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Näpflis abenteuerliche Reise durch den
menschlichen Körper

Erzählt von Hans-Wilhelm Smolik


Gezeichnet von Wilhelm Hartung
Wissenschaftlich aktualisiert von Sabine Smolik-Pfeifer
Vorwort
Professor Dr. rer. nat. Birgit Liss (Universität Ulm)

N äpfli – ein kleines rotes Blutkör-


perchen entdeckt das Wunderwerk des
des menschlichen Körpers, welche der klei-
ne Näpfli einst bei mir geweckt hat, tag-
menschlichen Körpers. Als ich gefragt täglich an Studierende und auch Schüler
wurde, ob ich ein kurzes Vorwort für die weiter. In diesem Sinne wünsche ich Näpfli,
nunmehr 14. Auflage des Näpfli-Büchleins dem „kleinen Physiologen“, auch weiterhin
schreiben könnte, habe ich mit Freude zuge- eine grosse Leser- und Zuhörerschaft - mit
sagt, denn der kleine Bursche erscheint mir ebensoviel Spass und Freude an diesem
wie ein lieber Freund aus Kindheitstagen, Büchlein, wie ich sie selbst erleben durfte.
der durchaus auch heute noch eine Rolle in
meinem Leben spielt, wie ich hier kurz er-
zählen möchte.
Ich erinnere mich noch recht genau
an meine erste Begegnung mit Näpfli, die Birgit Liss, Jahrgang 1971, wuchs in
schon um die 30 Jahre her ist. Mein grosser Schafflund in Schleswig Holstein auf. Sie
Bruder brachte das Büchlein aus der Schule studierte an der Universität Hamburg Bio-
mit – und ich habe es von da an wieder und chemie/Molekularbiologie und legte 1995
wieder verschlungen und so die Abenteuer ihr Diplom ab. 1999 folgte die Promotion
des kleinen Blutkörperchens – und damit die am Zentrum für Molekulare Neurobiologie
Funktionsweise des menschlichen Körpers Hamburg, danach mehrere Stipendien an
– mehr und mehr verstanden. Wobei das der Universität Oxford, und ab 2002 eine
Sauerstoffmännlein, der Wassertropfen Plink Juniorprofessur an der Universität Marburg.
sowie die kleine Schallwelle mir zu lieben 2002 erhielt sie die Auszeichnung „Frau des
Kameraden wurden, während ich die Profes- Jahres“, 2006 den deutschen Hirnligapreis.
soren „Fachberater Erfahrung, Wissen und Seit 2007 ist Birgit Liss Professorin für
Gedächtnis“ mit Ehrfurcht – und nur vagem Allgemeine Physiologie an der Universität
Verständnis – bestaunte. Ulm. Im selben Jahr wurde sie mit dem mit
So spannend und teilweise so unglaub- einer Million Euro dotierten Alfried-Krupp-
lich erschienen mir die vielen Abenteuer, Förderpreis für junge Hochschullehrer
die Näpfli im menschlichen Körper erlebte, aus­gezeichnet.
dass ich immer mehr über all diese Vorgän-
ge wissen wollte, die uns ermöglichen, zu
atmen, zu sehen, zu hören, zu fühlen, zu den-
ken und noch so vieles mehr. Die Vorgänge
also, die die „Physiologie des Menschen“
beschreiben.
Und heute bin ich selbst der Professor
für Physiologie, der „Fachberater“ meiner
Studenten für „Erfahrung, Wissen und Ge-
dächtnis“. Wie Näpfli erforsche ich das Wun-
derwerk des Gehirns mit seinen unzähligen
Nervenzellen, und gebe mein Wissen und
meine Begeisterung über die Funktionsweise

2 3
Inhalt Näpfli – das rote Blutkörperchen

5 Näpfli – das rote Blutkörperchen „Und wer bist du?“


„Ich bin eine Knochenzelle, eine Ver-
7 Näpfli und der Zellstaat Mensch wandte von dir. Ich lebe in der Wand des
Kämmerchens, das dich umgibt.“
9 Näpfli auf abenteuerlicher Tunnelfahrt „Eine Knochenzelle? Bist du ein lebendi-
ges Ding? Zeig dich doch einmal!“
11 Näpfli lernt das Herz kennen „Das ist nicht möglich, Näpfli. Mit Hun-
derttausenden von meinen Brüdern habe
Ich heiße Näpfli und bin ein rotes Blut- ich mich fest verbunden, um diesen Kno-
13 Alarm, Alarm, der Mensch hat sich verletzt!
körperchen. Ihr glaubt nicht, wie froh ich bin, chen zu bilden. Und selbstverständlich bin
dass ich zu euch sprechen kann. Ich bin näm- ich lebendig! Wir Zellen sind die lebendigen
15 Das Klagelied der Zähne lich bis zum Platzen gefüllt mit Neuigkeiten Bausteine der Natur. Bausteine, die sich bie-
und habe euch viel zu erzählen. Leider habe gen und dehnen, recken und strecken, die
17 Die Klagen aus der Mundhöhle ich nur eine sehr leise Stimme. sich so zusammenfügen, wie die Natur es
Ihr müsst wissen, dass ich ein winziges will, die sich teilen und vermehren und jeg-
19 Näpfli und das Sauerstoffmännlein Kerlchen bin, so klein, dass ihr mich mit blo- liche Gestalt annehmen. Wir Knochenzellen
ßem Auge nicht sehen könnt. schwitzen einen Leim aus, aus dem später
23 Der rebellische Apfelkern Mit 10 meiner Geschwister habe ich auf der harte Knochen entsteht.“
einer Stecknadelspitze gut Platz, unserer 15 „Dann ist also jede Zelle ein lebendiges
25 Neue Abenteuer des rebellischen Apfelkerns könnten wir nebeneinander durch ein Haar Geschöpf?“, fragte ich.
von euch schwimmen. „Wir Zellen sind überhaupt die ersten
27 Der wandelnde Wasserturm Könnt ihr euch das vorstellen? Kaum, Geschöpfe dieser Erde, Näpfli! Wir stehen
nicht wahr? Es ist auch schwierig. Aber es am Anfang aller Dinge. Du selbst bist ja auch
lässt sich nicht ändern. Ich muss so klein eine Zelle!“
31 Plink und Näpfli besuchen die Niere
sein. „Eine Zelle? Aber ich habe doch eine an-
So, und nun will ich anfangen und euch dere Gestalt und auch eine andere Farbe als
33 Näpfli begegnet im Auge dem Sonnenstrahl von dem wunderbaren Land berichten, in du“, antwortete ich.
dem ich geboren wurde! „Ich sagte dir schon, Näpfli, dass wir jede
37 Eine kleine Schallwelle erzählt vom Ohr Gestalt annehmen können. Es kommt ganz

E
darauf an, welche Aufgaben wir zu erfüllen
41 Die Haut ist mehr als ein Sack haben“, belehrte mich die Knochenzelle. „Wir
s war heute vor 29 Tagen, als ich zur Zellen sind ein großes Volk, das sich aus vie-
45 Näpfli erforscht das Gehirn Welt kam. Ich erwachte in einem winzigen len Stämmen zusammensetzt. Da gibt es die
roten Kämmerchen und sah mich staunend roten Blutzellen, zu denen du gehörst und
49 Der winzigste Baustein der Welt um. Ich war damals schon genauso groß wie die einem kleinen Napf gleichen. Da gibt es
heute, trug dasselbe gelbliche Gewand, hat- die Knochenzellen, die so aussehen wie ich,
53 Aus Billionen Zwergen wird ein Riese te aber noch einen Kern in mir. also einen Leib mit vielen kleinen Armen be-
„Wo bin ich?“, flüsterte ich. sitzen. Dann gibt es noch die Fettzellen, die
56 Näpfli erzählt von den Zellverbänden „In einem Land, in dem weder Sonne rund und kugelig sind. Und die Muskelzel-
noch Mond scheinen“, antwortete sofort eine len, die einer dünnen Spindel ähneln. Ach,
tiefe Stimme, ohne dass ich sehen konnte, und noch viele, viele andere Zellstämme! Du
58 Das große knöcherne Baugerüst
wer da eigentlich sprach. wirst sie bald kennenlernen.“
„Es ist ein Land voller Wunder und Ge- „Ja, ja!“, sagte ich, und dann musste ich
62 Gelenkiger als ein Hampelmann heimnisse, und du darfst dich glücklich prei- erst einmal über all das nachdenken, was mir
sen, es kennenzulernen.“ die Knochenzelle erzählt hatte.

4 5
„Das stimmt!“, nickte ich. Näpfli und der Zellstaat Mensch
„So aber, in der Gemeinschaft der vielen
Brüder“, fuhr die Knochenzelle fort, „brauche
ich nichts anderes zu tun, als Knochenleim
auszuschwitzen. Sicher und geborgen sitze
ich hier, werde jeden Tag gefüttert und muss Ich habe den Zellstaat Mensch, also den Da gibt es die Innung Auge, die Innung
mich weder um meine Feinde noch um menschlichen Körper, in vielen Fahrten be- Ohr, die Innung Gehirn, die Innung Herz, die
sonst etwas kümmern. Ich sorge mit mei- reist und bis in seine geheimsten Schlupf- Innung Lunge und so weiter. Jede Innung
nen Brüdern, den vielen Millionen Knochen- winkel durchforscht. Und ich muss sagen: hat eine ganz bestimmte Aufgabe übernom-
zellen, dafür, dass dieser Zellstaat aufrecht Er ist ein Land der größten Wunder! Doch men. Die Innung Auge das Sehen, die Innung
stehen kann und die große Gemeinschaft vielleicht habt ihr mich noch nicht so recht Ohr das Hören, die Innung Haut das Fühlen,
zu tragen vermag. Die Muskelzellen sorgen verstanden? Also passt auf! die Innung Nase das Riechen, die Innung
dafür, dass sich dieser Zellstaat bewegen Lunge das Atmen und die Innung Magen
kann. Die Hautzellen sorgen dafür, dass der und Darm das Verdauen. Selbstverständlich
„Ich bin eine Knochenzelle!“ Zellstaat durch eine dreifache Hülle umfasst haben auch alle Innungen ihre besonderen
und geschützt wird. Und ihr roten Blutzel- Trachten und ihr besonderes Aussehen. So
„Ich bin also Näpfli, die rote Blutzelle, len sorgt dafür, dass wir alle genügend wie ihr bei den großen Festumzügen gleich
das rote Blutkörperchen?“, begann ich dann Sauerstoff bekommen. Wir konnten wirklich erkennt, jetzt kommen die Schmiede und
wieder. nichts Klügeres tun, als uns zu vereinigen jetzt die Schneider, so unterscheiden sich
„So ist es!“, bestätigte die Knochenzelle. und die großen Lebensaufgaben unterein- etwa die kräftigen Muskelzellen von den
„Und wir Zellen sind die lebendigen ander aufzuteilen.“ zarten Nervenzellen. Meist ist schon an der
Bausteine der Natur?“ „Das sehe ich ein, liebe Knochenzelle. Zellgestalt zu erkennen, welche Aufgaben
„Ja! Aus uns Zellen bestehen alle Wahrhaftig, jetzt verstehe ich dich schon die einzelnen Zellinnungen haben.
Geschöpfe der Erde?“, antwortete die besser. Und auch ich bin also ein Mitglied Die Knochenzellen sind fest und hart und
Knochenzelle. eines solchen großen Zellstaates?“ wie ein Baugerüst zusammengefügt. Die
„Wie ist das zu verstehen?“ „Das bist du, Näpfli! Und zwar bist du Nervenzellen sind dagegen feingliedrig wie
„Jedes Geschöpf dieser Erde ist nichts ein Mitglied des großartigsten Staates, den die Schreiber und sehen wie kleine Spinnen
anderes als ein Zellstaat. Indem wir Zellen wir Zellen jemals gebildet haben.“ aus.
uns vereinigten und zusammenschlossen, Und wissbegierig fragte ich: „Doch wie Doch lasst mich nun weiter von meiner
entstanden die Pflanzen, die Tiere und die heißt nun dieser so wunderbare, so voll- Unterhaltung mit der Knochenzelle berich-
Menschen“, erklärte die Knochenzelle. „Eine kommene und einzigartige Zellstaat?“ Nervenzelle ten! Was ihr jetzt noch nicht ganz verstan-
Mücke, das ist ein Zellstaat von Tausenden Die Knochenzelle machte eine gewichti- den habt, das wird euch später klarwerden.
von Zellen. Ein Elefant, das ist ein Zellstaat ge Pause, dann sagte sie: „Der menschliche Auch mir wirbelte das Neue damals tüchtig

I
von vielen Millionen Zellen.“ Körper! Oder kurz: der Mensch!“ im Kopf herum.
„Und warum vereinigen wir
Zellen uns zu solch großen Staats- hr müsst euch euren Körper wie eine
gebilden?“ Stadt vorstellen. Da gibt es Zellen, die wie
„Weil es sich in der Gemein- eine Stadtmauer das ganze Gebilde schüt-
schaft leichter leben lässt, als wenn zend umgeben. Das sind die Hautzellen. In
man allein durchs Leben geht, Näpf- der Mauer aber, sozusagen in Nischen, ste-
li! Überlege doch, wie schwer ich es hen viele Wächter, die jede Gefahr und jeden
hätte, wenn ich heute noch als win- Feind melden.Das sind die Meldestellen der
ziges Geschöpf im Wasser lebte! Nervenzellen. Dann gibt es Zellen, die wie
Dann müsste ich selbst für meine große Wirtshäuser und Garküchen für die
Nahrung und für meine Sicherheit Ernährung der Bevölkerung sorgen. Sie wir-
sorgen, müsste auf die Jagd ge- ken in Magen und Darm; aber auch das Blut
hen, müsste mich vor meinen Fein- hilft dabei mit.
den hüten, müsste schwimmen und Und alle diese Zellen haben sich, genauso
umherziehen und wäre ein armes, wie die Handwerker der richtigen Städte, zu In-
schwaches Ding.“ nungen und Gilden zusammengeschlossen.

6 7
„So bin ich also im Knochen eines Men- „Keine dumme Frage“, meinte die Kno- Näpfli auf abenteuerlicher Tunnelfahrt
schen zur Welt gekommen?“, fragte ich die chenzelle. „Und so will ich dir noch kurz ver-
Knochenzelle noch einmal. raten, dass jede einzelne Zelle des großen
„Freilich, Näpfli“, versicherte mir die Staates an eine Telefonleitung angeschlos-
Knochenzelle. „Das rote Knochenmark sen ist. Wenn sich die kleinste Zelle verletzt,
der Rippen, der Wirbelsäule und des Schä- wenn sie krank wird oder ihr sonst etwas Also zwängte ich mich durch das Löchlein
deldaches ist der Geburtsort aller roten zustößt, so erfahren dies in Bruchteilen ei- und wunderte mich, wie gut das ging. Mit
Blutkörperchen.“ ner Sekunde eine Vielzahl anderer Zellen der Zeit wurde der Schlauch auch etwas
„Und ich befinde mich jetzt im roten Kno- des ganzen Staates. Dieses Telefonnetz be- breiter. Es ließ sich bald recht gemütlich in

I
chenmark eines Wirbelsäulenknochens?“ dienen die Nervenzellen. Sie sind es auch, ihm dahintreiben. Plötzlich aber mündete er
„Es ist, wie du sagst“, bestätigte die die alle Befehle des Gehirns übertragen und in einen kleinen Kanal ein, in dem meine Ge-
Knochenzelle geduldig. Und sie fügte hin- vermitteln. Doch was weißt du vom Gehirn? n dieses Abenteuer wurde ich hinein- schwister und viele andere, mir unbekann-
zu: „In jeder Sekunde werden im roten Das alles wirst du erst viel später begreifen, gerissen, ehe ich wusste, wie mir geschah. te Blutkörperchen mitschwammen. Diese
Knochenmark des menschlichen Körpers 3 Näpfli. Das eine aber kannst du dir schon Die feinen Stimmchen, die mich riefen, das anderen Blutkörperchen sahen alt und sehr
Millionen rote Blutkörperchen geboren.“ heute merken: Wir sind kein regelloser und waren meine Geschwister, die gleichzeitig müde aus.
„3 Millionen?“, rief ich staunend und wilder Haufen von Zellen, sondern sind zu mit mir im roten Knochenmark der Wirbel- „Wo bin ich jetzt eigentlich?“, wagte ich
zweifelnd. einem sinnvoll geordneten großen Ganzen säule auf die Welt gekommen waren. endlich eines der alten und müden Blutkör-
„In jeder Sekunde!“, bekräftigte die zusammengefügt! Aus Billionen Zwergen „Auf, Näpfli!“, riefen sie. „Wir müssen perchen zu fragen.
Knochenzelle. wurde ein einziger Riese!“ uns auf die Suche nach dem großen roten „Wo du bist? In einer Vene!“
„Aber das ist doch nicht möglich!“, rief Ich aber konnte ihr jetzt nicht mehr fol- Strom begeben. Es ist keine Zeit zu verlie- Da war ich freilich nicht klüger als vorher.
ich. „Da müsste es ja ungezählte Millionen gen. „Entschuldige, liebe Knochenzelle“, ren! Wir werden gebraucht! Wir sollen Last- Aber das alte Blutkörperchen erklärte mir
von roten Blutkörperchen geben!“ stammelte ich verlegen. „Ich bin dir wirklich kahn spielen!“ auch schon: „Eine Vene, das ist eine Blut-
„Genau 25 Billionen“, bemerkte die Kno- dankbar, dass du mir alles erzählt hast. Aber „Was sollen wir?“, fragte ich. „Einen ader. Die Blutader aber gehört zum großen
chenzelle gelassen. es ist eben einfach zu viel, weißt du. Nur das Strom suchen? Lastkahn spielen?“ Blutkreislauf, der das verbrauchte Blut zum
„25 Billionen? Eine Billion, das sind ja eine hätte ich gern noch gewusst: Wo sind „Ja, ja, komm nur, komm! Wir müssen Herzen zurückbringt. Du befindest dich also
schon 1.000 Milliarden! Das wäre ja eine denn meine 25 Billionen Geschwister?“ uns sofort auf den Weg machen! Siehst du mitten im großen unterirdischen Strom, der
Zahl mit 12 Nullen! Das wären ja eine Milli- „Das wirst du bald erfahren, Näpfli. Es das winzige Löchlein dort? Das ist der Ein- von nun an deine Heimat sein wird.“
on Millionen! Und so viele Blutkörperchen wird nicht mehr lange dauern, und sie rufen gang zu einem haardünnen Schlauch, der „Und warum siehst du eigentlich so
sollen sich in einem einzigen Menschen dich. Sobald der Zellkern in dir geschrumpft uns zum großen Blutstrom führt. Es soll ein müde, so matt und so grau aus?“, fragte ich
befinden?“ ist, werden sie sich melden. Und nun den- Riesenstrom mit roten, warmen, dampfen- das Blutkörperchen. „Ist dir nicht wohl?“
„Stimmt ganz genau“, nickte die Kno- ke in Ruhe über alles nach, was du heute den Wellen sein. Ein Riesenstrom von weit „Ich bin müde von der Arbeit, Näpfli.“
chenzelle. „Doch das ist das Wunderbarste gehört hast! Vielleicht sehen wir uns später über 1.000 Kilometer Länge!“ Und das alte Blutkörperchen summte:
noch lange nicht, mein Freund. Das wirkliche noch einmal!“ „Aber das ist doch Unsinn“, antwor- „Wir leben und schwimmen und reisen im
Wunder besteht darin, dass ihr roten Blut- Aber es blieb mir nicht viel Zeit zum tete ich. „So groß ist doch der Mensch roten, im pulsenden Strom. Wir steigen und
körperchen alle nur 120 Tage alt werdet und Nachdenken. Der Kern in meinem Leib unmöglich.“ sinken und kreisen durch einen gewaltigen
der menschliche Körper also alle 4 Monate schrumpfte sehr schnell ein, und plötzlich „Doch, doch, es soll wahr sein!“, riefen Dom.“
25 Billionen rote Blutkörperchen erzeugt.“ wurde ich von feinen Stimmchen gerufen … meine Geschwister. „Der Strom soll sich so Die anderen Blutkörperchen aber fielen
„Aber wie ist es denn möglich“, frag- vielfach verzweigen und so fein verästeln, ein: „Wir dürfen niemals stille stehn, sonst
te ich, „dass alle die unzähligen Zellen ge- dass wir, wenn wir alle seine Bahnen durch- muss der Mensch zugrunde gehn!“
nau wissen, was sie zu tun und zu lassen laufen, mehrere 1.000 Kilometer zurücklegen „Ja, ja, Näpfli, so ist das“, sagte das alte
haben?“ müssen.“ Blutkörperchen, und dann summte es wei-
„Und außerdem sind wir ja viel zu dick, ter: „Wir strömen durch Venen und Adern in
um in dieses Löchlein schlüpfen zu können“, billionenstarken Geschwadern. Wir tragen
gab ich zu bedenken. den Sauerstoff zu jeder Zelle, wo man uns
„Weißt du denn nicht, dass wir uns braucht, da sind wir zur Stelle.“
lang und schmal machen können?“, lachten „Wie oft seid ihr denn schon durch den
meine Geschwister und waren – schwupp- großen Strom geschwommen, liebe alte
diwupp – schon alle verschwunden. Und Brüder?“, fragte ich.
wenn ich nicht allein zurückbleiben wollte, „Wir wissen gar nicht mehr die Zahl, es
musste ich ihnen wohl oder übel folgen. war wohl viele tausend Mal.“

8 9
Das ist ja schrecklich, dachte ich. Immer Auch das Herz darf niemals stille stehn. Näpfli lernt das Herz
und immer in diesem Strom dahinschwim- Wenn das Herz sich nur einmal, nur wenige
men und so alt, so müde und so grau zu Minuten lang ausruhen würde, müsste der kennen
werden! „Nein, nein!“, rief ich laut. „Ich will Mensch sterben. Das Herz ist ein Muskel,
das nicht! Ich will zurück in mein Kämmer- der niemals müde wird, ein wunderbarer
chen! Mir graut vor diesem Leben, in dem Muskel, und bärenstark.“
es keine Ruhe und keine Rast gibt!“ „Und was will das Herz von uns?“, fragte
Aber das alte Blutkörperchen lächel- ich und musste jetzt schon sehr laut spre-
te nur und sprach: „Du kannst nicht mehr chen, denn das Pochen und Stampfen war
zurück, Näpfli! Der Weg ist versperrt. Hast nun wie ein Dröhnen.
du nicht die vielen feinen Klappen an den „Das Herz wird uns in die Lungen hin-
Wänden der Blutader gesehen? Sie lassen aufpumpen, Näpfli! Dort werden wir Sau-
das Blutwasser, in dem wir schwimmen, erstoff tanken und werden wieder frisch
nur nach dem Herzen fließen. Sie schließen und munter. Du wirst staunen, Kleiner! Du
sich sofort, wenn wir zurückwollen. Es gibt wirst uns nicht wiedererkennen, wenn wir
kein Zurück mehr, Näpfli! Nur vorwärts, im- aus der Lunge kommen. Und nun gib Acht!
mer vorwärts, dem Herzen zu! Hörst du es Gleich wirst du das Herz kennenlernen!“
nicht schon pochen?“ Tatsächlich hörte ich das Herz schon
Ich hörte wirklich ein feines Pochen, das klopfen. Fast hatte ich Angst. Doch ein Zu-
immer lauter wurde, je schneller wir dahin- rück gab es ja nicht. Ich musste vorwärts
trieben, je stärker die Blutader wurde und je und lernte das Herz und die Lunge kennen.
mehr Blutkörperchen mit uns schwammen. Da ging es toll zu. Und davon will ich euch in
„Das Herz?“, fragte ich. „Pocht das Herz der nächsten Geschichte erzählen.
so? Was ist denn das Herz?“
„Das Herz ist ein kleiner
Muskel, nur etwa faustgroß“,

D
antwortete das alte Blutkörper­
chen. „Es saugt uns alle in sei-
ne großen Kammern. Spürst du as war ein ­großer und sah mich mit
nicht, wie es zieht? Augenblick in meinem Blutkörper­ Millionen meiner
chen-Leben, als ich das Herz zum ers- Brüder in einer ge-
ten Mal besuchte. Ihr wisst, ich schwamm räumigen Kammer. Ich
inmitten der alten und verbrauchten Blutkör- wunderte mich, dass alle
perchen in einer Vene dahin. Und jetzt erhob meine erfahrenen Brüder durchaus nicht
sich vor uns ein Dröhnen und Getöse, dass ängstlich aussahen. Nein, sie strahlten! Das
man kaum sein eigenes Wort verstand. Ich beruhigte auch mich etwas.
zitterte und hatte große Angst vor diesem „Was geschieht jetzt?“, fragte ich meinen
unaufhörlich pochenden Herz. alten Freund.
„Ich fürchte mich!“, rief ich laut. „Jetzt wird sich das Herz zusammen-
„Lass dich nicht auslachen, Näpfli!“,schrie ziehen und uns mit Schwung wieder hin-
das alte Blutkörperchen, das sich meiner so ausbefördern. Siehst du, schon rücken die
freundlich angenommen hatte, zurück. „Halt Wände der Herzkammer aneinander! Das
dich fest an mich! Pass auf, jetzt dehnt sich Blutwasser wird zusammengepresst. Die
das Herz weit aus und saugt uns in seine Segelklappe hinter uns hat sich geschlossen.
Vorkammer! Gleich wird sich die Segelklap- Die dreizipflige Taschenklappe vor uns öffnet
pe der rechten Herzkammer öffnen, gleich sich weit. Es geht los, Näpfli! Jetzt werden
wird uns der Strudel einsaugen. Jetzt, jetzt, wir in den kleinen Blutkreislauf hineingejagt!
Näpfli, strömen wir in die rechte Herzkam- Nun geht es in die Lunge!“
mer hinein!“ Und schon war es geschehen. Und noch ehe das alte Blutkörperchen
Unwiderstehlich fühlte ich mich mitgerissen ausgesprochen hatte, flog ich auch schon im

10 11
Bogen aus der Herzkammer und sah mich dich nicht lange! Jetzt geht es in die linke Alarm, Alarm, der Mensch hat sich verletzt!
wieder in einem großen und starken Kanal. Herzkammer! Hoppla, Junge! Hinein, hi-
Meinen alten Freund hatte ich dabei aus den nein! Na, jetzt hast du wohl keine Angst
Augen verloren. „Wo bist du, alter Bruder?“, mehr, was? Ja, man gewöhnt sich an alles.“

A
rief ich. „Bist du auch mitgekommen?“ „Jetzt sind wir also in der linken Herz-
„Sicher!“, antwortete seine vertraute kammer?“, fragte ich. Ich staunte die weißen Blutkörperchen
Stimme dicht neben mir. „Wo sollte ich „Du merkst aber auch alles!“, lachte das larm! Alarm! Platz da! Zur Seite! Aus an und rief: „Aber die sehen doch ganz an-
sonst sein? Schau dich doch einmal um! verjüngte Blutkörperchen. „Doch sieh, die dem Wege!“, rief es und kam mit Brausen ders als wir aus!“ „Ja freilich, Näpfli“, nickte
Die dreizipflige Taschenklappe hat sich hin- Wände der Herzkammer ziehen sich schon näher. mein Freund. „Sie haben ja auch ganz andere
ter uns geschlossen, damit kein Blutstrop- wieder zusammen! Hoppla! Und schon „Was ist da geschehen? Wer schreit Aufgaben als wir.“
fen in das Herz zurückfließen kann. Hier in geht es mit Schwung wieder hinaus! So, denn da?“, stotterte ich und drückte mich an „Und sie sind auch beinahe doppelt so
diesem Strom gibt es kein Zurück, Näpfli! Näpfli, und nun wollen wir lauschen, wo wir die Wand der Schlagader. groß wie wir!“, stellte ich fest. „Ja, und was
Hier heißt es immer vorwärts, vorwärts, heute gebraucht werden!“ „Das sind die weißen Blutkörperchen, ist denn das, du? Die schwimmen doch
vorwärts, ohne Rast und Ruh!“ „Gebraucht werden? Wer braucht uns Näpfli“, klärte mich mein alter Freund auf. gegen den Strom! Die kommen uns doch
„Du bist ja plötzlich so guter Laune, alter denn?“ „Das sind unsere Vettern, die in den Lymph­ entgegen! Ich denke, es gibt kein Zurück im
Bruder!“, wunderte ich mich. „Warum freust „Aber Näpfli! Was du doch dumm fra- organen und im Knochenmark geboren ganzen Blutstrom?“
du dich so?“ gen kannst! Wir Blutkörperchen sind doch werden. Auf 5 Millionen von uns roten Blut- „Die weißen Blutkörperchen bilden hier
„Ich? Ich freue mich auf das erfrischen- die kleinen Lastkähne, auf denen der Sau- körperchen kommen 6.000 weiße Blutkör- eine Ausnahme, Näpfli! Überleg doch, sie
de Sauerstoffbad in der Lunge! In der Lun- erstoff für alle Organe befördert wird: für perchen. Du musst weg von der Wand der müssen ja überall hinkommen, müssen
ge begegnen wir der frischen Luft, die der das Herz, die Lungen, die Leber, die MiIz, Schlagader, Näpfli! Die weißen Blutkörper- überall sofort zur Stelle sein!“
Mensch eingeatmet hat. Du musst heute den Magen, die Knochen und Muskeln, die chen bewegen sich gerade an den Wänden „Aha!“, nickte ich und sah ein wenig nei-
nur diesen Weg mitgehen, damit du in die Haut und viele andere! Die Organe wollen der Adern entlang.“ –„Ach so!“, rief ich und disch den weißen Blutkörperchen nach.
linke Herzkammer gelangst, von wo es dann ununterbrochen gefüttert sein. Und das Or- sprang schnell in die Mitte. „Aber warum „Werden sie denn auch rechtzeitig zu der
mit Schwung hinaus in den Körper geht.“ gan, das gerade am meisten arbeitet, das schreien sie Alarm?“ Wunde gelangen?“, fragte ich dann.
„Wir kehren nochmals zum Herz zu- braucht uns jetzt. Wenn der Mensch Holz „Es muss irgendwo ein Unglück ge- „Sicherlich, Näpfli! Inzwischen haben
rück?“, staunte ich. hackt, dann schreien die Muskeln nach Sau- schehen sein, Näpfli. Vielleicht hat sich der nämlich die winzigen Blutplättchen die Wun-
„Selbstverständlich, du wandelndes Fra- erstoff und Blut. Wenn der Mensch denkt Mensch in den Finger geschnitten. Da stür- de schon abgeriegelt.“
gezeichen! Wir müssen jetzt in den großen und schreibt, dann ruft das Gehirn nach zen nun die weißen Blutkörperchen alle hin Ich musste aber schon wieder fragen:
Blutkreislauf hinein. Wir müssen doch den Nahrung. Wenn der Mensch isst, dann und passen auf, dass kein Schmutz durch „Blutplättchen? Sind das auch Blutkörper-
rechten Schwung bekommen, damit wir muss der Magen mit Sauerstoff gefüttert die Wunde in den Körper kommt und ihn chen wie wir?“
auch in die äußersten Gebiete des menschli- werden. Und dann heißt es, auf schnellstem womöglich vergiftet. Die weißen Blutkör- Und ich wunderte mich sehr, dass sich
chen Körpers gelangen können. Vorher aber Wege dorthin zu eilen, denn sonst kann der perchen sind die Schutzpolizei des mensch- auf meine Frage hin ringsum ein leises Ge-
muss ich erst einmal Sauerstoff tanken. Ich Mensch nicht mehr das Beil schwingen oder lichen Körpers. Aha, siehst du, da kommen kicher erhob. Mein alter Freund aber flüster-
habe einen gewaltigen Sauerstoffhunger! kann nicht mehr denken oder richtig verdau- sie schon!“ te: „Schläfst du denn, NäpfIi? Hast du die
Auf nachher, Näpfli!“ Und – schwupp – war en. Verstehst du das?“ kleinen Kerle denn wirklich
das alte Blutkörperchen verschwunden. „So halbwegs“,meinte ich. „Du sagst also ...“ noch nicht gesehen, die
Wie ich erst viel später erfuhr, befand Doch das verjüngte alte Blutkörper- winzigen Sternchen, die
sich der Sauerstoff in den unzähligen winzi- chen unterbrach mich. „StiII, Näpfli! Aha, hier mit uns schwimmen?“
gen Bläschen, aus denen die Lunge zusam- das Auge schreit nach Sauerstoff! Komm, „Freilich habe ich die schon
mengesetzt war. Ich sah diese Bläschen Näpfli, da schwimmen wir gleich die große lange gesehen. Aber ich bin
wohl schon heute, sah auch, wie die Blut- Halsschlagader hier hinauf!“ bis jetzt überhaupt noch
körperchen den Sauerstoff durch die hauch- Ihr könnt es sicher verstehen, dass es in nicht zur Besinnung ge-
dünnen Bläschenwände hindurchgereicht meinem kleinen Kopf nur so schwirrte von kommen. Das also sind die
bekamen, verstand aber den ganzen Vor- all dem Neuen. Es war zu viel auf einmal. Blutplättchen? Die sind ja
gang noch nicht. Geduldig wartete ich auf Aber ich fand keine Zeit zum Nachdenken. sechsmal kleiner als wir!“
meinen alten Freund, der bald frisch und Ich musste immer weiter mit, immer weiter!
strahlend wieder daherkam. Das verjüngte Blutkörperchen riss mich un-
Fast hätte ich ihn nicht mehr erkannt. Er gestüm mit sich und stürmte mit mir durch
aber rief: „Ja, ich bin es wirklich! Da staunst die große Halsschlagader zum Auge hinauf. Die weißen Blutkör-
du, nicht wahr? Aber komm und wundere Da aber geschah etwas ganz Aufregendes ... perchen unterwegs als
Schutzpolizei
12 13
„Aber genauso wichtig, Näpfli! Wenn Das Klagelied der Zähne
sie nicht wären, würde der Mensch an der
kleinsten Wunde verbluten. Ohne Blutplätt-
chen vermag sich keine Wunde zu schließen,
kann keine Wunde heilen.“
„Bringen es denn diese Zwerge fertig, Aber an meinem Hals hat sich schon eine
die blutende Wunde zu verschließen?“ kleine Tasche im Zahnfleisch gebildet. In die-
„Sie stürzen sich in Massen dorthin, wo se Tasche drückt sich alles Harte hinein und
eine Wunde klafft, und bilden einen festen presst das Zahnfleisch immer weiter hinun-
Wall aus ihren kleinen Leibern.“ ter. Mein Hals liegt frei! Und da wir doch an
„Einen festen Wall?“ Ich verstand immer unserem Hals keinen schützenden Schmelz-
noch nicht. „Wie denn?“ mantel haben, so zucke ich stets zusammen,
„Das ist nicht leicht zu erklären, Näpfli. wenn etwas Kaltes oder Heißes kommt. Ja,

E
Du musst wissen, dass diese Blutplättchen, und natürlich schmerzt nun das entzündete
wenn sie mit der Außenwelt in Berührung Zahnfleisch beim Essen – und darum werde
kommen, einen Stoff absondern, der das „Den stößt die Wunde nach außen ab!“ in zweiter Großalarm veranlasste uns, ich gleich gar nicht mehr geputzt!“
Blutwasser gerinnen und eintrocknen lässt. Da seufzte ich tief und sagte: „Lieber Freund, direkt vom Herzen in die Mundhöhle hinaufzu- „Auch mein Schmelzmantel ist schon
Es bildet sich dann über der Wunde ein dicker darf ich mich nicht irgendwo einmal ausruhen, schwimmen. Die Nervenzellen an der Wurzel kreuz und quer gesprungen!“, meldete sich
Blutkuchen, der sie dicht verschließt.“ um über all das nachdenken zu können?“ Da eines hohlen Backenzahnes rumorten. Es wa- jetzt ein Eckzahn im Unterkiefer. „Wie eine
„Das ist ja wunderbar eingerichtet!“, aber erhob sich ringsum ein wahrer Entrüs- ren Speisereste tief in ihn hineingedrungen alte Steinguttasse sehe ich aus! Immer be-
staunte ich. „Und was wird aus den einge- tungssturm. Alle Blutkörperchen sahen mich und waren dort unten verfault. komme ich die harten Nüsse und Kerne zuge-
trockneten Blutplättchen? Sind sie dann tot?“ verächtlich an. Und von allen Seiten riefen sie Als wir in der Mundhöhle eintrafen, tobte schoben. Wir Zähne sind doch nicht dazu da,
„Ja, Näpfli!“ mir zu: „Schäm dich, Näpfli! Lausch auf das gerade ein heftiger Kampf zwischen den wei- um Nüsse aufzuknacken! Da müssten wir ja
„Das ist ja wieder schrecklich!“, rief ich unermüdliche Herz! Hörst du es nicht klop- ßen Blutkörperchen und den eingedrungenen aus Stahl und Eisen sein. Schon bei der ersten
aus. Mein Freund aber sagte: „Die Hauptsa- fen? Poch-poch, poch-poch, tagaus, tagein, Fäulnisstoffen. Die weißen Blutkörperchen Nuss, die ich aufbiss, bekam ich einen feinen
che ist, dass dem Körper nichts geschieht, die ganze Nacht, den ganzen Tag, Woche um stürzten sich auf die giftigen Eindringlinge, Riss in meinem Schmelzmantel. Na, und jetzt
dass er nicht zu viel Blut verliert und dass kei- Woche, Monat um Monat, Jahr um Jahr! In verschlangen sie und starben in Scharen. ist der kleine Riss schon ein Spalt! Die Zunge
ne Krankheitskeime in die Wunde kommen. jeder Minute befördert das Herz 5 Liter Blut! Ihre toten Körperchen bildeten bereits einen wird es euch bestätigen können.“
Was macht es schon aus, wenn 100.000 In einer Stunde fließen 300 Liter Blut durch kleinen Eiterherd. Und da ertönte auch schon die Stimme der
Blutplättchen sterben müssen? In jedem das Herz. Poch-poch, poch-poch. Und du Oben aber stöhnte der arme Backenzahn: Zunge: „Es ist so, wie es der Eckzahn sagt.
Stecknadelkopf Blut gibt es davon 700.000!“ willst dich ausruhen? Du, der du erst wenige „Oh, oh! Nun ist es so weit. Ich bin verloren! Ich habe den Spalt erst gestern wieder mit
Ich bedauerte die wackeren Blutplättchen Minuten auf der Reise bist!“ Umsonst habe ich geruckt und gezuckt, um- meiner fühlsamen Spitze gespürt und meine
aber doch. Dann aber fiel mir ein, was nun Mein alter Freund aber mahnte: „Reiß sonst übel gerochen und rumort! Jetzt geht Entdeckung auch sofort dem Menschen ge-
eigentlich die weißen Blutkörperchen an der dich zusammen, Näpfli! Solange das Herz es zu Ende mit mir! Ach, kaum hat mich eine meldet. ,Achtung!‘, habe ich gerufen, ,der Eck-
Wunde zu suchen hätten. Und geduldig erklär- pocht, solange der unterirdische Strom pulst, Zahnbürste erreicht! Selten wurde ich ge- zahn hat links unten einen großen Riss!‘ Und
te mir mein Freund: „Die weißen Blutkörper- so lange müssen wir wandern. Wandern vom säubert! Ich sterbe!“ Und alle seine Brüder ich habe es – wie immer – viel schlimmer hin-
chen stürzen sich wie wild auf allen Schmutz, Herz in den Körper, beladen mit unserem stimmten in sein Klagelied ein. gestellt, als es in Wirklichkeit ist. Der Mensch
der inzwischen in die Wunde eingedrungen Sauerstoff. Wandern vom Körper zum Herz „Das ist ja überhaupt der große Unsinn“, ist so leichtsinnig, dass ich immer übertreiben
ist. Sie stürzen sich auf den Rost, der an der zurück, beladen mit der Kohlensäure. Wan- rief der Eckzahn, „dass wir nicht gleich nach muss, damit er überhaupt auf mich hört. Auch
Nadelspitze war, auf die Pilzsporen, die am dern vom Herz zur Lunge, um wieder Sauer- jeder Mahlzeit oder wenigstens vor dem Zu- die Zahnfleischtasche des Schneidezahnes
Holzsplitter saßen, und auf die Krankheits- stoff zu tanken. Wandern von der Lunge zum bettgehen gesäubert werden! Wahrscheinlich habe ich schon lange gemeldet. Aber alle
keime, die sich auf der Wunde niedergelas- Herz - und wieder durch den Körper.“ sollen sich die Reste der Speisen erst einmal meine Warnrufe blieben ohne Erfolg.“
sen haben. Diese gefährlichen Eindringlinge, Da schwieg ich beschämt. Und ich schön zwischen uns einnisten und verfaulen, „Du musst eben noch mehr übertreiben,
die das Blut vergiften könnten, werden von schäme mich eigentlich heute noch meiner ehe sie hinausbefördert werden. Gerade zwi- Zunge!“, rief da ein Schneidezahn aus dem
den weißen Blutkörperchen umzingelt und damaligen Verzagtheit. Denn wahrhaftig: schen mir und meinem Bruder Schneidezahn Unterkiefer. „Du musst immer wieder war-
aufgefressen. Die weißen Blutkörperchen Langeweile habe ich nie gehabt. Ein Aben- ist eine Lücke, in die sich jeder Beerenkern nen!“ – „Das ist wahr!“, meldete sich jetzt der
sterben wohl an diesem verzehrten Gift und teuer jagte das andere. Und es war einfach und jedes Kümmelkorn klemmt. Das Fleisch Eckzahn wieder. „Wenn ich daran denke, dass
verwandeln sich in Eiter, aber das Gift selbst toll, was ich schon am zweiten Tage meiner an meinem Hals ist schon wund!“ ich als Eckzahn die Aufgabe habe, die festen
ist unschädlich geworden.“ Wanderschaft in der Mundhöhle des Men- „Ha, wenn es nur wund ist!“, rief da ein und groben Nahrungsbrocken zu zerreißen
„Und was wird mit dem Eiter?“, fragte ich. schen sah und hörte ... Schneidezahn. „Dann geht es immer noch. oder wie ein Meißel zu spalten, dass ich das

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mindestens ein halbes Jahrhundert leisten brachten den Nerv zur Raserei. Aber zum Die Klagen aus der Mundhöhle
soll, dann wird mir angst und bange. Schau Zahnarzt ging man nicht. Jetzt verfaule ich
mich doch an, Zunge! Gelb und glanzlos bin schon und stehe als schwarzer Stumpf im

M
ich. Es ist eine Schande!“ jungen Mund.“
„lch weiß, ich weiß!“, bestätigte die Zun- „An dem ich mich immer wieder wund
ge. „Das Grundübel ist, dass die Menschen reiße!“, jammerte die Zunge. it schleimiger und verschnupfter
nicht darüber nachdenken, wie wichtig ihre „Wenn es das nur wäre, dass du dich Stimme meldete sich eine der Speichel-
Zähne sind. Sie wissen nicht, dass die nicht wund reißt, liebe Zunge“, fuhr der kranke drüsen zu Wort: „Liebe Zunge und liebe
genügend zerbissene und zermahlene Spei- Backenzahn fort. „Ich befürchte noch viel Gebrüder Schmelz, ihr wisst, ich rede nicht
se ihrem Magen eine kaum zu bewältigen- Schlimmeres. Unter meinen Wurzeln berei- gern, weil ich immer so sehr verschleimt bin.
de Arbeit aufbürdet. ,Gut gekaut ist halb tet sich ein fürchterliches Verhängnis vor!“ Aber eine gesunde Speicheldrüse muss ver-
verdaut‘, sagt ein Sprichwort der Menschen. Auf diese Worte des Backenzahnes hin schleimt sein. Trotzdem will auch ich noch ein Erst gut kauen –
Aber trotzdem wird alles in großen Stücken erhob sich ein unbeschreiblicher Tumult in Wörtchen zu dem sagen, was hier geschieht. dann trinken!
hinuntergeschlungen. Sie glauben, ihr Ma- der Mundhöhle. Die Zähne und selbst die Denn wir Speicheldrüsen fühlen uns verant-
gen werde es schon schaffen.“ Zunge riefen wild durcheinander: „Du hast wortlich für das Wohlergehen der Gebrüder Die Mandel hustete und krächzte, dass
„Sie wissen überhaupt nichts!“, ereiferte doch hoffentlich kein Geschwür unter deinen Schmelz und für ordentliche Zustände in der der ganze Gaumen bebte. „Auch wir Man-
sich ein kleiner Schneidezahn. „Wie oft rufe Wurzeln? Da würde ja der ganze Kiefer verei- Mundhöhle. Wir sind ja dazu bestimmt, die deln sind am Ende unserer Kraft. Ihr wisst
ich: ,Achtung: zu kalt! Achtung: zu heiß!‘? tern! Dann wären auch wir verloren!“ Zähne immer feucht und glänzend zu halten, es sicherlich selbst, dass wir hier am Eingang
Aber sie stürzen doch das kalte Wasser auf Der arme Backenzahn wartete gelassen sie mit unseren guten Säften zu umspülen der Luftröhre und der Speiseröhre nur des-
die dampfenden Kartoffeln und schlecken ab, bis sich seine Brüder beruhigt hatten, und die Krankheitskeime zu töten, die sich halb liegen, um wie treue Wächter die eindrin-
das Sahneeis zum brühheißen Kaffee.“ dann sagte er: „Ich habe ein Geschwür unter zwischen ihnen eingenistet haben. Aber wir genden Krankheitskeime aufzufangen und zu
„Ja, du hast es nicht leicht, Schneide- meinen Wurzeln! Seht ihr nicht, wie dick das Speicheldrüsen schrumpfen ein, weil wir kei- vernichten. Das haben wir auch getan, viele
zahn“, bestätigte die Zunge. „Und einen fei- Zahnfleisch um mich herum aufgeschwol- ne Arbeit mehr haben. Jahre lang. Aber diese ungepflegte Mund-
nen Riss hast du auch schon.“ len, wie rot und wie entzündet es ist? Eine Die Süppchen, die der Mensch so leicht höhle ist ja die reinste Brutstätte von Krank-
„Oje, oje!“, schrie da der kleine Schnei- gefährliche Zahnwurzelvereiterung bereitet und schnell hinunterschlucken konnte, das heitskeimen. Wir haben schon so viel von
dezahn auf. „Ich hab schon einen Riss? Ich, sich unter mir vor, und ich hoffe nur, eure weiche und gut bestrichene Brot und dazu diesen Giften geschluckt, dass wir seit Jah-
der immer gesehen wird, sobald der Mensch Nerven empören sich dann derart, dass ich das reichliche Trinken während der Mahlzeiten ren dick aufgeschwollen sind. Unaufhörlich
den Mund öffnet! Wie werde ich da erst in endlich herausgerissen werde!“ haben uns verkümmern lassen. Der Mensch strömen die weißen Blutkörperchen in uns
3  Jahren aussehen? Mit Fingern wird man „Das sagst du so leicht hin, Bruder Ba- weiß wahrscheinlich nicht, dass nicht die Ge- hinein, um uns im Kampf gegen diese Gifte
auf mich zeigen!“ ckenzahn!“, regte sich jetzt sein Nachbar auf. tränke, sondern wir Speicheldrüsen allein die
„Was will das schon heißen, lieber Schnei- „Wenn du wirklich herausgerissen wirst, Speisen befeuchten und durchdringen sollen.
dezahn und liebe Brüder?“, erhob jetzt der dann habe ich doch keinen Halt mehr! Dann Schön feucht und vorverdaut haben wir die
arme Backenzahn seine Stimme. „Mich kann kippe ich, stehe schief im Kiefer und passe Speisen an den Magen weiterzugeben.
das alles nicht mehr aufregen. Ich sterbe! nicht mehr mit meinem Gegenüber im Ober- Doch, wie gesagt, man hat auf uns ver-
Aber an meinem Untergang sind vor allem kiefer zusammen!“ zichtet und heute können wir unsere Aufga-
auch die Eltern des Menschen schuld. Die „Immer noch besser, als wenn auch du ben leider nicht mehr erfüllen. Leider! Wir
haben das Kind mit Süppchen und Brötchen noch vereiterst!“, bemerkte der Backenzahn. leben genauso armselig dahin wie ihr. Ach,
verzärtelt. Ich bekam viel zu wenig zu beißen „Sehr richtig“, warf ich jetzt ein. „Immer es stimmt vieles nicht in dieser rosenroten
und zu zermahlen. Wie oft habe ich mich nach hinaus mit den alten Zähnen! Sie vergiften Mundhöhle! Fragt nur einmal die Mandeln!
einem Stück Schwarzbrot, nach einem Apfel, den ganzen Körper!“ Die können auch ein Liedchen davon singen!“
nach einer rohen Möhre gesehnt! Den Rest Doch die Zähne hörten mich nicht. Der „Und ob, und ob!“, ließen nun auch die
aber gaben mir dann die vielen Süßspeisen Schreck war ihnen wohl zu sehr in die Wur- Mandeln ihre heiseren Stimmen vernehmen.
und die mangelnde Pflege.“ zeln geschlagen. Außerdem ertönte plötzlich Und die eine Mandel sprach: „Die Speichel-
„Du hättest vielleicht ärger rumoren und eine ganz komische, eine fürchterlich ver- drüse hat nur zu sehr recht, liebe Zunge und
zucken sollen!“, warf der Eckzahn ein. schnupfte und verschleimte Stimme. Und liebe Gebrüder Schmelz, verkümmerte Freun-
„Noch ärger? Das war nicht möglich! was glaubt ihr, wem diese Stimme gehörte? de, kranke und notleidende Mitbewohner die-
Wochenlang hat der freigelegte Nerv in Ratet einmal! Im nächsten Kapitel könnt ihr ser Mundhöhle!“ Die Mandel räusperte sich
mir gezuckt und getobt. Aber es hat alles dann nachlesen, ob ihr richtig geraten habt. nach dieser Anrede lange, ehe sie fortfuhr:
nichts genützt. Das Kind bekam Tabletten zu „Ihr hört, wie schwer mir das Sprechen fällt.
schlucken, und warme und kalte Umschläge Ich bin erkältet und fühle mich nicht wohl!“ Die Mandeln – unsere treuen Wächter

16 17
zu unterstützen. Und wie steht es nun heute kam aus der Tiefe des Leibes eine dunkle, Näpfli und das Sauerstoffmännlein
um uns?“ Die arme Mandel hatte schon wie- verdeckte und knurrende Stimme: „Ich un-
der einen Hustenanfall. Nur mühselig sprach terstreiche jedes Wort, das ihr da soeben
sie weiter: „Dick vereitert sind wir alle bei- gesagt habt, ihr Bewohner der rosenroten

D
de! Und wenn uns nicht bald geholfen wird, Höhle. Nur eines aber dürft ihr nicht verges-
dann kann dieser junge Mensch bald nicht sen: Schickt mir etwas Ordentliches herun- „Man nimmt das Gute immer gedanken-
mehr schlucken, dann wird ihm eines Tages ter, damit ich die Zähne auch richtig ernähren as Sauerstoffmännlein lernte ich ken- los hin, Näpfli. Doch das soll kein Vorwurf sein.
das Atmen schwerfallen, ja, und dann wird kann!“ nen, als ich wieder einmal in die Lunge kam. Ich weiß, dass ihr Blutkörperchen sehr fleißig
nichts anderes übrigbleiben, als dass man „Wer ruft da?“, fragte ein Schneidezahn. Ihr entsinnt euch doch sicher noch, dass wir seid und kaum zur Ruhe kommt. Darum will
uns Mandeln abknipst!“ „Der Magen! Der Magen spricht!“, klär- Blutkörperchen, wenn wir den Sauerstoff ich dir gerne erzählen, woher ich komme.“
„Es sind trostlose Zustände!“, seufzte die te ihn die Zunge auf. „Er ist ein gewichtiger verteilt haben, zum Herzen zurückwandern „Aber erzähl schnell“, bat ich, „denn allzu
Zunge. Mann und hat recht.“ und von dort in die Lunge gespült werden. lange darf ich nicht verweilen! Wenn wir uns
„Es stinkt zum Himmel!“, rief der arme „Die Zähne brauchen vor allem Kalk, Hier begegnen wir der frisch eingeatmeten ganz eng zusammensetzen, kann ich viel-
Backenzahn. meine Herrschaften!“, rief der Magen wie- Luft. Diese aber besteht aus unzähligen leicht doch noch ein bisschen Sauerstoff bei
„Es riecht faul!“, murmelten die der herauf. „Vergesst den Kalk nicht! Sonst kleinen Sauerstoffmännlein. In allen Lungen- dir entdecken.“
Speichel­drüsen. nützt auch das Pflegen und Putzen nichts. Ich bläschen sitzen diese Männlein und warten „Mag sein“, lächelte das Sauerstoffmänn-
„Und wie leicht hätte das alles vermieden als Magen muss das wissen. Schickt Kalk! auf uns. Müde und matt, wie ich damals war, lein gutmütig. „Und nun hör zu!“
werden können“, fügte der Eckzahn hinzu. Sonst aber stimmt alles, was ihr gesagt habt. freute ich mich sehr auf mein Sauerstoffbad. Der kleine Kerl rückte dicht an dieWand des
„Ist es nicht geradezu lächerlich“, ergänz- Es herrscht eine Lotterwirtschaft in dieser Als ich mich aber dicht an die Wand des ei- Lungenbläschens heran und begann: „Meine
te die Zunge, „wie sich die Menschen in ihrer Mundhöhle. Kauen kann dieser Mensch über- nen Bläschens schmiegte, da sagte das darin Wiege ist der Lindenbaum vor diesem Haus.
Angst vor dem Zahnarzt anstellen? Wo doch haupt nicht richtig! In großen und trockenen sitzende Sauerstoffmännlein: „Ich muss dich Jede Pflanze ist eine einzige große Geburts-
heute jeder Zahnarzt mit schmerzbetäuben- Brocken kommt die Speise zu mir herunter sehr enttäuschen, Näpfli. Der Mensch hockt stätte von Sauerstoffmännlein. Mit Hilfe des
den Mitteln arbeitet, so dass nicht einmal und macht mir schwer zu schaffen. Ich muss schon stundenlang in seiner Studierstube Sonnenlichts und des Blattgrüns verwandelt
mehr das Zahnziehen zu spüren ist. Anstatt würgen und würgen, kneten und rollen, dass und hat noch nicht ein einziges Mal das Fens- die Pflanze das eingeatmete Kohlendioxid in
froh zu sein, dass es solche Ärzte gibt, die ich das Zeug nur halbwegs kleinkriege und an ter geöffnet. Ich kann dich nicht erfrischen, Sauerstoff. Ja, aus der Linde also erhob ich
in wenigen Minuten alle Gefahren beseiti- die Därme weitergeben kann. Wenn sich das ich habe selbst keinen Sauerstoff mehr.“ mich und kam auf den dummen Gedanken,
gen, laufen die Menschen lieber mit einem nicht ändert, werde ich eines schönen Tages „Du bist gut!“, rief ich. „Der ganze Körper mich in diese Menschenstube zu begeben.
schwarzen Steinbruch im Mund herum und streiken. Ja, streiken! Und dann wird sich der hungert nach Sauerstoff, und du erzählst mir
klettern vor Schmerzen die Wände hoch.“ Mensch wundern, dann wird er jammern und solche Sachen?“
„Dabei sind sie doch sonst so eitel, die klagen und sich den Bauch halten. Dann wird „Wir müssen geduldig sein, Näpfli! Der
Menschen!“, bemerkte der Schneidezahn es aber zu spät sein!“ Mensch wird bald so müde werden, dass er
spöttisch. So sprach der Magen und fand allgemei- nicht mehr arbeiten kann. Dann wird er wohl
„Denn was gibt es Schöneres, als wenn nen Beifall. für frische Luft in seinem Zimmer sorgen.“
ein Mensch lächelt und seine Zähne blitzen Ich aber musste nun schnell zum Her- „Eine schöne Geschichte!“, schimpfte
hell und sauber und gesund zwischen den ro- zen zurück. Wirklich bekümmert zog ich ich. „Ohne frischen Sauerstoff wage ich mich
ten Lippen auf? Schöne Zähne sind doch die davon und machte mir große Sorgen um nicht in den Körper zurück“.
beste Zierde eines Gesichtes! Schöne Zäh- den Menschen. Doch schon warteten neue „Auch ich habe keine Lust, wieder in die
ne sind ein Zeichen der Gesundheit! Schöne Erlebnisse, diesmal mit dem lustigen Sauer- muffige Stube zurückzukehren“, meinte das
Zähne zeigen, dass der Mensch sauber und stoffmännlein, auf mich. Sauerstoffmännlein. „Es ist doch merkwür-
gepflegt ist.“ dig, 75 Liter Sauerstoff braucht der Mensch
„Ein Mund mit kranken und schwarzen an einem Tag, um frisch und leistungsfähig zu
Zähnen aber stinkt“, fügte die Mandel kräch- sein, aber es fällt ihm nicht ein, für die Zufuhr
zend hinzu. von frischer Luft zu sorgen. Über hundertmal
Zwischendurch aber stöhnte immer wie- bin ich schon ein- und ausgeatmet worden.
der der arme kranke Backenzahn: „Mit mir ist Da kannst du dir denken, dass ich nicht mehr
es aus. Ich vereitere. Ich bin verloren.“ viel Sauerstoff in mir habe.“
Schon wollte ich die Stätte des Jammers „Leider!“, nickte ich. „Doch sag, woher
verlassen, weil ich die Not der Zähne, der kommst du eigentlich? Ich bin noch nie dazu
Zunge, der Speicheldrüsen und der Mandeln gekommen, über dich nachzudenken.“
einfach nicht länger mit ansehen konnte, da „Meine Wiege ist der Lindenbaum!“

18 19
„Die Riechschleimhaut, die in der obers-
ten Nasenmuschel sitzt! Ja, Näpfli, die Nase
des Menschen ist nicht nur zum Riechen da!
In ihr wird die eingeatmete Luft gereinigt, an-
gewärmt und geprüft. Nicht zuletzt aber wird
die Luft in der Nase auch angefeuchtet. Da der
Mensch meist trockene Stubenluft einatmet,
ist dieses Anfeuchten besonders wichtig. Da-
rum soll der Mensch nicht durch den Mund
einatmen. Denn in den Nasenschleimhäuten
bleiben nicht nur der Staub und der Schmutz
allein, nein, da bleiben auch die Krankheits-
keime hängen und werden leicht wieder
hinausgeschnäuzt.“
„Da muss ich schon wieder fragen, Sauer-
stoffmännlein, weiß der Mensch das auch?“
„Er weiß es nicht, und er beachtet es Tauschgeschäft: Sauerstoff gegen
Die Nase des deshalb auch nicht. Er atmet die trockene, die Kohlensäure bzw. Kohlendioxid
Menschen ist nicht kalte und die ungereinigte Luft sehr oft durch
nur zum Riechen da! den Mund ein. Dann wundert er sich wohl ein „Du musst bedenken, dass durch das
bisschen, warum er einen trockenen Schlund Mundatmen viel Schmutz in die Luftröh-
und Rachen bekommt. Aber hör weiter zu! re gelangt. Dieser Schmutz wird von den
Zuerst freilich fand ich eine vergnügte Jetzt kam ich in die Rachenhöhle, glitt an Schleimdrüsen festgehalten und dann von
Schar von Brüdern vor. Sie tanzten vor der den Mandeln vorüber und wurde plötzlich von den Flimmerhärchen wieder in den Mund zu-
Nase und vor dem Mund des Menschen einem merkwürdigen Mäulchen angerufen: rückbefördert. Was glaubst du, wie sonst die
herum. Aus den Nasenlöchern und aus dem ,Hierher, hierher!‘, rief es. ,Nicht in die hintere Lungen der Menschen aussehen würden?
Mund kamen wilde Luftwirbel, die uns auf Röhre hinein! Das ist die Speiseröhre! Dort Wie verrußte Schornsteine!“
und nieder rissen. Es war sehr lustig, beson- hast du nichts zu suchen!‘ Ich folgte dem „Das glaube ich gern! Doch was geschah
ders wenn der Mensch hustete oder sich Mäulchen und rutschte schnell zwischen zwei nun weiter?“
räusperte. Dann kam ein Wind auf, der mit feinen hellen und schwingenden Bändchen „Ich wanderte die Luftröhre hinunter
einer Geschwindigkeit von 70 Kilometern in vorbei in die vordere Röhre, die mir empfoh- und stand da plötzlich vor mehreren engen
der Stunde dahinbrauste. Das ist Windstärke len worden war.“ Röhren.“
8, musst du wissen.“ „Aha!“, rief ich. „Das Mäulchen war sicher „Da warst du also in die Bronchien gera-
„Donnerwetter!“,rief ich. „Da seid ihr aber der Eingang zum Kehlkopf, die schwingenden ten?“, fragte ich.
tüchtig durcheinandergewirbelt worden!“ „Wer ist denn das gewesen?“, fragte ich. Bändchen aber waren die Stimmbänder, und „Ja, so nennt man wohl diese Verzwei-
„Ja, es ging toll zu. Plötzlich aber muss- „Das waren die Schleimhäute der Nase, die dunkle Röhre darunter war die Luftröhre.“ gungen der Luftröhre“, nickte das Sauerstoff-
te ich der Nase des Menschen zu nahe ge- Näpfli! Sie passen höllisch auf, dass ja kein „Richtig!“, nickte das Sauerstoffmännlein. männlein. „Die Bronchien führen geradewegs
kommen sein. Ein starker Luftwirbel erfasste Schmutz in die Atemwege kommt. Ja, und „Aber nun lass dir erzählen, wie es in der Luft- in die Lungen hinein.“
mich und riss mich mit unwiderstehlicher Ge- gleich darauf donnerte mich eine zweite röhre aussieht.“ „Hm!“,machte ich und dachte scharf nach.
walt in einen langen dunklen Gang. Ich wehr- Stimme an: ,Nur langsam, Freundchen! Du „Ich bin wirklich neugierig!“, rief ich. „Da stimmt doch etwas nicht, du! Da muss
te mich mächtig, aber der Sog war so stark, bist noch viel zu kalt! Jetzt wärmst du dich „Ganz besonders gefielen mir die feinen doch vorher schon eine große Gabelung ge-
dass ich vergebens strampelte. Jedenfalls erst einmal!‘ Zugleich wurde ich im Nasen- Flimmerhärchen, die in der Luftröhre zwischen kommen sein. Der Mensch hat doch zwei
befand ich mich plötzlich mitten in dem Gang. gang hin und her geschoben, bis mir merk- winzigen Schleimdrüsen saßen und wie vom Lungen!“
Und gleich drauf schrie mich eine schleimige lich warm wurde. Kaum aber, dass ich hier Wind bewegt hin und her wehten. Mir fiel es Das Sauerstoffmännlein stutzte, dann
Stimme an: ,Halt, halt, du Schmutzfink, du entlassen war, rief es aus dem Hintergrund: auf, dass sie nach dem Mund zu fünfmal aber rief es: „Es stimmt ganz genau, was du
bist ja völlig verstaubt! So wird hier niemand ,Komm doch mal her, mein Lieber! Bist du schneller als nach der Lunge zu schlugen, ob- sagst. Nach ungefähr 12 Zentimetern gabelt
aufgenommen. Sofort badest du dich!‘ Und lungenrein? Wurdest du schon beschnup- ­wohl der Luftstrom nach dem Mund zu durch- sich die Luftröhre zum ersten Mal, und zwar
schon wurde ich abgestaubt und berieselt, pert und beschnüffelt? Bist du gesund und aus nicht stärker als nach der Lunge zu wehte.“ noch ehe sie in die Lungen einmündet. Dann,
dass ich blitzblank und ganz benommen frisch?‘ Und weißt du, wer das war?“ „Wozu gibt es denn überhaupt Haare und in den Lungen, gabelt sie sich nochmals. Alle
weitersauste.“ „Ich habe keine Ahnung!“, gab ich zu. Schleimdrüsen in der Luftröhre?“ Bronchien teilen sich schließlich in ein feines

20 21
Gezweig auf. In dieses rutschte ich nun hi- Berührung käme. Aber es geht auch so. Die Der rebellische Apfelkern
nein. Immer enger und dünner wurden die Wand der Lungenbläschen ist so dünn, dass
Röhrchen, feiner noch als ein Haar, und en- wir unseren Tausch durch diese Wand hin-

S
deten in einem Bläschen.“ durch vornehmen können.‘ Und also geschah
„In einem Lungenbläschen!“, rief ich. es auch. Ich spürte deutlich, wie mich das
„Ja, Näpfli! Ich landete in einem von Blutkörperchen durch die Wand hindurch an- o nett wie das Sauerstoffmännlein
den 300 Millionen Bläschen, aus denen die zapfte und mich mit seiner Kohlensäure bzw. war, von dem ich euch zuvor erzählte, so wi-
menschliche Lunge zusammengesetzt ist.“ seinem Kohlendioxid belud. Damals hatte ich derspenstig gab sich der Apfelkern, den ich
„Was sagst du da?“, staunte ich. „300 noch genügend Sauerstoff in mir, da war ich bald darauf kennenlernte. Und zwar saß er
Millionen Bläschen? So viele? Weißt du das frisch. Jetzt aber, nachdem ich die Reise in quer vor dem Wurmfortsatz des Blinddarms
auch ganz genau?“ die Lunge schon so oft angetreten habe, jetzt und machte Anstalten, in den Fortsatz zu zu wispern: ,Halt, halt, wir
„Ich denke schon, Näpfli. Ich kenne die bestehe ich fast nur noch aus Kohlendioxid.“ rutschen. „Was fällt dir ein?“, schrie ich den müssen den armen Apfel doch
Lungen so gut wie du den Blutkreislauf. Du „Zu meinem Leidwesen, Sauerstoff- störrischen Apfelkern an. „Was suchst du erst gründlich beweinen, müssen ihn genü-
weißt doch selbst, wie winzig klein und wie männlein“, sagte ich. hier? Sieh zu, dass du weiterkommst, sonst gend befeuchten und bespeicheln!‘ Daraufhin
unvorstellbar fein diese Lungenbläschen „Deswegen wollen wir aber nicht verza- werden die weißen Blutkörperchen dafür hielt der Lindwurm inne, lachte schrecklich,
sind. So fein, dass das allerdünnste Seiden- gen!“, tröstete mich das Kerlchen. „Ich glau- sorgen, dass du verfaulst! Du richtest hier und wir bekamen einige Duschen über den
papier eine dicke Nilpferdhaut dagegen ist. be, die Lage ändert sich bald. Spürst du nicht, nur Unheil an!“ – „Das will ich auch!“, trotzte Leib. Oh, mein liebes Blutkörperchen, es war
Ein viertausendstel Millimeter dick ist die wie sehr sich jetzt die Lungenbläschen deh- der Apfelkern. „Ich will den Apfel rächen, den sehr schlimm!“
Wand eines Lungenbläschens! nen und sich dann eng zusammenziehen? der Mensch packte, in ein dunkles Loch warf „Aber du hast keine Ahnung, Apfelkern!“,
Und durch diese Wand hindurch rief mich Der Mensch gähnt! Sein Sauerstoffhunger und ihn dort von 32 Räubern zerhacken und rief ich. „Ich sagte dir doch schon, die 32 Räu-
da auch schon ein rotes Blutkörperchen an: ist so groß, dass er verzweifelt nach Luft zermahlen ließ.“ ber sind brave Zähne, die ihre Pflicht taten.
‚Hallo, Sauerstoffmännlein!‘, rief es. ‚Komm schnappt. Wenn der Mensch gähnt, stößt „Ein Apfel ist dazu da, dem Menschen Der rote Lindwurm war nichts anderes als die
zu mir! Komm ganz dicht an die Wand, da- er gewaltsam alles Kohlendioxid aus. Auch als Speise zu dienen!“, belehrte ich den Apfel- Zunge, die die Speisen im Munde herumzu-
mit wir uns unterhalten können! Ich möchte ich kann mich nicht mehr halten. Ich muss kern. „Die 32 Räuber, von denen du faselst, wälzen und vorher zu prüfen hat. Die Stimme
dir ein Tauschgeschäft vorschlagen. Du gibst hinaus! Leb wohl!“ das sind die Zähne des Menschen, die jegli- aus der kleinen Höhle über der Zunge, das
mir ein wenig von der frischen Luft, die du Und fort war das Sauerstoffmännlein! che Speise zu zerkleinern haben. So etwas war der Geruchssinn. Und was da ringsum
mitgebracht hast, und ich gebe dir dafür ein Der gewaltsame Luftstrom riss es aus der geschieht alle Tage.“ wisperte, das waren die Speicheldrüsen. Ich
wenig von der verbrauchten, mit der ich be- Lunge. Gleich darauf stürzten frische Sau- „Aber es ist eine Grausamkeit ohneglei- verstehe nicht, wie du derartige selbstver-
laden bin.‘ erstoffmännlein in die Lungenbläschen. Der chen!“, empörte sich der Apfelkern. „Und ver- ständliche Vorgänge so aufbauschen kannst!“
Aha, dachte ich, dieses Blutkörperchen Mensch hatte also nun doch endlich das höhnt wurde der arme Apfel auch noch. Ein „Aufbauschen nennst du das?“, erboste
will Sauerstoff gegen Kohlendioxid eintau- Fenster geöffnet! großer dicker roter Lindwurm beschnüffelte sich der Apfelkern. „Mir fehlen die Worte,
schen. Und zugleich dachte ich an meine Ich war heilfroh, tankte so viel Sauerstoff, ihn und rief: ,Ah, gut saftig, süß!‘ Und aus um alle diese Schrecken überhaupt schildern
Geburtsstätte, an die Linde, die ja immer wie ich nur fassen konnte, und schwamm einer kleinen dunklen Höhle darüber spottete zu können. Denn das Schrecklichste kommt
Kohlendioxid gebrauchen konnte. ‚Gut!‘, schnell zum Herzen zurück. es: ,Ich habe ihn schon geprüft und berochen! jetzt erst. Mit Schwung beförderte uns der
antwortete ich deshalb. ‚Ich weiß nur nicht, Solltet ihr jetzt vom Lesen müde gewor- Er ist durchaus einwandfrei und gesund!‘ Da Lindwurm in das dunkle Loch, goss einen
wie der Tausch vor sich gehen soll. Ich sitze den sein, so lauft schnell hinaus und tankt freute sich der rote Lindwurm und wälzte die Schwapp Speichel nach und rief: ,Gute Rei-
hier im Lungenbläschen und du sitzt drau- auch Sauerstoff! Denkt daran: 75 Liter Sau- Apfelstückchen den hinteren Räubern zu und se!‘ Aus der Tiefe aber knurrte es fürchterlich
ßen.‘ Da lächelte das kluge Blutkörperchen erstoff braucht euer Körper täglich, wenn er rief: ,Zermalmt ihn anständig! Macht Brei aus herauf: ,Aha, da kommt endlich wieder Arbeit
und sagte: ‚Wir dürfen ja auch nicht zusam- gesund und leistungsfähig bleiben soll! ihm!‘ Danach aber schob er die Spelzen des für mich! Nur immer herunter! Nur immer
menkommen, Sauerstoffmännlein. Ich wür- Apfelgehäuses und uns Kerne wieder zu den heran! Der Eintritt in die große Rumpel- und
de sofort gerinnen, wenn ich mit der Luft in vorderen Räubern und brüllte: ,Abfall! Rau, Dunkelkammer ist frei. Hier wird jedermann
hart, unverdaulich! Hinaus damit!‘ Aber die- herrlich durcheinandergeschüttelt und -ge-
se vorderen Räuber waren so gierig, dass rüttelt, geknetet und massiert! Hier gibt es
sie auch noch das Gehäuse, die Spelzen und tausend Überraschungen!‘ Und gleich darauf
alle meine Kerngeschwister aufknackten. öffnete sich ein großes Maul und schluckte
Nur ich entschlüpfte ihnen und wurde mit uns in eine geräumige Höhle hinunter.“
dem Apfelbrei in den Hintergrund der Höh- „Das war sicher der Magenmund“, erklär-
le befördert. Der rote Lindwurm wollte uns te ich die Sache dem störrischen ApfeIkern.
dort in ein kleines Loch hineindrücken. Da „Die geräumige Höhle aber war natürlich der
aber begann es auf einmal von allen Seiten Magen.“

22 23
„Magen sagst du?!“, rief der Apfelkern des Blinddarms zu rutschen. Daran aber Neue Abenteuer des rebellischen Apfelkerns
mit zitternder Stimme. „Eine Folterkammer musste ich ihn auf alle Fälle hindern. Darum
war es! Fürchterlich ging es da unten zu! Wir redete ich ihm nochmals gut zu und versuch-
wurden gerollt, geknetet und gepufft, dass te vor allem, ihn wieder zum Erzählen zu ver-

S
sich alle festen Bestandteile aufzulösen anlassen mit dem Einwand …
drohten. Zu allem Überfluss aber bekamen aber können einem noch mehr als die Salzsäu-
wir gleich darauf eine brennende Säure über chau doch an, Apfelkern, der Magen re des Magens zusetzen. Die dringen höllisch
den Leib geschüttet. Dazu knurrte der Ma- darf doch gar nicht, darf auf keinen Fall eine scharf auf dich ein. Dazu wirst du hin und her
gen: ,Salzsäure muss sein! Du bist noch un- Ausnahme machen. Jegliche Speise muss geschwappt, geknetet und durcheinanderge-
zerbissen, Apfelkern. Vielleicht bekomme ich eine ganz bestimmte Zeit im Magen bleiben, rüttelt, dass dir Hören und Sehen vergeht.
dich mit der Salzsäure klein. Außerdem seid muss hier ganz gründlich zerwalkt, zerrieben, Also wirklich, das Leben im Magen war noch
ihr alle noch viel zu schmutzig. Der Mensch eingeweicht, kurzum –“ goldig gegen das im Dünndarm!“
hat den Apfel natürlich weder abgerieben „– gequält und gemartert werden!“, rief „Oh ja“, nickte ich eifrig, „der Dünndarm
noch gewaschen, bevor er ihn verschlang. der Apfelkern dazwischen. leistet gründliche Arbeit. Und ganz besonders
Da ist ein Salzsäurebad das Beste, was man „Unsinn!“, antwortete ich. „Außerdem der sogenannte Zwölffingerdarm ist ein sehr
sich denken kann. Wenn du jetzt schön still bist du ja durchaus nicht gestorben, obwohl gewissenhafter Arbeiter.“
hältst, dann wasche ich dich nachher mit Pep- du volle 3 Stunden im Magen bearbeitet „Schinder wolltest du wohl sagen?“, em-
sinwein ab. Das ist ein Saft, sage ich dir! Der wurdest.“ pörte sich der Apfelkern. „Ein ganz gewissen-
nimmt alles Rohe und Ungeschliffene von dir. „Das habe ich aber nicht dem Magen zu hafter Schinder! Das Schlimmste aber war,
Der wird auch dich in Mus verwandeln.‘“ verdanken, verehrtes Blutkörperchen!“, rief dass dieser Dünndarm eine so unübersichtli-
„Leider konnten dir aber, wie es scheint, der Apfelkern. „Nein, zu meinem Glück ka- che Gegend ist, dass sich auch die beste Spür-
weder die Salzsäure noch der Pepsinwein men auf einmal so viele Speisen in den Ma- nase nicht in ihm zurechtfindet. Dieses Gewirr
etwas anhaben?“, fragte ich. gen, dass es der Magenpförtner nicht mehr von Falten und Zotten, aus dem er besteht, ist
„Nein!“, triumphierte der Apfelkern. „Ich so genau nahm. Er ergriff mich, schob mich in wie ein lrrgarten. Als ich aber glaubte, in die-
versteckte mich nämlich gut mitten im Ap- einen langen dunklen Gang und knurrte: ,Der sen Zottenwinkeln Unterschlupf zu finden, da
felmus. Da ich aber befürchtete, dass mir Mensch ist doch ein Vielfraß! Was stopft er geriet ich in die Gewalt kleiner fettiger Saug-
das nicht lange helfen würde, fragte ich eine da wieder in sich hinein? Es ist eine Schande! näpfe, die sich dort versteckt halten und das
zerfaserte Möhre, die auch in dieser Folter- An eine saubere Verdauungsarbeit ist dabei Beste aus den Speisen heraussaugen. Oho,
kammer litt, wie lange ich denn wohl hierblei- überhaupt nicht mehr zu denken.‘ “ die feinsten Feinschmecker sind diese Darm-
ben müsste. Die Möhre seufzte tief auf und „Das stimmt“, nickte ich. „Ja, und dann zotten! Schleckermäuler erster Klasse! Die
sprach: ,Ich weiß es nicht. Volle 3 Stunden kamst du also sicherlich in den ersten Teil des wissen genau, was sie wollen!“
werde ich hier schon geschunden und löse Dünndarms, in den Zwölffingerdarm?“
mich langsam in meine Urbestandteile auf. „Ja, so mag es wohl heißen, dieses
Der Salzhering da drüben macht den Rum- Schlauchstück im Leib des Menschen“, bestä-
mel sogar schon 5 Stunden mit, wie er vorhin tigte mürrisch der Apfelkern. „Ich Dummkopf
sagte. Es ist fürchterlich!‘“ freute mich, war aber aus dem Regen in die
„Du übertreibst mächtig, Apfelkern!“,warf Traufe gekommen.“
ich hier ein. „Der Magen hat nun einmal die „Wieso denn?“, wunderte ich mich. „Was
Aufgabe, alle Speisen in Brei zu verwandeln konnte dir noch groß geschehen?“
und zu verdauen. Er will gewiss niemanden „Du vergisst, dass ich noch immer nicht
unnötig quälen.“ zu Mus geworden war! Der arme Apfel frei-
„Das sagst du, weil du die Sache des lich war jetzt schon ein dünner Brei, in dem
Menschen vertrittst“, lehnte der Apfelkern die Spelzen herumschwammen. Ein sehr
meine versöhnlichen Worte ab. „Du kannst dünner Brei sogar! Du weißt sicherlich, dass
aber gar nicht mitreden, weil du nicht selbst in der menschliche Magen täglich an die 3 Liter
dieser Folterkammer geschunden wurdest! Magensäfte absondert. Damit verwässert er
Ich jedenfalls werde die endlosen Stunden in die Speise sehr. Dennoch aber ging jetzt im
dieser Magenhöhle nie vergessen.“ Dünndarm diese Wasserkur weiter! Da wur-
Der Apfelkern schwieg erbittert und mach- den wir mit grünem Gallensaft überrieselt und Die feinsten
te weitere Anstalten, in den Wurmfortsatz mit Bauchspeichelsaft bespritzt. Diese Säfte Feinschmecker sind diese Darmzotten!

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„Das glaube ich gern“, nickte ich. „Denn Der wandelnde Wasserturm
sieh, die Darmzotten sind es ja, die alle Nähr-
stoffe aus dem Speisebrei aufsaugen und Darmzotten –
an das Blut weitergeben. Aufgelöst im Blut- die Umsteigestelle zur
strom schwimmen diese Nährstoffe durch Blutbahn für den
den ganzen Körper. Hat aber der Magen Wassertropfen Plink „Ha, und wie freundlich, Näpfli! Lau und
die Speisen nicht in einen dünnen Brei ver- flau ist mir bei ihr geworden. Süß und sanft
wandelt, nicht richtig verdaut und aufgelöst, flötete sie: ,Ach, ich freue mich sehr, dass du
dann vermögen die Darmzotten nicht an die gekommen bist! Fühle nur, wie heiß und wie
feinen Nährstoffe heranzukommen. Darum trocken ich bin! Ich war schon ganz matt vor
eben war es bitter notwendig, dass du so Hitze. Du aber bist herrlich kühl! Schade, scha-
lange im Magen aufgehalten wurdest. Denn de, dass ich dich nicht bei mir behalten kann.
wenn die Darmzotten keine Nährstoffe aus Aber du musst weiter. Der Körper lechzt nach
dem Speisebrei heraussaugen können, dann du tatsächlich zur Erde zurück. Die Samen- dir. Es war so warm heute, und außerdem gab
muss der Mensch verhungern.“ kerne vieler Beerensträucher müssen sogar es einen scharfen und salzigen Braten. Aber
„Was kümmert mich der Mensch?“, rief erst durch einen Vogelmagen oder Säuge- deine Kühle, die habe ich doch genossen. Ich
der Apfelkern. „Ich bin ein Samenkorn und tiermagen wandern, ehe sie keimen kön- bin dir sehr dankbar, lieber Wassertropfen!‘
will einmal ein Baum werden!“ nen. Im Leib des Tieres werden sie schön Ich muss gestehen, Näpfli, ich habe selten
„Bravo!“, rief ich. „Du kannst aber nur aufgeweicht und gehen danach viel besser Jetzt möchte ich euch meinen Freund, ein so schmeichlerisches Geschöpf wie die
ein Baum werden, wenn du schleunigst wei- und schneller auf. Wer kann es wissen, ob dir den Wassertropfen Plink, vorstellen. Ich lern- Zunge kennengelernt.“
terwanderst. Darum auf, in den Dickdarm! deine Wanderung durch den menschlichen te ihn bei meiner Fahrt durch die Harnblasen- „Ob du nicht ein bisschen ungerecht bist,
Der Dickdarm ist ein sehr gemütlicher Herr. Körper nicht auch gutgetan hat?“ wand des Menschen kennen. Viel, sehr viel Plink?“, fragte ich. „Die Zunge hat sich doch
Wirklich, ich mache dir da nichts vor! Er hat „Das möchte ich noch bezweifeln“, mein- hatte er schon in der Welt erlebt, war weit wirklich sehr gefreut.“
nur die Aufgabe, den Speiseresten alle Salze te der Apfelkern, veränderte aber doch seine herumgekommen, aber sein tollstes Aben- „Jedenfalls war ich froh, als sie mich wei-
und Säuren wieder zu entziehen, sie schön Lage und rutschte tatsächlich in den Dickdarm teuer war doch seine Wanderung durch den terziehen ließ, ich stürzte die Speiseröhre hi-
einzudicken und langsam weiterzuschieben. hinein. Ich war heilfroh, als dieser störrische, menschlichen Körper, diesen wandelnden nunter und landete im Magen.“
Es geht da zuerst einen aufsteigenden Ast rachsüchtige und rebellische Kerl wirklich Wasserturm. „Und hat dir der Magen gefallen?“
hinauf, dann den breiten Querdarm entlang davonwanderte. So ging also auch dieses „Der Magen? Nein! Brrr!“ Plink schüttelte

W
und ziemlich plötzlich einen absteigenden Abenteuer gut aus. sich. „Erst hat er gerufen: ,Hallo, hallo, endlich
Ast wieder hinunter. An dem Knick vor dem Wasser! Wasser! Wunderbar! Willkommen in
absteigenden Ast wird es wahrscheinlich as glaubst du“, rief Plink in sei- meiner bescheidenen Höhle, liebe Wasser-
einen kleinen Aufenthalt geben. Danach ge- ner temperamentvollen Art, „40 bis 50 Liter tropfen! Die zu scharfen Gewürze der Spei-
langst du in den Mastdarm.“ Wasser stecken tief verborgen im Körper ei- sen verbrennen mich fast. Ich werde noch
„Nehmen denn diese Därme überhaupt nes erwachsenen Menschen! Ohne Wasser wund, wenn der Mensch nicht bald mit der
kein Ende?“ könnte er gar nicht leben, könnte überhaupt übertriebenen Würzerei aufhört. Alle meine
„Doch!“, beruhigte ich den Apfelkern. kein Lebewesen bestehen!“ Wandzellen habe ich schon mit Schleimpfrop-
„Der Mastdarm ist der letzte Darm. Er „Stimmt!“, nickte ich. „Aber komm, erzähl fen verschlossen, aber selbst das nützt nicht
wird dich aus dem menschlichen Körper doch mal, wie es dir auf deiner Reise durch viel. Gut, gut, dass du endlich gekommen
entlassen.“ Mund, Magen, Darm, Blutstrom, Leber, Herz, bist!‘ Ja, so freundlich begrüßte er mich. Dann
„Das höre ich gern“, meinte der Apfel- Muskeln und Nieren erging!“ aber hat er mir seine Salzigkeit aufgehängt.
kern. „Setzen wir einmal den Fall, ich würde „Sehr gern“, meinte Plink. „Ich muss mir Trüb und elend wurde mir dabei!“
dir glauben, wie lange würde diese Reise sowieso etlichen Ärger vom Herzen reden. „Das kann ich gut verstehen, Plink. Im-
dann noch dauern?“ Denn gefallen hat mir diese Reise durchaus merhin aber habt ihr doch ein gutes Werk
„Höchstens noch einen Tag!“, beteuerte nicht immer, das muss ich schon sagen. Die getan und dem armen geplagten Menschen-
ich lebhaft. bösen Überraschungen fingen bereits an, magen geholfen.“
„Na gut, schön!“, brummelte der rebelli- als wir zu vielen aus dem Wasserglas in den „Das mag schon sein, Näpfli. Mich ärgerte
sche Apfelkern. „Doch komme ich dann auch Mund des Menschen gekippt wurden und nur diese hinterlistige Art des Magens. Genau-
wieder in das Erdreich zurück und kann ich dort die Zunge kennenlernten.“ so falsch war übrigens auch der Dünndarm.
dann trotzdem ein Baum werden?“ „Aber diese hat dich doch sicherlich sehr ,Wie schön, dass ihr kommt!‘, rief er mir und
„Sicher! Auf allerlei Umwegen kommst freundlich begrüßt“, warf ich ein. meinen Kameraden zu. ,Meine Wände sind

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mit Salz geradezu verstopft. Die Saugnäpfe beschwatzen und schlüpfte in den Saugnapf
meiner Zotten sind die reinen Salzschälchen. der Darmzotte. Der freute sich natürlich, dass
Oh, spült das Dreckzeug weiter! Spült es hin- er einen Dummen eingefangen hatte, und
aus! Helft mir!‘ Na, und als wir ihm geholfen rief vergnügt: ,Bravo, kleiner Wassertropfen!
hatten, waren die meisten von uns unverse- Gute Reise! Oh, du wirst viel erleben, du
hens selbst zu Salz geworden.“ Glücklicher!‘ Ich aber meinte: ,Na, na, erst
„Schuld daran sind aber nicht der Magen mal sehen, ob ich endlich einmal etwas Er-
und der Dünndarm, sondern der Mensch“, freuliches erlebe‘. Und dann zwängte ich mich
erklärte ich dem erbosten Plink. „Sein Ge- durch die vielen kleinen Kanäle und gelangte
schmack ist verdorben. Er schmeckt nicht tatsächlich in den Blutstrom. Hier aber erfuhr
mehr die feinen und natürlichen Salze, die in ich dann von meinen anderen Brüdern, dass speichert sie auf, bis sie irgendwo im Körper
den Speisen enthalten sind und die dem Kör- uns nicht Freiheit, sondern Sklaverei winkte. gebraucht werden. Die Leber ist also tatsäch-
per genügen würden. Kochsalz im Übermaß Reingefallen war ich!“ lich eine Art Sparbüchse und ein Vorratslager.
führt zum Verderben des Menschen. Wie „Wahrscheinlich war es doch gar nicht so Außerdem aber sondert sie einen olivgrünen
aber ist es dir dann ergangen?“ schlimm!“, versuchte ich den Wassertropfen über unsere Ankunft und sagte zu mir: ,Komm Saft ab, der in die Gallenblase hineinfließt,
„Nicht viel besser!“, fuhr Plink fort. „Plötz- zu beruhigen. „Denn in der Leber konntest her, ich will dich hier ein Weilchen behalten den Gallensaft. Sie ist tatsächlich überaus
lich rief mich nämlich ein feines Stimmchen du dich doch sicher ausruhen.“ und dann mal sehen, wo ein recht frischer und wichtig!“
an. ,Hallo, Wassertröpflein!‘, rief es. ,Bleib „Richtig, in die Leber ging es jetzt“, fuhr kecker Wassertropfen gebraucht wird. Ich bin „Na schön!“, gab Plink zu. „Du musst es ja
hier! Komm zu mir! Lass die anderen durch Plink fort. „Auf dem Weg zu ihr aber klärten nämlich die Entgiftungsstelle, der Verteiler der wissen, Näpfli. Ich nahm also einen Lastkahn
den Darm weiterwandern! Es ist ein langer mich meine Brüder auf, dass ich jetzt dem meisten Nährstoffe, die von den einzelnen Or- brav auf meine Schultern und schleppte ihn
und dunkler Weg, den sie gehen müssen. menschlichen Körper so lange zu dienen hät- ganen gebraucht werden. Du kannst mich mit davon“. – „Geradewegs dem Herzen entge-
Wenn du aber in mich hineinschlüpfst, so te, bis es mir einmal gelänge, durch die Poren einer Sparbüchse vergleichen. Vorläufig aber gen!“, ergänzte ich.
wirst du in einen roten Strom gelangen und der Haut als Schweißtropfen oder durch die ruhe dich erst einmal aus, bis alles Trübe und „Ja! Und bald hörte ich auch das Herz.
viele abenteuerliche Dinge erleben‘. Miss- Tränendrüsen als Träne zu entwischen. Sie Salzige von dir gewichen ist. Ich selbst bin Bumm – bumm – bumm! Bumm – bumm –
trauisch fragte ich: ,Ist das auch wahr? Wer vertrauten mir auch an, dass die Lunge viel kein Wassertropfenverzehrer. Du aber sollst bumm!, klopfte es. Aha, dachte ich, das ist
bist du denn überhaupt?‘ Da stellte sich das Feuchtigkeit ausatme und ein Tor zur Freiheit zunächst ein bisschen arbeiten, ehe du aus der rechte Weg. Der Blutstrom wurde auch
Stimmchen vor und sprach: ,Ich bin der Saug- sei. Sollte mir jedoch das alles nicht gelingen, dem Körper entlassen werden kannst. Du schnell breit und breiter. Millionen und Aber-
napf einer Darmzotte. Ich bin der Eingang dann müsste ich mich gedulden, bis mich der musst noch die Blutkörperchen, diese kleinen millionen kleiner Lastkähne schwammen ne-
zum geheimnisvollen Blutstrom, in dem Weg einmal zur Blase führen würde. Durch Lastkähne, befördern. Deshalb wirst du jetzt ben, vor und hinter mir. Auf einmal aber ging
die roten und weißen Blutkörperchen und diese würde ich dann bestimmt wieder zum in die große Gemeinschaft des Blutwassers es – schwapp! – und ich war in der rechten
die winzigen Blutplättchen wie die Fische Sonnenlicht zurückfinden. Ich aber ärgerte aufgenommen und wirst mit dem Blutstrom Vorkammer des Herzens. Und dann noch ein-
schwimmen. Mach schnell, ehe du weiterge- mich mächtig, dass ich den verführerischen zum Herzen hinfließen. Die Muskeln fordern mal – schwapp! – und ich war in der rechten
schoben wirst!‘ Und ich, ich ließ mich wirklich Worten des Saugnäpfchens der Darmzotte soeben Nahrung an. Mach deine Sache gut, Herzkammer selbst. Ja, und dann ging es
geglaubt hatte. ,Oh, du Trottel!‘, beschimpf- Wassertropfen! Ich muss mich auf dich ver- durch die Lunge. Die hatte eine besondere
te ich mich selbst. Schließlich fand ich lassen können. Halte dich nirgendwo auf! Vorliebe für euch Blutkörperchen, und es
mich aber mit meinem Schicksal ab Schwimme geradewegs zum Herzen hinauf! wurde viel zwischen ihr und euch gewispert
und schwamm schnurstracks in Versprichst du mir das?‘ – ,Gern!‘, sagte ich und getuschelt. Weiß der Himmel, was das
die Leber. Die freute sich auch und schwamm los.“ alles bedeutete! Ich merkte nur, dass da ir-
„Sicher hast du auch dein Wort gehalten?“, gendetwas aus- und eingeladen wurde. Aber
fragte ich Plink. verstanden habe ich nichts davon.“
„Ich halte immer mein Wort, Näpfli! Wenn „Kann ich mir denken, Plink, denn in der
ich auch die Leber für reichlich eingebildet Lunge sind ja wir Blutkörperchen die Haupt-
halte, da sie Entgiftungslabor und Gallenfab- personen. Wir tragen Kohlensäure hin und
rikant, Sparbüchse und Vorratslager zugleich nehmen Sauerstoff von dort mit. Du als Was-
sein will. Auf das Herz war ich aber gespannt.“ sertropfen brauchst das gar nicht so genau zu
„Entschuldige, Plink, aber die Leber sam- wissen. Jedenfalls bist du von der Lunge aus
melt wirklich das Blutwasser, das von den noch nicht in die Freiheit gelangt.“
Därmen aufgesogen wird. Ja, sie sammelt es „Ganz im Gegenteil! Vielmehr ging es
nicht nur, sie entgiftet es auch und entzieht jetzt aus kleinen Kanälchen in immer breite-
ihm zahlreiche Nährstoffe. Diese Nährstoffe re. Und schon fing auch wieder das Gebumse

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des Herzens an, in dem ich – schwuppdi- oder atmet, spricht oder lacht, alles vermag Plink und Näpfli besuchen die Niere
wupp! – auch sogleich wieder landete. Dies- er nur mit Hilfe der Muskeln.“
mal jedoch ging alles sehr schnell. Ehe ich „Dafür fressen sie aber auch wie die
mich versah, war ich schon wieder draußen.“ Drescher!“, rief Plink. „Auch der Sauerstoff,
„Das war doch schön?“, fragte ich Plink. den Millionen roter Blutkörperchen bei ihm
„Wenn ich ehrlich sein will – ja! Es ging abgeladen hatten, war im Nu verbraucht. Hier nun berichtet Plink davon, wie er zur ,Oh, oh, oh, was kommt denn da ange-
flott voran. Wir waren in Schwung gekommen Und dann schrie er noch: ,Ist das etwa alles? Niere und zur Blase kam und dann den gro- schwommen? Wie sollen wir zwei kleinen
und glitten jetzt in den großen Armmuskel Wie lange soll die Handvoll reichen?‘ Als wir ßen wandelnden Wasserturm endlich wieder Nieren diese Wasserflut bewältigen? Nimmt
hinein. Der freilich war ein grober Kerl. ,Das wieder davonschwimmen wollten, brüllte er: verlassen konnte: dieser Unsinn kein Ende? Muss denn immer
hat ja wieder einmal ewig gedauert!‘, schrie ,Halt, halt, ihr Nichtsnutze! Das könnte euch so viel getrunken werden? 2 bis 3 Liter Was-
er uns an. ,Da soll unsereiner arbeiten und so passen, die leeren Kähne wegzufahren! ser braucht der Mensch täglich. Und davon
arbeiten, soll den Arm beugen und strecken, Kommt, kommt und befreit mich von dieser befindet sich schon 1 Liter in der Speise, die
beugen und strecken, beugen und strecken überflüssigen Kohlensäure hier, die mich er isst. Dieses verborgene Wasser steckt vor
und bekommt nichts zu essen und keinen müde macht! Aber ladet die Kähne richtig allem in Obst und Gemüse, aber auch in al-
frischen Sauerstoff! Schließlich sind wir es voll! Und dann fort mit dem Teufelszeug! len anderen Lebensmitteln, sogar in Brot und
doch, die diesen ganzen Zellstaat bewegen! Haut ab, damit die nächsten Kähne heran- Fisch und Fleisch.‘ Die Nieren seufzten sehr.
Wir und die Knochen, die den ganzen Bau tra- können!‘ Also, du kannst sagen, was du Ich aber konnte ihnen nur recht geben. Denn
gen, sind doch die Einzigen, die wirkliche Ar- willst, Näpfli, dieser Armmuskel war schon hätte der Mensch nicht so viel Salz zu sich
beit leisten! Nun macht schon und bringt die ein rechter Angeber, ein ungehobelter Protz genommen, hätte er nicht so viel Wasser
Kähne her!‘ Noch nie war ich so angeschrien ersten Ranges!“ zu trinken brauchen, und dann wäre mir die
worden wie von diesem Armmuskel.“ „Grobe Gesellen sind die Muskeln nun Fahrt durch den menschlichen Körper erspart

R
„Die Muskeln müssen aber auch schwer mal!“, gab ich zu. „Aber es gibt auch feine geblieben.“
schaffen, Plink!“, versuchte ich den Grobian Leute unter ihnen. Ich denke da zum Beispiel „Nicht nur das, Plink!“, stimmte ich ihm zu.
zu entschuldigen. „Ob der Mensch nun die an den kleinen Muskel, der das Oberlid hebt, ichtig fröhlich schwamm ich den Nie- „Dann wäre dem Körper überhaupt unnötige
Arme oder die Beine, die Hände oder die und an die zarten Brüder, die den Augapfel ren entgegen. Und es war mir Musik in den Arbeit erspart geblieben. Diesmal muss ich dir
Füße, die Finger oder die Zehen bewegt, ob bewegen.“ Ohren, als die armen Nieren stöhnten: wirklich recht geben.“
er den Hals dreht oder mit dem Kopf nickt, „Na ja, das sind aber bestimmt Ausnah-
die Augen öffnet oder schließt, die Stirn run- men“, meinte Plink. „Ich war jedenfalls heil-
zelt oder die Brauen hochzieht, ob er kaut froh, als wir wieder in Fahrt waren.
,Wohin geht es jetzt?‘, fragte ich das Blut-
körperchen, das ich gerade trug. ,Zur Niere, Hätte der Mensch
wenn es dir recht ist!‘, antwortete es höflich. nur nicht so viel Salz
,Zur Niere?‘, staunte ich. ,Wer ist denn nun gegessen!
das wieder? Was wollen wir dort?‘ Das Blut-
körperchen lächelte und sagte: ,Dort gibt das
Blut die Abfallstoffe ab. Die Niere behält sie,
um sie an die Harnblase weiterzugeben.‘ Da
horchte ich auf. Hatten meine Brüder nicht ge-
sagt, dass die Harnblase das Tor zur Freiheit
ist? Ich witterte Morgenluft und fragte das
Blutkörperchen möglichst gleichgültig: ,Was
macht denn die Harnblase mit dem Abfall?‘ –
,Sie befördert ihn aus dem Körper!‘, bekam
ich zur Antwort. ,Also dann selbstverständ-
lich auf zur Niere! Und zwar auf geradem
Wege! Heißa, da winkt die goldene Freiheit!
Zur Niere, Blutkörperchen!‘ Und zum ersten
Mal war ich wieder richtig froh.“
Was aber der gute Plink in der Niere er-
Seine Protzigkeit, der Armmuskel lebt, das erfahrt ihr auf der nächsten Seite.

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Plink nickte erfreut und erzählte dann Menschen gibt. Denn nie wieder möchte ich Näpfli begegnet im Auge dem Sonnenstrahl
weiter: „Ja, die Nieren hatten es nicht leicht. tagelang durch einen menschlichen Körper
Sie stöhnten über den Unrat, der ihnen zuge- wandern. Nein, lieber will ich Mühlräder und

D
spült wurde, und riefen: ,Wie sollen wir das Turbinen treiben!“
jetzt alles sichten und säubern? Die Arbeit „Das verstehe ich nicht“, meinte ich.
wächst uns über den Kopf! Wer kann bei sol- „Denk doch mal nach, Plink, welch Wun- er nächste kleine Gast, der den ich auf meiner langen Reise so viel von mei-
chem Andrang noch eine anständige Arbeit derwerk allein diese kleinen, kaum 10 Zen- menschlichen Körper besuchte, war ein ner Leuchtkraft eingebüßt habe!“ – „Aber das
leisten? Gut und schnell, das gibt es nicht. timeter langen, 5 Zentimeter breiten und 4 Sonnenstrahl. macht doch nichts, Sonnenstrahl! Es ist doch
Das fließt und fließt in uns hinein, ohne Pau- Zentimeter dicken Nieren sind! Was ist dage- Ich war gerade dabei, mir das Auge ein- klar, dass der, der 149 Millionen Kilometer
se und Ende. Wir schaffen es einfach nicht gen schon ein Mühlenwerk?! Diese kleinen mal gründlich zu betrachten, als er eintraf. Ihr geflogen ist, ein wenig müde und matt wird.
mehr. Was das noch werden soll? Aber wir bohnenförmigen Organe, die zusammen wisst ja sicher, welch kostbares Gebilde das Darum komm und bade dich bei mir!“
sind unschuldig, das ist gewiss! Wir haben kaum 300 Gramm wiegen, müssen täglich Auge ist. Weil es so wertvoll ist, darum wird Der Sonnenstrahl verneigte sich dankend
alles getan, was wir tun konnten!‘ Ich aber 1.400 Liter Blut filtern. Innerhalb von 24 Stun- es auch durch viele sinnreiche Einrichtungen und sprach: „Oh ja, ich hätte schon Lust zu
dachte mir: ,Hier bietet sich dir die Gelegen- den schwemmen sie 1,5 bis 2 Liter Harn in geschützt. Es ruht in einer weiten knöchernen einem Bad und würde mir gern das geheim-
heit, schnell hinauszukommen. Jetzt fang es die Blase und mit ihm eine ganze Sintflut Höhle und ist ringsum von dicken weichen nisvolle purpurfarbene Spiel ansehen. Aber
aber geschickt an, Plink!‘ – ,Kann ich euch von giftigen und schädlichen Abfallstoffen. Fettpolstern umgeben. Aus feinen Drüsen ich finde keinen Eingang.“
nicht helfen?‘, fragte ich darum die Nieren.“ Würden die Nieren einmal versagen, käme wird es ununterbrochen mit einem sanften „Keinen Eingang?“, rief das Auge. „Für
„Oh, du bist doch ein gerissener Bur- es zur Harnvergiftung, die gar leicht den Tod Tränenbalsam überrieselt. Die Augenbrauen dich ist überall ein Eingang, Sonnenstrahl!
sche!“, rief ich. des Menschen herbeiführen kann!“ schützen es vor den brennenden Schweiß- Meine glasklare Hornhaut ist doch kein Hin-
„Das ist jeder Wassertropfen!“, warf sich „Glaub ich alles!“, rief der ungeduldige tropfen. Die Wimpern bewahren es vor dem dernis für dich. Gleich hinter ihr aber findest
Plink in die Brust. „Nicht umsonst durchwan- Plink. „Glaub ich dir aufs Wort. Aber trotzdem umherfliegenden Staub, und die Augenlider du schon das durchsichtige Badezimmer, in
derte ich die Luft, Himmel und Erde und wur- und dennoch möchte ich endlich wieder ein- sind wie ein bewegliches Regen- und Son- dem du dich erfrischen kannst.“
de von allen Winden getragen und mit allen mal an die frische Luft.“ nendach darüber aufgespannt. Ich wurde Da erhob sich der Sonnenstrahl vom Un-
Wassern gewaschen“, prahlte er. „Die Nieren Und kaum hatte er das gesagt, rief die nicht müde, mir das Auge immer wieder zu terlid, auf dem er sich niedergelassen hatte,
jedenfalls strahlten mich an und riefen: ,Oh Harnblase: „Heda, Wassertropfen! Nimm betrachten. und sprach: „Also dann bin ich so frei und
ja, Wassertropfen, viel kannst du uns helfen! doch bitte diesen Dreck hier mit und schaff Und da, mit einem Male, leuchtete das nehme deine Einladung an! Aber vorher sag
Komm her und schwemme diesen Haufen ihn schnellstens hinaus!“ Auge hell auf und rief: „Hierher, hierher, Son- mir, was ist das für ein blauer Kreis, der durch
Unrat zur Blase hinunter! Wir müssen uns „Recht gern, verehrte Harnblase!“, die- nenstrahl! Komm nur, ich habe hier ein durch- deine Hornhaut schimmert?“
Luft schaffen!‘“ nerte Plink. „Ich wüsste nicht, was mir lieber sichtiges Badezimmer für dich. Außerdem
Du kannst dir denken, wie ich innerlich wäre. Immer zu Ihren Diensten! Immer zu wartet auf dich ein purpurfarbenes Spiel aus
aufjauchzte, als ich etwas von der Blase hör- Diensten!“ Dabei zwinkerte er mir zu und Millionen von Zapfen und Stäbchen, in dem
te. Dorthin wollte ich ja gerade. Begeistert sauste wie das Donnerwetter davon. sich die ganze Welt widerspiegelt. Es lohnt
rief ich daher den Nieren zu: ,Aber gern, aber Ich wünschte ihm alles Gute und kehrte sich, bei mir einzukehren!“ Dabei strahlte
sehr gern, liebe Nieren! Verfügt völlig über wieder zum Herzen zurück. Noch oft dach- und schimmerte das Auge so verlockend,
mich! Den Haufen hier? Gut! Fort damit! Auf, te ich an ihn, den kleinen Pfiffikus, zurück. dass der Sonnenstrahl, der soeben ins Zim-
auf, zur Harnblase!‘ Wie der Wind war ich um Die Wassertropfen sind halt echte Wander- mer gehuscht war, gar nicht anders konnte,
die Ecke und – hast du nicht gesehen! – auch burschen, und die arbeiten eben alle nicht als schnell herbeizufliegen.
schon in der Blase. Ja, und da bin ich nun und besonders gern. Wir Blutkörperchen haben „Wer ruft mich?“, fragte er. „Bist du es, du
werde wohl bald weiterziehen, denn hier in es nicht so leicht. Dafür aber dringen wir viel blauer Stern mit den zarten Wimperngittern
der Blase herrschen dieselben unhaltbaren tiefer in die Wunder des Lebens ein. Und von und dem glänzenden schwarzen Kreis in der
Zustände. Die Harnblase ist schon mäch- einem solchen Wunder, nämlich von dem Mitte? Wer bist du?“
tig überdehnt und hat bedenklich schlaffe menschlichen Auge, will ich euch im folgen- „Das Auge des Menschen bin ich. Ja, ich
Muskeln. Es dauert keine 5 Minuten mehr, den Kapitel erzählen. Ich bin überzeugt, dass habe dich gerufen, du goldener Lichtgruß, der
da muss sie den Überfluss wieder hinaus- es kein größeres Wunder auf Erden gibt. du in 8 Minuten den ungeheuren Weg von
lassen –“ der Sonne bis zur Erde zurücklegtest! Sei will-
„– und du bist frei, Plink!“, rief Näpfli. kommen! Tritt nur ein, damit auch mir die Welt
„Ja, frei! Endlich wieder frei! Dann werde hell wird und in Licht und Farbe prangt!“
ich mich tief, tief in die Erde verkriechen und „Du bist sehr schön, Augenstern!“, sag-
erst in einer fernen und verborgenen Quel- te der Sonnenstrahl. „lch sehe mich prächtig „Komm
le wieder auftauchen. Dort, wo es keinen funkeln und blitzen in dir. Wie schade, dass hierher, Sonnenstrahl!“

32 33
„Das ist die Regenbogenhaut, die das all- „Gern, liebes Auge!“, verbeugte sich der Da blitzte das Auge „Was ist denn das?
zu grelle Licht abfängt. Auch Iris wird dieser Sonnenstrahl. „Ich finde es sehr lieb von dir, hell auf und fragte: Es steht ja alles auf dem Kopf!“
farbige Kreis genannt.“ dass du ganz allein für mich solch hübsches „Wer wäre mehr als du
„Aha!“, nickte der Sonnenstrahl und rundes Tor gebaut hast!“ Und dann trat er ein aller Liebe wert? Ohne
schlüpfte nun behände durch die durchsich- und rief gleich darauf: „Was aber ist das jetzt? dich ist doch die Welt
tige Hornhaut. Ein gewölbter Spiegel?“ eine ewige und dunkle
Er betrat das Badekämmerchen, warf „Das ist die Linse!“, erklärte das Auge. Nacht! Denn du allein
sich mitten hinein und seufzte behaglich: „In der Linse sammelt sich dein Glanz. In der bringst uns doch die
„Ah, wie lind und weich dieses Wasser ist! Linse kannst du dich ganz auf dich selbst und Helle des Tages, die
Das tut wohl!“ deine Schönheit besinnen. Du hast doch so vielfältigen Farben, die
„Du siehst, ich habe dir nicht zu viel ver- viel erlebt auf deiner langen Reise und bist Wärme und die Freu-
sprochen“, freute sich das Auge. sicherlich verwirrt und zerstreut von all dem de! Du ganz allein!“
„Bestimmt nicht! Aber wie ist das, geht Neuen, das du gesehen hast.“ „Du übertreibst!“,
es nun durch dieses dunkle runde Tor in der „Richtig!“, murmelte der Sonnenstrahl. wehrte der Sonnen-
blauen Regenbogenhaut?“ „Ich wusste es!“, rief das Auge. „Wenn strahl bescheiden ab.
Das Auge nickte: „Ja, nun wanderst du du aber jetzt durch die Linse hindurchgehst, „Also dann wande-
durch die Pupille und durch die Linse.“ dann wirst du dich so frisch fühlen, als wenn re ich jetzt durch die
„Seltsame Welt!“, murmelte der Sonnen- du eben erst von der Sonne weggeflogen Linse?“
strahl. „Was ist denn eine Pupille?“ wärst.“ „Immer zu!“, er-
„Die Pupille ist dein Tor, Sonnenstrahl. Der Sonnenstrahl staunte. „Womit habe munterte ihn das Auge,
Du glaubst nicht, wie sich diese Pforte freu- ich so viel Liebe und Aufmerksamkeit ver- und dann fragte es:
en wird, wenn du durch sie hindurchgehst! dient? Noch nie wurde ich so empfangen. „Na, und wie fühlst
Abends, wenn ihr Sonnenstrahlen nicht Ich weiß nicht, ob ich das wert bin.“ du dich jetzt?“
mehr zu uns auf die Erde kommt, dann sehnt „Großartig! So habe
sich die Pupille so sehr nach euch, dass das ich gefunkelt, als ich
Tor ganz weit offen steht, damit auch der von der Sonne weg- durch das Licht, das du mitbringst, die Welt
schwächste Lichtschimmer das Tor noch se- flog. Eine gute Erfindung, diese Linse! Ah, widerspiegelt! Sobald dein Licht diese pur-
hen kann. Geh hindurch!“ und da sehe ich jetzt auch eine purpurrote purne Wand berührt, beginnen die Stäbchen
Wand.“ und Zapfen auf geheimnisvolle Weise Bilder
Der Sonnenstrahl eilte auf die rote Wand und Farben hervorzuzaubern. Du stehst vor
zu, sah sich aber plötzlich vor einer neuen glä- der sogenannten Netzhaut. Aus 100 Millionen
sernen Wand stehen. Stäbchen und mindestens 5 Millionen Zap-
„Was ist denn das?“, stutzte er. fen besteht dieses Spiel der Netzhaut. Und
Das Auge lächelte und erklärte: „Du stehst im gleichen Augenblick, da dein Licht dieses
jetzt vor dem großen Glaskörper, Sonnen- Spiel trifft, spiegelt sich die Welt in mir.“
strahl, der den gesamten Innenraum des Au- „Wahrhaftig, ich sehe die Stube mit den
ges ausfüllt und ihm Halt verleiht. Er besteht Möbeln, den hellen Fenstern und allen Einzel-
aus einer durchsichtigen geleeartigen Masse. heiten!“, rief der Sonnenstrahl entzückt aus.
Wenn du ihn durchquert hast, gelangst du „Aber was ist denn das? Es steht ja alles auf
endlich zu dem geheimnisvollen Spiel, von dem Kopf! Was fängst du mit einer Welt an,
dem ich dir schon so viel erzählt habe.“ die kopfsteht?“
Der neugierige Sonnenstrahl ließ sich das „Du wirst staunen, Sonnenstrahl, aber
nicht zweimal sagen, sauste geschwind los ich sehe dieses Bild auf der purpurnen Wand
und hatte im Nu den Glaskörper durchdrun- der Netzhaut nicht“, belehrte ihn das Auge.
gen. Still und benommen stand er vor der „Ich spüre nur, wie der Strom deines Lichtes
purpurnen Wand und wagte kaum sich zu von der Netzhaut aus jetzt das ganze Gehirn
rühren. durchschwingt.“
Der Sonnenstrahl Das Auge lächelte in sich hinein und „Seltsam!“, murmelte der Sonnenstrahl
durchquert den Glaskörper. sprach: „So, geliebter Gast, nun stehst du und bestaunte, was er sah und hörte. „Ich
vor dem geheimnisvollen Spiel, in dem sich aber bin nun wohl am Ziel?“, fragte er dann.

34 35
„Ja“, nickte das Auge. „Das Licht aber, „Das ist wohl eine wichtige Frage“, nick- Eine kleine Schallwelle erzählt vom Ohr
das du mitgebracht hast, das wandert nun te das Auge. „So merke dir denn, Näpfli, die
in feinen Schwingungen bis zu einer Stelle Stäbchen erkennen Schwarz und Weiß und
im Hinterhaupt des Menschen. Dort wird alle Grautöne, die Zapfen aber empfinden die
das Bild wieder auf die Füße gestellt und Farbe.“ Hier, liebe Freunde, will ich euch nun einen
damit dem Menschen bewusst. Erst dann, „Wer aber trägt das Bild von der Netzhaut anderen Gast vorstellen, der nicht weniger
wenn die Schwingungswellen diese Stelle bis zu der Stelle im Gehirn, wo es umgedreht wunderbare Dinge erlebte, meine neueste
im Gehirn erreicht haben, erst dann sieht wird?“ Freundin, die kleine Schallwelle; sie könnte
der Mensch das Bild, das schon jetzt auf der „Der Sehnerv, Näpfli! Der Sehnerv trägt euch einmal ganz allein erzählen, was sie alles
purpurnen Netzhaut steht.“ das Bild von der Netzhaut bis zur Sehzen- im Ohr erlebte, denn sie plaudert ja sowieso
„Wie wundersam und wie schwierig!“, trale im Gehirn. Du kennst doch sicher die gern:
sagte der Sonnenstrahl. „Kaum kann ich alles Nerven?“

G
fassen. Aber ich bin sehr stolz, dass ich dem „Noch nicht besonders gut. Aber ich
Menschen ein farbiges Abbild seiner Welt werde sie aufsuchen. Und nun noch etwas:
schenken konnte, obwohl das Bild doch ei- Wie lange dauert es, bis das verkehrte Bild uten Tag alle miteinander! Ich bin also
gentlich recht klein ist.“ von der Netzhaut bis zu der Stelle des Ge- eine Schallwelle und muss immerzu tönen.
„Das scheint nur so“, berichtigte ihn das hirns gewandert ist, wo es auf die Beine ge- Vorgestern zum Beispiel trug ich den schöns-
Auge. „Das Bild der Welt, das du dem Men- stellt wird? Wie lange also dauert es, bis der ten Triller einer Feldlerche durch die Luft. Lus-
schen schenkst, ist durchaus nicht klein. Was Mensch wirklich etwas sieht?“ tig und flott flog ich dahin. Auf einmal aber
glaubst du, wie weit, wie unendlich groß das „Eine fünftel Sekunde ungefähr.“ pralle ich gegen eine recht eigenartige, wei- „Aha“, sagte ich. „Und ist etwa der dunkle
Bild ist, wenn der Mensch nicht durch die- „Danke schön!“, sagte ich und beeilte che und warme, vielfach gerillte Wand. Im Gang hier der Eingang zu dir?“
se Stubenwände beengt wird, wenn er auf mich nunmehr, wieder in den Blutstrom zu- nächsten Augenblick wurde ich wie ein Ball „Richtig! Du wanderst jetzt durch meinen
freier Heide oder auf hohen Bergen steht! rückzukommen. Noch lange musste ich an von den vielen Windungen, Rillen und Wöl- äußeren Gehörgang, bis du an eine Wand
Gewaltig ist dann das Bild der weit ausge- den Sonnenstrahl und an das Auge denken. bungen dieser Wand hin und her geworfen stößt. Gegen diese Wand aber musst du mit
breiteten Landschaft! Den ganzen Himmel und hörte erstaunt, dass ich dabei viel lauter aller Macht anrennen.“
mit seinen Millionen Sternen schaut der zu tönen begann. Ich wunderte mich sehr Und schon rutschte ich in eine kleine Mul-
Mensch durch dich!“ und dachte laut. „Wie ist denn das möglich? de und mit Schwung in ebendiesen äußeren
Da seufzte der Sonnenstrahl glückIich: Wer hat mir denn plötzlich diese Kraft gege- Gehörgang. Von der Decke und den Seiten
„So durfte ich kleiner Sonnenstrahl die Herr- ben? Wohin bin ich denn da geraten?“ Und starrten spitze Haarlanzen herab, und der Bo-
lichkeit der Welt verkünden?! Das ist mehr, schon summte eine tiefe, schöne Stimme: den war mit einem sirupdicken, honiggelben
als ich mir je erträumte. Ich danke dir, Auge, „Du bist dort, wohin du gehörst. Ein Ohr hat Saft bestrichen.
dass du mich gerufen und empfangen hast, dich aufgefangen. Ja, ich bin das Ohr eines „Bequem und sehr sauber ist es hier ja
gereinigt und gesammelt und mich dann Menschen, und es ist mein Verdienst, dass nun gerade nicht“, entfuhr es mir.
endlich vor diese purpurne Wand führtest! du jetzt viel lauter tönst. Die feinen Windun- „Soll es auch nicht“, antwortete das Ohr,
Ich konnte nichts Schöneres erleben!“ gen meiner Muschel haben deinen Ton ver- „denn sonst könnte hier jeder hereinspazie-
„Was bin ich denn ohne dich?“, fragte das stärkt. Je öfter eine Schallwelle hin und her ren, der nichts bei mir zu suchen hat. Die
Auge zurück. „Was ist ein Auge ohne Son- geworfen wird, umso kräftiger wird der Ton, spitzen Haare halten jegliches Getier zurück.
nenlicht? Du und ich, wir sind verbunden den sie trägt. Meine Muschel ist also eine Art Sollte sich aber doch einmal ein Tierchen nä-
wie die Geige mit dem Ton. Ich wurde nur Schalltrichter und Tonverstärker.“ her heranwagen, so bleibt es in dem klebrigen
erschaffen, um dich empfangen zu können.“ „Und willst du mich nun immer weiter hin Schmalz wie in einem Morast stecken. Doch
„Du bescheidenes Auge!“, murmelte „Im Sehzentrum wird das Bild wieder und her schleudern?“ nun gib Acht! Jetzt kommt die Wand! Stoß
der Sonnenstrahl und sank in einen tiefen auf die Füße gestellt.“ „Oh nein, mein lieber kleiner Lerchentril- kräftig dagegen!“
Schlummer. ler“, antwortete das Ohr. „Du bist nun kräftig Tatsächlich sah ich jetzt eine helle Wand
Ich aber atmete tief auf. „Entschuldige, genug und wirst jetzt eine lange und sehr in- vor mir, die den Gehörgang abriegelte. Ich
Auge!“, flüsterte ich. „Ich habe soeben dein teressante Wanderung antreten. Der Schall- rannte mit aller Kraft dagegen, tat mir aber
Gespräch mit dem Sonnenstrahl belauscht trichter ist doch nur mein äußerster Teil, ist nur dabei gar nicht weh, denn sie gab nämlich
und hätte gern gewusst, warum das Wun- der Eingang zu mir. Ich selbst aber sitze tief nach und begann ganz fein zu schwingen.
derspiel der Netzhaut aus Stäbchen und aus im härtesten Knochen, den der Mensch hat, „Gut so!“, lobte mich das Ohr. „Mein
Zapfen besteht?“ im sogenannten Felsenbein. Mit der Ohrmu- Trommelfell ist tüchtig ins Schwingen ge-
schel vermag kein Geschöpf etwas zu hören.“ kommen. Das aber ist nötig, damit du jetzt

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auch in meinen inneren Teil eintreten kannst. Wenn nun das Trommelfell zu schwingen zweites Trommelfell, und zwar ein viel emp- große Kunst, eine Gabe und eine Gnade.“
Dein Ton hat in dem langen Gehörgang gut beginnt, dann schwingt auch der kleine findlicheres als das äußere. Doch nun komm Ich sah das Ohr groß an. Ganz verstand
an Kraft zugenommen.“ Hammer und überträgt die Schallwellen auf und lass uns auch durch dieses Fensterchen ich das zwar nicht, aber ich glaubte ihm. Dann
„Ja eben!“,rief ich erstaunt. „Statt schwä- das zweite Knöchelchen, das einem Amboss schlüpfen!“ schaute ich mich etwas gründlicher in der klei-
cher werde ich immer stärker, je weiter ich in ähnelt; an dem Amboss aber ist das dritte an- „Vorher aber sag mir noch schnell“, bat ich nen wassergefüllten Kammer des inneren
dir vordringe.“ geheftet, das einem Steigbügel gleicht und das Ohr, „wohin dieser schmale Kanal führt, Ohres um. Dabei entdeckte ich ein Gebilde,
„Das ist noch gar nichts!“, lachte das Ohr dem Fensterchen zum inneren Ohr aufliegt. der hier abzweigt.“ das einem Schneckenhaus glich.
zufrieden. „Komm jetzt erst einmal in den Mit diesen drei Knöchelchen vermag ich auch „Dieser Kanal ist wichtig, wenn die Luft „Warum ist dieses kleine Schneckenhaus
abgeschlossenen Raum hinter dem Trom- die schwächsten Schallwellen vom Trommel- einmal allzu stark erschüttert wird. Bei einer da?“, fragte ich.
melfell. Was glaubst du, wie du hier tönst?!“ fell zum inneren Ohr zu leiten.“ starken Explosion zum Beispiel besteht die „Das ist das Schallwellenklavier!“, erklärte
Ich ließ mir das nicht zweimal sagen und „Eine feine Sache!“, rief ich. Gefahr, dass die anstürmenden Schallwellen das Ohr.
war einfach sprachlos, was das Trommelfell „Das will ich meinen!“, stimmte das das Trommelfell zerreißen. Um diese Gefahr „Ein Klavier für mich?“
aus meinem Lerchentriller gemacht hatte. In Ohr zu. „Achte nur einmal darauf, wie sich zu beseitigen, ist der kleine Kanal da. Auf dem „Ja, für dich! Wandere nur mit den Wel-
dem kleinen Kämmerchen, in dem ich mich die großen und langsamen Schwingungen Weg über ihn wird aus dem Rachen des Men- len hinein! Dann wirst du sehen, dass in die
jetzt befand, war er kaum wiederzuerken- des Hammers in viele kleine und lebhafte schen der Luftdruck ausgeglichen. So kann Windungen dieses Schneckenhauses kleine
nen. Dann aber betrachtete ich mir diesen Schwingungen des Steigbügels verwan- das Trommelfell nicht platzen; Ohrtrompete Stufen eingebaut sind. Diese Stufen hüpfst
Raum des mittleren Ohres genauer. Vor al- deln! So kommt es, dass ich auch das aller- heißt dieser enge Kanal.“ du mit den Wasserwellen hinauf bis zur äu-
lem verwunderte ich mich über 3 kleine feine feinste Geräusch derartig verstärken kann, „Du hast aber auch an alles gedacht!“, be- ßersten Spitze und auf der anderen Seite
Gebilde, die einem Hammer, einem Amboss dass es doch das Fensterchen zum inneren wunderte ich das Ohr und zögerte nun nicht wieder hinunter. Jede einzelne Stufe dieser
und einem Steigbügel glichen. Ohr erreicht. Dieses Fensterchen siehst du länger, in dessen innersten Teil einzutreten. Wendeltreppe im Schneckenhaus ist eine
„Was sind denn das für merkwürdige hier an der Wand, an der der Steigbügel an- Wie erstaunte ich aber, als ich sah, dass das Klaviertaste, die hüpfenden Wellen drücken
Dinge?“, fragte ich. geheftet ist.“ innere Ohr mit Wasser angefüllt war. diese Tasten nieder, wirken also wie winzige
„Die sind eben für euch Schallwellen da“, „Ist das Fensterchen etwa ein zweites „Warum das?“,rief ich aus. „Wozu brauchst Finger, die auf dem Klavier spielen.“
belehrte mich das Ohr. „Es sind zarte Knö- Trommelfell?“, fragte ich. du das Wasser?“ „Das ist ja wunderbar eingerichtet“,rief ich
chelchen. Wie du siehst, ist das, welches wie „Ja! Das feine Häutchen, das das Fens- „Weil Wasser die Schallwellen viermal begeistert. Ich wanderte also auf den Was-
ein kleiner Elfenbeinhammer aussieht, mit terchen zum inneren Ohr verschließt und besser leitet als Luft! Sieh doch, wie es sich serwellen den einen Gang hinauf und den
dem Stiel am Trommelfell festgewachsen. gegen das der Steigbügel klopft, ist ein wellt! Die Schwingungen des kleinen Fens- anderen Gang wieder hinunter. Unten ange-
ters, an das der Steigbügel geklopft hat, kommen, war ich aber mächtig enttäuscht,
pflanzen sich in dem eingeschlossenen Was- denn von meinem mitgebrachten Lerchentril-
ser leicht fort. Außerdem aber hat das Was- ler hatte ich keinen einzigen Ton gehört.
ser hier noch eine zweite Aufgabe, die ich dir Da tröstete mich das Ohr: „Ja, kleine
nachher erläutern will.“ Schallwelle, das liegt daran, dass im Ohr un-
„Oh ja, nur langsam, liebes Ohr!“, seufzte ter den Tasten anstelle von klingenden Saiten
ich. „Es ist gar nicht leicht, das alles zu verste- in Wirklichkeit empfindliche Nervenfasern lie-
hen und zu behalten. Gar zu verwickelt bist du gen. Diese Nerven führen hinauf ins Gehirn
gebaut. Erst die Ohrmuschel mit ihren vielen und erst dort oben hört der Mensch die Ton-
Windungen, dann der lange Gehörgang, das folge deines Lerchentrillers.“
Trommelfell, das Mittelohr mit den 3 Knö- „Dann bin ich also jetzt am Ziel?“, fragte
chelchen, das Fensterchen zum inneren Ohr, ich.
und nun dieses wassergefüllte Kämmerchen „So ist es! Der Mensch hat jetzt den Ton
hier! Ist das Hören denn eine so schwierige gehört. Deine Aufgabe ist erfüllt und auch die
Sache?“ meine. Was meine Muschel aufgefangen, der
„Je nachdem“, antwortete das Ohr. „Vor Gehörgang verstärkt, das Trommelfell den
allem aber ist es eine großartige Sache. Der Knöchelchen vermittelt und was diese an das
Mensch wird sehr stark von Geräuschen be- Fenster zum inneren Ohr geklopft und dann
einflusst. Die verschiedenen Töne können ihn die Wasserwellen zum Schneckenhaus getra-
krank und froh machen, können ihn beschwin- gen haben, das wurde nun vernommen.“
gen, so dass er tanzt und lacht, können ihn „Und das nennt man das Hören?“
aber auch niederdrücken und ihn müde und „Richtig! So geht das Hören vor sich.“
„… ein Ohr hat dich aufgefangen, kleine Schallwelle!“ traurig machen. Das richtige Hören ist eine

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Die Haut ist mehr als ein Sack

Heute nun will ich euch vor Augen führen, Köpfe und warfen mitleidige Blicke auf mich.
welch wunderbares Organ eure Haut ist. In „Ja, was ist die Haut denn sonst noch?“,
dieser Geschichte kommen nicht weniger als rief ich unwillig. „Sie hat doch die Aufgabe,
4 Prinzessinnen vor, echte Märchenprinzes- den großen Zellstaat Mensch nach außen
sinnen. Na, ihr werdet staunen! hin abzuschließen und zu umhüllen! Sie soll
ihn vor Schmutz und Krankheitskeimen be-

W
wahren. Sie ist eine Art Schutzmauer. Oder
stimmt das etwa nicht?“
ie schon so oft gondelten wir „Reg dich nicht unnötig auf, Näpfli!“,
Blutkörperchen als reich mit Sauerstoff bela- beschwichtigte mich eine dicke Talgdrüse.
dene Kähne im Blutstrom dahin, als es plötz- „Aber du hast keine Ahnung von der Haut!
Auch hierbei ist das Ohr beteiligt. lich hieß, wir sollten diesmal unsere Fracht Du kannst sie nicht haben, weil du eben die 4
in der Haut abladen. Na, dann mal los! Wir Prinzessinnen Aha, Oho, Puhu und Wehweh
beeilten uns und drangen durch allerfeinste nicht kennst.“
In diesem Augenblick jedoch entdeckte „Er spürt es gut! In den Bogengängen Äderchen bis in die unterste Hautschicht vor „So ist es!“, fiel die Schweißdrüse ein.
ich ganz hinten im innersten Ohrkämmer- sitzen nämlich sehr feine Härchen, die von und erreichten dann die darüberliegende „Du hältst die Haut nur für einen Sack, für
chen 3 schöne und zierliche Bogengänge, dem Wasser bewegt werden. Sie melden Lederhaut. Die dort wohnenden Talg- und
die mir bisher nicht aufgefallen waren. Ich dem Menschen sofort jede Bewegung des Schweißdrüsen begrüßten uns von
konnte mir nicht denken, dass auch sie noch Wasserspiegels. Dadurch weiß der Mensch allen Seiten und riefen:
mit dem Hören etwas zu tun haben könnten, genau, ohne dass er die Augen zu öffnen „Gut, dass ihr kommt! Die Prin-
und fragte deshalb: „Wozu dienen denn die braucht, ob er mit dem Kopf nach unten zessin Puhu hat sich schon sehr
3 Bogengänge dort? Von denen hast du mir hängt, schief steht oder sich dreht. Kannst beklagt. Es ist ihr zu kalt. Blass und
noch nichts erzählt.“ du dir das vorstellen?“ zusammengefallen sitzt sie da und
„Diese 3 kleinen Gänge dort?“, fragte das „So halbwegs ja!“, meinte ich. „Der jammert.“
Ohr zurück. „Die schenken dem Menschen Mensch braucht also nur darauf zu ach- „Wer ist denn die Prinzessin
das Gleichgewicht.“ ten, was ihm die Bogengänge melden, Puhu?“, fragte ich.
„Die kleinen Bogen dem großen Men- dann kann er das Gleichgewicht schnell „Die kennst du nicht?“, staunten
schen? Wie ist das möglich?“ wiederherstellen?“ die Talg- und Schweißdrüsen. „Ja, sag
„Auch in ihnen befindet sich Wasser, „Genauso ist es!“, bestätigte mir das Ohr. mal, du warst wohl überhaupt noch
musst du wissen. Dieses Wasser macht jede „Im Übrigen genügt es auch, wenn du nur nicht bei uns?“
Bewegung des Menschen mit. Wenn sich ungefähr eine Ahnung davon hast und weißt, „Nein“, gestand ich ein. „Ich hatte
der Mensch im Tanz dreht, dann schwingt dass der Gleichgewichtssinn des Menschen noch nicht das Vergnügen.“
auch das Wasser in diesen 3 Bogen. Wenn ebenfalls im inneren Ohr sitzt.“ „Dann kennst du wohl auch nicht
er aufrecht steht, dann ruht das Wasser auf „Oh ja, das genügt mir vollauf“, meinte die Prinzessinnen Aha und Oho und
dem Grund. Wenn er sich legt, füllt es die auch ich. Wehweh, die bei uns wohnen?“
Seitengänge. Und wenn er einen Kopfstand Ja, liebe Freunde, das waren also die „Ich habe noch nie von ihnen ge-
macht, dann läuft das Wasser hoch in die Bo- Abenteuer, die meine Freundin, die kleine hört“, gab ich zu.
gen hinauf.“ Schallwelle, in eurem Ohr erlebte. „Hm, weißt du überhaupt, was
„Merkt denn das der Mensch?“, staunte die Haut eigentlich ist?“, fragten die
ich. Talg- und Schweißdrüsen weiter.
„Oh doch! Sie ist der Sack, der
den ganzen Menschen einhüllt!“
DieTalgdrüsen sahen die Schweiß-
drüsen an, schüttelten ihre dicken

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„Gleich nebenan, auf unserem Stock- Das Zimmer muss geheizt werden! Zieh dir
werk“, unterwies mich die Talgdrüse. „Die 4 deine Handschuhe an, sonst erfrieren dir die Der Schmerz
Prinzessinnen leben genauso wie wir in der Finger!‘ Da aber der Mensch sehr unvernünf-
Lederhaut. In ihr findest du übrigens auch tig ist und nicht von selbst darauf achtet, dass
sämtliche Haarwurzeln. Außerdem ist die Le- er immer schön gleichmäßig warm bleibt,
derhaut durchzogen von vielen feinen Mus- muss ich natürlich übertreiben und mich wie
kelfasern, die dem Körper des Menschen von eine Prinzessin auf der Erbse gebärden. Nur
außen Stütze und Halt geben.“ wenn ich laut jammere und mich so zusam-
„Und aus wie vielen Schichten besteht menkrümme, dass sich die glatte Oberhaut in
die Haut des Menschen insgesamt?“, wollte eine Gänsehaut verwandelt, nur dann hört der
ich wissen. Mensch auf mich.“
„Aus 3 Schichten, Näpfli, aus der Unter- Mir ging bei diesen Worten ein Licht auf.
haut, der Lederhaut und der Oberhaut. Die „In Wirklichkeit bist du also gar nicht so emp-
Das Kältegefühl unterste Hautschicht ist das Unterhautzellge- findlich?“, fragte ich. „Ach wo!“, lächelte Prin-
webe, es ist mit vielen kleinen Fettpolstern zessin Puhu. „Ich muss mich nur so zimperlich
ausgefüllt. Die oberste Hautschicht ist die anstellen, damit dem Menschen nichts pas- „Ja“, antwortete ich. „Sie fror so sehr.“
eine Hülle des Körpers und weiter nichts. Oberhaut, die aus einer Keimschicht und ei- siert. Eine gute Warnerin muss immer über- „Sie friert immer und ewig“, seufzte
Und natürlich ist die Haut das auch.“ ner dickeren Hornschicht besteht. Dort oben treiben.“ – „Das verstehe ich gut, Prinzessin Prinzessin Oho, „und ich schwitze immer!“
„Na also!“, muckte ich auf. „Warum schüt- in der Keimschicht wachsen die flachen Zel- Puhu! Aber jetzt spürst du doch sicherlich, wie Gleich darauf rief sie:
telt ihr dann die Köpfe?“ len der Hornschicht ununterbrochen nach, sich die Haut erwärmt hat?“ – „Dafür habe ich „Hallo, ihr Schweißdrüsen, merkt ihr nicht,
„Weil damit die Aufgaben der Haut noch musst du wissen. Denn die Hornschicht ver- kein Gefühl, Näpfli. Ich spüre nur die Kälte. Die dass ich zerfließe? Wollt ihr nicht so freundlich
längst nicht erschöpft sind, Näpfli! Die Haut braucht sich doch. Sie wird abgescheuert und Wärme fühlt meine Schwester, die Prinzessin sein und ein wenig für Abkühlung sorgen?“
bewahrt den Körper außerdem noch vor dem abgeschliffen und muss immer wieder von Oho. Geh doch mal hinüber zu ihr! Sie wird dir „Du also vermittelst dem Menschen das
Vertrocknen und verhindert, dass er zu viel unten her nachwachsen.“ genau sagen können, wie warm die Haut jetzt Wärmegefühl?“, fragte ich.
Flüssigkeit verdunstet. Wir Schweißdrüsen „Die 3 Schichten der Haut merke ich mir ist. Sie ist es nämlich, die dem Menschen das „Du merkst aber auch alles!“, spottete die
haben diese Aufgabe übernommen.“ nun für mein ganzes Leben“, nickte ich. Wärmegefühl vermittelt.“ Prinzessin Oho. „Wer denn sonst als ich? Ich
„Zudem ist die Haut kein Sack, sondern „Das ist schön, Näpfli. Aber jetzt Da verabschiedete ich mich höflich und sage ihm, was zu warm ist. Wenn ich ihn nicht
ein lebendiges Gebilde, das sich unaufhör- schwimm los, damit sich die Prinzessin Puhu schwamm ein Stücklein weiter. Die Prinzessin fortwährend warnen würde, dann würde der
lich erneuert, das glänzt und schimmert und endlich zufrieden gibt.“ Oho hatte ich bald entdeckt. Sie sah wie das Mensch die Körpermaschine täglich hundert-
duftet!“, warf jetzt eine Talgdrüse ein. „Wir Um vieles gescheiter schwamm ich wei- blühende Leben aus, war puterrot und stöhn- mal heiß laufen lassen. Wir zwei, meine frie-
Talgdrüsen sorgen dafür, dass die Haut weich ter. Das Gejammer der Prinzessin wies mir te. „Es ist schon wieder viel zu warm! Eine rende Schwester Puhu und ich, wir sorgen
und biegsam und immer gut eingefettet ist.“ den Weg. Und dann sah ich sie selbst, die tropische Hitze! Die liebe Schwester Puhu hat dafür, dass es dem Menschen weder zu kalt
„Vor allen Dingen aber wohnen in der Empfindliche, die Frierende. wieder wie verrückt einheizen lassen.“ Dann noch zu warm wird. Denn beides kann er nicht
Haut das Tastgefühl, das Wärmegefühl, das „Es ist wieder viel zu kalt!“, klagte sie. entdeckte sie mich und rief: „Hallo, du Blut- vertragen.“
Kältegefühl und das Schmerzgefühl!“, sagte „Die Haut ist zu wenig durchblutet. Der körperchen, kommst du von meiner Schwes- „Wenn der Mensch aber nicht auf euch
die Schweißdrüse. „Denn die Haut ist eine Mensch wird sich erkälten und sich min- ter Puhu?“ hört, müsst ihr dann machtlos zusehen, wie
Warnerin, die den Menschen vor jeglichem destens einen Schnupfen holen. Ich friere der Körper erkrankt, oder habt ihr ein Mit-
Ungemach zu schützen sucht.“ fürchterlich!“ telchen zur Hand, das ihn zum Gehorchen
„Und da glaubst du, das alles könnte „Da bringe ich ja schon den Sauerstoff!“, zwingt?“
ein Sack vollbringen!“, spottete eine andere rief ich laut. „Mit mir sind noch Millionen mei- „Wir haben kein Mittelchen“, antwortete
Talgdrüse. ner Brüder gekommen. Ist es denn wirklich Prinzessin Oho. „Wir haben unsere Schwes-
„Na schön“, lenkte ich ein. „Ich will zu- so kalt?“ ter Wehweh.“
geben, dass ich wirklich sehr wenig von der „Das fragst du noch?“, entrüstete sich die „Prinzessin Wehweh? Genießt sie so gro-
Haut weiß.“ Prinzessin Puhu. „Du hast wohl kein Gefühl ßes Ansehen?“
„Das ist ein Wort!“, rief die dicke Talgdrü- für Kälte?“ „Jawohl! Unsere Schwester ist zwar die
se und glänzte zufrieden. „Aber du wirst sie „Ach, dann bist du es wohl, die dem zierlichste und empfindlichste von uns vieren,
heute kennenlernen! Lade erst einmal den Menschen das Kältegefühl vermittelt?“, weiß sich aber immer Gehör zu verschaffen.
Sauerstoff ab, damit die Prinzessin Puhu fragte ich. Wenn sie ihre Stimme erhebt, dann zuckt der
nicht länger frieren muss!“ „SeIbstverständlich, Näpfli! Ich sage ihm: Mensch zusammen, dann schreit er Weh und
„Gern!“, sagte ich. „Aber wo?“ ‚Der Wind ist zu kalt, knöpf deine Jacke zu! Das Wärmeempfinden Ach, dann folgt er aufs Wort.“

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„Und sie spricht immer dann, wenn die im Verborgenen und versteckt sich unter Näpfli erforscht das Gehirn
größte Gefahr besteht?“, wollte ich wissen. Hornschwielen und Hornnägeln. Sie ist eben
„Sie spricht, sowie der Mensch in Gefahr gar zu feinfühlig, weißt du. Wenn sie von
ist, ganz gleich, ob er sich nun verbrennt oder außen her immer wieder gedrückt und ge-
verkühlt, sticht oder stößt. Unsere Schwes- scheuert wird, dann jammert und weint sie so
ter Wehweh kennt der Mensch unter dem sehr, dass große Wasserblasen auf der Haut
Namen Schmerz. Vor dem Schmerz aber hat entstehen. Dann haben nämlich die flachen
er gewaltige Angst.“ Zellen der Oberhaut Mitleid mit ihr und lagern
„Aha!“, rief ich. „Die Prinzessin Wehweh sich ganz dick an jene Stellen und bilden …“
vermittelt dem Menschen also das Schmerz- „Hornschwielen!“, rief ich schnell.
gefühl! Und auch sie sitzt also in der Haut?“ „Richtig, Näpfli! Auch die Finger- und die
„Natürlich! In jedem kleinsten Stück Zehennägel sind nur darum geschaffen wor-
Haut! Siehst du sie denn nicht? Sie hört uns den, um sie zu schützen. Wäre sie aber nicht
schon die ganze Zeit zu.“ so feinfühlig, dann könnte sich der Mensch
Da riss ich meine Augen auf und entdeck- auch nicht mehr auf seinTastgefühl verlassen.“
te nun tatsächlich die Prinzessin Wehweh. Sie „Selbstverständlich!“, sagte ich. „Ihr 4
war so zierlich wie die zarteste Blumenelfe, Prinzessinnen seid nur deshalb so empfind-
aber todernst. Ich grüßte sie mit einer tiefen sam, um den Menschen warnen, leiten und
Verbeugung, sie jedoch schaute glatt über ihm nützen zu können.“
mich hinweg. „Das hast du schön gesagt“, nickte Prin-
„Meine Schwester Wehweh spricht nur, zessin Oho.
wenn der Mensch in Gefahr ist“, erklärte Prin- Seht ihr, und so habe ich erfahren, was
zessin Oho das Verhalten ihrer Schwester. es mit der Haut des Menschen auf sich hat.
„Sie sitzt und lauscht wie der Arzt am Bett Sehr freundlich von den Prinzessinnen ent-
des Kranken. Nichts entgeht ihr. Es gibt wohl lassen, schwamm ich wieder zurück und sag-
kaum ein zweites Wesen auf der Welt, das te zu den Talg- und Schweißdrüsen: „Ha, jetzt
so aufmerksam wie sie ist und so feinfühlig. weiß ich alles von der Haut! Ich weiß, dass in
Leider dankt ihr der Mensch schlecht. Er liebt der Haut das Tastgefühl, das Wärmegefühl,
den Schmerz nicht und verwünscht sie im- das Kältegefühl und das Schmerzgefühl ste-
mer, sowie sie ihre Stimme erhebt.“ cken. Ich weiß, dass die Haut aus 3 Schich-
„Was aber das Feingefühl anbelangt“, ten besteht, dass sie für eine gleichmäßige
sagte da plötzlich eine zarte Stimme, „da Körperwärme sorgt, dass sie Schmutz und
kann ich mich auch sehen lassen.“ Krankheitskeime vom Körper fernhält. Ja,
„Wer spricht denn da?“, fragte ich. das weiß ich nun alles!“
„Das war meine Schwester Aha“, klärte Die Talgdrüsen schmunzelten: „Eines
mich Prinzessin Oho auf. „Es ist wahr, sie aber hast du noch vergessen, Näpfli. Die
ist so feinfühlig, dass der Mensch fast ohne Haut ernährt auch die Haare! Wir Talgdrüsen Die große Zentrale:

S
Augen auskommt, wenn er sich nur auf sie sorgen dafür. Die Haare sind sehr wichtig! das Gehirn
verlässt. Sie sagt ihm haarscharf alles, was Sie schützen und wärmen die edelsten Teile
er von den Dingen wissen muss. Sie sagt des Körpers.“ chon oft hatten mir andere Blutkörper- noch in eine feste und eine sehr zarte Haut
ihm: Der Samt ist weich, die Distel ist sta- Na ja, man lernt eben nie aus, dachte ich chen vom Gehirn berichtet, von diesem so gehüllt, und zwischen diesen beiden Häuten
chelig, der Sand ist körnig, der Stein ist rau, und schwamm unverzüglich weiter. Ich glau- kostbaren Organ. Ich aber bekam erst am befände sich Wasser.“
die Tischplatte ist glatt, der Würfel ist kantig, be, auch euch wird es nicht leichtfallen, gleich zwanzigsten Tag meiner Stromfahrt den „Stimmt!“, antwortete das Blutkörper-
der Schuh ist zu eng, das Hemd kratzt – kurz alles zu behalten, was ich euch soeben von Auftrag, frischen Sauerstoff in dieses große chen. „Das Gehirn liegt in der Knochenkap-
alles, was sich ertasten und erfühlen lässt“. der Haut erzählte. Aber strengt euch nur an! Wunderwerk zu bringen. sel des Schädels und ist wie eine Schildkröte
„Dann vermittelt also die Prinzessin Aha Denn das nächste Mal, wenn ich euch vom „Wie gelangen wir überhaupt in das Ge- ringsum gepanzert. Aber genauso wie bei
dem Menschen das Tastgefühl?“, rief ich aus. Gehirn erzähle, wird die Sache noch viel, viel hirn hinein?“,fragte ich ein Blutkörperchen, das der Schildkröte für die Beine, den Hals und
„Darf ich sie besuchen?“ schwieriger. Da wird euch nichts übrigblei- diesen Weg schon mehrmals zurückgelegt den Schwanz kleine Öffnungen in ihrem Pan-
„lch glaube kaum, dass sie dich empfan- ben, als meinen Bericht unters Kopfkissen hatte. „Ich habe gehört, das Gehirn sei rings- zer ausgespart sind, so hat auch der Gehirn-
gen wird. Meine liebe Schwester bleibt gern zu legen. um von Knochen umgeben, sei außerdem panzer kleine Tore. Durch diese treten das

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Rückenmark, die Adern und die Nerven „Stimmt alIerdings“, gab Professor Ge- Magen, den Rachen und die Lippen. Dann be-
in das Gehirn ein und aus.“ dächtnis zu. „Auch sollte man es immer erst komme ich bald neues Wasser und kann dir
„Und ist es wahr, dass dieser Kno- mit der Höflichkeit versuchen.“ wenigstens 500.000 Schweißporen zur Ver-
chenpanzer sehr hart ist?“ „Deswegen“, nickte Professor Wissen, fügung stellen.“
„Natürlich! Steinhart sogar!“ „werde ich lieber eine Anweisung an die Zunge Ihr könnt euch denken, dass ich Mund, Au-
„Das verstehe ich nicht“, meinte ich. geben, diesem Flegel den ‚Kopf zu waschen‘.“ gen und Ohren aufsperrte. Ganz dicht war ich
„Wenn das Gehirn wirklich in einem „Ich aber werde Prinzessin Wehweh an die Messuhren herangetreten und wurde
steinharten Knochenpanzer steckt, sagen lassen, dass sie sich nur wieder be- nun plötzlich von dem Wasserfachmann ange-
dann kann es doch nicht wachsen!“ ruhigen soll“, meinte Professor Erfahrung. redet, was ich hier zu suchen hätte.
„Warum denn nicht? Der Panzer „Schmerzende Hühneraugen bedeuten kei- „Ich – ich“, stotterte ich erschrocken, „ich
wächst doch mit!“, antwortete das ne Gefahr. Damit wäre dann also dieser Fall soll hier Sauerstoff abladen!“
Blutkörperchen. „Weißt du nicht, dass erledigt?“ „Wir haben noch genug Sauerstoff. Stör
die Knochen der Schädelkapsel beim „Einverstanden!“, nickten die Professoren hier nicht! Du siehst doch, dass wir sehr be-
jungen Menschen noch weich und Gedächtnis und Wissen und gaben ihrerseits schäftigt sind!“
biegsam sind, dass sie erst im Laufe ihre Anweisungen weiter. „Freilich!“, rief ich beflissen. „Ich schaute
der Jahre miteinander verwachsen Ich aber schlich leise hinaus, verließ das auch schon in das Arbeitszimmer der Profes-
und hart werden?“ Großhirn, begab mich ins Zwischenhirn und soren Erfahrung, Wissen und Gedächtnis.
„Ach so! Dann besteht also die nächst einmal sehr enttäuscht. Denn ich sah stand bald darauf vor einer zweiten Tür. Und ich – “
Schädelkapsel gar nicht aus einem einzigen wahrhaftig nur graue und runzlige Lappen, „Fachberater für den Wärme- und Was- „Mit denen haben wir nichts zu tun!“, un-
Stück, sondern fügt sich aus einzelnen Kno- die wie eine riesige Walnuss aussahen. Un- serhaushalt“ las ich auf dem Schild. Ich klopf- terbrach mich der Wärmefachmann unwillig.
chen zusammen?“ mittelbar vor mir lag der große Stirnlappen. te diesmal an und lugte erst danach vorsichtig „Diese Professoren arbeiten ja nur, wenn der
„Ja“, nickte das Blutkörperchen. „Der Und plötzlich stand ich vor einer Tür mit der in das Zimmer. Ich sah 2 Herren in weißen Mensch wach und bei Bewusstsein ist. Wir
Knochenpanzer des Gehirns besteht aus Aufschrift „Fachberater Erfahrung, Wissen Kitteln, die vor großen Messuhren saßen und aber arbeiten selbst dann, wenn der Mensch
einzelnen Knochen, die erst im Laufe des und Gedächtnis“. Leise drückte ich die Tür aufmerksam deren hin und her spielende Zei- schläft und nichts mehr von sich weiß. Ohne
Lebens zu einer festverzahnten Kapsel ver- auf und erblickte 3 alte Herren mit langen ger beobachteten. uns würde das Zusammenspiel der Organe
wachsen. Außerdem aber ist diese innen mit Bärten, die dicke Hornbrillen trugen. Jeder „Prinzessin Oho meldet, dass es bei ihr gar nicht klappen. Denn wir sind es, die die
feinen Häuten austapeziert. Und zu allem von ihnen hatte sich eine Art Kopfhörer über fürchterlich warm sei“, sagte gerade der eine wichtigsten Befehle erteilen. Wir sagen dem
Überfluss ist zwischen diesen beiden Häu- die Ohren gezogen. Meinen Eintritt beachte- Weißbemäntelte. „Und sie übertreibt nicht, Herzen: ,Schlag schneller oder langsamer!‘,
ten noch –“ ten sie nicht. Vielmehr teilte der eine gerade mein lieber Ingenieur Wassermann, meine und bestimmen damit die Geschwindigkeit
„Wasser vorhanden!“, rief ich schnell. den anderen beiden mit: „Ich empfange da Messuhr zeigt 25 Grad an. Ich muss min- des Blutstromes. Wir sagen dem Magen:
„Na also!“, lachte da der kleine kluge Kerl. soeben eine Meldung der Prinzessin Weh- destens eine Million Schweißporen öffnen ,Verlang nach Nahrung und Flüssigkeit!‘, und
„Du siehst, das Gehirn liegt wunderbar weich weh! Es hat jemand dem Menschen auf das lassen.“ sichern damit die Erhaltung des Körpers.“
in der harten Kapsel und kann sich weder sto- Hühnerauge getreten. Prinzessin Wehweh „Eine Million gleich?“, entsetzte sich der Und der etwas geduldigere Wasserfach-
ßen noch drücken. Bist du nun beruhigt?“ jammert zum Steinerweichen!“ Ingenieur Wassermann. „Wo denkst du hin? mann fügte erklärend hinzu: „Es gibt hier im
„Vollkommen!“, lachte auch ich. „Jetzt „Dieser Jemand ist ein Flegel, der das Das ist ja fast die Hälfte aller Schweißporen! Gehirn zwei getrennte Abteilungen. Die eine,
möchte ich nur noch wissen, wie das Gehirn immer tut, mein lieber Professor Erfahrung!“, Da geht mir zu viel Wasser verloren!“ zu der auch die 3 Professoren gehören, wird
eigentlich aussieht und woraus es besteht.“ antwortete der andere alte Herr, der eine „Ich muss aber unbedingt für Kühlung
„Ehe ich dir das erklärt habe, sind wir riesengroße Stirn hatte. „Ich entsinne mich sorgen!“, bestand der Wärmefachmann auf
längst oben, und du kannst es dir selbst be- genau. Eine Ohrfeige müsste der Kerl be- seiner Forderung.
trachten. Im Grunde besteht es aus grauen kommen! Ich werde sofort die Anweisung „Dann gib doch Anweisung an das Herz,
Gehirnzellen, die von weißen Nervenfasern an die Hand weitergeben!“ dass es rascher pumpen soll! Wenn der Blut-
durchwachsen sind. Diese grauen Gehirnzel- „Halt, halt, lieber Professor Gedächtnis!“, strom schneller kreist, gelangt mehr Blut in
len ballen sich im Großhirn zu Lappen zusam- mischte sich jetzt der dritte alte Herr ein. die Haut, um sich dort abzukühlen.“
men, die, je nachdem wo sie liegen, Stirn-, „Ohrfeigen haben wenig Zweck und richten „Schon recht!“, nickte der Wärmeingeni-
Schläfen-, Hinterhaupt- und Scheitellappen oft nur größeres Unheil an. Sie können sogar eur. „Doch wird das nicht genügen. Ich werde
genannt werden. Alle zusammen bilden 2 das Trommelfell verletzen!“ darum noch die Lungen anrufen, dass sie ra-
große Halbkugeln, die durch einen starken „Professor Wissen hat recht“, sagte nun scher atmen sollen und so ihrerseits einen Teil
Balken miteinander verbunden sind. Aber da der Professor Erfahrung. „Erst kürzlich hat der überschüssigen Wärme hinausbefördern.“ Der
schwimmen wir schon ins Gehirn!“ uns eine Ohrfeige viele Püffe und Prellungen „Gut!“, freute sich der Wasserfachmann. Wasserhaus-
Ja, und ich, liebe Freunde, ich war zu­- eingetragen.“ „Inzwischen gebe ich den Durstbefehl an den halt wird gesteuert.

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vom Willen des Menschen beeinflusst. Die Professor Wissen aber wird sagen: ‚Vor- Der winzigste
andere aber, zu der wir beide gehören, arbei- beugen ist besser als Heilen! Werde ge-
tet, ohne dass der Mensch hineinreden kann. scheit, Mensch!‘ Sonst aber unternehmen Baustein der Welt
Der Mensch merkt gar nichts davon, dass wir diese drei Herren nichts weiter.“
da sind. Er weiß auch nicht, was wir alles für „Der Anruf der Zahnnerven erreicht je-
ihn tun. Er hat ja auch keine Ahnung, was alles doch gleichzeitig auch uns“, fuhr der Was-
beachtet sein will, damit der große Zellstaat serfachmann fort. „Die Hitze, die sich im
richtig funktioniert. Ist dir das jetzt klar?“ erkrankten Zahn entwickelt, bringt den Zei-
„So ziemlich“, antwortete ich. „Wie aber ger auf der Messuhr meines Kollegen zum
erfahrt ihr denn nun eigentlich, dass irgendet- Ausschlagen. Dann geht der Befehl an das
was im Körper nicht in Ordnung ist? Und wie Herz, den Blutkreislauf zu beschleunigen und zusammengefügt, aneinandergesetzt wird.
gebt ihr eure Anweisungen an die einzelnen viel Blut zu dem kranken Zahn zu jagen, um Wo jetzt überall so viel gebaut wird, kennt
Organe weiter? Habt ihr da eine Art Telefon? die fiebrige Hitze nach außen abzuleiten. Ich ihr ja sicherlich alle die verschiedensten Bau-
Die 3 Professoren hatten ja Kopfhörer auf.“ aber rege inzwischen die Speicheldrüsen des steine und habt auch zugesehen, wie sie von
„Hm, hm!“, räusperte sich der gutmütige Mundes an, recht viel Flüssigkeit abzuson- Die Knochenzelle den Maurern mit Hilfe des grauen Mörtels zu
Wasserfachmann. „Du bist ein nachdenk- dern, um den Zahn ein wenig zu kühlen.“ Wänden aufgemauert werden. Diese Bau-

K
liches Blutkörperchen. So merke dir also: „Ja, und nun wird es Zeit, dass du ver- steine sind tote Dinge. Von sich aus bringen
Jedes Organ und sogar jede einzelne Zelle schwindest, mein neugieriges Freundchen!“, sie gar nichts fertig. Der Mensch muss sie
des menschlichen Körpers ist durch ein weit- rief der Wärmefachmann. „Wir haben noch önnt ihr euch, liebe Freunde, noch da- in die Hand nehmen und nach seinen Plänen
verzweigtes Nervennetz wie durch eine Tele- mehr zu tun, als dir die Arbeit des Gehirns rauf besinnen, was ich euch im ersten Kapi- etwas aus ihnen zusammensetzen. Das ist
fonleitung mit den einzelnen Befehlsstellen zu erklären!“ tel erzählte? Ich berichtete euch darin, wie doch klar?!
im Gehirn verbunden. Sobald irgendwo im Das sah ich ein. Ich dankte den beiden ich zur Welt kam, wie ich also in dem roten Die Zellen aber – das erwähnte ja schon
Körper etwas nicht in Ordnung ist, klingelt es Fachmännern herzlich und schwamm weiter. Mark eines Wirbelknochens geboren wurde. die Knochenzelle – sind lebendige Bausteine.
hier oben bei uns genauso, als wenn jemand Ich drang wissensdurstig von einem Gehirn- Schon an jenem, meinem ersten Lebenstag Oder noch viel besser ausgedrückt: die Zellen
anruft. Die Nerven könntest du also mit Tele- lappen in den anderen vor, wanderte vom erklärte mir eine Knochenzelle, dass der sind schon richtige kleine Lebewesen! Das
fondrähten vergleichen und das Gehirn mit ei- Großhirn in das Zwischenhirn und endlich in Leib aller Geschöpfe auf unserer Erde, aller heißt, sie atmen, sie nehmen Nahrung zu sich
ner Telefonzentrale, wo aIle Anrufe einlaufen.“ das Kleinhirn. Ich lernte alle die Fachmänner Pflanzen, Tiere und Menschen, aus unend- und verbrauchen sie, sie wachsen, sie verän-
„Du musst dir das an einem Beispiel klar- kennen, die das Atmen, das Verdauen, das lich vielen und sehr verschiedenartigen Zel- dern sich, sie erzeugen fast ununterbrochen
machen“, mischte sich hier der etwas hitzige Sehen, das Gehen und das Sprechen regeln. len besteht. Sie sagte: „Wir Zellen sind die wichtige Lebensstoffe und nehmen lebhaften
Wärmefachmann ein. „Nimm also an, ein So sah ich den Riech- und den Sehnerv ne- lebendigen Bausteine der Natur. Bausteine, Anteil an allem, was im Körper geschieht.
Zahn hätte ein Loch bekommen. Sofort mel- ben den 3 Augenmuskelnerven, den dreiäs- die sich biegen und dehnen, recken und stre- Ihr braucht euch, um das richtig zu verste-
det uns der Zahnnerv: ,Achtung, Zahn krank!‘ tigen Gefühlsnerv für den Kopf, das Gesicht cken, die sich gleich lebendigen Geschöpfen hen, ja nur an die weißen Blutkörperchen zu
Dieser Anruf ist in Bruchteilen einer Sekunde und die Kaumuskeln, den für das Mienen- teilen und vermehren.“ Jetzt entsinnt ihr erinnern, die mir bei meiner ersten unterirdi-
später im Gehirn eingetroffen und wird auch spiel neben dem Gehörnerv und dem Zun- euch, nicht wahr? schen Stromfahrt begegneten. Geradewegs
von den Herren Professoren Erfahrung, Wis- gennerv, die Eingeweidenerven, die auch Na ja, und damals war ich der Knochen- wie alarmierte Sanitäter bewegten sie sich
sen und Gedächtnis empfangen. Professor Herz und Därme versorgen; alles in allem zelle recht dankbar für ihre erklärenden Wor- durchaus selbständig, schwammen sogar ge-
Erfahrung wird dann sagen: ,Da haben wir 12 Gehirnnerven, dicke Stränge, ähnlich Ka- te, obwohl ich sie nur halb verstanden hatte. gen den Blutstrom und eilten spornstreichs
es wieder! Mangelnde Zahnpflege!‘ Profes- beln. Außerdem zweigte eine große Zahl von Und – Hand aufs Herz! – wahrscheinlich wird
sor Gedächtnis wird hinzufügen: ,Du weißt Nervenpaaren aus dem Rückenmark ab. So es euch ähnlich ergangen sein, wie? Erst viel
doch hoffentlich noch, lieber Mensch, dass langsam war es mir nun aufgegangen, und später, als ich den großen Zellstaat Mensch
du durch einen vernachlässigten Zahn einmal wohl auch euch, liebe Freunde, welche Wun- auf unzähligen Fahrten im Blutstrom durch-
große Schmerzen erleiden musstest!‘ derwerkstatt das Gehirn ist. wandert hatte und dabei oft mit anderen
Zellen bekannt geworden war, begriff ich die
ganze wunderbare Eigenheit der Zellen so
richtig.
Am meisten hatte mich im Anfang ver-
wirrt, dass die Knochenzelle sich und die an-
deren Zellen als Bausteine bezeichnete. Denn
einen Baustein, den stellt man sich doch als ein
Gebilde vor, aus dem irgendetwas aufgebaut, Die Muskelzelle

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wurden sogar einige Wochen alt!“
Ist das nicht toll? Ist das nicht wunder-
bar? So etwas vermag kein Baustein. So et-
was bringt eben nur ein lebendiges Wesen
fertig. Ja, und wenn wir nun einmal alle die
oben erwähnten Zellen durch das Mikroskop
anschauen würden, dann könnten wir stau-
nend sehen, wie verschiedenartig die Zellen
gebaut sind. Sie gleichen durchaus nicht
etwa – wie zum Beispiel viele Pflanzenzel-
len – einer Bienenzelle oder einem ähnlichen
kleinen Kämmerchen. Nein, je nach ihrer be-
sonderen Aufgabe nehmen sie eine ganz
besondere Gestalt an. Die weißen Blutkör-
perchen erinnern fast an eine Amöbe oder „Wir Zellen sind ihnen noch heute ein großes Geheimnis!“
ein Wechseltierchen. Und wie jenes winzige
Freund „Pfiffig“, Tierchen, das aus einer einzigen Zelle be- Aber so winzig wir auch sind, wenn ihr Zellleib umschließt eine ganz, ganz zarte
die graue Gehirnzelle steht, können sie Scheinfüßchen wie kleine uns alle säuberlich nebeneinander legen Wandung. Bei den Pflanzenzellen dagegen
Lappen ausstrecken, können sich dünn und würdet, könntet ihr mit unseren Körperchen sind diese Hautwände deutlich zu sehen und
schmal machen, können sich rings um den einen halben Fußballplatz pflastern oder aber beträchtlich dicker. Deshalb erinnern die Pflan-
dorthin, wo sich der Mensch geschnitten Bakterienfeind ringeln und können sich re- ein Band bilden, das ihr fünfmal rund um die zenzellen auch viel mehr an Kämmerchen als
hatte. An der Wunde versammelten sie sich gelrecht zusammenballen. Von ihnen leben Erde wickeln könntet! Im ganzen Körper sind wir. Ich aber habe – wie alle erwachsenen
und stürzten wie auf ein Kommando auf den in jedem Kubikmillimeter Blut etwa 4.000 wir nämlich ein Heer von 20 bis 30 Billionen! roten Blutkörperchen – keinen Zellkern mehr.
eingedrungenen Schmutz, umzingelten die bis 8.000. Die Fettzellen wiederum sind rund und Der schrumpft bei uns ein. Und deswegen
Krankheitskeime und verschluckten sie re- Wir roten Blutkörperchen dagegen sind dick, sie erinnern fast an Tröpfchen. Die sehr können wir roten Blutkörperchen uns auch
gelrecht. Viele von ihnen starben an dem Gift, flach und rund, oben und unten ein wenig unregelmäßig gebildeten Knorpelzellen lie- nicht teilen und vermehren wie die anderen
opferten sich also für den großen Zellstaat eingenapft – deswegen heiße ich ja Näpfli! – gen ähnlich wie die Löcher im Schweizer Zellen.
auf und verwandelten sich in Eiter. und viel kleiner. Von uns gibt es in jedem Ku- Käse in der Knorpelmasse. Die Knochenzellen Doch komme ich auf den Zellkern erst
In derselben Weise ‚weiß gleichsam‘ bikmillimeter Blut 4,5 bis 5 Millionen! gleichen dicken Spinnen mit Dutzenden von in der nächsten Geschichte zu sprechen. Hier
auch jede andere Zelle unseres Körpers ganz dünnen Beinchen. Bei den Nervenzellen sind möchte ich euch nur noch sagen, dass unser
genau, was sie im Interesse des Zellstaates diese ausstrahlenden Faserbeine noch viel gallertartiger Zellleib das Wunder aller Wun-
zu tun und zu lassen hat. So sind die Fett- länger und feiner, außerdem reich verästelt. der auf dieser Erde ist. Denn in diesem win-
zellen immer bemüht, reichlich Fettstoffe in Die FIimmerzellen in der Luftröhre haben fast zigen Schleimklümpchen – das die gelehrten
Reserve zu halten, sorgen die Knochenzel- die Gestalt von winzigen Süßwasserpolypen, Leute Protoplasma nennen – spielen sich alle
len für den genügenden Nachwuchs an roten die ihr vielleicht von eurem Aquarium kennt. die Dinge ab, von denen ich vorhin sprach.
Blutkörperchen, strengen sich die Muskel- Ganz so wie jene ihre Fangarme lassen sie Hier geschieht wie in eurem Riesenkörper,
zellen an, alle angeforderte Arbeit zu leisten, ununterbrochen ihre zierlichen Flimmerhaare der aus Milliarden und Abermilliarden von
melden die Sinneszellen gewissenhaft jede spielen. Die glatten Muskelzellen könnte man Zellen besteht, auf allerkleinstem Raum und
Wahrnehmung und beantworten die Gehirn- mit Liliputspindeln vergleichen und die Deck- auf die allereinfachste Art und Weise, was
zellen alle ihnen gemeldeten Reize. zellen der Haut sind so flach und so vieleckig notwendig ist, damit die einzelne Zelle dem
Ja, mein Freund Pfiffig, die graue Gehirn- wie ganz dünne Mosaikplättchen. großen Zellstaat richtig dienen kann. Hier wer-
zelle, sagte mir: „Ob du es glaubst oder nicht, Im Durchschnitt messen wir menschli- den die Nährstoffe aufgenommen, verdaut,
Näpfli, die Zellen sind so sehr selbständige chen Zellen ein vierzigstel bis ein zwanzigstel verwandelt, umgebaut, aufgespeichert und
Geschöpfe, dass sie sogar ohne den Körper Millimeter. Mit dem bloßen Auge könnt ihr wieder abgegeben. Hier wird genauso wie in
leben können. Schon oft haben berühmte uns also gar nicht sehen. den großen Organen eures Körpers auf- und
Forscher und Ärzte den Körpern frisch ge- Eines aber haben wir Zellen alle gemein- umgebaut.
töteter Tiere etliche Zellen entnommen und sam: einen kleinen Kern, der von einer mehr
sie in eine entsprechende Nährflüssigkeit ge- oder weniger weichen, meist gallertartigen
bracht. Und siehe da, diese Zellen lebten wei- Masse, dem Zellleib, umgeben ist. Diesen
ter, wuchsen weiter, vermehrten sich weiter, Die Fettzelle

50 51
Aus Billionen Zwergen wird ein Riese

Grüß Gott, liebe Freunde! Habt ihr etwa


von den lebendigen Zellbausteinen geträumt?
Hoffentlich! Das wäre mir ein Beweis dafür,
dass euch die Sache mit den verschiedenen
Zellen unseres Körpers angeregt und bewegt
hat. Ich aber glaubte neulich, am helllichten
Tag zu träumen. Da rief mich nämlich mein
Freund Pfiffig – ihr wisst doch, er ist eine graue
Gehirnzelle und ein dreimalkluges Kerlchen –
von seiner Telefonzentrale im Gehirn an.

N äpfli“, sagte er, „du warst doch noch


nie dabei, wenn sich die Zellen teilen und
vermehren, nicht wahr? Also, mein lieber
wissensdurstiger Freund, dann setz dich mal
in Bewegung! Wohin du dich auch wenden
wirst, allüberall wirst du Zellen treffen, die
sich teilen. Reiß deine Augen auf und halt
die Verbindung mit mir, damit du mich immer
gleich fragen kannst, wenn du etwas nicht
begreifen solltest!“ im Zellkern zusammengeballte Erbgut lose in
Ich schwamm natürlich sofort los; das der Zelle herum. Diese schwimmenden Erb-
Fünfmal um die Erde heißt, ich war sowieso auf der Reise zum gro- gutfäden werden jetzt vor der Zellteilung ver-
ßen Oberarmmuskel, zum Bizeps, um ihm fri- doppelt, damit aus der einen Zelle zwei Zellen
schen Sauerstoff zuzutragen, und hoffte, dort mit dem genau gleichen Erbgut werden kön-
die Teilung von Muskelzellen gut beobachten nen, zwei Zellen, die sich gleichen wie ein Ei
zu können. dem anderen.“
Als ich ankam, waren sich die Muskel- „Pfiffig“, rief ich dazwischen, „jetzt wer-
zellen des Bizepses gerade einig geworden, den die langen Fäden kürzer und dicker und
dass sie unbedingt Nachwuchs brauchten, ordnen sich plötzlich alle in der Mitte der Zelle
um auch weiterhin die von ihnen geforderte an.“
Arbeit leisten zu können. Gerade veränderte „Ja, Näpfli, nach der Verdoppelung
sich bei vielen der Kern in der Mitte ihres Lei- schrumpfen die langen Fäden zu dicken
bes. Der Zellkern löste sich einfach auf, und kurzen Häkchen zusammen, die man auch
es wurde ein Gewirr langer und dünner Fäden Kernschleifen nennt. Sie ordnen sich in der
sichtbar. Mitte der Zelle an, sie teilen sich, und die eine
Ja, in diesem unserem Zellleib liegt über- So also, liebe Freunde, steht es um die Als das geschah, rief ich gleich meinen gleiche Hälfte wandert zum Nordpol der Zelle
haupt das ganze Geheimnis des Lebens kleinsten Bausteine der Welt! Und im folgen- Freund Pfiffig an und fragte ihn, was das zu und die andere gleiche Hälfte zum Südpol. Die
eingeschlossen. Und so fleißig die großen den Kapitel, da reden wir vom Zellkern, der bedeuten habe. innere Teilung der Zelle ist damit vollendet.“
Naturforscher uns auch schon beobachtet es möglich macht, dass aus vielen Billionen „Das ist genau der Beginn der Zellteilung“, „Ja, ich sehe es deutlich“, rief ich. „Und
haben, wir sind ihnen noch heute ein großes Zellzwergen ein gewaltiger Riese wird. antwortete Pfiffig. „Wenn sich der Zellkern auf- jetzt schnürt sich die Zelle in der Mitte ein,
Geheimnis. gelöst hat, dann schwimmt das ursprünglich jetzt bekommt sie zusehends eine Taille!“

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„Jawohl! Nun kann auch die äußere Tei- Beutemachen, die Dritten das Verdauen, die dass sich diese Zellspezialisten nun wieder- du hast sogar richtig geraten! Aber über diese
lung vor sich gehen. Du siehst, wie sich eine Vierten den Schutz der Gemeinschaft, die um zu Zweckverbänden zusammenschließen Gewebeverbände wollen wir uns ein anderes
Einschnürung bildet, aus der eine Durch- Fünften das Sehen, die Sechsten die Fort- müssen, um die ihnen gestellten Aufgaben, Mal unterhalten. Denk jetzt lieber gut darü-
schnürung wird, so dass sich die Zelle lang- pflanzung usw. Das ist auf der einen Seite die ja mit der Größe des Zellstaates immer ber nach, was du eben gesehen und erfahren
sam halbiert. Vorher aber, mein kluges Näpfli, ein großer Fortschritt und lässt sie das Le- größer werden, bewältigen zu können. Und hast. Es war immerhin ein kleiner Blick in das
vorher aber, was ist da noch geschehen?“ ben viel leichter bestehen. Auf der anderen da fiel mir ein, dass Freund Pfiffig vorhin von große Geheimnis des Lebens!“
„Ach so, natürlich, vorher haben sich die Seite aber verlieren die einzelnen Spezialis- Geweben gesprochen hatte. Na ja, und da hat Freund Pfiffig zweifellos
Kernschleifen am Nordpol und am Südpol der ten bald die Fähigkeit, das Leben allein zu „Sag mal, Pfiffig“, fragte ich darum, „die recht. Aber in der nächsten Geschichte muss
Zelle wieder zusammengeballt und sind zu bewältigen.“ Verbände der spezialisierten Zellen wären ich doch noch einmal auf die Gewebe zurück-
zwei weit voneinander getrennten Zellker- „Natürlich“, warf ich ein, „immer mehr ist dann also die Gewebe?“ kommen. Und dann erzähle ich euch alles,
nen geworden.“ dann der eine auf den anderen angewiesen! „Du bist einfach unheimlich gescheit“, ant- was ich darüber erfahren konnte.
„Ausgezeichnet beobachtet!“, lobte mich Sie wachsen eben richtig zusammen –“ wortete der immer spottlustige Pfiffig, „und
Pfiffig. „Und aus den 100 oder 1.000 oder
„Und auf diese Weise vermehren sich 100.000 einzelnen Zellzwergen wird ein ein-
also alle Zellen?“, fragte ich noch. ziger Riese!“, rief Pfiffig. „Aus der Kolonie,
„Ja“, bestätigte Pfiffig, „so geht das bei aus dem lockeren Verband, aus der engen
allen Zellen vor sich, ganz gleich, ob wir es Nutz-, Schutz- und Trutzgemeinschaft dieser
nun mit Pflanzenzellen oder mit Tierzellen zu abertausend winzigen Einzelgeschöpfe wird
tun haben. Auf diese Weise vermehren sich ein großer Organismus, wird ein Zellstaat!“
auch die meisten der einfachsten Lebewe- „Großartig!“, rief ich begeistert. Denn
sen der Welt, die nur aus einer einzigen Zelle auf einmal fiel es mir wie Schuppen von
bestehen, wie z. B. Wechseltierchen, Geißel- den Augen. Auf einmal begriff ich, dass die Die Zelle mit festem Zellkern Jede Kernschleife teilt sich der Länge
tierchen, Wimpertierchen, Sporentierchen, ungezählten Zellen, die alle zusammen den nach – die Zelle schnürt sich ein
Strahlentierchen und wie sie alle heißen. menschlichen Zellstaat bilden, ebenfalls
Aus dem Muttertier werden durch einfache durchaus einseitige Spezialisten sind und
Teilung immer zwei Tochtertierchen, die ein- sogar sein müssen. Mir wurde auch klar,
ander gänzlich gleichen und die sich wieder-
um auf dieselbe Art und Weise vermehren.“
„Aber die Muskelzellen hier, die ich ge-
rade beobachtete, führen ja nun kein Leben
für sich wie diese einzelligen Urtierchen, sie
haben sich vielmehr zusammengetan zum
großen Armmuskel, zum Bizeps –“
„Zu einem Muskelzellverband!“, meinte
Pfiffig. „Viele Zellen zeigen diese Neigung, Der Zellkern verwandelt sich Es sind zwei Zellen entstanden –
sich miteinander zu verbinden. Man sagt, sie in viele dünne Fäden die Kernschleifen werden wieder
bilden ein Zellgewebe. Denn in der Gemein- zu dünnen Fäden
schaft lassen sich alle Aufgaben natürlich
leichter bewältigen, und man kann die Arbeit
untereinander aufteilen. Ganz ähnlich verei-
nigen sich auch viele der erwähnten einzelli-
gen Urtierchen. Die sogenannte Gitterkugel
oder Kugelalge aus unseren Moorgewäs-
sern besteht z. B. aus mindestens 1.500, oft
aber auch aus 20.000 einzelnen Geißeltier-
chen, die sich zusammengetan haben. Mit „… aus einer Zelle sollen zwei werden …“
der Zeit bildet sich dann bei den einzelnen
Mitgliedern dieses Verbandes eine gewisse Die Fäden verkürzen sich,
Spezialisierung heraus; das heißt, die einen es entstehen Kernschleifen Die Fäden werden zu Zellkernen –
übernehmen das Rudern, die anderen das (Chromosomen) die Zellen können sich wieder teilen

54 55
Näpfli erzählt von den Masse bilden sie eine mehr oder weniger auch noch, dass wir roten Blutkörperchen alle
starke Fett- oder gar eine dicke Speckschicht im roten Knochenmark geboren werden?!
Zellverbänden unter der Haut und geben allen Körperteilen Hm, und wer weiß, woraus das Knochenge-
eine gefällige Rundung. webe besteht? Natürlich aus Knochenzellen.
Noch stärkere Stützaufgaben haben die Im Grunde gleicht das Knochengewebe dem
Knorpelzellen zu erfüllen. Darum scheidet Knorpelgewebe ziemlich, ist aber viel härter

I
jede Knorpelzelle einen Stoff, eine Substanz und fester, ist überhaupt das festeste Ge-
aus, die sich leicht verhärtet, aber doch noch webe unseres Körpers. Das kommt daher,
m vorigen Kapitel schilderte ich euch, biegsam und elastisch bleibt. In diesem aus- weil sich der Stoff, den die Knochenzellen zur
liebe Freunde, wie sich die Muskelzellen geschiedenen bald bläulichen, bald gelbli- Festigung ihres Gewebes ausscheiden, zu
des starken Bizepses so munter durch ein- chen, meist milchglasartigen Festigungsstoff dichten Faserbündeln ordnet, die durch Kitt
fache Teilung vermehrten. Ist euch wohl da- liegen die Knorpelzellen ungefähr wie die Ro- zusammengehalten und durch Kalkkristalle zu
bei klar geworden, dass ebendieser kräftige sinen im Kuchen verstreut, oft vereinzelt, aber festen Bälkchen gehärtet werden. Die einzel-
Armmuskel, dieser berühmte Bizeps – auf ebenso oft auch zu zweien oder mehreren. nen etwas plattovalen Knochenzellen, die in
den so mancher Mann sehr stolz ist! – einen Ein solcher Knorpelzellverband stützt dieser festen Knochenmasse in kleinen Höh-
mächtigen, ja einen riesigen Muskelzellver- beispielsweise die Ohrmuschel und die Na- len liegen, sind untereinander durch lange
band darstellt? Dass er aus Tausenden und senscheidewand. Andere Knorpelgewebe Fortsätze verbunden. Mit diesen Fortsätzen
Abertausenden von Muskelzellen besteht, Greift nur einmal eure Arme von oben überziehen als sehr glatte und besonders reichen sie sich durch viele feine Kanälchen
die es nur gemeinsam fertigbringen, den nach unten ab! Befühlt das Fleisch auf dem elastische Schutzschicht alle Gelenkflächen gleichsam die Hände.
großen Menschenarm zu beugen? Handteller, den Ballen am Daumen, die und erleichtern deren Zusammenspiel. Feine Oh, es wäre noch viel mehr von den Kno-
Damit hättet ihr dann nämlich schon be- kleinen Polster an den einzelnen Fingerglie- Knorpelplatten versteifen auch den Kehlkopf chen zu berichten! Doch darüber erzähle ich
griffen, wie ein sogenanntes Körpergewebe dern – alles, alles Muskelgewebe! Die leicht und die Augenlider. Eigenartigerweise kann euch mehr im nächsten Kapitel. Jetzt will ich
entsteht und beschaffen ist. Es ist nichts verschiebliche Haut darüber aber ist der ich, als rotes Blutkörperchen, niemals ein euch lieber noch über die vierte Gewebeart,
anderes als der Zweckverband bestimmter ungeheure Zweckverband der Deckzellen, Knorpelgewebe, geschweige denn eine der das Nervengewebe, unterrichten. Die Ner-
Zellen, um ganz bestimmte Aufgaben im die alle zusammen das gewaltige Deckge- rundlichen Knorpelzellen besuchen. Höchs- venzellen kennt ihr ja schon und wisst, dass
Dienste des Körpers in gemeinsamer An- webe bilden. Millionen und Abermillionen tens bis zu der feinen Knorpelhaut kann ich sie die Aufgabe haben, vielerlei Reize aufzu-
strengung bewältigen zu können. von Deckzellen bilden diesen mächtigen kommen. In den Knorpelgeweben gibt es nehmen, weiterzuleiten und zu übertragen.
So haben beispielsweise die Muskelge- mehrschichtigen Hautsack, der die gesamte nämlich keine Blutgefäße! Toll, was?! Und Zur Aufnahme der Reize dienen vor allem die
webe – das hat mir mein Freund Pfiffig, die äußere Oberfläche des Körpers überzieht, darum weiß ich alles, was ich euch jetzt von vielen kurzen Verästelungen ihres Leibes, die
gescheite graue Gehirnzelle, mal fein erklärt bedeckt, abgrenzt und beschützt. den Knorpelgeweben erzählt habe, wiederum sie gleich fühlsamen und sehr empfindlichen
- die sehr bedeutsame Aufgabe, dem ganzen Ein nicht minder großer Zweckverband nur von meinem Freund Pfiffig. Antennen ausstrecken. Mit den anderen Ner-
Körper nicht nur die äußere Form und Gestalt von Deckzellen bekleidet als Schleimhaut Dagegen bin ich schon oft in den verschie- venzellen aber verbindet sie ein besonders
zu geben, sondern auch jede Formverände- die innere Oberfläche aller Körperhöhlen, der densten Knochengeweben gewesen. Denn langer Ausläufer, die lange Nervenfaser. Durch
rung zu bewirken. Mit anderen Worten: Die Nase, des Mundes, des Rachens, der Spei- durch die Knochen laufen wieder viele Blut- diese werden die Reize von Nervenzelle zu
Muskelgewebe straffen oder lockern den seröhre, des Magens, der Därme, der Luft- gefäße. Na ja, und das wisst ihr ja vielleicht Nervenzelle weitergegeben und schließlich
Körper, sie verleihen ihm die jeweilige Hal- röhre, der Lunge und aller anderen Organe. zu den verschiedenen Organen geleitet. Viele
tung, indem sie sich zusammenziehen oder Gefestigt wird dieser äußere Deckzellen- dieser Fasern bilden, wenn sie sich zu Strän-
wieder erschlaffen. verband durch das darunterliegende Bindege- gen vereinigen, besonders schnelle Leitungs-
Ganz gleich, ob wir nun bei einem leich- webe. Die in diesem wesentlich lockereren bahnen, die den Körper gleich Telefondrähten
ten Augenaufschlag bloß das Oberlid etwas Gewebe vereinigten Stützzellen bilden feine durchziehen. Das Nervengewebe gleicht
anheben oder ob wir beim Umgraben im Gar- elastische Fasern, die unsere Haut straffen also einem mehr oder weniger weitmaschi-
ten beide Beine und Arme sowie den ganzen und spannen. Andere dieser Stützzellen ver- gen Netz, das den ganzen Körper durchzieht.
Rumpf bewegen, immer sind die Muskelge- schmelzen zu noch festeren Fasern, nämlich Ein bisschen schwierig alles, nicht wahr?
webe dabei im Spiel. Kein Wunder also, dass zu straffen Sehnensträngen, die über ganz Das meinte auch schon mein Freund Pfiffig
es sehr viele Muskelgewebe oder Muskel- bedeutende Zugkräfte verfügen. damals. Er sagte aber auch: „Sie sind doch
verbände in unserem Körper geben muss. Zu einem eigenen Gewebe vereinigen eine großartige Sache, diese Zweckverbände
Das meiste rote Fleisch, das auf unseren sich übrigens auch die Fettzellen. In diesem der spezialisierten Zellen! Ohne sie hätte nie
Knochen sitzt, besteht denn auch tatsächlich Fettgewebe sind die Fettzellen ungewöhnlich ein größerer Organismus entstehen können.“
aus diesen zahlreichen großen und kleinen groß und meist kugelrund, sind gleichsam Und nun auf Wiedersehen bei der Besich-
Muskelgeweben. bis zum Platzen gefüllte Fettbehälter. In der tigung des Knochengerüstes!

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Das große knöcherne Baugerüst „Aha“, rief ich aus, „bei all diesen Tie-
ren ersetzte also die feste Haut das Kno-
chengerüst? Bei ihnen allen wurde der

H
Körper gleichsam nur durch die äußere Schale
zusammengehalten?“
allo, Näpfli, rotes Blutkörperchen! also, dass es glatt ein Fünftel des gesamten „Ja, NäpfIi, du Gescheitle, so ist es! So
Näpfli! Wo steckst du denn wieder? Melde Körpergewichts ausmacht.“ ist das bei allen diesen sogenannten niederen
dich doch einmal!“, so rief kürzlich mein ge- „Oh ja, das ist bestimmt großartig“, gab Tieren. Sie haben nur ein Hautskelett. Man
scheiter Freund, die Gehirnzelle Pfiffig, nach ich zu, „aber du hast es auch wahrlich span- nennt sie deshalb auch die wirbellosen Tiere.
mir. Ich aber war gerade auf der sausenden nend gemacht.“ Und eigentlich kann man nur dieses äußere
und brausenden Stromfahrt durch die rechte „Nicht ohne Absicht, Näpfli. Ich weiß Skelett mit einem Baugerüst vergleichen, wie
Herzkammer und hatte deshalb sein stürmi- doch, dass du alle deine Weisheiten von den wir es von jedem Hausbau her kennen. Viel
sches Rufen nicht gleich vernommen. Erst Wundern des menschlichen Körpers an die später erst, es ist etwa 400 Millionen Jahre
etwas später, nämlich in einem der vielen jungen Menschen weitergibst, dass du dar- Zwei Wirbeltiere her, wurde dieses Baugerüst in den Körper
tausend Lungenbläschen, wo ich dann Sau- über Geschichten erzählst. Na, und da dachte hineinverlegt, verstehst du?“
erstoff tankte, konnte ich mich melden. ich mir, die sollen ruhig ein bisschen staunen. Einzeller wie die, von denen wir kürzlich spra- „Klar“, rief ich. „Du willst sagen, dass
„Was ist denn los, schlauer Pfiffig?“, Denn was glaubst du wohl, wie lange die er- chen und von denen in jedem Wassertropfen das allererste Knochengerüst höchstens 400
fragte ich zurück. „Weißt du vielleicht etwas findungsreiche Natur brauchte, um dieses etliche Millionen leben. Kannst du dich noch Millionen Jahre alt ist. Schön, Pfiffig! Und
Neues von den vielen Geweben, über die einmalige Wunderwerk von einem Knochen- erinnern? Wir sprachen über sie, als wir uns welche Tiere hatten nun zuerst ein inneres
wir uns das letzte Mal unterhielten: von den gerüst zusammenzubasteln?“ klarzumachen versuchten, was eine Zelle ei- Baugerüst?“
Muskelgeweben, den Hautgeweben, den „Keine Ahnung, Pfiffig.“ gentlich ist.“ „Die Lanzettfischchen!“, antwortete Pfif-
Bindegeweben, den Knochengeweben – ?“ „Na, so ungefähr kleine 3,5 Milliarden „Ach so“, überlegte ich. „Das war in der fig. „Mit ihnen beginnt die Reihe der Wirbel-
„Jawohl“, unterbrach mich Pfiffig, „es Jährchen, denke ich“, sagte Freund Pfiffig Geschichte: ,Der winzigste Baustein der tiere. Und natürlich hatten sie anfangs noch
handelt sich tatsächlich um die Knochen! Von ganz gelassen. Welt‘?“ ein sehr bescheidenes und einfaches Gerüst.
denen habe ich soeben etwas erfahren. Sag Aber das konnte ich ihm nicht glauben. „Richtig!“, rief Pfiffig. „Und auch in der Es bestand zuerst nur aus einem elastischen
mal, mein liebes gutes Näpfli, kannst du bis Ich meine, wer kann sich das überhaupt Geschichte: ,Aus Billionen Zwergen wird ein Stab im Rückenbereich. Bei den sogenannten
200 zählen?“ vorstellen, was das für eine Zeitspanne ist? Riese ‘.“ Knorpelfischen, den Rochen und den Haien,
„Nur bis 200?“, fragte ich zurück und tat 3,5 Milliarden Jahre! War denn die Erde so „lch entsinne mich“, sagte ich. und bei den sogenannten Knochenfischen bil-
mächtig entrüstet. „Ist ja lächerlich, Pfiffig! furchtbar alt? Und deshalb fragte ich: „Du „Na also! Und aus diesen Einzellern deten sich dann langsam, langsam auch die
Natürlich kann ich das!“ willst doch nicht etwa behaupten, dass es wurden vor etwa 500 Millionen Jahren Viel- Wirbel und endlich die Rippen aus.“
„Na, dann zähle einmal bis 200!“, verlang- vor 3,5 Milliarden Jahren schon Lebewesen zeller, die man schon mit dem bloßen Auge Ich staunte nicht schlecht, was Freund
te Pfiffig ungeduldig. gab?“ zu entdecken vermochte, wurden schließlich Pfiffig da wieder einmal alles wusste, konn-
„Aber das ist doch viel zu langweilig!“, „Doch, mein liebes Näpfli, genau das will Schwammtiere, Korallentiere, Quallen, Wür- te mich aber ganz gut in dieses wunderbare
wehrte ich mich. „Warum denn? Muss das ich behaupten! Allerdings waren es winzige mer, Schnecken und Muscheln. Na, und alle Geschehen hineindenken. „Die Wirbelsäule
wirklich sein?“ Lebewesen. Sie bestanden nur aus einer diese Tiere haben noch keine Knochen, nicht ist demnach der wichtigste Teil vom ganzen
„Gewiss, Näpfli! Also komm, fang schon einzigen Zelle. Es waren also ganz ähnliche das geringste Knöchelchen oder Knorpelchen Knochengerüst?“, fragte ich.
an! 1, 2, 3, 4, 5 …“ im Leib. Nur die Haut und etliche Muskeln „Klar, Näpfli! Die Wirbelsäule ist die
Nun, es dauerte tatsächlich genau 5 Mi- halten ihren Körper zusammen. Und es war Hauptachse aller Wirbeltiere und auch des
nuten, bis ich bis 200 durchgezählt hatte. schon ein großer Fortschritt, wenn nun bei Menschen. Sie ist ein regelrechter Hauptpfei-
Und am Schluss lachte mein Freund Pfiffig den Krebsen, den Spinnen, den Tausendfü- ler des ganzen Knochengerüstes.“
vergnügt und meinte: „So, mein liebes ge- ßern und den Insekten wenigstens die Haut „Und heute, ich meine bei den Menschen,
scheites Blutkörperchen, nun wirst du es fest und immer fester, hart und immer härter wie sieht die Wirbelsäule nun aus?“
ganz bestimmt nicht mehr vergessen, dass wurde.“
sich das Knochengerüst des Menschen aus
206 Knochen zusammensetzt! Na, und sag
selbst, ist das nicht ein großartiges Gerüst?
Bedenke doch, aus 206 Teilen ist es zusam-
mengefügt, aus 206 kleinen und großen,
säulen- und röhrenartigen, platten- und
kuppel­förmigen Einzelteilen! Kein Wunder Unsere gute Biene hat keine Knochen. Einzeller Schwamm Koralle Qualle Wurm Schnecke Muschel

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zugleich der Brustkorb befestigt, der wieder „Ja“, bestätigte Pfiffig. „Und was ist das
aus 12 Rippenpaaren, dem Brustbein, den Knochengerüst noch? Überleg mal, NäpfIi!
beiden Schlüsselbeinen und den Schulter- Es ist ja kein starrer Panzer, nicht wahr? Es
blättern besteht. Oben auf der Wirbelsäule bewegt sich und es dient der - na, kommst
aber thront die knöcherne Schädelkapsel.“ du nicht drauf? Glaubst du, dass sich der
„Ach ja, ganz einfach“, murmelte ich, Mensch ohne das Knochengerüst überhaupt
obwohl ich mir vornahm, mir die einzelnen hätte aufrichten können, dass er stehen und
Knochen des Knochengerüstes doch einmal gehen, sich bücken, dass er laufen und sprin-
schön in Ruhe und schön der Reihe nach zu gen könnte?“ – „Nein, das wäre tatsächlich
betrachten. unmöglich!“, rief ich. „Natürlich, jetzt weiß ich
Pfiffig aber fuhr munter fort: „Und wenn es: Es dient der Bewegung! Ja, und ohne die
du ein wenig nachdenkst, mein liebes Näpfli, Handknochen könnte der Mensch auch nicht
dann erkennst du gleich, dass das Knochen- richtig zugreifen!“
gerüst den Körper nicht nur trägt und festigt, „Richtig, Näpfli! Schau dir doch nur einmal
sondern auch schützt. Die Schädelknochen die Hand an! Aus 27 einzelnen kleinen und Schon nach 2 Wochen war der Schaden so
bilden eine große feste Schale rings um das ungemein beweglichen Knochen ist dieser halbwegs repariert. Wie ein dickes Heftpflas-
Gehirn, bergen das innere Ohr und schüt- wunderbare Greifapparat, dieses großartigs- ter bedeckte das Kallusgewebe den Knochen-
zen die Augen. Der Brustkorb wölbt sich te aller Werkzeuge, zusammengesetzt. Selbst riss und wurde dann im Verlauf der nächsten
wie ein Panzer um die lebenswichtigsten der genialste Techniker der Welt könnte die Wochen ganz allmählich wieder abgebaut.
Organe, um die Lungen und das Herz. Das Hand nicht besser konstruieren. Das größte Heute ist der Bruch beim besten Willen nicht
Becken umgibt die anderen Organe. Kurz, Wunder an diesem ganzen Knochengerüst mehr zu entdecken.
das sogenannte Baugerüst ist zugleich ein aber ist, dass es –“ – „Ein lebendiges Gerüst Dies war zwar nur ein kleiner Schaden“,
Schutzgerüst!“ ist!“, rief ich schnell. meinte Pfiffig wichtig. „Die Knochen heilen
„Natürlich“, nickte ich, „das Knochenge- „Eben! Natürlich! Dass es lebt! Dass es aber selbst dann wieder zusammen, wenn
„Nun, aus dem ehemaligen Rückenstab rüst ist ein versteckter, ein innerlicher Panzer.“ immer wieder frisch aufgebaut wird, dass es sie gänzlich auseinandergebrochen und wo-
wurde allmählich ein langes, ein festes und immer fester und kräftiger wird und dass es möglich noch zersplittert sind. Nur müssen
knöchernes, aber dennoch bewegliches, sich sogar selbst ausheilen kann, wenn es be- dann die beiden Enden an der Bruchstelle
zweimal sanft geschwungenes Rohr. Ein schädigt wird. Weißt du noch, wie es war, als wieder richtig und ganz genau aneinanderge-
Rückenmarkrohr, das sich aus 7 Halswirbeln, sich der Mensch, den wir bewohnen, einmal fügt werden.“
12 Brustwirbeln, 5 Lendenwirbeln, 5 Kreuz- das Schlüsselbein gebrochen hatte?“ – „Frei- „Da muss dann also der Mensch mit sei-
beinwirbeln und 4 bis 5 Steißbeinwirbeln lich, Pfiffig! Er stolperte, stürzte, streckte die nem Verstand der Natur ein bisschen unter
zusammensetzt.“ rechte Hand vor, um sich aufzufangen, und die Arme greifen, damit die Knochen wieder
„Ach, die Halswirbel gehören auch das Schlüsselbein musste die ganze Wucht richtig zusammenwachsen?“
dazu?“, fragte ich. des Sturzes und die Schwere des Körperge- „Ja“, nickte Pfiffig, „und der Knochen
„Na klar, Näpfli, denn das Rückenmark wichts auffangen. Das aber war zu viel für den muss ganz ruhiggestellt werden. Deshalb legt
ist doch mit dem Gehirn verbunden! Das Schlüsselbeinknochen, obwohl er doch fester der Arzt einen Gipsverband um den gebroche-
weißt du doch, Näpfli! Du hast deinen jun- als das härteste Holz der Welt ist.“ – „Rich- nen Knochen, bis die natürlichen Heilkräfte
gen Freunden doch schon einmal das Gehirn tig!“ nickte Pfiffig. „Es gab also einen Knacks, den Schaden wieder behoben haben.“
beschrieben. Die 7 Halswirbel sind übrigens einen kleinen Riss – und was geschah dann?“ Ich wollte jetzt gerade noch einwerfen,
das Merkmal aller Säugetiere. Ob Maus, ob „Oh, zuerst einmal gab es einen Groß- wie wunderbar vor allem die Einrichtungen
Hund, ob Pferd, ob Giraffe: Sie alle haben 7 alarm für uns rote Blutkörperchen! Ich weiß sind, die das ganze Knochengerüst so be-
Halswirbel – und der Mensch auch!“ es noch ganz genau. Das Blut musste dem weglich gestalten, wollte auf die großarti-
„Toll!“, staunte ich. „Ja, aber wie baut sich angebrochenen Schlüsselbeinknochen sofort gen Erfindungen der Gelenke, der Kapseln,
das Knochengerüst des Menschen nun wei- viele neue Nährstoffe zutragen, damit er den der Scharniere und der Kugeln zu sprechen
ter auf?“ Riss sofort mit einem neuen kräftigen Binde- kommen, durch die die Knochen miteinander
„Das ist mit einem einzigen Blick zu be- Auf einen Blick gewebe –“ – „Dem sogenannten Kallusge- verbunden sind. Da aber musste ich leider das
greifen“, meinte Pfiffig ganz überlegen. „Die webe –“, ergänzte Pfiffig. Lungenbläschen verlassen und mich wieder
Wirbelsäule wird von dem Becken getragen, „ausfüllen konnte“, setzte ich eifrig fort. auf die Reise durch den Körper begeben.
und das Becken wieder ruht auf den säulen- „Vorher aber musste der Bluterguss von den Davon will ich euch in der letzten Geschichte
artigen Beinknochen. An der Wirbelsäule ist weißen Blutkörperchen aufgesaugt werden. „Gelenkiger als ein Hampelmann“ erzählen.

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Gelenkiger als ein Hampelmann Ein Kugelgelenk sehr heftige Stöße
auffangen.“
„Ja, und beim
Springen wird der
Stoß auch noch
„Gelenkig!“, rief ich dazwischen. „Das ist von den vielen
das Stichwort, lieber Pfiffig. Denn gelenkig federnden Gelen-
wird das Knochengerüst doch eben nur durch ken in den Füßen,
die Gelenke. Halt doch mal einen Vortrag den Knöcheln, den
über die Gelenke!“ Knien und dem
Freund Pfiffig legte die Stirn in Falten. ­Becken aufge-
Dann sagte er herablassend: „Über welche fangen“, fügte ich
Gelenke? Es gibt Sattelgelenke, Scharnierge- hinzu.
lenke, Radgelenke und Kugelgelenke. Gera- Bindegewebe, das außen nochmals von straff „Klar!“, rief Pfiffig angeregt. „Deshalb
de in den Gelenken zeigt die Natur die größte angezogenen Bändern umwickelt wird. So springt der gescheite Mensch mit den Zehen
Hein Gummi technische Erfindungsgabe. Nicht einmal die fest ist dieser Kapselverband, dass sich ein auf, federt in den Knien und hält die Hüften lo-
heutigen Techniker haben bessere Gelenke Gelenk nur höchst selten einmal auskugelt.“ cker! Darum hält er sich auch nicht steif, wenn
erfinden können.“ „Aber werden die Gelenke da nicht zu er fällt, sondern lockert sich schnell. Ja, und da
Na, wie ist es, meine lieben Freunde? „Das glaube ich gern“, meinte ich, „aber sehr gegeneinandergedrückt? Können sie fällt mir gerade noch ein: Manche Gelenke be-
Ihr wollt doch sicherlich wissen, wie sich das es kommt mir weniger auf die Technik der sich da nicht vielleicht entzünden?“ sitzen zusätzlich einen Extrapuffer in Gestalt
Knochengerüst, das wir letzthin untersuch- Gelenke an. Jedes Kind weiß heute, dass „Nein! Denn die Innenhaut der Gelenke von Knorpelscheiben.“
ten, nun auch bewegt. Denn was würde uns ein Kugelgelenk, wie das Schultergelenk, scheidet unaufhörlich eine dicke und zähe „Meinst du vielleicht die Kniegelenke?“,
das schönste Baugerüst nützen, wenn es ein eine Bewegung nach allen Seiten ermög- Schmiere ab. Denkst du, die Natur ist düm- fragte ich.
steifes und starres Gefüge wäre? Nein, was licht. Nein, erkläre mir doch lieber mal, wie mer als etwa ein Lokomotivführer, der die Kol- „Ja, vor allem diese! Der innere und der
lebt, muss auch zappeln, muss sich bewegen die Gelenke die einzelnen Knochen mitein- ben und Radachsen seiner Maschine ölt und äußere Meniskus des Kniegelenks sind sol-
können! Ja, und das will auch zappeln! Schon ander verbinden!“ schmiert? Jedes Gelenk wird geschmiert, che besonders eingelagerten Stoßdämpfer.
kleinste Kinder schreien, wenn man sie fest- „Das weißt du nicht?“, staunte Pfiffig. denn auch in der Natur heißt es: ,Schmieren Was denkst du, was die Knie beim Springen,
hält. Selbst die ältesten Leute klagen, wenn „Hast du noch nie etwas von Gelenkbändern und Salben hilft allenthalben!‘“ Turnen, Fußballspielen und Skilaufen auszu-
sie allmählich steif und steifer werden, wenn und Gelenkkapseln gehört?“ „Na ja, ist ja eigentlich klar“, lenkte ich ein. halten haben?!“
ihnen das Bewegen immer schwerer fällt. „Nicht viel“, gab ich zu. „Du weißt doch, „So gut umwickelt und geschmiert, federn „Kann ich mir gut vorstellen, Pfiffig. Hm,
wir roten Blutkörperchen haben keinen Zu- die Gelenke natürlich auch leicht.“ und das Kniegelenk verbindet Oberschenkel-

W
tritt zu den Knorpeln.“ „Natürlich, Näpfli! Und gerade die Fe- knochen und Schienbein?“
„Aber die Gelenkkapseln haben nicht derung ist das Wichtigste am ganzen Kno- „Ja, es setzt sich aus der Walze des Ober-
ie übrigens das Steifwerden im das Geringste mit den Knorpelüberzügen chengerüst. Was glaubst du wohl, wie der schenkelknochens und der Gelenkpfanne des
Alter entsteht, hat mir erst kürzlich mein der Knochenenden zu tun, mein liebes ganze Körper bis zum Gehirn hinauf bei je- Schienbeines zusammen. Dazwischen aber
kluger Freund Pfiffig, die graue Gehirnzelle, Näpfli! Sie legen sich vielmehr wie ein di- dem Schritt gestaucht und erschüttert würde, liegen die beiden ringförmigen, federnden
erklärt. cker Verband um die Gelenke und hüllen sie wenn das Knochengerüst erstens nicht aus Knorpelscheiben.“
„Du weißt doch, Näpfli“, sagte er, „dass richtig ein. Sie bestehen aus einem kräftigen vielen einzelnen Knochen bestünde, zweitens „Und die Kniescheibe?“, fragte ich. „Wozu
die einzelnen Knochen an allen Stellen, wo die einzelnen Knochen nicht durch Gelenke ist die da? Ist sie auch ein Extrapuffer oder
sie sich berühren, gut gepolstert sind. Die- „Lass mich los!“ verbunden wären und drittens die Gelenke eine Schutzkappe?“
ses Polster besteht aus einem dicken Knor- nicht dank der festen und straffen Kapseln zu „Eine Schutzkappe natürlich“, erklärte der
pelüberzug, der verhindert, dass sich die federn vermöchten? Denk bloß einmal an die kluge Pfiffig. „Sie liegt oberhalb und außer-
Knochen aneinander reiben.“ lange Wirbelsäule! Wäre die ein fester und halb des Gelenks und gehört eigentlich zur
„Wer weiß das nicht?“, fragte ich zurück. starrer Stab, wäre sie aus einem Stück, sie Gelenkkapsel.“
„Das Knorpelpolster an den Knochenenden würde sich, wenn wir uns einmal neben den „Na, jetzt wird es aber schon schwierig
wirkt wie ein stoßdämpfender Puffer.“ Stuhl auf unseren Allerwertesten setzten, mit deinen Gelenken, mein lieber Pfiffig!“,
„Eben!“, nickte Pfiffig. „Bei den alten Men- glattweg in den Schädel bohren! Da sie aber meinte ich. Ihr werdet wohl ähnlich denken.
schen aber nutzt sich dieser Knorpelpuffer ab. aus 34 Wirbeln besteht, die alle miteinander Aber ihr seid ja technisch begabt, nicht wahr?
Er wird dünner und härter, und schon ist der alte durch Gelenke verbunden sind, deren jedes Da kann ich euch schon etwas zumuten. Au-
Mensch nicht mehr so gelenkig wie früher.“ eine Kapsel besitzt, kann die Wirbelsäule ßerdem ,worauf fallt ihr am häufigsten?

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Die Haupt-
sache ist, dass
ihr erkannt habt:
Der menschliche
Körper ist ein
großes Wunder!
Haben wir dies
erkannt, erfüllt
uns tiefe Ehr-
furcht vor dem
Schöpfer, der die-
ses Wunderwerk
erschaffen hat.
Wir spüren, wie
dankbar wir ihm
dafür sein müs-
sen, besonders
wenn wir gesund
sind. Gold und
Edelsteine und
Gerade aufs Knie! Deshalb ist es gut, alle Schätze der Erde gelten nichts, wenn
wenn ihr das Kniegelenk gut kennt. Ja, wir krank und elend im Bett liegen.
und denkt euch, ich bin noch gar nicht fer- Darum geht nicht zu leichtsinnig mit
tig mit dem Knie. Von der Oberfläche des eurem Körper und eurer Gesundheit um!
Schienbeins ziehen sich von hinten her die Glaubt nicht, dass ihr damit machen könnt,
ganz besonders starken Kreuzbänder, die was ihr wollt. Gebt Acht auf euch! Fügt euch
die Kniegelenkkapsel zusätzlich verstärken. untereinander keine Schmerzen und keinen
Dennoch kommt es gelegentlich vor, dass Schaden zu, heute nicht und später nicht, und
diese Kreuzbänder bei zu heftigen Bewegun- wenn ihr erwachsen seid, erst recht nicht.
gen gezerrt werden. Dann allerdings hilft nur Denn wir haben kein Recht, ein so kostbares
eines: Bettruhe! Kunstwerk, wie es unser Körper ist, zu schä-
Aber Pfiffig will auch noch etwas sagen: digen oder gar zu zerstören.
„Vergiss auch die Schleimbeutel nicht, Näpf-
li! Sie liegen vor und neben der Kniescheibe
und verleihen ihr eine ganz ungewöhnliche
Elastizität. Diese Schleimbeutel sind eine
ganz besondere Erfindung, mein Lieber!“
Na ja, Pfiffig weiß halt immer noch etwas.
Dafür lebt er ja auch mitten im Gehirn un-
ter lauter kreuzgescheiten Zellen, während
ich, ein rotes Blutkörperchen, nur ein armer
kleiner Lastträger bin. Aber dennoch, meine
lieben Freunde, finden wir uns jetzt doch so
halbwegs durch die großartigen Wunder des
menschlichen Körpers hindurch.
Aber glaubt mir, die Wunder und Geheim-
nisse des menschlichen Körpers wird wohl
kein Geschöpf jemals restlos ergründen und
verstehen. Ich nicht und ihr, meine lieben
Freunde, wahrscheinlich auch nicht. Immer aufs Knie!

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