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Universität Athen, Fachbereich für Deutsche Sprache und Literatur

Inhalt

Einleitend: Zur Semiotik der Literatur


W. Benning

Das Wort als Zeichen

EINFÜHRUNG IN DIE
Der Text als Kontext

Der literarische Text als Verfremdung


LITERATURWISSENSCHAFT I Prosa und Poesie

Alliteration und Assonanz

Reimformen
ERSTER TEIL:
Isotopien
ELEMENTARE LITERARISCHE FORMEN
Tropen

Symbole

Σημειώσεις για το 1ο εξάμηνο

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Deutschland (im Gegensatz zum 20. Jahrhundert), sie ist aber auch typisch für die
Sprachauffassung des Schriftstellers im Gegensatz zur Auffassung des (Sprach-) Wissen-

Einleitung schaftlers (das gilt z.T. auch noch im 20. Jahrhundert).

Kennzeichnend für diese Auffassung ist es, dass ein der sprachlichen Artikulation vor-
gängiges Bewusstsein vorausgesetzt wird, dem dann alle sprachliche Bedeutung ent-
Friedrich von Schiller stellt in seinem Aufsatz Über naive und sentimentalische Dich-
springt. Der Träger dieser Bedeutung, das sprachliche Zeichen in seiner Materialität, der
tung, einer jener theoretischen Arbeiten, die seinen Übergang von den ästhetischen
Signifikant, verschwindet im besten Fall in der entblößten Idee. So verwandelt sich Hete-
Prinzipien des Sturm und Drang zu denen des Klassizismus markieren, „Schulverstand“
rogenität (der sprachlichen Materie) in Homogenität (des unmittelbaren und notwendi-
und „Genie“ in dem Punkt gegenüber, in dem er sie als Verhältnis von Sprache und Den-
gen Ausdrucks des Ideellen).
ken begreift:
So ganz anders Ferdinand de Saussure, der Begründer der modernen Sprachwissen-
Wenn dort das Zeichen dem Bezeichneten ewig heterogen und fremd
bleibt, so springt hier wie durch innere Notwendigkeit die Sprache aus dem schaft, der in den Grundfragen der Allgemeinen Sprachwissenschaft einleitend zu Ver-
Gedanken hervor und ist so sehr eins mit demselben, daß selbst unter der kör - hältnis von Sprache und Denken ausführte:
perlichen Hülle der Geist wie entblößet erscheint. Eine solche Art des Aus-
drucks, wo das Zeichen ganz in dem Bezeichneten verschwindet, und wo die Psychologisch betrachtet ist unser Denken, wenn wir von seinem Ausdruck
Sprache den Gedanken, den sie ausdrückt, noch gleichsam nackend läßt, da ihn durch die Worte absehen, nur eine gestaltlose und unbestimmte Masse. Philo-
die andere nie darstellen kann, ohne ihn zugleich zu verhüllen, ist es, was man sophen und Sprachforscher waren immer darüber einig, dass ohne die Hilfe
in der Schreibart vorzugsweise genialisch und geistreich nennt. der Zeichen wir außerstande wären, zwei Vorstellungen dauernd und klar aus-
(Friedrich von Schiller, Über das Schöne und die Kunst, München 1984, S. 241) einander zu halten. Das Denken, für sich allein genommen, ist wie eine Nebel -
wolke, in der nichts notwendigerweise begrenzt ist. Es gibt keine von vornher-
ein feststehenden Vorstellungen, und nichts ist bestimmt, ehe die Sprache in
Erscheinung tritt.
Wenn die Sprache (das Zeichen) dem Gedanken (dem Bezeichneten) fremd bleibt,
Gegenüber diesem verschwommenen Gebiet würden nun die Laute für
wenn es ihr nicht gelingt, das Gedachte in seiner Reinheit vollständig zu enthüllen, ist
sich selbst gleichfalls keine fest umschriebenen Gegenstände darbieten. Die
der trockene Schulverstand am Werk. Dem genialen Schreiben gelingt es hingegen, die lautliche Masse ist ebensowenig etwas fest Abgegrenztes und klar Bestimmtes;
sie ist nicht eine Hohlform, in die sich das Denken einschmiegt, sondern ein
innere Notwendigkeit herauszustellen, die den Ausdruck (die Sprache) mit dem Inhalt plastischer Stoff, der seinerseits in gesonderte Teile zerlegt wird, um Bezeich-
(dem Gedanken) verbindet. Hier ist das Denken ‚entblößt’ und ‚nackend’, die Sprache nungen zu liefern, welche das Denken nötig hat. Wir können also die Sprache
in ihrer Gesamtheit darstellen als eine Reihe aneinander grenzender Unterab-
geht völlig in ihrem Gegenstand auf. Das materielle Zeichen, die körperliche Hülle, ver - teilungen, die gleichzeitig auf dem unbestimmten Feld der vagen Vorstellung
schmilzt mit dem ideellen Inhalt, dem Geist, zu ‚einem’. Diese Auffassung der Sprache ist (A) und auf dem ebenso unbestimmten Gebiet der Laute (B) eingezeichnet
sind; das kann man in annähernder Weise durch folgendes Schema abbilden:
typisch für die Zeit, in der Schiller schreibt, für die Kunstperiode und den Idealismus in

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dern bedeutet, wie Saussure an anderer Stelle sagen wird, nur das das, was alle anderen
Wörter nicht bedeuten.

Der Strukturalismus betont in jedem Zeichenprozess den Aspekt der Materialität, des
sprachlichen Signifikanten, und die Rolle der Differenz, der ‚Negativität’ jeder positiven
Bestimmung auch des Signifikats; Bedeutung und ‚Sinn’ unterliegen der Differenz. Das
Verhältnis von Bezeichnendem und Bezeichneten ist nicht, wie Schiller es forderte, not-
wendig, es ist arbiträr.
(Ferdinand de Saussure, Grundfragen der Allgemeinen Sprachwissenschaft, dt. von H. Lommel,
Berlin 1967 (1931), S. 133)

Für Saussure ist nicht das vorgängige Bewusstsein primär. Das Denken ohne Worte
kann zwei Vorstellungen nicht langfristig und sauber voneinander trennen – schon Hegel
Das wichtigste Ereignis in der Literaturwissenschaft der letzten Jahrzehnte war und
sagte, das Wort sei das Gedächtnis der Sache –, es ist wie eine „Nebelwolke“, es ist „nur
ist die Auseinandersetzung zwischen traditioneller Hermeneutik und neuem Strukturalis-
eine gestaltlose und unbestimmte Masse“. Das vorsprachliche Denken, bei Schiller Ur-
mus bzw. Poststrukturalismus. Den ersten Teil dieser Auseinandersetzung (Hermeneutik
sprung allen Sinns und Zielpunkt allen Ausdrucks, verliert bei ihm seine Divinität. Nichts
vs. Strukturalismus) darf man als abgeschlossen ansehen, der zweite Teil (Hermeneutik
Gedankliches ist bestimmt, bevor es sich sprachlich artikuliert. Dem stillen Denken ste-
vs. Diskurstheorie(n)) ist noch in Bewegung. Das erste Kapitel des Streits schließt damit,
hen die Laute (Saussure geht von der Priorität des Akustischen aus), zunächst als lautli-
dass zentrale Begriffe und Techniken des Strukturalismus unter Literaturwissenschaft-
che Masse genauso undifferenziert wie das Denken, als „Stoff“, also als Materie gegen-
lern allgemeine Anerkennung finden (periphere Begriffe geraten in Vergessenheit). Sie
über. Während nun Schiller alles daran liegt, die materielle ‚Verkleidung’ des Ideellen
finden heute in der Regel als Literatursemiotik Aufnahme in die Kompendien und Lehr-
vergessen zu machen, betont Saussure die direkte und unmittelbare Abhängigkeit alles
werke der Literaturwissenschaft.
Ideellen von der Materialität der Sprache, dem Signifikanten. Diese Abhängigkeit ist
In diesem Einführungskurs geht es darum, diese Literatursemiotik in Verbindung mit
nicht vorläufig und überwindbar, sondern konstitutiv. Das heißt gleichzeitig auch, dass
traditionellen Grundbegriffen literaturwissenschaftlichen Arbeitens vorzustellen. In ei-
die Bedeutung nicht eine Emanation der Idee ist, sondern sich im Kontakt von vagen
nem ersten Teil werden Grundlagen und kleine literarische Formen behandelt.
Vorstellungen (Idee) und zunächst unbestimmten Lauten (Materie) herausbildet. Weil
sich aber lautliche Signifikanten wie ideelle Signifikate von anderen nur über ein System
von Differenzen unterscheiden, drückt ein Wort nicht eine substantielle Idee aus, son -

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► Die Menge der Individuen, für die ein bestimmtes Zeichen

Das Wort als Zeichen eine Bedeutung hat, heißt sozialer Träger des Zeichens. ◄

Nicht nur in der Sprache werden Bedeutungen vermittelt. Die Semiologie beschäftigt Bei jedem Zeichen kann man zwei verschiedene Seiten unterscheiden: einmal das

sich allgemein mit materiellen Gebilden, die eine Bedeutung vermitteln. Die Gesamtheit materielle Gebilde, das eine Bedeutung vermittelt, dann die Bedeutung selbst. Am Bei-

der materiellen Gebilde lässt sich in zwei Gruppen aufteilen, die durch Funktionen be- spiel der Ampel: rotes Licht (materielles Gebilde) und Halt (Bedeutung).

stimmt werden. Es gibt Dinge, die eine instrumentelle Funktion besitzen: der Stuhl dient ► Das materielle Gebilde, das eine Bedeutung vermittelt,
zum Sitzen, ein Bett zum Schlafen. Und es gibt Dinge, die eine kommunikative Funktion
heißt Signifikant. ◄
besitzen. Materielle Gebilde mit kommunikativer Funktion vermitteln Informationen: so
vermittelt das rote Licht der Ampel die Information, dass man warten muss; der Klang ► Die Bedeutung, die vermittelt wird, heißt Signifikat. ◄
der Türklingel vermittelt die Information, dass jemand um Einlass bittet.
Graphisch lässt sich das so veranschaulichen:
► Materielle Gebilde, die einer kommunikativen Funktion
dienen, nennt man Zeichen. ◄
ZEICHEN
Es gibt Dinge, die sowohl eine instrumentelle wie auch eine kommunikative Funktion
SIGNIFIKANT SIGNIFIKAT
besitzen. So dient z.B. der Zylinder als Kopfbedeckung (instrumentelle Funktion), er be-
deutet aber auch etwas: er vermittelt die Information, dass der Träger z.B. an einer Fest - Rotes Licht STOP
lichkeit teilnimmt (kommunikative Funktion).

Für die Mehrzahl der Zeichen gilt, dass sie nicht von der gesamten Menschheit, ja oft In diesem Beispiel entspricht ein Signifikat einem Signifikanten. Nicht für alle Zeichen
nicht einmal von einer nationalen Gesellschaft als Zeichen mit einer bestimmten kom- gilt die Eins-zu-eins-Entsprechung.
munikativen Funktion benutzt werden; es sind bestimmbare soziale Kollektive, für die
► Die Zeichen, bei denen demselben Signifikanten verschie-
sie Geltung besitzen. So vermittelt etwa die Farbenkombination schwarz/gelb den Fuß-
ballfans in Deutschland die Information Borussia Dortmund. Für diejenigen, die sich
dene Signifikate entsprechen, heißen Homonyme. ◄
nicht für Fußball interessieren, hat sie keine Bedeutung. ► Die Zeichen, bei denen dasselbe Signifikat durch verschiedene
Signifikanten dargestellt wird, heißen Synonyme. ◄

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Zeichen funktionieren nie isoliert. Man stelle sich vor, jemand träfe bei einem Spa - Reine Synonyme sind in natürlichen Sprachen eher selten. Dennoch gibt es häufig für
ziergang in einem unzugänglichen Waldgebiet auf eine rote Ampel. Wenn er vielleicht ein Signifikat verschiedene Signifikanten. Das liegt unter anderem daran, dass es in na-
auch die Ampel als solche erkennt, so wird doch die Bedeutung, das Signifikat STOP, im türlichen Sprachen verschiedene Sprachebenen gibt; für das Deutsche und das Griechi -
Wald unsinnig. Die Ampel funktioniert offensichtlich nur in Zusammenhang mit einer be- sche kann man etwa die inoffizielle Familiärsprache von der offiziellen Normalsprache
stimmten Umgebung (Verkehr) und mit anderen Bedeutungsträgern (Stop-Schild, Poli- unterscheiden. Geht man nur von diesen beiden Sprachebenen aus, begreift man die
zist, Vorfahrtszeichen ...) als Zeichen. Der Zusammenhang aller Zeichen untereinander, Sprache mithilfe eines binären Modells, in dem das Signifikat χρήματα einerseits als
die einer bestimmten Ordnung angehören, heißt synchrones System: alle Verkehrszei- Geld (offizielle Normalsprache), andererseits als Moneten, Mäuse oder Moos artikuliert
chen, die Buchstaben des Alphabets, die Postleitzahlen Griechenlands. Alle Systeme exi- wird (inoffizielle Familiärsprache). Man kann jedoch auch von einem ternären Modell
stieren nur in der Geschichte. Die Dimension der historischen Entwicklung des Systems ausgehen, wenn man die gewählte Hochsprache als dritte Ebene hinzunimmt. Δομάτιο
bezeichnet man als Diachronie. etwa kann als Bude, als Zimmer oder als Gemach (gewählte Hochsprache) übersetzt wer-
den.

► Synonyme auf verschiedenen Sprachebenen heißen sozia-


le Synonyme. ◄
Sprachzeichen lassen sich über die Qualität des Signifikanten bestimmen: Die Linguistik zerlegt den sprachlichen Signifikanten in kleinere Einheiten, die Phone-

► Zeichen, deren Signifikanten Lautbilder sind, heißen me (bedeutungsdifferenzierende Laute) und die Morpheme (bedeutungstragende Sil-
ben). Eine Menge von Sprachzeichen, deren Signifikanten gemeinsame Merkmale (z.B.
Sprachzeichen. ◄
Phoneme oder Morpheme) aufweisen, heißen sprachliche Serien. Ein Beispiel ist die
Mit dem (den) Sprachzeichen beschäftigt sich zunächst einmal die Linguistik.
Serie {lieblich, leise, belastet, verlernt}, in der das Phonem [l] in der ersten betonten Sil-
Natürlich gibt es auch in der Sprache Homonyme und Synonyme. Ein Homonym ist be des Signifikanten konstant gehalten wird (=> Alliteration).
etwa das Sprachzeichen, bei dem dem Signifikanten [raif] (phonetische Umschrift) die Si-
Die Bestimmung analytischer Begriffe des sprachlichen Signifikanten ist ohne Rück-
gnifikate Raureif, Ring und reif entsprechen, ein Beispiel für ein Synonym das Sprachzei-
griff auf die Bedeutung nicht möglich. Die Semantik beschäftigt sich mit der Bedeutung
chen, bei dem dem Signifikat γλωσσολογία (auf Griechisch) die Signifikanten Linguistik
der Sprachzeichen. Die sprachlichen Signifikate werden als Bündel von semantischen
oder Sprachwissenschaft entsprechen.
Merkmalen verstanden.

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► Die kleinsten analytischen Bedeutungseinheiten eines Si- men. Ob zwei Signifikate als Serie oder als Opposition definiert werden, hängt da bei nur
von der Perspektive ab: Mann und Frau gehören als Menschen (gemeinsames Sem) zu
gnifikats heißen Seme (auch: semantische Merkmale). ◄
einer Serie, bilden aber über die widersprüchlichen Seme maskulin und feminin eine
Die semantische Analyse eines Signifikats notiert die Bedeutung als eine Menge von
Opposition. Oppositionen können zwei oder mehr Elemente enthalten. Eine zwei-
Semen, das Signifikat Wolf etwa durch die Menge von Semen: {Raubtier, vierbeinig, Säu-
gliedrige Opposition ist die Gegenüberstellung von groß und klein, eine mehrgliedrige
ger, in Rudeln lebend, hundeartig ...}. Seme sind dabei die kleinsten Bedeutungseinhei-
Opposition mit vier Elementen etwa die Zusammenstellung der Himmelsrichtungen We-
ten immer in Bezug auf ein bestimmtes Signifikat, also die kleinsten Teile nur relativ zum
sten - Osten - Süden – Norden.
Bezugspunkt.

Mithilfe der besprochenen Begriffe können nicht nur einzelne Signifikate untersucht
werden, sondern es können auch sprachliche Serien von der Seite des Signifikats her be- Der Text als Kontext
stimmt werden.
Nicht jede beliebige Kombination beliebiger Sätze ergibt einen Text. Der Vorgang,
► Eine Menge von Signifikaten, bei denen ein Sem (oder eine der aus Wörtern Sätze und aus Sätzen Texte macht, heißt Textkonstitution. Eine einfa-

Menge von Semen) konstant gehalten wird, heißt semanti- che Beschreibung der Textkonstitution erlaubt der Gebrauch bestimmter Pronomina in
einem Text.
sche Serie. ◄
► Pronomina, die sich auf vorher im Text vorkommende No-
So enthält in der Menge von Signifikanten {Rose, Nelke, Veilchen, Margarite} jedes
Signifikat das (gemeinsame) Sem Blume. Darum handelt es sich um eine semantische men oder Personalpronomen beziehen, heißen anaphorische
Serie. Pronomina. ◄

► Der Gebrauch anaphorischer Pronomen konstituiert einen


sprachlichen Text. ◄
Neben dem Strukturprinzip der (partiellen) Identität, spielt für das semantische Sy-
Im folgenden Beispiel sind die anaphorischen Pronomen kursiv gesetzt. Man versteht
stem der Sprache die (partielle) Differenz eine wichtige Rolle. Während die Kategorie
den Text nicht vollständig, weil man nicht weiß, wer mit dem Pronomen ihn in der er-
der Identität Übereinstimmungen von Semen erfasst, drückt die Kategorie der Differenz
sten Zeile gemeint ist. Offensichtlich ist es anaphorisch - aber auf wen (oder was) be-
Unterschiede von Semen aus. Wenn es möglich ist, über Identitäten semantische Serien
zieht es sich? Dieses Pronomen ist der Beleg dafür, dass es sich um einen Textauszug
zu konstruieren, dann kann man über Differenzen semantische Oppositionen bestim-

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handelt; dass also ein weiterer Kontext zum völligen Verständnis dieses Textes Im folgenden Gedichtauszug von Hölderlin spielen die Oppositionen jung-alt, froh-
notwendig ist. traurig, Morgen-Abend, Beginn-Ende, zweifelnd-heiter eine wesentliche Rolle:

Der sehr alte Kardinal (schüttelt ihn ab, zu Galilei): Sie wollen die Erde er- In jüngern Tagen war ich des Morgens froh,
niedrigen, obwohl Sie auf ihr leben und alles von ihr empfangen. Sie beschmut- Des Abends weint ich; jetzt, da ich älter bin,
zen Ihr eigenes Nest Aber ich jedenfalls lasse es mir nicht gefallen. (Er stößt
den Mönch zurück und beginnt stolz auf und ab zu schreiten.) Ich bin nicht ir- Beginn ich zweifelnd meinen Tag, doch
gendein Wesen auf irgendeinem Gestirnchen, das für kurze Zeit irgendwo Heilig und heiter ist mir sein Ende. (Hölderlin)
kreist. Ich gehe auf einer festen Erde, in sicherem Schritt, sie ruht, sie ist der
Mittelpunkt des Alls, ich bin im Mittelpunkt, und das Auge des Schöpfers ruht
auf mir und auf mir allein. Um mich kreisen, fixiert an acht kristallene Schalen, Mode und Liebe erscheinen nicht im Lexikon, sondern nur in einem Text, der als
die Fixsterne und die gewaltige Sonne, die geschaffen ist, meine Umgebung zu Kontext funktioniert, als Oppositionen.
beleuchten. Und auch mich, damit Gott mich sieht. So kommt sichtbar und un-
widerleglich alles an auf mich, den Menschen, die Anstrengung Gottes, das Ge- ► Jeder sprachliche Text bildet, wird er als Ordnung der Be-
schöpf in der Mitte, das Ebenbild Gottes, unvergänglich und ... (Er sinkt
zusammen.) (B. Brecht) ziehungen zwischen seinen Elementen begriffen, ein Syntag-
ma. Die Beziehungen zwischen den Elementen eines Textes
(Syntagmas) heißen syntagmatische Beziehungen. ◄

Es sind also die syntagmatischen Beziehungen, die das Sprachzeichen Mode dem
Ein weiteres Kennzeichen der Konstitution besonders literarischer Texte sind Rekur-
Sprachzeichen Liebe gegenüberstellen. Die Elemente des Syntagmas werden im Text
renzen, d.h. Wiederholungen von Phonemen (Buchstaben), Morphemen (Silben) oder
realisiert.
ganzen Wörtern. In dem Zungenbrecher Fischers Fritz fischt frische Fische rekurrieren
etwa die Phoneme f, i, s; in dem Werbeslogan Die Mode kommt aus der Mode. Die Liebe ► Sprachzeichen, die Bestandteile eines Textes sind, sind De-
nie. Gold ist Liebe. rekurrieren die Wörter Mode und Liebe. notate dieses Textes (oder: sind in diesem Text denotiert). ◄
Im letzten Beispiel wird die Mode der Liebe gegenübergestellt. Der Text beruht auf Alle in einem Text denotierten Sprachzeichen sind jedoch auch Elemente von sprach -
einer semantischen Opposition. Damit gehört er zu einem literarischen Genre: lichen Serien, die ihrerseits nicht vollständig im Text realisiert werden.

► Kurze Texte, die auf wenigen Sprachoppositionen aufbaue- ► Jede sprachliche Serie zu einem denotierten Sprachzeichen
n, heißen epigrammatische Texte. ◄ (vom Signifikanten oder vom Signifikat her motiviert) bildet
ein Paradigma. ◄

7
Die Paradigmen spielen für das Verständnis des Textes eine Rolle, ohne dass sie im werk. aber ist klar, dass mit Schloss nicht das Türschloss gemeint sein kann. Schloss und
Text denotiert sind. Sie werden von den Denotaten assoziiert. Bauwerk gehören zu einer semantischen Serie mit dem gemeinsamen Sem Gebäude.
Dieses gemeinsame Sem wird Klassem genannt.
► Sprachzeichen, die in einem Text nicht denotiert sind, aber
über Denotate des Textes assoziiert werden, heißen Konno- ► Seme, die für einen bestimmten Kontext besondere Rele-

tate dieses Textes (oder: werden von diesem Text konnot- vanz besitzen, heißen Klasseme. ◄

iert). ◄ Semantische Serien, die in einem Text realisiert werden, werden Isoto-
In der Regel ist es also so, dass die im Syntagma denotierten Sprachzeichen jeweils pien genannt.
ein Paradigma konnotieren. In dem Satz Eva isst einen Apfel. konnotiert das gegebene
► Bedeutungsebenen in Texten, die durch die Rekurrenz ei-
Sprachzeichen Apfel etwa eine semantische Serie mit den Elementen Birne, Orange, Ba-
nes oder mehrerer Klasseme gebildet werden, heißen Isotopi-
nane…. Man kann das Verhältnis von Syntagma und Paradigma als Koordinatenkreuz an-
schaulich darstellen:
en. ◄

Paradigma (konnotiert) Im folgenden Auszug von Goethe sind die Sprachzeichen kursiv gesetzt, deren
Signifikate das Klassem Reise auf dem Meer enthalten. Sie bilden eine Isotopie.

Dem günst’gen Wind gehorcht die Flotte schon,


Banane Die Segel schwellen, alles eilt hinab.
Die Scheidenden umarmen tränend sich,
Orange
Und von den Schiffen, von dem Strande wehn
Birne
Die weißen Tücher noch den letzten Gruß.
Eva isst einen Apfel. Syntagma (denotiert) Bald lichtet unser Schiff die Anker auch!
(Goethe, Die natürliche Tochter, IV, 3)

Der Kontext determiniert die Bedeutung der einzelnen Sprachzeichen. Das Wort
Schloss z.B. erscheint im Lexikon als Homonym: dem Signifikanten [sloš] entsprechen die
Signifikate κλειδαριά und παλάτι. In dem Satz Sein Schloss war ein wundervolles Bau-

8
► Wenn die syntaktische Ordnung des poetischen Textes im
Widerspruch steht zur Ordnung der Verse, also eine syntakti-
Der literarische Text als Verfremdung
sche Einheit über das Ende des Verses hinausgreift, heißt das
o
Man stelle sich vor, ein Maler hänge auf einer Ausstellung ein weißes Bild um 45 ge-
Enjambement. ◄
dreht an die Wand. Das Bild wird Erstaunen hervorrufen, da man auf einer Ausstellung
gemalte Bilder erwartet, die rechteckig aufgehängt sind. Das Phänomen nennt man Ver- ► Wenn ein wichtiger syntaktischer Einschnitt (angedeutet
fremdung. Eine Verfremdung besteht aus zwei Teilen: der automatisierten Folie (hier: etwa durch einen Punkt) innerhalb eines Verses erscheint,
rechtwinklig aufgehängte, gemalte Bilder) und dem Novum (hier: das gedreht heißt das Verszäsur. ◄
aufgehängte weiße Bild). Wenn verschiedene automatisierte Folien eine Gesamtheit bil-
Das sind natürlich rein formale Bestimmungen der Poesie. Man kann sich eine solche
den, nennt man sie Erwartungshorizont; die Gesamtheit der Nova heißt neuer Stil.
Definition verdeutlichen, indem man die formalen Bestimmungen bei einem umgangs-
Als literarische Verfremdung bezeichnet man Verfremdungen von Sprachzeichen ins-
sprachlichen Text zur Anwendung bringt. So ist schon das Schriftbild von
gesamt. Fast alle literarischen Texte beruhen auf Verfremdungen der Alltagssprache.
Du betrügst mich.
Man kann unterscheiden zwischen Verfremdungen des Signifikanten und Verfremdun-
Und ich habe dir vertraut.
gen des Signifikats.

das Schriftbild einer poetischen Äußerung, denn die Druckzeile wurde nicht bis zum
Ende geschrieben. Der Eindruck des Poetischen verstärkt sich aber, wenn man stattdes -
Prosa und Poesie
sen schreibt:
Die Besonderheit der Poesie gegenüber der Prosa lässt sich als Verfremdung des
Du betrügst
Schriftbildes eines Textes verstehen. Mich. Und ich habe
Dir
► Ein Diskurs, der das Schriftbild der Prosa dadurch verfremdet,
Vertraut.
dass er die Druckzeile nicht bis zum Ende schreibt und Abschnitte
Hier gibt es drei Enjambements (von Vers 1 zu Vers 2, von Vers 2 zu Vers 3 und von
ohne inhaltliche Zäsuren setzt, heißt Poesie. ◄
Vers 3 zu Vers 4) und eine Verszäsur (hinter mich in Vers 2), die uns den Text als poetisch
► Die Einheit der Poesie (die 'Zeile') heißt Vers. ◄ empfinden lassen.

9
Es gibt tendenziell auch Unterschiede im Rhythmus von Prosa und Poesie. Das be- In der Prosa werden meist die grammatischen Regeln beachtet, während die Poesie
deutet nicht, dass nicht auch ein Gedicht in normalem Prosa-Rhythmus geschrieben sein freier mit der Grammatik umgeht. Die wichtigste Verfremdung des poetischen Sprachge-
kann. brauchs ist die poetische Inversion, d.h. der Verstoß gegen Grammatikregeln, die die

Der Prosa-Rhythmus kennt drei Arten von Betonungen (Akzenten): den Wortak- Satzstellung betreffen.

zent (Zimmer), den syntaktischen Akzent (z.B. unbetonte Artikel im Satz) und den Sin-
nakzent (Geben Sie mir den Stuhl, nicht den anderen!). Die Verteilung dieser Akzente
Alliteration und Assonanz
führt gewöhnlich zu einem unregelmäßigen Rhythmus.
Verfremdungen des sprachlichen Signifikanten sind, wie bereits ersichtlich wurde, ty-
Der Vers-Rhythmus ist meist eine Verfremdung des Prosa-Rhythmus'. Er benutzt
pisch für die Poesie. Sie treten aber auch in der Prosa auf.
häufig einen regelmäßig verteilten Akzent. Die Einheiten dieses Rhythmus' können als
Metren beschrieben werden. Es sollen nur drei Arten von Metrum unterschieden wer- ► Die Verfremdung der durchschnittlichen Rekurrenz von
den: Konsonanten in einem Text nennt man Alliteration. ◄
► Ein Metrum, in dem betonte und unbetonte Silben aufein-
Im folgenden Beispiel liegt eine Alliteration der Konsonanten w, l vor:
ander folgen, heißt alternierendes Metrum. ◄

Ein Beispiel ist der Marsch: links, rechts, links, rechts... Winterstürme wichen
dem Wonnenmond
► Ein Metrum, bei dem sich eine betonte und zwei in mildem Lichte
unbetonte Silben abwechseln, heißt daktylisches Metrum. ◄ leuchtet der Lenz
auf lauen Lüften
Ein typisches Beispiel für das daktylische Metrum ist der Walzertakt (- - ' lind und lieblich
- - ' - - ' - - ' - -). Bei Klopstock heißt es: Jesus verbarg sich vor diesen Ent- wunder webend

weihten. Zwar lagen hier Palmen. er sich wiegt. (Wagner)

► Ein Metrum, bei dem drei oder mehr betonte Silben auf-
einander folgen, heißt Akzent-Akkumulation. ◄ ► Die Verfremdung durchschnittlicher Rekurrenz betonter

Ein Beispiel von Klopstock: das Gewand weiß, bluthell zum Thron.
Vokale nennt man Assonanz. ◄

 10 
Im folgenden Beispiel liegt eine Assonanz der betonten Vokale i, ei (Diphthong) vor: Ein reicher Reim entsteht, wenn vor dem betonten Vokal noch ein Konsonant kon-
stant gehalten wird, etwa: Leiche, Bleiche, schleiche, gleiche.
Weiße Kinder schleifen leis
Ein homonymer Reim ist ein Reim, der aus Homonymen besteht, wie
überm See auf blindem Eis. (George)
etwa in: Er stahl dem König die Krone / und genoss danach eine Krone.

Alliteration und Assonanz kommen auch kombiniert vor: Als Überreim bezeichnet man einen Reim, der aus einem homonymen
und einem normalen Reim besteht:
Und nun schweigen sie. Langsam
wandelt die schwarze Wolke. (Trakl) Will mich freun der Jugendschranke,
Glaube weit, eng der Gedanke,
Wie das Wort so wichtig dort war,

Reimformen Weil es ein gesprochen Wort war.

(Goethe)
Wichtiges Stilmittel vieler literarischer, vor allem poetischer Texte ist der Reim.

► Eine Reihe sprachlicher Signifikanten, bei denen der letzte


Isotopien
betonte Vokal und alle folgenden Phoneme identisch sind,
Für viele Texte wird man sagen können, dass sie durch eine Isotopie konstituiert wer-
heißt Reim. ◄
den. Es gibt aber auch Texte (und zwar gerade literarische Texte), die zwei oder mehr
Einfache Beispiele für Reime sind: Isotopien besitzen.

► Wenn eine Isotopie, die als ein Element ein Homonym ent-
Deich, reich, Teich, Streich, gleich hält, abgebrochen wird und durch eine zweite Isotopie fortge-
Kinder, Finder, Rinder, Blinder, Erfinder setzt wird, die als Element dasselbe Homonym, aber mit an-
derem Signifikat enthält, spricht man von einem Bruch der
Man unterscheidet zwischen reinen Reimen, die genau der obigen Definition ent-
Isotopie. ◄
sprechen, und unreinen Reimen, bei denen sich die dem Vokal folgenden Phoneme nur
ähneln, ohne völlig identisch zu sein, wie etwa bei: Reiche, Neige, Weiche.

 11 
► Wenn ein Text zwei oder mehr komplexe Isotopien besitzt, den Kontext zu passen, in dem es denotiert ist. Es handelt sich um eine Verfremdung in-
sofern, als Fuchs hier als Novum steht für eine semantisch beschreibbare automatisierte
spricht man von doppelter Isotopie. ◄
Folie: alle Bezeichnungen von Individuen, die, träten sie an die Stelle von Fuchs, aus die-
Man spricht von doppelter Isotopie, wenn die beiden Isotopien nicht pragmatisch
sem Satz einen ganz normalen Satz des Deutschen machen würden (z.B. Peter, Frau
miteinander verbunden sind. In einem Zeitungsartikel über Kulturpolitik etwa werden
Amalia, Schaffner ...). Um diese Verfremdung des sprachlichen Signifikats näher analy-
die Klasseme Kultur und Politik so miteinander verflochten sein, dass sie eine einheitli-
sieren zu können, muss zunächst das Signifikat selbst genauer untersucht werden, als es
che Isotopie bilden. Im folgenden Gedichtauszug hingegen stehen die Isotopien, die
bisher geschehen ist. Wenn man sich vorstellt, man sollte einem Chinesen, der nur ein
durch die Klasseme Unwetter und Seelenzustand gekennzeichnet sind, unverbunden ne-
wenig Deutsch spricht, erklären, was Baum bedeutet, hat man verschiedene Möglichkei-
beneinander.
ten. Erstens kann man versuchen, mithilfe anderer deutscher Wörter (wie Pflanze, Holz,
Stamm ...) das unbekannte Wort zu erklären. Wenn der chinesische Freund etwas von
Das Gewitter (Auszug) Linguistik versteht, beschreibt man ihm die Seme des Signifikats Baum. Zweitens kann

Angst, du giftige Schlange, man, wenn die Deutschkenntnisse nicht ausreichen, mit seinem Freund in einen Wald
Schwarze, stirb im Gestein! gehen, auf alle Bäume, die zu sehen sind, zeigen und darauf hinweisen, dass das Bäume
Da stürzen der Tränen
Wilde Ströme herab, sind. Drittens kann man, in Ermangelung eines Waldes, z.B. sagen: In unserem Garten
Sturm-Erbarmen,
Hallen in drohenden Donnern steht ein Baum. und seinen Freund zu diesem Baum führen, um ihm zumindest ein Bei-
Die schneeigen Gipfel rings. spiel für das Angesprochene zu geben. Den drei Möglichkeiten der Erklärung
Feuer
Läutert zerrissene Nacht. (Trakl) entsprechen drei Dimensionen des sprachlichen Signifikats.

► Die Bedeutung eines sprachlichen Zeichens, die mithilfe ei-


ner Menge von Semen angegeben werden kann, heißt die In-
Tropen (Metapher, Metonymie, Emphase)
tension eines Zeichens. ◄
Wenn man einen Satz hört wie Der alte Fuchs, der uns gestern beim Kartenspiel be-
trogen hat, ist auf und davon., weiß man intuitiv, dass einerseits nicht genau das ge- ► Die Menge der Objekte, die ein sprachliches Zeichen (ohne Kon-
meint ist, was gesagt wird (es wird nicht über ein Tier gesprochen), und andererseits, text) bezeichnet, heißt Extension des Zeichens. ◄
dass man das Gemeinte dennoch gut versteht. Das Wort, das einem seltsam erscheint,
ist ohne Probleme zu isolieren: es geht um den Fuchs. Das Sprachzeichen scheint nicht in

 12 
► Das Objekt (oder die Menge der Objekte), das einem ► Der Teil der Trope, der das Substituendum ersetzt und so
sprachlichen Zeichen in einem Kontext entspricht, heißt die einen 'normalen' Satz entstehen lässt, heißt Substituens. ◄
Referenz des Zeichens. ◄ In dem obigen Beispielsatz ist das Substituendum Fuchs und das Substituens schlauer

Mithilfe dieser Differenzierungen wird es jetzt möglich anzugeben, wie die Verfrem- Mann. Alles, was bisher gesagt wurde, bezieht sich auf die Trope allgemein. Man kann

dung funktioniert, die Trope heißen soll. jedoch verschiedene Tropen unterscheiden. Mit der zur Verfügung stehenden Termino-
logie sollen drei grundlegende Formen definiert werden.
► Liegt das Objekt, das durch die Referenz eines Wortes be-
► Die Trope, bei der das Substituens der Referenz entspricht
zeichnet wird, außerhalb der Menge von Objekten, die der Ex-
und Substituens und Substituendum durch gemeinsame Seme
tension des Lexems entspricht, handelt es sich in diesem Kon-
verbunden sind, heißt Metapher. ◄
text um eine Trope. ◄
Im Kontext ein Kuss auf diesen Rubin ist das Substituendum Rubin, das Substituens
In dem Beispielsatz Der alte Fuchs, der uns gestern beim Kartenspiel betrogen hat, ist
das der Referenz entspricht, Mund; gemeinsame Seme von Substituendum und Substitu-
auf und davon. handelt es sich bei Fuchs um ein sprachliches Zeichen, dessen Extension
ens sind rot, leuchtend.
die Menge aller Füchse umfasst. Das Objekt aber, das in diesem Kontext gemeint ist (die
Referenz), ist sicherlich nicht ein Fuchs, sondern wahrscheinlich ein Mann. Das Objekt ► Die Trope, bei der das Substituens der Referenz entspricht,
Mann liegt nicht in der Menge, die von der Extension beschrieben wird. Dar um handelt Substituendum und Substituens aber keine gemeinsamen
es sich hier um eine Trope.
Seme besitzen, sondern durch eine pragmatische Relation
Für alle Kontexte, in denen eine Trope vorkommt, gilt nun, dass sie durch Einsetzen
verbunden sind, heißt Metonymie. ◄
eines anderen sprachlichen Zeichens in 'normale' Sätze des Deutschen verwandelt wer-
Im Kontext Unser Nachbar ist abgebrannt. Ist das Substituendum unser Nachbar,
den können.
das Substituens (=Referenz) das Haus (unseres Nachbarn); es gibt keine gemeinsamen
► Der Teil der Trope, der ersetzt werden muss, damit ein Seme, aber eine pragmatische Beziehung zwischen Substituendum und Substituens: Der
'normaler' Satz des Deutschen entsteht, heißt Substituendum. Nachbar wohnt in dem Haus.

◄ ► Die Trope, bei der die Referenz im Kontext denotiert ist


und das Substituens dem semantischen Mengendurchschnitt

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von Referenz und Substituendum entspricht, heißt emphati- ► Metaphern mit einem geringen semantischen Mengen-
sche Metapher (oder Emphase). ◄ durchschnitt von Substituendum und Substituens heißen küh-

Im Kontext Die Jugend ist der Mai des Lebens. ist das Substituendum Mai, die Refe- ne Metaphern. ◄
renz (im Satz denotiert) Jugend; das Substituens (als Mengendurchschnitt von Substitu-
► Metaphern ohne semantischen Mengendurchschnitt zwi-
endum und Referenz) ist frühe Zeit.
schen Substituendum und Substituens heißen absolute
Wenn oben gesagt wurde, dass bei der Metapher Substituendum und Substituens
Metaphern. ◄
durch gemeinsame Seme miteinander verbunden sind, ist das nur teilweise richtig. In
dem Beispielsatz mit dem Fuchs gibt es zwar gemeinsame Seme zwischen Mann und Damit wird die Interpretation der kühnen und absoluten Metapher, wenn nicht ein

Fuchs (Lebewesen, Säugetier ...), doch scheint ein anderes Sem im Zentrum zu stehen, Substituens denotiert ist, äußerst schwierig, da das einzige Kriterium für die Angabe des

nämlich schlau. schlau ist aber kein Sem von Mann (nicht alle Männer sind schlau). Die Substituens die gemeinsamen Seme mit dem Substituendum sind. Am Beispiel: Was ist

(emphatische) Metapher überträgt hier also ein Sem aus der Menge des Substituen- 'eigentlich gemeint', wenn von Gras gesagt wird, es singe? Macht der Wind, der durch

dums in die Menge der Seme der Referenz. das Gras geht, ein Geräusch, das dann als Singen bezeichnet wird? Dann wäre das ge -
meinsame Sem zumindest akustische Qualität (kühne Metapher). Oder aber besitzt es
► Der Transport von Semen des Substituendums in die Men-
eine so angenehme grüne Farbe, dass die Dichterin es aufgrund subjektiver Assoziatio-
ge der Seme der Referenz heißt Attribut-Funktion der (em- nen als ein Singen empfindet (absolute Metapher)?
phatischen) Metapher. ◄ Ist die zweite Interpretation richtig, so handelt es sich um einen Sonderfall der küh-
Klare Definitionen von Metaphern versagen bei einem bestimmten Typ, den man am nen/absoluten Metapher:
ehesten in der Lyrik antrifft. Wenn es etwa in dem Gedicht Unter den weißen Wassern
► Stammen bei der kühnen/absoluten Metapher Substituen-
der Küsten (Marylou Solms) heißt:
dum und Substituens aus verschiedenen Sinnen zugänglichen
Von Zelle zu Zelle gesponnen:
Gedanken an singendes Gras, ... Bereichen, heißt sie Synästhesie. ◄

Im folgenden Beispiel wird eine optische Qualität (unterstrichen) durch den Tastsinn
so kann man für die Metapher singendes keine Referenz und kaum ein Substituens
(kursiv) erschlossen.
ausmachen.

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Du stiegst in den märzenen ► Die Isotopie, die durch das Bild erklärt wird, heißt Subs-
Weinberg der Liebe,
langsam aus Dämmer und Stadt, criptio. ◄
da Mörtelgemäuer dich ließ,
Braunerdenwege,
Im obigen Beispiel ist die Isotopie Uhr die Pictura, die Isotopie Staat die Subscriptio.
und setztest, die Dunkel ertastend,
den lehmschweren Schuh
zwischen Gräser und Kraut, ... ► Eine Verfremdung des sprachlichen Signifikats, die aus zwei
(Hans Boesch, Pan)
Isotopien (Pictura und Subscriptio) besteht und für die gilt,
dass jedem Element der ersten Isotopie (Pictura) ein Element

Symbole der zweiten Isotopie (Subscriptio) entspricht, heißt Symbol.

Symbole besitzen Ähnlichkeit mit den Tropen. In beiden Fällen geht es darum, dass

etwas 'uneigentlich' gesagt wird, dass eine 'übertragene' Bedeutung vorliegt. Symbole
unterscheiden sich von Tropen dadurch, dass die 'übertragene' Bedeutung nicht durch Für den Beispieltext von Schiller gelten etwa folgende Entsprechungen:
ein, sondern durch mehrere Sprachzeichen (eine Isotopie) ausgedrückt wird. Beispiel:

Wenn der Künstler an einem Uhrwerk zu bessern hat, so läßt er


die Räder ablaufen; aber das lebendige Uhrwerk des Staats muß ge- Pictura Subscriptio
bessert werden, indem es schlägt, und hier gilt es, das rollende Rad
während seines Umschwunges auszutauschen. Man muß also für die
Fortdauer der Gesellschaft eine Stütze aufsuchen, die sie von dem Uhrwerk (p1) Staat (s1)
Naturstaate, den man auflösen will, unabhängig macht. (Friedrich
Schiller, Briefe zur ästhetischen Erziehung des Menschen) bessern (p2) verändern, reformieren (s2)

Räder (p3) Institutionen (s3)


In diesem Beispiel finden sich zwei Isotopien, die man mit den Klassemen Uhr und
abgelaufen (p4) nicht funktionierend (s4)
Staat kennzeichnen kann. Nun wird offensichtlich die Uhr als Bild für den Staat benutzt.
rollend (p5) funktionierend (s5)
Generell gilt, dass jedes Symbol aus zwei Isotopien besteht, wobei die eine eine bildliche
Darstellung der anderen ist.

► Die Isotopie eines Symbols, die als Bild für eine andere be-
nutzt wird, heißt Pictura. ◄

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sich über besondere Qualitäten von Pictura und Subscriptio definieren: Ein Symbol, des-
Es entsprechen nicht nur die Elemente der Pictura den Elementen der Subscriptio.
sen Pictura anthropomorphe Rollen als Elemente besitzt und dessen Subscriptio abstrak-
Die Relationen, die zwischen den Elementen der Pictura existieren, entsprechen den Re-
te Kategorien als Elemente besitzt, heißt Allegorie.
lationen zwischen den Elementen der Subscriptio. Also gilt beispielsweise, dass die Rela-
tion zwischen p3 und p1 (ist ein Teil von) auch für die Relation zwischen s 3 und s1 gelten
muss.
Man kann Typen von Symbolen aufgrund des Grades der Realisierung der Subscrip-
tio im Text unterscheiden.

► Ein Symbol, dessen Subscriptio ganz oder fast ganz im Text


realisiert ist (denotiert), heißt Emblem. ◄

► Ein Symbol, dessen Subscriptio überhaupt nicht im Text er-


scheint, heißt Chiffren-Symbol. ◄

► Ein Symbol, von dessen Subscriptio nur wenige Elemente


im Text realisiert sind, heißt Goethe-Symbol. ◄

Wie man die Tropen aufgrund der verschiedenen Beziehungen zwischen Substituens
und Substituendum unterteilen konnte in Metapher, emphatische Metapher und Met-
onymie, so kann man Symbol-Typen aufgrund der Qualität der elementabbildenden Re-
lationen unterscheiden. Symbole, deren elementabbildende Relationen auf gemeinsa-
men Semen zwischen den entsprechenden Elementen von Pictura und Subscriptio beru-
hen, heißen metaphorische Symbole. Symbole, bei denen die Elemente der Pictura pars
pro toto der entsprechenden Elemente der Subscriptio sind, heißen Repräsentanz-Sym-
bole. In Repräsentanz-Symbolen gilt für jedes Element der Pictura, dass es pragmatisch
Teil des entsprechenden Subscriptioelements ist. Ein Sonderfall des Symbols, der in der
Diskussion um den Symbolbegriff spätestens seit Goethe eine große Rolle spielt, lässt

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