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Vorlesung Öffentliches Recht Dr.

Friedrich

Lösungsskizze zum Fall „Mephisto“

[Vorüberlegung: Welches Grundrecht könnte in Frage kommen?


- Art. 5 Abs. 1 GG, Meinungsfreiheit? Der Verlag gibt mit dem Verlegen des
Buches keine Meinung ab. Allenfalls könnte sich der Autor des Romans auf
die Meinungsfreiheit berufen, dieser ist aber bereits verstorben.
- Art. 12 Abs. 1 GG, Berufsfreiheit? Der Verlag könnte sich auf die Berufsfreiheit
in Form einer Berufsausübungsregel berufen (Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG).
Ungeachtet der Frage, ob der Schutzbereich überhaupt eröffnet wäre, gibt es
mit der Kunstfreiheit ein spezielleres Grundrecht.
- Art. 2 Abs. 1 GG, allgemeine Handlungsfreiheit? Tritt hinter einem spezielleren
Grundrecht zurück
- Es bleibt Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, die Kunstfreiheit]

Die Verfassungsbeschwerde wäre begründet, wenn A durch das Gerichtsurteil und


dem daraus folgenden Verbot des Verkaufes des Romans „Mephisto“ in seinen
Grundrechten verletzt wäre.

I. Schutzbereich

1. Sachlicher Schutzbereich
Der sachliche Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG müsste eröffnet sein. Dies ist
der Fall, wenn es sich bei dem Roman um Kunst im Sinne des Grundgesetzes
handelt.
 Kunst?
Dreifacher Kunstbegriff:
 Das Objekt muss bestimmten Strukturmerkmalen folgen (Werktyp) z.B.
Malerei, Skulptur (formaler Kunstbegriff)
 Kunst ist Ausdruck einer freien schöpferischen Gestaltung, in welcher der
Künstler seine Sinneseindrucke nach außen trägt (materieller Kunstbegriff)
 Kunst ist alles, was interpretationsfähig und -bedürftig ist und vielfältigen
Interpretationen zugänglich ist („offener“ Kunstbegriff)
Der Roman lässt sich einem Werktyp zuordnen; kein Sachbericht, sondern ein
Roman mit fiktiven Elementen; schriftstellerischer Ausdruck; das Buch ist
auslegungsfähig; sogar alle drei Kunstbegriffe greifen hier

Problematisch ist hier aber, dass der Verlag nur das Buch veröffentlicht und nicht
selbst verfasst hat. Geschützt von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG wird aber auch der Werk-
und Wirkbereich der Kunst.

 Wirkbereich?
Geschützt ist auch die Darstellung und Darbietung der Kunst und nicht nur die Kunst
als solche.
Der Verlag macht mit dem Druck und Verkauf des Buches dieses allgemein
zugänglich und eröffnet den Wirkbereich.
+

Der sachliche Schutzbereich ist eröffnet (+)

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2. Persönliche Schutzbereich
Ferner müsste der persönliche Schutzbereich eröffnet sein. Geschützt sind zunächst
alle natürlichen Personen.

 A ist als juristische Person geschützt, wenn das Grundrecht dem Wesen nach auf
juristische Personen angewendet werden kann (Art. 19 Abs. 3 GG).
Der Verlag gehört zu dem Wirkbereich der Kunst (publiziert das Werk des
Schriftstellers) und kann sich daher darauf berufen. Es spricht nichts dagegen, dass
sich auch juristische Personen auf die Kunstfreiheit berufen dürfen.

+

Der Schutzbereich der Kunstfreiheit ist eröffnet.

II. Eingriff
Es müsste ein Eingriff in die Kunstfreiheit vorliegen. Ein Eingriff liegt vor, wenn es
durch ein unmittelbar und gezielt vom Staat verfügtes, erforderlichenfalls
zwangsweise durchzusetzendes, Ge- oder Verbot, zu einer Verkürzung der
grundrechtlichen Freiheit kommt.
Der Verlag darf das Buch aufgrund des Gerichtsbeschlusses nicht mehr
veröffentlichen, der Verlag ist in seinem Grundrecht auf Kunstfreiheit beschränkt
worden.
+

III. Rechtfertigung

Der Eingriff in den Schutzbereich der Kunstfreiheit könnte aber gerechtfertigt sein.

1. Schranke
‒ Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG sieht keine Schranke vor
‒ die BGB-Normen können zunächst keine Schranke der Kunstfreiheit
darstellen
‒ allerdings gilt Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG nicht unbeschränkt und findet dort seine
Grenze, wo andere Grundrechte verletzt werden könnten
(verfassungsimmanente Schranke)
‒ eine Schranke könnte das Persönlichkeitsrecht des X (Art. 2 Abs. 1 GG) sein,
welches in der BGB-Norm Ausdruck findet
‒ X ist inzwischen verstorben. Fraglich ist daher, ob über den Tod hinaus ein
Grundrechtsschutz besteht (postmortales Persönlichkeitsrecht).
‒ Art. 1 GG sieht ein Schutz der Menschenwürde vor; die Würde eines
Menschen kann über seinen Tod hinausreichen
‒ auch nach dem Tod besteht ein Interesse daran, dass Personen nicht
herabgewürdigt werden und das Andenken geschützt wird (Art. 2 Abs. 1 GG)
‒ Art. 1, 2 Abs.1 GG sind Schranken des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, Ausdruck findet
dies in § 823 BGB, d.h. § 823 BGB kann Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG einschränken,
da die BGB Norm auch zum Schutz der Grundrechte dient und den
Grundrechtsschutz konkretisiert (Wortlaut § 823 BGB: „sonstiges Recht“).

2. Schranken-Schranke
Das Grundrecht einschränkende Recht muss seinerseits verfassungsgemäß sein.

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§ 823 BGB kann als vorkonstitutionelles Gesetz nicht auf seine formelle und
materielle Verfassungsmäßigkeit überprüft werden.
Weiterhin muss aber das sich auf ein Grundrecht einschränkendes Recht berufende
Urteil verfassungsmäßig sein. Fraglich ist daher, ob das Urteil, welches das Verbot
des Buches zur Folge hat, verfassungsmäßig ist und ob insbesondere das
Grundrecht des Verlages hinreichend beachtet wurde. Es ist die Verhältnismäßigkeit
zu prüfen.

 Verhältnismäßigkeit:
o legitimer Zweck?
Schutz der Würde/Ehre des Menschen (+)
o Geeignetheit?
Schutz wird durch das Verbot eines Buches, welches die Ehre eines
Verstorbenen evtl. herabwürdigt, gewährleistet (+)
o Erforderlichkeit?
Milderes und genauso effektives Mittel? Anstelle eines Totalverbotes
könnten Passagen des Buches geschwärzt werden, allerdings scheint
dies nicht sehr effektiv, da das gesamte Buch von der Darstellung und
dem Verhalten des Schauspielers handelt; ein Umschreiben ist auch
nicht möglich und wäre auch ein mindestens genauso starker Eingriff
(+)
o Angemessenheit?
Abwägung zwischen der Kunstfreiheit und der Würde des
Verstorbenen; die Menschenwürde genießt den höchsten Stellenwert
im Grundgesetz, allerdings muss berücksichtigt werden, dass X bereits
verstorben ist und die Erinnerung an ihn verblast; die Gefahr einer
Identifizierung der Romanfigur mit X sinkt; der Autor macht deutlich,
dass die Romanfigur für einen bestimmten Typ stehe; es gibt keine
direkten Ehrverletzungen; die realen Verwicklungen von X in der NS-
Zeit sind unbestritten; der Autor betreibt keine persönliche
„Abrechnung“ mit X, sondern allgemein mit Mitläufern in der NS-Zeit;
Kunst speist sich immer auch aus dem persönlichen Leben des
Künstlers und seinem Umfeld; überspitzte Darstellungen gehören zum
Wesen der Kunst ...
+/-
Ergebnis: Die Klage ist (nicht) begründet, es liegt (k)ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3
S. 1 GG vor.

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Fragen:

1.
Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung, Bundesverfassungsgericht,
Bundespräsident (Gemeinsamer Ausschuss, Bundesversammlung)
2.
Nach Art. 79 Abs. 3 GG können die Art. 1 und 20 GG nicht geändert werden. Dies
wird als Ewigkeitsgarantie bezeichnet.
3.
Ausschließliche Gesetzgebungskompetenz = Art. 73 GG, der Bund hat hier alleine
das Recht in diesem Bereich Gesetze zu erlassen
Konkurrierende Gesetzgebung = Art. 72, 74 GG, in diesen Bereichen haben die
Länder die Gesetzgebungskompetenz, solange der Bund nicht davon Gebrauch
macht
4.
Bundespräsident wird nicht direkt demokratisch legitimiert; allerdings müsste er
gegen sein eigenes Gewissen entscheiden; Präsident allgemein in der Bevölkerung
anerkannt und beliebt, GG räumt ihm nur eine repräsentative Stellung ein;
Gewaltenteilung, für die Überprüfung von Gesetzen ist das BVerfG zuständig; das
Parlament und der Bundesrat haben die Gesetzgebungskompetenz; historischer
Kontext des GG ...

Fall „Keine Studiengebühren“ zum Selbststudium und eigenen Lösung.

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