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Onkologie (Grundlagen)

Definition: Lehre von der Entstehung, dem Wachstum und der Therapie gutartiger
(benigner) und bösartiger (maligner) Tumoren.
Im engeren Sinne bezeichnet Onkologie das Teilgebiet der Medizin, das sich mit der
Entstehung, Diagnostik, Therapie und Prävention von malignen Tumorerkrankungen befasst.
Häufigkeit: In Deutschland beträgt das Lebenszeitrisiko für maligne onkologische
Erkrankungen ca. 45 % (ca. 500.000 Neuerkrankungen/Jahr).
Die folgenden Grundlagen der Onkologie beziehen sich auf solide maligne Tumoren.
Entstehung maligner Tumoren: Die Karzinogenese (Tumorentwicklung) ist ein komplexer
und nicht vollständig bekannter Prozess, der in mehreren Phasen abläuft.
Initiation (Auslösung): In einer Zelle entsteht eine Mutation, die nicht durch DNA-Reparatur
oder Zelltod (Apoptose) beseitigt wird. Durch die Mutation wird die Kontrolle über Zellzyklus
und Zellteilung gestört. Mutationen können zufällig entstehen, erblich bedingt sein oder
durch ionisierende Strahlung, chemische Substanzen oder Viren ausgelöst werden.
Promotion (Förderung) und Progression (Steigerung): Die mutierte Zelle wird im Wachstum
gefördert, z. B. durch Wachstumsfaktoren, Hormone oder Entzündungsreize.
Ursachen: Mutationen zufällig, erblich oder durch exogene Schädigung (ionisierende
Strahlung (z. B. radioaktive Strahlung, Röntgen-Strahlung, UV-Strahlung), karzinogene
Substanzen (z. B. Rauchen, Alkohol, Asbest, Zytostatika), Viren (z. B. HBV, HCV, HPV)).
Risikofaktoren: Alter, ungesunder Lebensstil (kalorienreiche/ballaststoffarme Ernährung,
Bewegungsmangel, Übergewicht), lange Östrogenwirkung, chronische Bronchitis u. a.
Pathogenese: Der Primär-Tumor kann lokal destruierend wachsen und lymphogen und
hämatogen metastasieren. Abhängig von Tumorart, Tumorlokalisation, Tumorgröße und
Metastasen entstehen die Krankheitssymptome.
Metastasierung: Die Bildung von Metastasen (Tochtergeschwülsten, Filiae) ist
charakteristisch für maligne Tumoren. Die Ausbreitung der Tumorzellen
(Metastasierungsweg) ist charakteristisch für den Primär-Tumor. Typische
Metastasenlokalisationen sind Lymphknoten, Leber, Lunge, Gehirn, Knochen, Haut.
Symptome (Beispiele, abhängig von Primär-Tumor und Metastasierung):
- tast- oder sichtbare Tumoren/Läsionen
- Blutung (z. B. vaginal, intestinal, urethral)
- Veränderung der Stuhlgewohnheiten
- Husten, Heiserkeit
- Gewichtsverlust, Müdigkeit, Leistungsminderung in fortgeschrittenen Stadien
- Schmerz
Diagnostik: Anamnese, körperliche Untersuchung, Laboruntersuchung, Ultraschall, Röntgen,
Computertomographie, Kernspintomographie, Szintigraphie, Biopsie.

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Stadieneinteilung: Klassifikation des Tumorstadiums zur Prognose-Einstufung und
Therapieplanung.
TNM-Klassifikation:
Tumorgröße (T): Größe und lokale Ausbreitung des Primärtumors.
Nodus lymphaticus (N): Regionäre Lymphknotenmetastasen.
Metastasen (M): Fernmetastasen, Angabe der Lokalisation der Metastasen.
Der vorangestellte Kleinbuchstabe gibt an, ob es sich um eine klinische (c: clinical) oder
histologische (p: histo-pathologisch) Diagnose handelt.
Die nachgestellte Ziffer gibt die Ausdehnung der Erkrankung an.
Beispiel Mamma-Karzinom pT2 cN1 M1 (OSS): Histologisch gesichertes Mamma-Karzinom 2
bis 5 cm groß, klinisch Lymphknotenmetastasen, Fernmetastasen in Knochen (ossär).
Weitere Kategorien und Zusatzangaben der Tumorklassifikation:
- Lymphgefäßinvasion (L): peritumorale Lymphgefäßinvasion.
- Residualtumor (R): Residualtumor nach Therapie.
- Histologische Klassifikation: invasiv - nicht invasiv; histologische Tumorform.
- Histopathologischer Grad (Grading): G 1 (gut differenziert) bis G 4 (undifferenziert).
- Weitere Prognose-Faktoren: z. B. Rezeptorstatus (z.B. Östrogen-, Progesteron-Rezeptor,
HER2: human epidermal growth factor receptor 2).
Stadieneinteilung nach UICC: Zusammenfassung der TNM-Stadien zu Stadium 0 bis IV.

Komplikationen: Gewebe-Destruktion, Obstruktion von Hohlorganen, Anämie,


Tumorkachexie, Thrombose, Schmerz, Organversagen, Tod.

Therapie: Ziele
Kuration: Die Heilung der Tumorerkrankung ist möglich und wird durch das Therapiekonzept
angestrebt. Die adjuvante Therapie in der Onkologie ist die Therapie, die evidenzbasiert
ergänzend zur Operation/Bestrahlung zur Heilung der Tumorerkrankung angewandt wird.
Eine neoadjuvante Therapie wird vor einer Operation/Bestrahlung zur Verkleinerung des
Tumorvolumens angewandt.
Palliation: Die Heilung der Tumorerkrankung ist aufgrund der Tumorstadiums voraussichtlich
nicht möglich. Ziel der Therapie ist das Aufhalten oder Verlangsamen des
Krankheitsfortschrittes.
Symptomatische Therapie: Alle Maßnahmen, die zur Verbesserung der tumor- oder
therapiebedingten Beschwerden beitragen.
Supportive Therapie: Multiprofessionelle Behandlung der physischen, psychosozialen,
spirituellen und kulturellen Bedürfnisse mit dem Ziel der bestmöglichen onkologischen
Therapie und Lebensqualität.

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Therapie: Methoden
Chirurgie: Operative Entfernung des Primärtumors und der regionären Lymphknoten (-
Metastasen), in Ausnahmefällen von Fernmetastasen; Prävention/Therapie von
Komplikationen.
Bestrahlung (Radiotherapie): Zerstörung von Tumorgewebe durch ionisierende Strahlung.
NW: Reizungen/Gewebeschäden im bestrahlten Gebiet, Fatigue.
Strahlentherapie
- Teletherapie/Perkutane/Externe Strahlentherapie: Hochenergetische Röntgenstrahlung,
die durch einen Linearbeschleuniger erzeugt wird und von außen das zu bestrahlende
Gebiet erreicht.
- Brachytherapie/Kurzdistanztherapie: Eine umschlossene Strahlenquelle (radioaktive
Substanz oder hochenergetische Röntgenstrahlung) wird im Körper innerhalb oder in
unmittelbarer Nähe des zu bestrahlenden Gebietes platziert.
Radionuklidtherapie/Nuklearmedizinische Therapie: Zerstörung von Tumorgewebe durch
radioaktive Medikamente, die systemisch verabreicht werden und sich in Tumorzellen
anreichern; v. a. bei Schilddrüsenkarzinom, Knochenmetastasen.
Medikamentöse Therapie:
Zytostatika (Chemotherapie): Zytostatika hemmen das Wachstum und die Teilung von
Tumorzellen und gesunden Zellen. Die Wirkung beruht auf Schädigung der DNA und Störung
der Mitose. Zytostatika wirken umso stärker, je schneller sich Zellen teilen und je schlechter
ihre Reparaturmöglichkeiten sind. Typische Nebenwirkungen sind Leukopenie, Anämie,
Thrombopenie, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Haarausfall, Fatigue. Das Therapieschema
richtet sich nach den verwendeten Substanzen zur Optimierung von Wirksamkeit und
Verträglichkeit (Chemotherapie-Zyklen).
Beispiele für Zytostatika (mit typischen Nebenwirkungen):
Methotrexat, Cyclophosphamid, 5-Fluouracil, Platinverbindungen (Oto-, Nephro-,
Neurotoxizität), Taxane (Neurotoxizität), Anthracycline (Kardiotoxizität).
Zielgerichtete Therapien: Zielgerichtete Therapien wirken gegen biologische
Merkmale/Eigenschaften der Tumorzellen.
- Antikörper
- Wachstumshemmstoffe: Antikörper blockieren Rezeptoren der Tumorzelle, die
an der Regulation des Zellwachstums beteiligt sind (z. B. Trastuzumab
(Herceptin®) gegen den Wachstumsfaktorrezeptor HER2).
- Hemmstoffe der Blutgefäßbildung (Antiangiogenese): Für Wachstum von Tumor
und Metastasen ist die Bildung von neuen Blutgefäßen notwendig. Antikörper
hemmen die Faktoren, die für die Bildung neuer Blutgefäße wichtig sind.
- Kinase-Inhibitoren
- Wachstumshemmstoffe: Kinase-Inhibitoren hemmen den Signalleitungsweg des
Wachstumsfaktorrezeptors.
- Hemmstoffe der Blutgefäßbildung (Antiangiogenese): Kinase-Inhibitoren
unterbrechen die Signalleitungskette, die für die Bildung neuer Blutgefäße wichtig
ist.

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Antihormontherapie: Tumoren, die aus hormonempfindlichen Geweben entstanden sind,
können Hormonrezeptoren haben, über die der Wachstumsreiz des Hormons auf die
Tumorzellen wirkt.
Eine antihormonelle Wirkung kann durch verschiedene Ansatzpunkte erreicht werden.
- Die Hormonbildung wird verhindert durch operative Entfernung der Hormondrüsen
(Ovarien; Hoden).
- Die Hormonbildung wird verhindert durch medikamentösen Eingriff in den Hormon-
Regelkreis (GnRH-Analoga).
- Die Hormonbildung wird verhindert durch medikamentöse Blockade von
Stoffwechselvorgängen, die für die Hormonbildung notwendig sind (Aromatasehemmer;
Androgensynthesehemmer).
- Die Hormonbindung an die Zelle wird verhindert durch Blockade des Hormonrezeptors
(Tamoxifen; Antiandrogene).

Bisphosphonate: Bisphosphonate hemmen den Knochenabbau und können Komplikationen,


die durch tumortherapieinduzierte Osteoporose und ossäre Metastasierung verursacht sind,
verhindern.
Immuntherapie: Therapien, die das körpereigene Immunsystem nutzen (Checkpoint-
Inhibitoren, Zytokine u. a.).
Hyperthermie: Verfahren, die mit der Kombination von Überwärmung und
Chemotherapie/Strahlentherapie die Therapiewirkung verbessern sollen, werden im
Rahmen klinischer Studien geprüft.
Komplementäre/alternative Methoden: Es gibt keine Evidenz für die Wirksamkeit von
alternativen oder komplementären Methoden (z. B. Misteltherapie,
Nahrungsergänzungsmittel, Enzyme, Thymustherapie, Homöopathie, Traditionelle
Chinesische Medizin u. v. a.) gegen das Wachstum maligner Tumoren oder für die
Verbesserung der Lebensqualität von TumorpatientInnen.

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Ergänzungen
Tumor: Geschwulst; örtlich umschriebene Zunahme des Gewebevolumens; im engeren
Sinne Neubildung von Gewebe (Neoplasie, „Gewächs“) durch vermehrte Zellteilung.
Benigner Tumor: Tumor wächst nicht durch Gewebegrenzen; Verdrängung von anderen
Geweben, keine Destruktion oder Metastasierung.
Maligner Tumor (Krebs): Tumor wächst lokal infiltrierend und destruierend; Bildung von
Metastasen (Tochtergeschwülsten).
Semimaligner Tumor: Tumor wächst lokal infiltrierend und destruierend; in der Regel keine
Bildung von Metastasen, z. B. Basalzellkarzinom der Haut.
Solide maligne Tumoren: Bei Wachstumsbeginn fester Gewebeverband und deutliche
Begrenzung (Karzinome, Sarkome).
Karzinogen: Substanz, die eine Mutation, die zur Entstehung eines malignen Tumors führt,
erzeugen oder fördern kann.
Mutation: Veränderung des Genoms (Erbgutes) einer Zelle.
Karzinom: Entwicklung aus Epithel (Oberflächenepithel oder Drüsenepithel); 80 % der
malignen Tumore, z. B. Bronchialkarzinom, Mamma-Karzinom, kolorektales Karzinom,
Leberzellkarzinom, Ovarial-Karzinom.
Sarkom: Entwicklung/Abstammung aus Binde- und Stützgewebe oder Muskulatur, z. B.
Osteosarkom, Leiomyosarkom.
Blastom: Embryonaler Tumor, der während der Gewebe- und Organentwicklung entstanden
ist, und dessen Gewebeherkunft aufgrund der geringen Differenzierung der Zellen oftmals
nicht bekannt ist, z. B. Glioblastom, Retinoblastom, Nephroblastom.
Hämatologie: Lehre von Physiologie und Pathologie des Blutes und der blutbildenden
Organe. Sie umfasst die Blutbildung, die Blutgerinnung und maligne Erkrankungen des Blutes
(Leukämie („Blutkrebs“), maligne Lymphome („Lymphdrüsenkrebs“)).
Präkanzerose: Gewebsveränderung mit einem statistisch erhöhten Risiko für die Entstehung
eines malignen Tumors.
Obligate Präkanzerose: Nahezu 100 %-Wahrscheinlichkeit der Malignitätsentstehung, z. B.
familiäre adenomatöse Polyposis.
Fakultative Präkanzerose: Malignitätsrisiko < 30 % und längere Zeitspanne, z. B.
Leberzirrhose.
Carcinoma in situ: Frühstadium eines epithelialen malignen Tumors ohne invasives
Wachstum (Basalmembran nicht durchbrochen).
Wächterlymphknoten (sentinel node, Nsn): Lymphknoten, die im Abflussgebiet der
Lymphflüssigkeit eines malignen Tumors an erster Stelle liegen.
UICC: Union internationale contre le cancer, Internationale Vereinigung gegen Krebs.
CUP: Cancer of unknown primary, Metastasen bei unbekanntem Primärtumor.
Biopsie: Gewebeprobe.
Histologie: Lehre von den biologischen Geweben, mikroskopische Anatomie.
Kachexie: Sehr starker, krankhafter Gewichtverlust mit allgemeiner Schwäche, BMI < 18
kg/m².
Tumormarker: Substanzen, die vermehrt von Tumorzellen gebildet werden und evt. bei der
Verlaufskontrolle von Tumorerkrankungen genutzt werden. Beispiele: CA (Cancer Antigen)
12-5 bei Ovarial-Karzinom, CEA (Carcino-Embryonales Antigen) bei kolorektalem Karzinom,
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PSA (Prostataspezifisches Antigen) bei Prostata-Karzinom, AFP (Alpha-1-Fetoprotein) bei
Leberzell-Karzinom, CA 15-3 bei Mamma-Karzinom.
Paraneoplastisches Syndrom: Symptome, die durch Substanzen verursacht werden, die der
Tumor freisetzt: Beispiel: Bronchialkarzinome können Parathormon bilden, es kommt zu
Demineralisierung der Knochen und Hyperkalzämie.
Evidenzbasierte Medizin: Versorgung der PatientInnen auf Basis der besten verfügbaren
wissenschaftlichen Daten nach systematischer Bewertung aller Studien zu einem Thema.
Leitlinie: Medizinische Leitlinien beschreiben den aktuellen Wissensstand zu Vorbeugung,
Diagnostik, Behandlung und Nachsorge einer Erkrankung.
Richtlinie: Bindende Vorgaben für ärztliches Handeln.
Rezidiv: Wiederauftreten, „Rückfall“ einer Krankheit.
Kinase: Enzyme, die ein Molekül von einem Substrat auf ein anderes Substrat übertragen.
Sie können durch andere Substanzen aktiviert werden und andere Substanzen aktivieren.
Hyperthermie: Gezielte Überwärmung des Körpers oder einzelner Körperpartien von außen.
Lokale Therapie: Anwendung einer Behandlung in einem örtlich begrenzten Bereich.
Systemische Therapie: Behandlung erreicht den gesamten Organismus.
HBV: Hepatitis-B-Virus, Erreger der Hepatitis B, Übertragung parenteral. Aus einer
chronischen Hepatitis können eine Leberzirrhose und ein Leberzell-Karzinom entstehen;
HBV-Impfung (aktiv und passiv) möglich.
HCV: Hepatitis-C-Virus, Erreger der Hepatitis C mit hoher Chronifizierungsrate (80 %),
Übertragung parenteral. Aus einer chronischen Hepatitis können eine Leberzirrhose und ein
Leberzell-Karzinom entstehen; kein Impfstoff vorhanden.
HPV: Humane Papilloma-Viren, Erreger von Genitalwarzen (low-risk-Typen) und Neoplasien
(Cervix-Karzinom, Penis-Karzinom, Oropharynx-Karzinome (high-risk-Typen),
Kontaktinfektion; Impfung (aktiv) möglich.

Baas 11/2022

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