rec. Obwohl es sich auch bei der grenzschichtinternen Ablösung um eine
Theorie für Re -+ oo handelt, kann sie in einem Diagramm, das für ein festes
Verhältnis L* /i* gilt, nur für endliche Reynolds-Zahlen als Näherung herangezogen
werden, weil in der Dreier-Deck- Skalierung (anders als bei marginaler Ablösung!)
L *I i* "' Re 318 gilt.
11 Asymptotische Entwicklungen 303

11.8 Störungsprobleme mit mehreren Störparametern


Ausgehend von den vollständigen Grundgleichungen handelt es sich bei praktisch
allen vereinfachten physikalisch/mathematischen Modellen der Strömungsmechanik
aus asymptotischer Sicht um Grenzfälle bezüglich mehrerer Parameter. So gelten
z.B. die Prandtlschen Grenzschichtgleichungen (11.31) für
(1) B * / L * ---> oo (zweidimensional)
(2) tß(UP,L*)---> oo (stationär)
(3) Re---> oo
(4) ~TB/TP, ---> 0 (konstante Stoffwerte).

Grundsätzlich sind asymptotische Entwicklungen bezüglich aller Grenzfälle möglich,


wobei dann Probleme mit mehreren Störparametern entstehen. Soll zum Beispiel
die stationäre, zweidimensionale Grenzschicht bezüglich der Reynolds-Zahl und des
Stoffwerteinflusses entwickelt werden, treten die Störparameter c 1 = 1/VRe ---> 0
und c 2 = ~TP,/TP, ---> 0 auf. Damit entsteht nun die Frage, ob diese Grenzprozesse
unabhängig voneinander sind, also z.B. ob die Reihenentwicklungen bei zwei (oder
mehreren) Grenzübergängen vertauschbar sind. Das folgende von Schneider (1978,
S. 77) angegebene Beispiel soll dies verdeutlichen.

Beispiel 11.6: Algebraische Funktionen mit zwei Störparametern e- 1 und e- 2 im Grenzfall e- 1 --> 0,
e- 2 --+ 0
(1) F1 = (a + be- 1 )/(1 + e- 2 )
(2) F2 = (ae- 1 + be- 2 )/(e- 1 + e- 2 )
Wie man sich leicht überzeugen kann, sind die Grenzübergänge e- 1 --+ 0 und e- 2 --> 0 bei der
Funktion F 1 vertauschbar. Es gilt
!im (!im F 1 ) = !im (!im F 1 ) = a. (B11.6-1)
q -+0 '2-+0 '2-+0 '1-+0

Bei der Funktion F 2 hingegen muß nach folgenden drei Fällen unterschieden werden:
(1) (B11.6-2)

(2) !im ( !im F 2 )


e2-+0 et-+0
=b (B11.6-3)

(3) (B11.6-4)

Bei der Funktion F2 sind die Grenzübergänge also nicht vertauschbar. Darüber hinaus gibt es
ausgezeichnete gekoppelte Grenzprozesse, wenn mit K = 0(1) ein sog. Kopplungsparameter
eingeführt wird.
Wie aus (B11.6-4) zu ersehen ist, folgt (B11.6-2) für K--> oo und (B11.6-3) für K--> 0.

Das in Beispiel 11.6 bei einfachen algebraischen Funktionen auftretende Verhalten


bei mehrfachen Grenzübergängen zeigt sich auch bei Störungsproblemen, die durch
Differentialgleichungen beschrieben sind. In einigen Fällen sind die Grenzübergänge
304 K. Gersten/ H. Herwig

vertauschbar, in anderen nicht. Wie bei der Funktion F 2 in Beispiel 11.6 existieren
bisweilen ausgezeichnete gekoppelte Grenzprozesse (engl.: distinguished limits) mit
sog. Kopplungspammetern (engl.: similarity parameter). In der Strömungsmechanik
gibt es eine Reihe von Beispielen für solche ausgezeichneten gekoppelten Grenz-
prozessemit den entsprechenden Kopplungsparametern, s. z.B. die Aufzählung in
Van Dyke (1975a, S. 21), Gersten (1982a) sowie die später in diesem Abschnitt
erwähnten Beispiele.
Für die Interpretation mehrfacher Grenzprozesse ist es sehr hilfreich, sich
den physikalischen Hintergrund zu dem betrachteten physikalisch/mathematischen
Modell vor Augen zu führen. Dabei wird deutlich, daß reguläre und singuläre
Störungsprobleme im Hinblick auf mögliche speziell gekoppelte Grenzprozesse
unterschiedlich zu beurteilen sind.

(1) Reguläre Störungsprobleme: Es existiert eine gleichmäßig gültige Näherung (s.


dazu Abschnitt 11.2) der Lösung in Form einer asymptotischen Reihe. Deren
führender Term stellt die (gleichmäßig gültige) Grenzlösung für den Fall ei = 0
mit mehreren Störparametern ei dar. Die asymptotische Reihe kann einen
oder mehrere Störparameter ei enthalten. Die Grenzlösung (bei ei = 0) ist
unabhängig von ei, so daß weder die Reihenfolge der Grenzübergänge ei -+ 0
bezüglich der Grenzlösung eine Rolle spielt noch ausgezeichnete gekoppelte
Grenzprozesse zu besonderen Grenzlösungen führen können.
Physikalisch bedeutet dies, daß die durch die Grenzlösung beschriebene
Strömung im ganzen Feld gleichmäßig von Effekten "geringer Stärke" beein-
flußt wird. Diese sind aber im Grenzfall "verschwindender Stärke" (ei -+ 0)
voneinander unabhängig, wie z.B. eine Taylor-Reihenentwicklung nach e 1 , e 2 ,
... zeigt.

(2) Singuläre Störungsprobleme: Hiermit ist gemeint, daß mindestens ein Grenz-
übergang singulär ist. Damit existiert bezüglich dieses Grenzprozesses keine
gleichmäßig gültige Näherung. Insgesamt gibt es also keine gleichmäßig gültige
Grenzlösung, die unabhängig von allen Störparametern ei wäre. Damit kann
aber die Frage von Bedeutung werden, wie sich die Störparameter im Grenz-
prozeß ei-+ 0 zueinander verhalten.
Physikalisch bedeutet dies, daß die Störeffekte nicht überall klein si