Ingenieurwissenschaften
Klaus Gersten
Heinz Herwig
Strömungsmechanik
Grundlagen der Impuls-, Wärme- und
Stoffübertragung aus asymptotischer
Sicht
Klaus Gersten
Heinz Herwig
Strömungsmechanik
Grundlagen der Impuls-, Wärme- und Stoffübertragung
aus asymptotischer Sicht
Grundlagen und Fortschritte der Ingenieurwissenschaften
herausgegeben von
Prof. Dr.-Ing. Wilfried B. Krätzig, Ruhr-Universität Bochum
Prof. Dr.-Ing. em. Theodor Lehmann t, Ruhr-Universität Bochum
Prof. Dr.-Ing. Oskar Mahrenholtz, TU Harnburg
Prof. Dr.-Ing. Peter Hagedorn, TH Darmstadt
Abgelöste Strömungen
von Alfred Leder
Strömungsmechanik
von Klaus Gersten und Heinz Herwig
Strömungsmechanik
Grundlagen der Impuls-, Wärme- und Stoffübertragung
aus asymptotischer Sicht
II
v1eweg
Prof. Dr.-Ing., Dr.-Ing. E. h. Klaus Gersten,
Direktor des Institutes für Thermo- und Fluiddynamik
der Ruhr-Universität Bochum,
Inhaber des Lehrstuhles "Strömungsmechanik"
Das vorliegende Buch ist aus Vorlesungen entstanden, die seit vielen Jahren re-
gelmäßig von den Autoren an der Ruhr-Universität Bochum für Ingenieur-Studenten
höherer Semester abgehalten werden. Dabei wird stets besonderer Wert darauf ge-
legt, daß neben den sehr wichtigen numerischen Verfahren der Strömungsmechanik
(CFD: Computational Fluid Dynamics) auch die asymptotischen Methoden be-
handelt werden, d.h. Methoden der Störungsrechnung, die immer dann vorteilhaft
eingesetzt werden können, wenn die für die Strömungen charakteristischen Kennzah-
len kleine oder große Werte annehmen. Da dieses für die überwiegende Anzahl der
Strömungsprobleme der Ingenieurpraxis zutrifft, spielen in der Strömungsmecha-
nik asymptotische Methoden eine außerordentlich wichtige Rolle. Es sei nur die von
Ludwig Prandtl1904 begründete Grenzschichttheorie erwähnt, welche die asympto-
tische Theorie für Strömungen bei hohen Reynolds-Zahlen darstellt und erstmalig
den Einsatz singulärer Störungsrechnungen in der Strömungsmechanik aufzeigte.
Wie in dem Buch genauer ausgeführt wird, eignen sich die asymptotischen
Methoden ganz besonders, grundlegende Phänomene der Strömungsmechanik zu
vermitteln und zu allgemeingültigen Aussagen zu gelangen.
Bei vielen in der Praxis als "empirisch" geltenden Beziehungen läßt sich zei-
gen, daß sie "asympotische" Beziehungen sind. Die asymptotische Theorie läßt bei-
spielsweise erkennen, daß in der Praxis für Differentialgleichungen oft nicht konsi-
stente Randbedingungen verwendet werden, etwa wenn bei turbulenten Strömungen
für die vollständigen, zeitlich gemittelten Navier-Stokes-Gleichungen das logarith-
mische Wandgesetz als Randbedingung verwendet wird, das nur für den Grenzfall
großer Reynolds-Zahlen gilt.
Dieses Buch wurde geschrieben, weil bisher eine zusammenfassende Darstel-
lung der Strömungsmechanik mit konsequentem Einsatz asymptotischer Methoden
nicht existiert und weil diese Methoden mehr Einsatz in der Praxis verdienen. Es
handelt sich um eine Darstellung der Strömungsmechanik mit systematischer An-
wendung regulärer und singulärer Störungsrechnungen. Dieses bezieht sich auf lami-
nare und auf turbulente Strömungen. Letztere sind Strömungen bei hohen Reynolds-
Zahlen und insofern besonders prädestiniert für den Einsatz asymptotischer Metho-
den.
Vieles im Buch mußte neu entwickelt werden. Da also nicht auf spezielle Li-
teratur verwiesen werden konnte, mußten manche Abschnitte bewußt ausführlicher
vi K. Gersten/ H. Herwig
dargestellt werden. Trotz oder gerade wegen seines großen Umfanges versteht sich
dieses Buch jedoch nicht als "Formelsammlung". Das Ziel ist vielmehr, stets den
physikalischen Zusammenhang deutlich werden zu lassen, ohne den eine sinnvolle
und kritische Anwendung asymptotischer Methoden nicht möglich ist. Das Buch
wendet sich damit an Studenten der höheren Semester, Doktoranden und in der
Forschung und Entwicklung tätige Ingenieure.
In der etwa fünfjährigen Entstehungszeit dieses Buches sind die einzelnen
Abschnitte sehr ausführlich mit wissenschaftlichen Mitarbeitern diskutiert worden.
Besonderer Dank gebührt in dieser Hinsicht den Herren Dr.-Ing. Karsten Klemp,
Dr.-Ing. Bernhard Jeken, Dipl.-Ing. Peter Schäfer und Dipl.-Ing. Marco Voigt. Von
Herrn Dr.-Ing. Jeken stammen außerdem zahlreiche Beispielrechnungen.
Bei der Erstellung der verschiedenen Versionen des Manuskriptes haben nie
die Geduld verloren: Frau Marianne Ferdinand, Frau Susanne Lau, Frau Gabriele
Schwarz und Herr Klaus-Peter Tyburski.
Frau Renate Gölzenleuchter gebührt besonderer Dank für die Anfertigung der
Bilder ebenso wie Frau Ursula Beitz für die sorgfältige "Betreuung" des Literatur-
und Namensverzeichnisses.
Die angenehme Zusammenarbeit mit dem Vieweg-Verlag und mit der Satz-
firma Jörg Steifenhagen sei besonders dankend erwähnt.
A Grundlagen
1 Einleitung 1
2 Laminare Couette-Strömung: Einführung grundlegender Begriffe 6
2.1 Vorbemerkung 6
2.2 Reibungsgesetz von Newton 7
2.3 Wärmeleitungsgesetz von Fourier 11
2.4 Einfluß der Dissipation auf das Temperaturfeld 14
2.5 Diffusionsgesetz von Fick 17
2.6 Analogie zwischen Impuls-, Wärme- und Stoffübertragung 22
2.7 Zusammenfassung 23
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 25
3.1 Vorbemerkung 25
3.2 Globale und partielle Kontinuitätsgleichung 27
3.3 Impulsgleichungen 28
3.4 Energiegleichung 32
3.5 Stoffwerte 34
3.6 Rand- und Anfangsbedingungen 36
3.6.1 Randbedingungen an einer festen Wand 37
3.6.2 Randbedingungen an einer Gas/Flüssigkeits-
Phasengrenze 38
3.7 Grundgleichungen als physikalisch/mathematisches Modell;
Modellvereinfachungen 39
3.8 Turbulente Strömungen und ihre Bilanzgleichungen 42
3.9 Zusammenfassung 52
4 Dimensionsanalysis 53
4.1 Vorbemerkung 53
4.2 Entdimensionierung der Grundgleichungen 54
VIII K. Gersten/ Ho Herwig
B Laminare Strömungen
6 Ausgebildete Durchströmungen . . . . . . . . . . 97
6.1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . 97
6.2 Gleichungen für die ausgebildete Rohrströmung 98
6.3 Widerstandsgesetz und Wärmeübergangsgesetz für die
ausgebildete Rohrströmung 100
6. 3.1 Widerstandsgesetz 100
6.3.2 Wärmeübergangsgesetz 102
6.4 Berücksichtigung der Dissipation 109
6.5 Einfluß variabler Stoffwerte 114
6.6 Zusammenfassung 119
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion (Re --+ oo) 120
7.1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . 120
7.2 Grenzschichtgleichungen für erzwungene Konvektion 124
7.3 Erläuterungen zu den Grenzschichtgleichungen 132
7.4 Grenzschicht-Kenngrößen . . . . . . . . . 134
Inhaltsverzeichnis IX
13 Stoffübertragung 0 0 0 0 0 347
1301 Vorbemerkung 347
1302 Spezielle Definitionen 347
130201 Konzentration 347
130202 Geschwindigkeiten und Koordinatensystem 348
130203 Massenstromdichten 348
1303 Analogie zur Wärmeübertragung 349
13o3o1 Vorbemerkung 0 0 0 0 0 349
13o3o2 Allgemeine Strömungen o 352
130303 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 353
1304 Kopplungseffekte, Einfluß variabler Stoffwerte 360
1305 Zusammenfassung 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 366
C Thrbulente Strömungen
14 Thrbulente Impulsübertragung am Beispiel der Couette-Strömung 367
1401 Zweischichten-Strukturdes Geschwindigkeitsfeldes und
logarithmisches Überlappungsgesetz 0 0 0 0 0 367
1402 Universelles Wandgesetz (glatte Wandoberfläche) 375
1403 Defekt-Gesetz in der Kernschicht 0 0 0 0 381
14.4 Widerstandsgesetz und gleichmäßig gültige
Geschwindigkeitsverteilung 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 383
1405 Bilanzen der mechanischen Energie 0 0 o o o 386
140501 Mechanische Energie der mittleren Bewegung 386
140502 Energiebilanz der turbulenten Schwankungsbewegung 389
140503 Bilanzen der Reynolds-Spannungen 396
1406 Turbulenz-Modeliierung 0 0 0 0 0 0 0 0 398
140601 Einteilung der Turbulenz-Modelle 398
140602 Algebraische Turbulenz-Modelle 399
140603 Ein-Gleichungs-Modelle (Turbulente Energiegleichung) 407
1406.4 Zwei-Gleichungs-Modelle 0 0 0 0 0 0 409
140605 Reynolds-Spannungs-Modelle o o o o 411
14o6o6 Turbulenz-Modelle für die Wandschicht 415
14060 7 Grobstruktur-Simulation und direkte Simulation 417
1407 Einfluß der Oberflächenrauheit 0 0 0 0 0 0 0 418
140701 Sandrauheit o o o o 0 0 0 o o o 0 0 418
140702 Wandschicht bei rauher Wandoberfläche 419
XII K. Gersten/ H. Herwig
D Anhang
Anhang Al: Grundgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763
Anhang A2: Stoffwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 779
Anhang A3: Inversion von Widerstandsgesetzen turbulenter Strömungen 782
Anhang A4: Allgemeine Anpassungsbedingungen für turbulente
Strömungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 787
• l In diesem Buch werden alle dimensionsbehafteten Größen mit einem hochgestellten Stern
gekennzeichnet.
2 K. Gersten/ H. Herwig
Die Punkte in (1.1) deuten an, daß weitere Abhängigkeiten in das Modell aufge-
nommen werden können, um es zu verfeinern. Im Beispiel der Plattenströmung
könnte z.B. die Wandrauheit hinzutreten. Hat eine Überprüfung an der Realität
die Brauchbarkeit des physikalisch/mathematischen Modells (1.1) ergeben, so kann
damit z.B. eine Vorhersage getroffen werden, welcher Widerstand bei doppelter An-
strömgeschwindigkeit entsteht.
Der Umgang mit physikalisch/mathematischen Modellen hat also stets zum
Ziel, Aussagen über die Realität zu gewinnen. Dazu ist ein solches Modell um so
geeigneter, je allgemeiner die Lösungen sind, die aus dem Modell zur Vorhersage
gewonnen werden können. Stehen allgemeine Lösungen zur Verfügung, so können
diese auf den jeweiligen Anwendungsfall spezifiziert werden. Die Lösungen aus
dem Modell (1.1) zum Beispiel können in einem einzigen Diagramm (Bild 17.3 in
Kap. 17 für einseitige Benetzung) zusammengefaßt werden, das zur Beantwortung
aller Fragen im Zusammenhang mit (1.1) herangezogen werden kann.
Leider gelingt es in den meisten Fällen nicht, die allgemeinen Lösungen aus
einem physikalisch/mathematischen Modell a priori zu ermitteln, um sie dann für
die spezielle Anwendung zur Verfügung zu haben. Dazu enthalten die meisten
Probleme zu viele Parameter. Wohl aber gibt es zwei Möglichkeiten, die Anzahl
der Parameter zu reduzieren und auf diese Weise zu allgemeineren Lösungen des
physikalisch/mathematischen Modells zu gelangen.
(1) Konsequente Anwendung der sog. Dimensionsanalysis (s. Kap. 4 dieses Bu-
ches). Dies überführt die Formulierung (1.1) in folgende dimensionslose Form,
die durch eine minimale Anzahl dimensionsloser Parameter gekennzeichnet ist:
1,328
cw=--+··· (1.5)
yRe
und bei turbulenter Strömung (K: = 0, 41)
(1.6)
Neben der angestrebten größeren Allgemeingültigkeit der Lösungen sind mit einem
asymptotischen Lösungsansatz zwei weitere Vorteile verbunden.
(1) Der physikalische Hintergrund eines Problems ist in vielen Fällen deutlicher
erkennbar als dies bei Einzellösungen für feste Parameterwerte der Fall ist.
Bei einer asymptotischen Lösung wird die explizite Abhängigkeit von den
Parametern und damit von bestimmten physikalischen Effekten ermittelt.
(2) Die bei einer asymptotischen Betrachtung eines Problems zu lösenden Glei-
chungen sind aus mathematischer Sicht oft erheblich einfacher als die ur-
sprünglichen Gleichungen (z.B. gewöhnliche statt partieller Differentialglei-
chungen, Reduktion auf lineare Differentialgleichungen, Übergang von ellip-
tischen in parabolische Differentialgleichungen). Dieser Vorteil hat auch bei
immer weiter steigender Computerleistung Bestand, weil die konsequente An-
wendung asymptotischer Methoden mit dem Einsatz leistungsstarker Compu-
ter kombiniert werden kann, um so zu möglichst allgemeinen Lösungen immer
komplexerer Probleme zu gelangen.
Das Ziel dieses Buches ist es, unter konsequenter Anwendung dimensionsanalyti-
scher und asymptotischer Methoden aufzuzeigen, wo und wie allgemeine Lösungen
im o.g. Sinne gefunden werden können. Bezüglich der betrachteten Strömungen
gelten folgende grundsätzliche Annahmen, die hauptsächlich aus Gründen der Um-
fangsbeschränkung getroffen wurden:
Für die Impuls-, Wärme- und Stoffübertragung liegt ein vollständiges ma-
thematisches Modell in Form der Navier-Stokes-Gleichungen sowie der Bilanzglei-
chungen für die innere Energie und die Masse vor (Bilanzgleichungen für Impuls,
Energie und Masse). Es handelt sich um nichtlineare partielle Differentialgleichun-
gen, die unter Berücksichtigung der entsprechenden Randbedingungen gelöst werden
müssen.
Von den vielen dimensionslosen Parametern, die in die Lösungen eingehen,
spielt die erwähnte Reynolds-Zahl eine herausragende Rolle.
Viele technisch wichtige Strömungen sind durch sehr hohe Reynolds-Zahlen
gekennzeichnet. Es ist daher naheliegend, die Grenzlösungen für Re --+ oo zu
betrachten und hierfür asymptotische Methoden einzusetzen.
Die Grundlagen der asymptotischen Methoden für Strömungen bei großen
Reynolds-Zahlen wurden 1904 von Ludwig Prandtl (s. Prandtl (1904)) in seiner
Grenzschichttheorie gelegt. Prandtl geht dabei von der Grenzlösung der reibungslo-
sen Strömung (1/Re = 0) aus und faßt die reibungsbehaftete Strömung bei großen,
aber endlichen Reynolds-Zahlen als Störung dieser Grenzlösung auf. Es handelt sich
jedoch nicht um eine reguläre Störungsrechnung, sondern wegen der Haftbedingung,
die von der Grenzlösung nicht erfüllt wird, um eine sog. singuläre Störungsrech-
nung. Die wichtigste Methode zur Lösung von singulären Störungsproblemen, die
Methode der angepaßten asymptotischen Entwicklungen (engl.: method of matched
asymptotic expansions) wurde also erstmals von Prandtl für Strömungen bei hohen
Reynolds-Zahlen eingesetzt. Inzwischen wird diese Methode auch auf Strömungen
bei sehr kleinen Reynolds-Zahlen und bei vielen Problemen der Impuls-, Wärme-
und Stoffübertragung angewendet, wie noch gezeigt werden wird. Heute hat diese
Methode auch in vielen anderen Bereichen der Physik und Technik Eingang gefun-
den.
Die mathematischen Grundlagen der singulären Störungsmethoden wurden
in den fünfziger Jahren am California Institute of Technology geschaffen. Sie sind
mit den Namen Kaplun, Lagerstrom und Cole verbunden, vgl. Gersten (1989a).
Zusammenfassende Darstellungen erfolgten von Van Dyke (1964, 1975), Cole (1968)
und Schneider (1978). Die umfassendste Beschreibung der Grenzschichttheorie
stammt von Schlichting (1982).
Die Anwendung asymptotischer Methoden auf turbulente Strömungen setzte
in den siebziger Jahren ein, verbunden mit den Namen Yajnik, Fendell und Mel-
lor, vgl. Gersten (1987). Dabei wurde auf einem Konzept der Zweischichtenstruktur
turbulenter Scherschichten von Millikau (1938) aufgebaut. Zusammenfassende Dar-
stellungen findet man bei Gersten (1985a, 1987, 1989c), Melnik (1987) und Kluwick
(1989).
Für laminare Strömungen kann in bezugauf die Anwendung asymptotischer
Methoden auf viele Arbeiten zurückgegriffen werden, die in den letzten Jahrzehnten
entstanden sind. Für diese Strömungen steht aber auch heute noch ein weites Feld
nicht vollständig gelöster Fragen offen, in dem asymptotische Methoden bereits
1 Einleitung 5
2.1 Vorbemerkung
Es wird die ebene, stationäre Strömung eines Fluides zwischen zwei parallelen
ebenen Platten mit dem Abstand 2H* entsprechend Bild 2.1 betrachtet. Die obere
Platte wird mit der Geschwindigkeit U* gegenüber der unteren feststehenden Platte
bewegt. Da zwischen einer Wand und dem angrenzenden Fluid die sogenannte
Haftbedingung gilt, bildet sich zwischen den Platten eine Strömung aus, die nach
dem französischen Forscher M. Couette als Couette-Strömung bezeichnet wird.
ZH*
Für die weitere Betrachtung wird die idealisierende Annahme getroffen, daß
die Platten eine unendliche Ausdehnung besitzen. Solche Annahmen sind typische
Modellvorstellungen, die in der Praxis in guter Näherung realisiert werden können.
Dies ist für die Couette-Strömung zum Beispiel auf zwei Wegen möglich.
(1) Die bewegte Platte wird durch ein laufendes Band der Längserstreckung L*
realisiert, wie dies in Bild 2.1 gezeigt ist. Abweichungen von der Modellvorstel-
lung L * --+ oo sind dann sog. Randeffekte, die für 2H* / L * --+ 0 stets kleiner
werden.
(2) Die Strömung wird zwischen zwei konzentrischen Zylindern erzeugt, wobei der
innere ruht und der äußere mit der Winkelgeschwindigkeit w* umläuft, wie
dies in Bild 2.1 gezeigt ist. Es gilt dann: U* = R:w* und 2H* = R: - Ri.
2 Laminare Couette-Strömung: Einführung grundlegender Begriffe 7
* . L:.F*
T := hm "A * , (2.1)
6A*-+0 u
bezeichnet.
Die Frage, wie diese Schubspannung mit dem Geschwindigkeitsfeld verknüpft
ist, kann nur empirisch beantwortet werden. Experimente zeigen bei sehr vielen
Fluiden eine direkte Proportionalität zwischen der Schubspannung 7* und dem
lokalen Geschwindigkeitsgradienten du* jdy*, so daß mit einem konstanten Propor-
tionalitätsfaktor ry* gilt
(2.2)
Diese Gleichung ist das gesuchte Reibungsgesetz und wird nach Isaac Newton
als Newtonsches Reibungsgesetz bezeichnet. Gleichung (2.2) ist aber auch die
Definitionsgleichung für die Konstante ry*, die dynamische Viskosität (oder einfach:
Viskosität, aber nicht: Zähigkeit) genannt wird und die Einheit [ry*] = kg/ms besitzt.
Die Koordinate y* steht senkrecht zur Strömungsgeschwindigkeit u*.
Die Viskosität ry* ist eine Stoffeigenschaft, die im allgemeinen von der Tem-
peratur und in deutlich geringerem Maße vom Druck abhängig ist. Bei Gemischen
kann zusätzlich eine Konzentrationsabhängigkeit auftreten. Zahlenwerte für einige
wichtige Stoffe sind im Anhang A2 angegeben.
8 K. Gersten/ H. Herwig
Der Index w bezeichnet den Wandwert. Aus der Kombination von (2.2) und (2.3)
kann sofort die Form des Geschwindigkeitsprofils abgelesen werden. Es ist ein
lineares Profil, wie in Bild 2.1 eingezeichnet, wenn die Viskosität ry* über dem ganzen
Querschnitt konstant ist, wie dies bei konstanter Temperatur und konstantem Druck
gilt. Das Profil lautet dann
r*
u*(y*) = .Y!.y*. (2.4)
ry*
In der Anmerkung am Ende dieses Abschnittes wird auf den Fall nicht konstanter
Temperatur eingegangen. Der Druck ist bei der Couette-Strömung stets im gesam-
ten Feld konstant, wenn die Wirkung der Schwerkraft vernachlässigt wird.
Das Newtonsehe Reibungsgesetz führt also im Falle konstanter Viskosität
(dann gilt du* jdy* = U* /2H*) für die Couette-Strömung auf den einfachen
Zusammenhang
(2.5)
Man spricht deshalb auch von einer Transporteigenschaft bezüglich des Impulses.
Der Impulstransport erfolgt stets in Richtung niedrigerer Geschwindigkeit, d.h.
die Viskosität sorgt für eine Vergleichmäßigung der Geschwindigkeit bzw. des
Impulses. Positive Schubspannung ist damit gleichwertig mit einem Impulstransport
in negativer y* -Richtung.
Nicht alle Fluide gehorchen dem Newtonsehen Reibungsgesetz (2.2). Man un-
terscheidet deshalb zwischen Newtonsehen Fluiden, die sich gemäß (2.2) verhalten,
und sog. nicht-Newtonseben Fluiden, für die dies nicht gilt. Viele Flüssigkeiten, ins-
besondere Wasser, und alle Gase sind Newtonsehe Fluide. Blut ist eines von einer
großen Anzahl nicht-Newtonscher Fluide.
In diesem Buch sollen nur Newtonsehe Fluide betrachtet werden. Das Studium
der Strömungen nicht-Newonscher Fluide gehört zum Gebiet der Rheologie mit ihrer
Spezialliteratur, z.B. Ebert (1980), Böhme (1981), Bird et al. (1977), Irvine und
Karni (1987), Crochet et al. (1984).
Abschließend soll gezeigt werden, wie das Widerstandsgesetz in den Zusam-
menhang zweier dimensionsloser Kennzahlen übergeführt werden kann. Der phy-
sikalische Hintergrund dieser Darstellungsweise, die in diesem Buch weitgehende
Verwendung findet, wird in Kapitel 4 (Dimensionsanalysis) deutlich werden. Die
erste dimensionslose Kennzahl ist der Reibungsbeiwert
2-r*w
C . (2.6)
r·=-U2'
(!* *
wobei e* die zunächst als konstant angenommene Dichte des Fluides ist. Die Einheit
der Dichte ist [e*] = kgjm 3 . Zahlenwerte für einige wichtige Fluide sind im Anhang
A2 angegeben. Die Wandschubspannung T~ wird also auf den sog. Staudruck
(e*U* 2 /2) bezogen, der mit der Geschwindigkeit der oberen Platte gebildet ist.
Die zweite Kennzahl ist die Reynolds-Zahl
e* U* H* U* H*
Re:= =--, (2.7)
TJ* v*
die neben den Stoffwerten e* und TJ* die Geschwindigkeit U* und den halben
Plattenabstand H* enthält. Die Kombination v* = TJ* I e* wird kinematische
Viskosität genannt, da sie mit [v*] = m 2 /s nur "kinematische" Einheiten besitzt.
Diese Kennzahl ist für Strömungen, bei denen die Viskosität eine Rolle spielt, sehr
wichtig. Ihre physikalische Bedeutung wird ebenfalls im Zusammenhang mit der
Dimensionsanalysis deutlich werden.
Mit diesen beiden Kennzahlen läßt sich das Widerstandsgesetz wie folgt in
dimensionsloser Form schreiben:
Ier= ~e I· (2.8)
Diese Form der Darstellung ist für die hier betrachtete laminare Couette-Strömung
eigentlich unnötig aufwendig, da tatsächlich beide Kennzahlen immer nur in der
10 K. Gersten/ H. Herwig
festen Kombination als crRe vorkommen und somit als eine einzige Kennzahl auf-
gefaßt werden können. In diesem Sinne lautet das Widerstandsgesetz der laminaren
Couette-Strömung
2r.* H*
crRe := _w_ _ = 1. (2.9)
1J*U*
Trotzdem wird der Form (2.8) der Vorzug gegeben, weil für turbulente Strömungen
er = cr(Re) gilt, beide Kennzahlen also nicht mehr in der festen Kombination
crRe auftreten. In einem gemeinsamen Diagramm cr(Re) erscheint das laminare
Widerstandsgesetz in Form von Gleichung (2.8), vgl. Gleichung (14.67) (in der
jedoch u~ = U* /2 als Bezugsgeschwindigkeit dient). Der physikalische Hintergrund
ist folgender: Die Dichte hat auf die laminare Couette-Strömung keinen Einfluß, weil
in der Kräftebilanz (Schubkraft = Reibungskraft) keine Trägheitskräfte auftreten,
da es in Strömungsrichtung zu keiner Umbildung der Strömungsprofile kommt. Die
formale Hinzunahme der Dichte als Einflußgröße führt dann zu zwei dimensionslosen
Kennzahlen statt nur zu einer (siehe dazu Kap. 4). Im Fall der turbulenten Couette-
Strömung kommt es zwar auch nicht zu einer Profilumbildung, die Dichte hat aber
einen Einfluß auf den turbulenten Austauschmechanismus, der an späterer Stelle
beschrieben wird, und ist somit eine Einflußgröße des Problems, die berücksichtigt
werden muß. Dies führt zu zwei unabhängigen Kennzahlen.
u*(y*) = -r*
w
J
y* d *
_Y_.
17*(y*)
(2.10}
0
Dabei gilt weiterhin (2.3}. Für das Widerstandsgesetz folgt an Stelle von (2.5} jetzt
Tw
•
=
u• [
2H*
dy*
!11*(y*}
l-l (2.11}
(2.12}
Die Reynolds-Zahl erhält den Index B, weil Dichte und Viskosität in der Reynolds-Zahl bei der
Bezugstemperatur Tfj zu nehmen sind. Im Falle der Couette-Strömung wäre dies sinnvollerweise
die Temperatur der unteren Wand, also Tfj = T\Vu . Die Koordinate und die Viskosität sind
jetzt auch dimensionslose Größen. Es gilt: y = y*/H* und 11 = 11*/118 mit 17a = 17*(Tfj). Der
Reibungsbeiwert er wurde ebenfalls mit dem Bezugswert uß = g*(Tfj} gebildet.
2 Laminare Couette-Strömung: Einführung grundlegender Begriffe 11
Hierbei bezeichnet y* wieder die Koordinate senkrecht zur Wand. Das negative
Vorzeichen in (2.14) berücksichtigt, daß die Wärme stets in Richtung abnehmender
Temperatur fließt, d.h. für dT* jdy* > 0 ist q* negativ.
Diese Gleichung ist das gesuchte Wärmeleitungsgesetz und wird nach Baron
Jean Baptiste Joseph Fourier als Fouriersches Wärmeleitungsgesetz bezeichnet.
Gleichung (2.14) ist gleichzeitig auch die Definitionsgleichung für die Konstante
.A *, die Wärmeleitfähigkeit genannt wird und die Einheit [.X*] = W jmK besitzt.
Die Wärmeleitfähigkeit ist wie die Viskosität ein Stoffwert des betrachteten
Fluides und kann als Transportkoeffizient bezeichnet werden. Während die Visko-
sität ry* die Transporteigenschaften des Fluides bezüglich des Impulses repräsentiert,
stellt die Wärmeleitfähigkeit .A * die Transporteigenschaften des Fluides bezüglich
der inneren Energie (kinetische Energie der Molekularbewegung) dar.
Mit Hilfe der Molekülvorstellung läßt sich wiederum anschaulich erklären, wie
es zu dem Wärmestrom in Richtung niedrigerer Temperatur kommt: Die Tempera-
tur des Fluides an einem bestimmten Ort ist ein makroskopisches Äquivalent für die
Stärke der mikroskopischen Molekülbewegung. Ein Temperaturgradient entspricht
somit einem Gradienten der kinetischen Energie pro Molekül (gemittelt über ein
Zeitintervall und über hinreichend kleine Teilvolumina, so daß makroskopisch ein
Gradient bezüglich der Ortskoordinate definiert werden kann). Ein Wärmestrom
durch eine Ebene y* = const entspricht damit dem Austausch kinetischer Energie
durch Molekülstöße. Da Moleküle durch freien Stoßaustausch einen Gleichgewichts-
zustand anstreben, kommt es mikroskopisch zu einem Transport von kinetischer
Energie in Richtung der langsameren Moleküle, makroskopisch zu einem Wärme-
strom in Richtung abnehmender Temperatur.
Die Wärmeleitfähigkeit ist ein Stoffwert und im allgemeinen abhängig von
der Temperatur und ganz schwach auch vom Druck, bei Gemischen zusätzlich noch
12 K. Gersten/ H. Herwig
von der Konzentration. Zahlenwerte für einige wichtige Fluide sind im Anhang A2
angegeben.
Das Wärmeleitungsgesetz gilt nicht nur für Festkörper und ruhende Fluide,
sondern beschreibt auch in strömenden Fluiden den Zusammenhang zwischen
der örtlichen Wärmestromdichte und dem Temperaturgradienten. Kennt man die
Verteilung der Temperatur in einem Strömungsfeld, so kann man daraus die
Wärmestromdichte und letztlich das sog. Wärmeübergangsgesetz für die betrach-
tete Strömungsanordnung bestimmen. Dieses Wärmeübergangsgesetz ist der Zu-
sammenhang zwischen der Wärmestromdichte an der Wand und einer charakteri-
stischen Temperaturdifferenz im Fluid. Dieses Gesetz soll für die Couette-Strömung
mit jeweils konstanten Wandtemperaturen TV.O und Twu für die obere bzw. untere
Wand bestimmt werden. In Bild 2.2 ist der Fall TV.O > TW., gezeigt, was nach dem
Wärmeleitungsgesetz zu einem Wärmestrom von oben nach unten, also von der
warmen zur kalten Wand, führt und bei der hier gewählten Koordinate y* gemäß
(2.14) einen negativen Wert für die Wärmestromdichte ergibt.
Eine Wärme- bzw. Energiebilanz für ein Fluid-Kontrollvolumen ergibt für die
Couette-Strömung bei konstanten Wandtemperaturen das nur für diese Strömung
so einfache Ergebnis
q* = const = q:, (Couette-Strömung, T% = const, TW., = const). (2.15)
Aus der Kombination von (2.15) und (2.14) kann wieder die Form des Tempera-
turprofiles abgelesen werden. Es ist im allgemeinen ein nichtlineares Profil, da >. *
selbst von der Temperatur abhängen kann. Die Gleichung für dieses Profillautet
T *( Y*) - 'T'* *
.LWu = - qw
J
y*
dy*
.A*(y*) · (2.16)
0
(2.17)
2 Laminare Couette-Strömung: Einführung grundlegender Begriffe 13
(2.18)
In (2.18) ist zunächst die allgemeine Definition der Nußelt-Zahl mit einer charakte-
ristischen Länge Lß und einer charakterischen Temperaturdifferenz !::::.T* gegeben.
Für die hier betrachtete Couette-Strömung sind die entsprechenden Größen H* und
(T\Vu- TW,). Die Temperaturdifferenz wird stets so gewählt, daß Nu positiv ist. Wie
das Vorzeichen von q~ ist damit auch !::::.T* von der Wahl des Koordinatensystems
abhängig, d.h. die Bezeichnung oben bzw. unten bezieht sich auf die Koordinaten-
richtung.
Mit dieser Definition lautet das Wärmeübergangsgesetz der Couette-
Strömung
Nu=
1[1 ! A(y)
22
dy ]
2
-l
. (2.19)
0
2
dP* =r*A*du* =A*17* (du*) dy*. (2.22)
dy*
Diese mechanische Energie geht in innere Energie über. Man spricht in diesem Zu-
sammenhang von Dissipation. Die Strömung enthält also im Feld verteilte "Wärme-
quellen", die zu einer bisher nicht berücksichtigten Erhöhung der Fluiddtemperatur
führen. Die pro Schichtdicke dy* entstehende Differenz in der Wärmestromdichte
zwischen dem oberen und unteren Schichtrand, dq*, ist wegen der vollständigen
Dissipation der mechanischen Energie gleich dem Leistungsanteil dP*, so daß aus
(2.22) unmittelbar folgt
d *
q
= dP*
A*
= 17 * (du*)
dy*
2
d *.
y
(2.23)
Zusammen mit dem Fouriersehen Wärmeleitungsgesetz (2.14) ergibt sich daraus für
die Temperaturverteilung die Differentialgleichung
_ _:!:_
dy*
(>. * dT*
dy*
) _
- 1}
* (du* )
dy*
2
(2.24)
Für konstante Stoffwerte (dann gilt >. *, rJ* = const, du* j dy* = U* /2H*) und die
Randbedingungen TW, = const und Twu = const lautet die Lösung
'T'* 'T'* *U*2
T*( *) T* 1 1 Wu * 1J *( * *)
Y + 2).*(2H*)2Y 2H - Y . (2.25)
\\b-
Y - Wu = 2H*
2 Laminare Couette-Strömung: Einführung grundlegender Begriffe 15
In diesem Fall sind die Wärmequellen dq* / dy* zwischen den Platten gleichmäßig
verteilt. Die Lösung (2.25) setzt sich aus zwei Anteilen zusammen, dem linearen
Anteil gemäß (2.20) infolge der aufgeprägten Temperaturdifferenz T~ -T\Vu und ei-
ner parabelförmigen Verteilung infolge der Dissipation. Die dissipierte mechanische
Energie wird als ein zusätzlicher Wärmestrom gleichmäßig über die obere und untere
Wand abgeführt, fließt also dem aufgeprägten Wärmestrom infolge der Tempera-
turdifferenz T~ - T\Vu an der oberen Wand entgegen. An der unteren Wand fließt
er in dieselbe Richtung wie der aufgeprägte Wärmestrom, so daß für die Wärme-
stromdichten an den Wänden jetzt q% f:. q\vu gilt. Diese Wärmeströme ergeben
sich aus (2.25) zusammen mit (2.14) zu
(-q\vu)H* 1 ( 1 - T\Vu )
Nuu := >..*(T,*
Vlb -
T.*VVu ) = 2 1 + 2PrEcT,* T,*VVu (2.27)
Vlb -
Dabei ist c; die spezifische isobare Wärmekapazität mit der Einheit [cp] = kJ/kgK.
Zahlenwerte für c; und Pr verschiedener Fluide sind in Anhang A2 enthalten.
Die andere Kennzahl ist ein Maß für den Einfluß der Dissipation und wird in
der Literatur Eckert-Zahl genannt
- U*2
Ec := c;r-wu. (2.29)
Für das Gesetz (2.27) gilt nun Nuu --> oo für (T~ - Twu) --> 0, d.h. die Formu-
lierung des Wärmeübergangsgesetzes wird singulär, ohne daß eine ungewöhnliche
physikalische Situation vorliegt. Beim Fall T~ = T\\ru wird lediglich die im Inneren
des Fluides entstehende innere Energie über die Wände abgeführt wird, ohne daß
ein weiterer Wärmestrom über die thermischen Randbedingungen aufgeprägt wird.
Aus (2.27) ist zu erkennen, daß eine allgemeingültige, nicht singuläre Formu-
lierung des Wärmeübergangsgesetzes entsteht, wenn (2.27) mit der dimensionslosen
Temperaturdifferenz
D.T ·= T~ -T\\ru (2.31)
. T\\ru
multipliziert wird. Mit einer modifizierten Definition der Nußelt-Zahl
- ( -q* )H*
Nu:= >.*T,* (2.32)
Wu
lautet das Wärmeübergangsgesetz der unteren Wand
- (-qV-vu)H* 1( 1 - )
Nuu := .A*Twu = 2 D.T + 2PrEc . (2.33)
Im Grenzfall Ec = 0 gehen (2.33) und (2.34) in die Form von (2.21) über. Aufgrund
der Definitionen von Nu und Nu gilt
Nu= NuD.T. (2.35)
Dabei kann Nu mit D.T das Vorzeichen wechseln.
Bei der Angabe dimensionsloser Gesetze müssen stets die Definitionen und
gewählten Bezugsgrößen mit genannt werden. Diese zunächst trivial erscheinende
Forderung wird leider in der Literatur längst nicht immer eingehalten.
Anmerkung (Definition der Nußelt-Zahl mit der Eigentemperatur)
Bei Berücksichtigung der Dissipation (Ec i' 0) hatte sich die Definition (2.18) der Nußelt-Zahl als
ungeeignet herausgestellt. Neben (2.32) ist für Ec i' 0 noch eine andere Definition der Nußelt-Zahl
gebräuchlich, die im folgenden erläutert wird.
Für eine bestimmte Temperatur r;d u der unteren Wand verschwindet gerade die Wärme-
stromdichte qW,.. Man nennt r;d u daher die adiabate Wandtemperatur (Index ad) oder die Eigen-
temperatur der unteren Wand. Analog gibt es die Eigentemperatur r;do der oberen Wand. Nach
(2.26) gilt mit (2.28)
r:du- TW,
--"'~,....,..-...!..""- =
r:do- T~ = -Pr
1
.
U* 2 /c;, U* 2 /c;, 2
Unter Verwendung der Eigentemperatur lassen sich geeignete Nußelt-Zahlen definieren und damit
die Wärmeübergangsgesetze auch wie folgt schreiben:
Nu := (-qW,.)H* =Nu := qV.,,H* ~
u A*(T;du-T\Vu) 0
A*(T;d 0 -TW,) 2
2 Laminare Couette-Strömung: Einführung grundlegender Begriffe 17
C· :=
r/
__..!_ mit und (2.36)
I /2*
wobei ei die sog. Partialdichte ist. Die Konzentration ci wird in der Literatur auch
Massenanteil genannt und z.B. bei Mersmann (1986, S. 34) mit wi bezeichnet.
Unter dem Diffusionsgesetz versteht man den Zusammenhang zwischen dem
Massendiffusionsstrom einer Komponente pro Flächenelement, der sog. Diffusions-
stromdichte, und der zugehörigen Konzentrationsverteilung in einem Fluid.
Die Diffusionsstromdichte der Komponente i ist definiert als
* dci
J··• = - D* 12- (2.40)
I dy*
Band sei porös, so daß ständig Wasserdampf durch das Band hindurchdiffundiert.
Für Luft sei das Bandjedoch undurchlässig (halbdurchlässige Grenzfläche). In einer
ausgebildeten Couette-Strömung sind die Konzentrationen des Wasserdampfes, der
als Komponente A bezeichnet werden soll, an beiden Wänden jeweils konstant.
An der Wasseroberfläche als unterer Wand der Couette-Strömung herrscht die
Konzentration cAu , die physikalisch der Sättigungskonzentration entspricht und
somit den maximal möglichen Wert darstellt (100 % relative Feuchtigkeit, jedoch
nicht etwa cAu = 1). An der oberen Wand herrsche cAo < cAu , also ein nicht
gesättigter Zustand.
Dieses Beispiel beschreibt einen Diffusionsvorgang, bei dem nur eine Kom-
ponente (der Wasserdampf) über die jeweiligen Grenzflächen diffundiert, diese
Grenzflächen für die andere Komponente (Luft) aber undurchlässig sind (vß = 0).
Man spricht deshalb, wie bereits erwähnt, von einer einseitigen Diffusion an halb-
durchlässigen Grenzflächen.
Eine Massenbilanz bezüglich der Komponente A ergibt für dieses Beispiel das
einfache Ergebnis, daß die Massenstromdichte (Massenstrom pro Fläche) konstant
ist. Für diese Massenstromdichte gilt nach (2.39) und (2.40) wegen vß = 0,
{! * = {!A*/ CA un d V* = CAVA*
mit
(C ) ·- CA Wu -CA \\b = CB \\b - CB WJ
B in .- In 1-cAw, In~ .
1-CA Wu CBWu
Die Größe (cB )in wird in der Literatur auch logarithmischer Mittelwert von cB w,
und cB w.t genannt, siehe z.B. Mersmann (1986, S. 44).
Als Stoffübergangsgesetz wird der Zusammenhang zwischen der Massenstrom-
dichte durch Diffusion, jA_, und einer charakteristischen Konzentrationsdifferenz,
hier z.B. cA w.t - cA W>• bezeichnet. Aus (2.41) und (2.45) folgt
'*
JA Wu = (1- CA w.t)f1A
* *
VA=
[ {/ D* CA w.t -CA
(1- CA WJ) (cB)in 2H*
w,] . (2.46)
Für die laminare Couette-Strömung mit H* als charakteristischer Länge und mit
6cA = cA w.t- cA w,
als charakteristischer Konzentrationsdifferenz lautet das Stoff-
übergangsgesetz für die Komponente A des Binärgemisches (Annahme: konstante
Stoffwerte)
1 (1- CA w.t)
2 (cB)in
(2.48)
(2.49)
für
Sh= ~ (2.50)
2
Gilt die Proportionalität JA.w "' 6.cA nicht, weil die Konzentrationsdifferenzen nicht
sehr klein sind oder zusätzliche "Stoffquellen" in der Strömung (z.B. durch chemi-
sche Reaktionen) vorhanden sind, empfiehlt sich die Einführung einer modifizierten
Sherwood-Zahl
(2.51)
Im Zusammenhang mit (2.44) war schon erwähnt worden, daß bei der hier vorliegenden einseitigen
Diffusion an halbdurchlässigen Grenzflächen eine Schwerpunktsgeschwindigkeit
v* = __!!:___ CA Wu - CA Vlb
(cshn 2H*
vorliegt. Der Stofftransport hat also eine Rückwirkung auf das Geschwindigkeitsfeld. Es besteht
jetzt, auch bei konstanten Stoffwerten, keine lineare Geschwindigkeitsverteilung mehr. Es tritt
nämlich in der Impulsbilanz ein zusätzlicher Impulstransport durch Konvektion (Mitführen)
auf. Bei einer positiven Geschwindigkeit v* werden Fluidelemente aus unteren Bereichen mit
geringerem Impuls (geringere Geschwindigkeit) in Gebiete mit höherem Impuls gebracht, was eine
Beschleunigung zur Folge hat.
Die Impulsgleichung lautet für diesen Fall
Es besteht eine Analogie zur Konzentrationsverteilung, die mit (2.42) und (2.43) wie folgt
geschrieben werden kann:
Die Analogie zu (2.54) ist vollständig, wenn D* = 77* Iu* gilt. Mit der später einzuführenden
Schmidt-Zahl Sc:= 17* l(u* D*) ist dieses der Fall Sc= 1.
Auch für die Temperaturverteilung ergibt sich eine analoge nichtlineare Verteilung infolge
der zusätzlich auftretenden Konvektionsglieder, die für )..* l(u*c;,) = 77* I g*, also für
Pr:= 77*c;1 >.• = 1 exakt von der Form (2.54) ist.
In den vorhergehenden Abschnitten 2.2 bis 2.5 sind die Gesetzmäßigkeiten für den
Impuls-, Wärme- und Stofftransport zwar getrennt behandelt worden, die Analogie
zwischen den drei Transportvorgängen sollte aber trotzdem deutlich geworden sein.
Eine Zusammenstellung der zentralen Gesetze veranschaulicht dies noch
einmal.
,.du*
Reibungsgesetz: r* = 'fJ dy* (2.56)
Diffusionsgesetz: .•
JA=-
D* e
.dcA
- (2.58)
dy*
Obwohl alle drei Gesetze sehr ähnlich aussehen, besteht mathematisch ein großer
Unterschied zwischen dem Reibungsgesetz einerseits und den Wärmeleitungs- und
Diffusionsgesetzen andererseits. Die Gleichungen (2.56) bis (2.58) beschreiben die
vollständigen Transportvorgänge nur für eindimensionale Zustände, wie sie im
Beispiel der Couette-Strömung gegeben sind. Für allgemeinere Fälle sind die drei
Gesetze jeweils nur eine Komponente, und zwar für das Reibungsgesetz eine
Komponente des allgemeinen Schubspannungstensors und für das WärmeleitungB-
und Diffusionsgesetz eine Komponente des Vektors der Wärmestromdichte bzw.
Diffusionsstromdichte.
Das Reibungsgesetz verknüpft also den Geschwindigkeitsvektor, der im all-
gemeinen dreidimensionalen Fall aus den Komponenten u*, v* und w* (kartesische
Koordinaten) besteht, mit dem Spannungstensor, der selbst aus neun Komponenten
besteht (von denen aus Symmetriegründen im allgemeinen aber nur sechs voneinan-
der verschieden sind). Im Falle einer ebenen Strömung reduziert sich dies auf zwei
Vektor- und vier Tensorkomponenten. In der allgemeinen Form einer ebenen, in-
2 Laminare Couette-Strömung: Einführung grundlegender Begriffe 23
kompressiblen Strömung lautet dieser Zusammenhang (s. dazu auch Abschnitt 3.3)
(2.59) .
Für die ebene Couette-Strömung reduziert sich dies auf das Reibungsgesetz (2.56),
da u* = u* (y*) ' v* = const und r* = r*xy = r*yx gilt ·
Das Wärmeleitungs- und Diffusionsgesetz verknüpfen hingegen die skalaren
Größen Temperatur bzw. Konzentration mit dem Wärmestromdichtevektor bzw.
dem Diffusionsstromdichtevektor. Die in der Couette-Strömung vorkommenden
Ströme sind also jeweils die y-Komponenten der vollständigen Vektoren
Der Vergleich von (2.59) und (2.60) zeigt, daß eine wirkliche Analogie der Über-
tragungsprozesse nur zwischen der Wärme- und Stoffübertragung besteht. Diese
Prozesse mögen in Sonderfällen (die Couette-Strömung ist ein solcher) auch der
Impulsübertragung gleichen, eine allgemeine Analogie gilt aber wegen der unter-
schiedlichen mathematischen Struktur nicht.
Die Analogie zwischen Wärme- und Stoffübertragung setzt analoge Rand-
bedingungen voraus. Der einseitigen Diffusion entspricht Wärmeübertragung mit
Ausblasen bzw. Absaugen. Dabei muß jedoch die Dissipation vernachlässigt werden
(Ec---> 0), da dazu ein Analogon bei der Stoffübertragung fehlt.
In diesem Buch werden zunächst nur die Impuls- und die Wärmeübertragung
behandelt. Für die Behandlung der Stoffübertragung wird anschließend jeweils von
der Analogie zur Wärmeübertragung Gebrauch gemacht.
2.7 Zusammenfassung
1.) Das Newtonsehe Reibungsgesetz stellt einen Zusammenhang zwischen dem
Spannungstensor und dem Geschwindigkeitsvektor her. Die für die Couette-
Strömung relevante Komponente ist (2.2). Daraus folgt (2.5) als Widerstands-
gesetz für die Couette-Strömung; in dimensionsloser Form ist dies (2.8).
2.) Das Fouriersehe Wärmeleitungsgesetz stellt einen Zusammenhang zwischen
dem Wärmestromvektor und der skalaren Größe Temperatur her. Die für die
Couette-Strömung relevante Komponente ist (2.14). Daraus folgt (2.17) als
Wärmeübergangsgesetz für die Couette-Strömung; in dimensionsloser Form
ist dies (2.19).
3.) Bei Berücksichtigung der Dissipation tritt im Wärmeübergangsgesetz ein wei-
terer Term hinzu. Außerdem sind die Gesetzmäßigkeiten an der unteren und
der oberen Wand verschieden. Für die untere Wand z.B. gilt in dimensionslo-
ser Form (2.27).
24 K. Gersten / H. Herwig
3.1 Vorbemerkung
In diesem Kapitel sollen die Grundgleichungen zur Beschreibung der Impuls-,
Wärme- und Stoffübertragung bereitgestellt werden, wobei Einzelheiten der Her-
leitung weniger interessieren als der physikalische Hintergrund. Bezüglich der de-
taillierten Herleitung sei deshalb auf entsprechende Lehrbücher verwiesen, wie z.B.
Schlichting (1982), Bird et al. (1960), White (1974), Whitaker (1977) und Jischa
(1982).
Die physikalischen Grundprinzipien, die im folgenden Verwendung finden, sind
(1) die Erhaltung der Masse; dies bezieht sich sowohl auf die Gesamtmasse des
Fluides als auch auf die Masse der Komponenten von Gemischen. Aus entspre-
chenden Massenbilanzen werden sowohl die globale Kontinuitätsgleichung für
die Gesamtmasse (im weiteren nur Kontinuitätsgleichung genannt) als auch
die partielle Kontinuitätsgleichung für die Komponente i eines Gemisches her-
geleitet.
(2) das Newtonsehe Grundgesetz der Dynamik (Kraft= Masse x Beschleunigung)
zusammen mit dem Prinzip des Kräftegleichgewichtes an einem Kontrollvolu-
men. Dieses Kräftegleichgewicht führt auf die sogenannten Impulsgleichungen
(in Komponentenschreibweise), die für Newtonsehe Fluide den Namen Navier-
Stokes- Gleichungen tragen.
(3) das Grundgesetz der Thermodynamik in der Form des 1. Hauptsatzes für
offene Systeme, s. Baehr (1989). Aus dem 1. Hauptsatz wird die sog. Ener-
giegleichung abgeleitet.
Alle Gleichungen werden zunächst in dimensionsbehafteter Form angegeben. Der
generelle Übergang auf eine dimensionslose Darstellung erfolgt im anschließenden
Kapitel zur Dimensionsanalysis. Lediglich bei den Grundgleichungen für turbulente
Strömungen in Abschnitt 3.8 wird bereits der Vorteil einer dimensionslosen Schreib-
weise ausgenutzt.
Die Grundgleichungen sind Bilanzgleichungen (bezüglich Masse, Impuls und
Energie), die in der endgültigen Form die sog. Materialgleichungen (auch: konsti-
tutive Gleichungen) enthalten. Diese Materialgleichungen sind die in Kap. 2 ein-
geführten Reibungs-, Wärmeleitungs- und Diffusionsgesetze. Die Einführung dieser
26 K. Gersten/ H. Herwig
dE* = _!!:__ [8E* dt* 8E* dx* 8E* d * 8E* dz*] . (3.1)
dt* dt* ßt* + 8x* + ßy* y + ßz*
Da diese Gleichung sich auf ein konkretes Teilchen bezieht, das sich aus ortsfester
Sicht mit der Geschwindigkeit (u*, v*, w*) bewegt, gilt dx* = u* dt*, dy* = v* dt*
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 27
Um deutlich zu kennzeichnen, daß es sich auf der linken Seite von (3.2) um
eine Zeitableitung in einem teilchenfesten System handelt, ist die Schreibweise
D / Dt* eingeführt worden, die substantielle Ableitung genannt wird (manchmal auch
materielle Ableitung). Die Größe 8E* f8t* wird als lokale Ableitung bezeichnet. Die
drei letzten Terme auf der rechten Seite von (3.2) heißen konvektive Ableitung, da sie
für ein ruhendes Fluid verschwinden. In diesem Grenzfall werden die Lagrangesche
und die Eulersche Betrachtungsweise natürlich identisch.
In den folgenden Bilanzgleichungen werden die linken Seiten stets von der
Form (3.2) sein, was zum Ausdruck bringt, daß die Erhaltungssätze ursprünglich
für konkrete Teilchen formuliert sind. Nach dem Übergang auf die Eulersche Be-
trachtungsweise bezieht sich die physikalische Interpretation dann auf ein ortsfestes
Kontrollvolumen.
(3.5)
28 K. Gersten/ H. Herwig
Wie sich anschließend herausstellen wird, ist sie in dieser Form ganz analog zur
Energiegleichung (ohne Dissipationsterm) aufgebaut, was wegen der in Abschnitt
2.6 festgestellten Analogie zwischen der Wärme- und Stoffübertragung nicht ver-
wunderlich ist.
Mit dem Ficksehen Diffusionsgesetz, vgl. Abschnitt 2.5, gilt für den Diffusions-
stromdichte-Vektor der Komponente A bei der binären Diffusion (mit DA_ 8 =
DßA = D*)
jA_ = -D* g* grad CA. (3.7)
In Gleichung (3.7) sind strenggenommen drei Effekte vernachlässigt worden, da der
vollständige Diffusionsstrom aus insgesamt vier Anteilen besteht. Neben der in (3. 7)
aufgeführten Ficksehen Diffusion sind dies
die Druckdiffusion, d.h. zusätzliche Diffusionsströme aufgrund von Druckgra-
dienten.
die Diffusion durch Volumenkräfte, die allerdings nur wirkt, wenn die einzel-
nen Komponenten unterschiedlichen Kraftfeldern unterliegen (was beim hier
nur betrachteten Schwerefeld nicht der Fall ist).
die Thermodiffusion, d.h. zusätzliche Diffusionsströme aufgrund von Tempe-
raturgradienten.
Der letztgenannte Effekt (Thermodiffusion) zählt zu den sog. Kopplungseffekten
und wird in Abschnitt 13.4 näher untersucht. Nähere Angaben zu den drei ver-
nachlässigten Effekten sind u.a. in Jischa (1982, S. 35) und Bird et al. (1960, S. 566)
zu finden.
3.3 Impulsgleichungen
Ausgangspunkt für die weiteren Betrachtungen ist die Tatsache, daß ein Fluidele-
v
ment aufgrund seiner Masse dm * und seiner Geschwindigkeit * (u *, v*, w*) Träger
von Impuls ist. Dieser Impuls v * dm* kann nach dem Newtonsehen Grundgesetz
der Mechanik nur durch die Wirkung von Kräften geändert werden. Diese Kräfte
können entweder auf das Kontrollvolumen verteilt (Volumenkräfte) oder an der
Kontrolloberfläche (Oberfiächenkräfte) angreifen.
Im Rahmen dieses Buches wird neben der Trägheitskraft als Volumenkraft
ausschließlich die Schwerkraft g * dm* mit der Fallbeschleunigung g * (g~, g;, g;)
vorkommen.
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 29
p* ' -~(a*
·=3 x
+ a*y + a*)
z
= p*- 'TJ*v divv* · (3.12)
Dabei ist 'T}~ die sog. Volumenviskosität, auf die anschließend noch näher eingegangen
wird. Die Tatsache, daß es in strömenden Fluiden neben dem thermodynamischen
Druck p* noch einen zweiten Druck p* gibt, erscheint zunächst verwirrend, ist aber
unter praktischen Gesichtspunkten kaum von Bedeutung, da die Differenz p* - p*
(bis auf einige Sonderfälle, s. Landau und Lifshitz (1963, S. 304 ff.)) keine wesentliche
Rolle spielt. Die Differenz p* - p* ist darüber hinaus immer dann ohne Bedeutung,
wenn in dem betrachteten Problem die sog. deviatorischen Normalspannungen (im
folgenden häufig einfach "Normalspannungen") r;x, r;Y und r;z (s. die spätere
Gleichung (3.17)) keine Rolle spielen, wie dies z.B. bei Grenzschichten der Fall
ist.
Die Differenz ist zahlenmäßig um so geringer, je kleiner div v * ist, wie (3.12)
unmittelbar zeigt. Ein Fluid mit konstanter Dichte erfüllt diese Bedingung exakt, s.
(3.3). In diesem Fall gilt p* = p*, was der physikalischen Anschauung unmittelbar
30 K. Gersten/ H. Herwig
Eine ausführliche Diskussion dieser Hypothese findet sich in Landau und Lifshitz
(1963, S. 304 ff) und Schlichting (1982, S. 60).
Im weiteren wird der Druck p* also stets im Sinne des thermodynamischen
Druckes verwendet, wie er in der entsprechenden thermodynamischen Zustandsglei-
chung f(e*, p*, T*, cJ = 0 vorkommt.
Die Bedingung (3.13) ist eine von drei Annahmen, die von Stokes im Jahre
1845 getroffen wurden, als er den nach ihm benannten Zusammenhang zwischen
dem Spannungs- und dem Verzerrungszustand formulierte (Schubspannungsansatz
von Stokes). Die beiden weiteren Annahmen sind: das Fluid ist isotrop, d.h. seine
Eigenschaften sind richtungsunabhängig, und die Komponenten des Spannungsten-
sors sind lineare Funktionen der sog. Formänderungsgeschwindigkeiten. Diese lassen
sich aus einfachen kinematischen Überlegungen durch die Gradienten der Geschwin-
digkeitskomponenten u*, v* und w* ausdrücken und bilden zusammen den sog.
Verzerrungstensor.
Unter Berücksichtigung der drei Annahmen von Stokes gilt für die Normal-
komponenten des Spannungstensors
Unter Berücksichtigung der Hypothese von Stokes lauten dann die Impulsgleichun-
gen
(3.16)
Txx
* = 2ry .ou* 2 *d'lV V~·
- - - -TJ
ox* 3
* * ßv* 2 * d' ~ * (3.17)
Tyy = 2ry ßy* - 3TJ lVV
Tzz
* ßw*
= 2TJ * - - 2 * d'lV V~ *
- -TJ
ßz* 3
und den Tangentialkomponenten des Spannungstensors
ßu*)
*
Txy = Tyx* = "1 * (ßv*
ßx* + ßy*
)
*
Tyz = Tzy
*
= "1
* ( ßw*
ßy* + ßv*
ßz* (3.18)
ßw*)
*
Tzx = Txz* = "1 * (ßu*
ßz* + ßx*
Werden (3.17) und (3.18) in (3.16) eingesetzt, erhält man die nach Navier (1827)
und Stokes (1850) benannten Navier-Stokes-Gleichungen.
In Vektor-Schreibweise lautet (3.16)
D~*
e*-v_
Dt*
= [!*g*- grad p* + DiVT·~Y (i,j = X,y,z), (3.19)
wobei Div rij durch den Vergleich mit (3.16) als Operator bezüglich des Spannungs-
tensors rij definiert ist.
Der Druck in den Gleichungen (3.16) reduziert sich, wie bereits erwähnt, im Falle des ruhenden
Fluides mit der statischen Dichte e;t auf den statischen Druck P;t , d.h. es gilt
(3.20)
Die Abweichung des Druckes vom statischen Druck wird als modifizierter Druck p:;, bezeichnet,
p:;,
d.h. für gilt die Definition
(3.21)
32 K. Gersten/ H. Herwig
Es hat nun deutliche Vorteile, diesen modifizierten Druck (der genau genommen eine Druckdifferenz
darstellt) in die Gleichungen einzuführen. Für den Termgrad p* in (3.19) gilt dann
grad p* = e:tfJ • + grad p;;, ,
so daß die beiden ersten Terme auf der rechten Seite von (3.19) lauten
u· g. - grad p* = (e* - e:t )§. - grad p;;, . (3.22)
Die ursprünglich in der Gleichung vorhandene Volumenkraft e* g • ist mit dem statischen Anteil
u;t9 • zu einem Term (g* - u;t)9 * zusammengefaßt worden.
Bisweilen wird in der Literatur auf den modifizierten Druck übergegangen, ohne dies durch
einen besonderen Index zu kennzeichnen. Enthält der Impulssatz bei erzwungener Konvektion
keinen expliziten Volumenkraftterm oder ist bei natürlicher Konvektion ein Auftriebsterm mit
der Dichtedifferenz (e* - u;t) gebildet, so sind dies stets Hinweise, daß der modifizierte Druck
eingeführt wurde.
3.4 Energiegleichung
Die Energiegleichung besagt, daß die Energie eines Systems durch Zufuhr von
Wärme oder Verrichtung von Arbeit erhöht werden kann. Mit "Energie" ist hier
die sog. Gesamtenergie als Summe aus innerer und kinetischer Energie gemeint.
Im folgenden sollen nur die wichtigsten Zwischenschritte der Herleitung
bzw. die Endergebnisse der Umformungen angegeben werden; eine ausführliche
mathematische Darstellung findet man z.B. in Whitaker (1977).
In einem ersten Schritt wird die Impulsgleichung (3.19) mit dem Geschwin-
digkeitsvektor iJ *(u*, v*, w*) skalar multipliziert. Die dabei entstehende skalare
Gleichung ist die Bilanzgleichung für die kinetische Energie. Da in dieser Gleichung
ausschließlich mechanische, aber keine thermischen Größen vorkommen, wird sie
mechanische Energiegleichung genannt. Sie lautet in kartesischen Koordinaten
wobei A * die Arbeit der viskosen Kräfte am Volumenelement beschreibt und {[>* den
Anteil der kinetischen Energie, der irreversibel in innere Energie umgewandelt wird.
Da mit {[>* ein dissipativer Prozeß beschrieben wird, heißt {[>* Dissipationsfunktion.
In kartesischen Koordinaten gilt für die Funktionen A * und {[>*
ä [ ry* ( u* (äv*
+ -- äv*-2 - -v*diviJ*
äu*) + -
- - + -- 2 äw* ))]
- - + --
+w* (äv*
äy* äx* äy* äy* 3 äy* Öz*
+ -- - - + --
ä [ry* ( u* (äw* äu*) +v* (äv*
-- äw*) + -
+ -- -2 - -w*diviJ*
äw* 2 )]
Öz* äx* äz* Öz* äy* äz* 3
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 33
2 2 2 2
cl>*= 2 *[(8u*) (8v*) (8w*) ] *[(8v* 8u*)
'rf 8x* + 8y* + 8z* + 'rf 8x* + 8y*
+ (aw* + 8v*) 2 + (aw* + 8u*) 2]
8y* 8z* 8x* 8z*
_ ~f/*(divv*)
3
2
(3.24)
(3.25)
Wenn Wärmeströme nur durch Wärmeleitung entstehen, gilt für if* das Fouriersehe
Wärmeleitungsgesetz (2.60). Diese Annahme ist für reine Stoffe in vielen Situationen
sinnvoll und vernachlässigt lediglich den StrahlungsanteiL Bei Gemischen ist aber
zu beachten, daß der Wärmestrom ij* neben dem Leitungs-Anteil zwei weitere
Effekte umfaßt. Dies ist zum einen ein Wärmestrom infolge Diffusion und zum
anderen der sog. Diffusions- Thermoeffekt. Der letztgenannte Effekt ist häufig
von geringer Bedeutung und soll an dieser Stelle (ebenso wie die Strahlung)
vernachlässigt werden. Er wird in Abschnitt 13.4 im Zusammenhang mit den sog.
Kopplungseffekten näher erläutert. Für Gemische bleiben also die zwei Anteile
"Leitung" und "Wärmestrom infolge Diffusion" zu berücksichtigen. Damit gilt für
den Wärmestrom eines Binärgemisches
wobei hft. und hß die spezifischen Enthalpien der Komponente A bzw. B sind (also
gilt h* = cAhA + (1- cA)hß) s. dazu auch Bird et al. (1960, S. 566).
34 K. Gersten/ H. Herwig
Der zweite Term in (3.29) wird häufig vernachlässigt, so daß dann auch bei
Gemischen der Wärmestrom ausschließlich durch die Fouriersehe Wärmeleitung
beschrieben wird.
Für den Übergang von der spezifischen inneren Energie auf die spezifische
Enthalpie bzw. auf die Temperatur wurden folgende Zusammenhänge benutzt:
h* = e* + p*
e*'
( ßh*)
ßT* p,cA
= c;, ( ßh*)
ßp* T,cA
= 2_
e*
[1- ß*T*].
Falls gewünscht, kann die explizite Form der allgemeinen Energiegleichung auf ein-
fache Weise dadurch erhalten werden, daß die mechanische Energiegleichung (3.23)
und die thermische Energiegleichung (3.25) addiert werden. Wird die Gesamtenergie
in Form der sog. spezifischen Gesamtenthalpie H*, definiert als
H* := e* + !?__* + -v*
1
2 = h*
1
+ -v* 2 (3.30)
e* 2 2 '
umgeschrieben. Man spricht dann von der sog. konservativen Form der Bilanzglei-
chungen, vgl. Anderson et al. (1984, S. 255).
Bei einer streng systematischen Vorgehensweise würde man zunächst die allgemeine Energieglei-
chung als Erhaltungsgleichung im Sinne des 1. Hauptsatzes formulieren. Davon würde man dann
die mit v • skalar multiplizierte Impulsgleichung als Bilanzgleichung für die kinetische Energie
(mechanische Energiegleichung) subtrahieren. Diese Differenz aus allgemeiner und mechanischer
Energiegleichung stellt dann die thermische Energiegleichung dar.
3.5 Stoffwerte
In den vorigen Abschnitten wurden mit (3.3), (3.6) für ein Binärgemisch, (3.16)
mit (3.17) und (3.18) sowie (3.27) mit (2.60) sechs Bestimmungsgleichungen für die
sechs Größen u*, v*, w*, p*, T* und cA bereitgestellt.
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 35
e* = p* /(R*T*). (3.32)
Dies gilt auch für Gemische mit fester Zusammensetzung (z.B. Luft). Bei allgemei-
nen Gemischen kann jedoch zusätzlich die Abhängigkeit von der Konzentration ci
hinzukommen. Dann muß auch der Diffusionskoeffizient D* betrachtet werden.
Da p* und T* zwei der gesuchten Größen sind, können die vier Gleichungen
(3.33) nicht von den Grundgleichungen des vorigen Abschnittes getrennt werden.
Im allgemeinen Fall (ohne Konzentrationsfeld) gilt es also, das gekoppelte System
aus neun Gleichungen für die Größen u*, v*, w*, p*, T*, e*, ry*, .X*, c;
zu lösen.
Schon diese Aufzählung macht deutlich, daß es einen ungeheuren Aufwand
bedeuten würde, dieses Problem ohne Einschränkungen und zusätzliche Annahmen
anzugehen. In diesem Sinne hat es sich als sinnvoll erwiesen, die vier Stoffwerte
zunächst von den fünf anderen Größen zu trennen. Dies liegt nahe, weil es eine
Reihe von Strömungen gibt, bei denen die a:*-Größen entweder konstant sind (weil
T* und p* im Strömungsfeld nicht oder nur wenig variieren) oder die Abhängigkeit
des Stoffwertes a:* von T* und p* von untergeordneter Bedeutung ist.
Statt die Stoffwerte als gleichwertige (abhängige) Variable zu behandeln, wird
deshalb häufig angenommen, daß gilt
was die Zahl der Variablen von neun auf fünf reduziert. Auf der Basis dieser
Annahme kann man dann Methoden entwickeln, den zunächst vernachlässigten
Einfluß der Druck- und Temperaturabhängigkeit von o:* nachträglich (und in der
Regel näherungsweise) zu berücksichtigen (s. dazu den späteren Abschnitt 5.4).
Diese Vorgehensweise stößt dann an Grenzen, wenn o:*(T* ,p*)-Abhängigkei-
ten einen entscheidenden Einfluß gewinnen. Dann müssen die nachträglichen Kor-
rekturen entweder sehr genau sein, oder man kommt nicht umhin, o:* -Gleichungen
doch von vornherein in das System der Grundgleichungen aufzunehmen. Ein Bei-
spiel in diesem Zusammenhang sind Gasströmungen mit großen Dichteänderungen,
bei denen die Zustandsgleichung für ideale (oder auch reale) Gase von vornherein
mit berücksichtigt werden muß (s. Abschnitt 7.7.3).
Hier gilt in der Regel die schon im Abschnitt 2.1 erwähnte sog. Haftbedingung, die
besagt, daß die Fluidteilchen mit unmittelbarer Wandberührung keine tangentiale
Relativgeschwindigkeit gegenüber der Wand aufweisen. Eine Ausnahme hiervon
kann nur bei stark verdünnten Gasen auftreten (Abweichungen vom Kontinuum),
bei denen die mittlere freie Weglänge der Gasmoleküle um ein Vielfaches über
den Werten für Gase bei Normalbedingungen oder gar Flüssigkeiten liegt. Eine
von White (1974) vorgenommene Abschätzung ergibt, daß Abweichungen von der
Haftbedingung für turbulente Strömungen generell ohne Bedeutung sind und für
laminare Strömungen nur in Extremfällen eine Rolle spielen, wie z.B. bei der
Vorderkantenumströmung im Hyperschallbereich. Im Rahmen dieses Buches gilt
stets die Haftbedingung an der Wand, also
*
Utangential, *
Fluid = Utangential, Wand · (3.34)
*
Vnormal, *
Fluid= Vnormal, Wand + Vrel,
* Fluid· (3.35)
Für die Temperatur als skalare Größe wird analog zur Haftbedingung angenommen,
daß es keinen Temperatursprung zwischen Wand und angrenzendem Fluid gibt, also
thermisches Gleichgewicht herrscht. Somit gilt
qw* =- A* (8T*)
w ßy* w
(3.37)
Wichtige Spezialfälle von (3.37) und (3.38) sind q!, = 0 (adiabate Wand) und nach
(2.41) JAw = e!,v!,(1- CAw) (für Stoff B undurchlässige Wand).
(1) stationäre Strömung: Jede reale Strömung ist irgendwann aus einem zeit-
abhängigen "Anfahrvorgang" hervorgegangen. Ist sie im betrachteten Zeit-
raum zeitunabhängig, so ist dies der asymptotische Grenzfall t* -+ oo.
(3) konstante Stoffwerte: In Kap. 5 wird gezeigt, daß die Annahme konstanter
Stoffwerte der asymptotische Grenzfall eines allgemeinen Fluides mit varia-
blen Stoffwerten ist.
Abschliessend soll ein vereinfachtes theoretisches Modell der Strömung eines Binär-
gemisches (aus den Grundgleichungen der Abschnitte 3.2 bis 3.4 abgeleitet) mit den
asymptotischen Eigenschaften
-stationär (8/ßt* = 0)
- zweidimensional (w* = 0; a;az* = 0)
dargestellt werden, das in dieser Form dann notwendigerweise nur noch für la-
minare Strömungen gilt. Dabei sind in der nachfolgenden Energiegleichung (3.42)
der Wärmestrom infolge Diffusion und der Diffusions-Thermoeffekt und in (3.43)
die Druckdiffusion und die Thermodiffusion vernachlässigt. Diffusion durch Volu-
menkräfte tritt bei dem hier einzig betrachteten Schwerefeld nicht auf. Die Glei-
chungen lauten
8(e*u*)
--'-:--'- + 8(e*v*) = 0 (3.39)
8x* 8y*
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 41
(3.41)
(!
* c*
p
(u* aT* v* aT*) - _p_
ax* + ay* - ax*
(.x* OT*)
ax*
+ _p_ (.A * aT*)
ay* ay*
+ ß*T* [u* ap* + v* ap*]
ax* ay*
+ 11* [2 (8{):.*)2 + 2 ({)8~.*)2 (3.42)
av* au*) 2
+ ( ax* + ay*
_ ~ ({)u* +
3 ax* ay*
8v*) 2
]
.acA
e* ( u -+v
ax*
.acA)
- -
ay*
_ -a (n* e
ax*
.acA)
ax*
a-
- +ay* (v· e.acA)
- ·
ay*
(3.43)
Unter Verwendung von (3.39) lassen sich die linken Seiten von (3.40) bis (3.43) auch
als
{) {)
-(e* u* o:*) + -(e* v* o:*), o:* = u*, v*, T*, cA
ax* ay*
ß* .-
·- 2-jE*(t*)dt*
t* . (3.44)
0
0
Dabei ist t 0 eine genügend lange Zeit (etwa einige Sekunden), so daß F;* von t 0
unabhängig wird.
Im folgenden wird eine formale Entdimensionierung der Gleichungen ein-
geführt, um die zusätzliche Kennzeichnung aller Größen mit* zu vermeiden. Dazu
werden alle Größen mit den formalen Bezugsgrößen Lß, Uß, Tß und 7Js entdimensio-
niert, s. Tabelle 3.1. Durch diese Wahl der Bezugsgrößen sind die Grundgleichungen
für die dimensionslosen Größen identisch mit denjenigen der dimensionsbehafteten
Größen. Letztere Gleichungen erhält man, indem die Bezugsgrößen eins gesetzt wer-
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 43
den (und alle Größen zur Kennzeichnung als dimensionsbehaftete Größen mit einem
Stern versehen werden). Der physikalische Hintergrund einer sinnvollen Entdimen-
sionierung wird im folgenden Kapitel 4 erläutert.
A cp V D qx,qy h ß
>.* c• .,• D* q* h*
QB Lß Uß'3/Tß u•2~T*
B B
Uj3Lß U~L~ Q* ~ ·3' ...
B B
u;p ß*Tß
k <I> q2 ix,jy
-·
Eu ke
k*
u;p u•a'fL*
4>*
QB Uß'3/Lß
q•2
u;p
k*
~ A
QB UB'
...
B B B
Zunächst werden konstante Stoffwerte e, 17, .A und cP vorausgesetzt. Fälle mit va-
riablen Stoffwerten werden später besprochen. Es wird ein kartesisches Koordina-
tensystem benutzt, für andere Koordinatensystemes. Anhang AL
Die Aufteilung der Strömungsgrößen geschieht wie folgt:
Dv _ ap a (- -,-,) a (- 12 )
g Dt - ggy - ßy + ßx T xy - gu V + ßy T yy - gv . (3.49)
Dabei gilt für eine skalare Größe E bei stationärer zweidimensionaler Strömung
DE aE aE (3.50)
Dt := u 8x + v 8y .
Diese Gleichungen entstehen aus (3.16). Sie stimmen mit den entsprechenden Glei-
chungen der laminaren Strömung überein bis auf entscheidend wichtige Zusatzterme
auf der rechten Seite, die charakteristische Merkmale turbulenter Strömungen sind.
Es handelt sich um Ableitungen von Mittelwerten der Produkte der Schwankungs-
geschwindigkeiten. Diese Mittelwerte folgen aus der Nichtlinearität der Differenti-
algleichungen, stammen also von den konvektiven Beschleunigungen auf der linken
Seite der Gleichungen. Sie stehen jedoch formal auf der rechten Seite bei den Span-
nungen, da sie wie zusätzliche Spannungen wirken. Sie werden daher auch scheinbare
Spannungen (oder turbulente Spannungen) genannt. Da Reynolds (1894) erstmals
die scheinbaren Spannungen aus den Bewegungsgleichungen hergeleitet hat, wer-
den sie auch als Reynolds-Spannungen bezeichnet. Man unterscheidet zwischen den
turbulenten Normalspannungen gu12 und gv'2 und der turbulenten Schubspannung
eu'v'. Die Größe u'v' nennt man auch Korrelation, da sie ein Maß für die Wechsel-
beziehung zwischen u' und v' ist. Besteht zwischen den beiden Komponenten der
Schwankungsgeschwindigkeit keine Korrelation, gilt u'v' = 0. Dieser Fallliegt bei
isotroper Thrbulenz vor, bei der für die Thrbulenz unabhängig von der Orientierung
des Koordinatensystems gilt
In Scherströmungen ist u'v' im allgemeinen von null verschieden, und zwar negativ
bei positivem Geschwindigkeitsgradient 8uf8y. Dies läßt sich anhand von Bild
3.1 leicht einsehen. Bewegt sich ein Teilchen infolge der Querbewegung nach oben
(v' > 0), gelangt es in ein Gebiet höherer Geschwindigkeit. Da es seine urspüngliche
Geschwindigkeit im wesentlichen beibehält, ist das gleichbedeutend mit einem
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 45
T
I
+I
_L
Bild 3.1: Entstehung einer von
null verschiedenen Korrelation
u'v' bei Scher-Strömungen; die
Länge f. wird in Kap. 14 als
Mischungsweglänge eingeführt,
s. (14.122)
[J
negativen u', also insgesamt einem negativen u'v'. Eine entsprechende Überlegung
gilt für eine Bewegung nach unten.
Wie die Schubspannung f xy ein Maß für eine Impulsübertragung infolge
Viskosität ist, entspricht die turbulente Schubspannung -eu'v' einer zusätzlichen
Impulsübertragung infolge der turbulenten Schwankungsbewegung.
Die drei Gleichungen (3.46), (3.48) und (3.49) stehen für die drei Unbekann-
ten ü(x, y), v(x, y), p(x, y) zur Verfügung. Wegen der ebenfalls unbekannten tur-
bulenten Spannungen ist dieses Gleichungsystem so noch nicht lösbar. Dazu müßte
ein Zusammenhang zwischen den turbulenten Spannungen und Größen der Grund-
strömung hergestellt werden. Wie noch gezeigt wird, lassen sich auch für die tur-
bulenten Spannungen Bilanzgleichungen aufstellen. Diese enthalten jedoch wieder
zusätzliche Korrelationen, sog. Tripel-Korrelationen, d.h. Korrelationen zwischen
drei Schwankungsgrößen. Es ist erkennbar, daß auf diesem Wege das System von
Differentialgleichungen für die Grundströmung prinzipiell nicht geschlossen werden
kann. Um dieses sog. Schließungsproblem für turbulente Strömungen zu lösen, muß
aufgrundvon gewissen Modellvorstellungen der Zusammenhang zwischen den tur-
bulenten Spannungen und Größen der Grundströmung hergestellt werden. Diese sog.
Turbulenz-Modellierung stellt die zentrale Aufgabe bei der Berechnung turbulenter
Strömungen dar.
Durch die zeitliche Mittelung sind offensichtlich Informationen über die Fein-
struktur der turbulenten Strömung, insbesondere der Schwankungsbewegung, verlo-
rengegangen, die jedoch bei der Turbulenzmodeliierung benötigt werden. Sie müssen
daher im Rahmen der Turbulenz-Modelle durch entsprechende Modellgleichungen
und empirische Daten ersetzt werden. Obwohl primär nur die Lösung für die Grund-
strömung interessiert, sind eigentlich sehr ausführliche und genaue Detailkenntnisse
über die Struktur der turbulenten Schwankungsbewegung für die Turbulenzmodel-
Iierung notwendig. Auf diese kann jedoch im Rahmen dieses Buches nicht näher
eingegangen werden. Dazu wird auf entsprechende Bücher verwiesen, vgl. Rotta
(1972a), Hinze (1975), Townsend (1976).
46 K. Gersten/ H. Herwig
- = eg - -afJ
eDü a ( ",_
+ -ßx aü - 12)
f2U a ( ",_
+ -ßy aü - -,-,)
eu v , (3.52)
Dt x ßx ßx ßy
- = eg - -afJ + -a ( ",_
eDv av - eu v + -a ( ",_
-,-,) av - f2V12) • (3.53)
Dt Y ßy ßx ßx ßy ßy
Die Gleichung für die mechanische Energie der mittleren Bewegung entsteht, indem
(3.52) mit ü, (3.53) mit v multipliziert werden und dann die Summe der Gleichungen
gebildet wird, also
D
e- (1-:::;2)
-v = Konvektion
Dt 2
potentielle
e(ügx + vgy) Energie
Dp Arbeit der
Dt Druckkräfte
+-
ßx
{) ( -v
{) [",_
ax 2
1- 2) +"' ( ßü + vßü)
Ü-
ßx
- -
ßy
- 12
(JÜU -]
- (JfJu'v'
-J
Diffusion
+ -ßy
8 [ry-
8
ßy2
-v +"' (ü-
(1-2) av + v-
ßx
av) -
ßy
-
eüu'v'- (JfJv'2
direkte (viskose)
- cp(ü, v, 0)
Dissipation
Turbulenz-
+ [e(u'2-
- - aü + eu'v'
v'2)- -(aü - +-
av)J
ßx ßy ßx produktion.
(3.54)
Konvektion
turbulente Diffusion
(3.55)
viskose Diffusion
Dissipation
Dabei wurde gesetzt
q2 : = u'2 + v'2 + w'2 , (3.56)
1- 1
k : = - q 2 = - (u'2 + v'2 + w'2) . (3.57)
2 2
Mit k wird also die auf die Masse bezogene mittlere kinetische Energie der
Schwankungsbewegung bezeichnet. Diese Größe ist mit dem sog. Turbulenzgrad
Tu = ..j2k/3 verknüpft. Der Term {}'lu beschreibt die Dissipation, d.h. den Anteil
der kinetischen Energie der Schwankungsbewegung, der in innere Energie übergeht.
Ein genaueres Studium der turbulenten Schwankungsbewegung, insbesondere der
Verteilungen der kinetischen Energie über der Frequenz (Frequenz-Spektren), ergibt,
daß der Transport der Energie von ihrer Produktion durch die mittlere Bewegung
bis hin zum Übergang in innere Energie durch Dissipation als Kaskaden-Prozeß
abläuft. Bei der Produktion der Turbulenz herrschen zunächst niedrige Frequenzen
vor, das entspricht größeren Turbulenz-Elementen (auch Turbulenz-Ballen, engl.:
turbulent eddies), die somit Hauptträger der kinetischen Energie sind. Infolge
der Schwankungsbewegung kommt es allmählich zu einem Zerfall der größeren
Turbulenz-Elemente in kleinere. Dieser Kaskaden-Prozeß setzt sich fort, bis die
Turbulenz-Elemente so klein werden, daß die kinetische Energie unter der Wirkung
48 K. Gersten/ H. Herwig
der molekularen Viskosität dissipiert, also in innere Energie übergeführt wird. Dieser
Übergang spielt sich also im Bereich sehr kleiner Turbulenz-Elemente, d.h. hoher
Frequenzen, ab. In diesem Bereich ist die Turbulenz bei hohen Reynolds-Zahlen
praktisch isotrop und besitzt einen universellen Gleichgewichtszustand, der allein
durch die beiden Parameter fu und v bestimmt ist ( Ähnlichkeitshypothese von
Kolmogorov (1941), bisweilen auch Kolmogoroff). Aus diesen beiden Parametern
läßt sich die sog. Kolmogorov-Länge
(3.58)
bilden, ein Mikro-Maß der Turbulenz, das die Feinstruktur im Bereich kleiner
Turbulenz-Elemente charakterisiert.
Die ausführliche Formel für eu ist im Anhang Al (Al.23) angegeben. Wird
jedoch isotrope Turbulenz angenommen, reduziert sich die Formel auf
mit
cu
v
= 3(8u')
8x
2
+ 6(8u')
8y
2
= 15 (8u'
8x
) 2
(3.59)
Die neu eingeführte Größe cu stellt eine Art "Pseudo-Dissipation" dar. Leider wird
sie in der Literatur häufig zu Unrecht auch Dissipation genannt.
Die Summe von (3.54) und (3.55) ergibt die Bilanz für die gesamte mechani-
sche Energie, bestehend aus mittlerer Bewegung und Schwankungsbewegung. Die
Turbulenzproduktion hebt sich heraus, und die Energieverluste bestehen aus der
direkten Dissipation ~ und der Dissipation efu.
Gleichung (3.55) spielt eine wichtige Rolle bei der Turbulenz-Modellierung. In
dieser Gleichung selbst müssen wiederum hauptsächlich die Terme für die turbulente
Diffusion modelliert werden. Auch die folgenden Gleichungen (3.60) bis (3.63), (3.67)
und (3.71) werden bei der Turbulenz-Modeliierung eingesetzt.
-
- 8x 2
({!- - -)
8 -u' 3 + u'p'- u'r'
xx
-
- 8y 2
({!- -)
8 -v'u'2 u'r' 1
- -n€
-
3"' xy u '
(3.60)
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 49
((!- -)
8 -u'v'2
- 8x
- 2
8 ((!-
v'r.' - 8y
- --v' + -
v'p'- -)
xy
v'r.' - -ri€
2
3
YY
1
3 u '
(3.61)
D -
e- (w'2) = p8z' - - -8x ((!-
Dt 2
ffül -u'w' -) 8
w'r.'
2
2 -
xz
(3.62)
Die Entstehung der Gleichungen (3.60) bis (3.62) ist im Anhang Al erläutert (s. An-
merkung 1 nach (A1.36)). Die Summe der drei Gleichungen ergibt (3.55). Dabei fal-
len die Druck-Scher-Korrelationen wegen der Kontinuitätsgleichung (3.47) heraus.
Die Gleichungen (3.60) bis (3.62) sind analog zu (3.55) aufgebaut. Die Druck-Scher-
Korrelationen treten jedoch als zusätzliche positive oder negative Produktionsterme
auf. Sie beschreiben eine Kopplung zwischen den Normalspannungen und bilden im
Falle von w'2 /2 den einzigen Produktionsterm. Wie sich noch herausstellen wird,
gelangt die Energie aus der mittleren Bewegung zunächst in den Anteil u' 2 /2. Von
dort sorgen dann die Druck-Scher-Korrelationen für die Übertragung auf die beiden
anderen Anteile v' 2 /2 und w'2 /2. Wegen der Isotropie liefern alle drei Anteile gleiche
Beiträge zur Dissipation.
(!
D(u'v') = -8ü
-(!V/2_- (!U/2_
-8v + p' (8u'
- +-8v')
Dt 8y 8x 8y 8x
-
8y
-
8(
v +-
u'p'-
m11
."~
- - -)
- u'r.'
12 v'r.' yy xy
Hier tritt wegen der Isotropie kein "Dissipations"-Term auf, dagegen zusätzlich die
Druck-Scher-Korrelation.
(3.64)
Diese Gleichung entsteht durch Mittelung von (3.27). Danach besteht eine Bilanz
zwischen Konvektion, Wärmestrom (statt der Bezeichnung Diffusion) und Dissipa-
tion. Letztere wirkt hierbei wie eine Energiequelle. Sie stellt diejenige mechanische
Energie dar, die in innere Energie übergeht. Die Summe der drei Gleichungen (3.54),
50 K. Gersten/ H. Herwig
(3.55) und(3.64) läßt sich als Bilanzgleichung für die mittlere Gesamtenthalpie nach
(3.30)
- 1 - 1-2
H := h + -iJ 2 = h + -iJ + k (3.65)
2 2
interpretieren, da für ein Fluid mit konstanten Stoffwerten gilt
Dh
Dt
DT
e
1 Dp
= cP Dt + Dt ' (3.66)
Konvektion
Produktion
turbulente Diffusion
molekulare Diffusion
Dissipation (3.67)
gesetzt. Die Gleichung ist analog zu (3.55) und spielt in der Turbulenz-Modeliierung
dieselbe Rolle für das Temperaturfeld wie (3.55) für das Geschwindigkeitsfeld.
3 Grundgleichungen für Newtonsehe Fluide 51
DcA _ 8 (-:
12 Dt - - 8x JxA + I2U- 1CA1 ) 8 (-:
- 8y JyA + {!V- 1CA1) . (3.70)
Diese Gleichung ist durch Mittelung aus (3.6) entstanden. Wie im Temperaturfeld
treten auch im Konzentrationsfeld neben den mittleren Diffusionsstromdichten
]xA = -D128cAj8x und ]yA = -D128cAj8y auch scheinbare oder turbulente
Diffusionsstromdichten auf.
Gleichung für die Varianz der Konzentrationsschwankung:
+D (8 2kc
ßx2
+ 8 2kc)
8y2
_ D [ (8cA_)
8x
2
+ (8dA) 2 + (8cA.) 2 ]
ay 8z
( 3.71 )
Dabei wurde für die Varianz
(3. 72)
gesetzt. Die Gleichung ist analog zu (3.67), wobei die Temperatur der Konzentration
und a dem D entsprechen. Es sei erwähnt, daß sich auch Bilanzgleichungen für die
Korrelationen u 1T 1, v 1T 1, u1cA_ und v 1dA aufstellen lassen, vgl. Launder (1976) und
(15.101) in Kapitel 15.
Bei Fluiden mit variabler Dichte ist eine weitere Art der zeitlichen Mittelung
gebräuchlich, die massengewichtete zeitliche Mittelung genannt wird. Dabei ist der
massengewichtete Mittelwert einer Größe E*(t*) wie folgt definiert:
- := ~
E* 1
t* 12*
J t(j
n*E*
12*(t*)E*(t*) dt* = ~.
12*
--
(3.73)
0 0
Wie in Abschnitt 15.10.1 gezeigt wird, bietet es erhebliche Vorteile, wenn man
massengemittelte Geschwindigkeiten u, v
verwendet. Insbesondere erfüllt nur dann
die Grundströmung die Kontinuitätsgleichung in der Form, wie sie für laminare
Strömungen gilt.
Die Formulierung der Randbedingungen ist bei turbulenten Strömungen
nicht so einfach wie bei laminaren Strömungen. Wegen der Haftbedingung ist
unmittelbar an der Wand die Schwankungsbewegung nicht möglich. Dennoch sind
die Wandwerte T w und qw im allgemeinen zeitlich schwankende Werte. In diesem
Buch werden die Temperatur Tw und die Konzentration cAw an der Wand als zeitlich
konstant angenommen, vgl. dazu Abschnitt 15.1.
Turbulenzfelder besitzen auch freie Grenzen, an denen der Übergang von einer
turbulenten Strömung in eine nichtturbulente Strömung erfolgt. Auf diese besondere
Problematik wird in Abschnitt 17.1.1 eingegangen, vgl. auch Rotta (1972a, S. 162).
52 K. Gersten/ H. Herwig
3.9 Zusammenfassung
1.) Die Grundgleichungen werden bezüglich eines ortsfesten Kontrollraumes for-
muliert und nicht bezüglich einer festen Kontrollmasse, so daß sich in einem
betrachteten Kontrollvolumen zu verschiedenen Zeiten verschiedene Fluidteil-
chen befinden (Eulersche Betrachtungsweise).
2.) Das Prinzip der Massenerhaltung angewandt auf das gesamte Fluid führt auf
die globale Kontinuitätsgleichung (3.3), angewandt auf eine Komponente i
eines Gemisches auf die partielle Kontinuitätsgleichung (3.4).
3.) Aus dem Newtonsehen Grundgesetz der Mechanik zusammen mit dem Prin-
zip des Kräftegleichgewichtes an einem Kontrollvolumen folgt die vektorielle
Impulsgleichung mit den drei Komponenten (3.16). Unter Berücksichtigung
der Stokessehen Annahmen bezüglich des Spannungstensors heißen diese Glei-
chungen Navier-Stokes-Gleichungen; es sind nichtlineare partielle Differenti-
algleichungen.
4.) Der Druck in den Navier-Stokes-Gleichungen entspricht zunächst dem thermo-
dynamischen Druckp* (Vernachlässigung der Volumenviskosität TJ~ in (3.12)).
Häufig wird die Differenz zum statischen Druck als sog. modifizierter Druck
p~ eingeführt, so daß ein Term (e* - e;t)if * entsteht, s. (3.22).
4.1 Vorbemerkung
Dimensionen sind z.B. Länge, Zeit, Masse, Geschwindigkeit, Kraft, usw .. Man unter-
scheidet nach Basisdimensionen und abgeleiteten Dimensionen, die Potenzprodukte
der Basisdimensionen sind. Die Aufteilung in Basisdimensionen und abgeleitete Di-
mensionen ist eine Vereinbarung und nicht etwa die Folge verborgener Naturgesetze.
So vereinbart man z.B. im Bereich der Dynamik, die Größen Länge (L), Zeit (Z)
und Masse (M) als Basisdimensionen einzuführen, und nennt dieses LZM-System.
Größen wie die Geschwindigkeit und die Kraft besitzen dann die abgeleiteten Di-
mensionen Lz-l bzw. MLZ- 2 • Die Auswahl der Basisdimensionen hat zwar Ver-
einbarungscharakter, es muß aber sichergestellt sein, daß das System aus Basisdi-
mensionen vollständig ist. Folgende zwei Kriterien sind für diese Vollständigkeit zu
54 K. Gersten/ H. Herwig
erfüllen:
(1) Keine Basisdimension läßt sich aus den anderen Basisdimensionen ableiten.
(2) Jede weitere in einem betrachteten Problem enthaltene Dimension läßt sich
aus den Basisdimensionen ableiten.
Zu den jeweiligen Dimensionen gehören entsprechende Einheiten, die dann analog
als Basiseinheiten bzw. abgeleitete Einheiten bezeichnet werden. Basiseinheiten im
vorher erwähnten LZM-System sind also Meter (m), Sekunde (s) und Kilogramm
(kg). Die Krafteinheit Newton (N) ist dann eine abgeleitete Einheit, für die gilt :
1N=1kgms- 2 •
Es sollte besonders betont werden, daß sich ein System von Basisdimensionen
stets auf das jeweils betrachtete Problem bezieht. Für die durch die Grundgleichun-
gen des vorigen Kapitels beschriebenen Probleme kann folgendes System aus vier
Basisdimensionen vereinbart werden, wobei für spezielle Probleme z.T. nicht alle
vier Dimensionen benötigt werden. Die Basisdimensionen sind
(1) Länge L
(2) Zeit Z
(3) Masse M
(4) Temperatur T.
Dieses System soll LZMT-System genannt werden.
Alternativ könnte z.B. statt der Masse M auch die Kraft F (engl.: force)
als Basisdimension eingeführt werden. Aus den Basiseinheiten m, s und N würde
dann die Einheit der abgeleiteten Dimension Masse lauten : 1 kg = 1 N m -l s2 .
Eine sehr ausführliche Darstellung verschiedener physikalischer Größen und ihrer
Einheiten findet man in Baehr (1974).
Statt der Bezugstemperatur TB kann in bestimmten Fällen eine charakteristische Differenz ßT8
verwendet werden. In gleicher Weise kann bei Mehrstoffsystemen eine Konzentration durch
Bezug auf eine charakteristische Dichtedifferenz gebildet werden. Die Wahl von Temperatur-
bzw. Dichtedifferenzen als interne Maßstäbe wird möglich, wenn nicht die Absolutwerte, sondern
nur die Abweichungen von Basiswerten der Temperatur bzw. der Dichte maßgeblich sind.
Diese Vorgehensweise ist möglich, wenn sowohl die Energiegleichung als auch die partielle
Kontinuitätsgleichung lineare Gleichungen sind und damit eine Aufspaltung in die Anteile der
Basisgrößen und Abweichung zulassen. Die Basisgrößen treten dann nur indirekt auf, indem
sie die Basiswerte der Stoffgrößen (z.B. 17i3 = 17*(T8,pj3,c; 8 ) festlegen, sind aber selbst keine
Bezugsgrößen.
Diese Linearität liegt streng genommen nur für den Grenzfall konstanter Stoffwerte vor, da
beide Gleichungen für temperatur- bzw. konzentrationsabhängige Stoffwerte nichtlinear werden.
Für eine Störungsrechnung zur Erfassung des Einflusses variabler Stoffwerte (vgl. Abschnitt 5.4.2)
kann die Aufspaltung trotzdem beibehalten werden, da die Störansätze letztlich zu einem System
aus linearen Gleichungen führen.
56 K. Gersten/ H. Herwig
X y u V p e q>i
x* y* u* v* p* T*-Tß 11i-11is
Lß Lß Uß Uß tJ.
g*B B 2 T*B uß
{l ", >. cP DQ ß
u* '1* ).* _:E._ D*u*
uß '7s .Xß c* Dßuß ß*Tß
pB
Tabelle 4.1: Dimensionslose Variable der Grundgleichungen (4.1) bis (4.5); p~ = p* - p;t,
s. (3.21).
Mit den dimensionslosen Größen nach Tab. 4.1 können die Grundgleichungen
(3.39) bis (3.43), gültig für stationäre, zweidimensionale und laminare Strömun-
gen eines Binärgemisches, in eine dimensionslose Darstellung übergeführt werden.
Dabei entstehen aus den Bezugsgrößen, den Basiswerten der Stoffwerte und der
Fallbeschleunigung g* fünf dimensionslose Kennzahlen K 1 bis K 5 . Für die x*-
Komponente der Fallbeschleunigung wird g~ = -g* sin a geschrieben, so daß a
den Winkel zur Horizontalen beschreibt, wie er in Bild 4.1 eingezeichnet ist. Ent-
sprechend gilt g; = -g* cos a.
y*
g; = -g* sin a
g*y = -g* cos ct
au)
au +v-
o( u- ap . [ 8 ( rt ( 2au- - -2 (au av) ))
ßx ay =--+Kill-
ßx o]sma+K2 -
ßx ßx 3 -ßx +- ay
+~
ay (rt(au av))]
ay + ax
(4.2)
4 Dimensionsanalys is 57
(4.4)
(4.5)
K 1 ·-
g*L* ry* A*
.- u•2,
B
K2 := *U~ L*, K 3 .·-- * *
B
f2BCpB U*
B f2B B B B L*B
(4.6)
K ·- TiB* U*B ·- Dßgß
4 .- g*B c*pB T,*B L *B ' K5 .- g* U* L*
B B B
Der Druck in (4.2) bis (4.4) ist der modifizierte Druck (Abweichung zum
statischen Druck, s. (3.21) in Abschnitt 3.3), weshalb z.B. in (3.40) zunächst ein
Term (g*- f2;t)g~ entsteht. Dieser wird mit g~ = -g* sina zu (f2;t- g*)g* sina und
nach der Division durch die konstante Bezugsdichte gß zu
In (4.2) und (4.3) wird f2;t! f2s = 1 geschrieben, was auf zwei Weisen interpretiert
werden kann. Entweder als Vernachlässigung von Dichteunterschieden im statischen
Druckfeld (f2;t = gß) oder als eine abgeänderte Definition des modifizierten Druckes.
Dieser ist jetzt nicht die Abweichung zum statischen Druckfeld allgemein, sondern
zu einem fiktiven statischen Druckfeld, das bei einer konstanten Dichte gß im ganzen
Feld gelten würde (f2;t = gß).
Die Kennzahlen (4.6) sind ein zentrales Element der Dimensionsanalysis.
Dabei ist es nicht die Form der einzelnen Kennzahlen, die eindeutig von der
Dimensionsanalysis bestimmt wird, sondern deren Anzahl.
An dieser Stelle nun kann man deutlich den Vorteil der Entdimensionierung
mit internen Maßstäben erkennen. Zur Lösung des Gleichungssystems (4.1) bis (4.5)
58 K. Gersten/ H. Herwig
müssen die fünf Kennzahlen K 1 bis K 5 zahlenmäßig festgelegt werden (es wird an-
genommen, daß über die Randbedingungen keine weiteren Kennzahlen hinzukom-
men). Ein bestimmter zahlenmäßig fixierter Satz von Kennzahlen kann aber auf
unendlich viele Weisen entstehen, da diese Kennzahlen aus mehr als fünf, in diesem
Falle neun, einzelnen Größen zusammengesetzt sind. Ein bestimmter Kennzahlen-
Satz (für den es eine Lösung des Gleichungssystems gibt) entspricht somit unend-
lich vielen Kombinationsmöglichkeiten aus Einzelgrößen. Das heißt aber, daß einer
Lösung der dimensionslosen Gleichungen unendlich viele Lösungen der dimensions-
behafteten Gleichungen entsprechen! Eine sinnvolle (interne Maßstäbe!) Entdimen-
sionierung erhöht also die Allgemeingültigkeit der Lösungen.
Es ist üblich, dimensionslose Kennzahlen nach Forschern zu benennen. Einige
Beispiele solcher Namensgebungen waren in Kap. 2 bereits erwähnt worden. Über
300 dimensionslose Kennzahlen sind von Wetzler (1985) zusammengetragen worden.
Die Kennzahlen K 1 bis K 5 lassen sich auf folgende Weise mit namentlich
benannten Kennzahlen (s. dazu Tab. 4.2) in Verbindung bringen (zur dann üblichen
Wahl der Bezugsgeschwindigkeit s. die nachfolgenden Ausführungen):
Re UßLßfvi3 Reynolds-Zahl
Pr Tls c;Bf.>.ß Prandtl-Zahl
Sc ryß/(eßDß) Schmidt-Zahl
Gr g*ßß6TJ3Lß 3 /v;/
Grashof-Zahl
Grq g* ßßq;,Lß4 /(vß 2.Aß)
Ra g*ß86TßLß 3 eßc;B/(v8.A8) (= GrPr)
Rayleigh-Zahl
Raq g* ß8q;.Lß4 eßc;B/(v8.Aß 2) (= GrqPr)
Ri g• ß86TßLß/Uß 2 (= Gr/Re 2)
Richardson-Zahl
Riq g• ß8q;.Lß/(eßc;Bus 3 ) (= Grq/(Re 3 Pr))
Ec Uß 2/(c;Bt::.Tß)
Eckert-Zahl
Ec Uß2/(c;BTß)
Fr Uß/Jg*Lß Froude-Zahl
Pe eßUßLßc;B/.Aß Peclet-Zahl (= PrRe)
Ma Uß/aß Mach-Zahl
Cf 2r:,/(eßUß 2) Reibungsbeiwert
Nu q;,Lß/(.>.ß6T*)
Nußelt-Zahl
Nu q;,Lß/(.>.ßTß)
St q;,/(eßc;Bußt::.T*)
Stanton-Zahl (= Nu/Pe)
st q;,/(eßc;BußTß)
Sh j:,Lß/(D8eß6c)
Sherwood-Zahl
sh j;, Lß/(Da eß)
Lv i;,/(eß Uß6c) (= Sh/(ReSc))
Levich-Zahl
Lv i;,/(eßUß) (= Sh/(ReSc))
so daß gilt
(4.10)
Eine im Zusammenhang mit Auftriebseffekten häufig benutzte Näherung ver-
nachlässigt nun alle Terme O(c: 2 ) in (4.10) und ist damit eine asymptotischen Nähe-
rung für c: --+ 0. Diese Näherung heißt Boussinesq-Approximation, s. dazu auch
Abschnitt 8.2.
Im Rahmen der Boussinesq-Approximation gilt z.B. für den Auftriebsterm in
(4.2) unter Berücksichtigung von Ku 1 = -ßi3TJ3
(4.11)
was mit der sog. Grashof-Zahl (s. Tab. 4.2) wie folgt geschrieben werden kann:
Die Grundlage der Dimensionsanalysis ist das sog. TI- Theorem, das von Buckingham
(1914) erstmals formuliert wurde. Dieses Theorem besagt, daß jeder physikalische
Vorgang durch den Zusammenhang einer bestimmten Anzahl dimensionsloser Kenn-
zahlen dargestellt werden kann. Deren Anzahl ergibt sich als Differenz zwischen der
Anzahl der Einflußgrößen und der Anzahl der Basisdimensionen des entsprechen-
den Problems. Die genaue mathematische Formulierung lautet wie folgt:
Gegeben ist ein Zusammmenhang von n Einflußgrößen ai mit m Basisdimen-
sionen als
f(ai, a;, ... , a~) = 0. (4.13)
wenn
(1) die Gleichung J( .. .) der einzige funktionale Zusammenhang zwischen den
Einflußgrößen ai ist,
(2) die Gleichung f( .. . ) unabhängig von den Einheiten gilt, in denen die Größen
ai gemessen werden.
Die Größen Tii sind die dimensionslosen Kennzahlen des Problems. Das Symbol
TI, das in der mathematischen Symbolik ein Produkt bezeichnet, wurde gewählt,
weil die Kennzahlen Potenzprodukte der Einflußgrößen sind. Das TI-Theorem
bestimmt weder eindeutig die Form der Kennzahlen noch legt es den funktionalen
Zusammenhang F( .. .) fest. Die wesentliche Aussage des TI-Theorems bezieht sich
auf die (minimale) Anzahl von dimensionslosen Kennzahlen, durch die ein Problem
beschrieben werden kann.
Das ursprünglich von Buckingham formulierte TI-Theorem ist später von
Bridgeman (1922) mathematisch präziser gefaßt worden. Er geht ebenfalls von dem
Zusammenhang (4.13) aus, unterteilt aber die Liste der Einflußgrößen in zwei Teil-
mengen. Die erste Menge enthält alle Größen ai, deren Dimensionen voneinander
linear unabhängig sind, die zweite Menge alle Größen, deren Dimensionen linear
abhängig von denen der ersten Menge sind.
Nach dieser Unterteilung können alle Größen ai in einer Dimensionsmatrix
dargestellt werden, deren Rang r der Anzahl linear unabhängiger Einflußgrößen
(also der Elementezahl der ersten Teilmenge) entspricht. Die Anzahl von TI-
Kennzahlen ergibt sich in dieser Vorgehensweise als Differenz zwischen der Anzahl
der Einflußgrößen und dem Rang der Dimensionsmatrix.
62 K. Gersten/ H. Herwig
Für die praktische Anwendung sind die beiden Formulierungen von Bucking-
ham bzw. Bridgeman gleichwertig. Die Formulierung von Bridgeman soll hier nicht
im Detail beschrieben werden, es sei dazu auf eine ausführliche Darstellung von
Pawlowski (1971) verwiesen.
sehen Prozeß auftreten. Im Rahmen dieses Buches können dies bis zu fünf
c;
Stoffwerte sein, nämlich : r/, ry*, .X*, und D*.
Beispiel: Bei der Berechnung der Strömung eines reinen Fluides konstanter
Dichte und Viskosität in einem Diffusor sind die Dichte eß (Auftreten
von Trägheitskräften) die Viskosität ryß (reibungsbehaftete Strömung) zu
berücksichtigen, nicht aber die thermischen Größen .Xß und c; 8 und nicht
der Diffusionskoeffizient Dß.
(5) Konstanten: Dies sind Konstanten aus physikalischen Gesetzen, die zur
Beschreibung des betrachteten Prozesses herangezogen werden müssen.
Beispiel: Bei Strömungen mit Auftriebseffekten ist stets die Konstante g* in
die Relevanzliste aufzunehmen.
Die nach den Punkten (1) bis (5) aufgestellte Relevanzliste kann durch folgen-
des "Gedankenexperiment" daraufhin überprüft werden, ob die darin enthaltenen
Größen relevante Einflußgrößen sind, bzw. ob die Relevanzliste vollständig ist:
Man überprüft die einzelnen Größen daraufhin, ob eine gedachte Änderung
dieser Größe Auswirkungen auf die Zielgröße hat, bzw. ob es andere, nicht in der
Relevanzliste enthaltene Größen gibt, deren Variation relevante Auswirkungen auf
die Zielgröße zu Folge hätte.
Im vorigen Abschnitt wurde gezeigt, wie die Relevanzliste in bezug auf eine be-
stimmte Zielvariable (gesuchte Größe) aufgestellt werden kann. Diese gesuchte
Größe, die selbst auch zur Relevanzliste zählt, wird nach Anwendung des II-
Theorems in einer Kennzahl auftreten. Diese Kennzahl soll im folgenden Ziel-
Kennzahl genannt werden, alle anderen Kennzahlen eines Problems System-
Kennzahlen.
In typischen Fragestellungen, in denen die Impuls-, Wärme- oder Stoffüber-
tragung an begrenzende Wände gesucht ist, sind solche Ziel-Kennzahlen Reibungs-
bzw. Widerstandsbeiwerte und die Nußelt- oder Sherwood-Zahl (s. Tab. 4.2, unterer
Teil). Diese Kennzahlen treten nicht in den zugrunde liegenden Gleichungen auf,
sondern stellen dimensionslose "Übertragungsgrößen" (r;, q~, j~) dar. Es sei aber
deutlich darauf hingewiesen, daß es von der untersuchten Fragestellung abhängt, ob
eine Kennzahl zur Ziel-Kennzahl wird.
Statt in Form der Beziehung (4.14) kann die allgemeine Lösung auch in
folgender Weise geschrieben werden:
(4.15)
wobei II 1 zur Ziel-Variable erklärt wird und alle anderen Kennzahlen entsprechend
Systemvariable sind.
4 Dimensionsanalysis 65
Die Bestimmung der Kennzahlen selbst stellt kein Problem dar. Ihre allge-
meine Form lautet
rri = rr a;<>j'
n
1
(4.16)
Die formale Bestimmung der Kennzahlen auf der Basis von (4.17) ist für die praktische Anwendung
häufig unnötig aufwendig. Da das II-Theorem die Anzahl der Kennzahlen zu (n-m) festlegt, kann
ein vollständiger Kennzahlen-Satz sehr einfach wie folgt erhalten werden:
Ausgehend von einer beliebigen Einflußgröße kombiniert man diese solange mit Potenzen
von anderen Einflußgrößen, bis eine dimensionslose Kombination entsteht. Man hat damit die erste
Kennzahl ermittelt. Dieses Verfahren muß insgesamt (n- m) mal durchgeführt werden, wobei nur
darauf zu achten ist, daß die so entstehenden Kennzahlen nicht Potenzen oder Kombinationen
bereits erhaltener Kennzahlen sind. Dies kann man sicher dadurch ausschließen, daß man die
Ermittlung einer neuen Kennzahl mit einer Einflußgröße beginnt, die in den bereits ermittelten
Kennzahlen noch nicht vorkommt.
66 K. Gersten/ H. Herwig
Aufgrund der physikalischen Vorstellungen von Einlaufströmungen werden nach den fünf Gesichts-
punkten aus Abschnitt 4.3.2 folgende Einflußgrößen ausgewählt:
(1) Zielvariable: T*
w
(2) Geometrievariable: D*,x*
(3) Prozeßvariable: u•m
(4) Stoffwerte: (}.' ry•
(5) Konstanten:
Die sechs (n = 6) Einflußgrößen besitzen drei Basisdimensionen (m = 3), nämlich : Länge, Zeit
und Masse (Basiseinheiten: m, s, kg). Somit existieren 3 dimensionslose Kennzahlen der Form
(4.16), also
(B4.1-1)
Unter Berücksichtigung der Dimensionen der einzelnen Einflußgrößen gilt aufgrundvon (4.17)
damit
Exponent von m: -al + a2 + a3 + a4 - 3a5 - a6 =0 (B4.1-2)
Exponent von s: -2al - a4 - a6 =0 (B4.1-3)
Exponent von kg: Ql + Q5 + Q6 = 0. (B4.1-4)
1. Vorgabe: a 1 = 1, a 2 = a 3 = 0
Die Lösung von (B4.1-2) bis (B4.1-4) lautet damit
T*
K =-w-.
1 Q* u;,,2
2. Vorgabe: a 5 = 1, a 1 = a 3 = 0
Die Lösung von (B4.1-2) bis (B4.1-4) lautet damit
3. Vorgabe: a 3 = 1, a 1 = a 4 = 0
Die Lösung von (B4.1-2) bis (B4.1-4) lautet damit
Der von der Dimensionsanalysis vorhergesagte Zusammenhang lautet also mit K 1 als Zielvariable
(B4.1-5)
K-
q * D*
w
7'/*c;
K4=-- (B4.1-7)
1 - .X*(T_;- T~)' .x• '
Wegen K 1 =Nu, K 4 =Pr und K 5 = Ec entsteht also der Zusammenhang
Nu= Nu(x, Re, Pr, Ec). (B4.1-8)
4.4 Modell-Theorie
Ein bestimmter Satz von zahlenmäßig festgelegten Kennzahlen kann auf verschie-
dene Weise zustande kommen, da die Anzahl von Einflußgrößen die Anzahl der
Kennzahlen übersteigt. Unterschiedliche Zahlenwerte von Einflußgrößen können also
auf dieselben Zahlenwerte der Kennzahlen führen. Eine Lösung für einen spezifischen
Satz von Kennzahlen gilt damit für alle diejenigen unterschiedlichen physikalischen
Situationen, deren Kennzahlen zahlenmäßig gleich sind. Dies ist die Grundlage der
Modell-Theorie.
Unter Modell wird jetzt die geometrisch ähnliche, verkleinerte oder vergrößerte
Ausführung eines eigentlich interessierenden Prototyps verstanden. Das Ziel ist,
durch Untersuchungen am Modell Aussagen über den Prototyp zu gewinnen. Ist
neben der geometrischen Ähnlichkeit die Gleichheit der Anfangs- und Randbedin-
gungen sowie die zahlenmäßige Gleichheit aller gemeinsamen Kennzahlen gegeben,
so sind beide Fälle durch eine gemeinsame Lösung beschrieben. Alle aus der Lösung
gewonnenen Aussagen gelten sowohl für das Modell als auch für den Prototyp.
Diese Überlegung geht aber davon aus, daß das physikalische Geschehen
durch die gemeinsame Lösung vollständig beschrieben ist, d.h. daß es neben
den betrachteten Einflußgrößen af keine anderen Einflußgrößen gibt. Dies ist ein
wichtiger Punkt, der durch die umgekehrte Formulierung noch verdeutlicht werden
kann: Es wird unterstellt, daß Modell und Prototyp denselben Gesetzmäßigkeiten
unterliegen, also durch die Einflußgrößen af (und nur durch diese) beeinflußt
68 K. Gersten/ H. Herwig
Dies wird sich unter Umständen nicht realisieren lassen, so daß nur die partielle Ähnlichkeit
Nu= Nu(x, Re, Pr) (B4.2-3)
eingehalten werden kann.
bisher benutzt wurde, aber nicht enthalten. Die Liste der Einflußgrößen müßte um die
Schallgeschwindigkeit a• ergänzt werden, um diesen Effekt zu erfassen. Als Folge davon
würde die Mach-Zahl Ma := u':nfa• als weitere Kennzahl hinzutreten.
Wie Temperatur-, Druck- und ggf. Konzentrationsabhängigkeiten der Stoffwerte in den Mo-
dellüberlegungen berücksichtigt werden müssen, kann am besten anhand des mathematischen
Modells zur Beschreibung des betrachteten Problems beurteilt werden.
In den entsprechenden Gleichungen treten die Stoffwerte in dimensionsbehafteter Form als
a• (T*, p•, cA) mit a• = g•, TJ*, ... auf. Nach der Entdimensionierung können so unter Verwendung
der Basiswerte (vgl. die Anmerkung in Abschnitt 4.2) als a := a•jaß = a(e,p,<PA) geschrieben
werden. Die Basiswerte aß gehen dann in die Kennzahlen ein. Damit sind die Funktionen
a(8,p, <PA) aber Bestandteile des Gleichungssystems, so daß eine Ähnlichkeit im Sinne der
Modell-Theorie nur vorliegt, wenn die Fluide im Modell und im Prototyp denselben Stoffgesetzen
gehorchen. Dies wird fast immer bedeuten, daß es sich um dieselben Fluide handeln muß, womit
eine starke Einschränkung verbunden ist.
Eine Realisierung mit verschiedenen Fluiden wird im allgemeinen nur möglich sein, wenn
lediglich kleine Abweichungen von den Basiswerten auftreten. Dann kann eine Taylorreihe der
Stoffwerte nach dem linearen Term abgebrochen werden, also z.B. für a(e) als a = 1 + K"' 1 e,
wie dies in Kap. 5, Gleichung (5.20), näher ausgeführt wird. Die dimensionslose Größe K"' 1 ist
dann eine Kennzahl im Sinne der Dimensionsanalysis. Dies macht deutlich, daß eine genauere
Approximation der Funktion a(e) mit immer weiteren Kennzahlen verbunden wäre, die durch die
zusätzlichen Terme der Taylorreihe entstehen würden.
Bei Potenzgesetzen für die Stoffwerte reicht, wie bei der linearen Näherung, eine Kennzahl
zur Beschreibung aus. Die Kennzahl ist dann der Exponent. Damit ist bei Potenzgesetzen die Nähe
in den Basiswerten nicht erforderlich.
Für eine weitergehende Behandlung der gesamten Problematik sei auf Schneider (1971) und
Pawlowski (1991) verwiesen.
(2) Die allgemeinen Lösungen rrl = F(II2, ... ' rrn-m) werden als asymptotische
Lösungen im Sinne von Lösungen für große oder kleine Werte einer (oder meh-
rerer) System-Kennzahlen gesucht. Die allgemeine asymptotische Lösung ist
dann keine explizite Funktion dieser Kennzahl mehr (bzw. dieser Kennzahlen
bei mehrfachem asymptotischem Grenzprozeß).
Beispiel 4.4: Impulsübertragung bei großen Reynolds-Zahlen
Für die Impulsübertragung auf eine feste Wand in einem Fluid konstanter Stoffwerte folgt
aus dimensionsanalytischen Überlegungen der Zusammenhang cf = F(x, Re). Im Rahmen
der Grenzschichttheorie als asymptotischer Theorie für große Reynoldszahlen (s. dazu Kap.
7) gilt jedoch für eine laminare Strömung cf..;Iie = F(x). Die Kombination erv'Re ist
dimensionsanalytisch als eine Kennzahl anzusehen.
Anders als unter (1) ist die Liste der Einflußgrößen gegenüber dem Ausgangssystem
nicht reduziert worden, so daß dimensionsanalytisch eine scheinbar unveränderte Situation
vorliegt. Durch die Bedingung Re-+ oo ist jedoch neben dem allgemeinen Zusammenhang
(4.13) zwischen den Einflußgrößen ein zusätzlicher funktionaler Zusammenhang zwischen
einzelnen Einflußgrößen eingeführt worden, der sich in der Grenzschichttransformation
manifestiert (und der auch nur im Grenzfall Re -+ oo, nicht aber allgemein gilt). Somit
ist die Bedingung (1) zu Gleichung (4.14) "verletzt", was zu einer verminderten Anzahl von
Kennzahlen führt. Ganz allgemein führen asymptotische Theorien zur Verminderung von
Kennzahlen eines Problems, wobei man bezüglich der Vorgehensweise zwischen singulären
und regulären Störungsproblemen unterscheiden muß (s. dazu Abschnitt 11.2).
4 Dimensionsanalysis 71
4.6 Zusammenfassung
1.) Nach der Entdimensionierung dimensionsbehafteter Gleichungen mit charak-
teristischen Größen (internen Maßstäben) entstehen in den Gleichungen di-
mensionslose Kennzahlen. Im Falle der Grundgleichungen aus Kap. 3 sind
dies die fünf Kennzahlen (4.6), die mit namentlich benannten Kennzahlen
verbunden sind, s. (4.8).
2.) Das Buckinghamsche II-Theorem erlaubt es, eindeutig die Anzahl dimensions-
loser Kennzahlen eines Problems zu bestimmen, auch wenn die Gleichungen
zur Beschreibung des Problems nicht explizit bekannt sind. Es wird lediglich
die Liste der sog. Einflußgrößen benötigt. Mit dieser können die Kennzahlen
gebildet werden.
3.) Die Modell-Theorie beruht auf den Aussagen des II-Theorems. Danach sind
Aussagen über einen Prototyp und ein geometrisch ähnliches Modell bei glei-
chen Rand- und Anfangsbedingungen vollständig übertragbar, wenn in bei-
den Fällen die Zahlenwerte aller dimensionslosen Kennzahlen übereinstimmen
(Ähnlichkeit). Gilt dies nur für einen Teil der Kennzahlen, spricht man von
partieller Ähnlichkeit.
5 Konzepte zur Lösung der Grundgleichungen
5.1 Vorbemerkung
Es gibt grundsätzlich zwei verschiedene Wege, an die Lösung physikalischer Pro-
bleme heranzugehen: experimentell oder theoretisch. Experimentelle Methoden sind
nicht Gegenstand dieses Buches. In bezug auf die theoretischen Methoden liegt der
Schwerpunkt auf den sog. asymptotischen Methoden. Sie werden in diesem Kapitel
kurz in den Gesamtzusammenhang einer theoretischen Behandlung von Problemen
eingeordnet, bevor sie in diesem Buch dann das wesentliche "Handwerkszeug" dar-
stellen.
Der Versuch, physikalische Probleme theoretisch anzugehen, erfordert stets
zwei Schritte.
Die Behandlung der Gleichungen in Schritt (2) kann aufverschiedene Weise erfolgen.
Grundsätzlich lassen sich folgende drei Methoden ausmachen:
analytische osymptotische
Methoden Methoden
Im allgemeinen erfordern die Probleme aus der Impuls-, Wärme- und Stoffüber-
tragung so komplizierte physikalisch/mathematische Modelle, daß analytische Me-
thoden nur eine untergeordnete Rolle spielen, weil nur in wenigen Ausnahmefällen
analytische Lösungen eines Problems gefunden werden können.
Asymptotische Methoden sind in diesem Buch die Basis für die theoretische
Behandlung von Problemen der Impuls-, Wärme- und Stoffübertragung. Zur kurzen
Einführung sollen die Grundgedanken in Abschnitt 5.3 erläutert werden. Vorher
wird in Abschnitt 5.2 etwas ausführlicher auf numerische Methoden eingegangen.
Diese sind zwar als solche kein Hauptaspekt dieses Buches. Wie aber vorher erwähnt,
ist man auch bei Anwendung asymptotischer Überlegungen fast immer auf die Hilfe
numerischer Methoden angewiesen, um zu den gesuchten Lösungen zu gelangen.
Für komplexe Probleme verknüpfen sich beide Vorgehensweisen zu einer Methodik,
die in der Einleitung zu diesem Buch bereits als ACFD (asymptoticfcomputational
fluid dynamics) bezeichnet worden war.
Lösungsraum gesucht. Für ein zweidimensionales, stationäres Problem mit einer Un-
bekannten ist die gesuchte Lösung also die Funktion F(x, y), wenn ein kartesisches
(x, y)-Koordinatensystem gewählt wird und die Grundgleichung in dimensionsloser
Form vorliegt.
Numerische Methoden bestimmen nun statt der exakten kontinuierlichen
Lösung F(x, y) "nur" Näherungslösungen F(xi, Yj) an einer endlichen Anzahl von
diskreten Stellen xi, Yj des Lösungsgebietes, die im folgenden Stützstellen oder auch
Gitterpunkte genannt werden. Statt eine Differentialgleichung für F (x, y) zu lösen,
wird ein System von endlich vielen algebraischen Gleichungen für F(xi, Yj) gelöst.
Diese Vorgehensweise ist natürlich nur sinnvoll, wenn unter bestimmten Bedingun-
gen (F(xi, Yj) -F(xi, Yj)) ---> 0 gilt. Man spricht dann von einer konvergenten Lösung.
Um eine solche konvergente Lösung zu erhalten, sind zwei Kriterien zu
erfüllen, s. Anderson et al. (1984).
(1) Die algebraischen Gleichungen müssen mit der Differentialgleichung konsistent
sein, d.h. sie müssen in spezifisch festzulegenden Grenzfällen der diskreten Va-
riablen mit der Differentialgleichung identisch sein. Beispielsweise müssen alle
Differenzenquotienten im Grenzfall in die entsprechenden Differentialquotien-
ten übergehen.
(2) Der Lösungsalgorithmus muß numerisch stabil sein, z.B. müssen Abbruchfeh-
ler mit fortschreitender Iteration kleiner werden.
Das Kernstück numerischer Methoden ist der Übergang von der Differentialglei-
chung zu einem System endlich vieler algebraischer Gleichungen. Verschiedene Me-
thoden hierzu werden ganz allgemein als Diskretisierungsmethoden oder Finite Ap-
proximationsmethoden bezeichnet. Es gibt nun eine Vielzahl von Diskretisierungs-
methoden, in denen teilweise sehr unterschiedliche Wege beschritten werden. Ent-
sprechend groß ist die Anzahl numerischer Methoden, die daraus resultieren. Ganz
grob lassen sich drei Klassen unterscheiden. Die Kennzeichnung als (M1- · · ·) soll
unterstreichen, daß es sich um numerische Methoden handelt, s. Abschnitt 5.1.
Im folgenden werden die drei Klassen numerischer Methoden kurz beschrieben und
anschließend in Abschnitt 5.2.4 grob bewertet.
Die Diskretisierung bei den sog. Differenzen-Methoden erfolgt durch eine Reihen-
entwicklung der gesuchten Funktionen in den Gitterpunkten. Vorzugsweise wird
hierbei die Taylorreihe verwendet. Für eine gesuchte Funktion F(x) gilt z.B. am
5 Konzepte zur Lösung der Grundgleichungen 75
Gitterpunkt i -1 und i +1, siehe Bild 5.2, im Sinne einer abgebrochenen Taylorreihe
folgende Näherung:
-
Fj_ 1 : - -
= F(xi_ 1 ) = F(xJ + [dF]
dx i ( -6-x) + 21 [ddxi'l
2
2 i (6x) + 0[(6x) ]
2 3 (5.1)
_ = F(xi+
Fi+1: _ 1)
-
= F(xJ + [dF] 1 [d i'l
dx i6-x + 2 dx i(6-x)
2
2
2
+ 0[(6-x) 3 ] . (5.2)
Das Symbol 0[(6x) 3 ] bedeutet in diesem Fall: der Abbruchfehler ist von der
Größenordnung (L.x) 3 , also klein für 6-x--+ 0. Diegenaue Definition dieses Symbols
erfolgt in (7.11) im Kap. 7.
xi-1 xi xi•1
.I
Bild 5.2: Lage und Bezeichnung der äquidi-
stanten Gitterpunkte in einem eindimensionalen
Problem.
\. Llx .I. Llx X
Subtrahiert bzw. addiert man (5.1) und (5.2), folgt für die erste bzw. zweite
Ableitung am Gitterpunkt i als eine mögliche Art der Diskretisierung
[di'
dx
l = i'i+l26-x
i
-i'i-1 + o[(6x)2J (5.3)
Bei der Addition von (5.1) und (5.2) heben sich die Terme 0[(6x) 3 ] weg, so daß
das Restglied in (5.4) von der Größenordnung 0[(6x) 2 ] ist. Über Beziehungen wie
(5.3) und (5.4) können Differentialquotienten in den Differentialgleichungen durch
Differenzenquotienten ersetzt werden. Die Gleichungen (5.3) und (5.4) lassen aber
auch deutlich erkennen, daß nach der Ersetzung nicht mehr die Funktionswerte Fj in
den Differenzengleichungen stehen, sondern nur Näherungen .F;, weil die Taylorreihe
nach einer bestimmten Ordnung in L.x abgebrochen wird.
Als Lösung erhält man nach dieser Vorgehensweise aus einem System von
algebraischen Gleichungen eine endliche Anzahl diskreter Näherungswerte Fi. Die
(Näherungs- )Lösung trifft im Grunde genommen keine Aussage über den Verlauf
der gesuchten Funktion F zwischen den Gitterpunkten. Eine Verbesserung der
Näherungslösung kann auf zwei Wegen erfolgen. Entweder man verkleinert den
Abbruchfehler, indem weitere Terme der Reihenentwicklung berücksichtigt werden,
oder man erhöht die Gitterpunktdichte, d.h. verkleinert die Schrittweite. Natürlich
können beide Maßnahmen auch kombiniert werden.
76 K. Gersten/ H. Herwig
J Rdx=O. (5.5)
Mit der Bedingung (5.5) könnte eine unbekannte Größe der mit freien
Parametern angesetzten Näherungslösung F ermittelt werden. Man erhält
weitere Bestimmungsgleichungen, wenn man statt (5.5) fordert:
j WRdx=O, (5.6)
Die Diskretisierung bei den Finite-Volumen-Methoden geschieht auf eine Weise, die
"zwischen FDM und FEM" liegt, wie am Ende dieses Abschnittes erläutert werden
soll. Die Vorgehensweise ist anschaulich und physikalisch gut zu interpretieren.
Der Lösungsbereich wird in eine endliche Anzahl von Kontrollvolumina auf-
geteilt, und zwar so, daß in jedem Kontrollvolumen genau ein Gitterpunkt liegt.
Im eindimensionalen Fall mit einem Gitterabstand 6.x könnte man z.B. Kontroll-
volumen der Größe 6.x · 1 · 1 wählen, also Volumen mit einer Einheitslänge in y-
und z-Richtung. Die Differentialgleichung wird dann formal über die Kontrollvo-
lumen integriert. Die Integrale können ausgewertet werden, wenn Annahmen über
den Verlauf der gesuchten Funktion in den Kontrollvolumen getroffen werden. Es
entstehen damit algebraische Gleichungen für die Näherungen der Funktionswerte
in den Gitterpunkten, also für F;.
Der entscheidende Vorteil dieser Vorgehensweise ist, daß die integralen Erhal-
tungssätze für Masse, Impuls und Energie zunächst einmal für das Kontrollvolumen,
78 K. Gersten/ H. Herwig
damit aber auch für den gesamten Lösungsraum, exakt erfüllt sind. Dies gilt für
alle Gitterpunktdichten, also auch auf sehr groben Gittern. Im Gegensatz dazu sind
die integralen Erhaltungsgleichungen z.B. in einer Finiten-Differenzen-Formulierung
bezüglich des gesamten Lösungsraumes nur im Grenzfall D.x---> 0 erfüllt!
Versucht man, die Diskretisierung bei den Finite-Volumen-Verfahren auf dem
Hintergrund der beiden anderen Verfahren (FDM, FEM) zu interpretieren, so zeigen
sich gewisse Ähnlichkeiten mit beiden Verfahren.
Aus der Sicht der Finite-Elemente-Verfahren entsteht die Finite-Volumen-
Diskretisierung, wenn in der Methode der gewichteten Residuen die Gewichtsfunk-
tion W als W = 1 in einem Teilgebiet des Lösungsraumes und W = 0 außerhalb
dieses Teilgebietes gesetzt wird. In diesem Sinne handelt es sich also um einen Spe-
zialfall der Finite-Elemente-Methode.
Aus der Sicht der Finiten-Differenzen-Verfahren besteht die Gemeinsamkeit
mit dieser Methode darin, daß die Näherungslösungen nur für die Funktionswerte in
den Gitterpunkten gesucht sind, über die Näherungen zwischen den Gitterpunkten
aber letztlich keine Aussagen getroffen werden. Die Annahmen über den Funkti-
onsverlauf zwischen den Gitterpunkten haben dann in diesem Sinne nur die Bedeu-
tung von HUfsfunktionen zur Auswertung der Integrale. In dieser Sichtweise können
verschiedene Terme derselben Gleichung auch mit verschiedenen HUfsfunktionen
ausgewertet werden.
Konzeptionell kann die FVM-Diskretisierung also zwischen der FDM- und der
FEM-Diskretisierung angesiedelt werden.
Alle drei Verfahrensweisen haben ihre spezifischen Vor- und Nachteile, so daß
ein Vergleich bzw. eine Bewertung jeweils nur im Licht eines speziellen Problems
möglich ist. Generell kann aber folgendes festgestellt werden:
FDM-Verfahren sind von allen drei Vorgehensweisen für den "Anfänger" die-
jenigen, zu denen man den leichtesten Zugang findet. Insbesondere in einfachen
Formulierungen (wie z.B. Keller-Box) ist die Diskretisierung unmittelbar einsichtig
und die Umsetzung in ein Computer-Programm leicht nachzuvollziehen. Im Bereich
der Impuls-, Wärme- und Stoffübertragung werden FDM-Verfahren sehr häufig und
sehr erfolgreich eingesetzt. Probleme ergeben sich allerdings, wenn das Lösungsge-
biet geometrisch sehr unregelmäßig aufgebaut ist, weil dann die Formulierung der
Randbedingungen Schwierigkeiten bereiten kann.
Wenn unregelmäßige Berandungen des Lösungsgebietes vorliegen, können
FEM-Verfahren mit großem Erfolg eingesetzt werden, s. dazu speziell Schönung
(1990). Diese Verfahren wurden zunächst im Bereich der Strukturmechanik ent-
wickelt, um Spannungsverteilungen in komplizierten Bauteilen berechnen zu kön-
nen. Anwendungen im Bereich der Impuls-, Wärme- und Stoffübertragung sind
5 Konzepte zur Lösung der Grundgleichungen 79
später hinzugekommen. FEM-Verfahren sind bis heute auf diesen Gebieten weniger
stark verbreitet als FDM-Verfahren.
FVM-Verfahren sind auf eine zuvor beschriebene Weise eng mit den häufig
benutzten FDM-Verfahren verwandt. Sie bieten aber zusätzlich den Vorteil, auch
auf groben Gittern die integralen Erhaltungssätze zu erfüllen. Auch wenn der
Programmieraufwand zunächst höher als bei FDM-Verfahren ist, können FVM-
Verfahren als die "Verfahren der Zukunft" angesehen werden, soweit es sich um
Probleme der Impuls-, Wärme- und Stoffübertragung handelt. Schon heute basieren
viele große Programmpakete, die industriell/kommerziell eingesetzt werden, auf der
FVM-Diskretisierung.
Wie bereits bei der Herleitung der Grundgleichungen (vgl. Abschnitt 3.5) er-
folgt in bezugauf die Darstellung der Stoffwerteinflüsse zunächst eine Beschränkung
auf reine Stoffe bzw. auf Gemische mit fester Zusammensetzung. In Kap. 13 wird
der zusätzliche Einfluß der Konzentration betrachtet.
(5.7)
Sind alle Stoffwerte (eines reinen Stoffes) variabel, lautet der Ansatz also
(5.9)
~
Sho
= rr· (Q!i)Pai .
a2i
(5.10)
I
Um die Zuordnung zu erleichtern, sind die Exponenten entsprechend der Basis in-
diziert. Die beiden Temperaturen sind zwei verschiedene charakteristische Tempe-
raturen des betrachteten Problems. Bei Durchströmungen sind dies in der Regel die
5 Konzepte zur Lösung der Grundgleichungen 83
~ = (T7!)m71 (5.11)
cro 112
In der Realität existieren solche Stoffe nicht, es handelt sich um eine idealisierende
Modellannahme für Stoffe, bei denen die Temperaturabhängigkeit der Viskosität
sehr viel größer als die aller anderen Stoffwerte ist, wie dies in guter Näherung z.B.
für Wasser und viele Öle gilt.
Für Gase können die Stoffabhängigkeiten a*(T*) in sehr guter Näherung
durch Potenzgesetze beschrieben werden, so daß alle Stoffwerteinflüsse in einer
einzigen Temperaturfunktion zusammengefaßt werden können. Die Ansätze lauten
dann
Nu (Ti)n ~ = (Ti)P. (5.12)
Nu 0 = T2 ' Sh0 T2
Dies ist eine spezielle Form der Stoffwertverhältnis-Methode und wird in der
Literatur als Methode der Temperaturverhältnisse bezeichnet.
In den Kennzahl-Verhältnissen auf den linken Seiten von (5.7) bis (5.12) sind
die darin vorkommenden Stoffwerte stets bei derselben Temperatur zu nehmen, so
daß sie sich formal "herauskürzen" (z.B.: e*(T2) in Cf und in Cro)·
Hierbei wird das unter der Annahme konstanter Stoffwerte gewonnene Ergebnis
für cro, Nu0 bzw. Sh0 formal unverändert beibehalten. Alle darin vorkommenden
Stoffwerte werden jedoch bei einer zunächst unbekannten Temperatur, der sog. Re-
ferenztemperatur, genommen. Diese Referenztemperatur ist so zu wählen, daß die
Ergebnisse für variable Stoffwerte formal durch die Beziehungen für konstante Stoff-
werte wiedergegeben werden. Für die Referenztemperatur wird folgender Ansatz
gewählt:
Tr* =Ti+ j(T2 - T;), (5.13)
so daß j zwischen zwischen 0 und 1 liegt, wenn für die Referenztemperatur
Ti < Tr* < T2 gilt.
Bei dieser Methode muß der Faktor j bestimmt werden. Bei Anwendung der
asymptotischen Theorie stellt sich später heraus, daß der Faktor j für Impuls-,
Wärme- und Stoffübergang im allgemeinen nicht denselben Zahlenwert hat. Aus
diesem Grunde sollte eine Indizierung als jcf• jNu und Jsh vorgenommen werden.
Dies wird leider häufig übersehen.
84 K. Gersten/ H. Herwig
Die Ka- Werte in (5.20) sind dimensionslose Stoffwerte, vergleichbar mit der Prandtl-
Zahl, und zwar gilt
Ka2: = [82a*T* 2 ]
8T*2 a* B '
K- a2 ·- ß2a*-
[- p* 2]
. - 8p*2 a* B
(5.22)
Im Anhang A2 sind Zahlenwerte von Ka 1 und Ka 1 für Luft (als typischem Beispiel
für Gase) und Wasser (als typischem Beispiel für Flüssigkeiten) aufgeführt. Dabei
zeigt sich, daß die Druckabhängigkeit für alle Stoffe mit Ausnahme der Gase jeweils
um mehrere Größenordnungen kleiner als die entsprechende Temperaturabhängig-
keit ist. Wegen dieser extrem niedrigen Werte soll im weiteren die Druckabhängigkeit
vernachlässigt werden. Es muß aber betont werden, daß die Druckabhängigkeit ge-
nauso erfaßt werden könnte, wie dies im folgenden für die Temperaturabhängigkeit
demonstriert wird (s. dazu Anmerkung 2 am Ende von Kap. 6 und Beispiel16.8 in
Kap. 16). Die Vernachlässigung der Druckabhängigkeit auch für Gase bedeutet die
Beschränkung auf kleine Mach-Zahlen (asymptotisch den Grenzfall Ma-+ 0), wie
in Abschnitt 7.7 gezeigt wird.
Unter dieser Voraussetzung verbleibt also die Temperaturabhängigkeit der
Stoffwerte. Für kleine Temperaturunterschiede in der betrachteten Strömung, d.h.
für kleine Wärmestromdichten, ist die dimensionslose Temperaturdifferenz e ein
kleiner Zahlenwert. Dies wird deutlich, wenn 8 folgendermaßen umgeschrieben wird:
e (T* - T*)
B !:::.T*
B (5.24)
= /:::,.T,* T,* .
B B
Dabei ist I:::.Tß eine charakteristische Temperaturdifferenz des Problems, z.B. die
Differenz zwischen den Wandtemperaturen bei der Couette-Strömung. Diese Form
ist für die thermische Randbedingung T:, = const sinnvoll. Die entsprechenden
Größen bei der Randbedingung q;,
= const sind in Tabelle 5.1 enthalten. Dabei
86 K. Gersten/ H. Herwig
Tabelle 5.1: Definition von 8, c und{} für die thermischen Randbedingungen T:_ = const (z.B.
mit 6Tß = r;- Tß) und q;_, = const
(5.26)
Das Größenordnungssymbol O(c3 ) in (5.26) beschreibt das Restglied als "von der
Größenordnung c3 ", die genaue Definition folgt in Kap. 7, Gleichung (7.11). Ausge-
hend von der Stoffwertentwicklung (5.26) kann eine reguläre Störungsrechnung zur
Erfassung des Einflusses variabler Stoffwerte durchgeführt werden, wie dies ausführ-
lich von Herwig (1985b) beschrieben ist und im folgenden kurz erläutert wird.
0 = .!!_
dy
(1] du)
dy
(5.28)
d2'19
0 = dy2 (5.29)
(5.32)
betrachteten Beispiel ist dies nur (5.28). Es entstehen dann Terme frei von c und
K 17 -Werten, solche mit dem Faktor cK171 , solche mit c 2 K 172 und c2 K~ 1 . Man erkennt
sofort, daß (5.28) erfüllt ist, wenn folgende Gleichungen für die Terme der jeweils
gleichen Ordnung erfüllt sind :
0 = d2uo (5.34)
dy2
u21 = 12
y (1- 4y2) (5.42)
y ( 1 + 2y
u22 = - 24 3 - y 2) . (5.43)
cfRe = 2 ( ~~) w
- 2 (duo
- dy + € K 171 du1
dy + €
2K du21
172 d
y +€
2K2 du22 0(
171 d
y + €
3)) w
.
(5.44)
so daß unter Verwendung der Zahlenwerte aus den Lösungen (5.40) bis (5.43)
folgende Korrekturbeziehung entsteht :
(5.46)
Die gesuchte Korrekturbeziehung liegt mit (5.46) bereits in Schritt S4 vor. Dieses
Ergebnis kann aber noch so umgeformt werden, daß es den Ergebnissen der eingangs
vorgestellten "empirischen" Methoden entspricht. Auf diese Weise gelingt es, alle
empirischen Konstanten auf analytischem Wege zu bestimmen, wie wieder am
Beispiel der Couette-Strömung gezeigt werden soll.
(1) Stoffwertverhältnis-Methode
Der Ansatz für einen Stoff, bei dem nur die Viskosität temperaturabhängig ist,
lautet nach der Stoffwertverhältnis-Methode, vgl. (5.11),
(5.47)
Gegenüber (5.11) ist die Korrekturbeziehung nicht für er, sondern für erRe formu-
liert (s. dazu die Erläuterungen im Zusammenhang mit (2.9)). Die beiden charak-
teristischen Temperaturen Ti = Two und T2 = Twu sind die obere und untere
Wandtemperatur. Nach einer Entwicklung in eine binomische Reihe unter Verwen-
dung von (5.26) lautet (5.47)
(5.48)
(5.49)
Dieses Ergebnis folgt aus der Gleichheit der Beziehungen (5.46) und (5.48) bis
zur ersten Ordnung einschließlich. Sollen auch die Terme der Ordnung O(c 2 )
übereinstimmen, ist m'7 keine Konstante mehr, sondern eine Funktion von c und
K'7-Werten. Die Forderung, daß der Exponent eine Konstante sein soll, führt
notwendigerweise zu einer Beschränkung auf lineare Effekte in bezug auf c. Mit
konstanten Exponenten ist die Stoffwertverhältnis-Methode damit eine "lineare"
Methode.
90 K. Gersten/ H. Herwig
(2) Referenztemperatur-Methode
Der empirische Ansatz bei dieser Methode lautet gemäß (5.17), vgl. (5.45),
(5.50)
(5.51)
Hierbei wurde (5.32) benutzt und gemäß (5.13) für die gesuchte Referenztemperatur
Tr* angesetzt
(5.52)
(5.53)
wobei auch hier die notwendige Beschränkung auf eine Übereinstimmung bis zum
linearen Term gilt und damit auch diese Methode eine "lineare" Methode ist.
e* , "'\ * , cP* = const , ry* (T*) = ry* (Tß)e-e, 8 = (T*- Tß)/Tß. (5.54)
Für dieses Modellfluid können die Grundgleichungen, (5.28) bis (5.31) in Schritt
81, unmittelbar integriert werden. Man erhält somit eine vollständige Lösung. Das
vollständige Widerstandsgesetz lautet
(5.55)
Bei Anwendung der Störungsrechnung lautet das Ergebnis für das Wider-
standsgesetz
(5.56)
Dies ist die Auswertung des asymptotischen Ergebnisses (5.46) für das Modellfluid,
bei dem für alle Temperaturen Tf3 gilt : K 111 = -1 und K 112 = 1. Es ist aber auch
gleich der Reihenentwicklung des exakten Ergebnisses (5.55) für kleine c. Bild 5.3
zeigt die gute Übereinstimmung selbst bei großen Werten des Störparameters. Für
c = 1 beträgt die Abweichung vom exakten Wert für die lineare Theorie 14%,
für die Theorie bis zur Ordnung O(c 2 ) nur 0.2 %. Dies ist eine wohl zunächst
unerwartet geringe Abweichung, da der Wert c = 1 den Fall beschreibt, bei dem die
Temperaturdifferenz der absoluten Temperatur der unteren Wand entspricht, also
für praktische Fälle bei Werten von etwa 300 K liegt!
1.0
c1Re
-- - __
....
__ _
-- --
....
............ _
0.5
Häufig reicht es aus, nur den linearen Term der asymptotischen Theorie zu be-
trachten, zumal damit bereits die Genauigkeit erzielt wird, die prinzipiell mit den
genannten "empirischen" Methoden überhaupt nur erreicht werden kann. In Ab-
schnitt 11.9 wird dieses Beispiel wieder aufgegriffen. Dort wird gezeigt, wie die Ent-
wicklung computerunterstützt zu sehr viel höheren Ordnungen fortgesetzt werden
kann.
Die jetzt betrachtete Situation stellt eine Erweiterung des in Abschnitt 5.4.2 b beschriebenen Falles
dar. Es sollen jetzt das Widerstands- und das Wärmeübergangsgesetz der Couette-Strömung für ein
Fluid bestimmt werden, bei dem alle Stoffwerte variabel sind. Zusätzlich soll auf die Voraussetzung
U* -+ 0 verzichtet werden, so daß die Dissipationseffekte mitberücksichtigt werden. Aus Gründen
der Übersichtlichkeit werden nur die linearen Abweichungen vom Ergebnis für konstante Stoffwerte
ermittelt, die jedoch bereits die entscheidenden Stoffwert-Einfiüsse erfassen und für viele praktische
Anwendungen vollkommen ausreichen.
5 Konzepte zur Lösung der Grundgleichungen 93
(S1) Grundgleichungen
Die dimensionslosen Bilanzgleichungen für Impuls und Energie lauten jetzt (Randbedingung wie
in Abschnitt 5.4.2 b)
0 =~
dy
(TJdu)
dy
(B5.1-1)
2
0 =d- ( >.-
diJ) +TJBr (du)
- (B5.1-2)
dy dy dy
Da es sich weiterhin um eine ausgebildete Strömung handelt (8u/8x 0), spielen sowohl die
Dichte e* als auch die spezifische Wärmekapazität c~ keine Rolle. Beide Stoffwerte treten im
Zusammenhang mit den Konvektionstermen auf den jeweils linken Gleichungsseiten auf (vgl.
hierzu die vollständigen Grundgleichungen (4.2) und (4.4) ). Diese sind für ausgebildete Strömungen
jedoch nicht vorhanden. Aus diesem Grunde tritt auch die Prandtl-Zahl Pr= TJ*c~/>.* nicht als
eigenständiger Parameter des Problems auf. Dies gilt aber nur in Fällen, in denen über die Wand
hinweg kein Fluid abgesaugt oder ausgeblasen wird, da sonst auch für ausgebildete Strömungen
Konvektionsterme vorhanden wären, s. dazu die Anmerkung am Ende von Abschnitt 2.5.
Durch die Berücksichtigung der Dissipation tritt in (B5.1-1) und (B5.1-2) jetzt ein weiterer
dimensionsloser Parameter auf. Dieser wird nach H.C. Brinkman als Brinkman-Zahl bezeichnet
und lautet im Falle der Couette-Strömung
TJ* U* 2 PrEc
Br := Wu = PrEc = - - , (B5.1-3)
>-tvu (Two - T.Wul D.T
Für die Stoffwerte in den Grundgleichungen gelten die Taylor-Reihenentwicklungen, die den
Ausgangspunkt für die Formulierung des Störungsproblems darstellen, also
(S2) Störansätze
Als abhängige Variable treten jetzt u und iJ auf, für die folgende Ansätze notwendig und
hinreichend sind, um eine Formulierung frei von c, K.,., 1 , K>. 1 und Br zu erreichen:
Mit dem Ansatz (B5.1-7) gelingt es, auch die Abhängigkeit von der Brinkman-Zahl explizit
zu formulieren. Dies ist möglich, weil die Energiegleichungen der einzelnen Ordnungen lineare
Gleichungen sind und damit eine Aufspaltung der Temperaturfunktionen iJ 0 , iJ 11 , . . . in zwei
Summanden iJ 10 +BriJu 0 , ... gestatten. Wie man sich leicht überzeugen kann, sind die Gleichungen
für iJw, iJu 0 , ... dann frei von der Brinkman-ZahL Da die thermischen Randbedingungen (5.30)
und (5.31) für alle Brinkman-Zahlen erfüllt sein müssen, sind diese Randbedingungen von iJ1 allein
zu erfüllen. Für iJu gelten dann homogene Randbedingungen (d.h.: iJu(O) = iJu(2) = 0).
94 K. Gersten I H. Herwig
Wie in Abschnitt 5.4.2 b demonstriert, können nach Einsetzen der Störansätze und Stoffwertent-
wicklungen in die Grundgleichungen elf Bestimmungsgleichungen für die Funktionen ui, 19n und
19m hergeleitet werden. Deren Lösungen lauten mit y := y* I H*
(B5.1-10)
(B5.1-11)
(B5.1-12)
y ( 1+-y-y
19uu=--
24
3
2
2) (B5.1-13)
y2 ( 1-y+-
19m2=-- y2) (B5.1-14)
32 4
19u13 = -y ( 1 - -y
3 + -y2) (B5.1-15)
6 4 8
(S4) Korrekturbeziehungen
Wie in Abschnitt 5.4.2 b beschrieben, ergibt sich folgende Beziehung für den Reibungsbeiwert:
was unter Berücksichtigung von (B5.1-3) auf die Form von (2.33) führt.
Die Korrekurbeziehungen lauten damit
Nu 1 ~Br + ..l..Br 2
~ = 1+cK 1 - - +cK 3 12 +O(c 2) (B5.1-20)
Nuuo .>.. 2 + Br 711 2 + Br
Nu -1 + Br -l!Br- ...!.Br2
.",......-2- = 1 + cK - - - + cK711 6 12 + O(c 2). (B5.1-21)
N Uoo .Xl 2 - Br 2 - Br
5 Konzepte zur Lösung der Grundgleichungen 95
crRe _ • )m'l
('Yiwo (85.1-22)
(crRe)o - 'Yiwu '
wobei die Exponenten wiederum durch den Vergleich mit den Ergebnissen aus Schritt S4 ermittelt
werden können. Sie lauten für die Unterseite, vgl. (85.1-17) und (85.1-20),
6 + Br Br 8 + Br 1
m'l = ---u-• n'l = 12 Br + 2' n.\ = Br + 2' (85.1-23)
Im Spezialfall Br = -2 gilt Nuuo = 0, d.h. für konstante Stoffwerte liegt eine adiabate Wand
vor (q\vu = 0). Statt der Korrekturbeziehung (85.1-20) muß dann Nuu unmittelbar aus (85.1-18)
bestimmt werden. Entsprechendes gilt bei Br = 2 an der oberen Wand.
(2) Referenztemperatur-Methode
Die Ansätze nach dieser Methode lauten, vgl. dazu Abschnitt 5.4.1 b,
(85.1-25)
-
NUur = 21 t:.T ( 1 + 21 Br, ) (85.1-26)
(85.1-27)
(85.1-31)
Für das Wärmeübergangsgesetz besteht aber keine Möglichkeit, j so zu bestimmen, daß z.B.
(85.1-29) mit dem entsprechenden Ergebnis aus S4 übereinstimmt. Gleichung (85.1-18) lautet in
vergleichbarer Form
(85.1-32)
Nur für den Fall ohne Dissipation ist eine Übereinstimmung möglich. Dann gilt mit Br = 0
(85.1-33)
96 K. Gersten I H. Herwig
Für den allgemeinen Fall (Br i- 0) versagt die Methode. Dies war zu erwarten, da es nicht gelingen
kann, zwei voneinander unabhängige Effekte (erzwungene Wärmeübertragung und Dissipation)
mit einem Korrekturfaktor zu erfassen.
Bei der Aufspaltung von ß gemäß (BS.l-7) ist implizit vorausgesetzt worden, daß die Brinkman-
Zahl in einem asymptotischen Sinne, hier also bezüglich e, von der Größenordnung eins ist, was
üblicherweise als Br = 0(1) geschrieben wird. Nur unter dieser Voraussetzung ist z.B. ein Term
BreK.ußu 11 von der Größenordnung O(e). Physikalisch bedeutet die Voraussetzung Br = 0(1)
wegen Br = 71wu u· 2 I ( Awu (Two - Twu)) und € = (Two - Twu) ITwu, daß für € --+ 0 auch die
Dissipation entsprechend klein werden muß. Dies ist physikalisch aber nur durch u• --+ 0 zu
realisieren. Der asymptotische Grenzfall e --+ 0 als Ausgangspunkt der Störungsrechnung ist also
die Couette-Strömung im doppelten Grenzfall (Two- T\Vu)--+ 0 und u•--+ 0.
5.5 Zusammenfassung
1.) Die theoretische Lösung physikalischer Probleme beginnt stets mit der Ent-
wicklung eines physikalisch/mathematischen Modells, das in den meisten
Fällen aus einem Satz von Grundgleichungen besteht. Diese Gleichungen
müssen dann exakt oder näherungsweise gelöst werden. Dazu können numeri-
sche, asymptotische oder (in seltenen Fällen) auch analytische Methoden zum
Einsatz kommen.
2.) Der Grundgedanke bei asymptotischen Methoden besteht darin, Lösungen
für Grenzwerte von Parametern oder Koordinaten zu suchen und diese an-
schließend als Näherungslösungen für endliche Parameter- bzw. Koordinaten-
werte zu verwenden. Durch die Anwendung asymptotischer Methoden werden
die endgültig zu lösenden Gleichungen gegenüber den Ausgangsgleichungen
des betrachteten Problems häufig drastisch vereinfacht.
3.) Wesentliche Vorteile asymptotischer Methoden gegenüber rein numerischen
Methoden sind die größere Allgemeingültigkeit der asymptotischen Lösungen,
die bessere physikalische Interpretierbarkeit der Ergebnisse und die meist
wesentlich vereinfachte mathematische Form der verbleibenden Gleichungen.
4.) Der Einfluß variabler Stoffwerte kann mit Hilfe der asymptotischen Theo-
rie systematisch erfaßt werden, wenn alle vorkommenden Stoffwerte in eine
Taylorreihe um einen Bezugspunkt Tß, pß entwickelt werden. Dieser Vorge-
hensweise ist gegenüber weitverbreiteten empirischen Methoden der Vorzug
zu geben, weil dabei bereits mit dem linearen Term der Entwicklung alle
bisher empirisch gewonnenen Informationen ohne Empirie aus den zugehöri-
gen Grundgleichungen abgeleitet werden können. Darüber hinaus sind weitere
Korrekturen durch Terme höherer Ordnung möglich.
6 Ausgebildete Durchströmungen
6.1 Vorbemerkung
Strömt Fluid aus der Umgebung in ein Rohr bzw. einen Kanal ein, so treten im Ein-
laufhereich Umbildungsprozesse in der Strömung auf. Mit wachsender Lauflänge x*
werden die Veränderungen des Geschwindigkeitsprofiles stets kleiner, so daß die
Strömung für x* IR* --+ oo bzw. x* I H* --+ oo einem asymptotischen Grenzzustand,
dem ausgebildeten Zustand, zustrebt. Diese dann ausgebildete Strömung ist durch
ein x* -unabhängiges Geschwindigkeitsprofil gekennzeichnet. Der Begriff der "aus-
gebildeten Strömung" soll aber in einer erweiterten Bedeutung verwendet werden.
Danach bezieht sich dieser Begriff nicht nur auf Strömungen, bei denen für große
Lauflängen an verschiedenen Stellen x* identische Geschwindigkeitsprofile vorliegen,
sondern auch auf solche Strömungen, bei denen die Profile erst nach einer geeig-
neten Normierung diese Eigenschaft aufweisen. Aus mathematischer Sicht gelingt
für solche Strömungen stets eine Reduktion partieller Differentialgleichungen auf
gewöhnliche Differentialgleichungen. Eine analoge Aussage gilt bezüglich der Tem-
peraturprofile, so daß dann von thermisch ausgebildeten Strömungen gesprochen
wird.
Sehr anschaulich lassen sich zwei (zusammen genommen) hinreichende Bedin-
gungen für die Existenz eines ausgebildeten Strömungszustandes angeben.
(1) Der Strömungsquerschnitt ist x* -unabhängig, kann selbst aber natürlich sehr
verschiedene Formen haben. In der Literatur werden Durchströmungen bei
konstantem Querschnitt uneinheitlich als Rohr- oder auch Kanalströmungen
bezeichnet. Werden im folgenden keine speziellen Angaben gemacht, soll
unter Rohrströmung die Durchströmung mit Kreisquerschnitt und unter
Kanalströmung die Strömung zwischen zwei ebenen Platten unendlicher
Querausdehnung verstanden werden.
(2) Das Fluid hat konstante Dichte. Mit dieser Annahme ist bei der Durch-
strömung nicht nur der Massenstrom, sondern auch der Volumenstrom kon-
stant. Bei x* -unabhängigem Strömungsquerschnitt folgt damit für große
Lauflängen ein ausgebildeter Strömungszustand mit identischen Strömungs-
profilen für verschiedene Stellen x*.
R*
u* :=
m
_2._
A*
jj u* dA* = - 1-
7rR*2
j u* (r* )27rr* dr* . (6.1)
0
0 = _ 8p + _2.._~~
8x Rer dr
(r du)
dr
(6.2)
0=- 8p (6.3)
ar
PrReu 8 t9 = 82 t9 +
ax 8x 2 r ar
~~ (r 8art9) +Br (du)
dr
2
(6.4)
Die x-Impulsgleichung zeigt, daß der Druck eine lineare Funktion der Lauflänge
x ist, da der Gradient 8pj8x eine x-unabhängige Konstante sein muß. Die X-
Unabhängigkeit des Geschwindigkeitsprofils ist durch das gewöhnliche Differential
(dujdr statt 8uj8r) berücksichtigt. Aus (6.3) folgt, daß auch für den Druckgradi-
enten in (6.2) das gewöhnliche Differential geschrieben werden kann, da der Druck
unabhängig von r ist. Daß der Druck über dem Querschnitt konstant ist, war zu
erwarten, da in der Strömung keine Kräfte vorhanden sind (z.B. Zentrifugalkräfte
aufgrundgekrümmter Stromlinien), die Druckdifferenzen in Querrichtung kompen-
sieren könnten.
6 Ausgebildete Durchströmungen 99
Die Energiegleichung (6.4) zeigt, daß die Temperatur zunächst eine Funktion
beider Koordinaten ist. Es wird sich herausstellen, daß (abhängig von den thermi-
schen Randbedingungen) sog. thermisch ausgebildete Temperaturprofile durch eine
entsprechende Normierung entstehen.
Der Term 8 2 {) j8x 2 in der Energiegleichung (6.4) beschreibt physikalisch die
Änderungen der axialen Wärmeleitung und kann in der Regel als klein gegenüber
den anderen Termen vernachlässigt werden. Dies gilt in einem asymptotischen Sinne
(s. dazu die Ausführungen nach (6.10)). Wenn{) eine lineare Funktion von x ist, wie
dies für die thermische Randbedingung q;,
= const gilt (s. dazu Abschnitt 6.3.2a),
so ist die zweite Ableitung nach x exakt null.
Die Gleichungen (6.2) bis (6.4) enthalten drei Parameter (Re, Pr und Br), so
daß zunächst allgemeine Lösungen nicht möglich erscheinen. In Abschnitt 6.4 wird
gezeigt, wie unter Ausnutzung der Linearität von (6.4) Lösungen für alle Parameter
Br gefunden werden können. Darüber hinaus ergibt sich nach der Transformation
auf eine neue x-Koordinate, daß die Gleichungen vollständig frei von Re und Pr
sind, in diesem Sinne also allgemeine Lösungen existieren.
Die Transformation lautet
- p
x--+ x mit -
x := Pe'
X
p:=-.
Pr
(6.6)
r = 0: dujdr = 8fJj8r = 0
(6.10)
r = 1: U = 0, fJ = {)w.
Der Term (8 2 fJj8x 2 )/Pe2 ist für Pe--+ oo asymptotisch klein, aber auch für mäßige
Pe-Zahlen spielt dieser Term nur eine untergeordnete Rolle. Spürbare Einflüsse sind
nur für Peclet-Zahlen Pe < 50 festzustellen, s. dazu Michelsen and Villadsen (1974).
Dieser Term wird im folgenden nicht weiter berücksichtigt.
Die Reynolds-Zahl ist ohne Einfluß auf die Lösungen von (6.8) und (6.9),
da sie auch in den Randbedingungen nicht explizit vorkommt. Sie spielt nur im
Einlaufbereich des Rohres eine Rolle und bestimmt wesentlich die Lauflänge, nach
100 K. Gersten/ H. Herwig
der sich der ausgebildete Zustand einstellt (s. dazu Kap. 12). Physikalisch kann die
Reynolds-Zahl als ein Maß für das Verhältnis von Trägheits- zu Reibungskräften
interpretiert werden. Da in ausgebildeten Strömungen keine Trägheitskräfte auftre-
ten, verwundert es auch nicht, daß die Reynolds-Zahl durch eine Transformation
aus dem Gleichungssystem entfernt werden kann.
Da u nur eine Funktion der Radialkoordinate r ist, gilt nach (6.8)
- dfi
C := dx = const. (6.11)
Wie am Beispiel der Couette-Strömung (Abschnitt 2.2) erläutert wurde, ist das
Widerstandsgesetz der Zusammenhang zwischen der aufgebrachten Kraft (hier in
Form des Druckgradienten dp* I dx*) und der damit erzeugten Strömung (hier in
Form der Mittelgeschwindigkeit u;;,). Dieser Zusammenhang kann unmittelbar aus
(6.8) gewonnen werden.
Eine zweimalige Integration von (6.8) ergibt unter Berücksichtigung der Haft-
und Symmetriebedingung (6.10) für das Geschwindigkeitsprofil
(6.12)
Aus der Definition (6.1) folgt mit um= 1 (es gilt UB = u;;,) unmittelbar
dp* 87]* *
C := ~~ = -8 bzw. dimensionshaftet -=--U
dx* R* 2 m
(6.13)
6 Ausgebildete Durchströmungen 101
Iu = 2(1 - r I· 2) (6.14)
Mit dem Geschwindigkeitsprofil ist auch der Verlauf der Schubspannung bekannt,
da nach dem Newtonsehen Reibungsgesetz r* = ry* du* ldr* gilt (vgl. Anhang Al,
(A1.47)). Dies führt unmittelbar auf den Zusammenhang
* 4ry*u* r* 4
-T = __ m_r* bzw. dimensionslos -T := - - - = -r. (6.15)
R*2 e*u:r? Re
0 2 0 ~
Es liegt also ein linearer Schubspannungsverlauf mit dem Maximum an der Wand
vor, wie Bild 6.1 zeigt. Für die Rohrströmung mit der Koordinate r* ist die Schub-
spannung ein negativer Zahlenwert. Da das Reibungsgesetz für die Rohrströmung
der Spezialfall einer allgemeinen Tensorbeziehung ist, lautet die hier betrachtete
Komponente r* = ry* du* I dr*. Gelegentlich findet man r* = -ry* du* I dr*, weil mit
dr* = -dy* der Übergang aus einem kartesischen Koordinatensystem erfolgt ist.
Diese Vorgehensweise übersieht aber, daß der Ausgangspunkt eine Tensorbeziehung
ist und deshalb r* = ry* du* I dr* geschrieben werden muß. Das Vorzeichen der
Schubspannung hängt also von der Wahl des Koordinatensystems ab.
Das Widerstandsgesetz wird üblicherweise entweder mit dem Reibungsbeiwert
er := 2(-r:,)l(e*u::r?) oder der Rohrreibungszahl >.R := 2D*( -dp* ldx*)l(e*u';;)
gebildet und lautet damit unter Verwendung von (6.13) und (6.15)
Die Reynolds-Zahl ist hier mit dem Index D versehen, um darauf hinzuweisen, daß in
diesen Endbeziehungen (und nur hier!) der Durchmesser D* (und nicht der Radius
R*) als charakteristische Länge verwendet wurde. Dies ist in der Literatur allgemein
üblich, obwohl sich aus der konsequenten Ableitung aus den Grundgleichungen R*
als charakteristische Länge ergibt (da r := r* IR* als dimensionslose Koordinate
eingeführt wurde).
Das Widerstandsgesetz (6.16) wurde bereits in den Jahren 1839140 von
den beiden Forschern Hagen und Poiseuille gefunden und heißt daher Hagen-
Poiseuillesches Widerstandsgesetz. In der englischsprachigen Literatur wird die
Rohrreibungszahl er oft als "Darcy friction factor", der Reibungsbeiwert >.R als
"Fanning friction factor" bezeichnet, s. dazu White (1974).
102 K. Gersten/ H. Herwig
6.3.2 Wärmeübergangsgesetz
Die physikalische Situation ist in Bild 6.2 skizziert. Es wird davon ausgegangen, daß
die Wärmestromdichte q:,
direkt an der Kontaktfläche zwischen Fluid und Rohr-
wand zur Verfügung steht, d.h. mögliche Leitungsvorgänge in der Rohrwand werden
vernachlässigt (deren Berücksichtigung führt zu sog. konjugierten W ärmeübergangs-
problemen, s. dazu Shah and London (1978)). Von einer bestimmten Stelle x* = 0 an
herrscht eine konstante Wärmestromdichte q:,.
Aufgrund des Fouriersehen Wärme-
leitungsgesetzesgilt q:, q:,
= ->..*(ßT* jßr*)w, so daß < 0 bei Wärmezufuhr an das
Fluid ("Heizen", wie in Bild 6.2) und q:,
> 0 bei Wärmeentzug ("Kühlen") gilt.
r*-C
Eine globale Energiebetrachtung ergibt das anschauliche Ergebnis, daß eine mittlere
Fluidtemperatur für x* > 0 linear mit der Lauflänge ansteigen (oder abfallen) muß.
Eine solche mittlere Temperatur, die ein direktes Maß für die thermische Energie
der Strömung bei x* darstellt, kann unter der Voraussetzung c; = const wie folgt
alsr; definiert werden:
also:
J
R*
Die Temperatur r;
wird als kalorische Mitteltemperatur oder kurz als Mitteltem-
peratur bezeichnet. Diese Bezeichnung weist darauf hin, daß (6.17) eigentlich (d.h.
für c; -!- const) aus einer Bilanz der kalorischen Größe Enthalpie abgeleitet ist. Die
Mitteltemperatur für die ausgebildete Rohrströmung entsteht gemäß der Definition
(6.17) durch Integration von (6.9) mit Br = 0 als
In Bild 6.2 ist der lineare Anstieg von T~ - T~ zusammen mit dem zu erwarten-
den Wandtemperaturverlauf eingezeichnet. Zwar kann es kein ausgebildetes Tem-
peraturprofil im Sinne von T* - T~ -!- f(x*) geben, aber für x* -----+ oo gilt
T*- T~ -!- f(x*), da dieses Differenzprofil nicht ständigen Veränderungen unterlie-
gen kann. Dieser Zustand soll als thermisch ausgebildeter Zustand bezeichnet werden
und tritt nach einem thermischen Übergangsbereich auf.
In der Energiegleichung (6.9) tritt die dimensionslose Temperatur
{} := (T* - Tß)/ l:J.Tß auf, wobei Tß eine feste Bezugstemperatur ist, hier z.B. T~
(nach Bild 6.2 die isotherme Zuströmtemperatur), und l:J.Tß eine feste charakteri-
stische Temperaturdifferenz des Problems. Diese kann mit der gegebenen Wärme-
stromdichte an der Wand gebildet werden und lautet l:J.Tß := ( -q:, )R* / >. *. Diese
Kombination hat die Bedeutung einer Bezugsgröße, ohne daß l:J.Tß als Temperatur-
differenz in dem Problem unmittelbar auftritt. Der Vorteil gegenüber einer ebenfalls
möglichen Wahll:J.Tß = T;- T; liegt darin, daß q:, gegeben ist, T;- aber einen r;
Teil der gesuchten Lösung darstellt.
Die Temperatur fJ kann durch eine einfache Erweiterung mit und T; r;
sinnvollerweise wie folgt aufgespalten werden:
{}( - ) T* - T~ r; - T~ r; - r; fJ ( ) (6.19)
x,r := (-q~)R*j>.* = (-q~)R*j>.* + (-q~)R*/>.* + r r
104 K. Gersten/ H. Herwig
mit
T*(x*,r*) -T;(x*)
(6.20)
t?r(r) := (-q;.)R*I)..* ·
Die gesuchte Temperatur t? ist für x* ---+ oo die Summe aus einem x-abhängigen
Term (vgl. (6.18)), einer Konstanten und einem r-abhängigen Term t?r(r).
Unter Berücksichtigung von (6.19) folgt aus der Energiegleichung (6.9) mit
Br = 0 und d[(T; - T~)l(( -q:.,)R* I )..*)Jidx = 2 gemäß (6.18) die Differentialglei-
chung für t?r(r) als
2(1-r 2 )2 = ~.!!:_
r dr
(rdt?r).
dr
(6.21)
Als Randbedingungen folgen aus q:., = ->.*[8T* lßr*Jw und der Definition von t?r
in (6.20)
Die zweimalige Integration von (6.21) unter Berücksichtigung von (6.22) ergibt für
das Temperaturprofil {) r (r)
(6.23)
Zur Bestimmung der Nußelt-Zahl (vgl. Tab. 4.2) muß die Mitteltemperatur {)rm :=
(T; - T;)l(( -q:.,)R* I)..*) gebildet werden. Aufgrund der Definition (6.17) gilt
J{)
1
{) rm =2 r ur dr , (6.24)
0
{) =-11 (6.25)
rm 24
( -q:.,)D*
Nu 0 := >.*(T; _ T;) = -:a: 2
=
48
U = 4, 36 (6.26)
Der Index D bei der Nußelt-Zahl weist wieder auf den Durchmesser als charakteri-
stische Länge (statt des Radius') hin.
6 Ausgebildete Durchströmungen 105
Durch die Gleichungen (6.8) und (6.9) ist auch der allgemeinere Fall der axialen Ringspaltströmung
beschrieben, wie er in Bild B6.1-1 gezeigt ist. Als geometrischer Parameter des Problems tritt das
Radienverhältnis AR := Rj' / R: auf. Die Grenzfälle dieses Parameters sind AR = 0 als reine
Kreisrohrströmung und AR-+ 1 als ebene Kanalströmung. In diesem zweiten Grenzfall wird der
örtliche Krümmungsradius (Ri oder R:) im Vergleich zur Kanalhöhe R:- Rj' unendlich groß, so
daß es sich im Grenzfall um ein ebenes Problem handelt. Die Radiendifferenz entspricht dann dem
Abstand der Kanalwände.
Als zweiter Parameter der hydrodynamisch und thermisch ausgebildeten Ringspaltst römung tritt
das Verhältnis der Wärmestromdichten Aq := q\..,Jqwa auf. Die Spezialfälle je einer adiabaten
Wand sind Aq = 0 (q\..,; = 0) und IAql = oo (q\..,3 = 0).
Definiert man den Reibungsbeiwert a ls
so sind die bisherigen Ergebnisse für das Kreisrohr d irekt als Spezialfall ent halten. Die Größe
Dj; wird hydraulischer Durchmesser genannt und entspricht im Falle der Kreisrohrströmung dem
Rohrdurchmesser, im Falle der ebenen Kanalströmung der doppelten Kanalhöhe. Allgemein gilt
Dj; := 4A* /U;er• wobei A* der durchströmt e Querschnitt und u;er der benetzte Umfang ist (eng!.:
perimeter) . Folgericht ig gilt für die Reynolds-Zahl jetzt
g*u* D *
Renh := m h (B6.1 - 3)
7J*
106 K. Gersten/ H. Herwig
Bild B6.1- 2 zeigt das Widerstands- und das Wärmeübergangsgesetz für den Fall Aq -1
(q\v; = -qwa = -q;.,). Für weitere Einzelheiten s. Herwig and Klemp (1988).
C Re
f Dh
Zt..r------z->711
20
16
/ <t
(o)
Bild B6.1-2: Ausgebildete axiale
Ringspaltströmung; keine Dissipation
16....._ (Br = 0)
6 (a) Widerstandsgesetz; er nach
Nuoh 5 (b)
(B6.1-1)
4 (b) Wärmeübergangsgesetz ,
Nu 0 h nach (B6.1-2) für
qwa = -q\v;
d.h. es wird eine x-unabhängige Form des mit T~- T_: normierten Temperaturde-
fektes T*- r;
erreicht.
Die Temperatur kann damit als ein Produkt zweier Funktionen geschrieben
werden, dessen Faktoren jeweils nur r-abhängig bzw. nur x-abhängig sind. Es gilt
in dimensionsloser Schreibweise (die Bezugstemperatur Tß ist jetzt sinnvollerweise
T_:)
(6.28)
6 Ausgebildete Durchströmungen 107
q*w
q*
w
I
I
I
. _,L~..:....L. J__ . - .
I I
I I
Bild 6.3: Wärmeübergang bei I
der Rohrströmung mit r:,
= const
1*-T.""*
I I
I
(hier: Heizung des Fluides); konstante I
Stoffwerte; keine Dissipation (Br = 0)
l*- r*
Asymptoten für x• --+ oo mit m '""
C := -A1/(2PeR*):
thermischer thermisch ausgebildete x*
1: r;;, -T~
Übergangs- Strö mung
= (T_:- T~)[l- C 1 exp(Cx*)] bereich
2: q;_ = C 2 exp(Cx*)
mit
-T*w T* -T*
73 ·- T*m 73 r : = T* - T: . (6.29)
X . - T* - Y:* '
00 w m w
Die Energiegleichung (6.9) kann damit, wieder mit Br = 0 , u = 2(1 - r 2 ) und jetzt
auch mit Pe --> oo , wie folgt geschrieben werden:
(6.30)
In (6.30) ist eine Separation der Variablen erfolgt. Die linke Seite ist nur eine
Funktion von x,
die rechte Seite nur eine Funktion von r, so daß beide Seiten
notwendigerweise gleich einer Konstanten sein müssen, die aus später ersichtlichen
Gründen -~A~ genannt wird (s. dazu Abschnitt 12.5).
Es entstehen damit zwei gewöhnliche Differentialgleichungen für 73r ( r) und
73x(x)
:r (r ~r) + A~r(1 - r 2 )73r = 0 (6.31)
d73x 1 A2.a
dx +2 lvx = 0. (6.32)
Es stellt sich nun heraus, daß Lösungen für 'I'Jr nicht bei beliebigen Werte A1
existieren. Prüft man in (6.31) ausgehend von A1 = 0 monoton steigende Werte von
A1 , so ergibt sich der erste Wert, bei dem eine Lösung existiert, zu A1 = 2, 7044.
Diese Lösung muß numerisch gewonnen werden. Im folgenden interessiert von der
Lösung nur der Wandgradient mit dem Zahlenwert (d'I'Jr/dr)r=l = -1,0143. Die
Konstante A1 heißt (erster) Eigenwert der Differentialgleichung, die zugehörige
Lösung 'I'Jr wird (erste) Eigenfunktion genannt. Insgesamt handelt es sich um ein
sog. Eigenwertproblem. Der Index 1 bei A1 deutet an, daß weitere Lösungen für
A2 , A3 , ..• existieren, die im hier betrachteten Fall der thermisch ausgebildeten
Strömung (x -+ oo) jedoch ohne Bedeutung sind. In Abschnitt 12.5 wird dies
auf dem Hintergrund einer allgemeinen Lösung für thermisch nicht ausgebildete
Strömungen deutlich.
Die Lösung von (6.32) für die Funktion 'I'Jx(x) lautet
J
1
a Vorbemerkung
1 1 2
j
C ur dr = - j (~~) r dr . (6.38)
0 0
Aus der Energiegleichung (6.9) folgt für die Grundlösung '!?R durch zweimalige
Integration (beachte: 8'!9Rf8x = 0) unter Berücksichtigung der Randbedingungen
'!9R(1) = 0 und (8'!9R/8r)r=O = 0
T,*(r)- T* ry*u*2
'!?R(r) := R D"T,* w = Br(1- r 4), Br := >..*D..T,* . (6.39)
B B
Die konkrete Form von D..TP, als Bezugsgröße kann später festgelegt werden, da sie
zunächst nur der formalen Entdimensionierung dient.
Der über die Wand abgeführte Wärmestrom q~R ist damit (dimensionsbehaf-
tet)
q*
wR
= -).. * (8T,*)
___R
ßr* w
= 4 TJ *R*um•2 . (6.40)
T,* - T* 5
19
Rm.
·= Rm
D..T*
w = -Br
6 . (6.41)
( -q* )D* 48
Nuo := )..*(T:_w~ Titm) = 5 = 9, 6 (6.42)
Es sei nochmals darauf hingewiesen, daß für diese Grundlösung sowohl T:, = const
als auch q~R = const gilt, so daß sie unmittelbar mit den beiden Lösungen aus
Abschnitt 6.3 (ohne Dissipation) zu Lösungen mit T:, = const bzw. q~ = const
kombiniert werden kann.
Bei der Lösung für q~ = const, Br = 0 aus Abschnitt 6.3 war davon ausgegangen
worden, daß dem Fluid ab der Stelle x* = 0 die Wärmestromdichte q~ zugeführt
wird, vgl. Bild 6.2. Bei der Kombination mit der Grundlösung Tit ist zu beachten,
daß die effektiv übertragene Wärmestromdichte für x* > 0 dann
ist. So wird z.B. dieadiabateWand (q~eff = 0) für x* > 0 durch eine Kombination
der Grundlösung Tit mit dem Fall q~ = -q~R = -4ry*u:-n2j R* aus Abschnitt 6.3
realisiert. In diesem Fall steigt ab x* = 0 die Mitteltemperatur entsprechend der
Dissipation proportional zu x* an, s. (6.47).
6 Ausgebildete Durchströmungen 111
x* 2: 0: T*---- T,*
w Rm
= ( -q~)R*
).*
(2-X+ ~) - - ~ rt*u~2
24 6 ).* •
(6.45)
Mit diesen Größen kann formal auch eine Nußelt-Zahl gebildet werden, obwohl dies
bei Berücksichtigung der Dissipation zu Singularitäten führen kann, die keinerlei
Entsprechungen im physikalischen Geschehen haben, wie in Abschnitt 2.4 erläutert
wurde.
d.h. es gilt 6Tß = (-q~ )R* I>.* in der Brinkman-Zahl Br. Wie erwartet, geht (6.46)
für Br ~ 0 in (6.26) über, für Br ~ oo in (6.42).
Für den Fall q~eff = 0 wird die Wandtemperatur zur adiabaten Wandtem-
peratur r;d oder auch Eigentemperatur. Aus (6.45) folgt mit ( -q~) = 4rt*u~2 IR*,
also q~eff = 0, für die Eigentemperatur
x~oo. (6.47)
Bei der Lösung für T:V = const, Br = 0 aus Abschnitt 6.3 war davon ausgegangen
worden, daß die Wandtemperatur an der Stelle x* = 0 sprungartig um einen Betrag
T:V ---- T~ verändert wird. Das wesentliche Ergebnis ist die Wärmestromdichte an
der Wand. Mit einer Veränderung der Wandtemperatur um T:V ---- T~ bei x* = 0
gilt für die Wärmestromdichte
n*u*2
x* < 0: *
qweff
* = 4"'
= qwR ~
m
(6.48)
rt*u* 2 >.*(T*---- T*)
x* 2: 0: q~eff = 4 R::' ---- 1, 4975 R* <Xl exp( ----3, 6568x).
Auch hier geht (6.49) erwartungsgemäß für Br--+ 0 in (6.37) und für Br--+ oo
in (6.42) über.
(1) Couette-Poiseuille-Strömungen
Sie ergeben sich, wenn der Couette-Strömung zusätzlich ein Druckgradient aufgeprägt wird. Es
handelt sich um eine Superposition von Couette- und Kanalströmung. Die Strömungen haben
u.a. bei Gleitlagerströmungen Bedeutung. Auch der Spezialfall verschwindenden Volumenstroms
hat zahlreiche praktische Anwendungen (z.B. windgetriebene Strömungen in flachen "stehenden"
Gewässern). Das Temperaturfeld irrfolge Dissipation wurde von Millsaps and Pohlhausen (1953)
berechnet. Auf die turbulenten Couette-Poiseuille-Ström ungen wird in Abschnitt 16.2 näher
eingegangen.
(3) Gemischte Konvektionsströmungen (s. Kap. 9) in vertikalen Kanälen oder Rohren bei
q;, = const
Hierbei stellt sich asymptotisch (d.h. für x* -+ oo) eine thermisch ausgebildete Strömung ein. Wird
eine nach oben gerichtete Strömung geheizt, so unterstützen die Auftriebskräfte die erzwungene
Konvektion und führen zu einer Erhöhung des Reibungsbeiwertes und der Nußelt-Zahl. Bei
Kühlung wird durch die natürliche Konvektion die Aufwärtsströmung vermindert, bis es schließlich
sogar zu Rückströmung kommen kann, vgl. da Silva (1990).
Düse Diffusor
1 0 1 ~7-1 p~ ·
Bild B6.2-1: Strömungsprofile
in konvergenten und divergenten
Kanälen, also Düsen- und Diffusor-
strömungen (Jeffery-Hamel-Strö-
mungen) Senke Quelle
Es handelt sich um ebene Strömungen zwischen geraden, nicht parallelen Wänden nach Bild
B6.2-l. Im Fall einer Quelle bei r* = 0 entsteht eine Diffusorströmung (divergenter Kanal), im
Fall der Senke eine Düsenströmung (konvergenter Kanal). Aus den Navier-Stokes-Gleichungen in
Polarkoordinaten erhält man mit dem Ansatz
u*(x*,r*) -F
* ( •) - (7]),
\1>
1] :=-:::;'
-
Re:= u:;,ax r*ä (ii > 0 : Diffusor) (B6.2-1)
umax X a v* ä <0: Düse
,._..
-v := --=----
~-
B*2r•;:;:u•max u;
= u:;,
u*max
= ~2 j
1
F(17) d7J (B6.2-4)
- 1
(b) Reibungsbeiwert:
2IT.;I 2F'(1)
er := (}*u;.? = Rec2. . (B6.2-5)
V
Die (analytischen) Lösungen von (B6.2-2) lassen sich auf elliptische Integrale zurückführen, vgl.
z.B. White (1974, S. 184).
Im Grenzfall Re -+ 0 verschwinden die Trägheitskräfte, und (B6.2-2) wird linear. Es handelt
sich um sog. schleichende Strömungen, die in Kap. 10 ausführlich behandelt werden. Im Grenzfall
Re -+ oo handelt es sich um sog. (selbstähnliche) Grenzschichtströmv.ngen, auf die in Kap. 7
ausführlich eingegangen wird.
In Bild B6.2-2 sind die Ergebnisse für die Düsenströmung mit ä = -7r/ 4 dargestellt.
Zusätzlich eingetragen sind die Asymptoten für Re -+ 0 und Re -+ oo. In Beispiel 12.1 in Kap. 12
werden die Jeffery-Hamel-Lösungen als Vergleichslösungen für dort behandelte Näherungslösungen
herangezogen.
114 K. Gersten I H. Herwig
<t-
0 . 1 '------':-------~----:o---'
10
..... ....
100
.... .....
..... .....
Re
Bild 86.2-2: Volumenstrom- und Reibungsbeiwert aus der Jeffery-Hamel-Lösung für eine Düsen-
strömung mit dem Düsen-Öffnungswinkel 90° (ii = -7rl4)
Asymptoten: Re ---+ 0, schleichende Strömungen: cy = ~, 4 = 1r 3 I (4Re)
Re---+ oo, Grenzschichttheorie: cy = 1, cf = 2V7ri(3Re)
a Konstante Stoffwerte
(1) die Stoffwerte selbst nur schwach (oder gar nicht) temperatur- bzw. druck-
abhängig sind (Stoffeigenschaft), oder
(2) in dem betrachteten System nur geringe Temperatur- bzw. Druckdifferenzen
auftreten (Systemeigenschaft).
Die erste Möglichkeit ist bezüglich der Druckabhängigkeit für fast alle technisch
interessierenden Stoffe gut erfüllt. Eine Ausnahme bildet lediglich die Stoffgruppe
der Gase, bei denen die Druckabhängigkeit der Dichte berücksichtigt werden muß,
wenn in der konkreten Situation starke Druckänderungen auftreten, s. Abschnitt
7.7.3 und Anmerkung 2 am Ende dieses Abschnittes. Sieht man von dieser speziellen
6 Ausgebildete Durchströmungen 115
Im Sinne dieser Näherung gilt in einer ausgebildeten Rohrströmung für das Ge-
schwindigkeitsprofil u = 2(1 - r 2 ) nach (6.14). Dies bedeutet für die lokale Ge-
schwindigkeitsverteilung mit u := u* fu':n und rh * = e*u':nA* = const (A*~ Quer-
schnittsfläche)
2"*
u* = _!!!:__ (1 - r 2 ) . (6.53)
e*A*
Danach ist das Geschwindigkeitsprofil wegen e*(T~) und T~(x*) nicht mehr kon-
stant, sondern (schwach) x* -abhängig. Ist q;,
im Sinne dieser Näherung nicht mehr
klein, so muß nicht nur die Stoffwert-Variation mit x*, sondern die vollständige
Abhängigkeit von x* und r* berücksichtigt werden. Dies kann mit der asymptoti-
schen Methode nach Abschnitt 5.4.2 geschehen und wird im folgenden Abschnitt c
erläutert.
c Variable Stoffwerte
Die Impuls- und Energiegleichungen (6.8) und (6.9) gelten unter der Annahme
(lokal) konstanter Stoffwerte, d.h., es wurde e = 17 = >. = cP = 1 gesetzt. Die
vollständigen Grundgleichungen zeigen, an welchen Stellen die von eins verschie-
denen dimensionslosen Stoffwerte in den beiden Gleichungen auftreten, wenn die
Einflüsse variabler Stoffwerte berücksichtigt werden. Besondere Aufmerksamkeit
muß dabei der Dichte e gelten, die in den Impulsgleichungen einmal als Faktor
in den Trägheitstermen und einmal als [e - 1] in den sog. Auftriebstermen auftritt.
Diese Auftriebseffekte sollen hier nicht berücksichtigt werden. Sie sind die entschei-
denden Terme bei den natürlichen Konvektionsströmungen (s. dazu Abschnitt 8.2).
Asymptotisch bedeutet die Vernachlässigung der Auftriebseffekte, daß der Grenzfall
großer Froude-Zahlen (Fr:= u':n/ff!F--+ oo) betrachtet wird.
Die asymptotische Methode zur Erfassung des Einflusses variabler Stoffwerte
ist in Abschnitt 5.4.2 ausführlich beschrieben worden. Nach fünf Schritten S1 bis
S5 kann die Wirkung der Temperaturabhängigkeit aller vorkommenden Stoffwerte
in Form der sog. Stoffwertverhältnis-Methode erfaßt werden (Einzelheiten hierzu
in Herwig (1985c) und Herwig et al. (1989)). Für das Beispiel der thermischen
Randbedingung q;,= const führt diese Vorgehensweise auf folgendes Ergebnis.
Werden alle Stoffwerte, die in den Definitionen von er, Ren, Pr und Nun
vorkommen, bei der örtlichen Mitteltemperatur T~ genommen, so gelten für die
thermische Randbedingung q;,
= const folgende lokale Korrekturbeziehungen im
6 Ausgebildete Durchströmungen 11 7
wobei gilt
a = a*(T;) (6.56)
w a*(T~)'
Für die thermische Randbedingung T; = const ist die Darstellung der Ergebnisse
in dieser Form nur bedingt empfehlenswert, da dies streng genommen dann nur im
Grenzfall Pr ---+ oo möglich ist. Stattdessen sollte man Korrekturbeziehungen analog
zu (5.46) in Abschnitt 5.4.2 formulieren. Für Einzelheiten sei auf die Originalarbeit
von Herwig et al. (1989) verwiesen.
Anmerkung 1 (Kanalströmung)
Für die ebene Kanalströmung (hydraulischer Durchmesser: Di; = 4H*, symmetrisches Tempera-
turfeld) lauten die Korrekturbeziehungen zur Erfassung des Einflusses variabler Stoffwerte analog
zu (6.54) und (6.55) für q;
= const und Br = 0 wie folgt:
(6.58)
Anmerkung 2 (Berücksichtigung der Druckabhängigkeit der Dichte)
Die Taylor-Reihenentwicklung der Stoffwerte ergab eine nicht zu vernachlässigende Druckabhängig-
keit nur für die Dichte bei Gasen, s. Anhang A2 mit den Zahlenwerten Kcd aus Tabelle A2.1. Es
liegt damit zunächst die Vermutung nahe, daß die Rohrreibungszahl ~R• vgl. (6.16), einen Mach-
Zahl-Einfluß aufweist, da für die Druckabhängigkeit gilt (vgl. (A2.2) in Anhang A2 und (7.137) in
Kap. 7)
- + · .. = 1 +"'M a 2 p~ + ...
Ci := -e* = 1 + K- nlP (6.59)
eß ~
mit
c• u• ~ p*- p*
"':= _E., Ma := _.!!!_
a*s
und p·- - - -8
.- eßu;';-,2 .
(6.60)
~
Dies ist jedoch erstaunlicherweise nicht der Fall, wie sich folgendermaßen zeigen läßt.
Ausgangspunkt sind zunächst die Kontinuitäts- und die Impulsgleichung für große Rey-
x
nolds-Zahlen (vgl. Anhang Abschnitt Al.3, mit = x*/(R*Re), Re= eßu:'r,R*/TJ* für Re-+ oo)
(6.61)
(6.62)
118 K. Gersten/ H. Herwig
~ j ~u 3 r dr = -: j ur dr - D (6.63)
0 0
mit
D := J
0
1
r( ~; r dr. (6.64)
Das Dissipationsintegral (6.64) ist ein Maß für den Verlust an kinetischer Energie. Die Rohrrei-
bungszahl ).R als Maß für die Verluste in der Rohrströmung sollte deshalb direkt proportional zu
D sein. Mit der Definition
16
).R:= - D (6.65)
Reo
ergibt sich für konstante Dichte, also u = 2(1- r 2 ) nach (6.14), die bereits in Abschnitt 6.3.1
angegebene Beziehung ).RR.eo = 64, s. (6.16), weil dann D = 4 gilt. Dabei handelt es sich um eine
lokale Größe im Sinne der zuvor eingeführten Näherung "quasi-konstanter Stoffwerte", bei der die
in >.R und Re 0 auftretenden Stoffwerte bei dem lokalen Druck zu nehmen sind.
Bei variabler Dichte wird für die Geschwindigkeit u analog zu (6.59) folgende Entwicklung
angesetzt:
u = u 0 (r) + -yMa 2 u 1 (x, r) + O(Ma4 ). (6.66)
Eingesetzt in D nach (6.64) folgt daraus
J
1
D = 4 + 2-yMa2 duo au 1 r dr + O(Ma4 ). (6.67)
dr ar
0
Eine partielle Integration und die Verwendung von (6.8) für die Größen der nullten Ordnung (und
dpjdx = dpjdx in (6.8)) ergibt für das Integral in (6.67)
J
1
duo -
- au1 rdr
dr 8 r
= -dßo
-
dx
J 1
u 1rdr = 0. (6.68)
0 0
Damit bleibt das Dissipationsintegral (mindestens) bis zur Ordnung O(Ma2 ) frei von Einflüssen
variabler Dichte. Dieses Ergebnis bestätigt die in der Literatur häufig getroffene Aussage, daß die
Rohrreibungszahl keinem Mach-Zahl-Einfluß unterliegt.
6 Ausgebildete Durchströmungen 119
6.6 Zusammenfassung
1.) Ausgebildete Durchströmungen liegen vor, wenn das Geschwindigkeits- bzw.
Temperaturprofil unmittelbar oder nach einer geeigneten Normierung un-
abhängig von der Lauflänge x* ist.
2.) Der Druckgradient bei der ausgebildeten Rohrströmung ist konstant, s. (6.13).
Das Geschwindigkeitsprofil ist parabolisch, s. (6.14), daraus folgt unmittelbar
das Widerstandsgesetz (6.16).
3.) Für den Wärmeübergang ist nach der thermischen Randbedingung zu un-
terscheiden. Für q;_, = const gilt ein linearer Anstieg der Mitteltemperatur,
s. (6.18), als Wärmeübergangsgesetz folgt ein konstanter Zahlenwert für die
Nußelt-Zahl, s. (6.26). Für r; = const nähert sich die Mitteltemperatur ex-
ponentiell dem stromabwärts geltenden Temperaturwert r;, s. (6.36). Als
Wärmeübergangsgesetz ergibt sich auch in diesem Fall ein konstanter Zahlen-
wert für die Nußelt-Zahl, s. (6.37).
4.) Der Einfluß der Dissipation auf den Wärmeübergang kann additiv zu den
Ergebnissen ohne Dissipationseinfluß hinzugenommen werden, weil der Ener-
giesatz linear ist. Dazu wird zunächst der Dissipationseinfluß in Form der
Nußelt-Zahl (6.42) allein ermittelt und anschließend zu den Ergebnissen ohne
Dissipation hinzugenommen. Dies führt auf die erweiterten Wärmeübergangs-
r;
ergebnisse (6.46) für q;_, = const und (6.49) für = const.
5.) Der Einfluß variabler Stoffwerte kann systematisch mit der asymptotischen
Methode nach Abschnitt 5.4.2 ermittelt werden. Für q;_, = const führt dies
auf die Korrekturbeziehungen (6.54) und (6.55) in Form der Stoffwertverhält-
nismethode. Für r; = const ist diese Form problematisch, da sie nur im
Grenzfall großer Prandtl-Zahlen gilt.
6.) Als Besonderheit bei Durchströmungen mit q;_, = const kann der Begriff
der quasi-konstanten Stoffwerte eingeführt werden, mit dem eine Situation
beschrieben wird, in der die Strömung nur lokal durch die Gesetze konstanter
Stoffwerte beschrieben wird, s. z.B. (6.53).
7 Grenzschichtströmungen bei ·erzwungener Konvektion
(Re- cx:>)
7.1 Vorbemerkung
Der Ausgangspunkt für die Entwicklung der sog. Grenzschichttheorie war folgende
Beobachtung: Betrachtet man eine zunächst ungestörte Strömung und bringt dann
einen Körper (z.B. ein Tragfl.ügelprofil) in diese Strömung, so treten im Strömungs-
feld erwartungsgemäß Änderungen in der Geschwindigkeits- und Druckverteilung
auf. Es überrascht auch nicht, daß diese Änderungen in der Nähe des Körpers am
größten sind und mit zunehmender Entfernung abklingen. Trotzdem gibt es eine
lange Zeit nicht bemerkte Besonderheit, die man erst bei dem Versuch erkannte,
das Strömungsfeld theoretisch zu beschreiben. Es stellt e sich nämlich heraus, daß
die Strömung sich fast im gesamten Strömungsfeld wie eine reibungslose Strömung
verhält und damit der theoretischen Behandlung relativ leicht zugänglich ist. Es
verbleibt nur ein verschwindend geringer Teil des Strömungsfeldes, der gesondert
betrachtet werden muß, dem aber große Bedeutung zukommt. Reibungseffekte sind
nämlich nicht vollständig vernachlässigbar, sondern konzentrieren sich auf einen ex-
trem dünnen wandnahen Teil des Strömungsfeldes. Dieser wandnahe Bereich, die
sog. Grenzschicht oder Reibungsschicht, wird um so dünner, je höher die Strömungs-
geschwindigkeit wird.
Eine genauere Beobachtung ergibt folgende Verallgemeinerung: Die Dicke der
Grenzschicht verringert sich nicht nur mit wachsender Strömungsgeschwindigkeit
(charakterisiert durch die Bezugsgeschwindigkeit Uß), sondern auch mit abnehmen-
der kinematischer Viskosität v*. Insgesamt ergibt dies eine Abhängigkeit von der
Reynolds-Zahl Re= UßL* fv* als dimensionsloser Kombination dieser Größen, wie
in Bild 7.1 skizziert ist. Dabei ist L* eine charakteristische Körperabmessung.
Es gilt aber auch eine Einschränkung: Das eben beschriebene Verhalten der Grenz-
schichten ist nur an sehr schlanken Körpern (z.B. Tragflügeln) ohne nennenswer-
ten Anstellwinkel im gesamten Körperbereich zu beobachten. Bei sog. stumpfen
Körpern (z.B. Kreiszylindern) beobachtet man Grenzschichten nur am vorderen
Teil. Im hinteren Bereich treten in der Regel große (reibungsbehaftete) Rezirkula-
tionsgebiete auf, die sich mit steigender Reynolds-Zahl nicht wesentlich verändern.
Dieses Strömungsverhalten nennt man Grenzschicht-Ablösung. Obwohl das Gebiet
abgelöster Strömung keinen Grenzschichtcharakter besitzt, ist die theoretische Be-
schreibung dieses Phänomens sehr eng mit dem Grenzschichtkonzept verbunden,
wie in Abschnitt 11.7 deutlich werden wird.
An diese Beobachtungen schließt sich natürlich unmittelbar die Frage nach
dem physikalischen Hintergrund an: Warum gibt es Grenzschichten? Die Antwort,
die im folgenden näher erläutert werden soll: Weil in der Strömung Transport-
mechanismen mit extrem verschiedenen "Transportgeschwindigkeiten" vorhanden
sind. Für die weiteren Ausführungen muß zunächst der Begriff Transportmechanis-
mus präzisiert werden.
Wie am Eingangsbeispiel der Couette-Strömung erläutert wurde, entsteht
durch die Wechselwirkung der Fluidmoleküle ein Impulstransport in Richtung nied-
rigerer Geschwindigkeiten. Der Transportkoeffizient für diesen Vorgang, der mole-
kularer Impulstransport genannt werden soll, ist die Viskosität ry*. Eine charakteri-
stische Geschwindigkeit für diesen Transport läßt sich aus der Viskosität (aus Di-
mensionsgründen in Form der kinematischen Viskosität v* = ry* / e*) und der Länge
bilden, über die der Transportvorgang stattfindet. Diese charakteristische Länge sei
b*, so daß für die molekulare (viskose) Transportgeschwindigkeit als charakteristi-
scher Wert gilt
(7.1)
Diese Geschwindigkeit ist aus dimensionsanalytischer Sicht ein Maßstab für den
molekularen Impulstransport.
Ein umströmter Körper verursacht einen solchen (Impuls-) Transportvorgang
dadurch, daß die Haftbedingung an der Wand einen Geschwindigkeitsgradienten im
wandnahen Fluid erzwingt und damit den molekularen Transportvorgang auslöst.
Dieser Effekt ist in einer Schichtdicke erkennbar, für die 8* einen charakteristischen
Maßstab darstellt. Die Frage nach der Größe von 8* ist nun unmittelbar mit der
Frage gekoppelt, welche wandnahen Teilchen von dem molekularen Transportme-
chanismusnoch erfaßt werden und welche durch die Konvektionsbewegung bereits
den Körper passiert haben, ohne erfaßt worden zu sein.
Die Konvektion als zweiter Transportmechanismus für den Impuls ist durch
die charakteristische Strömungsgeschwindigkeit Uß gekennzeichnet, die z.B. die Ge-
schwindigkeit der ungestörten Anströmung sein kann. Die Verweilzeit eines Teil-
chens im Bereich des Körpers mit der charakteristischen Länge L* ist damit L* /Uß.
Nur Teilchen, die innerhalb dieser Zeit von dem molekularen Impulstransport von
122 K. Gersten/ H. Herwig
der Wand her erfaßt werden, sind effektiv durch Reibung (d.h. durch die Viskosität)
beeinfiußt und zählen zur (reibungsbehafteten) Grenzschicht der charakteristischen
Dicke 6*. Diese Dicke ist somit das Produkt aus der molekularen Transportgeschwin-
digkeitu: = v* I 6* und der Verweilzeit L *IUß, also
6* rv (1/*)
6*
(-L*)--+
Uß
~
L*
rv (-v_*_)l/2 = Re-1/2
UßL*
(7.2)
L-------------------~
Das "' Symbol besagt, daß es sich um Aussagen bezüglich der charakteristischen
Werte handelt, die jeweils nur bis auf frei wählbare Konstanten festliegen. Der
durch Reibungseffekte beeinfiußte Grenzschichtbereich der Dicke 6* wird gemäß
(7.2) für Re --+ oo also beliebig dünn, er behält aber trotzdem seine Bedeutung
für die Gesamtströmung bei. Andererseits macht (7.2) aber auch deutlich, daß ein
grenzschichtähnlicher Charakter (6* « L*) nur für große Reynolds-Zahlen existiert.
Die zu Anfang gegebene Erklärung, daß Grenzschichten durch das Zusam-
menwirken von Transportmechanismen mit stark unterschiedlichen Transportge-
schwindigkeiten entstehen, kann jetzt präzisiert werden. Für das Verhältnis von u:
(viskoser Impulstransport) zu Uß (konvektiver Impulstransport) gilt mit (7.2)
also durch kleine Prandtl-Zahlen bestimmt. Eine typische Stoffgruppe mit kleinen
Prandtl-Zahlen sind flüssige Metalle.
Umgekehrt ist zu erwarten, daß die Temperaturgrenzschicht dünner als
die Strömungsgrenzschicht ist, wenn die Transportgeschwindigkeit für die innere
Energie deutlich kleiner als die für den Impuls ist, also a* « v* gilt. Dies ist
dann der Fall großer Prandtl-Zahlen. Eine typische Stoffgruppe hierfür sind Öle. In
Bild 7.2 sind beide Grenzfälle bezüglich der Prandtl-Zahl skizziert. Zahlenwerte für
verschiedene Stoffe sind im Anhang A2 zu finden.
u* r*- r: u* r *-Too*
-- ---o;
Bild 7.2: Temperaturgrenz-
schichten bei extremen Prandtl-
Zahlen (T~2 Temperatur in
der Außenströmung)
(a) Pr-+ 0: 6.j. » 6*
{a) Pr - o (b) Pr - oo
(b) Pr-+ oo: 6.j. « 6*
(z.B.: flüssige Metalle) (z.B.: Öle}
Einfache physikalische Überlegungen führen wieder auf eine Aussage über die Dicke
der Temperaturgrenzschicht, die mit 8f bezeichnet wird. Eine solche Abschätzung
soll zunächst für die beiden Grenzfälle Pr ---* 0 und Pr ---* oo in Form des
Verhältnisses 8ff8* vorgenommen werden.
Ganz allgemein gilt bezüglich der charakteristischen Geschwindigkeit für den
Transport innerer Energie durch Leitung (analog zu (7.1))
a*
U.j. = 8* . (7.4)
T
Im Grenzfall kleiner Prandtl-Zahlen ist die charakteristische Verweilzeit aufgrund
der konvektiven Bewegung durch die Geschwindigkeit Uß gegeben, also L* /Uß . Die
Dicke der Temperaturgrenzschicht ist wieder dadurch bestimmt, daß Teilchen in
dieser Zeit von Leitungseffekten erfaßt werden. Somit gilt
Für den Geschwindigkeitsgradienten an der Wand gilt (du* /dy*)w ""Uß/8*, so daß
insgesamt mit der Verweilzeit L* /U.f = L* /(Uß8.r/8*) gilt
8T rv
(8Ta*)(L*8*)
Uß8T '
(7.8)
Dies bedeutet sehr anschaulich, daß f(c) "gleich schnell" wie 8(c) dem Grenzwert
zustrebt, der Quotient f(c)/8(c) im Grenzfall c --> 0 also eine Konstante ist, die
beschränkt ist und nicht verschwindet.
Für den Fall, daß der Quotient null wird, schreibt man das Symbol o, also
Diese Überlegungen sollen nun auf den wandnahen Bereich der Strömung
angewandt werden, der als Bereich der Grenzschicht ausgemacht worden war.
Die Frage ist, ob sich in diesem Bereich die Grundgleichungen (Navier-Stokes-
Gleichungen, Energiegleichung) vereinfachen lassen, weil dieses Gebiet die Eigen-
schaft besitzt, asymptotisch dünn zu sein. Dies ist die Frage danach, ob alle Terme
der Grundgleichungen von der gleichen asymptotischen Größenordnung bezüglich
des Grenzprozesses Re --+ oo sind. Von der Reynolds-Zahl ist zunächst nur die
Grenzschichtdicke gemäß (7.2) abhängig, was jedoch zwei entscheidende Konsequen-
zen hat.
(1) Bei der Entdimensionierung der Grundgleichungen war die Länge L* als
charakteristische Größe für beide Koordinatenrichtungen gewählt worden. Die
charakteristische Quererstreckung der Grenzschicht ist aber L* Re- 1/ 2 , wie
(7.2) zeigt. Dies kann durch die Transformation
v*
V-+V: v = vRe 1/ 2 = -----=-=
U*Re- 112
(7.14)
B
Mit den beiden Transformationen (7.13) und (7.14) lauten die vollständigen Grund-
gleichungen (4.1) bis (4.4)
a(eu) a(@) _ 0
ax + aN - (7.15)
eRe
_1[ av av J ap
u-+v- _112 -(1-e)cosa+R
1 _ 2 a ( av)
ax aN =--+Re
aN Fr 2
e -
ax "'-
ax
+Re
_1 [a8x ("'EiNau) +
a ("' ( 28N
8N av - 32(au av)))]
8x + aN (7.17)
ae
ecp ( uax _ae )
+vaN 1 [
=Pr
a ( >..aN
aN ae ) J +Ec
- ['f/ ( aN
au ) 2
+ß( 1 +e)
(
uax _ap ) J
ap +vaN
ax (>.. ae)]
+_!_Re_ 1 [!___ (7.18)
Pr ax
-
+ "'EeRe- 1[ (
2 - au) 2 ( av ) 2 au +av- ) 2 + 2av- -au- +Re _1 ( -av ) 2]
-2 ( -
ax + 2 -aN - 3 ax aN axaN ax .
Die Frage nach den asymptotischen Größenordnungen der einzelnen Terme kann
nun sofort beantwortet werden, da nach der Grenzschichttransfo rmation (7.13) und
(7.14) die Re-Abhängigkeiten explizit vorliegen.
Im Grenzfall großer Reynolds-Zahlen (Re ---+ oo) sind alle nicht unterstriche-
nen Terme von der Größenordnung 0(1), alle unterstrichenen Terme von o(1), d.h.
sie sind im Verhältnis zu den nicht unterstrichenen Termen asymptotisch klein im
Sinne von (7.12). Durch diese Terme werden physikalische Effekte beschrieben, die
in Grenzschichten vernachlässigbar klein sind, und zwar in einem asymptotischen
Sinne, d.h. sie sind um so unbedeutender, je größer die Reynolds-Zahl ist. In (7.17)
wird der zweite Term auf der rechten Seite zunächst als ein Term 0(1) behandelt,
da hier noch keine Annahme über die Froude-Zahl Fr getroffen werden soll, also
Re- 112 Fr- 2 (1 - e) von der Größenordnung 0(1) sein kann.
Daß für die Abschätzung der Größenordnungen in einem asymptotischen
Sinne gedacht werden muß, macht die y-Impulsgleichung (7.17) für den Sonderfall
konstanter Dichte (e = 1) deutlich. Dort ist -apjaN
dann der einzige Term der
Größenordnung 0(1). Alle anderen Terme sind asymptotisch klein. Sie sind nicht
einfach zahlenmäßig klein gegenüber apjaN,
denn nach der richtigen asymptoti-
schen Abschätzung gilt apjaN
= 0. Es ist also apjaN
= 0(1) mit dem Zahlenwert
null! Physikalisch bedeutet dies, daß alle Effekte, die einen Druckgradienten apjaN
in Grenzschichten erzeugen könnten, vernachlässigbar klein sind, so daß der Druck
über die Grenzschicht hinweg in N-Richtung konstant ist.
Formal kann dies dadurch berücksichtgt werden, daß in der x-Impulsgleichung
das gewöhnliche Differential für den Druckgradienten geschrieben wird, also dpjdx.
Damit ist das Gleichungssystem aber nun um eine Gleichung reduziert worden, so
daß auch eine Variable weniger bestimmt werden kann! Die gesuchten Funktionen
waren ursprünglich (in (7.15) bis (7.18)) u, v, p, e. Tatsächlich ist der Druck in
128 K. Gersten/ H. Herwig
den Grenzschichtgleichungen aber nicht mehr unbekannt! Er ist nur eine Funktion
von x und damit zwangsläufig gleich dem Wert am Außenrand der Grenzschicht.
Hier wird er, wie man sagt, von der Strömung außerhalb der Grenzschicht "auf-
geprägt". Man erkennt hieran, daß diese Außenströmung bekannt sein muß, be-
vor die Grenzschichtgleichungen gelöst werden können! Beide, Außenströmung und
Grenzschichtströmung, sind eng miteinander gekoppelt, und zwar wieder in einem
asymptotischen Sinne. Bevor dies erläutert wird, sollen die Grenzschichtgleichun-
gen zunächst noch einmal aufgeführt werden. Es werden jetzt alle unterstrichenen
Terme in (7.15)bis (7.18) vernachlässigt.·
ä(eu) ä({fü) _ 0
äx + äN - (7.19)
äu _äu) äp ä(äu) 1 .
{} ( uax + v[ijj = -8x +EiN Tl[ijj + ~(1- e) sma (7.20)
(7.22)
Außerdem wird ab jetzt iJ = (T*- Tß)/!::.Tß = 8Tß/!::.Tß mit !::.Tß als charakte-
ristischer Temperaturdifferenz verwendet, so daß in der Energiegleichung Ec statt
Ec auftritt (vgl. Tab. 4.2 und die Anmerkung in Kap.4, Abschnitt 4.2.). Für ß*T*
in (7.22) gilt ß*T* = 1- e*(ßh* /ßp*h .
Sonderfälle sind
(1) konstante Stoffwerte: f! = TJ = >. = cP = 1, ß = 0
(2) keine Dissipation: Ec = 0.
Die weiteren Überlegungen werden zunächst für diese beiden Sonderfälle angestellt.
Dies schließt auch die natürlichen Konvektionsströmungen aus, da jetzt 1 - f! = 0
gilt. Sie werden in gesonderten Kapiteln für reine natürliche Konvektion (Kap. 8)
und für gemischte Konvektion (Kap. 9) behandelt.
Aufgrund der Ordnungen der Differentialgleichungen sind insgesamt fünf
Randbedingungen für u, v und iJ erforderlich. Diese sind (vgl. dazu Abschnitt 3.6)
(1) an der Wand: u, v und iJ entsprechen den jeweiligen Wandwerten (u = 0 :
ruhende Wand; v = 0: undurchlässige Wand in Ruhe; iJ = {}w für T:, = const,
bzw. (ßiJ/ßN)w = const für q~ = const)
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 129
(2) am Außenrand: asymptotischer Übergang von u und '19 in die Werte der rei-
bungslosen Außenströmung (beachte: keine Randbedingung für v am Außen-
rand)
Dieser asymptotische Übergang in die Außenströmung ist ein zentrales Element der
Grenzschichttheorie. Er spielt für deren Verständnis eine wichtige Rolle und soll
deshalb hier ausführlich erläutert werden.
Geht man noch einmal zur Gleichung (7.16) zurück, so ist zu erkennen, daß von
allen Reibungstermen (Terme mit der Viskosität 71) nur 8(1J8uf8N)f8N erhalten
bleibt. Dies aber auch nur, weil für die (asymptotisch) dünne Grenzschicht zuvor der
Übergang auf die GrenzschichtkoordinateN erfolgt war. In nicht transformierten
(x,y)-Koordinaten lautet dieser Term Re- 1 [8(7]8uf8y)f8y] und ist damit auch von
der Größenordnung o(1). Für die Außenströmung ist dies die asymptotisch richtige
Schreibweise, so daß dieser Term dort im Grenzfall Re ~ oo wie alle anderen
Reibungsterme vernachlässigbar klein ist. Physikalisch bedeutet das: Außerhalb der
Grenzschicht sind die Reibungseinflüsse (asymptotisch) klein, so daß die Strömung
für Re ~ oo als reibungsfrei betrachtet werden kann. Bedeutende Reibungseffekte
gibt es nur innerhalb der Grenzschicht.
Am Außenrand der Grenzschicht erfolgt der Übergang in ein Gebiet reibungs-
freier Strömung. Nun reicht diese reibungsfreie Strömung aber nicht bis zur Wand,
so daß man annehmen könnte, die Übergangsbedingung müßte ein Stück von der
Wand entfernt formuliert werden. Dies ist nicht der Fall! Weil die Grenzschicht
asymptotisch dünn ist, können die wandnahen Werte der Außenströmung direkt an
der Wand bestimmt werden, also unter Vernachlässigung der tatsächlich vorhande-
nen Grenzschicht. Der Fehler, der dadurch entsteht, ist nicht nur klein, sondern -
wie später gezeigt wird - asymptotisch klein.
Der Vorteil, die Werte der Außengeschwindigkeit direkt an der Wand bestim-
men zu können, liegt auf der Hand: Grenzschicht und Außenströmung müssen nicht
simultan durch ein Iterationsverfahren bestimmt werden, sondern nacheinander.
Zuerst wird der Druck P(x, y) in der reibungsfreien Außenströmung berechnet. Die
Druckverteilung 8P/ ßx an der Wand ist die Vorgabe für die anschließende Grenz-
schichtrechnung. Da es sich um eine reibungsfreie Strömung handelt, ist mit der
Druckverteilung an der Wand auch unmittelbar die Geschwindigkeitsverteilung der
Außenströmung an der Wand gegeben. Aus den Euler-Gleichungen für reibungslose
Strömungen (s. (11.17) mit Re- 1 = 0 und U, V,P statt u,v,p), ausgewertet an der
Wand, folgt
(in der Außenströmung gelten die Größen U(x, y) und '!9a(x, y)) führt auf folgende
noch fehlenden Randbedingungen für die Grenzschichtgrößen u(x, N) und '!9(x, N):
t
y Bild 7.3: Außen- und Grenzschicht-
1
strömungsprofile in Wandnähe bei
steigender Reynolds-Zahl
Außenströmung (grau unterlegt);
Grenzschicht (Pfeil-Kennzeichnung)
obere Reihe: y-Koordinate, Außenströ-
mung bleibt unverändert
untere Reihe: N-Koordinate, Grenz-
schicht bleibt unverändert
Anteil von Außen- und Grenzschichtströmung ist gleich der Geschwindigkeit der
Außenströmung an der Wand.
Für den Spezialfall der Plattenströmung mit U*(x*, y*) = U:X, vereinfacht sich Bild
7.4 erheblich. Die Außenströmung ist dann gleich dem gemeinsamen Anteil mit
der Folge, daß das Grenzschichtprofil selbst bereits dem zusammengesetzten Profil
entspricht.
(B7.1-1)
Dies zeigt, daß die der Grenzschicht aufgeprägte Außengeschwindigkeit tatsächlich der Wandwert
der Außenströmung U = 2 ist.
u: y*
Für die drehungsfreie Außenströmung gilt in einem der Kontur folgenden sog. natürlichen
Koordinatensystem X*, Y* (s. Bild B7.1) stets
au·)
( 8Y* U*(X*,O)
(B7.1-4)
Y*=O = R*(X*) '
wobei R*(X*) der lokale Krümmungsradius der Wand ist und Y* senkrecht von der Wand aus
zählt. Der Geschwindigkeitsgradient au• j8Y* der Außenströmung an der Wand ist also direkt
proportional zur örtlichen Wandkrümmung. Anders als für den Kreiszylinder ist der Wandgradient
für die ebene Platte (R* = oo) also null.
(3) Die Grenzschichtgleichungen (7.19) bis (7.22) sind nicht explizit von der Rey-
nolds-Zahl abhängig. Eine Lösung dieser Gleichungen für eine bestimmte
Außengeschwindigkeit gilt (im asymptotischen Sinne) für alle großen Rey-
nolds-Zahlen. Die explizite Reynolds-Zahl Abhängigkeit der Grundgleichun-
gen (Navier-Stokes- und Energiegleichungen) ist für große Reynolds-Zahlen
gerade durch die Grenzschichttransformationen (7.13) und (7.14) berücksich-
tigt worden. Die Rücktransformation der Ergebnisse in die "physikalischen"
Variablen (x*, y*) ergibt dann die explizite Reynolds-Zahl-Abhängigkeit der
Ergebnisse. Für die Wandschubspannung gilt aufgrunddes Newtonsehen Rei-
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 133
Die Größe (8uj8N)w ist eine Funktion nur von x, die Größe (8{)j8N)w
zusätzlich eine Funktion der Prandtl- und Eckert-Zahl.
(4) Während die u-Komponenten der Grenzschicht- bzw. Außenströmung anein-
ander angepaßt sind ((7.23) und Bild 7.3)), gilt dies nicht für die V-Kompo-
nenten, wie folgendermaßen gezeigt werden kann:
Aus den Kontinuitätsgleichungen für die Außenströmung (8Uj8x +
8Vjoy = 0) und für die Grenzschicht (oufox + ovjoy = 0) folgt durch
Integration mit V(x, 0) = v(x, 0) = 0
V
(x, y ) _V( )_
x, y -
J y
[8U(x,y) _ ou(x,y)] d
OX ox y. (7.27)
0
Hierbei ist V:= VRe 112 . Die rechte Seite von (7.28) ist nur in Ausnahmefällen
gleich null, so daß für die meisten Grenzschichten auch im Grenzfall Re---+ oo
eine am Grenzschichtrand (N ---+ oo) nicht augepaßte Quergeschwindigkeit
verbleibt. Es ist aber zu beachten, daß diese Differenzgeschwindigkeit v- V von
der Größenordnung O(Re- 112 ) ist, der "Fehler" in der Quergeschwindigkeit
also asymptotisch klein ist.
(5) Die Grenzschichtgleichungen gelten exakt im Grenzfall Re = oo (besser ge-
schrieben als Re- 1 = 0). Für endliche Reynolds-Zahlen gelten sie nähe-
rungsweise mit einem asymptotisch kleinen Fehler (d.h. einem Fehler, der für
Re---+ oo zu null wird). Die Grenzschichtgleichungen (7.19) bis (7.22), wie sie
ursprünglich von Prandtl (1904) formuliert worden sind, stellen den führen-
den Term einer systematischen asymptotischen Entwicklung dar, wie in Kap.
11 näher ausgeführt wird.
134 K. Gersten/ H. Herwig
7.4 Grenzschicht-Kenngrößen
Neben den unmittelbar anschaulichen Grenzschichtdicken 8* und 8r
nach (7.2) bzw.
(7.5) können für Grenzschichten weitere "Dicken" definiert werden, die ein direktes
Maß für die Wirkung der Grenzschichten im wandnahen Bereich sind.
(2) Verdrängungsdicke 8i
Da das Fluid in unmittelbarer Wandnähe durch die Grenzschicht eine geringere
Geschwindigkeit besitzt, liegt hier nur ein (gegenüber dem reibungslosen Fall) ver-
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 135
minderter Massenstrom vor. Alle Stromlinien, auch diejenigen außerhalb der Grenz-
schicht, verschieben sich deshalb durch die Verzögerungswirkung der Grenzschicht
ein Stück nach außen.
on
STROMLINIE
.::_
...
. f
=
Grenzschicht (B)
6j Verdrängungsdicke A
' / //
Bild 7.5 verdeutlicht diese Wirkung. Es wird dabei angenommen, daß die Grenz-
schicht von A nach B "zugeschaltet" werden kann (bzw. daß von A nach B der
Wechsel von Re = oo auf eine endliche Reynolds-Zahl erfolgt). Die reibungslose
Außenströmung wird um einen Betrag 8r nach außen verdrängt. Aus diesem Grunde
heißt 8r Verdrängungsdicke. Sie kann durch Integration über U*(x*) - u*(x*, y*)
bestimmt werden, wie Bild 7.5 anschaulich zeigt. Es gilt (wenn h* die Grenzschicht
vollständig erfaßt)
h*
(7.30)
Die Verdrängungsdicke 81 ist eine asymptotisch kleine Größe mit 81 -> 0 für
Re -> oo. Nach der Transformation auf die Grenzschichtvariable N entsteht als
transformierte Verdrängungsdicke der Größenordnung 0(1)
(7.31)
Damit gilt nach (7.28) für die Differenz der Quergeschwindigkeiten am Außenrand
der Grenzschicht ii - V = d(U8 1 )/ dx.
136 K. Gersten/ H. Herwig
(3) Impulsverlustdicke 82
J
00
82 ·=
•
82Re 112
L*
= (1 - ~)
U U
~ dN (7.32)
0
Durch den verminderten Massenstrom in Wandnähe ist auch der Strom kine-
tischer Energie geringer, und zwar um den Betrag J(U* 2 - u* 2 )dm*. Dieser
"fehlende" Energiestrom entspricht dem Energiestrom einer Schicht der Dicke 83
in der Strömung ohne Grenzschicht, also U* 2 m3 = U* 2 r/ U* B* 83. Die für
den Energiestrom-Verlust charakteristische Größe 83 folgt damit aus U* 2 m3 =
f(U* 2 - u* 2 )dm* zu
j (1 - Uu2 ) ~U dN
00
83 ·= 83 Rel/2 = (7.33)
. L* 2
0
8 ·=
h •
oj; R 1/2 =
L* e
J
00
0
h- he ~ dN
hw - he U
(7.34a)
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 137
c ·= 8f R 1/2 =
vT . L* e
J00
T- Te u dN
T - T U
w e
' (7.34b)
0
die für h = cPT mit cP = 1 (d.h. c; = const) in die Definition von Eh übergeht.
Anmerkung 1 ( Formparameter)
Verschiedene Verhältnisse zweier Dicken werden als sog. Formparameter eingeführt, weil ihre
Zahlenwerte die Form der Profile charakterisieren. So definiert man
Für die Definition der verschiedenen Dicken wird der asymptotische Charakter der Grenzschicht-
strömungen unterstellt. In allen Definitionen treten deshalb die Wandwerte der Außenströmung
auf. Für die Anwendung bei endlichen Reynolds-Zahlen kann genau dies problematisch werden.
Wird z.B. durch Messungen ein Profil wie in Bild 7.1 (linkes Profil) ermittelt, so ist die Bestimmung
z.B. von 81 nach (7.29) nicht ohne weiteres möglich. Anstelle von f[U*(x*, 0)- u*(x*, y*)J dy* ist
dann das Integral f[U*(x*, y*)- u*(x*, y*)J dy* auszuwerten, wobei U*(x*, y*) durch Extrapola-
tion der Geschwindigkeit über die Grenzschicht hinweg bis zur Wand gewonnen werden muß. Bild
7.1 zeigt, daß für steigende Reynolds-Zahlen sowohl der Grenzschichtrand als auch der Wandwert
der Außenströmung immer besser identifiziert werden können. In diesem Sinne unproblematisch ist
lediglich die Plattenströmung, da die Geschwindigkeit der Außenströmung im ganzen Feld konstant
ist.
Für die praktische Anwendung ist die Verdrängungsdicke der Grenzschichtdicke vorzuzie-
hen, da sich die genannten Probleme am Außenrand bei der Integration über das ganze Profil er-
heblich weniger auswirken, als dies bei der Festlegung des Außenrandes gemäß des 99 %-Kriteriums
bei 8* der Fall ist. Trozdem muß auch dabei für Strömungen an gekrümmten Wänden U*(x*) durch
Extrapolation aus U* (x*, y*) gewonnen werden.
138 K. Gersten/ H. Herwig
y*
o*(x,*)
nY~~~~~T-7n/.~~n7,ryT
(7.36)
_ 8~ udu
a2 - UN dx'
(7.39)
"' _ uN8~ dt?N "' _ u~
._.5 - ~ dx ' ._.6 - t?N .
Die Gleichungen (7.37) bis (7.39) sind weiterhin ein System partieller Differential-
gleichung und stellen zunächst nur eine formale Transformation des Grenzschicht-
gleichungssystems (7.19) bis (7.22) - allerdings für konstante Stoffwerte - dar. In
der neuen Form lassen die Gleichungen sofort erkennen, wann eine Selbstähnlichkeit
des Systems vorliegt. Mit Ausnahme von a 4 müssen alle ai aus (7.39) Konstanten
sein, dürfen also nicht von x abhängen. Dann gilt f = f(TJ) und J = J(TJ), d.h.
(7.37) und (7.38) werden zu gewöhnlichen Differentialgleichungen, also
!"' + adf" + a2- a3!' 2 = 0 (7.40)
(7.42)
Am Außenrand der Grenzschicht gilt nach (7.42) mit u = U(x) für die Stromfunk-
tion f' = U(x)/UN(x). Damit ist f' nur dann frei von x, wenn UN = G U(x) gilt.
Mit G = 1 ist a 2 = a 3 , so daß mit a 1 = const, a 2 = const zwei gewöhnliche
Differentialgleichungen zur Bestimmung von 8N(x) und UN(x) = U(x) verbleiben.
Die Zahlenwerte der Konstanten sind frei wählbar, müssen anschließend aber selbst-
verständlich konsequent beibehalten werden.
Es ist sofort zu erkennen, daß die Gleichungen erfüllt sind, wenn 8N und UN
Potenzfunktionen von x sind. Dies ist allerdings keine notwendige Bedingung, wie
eine ausführliche Darstellung aller selbstähnlichen Lösungen in Evans (1968) zeigt.
Es können also folgende Ansätze gewählt werden:
(7.43)
woraus folgt
(7.44)
(7.45)
Zwei Konstanten können frei gewählt werden. Es ist in der Literatur üblich,
a 1 =Gm = 1 zu setzen, woraus unmittelbar folgt
Gn=J 2
m+1
=~. (7.46)
Mit (7.46) wurde die Größe ß = 2m/(1 + m) eingeführt, die später Verwendung
findet. Durch Gm = 1 ist ein Zusammenhang zwischen den Bezugsgrößen Uß und
L * hergestellt. Die Bezugsgeschwindigkeit Uß ist die (Außen-) Geschwindigkeit bei
x* = L*, also Uß = U*(L*).
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 141
Die Gleichung (7.47) wurde 1931 von V.M. Falkner und S.W. Skan entwickelt (in
einer etwas anderen Form; mit Cn = Gm = 1) und heißt seitdem Falkner-Skan-
Gleichung, die zugehörigen Geschwindigkeitsprofile heißen Hartree-Profile.
Als physikalische Besonderheit zeichnet diese Strömungen das Fehlen einer
endlichen Bezugslänge aus. Dimensionsanalytisch gesehen fehlt gegenüber Fällen
mit einer endlichen Bezugslänge damit eine Einfl.ußgröße, was zur Folge hat, daß
eine dimensionslose Kennzahl weniger auftritt. In Fällen, bei denen eine endli-
che Bezugslänge L * existiert, kann die dimensionslose Kennzahl x* / L * zur Cha-
rakterisierung der verschiedenen Profilformen an verschiedenen Stellen x* gelten.
Bei selbstähnlichen Strömungen fehlt diese Kennzahl - die Profilformen sind un-
abhängig von x*.
Die trotzdem formal zur Entdimensionierung benutzte Länge L * ist bei
selbstähnlichen Strömungen willkürlich gewählt und fällt beim Übergang auf eine
dimensionsbehaftete Darstellung heraus.
Als anschauliches Beispiel für eine selbstähnliche Strömung kann die Grenz-
schicht an der halbunendlichen Platte dienen. Es existiert keine endliche Länge,
die für die Geometrie charakteristisch ist. Dies ist z.B. bei der Umströmung ei-
nes Kreiszylinders anders. Der Zylinderradius ist eine charakteristische Länge, die
Strömungsgrenzschichten sind nicht selbstähnlich.
Ein Exkurs in die Potentialtheorie zeigt, daß es eine Reihe von Außenströmun-
gen gibt, die selbstähnliche Grenzschichten ermöglichen. Die Größe ß als einziger
Parameter in (7.47) kann direkt zur Unterscheidung verschiedener Strömungen ver-
wendet werden und unmittelbar zur Charakterisierung der reibungslosen Strömung
dienen.
Bei allen diesen Strömungen handelt es sich um eine Potentialströmung
entlang halbunendlicher Wände, die von einer Stelle x* = 0 bis x* ----> oo
reichen. Bild 7. 7 zeigt drei typische Strömungen dieser Art, die alle zu einer
Geschwindigkeitsverteilung U = xm (mit m = ß/(2- ß)) an der Wand führen.
Diese Strömungen und die zugehörigen (selbstähnlichen) Grenzschichten können
als (asymptotische) Näherungen realer Strömungssituationen, die stets an endlichen
Geometrien vorliegen, verwendet werden. Von besonderer Bedeutung sind in diesem
Zusammenhang die Platten- und die Staupunktströmung als Spezialfälle der sog.
Keil-Strömungen (s. Bild 7.7), die anschließend genauer behandelt werden.
142 K. Gersten/ H. Herwig
~··
I
I
I
I
~
···~~ -~
>)///?7/?AV//JJ/J//?
In bezug auf die Keil-Strömungen sei noch einmal betont, daß es sich nicht um
die Umströmung eines endlichen Keiles handelt, was insbesondere bedeutet, daß
es in der Anordnung nach Bild 7. 7b keine konstante Anströmgeschwindig keit des
Keiles gibt. Die Potentialströmung in der oberen Hälfte des Strömungsfeldes ist
symmetrisch zu der gestrichelt angedeuteten Winkelhalbierenden, so daß auch in
der Anströmung auf der Staupunktstromlinie eine Geschwindigkeitsver teilung als
Potenzfunktion in m vorliegt. Als Sonderfall tritt die Plattenströmung auf, wenn
der Keil für ß = 0 zur halbunendlichen Platte "entartet" und im ganzen Feld eine
konstante Geschwindigkeit herrscht.
Die Falkner-Skan-Gleich ung (7.47) ist eine nichtlineare Differentialgleichung
und kann im allgemeinen nur numerisch gelöst werden. Im weiteren interessieren
ausgewählte Daten, die zur Bestimmung der Wandschubspannun g, Verdrängungs-,
Impuls- und Energieverlustdicke dienen. Unter Berücksichtigung von (7.35), (7.36)
gilt mit (7.25) und (7.31) bis (7.33) bei Verwendung von UN = U = xm und
8N = J2/(m + 1)xCl-m)/ 2
00
(7.51)
00
Grenzschicht daten
ß m Strömung
t:: ßl ß2 ß3
-0,1988 -0,090 Ablöseprofil 0,0 2,3586 0,5854 0,8870
0,0 0,0 Ebene Platte 0,4696 1,2168 0,4696 0,7385
0,5 0,333 Keil-Strömung 0,9277 0,8045 0,3503 0,5645
1, 0 1, 0 Staupunkt 1,2326 0,6479 0,2923 0,4753
00 - 1,0 Senken-Strömung• l 1,1547 0,7785 0,3762 0,6229
0 0.5 1.2
{" r
Bild 7.8: Ergebnisse aus der Lösung der Falkner-Skan-Gleichung für vier verschiedene Werte von
ß = 2m/(l + m); u• ;u· = =
/'(TJ)i erRe112 v'2(m + l)x(3m-1)/2 /"(0)
Für weitere selbstähnliche Lösungen sei auf die sehr ausführliche Darstellung aller
selbstähnlichen Lösungen in Evans (1968) verwiesen.
144 K. Gersten/ H. Herwig
J
L*
W*
ß* = Tw
* dX * '
0
Cw
2W*
:= e*U*2L·B· =
J 1
Cf
d
X=
rr.
2v2fwRe
II -1/2
= 1,328
R -1/2
e . (7.53)
B 0
Diese Lösung wurde erstmals von Blasius (1908) gefunden, weshalb diese Strömung
Blasiussche Plattenströmung genannt wird.
Eine genauere asymptotische Betrachtung zeigt allerdings, daß die Beziehung
(7.53) durchaus problematisch ist, weil die Grenzschichtgleichungen, die der Falkner-
Skan-Gleichung (7.47) zugrunde liegen, in der Nähe der Vorderkante (und in der
Nähe der Hinterkante der Platte endlicher Länge) in einem asymptotisch kleinen
Gebiet ungültig sind!
In der Nähe der Vorderkante liegt für die Grenzschichtgleichungen ein sin-
guläres Verhalten vor, weil cfRe 112 "' x- 112 für x ~ o+ unendlich große Werte
annimmt. Da im Sinne der Grenzschichttheorie gleichzeitig Re~ oo gilt, kann we-
gen cf "' (xRe)- 112 geschlossen werden, daß die Grenzschichttheorie versagt, wenn
xRe = 0(1) bzw. x = O(Re- 1 ) gilt. Tatsächlich muß in einer Umgebung O(Re- 1 )
die Strömung durch die vollständigen Navier-Stokes-Gleichungen beschrieben wer-
den. Da dieses Gebiet aber asymptotisch klein ist, führt die asymptotisch korrekte
Betrachtung lediglich zu einem additiven Term der Größenordnung O(Re- 1 ) in
(7.53), wie dies z.B. von Veldmann (1976) beschrieben worden ist, s. auch die nach-
folgende Anmerkung.
Imai (1957) zeigt mit Hilfe einer globalen lmpulsbilanz, daß der zweite Term des asymptotischen
Widerstandsgesetzes eine Folge der Verdrängungswirkung der Blasiusschen Grenzschicht ist und
deshalb unmittelbar mit dem Wert ß 1 nach (7.50) zusammenhängt, s. dazu auch die Diskussion in
Van Dyke (1975a, S. 138). Liegt die stromabwärtige Kontrollraumgrenze für diese Impulsbilanz bei
großen Werten von x*, so liegt mit Rex = U::C,x* fv* dort eine Lösung bei großen Reynolds-Zahlen
vor, die asymptotisch beliebig genau durch die Blasiussche Plattenströmung beschrieben wird. Mit
ß 1 = 1, 2168 (s. Tab. 7.1) und ßf7r/2 = 2, 326 gilt nach Imai (1957) für die halbunendliche Platte
Der Term O(Re- 1 ) ist aber nicht etwa ebensogut durch Integration der Schubspannungsverteilung
der Grenzschicht 2. Ordnung zu gewinnen, da diese an der halbunendlichen Platte nicht existiert,
s. dazu Beispiel 11.3 in Kap. 11.
Er entsteht vielmehr durch Integration der Schubspannungsverteilung längs der Wand,
die in der Nähe der Vorderkante durch die Lösung der vollständigen Navier-Stokes-Gleichungen
bestimmt werden muß, s. dazu van de Vooren and Dijkstra (1970).
Eine ähnliche Situation tritt an der Hinterkante einer Platte endlicher Länge
auf. Hier entsteht eine Singularität bei x = 1, weil die Haftbedingung "plötzlich"
nicht mehr gilt und für x > 1 durch eine Symmetriebedingung im Nachlauf
ersetzt wird. Dies hat Auswirkungen auch für x < 1, und zwar wieder in einem
asymptotischen Sinne, diesmal für x-Werte (1 - x) = O(Re- 318 ). Eine genauere
Betrachtung (Dreier-Deck-Theorie, s. Abschnitt 11.6.2) ergibt eine Korrektur in cw
von der Größenordnung O(Re- 718 ), die damit größer als die Vorderkantenkorrektur
ist.
Insgesamt gilt (mit den konkreten Ergebnissen aus der Dreier-Deck-Theorie)
Der Fehlerterm O(Re- 1 ) enthält nicht nur die Vorderkantenkorrektur nach (7.54),
sondern auch eine weitere Korrektur aus der Hinterkantenbetrachtung (Dreier-
Deck-Theorie 2. Ordnung, s. Kap. 11.6.2). Bild 11.7 in Kap. 11 zeigt, daß erst
durch (7.55) für kleine Reynolds-Zahlen eine befriedigende Übereinstimmung mit
Meßwerten erzielt werden kann. Gleichzeitig zeigt dieses Bild aber auch eine ganz
unerwartet gute Übereinstimmung mit Meßwerten für Reynolds-Zahlen bis in die
Nähe von Re= 10. Es darf schließlich nicht übersehen werden, daß auch (7.55) nur
asymptotisch für Re --+ oo gilt.
d(U* /U~)
u := !!..:.._ = (dU) X + ... = BX + ... ' B= . (7.56)
U:XO dx 0 d(x* / L*)
Für die Staupunktströmung gilt U := U* /Uß = x, so daß ein Vergleich mit (7.56)
für die Bezugsgeschwindigkeit Uß ergibt
Uß =BU~. (7.57)
Dieser Zusammenhang erlaubt es, die Ergebnisse (7.49) bis (7.52) von den Be-
zugsgrößen L *, Uß auf die Bezugsgrößen L *, U~ der realen Strömung umzuschrei-
ben. Es gilt (UN = x, 8N = 1, Cfoo := 2r;,/ e*U~2 ' Reoo = e*U~L* /ry*)
cfoo Re1/2
oo = 2xfw"B3/2 (7.58)
(5ioo = ßiB- 112 , i = 1, 2, 3 (7.59)
was erwartungsgemäß mit dem Ergebnis aus der vollständigen Lösung überein-
stimmt, vgl. White (1974, S. 179).
Gleichung (7.60) bestätigt gleichzeitig, daß der Druckgradient quer zur Grenz-
schicht asymptotisch klein ist, nämlich von der Größenordnung O(Re- 1 ).
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 147
Anmerkung (Barker-Effekt)
Gleichung (7.60) kann überN integriert werden und führt direkt zur Druckverteilung auf der sog.
Staulinie (bei x• = 0). Ausgedrückt durch den Gesamtdruck p; = p* + e*(u* 2 + v* 2 )/2 in Form
des dimensionslosen Gesamtdruckes Pg := p;/(e•u;,,2) gilt danach
f"w
Die Geschwindigkeitsprofile für verschiedene ß- Werte aus -0, 1988 < ß < 0 haben
qualitativ den Verlauf wie entsprechende Profile unmittelbar vor bzw. hinter der
Ablösestelle einer nicht selbstähnlichen ablösenden Grenzschichtströmung. Eine ge-
nauere Betrachtung zeigt aber, daß in der Umgebung der Ablösestelle die Strömung
nicht einfach durch diese Profile beschrieben wird, sondern die Verhältnisse erheb-
lich komplizierter sind (s. dazu Abschnitt 11.7).
Trotzdem haben diese selbstähnlichen Profile mit Rückströmung ihre eigene
Bedeutung in Integralverfahren (s. dazu Abschnitt 7.6).
_ N N
TJ= ---- = -, (7.63)
8N(X) X
Die Gleichung hat eine einfache analytische Lösung, vgl. Schlichting (1982, S. 168).
Die wichtigsten Zahlenwerte der Lösung sind Tab. 7.1 zu entnehmen, in der statt J.:;
1.:;
geschrieben wird.
Wird eine ebene Platte in ruhender Umgebung mit der konstanten Geschwindigkeit
u; bewegt, so entsteht wegen der Haftbedingung in Wandnähe eine Grenzschicht,
wie in Bild 7.10 skizziert. Die konstante Wandgeschwindigkeit bietet sich sowohl als
Bezugs- als auch als Normierungsgeschwindigkeit an, so daß UN = 1 = const gesetzt
wird. Mit m = ß = 0 lautet die allgemeine Gleichung (7.47) jetzt
f II/ + f f = 0,
II TJ = 0 : f = !' - 1 = 0, TJ ---+ 00 : !' = 0 · (7.65)
Gegenüber der augeströmten ebenen Platte sind also lediglich die Randbedingungen
bezüglich f' an der Wand und für TJ ---+ oo vertauscht.
150 K. Gersten/ H. Herwig
--- ------
u.*w
Bild 7.10: Geschwindigkeitsprofil an einer
gezogenen Platte
Man könnte vermuten, daß damit die Lösung für das Geschwindigkeitsprofil 1 - /~ 1
lautet (!~ 1 ;:;: Blasiussche Plattenströmung). Dies gilt jedoch nicht, was physika-
lisch leicht einzusehen ist. Gleichung (7.65) beschreibt das Gleichgewicht zwischen
Reibungs- und Trägheitskräften. Da die Trägheitskräfte eine nichtlineare Funktion
der Geschwindigkeit sind, können sie an vergleichbaren Stellen einer augeströmten
bzw. gezogenen Platte nicht gleich groß sein. Man kann sich leicht überlegen, daß
die Trägheitskräfte in vergleichbaren Fällen bei der gezogenen Platte in Wandnähe
größer als bei der augeströmten Platte sind, was zu größerer Wandschubspannung
und damit zu größeren Werten für 1.::
führt. Der Wert für die gezogene Platte ist
J.:;= -0,6276, woraus mit c5N = ffx aus (7.49) unmittelbar der Widerstandsbei-
wert er folgt. Ein direktes Maß für den Volumenstrom V* auf der Tiefe B* ist f( oo ).
Es gilt
V* [2X
U*B*L* =yRef(oo), f(oo) = 1,1426. (7.66)
w
Es sei darauf hingewiesen, daß diese Lösung nur für eine Plattenanordnung gilt,
wie sie in Bild 7.10 skizziert ist. Dabei ist wichtig, daß die gezogene Platte
aus einer Wand heraustritt (und damit den Ursprung des Koordinatensystems
festlegt). Dieser Wandaustritt hat eine ähnliche Funktion wie die Vorderkante
einer augeströmten Platte. Beide ermöglichen erst eine stationäre Lösung in einem
ortsfesten Koordinatensystem.
b Wandstrahl
In Abschnitt 7.1 wurde die Ausbildung einer Grenzschicht als Folge des Zusammen-
wirkens von konvektivem Impulsstrom in Strömungsrichtung und viskosem Impuls-
stromquer dazu veranschaulicht. In den bisherigen Beispielen wurde der konvektive
Transport dabei entweder durch eine Außenströmung oder eine bewegte Wand be-
wirkt.
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 151
Eine physikalisch vergleichbare Situation tritt auf, wenn der konvektive Im-
pulsstrom durch einen parallel zur Wand ausgeblasenen (ebenen) Strahl hervorge-
rufen wird. Betrachtet man den Grenzfall, in dem das Verhältnis der Transportge-
schwindigkeiten beider Effekte sehr groß ist, so hat diese Strömung wieder Grenz-
schichtcharakter und wird durch die Grenzschichtgleichungen (7.19) bis (7.21) be-
schrieben. Dies ist der Grenzfall sehr großer Reynolds-Zahlen, wie (7.3) zeigt.
In Bild 7.11a ist die Anordnung skizziert. In diesem Bild wird davon aus-
gegangen, daß der Strahl am Austritt das symmetrische Profil einer ausgebildeten
Kanalströmung (Kanalhöhe 2H*) aufweist. Für x* > 0 wird dieser Strahl zu ei-
nem Wandstrahl, der jetzt unsymmetrisch werden muß, da auf der Wandseite die
Haftbedingung gilt, auf der Außenseite aber der asymptotische Übergang in die ru-
hende Umgebung erfolgt. Die beiden eingezeichneten Profile sind erkennbar nicht
selbstähnlich. Für große Lauflängen (x* I H* ---> oo) ist aber zu erwarten, daß die Prcr
file selbstähnlich werden, da der Einfluß des Strahlanfanges (x* I H* = 0) abklingt.
Die selbstähnliche Lösung für x• I H* ---> oo ist für endliche, aber große Lauflängen
eines realen Wandstrahles eine gute Beschreibung. Den Bereich des realen Wand-
strahles, der durch die asymptotische Lösung für x* I H * ---> oo beschrieben wird,
nennt man Fernfeld. Im sogenannten Nahfeld, das häufig nur eine x* -Erstreckung
von wenigen Kanalhöhen besitzt, kommt es zu einer starken Umbildung des Profiles
vom Austrittsprofil zum "Fernfeldprofil". Nah- und Fernfeld sind also Begriffe, die
sich auf den realen Strahl beziehen. Eine genauere Analyse unter asymptotischen
Gesichtspunkten unterscheidet nach Nah-, Übergangs- und Fernfeld, wie dies z.B.
beim turbulenten Freistrahl im Kap. 19 geschieht.
I NAHFELD I
i
FERNFELD
~
(o )
Bild 7.11: Geschwindigkeitsprofile des
Wandstrahles
2H*IJ ------ ----
(a) realer Wandstrahl ~· ~>77777777777~/7777777777
(Koordinate: x•) ' *
(b) fiktive Ersatzströmung
VIRTUELLER ' x ~ (b)
URSPRUNGL --- --- -- -----
(Koordinate: x*)
L // ~ -
Schraffiert: Übergangsbereich zwischen
Nah- und Fernfeld
x*
die fiktive Ersatzströmung das Fernfeld des realen Strahles richtig wiedergibt. Die
Lage des virtuellen Ursprungs ist damit abhängig vom Umbildungsprozeß der realen
Strömung im Nahfeld und wird für verschiedene Austrittsprofile verschieden sein.
Das in Bild 7.11 unterstellte "Kanalprofil" im Austritt ist nur ein Beispiel für ein
x
Anfangsprofil, das auch ganz anders aussehen kann. Mit wird eine neue Koordi-
nate eingeführt, deren Ursprung im virtuellen Ursprung liegt (s. Bild 7.11). In der
konkreten Anwendung kann die Lage des virtuellen Ursprungs aus der Kenntnis der
Profile an zwei verschiedenen Querschnitten im Fernfeld bestimmt werden.
Das Vorgehen zur Ermittlung der selbstähnlichen Lösung erfolgt zunächst
ganz analog zu den Wandgrenzschichten und geht von den transformierten Grenz-
schichtgleichungen (7.37) bis (7.39) aus. Im Unterschied zu den Wandgrenzschichten
ist jetzt U = 0 (keine Außenströmung), so daß a 2 = 0 gilt. Es verbleiben a 1 und a 3
als Konstanten in den gewöhnlichen Differentialgleichungen für 8N und UN. Wählt
man wieder als Potenzansätze
(7.67)
(7.68)
Anders als bei den Wandgrenzschichten kann hier zunächst nur eine Konstante
frei gewählt werden. Mit a 1 = 1 (aber nicht zusätzlich Gm = 1) lautet die
Differentialgleichung für f(ry) gemäß (7.37) bzw. (7.40)
Diese Gleichung sieht ähnlich wie die Falkner-Skan-Gleichung (7.47) aus, zeigt aber
zusammen mit den Randbedingungen (7.70) ein ganz anderes Lösungsverhalten.
Zunächst fällt auf, daß f = 0 eine Lösung des Systems ist, da die Differentialglei-
chung und alle Randbedingungen homogen sind. Diese triviale Lösung ist offensicht-
lich nicht die gesuchte Lösung, so daß noch mindestens eine andere nicht-triviale
Lösung als sog. Eigenlösung der Differentialgleichung existieren muß. Da (7.69) noch
einen freien Parameter ß enthält, könnte man vermuten, daß abhängig von ß unend-
lich viele Lösungen existieren, so wie die Falkner-Skan-Gleichung für verschiedene
ß- Werte jeweils verschiedene Lösungen hat. Andererseits gibt es beim Wandstrahl
jedoch keinen Geometrieparameter, der mit ß verknüpft werden könnte.
Tatsächlich zeigt sich, daß nicht-triviale Lösungen von (7.69) mit den Rand-
bedingungen (7.70) nur für den Wert ß = -2 existieren. Dies wurde von Glauert
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 153
(1956) auch auf analytischem Wege gefunden. Nach einer zweimaligen Integration
der Differentialgleichung und der (physikalisch sinnvollen) Annahme, daß f' ;::: 0
(keine Rückströmung) gilt, konnte er zeigen, daß ß als Eigenwert der Differential-
gleichung nur den Wert -2 annehmen kann. Damit gilt also m = -1/2 und n = 3/4.
Die Lösung für ß = -2 ist aber zunächst nicht eindeutig, da Aj0 (A17) eine Lösung
ist, wenn j 0 (17) die Differentialgleichung (7.69) und die zugehörigen Randbedingun-
gen erfüllt. Ohne Einschränkung der Allgemeingültigkeit kann aber die Konstante
Aso gewählt werden, daß z.B. f(oo) = 1 gilt.
Als ein weiteres entscheidendes Ergebnis folgt aus der Studie von Glauert, daß
der Wandstrahl durch eine Größe F* charakterisiert werden kann. Diese lautet
j u* ( j u*
00 00
und ist eine x* -unabhängige konstante Größe des Wandstrahls, die deshalb als
Wandstrahlkonstante F* bezeichnet werden soll. Diese Größe selbst ist physikalisch
schwer zu interpretieren, entspricht aber bis auf einen Zahlenfaktor dem Produkt
aus dem Volumenstrom und dem kinematischen Strahlimpuls, s. (7.80).
Mit dieser Größe F* kann eine Bezugsgeschwindigkeit Uß definiert werden.
Es gelte
(7.72)
Die Bezugslänge L * kann willkürlich festgelegt werden (da keine ausgezeichnete
physikalische Länge existiert), muß anschließend aber selbstverständlich beibehalten
werden. Damit ist dann die Wandstrahl-Reynolds-Zahl Re= UßL* jv* definiert.
Durch die Wahl von a 1 = 1 wurde zusammmen mit dem Exponenten
m = -1/2 gemäß (7.45) nur das Produkt C~Cm = 4 bestimmt. Die Konstante
Gm folgt aus der Definition von F*, (7.71), unter Verwendung von Uß nach (7.72).
Es gilt
(7.73)
In (7. 73) wurde das Integral in der inneren Klammer aus der Lösung der Diffe-
rentialgleichung (7.69) zu 1/10 bestimmt. Aufgrund der Bedingung C~Cm = 4 gilt
dann
5
Cn = ( 32Re
)-1/4 (7.74)
Dies ist nun insofern ein bemerkenswertes Ergebnis, als es zeigt, daß 8N = Cnxn
und UN = Cmxm als Normierungsfunktionen selbst noch von der Reynolds-Zahl
abhängen! Dies bedeutet aber nichts anderes, als daß die mit der Variablen N nach
(7.13) unterstellte Re 112-Abhängigkeit für den Wandstrahl nicht mehr zutrifft.
154 K. Gersten/ H. Herwig
i:*
_u ( II *
) 1/2 Re-3/4
rv - (7.75)
L* UßRe1/2 L* - .
Wegen TJ = Nf6N = 0(1) und TJ "' y* /6* folgt dies für den Wandstrahl auch
unmittelbar aus N nach (7.13) und 6N = O(Re- 114).
Für die Wandschubspannung des Wandstrahles gilt wieder (7.49), also mit ÖN
und UN des Wandstrahles und dem numerischen Ergebnis = 2/9 1::
1/4
Re-1/4 - ~ ( 125 ) x
-5/4 - 0 442 -5/4
- ' x . (7.76)
er - 9 8
Für den sog. kinematischen Impuls K*, definiert mit dem Strahlimpuls I* als
00
4
K* :=I* = B* Ju* 2dy*, [K*]-~ (7.78)
e* 0
- s2 '
1/ 4
K* - (250Re)
·- Uß2B*L*-
K .- -X-
"
fw' f w" = ~9' (7.79)
y'1 + g + g2 g/3
TJ = In
1-g
+ v'3 arctan - -.
2+g
(7.81)
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 155
a Trennungsschicht
Ersetzt man in Gedanken die Platte bei der Blasiusschen Plattenströmung durch
eine ruhende Umgebung, so entsteht wiederum eine Grenzschicht, die jetzt aber am
unteren Rand nicht durch eine Haftbedingung begrenzt ist, sondern asymptotisch in
die ruhende Umgebung übergeht. Es entsteht also eine Strömungssituation, wie sie
in Bild 7.12 noch etwas verallgemeinert dargestellt ist: die untere Hälfte des Feldes
muß nicht in Ruhe sein, sondern kann eine von null verschiedene, aber konstante
Geschwindigkeit >.U* (0 ::; >. < 1) besitzen.
u* U*
- - - ---F=-...-1
r-----<w- - - - - - -
---
Bild 7.12: Geschwindigkeitsprofile
der Trennungsschicht; fiktive Ersatz-
strömung (Koordinate: x*) zur Be-
schreibung des Fernfeldes realer Scher-
schichten
A.U*
Dies ist wieder eine idealisierte Vorstellung, im Sinne einer fiktiven Ersatzströmung,
zur Beschreibung des Fernfeldes einer realen Strömung, da in der Realität kein
Geschwindigkeitssprung erzeugt werden kann, wie er bei x* = 0 unterstellt ist. Bei
der Anwendung der nachfolgenden Ergebnisse muß aus zwei Profilen im Fernfeld
des realen Strahles also zunächst wieder der virtuelle Ursprung bestimmt werden
(vgl. dazu die Ausführungen beim Wandstrahl).
Die selbstähnliche Lösung der Trennungsschicht gehorcht derselben Differen-
tialgleichung wie die Blasiussche Plattenströmung, aber mit anderen Randbedin-
gungen. Setzt man wieder Uß = U*, so gilt
Die dritte Randbedingung folgt aus einer globalen Impulsbilanz (s. Ting (1959)),
die für die V-Komponenten der Geschwindigkeit am oberen Rand (Ti -+ oo) bzw.
156 K. Gersten/ H. Herwig
am unteren Rand (ry - t -oo) den Zusammenhang V00 = ->.v_ 00 ergibt. Mit v nach
(7.42) sowie f' = 1 am oberen und f' = >. am unteren Rand folgt daraus die oben
aufgeführte dritte Randbedingung.
Der Spezialfall der Trennungsschicht mit >. = 0 wird auch als Strahlrand
bezeichnet, weil damit der Übergang in eine ruhende Umgebung beschrieben wird.
Aus der allgemeinen Beziehung v00 = ->.v_ 00 folgt, daß (nur) in diesem Fall die
v-Komponente am oberen Rand null wird, die ankommende Außenströmung also
unbeeinflußt bleibt. Das bedeutet aber, daß die Trennstromlinie mit wachsender
Lauflänge immer weiter nach unten verschoben werden muß, da immer mehr Fluid
oberhalb dieser Linie verzögert wird. Auf der Trennstromlinie gilt f = 0. Die Lage
der Trennstromlinie folgt also aus dem Wert ry, für den f = 0 gilt. Für den Strahlrand
"'o
(>. = 0) ist dies der Zahlenwert = -0,3740, so daß wegen 'Tl= yRe 112 !V'iX für
die Lage der Trennstromlinie YT := yf/ L * folgt: YT = -0, 529y'X/Re. Tabelle 7.2
enthält weitere Zahlenwerte aus der Lösung für den Strahlrand. Bild 7.13 zeigt den
Verlauf von YT und die Verteilung der v-Komponente am unteren Grenzschichtrand,
für die mit f_ 00 = -0,8757 aus Tab. 7.2 gilt: v_ 00 = 0, 8757 /V2XRe .
1) I !' !"
-+ 00 1) 1 0
0 0,2392 0, 6914 0,2704
-0,3740 0 0,5872 0,2825
-+ -00 -0,8757 0 0
y
u
Bild 7.13: u-Komponente der
Geschwindigkeit und V-Komponente
am unteren Rand für die Strahlrand-
Strömung
Trennstromlinie:
YT = -0, 529Jx/Re
V-Komponente am unteren Rand:
unterer Rand
~~~~~~~~~·-- v_ 00 =0,619/v'xRe
X
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 157
Statt (7.82) mit den dort angegebenen Randbedingungen zu lösen, kann die Funktion f in einer
transformierten Koordinate f] = TJ + a aus {7.82) mit der dritten Randbedingung f] = 0 : f = 0
berechnet werden. Die Koordinate f] zählt also von der Trennstromlinie aus, deren Lage im (x*, y* )-
Koordinatensystem zunächst unbekannt ist. Am oberen Rand, also für f] --+ oo, ergibt diese Lösung
z.B. für den Strahlrand (>. = 0) jetzt f]- f = 0, 3740. Da am oberen Rand für die Strahlrandlösung
f = TJ gilt, folgt daraus unmittelbar a = 0, 3740. Damit ist jetzt die Lage der Trennstromlinie
(fJ = 0) bekannt und das Ergebnis f(f]) kann in f(T/) umgerechnet werden.
lassen sich aus (7.82) sofort folgende Differentialgleichungen und Randbedingungen für fo und / 1
herleiten:
Es ist leicht zu erkennen, daß fo die homogene Strömung fo = f] bzw. fo = 1 ist, so daß (B7.2-3)
jetzt lautet
!{" + fJ!{' = 0. (B7.2-5)
Mit dem Ansatz J{' = C 1 exp[-f] 2 /2] kann C 1 aus der unteren Randbedingung zu C 1 = 1/v'27i
bestimmt werden. Eine einmalige Integration ergibt dann f{ (0) = -1/2. Für die Geschwindigkeit
bei f] = 0 gilt also
/'{0) = 1- ~e + O(e 2 ) = 1 + >. + 0((1- >.) 2 ). (B7.2-6)
2 2
In Bild B7.2 ist diese Asymptote für>.--+ 1 eingezeichnet.
1.0 r------------~
f'(O)
Bild B7.2: Geschwindigkeit auf der
Trennstromlinie der Trennungsschicht 0.5
(T/ = 0) für verschiedene Werte>.
>.:?o Verhältnis der Außengeschwin-
digkeit auf beiden Strahlseiten
(s. Bild 7.12) 0
0 0.5 1.0
158 K. Gersten/ H. Herwig
b Freistrahl
Entfernt man in Gedanken die untere Begrenzung des Wandstrahles, so entsteht
ein sog. Preistrahl, der in eine ruhende Umgebung ausgeblasen wird. Wie beim
Wandstrahl ist die selbstähnliche Grenzschichtlösung die fiktive Ersatzströmung
zur Beschreibung des Fernfeldes eines realen ebenen Freistrahles, weshalb wieder
x
die Koordinate eingeführt wird. Bild 7.14 zeigt diese Strömung. Eine Impulsbe-
trachtung ergibt wegen fehlender Begrenzungswände und des konstanten Druckes
im gesamten Strömungsfeld, daß der kinematische Impuls des Strahles konstant ist,
also
+oo
INAHFELD~ FERNFELD
1f·
/. ~
t~~x• = - lol
Bild 7.14: Geschwindigkeitsprofile des
Freistahles
(a) realer Freistrahl
.Y"k;.:::g;-- . ~-(b)
VIRTUELLER (Koordinate: x*)
URSPRUNG (b) fiktive Ersatzströmung
-~- (Koordinate: x*)
schraffiert: Übergangsbereich zwischen
Nah- und Fernfeld
(7.88)
Wie beim Wandstrahl liegt auch hier ein Eigenwertproblem vor, da f = 0 als
(triviale) Lösung möglich ist. Eine von null verschiedene Lösung existiert nur für
ß = -1, so daß zusammen mit n = (1- m)/2 für den Freistrahl m = -1/3 und
n = 2/3 gilt. Dies wiederum bedeutet aufgrundvon (7.83) und (7.84)
= [Re ( /+oo ,2 ) -
2 1 3
] 1 = (3 Re) 1/3 (7.89)
Gm 3 J d'rj 256
-oo
In (7.89) wurde das Integral aus der Lösung der Differentialgleichung zu 16/3
bestimmt. Aufgrund der Bedingung C~Cm = 3 gilt dann
Für den Freistrahl gibt es eine einfache analytische Lösung. Sie lautet (s. Schlichting
(1982, s. 180))
a Voriiberlegungen
Die zugehörigen Randbedingungen werden erst mit der Wahl von o: 5 und o:6
festgelegt. Wählt man als Ansatz für die Normierungsfunktion f}N analog zu (7.43)
(7.97)
so ergibt sich mit o:5 = 2rj(m + 1) und o:6 = x 2m-r /Cr für (7.95) und (7.96) jetzt
(7.98)
::011 ( ~,
v 11 +Pr jfJ 11 - -4m
- ! ,;;;v 11 ) + f 112 = 0 . (7.99)
m+1
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 161
TJ = 0 : 191 = 1, (7.100)
* L*
Nu := qw = Re 112 y'(m + 1)/2 x<m-l)/ 2 (-19' ) (7.101)
>.•(T;(x*)- T~) Iw
Tabelle 7.3 enthält Zahlenwerte zur Platten- und Staupunktströmung für beide
thermischen Randbedingungen und unterschiedliche Prandtl-Zahlen. Für die Stall-
punktströmung sind die Lösungen für r;
= const und q~ = const identisch, da in
beiden Fällen r = 0 gilt.
162 K. Gersten/ H. Herwig
-J;w
Plattenströmung (m = 0) Staupunktströmung (m = 1)
Pr r:, = const q:, = const r:, = const/q:, = const
(r = 0) (r = 1/2) (r = 0)
-+0 0, 798Pr 112 1, 253Pr1 12 0, 798Pr 112
0,1 0,1980 0,2838 0,2195
0, 7 0,4139 0,5740 0,4959
7 0, 9135 1,2525 1,1784
10 1,0297 1,4112 1,3388
-+ 00 0, 479Pr 113 0,656Pr 113 0, 661Pr 113
Tabelle 7.3: Wandwerte des Temperaturgradienten ( -ß;wl aus der Lösung von (7.98);
weitere Werte in Herwig und Wiekern (1986)
In Tabelle 7.3 sind die asymptotischen Ergebnisse für kleine bzw. große Prandtl-Zahlen angegeben.
Diese Ergebnisse erhält man, indem die in Bild 7.2 skizzierten Grenzfälle in entsprechend
transformierten Variablen beschrieben werden. Dies bedeutet bezüglich der Gleichung (7.98)
(a) für Pr-+ 0: 6.j. :» 6* -+I= 1J
Die Transformation auf Tj = 1JPr112 ergibt für die Energiegleichung mit · ~ 8/8Tj
~ ~ 2r ~
fli . + Tffli - --fJI
m+l
=0
(b) für Pr-+ oo: 6.j. « 6* -+ I= ~ 1.::11 2 + 0(TJ 3 ), (Taylorreihe)
Die Transformation auf Tj = 1JPr113 ergibt für die Energiegleichung mit · ~ 8/8fi
;?·.
I
+ ~,11~2;?·
w1J I
- ~,~~~;?
m+ w1JI
=0
2 1
Die Randbedingungen gelten unverändert. Bei der Rücktransformation der Ergebnisse auf die
Koordinate 1J entstehen die Faktoren Pr 112 bzw. Pr 113 in Tab. 7.3.
Diese asymptotischen Ergebnisse bezüglich der Prandtl-Zahl können für die thermische
Randbedingung T:, = const auch noch auf anderem Wege gewonnen werden. Die nachfolgenden
Beziehungen für asymptotisch kleine und große Prandti-Zahlen stellen eine Verallgemeinerung
der zuvor behandelten Fälle dar, weil Sie nicht nur für Geschwindigkeitsverteilungen gelten, die
zu selbstähnlichen Strömungsgrenzschichten führen, sondern für beliebige Außengeschwindigkeiten
U(x). Sie haben außerdem den Vorteil, daß die Ergebnisse für den Wärmeübergang in geschlossener
Form angegeben werden können, ohne daß jeweils erneut Differentialgleichungen gelöst werden
müßten. Ausgangspunkt ist dabei die thermische Energiegleichung in der Form (7.22) für konstante
Stoffwerte und Ec = 0 (keine Dissipation), also
8fJ 8f} 1 ß2fj
u 8x + v8N = Pr 8N 2
(a) für Pr-+ 0:
Wegen 6.j. » 6* gilt u* = U*(x*) bzw. u = U und v* = -~y* bzw. v =- ~~ N.
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 163
U(x)Pr 112
(Pr--+ 0).
X
1r J U(x)dx
0
Für die Plattenströmung (U = 1) gilt damit NuRe- 112 = 0,564Pr 112 x- 112 , für die Staupunkt-
strömung (U = x) gilt NuRe- 112 = 0, 798Pr 1 12 , beides in Übereinstimmung zu den Werten aus
Tab. 7.3 eingesetzt in (7.101).
(x,N)--+ (x,1)),
Die Lösung dieser Gleichung läßt sich mittels unvollständiger Gammafunktionen in geschlossener
Form angeben und führt für die Nußelt-Zahl auf
(Pr--+ oo).
Für die Plattenströmung mit 4 = 0, 664/.JX nach (7.49) gilt für den Spezialfall x 0 = 0 damit
NuRe- 112 = 0,339Pr 1 13 x- 112 , für die Staupunktströmung mit 4 = 2,4652x entsprechend
Nu Re- 112 = 0, 661 Pr 113 , beides wieder in Übereinstimmung zu (7.101) und Tab. 7.3.
164 K. Gersten/H. Herwig
Bereits in Kap. 2 war darauf hingewiesen worden, daß die übliche Definition der Nußelt-Zahl pro-
blematisch sein kann, s. dazu die Diskussion im Zusammenhang mit (2.32). Die auch in (7.101)
verwendete Definition wird immer dann ihren Sinn verlieren, wenn die darin unterstellte Pro-
portionalität q:_. ,. . , (T; - T~) verletzt ist. Dies ist der Fall, wenn der Einfluß der Dissipation
berücksichtigt wird, wie in Kap. 2 gezeigt wurde, aber auch, wenn Verteilungen der Wandtem-
peratur vorliegen, die nicht den beiden Spezialflillen r;= const und q:_. = const entsprechen.
Schlichting (1951) untersucht solche Fälle und zeigt, daß die oben genannte Nußelt-Zahl dann
ihren Sinn verliert, da singuläre Werte (Nu = oo) auftreten, ohne daß dies eine Entsprechung in
der Physik des betrachteten Problems hätte.
Zum Beispiel gilt für eine Plattenströmung mit einer linearen Wandtemperaturverteilung
(Überlagerung der Fälle r = 0 und r = 1), bei der die vordere Plattenhälfte eine Temperatur
oberhalb von T~ und die hintere Hälfte eine Temperatur unterhalb von T~ besitzt, daß nur
auf dem vorderen Drittel ein Wärmestrom von der Wand in das Fluid vorliegt, während der
Wärmestrom auf dem Rest der Platte das umgekehrte Vorzeichen aufweist. Damit liegt in der
Plattenmitte ein endlicher Wärmestrom vor, die Temperaturdifferenz r; -
T~ ist aber wegen des
angenommenen linearen Wandtemperaturverlaufes null. Damit wird aber die Nußelt-Zahl nach
(7.101) unendlich groß. In solchen Fällen sollte man stets die modifizierte Nußelt-Zahl Nu (s. Tab.
4.2) verwenden, die physikalisch einen dimensionslosen Wandwärmestrom darstellt.
Zur Bestimmung des Dissipationseinflusses muß JII aus (7.99) berechnet werden.
Die Randbedingungen sind homogen, also
(7.103)
Tabelle 7.4 enthält Zahlenwerte von Jbw für die Platten- und die Staupunkt-
strömung bei unterschiedlichen Prandtl-Zahlen. Bezüglich der Grenzwerte Pr ---+ 0
und Pr---+ oo s. Gersten und Körner (1968).
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 165
J;Iw
Plattenströmung Staupunktströmung
Pr (m = 0) (m = 1)
-->0 0,3692 0,7129
0,1 0,3043 0,6076
0, 7 0, 2471 0,5085
7 0, 1649 0,3524
10 0,1525 0,3276
_. 00 0, 4604Pr- 113 0, 6353Pr- 1 13
Tabelle 7.4: Wandwerte des Temperaturgradienten i?;Iw aus der Lösung von (7.99)
·- q:,L* _ T:;,(x*)- T~ _ r
qw .- )..*,0"T* -Nu !:::.T* - Nux . (7.104)
B B
Der Fall qw = 0 (adiabate Wand) liegt demnach für Nu = 0 vor, was wiederum
gilt, wenn die eckige Klammer in (7.103) verschwindet. Dies kann nur dann für alle
x-Werte gleichzeitig gelten, wenn die Bedingungen
r=2m, (7.105)
erfüllt sind. Dabei ist Brk die sog. kritische Brinkman-Zahl. Die zu dieser Situation
gehörige adiabate W andtempemturverteilung T;d wird auch als Eigentempemturver-
teilung bezeichnet, für die aufgrundder allgemeinen Definition der Brinkman-Zahl,
s. z.B. (7.94), gilt
.,.,•u•2
T* (x*) - T*
ad oo
= ~x
)..*Brk
2m (7.106)
Damit läßt sich der sog. Rückgewinn-Faktor r (engl.: recovery factor, nicht zu
verwechseln mit r nach (7.105)) bilden, für den gilt
T* (x*) - T* 2 Pr 2
r := U:~(x*)/(2c~ = Brk =Eck= r(m,Pr)' (7.107)
wobei dann Eck entsprechend die kritische Eckert-Zahl ist, also die Eckert-Zahl
für verschwindenden Wärmeübergang an der Wand. Beispielsweise gilt für die
Plattenströmung (m = 0) und Pr = 0, 7 der Wert r = 0, 836, für Pr = 1 gilt
r = 1.
166 K. Gersten/ H. Herwig
7.6 Integralverfahren
Zur Berechnung der in Abschnitt 7.5 ausführlich behandelten selbstähnlichen
Grenzschichten mußten nur gewöhnliche Differentialgleichungen gelöst werden, was
heute ohne Schwierigkeiten schon mit programmierbaren Taschenrechnern möglich
ist. Im allgemeinen Fall sind Grenzschichten jedoch nicht selbstähnlich. Die Lösung
der dann geltenden Grenzschichtgleichungen erfordert einen erheblich größeren
Aufwand, da es sich um partielle Differentialgleichungen handelt. Dabei ist es bei
vielen praktischen Problemen gar nicht nötig, die "exakten" Lösungen zu ermitteln,
sondern es genügt, die Ergebnisse "bis auf wenige Prozent genau" zu kennen.
Mit folgender Überlegung können Näherungslösungen der vollständigen
Grenzschichtgleichungen gewonnen werden. In einem ersten Schritt werden die
Grenzschichtgleichungen über die Normal-Koordinate N hinweg integriert. Dies
überführt die partiellen Differentialgleichungen in den Variablen (x, N) in Inte-
gralsätze mit nur noch der einen Variablen x. Die dabei auftretenden Integrale
stellen Integrationen über die gesuchten Profile für die Geschwindigkeit und die
Temperatur dar, und zwar genau diejenigen Integrale, die in den Definitionen der
Grenzschicht-Kenngrößen auftreten. Damit können die Integrale formal durch die
Kenngrößen 61 , 62 und 6h aus Abschnitt 7.4 ersetzt werden. Dadurch entstehen
also gewöhnliche Differentialgleichungen (in x) für die Grenzschicht-Kenngrößen.
Diese Gleichungen für sich stellen wohlgemerkt keine Näherung dar, sondern gel-
ten exakt. Leider ist die Anzahl der auftretenden Kenngrößen aber größer als die
Anzahl der Gleichungen, so daß zu den überN integrierten Differentialgleichungen
weitere Bestimmungsgleichungen hinzugenommen werden müssen. Hier tritt nun in
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 167
einem zweiten Schritt eine erste Näherungsannahme auf: Es wird unterstellt, daß
die Profile der Geschwindigkeit bzw. der Temperatur alle aus jeweils einer bestimm-
ten "Profilfamilie" stammen, d.h. jeweils Profile aus einer vorgegebenen Anzahl von
möglichen Profilen sind. Die einzelnen Profile der Profilfamilie unterscheiden sich
durch einen oder mehrere Parameter, weshalb von einer ein- bzw. mehrparametri-
gen Profilfamilie gesprochen wird. Über diese Annahme sind die eigentlichen Un-
bekannten nicht mehr die Grenzschicht-Kenngrößen als Funktionen von x, sondern
die Parameter der Profilfamilie als Funktionen von x. Ob und wieviele Gleichungen
zu den integrierten Differentialgleichungen hinzugenommen werden müssen, hängt
unmittelbar von der Anzahl der Profilfamilien-Parameter ab. Diese zusätzlichen
Gleichungen können aus den Ausgangsgleichungen gewonnen werden, wie später
gezeigt wird.
Die auf dieser Vorgehensweise basierenden Näherungsverfahren heißen Inte-
gralverfahren. Der wesentliche Unterschied zwischen den einzelnen Verfahren be-
steht in der Vorgabe der Profilfamilien, gelegentlich auch in der Verwendung modi-
fizierter Integralsätze. Im folgenden wird konkret ein Integralverfahren vorgestellt,
bei dem eine einparametrige Profilfamilie verwendet wird. Zuvor werden die allge-
meinen Integralsätze angegeben, die so oder in leicht modifizierter Form von allen
Integralverfahren benutzt werden.
7.6.1 Integralsätze
Wie zuvor beschrieben, werden die Grenzschicht-Differentialgleichungen über die
Normalkoordinate hinweg integriert. In den dimensionslosen Grenzschichtkoordina-
ten x, N bedeutet dies eine Integration von N = 0 (Wand) bis N--+ oo (Übergang
in die Außenströmung). Die obere Integrationsgrenze oo stellt kein Problem dar,
weil alle Integranden für N --+ oo null werden.
Aus den Grenzschichtgleichungen (7.19) bis (7.22) folgen dann unter der
Annahme konstanter Stoffwerte (e = 1, TJ = 1, ... ) die integralen Gleichungen für
den x-Impuls und die thermische Energie. Als Zwischenschritt sei folgende Form der
x-Impulsgleichung angegeben, die nach der formalen Integration unter Verwendung
der Kontinuitätsgleichung entsteht:
00 00
-d / (u 2 dU! (u-U)dN=--cr.
-uU)dN+- 1_ (7.109)
dx dx 2
0 0
2r* e*U* L*
c := __w_Re 112 = c Re 112 mit Re = B (7.110)
r e*U82 r TJ*
eingeführt.
An (7.109) ist leicht zu erkennen, daß unter Verwendung der Kennzahl-
Definitionen (7.31) und (7.32) mit H 12 = 8J8 2 folgende endgültige Form als
168 K. Gersten I H. Herwig
d6 2 (2 H ) 82 dU _ er (7.111)
dx + + 12 U dx - 2U 2
Weitere Integralsätze können formal dadurch gewonnen werden, daß die Differenti-
algleichung für den x-Impuls vor der Integration mit Potenzen der Geschwindigkeit
u, also mit un, multipliziert wird. Man spricht dann von Impulsmomentensätzen,
vgl. Jischa (1982, S. 239). Für n = 1 läßt sich die mit u multiplizierte Impuls-
gleichung als Erhaltungssatz für die kinetische Energie interpretieren, s. dazu auch
Abschnitt 3.4. Die anschließende Integration ergibt unter Verwendung von 83 nach
(7.33) folgenden lntegmlsatz für die kinetische Energie:
(7.112)
J(:~)
00 2
D := dN. (7.113)
0
Diese Größe stellt ein unmittelbares Maß für die in einem Strömungsquerschnitt
dissipierte Energie dar.
Als Integmlsatz für die thermische Energie entsteht durch ein ganz analoges
Vorgehen aus (7.22) unter Verwendung von 8T nach (7.34b)
(7.114)
Dieser Integralsatz gilt für beide thermische Randbedingungen (T:, = const mit
{)w := (T:, - TP,)/(T:, - TP,) = 1, also d{)w/dx = 0; q;, = const mit
{)w := (T:,- TP,)/(q:,Lß/.Xß)).
Gleichung (7.114) zeigt, daß die innere Energie der Grenzschicht, für die bT ein
Maß ist, auf zwei Arten verändert werden kann: entweder durch Wärmeleitung über
die Wand (Nu ist ein dimensionsloser Wand-Wärmestrom) oder durch Dissipation.
1M2 ~ (B7.3-l)
dx 2
Integriert über die Plattenlänge L* ergibt dies mit x := x* I L* und 82 (0) = 0
(B7.3-2)
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 169
I
1 1
62(1) = ~I Cr dx = ~Re 1 1 2 Cf dx 0
(B7o3-3)
0 0
(7.115)
Da ß1 , ß2 und 1.::
jeweils Funktionen von ß sind, treten in (7.115) zwei unbekannte
Funktionen von x auf, nämlich 8N(x) und ß(x). Nur für eine "nullparametrige
Profilfamilie", die dann aus einem einzigen Profil besteht, reicht (7.115) aus, die
dann einzige Unbekannte, 8N(x),zu bestimmen, s. dazu das nachfolgende Beispiel
7.4. Für jeden weiteren Parameter der Profilfamilie muß eine weitere Gleichung
hinzutreten.
Im hier vorliegenden Fall wird also eine weitere Gleichung benötigt. Eine
Möglichkeit besteht darin, die sog. Wandbindung als zweite Gleichung zu verwenden.
Damit ist die x-Impulsgleichung für N = 0 gemeint, also (7.20) an der Wand. Daraus
folgt
0 = U dx
dU (
+ 8N2
a2 u) w mit (7.116)
ermittelt werden können. Aus der Lösung für ß(x) und 8N(x) könnten dann über
(7.49) bis (7.51) die lokalen Werte cr(x), 81 und 82 bestimmt werden.
Statt ß und 8N zu bestimmen, führt Walz zwei Hilfsfunktionen ein, die
folgendermaßen definiert sind:
-2 2
r: = - ~ ( :N~) w = -ßi(ß) J.::'(ß) = r(x) (7.117)
(7.118)
Umgeschrieben in r und Z stellen die beiden Gleichungen (7.115) und (7.116) die
folgenden zwei Bestimmungsgleichungen für diese Größen dar:
dZ ZdU
dx + (3 + 2H12 ) U dx = F 1 (r), mit F1 = cr8 2 jU (7.119)
ZdU
u dx = r(x). (7.120)
(7.121)
Die Funktion F 2 (r) kann für die Hartree-Profilfamilie bestimmt werden, indem für
alle zulässigen Werte des Profilparameters ß die Größen r und F 2 ermittelt werden.
Dabei zeigt sich nun der eigentliche Vorteil der Einführung vonrund z. Zwischen
dem ß-Wert der Ablösung (ß = -0, 1988 ; r = -0,0681) und dem des Staupunktes
(ß = 1, 0; r = 0, 0855) ist der Kurvenverlauf F 2 (f) nahezu linear und kann in sehr
guter Näherung abschnittsweise durch folgende Geraden approximiert werden:
a = 0,441, b = 4,579 für r < 0
(7.122)
a = 0, 441, b = 4, 165 für r > 0.
Dabei sind die Zahlenwerte für a und b so gewählt worden, daß die Plattenströmung,
Staupunktströmung und die Ablöseströmung durch (7.122) exakt beschrieben wer-
den. Walz (1966) setzt b = 5, 165 für r < 0, kann damit dann aber die Ablöse-
strömung nicht exakt beschreiben.
Mit F 2 (f) nach (7.122) liegt die Differentialgleichung (7.121) für Z(x) in
Normalform vor und kann deshalb unmittelbar integriert werden. Für Z(O) = 0
lautet das Ergebnis
J
X
Unter Verwendung von (7.123) reduziert sich also die Berechnung laminarer Wand-
grenzschichten auf die (numerische) Auswertung einer Quadraturformell Näherun-
gen gehen bei der Herleitung dieser Beziehung an zwei Stellen ein: erstens bei der
Annahme, daß das Geschwindigkeitsprofil an einer beliebigen Stelle x durch ein
entsprechendes Hartree-Profil beschrieben werden kann (lokale Selbstähnlichkeit),
zweitens bei der Approximation der HUfsfunktion F 2 (r) durch zwei Geraden für
r < 0 bzw. r > 0. Diese Geraden sind jedoch so gewählt, daß die selbstähnlichen
Lösungen für Staupunkt, Platte und Ablösung exakterfaßt sind, d.h. daß (7.123)
bezüglich dieser drei selbstähnlichen Strömungen (mit Geschwindigkeitsprofilen aus
der Hartree-Profilfamilie!) keine Näherung darstellt.
Praktische Anwendungen zeigen, daß das Integralverfahren nach Walz immer
dann sehr gute Näherungslösungen liefert, wenn die Strömung nicht einem extremen
Druckgradienten dpfdx unterliegt. Auszuschließen wären demnach stark verzögerte
oder stark beschleunigte Strömungen (lßl » 1). Für solche Strömungen versagen
Integralverfahren aber nicht etwa grundsätzlich, sondern es muß nur dafür Sorge
getragen werden, daß die zugrunde gelegten Profilfamilien die zu erwartenden
Strömungsprofile näherungsweise enthalten. Das nachfolgende Beispiel zeigt, daß
die Anforderungen an die Näherungsprofile aber offensichtlich nicht sehr groß sind.
172 K. Gersten/ H. Herwig
Statt der Wandbindung (7.116) kann als zweite Gleichung im Integralverfahren auch der Integral-
satz für die kinetische Energie, (7.112), verwendet werden. Das daraus resultierende Rechenver-
fahren wird von Walz (1966) ausführlich beschrieben.
Die Überlegungen zu den Integralverfahren ergaben, daß zu dem integralen Impulssatz für jeden
Parameter der zugrunde gelegten Profilfamilie eine weitere Gleichung hinzugenommen werden
muß. Unterstellt man eine Profil "familie", die nur aus einem einzigen Profil besteht, also keinen
Parameter besitzt, so reicht der Impulssatz allein aus, ein Integralverfahren zu formulieren.
Als ein solches Profil soll
u
c;=TJ für Ü~T/~1, rJ:=N/8N (B7.4-1)
gewählt werden, wie es in Bild B7.4 dargestellt ist. Für dieses Profil folgt aus (7.49) bis (7.51) mit
UN =U
(B7.4-2)
Eingesetzt in den Impulssatz (7.111) folgt daraus folgende Differentialgleichung für 8N(x) als
einziger Unbekannten:
d8 2 82 dU 12
___li + 10_1!.- = - . (B7.4-3)
dx Udx U
Analog zur Lösung (7.123) folgt daraus die einfache Quadraturformel
Die Größe 8N(x) hat die physikalische Bedeutung einer Normierungsfunktion für die Grenz-
schichtgrößenund ist aufgrundder Definition (B7.4-1) ein unmittelbares Maß für die Grenzschicht-
dicke, die in dem angenommenen Profilverlauf als eindeutige Grenze zur Außenströmung unterstellt
ist.
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 173
r T(x) :=- u
8~ ( ßN2
82 u )
w
2 dU
= bh dx,
-2
ZT(x) := bh u. (7.127)
Entsprechend (7.121) ergibt sich damit aus dem Energiesatz (7.114) und der
kinematischen Wandbindung (7.116)
Die Konstanten aT und bT sind jetzt abhängig von der Prandtl-Zahl und der ther-
mischen Randbedingung. Sie können dadurch ermittelt werden, daß die Funktion
FT2(r T) für jede Prandtl-Zahl jeweils durch eine Gerade approximiert wird, und
zwar so, daß die Ergebnisse der Plattenströmung und die der Staupunktströmung
exakt auf dieser Näherungs-Geraden liegen. Für das gesuchte Ergebnis in Form der
Nußelt-Zahl folgt dann aus (7.114)
-1/2 PrJETZ;
q~ = const: NuRe = . (7.130b)
X
174 K. Gersten/ H. Herwig
Pr
r:, = const q;, = const
aT bT aT bT
--+0 4/(Pnr) 1 0, 785/Pr 0,234
0,01 106,58 0,845 60,170 0,042
0,1 7,841 0,627 4,027 -0,164
0, 7 0,699 0,393 0,336 -0,330
1 0,441 0,355 0,211 -0,353
5 0,053 0,222 0,025 -0,425
7 0,034 0,202 0,016 -0,435
10 0,011 0,183 0,010 -0,445
100 0,001 0,108 0,000 -0,481
--+ 00 0, 459Pr- 4 13 0,051 0, 215Pr- 4 13 -0,508
Die Zahlenwerte für aT(Pr) und bT(Pr) sind in Tabelle 7.6 zusammengestellt. Für
r; = const und Pr = 0, 7 ist die maximale Abweichung der Geraden aT - bTr T
vom tatsächlichen Funktionsverlauf für den r T-Bereich zwischen Staupunkt- und
Plattenströmung etwa 10 %, für den Bereich zwischen Platten- und Ablöseströmung
etwa 30% (für den Fall q;_, = const sind die entsprechenden Zahlenwerte 15% und
40 %). Die maximalen Abweichungen treten stets in der Nähe der Ablöseströmung
auf, so daß für diese Fälle nur eine sehr grobe Approximation erreicht werden kann.
analog zu (7.129) existiert. Bei vorgegebenem Temperaturprofil sind die beiden Größen 8T(x) und
8dx) zwangsläufig miteinander verbunden. Die Nußelt-Zahl folgt dann aus der Beziehung
NuRe- 112 = (Zdx)/U)- 112 • (7.133)
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 175
y*
Zahlenwerte adPr) und bdPr) für T;, = const zur Auswertung der Quadraturformel (7.132)
sind z.B. in White (1974, 8.328) zu finden. Da auch diese Zahlenwerte durch Auswertung der
Platten- und Staupunktströmung entstehen, gilt der einfache Zusammenhang aL = 4/(Pr 2 aT)
und bL = (3- bT)/(1 + bT) mit den Größen aT und bT nach Tabelle 7.6 (T;, = const).
(2) 6(} = 0(1); Die Dichtevariationen sind so groß, daß sie vollständig in den
Gleichungen berücksichtigt werden müssen. Wie im folgenden gezeigt wird,
tritt dies in Situationen auf, die auch bezüglich der anderen Stoffwerte zu
großen Änderungen führen können, so daß aus diesem Grunde dann alle
Stoffwerte von vorne herein als a # 1 berücksichtigt werden (s. Abschnitt
7.7.3).
Die Dichte (} nimmt gegenüber den anderen Stoffwerten aber auch noch insofern
eine Sonderstellung ein, als sie für Gase gleichermaßen vom Druck wie von der
Temperatur abhängt, während alle anderen Stoffwerte eine deutlich dominierende
Temperaturabhängigkeit aufweisen. Da Dichteänderungen durch zwei verschiedene
Mechanismen bewirkt werden können, ist in der Literatur leider eine uneinheitliche
Bezeichnungsweise entstanden (hauptsächlich in bezugauf die Begriffe "kompressi-
bel" und "inkompressibel"). Es erscheint daher angebracht, im folgenden zunächst
eine Begriffsbestimmung vorzunehmen.
Ausgangspunkt ist das vollständige Differential der Funktion f2* (p*, T*) in der
Form
1 DQ* ~* Dp* * DT*
(7.134)
f2* Dt* = a Dt* - ß Dt* '
wobei die Größen a* und ß* wie folgt definiert sind:
eines Fluides mit a* Dp* ~ 0 beschrieben werden, sollen kompressibel, solche mit
&* Dp* = 0 inkompressibel heißen, Strömungen mit ß* DT* ~ 0 analog dann tempe-
raturexpansiv und mit ß* DT* = 0 nicht temperaturexpansiv.
Die vier physikalisch/mathematischen Modelle sind gekennzeichnet durch
o,
(MI)
(MII)
&*Dp*
&*Dp* ~ o
~ ß*DT*
ß*DT*
~0
=0 } kompressible Strömungen
&*Dp* = o,
(MIII)
(MIV) a*Dp* = o
ß*DT* ~ 0
ß*DT* = 0 } inkompressible Strömungen
Wie anschließend deutlich wird, ist nur das Modell MII ohne praktische Bedeutung,
da in realen Strömungen stets ß* DT* in (7.134) berücksichtigt werden muß, wenn
a* Dp* eine Rolle spielt. Bei kompressiblen Strömungen muß also keine weitere
Unterscheidung getroffen werden, da stets das physikalisch/mathematische Modell
MI gemeint ist. Nach dieser Begriffsbestimmung sind alle Gleichdruckströmungen
inkompressibel.
Bei inkompressiblen Strömungen ist zusätzlich festzulegen, ob es sich um eine
temperaturexpansive Strömung (Modell MIII) oder eine nicht temperaturexpansive
Strömung handeln soll (Modell MIV). Das Modell MIV wird in der Literatur auch
als Strömung eines dichtebeständigen Fluides bezeichnet. Dabei kann aber die Dichte
im Feld durchaus variieren, wie z.B. bei dichtegeschichteten Strömungen im Meer,
die substantielle oder totale zeitliche Ableitung der Dichte ist jedoch null.
Mit der Definition der Mach-Zahl als dem Verhältnis aus der Bezugsgeschwin-
digkeit Uß und der Schallgeschwindigkeit a;
U* ~
U* = --=B:....,Y=
Ma := ___!"! ~:!=
u,- wegen: a* 2 := ( -8p* ) c* [ -8p* ]
= -E. (7.137)
a; ~ 8
8e* Entropie c~ 8e* T
(7.138)
r; = const: (7.139)
q~ = const: (7.140)
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 179
Solche Ansätze sind für selbstähnliche Strömungen sinnvoll, da dann die Exponenten
mi, ni und ki keine Funktionen der Koordinate x* sind. Der allgemeine Stoffwert aw
ist als aw := a*(T:;J/a*(T:X,) definiert. Die Größen cro, Nu 0 und Two beschreiben
die Ergebnisse für konstante Stoffwerte bei der Bezugstemperatur T:X, (Temperatur
der ungestörten Anströmung). Die Exponenten mi, ni und ki sind Funktionen der
Prandtl-Zahl Pr und z.B. bei Keil-Strömungen des Falkner-Skan-Parameters ß (s.
(7.47)). Einige Zahlenwerte für die Platten- und Staupunktströmung sind in Tabelle
7. 7 enthalten. Weitere Zahlenwerte können den Originalarbeiten von Gersten
und Herwig (1984) sowie Herwig und Wiekern (1986) entnommen werden. Eine
näherungsweise Berücksichtigung von Stoffwerteffekten bei beliebigen zylindrischen
Körpern ist in Herwig (1984) beschrieben.
Für Mach-Zahlen Ma #- 0 muß im allgemeinen auch die Druckabhängigkeit
der Dichte berücksichtigt werden. Im Sinne der asymptotischen Theorie erhält man
dann ein Zweiparameter-Störungsproblem. Da zwei unabhängige Effekte auftreten,
können diese im allgemeinen Fall nicht durch einen Exponenten pro Stoffwert erfaßt
werden, wie dies bei der Stoffwertverhältnis-Methode geschieht. Eine Darstellung
der Ergebnisse in der Form (7.138) bis (7.140) ist bei Ma #- 0 damit nur in
Sonderfällen möglich (solche Fälle sind die Platten- und die Staupunktströmung),
im allgemeinen Fall sollten Korrekturfunktionen von der Form (5.46) in Abschnitt
5.4.2 gewählt werden. Für Einzelheiten und insbesondere für numerische Ergebnisse
sei auf die Originalarbeit Herwig (1987) verwiesen.
1.0
c,
Cto
0.8
1.0 lc:=O
Bild 7.16: Einfluß von Wärmeüber-
tragung und Dissipation auf den 0.8
Schubspannungsbeiwert an der
ebenen Platte (T..:; = const)
e := (T..:;- T0)/T0 (Wärmeübertra-
gungsparameter) 1.0~
f := Ec (Dissipationsparameter)
- Van Driest (1952) 0.8
- - asymptotische Theorie
0 5 10 15 20
E:.
Als ein Beispiel dafür, daß mit dieser Methode zwar asymptotisch kleine Werte
der Störparameter unterstellt sind, die Ergebnisse trotzdem aber für relativ große
Werte der Störparameter eine gute Näherung darstellen, können die Ergebnisse für
180 K. Gersten/ H. Herwig
die Plattenströmung nach Bild 7.16 dienen. Die asymptotischen Ergebnisse sind mit
Rechnungen unter Berücksichtigung der vollständigen Stoffwertabhängigkeiten von
Luft verglichen (van Driest (1952)). Störparameter sind ein Wärmeübertragungspa-
rameter c := (T; -T0)/T0 und ein Dissipationsparameter f:= Ec = U0 2 /(c~0 T0 ).
Bis zu Eckert-Zahlen Ec::::::: 10 und Heizraten Iei::::::: 1 ist eine gute Übereinstimmung
mit den vollständigen Ergebnissen zu erkennen. (Für ideale Gase mit c~ = const
und c~jc~ = 1, 4 liegt die Eckert-Zahl Ec = 10 für Mach-Zahlen von Ma = 5 vor!)
a(eu) a(efl) _ 0
ax + aN - (7.141)
au _au) ap a(au)
e ( uax +V aN = - ax + aN 1} aN (7.142)
0 = ap (7.143)
aN
aH _aH)
e( u ax +V aN
1aNa(>..aH)
=Pro
a[( 1)- a(uaN/2)] .(
aN +aN
cp 1 - Pr 7]ECo
2
7· 144 )
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 181
Bei der Herleitung von (7.144) wurde dh* = c; dT* vorausgesetzt, also angenom-
men, daß die Enthalpie h*(T*) keine Funktion des Druckes ist. Dann gilt ß*T* = 1.
Es sei besonders darauf hingewiesen, daß Pr0 := 77oc;0 /.A 0 mit den Bezugsgrößen
gebildet ist, in (7.144) aber auch Pr= 77*c;/>.* vorkommt, wobei Pr mit den lokalen
Größen gebildet ist. Für die Reynolds-Zahl in N = yRe~/ 2 gilt Re0 := g0UP,L* /77o·
Wenn die Gleichungen (7.141) bis (7.144) als Bestimmungsgleichungen für u, v und
H interpretiert werden, müssen vier weitere Gleichungen zur Bestimmung von g, 77,
>.und cP hinzukommen, s. dazu Abschnitt 3.5 (Stoffwerte). Es ist zu beachten, daß
jetzt die Absolutwerte des Druckes und der Temperatur in die Lösung eingehen.
Dies wurde bereits in der Entdimensionierung von H* berücksichtigt, das auf c;0 T0
bezogen wurde und nicht auf eine Differenz f:::.H*.
Zusammen mit den üblichen Grenzschicht-Randbedingungen (neu ist: Hw =
const für r; = const; (8H/8N)w>-w/cpw = const für q:,_ = const; H ---> 0 für
N---> oo) kann das Gleichungssystem aus sieben Gleichungen, von denen drei parti-
elle Differentialgleichungen sind, numerisch gelöst werden. Da dies sehr aufwendig
ist, liegt die Frage nahe, unter welchen Umständen es möglich ist, Näherungslösun-
gen zu erhalten.
Die folgenden Überlegungen gehen auf Arbeiten von Busemann und Crocco
aus den Jahren 1931 und 1932 zurück, (s. dazu White (1974)). Sie behandeln den
Sonderfall Pr= 1. Damit entfällt der letzte Term auf der rechten Seite von (7.144).
Diese Bedingung ist zunächst willkürlich gewählt und wird von keinem realen Fluid
erfüllt werden, da es sich, wie bereits erwähnt, um die lokale Prandtl-Zahl handelt.
Das heißt also, daß die drei Stoffwerte 77*, c;
und >. * so mit dem Druck und der
Temperatur variieren sollen, daß die Kombination Pr = 77* c;/ >. * stets gleich eins
ist. Weil die Prandtl-Zahl von Luft über große Temperatur- und Druckbereiche
nahezu konstant den Wert Pr = 0, 7 besitzt, ist davon auszugehen, daß die
folgenden Näherungslösungen für Luft als nichtrationale Näherungen verwendet
werden können.
Der letzte Term in (7.144) ist aus zwei Termen der Ausgangsgleichungen
(3.23) und (3.26) entstanden, die dort Wärmeleitung in N-Richtung bzw. die
Arbeit viskoser Kräfte beschreiben. Der Fortfall dieses Termes beschreibt also die
Situation, daß die lokal durch die Arbeit viskoser Kräfte "erzeugte" Energie nicht
zur Erhöhung von H an dieser Stelle beiträgt, sondern vollständig durch eine erhöhte
Wärmeleitung kompensiert wird. Folgende zwei Fälle werden unterschieden:
(1) Eine mögliche Lösung von (7.144) bei Pr= 1 ist H = 0, also dieselbe Lösung,
die auch außerhalb der Grenzschicht gilt. Für diese Lösung ist (8H/8N)w = 0.
Ganz allgemein gilt aufgrund der Definition von H*
8H* c; * * äu*
oy* = - >. * q + u oy* , (7.145)
Der Gesamtenthalpiegradient an der Wand ist somit null für q:,_ = 0. Dies ist
die sog. adiabate Wand. Aus H = 0 folgt für die Temperaturverteilung mit
182 K. Gersten/ H. Herwig
Für diesen Fall ist die Wandtemperatur konstant (u* = 0 an der Wand),
und zwar gleich der Temperatur im Staupunkt (Ruhetemperatur) r;
= T0 =
r; + U* 2 /(2c;0 ) mit Te* als Temperatur am Außenrand der Grenzschicht (U*
ist die Geschwindigkeit am Außenrand der Grenzschicht).
Ganz allgemein definiert man bei Strömungen mit Dissipation eine
adiabate W andtempemtur T~ oder auch Eigentempemtur als diejenige Tem-
peratur, die die Wand bei q~ = 0 annimmt. Diese Temperatur ist im
allgemeinen verschieden von der Ruhetemperatur T0 in der reibungsfreien
Außenströmung. Das Verhältnis
T* -T* T* - T*
r ·- ad e - ad e - r(Pr) (7.147)
.- T.*0 - T*e - U* 2 /(2c*pO ) -
Diese Gleichung ist für dpjdx = 0 aber identisch mit der Impulsgleichung
(7.142), weil für Pr= 1 dann >..jcP = TJ gilt.
Für diesen Falllautet die Lösung unter Beachtung der Randbedingun-
gen (N = 0 : H = Hw; N ---+ oo : H = 0) also
nH w
= 1- uu . (7.150)
(7.151)
(Pr= 1,
7 Grenzschichtströmungen bei erzwungener Konvektion 183
Nu cf Re 1/ 2 dp*
(Pr= 1, - = 0, cP* = const). (7.153)
JRe dx*
Dabei wurde die konstante Außengeschwindigkeit U* als Bezugsgeschwindig-
keit gewählt. Mit der Stanton-Zahl St = Nu/(RePr) kann (7.153) auch als
St = (cr/2)/TJw geschrieben werden. Diese Form wird auch als Reynolds-
Analogie bezeichnet (Analogie zwischen Impuls- und Wärmeübergang bei
Pr= 1 und dp* jdx* = 0).
Beide soeben besprochenen Lösungen für H stellen einen Zusammenhang zwischen
den Temperatur- und den Geschwindigkeitsprofilen her. Daher ist jetzt nur noch
die Imp.ulsgleichung (7.142) zu lösen. Für spezielle Lösungen sei auf die ausführliche
Darstellung in Schlichting (1982) und White (1974) verwiesen.
Für die numerische Lösung der allgemeinen Gleichungen (7.141) bis (7.144)
ist es sinnvoll, die Gleichungen nicht in (x, N)-Koordinaten zu belassen, sondern
in einer transformierten Version zu verwenden. Diese Transformation ist mit
dem Ziel entwickelt worden, die Gleichungen auf dieselbe Form zu bringen, wie
sie im inkompressiblen Fall vorliegt, also alle "Kompressibilitätseffekte" durch
die Transformation zu kompensieren. Insbesondere ist man dabei an der Frage
interessiert, ob auch selbstähnliche kompressible Grenzschichtlösungen existieren.
Es gelingt im allgemeinen Fall nicht exakt, die angestrebten Gleichungen zu
erhalten, wohl aber kann eine Form der Gleichungen erreicht werden, die derjenigen
inkompressibler Strömungen (z.B. Falkner-Skan-Gleichungen) sehr nahe kommt.
Durch zusätzliche spezielle Annahmen bezüglich der Stoffgesetze (die insbesondere
für Luft in guter Näherung erfüllt sind) kann eine vollständige Übereinstimmung
mit den Gleichungen für inkompressible selbstähnliche Strömungen erreicht werden.
Diese Transformation wird in der Literatur unterschiedlich benannt, da sie
auf mehrere Autoren zurückgeht. Häufig heißt sie fllingworth-Stewartson oder
fllingworth-Dorodnitsyn Transformation. Das wesentliche Merkmal dieser Trans-
formation ist, daß zwei Ähnlichkeitskoordinaten eingeführt werden, eine Koordi-
e
nate (X) und eine Querkoordinate TJ( X, N). Für Einzelheiten dieser Transformation
und eine sehr ausführliche Diskussion der Frage einer möglichen Selbstähnlichkeit
bei kompressiblen bzw. temperaturexpansiven Strömungen sei auf White (1974, S.
581ff) verwiesen. Eine große Anzahl von Lösungen findet man bei Dewey and Gross
184 K. Gersten/ H. Herwig
(1967). Die numerischen Verfahren zur Berechnung der sich ergebenden Differenti-
algleichungen sind z.B. bei Cebeci and Smith (1974, S. 258) beschrieben.
HAUPTSTRÖMUNGSRICHTUNG
(1) vw < 0 (Absaugen): Der Grenzschicht wird ständig Fluid entzogen. Der
in der Grenzschicht verbleibende x-Impuls muß gegenüber dem Fall mit
vw = 0 auf den verminderten Fluidstrom in der Grenzschicht verteilt werden,
was zu höheren Geschwindigkeiten in Wandnähe führt. Daraus folgt eine
Verringerung der Grenzschicht-Kenngrößen c\, 82 und 83 und aufgrund des
dann erhöhten Wandgradienten (8uj8y)w eine Erhöhung von er.
(2) vw > 0 (Ausblasen): Der Grenzschicht wird ständig Fluid (ohne x-Impuls)
zugeführt. Eine Verteilung des wandnahen x-Impulses auf den erhöhten Vo-
lumenstrom führt zu insgesamt verminderten u-Komponenten in Wandnähe
und wegen kleinerer Gradienten (8uj8y)w zu verminderten er-Werten. Die
Grenzschichtdicken 81 , 82 und 83 erhöhen sich gegenüber dem Fall mit vw = 0.
Aufgrund des qualitativen Einflusses von vw =I= 0 auf den Widerstandsbeiwert er
kann geschlossen werden, daß der Ablösepunkt (er= 0) bei Absaugen generell später
erreicht wird als im Fall vw = 0. Grenzschichtabsaugung hat also eine ablösungs-
verzögernde Wirkung. Wenn es gelingt, durch Grenzschichtabsaugung den Ablöse-
punkt deutlich stromabwärts zu verschieben, läßt sich der Strömungswiderstand
eines Körpers z.T. erheblich verringern. Der dann verminderte Druckwiderstand
übertrifft in seiner Wirkung die durch Absaugung erhöhten Wandschubspannun-
gen. Absaugung wirkt auf die laminare Grenzschicht stabilisierend, d.h. verzögert
bzw. vermeidet den laminar-turbulenten Umschlag, was z.B. für die Flugtechnik
von Bedeutung ist (Laminarflügel, engl.: LFC = laminar flow control), für nähere
Einzelheiten s. Schlichting (1982).
Im Rahmen der Grenzschichttheorie findet die Quergeschwindigkeit an der
Wand in Form der transformierten Variablen v := (v* /U8)Re 1/ 2 als vw Eingang in
das Gleichungssystem. Da vw als gegebene Größe anzusehen ist, führt dies bei der
Lösung des allgemeinen Grenzschichtgleichungssystems (7.19) bis (7.22) lediglich zu
der Randbedingung v = vw(x) statt v = 0.
Bezüglich des Wärmeüberganges entsteht durch Absaugen oder Ausblasen
ein doppelter Effekt. Zum einen wird das Grenzschicht-Temperaturprofil durch das
veränderte Strömungsfeld beeinflußt, was die Wärmeleitung an der Wand verändert,
zum anderen tritt an der Wand bei vw =I= 0 neben der Wärmeleitung auch ein
konvektiver Wärmestrom auf. Dies wird an der sog. thermischen Wandbindung
deutlich (Energiegleichung (7.22) bei N = 0), die für konstante Stoffwerte und
Ec = 0 lautet
vw ( :~) w = ;r (:~) w
(7.154)
der durchlässigen Wand also die Temperatur des abgesaugten bzw. ausgeblasenen
Fluides, von der jedoch unterstellt wird, daß sie mit der Wandtemperatur über-
einstimmt. Durch Ausblasen kann der Wärmeübergang drastisch reduziert werden
(exponentielles Abklingen). Dieser Effekt wird bei der sog. Thanspirationskühlung
(auch Schwitzkühlung) ausgenutzt.
Im folgenden soll zunächst untersucht werden, wie sich die Strömung und
der Wärmeübergang in den Grenzfallen sehr starken (massiven) Absaugens bzw.
Ausblasens verhalten. Dazu wird die Geschwindigkeitsverteilung v:,(x*) wie folgt
geschrieben:
(7.155)
Mit x 0 ist eine beliebige, aber feste Stelle x eingeführt worden, so daß die auf
V(x 0 ) = 1 normierte Funktion V(x) die x-Abhängigkeit der Geschwindigkeit
vw(x) beschreibt. Starkes Absaugen bzw. Ausblasen bedeutet dann betragsmäßig
große Werte von vw(x 0 ), asymptotisch also vw(x 0 ) _. -oo für massives Absaugen
und entsprechend vw(x 0 ) -> oo für massives Ausblasen. Für beide Genzfälle sind
durch asymptotische Entwicklungen der Lösungen drastische Vereinfachungen der
Grenzschichtgleichungen möglich. In den folgenden beiden Abschnitten werden die
führenden Terme dieser asymptotischen Lösungen angegeben.
Die Verteilungen u 1 (x, N) und '19 1 (x, N) werden asymptotisehe Absaugeprofile ge-
nannt. Es handelt sich dabei um Lösungen, die vom Grenzschichtverhalten vor der
betreffenden Stelle unabhängig sind und allein durch die lokalen Werte U(x) und
vw(x) bestimmt sind.
Aus den Gradienten an der Wand ergeben sich besonders einfache Beziehun-
gen für die Wandschubspannung (als er:= 2r;_/(r/U~)) bzw. den Wärmeübergang
(als Nu:= q;_L* j(>.*(T;_(x)- T~J)). Mit Re= U:X,L* jv* gilt
Nu
~ = -vw(x) Pr bzw. Nu= -vw(x) Pe. (7.161)
vRe
Bemerkenswert ist, daß r;_(x) von der Viskosität ry* unabhängig ist (s. (7.160)). Das
bedeutet, daß in diesem Grenzfall der Strömung Impuls ausschließlich durch Absau-
gen entzogen wird. Der damit verbundene Widerstand wird daher Senkenwiderstand
genannt. Nur im Grenzfall massiven Absaugens ist der Widerstand ausschließlich
Senkenwiderstand, bei geringer Absaugestärke setzt er sich aus Reibungs-, Druck-
und Senkenwiderstand zusammen. Daß bei massivem Absaugen neben dem Rei-
bungswiderstand auch der Druckwiderstand verschwindet, folgt daraus, daß bei
massivem Absaugen keine Ablösung (r;_ < 0) auftreten kann, wie (7.160) unmit-
telbar zeigt. Auch bei stärksten Druckanstiegen kann danach durch entsprechend
massives Absaugen stets ein Ablösen der Strömung vermieden werden. In einem
asymptotischen Sinne (Re --+ oo) ist damit der betrachtete Körper vollständig
von einer reibungslosen (Außen)Strömung umgeben und besitzt damit keinen
(Druck)Widerstand (d'Alembertsehes Paradoxon, s. Gersten (1974b)). Die Erwei-
terung auf kompressible Strömungen findet man in Gersten et al. (1977).
cw := U
2W*
=
!1f crsinxdx = 211'(-vw), für (-v ) > 8' 5 (B7.5-1)
g• • 2 2R* B* w -~
00 0
Q;, = ~ J q;, dx
7f
und für das Wärmeübergangsgesetz bei konstanter Wandtemperatur mit
0
Q* R*
Num :=
.x·cr..:- r~) = -v
w
w
Pr \~"Re. (B7.5-2)
188 K. Gersten/ H. Herwig
(B7.6-2)
Dies entspricht einer Konstanten C = 2, 32 in (B7.6-1). Gleichung (B7.6-2) zeigt die erwartete
reziproke Abhängigkeit von der Absaugegeschwindigkei t vw : je kleiner diese wird, um so größer
ist die Anlaufstrecke x A.
ßu 1 + ß~ = 0 (7.163)
ßx ßN
ßu 1 _ ßu 1 ßp 1
(7.164)
u 1 ßx + v 1 ßN = - ßx
Beispiel 7.7: Kreiszylinder mit massivem Ausblasen auf der vorderen Konturhälfte und massivem
Absaugen auf der hinteren Konturhälfte durch die Verteilung iiw = iiw(O) cosx
Die Verteilung der wandnormalen Geschwindigkeitskomponente wechselt bei x := x* IR* = 1r12
das Vorzeichen. Da in der betrachteten Anordnung Strömungsablösung vermieden wird, gilt die
potentialtheoretische Geschwindigkeitsverteilung U := U* lU~ = 2sinx für den (asymptotisch)
führenden Term der Außenströmung. Die dazugehörige Druckverteilung p := (p* -p;;.,) I (g" U~) =
(1- U 2 )12 = 112- 2sin 2 x besitzt ebenfalls bei x = 1rl2 einen Vorzeichenwechsel im Druckgra-
dienten dpldx = -2sin 2x. Damit kann die im vorigen Abschnitt beschriebene Theorie auf diesen
Fall angewandt werden. Die Strömung ist in Bild B7. 7 skizziert.
2W*
Cw := u•U•22R*B* =
.
!"' ersmxdx= V
411'
(O)VRe
(B7. 7-2)
00 0 w
Damit gelingt es also, eine analytische Lösung der Grenzschichtgleichungen an einem umströmten
Körper zu finden! Man vergleiche auch Gersten (1979).
(7.167)
7.9 Zusammenfassung
1.) Strömungsgrenzschichten entstehen bei großen Reynolds-Zahlen durch die
Überlagerung von konvektivem, wandparallelem Impulstransport und einem
senkrecht dazu, also senkrecht zur Wand, wirkenden Impulstransport auf-
grund viskoser Effekte. Ähnliche Überlegungen bezüglich des Transportes in-
nerer Energie führen auf die Erklärung für das Entstehen von Temperatur-
grenzschichten. Einfache Größenordnungsabschätzungen ergeben bereits die
asymptotisch korrekte Abhängigkeit der Grenzschichtdicken von der Rey-
nolds- bzw. der Prandtl-Zahl, s. (7.2) bzw. (7.10).
2.) Die Grenzschichtgleichungen entstehen aus den Navier-Stokes-Gleichungen
und der Energiegleichung nach einer Transformation der Querkoordinate y (s.
(7.13)) und der Quergeschwindigkeit v (s. (7.14)) durch den Grenzübergang
Re --+ oo. Die Grenzschichtgleichungen (7.19) bis (7.22) werden Prandtlsche
Grenzschichtgleichungen genannt und dienen zur Bestimmung von u(x, N),
v(x, N) und '!?(x, N). Der Druck wird der Grenzschicht durch die Außenströ-
mung aufgeprägt.
3.) Bestimmte Außenströmungen führen auf sog. selbstähnliche Grenzschichten.
Diese sind dadurch gekennzeichnet, daß die Strömungs- bzw. Temperaturpro-
file an verschiedenen x-Stellen nach einer entsprechenden Normierung ((7.35)
und (7.36)) identisch sind. Die Bestimmung dieser normierten Profile erfolgt
durch Lösen von gewöhnlichen Differentialgleichungen. Eine wichtige Klasse
solcher Strömungen sind die sog. Keilströmungen mit der Platten- und Stau-
punktströmung als Spezialfälle.
4.) Grenzschichten liegen nicht nur an überströmten Wänden vor, sondern können
auch ohne Außenströmung z.B. an einer gezogenen Platte oder durch Ausbla-
sen parallel zur Wand (Wandstrahl) entstehen, s. Abschnitt 7.5.3. Beispiele für
Grenzschichten ohne Wand sind die Trennungsschicht zwischen zwei Parallel-
strömungen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und der sog. Freistrahl,
s. Abschnitt 7.5.4.
192 K. Gersten/ H. Herwig
5.) Bei der Bestimmung des Temperaturfeldes einer Strömung kann von der
Linearität der Energiegleichung (Voraussetzung: konstante Stoffwerte) Ge-
brauch gemacht werden. Der Einfluß der erzwungenen Wärmeübertragung
einerseits und der Dissipation andererseits können durch einen entsprechen-
den Ansatz (s. (7.94)) getrennt bestimmt werden. Dies ermöglicht allgemeine
Lösungen, die für alle Brinkman-Zahlen gültig sind.
6.) Mit Hilfe von Integralverfahren können Näherungslösungen für Strömungs-
und Temperaturgrenzschichten auf sehr einfache Weise ermittelt werden. Im
sog. Walz-Verfahren ist dazu lediglich eine bestimmte Integration über die
Außenströmung U(x) auszuführen, s. (7.123) bzw. (7.129).
7.) Bei Berücksichtigung variabler Dichte wird von kompressiblen Strömungen
gesprochen, wenn die Druckabhängigkeit in der betrachteten Situation eine
Rolle spielt, andernfalls von inkompressiblen Strömungen. Zusätzlich wird
mit der Bezeichnung temperoturexpansiv bzw. nicht temperoturexpansiv zum
Ausdruck gebracht, ob die Temperaturabhängigkeit der Dichte eine Rolle
spielt oder nicht.
8.) Grenzschichten können durch Absaugen oder Ausblasen über eine poröse
Wand beeinflußt werden. Asymptotisch große Werte der Geschwindigkeits-
komponentesenkrecht zur Wand führen zu massivem Absaugen bzw. massi-
vem Ausblasen. Bei massivem Absaugen entstehen asymptotische Absaugepro-
file, die nur von den lokalen Werten der Absauge- und Außengeschwindigkeit
abhängen, s. (7.158) und (7.159). Bei massivem Ausblasen wird eine reibungs-
behaftete Scherschicht von der Wand abgehoben, so daß der unmittelbar
wandnahe Bereich durch eine reibungslose Strömung beschrieben wird.
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion
(Gr--+ oo)
8.1 Vorbemerkung
Natürliche Konvektionsströmungen kommen zustande, wenn aufgrundvon Dichte-
unterschieden Auftriebskräfte entstehen, die als "treibende Kräfte" wirken. Dabei
kann es sich entweder um das Zusammenwirken von verschiedenen Fluiden mit
unterschiedlichen Dichten handeln oder um ein Fluid, in dem aufgrund von Tem-
peraturunterschieden Dichtevariationen auftreten. Da die Dichte ein Stoffwert wie
c;
TJ*, >. * und ist, handelt es sich bei natürlichen Konvektionsströmungen aufgrund
temperaturbedingter Dichtevariationen (temperaturexpansive Strömung) um einen
Effekt variabler Stoffwerte.
Nur die so zustande gekommene Strömung und nicht die Strömung mehre-
rer Fluide unterschiedlicher Dichte soll im folgenden als natürliche Konvektions-
strömung behandelt werden. Dabei interessieren insbesondere Strömungen, die wie
im Fall der erzwungenen Konvektion durch eine asymptotische Theorie (Grenz-
schichttheorie) beschrieben werden können. Ähnlich wie in Abschnitt 7.1 soll
zunächst wieder eine anschauliche Beschreibung der physikalischen Mechanismen
erfolgen, die zur Ausbildung von Strömungen mit Grenzschichtcharakter führen.
Die unmittelbare Ursache für das Zustandekommen der hier betrachteten
natürlichen Konvektionsströmungen ist ein Wärmeübergang durch Wärmeleitung
über feste, den Fluidraum begrenzende Wände. Als einfaches Beispiel soll zunächst
eine senkrechte Wand betrachtet werden, deren Temperatur zu einem bestimmten
Zeitpunkt t 0 = 0 auf eine Wandtemperatur T:, gebracht wird, die oberhalb der
Umgebungstemperatur T~ liegt. Diese Temperatur T:, soll für t* > t 0 unverändert
beibehalten werden.
Unterstellt man zunächst eine temperaturunabhängige konstante Dichte e~
des Fluids, so handelt es sich um ein instationäres Wärmeleitungsproblem, da der
gesamte ruhende Fluidraum mit der Zeit aufgeheizt wird. Ein stationärer Zustand,
in Form einer zeitunabhängigen Temperaturverteilung kann sich nicht einstellen.
Die Situation verändert sich vollständig, wenn das Fluid eine tempera-
turabhängige Dichte besitzt. Aufgrund der Dichteunterschiede, die jetzt im Fluid
entstehen, treten Auftriebskräfte parallel zur vertikalen Wand auf. Nimmt die Dichte
mit steigender Temperatur ab, so besitzen wandnahe Schichten durch die erhöhte
194 K. Gersten/ H. Herwig
Wandtemperatur eine geringere Dichte, und wärmeres Fluid steigt längs der Wand
auf. Neben der Wärmeleitung existiert also in Form der Konvektion ein zweiter
Transportmechanismus für innere Energie. Damit wird ein stationärer Zustand
möglich, der sich für große Zeiten t* » t 0 in einem zeitunabhängigen Tempera-
turprofil äußert, wie es in Bild 8.1 an zwei Stellen xi und x2 skizziert ist.
LEITUNG ( ---.++-
T*(xty*) - r: (
Offensichtlich werden Fluidteilchen weit weg von der Wand zu keinem Zeitpunkt
t* > t 0 von der Wärmeleitung im Fluid "erfaßt", da die zusätzliche innere Energie,
die dem Fluid über die Wand zugeführt wird, durch den konvektiven Transport
längs der Wand "wegtransportiert" wird. Die Temperaturerhöhung bleibt also auf
einen wandnahen Bereich beschränkt. Aus diesen einfachen Überlegungen lassen
sich schon zwei wichtige Schlußfolgerungen ziehen.
{2) Wählt man als Dicke der "Temperaturschicht" (Bereich mit T* > T~) einen
Wandabstand, bis zu dem die Temperaturerhöhung gegenüber T~ bis auf
einen bestimmten Prozentsatz abgeklungen ist (z.B. 1 %), so wird diese Dicke
mit der Lauflänge anwachsen, s. Bild 8.1. Dies folgt aus einer einfachen
Energiebilanz, die besagt, daß die gesamte bis zu einer Stelle x* über die
Wand zugeführte innere Energie durch Konvektion des Fluides mit erhöhter
Temperatur über den Querschnitt x* =const "fließen" muß.
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 195
Es soll nun untersucht werden, unter welchen Bedingungen die Strömung Grenz-
schichtcharakter besitzt. Bild 8.2 zeigt zunächst qualitativ je ein Strömungs- und ein
Temperaturprofil mit den entsprechenden Schichtdicken 8* und 8.'j. an der senkrech-
ten beheizten Platte. Diese könnten als 801 und 8T01 (vgl. Abschnitt 7.4) definiert
werden. Für die weiteren Überlegung spielt aber ein Zahlenfaktor der Größenord-
nung 0(1) keine Rolle, so daß 8* und 8T als allgemeine Schichtdicken beibehalten
werden.
Betrachtet man zunächst die "Strömungsschicht", so entsteht diese durch das Zu-
sammenwirken zweier Transportmechanismen für den Impuls. Wie bei der erzwun-
genen Konvektion ist ein Mechanismus der viskose Impulstransport mit der charak-
teristischen Transportgeschwindigkeit, vgl. (7.1),
*
U * = voo (8.1)
V 8* •
Der zweite Mechanismus wird jetzt aber nicht mehr "erzwungen" (z.B. durch eine
Anströmung des entsprechenden Körpers), sondern entsteht durch die Wirkung von
Auftriebskräften.
Dieser (statische) Auftrieb ist direkt proportional zur plattenparallelen Be-
schleunigung g~ = -g* sina und zur Dichtedifferenz 6eß := e;,.- e~ , wobei e;,.
eine charakteristische Dichte an der Wand ist. In der Strömung nach Bild 8.2 ist
6eß negativ. Damit läßt sich als charakteristische Geschwindigkeit für den konvek-
tiven Transport aufgrund von Auftriebskräften eine Geschwindigkeit Ufi definieren,
die später auch als Bezugsgeschwindigkeit dienen wird. Mit der charakteristischen
196 K. Gersten/H. Herwig
wobei sichergestellt ist, daß stets g;~{!B > 0 gilt, wie später erläutert wird.
Die Verweilzeit eines Fluidteilchens im Bereich des Körpers mit der charak-
teristischen Länge L* ist damit L* /UB. Im Sinne der Dimensionsanalysis ist L* die
Bezugslänge Lß. Für die hier speziell betrachtete halbunendliche Platte ist L* = Lß
eine willkürlich gewählte Länge, da in diesem Problem keine charakteristische geo-
metrische Länge existiert. Die charakteristische Dicke 6* der Strömungsschicht er-
gibt sich als das Produkt aus dieser Verweilzeit und der Geschwindigkeit des viskosen
(Quer-) Transportes von Impuls u:, vgl. (7.2), also als
(8.3)
Daraus ist unmittelbar die Bedingung für den Grenzschichtcharakter erkennbar, also
6* / L* -+ 0. Es gilt
6* g*_
_x L*3
___8 ~l!*) -+
-+ 0 für ( 00
L* v'("} e~ ·
Die hier auftretende dimensionslose Kombination wird nach Franz Grashof als
Grashof-Zahl bezeichnet. Es gilt
An ._ e:..- e~ (8.4)
u".B . - {?~
Der Index a weist darauf hin, daß die Definition nach (8.4) g; = -g* sina enthält.
Die asymptotische Theorie für Gr 0 -+ oo führt bei natürlicher Konvektion
also auf eine Strömung mit ausgeprägtem Schichtencharakter (-+ Grenzschicht).
Für die Grenzschichtdicke 6* gilt nach (8.3)
(8.5)
{! = 1 + Ku 1 8 + · .. , (8.6)
woraus für die Dichtedifferenz folgt
~es= KnleB
" + .. ·, T* T~ =
8 s = T:,- ~T.*/T*
s oo· (8.7)
00
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 197
Der Abbruch der Reihe nach dem linearen Term ist gerechtfertigt, solange die
Temperaturdifferenz es als charakteristisch für die Dichtedifferenz angesehen
werden kann. Dies wird in fast allen Situationen zutreffen, stellt streng genommen
aber den asymptotischen Grenzfall es ----> 0 dar.
Damit lautet die Grashof-Zahl unter Verwendung der charakteristischen
Temperaturdifferenz 8s
(8.8)
Die so definierte Grashof-Zahl ist für K ul < 0 stets positiv, da ein Vorzeichenwechsel
in es durch einen entsprechenden Vorzeichenwechsel von g~ kompensiert wird (s.
dazu die genaueren Ausführungen zur Plattenströmung, Abschnitt 8.3.2). Die Größe
Ku 1 ist immer dann negativ, wenn ße* /ßT* < 0 gilt. Dies ist bei allen Fluiden
erfüllt mit Ausnahme von Wasser unterhalb von 4 °C. Für diesen Spezialfall ist eine
gesonderte Betrachtung nötig, s. z.B. Herwig (1985a).
Häufig wird auch der sog. isobare thermische Ausdehnungskoeffizient ß~
verwendet. Die Definition lautet
* ·= __
ß00 1 ( oe*) = __1_K (8.9)
• n*
~oo
ßT* p,oo
T*oo ul '
Ganz anders liegt der Fall für Pr ----> oo, da die Strömungsgrenzschicht sehr viel
"dicker" als die Temperaturgrenzschicht sein kann. Die Auftriebskräfte wirken nur
in unmittelbarer Wandnähe und üben auf das weiter außen liegende Fluid eine
"Schleppwirkung" aus. Die charakteristische Transportgeschwindigkeit für innere
Energie parallel zur Wand ist damit die Geschwindigkeit UP, nach (8.2). Die
Grenzschichtdicke o;
ist wieder das Produkt aus der "Leitungsgeschwindigkeit"
198 K. Gersten / H. Herwig
U.'f = a"oc,/8"T , vgl. (7.4), und der Verweilzeit L* /Uß, so daß mit L* /Uß = 8* 2 jv~
aus (8.3) jetzt gilt
Die bisher gewählte Definition der Grashof-Zahl unterstellt letztlich eine x-Koordinate längs einer
ebenen Wand (die unter einem bestimmten Winkelostehen kann) mit dem Koordinatenursprung
an der Vorderkante. Ein Vorzeichenwechsel von .6.Tß (Heizen/Kühlen) führt nicht zu einem
Vorzeichenwechsel in der Grashof-Zahl Gr"', da gleichzeitig auch die Strömungsrichtung umgekehrt
wird. Die X-Koordinate weist immer in die Hauptströmungsrichtung, bei der geheizten senkrechten
Platte also von unten nach oben, bei der gekühlten Platte (deren Vorderkante oben liegen muß !)
entsprechend von oben nach unten. Für die senkrechte geheizte Platte gilt also g;
= -9, 81 m/s 2 ,
für die senkrechte gekühlte Platte g;
= 9, 81 mfs 2 , so daß der Vorzeichenwechsel in .6.Tf3
kompensiert wird. In Problemen mit gekrümmten Wänden verwendet man sinnvollerweise eine
Grashof-Zahl, die statt g; den Betrag g• enthält, muß aber dann beachten, daß die so definierte
Grashof-Zahl, s. die spätere Gleichung (8.15), mit .6.Tf3 das Vorzeichen wechseln kann.
Auch Graq ist stets positiv (Heizen: q; > 0, -g; > 0; Kühlen: q; < 0, -g; < 0).
g* L* 3 ß* t:,.T,* g* Gr 0
Gr := 00 8 = -Gr - = - - (8.15)
v;;J 0 g~ sin a
Tab. 8.1 enthält die beiden Definitionen der Grashof-Zahl nach (8.15) und
(8.10) sowie deren Spezifikationen auf die thermischen Randbedingungen T;_ =
const und q! = const.
{8.15)
G g
*L* 3 ß*
oo(T*-T*)
woo
r = v6c:,"l.
Tabelle 8.1: Übersicht über die Definitionen der Grashof-Zahl nach {8.10) und (8.15) sowie ihre
Spezifikationen für verschiedene thermische Randbedingungen
N _ G 1/4 _ y* - _ 1/4 _ v*
- Y r - 1/4' v- vGr - 114 . (8.16)
L*Gr- UßGr-
Die vollständigen Grundgleichungen (4.1) bis (4.4) lauten mit (8.16) und der
Bezugsgeschwindigkeit UB = Jg*L*!::::.eB mit !::::.eB nach (8.4), und mit e= e*/e'"oo,
- "1 */"loo'
"1- * ... '
a ("1 ( 2-
+ G r -1;2( -ax au 2 (au +av- )))
ax- -3 -
ax aN
+EiN
a ("'ax
av)) (8.18)
+ Gr _
112 ( a ["lßN
ßx au J + a ("1 ( 2ßN
ßN av - 32 (au av ))))
ßx + aN (8.19)
ar- 112 (
+~
a (>.ßx
ßx ae)) - ( uax
+ß(1+8)Ec
_ap)
ap +vaN
+ ryEcGr
- _ 112 ( 2 (au)
- + 2 ( -av
2
) 2 - -2 (au
- + -av )
2
ax aN 3 ax aN
+
0 _ 112
r
(av)
ax
2
2avau)
+ axaN (8.20)
Der Winkel a ist der lokale Neigungswinkel der Kontur. An gekrümmten Flächen
ist a eine (gegebene) Funktion der Koordinate x, s. Bild 8.3.
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 201
(8.21)
ßu _ ßu 1 8 ( ßu) 1 (1 ) .
ußx +vfijj = (JßN "lßjj + ~ Q-1 smo: (8.22)
(8.23)
In der Energiegleichung wird ab jetzt {} = (T* - T~) I .6TJ3 = 8T~ I .6TJ3 verwendet,
so daß Ec statt Ec auftritt (vgl. Tab. 4.2 in Kap. 4). Im weiteren wird stets von
einer konstanten Außentemperatur T~ ausgegangen, für Lösungen bei temperatur-
geschichteten Außenfeldern s. z.B. Chen and Eichhorn (1976) sowie Venkatachala
and Nath (1981).
202 K. Gersten/ H. Herwig
Besonders wichtig ist hierbei das Verhalten des Auftriebsterms, der zunächst für
(!--+ 1 einen unbestimmten Ausdruck darstellt, da 1/L.eB--+ oo und (1/e-1)--+ 0
für (! --+ 1 gilt. Mit der Entwicklung (8.28) für (! zeigt sich in (8.29), daß der
führende Term in der Entwicklung des gesamten Auftriebsterms '!9 sin a ist. Weitere
unbestimmte Ausdrücke treten in den Grenzschichtgleichungen nicht auf, so daß
im Grenzfall verschwindender Wärmeübertragung (SB --+ 0 bzw. c: --+ 0) folgende
Gleichungen gelten:
ßu ßv _ 0
(8.30)
ßx +aN-
(8.31)
(8.32)
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 203
Die Energiegleichung (8.32) enthält noch den Einfluß der Dissipation, der asympto-
tisch von der gleichen Größenordnung wie die anderen Effekte in (8.32) ist. Zah-
lenmäßig ist dieser Effekt jedoch so klein, daß er in den meisten Fällen vernachlässigt
wird.
Die Gleichungen (8.30) bis (8.32) sind partielle Differentialgleichungen, die in
der Regel nur numerisch gelöst werden können. Beispiele für solche Lösungen findet
man u.a. bei Merkin (1977).
Saville and Churchill (1967) schlagen eine Transformation (x, N) -+ (e, 'TJ) vor,
mit
(43)
X
mit deren Hilfe die Lösung des partiellen Problems durch eine Reihenentwicklung auf
die Lösung von gewöhnlichen Differentialgleichungen zurückgeführt werden kann.
Eine grundsätzliche Alternative besteht in der Anwendung von Integralver-
fahren, s. dazu z.B. Ede (1967).
Anmerkung 1 (Bezugsgeschwindigkeit)
Experimentelle Befunde zeigen, daß auch bei natürlicher Konvektion Ablösung auftreten kann.
Wie bei erzwungener Konvektion lautet eine notwendige Voraussetzung dafür (8 2 u/8N 2 )w > 0,
s. Punkt (6) in Abschnitt 7.3. Aus (8.31) folgt aber für N = 0 (Wandbindung): (8 2 uj8N 2 )w =
-iJw sin a < 0 für 0 < a < 7r, s. Bild 8.3 für a. Danach können die Lösungen des Gleichungssystems
(8.30) bis (8.32) nur Strömungen ohne Ablösung beschreiben. Dieser scheinbare Widerspruch
erklärt sich in einem asymptotischen Sinne wie folgt: Strömungsablösung wird bei natürlicher
Konvektion durch ein Druckfeld bewirkt, das durch die Wandkrümmung entsteht (Kompensation
von Zentrifugalkräften durch entsprechende Druckkräfte). Diese Krümmungseffekte sind aber im
Rahmen der Grenzschichttheorie Effekte höherer Ordnung (s. dazu Kap. 11).
Erst eine Theorie höherer Ordnung oder eine sog. Interaktions-Theorie (s. Abschnitt 11.6.3)
können Strömungen mit Ablösungen beschreiben, für nähere Einzelheiten s. Gersten et al. (1991).
Eine Übersicht über weitere Arbeiten zu Effekten höherer Ordnung bei natürlicher Konvektion
findet man bei Gersten (1982a).
8.3.1 Ähnlichkeitstransformation
Wie bei der erzwungenen Konvektion soll jetzt zunächst untersucht werden, ob
und unter welchen Bedingungen die Grenzschichtgleichungen (8.30) bis (8.32)
selbstähnliche Lösungen besitzen. Das weitere Vorgehen erfolgt analog zu Abschnitt
7.5 für erzwungene Konvektion.
Ein wesentlicher Unterschied besteht allerdings in der gegenseitigen Kopplung
der Impuls- und Energiegleichungen. Deshalb müssen beide Gleichungen stets ge-
meinsam betrachtet werden. Darüber hinaus ist zu erwarten, daß die Stromfunktion
proportional zur Normierungstemperatur '!?N(x) ist, so daß statt (7.36) jetzt eine
modifizierte Funktion f eingeführt werden muß. Für f und '!9 gelten in Erwartung
des selbstähnlichen Verhaltens die Ansätze
w(x,N)
f(x, TJ) = 8N(x)UN(x)'!9N(x),
~ '!9(x,N)
'!?(x,ry) = '!9N(x) , (8.34)
N
77 = 8N(x).
Anstelle von (7.42) bei erzwungener Konvektion gilt damit jetzt z.B. u = UN'!?Nf'·
Unter Berücksichtigung der Normierungsfunktionen lauten die transformierten
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 205
Grenzschichtgleichungen ( '~ ~)
(8.35)
(8.36)
82
a7 = UN sina
N (8.37)
a6 = U~t9N.
Der Vergleich mit den Grenzschichtgleichungen (7.37) und (7.38) bei erzwungener
Konvektion zeigt, daß im Impulssatz der Druckgradiententerm a2 fehlt und statt
dessen der Auftriebsterm a 7 Jhinzugekommen ist. Die Hilfsfunktionen ai unterschei-
den sich von ai wegen der Hinzunahme von t9N in der normierten Stromfunktion f.
Die Lösungen der Gleichungen (8.35) und (8.36) sind dann selbstähnlich, wenn
alle ai, mit Ausnahme von a 4 , Konstanten darstellen und die Randbedingungen x-
unabhängig sind.
Mit denselben Ansätzen für die Normierungsfunktionen wie in Kap. 7, also
(8.38)
a 1 = c2c c (n + m + r) x2n+m+r-1
n m r
a3 = c2c c (m + r) x2n+m+r-1
n m r
(8.39)
a6 = c2c
m r
x2m+r
a7 = c~c;;;t x 2n-m sin a.
Die Größen ai sind konstant, wenn alle Exponenten von x null sind. Dies ist mit drei
festen Werten von m, n und r nicht zu erreichen, wie man sich leicht überzeugen
kann. Ein Ansatz J = J 1 + BrJII analog zu (7.94) führt hier wegen der Kopplung
von Energie- und Impulsgleichung nicht weiter, da das Gesamtsystem nichtlinear ist.
Nur im Grenzfall Ec = 0 (keine Dissipation) sind selbstähnliche Lösungen möglich,
da dann auf die Bedingung aus a6 verzichtet werden kann.
206 K. Gersten/ H. Herwig
Bei Vernachlässigung der Dissipation (Ec = 0), die physikalisch bei natürlicher
Konvektionsströmung praktisch keine Rolle spielt, gelten zur Erfüllung der X-
Unabhängigkeit der Hilfsfunktionen iii nach (8.37) die Bedingungen 2n+m+r-1 =
0 und 2n - m = 0, woraus unmittelbar folgt
1-r 1-r
n=--,
4
m=-2-. (8.43)
17 = 0: /=!'=i?-1=0 (8.47)
!' = i9 = 0. (8.48)
r.Gr
--r a1 = 2Cm Cr
1 4 c-n 1xm+r-nf"w = 2V:.t.'2x<Har)/4 f"w· (8.49)
Für den Wärmeübergang in Form der Nußelt-Zahl Nux := q;_.x* f(..\*(T;(x*) -T~))
folgt mit q;_. = -..\*(8T* f8y*)w
(8.50)
(8.51)
Gleichung (8.51) zeigt, daß ein konstanter Wärmestrom an der Wand für r = 1/5
vorliegt. Für die andere Standard-Randbedingung, T; = const, gilt wegen (8.44) der
Exponent r = 0. Beide Fälle können also einheitlich als Lösung von (8.45) und (8.46)
gewonnen werden. Es sei aber ausdrücklich darauf hingewiesen, daß für q;_. = const
als dimensionslose Temperatur wegen (8.44) J' := (T* -T~)f((T; -T~)x*=L*x 1 1 5 )
gilt und nicht die Entdimensionierung mit q;_., s. dazu die Anmerkung am Ende
dieses Abschnittes.
Ergebnisse für eine Reihe von Exponenten r findet man z.B. bei Sparrow and
Gregg (1958). In Tab. 8.2 sind Zahlenwerte für r = 0 (T; = const) und r = 1/5
(q;_. = const) zusammengestellt. Die asymptotischen Grenzwerte für Pr -+ 0 und
Pr-+ oo sind dabei durch Sonderbetrachtungen der Impuls- bzw. Energiegleichung
gewonnen worden.
208 K. Gersten/ H. Herwig
Tabelle 8.2: Selbstähnliche Lösungen für die ebene Platte unter dem Winkel a "=I 0.
V*
UßB*L*
Grl/4
a
=C
n
C C xn+m+r f = J2 x(3+r)/4 f (8.52)
m r oo 00 ,
d.h. V*
nimmt für r > -3 mit x laufend zu.
Neben der örtlichen Nußelt-Zahl Nux nach (8.50) kann der Wärmeübergang
auch durch eine mittlere Nußelt-Zahl beschrieben werden, in die der gesamte auf
der Länge L * übertragene Wärmestrom eingeht. Für diesen Wärmestrom gilt
L*
Mit den Ergebnissen aus Tab. 8.2 lassen sich unmittelbar die asymptotischen
Grenzfälle Pr -+ 0 und Pr -+ oo bestimmen. Es gilt
ß'
w
:=(aß)
aTJ
=iJN (aß)
w aN
=_ener
liN
w
xn-r. (8.58)
Die X-Unabhängigkeit gilt für n = r, woraus mit {8.43) n = r = 115, m = 215 folgt.
Setzt man weiterhin en = er, so lautet die thermische Randbedingung ß~ = -1. Mit der
Wahl en = er = 5 1 / 5 und em = 52 / 5 erhält man die in der Literatur übliche Form der
Differentialgleichungen (mit ':;;818TJ und den Funktionen 7, ß statt f, J), s. z.B. Sparrow and
Gregg {1956), als
TJ = 0: 7 = 7' = 0 (8.61)
ö' = -1 (8.62)
TJ-+00: J'=Ü=O. (8.63)
An dieser Stelle ist nun Vorsicht geboten. Die zunächst verwendete Grashof-Zahl ist Gr aq nach
{8.14), die mit 6TI3 = q:,L* I>.';";, eine Spezifikation der allgemeinen Grashof-Zahl-Definition
(8.10) darstellt. Diese Größe L.Tß ist formal eine Temperaturdifferenz, sie ist aber nicht direkt
proportional zu der Temperaturdifferenz zwischen der Wand und dem Außenraum und damit im
strengen Sinne keine charakteristische Temperaturdifferenz in der Grashof-Zahl. Aufgrund der
Definition von J gilt T:,- T~ = ßw(q:,L*I >.';";,)Gr;;-~ 14 , d.h. q;, tritt nicht nur als linearer Faktor,
sondern zusätzlich auch noch in Gr 0 q auf. Eine Grashof-Zahl-Definition, die diesem Umstand
Rechnung trägt, müßte Gr0 q = Gr~5 lauten.
210 K. Gersten/ H. Herwig
Für den Reibungsbeiwert und die Nußelt-Zahl, dargestellt in Gr"q nach (8.14) gilt mit den
Lösungen f und 19 aus (8.59) und (8.60)
Es treten jetzt die Exponenten 1/5 bei der Grashof-Zahl auf, weil Gr~4 = Gr~5 gilt. Statt den
"Umweg" über die Einführung von Gr<>q zu gehen, kann dieser speziellen Situation auch durch
eine Transformation mit Gr;:; 115 statt Gr;:; 1 / 4 in (8.16) Rechnung getragen werden.
8.3.3 Staupunkt-Grenzschicht
Im folgenden wird die Strömung an einem horizontalen Kreiszylinder mit der
thermischen Randbedingung T:, = const betrachtet. Bild 8.4 zeigt den prinzipiellen
Grenzschichtverlaufund die Lage des "unteren Staupunktes" . Nur in der Umgebung
dieses Punktes ist die Strömung selbstähnlich, wie gezeigt werden soll. Im Falle eines
gekühlten Zylinders liegt dieser Staupunkt auf der Oberseite, was deutlich macht,
daß sich die Bezeichnung als unterer Staupunkt an der Hauptströmungsrichtung
und nicht an der Geometrie orientiert.
Für x -+ 0, also in der Nähe des unteren Staupunktes gilt die Entwicklung
sin x = x + · · · . Eine selbstähnliche Lösung im Staupunktbe reich wird möglich,
wenn a7 neben den restlichen ai (mit Ausnahme von a4 ) ebenfalls konstant wird.
Für x-+ 0 gilt mit sinx = x
- - c2 c-1 2n-m+l
Ct7- n m X ' (8.67)
r 2-r
n= --, m=-2-. (8.68)
4
8.3.4 Auftriebsstrahl-Strömung
Infolge einer horizontalen linienförmigen thermischen Energiequelle (in der betrach-
teten Ebene einer punktförmigen Energiequelle) kommt es zu einer Auftriebsstrahl-
Strömung, die in Bild 8.5 skizziert ist. Da dieses Problem keine charakteristische
Länge besitzt, wird auch diese Strömung durch eine selbstähnliche Lösung beschrie-
ben.
1 ~.
. I
r*rx*.y*J- r:
I . I
·•
\
I
I I
\ I /
\ I /
\\ I ,'I
I ,. f
1 X 1
\ I
\ I
I ,'
~I Bild 8.5: Auftriebsstrahl-Strömung
(Pr~ 1)
y* ------ Thermische
Energiequelle. 6*
Mit einer Begründung analog zum Wand- bzw. Freistrahl (Abschnitt 7.5) gelten
auch im hier vorliegenden Fall die Grenzschichtgleichungen im Sinne einer asym-
ptotischen Lösung für Gr -+ oo. In der Grashof-Zahl nach (8.15) ist die charakte-
ristische Temperaturdifferenz 6Tß jetzt eine noch zu bestimmende Größe (s. die
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 213
nachfolgende Gleichung (8.80)), die mit der Leistung der Energiequelle Q* verbun-
den ist. Über diesen "Umweg" erfolgt die Entdimensionierung letztlich mit Q*, es
kann aber die formale Schreibweise J := (T*- T;.,)/(6.TP,fJN) aus Abschnitt 8.3.1
beibehalten werden.
Aufgrund der gewählten Entdimensionierung entsteht eine Situation, die
formal derjenigen bei der Plattenströmung entspricht. Die Differentialgleichungen
(8.45) und (8.46) gelten weiterhin, nur zwei Randbedingungen ändern sich: statt
f'(O) = J(O)- 1 = 0 gelten jetzt die Symmetriebedingungen f"(O) = J'(O) = 0.
Anders als bei der Plattenströmung ist der Temperaturexponent r in (8.44)
aber nicht frei wählbar, sondern ergibt sich aus der Bedingung, daß die von
der thermischen Energiequelle abgegebene Energie in jedem Querschnitt x* =
const vorhanden sein muß. Beschreibt Q*, mit [Q*] = W /m, die Leistung der
Wärmequelle pro Einheitslänge, so gilt
J
+oo
JJ'J
+oo
Mit den Ansätzen (8.38) für ON, UN und f)N folgt aus der X-Unabhängigkeit von Q
unmittelbar
n+m+2r = 0, (8.76)
3
r= -- (8.77)
5
ergibt.
Aus den Lösungen der Impuls- bzw. Energiegleichung folgt z.B. für die maxi-
malen Werte der Geschwindigkeit bzw. Temperatur (jeweils auf der Strahlachse)
u*
u max ·= --.!!!!!:15. = 2 x 115 J'(O) (8.78)
• U*
B
(8.79)
214 K. Gersten/ H. Herwig
J
Dabei gilt Uß = g* L *ß~ 6Tß. Die charakteristische Temperaturdifferenz
6TP, ist direkt mit Q* verknüpft und lautet
/.':,.T,*
B
= (g*ß* n*4 c*4 v*2L*3)-lf5Q~*4/5
oo «poo poo oo · (8.80)
Zahlenwerte für f'(O) und J(O) sind in Tab. 8.4 zu finden. Weitere Angaben, wie
z.B. über die Strahlausbreitung, den Volumenstrom und den kinematischen Impuls
findet man in Gersten et al. (1980). Afzal (1980) beschreibt die Auftriebsstrahl-
Strömung längs einer senkrechten Wand, die entsteht, wenn die Energiequelle auf
der Vorderkante der Wand angeordnet ist (engl.: wall plume).
Pr /'{0) D{O)
--+0 0, 7537Pr 115 0, 4544 Pr2 15
0,01 0,2638 0,0721
0,1 0,3552 0,1784
0,7 0,4044 0,3733
1 0,4097 0,4275
5 0,4299 0,8226
10 0,4376 1, 1170
100 0,4555 3,3020
--+ 00 0,4667 0, 3196 Pr 112
sie in Bild 8.6 gezeigt ist. Vor der Platte herrscht überall die Temperatur T~, so daß
eine lineare Druckverteilung mit dem Gradienten 8p* / 8y* = -Q'"oog* vorliegt. Über
der Platte ist die Temperatur im Grenzschichtbereich größer als T~, die Dichte also
kleiner als Q'"oo. Die verminderten Druckgradienten jßp* / 8y* I = [J* g* < Q'"oog* führen
zu einem verminderten Druck im Grenzschichtbereich. Dadurch entsteht aber ein
Druckgefälle in x* -Richtung. Dieser induzierte Druckgradient in x* -Richtung ist die
Ursache für die plattenparallele Strömung, die (analog zur direkten natürlichen Kon-
vektion) wieder Grenzschicht-Charakter besitzt. Dies soll im folgenden für die ho-
rizontale Platte (cosa = 1) mit der thermischen Randbedingung T:, = const > T~
erläutert werden.
Stewartson (1958) konnte als erster zeigen, daß auch für eine horizontale Platte eine
grenzschichtartige (selbstähnliche) natürliche Konvektionsströmung existiert, "ob-
wohl" die Auftriebskräfte dann senkrecht zur Plattenoberfläche wirken. Die zitierte
Arbeit von Stewartson enthält allerdings einen für die physikalische Interpretation
entscheidenden Vorzeichenfehler, auf den u.a. Gill et al. (1965) hinweisen.
Wie bei der direkten natürlichen Konvektion existiert eine charakteristische
Transportgeschwindigkeit u:
für den viskosen lmpulstransport, s. (8.1). Der zweite
Transportmechanismus ist jetzt aber der eben beschriebene konvektive Transport
aufgrund des indirekt erzeugten Druckgradienten. Folgende einfache Überlegung
führt auf die hierfür maßgebliche charakteristische Geschwindigkeit Uß.
Unterstellt man, daß Druck- und Trägheitskräfte von gleicher Größenordnung
sind, so gilt
1 ap• au· au·B_2
- - - "' U* ____!! "' _ _ (8.81)
Q~ 8x* B 8x* 8x* ·
216 K. Gersten/ H. Herwig
Da die maßgebliche Differenz zwischen dem Druck vor der Platte und dem Druck in
der erwarteten Grenzschicht (als charakteristischer Wert wird hier der Druck direkt
an der Wand gewählt) durch eine jeweils unterschiedliche vertikale Dichteschichtung
über die Höhe 8* (charakteristisches "Dickenmaß" der Grenzschicht) entsteht, gilt
Mit der für die charakteristischen Größen gültigen Beziehung ßp* I ßx* "' 6p* I L *
folgt aus (8.81) mit (8.82) sofort
Da nun die Verweilzeit eines Fluidteilchens im Bereich der Platte mit der Länge
L* durch L* IUP, gegeben ist, kann die charakteristische Dicke 8* unmittelbar aus
dieser Verweilzeit und der charakteristischen (Quer-) Geschwindigkeit ermittelt u;
werden, wie dies ganz analog in (7.2) und (8.3) geschehen ist. Es gilt dann
* [ L * ] [ v~]
8 "' UP, 8*' =?
8* [ v~
L*"' UP,L*
]
1
/2
"'
[ v~2
g*L*(-6ej,Jie~
]
1/5
(8.84)
Ein Vergleich mit (8.3), dort gilt g~ = -g* (senkrechte Platte), zeigt den ähnlichen
Aufbau beider Beziehungen; die unterschiedlichen Exponenten entstehen, weil UP,
in (8.2) mit L *, UP, in (8.83) aber mit 8* gebildet ist.
Führt man wieder die Grashof-Zahl ein, so gilt mit der Defintion (8.15) unter
Berücksichtigung von (8.7) und (8.9)
Der Vergleich mit (8.5) zeigt, daß gegenüber der direkten natürlichen Konvektion
nur eine (geringfügige) Änderung im Exponenten vorliegt. Es ist zweckmäßig, bei der
indirekten natürlichen Konvektion stets die Grashof-Zahl nach (8.15) zu benutzen.
Aufgrund des asymptotischen Charakters der Grenzschichtströmung für
Gr ---+ oo vereinfachen sich die vollständigen Grundgleichungen (4.1) bis (4.4) er-
heblich.
Anders als in den Grenzschichtgleichungen für direkte natürliche Konvektion,
(8.21) bis (8.27), spielen Druckänderungen jetzt aber eine entscheidende Rolle, wie
nach der Grenzschichttransformation und dem Grenzübergang Gr ---+ oo deutlich
wird. Analog zu (8.16), jetzt aber unter Beachtung von (8.85), werden folgende
Grenzschichttransformationen eingeführt (da nur gerade Wände betrachtet werden,
kann cos o: als Konstante ohne weiteres in die Transformation übernommen werden):
(8.86)
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 217
( l::.e* )
u~ = g*cosa8*- (!~ 8 =[-K 8 cosag*L* 112 v* 112 ] 215 . (8.87)
Ql 8 00
au av -0 (8.88)
ax +aN-
u-
au +v-
au = -ap 1; 5 ; a2 u
- +'!9Gr (cosa) 1 5 tana+ - - (8.89)
ax aN ax aN2
lo=-~+'!91 (8.90)
(8.91)
Der Term proportional zu Gr 115 in (8.89) beschreibt den Anteil der direkten
natürlichen Konvektion, der für a = 0 und a = 11" exakt null wird (tana = 0). Für
allgemeine Winkel a in der Nähe von 0 und 11" läßt sich unmittelbar die asymptotische
Bedingung für die Vernachlässigung dieses Termes erkennen. Es muß gelten
(x, ry) kann in enger Anlehnung an die Vorgehensweise in Abschnitt 8.3 erfolgen.
Zusätzlich zu den transformierten Größen j, J und "7 nach (8.34) muß ein trans-
formierter Druck eingeführt werden. DieN-Impulsgleichunglegt folgenden Ansatz
nahe:
(8.92)
g' = J. (8.94)
Die Energiegleichung gilt unverändert in der Form (8.36).
Gegenüber der direkten natürlichen Konvektion ist ä 7 in (8.37) entfallen. Neu
hinzugekommen sind die Hilfsfunktionen
_ 8~ d(8N!JN) _ 8~ d8N _ 8~ ( )
as = UNl?N dx ag = UN dx ' aw = UN . 8.95
Die Lösungen sind selbstähnlich, wenn alle äi mit Ausnahme von ä 4 und ä 10
Konstanten sind und zusätzlich die Randbedingungen nicht von x abhängen. Mit
den Normierungsfunktionen nach (8.38) gilt neben (8.39) für ä 1 bis ä 6
- = c3c-lc-1(
ag n m r n + r ) X 3n-m-1
(8.96)
- - c3c-1
O:g- n m nx 3n-m-1 .
Bei Vernachlässigung der Dissipation (ä 6 = 0) folgt unmittelbar
2-r 1-3r
n=-5-, m=--5-. (8.97)
Der zunächst freie Exponent r ist durch die thermische Randbedingung bestimmt.
Soll stets J(o) = 1 gelten, folgt unmittelbar r = 0 für r:,
= const und r = 1/3 für
q: = const. Damit gilt n = 2/5, m = 1/5 für T:, = const und n = 1/3, m = 0 für
q: = const.
Die in der Literatur übliche Form der gewöhnlichen Differentialgleichungen
erhält man mit der Wahl der noch freien Konstanten zu Cn = Gm = Cr = 1. Für
r:, = const gilt z.B. (vgl. Stewartson (1958))
J" + ~PrJJ'
5
= 0 (8.100)
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 219
1] = 0: f=!'=J-1=0 (8.101)
!' = :a = 0. (8.102)
Die bisher in Kap. 8 behandelten Strömungen kommen nur zustande, weil die
Dichte temperaturabhängig ist. Es handelt sich also um eine Strömung mit einem
variablen Stoffwert. Im Rahmen der Boussinesq-Approximation reichte es aus, die
Dichtevariationen als{!= 1+Ku1 e, also unter Vernachlässigung aller Terme höherer
Ordnung (8 2 , e 3 , ... ), zu berücksichtigen.
In diesem Abschnitt sollen die für die direkte natürliche Konvektion (Ab-
schnitt 8.3) bisher vernachlässigten Dichte-Effekte sowie der Einfluß der Tempe-
raturabhängigkeit aller anderen Stoffwerte berücksichtigt werden. Dazu wird wie-
der die in Abschnitt 5.4.2 beschriebene asymptotische Methode benutzt. Nach der
systematischen Anwendung dieser Methode kann das Ergebnis in Form der sog.
Stoffwertverhältnis-Methode angegeben werden (für Einzelheiten s. Herwig et al.
(1985)). Wenn mit cro, Nu0 und Two die Ergebnisse im Rahmen der Boussinesq-
Approximation bezeichnet werden, lauten die Korrekturbeziehungen zur Berück-
sichtigung der einzelnen Stoffwert-Effekte
;r =
fO
(ewTJw)mQTI (ew!ßw)mQß (ew.Xw)mQ>. c~~ (8.105)
Nu
r; = const: Nu = (ewTJwtQTI (ewlßw)nQß (ew.Xw)nQ>. C~~ (8.106)
0
T
q:_. = const: T w = (ew'fJw)kQT/ (ew/ ßw)kQß Ü?w.Xw)kQ>.c~~ · (8.107)
wO
Zahlenwerte für die Exponenten in (8.105) bis (8.107) sind in Tab. 8.5 für die
Plattenströmung (direkte natürliche Konvektion) enthalten, weitere Zahlenwerte
finden sich in der Originalarbeit Herwig et al. (1985).
Im Vergleich zu den entsprechenden Korrekturbeziehungen bei erzwunge-
ner Konvektion (Abschnitt 7.7.2, (7.138) bis (7.140)) treten zwei Änderungen auf.
Wegen der gegenseitigen Kopplung der Impuls- und Energiegleichung bei natürli-
cher Konvektion treten alle Stoffwert-Einflüsse auch in der Reibungsbeiwertkor-
rektur (8.105) auf, während (7.138) nur die Stoffwerte enthält, die in der Im-
pulsgleichung auftreten. Da die Größen nullter Ordnung (cro• Nu0 , Two) bereits
unter der Wirkung des linearen Temperatur-Terms der Dichte-Entwicklung (also:
{! = 1 + K" 1 8) zustande kommen, muß in den Korrekturfunktionen (8.105) bis
(8.107) der nächste Term der Taylor-Reihenentwicklung von {! berücksichtigt wer-
den (also: e= 1+Ku1 8+0,5K"2 e 2 , s. auch (5.20)). Dies führt dazu, daß jetzt
zusätzlich der "Stoffwert" ß nach der Definition (8.9) in den Korrekturfunktionen
auftritt, da mit Kß 1 := (aß*/ßT*) 00 (T~/ß~) gilt Ku 2 = KßdKul·
8 Grenzschichtströmungen bei natürlicher Konvektion 221
Tabelle 8.5: Exponenten für die Plattenströmung bei direkter natürlicher Konvektion
8.6 Zusammenfassung
1.) Sind die treibenden Kräfte bei natürlichen Konvektionsströmungen Auf-
triebskräfte, so spricht man von direkter natürlicher Konvektion (Abschnitte
8.2, 8.3). Wird die Strömung durch einen Druckgradienten bewirkt, der sei-
nerseits durch Dichteunterschiede induziert ist, handelt es sich um indirekte
natürliche Konvektion (Abschnitt 8.4).
222 K. Gersten/ H. Herwig
9.1 Vorbemerkung
Eine Strömung kann grundsätzlich durch zwei verschiedene Mechanismen zustande
kommen.
(1) Durch "von außen" aufgeprägte Kräfte; diese können entweder durch Druck-
gradienten, wie z.B. bei der Rohrströmung, oder durch an der Wand übertra-
gene Schubkräfte, wie z.B. bei der Couette-Strömung, hervorgerufen werden.
In diesen Fällen spricht man von erzwungener Konvektion.
(2) Durch "innere" Volumenkräfte aufgrund von Dichteunterschieden in der
Strömung; diese können als direkte Auftriebskräfte oder indirekt über einen
induzierten Druckgradienten wirken. Man spricht in diesen Fällen von natürli-
cher Konvektion. In diesem Zusammenhang werden im vorliegenden Buch
nur Druckunterschiede betrachtet, die durch Temperaturgradienten entste-
hen. Effekte natürlicher Konvektion können also hier nur bei nicht-isothermen
Strömungen auftreten.
Im allgemeinen Fall kommen beide Mechanismen gleichzeitig vor, weshalb man dann
auch von gemischter (erzwungener und natürlicher) Konvektion spricht.
folgt als asymptotische Bedingung für die Vernachlässigung von Effekten natürlicher
Konvektion
g*L* l?*
Kd1 - l?] ---+ 0, Kl = U*2' [J= *' (9.1)
B l?B
was z.B. für eine isotherme Strömung (l? = 1) stets erfüllt ist. Es ist zu beachten,
daß die Effekte der natürlichen Konvektion nicht allein aus Geometriegründen
vernachlässigbar sein können, da sowohl sin a als auch cos a in den Gleichungen
auftritt.
ö(Qu) ö(Qv) _ 0
~+ öN- (9.2)
(9.3)
(9.5)
(1) Fr- 2 (1- Q) sinn: in (9.3) beschreibt den Effekt direkter natürlicher Konvek-
tion.
(2) Re- 112Fr- 2 (1- Q) coso: in (9.4) beschreibt den Effekt indirekter natürlicher
Konvektion.
In Kapitel 8 wurden Strömungen behandelt, die ausschließlich durch einen die-
ser Effekte zustande kommen. Dort wurde dann als Bezugsgeschwindigkeit selbst-
verständlich nicht U::.O, sondern die charakteristische Geschwindigkeit des jeweils
betrachteten Effektes gewählt. Diese beiden Geschwindigkeiten werden im weiteren
als Ußd (direkte natürliche Konvektion) und Ußi (indirekte natürliche Konvektion)
bezeichnet.
Schreibt man die beiden Terme natürlicher Konvektion in (9.3) bzw. (9.4)
formal auf ihre "natürlichen" Bezugsgeschwindigkeiten um, so entstehen Potenzen
der Verhältnisse UP,d/U::.O und UP,)U::.O jeweils als Vorfaktoren, die dann physikalisch
anschaulich interpretiert werden können. Es gilt unter Verwendung von UP,d =
[(g*sino:)L*ß*~TP,jl/ 2 und UP,i = [(g*coso:)L* 1 1 2 v* 1 1 2 ß*~TP,] 2 1 5 mit cKu1 =
-ß*~TP,
2
-
U* )
1 (1- Q) sinn:= ( ___1M Q- 1
-- = -Gr2 -
Q- 1 .
- smo: (9.6)
2
Fr U~ cKu 1 Re cKu 1
Gr -1/2 (9.9)
P11 := ~12 coso: = P1 Re coto:.
Re
Die Grenzschichtgleichungen (9.2) bis (9.5) gelten asymptotisch für
Re--> oo, s. Kap. 7. Sollen mit diesen Gleichungen gemischte Konvektionsströmun-
gen beschrieben werden, muß im Sinne einer asymptotischen Bedingung (Prinzip
der geringsten Entartung der Differentialgleichung, s. Kap. 11) zusätzlich gelten
Mit dieser Forderung wird die "Stärke" der beiden Effekte (hier zunächst erzwun-
gene und direkte natürliche Konvektion) in einem asymptotischen Sinne als gleich
unterstellt. Dies ist deutlich an (9.6) zu erkennen, da mit (9.10) UP,d "' U::.O gilt.
226 K. Gersten/ H. Herwig
8u _ 8u 8p 8 2u
u-+v 8 N =--+--+R'!9 (9.13)
8x 8x 8N2
8p
0 = -8N +Pn'!9 (9.14)
Die Gleichungen besitzen als Parameter die Prandtl-Zahl Pr und die beiden
"Verhältnisparameter" PI und P11 nach (9.8) bzw. (9.9). Die Randbedingungen
lauten wie diejenigen für reine erzwungene Konvektion, s. Abschnitt 7.2.
Anmerkung (Alternative asymptotische Näherung)
Mit (9.10) wurde das Prinzip der geringsten Entartung angewandt, was hier bedeutet, daß auch im
Grenzfall Re -+ oo die natürliche Konvektion eine Rolle spielen soll und somit in den Gleichungen
die Terme erhalten bleiben müssen, die dieses Phänomen beschreiben. Aus (9.6) geht hervor,
daß dies gleichbedeutend mit der Forderung Fr- 2 (1 - 12) = 0(1) ist. Das bedeutet, daß für
12 -+ 1, wie in der Boussinesq-Approximation gefordert, Fr- 2 = g* L* /U~ -+ oo gelten muß.
Bei verschwindendem Wärmeübergang (12-+ 1) muß also entweder eine große Länge L* vorhanden
sein, über die dann auch bei kleinen Heizraten beträchtliche natürliche Konvektionseffekte erreicht
werden, oder die Geschwindigkeit U~ muß sehr klein werden, was eine schwache erzwungene
Konvektion bedeutet.
Die Forderung (9.10) ist aber nicht zwingend, sondern führt nur zu einem bestimmten
Modell, mit dem dann Strömungen beschrieben werden können, bei denen beide Effekte von
gleicher Bedeutung sind.
Will man Strömungen beschreiben, bei denen die natürliche Konvektion nur eine kleine
Störung der erzwungenen Konvektion darstellt, wird man auf (9.10) verzichten und statt dessen
Fr- 2 = 0(1) fordern. Dann ist der gesamte Auftriebsterm für 12-+ 1 von der Größenordnung O(e),
so daß gleichzeitig mit der Berücksichtigung des Auftriebs als Effekt höherer Ordnung auch die
Einflüsse aller anderen Stoffwerte, also z.B. von (12-+ 1) in den Trägheitstermen und (77 -+ 1) im
Reibungsterm von (9.3) berücksichtigt werden müssen. Bezüglich der Dichtevariationen ist dies
dann nicht mehr die Boussinesq-Approximation.
0.5
Pr
nicht
0.0
erreichbar
Diese Aufzählung verdeutlicht, daß bei Vorhandensein aller drei Effekte für L * --> 0
stets die reine erzwungene Konvektion dominiert, während für L * --> oo stets die
direkte natürliche Konvektion überwiegt. Dies ist physikalisch leicht einsehbar, da
in der Nähe der Vorderkante (L* --> 0) einer Platte noch nicht genug thermische
Energie übertragen worden ist, um nennenswerte natürliche Konvektionseffekte zu
ermöglichen. Andererseits wächst der Effekt der direkten natürlichen Konvektion
mit steigender übertragener thermischer Energie (L* --> oo) unbegrenzt an, und
zwar stärker als derjenige der indirekten natürlichen Konvektion.
Wenn alle drei Effekte vorhanden sind, muß eine Rechnung also stets an der
Vorderkante (x* = 0) mit der Blasiusschen Lösung für erzwungene Konvektion als
Anfangsbedingung beginnen.
Um die Zuordnung der Ergebnisse zur realen Strömungssituation zu erleich-
tern, empfiehlt es sich, die Parameter P1 und Pu noch einmal durch ihre dimensi-
9 Grenzschichtströmungen bei gemischter Konvektion 229
- g* L •1/2 ß* t0,Tß v*
Pn- u~/ 2 cosa. (9.17)
Wie man sich leicht überzeugen kann, bedeuten positive Werte von PI bzw. Pn,
daß die erzwungene Konvektion durch den jeweiligen natürlichen Konvektionseffekt
unterstützt wird, negative Werte bedeuten physikalisch ein Entgegenwirken, was
zur Folge hat, daß die Strömung "in Richtung Ablösung" beeinflußt wird.
Stellt man sich anschaulich eine Situation vor, bei der g*, ß*, t0,Tß, a, v*
und u~ vorgegebene feste Größen sind, so ist die einzige freie Variable in PI und
Pn die Lauflänge L *. Verschiedene Werte von L * beschreiben dann die gesuchte
Lösung in verschieden großen Abständen von der Vorderkante, so daß die Lauflänge
L * in dieser Interpretation auch durch die Koordinate x* ersetzt werden könnte.
In der hier gewählten Vorstellung besteht dann natürlich eine Kopplung zwischen
den Parametern. Da PI "' L* und Pn "' L* 112 gilt, liegen alle Lösungspunkte für
wachsenden Abstand von der Vorderkante (bei festem g*, ß*, t0,Tß, a, v* und U~)
auf der Kurve
(9.18)
also auf einer Parabel im (PI, Pn)-Diagramm. Für die Konstante C folgt aus (9.16)
bis (9.18)
U* 3 sin a Re 3 sin a
C= oo =-----. (9.19)
g* ß* t0,Tßv* 2 cos 2 a Gr cos 2 a
In Bild 9.2 sind die Linien mit C = const eingezeichnet. Die Pfeile deuten in Rich-
tung wachsender Lauflänge. In diesem Diagramm wird noch einmal deutlich, daß
die Strömungen an der Vorderkante stets mit der reinen erzwungenen Konvektion
beginnen (im Ursprung des PI, Pu-Diagrammes) und daß für große Lauflängen der
Einfluß der direkten natürlichen Konvektion überwiegt (betragsmäßig große Werte
von PI)·
~ .60
7
.56
6
3 -3
2
-5
-0.8 -0.6 -0.20 0.4 0.8 1.2 1.6 .04 .12 .20 .24 .28 .32 .36 .40
Bild 9.3: Höhenlinien-Diagramme für r; = const, Pr= 0, 72
(b) für Nu Re- 112 x 112
u· L* x•
NU :=
q• L*
.-
Re ·-~
v• ' X:= L•' ---==w----:-
.>.•(T;- T~)
Die in Bild 9.3 enthaltenen Höhenlinien gestatten es, die Werte crRe 112 x 112 und
NuRe- 112 x 112 für den FallT:, = const und Pr = 0, 72 abzulesen. Aus Gründen
der Übersichtlichkeit sind die Parabeln nach Bild 9.2 nicht noch zusätzlich in
das Bild aufgenommen worden. Im Ursprung des Diagramms liegt die Blasiussche
Plattenlösung mit crRe 112 x 112 = 0, 664 und NuRe- 112 x 112 = 0, 293 (vgl. Kap. 7,
(7.49) und (7.101)).
9 Grenzschichtströmungen bei gemischter Konvektion 231
9.5 Zusammenfassung
1.) Die Grundgleichungen für gemischte Konvektion beschreiben den "allgemei-
nen Fall". Sie enthalten die reine erzwungene Konvektion sowie die reine
natürliche Konvektion als Spezialfälle.
2.) Zur Entdimensionierung kann als Bezugsgeschwindigkeit eine charakteristi-
sche Geschwindigkeit des Anteils der erzwungenen Konvektion gewählt wer-
den. Lediglich im Grenzfall der natürlichen Konvektion muß dann auf eine
Bezugsgeschwindigkeit übergegangen werden, die charakteristisch für diese
Strömung ist.
3.) Die Grenzschicht an der beliebig geneigten ebenen Platte ist neben der
Prandtl-Zahl durch zwei Parameter Pr und Pn gekennzeichnet, s. (9.8)
und (9.9). Diese legen fest, wie die drei Effekte der erzwungenen, direkten
natürlichen und indirekten natürlichen Konvektion untereinander gewichtet
sind.
4.) Grenzschichtlösungen existieren nicht für beliebige Kombinationen von Pr
und Pn. Bestimmte Bereiche der (P1, Pu)-Ebene sind wegen des Auftretens
(singulärer) Strömungsablösung ausgeschlossen, s. Bild 9.1.
5.) Das Lösungsverhalten in der Umgebung der Ablösung kann singulär oder
regulär sein. Während die Ablösung im zweiten und dritten Quadranten
singulär ist (und damit die Grenzschichtrechnung über den Punkt = r:,
0 hinaus nicht fortgesetzt werden kann), tritt im vierten Quadranten ein
reguläres Lösungsverhalten bei r:,
= 0 auf.
10 Schleichende Strömungen (Re-+ 0)
10.1 Vorbemerkung
(2) Unter der Annahme konstanter Stoffwerte sind die Gleichungen linear, so
daß Lösungen durch Überlagerung einzelner Teillösungen gewonnen werden
können (Superpositionsprinzip ).
234 K. Gersten/ H. Herwig
(10.1)
a-p -_ !.._
ax ax _~3 (au
ax [1J ( 2 au ay [1J (au
av))] + !._
ax + ay av)]
ay + ax
+ R~ (1 - e) sin a (10.2)
Fr
a-p -_ !.._
ay ax + au)]
ax [1J (av ay + !._ av _~3 (auax + av))]
ay [1J ( 2 ay ay
Re
+ -2(1- e)cosa. (10.3)
Fr
Die Energiegleichung gilt zunächst unverändert in der Form (4.4), s. auch die spätere
Gleichung (10.11).
Die beiden Komponenten der Impulsgleichung enthalten noch die Auftriebs-
terme, die bei vorhandener Wärmeübertragung sehr sorgfältig bezüglich ihrer
asymptotischen Größenordnung untersucht werden müssen. Zunächst ist unmittel-
bar erkennbar, daß die Auftriebsterme im isothermenFall (e = 1) entfallen. Für
nicht-isotherme Strömungen können sie im Grenzfall Re --t 0 von vornherein nur
dann vernachlässigt werden, wenn die Dichteunterschiede (1 - e) nicht "zu groß"
werden. Asymptotisch gilt (1- e) = -€Ku 1 1'J + O(c2 ), s. (4.10) mit c = !::::..TBJTP,,
so daß der Auftriebsterm nur dann klein gegenüber den anderen Termen ist, wenn
gilt
(10.4)
10 Schleichende Strömungen 235
8u+8v=O (10.5)
8x 8y
8p 8 2 u 82 u
- =-+-
8x 8x2 8y 2
(10.6)
8p 8 2 v 8 2v
(10.7)
8y = 8x 2 + 8y 2 •
Diese Gleichungen werden häufig Stokes-Gleichungen genannt. Die Randbedingun-
gen der vollständigen Navier-Stokes-Gleichungen gelten unverändert.
Führt man mit u = 8\I! I 8y und v = -8\I! I 8x die Stromfunktion \I! ein,
so erhält man nach Differentiation von (10.6) nach y und Differentiation von
(10. 7) nach x und anschließender Subtraktion der beiden Differentialgleichungen
(dabei wird der Druck eliminiert) eine Impulsgleichung, die mathematisch von der
folgenden, sog. biharmonischen Form ist:
(10.8)
In (10.8) ist der sog. Laplace-Operator D. verwendet worden (der auch als
div grad geschrieben werden kann), für den in kartesischen (x, y) bzw. Polarko-
ordinaten (r, <p) gilt
(10.9)
Der Druck p erfüllt für schleichende Strömungen die Laplace-Gleichung, d.h. aus
(10.6) und (10.7) folgt unmittelbar
(10.10)
{!CpPe ( u8e
- +V- 8e) +-
8e) = -8 ( A- 8 ( A-
8e)
8x 8y 8x 8x 8y 8y
- [ (8u) (8v)
+ Ec Pr"' 2 -
8x 8y
2
+2 -
2
- +8u)
+ (8v -
8x 8y
2
2
- +8v)
- - (8u -
3 8x 8y
2
] (10.11)
(u 8- +v 88-)~
+ß(1+8)EcPr 8: .
u.*
00
Stokes (1850) ging von der Überlegung aus, daß die Trägheitskräfte bei schlei-
chenden Strömungen vollständig vernachlässigt werden könnten, da sie im Ver-
gleich zu den Druck- und Reibungskräften jeweils klein seien. Zur Bestimmung des
Strömungsfeldes gilt damit (10.8) (in Polarkoordinaten r := r* / R* , r.p s. Bild 10.1)
mit den Randbedingungen
IJ! = C 1 (rlnr-.!:.
2
2.)
+ 2r sinr.p. (10.16)
Es existiert jedoch kein Wert C 1 , der mit der Randbedingung (10.15) im Unend-
lichen verträglich ist. Mit jedem Wert C 1 -:/:- 0, der erst eine nicht-triviale Lösung
ergeben könnte, bleibt die Lösung für r --> oo nicht beschränkt und kann damit
nicht die ungestörte Parallelströmung beschreiben.
Die Tatsache, daß die Stokes-Gleichungen im ebenen Fall (zweidimensional)
für endliche Körper im unbegrenzten Strömungsfeld keine Lösung besitzen, wird als
Stokessches Paradoxon bezeichnet.
Folgende Überlegung führte Oseen (1910) zu der Auffassung, daß die vollstän-
dige Vernachlässigung der Trägheitsterme unzulässig ist. Stokes hatte angenommen,
238 K. Gersten/ H. Herwig
daß die Trägheitskräfte als klein gegenüber den Druck- bzw. Reibungskräften
vernachlässigt werden könnten. Dies muß, wenn es gilt, natürlich im gesamten
Strömungsfeld gelten, also auch für r -+ oo. Eine einfache Abschätzung der
Größenordnung der einzelnen Kräfte zeigt aber ein anderes Verhalten für große
Abstände vom Körper. Für das Verhältnis der Trägheits- und Reibungskräfte gilt
(s. Van Dyke (1975a, S. 154))
Trägheitskräfte O(C R 1 )
. . = 1 er nr für r-+ oo. (10.17)
Re1bungsknifte
Dies bedeutet aber, daß für jede noch so kleine Reynolds-Zahl die Trägheits-
kräfte in einem zwar großen, aber endlichen Abstand vom Körper nicht mehr klein
gegenüber den Reibungskräften sind. Physikalisch heißt dies, daß die Reibungskräfte
(und Druckkräfte) mit zunehmendem Körperabstand schneller abklingen als die
Trägheitskräfte.
Oseen (1910) berücksichtigte daraufhin die Trägheitskräfte, aber nur soweit,
daß das singuläre Verhalten der Lösung im Unendlichen vermieden wird. Er konnte
zeigen, daß eine linearisierte Version der ursprünglich nichtlinearen Trägheitsterme
ausreicht, eine im ganzen Strömungsfeld gleichmäßige Lösung zu ermöglichen.
Dieses Vorgehen ist ein Beispiel für die sog. "Methode der gleichmäßig gültigen
Differentialgleichungen", vgl. dazu Abschnitt 5.3.
Statt (10.8) gilt jetzt mit der Linearisierung u au
ax
+ V au
8y
rv au
ax
weiterhin mit den Randbedingungen (10.14) und (10.15). Diese Gleichung wird
Oseen-Gleichung genannt. Sie ist zwar wieder linear, die Lösung ist aber trotz-
dem recht aufwendig. Für die Umströmung des Kreiszylinders wurde eine Lösung
zuerst von Lamb (1911) angegeben, auf deren Wiedergabe hier aber zugunsten ei-
ner alternativen Vorgehensweise in Abschnitt 11.5 verzichtet werden soll. Dort wird
gezeigt, daß eine systematische Lösung des Problems möglich ist, wenn nicht eine
gleichmäßig gültige Lösung wie durch (10.18) gesucht wird, sondern das Lösungs-
gebiet im Sinne einer singulären Störungsrechnung in ein Innen- und Außengebiet
aufgeteilt wird. Am Beispiel der Kreiszylinder-Umströmung wird die Methode der
augepaßten asymptotischen Entwicklungen für kleine Reynolds-Zahlen (Re -+ 0)
erläutert. Diese führt auf folgenden führenden Term des Widerstandsgesetzes für
den Kreiszylinder
Anmerkung I (Kugelumströmung)
Bisher war der Fall der ebenen Strömung {Kreiszylinder) behandelt worden. Historisch gesehen
ist aber immer auch der räumliche Fall (Kugelumströmung) untersucht worden, der mathematisch
gesehen "weniger singulär" ist. Dies bedeutet, daß die Stokessehen Gleichungen für den dreidimen-
sionalen Fall doch eine Lösung besitzen, die darüber hinaus sehr einfach aufgebaut ist. Sie lautet
mit der Randbedingung W(r-+ oo, ({)) = r 2 sin 2 ({)statt {10.15), s. z.B. Van Dyke {1975a, S.151),
2
und führt zum berühmten Stokessehen Widerstandsgesetz für die Kugel. Es lautet
2W* 12
c ·- -- {10.21)
w .- u*U~}rrR* 2 - Re
(mit Re= U~R* /v~, u~;;: Anströmgeschwindigkeit, R*;;: Kugelradius).
Trotzdem ist die Situation im dreidimensionalen Fall nicht grundsätzlich anders als im
ebenen Fall, da es nicht möglich ist, die erste Näherung, die durch die Lösung der Stokessehen
Gleichung als gleichmäßig gültige Lösung im ganzen Strömungsfeld existiert, im Sinne einer
zweiten Näherung zu verbessern. Dazu würde man die Lösung {10.20) in die Trägheitsterme der
vollständigen Navier-Stokes-Gleichungen übernehmen, um in einem Iterationsprozeß eine neue
verbesserte Lösung zu erhalten. Dieser Versuch wurde erstmals von Whitehead {1889) mit dem
Ergebnis unternommen, daß keine verbesserte Lösung existiert, die die Randbedingungen für
r -+ oo erfüllen könnte. Dies ist ein ganz ähnliches Phänomen wie im zweidimensionalen Fall,
nur daß es "eine Stufe später" auftritt, nämlich bei dem Versuch, die Stokessehe Lösung iterativ
zu verbessern. Nach Whitehead wird dieses Lösungsverhalten von dreidimensionalen Strömungen
im unbegrenzten Raum für Re -+ 0 als Whiteheadsches Paradoxon bezeichnet.
Die Ausführungen des Abschnittes 10.3 beziehen sich auf ein unendlich ausgedehntes Strömungs-
feld. Das am Kreiszylinder bzw. der Kugel gezeigte Verhalten tritt bei allen anderen Körpern in
ähnlicher Weise auf. Da die Stokessehen Gleichungen ein singuläres Verhalten für r -+ oo zeigen,
tritt dieses erwartungsgemäß bei schleichenden Strömungen in einem begrenzten Raum nicht auf,
s. dazu auchRappeland Brenner {1965, S. 61). Schneider {1978, S. 218) weist darauf hin, daß eine
Strömung in einem zwar unbegrenzten Raum, aber mit einem ruhenden Fluid für r -+ oo eben-
falls kein singuläres Verhalten aufweist. Ein Beispiel ist das von einer rotierenden Kugel erzeugte
Strömungsfeld.
Leistung und der Geschwindigkeit, mit der der Draht augeströmt wird, hergestellt
werden. Damit kann der Hitzdraht zur Bestimmung der örtlichen Geschwindigkeit
in einem Strömungsfeld dienen. Für nähere Einzelheiten sei z.B. auf Perry (1982)
oder Bradshaw and Johnson (1963) verwiesen.
Im Zusammenhang mit dieser Meßtechnik ist das Wärmeübergangsgesetz für
das physikalische Verständnis der Vorgänge von zentraler Bedeutung. Die Reynolds-
Zahlen sind sehr klein, so daß ein asymptotisches Gesetz für Re -+ 0 sinnvoll
angewandt werden kann. Für einen Draht von 2 J.Lm Durchmesser gilt für die
Reynolds-Zahl in Luft bei U:X, = 10 m/s z.B.: Rer := {!;U:X,R* /TJ; ~ 0, 3, wobei die
Stoffwerte bei der sog. Referenztemperatur Tr* = (T:, + T:X,)/2 = 450 K genommen
worden sind (T:,:; Wandtemperatur, T:X,:; Fluidtemperatur).
Die beiden ersten Terme einer asymptotischen Lösung für Re -+ 0 und
Pr = 0(1), also Pe := RePr -+ 0 lauten nach Rosenhead (1963, S. 193) bei
Vernachlässigung von Termen der Größenordnung O(Pe 4 )
Nu ·=
m ·
q\vm2R* =
..\*(T:,- T:X,)
2
ln(4/Pe)- ')'
_ (Pe)
4
2
[s + (ln(4/Pe)-
2
1')2
]
( 10 ·22 )
mit
Re= U:X,R* jv:X,, 1' = 0, 5772, Q:,:; gesamter Wärmestrom,
q\vm = Q:,j(27rR* B*).
Für Luft (Pr = 0, 72) wird häufig eine nicht-rationale Näherungsbeziehung
von Collis and Williams (1959) verwendet, die auch eine Korrektur bezüglich
variabler Stoffwerte enthält. Diese stellt eine Kombination aus der Referenz- und
der Stoffwertverhältnismethode dar, s. dazu Abschnitt 5.4.1. Mit Tr* als der bereits
zuvor beschriebenen Referenztemperatur und Rer := U:X,R* jv; gilt danach
q* 2 R*
Num : = ..\*(';_';-
r w
T*)
oo
T*)0,17
= (0 24 + 0 76 Re0 •45 ) ( _r 0, 01 < Rer < 22 . (10.23)
' ' r T~ '
Tabelle 10.1 zeigt den Vergleich der asymptotischen Beziehung (10.22) mit der
empirischen Korrelation (10.23). In (10.23) wurde die Temperaturkorrektur dabei
vernachlässigt, was asymptotisch dem Grenzfall (T:, - T:X,) -+ 0 entspricht. An
der unteren Grenze des für (10.23) angegebenen Gültigkeitsbereiches (Re > 0, 01)
werden die asymptotischen Ergebnisse recht gut wiedergegeben, der Grenzfall
Re -+ 0 ist naturgemäß nicht enthalten, da die empirische Beziehung für Re -+ 0 auf
den Wert 0,24 zuläuft, die Asymptote für Re-+ 0 nach (10.22) aber 2/ln(4/RePr)
lautet. Das Ergebnis für Re = 0, 001 in Tab. 10.1 liegt bereits außerhalb des
Gültigkeitsbereiches von (10.23) und weist eine deutlich größere Abweichung zu
den asymptotischen Werten auf als bei Re= 0, 01.
10 Schleichende Strömungen 241
Num
Abweichung
Re asymptotisch empirisch von (10.22)
Tabelle 10.1: Vergleich der asymptotischen Beziehung (10.22) für Pe -+ 0 mit Werten der
empirischen Beziehung (10.23).
Gültigkeitsbereich der empirischen Beziehung: 0, 01 < Re < 22, Pr= 0, 72
Vilimpoc et al. (1990) weisen mit sehr detaillierten Messungen nach, daß der Einfluß
natürlicher Konvektion erst oberhalb eines Verhältnisses Gr/Re 2 in der Nähe von
eins auftritt. Im zuvor gewählten Zahlenbeispiel, Re ~ 0, 3 , ist dieses Verhältnis bei
Luft und einer Temperaturdifferenz T:, -Tr* = 300 K, also einer Referenztemperatur
Tr* = 450 K, gleich einem Zahlenwert von nur ~ 7 · w- 8 •
Während in diesem Gesetz das Geschwindigkeitsfeld in Form von (10.20) berücksichtigt wurde, hat
Rimmer (1968) das Wärmeübergangsgesetz unter Berücksichtigung des nächsten Termes O(Re) in
der Geschwindigkeitsverteilung hergeleitet, dann allerdings unter der Einschränkung Pr = 0(1).
Dies führt zu einem zusätzlichen Term O(Pe 2 ) im Wärmeübergangsgesetz (10.24).
Die Wärmeübergangsgesetze für den Kreiszylinder und für die Kugellauten im Grenzfall Pe-+ 0
wie folgt:
Kreiszylinder, (10.22):
Kugel, (10.24):
Interpretiert man die Nußelt-Zahl als dimensionslosen Wärmestrom, so ist der Wärmeübergang
an beiden Geometrien (bei gleicher Temperaturdifferenz (T; - T;;")) offenbar sehr unterschiedlich.
242 K. Gersten/ H. Herwig
Der Grund dafür ist, daß für die Kugel eine stationäre Lösung des reinen Wärmelei-
tungsproblems existiert (Pe = 0 in (10.13)), während dies für den Kreiszylinder (und auch für
den ebenen Fall einer geheizten oder gekühlten Platte) nicht der Fall ist, s. dazu auch Grigull
und Sandner (1986, S. 17). Für die Kugel bedeutet der Einfluß der (kleinen) Peclet-Zahl also
eine (kleine) Veränderung des Wärmeübergangs aufgrundvon Leitung (Num = 2), während der
Wärmeübergang am Kreiszylinder nur dann als stationärer Vorgang möglich ist, wenn Wärmelei-
tung und Konvektion als physikalische Mechanismen gleichzeitig beteiligt sind.
10.5 Zusammenfassung
1.) Die Gleichungen für schleichende Strömungen entstehen aus den Navier-
Stokes-Gleichungen durch den Grenzübergang Re ---+ 0 , nachdem zuvor als
dimensionsloser Druck ji = p Re eingeführt worden ist. Sie heißen Stokes-
Gleichungen und führen für konstante Stoffwerte auf die biharmonische
Gleichung (10.8).
2.) Die Stokes-Gleichungen vernachlässigen die Trägheitskräfte vollständig. Dies
führt bei der Körperumströmung in einem unbegrenzten Strömungsfeld zu
einem Versagen der Gleichungen (Stokessches Paradoxon). Durch die Hin-
zunahme der Trägheitskräfte in einer linearisierten Form entsteht die Oseen-
Gleichung (10.18), für die auch bei einem unbegrenzten Strömungsfeld Lösun-
gen existieren.
3.) Der Druck erfüllt für schleichende Strömungen die Laplace-Gleichung (10.10).
4.) Der Energiesatz (ohne Dissipationsanteil) reduziert sich durch den Grenzüber-
gang Pe ---+ 0 auf eine reine Wärmeleitungs-Beziehung. Nicht in allen Fällen
sind stationäre Lösungen ohne konvektiven Anteil in der Energiegleichung
möglich, so daß u.U. konvektive Terme in der Energiegleichung (10.11)
berücksichtigt werden müssen, wenn eine stationäre Strömung beschrieben
werden soll.
11 Asymptotische Entwicklungen
11.1 Vorbemerkung
Lösungen der Strömungs-Differentialgleichungen sollen durch eine Störungsrechnung
ermittelt werden. Dabei befinden sich Parameter, von denen die Lösung abhängt, in
der Nähe von Grenzwerten (im allgemeinen null oder unendlich). Die Grenzlösung
selbst, also die Lösung für den jeweiligen Grenzwert der Parameter, stellt eine
Näherung für die gesuchte Lösung bei endlichen Werten der Parameter dar. Man
spricht von einer asymptotischen (Näherungs-)Lösung, weil diese Näherung umso
besser ist, je näher die Parameter bei den entsprechen Grenzwerten liegen.
Die gesuchte Lösung kann noch besser approximiert werden als allein durch
die Grenzlösung, indem eine Reihenentwicklung nach den Parametern formuliert
wird. Die Grenzlösung ist der führende Term dieser Entwicklung und wird durch
die nachfolgenden Terme der Reihenentwicklung "gestört" ( ~ Störungsrechnung).
Die Reihe selbst wird als asymptotische Reihe bezeichnet.
Das besondere Merkmal der asymptotischen Reihe ist, daß sie im Sinne eines
Grenzübergangs ( ~ 0 oder ~ oo) betrachtet wird. Bei diesem Grenzübergang
müssen nachfolgende Terme stets kleiner als vorhergehende Terme sein. Die Reihe
muß deshalb nicht notwendigerweise konvergent sein, d.h.: bei einem festen Wert
der Parameter muß die Lösung durch Hinzunahme weiterer Reihenglieder nicht
notwendigerweise verbessert werden, entscheidend ist nur das Verhalten für den
Grenzübergang des Parameters. Van Dyke (1975a, S. 30) erläutert dieses Verhalten
sehr anschaulich anhand verschiedener Entwicklungen der Bessel-Funktionen.
Häufig sind nur die ersten (ein oder zwei) Glieder der asymptotischen Reihe
mit vertretbarem Aufwand zu bestimmen. Sie enthalten aber meist schon die
wesentlichen Informationen. Die grundsätzliche Möglichkeit, das Ergebnis durch
Hinzunahme beliebig vieler Terme zu verbessern, macht dieses Vorgehen zu einer
sog. mtionalen Näherung (vgl. Van Dyke (1975a)). Der Fehler ist definitionsgemäß
von der Größenordnung des ersten vernachlässigten Terms der asymptotischen
Reihe. In bestimmten Situationen kann unter Zuhilfenahme von Computer-Algebra-
Programmen auch eine sehr große Anzahl von Termen (teilweise über 50!) bestimmt
werden, s. dazu Abschnitt 11.9.
Als Störungsrechnung war bisher die Suche nach Lösungen in der Nähe von
Grenzwerten eines oder mehrerer Parameter bezeichnet worden. Genauer sollte in
244 K. Gersten/ H. Herwig
Dieses einfache Beispiel wurde gewählt, weil hierfür die vollständigen analytischen Lösungen
bekannt sind und zum Vergleich herangezogen werden können. Diese Lösungen sollen exakte
Lösungen genannt werden. Sie lauten
-- -- -- --
,.~
-- -- -- --
Z-dZ-c 2/8
Z-EIZ
1-Yk'
c/Z + c 2/8
dZ
Bild 811.1: Vergleich zwischen exakter
Lösung und asymptotischen Näherungen
für die Gleichung x(x - 2) + e = 0
Bild B11.1 zeigt diese exakten Lösungen im Vergleich mit den asymptotischen Näherungen
(B11.1-5). Deutliche Abweichungen von den exakten Lösungen sind erst für relativ große Werte
von e zu verzeichnen. Für e --+ 0 stimmen die Näherungen immer besser mit der exakten Lösung
überein. In eben diesem Sinne handelt es sich um eine asymptotische (Näherungs-)Lösung für
e--+ 0.
gehen vollständig andere Wege. Beispiele für alternative Methoden sind: Die
Methode der gleichmäßig gültigen Differentialgleichung (engl.: method of composite
equations), die Methode der mehrfachen Variablen (engl.: method of multiple
scales) und die Methode der gestreckten Koordinaten (engl.: method of strained
coordinates).
So klar die Trennung nach regulären und singulären Störungsproblemen durch
die entsprechenden Definitionen auch ist, so schwer ist es bisweilen, auf den ersten
Blick zu entscheiden, welcher Fall vorliegt. Zwei Kriterien für das Vorliegen eines
singulären Störungsproblems können hier entscheidend weiterhelfen.
(Kl) Entartungs-Kriterium
Ein singuläres Störungsproblem liegt vor, wenn die Differentialgleichungen im
Grenzfall c: = 0 "entarten", d.h. die höchsten Ableitungen verlieren. Damit
wird die Ordnung der Differentialgleichungen erniedrigt mit der Folge, daß
nicht mehr alle Randbedingungen erfüllt werden können.
(K2) Längen-Kriterium
Ein singuläres Störungsproblem liegt vor, wenn der Störparameter c: physi-
kalisch als das Verhältnis zweier charakteristischer Längen Li und Lj1 des
betrachteten Problems interpretiert werden kann. Der Grenzfall c: - t 0 bedeu-
tet, daß die beiden charakteristischen Längen nicht mehr von vergleichbarer
Größe bleiben. Es gibt dann in der Strömung offensichtlich verschiedene Ge-
biete, die durch extrem unterschiedliche Längenmaßstäbe (charakteristische
Längen) beschrieben werden müssen.
Für die Körper-Umströmung bei großen Reynolds-Zahlen (Re - t oo) sind, wie sich
zeigen wird, beide Kriterien erfüllt. Die Erfüllung nur eines Kriteriums ist aber schon
hinreichend. Beispielsweise erfüllt die Körperumströmung bei kleinen Reynolds-
Zahlen (Re - t 0) in bestimmten Situationen (unbegrenztes Strömungsfeld) nur das
zweite Kriterium und ist damit ein singuläres Störungsproblem.
(SI) Problemformulierung
Dieser Schritt ist durch die Aufgabenstellung bereits vollzogen. Insbesondere ist damit bereits der
Störparameter E: des Problems identifiziert.
(S2) Näherung I
Da Lösungen für kleine E: gesucht werden, setzt man in der Differentialgleichung zunächst E: = 0
(naive Näherung). Ausgehend von dieser Lösung, die y 1 (x) genannt wird, setzt man folgende
Entwicklung an:
y(x, e) = Y! (x) + E:Y2(x) + E:2 Y3(x) + .... (B11.2-3)
Die Bestimmungsgleichungen für Yi erhält man durch Einsetzen von (B11.2-3) in (B11.2-1) und
Ordnen der Terme nach Potenzen von E:. Die Gleichung für y 1 (x) lautet
(B11.2-4)
die allgemeine Lösung also
(B11.2-5)
Von dieser Gleichung kann nur eine Randbedingung (B11.2-2) erfüllt werden, und zwar y 1 (1) = 1,
was auf die Konstante A = e führt. Die andere Randbedingung wäre nur durch A = 0 zu erfüllen
und ergäbe die triviale Lösung y 1 = 0, die hier nicht weiter betrachtet werden soll. Die zweite
Randbedingung bei x = 0 kann von (B11.2-5) nicht erfüllt werden, die Lösung versagt also
zumindest in der Umgebung von x = 0.
(S3) Näherung II
In der Umgebung von x = 0 (Versagen der Näherung I) wird das Problem in einer transformierten
x
Variablen neu formuliert. Diese neue Variable berücksichtigt, daß dieses Gebiet II eine andere
charakteristische Länge besitzt als das Gebiet I. Für gilt x
- X
(Bl1.2-6)
X=-,
E:
so daß die Ausgangsgleichung (Bl1.2-l) jetzt wie folgt lautet (zur Unterscheidung wird y statt y
geschrieben, die Striche bedeuten jetzt Ableitungen nach x) :
fl' + y' + ey = o. (Bl1.2-7)
11 Asymptotische Entwicklungen 249
y(O,e) = 0, (B11.2-8)
~+fl;.=O, (B11.2-10)
die allgemeine Lösung ist also
(Bll.2-ll)
Mit fj1 können zwei Randbedingungen erfüllt werden. Aus der Randbedingung bei = 0, also x
fj1 (0) = 0 folgt B + C = 0, also fj1 = C(1 - e-i). Die zweite Randbedingung ist aber nicht
fj1 (1/e) = 1, wie man nach der formalen Umschreibung des Problems vermuten könnte. Die zweite
Randbedingung folgt vielmehr aus dem Übergang zwischen Gebiet II und Gebiet I.
(S4) Anpassung
In diesem für die asymptotische Methode entscheidenden Schritt wird davon ausgegangen, daß
y(x, e) die Lösung für alle x mit Ausnahme der Werte in der Umgebung von x = 0 beschreibt.
In dieser Umgebung wird die Lösung durch y(x,e) beschrieben, so daß beide Lösungen nur noch
aneinander angepaßt werden müssen. Dies kann auf folgende Weise geschehen. Für e --+ 0 muß
gelten
!imy(x,e)= !im fj(x,e). (B11.2-12)
x-+0 i-+oo
Für e --+ 0 dominieren jeweils die führenden Terme y 1 (x) bzw. fj1 (x) der Entwicklungen, so daß
gilt
!imy(x,e)= limy 1 (x)= !imee-"'=e (B11.2-13)
x-+0 x-+0 x-+0
,_,o
)im fj(x,e) =)im fj1 (x) =)im C (1- e-'") = C. (B11.2-14)
:C-+00 X-+00 X-+00
e-->0
C=e. (Bll.2-15)
Die zweite Randbedingung für fj1 folgt also aus einer Anpassung an das Gebiet I und nicht aus
der physikalischen Randbedingung fj1 (1/e) = 1, die weit außerhalb des "Geltungsbereichs" der
Näherung y liegt und von der Lösung y(x) erfüllt wird. Der wichtige Schritt der Anpassung wird
später noch genauer erläutert.
Das Gesamtergebnis liegt also in Form von zwei Teillösungen (genauer: zwei asymptotischen
Teillösungen für e --+ 0) vor, die darüber hinaus auch noch in zwei unterschiedlichen Variablen
formuliert sind. Sie lauten
y 1 (x) = ee-"'
(B11.2-16)
fj1 (x) = e ( 1 - e-i)
Aus beiden Teillösungen läßt sich nun eine gemeinsame sog. gleichmäßig gültige Lösung
gewinnen, indem beide Teillösungen addiert werden und der gemeinsame (doppelt gezählte)
Anteil einmal wieder subtrahiert wird. Diese Gesamtlösung sollte natürlich nur in einer Variablen
geschrieben werden. Entscheidet man sich für die Variable x, gilt also
(Bll.2-17)
Der Index 1 weist darauf hin, daß es sich auch bei der gemeinsamen Lösung nur um den führenden
Term einer asymptotischen Entwicklung für c --+ 0 handelt. Weitere Glieder könnten durch
Bestimmung der Lösungen höherer Ordnung, also y 2 , y 3 , .•• und y2 , y3 , •.. ermittelt werden,
worauf hier aber verzichtet werden soll.
3 3
z z
Bild Bll.2-l zeigt die Teillösungen y1 (x) und y 1 (x). Zusätzlich ist die jeweils andere Teillösung
(durchbrochene Linien) eingetragen, die wegen der dann erforderlichen Koordinaten-Transfor-
mation x--+ x, bzw. x --+ x jeweils abhängig vom Störparameter c ist. Für c--+ 0 ist deutlich der
"Grenzschicht-Charakter" der Gesamtlösung erkennbar, d.h. die Teillösung y1 beschreibt einen
immer kleineren Teil der Gesamtlösung in der Umgebung von x = 0. Dies ist deutlich auch in der
gleichmäßig gültigen Gesamtlösung fj in Bild Bl1.2-2 zu erkennen.
Tabelle 11.1: Schematisches Vorgehen bei der Methode der angepaßten asymptotischen Entwick-
lungen
gen Näherung (s. Abschnitt 11.2) beschrieben werden, da ein singuläres Störungs-
problem vorliegen soll. Die Gültigkeit ist vielmehr auf ein Teilgebiet beschränkt,
das Gebiet I genannt werden soll.
Es empfiehlt sich, schon jetzt den Bereich zu identifizieren, in dem diese erste,
naive Näherung versagt, weil der Fehler dort nicht beschränkt bleibt, sondern im
Vergleich zum Fehler im Gebiet I (asymptotisch) groß wird. Dieser Bereich soll
Gebiet II genannt werden und wird im nächsten Schritt betrachtet.
Für die gesuchte Lösung in Gebiet I wird folgende asymptotische Entwick-
lung (asymptotische Reihe) formuliert, deren führender Term die naive Näherung
darstellt:
00
Il. m --= 0
gli+l bzw. 9Ii+l = o(gn) · (11.3)
c-+0 9n
Die Größenordnungssymbole 0( ... ) und o( .. .) wurden bereits in Kap. 7 eingeführt,
s. (7.11) und (7.12).
Die Entwicklung (11.2) wird in die vollständigen Grundgleichungen einge-
setzt. Die Funktion F1 steht dabei für alle abhängigen Variablen des betrachteten
Problems, also z.B. u, v,p, e, .... Faßt man anschließend jeweils alle Terme dersel-
ben asymptotischen Größenordnung für sich zusammen, so entsteht aus dem einen
Grundgleichungssystem eine Hierarchie von Einzelgleichungssystemen jeweils für die
Funktionen F11 , F 12 , •.• mit den entsprechenden Randbedingungen, abgeleitet aus
den vollständigen Grundgleichungen. In praktischen Fällen werden meist nur die
ersten zwei oder drei Gleichungssysteme ermittelt.
Wie bereits in S2 erwähnt, gibt es ein Gebiet II, in dem die Entwicklung (11.2)
nicht gültig ist. In diesem Gebiet gilt ein anderer Längenmaßstab Lj1, so daß die
unabhängigen Variablen dort x 11j := xj / Lj1 lauten. In bezug auf die zuvor bereits
eingeführten Koordinaten x1j handelt es sich also um die Transformation
(11.4)
11 Asymptotische Entwicklungen 253
Bei Problemen mit mehreren unabhängigen Variablen wird häufig nur eine un-
abhängige Variable auf diese Weise transformiert.
Für die gesuchte Lösung im Gebiet II wird wieder als asymptotische Entwick-
lung angesetzt
00
(S4) Anpassung: Anpassen der Entwicklungen I und II, Identifizierung der pri-
mären Entwicklung und Aufstellen einer gleichmäßig gültigen
Lösung
Beide Reihen, F 1 und FII, sind bisher gleichberechtigt behandelt worden. Tatsächlich
gibt es jedoch eine klare Hierarchie im Sinne einer primären und einer sekundären
Entwicklung (vgl. Schneider (1978, S. 204)).
Die primäre Entwicklung ist diejenige, deren Lösung in der führenden Ord-
nung, also O(gn (e:)) oder O(gm (e:)), von der anderen Entwicklung unabhängig ist,
also ohne Kenntnis der anderen Lösung vollständig bestimmt werden kann.
Die Entscheidung, welche Entwicklung als primäre Entwicklung angesehen
werden muß, ist eng mit der Frage nach den Randbedingungen verknüpft, die
jeweils erfüllt werden können. Diese wiederum ergeben sich z. T. erst im Prozeß des
Anpassens, der anschließend behandelt wird. Deshalb wird es häufig erst möglich
sein, die primäre Entwicklung zu identifizieren, wenn die Frage der Anpassung beider
Entwicklungen geklärt ist.
Statt der Unterscheidung nach "primärer" und "sekundärer" Entwicklung
hat sich auch die Klassifizierung nach "äußerer" und "innerer" Entwicklung ein-
gebürgert, die sich an der physikalischen bzw. geometrischen Anschauung orientiert.
Häufig, aber nicht zwingend, ist die primäre Entwicklung die "äußere Entwicklung",
wie in fast allen Beispielen dieses Buches.
Folgende Überlegungen führen zur Anpassung der Entwicklungen I und II:
Von entscheidender Bedeutung ist die asymptotische "Größe" der Gebiete I und
II. Beide Gebiete sind durch charakteristische Längen Li bzw. Lir beschrieben, die
asymptotisch nicht gleich groß sind. Im Grenzfalle:~ 0 geht das Verhältnis Li/ Lir
entweder gegen Null oder gegen Unendlich. Im asymptotischen Grenzübergang
e: ~ 0 kann es somit keine festen Grenzen zwischen den Gebieten geben, an denen
beide Entwicklungen übereinstimmen könnten, da sich die Gültigkeitsbereiche in
ihrer Ausdehnung analog zu den charakteristischen Längen verändern. Statt dessen
254 K. Gersten/ H. Herwig
Dabei bedeutet die "sekundäre Entwicklung der primären Entwicklung": Die primä-
re asymptotische Reihe (Entwicklung) wird in sekundäre Variable umgeschrieben
und anschließend für c: ---+ 0 entwickelt. Entsprechendes gilt für die "primäre
Entwicklung der sekundären Entwicklung".
Dies soll kurz an den Entwicklungen im Beispiel 11.2 erläutert werden. Dort
ist die Entwicklung in Gebiet I die primäre Entwicklung, weil der führende Term
ohne Information aus Gebiet II ermittelt werden kann. Sie lautet
(11.9)
(11.10)
Die Forderung, daß beide Entwicklungen für e -+ 0 übereinstimmen sollen, führt auf
die Bedingung C = e. In Beispiel 11.2 wurde die Konstante auf eine etwas andere
Art bestimmt, s. {11.12) gegen Ende dieses Abschnittes.
Der Begriff "übereinstimmen" muß präzisiert werden, wenn nicht nur die
führenden Terme der Entwicklung, sondern auch höhere Ordnungen angepaßt
werden sollen. Dann gilt folgende asymptotische Vorschrift (s. Van Dyke (1975a,
S. 220)), wenn z.B. F 1 die primäre Entwicklung ist:
und kann als Anpassen durch Grenzwertbildung bezeichet werden. Mit dieser einfa-
chen Vorschrift (Van Dyke nennt sie "primitive rule") war die Anpassung in Beispiel
11.2 vorgenommen worden.
Falls dies gewünscht wird, kann man anschließend die beiden getrennten
Entwicklungen zu einer gleichmäßig gültigen Lösung zusammenfassen. Dies ist
möglich, weil sich die Gültigkeitsbereiche beider Lösungen überlappen. Eine häufig
verwendete Methode ist die additive Zusammensetzung, bei der nach der Addition
beider Entwicklungen der gemeinsame Anteil aus dem Überlappungsgebiet (der
doppelt auftritt) einmal subtrahiert wird.
Nach der Addition beider Entwicklungen treten in dieser Summe beide
Koordinaten, x 1j und x 11j, auf. Man sollte das Problem dann formal in die primäre
Koordinate umschreiben (x 1j oder x 11j), so daß erwartungsgemäß der Störparameter
explizit in der gleichmäßig gültigen Lösung auftritt (s. Beispiel 11.2).
Mit den Schritten S1 bis S4 ist die generelle Vorgehensweise bei singulären
Störungsproblemen beschrieben. Stellt sich in Schritt S2 heraus, daß das Teilgebiet
I das gesamte Strömungsfeld (einschließlich der Berandung) umfaßt, so handelt es
sich um ein reguläres Störungsproblem, bei dem die Notwendigkeit für eine zweite
Entwicklung naturgemäß entfällt. In diesem Sinne gelten die Schritte S1 bis S2 für
ein reguläres und S1 bis S4 für ein singuläres Störungsproblem. Charakteristisch für
ein singuläres Störungsproblem ist die Streckung der Variablen (Schritt S3) und das
Anpassen der Entwicklungen (Schritt S4), (engl.: stretching and matching).
(Sl) Problemformulierung
-
+R [av -
ßy- Rv- ~au
2R ßx - ~
+ RRR' ( y ßx
av + u)] } . (11.18)
258 K. Gersten/ H. Herwig
Gleichung (11.20) bringt zum Ausdruck, daß in großer Entfernung vor dem Körper
die ungestörte Anströmung mit dem Druck p* = p~ herrscht (Dabei ist p~
der modifizierte Druck in der Anströmung, s. dazu Kap. 3, (3.21)). Gesucht sind
Lösungen dieser Gleichungen für Re--> oo, weshalb ein Störparameter
(S2) Näherung I
Die Ansätze (11.22) werden nun in die Grundgleichungen (11.16) bis (11.18)
eingesetzt und nach Potenzen von c zusammengefaßt. Dabei wird deutlich, daß die
Potenz n darüber entscheidet, in welcher Ordnung im Gebiet I erstmals Reibungs-
einflüsse auftreten, weil Terme aus den Ausdrücken Re - 1 { ... } berücksichtigt wer-
den müssen. Wegen Re- 1 = c 1/n ist dies die asymptotische Größenordnung O(c 11n).
Erst wenn n festliegt (die Festlegung wird im Schritt S3 erfolgen), können die Glei-
chungssysteme endgültig aus den Grundgleichungen abgeleitet werden. Statt nach
Festlegung von n in den Schritt S2 zurückzukehren, soll jetzt unterstellt werden,
daß Reibungseinflüsse in den beiden ersten Ordnungen nicht vorkommen; es wird
also unterstellt, daß n < 1 gilt. Damit können die beiden ersten Gleichungssysteme
schon jetzt formuliert werden. Es gilt
1. Ordnung:
(11.23)
2. Ordnung:
Die Gleichungen (11.23) und (11.24) können nicht mehr die gleiche Anzahl von
Randbedingungen erfüllen wie die vollständigen Grundgleichungen, da die Ord-
nung der Differentialgleichungen gegenüber den Ausgangsgleichungen durch den
vollständigen Fortfall der Reibungsterme erniedrigt worden ist (Entarten der Diffe-
rentialgleichung, s. Kriterium K1 in Abschnitt 11.2).
Weit weg vom Körper gilt aufgrund von (11.20)
(S3) Näherung II
y* y*
N := L* = L*Ren = yRen. (11.26)
II
An dieser Stelle ist nun bereits die Bestimmung des Exponenten n durch eine
genauere Analyse der Reibungsterme in den Grundgleichungen (11.17) und (11.18)
möglich. Da der Exponent n selbstverständlich unabhängig von der lokalen Wand-
krümmung R(x) ist, kann die folgende Überlegung exemplarisch für den Spezialfall
der geraden Wand (R = 0 und R = 1) angestellt werden. Außerdem reicht es,
nur die x-Impulsgleichung zu betrachten. Die Reibungsterme in (11.17) lauten
dann Re- 1 {ß 2 ujßx 2 + ß2 ujßy 2 } bzw. mit Re- 1 = E:l/n und ßjßy = RenßjßN =
c 1ßjßN
(gerade Wand) . (11.27)
Im asymptotischen Grenzfall E: ---> 0 soll dieser Ausdruck nicht null werden, denn
dann wären die Gleichungen in den Gebieten I und II identisch, und gleich "entartet"
gegenüber den Grundgleichungen. Er soll aber auch nicht gegen Unendlich streben,
denn dann würde die gesamte x-Impulsgleichung zu der Gleichung ß2 ujßN 2 = 0
entarten. Der Ausdruck (11.27) bleibt jedoch für n = 1/2 endlich und von null ver-
schieden; er lautet dann ß2 ujßN 2 für E: ---> 0. Das Prinzip, nach dem n bestimmt
wurde, ist als das Prinzip der geringsten Entartung der Differentialgleichung be-
kannt, s. Van Dyke (1975a, S. 86).
Gemäß (11.5) wird nun folgende Entwicklung im Gebiet II mit N = yVRe
vorgenommen:
(11.29)
(11.30)
1. Ordnung:
8u111 8vm _ 0
8x + 8N -
(11.31)
2. Ordnung:
8un 2 8v 112 _ ]:_ (N 8um _ _ )
8x + 8N - R 8x vm
(11.32)
262 K. Gersten/ H. Herwig
In der x-Impulsgleichung 2. Ordnung ist die rechte Seite unter Benutzung der
x-Impulsgleichung 1. Ordnung umgeformt worden, so daß dort z.B. ßp111 jßx nicht
mehr explizit auftritt. Die Gleichungen 2. Ordnung sind so geschrieben worden,
daß die rechten Seiten nur Terme aus der 1. Ordnung enthalten. Es sei noch
einmal darauf hingewiesen, daß alle Gleichungen zweiter und höherer Ordnung
(zwangsläufig) linear sind.
Als Randbedingungen stehen unmittelbar nur die Bedingungen (11.19) zur
Verfügung. Es gilt damit
N=O: (11.33)
Bedingungen am Außenrand des Gebietes müssen aus den Anpassungsbedingungen
im nachfolgenden Schritt S4 gewonnen werden.
(S4) Anpassung
Die jetzt zu treffende Entscheidung, welche der beiden Entwicklungen I und II
die primäre Entwicklung darstellt, ist eng mit dem Anpassungsprozeß bzw. mit
der Frage nach der Erfüllbarkeit von Randbedingungen verknüpft. Der führende
Term der primären Entwicklung muß definitionsgemäß unabhängig von der anderen
Entwicklung bestimmt werden können.
Diese Forderung legt die Entwicklung I eindeutig als primäre Entwicklung fest.
Am Ende von S2 war beschrieben worden, daß die Gleichungen in I von erniedrigter
Ordnung sind und deshalb nicht mehr die gleiche Anzahl von Randbedingungen
erfüllen können. Tatsächlich reichen die Randbedingungen (11.25) für u 11 , v11 und
Pu aus, das Gleichungssystem (11.23) zu lösen, wenn zusätzlich eine "kinematische
Strömungsbedingung", also eine Aussage über v11 in Wandnähe, getroffen wird. Die
Frage ist nun, ob v11 in Wandnähe durch das Gebiet II beeinflußt ist (dann wäre
I nicht unabhängig von II) oder nicht. Im Grenzfall c: --+ 0 geht die Schichtdicke
des Gebietes II (charakteristische Länge: L* /VRe) ebenfalls gegen null, so daß
die kinematische Strömungsbedingung für das Gebiet I unbeeinflußt von Gebiet II
formuliert werden kann. Im Fall der undurchlässigen Wand lautet diese Bedingung:
v11 = 0.
Eine entsprechende Überlegung für den führenden Term der Entwicklung im
Gebiet II muß berücksichtigen, daß die Ordnung der x-Impulsgleichung gegenüber
der Ausgangsgleichung (11.17) nicht erniedrigt worden ist. Damit müssen neben
den Randbedingungen an der Wand, (11.33), zusätzlich noch Randbedingungen für
N --+ oo zur Verfügung stehen. Diese folgen aus der Anpassung an die Entwicklung
in I, so daß die Gleichungen für um, v111 und p111 nicht unabhängig von der
führenden Ordnung im Gebiet I gelöst werden können. Damit ist die Entwicklung
im Gebiet II also die sekundäre Entwicklung.
Statt von primärer und sekundärer Entwicklung kann auch von äußerer und
innerer Entwicklung gesprochen werden (s. (S4) in Abschnitt 11.3), was in diesem
Fall sehr anschaulich mit den geometrischen Verhältnissen übereinstimmt.
11 Asymptotische Entwicklungen 263
Vn (x, 0) = 0. (11.34)
Für die Komponente un (x, 0) kann aufgrundder Reduktion der Ordnung gegenüber
den Navier-Stokes-Gleichungen keine Bedingung an der Wand gestellt werden. Sie
folgt als Ergebnis aus der Lösung des Gleichungssystems (11.23).
Es ist zu beachten, daß (11.34) nur für die führende, d.h. 1. Ordnung gilt. Da
aber die 2. Ordnung der Außenströmung, (11.24), von der gleichen Art wie die 1.
Ordnung ist, kann erwartet werden, daß aus dem Anpassungsprozeß eine Bedingung
für die Komponente v12 entsteht und u 12 dann wieder aus der Lösung von (11.24)
folgt.
Wäre das Problem (11.23) über die Einführung einer Stromfunktion W =
Wn +c w12 +0(c 2 ) formuliert worden, lautete die kinematische Strömungsbedingung
In einem ersten Schritt ist jetzt die führende Ordnung im Gebiet II (Grenzschicht)
an die Lösung un, vn, p 11 anzupassen. Zunächst soll die u-Komponente betrachtet
werden und dazu die Vorschrift (11.11) mit m = 1 und n = 1 Anwendung finden.
Folgende drei Schritte sollen im weiteren jeweils in einer Zeile geschrieben werden:
u11 =um (x, N) =um (x, yjc:) =Um (x, oo) + · ·· . (11.37)
Da im Vergleich zwischen (11.36) und (11.37) die Terme bis zur Ordnung 0(1)
übereinstimmen sollen, gilt
um (x, oo) = uu (x, 0) . (11.38)
Die V-Komponenten der Ordnung 0(1) müssen nicht weiter betrachtet werden, sie
erfüllen die Anpassungsbedingung entsprechend (11.38) automatisch. Ferner gilt
Vm = 0 (vgl. (11.28), nicht (11.30)!), was mit der kinematischen Strömungsbedin-
gung (11.34) verträglich ist und wieder zum Ausdruck bringt, daß es keine Rück-
wirkung der Größenordnung 0(1) auf die primäre Entwicklung gibt.
Der Druck Pm ist nur eine Funktion von x, also bezüglich y bzw. N konstant,
wie (11.31) sofort zeigt. Ganz analog zu (11.38) gilt dann für den Druck
Als letztes sollen durch Anpassen die Randbedingungen für die Grenzschicht-
gleichungen 2. Ordnung, (11.32), ermittelt werden. Dazu ist die Vorschrift (11.11)
mit m = n = 2 anzuwenden, was zunächst für die u-Komponente erfolgen soll (es
handelt sich also um die "Fortsetzung" der Anpassung (11.36), (11.37))
u1 = un(x,y) +c- u 12 (x,y) = un(x,c-N) +c- u12 (x,c-N)
= un (x, 0) + e [N (0;~ 1 ) 0
+ U12(x, 0)] + · · · (11.43)
Die Übereinstimmung bis zur Ordnung O(c-) ergibt (s. dazu auch die anschließende
Anmerkung 1)
ull2(x, oo) = u12 (x, 0) + N ( ßun)
ßy 0 • (11.45)
Diese Bedingung kann noch umgeschrieben werden, wenn man ausnutzt, daß die
Drehung w im körperaugepaßten x, y-System wie folgt lautet:
w* L * 1 ( ~ ßv ßu - )
w := Uß = 2 R ßx - ßy - Ru . (11.46)
Betrachtet man die führende Ordnung der Außenströmung (un, vn) und unterstellt,
daß es sich um eine Potentialströmung bei drehungsfreier Anströmung handelt, so
gilt wn = 0 im ganzen Feld. Speziell bei y = 0 gilt dann wegen ßv / ßx = 0 und
R= 1/R
(8 ;~ 1 ) 0 = - ~un(x,O). (11.47)
Für den Druck ergibt sich ganz analog zu (11.43) und (11.44), wobei nur u durch p
zu ersetzen ist,
N 2
PII2(x, oo) = p12 (x, 0) + Run (x, 0). (11.50)
266 K. Gersten/ H. Herwig
Anmerkung 2 (Ablösung)
Der Vorgang der Anpassung läßt eine klare Hierarchie erkennen, die in Bild 11.1 verdeutlicht ist.
Insbesondere sind dort noch einmal die durch Anpassen ermittelten Größen aufgeführt.
I. Ordn. :-~~~-~B-~::_;~~[~~~1~~~-t~l!i~:~
/ ____ r____
o
: 0 :
vl2 (x,
)
J
0
/
: __________ Jl
I I
y
(11.38). (11.39) (11.1.2) (11.1.8). (11.50) ( ... )
r-----~-~! ,----~-~
:
lI Un1 (X, 0<))
: Prrl (X)
1 I
Ull2 (X,oo)
: _______ : Pu2 (X, oo)
:
!_______________________
I
t_______ _
//, /
8 _ ::___ 8_:_,_,~~----------------- ~N~i~:~
Bild 11.1: Anpassen der primären und sekundären Entwicklungen für Re---+ oo
Das bisher beschriebene Vorgehen hat allerdings zur Voraussetzung, daß die Grenzschichten nicht
ablösen (T-!(x*) > 0)! Nur dann ist sichergestellt, daß die Rückwirkung der Grenzschicht auf die
Außenströmung asymptotisch klein ist und die Außenströmung die primäre Entwicklung darstellt.
11 Asymptotische Entwicklungen 267
Tritt Ablösung auf, entsteht eine vollständig andere asymptotische Struktur, die in Abschnitt 11.6
behandelt wird.
Mit der Forderung, daß keine Ablösung auftreten darf, wird eine Mehrdeutigkeit der äußeren
Lösung erster Ordnung vermieden, deren Gleichungen und Randbedingungen zunächst mehr als
eine Lösung zulassen (in der Regel sind es unendlich viele). In diesem Zusammenhang spricht man
dann auch von der relevanten Eu/er-Lösung, s. dazu z.B. Lagerstrom (1975).
Anmerkung 3 (Verdrängungswirkung)
Für die Außenströmung 2. Ordnung war durch_Anpassen die Randbedingung v12 (x, 0) =tim (x, oo)
ermittelt worden. In der zweiten Ordnung existiert also für y -+ 0 eine endliche, im allgemei-
nen positive V-Komponente, die physikalisch als Ausblasgeschwindigkeit oder als Wirkung von
Quellen an der Wand interpretiert werden kann. Beide Interpretationen machen deutlich, daß die
Außenströmung durch die Grenzschicht "verdrängt" wird.
Diese Verdrängungswirkung wird noch deutlicher, wenn die Anpassung über die Strom-
funktion statt über die Geschwindigkeitskomponenten erfolgt. In der Außenströmung gilt dann
IJ!n (x, 0) = 0, vgl. (11.35), für die zweite Ordnung IJ! 12 (x, 0) = f(x) ~ 0. Die gesamte Strom-
funktion IJ! 1 = IJ!u + e: IJ! 12 ist also bei y = 0 nicht mehr null. Der Wert IJ! 1 = 0 (Begrenzung
des Strömungsgebietes) tritt jedoch in einem gewissen Wandabstand auf, so daß die Linie IJ!1 = 0
als neue fiktive "Wand" interpretiert werden kann. Die Außenströmung ist um einen bestimmten
Betrag verdrängt worden. Die Außenströmung 2. Ordnung ist eine Potentialströmung um einen Er-
satzkörper ("effektiver Körper"), der gegenüber dem gegebenen Körper um die Verdrängungsdicke
"aufgedickt" ist. Zur Verdrängungsdicke s. (7.31) in Abschnitt 7.4, zur speziellen Problematik der
Verdrängungsdicke bei Grenzschichten höherer Ordnungs. Gersten (1974a).
Die Verdrängungswirkung läßt sich, wenn dies gewünscht ist, durch Absaugen von Fluid
über die Wand (poröse Wand) kompensieren, vgl. Abschnitt 7.8.
Die Außenrandbedingungen (11.48) und (11.50) zeigen deutlich, daß es zwei verschiedene Ef-
fekte zweiter Ordnung gibt, einen aufgrund der Verdrängungswirkung und einen aufgrund der
Wandkrümmung. Da die zugehörigen Differentialgleichungen linear sind, können beide Einflüsse
über entsprechende Ansätze getrennt behandelt und dann überlagert werden, s. dazu Gersten and
Gross (1976) oder Gersten (1982a).
Beispiel 11.3: Grenzschichttheorie höherer Ordnung für die halbunendliche Platte bei homogener
(drehungsfreier) Anströmung
Re=--
u:t•
Bild B11.3: Strömung an der v*
halbunendlichen Platte;
L * ~ willkürlich gewählte Länge zur
formalen Entdimensionierung
"'"<l/7/177777/ ///777777777???77777 ...
Die Plattenströmung nach Bild B11.3 soll als Spezialfall der allgemeinen Grenzschichtströmung
systematisch in den Schritten (S1) bis (S4) behandelt werden. Als Bezugsgeschwindigkeit Uß dient
jetzt die Anströmgeschwindigkeit U::O.
268 K. Gersten/ H. Herwig
(S 1) Problemformulierung
Aufgrund der Geometrie gilt für den lokalen Krümmungsradius R*- 1 = 0, also R = 0 und R = 1
in (11.13) bzw. (11.14). Die Navier-Stokes-Gleichungen vereinfachen sich dadurch erheblich. Mit
Einführung der Stromfunktion IJ! (es gilt: u = aw j8y, V= -81J! j8x, IJ! := IJ!* /(L*U;;_,)) lauten die
Navier-Stokes-G leichungen ( 11.16) bis ( 11.18)
( aw !.._ _ aw
8y 8x 8x 8y
!.._) .6.w = .2_.6.2
Re
w (B11.3-1)
(S2) Näherung I
In der naiven Näherung e: = Re- 1 12 = 0 entfallen die Reibungsterme auf der rechten Seite von
(B11.3-1), damit aber auch die höchsten Ableitungen (__. singuläres Störungsproblem).
Analog zu (11.22) wird für die Stromfunktion angesetzt
(B11.3-4)
Die Gleichungen 1. und 2. Ordnung, (11.23) bzw. (11.24), lauten in der Wirbeltransport-
Formulierung
( 81J!n
8y 8x
!.._- 81J!n
8x 8y
!.._) .6.1J!n = 0 (B11.3-5)
( 81J!n !.._
8y 8x
_ 81J!n
8x 8y
!.._) .6.1J! 2 + (81J!12
1 8y 8x
!.._ _ 81J!12 !.._) .6.1J!n = 0
8x 8y
(B11.3-6)
(S3) Näherung II
Nach Einführung der neuen KoordinateN gemäß (11.26) gelten die Gleichungen (11.31) für die 1.
Ordnung und (11.32) mit 1/ R = 0 für die 2. Ordnung. Diese Gleichungen könnten auch wieder in
die Wirbeltransport-Form (dann mit IJ!n := IJ!j1Re 112 j(L*U;;.,)) umgeschrieben werden, was hier
aber unterbleiben soll, da die nachfolgende Anpassung über die Geschwindigkeitskomponenten u,
v und nicht über die Stromfunktion erfolgen soll.
(S4) Anpassung
Da die äußere Entwicklung I die primäre Entwicklung darstellt, kann der führende Term unter
Berücksichtigung der kinematischen Strömungsbedingung (11.34) ermittelt werden. Die Lösung
der Gleichung (B11.3-5) für drehungsfreie Anströmung (s. (B11.3-3)) lautet
IJ!n = y. (B11.3-7)
11 Asymptotische Entwicklungen 269
{B11.3-11)
Mit 'V 1 = 0 für die "effektive Wand" folgt, daß mit {B11.3-11) die Umströmung des Körpers
{B11.3-12)
beschrieben wird. Dabei handelt es sich um eine Parabel mit dem Nasenradius ßf/Re, s. dazu
auch Van Dyke {1975a, S. 138).
Die Lösung von {Bl1.3-6) mit der Randbedingung {B11.3-10) lautet (s. Van Dyke {1975a,
s. 135))
{B11.3-13)
Damit kann nun die Anpassung an die 2. Ordnung der Innenströmung erfolgen. Dazu wird u 12 {x, 0)
benötigt. Aus {B11.3-13) folgt mit u 12 = ß'V 12 /ßy für die gesuchte Größe aber u 12 (x, 0) = 0! Da
für die ebene Platte auch R- 1 = 0 gilt, lautet {11.48) also
Beispiel 11.4 : Grenzschichttheorie höherer Ordnung für die Staupunktumgebung eines umström-
ten Körpers (drehungsfreie Anströmung; symmetrische Strömung)
u.* {''
Re ~ -""- -
"" v*
R*'. J _ _ · - · - · - Bild B11.4: Strömung in der
1 Staupunktumgebung eines umströmten
I
.... / Körpers (symmetrische Strömung)
L • ;:;:, willkürlich gewählte Länge zur
formalen Entdimensionierung
Die Staupunktumgebung eines allgemeinen symmetrischen sog. stumpfen Körpers kann wie in Bild
B11.4 dargestellt werden. Zur Beschreibung der Strömung wird ein körperangepaßtes orthogonales
Koordinatensystem gewählt. Soll als Bezugslänge der Krümmungsradius R* im Staupunkt gewählt
werden, so gilt R* I L • = 1.
In diesem Beispiel sollen die Schritte (S1) bis (S4) nicht explizit ausgeführt werden, sondern
es soll im wesentlichen nur das Ergebnis mitgeteilt werden. Für Einzelheiten sei auf eine sehr
ausführliche Darstellung in Van Dyke (1962) verwiesen.
Da ein allgemeiner Staupunkt betrachtet wird, d .h. der Körper, zu dem der Staupunkt
gehört, zunächst beliebig sein kann, wird die Außenströmung in einer allgemeinen Reihenentwick-
lung angegeben. Die Koeffizienten müssen im konkreten Anwendungsfall dann aus der U mst römung
des betreffenden Körpers gewonnen werden, s. Tab. B11.4.
In Erweiterung der Entwicklung (7.56) aus Kap. 7 gilt bei Berücksichtigung der zweiten
Ordnung für die Außengeschwindigkeit (Näherung I) an der Wand
u·
U := ~ = Bx + B 1 x 2 + · · · + Re;;;,112 { Cx + C 1 x 2 + · · ·} + · · · . (B11.4-1)
00
Nach d er Anpassung der Näherungen I und ll bis zur zweiten Ordnung folgt für den Reibungsbei-
wert bei der Außenströmung (B11.4-1) folgendes Ergebnis:
<oo Reoo1
r. 1 2 = 2x !"wl B 312 + ~
1/ 2 (t"w2K L*
R* B + f"w2V B 112 c) + .. . · (B11.4-2)
Reoo
Dies ist die konsequente "Fortsetzung" des Ergebnisses (7.58) aus Kap. 7 zur nächst höheren
Ordnung. Aus Gründen der Systematik ist jetzt lediglich J!;, 1 statt J!;, geschrieben worden.
Gleichung (B11.4-2) zeigt deutlich, daß es zwei verschiedene Effekte zweiter Ordnung gibt. Der
mit /!;, 2 K verbundene Anteil beschreibt den Einfluß der Längskrümmung der Wand (Index K:
Krümmung) . Der Zahlenwert für /!;, 2 K ist -1,9133, so daß eine konvex gekrümmte Wand, wie sie
in Bild B11.4 gezeigt ist, zu einer verminderten Wandschubspannung führt. Der Krümmungsterm
entfällt für eine senkrechte, nicht gekrümmte Wand, da dann der Krümmungsradius unendlich groß
wird und L • IR* = 0 gilt. Der mit !!;, 2 v verbundene Anteil beschreibt den Verdrängungseinfluß
(Index V: Verdrängung). Der Zahlenwert für /!;, 2v ist 1,8489.
An dieser Stelle ergibt sich nun ein interessanter "Widerspruch" . In Kap. 7 war festgestellt
worden, daß die Grenzschichtlösung zur Außenströmung U = Bx identisch mit der Lösung der
vollen Navier-Stokes-Gleichungen für diesen Fall ist, s. die Diskussion im Zusammenhang mit
(7.60). Wieso kann es dann einen Effekt höherer Ordnung geben, da Effekte höherer Ordnung
11 Asymptotische Entwicklungen 271
doch gerade die Abweichungen der Grenzschichtlösung niedrigster Ordnung von der vollständigen
Lösung beschreiben? Zur Klärung dieser Frage sollen die beiden Gleichungen für U und 4 00 wie
folgt formal umgeschrieben werden (beachte: Bei der Außenströmung U = Bx gilt L* / R* = 0, s.
Bild 7.7 mit ß = 1, d.h. als Effekt höherer Ordnung kann nur der Verdrängungseffekt auftreten):
4 00 Rel/2
oo
= 2x !"w1 { 8 a;2 ( 1 + Re-1/2
oo
~ !!;, 2v)} + ....
B /!;,
(B11.4-4)
1
f!;,2V
f2v = 21 ( /1 + Tl/1') -+ - "
1w1 = 23 · (B11.4-5)
(B11.4-6)
woraus folgt
12
.,oo Re oo1 =
r. 2x f"
wl B
312 + O(Re-oo1) · (B11.4-7)
Der Vergleich mit (B11.4-2) zeigt, daß der mit J!;, 2v verbundene Anteil der zweiten Ordnung effek-
tiv nur die Konstante B in der ersten Ordnung verändert. Die Lösung der Grenzschichtgleichung
erster Ordnung ist aber frei von dieser Konstanten, die vollständig in der Bezugsgeschwindigkeit
"aufgeht", s. (7.57) in Kap. 7. Für das Verständnis dieser Zusammenhänge ist es wichtig, die bei-
den Fälle Staupunktgrenzschicht (Grenzschicht zur Außenströmung U = Bx) und Grenzschicht
in der Umgebung eines Staupunktes (Grenzschicht zur Außenströmung U = Bx + B 1 x 2 + · · ·) zu
trennen. "Echte" Effekte höherer Ordnung für die Strömung in der Umgebung eines Staupunktes
entstehen also erst durch Hinzunahme weiterer Terme der Entwicklung bezüglich x in (B11.4-1),
s. dazu Van Dyke (1962).
Tabelle B11.4 enthält Zahlenwerte der Konstanten B und C für die Staupunktgrenzschicht
an verschiedenen Körpern.
Strömung B c Literatur
Kreiszylinderurnströmung
7r
mit kombiniertem starken 2 2vw(O) > 0 Gersten (1979)
Ausblasen/ Absaugen
Kreiszylinderum-
strömung mit 2 vw(O) < 0 Gersten et al. (1977)
starkem Absaugen
(Sl) Problemformulierung
Ausgangspunkt sind wieder die Navier-Stokes-Gleichungen (zweidimensional, sta-
tionär, konstante Stoffwerte). Es erweist sich im folgenden als zweckmäßig, die
Stromfunktion w := w* /U:X,R* zu verwenden. Die Grundgleichungen reduzieren
sich dann formal auf
Soll (11.51) in Polarkoordinaten gelten, so ist neben u = 8\I! j8y, v = -8\I! j8x
lediglich der Zusammenhang x = r cos cp bzw. y = r sin cp zu berücksichtigen, der in
Bild 11.2 verdeutlicht ist. Gleichung (11.51) ist wieder die Wirbeltransportgleichung,
vgl. Beispiel 11.3.
u.*
00
y* r*
(82) Näherung I
(S3) Näherung II
Als Gebiet II konnte bereits der Bereich des Strömungsfeldes für r --" oo identifiziert
werden. In diesem Gebiet gilt die neue unabhängige Variable R := r* I Li1 =
(r* I Li) Ren = r Ren (mit c = Li I Li1 = Ren). Zunächst soll der Exponent n
so bestimmt werden, daß die Ausgangsgleichung (11.51) nach der Transformation
auf die Koordinaten (R, cp) im Grenzfall c --" 0 geringstmöglich entartet. Dies
bedeutet, daß die linke Seite von (11.51) für c--" 0 von der gleichen asymptotischen
Größenordnung sein muß wie die rechte Seite. Physikalisch bedeutet dies die
Berücksichtigung von Trägheitskräften im Gebiet II.
Zur Bestimmung des Exponenten n soll (11.51) auf der Symmetrielinie y = 0
für x --" oo betrachtet werden. Die Wirbeltransportgleichung (in den Koordinaten
R, cp) wird dann besonders einfach, weil speziell gilt
- 82 1 8 1 82
!'::. := 8R2 +RaR+ R 2 8cp 2 '
(11.57)
(11.58)
Die geforderte asymptotische Gleichheit beider Seiten von (11.58) führt unmittelbar
auf die Bedingung 1 + 3n = 4n für die Exponenten der Reynolds-Zahl, so daß gilt
(11.60)
Die Gleichungen für 111m können wiederum erst nach der Festlegung der Vergleichs-
funktionen 9m (c) hergeleitet werden.
11 Asymptotische Entwicklungen 275
(S4) Anpassung
Es ist jetzt zunächst zu entscheiden, welche der Entwicklungen als primäre Ent-
wicklung anzusehen ist. Dies kann diesmal nur die Entwicklung im Gebiet li sein,
da die führende Gleichung im Gebiet I (Stokes-Gleichung 6 2 \ll = 0) nicht für sich
gelöst werden kann. Dazu ist ein Anpassen an die entsprechende Lösung im Gebiet
li erforderlich.
Die Entwicklung für Wn stellt also die primäre (und gleichzeitig auch
"äußere") Entwicklung dar. Anders als im Grenzfall Re ~ oo ist jetzt also Näherung
li die primäre Entwicklung. Beiden Fällen gemeinsam ist, daß es sich jeweils um die
körperferne Entwicklung handelt, so daß die Bezeichnung "äußere Entwicklung" in
beiden Fällen direkt mit den geometrischen Verhältnissen korrespondiert.
Der Anpassungsprozeß beginnt wie stets mit dem führenden Term der pri-
mären Entwicklung, hier also mit 9m(c)W'm(R,cp) aus der Entwicklung (11.60).
Dieser muß aufgrund der Definition der primären Entwicklung ohne Informationen
aus dem "Innen"-Gebiet I bestimmt werden. Daraus folgt unmittelbar, daß es sich
um die ungestörte Grundströmung (Anströmung) handeln muß, da jeder Einfluß
der Körpergeometrie ausgeschlossen ist. Durch Vergleich von (11.54) und (11.60)
mit r = Rj c folgt
Jetzt gilt es, den führenden Term der "Innen"-Entwicklung I an die Lösung (11.61)
anzupassen. Dieser führende Term entspricht der naiven Näherung c = 0 und damit
der Lösung der biharmonischen Gleichung 6 2 \ll = 0, die in Kap. 10 bereits ange-
geben worden war. Der entscheidende Unterschied zu dem (nicht-asymptotischen)
Vorgehen in Kap. 10 besteht darin, daß jetzt eine noch unbestimmte Vergleichsfunk-
tion g11 (c) zur Verfügung steht, um die führende Innenlösung an die Außenlösung
anzupassen.
Setzt man die Entwicklung (11.55) für w1 in die vollständige Grundgleichung
(11.51) ein, so folgt unter der Annahme g11 (c) = o(1), d.h. g11 ~ 0 für c ~ 0,
daß Wu der biharmonischen Gleichung 6 2 w11 = 0 gehorcht. Die Lösung kann
unmittelbar aus Kap. 10, dort (10.16), übernommen werden, wobei die Konstante
C 1 in der Vergleichsfunktion g11 (c) enthalten ist. Damit gilt
(11.62)
>Itn (r,<p)
276 K. Gersten/ H. Herwig
W' 1 = 9n (e)W'n (r, cp) = 9n (e)W'n (R/ e, <p) = 9n (e) R ln e- 1 sin cp + .. · . (11.63)
f:
Der Vergleich von (11.63) mit (11.64) unter Berücksichtigung von r = Rje führt
unmittelbar auf
(11.65)
(11.67)
Jetzt kann die Gleichung für WII2 bestimmt werden, nachdem zuvor (11.51) mit
(11.57) auf die primäre VariableR umgeschrieben worden ist. Die entstehende Glei-
chung ist vom selben Typ wie die Oseen-Gleichung (10.18) in Kap. 10, berücksichtigt
also die Trägheitskräfte in einer linearisierten Form.
Die Lösung ist, wie bereits im Zusammenhang mit (10.18) erwähnt, sehr
aufwendig. In Form der Geschwindigkeitskomponenten uii2 = &w 112 j&(Rsincp) und
vll2 = -&W'II2/&(R coscp) kann sie explizit angegeben werden, s. z.B. Van Dyke
(1975a, S. 162). Für den Anpassungsvorgang interessiert jedoch nur das Verhalten
für R--+ 0, für das gilt (s. Van Dyke (1975a, S. 163))
Die Größe r ist die Eulersche Konstante r = 0, 5772 ... Um den Anpassungs-
prozeß (m = 2, n = 1) durchzuführen, ist zusätzlich zu (11.66) jetzt noch die
Außenentwicklung mit zwei Termen zu betrachten (Übernehmen/Umschreiben/Ent-
11 Asymptotische Entwicklungen 277
lnr-lnc--.!
c2 = ln(r/4)-lnc+')'-1
2 = 1 für c --> 0, r fest. (11.70)
Als nächstes muß jetzt die Funktion "W 12 (zweite Ordnung innen) bestimmt werden,
die dann systematisch mit m = 2, n = 2 augepaßt werden kann.
Im hier vorliegenden Fall kann dies aber umgangen werden. Man kann
erreichen, daß "W 12 = 0 wird. Diese Überlegungen gehen auf einen Vorschlag von
Kaplun (1957) zurück. Die Notwendigkeit zu einer Funktion "W 12 # 0 ergibt sich aus
den Anpassungsbedingungen für (m = 2, n = 2). In (11.69) kommt für n = 2 ein
weiterer Term hinzu, aber nur, weil C 2 = 1+0(g12 (c-)) gilt, vgl. (11.70). Weder "Wm
noch "W 112 führen für n = 2 zu einem zusätzlichen Term der Größenordnung O(g[1 )
in (11.69). Wenn es nun gelingt, (11.66) und (11.69) anders als beim bisherigen
Vorgehen so anzupassen, daß C2 für alle c (und nicht nur für c --> 0) bestimmt
werden kann, so entfällt die Funktion "W 12.
Dies ist möglich, wenn in der Vergleichsfunktion 9n (c-) eine freie Konstante k
eingeführt wird, also statt (11.65) gilt
(11. 71)
(11. 72)
Damit gilt mit "W 1 = "§r 1 "Wu + · · · statt der Anpassungsbedingungen (11.66) und
(11.69) jetzt (Übernehmen/Umschreiben/Entwickeln)
Wählt man nun k = In 4 - r + 1/2 = ln 3, 703, dann gilt 0 2 = 1 und, wie vorher
ausgeführt, wl2 = 0.
Die Vergleichsfunktion g11 ( e) lautet damit (e = Re)
~
g11 ( e)
1 ) - 1 ( 3, 703) - 1
= ( In ~4 - r + 2 = In ~ (11.75)
Es ist leicht zu zeigen, daß eine Fortsetzung der Reihe für 'll 1 als 'll 1 = 1 gl 1 Wn 2::::
für alle Funktionen Wn auf die biharmonische Gleichung führt. Die Lösungen sind
dann Vielfache der Lösung w11 , so daß für w1 insgesamt gilt
703) - 1 +
W1 = [ ( In 3 'Re t;
00
ai (
ln 3'Re
703) -il ( r In r - ~+ 1 )
2 r sin cp . (11.76)
Kaplun(1957) hat die Konstante a 3 zu -0, 87 bestimmt. Damit gilt für den
Widerstandsbeiwert des Kreiszylinders der Breite B*, s. Van Dyke (1975a, S. 164)
2W*
c . - --::--c=-=---=-
w.- e*U;JR*B*
(11.77)
= ~: [ (rn 3 ,~~ 3 ) - _
1
0,87 (rn 3 ,~~ 3 ) - + 0
3
((lnRe- 1 )- 4 )]
Die Darstellung dieses Ergebnisses in Bild 11.3 zeigt deutlich die bessere Wiedergabe
experimenteller Daten, wenn der zweite Term in (11. 77) hinzugenommen wird.
2.0.----.-,.--------------,
I
I
I
I
I
\
\
\
o\
\
\ GI. (11.77). ein Term
'd',,/
0 ........ ........ _
1.0 0
Q)o
---
oO:>
0 0
GI. (11.77) 0 0
0
zwei Terme
0 0.5 1.0 Re
Bild 11.3: Widerstandsbeiwert cw des Kreiszylinders als Funktion der Reynolds-Zahl;
nach Van Dyke (1975a)
w• u* R*
cw := e•u;:"}R*B*' Re=~; o o o Experiment, Tritton (1959)
11 Asymptotische Entwicklungen 279
Anmerkung (Kugel-Umströmung)
Ein analoges Vorgehen bei der Kugel-Umströmung führt auf folgende Beziehung für den Wi-
derstandsbeiwert, wenn die Entwicklung im Gebiet I noch einen Term weiter als im Fall der
Kreiszylinder-Umström ung ausgeführt wird, s. Proudman and Pearson (1957):
2W*
cw .. -- ---=---=-
g•u;;1r R* 2
(11.78)
u: ""I
Plotten
Bild 11 .4: Prinzipieller Verlauf der
Hinterkante u*-Komponente vor und nach der
Blosius Nochlauf Plattenhinterkante
Profil Prot il
Betrachtet man die Strömung in der Nähe der Hinterkante genauer, so ergibt
sich folgendes Bild. Beim Erreichen der Hinterkante wechselt die Haftbedingung
u* = 0, die zur Verzögerung der Strömung im Wandbereich und damit zur
Ausbildung einer Grenzschicht geführt hat, "plötzlich" auf die Symmetriebedingung
ßu* / ßy* = v* = 0. Als Folge davon kommt es zu einem "schnellen" Auffüllen
des Defektprofiles u:-.c - u* in der Umgebung der Symmetrielinie y* = 0, wie dies
in Bild 11.5 angedeutet ist. Verantwortlich hierfür ist die "plötzlich" wegfallende
11 Asymptotische Entwicklungen 281
---r------t~--~========1==-====f
~
=--== VSTROMLINIEN
ERSCHIEBUNG
-
I
I
/
//
/
HAUPT-EFFEKT:
.. AUFFÜLLEN;;-OES-
·--~ PROFILES UM Y~ 0
ZUM 'NACHLAUF-PROFIL"
FOLGE-EFFEKT:
' ::-.._...,.."""'"".-:-:
.VERSCH[EBUNV DES
''\
\ GESAMTEN PROFILES
I
I
I
Bild 11.5 zeigt einen wichtigen Folge-Effekt der Profilumbildung. Durch den erhöh-
ten Volumenstrom in der Nähe der Symmetrielinie wird das gesamte Profil aus Kon-
tinuitätsgründen zur Symmetrielinie verschoben. Diese Stromlinienverschiebung ist
wie jeder Verdrängungseffekt (hier: "negative" Verdrängung) bis in die reibungslose
Außenströmung zu spüren. In der reibungslosen Außenströmung kommt es zu einer
Veränderung der Druckverteilung aufgrund dieser Stromlinienverschiebung.
Die entscheidende Frage lautet jetzt: Welche asymptotische Größenordnung
haben diese Vorgänge? Das heißt: Wie verhalten sich die Stromlinienverschiebung
und die Druckänderung im Grenzfall Re ~ oo? Diese Frage kann aus einfachen phy-
sikalischen Überlegungen heraus beantwortet werden, wenn die Modellvorstellung
über diesen Vorgang hinreichend präzisiert ist.
282 K. Gersten/ H. Herwig
(11.80a)
Für die Länge L~ bzw. Lu := L~IL*, auf der die Umbildung zum Nachlaufprofil
stattfindet, also die Störung durch die Hinterkante wirkt, gelte entsprechend
(11.80b)
Für den "Stördruck" p := (p* - P'"oo)l e*U;,; wird analog dazu angesetzt
(11.80c)
Die Frage lautet jetzt: wie groß sind n 6 , nL und nP? Zur Bestimmung der
drei Exponenten werden drei Gleichungen benötigt, die unmittelbar aus den drei
Hypothesen (H1) bis (H3) folgen.
(1) Es existiert eine viskose Unterschicht der Dicke 8~, also eine "Grenzschicht
in der Grenzschicht", die durch das Zusammenwirken von konvektivem und
viskosem Impulstransport entsteht. Der konvektive Transport wirkt über
die Länge L~ mit der Geschwindigkeit Uk (beides sind charakteristische
Größen bezüglich des Grenzprozesses Re - t oo ). Der viskose (molekulare)
11 Asymptotische Entwicklungen 283
Transport quer zur Hauptströmungsrichtung wirkt über die Länge 8~ mit der
Geschwindigkeit u:.Es gilt nun (s. dazu auch Abschnitt 7.1)
U*
_x_
8*
f'V _..!!.. (11.81)
uk L~ ·
C = 2-1/2 (ßuBI)
ßN w
= 0, 332 ' (11.82)
3
nL = 2 +3nc... (11.83)
(11.85)
(3) Die Bedingung, daß in der viskosen Unterschicht Reibungs- und Druck-
kräfte asymptotisch von gleicher Größenordnung sein müssen, bedeutet mit
rt* ß2 u* jßy* 2 als typischer Reibungskraft
nP - nL = -1 + ( ~ + n D.) - 2 n D. = - ~ - n D. . (11.88)
Die drei Exponentengleichungen (11.83), (11.85) und (11.88) haben die Lösung
Dieser Parameter ist asymptotisch groß gegenüber e (fi = e!), so daß die asym-
ptotischen Entwicklungen im Hinterkantenbereich vor dem Grenzschichtterm O(e),
vgl. (11.28), noch einige asymptotisch größere Terme aufweisen werden (nämlich
0(~), n = 1, 2, 3).
Mit den Exponenten nL und nD. ist die asymptotische Größe der viskosen Un-
terschicht festgelegt: die Ausdehnung in Strömungsrichtung (L~j L*) ist O(Re- 3 18),
quer dazu ist (8~/L*) = O(Re- 5 / 8).
In der Außenströmung wirkt die Hinterkantenströmung wie eine punktförmige
Druckstörung, die sich in beiden Koordinaten "gleich weit" auswirkt, so daß dort
Abweichungen in einem Gebiet gleicher Längs- und Quererstreckung ("' Re- 318)
auftreten können. Außerhalb dieses Gebietes sind die Störungen bis zur betrachteten
asymptotischen Ordnung abgeklungen.
Insgesamt ergibt sich damit eine Aufteilung des Strömungsfeldes, wie sie in
Bild 11.6 skizziert ist. Es handelt sich dabei um eine rein schematische Darstellung,
11 Asymptotische Entwicklungen 285
die nur die Größenordnung angibt, aber alle Details (wie etwa das Dickenwachstum
mit der Lauflänge) vernachlässigt. Die drei Gebiete werden in der englischsprachigen
Literatur als "lower", "main" und "upper deck" bezeichnet, die gesamte Theorie
als "triple deck theory". In Anlehnung daran sind die deutschen Begriffe Unter-,
Haupt- und Ober-Deck gewählt worden. Die gesamte Theorie wird Dreier-Deck-
Theorie genannt.
\.INGES1ÖRTE AUSSENSTRÖMUNG
_ . _Re·_31_8_ _ _--l
ANKOMMENDE NACH-
GRENZSCHICHT LAUF
HINTERKANTE
Nachdem die Skalierung der Koordinaten und der führende (weil asymptotisch
größere) Störparameter f festliegen, ist das weitere Vorgehen prinzipiell vorgezeich-
net. Die Navier-Stokes-Gleichungen werden in jede der drei Koordinatensysteme
umgeschrieben. Nachdem entsprechende Entwicklungen für die abhängigen Varia-
blen in den drei Gebieten eingesetzt worden sind, lassen sich für alle drei Gebiete
die Gleichungssysteme in aufsteigenden Ordnungen ableiten. Meistens werden an-
schließend nur die führenden Gleichungen weiter betrachtet und für diese Anpas-
sungsbedingungen in Analogie zu den Anpassungsvorschriften (11.6) bzw. (11.11)
aufgestellt.
Mit den Ergebnissen aus den Dreier-Deck-Gleichungen führender Ordnung
lassen sich die drei Hypothesen H1 bis H3 verifizieren. Als ein entscheidendes
Merkmal der Dreier-Deck-Theorie tritt dabei der interaktive Charakter hervor.
Anders als bei der Grenzschichttheorie aus Abschnitt 11.4 können die Grenzschicht-
und Außenströmung in den jeweiligen Ordnungen nicht nacheinander berechnet
werden, sondern müssen simultan (in einem Iterationsprozeß) gelöst werden.
Als Grenzschichtrechnung sind dabei konkret nur die Unter-Deck-Gleichungen
zu lösen, die formal wie die Prandtlschen Grenzschichtgleichungen aussehen, aber
in anders transformierten Variablen formuliert sind. Die Lösung in der "restlichen"
286 K. Gersten/ H. Herwig
0.2 3
z
U(X,O)
-1
'·.....:. 1.0
l__----'-X
x---=-3---=-z--:---1--:.o 0 Z 3 X5
(o) (b) (c) (d)
X y p
Anmerkung 1 (Stromaufwärtswirkung)
Die Skizzierung der Lösungsgebiete in Bild 11.6 deutet an, daß der Einfluß des Unterdecks
auch stromaufwärts der Hinterkante wirksam ist. Zwar sind die Grenzschichtgleichungen, die in
transformierten Variablen im Unter-Deck gelöst werden, vom parabolischen Typ und lassen für
sich damit keine Stromaufwärtswirkung zu, die iterative Kopplung mit den elliptischen Ober-Deck-
Gleichungen führt dann aber doch zu einer Stromaufwärtswirkung.
Das Unter-Deck war als "Grenzschicht in der Grenzschicht" bezeichnet worden, weil es physikalisch
auf demselben Zusammenspiel von konvektivem und molekularem Impulstransport beruht wie die
"Trägergrenzschicht". Gleichung (11.83) macht dies noch einmal deutlich. Würde das Unter-Deck
nicht auf eine asymptotisch kleine Längenerstreckung Lu "" RenL mit nL < 0 beschränkt bleiben,
sondern von einer Länge der Größenordnung 0(1) sein, dann wäre nL = 0 und aus (11.83) folgte
288 K. Gersten/ H. Herwig
n 6 = -1/2. Dies ist die Skalierung der Trägergrenzschicht, und beide Grenzschichten wären
asymptotisch nicht mehr zu unterscheiden.
wie dies z.B. aus der Grenzschichttheorie 2. Ordnung, (11.32), erkennbar ist.
Diese Beziehung tritt an die Stelle des Hilbert-Integrals (11.84) und ergibt
für die Exponenten statt (11.85) die Beziehung (beachte: y = O(Re- 112 ), Yk =
O(Ren.::o. ), x = O(RenL) und p = O(RenP))
1
nP + 2 = n ~:::. - 2 nL . (11.93)
(11.94)
Die Skalierung ist somit geringfügig anders als bei der Dreier-Deck-Theorie. Ein
Anwendungsbeispiel ist die Strömung eines Wandstrahles in der Nähe konkaver
Ecken, s. Smith and Duck (1977).
290 K. Gersten I H. Herwig
r
(1982). Die Geometrie der Delle lautet
= -H { cos [2?r ( ~ + D] -1
i i
Yo 14; --<X<-
2- -2
(B11.5-1)
mit
H = H*c3 14 JW5 18 IL* = 0(1),
In Bild Bll.S wurde die Größe i = 2 gewählt, die Delle liegt dann im Dreier-Deck-Intervall
-1 < X < 1. Die Unter-Deck-Koordinaten (x* = 0 in der Dellenmitte) sind in Tabelle
11.2 (Abschnitt 11.6.2) definiert. Für die !Wynolds-Zahl gilt mit L* als Abstand zwischen der
Plattenvorderka.nte und der Dellenmitte
g*U* L*
lW= 00 (B11.5-2)
1'/*
Bild B11.5 zeigt die Druckverteilung und die Wandschubspannung für den Fall i = 2, H = 1. In
physikalischen, dimensionsbehafteten Variablen ist dies für jede Reynolds-Zahl eine andere Delle.
Für lW = 105 z.B. gilt für die Tiefe H* I L* = 0, 0017 und für die Länge /.*I L* = 0, 106, s.
dazu Bild Bll.S. Es handelt sich also um eine Delle der relativen Tiefe H* Ii* = 0, 016, d.h.
z.B. 1, 7 mm Tiefe auf 106 mm Länge, mit einem Abstand zwischen Plattenvorderka.nte und
Dellenmitte von L • = 1 m. Diese zunächst geringfügig erscheinende Konturänderung hat erhebliche
Auswirkungen auf die Wandgrenzschicht. Ohne Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen
Grenzschicht und Außenströmung ergibt eine einfache Grenzschichtrechnung Strömungsablösung
kurz nach dem Dellenbeginn, wie der gestrichelt gezeichnete er Re 112 -Verlauf in Bild B11.5 zeigt.
Durch die Wechselwirkung sind die tatsächlichen Druckgradienten jedoch erheblich schwächer, und
die Wandschubspannung erreicht nicht den Wert er Re 112 = 0. Eine weitere Vertiefung der Delle
führt trotz Wechselwirkung schließlich zu Rückströmungen und zwar für H > 1, 36. Auch diese
Strömungen können ohne Schwierigkeiten im Ral!men der Dreier-Deck-Theorie berechnet werden,
s. dazu auch den nachfolgenden Abschnitt 11.7.
Der Einfluß der Konturdeformation auf den Wärmeübergang kann ebenfalls durch die
Dreier-Deck-Theorie erfaßt werden (Herwig (1983)).
11 Asymptotische Entwicklungen 291
D 1/1.
pneL
,, ''\
ll \
\\
,,
,'
\
I ' X
I*
···-- L *----·~f--x-· *
Bild B11.5: Verlauf der Druck- und Reibungsbeiwert-Verteilung im Dellenbereich
Lösung der Dreier-Deck-Theorie für H = 1, l = 2
Lösung der Grenzschichttheorie 1. Ordnung für H* /l* = 0, 016
Dellentiefe nicht maßstabsgerecht gezeichnet
L * 2: Abstand zur Plattenvorderkante
Für die weitere Behandlung dieses Problems empfiehlt es sich, folgende drei
Kategorien von Ablösung zu unterscheiden, da die physikalischen Mechanismen und
dementsprechend ihre mathematische Beschreibung (physikalisch/mathematisches
Modell, vgl. Abschnitt 3.7) jeweils sehr verschieden sind:
(1) Massive Ablösung
(2) Marginale Ablösung
(3) Grenzschichtinterne Ablösung.
In Bild 11.9 ist an je einem Beispiel skizziert, wie sich in den verschiedenen Fällen die
Körpergeometrie, die Grenzschicht und das Rückströmgebiet zueinander verhalten.
MASSIVE ABLÖSUNG
(Beispiel: Kreiszylinder-
umströmungl
MARGINALE ABLÖSUNG
~.
(Beispiel: flache. obge-
rundete Stufe) ~
H ~
GRENZSCHICHT INTERNE
ABLÖSUNG !iif,~~wf:f3t~tit '4 ·~ • -~
-=
(Beispiel: Wonddeformotionl / H* ~/// Bild 11.9: Ablösungskategorien
Im folgenden werden die drei Fälle in der o.g. Reihenfolge mit ihren wesentlichen
Eigenschaften beschrieben. Allen gemeinsam ist, daß die Singularität (11.96) ver-
mieden werden muß, da diese zwangsläufig zu einem "Zusammenbruch" aller nume-
rischen Verfahren führt. Die Vermeidung der Goldstein-Singularität erfolgt in den
drei genannten Ablösungskategorien auf unterschiedliche Art.
Dieser Fall ist dadurch gekennzeichnet, daß die Grenzschicht als Ganzes die Wand
verläßt und als freie Scherschicht die Grenze zwischen der Außenströmung und ei-
nem Ablösegebiet (Rückströmgebiet) darstellt. Zunächst einmal muß die Stelle be-
trachtet werden, an der die Grenzschicht die Wand verläßt. Sie wird als Ablösepunkt
bezeichnet.
Das starke Anwachsen der v*-Komponente in Ablösenähe, s. (11.96), läßt
vermuten, daß die Rückwirkung auf die Außenströmung nicht mehr asymptotisch
klein ist. Es liegt damit wieder ein Wechselwirkungsprozeß vor; ~r mit der Dreier-
Deck-Theorie zu beschreiben sein müßte. Stewartson (1970) konnte aber zeigen,
daß der Einsatz der Dreier-Deck-Theorie die Singularität nicht beseit igen kann.
Es stellte sich heraus, daß der aufgeprägte positive Druckgradient , der in der
11 Asymptotische Entwicklungen 293
u:
p!
Bild 11.10: Freie Stromlinien
am Kreiszylinder (Helmholtz-
Kirchhoff-Theorie)
In der nach Helmholtz (1868) und Kirchhoff (1869) benannten Theorie freier
Stromlinien (Re- 1 = 0) wächst der Abstand der freien Stromlinien für
große Werte von x x
proportional zu 112 , s. Bild 11.10, so daß ein sog.
Totwassergebiet von der Form eines Parabelkörpers entsteht. In der Theorie
der freien Stromlinien wird unterstellt, daß in diesem Gebiet keine Strömung
294 K. Gersten/ H. Herwig
herrscht und der statische Druck gleich dem Druck der Anströmung ist. Damit
ist die Differenz im Gesamtdruck über die freie Stromlinie hinweg gleich dem
dynamischen Druck der ungestörten Anströmung, e* u:,; 12.
Bild 11.10 zeigt diese Strömung, die als Grenzlösung (Re- 1 = 0) für eine
asymptotische Beschreibung dienen soll. Wegen des unendlich großen Totwas-
sergebietes wird diese Grenzlösung allerdings nur im sog. Nahfeld verwendet,
d.h. in einem Gebiet, dessen charakteristische Länge der Zylinderdurchmesser
D* ist. Dieses Nahfeld wird für x* I D* - t 00 an ein sog. Fernfeld (s. Punkt
(3)) angepaßt.
(2) Im Nahfeld ist die Strömung für Re- 1 = 0 durch die Helmholtz-Kirchhoff-
Lösung beschrieben. Für Re- 1 -:/:- 0 muß sie so modifiziert werden, daß
ein Druckgradient entsteht, der mit der Dreier-Deck-Skalierung des Druckes
verträglich ist, da die Dreier-Deck- Theorie den lokalen Ablöseprozeß beschrei-
ben soll.
y;
Für die freie Stromlinie Ys := I L * gilt an einem beliebigen Körper
unmittelbar nach dem Verlassen der Wand in einem körperaugepaßten Ko-
ordinatensystem x := x* I L*, y := y* I L* folgender Verlauf (s. dazu J.H.B.
Smith (1977)):
(11.100)
Für große, aber endliche Reynolds-Zahlen liegt der Abströmpunkt x 0 strom-
x
abwärts vom speziellen Abströmpunkt 0 • Diese Verschiebung x 0 - 0 "akti- x
viert" den führenden Term der Entwicklung (11.97) bzw. (11.98), da jetzt Co
von null verschieden ist. Der allgemeine Zusammenhang c0 = f(x 0 - 0 ) hat x
die Taylor-Reihenentwicklung
c0 (0) = 0, d(
deo_ ~ ) = 0(1),
xo Xo
so daß mit c0 = O(Re- 1116 ) für die Verschiebung (x 0 - x0 ) ebenfalls folgt
(11.102)
Mit Co = O(Re- 1116 ) (und nicht 0(1) wie ursprünglich bei Stewartson (1970)!)
ist eine asymptotisch konsistente Beschreibung der Strömung im Nahfeld
möglich, s. dazu F.T. Smith (1977). Die Konstante Co wird von Smith zu
(11.103)
bestimmt, wobei c = (8uf8N)w den Wandgradienten der ankommenden
Strömungsgrenzschicht beschreibt, am Kreiszylinder gilt c = 0, 955.
(3) Die asymptotische Beschreibung der Strömung im sog. Femfeld, also weit
stromabwärts des Körpers, ist gegenwärtig der Schwachpunkt der asympto-
tischen Theorie abgelöster Strömungen. Bis heute konnte keine asymptotisch
vollständig konsistente Beschreibung gefunden werden.
F.T. Smith (1979) schlägt ein asymptotisches Modell vor, bei dem hinter
dem Körper ein elliptisches Rückströmgebiet der Länge O(Re) und der Dicke
O(Re 1/ 2 ) existiert, das asymptotisch an das Nahfeld des Körpers angepaßt
werden kann. Probleme entstehen in der Nähe des stromabwärts gelegenen
Scheitelpunktes des Ellipse, an dem die freien Scherschichten als Fortsetzung
der abgelösten Wandgrenzschichten zusammentreffen. Für Einzelheiten sei auf
die Originalarbeit Smith (1979) verwiesen, s. auch Smith (1986).
··. S<Sk ,.
x- ~
tÄ_/
<w
j' X~
~-
T. T.
X~
x*s
Bild 11.11: Schubspannungsverlauf für GRENZFALL GOLDSTEIN-
Re -+ oo (Prandtlsche Grenzchichttheo- BEGINNENDER SINGULARITÄT
rie) ABLÖSUNG
Durch den Sprung in dr;fdx* bei x; wird in einer asymptotisch kleinen Umge-
bung von x;
nun wieder die systemimmanente Interaktionsstruktur aktiviert (vgl.
Abschnitt 11.6.3), die sich in einem Dreier-Deck manifestiert. Die Reynolds-Zahl-
Skalierung ist allerdings anders als z.B. in Abschnitt 11.6.2. Der Grund hierfür sind
die gegenüber den bisherigen Dreier-Deck-Skalierungen geänderten charakterischen
Größen, insbesondere Uk nach (11.87). Für Einzelheiten sei auf die Originalarbeiten
verwiesen.
Nach der Formulierung in Dreier-Deck-Variablen gelingt es, die Wandschub-
spannung um die Stelle x;
als Funktion von (S- Bk) darzustellen, und zwar univer-
sell und unabhängig von der konkreten Körpergeometrie. Damit kann eine asympto-
tische Korrektur der Wandschubspannungsverteilung um x;
erreicht werden. Bild
11.12 zeigt die Wandschubspannung bei in Form x;
von 7w(O) und für einige aus-
gewählte Werte des Singularitätsparameters auch den Verlauf der Wandschubspan-
nung in der Umgebung von x;
in Form von 7w0~), s. dazu die Bildunterschrift von
Bild 11.12. Die gezeigten Verläufe gelten jeweils qualitativ, Proportionalitätsfakto-
ren müssen im konkreten Fall ohnehin durch Rücktransformation in die physikali-
schen Variablen ermittelt werden.
Die Ergebnisse in Bild 11.12 sind universell, also unabhängig von der konkreten
Körpergeometrie. Sie sollen in vier Punkten näher erläutert werden.
298 K. Gersten/ H. Herwig
(1) Für 8 = 8k ist die Wandschubspannung stets positiv, d.h. der Einfluß der
Wechselwirkung, die im Dreier-Deck erfaßt wird, wirkt ablösungsverhindernd.
(2) Ausgehend von einer zunächst vollständig anliegenden Strömung treten mit
r
steigendem 8- 8k Fälle mit doppeltem Nulldurchgang von w auf. Das bedeu-
tet Ablösung und Wiederanlegen (s. das rechte untere Teilbild in Bild 11.12).
Der Fall, bei dem rwgerade an einer Stelle null wird (Punkt a in Bild 11.12),
ist mathematisch allerdings nicht besonders ausgezeichnet, physikalisch be-
deutet er "beginnende Ablösung bei endlichen Reynolds-Zahlen".
(3) In bestimmten (8 - 8k)-Bereichen ist die Lösung nicht mehr eindeutig. Es
existieren zwei Lösungen. Ein Beispiel einer solchen Doppellösung ist in Bild
11.12 eingezeichnet. In einer späteren Arbeit weisen Brown and Stewartson
(1983) nach, daß es für bestimmte (kleine) Parameterbereiche sogar vier
Lösungen gibt.
(4) Lösungen existieren nicht für beliebig große Parameter 8 - 8k. Es gibt
eine obere Grenze. Das bedeutet physikalisch, daß auf diese Weise kein
kontinuierlicher Übergang in den Fall massiver Ablösung existiert!
Damit stellt sich nun die Frage, wie der Übergang von einer anliegenden Strömung,
die für kleine Werte des Parameters 8 vorliegt, zu dem Fall massiver Ablösung (der
für sehr große Werte von 8 vorliegen muß) stattfindet, wenn die Theorie marginaler
Ablösung keinen kontinuierlichen Übergang gestattet.
Die einzige Erklärung liegt in einer Faltung der Lösungsfläche, wie sie in Bild
11.13 für den Maximalwert des Druckes an der abgerundeten Stufe skizziert ist. Der
obere Teil des Bildes ist die Draufsicht auf das "Lösungsgebirge" cP max als Funktion
von H* I e* und Re -l/ 2 . Der untere Teil stellt eine Seitenansicht für Re = const dar
und verdeutlicht die Faltung des Lösungsgebirges. Der hellgrau unterlegte Bereich
kennzeichnet anliegende Strömungen, d.h. diejenigen Fälle, bei denen an keiner
Stelle der Kontur Ablösung auftritt. Im dunkelgrau unterlegten Bereich gibt es
mehr als eine Lösung (Faltung des Lösungsgebietes).
Die Bereiche mit Ablösung sind durch eine Schraffur gekennzeichnet. Die
dichte Schraffur im schmalen Bereich zwischen M A und C liegt auf der oberen
Lösungsfläche und gehört zum Bereich der marginalen Ablösung. Von hier gibt es
keinen kontinuierlichen Übergang in das Gebiet massiver Ablösung, sondern einen
Sprung auf die untere Lösungsfläche, wie der Pfeil 8 1 im unteren Bild andeutet.
Der umgekehrte Übergang, der bei einer Verkleinerung von H* I f* auftritt,
führt mit einem Sprung 8 2 zu überall anliegender Strömung. Da 8 1 und 8 2 bei ver-
schiedenen Werten H* I f.* liegen, tritt also eine sog. Hysterese im Lösungsverhalten
auf. Diese Hysterese existiert aber nur oberhalb einer bestimmten Reynolds-Zahl,
wie der obere Teil in Bild 11.13 zeigt. Für wachsende Reynolds-Zahlen tritt im Punkt
C erstmals mehr als eine Lösung auf, weil dort die Faltung (der weiterhin glatten,
knickfreien) Lösungsfläche beginnt. In der Projektion ist der Winkel zwischen den
11 Asymptotische Entwicklungen 299
-u:
~ . .. ;;;;;;;;;;m;!~f{*
I L* f
I
~~~////fl»)
t
U. ,. L"
Re=-""--
v"
MARGINALE ABLÖSUNG
Bild 11.13: Gefaltete Lösungsfläche für Stufenströmungen; die Darstellung gilt für ein festes
Verhältnis L* /l* = const (s. Kontur-Skizze)
C-A- M A: Grenze zwischen anliegender und abgelöster Strömung
C-B 1 -MA: Linie für Sprung von lokaler zu massiver Ablösung
C-B2 -MA: Linie für Sprung von massiver Ablösung zu anliegender Strömung
Kurven 0 - C und M A - C im Punkt C gleich null und wird K uspe (engl.: cusp)
genannt. Die mathematische Theorie, die sich mit gefalteten Lösungsflächen befaßt,
ist die sog. Katastrophentheorie, s. z.B. Saunders (1980). Der hier vorliegende Fall
ist eine sog. Kuspe-Katastrophe.
0.019
0.017
-KEINE ABLÖSUNG --r--- ABLÖSUNG -
A
1.2 1.2
c,YRex ® c,YRex CD
O.B 0.8
0.4 0.1.
0.0 0.0
-0.1. -0.4
0.8 1.0 1.2 1.1. x"IL* 1.8 0.8 1.0 1.2 1,4 X */L * 1.8
Bild 11.14:
(a) Schnitt durch die gefaltete Lösungsfläche cp max(Re,H) bei Re= 107 ; t• /L* = 0,5
A, B 1 , B 2 , 8 1 , 8 2 wie in Bild 11.13
o o o numerisch berechnete Fälle
(b) Beispiel für marginale Ablösung -- Asymptotische Theorie marginaler Ablösung
(c) Beispiel für massive Ablösung
Rex := u;;"x• jv• in den Bildern (b) und (c)
11 Asymptotische Entwicklungen 301
Das Ziel war es, durch Grenzschichtrechnungen bei endlichen Reynolds-Zahlen (die
dann keine Goldstein-Singularität aufweisen, s. (11.96)) das generelle Lösungsver-
halten im Bereich der gefalteten Lösungsfläche zu bestätigen. Dazu wurden in den
Gleichungen für die Außenströmung und in den Grenzschichtgleichungen alle Terme
zusätzlich berücksichtigt, die im Sinne von Abschnitt 11.4 zur zweiten Ordnung
gezählt werden. Diese beschreiben Verdrängungs- und Krümmungseffekte. Es wurde
aber keine Trennung in erste und zweite Ordnung vorgenommen, sondern ein (ge-
genüber den Prandtlschen Grenzschichtgleichungen erweitertes) Gleichungssystem
verwendet. In diesem tritt die Reynolds-Zahl explizit auf und erlaubt damit Lösun-
gen bei endlichen Reynolds-Zahlen. Die Grenzschichtrechnungen wurden dabei nach
der sog. inversen Methode durchgeführt, bei der die Verdrängungsdicke als Rand-
bedingung vorgegeben wird und der Druck berechnet wird, s. dazu z.B. Veldman
(1981).
Die relative Stufenhöhe H := H* IC* wurde bei festem Verhältnis C* IL * = 0, 5
und fester Reynolds-Zahl Re= U:.C L* lv* = 10 7 systematisch variiert. Bild 11.14a
zeigt den jeweiligen Maximalwert des Druckbeiwertes, cp max• als charakteristische
Größe der Lösung. Ausgehend von einem niedrigen Wert von H, bei dem überall
anliegende Strömung vorliegt, tritt bei einer Erhöhung von H bei etwa 6, 8 · w- 3
erstmals Ablösung auf. Eine weitere Erhöhung von H hat ein kontinuierliches
Anwachsen von cP max zur Folge. Bei H = B 1 = 7, 25 · w- 3 springt die Lösung
jedoch auf den unteren Zweig und zeigt bei weiterem Anstieg von H wiederum
einen kontinuierlichen (jetzt aber abfallenden) Verlauf.
Geht man nun "rückwärts" vor, beginnt also bei einem hohen Wert von H, so
bewegt man sich auf der unteren Lösungskurve, jetzt aber über den Wert H = B 1
hinaus zu kleineren Werten von H! Bei jj = B2 = 7,175. w- 3 springt die Lösung
auf den oberen Zweig. Der in Bild 11.13 eingezeichnete Hysteresebereich liegt in
Bild 11.14a also zwischen B 2 und B 1 . Im Unterschied zu dem prinzipiellen Verlauf
in Bild 11.13 findet in dem berechneten Beispiel der Rücksprung 8 2 auf eine Lösung
mit Ablösung statt. Die Kurve C- B 2 - 0 liegt in dem Beispiel bei Re= 107 also
lediglich rechts von der Kurve C - A - M A, was mit dem prinzipiell unterstellten
Lösungsverhalten vereinbar ist.
Die Bilder 11.14b,c zeigen den Verlauf des Reibungsbeiwertes er für die zwei
verschiedenen Lösungen bei demselben Wert H = B 2 • Bild 11.14b aus dem Bereich
der marginalen Ablösung zeigt nur ein kleines Rückströmgebiet, während Bild
11.14c aus dem Bereich der massiven Ablösung wie erwartet ein deutlich größeres
Rückströmgebiet aufweist.
Bild 11.14b enthält zusätzlich das asymptotische Ergebnis der Theorie mar-
ginaler Ablösung, das hier auf die endliche Reynolds-Zahl Re = 107 umgerechnet
wurde. Dies zeigt sehr eindrucksvoll, daß das universelle Ergebnis der asymptoti-
schen Theorie (s. Bild 11.12, unteres Teilbild) gut mit den numerischen Ergebnissen
für eine bestimmte Geometrie übereinstimmt.
302 K. Gersten / H. Herwig
Dieser Fall ist relativ eng verwandt mit dem zuvor behandelten Fall marginaler
Ablösung, soll aber trotzdem als eigene Kategorie behandelt werden. Beide Fälle
unterscheiden sich durch die Art und Weise, in der die Goldstein-Singularität
vermieden wird. Während bei der marginalen Ablösung eine Störungsrechnung
um B = Bk durchgeführt wurde, wird die grenzschichtinterne Ablösung mit einer
Störungsrechnung um B = 0 ermittelt. Der Fall B = 0 bedeutet am Beispiel
der zurücktretenden Stufe H* = 0, d.h. die Stufe ist "zur Höhe H* = 0
entartet". Im Grenzfall Re- 1 = 0 liegt also die ebene Platte vor. Die gesamte
"Störgeometrie" (hier: Stufe) ist mit der Reynolds-Zahl gekoppelt und damit nur
für endliche Reynolds-Zahlen vorhanden. Diese aktiviert die systemimmanente
Interaktionsstruktur in Form eines Dreier-Decks (s. Abschnitt 11.6.3). Im Grenzfall
Re- 1 = 0 ist die Goldstein-Singularität vermieden, weil die gesamte Störgeometrie
entfallen ist.
Beiden Fällen gemeinsam ist also die Interaktionsstruktur des Dreier-Decks,
der Unterschied besteht neben der unterschiedlichen "Grenzkontur" für Re- 1 = 0
(B = Bk bzw. B = 0) in der Skalierung des Dreier-Decks. Diese unterschiedliche
Skalierung entsteht, weil bei marginaler Ablösung das zu störende Geschwindig-
keitsprofil den Wandgradienten (8uf8N)w = 0 besitzt, bei grenzschichtinterner
Ablösung aber das Blasiussche Plattenprofil mit (8uf8N)w = 0, 332 =/= 0 gilt.
Weil sowohl die gesamte Störgeometrie, als auch das gesamte Ablösegebiet
stets im wandnahen Bereich der Grenzschicht liegen, ist dieser Fall "grenzschichtin-
terne Ablösung" genannt worden. In Abgrenzung zur massiven Ablösung könnte
man diesen Fall auch als Grenzschichten mit Rückströmung bezeichnen. Die Theorie
marginaler Ablösung stellt dann das Bindeglied zwischen diesen beiden Extremen
dar.
Als Beispiel für grenzschichtinterne Ablösung ist bereits in Abschnitt 11.6.3
Beispiel11.5 gegeben worden.
In der Darstellung nach Bild 11.13 beschreibt die Theorie grenzschichtinterner
Ablösung den oberen Bereich (etwa für Re- 1/ 2 > Re~ 1 1 2 ), also für Reynolds-Zahlen
Re < Rec. Obwohl es sich auch bei der grenzschichtinternen Ablösung um eine
Theorie für Re -+ oo handelt, kann sie in einem Diagramm, das für ein festes
Verhältnis L* /i* gilt, nur für endliche Reynolds-Zahlen als Näherung herangezogen
werden, weil in der Dreier-Deck- Skalierung (anders als bei marginaler Ablösung!)
L *I i* "' Re 318 gilt.
11 Asymptotische Entwicklungen 303
Beispiel 11.6: Algebraische Funktionen mit zwei Störparametern e- 1 und e- 2 im Grenzfall e- 1 --> 0,
e- 2 --+ 0
(1) F1 = (a + be- 1 )/(1 + e- 2 )
(2) F2 = (ae- 1 + be- 2 )/(e- 1 + e- 2 )
Wie man sich leicht überzeugen kann, sind die Grenzübergänge e- 1 --+ 0 und e- 2 --> 0 bei der
Funktion F 1 vertauschbar. Es gilt
!im (!im F 1 ) = !im (!im F 1 ) = a. (B11.6-1)
q -+0 '2-+0 '2-+0 '1-+0
Bei der Funktion F 2 hingegen muß nach folgenden drei Fällen unterschieden werden:
(1) (B11.6-2)
(3) (B11.6-4)
Bei der Funktion F2 sind die Grenzübergänge also nicht vertauschbar. Darüber hinaus gibt es
ausgezeichnete gekoppelte Grenzprozesse, wenn mit K = 0(1) ein sog. Kopplungsparameter
eingeführt wird.
Wie aus (B11.6-4) zu ersehen ist, folgt (B11.6-2) für K--> oo und (B11.6-3) für K--> 0.
vertauschbar, in anderen nicht. Wie bei der Funktion F 2 in Beispiel 11.6 existieren
bisweilen ausgezeichnete gekoppelte Grenzprozesse (engl.: distinguished limits) mit
sog. Kopplungspammetern (engl.: similarity parameter). In der Strömungsmechanik
gibt es eine Reihe von Beispielen für solche ausgezeichneten gekoppelten Grenz-
prozessemit den entsprechenden Kopplungsparametern, s. z.B. die Aufzählung in
Van Dyke (1975a, S. 21), Gersten (1982a) sowie die später in diesem Abschnitt
erwähnten Beispiele.
Für die Interpretation mehrfacher Grenzprozesse ist es sehr hilfreich, sich
den physikalischen Hintergrund zu dem betrachteten physikalisch/mathematischen
Modell vor Augen zu führen. Dabei wird deutlich, daß reguläre und singuläre
Störungsprobleme im Hinblick auf mögliche speziell gekoppelte Grenzprozesse
unterschiedlich zu beurteilen sind.
(2) Singuläre Störungsprobleme: Hiermit ist gemeint, daß mindestens ein Grenz-
übergang singulär ist. Damit existiert bezüglich dieses Grenzprozesses keine
gleichmäßig gültige Näherung. Insgesamt gibt es also keine gleichmäßig gültige
Grenzlösung, die unabhängig von allen Störparametern ei wäre. Damit kann
aber die Frage von Bedeutung werden, wie sich die Störparameter im Grenz-
prozeß ei-+ 0 zueinander verhalten.
Physikalisch bedeutet dies, daß die Störeffekte nicht überall klein si