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II.D.

7
Religion

Buddhas Leben und Lehre – Grundlagen des


Buddhismus erarbeiten
5 Dr. Hans-Günter Wagner

© R_Type/iStock/Getty Images Plus

Der Buddhismus ist eine Weltreligion, deren geografische Verbreitung lange auf den asiatischen
10 Raum beschränkt war. Missionare und Indologen brachten ihn vor 200 Jahren in den Westen.
Heute gibt es Buddhisten überall auf der Welt. Eine wachsende Anzahl von Menschen praktiziert
buddhistische Meditation und befasst sich mit buddhistischen Heilszielen. Was lehrte der
historische Buddha? In welchen Schultraditionen („Fahrzeuge“) setzt sich seine Lehre bis heute
fort? Passt der Buddhismus in unsere moderne Welt? Diese Fragen stehen im Fokus dieser
15 Einheit.

KOMPETENZPROFIL

Klassenstufe: 10–13
Dauer: 6 Unterrichtsstunden + 1 Stunde Lernerfolgskontrolle
Kompetenzen: Texte lesen und deuten; Bilder interpretieren; divergierende
Standpunkte erkennen, darstellen und reflektieren
Thematische Bereiche: der historische Buddha Shakyamuni; der Achtfache Pfad; die Vier
Edlen Wahrheiten; buddhistische Traditionslinien; Meditation
Medien: Texte, Bilder, Hördateien
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Fachliche Hinweise

Der historische Buddha – Der Religionsstifter


20 Ein Inder namens Siddhartha Gautama begründete die buddhistische Lehre. Folgt man der
Überlieferung, so lebte er zwischen 563 und ca. 480 vor unserer Zeitrechnung im nördlichen
Indien. Neuere Forschungen datieren seine Lebensspanne auf die Jahre zwischen 450 und 370
vor unserer Zeitrechnung. Andere Wissenschaftler sind der Überzeugung, er habe 200 bis 300
Jahre zuvor gelebt.
25 Paradigmatisch für seine Lehre ist die Geschichte seines Lebens. Als Prinz geboren, wächst er in
einem adeligen Umfeld auf. Schon früh sagte ein Seher vorher, dass das Neugeborene entweder
ein mächtiger Herrscher werde oder jemand, der den Menschen Weisheit bringe, wenn er das
Leid der Welt erkenne. Deshalb, so die Legende, suchte sein Vater zeitlebens alles Leid von ihm
fernzuhalten. Der Überlieferung zufolge erkundete Siddhartha jedoch im Alter von 29 Jahren auf
30 eigene Faust das Umfeld des Palastes und erkannte, dass das Leben von Leid, Krankheit, Alter
und Tod geprägt ist. Daraufhin verließ er den Palast, zog sich in die Waldeinsamkeit zurück und
lebte streng asketisch. Dabei gelangte er zu der Einsicht, dass völlige Entsagung nicht zum Ziel
führt. Jenseits eines sinnenfreudigen Lebens und der selbstquälerischen Askese entdeckte er
schließlich den „mittleren Weg“.
35 Im Alter von 35 Jahren fand er Erleuchtung (bodhi) unter einem Pappelfeigenbaum (Ficus
religiosa), heute als Bodhi-Baum verehrt. Nach dieser Erfahrung kehrte er zu seinen ehemaligen
Gefährten zurück und hielt seine erste Lehrrede. Aus dieser Gruppe von fünf Asketen, die sich
ihm daraufhin anschlossen, bildete sich die erste buddhistische Mönchsgemeinschaft. Buddha © RAABE
2022
lehrte bis zum Alter von 80 Jahren, bis er bei Kusinagara ins Nirwana eintrat.

40 Die Vier Edlen Wahrheiten – Buddhas Lehre


In der Lehre von den Vier Edlen Wahrheiten fasst Buddha Shakyamuni die Grundlage der
buddhistischen Weltsicht zusammen. Zugleich weist er allen, die ihm nachfolgen, den „Pfad
rechten Handelns“.
Im Zentrum der Vier Edlen Wahrheiten steht die Überzeugung, dass die Leidhaftigkeit und
45 Vergänglichkeit des Daseins sowie Hass, Gier und Verblendung geistige Ursachen des Leidens
sind. Seine Lehre kreist darum – neben dem wahren Verständnis der phänomenalen Welt – um
die Frage nach der Überwindung des Leidens und des Verlöschens in der Vollkommenheit des
Todlosen und Unerschaffenen (nirvana, Pali: nibbāna). Sein achtfacher Heilspfad gliedert sich in
drei Bereiche: Weisheit (prajna), Ethik (sila) und Vertiefung (dhyana). In den ersten
50 Jahrhunderten wurde seine Lehre ausschließlich mündlich tradiert. Erst im ersten vorchristlichen
Jahrhundert wurde sie auf Geheiß des Königs Vattagamani Abhaya in der Pali-Sprache schriftlich
fixiert.

Die verschiedenen buddhistischen Traditionen

Theravada-Buddhismus
55 Die „Schule der Ältesten“ gilt als die älteste noch existierende Schulrichtung des Buddhismus.
Vor allem in Südostasien verbreitet, beruft sich der Theravada-Buddhismus auf den
sogenannten Pali-Kanon. In ihm sind die Lehrreden Buddhas (Sutras), die Ordensregeln (Vinaya)
und die philosophischen Abhandlungen (Abhidhamma) in der Pali-Sprache überliefert. Diese

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Textsammlung wird im Hinblick auf ihre Dreiteilung auch als „Dreikorb“ (Tripitaka) bezeichnet.
60 Der Theravada-Buddhismus stützt sich also allein auf die überlieferten Lehrreden Buddhas und
nicht auf postmortale Offenbarungen des Erleuchteten wie die späteren Schulen.

Mahayana-Buddhismus
Mahayana („Großes Fahrzeug“) ist ein Oberbegriff für die buddhistischen Schulen in den
Ländern nördlich der ursprünglichen Wirkungsstätte des Buddha Shakyamuni. Das Große
65 Fahrzeug bildet die zahlenmäßig größte Traditionslinie innerhalb des Buddhismus. Mit dieser
Lehre wurde der bereits im Frühbuddhismus (Theravada) als einer der drei Wege zur
Erleuchtung beschriebene Bodhisattva-Pfad systematisiert. Er ist bis heute ein Kernelement
dieser Richtung. Aufgrund der Verschmelzung mit neuen kulturellen Kontexten zeichnet den
Mahayana-Buddhismus eine große Vielfalt aus. Prägend wurde vor allem das Heimischwerden
70 in der chinesischen Kultur, das zur Entstehung neuer Schulrichtungen wie des Chan-Buddhismus
(bekannt unter seiner japanischen Bezeichnung „Zen“) sowie dem Auftauchen bzw. der
Erstellung weiterer Sutras führte.

Vajrayana-Buddhismus
Ab dem siebten Jahrhundert verbreitete sich insbesondere in Tibet, Bhutan und der Mongolei
75 das Vajrayana, eine Ausprägung innerhalb des Mahayana-Buddhismus. Das sogenannte
© RAABE
2022 Diamantfahrzeug stellt die jüngste Variante der buddhistischen Hauptströmungen dar. Hier
kommt es zu einer Synthese mit dem Himalaya-Schamanismus und dem indischen Tantrismus.
Bekanntester Vertreter dieser Strömung ist Tenzin Gyatso, der vierzehnte Dalai-Lama. Er ist der
höchste Repräsentant der Gelug-Schule, einer Gruppierung innerhalb des tibetischen
80 Buddhismus.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den buddhistischen Lehren


Trotz großer Unterschiede lassen sich zahlreiche Gemeinsamkeiten zwischen den genannten
Richtungen identifizieren:
 die Bezugnahme auf den historischen Buddha Shakyamuni und seine Lehre,
85  die Vier Edlen Wahrheiten und der Achtfache Pfad als Richtschnur,
 Ethik, Versenkung und Wissen als die drei grundlegenden Bereiche der Übung sowie
 Mitgefühl mit anderen, die Praxis der Achtsamkeit und eine Ethik des Nichtverletzens als
grundlegende Handlungsorientierungen.
Darüber hinaus bestehen vielfältige und grundlegende Unterschiede. Diese liegen unter
90 anderem im Bild und der Funktion des Buddha. Der erleuchtete Mensch avancierte in den
späteren Schulen zu einer Lichtgestalt höchster Verehrung, die nun auch durch übernatürliche
Heilsbeweise anstelle der allein rationalen Beweiskraft der frühen Texte überzeugt. Hinzu tritt
ein Wandel in der ethischen Orientierung von einer strikten Handlungsethik zu einer
relativierenden Motivationsethik. Während im frühen Buddhismus ein striktes Verbot des Tötens
95 anderer Wesen gilt, wird jetzt das Töten erlaubt, wenn es einem höheren Zweck dient.

Religiöse Praxis im Buddhismus


Die verschiedenen Schulrichtungen akzentuieren jeweils unterschiedliche Formen. Meditation
hat einen hohen Stellenwert, ebenso wie die gemeinsame Rezitation alter buddhistischer
Lehrtexte. Auch Gebete stehen oftmals im Mittelpunkt der Ritualpraxis. Ein wichtiger
100 Unterschied besteht hinsichtlich der Lebensführung: Der Buddhismus kennt seit Beginn den

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Unterschied zwischen Laien und Ordinierten. Letztere sind für die Kontinuität der
buddhistischen Lehre verantwortlich. Sie stehen den Laien mit Rat und Ritual zur Seite, während
die Laien die Mönche und Nonnen in ihrem Lebensunterhalt unterstützen. Die Laien versuchen
mindestens die fünf ethischen Regeln des Laienbuddhismus einzuhalten: 1. kein Leben nehmen,
105 2. nicht nehmen, was einem nicht gegeben wurde, 3. kein sexuelles Fehlverhalten, 4. nicht die
Unwahrheit sprechen, 5. keine berauschenden Mittel konsumieren. Für die Ordinierten
existieren hunderte Regeln, jedoch unterschiedliche für vollordinierte Mönche und vollordinierte
Nonnen. Während die allermeisten buddhistischen Schulrichtungen ein Klosterwesen mit
Mönchen und Nonnen kennen, verstehen sich einige explizit als Laienbewegungen (z. B. die
110 japanische Soka Gakkai, die weltweit größte buddhistische Laienbewegung).

Buddhismus im Westen
Anhand der Rolle der Frau im Buddhismus lassen sich die Ambivalenzen einer Integration des
Buddhismus in den Westen verdeutlichen. Einerseits handelt es sich um eine Religion, welche
die Gleichheit aller Wesen in der Buddha-Natur lehrt, andererseits findet sich die Überlieferung
115 eines Frauenbildes mit einer Mischung aus unreiner Gebärerin der Welt, keuscher Nonne und
fürsorglicher Mutter sowie weiblicher Heilsgestalt. Weltweite Bemühungen um die Etablierung
eines gleichberechtigten weiblichen Ordens stehen neben schlimmen Fällen sexuellen
Missbrauchs in einigen der westlichen buddhistischen Gemeinschaften.

Didaktisch-methodisches Konzept

120 Wie bettet sich die Einheit in den Lehrplan? © RAABE


2022
Diese Einheit ist konzipiert für Schülerinnen und Schüler der Oberstufe. Sie kann in den Fächern
Ethik, Katholische oder Evangelische Religionslehre oder Praktische Philosophie eingesetzt
werden. Ebenso lässt sie sich sinnvoll einbetten in den buddhistischen Religionsunterricht (etwa
entsprechend den existierenden Curricula für die Republik Österreich oder das Land Berlin). Im
125 Fokus stehen Leben und Lehre Buddhas, die historische Entwicklung des Buddhismus, die
Vielfalt buddhistischer Traditionslinien sowie Aspekte der Rezeption des Buddhismus im
Westen.

Wie geht diese Unterrichtsreihe methodisch vor?


Zu Beginn der Einheit steht ein Brainstorming, dessen Ergebnisse im Plenum erörtert und
130 strukturiert und in der letzten Stunde dieser Reihe wieder aufgegriffen werden. Tafelbilder
visualisieren komplexe Zusammenhänge, tabellarische Übersichten strukturieren und sichern
Stundenergebnisse. In Einzel- oder Gruppenarbeit befassen sich die Lernenden mit Bildern, die
sie anhand vorgegebener Merkmale interpretieren. Sie deuten Texte und vergleichen
Kernaussagen miteinander. Dabei vertiefen sie auch ihr Wissen über die Unterschiede von
135 literarischen Original- und Sekundärdokumenten sowie ihre Fertigkeiten im Umgang mit
deskriptiv-analytischen, normativ-religiösen und historischen Texten. Die Lernenden
präsentieren ihre Ergebnisse im Plenum. Daran schließt sich jeweils eine Diskussion im
Klassenverband an. Wo erforderlich steht die Lehrkraft als Ressource für Hintergrundwissen zur
Verfügung.

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140 Wie gelingt die Sicherung der Arbeitsergebnisse?


Die gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse werden an der Tafel oder auf den Arbeitsblättern
gesichert. Die Arbeitsgruppen gestalten Plakate oder sichern ihre Ergebnisse mithilfe
elektronischer Medien, um diese allen Mitgliedern des Klassenverbandes zugänglich zu machen.

Welche Kompetenzen fördert diese Reihe?


145 Die Jugendlichen können
· zentrale Aussagen der buddhistischen Lehre korrekt wiedergeben und
· Probleme bei der Rezeption des Buddhismus im Westen reflektieren,
· Rolle und Wirkungsweise buddhistischer Gleichnisse sowie von Koans, Haikus und Chan-
Gedichten bei der Verbreitung buddhistischer Inhalte erläutern und semantische Merkmale
150 dieser Textformen erklären,
· grundlegende ikonografische Merkmale des frühen und späten Buddhismus unterscheiden,
· Ordensgewänder den verschiedenen Traditionen richtig zuordnen,
· neben den Unterschieden der verschiedenen Schulen und Traditionen gemeinsame
Bezugspunkte aller Buddhisten herausarbeiten,
155 · begründet abwägen, ob es sich beim Buddhismus um eine Religion, Philosophie oder
Lebenseinstellung handelt,
© RAABE · den Buddhismus mit der Lehre des Christentums und des Islam vergleichen,
2022 · die Relevanz des Buddhismus für den Westen und die moderne Lebenswelt beurteilen,
· Fragen und Einwände gegen die buddhistische Lehre vortragen und reflektieren,
160 · unterschiedliche Textsorten analysieren und interpretieren (historisch-kritische Textarbeit).

Weiterführende Medien

I Fachliteratur für Lehrerinnen und Lehrer


 Brück, Michael von: Einführung in den Buddhismus. Verlag der Weltreligionen im Insel
Verlag, Frankfurt am Main, Leipzig 2007.
165 Dieses Buch gibt einen umfangreichen Einblick in den Buddhismus. Von Brück stülpt dem
Buddhismus kein westliches Verständnis von Religion über. Vielmehr stellt er diesen als alle
Lebensbereiche durchdringenden spirituellen Weg dar.
 Bhikkhu, Buddhadasa: Buddhismus verstehen und leben – ein „Handbuch für die
Menschheit“. Buddhistische Gesellschaft München e. V., München 2017.
170 Kürze und Praxisbezug machen diese Verschriftlichung von Vorträgen des buddhistischen
Gelehrten Buddhadasa Bhikkhu zu einem zeitlosen Klassiker.
 Campbell, June: Göttinnen, Dakinis und ganz normale Frauen. Weibliche Identität im
tibetanischen Tantra. Theseus Verlag, Berlin 1997.
June Campbell legt die soziokulturellen Strukturen offen und arbeitet heraus, dass die
175 geheimen Beziehungen zwischen Lehrern und Schülerinnen nur die Spitze des Eisbergs von
spirituellem Machtmissbrauch, pervertierter Sexualität und Selbstverleugnung im tibetischen
Buddhismus sind.
 Dumoulin, Heinrich: Geschichte des Zen-Buddhismus. A. Francke Verlag, Tübingen 2019.
Der deutsche Jesuit und Religionswissenschaftler Dumoulin skizziert die geschichtliche
180 Entwicklung des Zen-Buddhismus in Indien, China, Korea und Japan. Er führt den Leser in die
Theorie und Praxis des Zen-Buddhismus ein. Aufschlussreiche, unterhaltsame und bisweilen

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amüsante Anekdoten und Legenden machen die Lektüre sowohl für Einsteiger als auch für
Kenner zu einem außergewöhnlichen Leseerlebnis.
 Freiberger, Oliver; Kleine, Christoph: Buddhismus. Handbuch und kritische Einführung.
185 Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 2011.
Diese informative wissenschaftliche Einführung in Geschichte, Lehren und Praktiken des
Buddhismus verdeutlicht, dass das im Westen verbreitete Bild vom Buddhismus als einer
friedfertigen, weltabgewandten und meditativen Erleuchtungslehre zentrale Bereiche dieser
Religion ausblendet.
190  Michaels, Axel: Buddha. Leben, Lehre, Legende. C.H.Beck, München 2011.
Diese Biografie des Siddhartha Gautama kontrastiert den historischen und den
legendarischen Buddha und führt gleichzeitig in zentrale frühe Lehrtexte ein.
 Ott, Ulrich: Meditation für Skeptiker. Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst.
O. W. Barth Verlag, München 2010.
195 Dieser Titel bietet eine gute Hinführung zum Thema Meditation. Er ergänzt einfache
praktische Übungen um eine wissenschaftliche Perspektive.
 Schiekel, Munish B. (Hrsg.): Dhammapada. Die Weisheitslehren des Buddha. Theseus Verlag,
Stuttgart 2008.
Diese Neuübersetzung des Dhammapada, eine Zusammenstellung wichtiger exemplarischer
200 Lehrreden des Siddhartha Gautama, ermöglicht einen leichten Zugang zu den zentralen
religiösen und philosophischen Fragestellungen des Buddhismus.
 Wagner, Hans-Günter: Buddhismus in China. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Verlag
Matthes & Seitz, Berlin 2020.
Wagner zeichnet die Entwicklung des Buddhismus bis ins China der Gegenwart nach. Er © RAABE
205 erzählt die Geschichte einer Religion, die ihre Wurzeln in Indien hat, jedoch prägenden 2022
Einfluss in China gewann. So entsteht ein facettenreiches Bild der chinesischen Kultur und
Gesellschaft.

II Artikel in Fachzeitschriften
 Litsch, Franz-Johannes; Wagner, Hans-Günter: Der Bodhisattva in den buddhistischen
210 Traditionen. In: Buddhismus aktuell, Ausgabe 4/2013. Deutsche Buddhistische Union e. V.,
München. S. 44–49.
Dieser Beitrag gibt eine Übersicht über das Bodhisattva-Verständnis in den verschiedenen
buddhistischen Traditionen.

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215 Auf einen Blick

1./2. Stunde: Wer war Buddha? – Was lehrt der Buddhismus?

Thema: Wo liegen die Ursprünge des Buddhismus? – Der historische Buddha


M1 Der historische Buddha und seine Lehre / Wer war Siddhartha
Gautama (Shakyamuni)? Und was sind die Kernaussagen seiner Lehre?
Ein Text informiert über Lebensstationen und Lehre des historischen
Buddha.
M2 Was der Buddha lehrte – Die Vier Edlen Wahrheiten / Allen
Richtungen des Buddhismus gemeinsam ist die Lehre vom Achtfachen
Pfad und den Vier Edlen Wahrheiten. Sie wird hier vorgestellt.
M3 Was der Buddha lehrte – Der Achtfache Pfad / Die Lernenden
beziehen Grundhaltungen des Achtfachen Pfades auf ihren Alltag und
nehmen abschließend Stellung zu Buddhas Lehre.
Benötigt: Tafel/Beamer/Whiteboard, Internetzugang

© RAABE
2022 3./4. Stunde: Entwicklung des Buddhismus in Asien und den westlichen
Ländern

Thema: Wie entwickelte sich der Buddhismus? – Strömungen kennenlernen


M4 Die drei großen Traditionen des Buddhismus / Theravada,
Mahayana und Vajrayana sind die drei großen Traditionslinien
innerhalb des Buddhismus. Die Lernenden informieren sich über äußere
Merkmale, ikonografische Darstellungen und typische Textformen
dreier großer Linien.
M5 Gruppe 1: Die Reine-Land-Schule – Eine Gruppierung innerhalb des
Mahayana-Buddhismus / Die Lernenden lernen die Reine-Land-
Schule, eine Linie innerhalb des Mahayana-Buddhismus, kennen.
M6 Gruppe 2: Der Zen-Buddhismus – Eine Gruppierung innerhalb des
Mahayana-Buddhismus / Die Lernenden befassen sich mit dem Zen-
Buddhismus. Rezitationsbeispiele, Prosa und Lyrik geben Einblick.
Benötigt: Tafel/Beamer/Whiteboard, Internetzugang

5. Stunde: Die Frau im Buddhismus

Thema: Wo steht der Buddhismus heute? – Buddhismus im Westen


M7 Die Rolle der Frau im Buddhismus / Welches Frauenbild prägt den
Buddhismus? Wie wird mit Fällen sexuellen Missbrauchs umgegangen?
220

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6. Stunde: Religion oder Philosophie? – Einordnung des Buddhismus

Thema: Was ist der Buddhismus für mich? – Religion oder Philosophie
M8 Buddhismus – Religion, Philosophie oder Lebenslehre? /
Abschließend diskutieren die Lernenden über den Buddhismus.

7. Stunde: Lernerfolgskontrolle

Thema: Was nehmen die Lernenden für sich mit? - Wissensüberprüfung


M9 Lernerfolgskontrolle / Anhand eines Textes evaluieren die Lernenden,
was sie gelernt haben.

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225 Der historische Buddha und seine Lehre

Aufgaben

1. Lesen Sie den Text über das Leben des historischen Buddha.
2. Fassen Sie zentrale Stationen seines Lebens in wenigen Sätzen zusammen.
3. Betrachten Sie anschließend die Bilder. Beschreiben Sie, was Sie sehen.
230 4. Ordnen Sie die Bilder den verschiedenen Lebensstationen Buddhas zu. Schneiden Sie die
Bilder aus und bringen Sie sie abschließend in die richtige Reihenfolge.

Von Siddhartha Gautama (Shakyamuni) zum Buddha


Geburt und Jugend: Siddhartha Gautama wurde als Angehöriger des Shakya-Stammes
geboren. Vermutlich lebte er zwischen 450 und 370 vor unserer Zeit. Ein Prophet soll
235 vorhergesehen haben, er werde entweder ein großer König oder ein großer heiliger Mann
© RAABE
2022 werden. Um zu garantieren, dass sein Sohn eine politische Karriere anstrebt, verbot sein Vater
jedwede religiöse Erziehung und schirmte ihn von Leiderfahrungen ab. So wuchs er in einem
goldenen Käfig auf.
Die Vier Ausfahrten: Im Alter von 16 Jahren heiratete er seine Cousine Yashodhara. Mit ihr
240 lebte er in unbeschwertem Luxus. Mit 29 Jahren aber drängte es ihn, die Welt außerhalb des
Palastes kennenzulernen. Er unternahm vier Ausfahrten. Zum ersten Mal in seinem Leben sah er
einen Greis (das Alter), einen Fieberkranken (die Krankheit), einen Leichnam (den Tod) und
einen Asketen (die Religion). Diese Erlebnisse beeindruckten ihn so tief, dass er Haus, Frau und
Kind verließ, sein Haupt schor, sich einer Gruppe Asketen anschloss und sich auf die Suche
245 begab nach einem Weg, um Alter, Krankheit und Tod zu überwinden. Er legte alle Ämter und
Würden ab und widmete sein Leben der Suche nach der Befreiung vom Leiden der Welt.
Askese und Erleuchtung: In seinem Eifer übertraf er in seinen asketischen Übungen alle seine
Mitbrüder. Er magerte ab bis auf die Knochen, kleidete sich in die Lumpen von Toten und
meditierte des Nachts unter wilden Tieren und auf Friedhöfen. Nach sechs Jahren erkannte er,
250 dass auch dieser Weg ihn noch immer viel zu sehr an die Welt band. Er trennte sich von seinen
Mitbrüdern, nahm eine Schale Milchreis an, die ihm die fromme Hirtin Sujata brachte, wusch
sich im Fluss und setzte sich unter eine Pappelfeige. Dort erfuhr er Erleuchtung. Er sah vor
seinem inneren Auge alles, was sich im Universum ereignete. Er fand eine Antwort auf die Frage
nach dem Ursprung des Leids. Er erkannte das Gesetz von Taten und ihren Auswirkungen
255 (Karma) und verstand, wie Lebewesen entstehen und vergehen. Er durchschaute, wie man sich
von Alter, Krankheit und Sorgen befreien kann. So wurde er im Alter von 35 Jahren zum
„Buddha“, zum „Erwachten“. Von da an beschritt er den mittleren Weg zwischen Askese und
Überfluss.
Buddha als Lehrer: In der Nähe der Stadt Benares begab sich der Buddha in den Hirschpark
260 von Sarnath. Dort traf er seine fünf asketischen Mitbrüder wieder. In seiner ersten Predigt als
Erleuchteter legte er ihnen die Vier Edlen Wahrheiten dar. Daraufhin schlossen sich ihm die fünf
an. Die erste buddhistische Mönchsgemeinde entstand. In den folgenden Jahren führte er das

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Leben eines besitzlosen Bettelmönchs. Er zog predigend durch Indien, lehrte den Achtfachen
Pfad und setzte sich dabei über alle Kastenschranken hinweg.
265 Sterben und Tod: Buddha starb im Alter von 80 Jahren. Viele Statuen zeigen den sterbenden
Buddha, der mit einem Lächeln auf den Lippen den endlosen Kreislauf der Wiedergeburten
verlässt und das Nirwana („Erlöschen“) erreicht. Er ernannte keinen Nachfolger. Vielmehr
ermahnte er seine Anhänger, sich an die verkündeten Lehren zu halten.
Autorentext

270 Buddhas Leben in Bildern


a) ___________________________________________
b) _____________________________________________

c) __________________________________________ d) _____________________________________________
© RAABE
2022

e) _____________________________________________ f) _____________________________________________

Zeichnungen: Katharina Friedrich.

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M2
Was der Buddha lehrte – Die Vier Edlen Wahrheiten
275 Leid ist jene Konstante, die allem Dasein zugrunde liegt. Es entsteht, weil wir uns an eine Welt
binden, in der nichts von Bestand ist. Wie gelingt der Ausweg aus dem Leiden? Der Buddha
predigte vier grundlegende Wahrheiten über das Leben. Sie bilden die Grundlage seiner Lehre.

Aufgaben

1. Lesen Sie den Text. Markieren Sie Stellen, die Ihnen wichtig erscheinen, farbig.
280 2. Erklären Sie die Vier Edlen Wahrheiten in eigenen Worten.

Die Vier Edlen Wahrheiten des Buddhismus

Erste Wahrheit: Die edle Wahrheit über das Leid


Was aber, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit vom Leiden? Geburt ist Leiden, Altern ist Leiden,
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2022
Krankheit ist Leiden, Sterben ist Leiden, Kummer, Jammer, Schmerz, Trübsal und Verzweiflung
285 sind Leiden; das Nichterlangen dessen, was man begehrt, ist Leiden […].

Zweite Wahrheit: Die edle Wahrheit über den Ursprung des Leids
Was aber, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit von der Leidensentstehung? Es ist jenes Wieder-da-
Sein erzeugende, von Lust und Gier begleitete, bald hier, bald dort sich ergötzende Begehren
(tanhā), nämlich das sinnliche Begehren (kāma-tanhā), das Daseinsbegehren (bhava-tanhā), das
290 Selbstvernichtungsbegehren (vibhava-tanhā).

Dritte Wahrheit: Die edle Wahrheit über die Beendigung des Leidens
Was aber, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit von der Leidenserlöschung? Es ist ebendieses
Begehrens restloses Erlöschen, Aufgeben, Loslassen, Befreiung und Loslösung davon.

Vierte Wahrheit: Die edle Wahrheit über den Pfad, der zur Beendigung des Leids führt
295 Was aber, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit von dem zur Leidenserlöschung führenden edlen
Pfade? Es ist jener edle achtfache Pfad: rechte Ansicht, rechte Entschlossenheit, rechte Sprache,
rechte Handlung, rechter Lebensunterhalt, rechte Anstrengung, rechte Achtsamkeit, rechte
Konzentration.
Text: http://www.palikanon.com/wtb/sacca.html [zuletzt geprüft am 23.3.2022].
300

Wussten Sie schon …?

Der Buddhismus hat weltweit zwischen 230 und 550 Millionen Anhänger. Er ist damit die
viertgrößte Religion (nach Christentum, Islam und Hinduismus). In Deutschland gibt es ca.
300.000 Buddhistinnen und Buddhisten, einschließlich der hier lebenden Asiaten.

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Das hilft Ihnen weiter

Die früheste Aufzeichnung der Buddha-Worte findet sich im Pali-Kanon. Dieser entstand im
ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Die Texte wurden ursprünglich auf Palmblätter
geschrieben. Deutsche Übersetzungen stehen unter diesem Link:
https://www.palikanon.com/.

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M3
Was der Buddha lehrte – Der Achtfache Pfad
305 Der Edle Achtfache Pfad umfasst die wichtigsten Lebensregeln des Buddhismus. Er skizziert
einen schrittweisen Wandlungsprozess, an dessen Ende die Überwindung aller Verblendung
steht.

Aufgaben

1. Formulieren Sie Beispiele für jeden Pfad. Wie kommt diese Haltung im Alltag zum Ausdruck?
310 2. Sehen Sie Verbindungslinien zwischen den Vier Edlen Wahrheiten und dem Achtfachen
Pfad?
3. Nehmen Sie abschließend Stellung: Hat der Buddha recht mit dem, was er sagt?

Wie Buddhisten leben sollten – Der Edle Achtfache Pfad als Orientierungshilfe
Der Achtfache Pfad guter und ethischer Lebensführung gliedert sich in drei Bereiche: Weisheit,
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315 ethisches Handeln im Alltag und Versenkung (Meditation).
Weisheit
1. Rechte Anschauung (samma ditthi)
2. Rechtes Denken (samma sankappo)
Ethik
3. Rechte Rede (samma vaca)
4. Rechte Handlung (samma kamma)
5. Rechter Lebenserwerb (samma ajiva)
Bild © Arkadij Schell/iStock/Getty Images Plus
Sammlung und Meditation
6. Rechte Anstrengung (samma vayamo)
7. Rechte Achtsamkeit (samma sati)
8. Rechte Konzentration (samma samadhi)

Vertiefender Hinweis
Buddha nannte seine Herangehensweise den „mittleren Weg“. Er empfiehlt Mäßigung. Sowohl
extremes Schwelgen in sinnlichen Genüssen als auch Askese und Selbstquälerei weist er zurück.
Die üppigen Sinnesfreuden während seines Palastlebens machten ihn ebenso wenig glücklich
320 wie die sechs Jahre Askese in der Einsamkeit der indischen Wälder.

Hat der Buddha recht mit dem, was er sagt?


Pro Kontra Ihre Schlussfolgerung

Aussage
Alles Glück Ja, schöne Manche Menschen
ist Augenblicke sind dankbar in

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unbeständi vergehen schnell. jedem Augenblick.


g.
Leid ist die Oft läuft das Leid entsteht, weil
Grunderfah Leben anders, als die Realität nicht so
rung wir es uns ist, wie wir sie gerne
unseres wünschen. Dann hätten. Doch wer
Lebens. leiden wir. sagt, dass gut für
Krankheit und uns wäre, was wir
Schmerz sind uns wünschen?
unvermeidlich.
1./2. Stunde
© RAABE
Hinweise (M 1–M 3)
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Einstieg
Es empfiehlt sich, in der ersten Stunde mit einem Brainstorming zu beginnen. Die Lernenden
325 sind aufgefordert, spontan zu sagen, was ihnen zum Wort „Buddhismus“ einfällt. Ihre Ideen
notieren sie an der Tafel oder auf kleinen Kärtchen, welche am Whiteboard oder einer Pinnwand
gesammelt werden. Erfahrungsgemäß fallen Begriffe wie: Dickbauchbuddha, Dalai-Lama,
Meditation, Religion ohne Gott, bunte Göttergestalten, Mönche mit Glatzen und entblößter
Schulter, Mandalas, Shaolin-Kampfmönche, Tempel mit goldenen Dächern usw. Im zweiten
330 Schritt werden diese Stichworte nach thematischer Zugehörigkeit geclustert. Daraus abgeleitet
werden Leitfragen für die folgende Unterrichtseinheit, beispielsweise:

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a. Rechte Erkenntnis meint dabei die Einsicht in zentrale buddhistische Lehrinhalte:


beispielsweise den Kreislauf der Wiedergeburten, die Leidhaftigkeit des Seins und das
Karma-Prinzip. Im Alltag hieße dies beispielsweise, sich stetig darin zu üben, den
335 Dingen nicht übermäßig anzuhaften.
b. Rechte Gesinnung meint, das eigene Denken und Handeln immer wieder daraufhin zu
überprüfen, ob es heilsam ist für mich und für andere.
2. Sittlichkeit meint eine ethische Lebensführung, die Einhaltung der buddhistischen Gebote.
a. Rechte Rede heißt, nicht zu lügen, niemanden zu beleidigen, nicht geschwätzig zu sein.
340 b. Rechtes Handeln meint, nicht zu töten, nicht zu stehlen, keine schädliche Sexualität zu
praktizieren.
c. Rechter Lebenswandel meint beispielsweise, keine Stoffe zu sich zu nehmen, welche
die Klarheit des Geistes beeinträchtigen, mit Waffen zu handeln etc.
3. Mit Vertiefung ist ein jederzeit gesammelter Geist gemeint. Das erfordert regelmäßige
345 Meditation und Achtsamkeit in jedem Augenblick.
a. Rechtes Streben meint, Affekte zu kontrollieren.
b. Rechte Achtsamkeit meint, ganz im gegenwärtigen Moment zu sein, nicht der
Vergangenheit anzuhängen oder nur in der Zukunft zu verweilen, ganz bei der Person
zu sein, die gerade da ist.
350
© RAABE c. Rechte Versenkung meint, während der Meditation die Gedanken nicht abschweifen zu
2022 lassen.

Aufgabe 2
Im Zentrum der Vier Edlen Wahrheiten steht die Einsicht in den Ursprung des Leidens und
dessen Aufhebung. Alle acht Pfade zeigen Wege auf, diese Einsicht umzusetzen. Rechte
355 Erkenntnis heißt, die Dinge zu sehen, wie sie sind: vergänglich, unbeständig, veränderlich.
Rechte Achtsamkeit fordert, sich ganz auf das einzulassen, was ist, und sich nicht in Träumen zu
verlieren, wie es sein könnte. Im Fokus steht die Meditation. Sie hilft, den Geist zu schulen,
damit wir die Wirklichkeit erkennen, wie sie ist, und uns von allen Anhaftungen und falschen
Vorstellungen zu befreien. Die Vier Edlen Wahrheiten sind wie die Diagnose, die einem
360 Patienten gestellt wird. Das Heilmittel ist der Achtfache Pfad. Es liegt in einer weisen
Lebensführung, welche auf der Nichtschädigung anderer Wesen beruht und auf einer Haltung
der Achtsamkeit und Gelassenheit gründet.

Aufgabe 3
Eine mögliche Antwort könnte sein: Der Buddha hat recht. Glück ist unbeständig. Wer das
365 erkannt hat, vermag in allen Lebenslagen Dankbarkeit zu empfinden für das, was ist.

71 RAAbits Ethik/Philosophie Mai 2022


16 von 51 II.D Religion  Beitrag 7  Buddhas Leben und Lehre

M4 Die drei großen Traditionen des Buddhismus


Aufgaben
370 1. Arbeiten Sie den Text durch. Erklären Sie anschließend die Unterschiede zwischen den drei
großen Traditionslinien im Buddhismus: Theravada, Mahayana und Vajrayana (Tantrayana).
2. Betrachten Sie die Bilder. Bestimmen Sie, zu welcher Traditionslinie des Buddhismus die
abgebildeten Mönche gehören.
3. Betrachten Sie die beiden Buddha-Bilder. Legen Sie begründet dar, welches zum frühen,
375 welches zum späten Buddhismus gehört.

Die drei großen Linien des Buddhismus


Der Buddhismus besteht aus unterschiedlichen Traditionen. Diese werden als „Fahrzeuge“
(yana) bezeichnet. Gemeint ist damit ein Gefährt (oder Floß), welches durchs Leben zum
rettenden Ufer der Erlösung führt (Nirwana). Die älteste Tradition nennt sich „Theravada“ oder
380 die „Lehre der Alten“, wie sie sich nach der Verkündung der Lehre durch Shakyamuni in den
südostasiatischen Ländern ausgebreitet hat. Um die Zeitenwende bildete sich eine Tradition, die
sich selbst „Großes Fahrzeug“ (Mahayana) nannte. Ein späterer Zweig dieser Richtung ist das
Diamantene Fahrzeug (Vajrayana). Einige sehen darin eine eigenständige dritte Richtung. Sie ist
auch unter den Namen „Tantrayana“ und „Mantrayana“ bekannt. Das Vajrayana ist vor allem in
385 Tibet und Bhutan verbreitet.

Das Theravada – Die Schule der Ältesten


© RAABE
Das Theravada beruft sich darauf, die ursprüngliche Lehre des Buddha erhalten zu haben. Im 2022
Zentrum steht der sogenannte Pali-Kanon, die älteste erhaltene Sammlung buddhistischer
Schriften. Ziel ist es, ein Arhat zu werden, die Erleuchtung zu erlangen, um den Kreislauf der
390 Wiedergeburten zu verlassen. Das Theravada wird von den Anhängern anderer Richtungen die
Lehre des „Kleinen Fahrzeuges“ (Hinayana) genannt. Diese Wortwahl verwenden die Anhänger
der Theravada-Lehre nicht, auch deshalb, weil Hinayana nicht nur „kleines“, sondern auch
„niederes Fahrzeug“ bedeutet. Theravada-Mönche tragen in der Regel gelbe oder orange
Roben. Sie gehen täglich auf Almosengang und leben von dem, was ihnen die Menschen in ihre
395 Schalen legen.

Das Mahayana – Das Große Fahrzeug


Das Mahayana ist diejenige Glaubensrichtung innerhalb des Buddhismus mit den meisten
Anhängern. Höchstes Ziel ist nicht die eigene Erleuchtung, sondern das Heil aller Wesen. Gemäß
dieser Ausrichtung sind alle Menschen im tiefsten Innern immer schon Buddha. Sie müssen sich
400 nur daran erinnern. Darum hat Meditation im Mahayana einen hohen Stellenwert. Wichtig ist
ebenso die Schulung des Mitgefühls. Große Bedeutung kommt deshalb den sogenannten
Bodhisattvas zu, erleuchteten Menschen, die die Welt verlassen könnten, aber auf der Erde
bleiben, um anderen zu helfen. Lehrte der frühe Buddhismus, die Erlösung könne nur durch
eigene Anstrengung erreicht werden, so kann gemäß dem Mahayana die Befreiung auch durch
405 die Anrufung und den Beistand höherer Wesen erfolgen. Tatsächlich gilt der Weg des
Bodhisattva bereits im frühen Buddhismus als höchster Heilspfad. Die umfängliche Verehrung
von Bodhisattva-Gestalten kam jedoch erst mit dem Mahayana auf. Zugleich veränderten sich
im Mahayana Bild und Funktion des Buddha. Aus dem spirituellen Lehrer, der seine Lehre

30 71 RAAbits Ethik/Philosophie Mai 2022


II.D Religion  Beitrag 7  Buddhas Leben und Lehre 17 von 51

verkündete und nach seinem Tod in das Nirwana eintrat, wurde eine ewige Gestalt, die
410 Verkörperung universeller Wahrheit, die in der historischen Gegenwart unterschiedliche
Erscheinungsformen annehmen kann. Buddha, der erleuchtete Mensch, avancierte zu einer
Lichtgestalt höchster Verehrung. Anstelle früherer Schlichtheit wird er nun farbenprächtig
dargestellt. Seine Lehrreden richten sich nun nicht mehr an die Menschen seiner Umgebung.
Die Verkündung eines Mahayana-Sutras ist ein überweltliches Ereignis mit Teilnehmern aus
415 allen Himmelswelten, deren prächtige und bunt schillernde Erscheinungsformen, deren
Segnungen und spirituelle Wohltaten nun beredt geschildert werden. Mahayana-Mönche und -
Nonnen leben in Klöstern und erwirtschaften ihren Lebensunterhalt dort oft selbst. Mönche und
Nonnen tragen in China oft graue oder taubenblaue Gewänder, japanische Zen-Anhänger
schwarze Roben, insbesondere bei Zeremonien.

420 Das Vajrayana – Das Diamantene Fahrzeug


Im Vajrayana spielt die Guru-Verehrung eine zentrale Rolle. Ziel ist es, die Erleuchtung schnell
zu erlangen. Darum kommt der Meditation große Bedeutung zu, ebenso dem Rezitieren von
Mantras. Es handelt sich um eine Form des Buddhismus, geprägt von teilweise geheimen
rituellen Praktiken (tantrischer Buddhismus). Vajrayana-Ordinierte tragen meist weinrote Roben.
425 Autorentext

© RAABE
2022 Die drei Fahrzeuge des heutigen Buddhismus

Mantras und der Tantrismus

· Der Begriff „Mantrayana“ bezieht sich auf die Rezitation von Mantras. Mantras sind
„heilige Silben“ (z. B.: om mani padme hum), mit denen eine Gottheit angerufen wird.
· Das Wort „Tantrayana“ bezieht sich auf die Praxis des Tantra. Tantra bedeutet „Gewebe,
Geflecht“. Es handelt sich um eine religiöse Praxis aus den Hindu-Religionen, die auf der
Visualisierung und Anrufung von Gottheiten beruht. Die Praktizierenden glauben,
dadurch unheilsame Dinge in heilsame verwandeln zu können. In Tibet wurde diese Praxis
um das achte Jahrhundert in den Buddhismus integriert.

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430 Zu welchen Traditionen des Buddhismus gehören die Abgebildeten?

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Bild 1 © leezsnow/iStock/Getty Images Plus. Bild 2 © LucynaLewandowska/iStock/Getty Images Plus. Bild 3 ©
© RAABE
Xavier Arnau/E+. Bild 4 © DavorLovincic/E+.
2022

Zu welchen der drei Fahrzeuge gehören diese Textausschnitte?


Text 1: ___________________________________________________________________________________________
435 „So habe ich gehört: Zu einer Zeit hielt sich der Buddha bei Kusinagara im Land der Mallas […]
auf. Zu dieser Zeit waren nicht weniger als 80 Milliarden hunderttausend große Bhiksus mit dem
Weltgeehrten. Sie umgaben ihn vorne und hinten. Am 15. des zweiten Monats, als der Buddha
im Begriff war, ins Nirwana einzugehen, sprach er mit seiner göttlichen Kraft mit lauter Stimme,
die die ganze Welt erfüllte, und erreichte den höchsten der Himmel.“
440 Text 2: __________________________________________________________________________________________
„Also habe ich vernommen. Einstmals weilte der Erhabene in Uruvela, am Ufer des Flusses
Nerañjarā, am Fuße des Feigenbaumes des Ziegenhirten (Ajapāla-Nigrodha), eben erst zur
vollkommenen Erleuchtung gelangt. […] Da nun entstand dem Erhabenen, der ganz in der Stille
einsamer Meditation sich hingab, der folgende erwägende Gedanke […].“
445 Text 3: __________________________________________________________________________________________
„Bedenke dies: Da das Verinnerlichen des Dharmas in erster Linie vom spirituellen Mentor
abhängt, schätze es, dich einem qualifizierten, heiligen Guru anzuvertrauen. […] Vertraue dich
daher vollständig und mit großem (Respekt und) mit großer Wertschätzung jenen an, die
geschickt (in der Wahl) ihrer Methoden sind, die eine mitfühlende Natur besitzen, die beruhigt
450 sind, gezügelt und die Geduld haben; die ein hervorragendes Verhalten zeigen, das mit ihren
Gelübden und engen Bindungen (im Einklang steht), die viele (Unterweisungen) gehört haben
und die eine hohe (Ebene) erreicht haben, sich in (diesen) gut geübt zu haben.“
Text 1: http://www.spiritwiki.de/w/Mahaparinirvana_Sutra; Text 2:
http://www.palikanon.com/samyutta/sam06_01.htm; Text 3: https://studybuddhism.com/de/tibetischer-

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35 II.D Religion  Beitrag 7  Buddhas Leben und Lehre 19 von 51

455 buddhismus/originaltexte/tantra-texte/eine-kostbare-girlande-fuer-die-vier-themen-des-gampopa [geprüft


am 25.3.2022].

© RAABE
2022

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20 von 51 II.D Religion  Beitrag 7  Buddhas Leben und Lehre

Welches Buddha-Bild gehört zum frühen, welches zum späten Buddhismus?

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460

© RAABE
2022

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Bild oben © dangdumrong/iStock/Getty Images Plus. Bild unten © W6/iStock/Getty Images Plus.

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465
M5
Gruppe 1: Die Reine-Land-Schule – Eine Gruppierung
innerhalb des Mahayana-Buddhismus

Aufgaben

1. Arbeiten Sie den folgenden Text durch. Erklären Sie in eigenen Worten, worin sich die Schule
470 des Reinen Landes von den anderen buddhistischen Richtungen unterscheidet.
2. Betrachten Sie das Bild. Beschreiben Sie, was es ausmacht.

Die Reine-Land-Schule – Der Glaube an ein Zwischenreich auf dem Weg zum Nirwana
Der ostasiatische Mahayana-Buddhismus gliedert sich in zwei Hauptrichtungen: den Chan- bzw.
Zen-Buddhismus und die Reine-Land-Schule. Letztere wendet sich vor allem an Menschen,
475 deren familiäre und sonstige Verpflichtungen keine ausgedehnte buddhistische Übungspraxis
gestatten. Einfach und klar ist daher die religiöse Praxis, in deren Fokus die unablässige
© RAABE Anrufung des Buddha-Namens (auf Chinesisch: Namo Amituofo) steht. Anstelle von
2022
Gelehrsamkeit und gegenstandsloser Meditation steht die Ausdauer und Beharrlichkeit einer
Übung, die von jedermann zu jeder Zeit und unter allen Umständen ausgeführt werden kann.
480 Wer diesem Weg folgt, so die Lehre dieser Schule, schaffe die Grundlage für eine Wiedergeburt
im Reinen Land und könne von dort aus später auch in das Nirwana eintreten.
Die Hauptpraxis der Reinen-Land-Schule in ihrer heutigen Form ist die Rezitation von Buddha
Amitabhas Namen und die Vergegenwärtigung seiner ständigen Präsenz. Es handelt sich somit
um eine umfassende Praxis der Achtsamkeit, kein bloß dumpfes und reflexionsloses Rezitieren.
485 Die Schule des Reinen Landes geht auf das indische Mahayana zurück, vor allem die Verehrung
Maitreyas, des für die Zukunft erwarteten Buddhas. Wann sich das Streben nach einer
Wiedergeburt im Sukkavati – dem gesegneten Reinen Land – tatsächlich als eigenständige
Schule formierte, ist unter Buddhismus-Forschern umstritten. Dieser Weg gilt als der „leichte
Weg“, im Gegensatz zu den anderen, „schweren Pfaden“. Die Reine-Land-Schule ist vor allem in
490 China, Korea und Japan verbreitet. Sie gilt dort als die ideale Praxis für Laien, die aufgrund ihrer
familiären, beruflichen und sozialen Verpflichtungen keine Zeit für ausgedehnte religiöse
Übungen haben. Jeder, der den stets in Rot dargestellten Buddha Amitabha anrufe, so der
Glaube dieser Menschen, werde von ihm in der Stunde seines Todes ganz gewiss an diesen Ort
reiner Freude geleitet.

495 Die religiöse Praxis der Reinen-Land-Schule


Zur Buddha-Rezitation wird oft eine Gebetskette mit 108 Perlen verwendet. Manchmal legen
sich die Anhänger dieser Schule auf eine bestimmte Zahl von Repetitionen pro Tag fest, z.  B.
50.000, manchmal auch wesentlich mehr. Die ununterbrochene Wiederholung des Buddha-
Namens soll die Übenden in den Stand versetzen, alle anderen Gedanken abzuschneiden und
500 so eine Einspitzigkeit (ekagrata) des Geistes zu verwirklichen.
Verschiedentlich ist die Praxis der Reinen-Land-Schule den Theravada-Lehren von der Erlösung
allein durch eigene Anstrengung gegenübergestellt worden: Während der frühe Buddhismus
nur den Weg zur Erlösung durch eigene Anstrengung kenne, gleich dem Buddha, der durch

40 71 RAAbits Ethik/Philosophie Mai 2022


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unermüdliche Ansammlung von Tugenden und Verdiensten in vielen Erdenleben schließlich


505 erleuchtet wurde, habe sich im Mahayana und insbesondere der Reinen-Land-Schule ein
Wandel vollzogen. An die Stelle eigener Übung sei allein die fromme Anrufung des Buddha und
das Vertrauen in seine erlösende Macht getreten. Gläubiges Vertrauen habe die nüchterne
Daseinsanalyse ersetzt. Als religiöse Lehre sei das Reine Land daher nicht unähnlich dem
christlichen Heilsweg. Eine solche Auffassung kann sicherlich auf einige Belege in der religiösen
510 Praxis des frühen und späteren Buddhismus verweisen, die eine solche Schlussfolgerung
nahelegen. Allerdings ist die Gegenüberstellung sehr holzschnittartig. Vor allem übersieht sie
eine Reihe von zentralen Kennzeichen der buddhistischen Praxis des Reinen Landes, die sehr
wohl durch harte eigene Übung gekennzeichnet ist.
Die Rezitation ist zwar das Herzstück der Reinen-Land-Praxis, aber der religiöse Alltag reduziert
515 sich nicht darauf. Trotz der äußeren Schlichtheit handelt es sich um vielschichtige religiöse
Übungen, die das Handeln im Alltag anleiten und strukturieren sollen. Dabei spielt die
Schaffung einer positiven geistigen Grundverfassung eine entscheidende Rolle. So ist der
Übende aufgefordert, unablässige Selbstbefragung zu betreiben: Spüre ich den Buddha in
meinem Herzen wirklich? Ist mir sein Bild jederzeit gegenwärtig? Bin ich mit ihm und er mit mir,
520 beim Gehen, Sitzen und Liegen, ob in Tätigkeit oder Ruhe? Bin ich mir seiner stets bewusst, ist
mein Handeln durch Liebe und Barmherzigkeit bestimmt, stehe ich immer und überall im Dienst
des Guten?
Praktizierende der Reinen-Land-Schule werden in etwa so angewiesen zu üben:
Nimm eine Rezitationskette (mit Holz- oder Steinperlen). Setze dich ruhig hin und betrachte ein
525 Bild des Buddha Amitabha. Schließe dann die Augen, aber so, dass noch ein wenig Licht von
außen eindringen kann. Halte das visualisierte Bild gegenwärtig und beginne nun zu rezitieren: © RAABE
Na Mo A Mi Tuo Fo. Bei jeder Rezitation schiebst du eine Perle zwischen Daumen und Zeigefinger 2022
durch. Ermittle zuvor die Anzahl der Perlen deiner Rezitationskette, so weißt du am Ende, wie oft
du den Buddha-Namen schon ausgesprochen hast. Die Mindestzahl beträgt zumeist 108
530 Rezitationen. Lass dabei deinen Geist nicht abschweifen. Achte auf deine Empfindungen.
Autorentext.

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Buddha Amitabha – Der Buddha der umfassenden Liebe

© RAABE
2022

© CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3393013

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535
M6 Gruppe 2: Der Zen-Buddhismus – Eine Gruppierung
innerhalb des Mahayana-Buddhismus

Aufgaben
1. Arbeiten Sie den folgenden Text durch. Erklären Sie in eigenen Worten, worin sich die Chan-
540 bzw. Zen-Schule von den anderen buddhistischen Richtungen unterscheidet.
2. Erklären Sie, was ein Koan ist. Versuchen Sie, die beiden Beispiele zu deuten.
3. Interpretieren Sie die beiden Chan-Geschichten.
4. Interpretieren Sie die beiden Chan-Gedichte und die Haikus.
5. Was können Sie in formaler Hinsicht über die Chan-Gedichte und Haikus sagen?
545 6. Verfassen Sie selbst ein Haiku und lesen Sie es im Kurs vor. Hier finden Sie eine Anleitung
zum Verfassen eines Haikus: https://raabe.click/Buddhismus-Haiku.

Chan-/Zen-Buddhismus

Was unterscheidet das Zen von anderen Traditionen?


Was im Westen als Zen-Buddhismus bekannt ist, stammt ursprünglich aus China. Dort trägt es
550 den Namen „Chan“. Zen ist die japanische Aussprache dieses Begriffs. Der chinesische Begriff
„Chan“ ist die Übersetzung und Verschriftung des Sanskritwortes dhyana, welches „Versenkung“
und „Meditation“ bedeutet. Der Chan- bzw. Zen-Buddhismus ist ein Zweig am großen Baum der
buddhistischen Lehre. Im Unterschied zu anderen buddhistischen Schulen spielen kanonische
© RAABE
Texte in dieser Tradition nur eine untergeordnete Rolle. Großer Wert wird dagegen auf die
2022
555 direkte Erfahrung ungeteilter Wirklichkeit und das erleuchtete Handeln im Alltagsleben gelegt.
Das Wesen solcher Erfahrungen wird oft in Versen und Anekdoten dargelegt. Schüler-Meister-
Dialoge, durchdrungen von Bildern und Metaphern, sollen tiefere Einsichten auslösen als die
systematische Darlegung eines Lehrgebäudes.
Die Chan- bzw. Zen-Praxis soll direkt auf den historischen Buddha Shakyamuni zurückgehen. Als
560 dieser einst gebeten wurde, die Lehre vor einer Ansammlung von Menschen darzulegen, so
berichtet eine bekannte Legende, deutete er nur auf eine Blume. Dieser schlichte Hinweis
Buddhas auf die Allgegenwart der Erleuchtung steht am Anfang der Überlieferungslinie des
plötzlichen Erwachens. Nach mehreren Generationen indischer Geistträger brachte der Mönch
Bodhidharma (chinesisch: Puti Damo) die Chan-Praxis zu Beginn des sechsten nachchristlichen
565 Jahrhunderts von Indien nach China. Ob diese Überlieferungslinie wirklich besteht oder ob es
sich um eine nachträgliche Rekonstruktion handelt, um gegenüber den anderen Schulen mit
Lehrautorität aufzutrumpfen, ist unter Fachwissenschaftlern allerdings umstritten.
Autorentext.

Die Koan-Praxis – Ein charakteristisches Kennzeichen des Zen-Buddhismus


570 Steht im Mittelpunkt des frühen Buddhismus die Achtsamkeitsmeditation mit Fokus auf den
Körper, den Atem, die Gefühle und geistigen Regungen und in der Reinen-Land-Schule die
Visualisierung des Buddha Amitabha und die Rezitation seines Namens, so spielt im Chan/Zen
die Koan-Praxis eine wichtige Rolle. Dabei handelt es sich um Meditationsanweisungen mit
paradoxen oder logisch nicht auflösbaren Fragestellungen, die unmittelbare Einsichten
575 ermöglichen sollen.

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II.D Religion  Beitrag 7  Buddhas Leben und Lehre 25 von 51

 Ein Koan (öffentlich vorgetragener Fall) ist eine kurze Geschichte, eine Feststellung, eine
Frage oder ein Dialog, über die im Rahmen der Chan-Praxis meditiert wird.
 Ein Koan soll die Konzentration fördern, wird aber nicht durch reflektierendes Denken
erschlossen. Vielmehr soll durch das Koan eine plötzliche Einsicht oder Erfahrung ausgelöst
580 werden.
 Zumeist wird das Koan vom Meister an den Adepten entsprechend seinem vermuteten
Erkenntnisstand gegeben. Koans sind (scheinbar?) paradoxe und dem Alltagsverstand kaum
zugängliche Äußerungen, die oft auf bekannte Episoden der Vergangenheit oder
inspirierende Begegnungen zurückgehen.
585  Das Koan dient dem Meister auch als Mittel, mit dem er die Fortschritte seiner Schülerinnen
und Schüler auf dem Weg des intuitiven, unmittelbaren Erfassens der Wirklichkeit prüft.

I Wie sieht ein Koan aus? – Zwei Beispiele

Was war dein ursprüngliches Gesicht, Wenn man in beide Hände klatscht,
ehe dein Vater und deine Mutter entsteht ein Ton.
dich in diese Welt setzten?
Wie ist der Ton
beim Klatschen einer Hand?
© RAABE Texte: https://www.blueprints.de/koan/.
2022

II Beispiele für Chan-Geschichten

590 Ein Vogel singt


An einem Morgen hatten sich die Mönche zu einer Belehrung durch den Meister in der
Tempelhalle versammelt. Dieser betrat die Halle, zupfte das Kissen zurecht und ließ sich auf
seinem Platz nieder. Als er gerade sprechen wollte, begann draußen plötzlich ein Vogel zu
singen. Wortlos deutete der Meister in Richtung des Gesanges und hieß die Mönche schweigen
595 und hinhören. Nach kurzer Zeit verstummte die helle Vogelstimme. Der Meister verharrte noch
eine Zeitlang in der eingetretenen Stille, dann stand er auf und erklärte: „Die heutige Belehrung
ist beendet.“

Zeigt mir den Ort, wo der Buddha nicht verweilt


Eine Gruppe von Mönchen saß in der großen Tempelhalle und rezitierte ein Sutra. Plötzlich
600 musste einer der Mönche kräftig husten, dabei sammelte sich eine große Menge Schleim in
seinem Mund, die er mit einem Pfeifton zur Seite hin ausspuckte. Unbeabsichtigt blieb die
schleimige Aule an der großen Buddha-Statue hängen und triefte von dort in langen Schlieren
herab.
„Wie kannst du es wagen, auf den Buddha zu spucken?“, brüllte der Leiter der großen Halle
605 empört. Die Rezitation der Mönche verstummte. „Ich verlange sofortige Bestrafung!“, rief der
Obermönch. Der Kritisierte lächelte nur. „Zeigt mir einen Ort, wo der Buddha nicht verweilt.“ Die
anderen Mönche murmelten und brummten einen Augenblick vor sich hin. Dann setzten sie
ihre Rezitation fort. Jeder Winkel der Halle, ja der ganze Tempel war erfüllt vom Klang und
Widerhall ihrer hellen Stimmen.
610 Text: Wagner, Hans-Günter (Hrsg.): Das Kostbarste im Leben. Geschichten und Anekdoten des Chan-
Buddhismus. Kristkeitz Verlag, Heidelberg 2009. S. 25 und 27.

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III Die Lyrik des Chan/Zen


Da Chan/Zen als die Weisheit gilt, die nicht eindeutig in Worte zu fassen ist, wird in der Poesie
615 die angemessene Form ihrer Versprachlichung gesehen. Solche Verse, so heißt es, wurzelten im
unmittelbaren und bewussten Erleben des Augenblicks als Quelle des buddhistischen
Erwachens.

Ein Vers von Hui Zhong (?–775)


Hundert Blumen blühen im Frühling
620 Im Herbst scheint hell der Mond
Eine frische Brise hält der Sommer bereit
Und der Winter bringt weißen Schnee
Verharre in Gleichmut
lass deinen Geist an nichts haften
625 So wirst du die vier Jahreszeiten erfahren
so schön, wie sie sind
Ein Kommentar: Ein großer Meister, Gu De, sagte einst: Der grüne Bambus hat die Natur des
Buddha (die Natur der Soheit), und die üppig wachsenden gelben Blumen sind nichts außer
reiner Weisheit. Wer dies nicht versteht, lehrt Falsches. Doch selbst die, die es glauben, können
630 es sich oft nicht vorstellen. […] Die Soheit ist die Grundlage der unzähligen Wesen. Sind die
Umstände gegeben und die Bedingungen herangereift, so ist es unmöglich, dass dies nicht
erfahren wird von dem, der beständig im Lotussitz verweilt. Niemals tritt der grüne Bambus
heraus aus dem Bereich der Soheit. So gibt es nichts, das nicht dem reinen Raum des © RAABE
Dharmakaya entstammt. Im Mahaprajna-Sutra heißt es: Endlos ist die Welt der Formen und so 2022
635 ist auch die Weisheit grenzenlos. Gelbe Blumen existieren nicht jenseits der Welt der Formen,
wie könnten sie da nicht Weisheit verkörpern?
Text: Die Lyrik des Chan-Buddhismus. Unvollkommen die Worte und alle Rede darüber. Gedichte von den
Anfängen bis zur Tang-Dynastie. Aus dem Chinesischen übertragen und kommentiert von Hans-Günther
Wagner. Band 1. Verlag Beyerlein  & Steinschulte, Stammbach-Herrnschrot 2009. S. 154.

640 IV Haikus – Zentrale Merkmale


Kürze: Haikus sind kurze Gedichte. Meist werden sie in drei Zeilen geschrieben.
Gegenwärtigkeit: Haikus spielen fast immer in der Gegenwart. Kommen andere Zeiten vor,
dann handeln sie von Erinnerungen oder Fantasien, die jemand in der Gegenwart hat.
Konkretheit: Haikus stellen Sachverhalte oder Erlebtes nicht abstrakt, sondern konkret dar, für
645 einen Leser sinnenhaft erlebbar, beobachtbar. In erster Linie wird also die Wahrnehmung
angesprochen, weniger das intellektuelle Denken.
Externe Orientierung: Haikus beschäftigen sich fast immer mit der äußeren Welt, weniger mit
den allgemeinen Vorstellungen des Dichters.
Offenheit: Mit dem Lesen des Textes sollte das Haiku noch nicht zu Ende sein. Ein Nachhall,
650 etwas Ungesagtes, offen Gelassenes, für den Leser weiter zu Dichtendes sollte noch bleiben.
Form: Endreime oder Überschriften gibt es beim Haiku nicht.
Quelle: https://www.haiku-heute.de/archiv/haiku-gute-beispiele/ [zuletzt geprüft am 25.3.2022].

Wenn ich einsam bin, Der alte Weiher:


fange ich Sonnenstrahlen ein, Ein Frosch springt hinein.
die durch den Türspalt fallen. Oh! Das Geräusch des Wassers.

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Toyo Shibatar Matsuo Bashō (1644–1694)

© RAABE
2022

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3./4. Stunde

655 Hinweise (M 4–M 6)

Worum geht es in dieser Stunde?


In dieser Stunde geht es um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den großen
buddhistischen Traditionen („Fahrzeugen“). Die Lernenden erschließen sich diese anhand
typischer Bilder und kurzer Textauszüge, welche die jeweiligen Richtungen repräsentieren.

660 Einstieg
Die Lernenden wiederholen in eigenen Worten die Kerngedanken der buddhistischen Lehre.
Anschließend wird Arbeitsblatt M 4 ausgeteilt. Skizziert wird hier in groben Zügen die
historische Entwicklung des Buddhismus in seinen unterschiedlichen Entfaltungen. Sinnvoll ist
es, die Schülerinnen und Schüler arbeitsteilig vorgehen und jeweils einen Abschnitt des Textes
665 lesen und zusammenfassen zu lassen. Gemeinsam werden im Plenum anschließend die
Ergebnisse zusammengetragen und Unterschiede zwischen den Traditionslinien
herausgearbeitet. Vertiefend werden die Roben der Mönche den unterschiedlichen Traditionen
zugeordnet. Abschließend ordnen die Lernenden die beiden Buddha-Darstellungen begründet
zu.

670 Erarbeitungsphase © RAABE


2022
Vertiefend stehen im Fokus der Erarbeitungsphase zwei große Schulen des späten Buddhismus,
die hier exemplarisch betrachtet werden sollen. Dazu arbeiten die Lernenden in Einzel-, Partner-
oder Gruppenarbeit die Texte durch und präsentieren anschließend ihre Ergebnisse.

Erwartungshorizont (M 4)

675 Aufgabe 1
Zielsetzung der ältesten Tradition innerhalb des Buddhismus ist es, ein Arhat zu werden, die
Erleuchtung zu erlangen und nicht wiedergeboren zu werden. Im Mahayana verschiebt sich der
Blickwinkel. Haben alle Wesen bereits Buddha-Natur, so kommt der eigenen Erleuchtung
weniger Bedeutung zu als dem Wirken am Heil aller Wesen. Zentral ist die Schulung in
680 Meditation und Mitgefühl. Die Deutung von Bodhisattvas als auch des Buddha selbst verändert
sich. Im Vajrayana rückt die Erleuchtung in den Vordergrund. Große Bedeutung kommt der
Figur des Gurus zu.

Aufgabe 2
Bild 1 links: Theravada-Mönche (Almosenschale und orange Roben), Bild 2 rechts: Vajrayana-
685 Mönche (weinrote Ordensgewänder), Bild 3 unten links: chinesischer Mönch (taubenblaues
Gewand), Bild 4 unten rechts: Zen-Mönche (schwarze Robe).

Aufgabe 3
Text 1: lässt sich dem Mahayana-Buddhismus zuordnen. Buddhas Predigten werden als
überweltliche Ereignisse geschildert.

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55 II.D Religion  Beitrag 7  Buddhas Leben und Lehre 29 von 51

690 Text 2: ist dem Theravada-Buddhismus zuzuordnen. Buddhas Predigten beziehen sich auf
konkrete Orte zu Lebzeiten des historischen Buddha.
Text 3: ist dem Vajrayana-Buddhismus zugehörig. Die Verehrung eines Gurus und die
vollständige Hingabe an ihn wird zum Kernstück der spirituellen Übung erklärt.

Aufgabe 4
695 Bild oben: Buddha-Darstellung aus dem frühen Buddhismus (Buddha im schlichten
Mönchsgewand) in einem natürlichen (wenn auch ein wenig verklärten) Umfeld. Bild unten:
Buddha-Darstellung aus dem späten Buddhismus; farbenprächtige Vajrayana-Darstellung mit
Aura und ausgeschmückter überweltlicher Umgebung.

Erwartungshorizont (M 5)

700 Aufgabe 1
Im Mittelpunkt der Übung stehen in der Reinen-Land-Schule Rezitationen, nicht die stille
Versenkung wie etwa im frühen Buddhismus oder Koan-Meditationen wie im Chan-/Zen-
Buddhismus. Glaube und Vertrauen nehmen an Bedeutung zu. Die nüchterne Daseinsanalyse,
welche den frühen Buddhismus prägte, rückt in den Hintergrund. Die Vorstellung von einem
© RAABE
2022
705 Paradies taucht auf. Die religiöse Praxis spricht vor allem buddhistische Laien an. Die Reine-
Land-Praxis gilt als der „leichte Weg“.

Aufgabe 2
Buddha Amitabha ist der Buddha der umfassenden Liebe. Er lebt in der Ruhe und wird darum
häufig als meditierender Buddha dargestellt. Sein Ziel ist die Erleuchtung aller Wesen. Diese
710 gelingt über die Visualisierung der umgebenden Welt als reines Land. Dies wird durch eine
entsprechend klare und unbegrenzte Sichtweise erreicht oder indem man allen Wesen Licht
sendet und ihnen Glück wünscht.

Erwartungshorizont (M 6)

Aufgabe 1
715 Der Zen-Buddhismus unterscheidet sich von anderen Traditionen durch die Ablehnung
(zumindest die Geringschätzung) von Scholastik und schriftlicher Tradition. Zugleich wird eine
eigene Traditionslegende präsentiert. Der Fokus der Übung liegt auf dem direkten Erleben.
Geübt wird im alltäglichen Leben. Durch beständige Achtsamkeit und unablässige Anstrengung
soll Erleuchtung erlangt werden. Schüler-Meister-Dialoge spielen eine wichtige Rolle im
720 Unterweisungsprozess. Im Fokus steht der Glaube an die ungebrochene Existenz einer direkten
Übertragungslinie, die bis auf den historischen Buddha zurückgehen soll. Einerseits finden sich
Kennzeichen von Bilderstürmerei, was die überlieferten Kunstformen betrifft, andererseits
bedient sich diese Schule selbst vielfältiger Metaphern und einer bildreichen Sprache.

Aufgabe 2
725 Bei einem Koan handelt es sich um eine paradoxe Aussage, die rational nicht erfasst werden
kann. In der Meditation darüber wird eine direkte Schau der Wirklichkeit bzw. ein intuitives
Erfassen der höheren, nicht in Subjekt und Objekt geteilten Wirklichkeit möglich. Erstes Beispiel:
Hier geht es um Fragen wie: Wer war ich vor meiner Geburt? Wer bin ich wirklich? Was ist mein

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30 von 51 II.D Religion  Beitrag 7  Buddhas Leben und Lehre

wahres Wesen? Zweites Beispiel: Hier geht es um die Frage der Natur der höchsten, der
730 ungeteilten Wirklichkeit: Wie ist die Welt beschaffen, wenn es keinen Wahrnehmenden gibt?
Wie ist die nicht duale Wirklichkeit (es gibt keine zwei Hände, die beim Klatschen
aufeinandertreffen)?

Aufgabe 3
Erste Geschichte: „Ein Vogel singt“: Hier geht es um den Fokus auf den Augenblick. Die
735 Achtsamkeit in Bezug auf die unmittelbare Umgebung ist wichtiger, als einer abstrakten
Erklärung zu lauschen. Das Hören des Vogelsangs und sein Verstummen stehen hier für
Momente direkten Gewahrseins, frei von allen gedanklichen Konzeptionen. Zweite Geschichte:
„Zeigt mir den Ort, wo der Buddha nicht verweilt“: „Rein“ und „unrein“ sind relative Begriffe.
Thematisiert wird die Allgegenwart des Heiligen und dass die Erleuchtung überall möglich ist.

740 Aufgabe 4
Der formale Aufbau des Chan-Gedichts und des Haikus:
Das Chan-Gedicht von Hui Zhong aus dem achten Jahrhundert besteht im chinesischen Original
aus insgesamt 26 chinesischen Schriftzeichen, die in vier Zeilen zu je sieben Zeichen angeordnet
sind. Inhaltlich arbeitet der Dichter mit Gegensatzpaaren. In den ersten beiden Zeilen (im
745 Chinesischen, in der deutschen Übersetzung sind es die ersten vier) werden die Jahreszeiten
vorgestellt. Mit dem Hinweis auf deren Unbeständigkeit wird jedes Mal ein Merkmal von
Schönheit verknüpft. Der weiße Schnee des Winters wird der Kälte gegenübergestellt oder eine
frische Brise im Sommer der sengenden Hitze dieser Jahreszeit. Die beiden verbleibenden Zeilen
(in der Übersetzung vier) ziehen ein Fazit aus der Beschreibung der davorstehenden bzw. © RAABE
750 erteilen einen Lebensratschlag: In der Gelassenheit offenbaren alle Dinge ihre vollendete 2022
Schönheit. Daher soll man an nichts haften. Wer so denkt und handelt, lebt frei und glücklich.
Ein Haiku besteht aus nur drei Zeilen, deren Silbenanzahl wie folgt ist:
1. Zeile: fünf Silben
2. Zeile: sieben Silben
755 3. Zeile: fünf Silben
Ein Thema wird dabei mit einer Wahrnehmung oder einem Gefühl auf eine ungewohnte oder in
ungewöhnlicher Weise verbunden. Damit regen solche Kurzverse den Leser an, die Dinge
ebenfalls neu zu betrachten. Haikus werden im Geist des Lesers oder Hörers lebendig und
erzeugen etwas Neues.
760

71 RAAbits Ethik/Philosophie Mai 2022


II.D Religion  Beitrag 7  Buddhas Leben und Lehre 31 von 51

M 7a
Gruppe 1: Die Rolle der Frau im Buddhismus

Aufgaben

1. Legen Sie das Frauenbild dar, das sich in den drei buddhistischen Texten findet.
765 2. Stellen Sie Vermutungen an, warum Frauen auf diese Weise porträtiert werden.
3. Nehmen Sie begründet Stellung.

Der Buddha und die Frauen


Der Mönch Ananda fragte Buddha, wie man sich Frauen gegenüber verhalten soll.
„Wie sollen wir, o Herr, mit den Weibern uns verhalten?“
770 „Nicht anschauen, Anando.“
„Und wenn, Erhabener, wir sie bereits gesehen haben, soll man sich wie verhalten?“
„Nicht ansprechen, Anando.“
© RAABE „Wenn aber eins anspricht, o Herr, soll man sich wie verhalten?“
2022 „Achtsamkeit, Anando, bewahren.“
775 Text: Mahāparinibbāna Sutta. Zu finden unter: http://www.palikanon.de/digha/d16_5.htm#Frauen [zuletzt
geprüft am 25.3.2022].

Katalin Lakos: Die Frauen im frühen Buddhismus


Die sexistischen Äußerungen im Pali-Kanon waren eher an den männlichen Praktizierenden
gerichtet und sollten ihm die Vorteile der Enthaltsamkeit verdeutlichen. Sie können nicht
780 einfach undifferenziert als Ausdruck von Frauenfeindlichkeit gesehen werden. Sie verdeutlichen
die Schwierigkeiten, die Mönche mit der Entsagung hatten und die einige von ihnen dazu
brachten, ihre Angst vor Frauen in Hass gegen Frauen zu wandeln. Es ist also wahrscheinlich,
dass solche Äußerungen und Behauptungen im Pali-Kanon Zusätze von den Nachfolgern
Buddhas sind, die in erster Linie die Mönche ansprachen, die über kein Wissen und keine
785 Weisheit eines Buddha verfügten. Aus der Sicht der buddhistischen Lehre spielt das Geschlecht
keine Rolle, jeder kann und darf dem Pfad von dem Buddha folgen und jeder ist vor dem
dhamma [der buddhistischen Lehre] gleich.
Text: https://www.proquest.com/openview/def3eea4879275b049c119fa5b25e26f/1?pq-
origsite=gscholar&cbl=4658976 [zuletzt geprüft am 25.3.2022].

790 Das Gleichnis von der Verwandlung eines Mannes in den Körper einer Frau
Es lebte einmal ein Mönch mit Namen Aniruddha, der bereits in jungen Jahren den Status eines
Arhats erlangt hatte. Unter all den Mönchen ragte er durch sein feingeschnittenes Gesicht und
seine schöne Gestalt hervor. Auf den ersten Blick konnte man ihn für ein weibliches Wesen
halten. Als er einmal zu einem Spaziergang durch die Felder schritt, erblickte ihn ein junger
795 Bauernbursche, der, obzwar schon verheiratet, doch voll brennender Begierde auf andere
Frauen war. Heimlich schlich er sich an Aniruddha heran, den er für ein schönes junges
Mädchen hielt. Erst als er sich, von schmutzigem Verlangen getrieben, auf sein Opfer gestürzt
hatte, erkannte er seinen Irrtum. Wie er nun Aniruddha ins Gesicht blickte und dann an sich
selbst herunterschaute, musste er voller Entsetzen feststellen, dass sein Körper sich soeben in

60 71 RAAbits Ethik/Philosophie Mai 2022


32 von 51 II.D Religion  Beitrag 7  Buddhas Leben und Lehre

800 den einer Frau verwandelt hatte. Voller Scham rannte er fort und versteckte sich in den Bergen.
Viele Jahre blieb er dort und wagte es nicht mehr, zu seiner Familie zurückzukehren. Zuhause
wartete seine Frau voller Sorge auf ihn, die nicht die geringste Ahnung hatte, wo ihr Gemahl
verblieben war. Bald glaubte sie ihn nicht mehr am Leben. Jeden Tag und jede Nacht weinte sie
voller Gram.
805 Eines Tages kam Aniruddha während eines Almosengangs am Haus dieser Frau vorbei. Aus dem
Inneren vernahm er ihr lautes Heulen und Wehklagen. Besorgt trat er ein. Als die Frau dem
Ehrwürdigen von ihrem spurlos verschwundenen Gatten berichtete, wollte der Mönch natürlich
helfen und erteilte ihr seinen Segen, sprach dabei jedoch kein einziges Wort. Erfüllt von
Mitgefühl mit dem Leiden der Frau erkannte er mit seinem Hellblick ganz plötzlich, was sich hier
810 zugetragen hatte. Unverzüglich begab er sich in die Berge und suchte den geflohenen Mann,
den er auch bald gefunden hatte. In der Gegenwart Aniruddhas, den er einst schädigen wollte,
bereute dieser seine schlechte Tat auf das Aufrichtigste. In genau diesem Augenblick
verwandelte er sich wieder in einen Mann zurück. Bald darauf konnte ihn seine Frau wieder
freudig in ihre Arme schließen.
815 Text: Zápìyùjīng (2008), Vol. T04, Nr. 205 (Taisho Daizokyo). Deutsche Übersetzung in: Wagner, Hans-Günter
(Hrsg.): Das Zapiyu-Sutra. Buch der buddhistischen Gleichnisse. Übersetzt von Hans-Günter Wagner. Reclam
Verlag, Stuttgart 2020.

M 7b Gruppe 2: Die Rolle der Frau im Buddhismus

820 Aufgaben
1. Legen Sie dar, wo die Autorin Übereinstimmungen zwischen Buddhismus und Feminismus
© RAABE
sieht.
2022
2. Nehmen Sie Stellung: In welcher Hinsicht können sich Buddhismus und Feminismus nach
Meinung der Autorin wechselseitig ergänzen?

825 Shelley Anderson: Feminismus, Buddhismus und gesellschaftlicher Wandel


Buddhismus und Feminismus sind häufig wie zwei Seiten ein und derselben Münze. Beide
streben Befreiung und Veränderung an. Beide betonen Selbstverantwortung und
Selbstbefreiung. Der Feminismus hat Frauen und Männern geholfen, die falschen Mythen, die
man uns über unsere wahre Natur und unsere Fähigkeiten erzählt hat, zu überwinden. Der
830 Buddhismus vertieft diesen Lernprozess, indem er uns hilft, uns von den Illusionen und
Verhaftungen zu lösen, die uns daran hindern, wirklich in der Gegenwart zu leben. Feminismus
wie Buddhismus anerkennen die grundlegende Gleichheit aller Menschen. Beide verlangen eine
radikale Neubetrachtung der Individuen und der Gesellschaft sowie den Respekt vor der wahren
Natur der Dinge.
835 […] Buddhismus und Feminismus sind sich außerdem in ihrem erfahrungsbezogenen und
undogmatischen Ansatz einig. Buddha lehrt uns, unser eigenes Licht zu sein, das heißt, nicht
unhinterfragt die Meinungen und Ansichten anderer zu übernehmen – gleichgültig wie viel
Autorität sie besitzen mögen –, sondern nur das anzunehmen, was wir aufgrund eigener
Erfahrungen als wahr erkannt haben. […]
840 Ich glaube, dass Buddhismus und Feminismus viel voneinander lernen können. Ein solcher
Austausch wäre bereichernd für beide Seiten. Der Buddhismus weist einen Weg, das Leiden zu
betrachten in der Absicht, es zu beenden. Die meditative Praxis stärkt Konzentration und
Achtsamkeit, beides wesentliche Fähigkeiten im Streben nach sozialer Veränderung. […] Der
Buddhismus kann dem Feminismus dabei helfen, Wut und Bitterkeit in heilsames Handeln zu

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II.D Religion  Beitrag 7  Buddhas Leben und Lehre 33 von 51

845 transformieren. Wenn wir tiefe Einsicht praktizieren, erkennen wir, wo wir unsere eigene
Opferhaltung herstellen, und lernen, die Rollen von Opfer und Täter loszulassen. Der
Feminismus kann den Buddhismus von der Illusion männlicher Überlegenheit befreien. Er kann
uns helfen, traditionelle Praktiken, die änderungsbedürftig sind, zu revidieren.
Text: https://www.buddha-netz.org/uploads/1/3/2/8/132828395/
850 feminismus_buddhismus_gesellschaftlicher_wandel.pdf. [zuletzt geprüft am 04.04.2022]

© RAABE
2022

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M 7c Gruppe 3: Die Rolle der Frau im Buddhismus

Aufgaben
855 1. Legen Sie die Probleme dar, die in den beiden Texten beschrieben werden.
2. Erläutern Sie, welche Ursachen benannt werden.
3. Nehmen Sie Stellung: Was folgt Ihrer Meinung nach daraus bzw. was sollte getan werden?

Sexueller Missbrauch in buddhistischen Gemeinschaften – Des Kaisers tantrische Roben


Dass es sexuelle Ausbeutung und Machtmissbrauch ist, wenn ein männlicher Lehrer eine
860 Schülerin zu einer geheimen sexuellen Beziehung auffordert und wenn er zu Drohungen und
Täuschungen greift, um seine Ziele zu erreichen, ist für mich heute völlig klar. […] Wenn Frauen
unter Drohungen dazu verpflichtet werden, generell nicht darüber zu sprechen, dass sie eine
sexuelle Beziehung zu einem Lama eingegangen sind, dann ist das alles andere als akzeptabel.
Welchem anderen Zweck könnte dies dienen als dem zu verhindern, dass über die sexuelle
865 Beziehung etwas an die Öffentlichkeit dringt? […]
Im geheiligten Raum des tibetischen Tantra existiert auch die geheime Gefährtin, Songyum
genannt. Das Wort […] wird auch im Sinne von ‚Sexualpartnerin‘ benutzt und bedeutet wörtlich
‚geheime Mutter‘. Die Rolle der Songyum wird geheim gehalten, damit die hochgestellten
Mönche im klösterlichen Kontext sexuelle Praktiken ausführen können, der Fortbestand des
870 Systems dadurch jedoch nicht gefährdet wird. In der Öffentlichkeit kann der Lama weiterhin als
Mönch auftreten, der an das Gelübde sexueller Enthaltsamkeit gebunden ist, obwohl er
tatsächlich unter strikter Geheimhaltung sexuell aktiv ist. […] © RAABE
2022
Die Psychotherapeutin Diane Shainberg wurde in einem Interview mit der amerikanischen
buddhistischen Zeitschrift Tricycle im Jahre 1991 gefragt, ob die Erfahrung von Frauen, die eine
875 sexuelle Beziehung zu ihrem Lehrer gehabt hatten, auch nur in irgendeiner Hinsicht als
‚transzendent‘ bezeichnet werden könne. Sie antwortete: ‚Niemals.‘ […] All diese Frauen fühlten
sich zum Sexualobjekt degradiert, und letztendlich blieb bei allen das Gefühl zurück, verlassen
worden zu sein. […] Ich habe bei solchen Frauen nie etwas wahrgenommen, das auch nur im
Entferntesten als Gewinn bezeichnet werden könnte. Nichts. […]
880 Insbesondere westliche Anhänger des tibetischen Buddhismus lassen oft eine geradezu
atemberaubende Bereitschaft erkennen, den Meistern dieser Tradition gegenüber ihre
Unterwürfigkeit zu bezeugen. Obgleich immer wieder betont wird, dass Unterwürfigkeit in
einem religiösen Kontext als Übung von ‚Hingabe‘ (letztlich an die eigene Buddha-Natur) zu
verstehen sei, also keineswegs als Unterwerfung unter eine vor allem autoritäre Struktur, wird
885 wohl angesichts der realen Situation niemand leugnen können, dass durch die konsequente und
eindeutig gewollte Ausklammerung demokratischer und egalitaristischer Grundprinzipien aus
der Meister-Schüler-Beziehung eine nahezu unüberbrückbare Kluft entsteht, so dass die
Beziehung tatsächlich derjenigen zwischen Herrn und Sklaven oder zwischen Eltern und
Kleinkind ähnelt. Dem Schüler wird jegliche Autonomie abgesprochen, und absoluter Gehorsam
890 gegenüber der Allmacht des Meisters ist für ihn oberstes Gebot.
Text: Campbell, June: Göttinnen, Dakinis und ganz normale Frauen. Weibliche Identität im tibetanischen
Tantra. Theseus Verlag, Berlin 1997. S. 14, 18, 19, 158, 174.

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II.D Religion  Beitrag 7  Buddhas Leben und Lehre 35 von 51

Sexueller Missbrauch in zenbuddhistischen Gemeinschaften


895 Der in den USA wirkende Rinzai-Zen-Meister Eido Shimao (1932–2018) musste im Dezember
2010 als Abt des New Yorker Zendos Soboji zurücktreten, nachdem sich seine jahrzehntelangen
Übergriffe gegen Frauen seiner Gemeinde nicht länger vertuschen ließen. Mehrere seiner Opfer
waren nach Nervenzusammenbrüchen in psychiatrische Kliniken eingewiesen worden. Über den
von Soen Nakagawa zum Zen-Meister ernannten und von Robert Aitken in die USA geholten
900 Shimano heißt es, dass er eine besondere Gabe besaß, reiche Gönner zu großzügigen Spenden
zu motivieren. Er selbst lebte mit seiner Frau in einer großzügigen Wohnung in der 69. Straße
New Yorks. Erste Enthüllungen kamen bereits Mitte der siebziger Jahre ans Licht. „Das geht euch
nichts an“, brüllte Shimano seinen Anhängern damals in der vollbesetzten Meditationshalle
entgegen, als er auf seine „Fuck Follies“ angesprochen wurde. Die Hälfte der Mitglieder verließ
905 seinerzeit die Gemeinschaft, allein die Gutgläubigen und Vertrauensseligen blieben und einige
von ihnen konnten in der Hierarchie der Gemeinschaft aufsteigen, da viele Plätze frei geworden
waren. Shimanos sexuelle Annährungen ereigneten sich oft während formeller Begegnung mit
seinen Schülerinnen unter vier Augen (dokusan). Eine Betroffene berichtet:
„Er steht auf und streckt mir seine Hand entgegen. Ich greife unbeholfen nach ihr, aber bevor ich
910 wieder Gefühl in die Beine bekomme, reißt er mich vom Boden hoch, zieht meinen Körper an den
seinen, beginnt meine Brüste zu betatschen, berührt meinen Mund mit seiner Zunge und langt
© RAABE schließlich unter meinen Rock zwischen meine Beine. Einen Moment lang bin ich zu überrascht,
2022 um zu reagieren. Dann stoße ich ihn zurück und halte ihn auf Armeslänge von mir weg. Ich sehe
ihm geradewegs ins Gesicht. Er starrt zurück. Er tut, als sei nichts passiert. Er lächelt immer noch.“
915 Text: https://unbuddhist.com/2014/01/01/der-fall-shimano-mann-ohne-rang/ [zuletzt geprüft am 25.3.2022].

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5. Stunde
Hinweise (M 7)

Worum geht es in dieser Stunde?


920 Die Rolle der Frau im Buddhismus ist ein kontroverses Thema und sollte im Unterricht daher
auch auf diese Weise erarbeitet werden. Gelungenes Lernen lebt von der Konfrontation von
Innen- und Außenperspektiven, vom Wechselspiel zwischen ethischen und religiösen Lehren mit
der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Textexegese schließt auch die Analyse der
Legitimationsfunktion der Referenztexte im Kontext von Machtstrukturen ein. Daher sollte der
925 Buddhismus im Unterricht nicht behandelt werden, ohne über seine Schattenseiten zu sprechen,
und nicht unter Ausblendung der Sichtweise von Kritikern und Opfern von Machtmissbrauch.

Erarbeitungsphase I
Zur Rolle der Frau im Buddhismus gibt es sehr unterschiedliche Ansichten. Material M 7 zeigt
einige davon auf. Die Klasse wird in drei Gruppen eingeteilt, welche die Texte arbeitsteilig lesen.
930 Sie sichern ihre Arbeitsergebnisse.

Erarbeitungsphase II
Die Ergebnisse werden im Plenum präsentiert und gemeinsam erörtert.

Vorschlag für ein Tafelbild


© RAABE
2022
935 Gruppe 1: Rolle und Bild der Frau in klassischen buddhistischen Texten

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II.D Religion  Beitrag 7  Buddhas Leben und Lehre 37 von 51

Vorschlag für ein Tafelbild


Gruppe 2: Übereinstimmungen und gegenseitige Ergänzungen von Buddhismus und
940 Feminismus

© RAABE
2022

Im Gespräch zu problematisierende Fragen:


· Die Autorin sagt, was geschehen soll, aber nicht, mit wem und wie diese Ziele erreicht
werden können.
945 · Trägt die Autorin anstelle einer nüchternen Sachanalyse nicht ausschließlich eigene
Wünsche und Hoffnungen vor?
· Wer und wie viele unter den Buddhistinnen/Buddhisten und Feministinnen/Feministen teilen
wohl diese Einschätzung der Autorin?

Vorschlag für ein Tafelbild


950 Gruppe 3: Sexueller Missbrauch in buddhistischen Gemeinschaften

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© RAABE
2022

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Im Gespräch zu problematisierende Fragen:


· Warum lassen sich aufgeklärte Menschen auf solche Beziehungen ein und geben für
955 Heilsversprechen ihren gesunden Menschenverstand auf?
· Ist „sexueller Missbrauch“ hier der richtige Begriff? Es handelt sich doch um Beziehungen
zwischen erwachsenen Menschen!
· Sexueller Missbrauch in religiösen Gemeinschaften wird manchmal mit dem Missbrauch
einer Therapeut-Klient-Beziehung verglichen, etwa im Rahmen einer Psychotherapie. Es
960 heißt dann, auch hier werde ein für die Beziehung grundlegendes Urvertrauen ausgenutzt
und missbraucht. Ist der Vergleich angemessen und der Sachverhalt somit auch
strafrechtsrelevant?

© RAABE
2022

71 RAAbits Ethik/Philosophie Mai 2022


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M8 965 Buddhismus – Religion, Philosophie oder Lebenslehre?


In den letzten Stunden haben Sie einiges über Buddha, seine Lehre, die Unterschiede und
Gemeinsamkeiten der verschiedenen buddhistischen Traditionen sowie die Rolle der Frau im
Buddhismus gelernt. Im Fokus der heutigen abschließenden Stunde steht nun eine
Gesamteinschätzung des Buddhismus und die Frage nach seiner Perspektive in westlichen
970 Gesellschaften.

Aufgabe für die Arbeitsgruppen


Bilden Sie drei Arbeitsgruppen. Formulieren Sie zu einer der drei nachfolgenden Thesen Pro-
und Kontra-Argumente. Entwickeln Sie einen eigenen Standpunkt. Tragen Sie diesen in der
Klasse vor.
975 a) Ist der Buddhismus eine Religion und wenn ja wie viele?
b) Welche Unterschiede und welche Gemeinsamkeiten mit dem Christentum gibt es?
c) Hat der Buddhismus im Westen eine Zukunft?

Matrix für Gruppe 1: Ist der Buddhismus eine Religion und wenn ja wie viele?

Pro-Argumente Kontra-Argumente Unser Standpunkt

Der Buddhismus ist · · ·


eine Religion.

Der Buddhismus ist · · ·


eine Philosophie. © RAABE
2022
Der Buddhismus ist · · ·
eine Lebenslehre.

Es gibt nicht einen · · ·


Buddhismus, sondern
viele Varianten.
980
Matrix für Gruppe 2: Welche Unterschiede und welche Gemeinsamkeiten mit dem
Christentum gibt es?

Gemeinsamkeiten Unterschiede Unser Standpunkt

Beziehung zum · · ·
Christentum

· · ·

Beziehung zum Islam · · ·

· · ·

Argumente dafür Argumente dagegen Unser Standpunkt


Kann man · · ·
Buddhist/Buddhistin
und Christ/Christin

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II.D Religion  Beitrag 7  Buddhas Leben und Lehre 41 von 51

oder · · ·
Muslim/Muslima
sein?

© RAABE
2022

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Matrix für Gruppe 3: Die Zukunft des Buddhismus im Westen

Argumente dafür Argumente dagegen Unser Standpunkt

Der Buddhismus ist · · ·


im Westen auch bei
Nichtbuddhisten
populär. · · ·

Der Buddhismus hat · · ·


speziell westlichen
Menschen etwas zu
sagen. · · ·

Der Buddhismus wird · · ·


sich in Zukunft im
Westen weiter
verbreiten. · · ·

985

© RAABE
2022

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6. Stunde
Hinweise (M 8)

Einstieg
Zum Einstieg kann die Lehrkraft auf die Ergebnisse des Brainstormings der ersten
990 Unterrichtsstunde zurückkommen. Aus den dort dokumentierten Fragen werden die
Aufgabenstellungen für die nun folgende Gruppenarbeitsphase mit anschließender
Plenumsdiskussion hergeleitet.

Vorschlag für ein Tafelbild


Unsere Fragen:
995 · Ist der Buddhismus eine Religion, eine Philosophie oder eine Lebenslehre?
· Ist der Buddhismus eine Religion oder „mehrere“?
· Was unterscheidet den Buddhismus von Christentum und Islam?
· Kann man Buddhist/Buddhistin und Christ/Christin oder Muslim/Muslima zugleich sein?
· Warum finden so viele Menschen buddhistische Symbole ansprechend? (Buddha-Figuren im
1000 Garten oder Mandalas an den Wohnzimmerwänden), ohne selbst Buddhisten zu sein?
© RAABE
2022
· Hat der Buddhismus auch Menschen im Westen etwas zu sagen?
· Wie könnte ein Buddhismus für den Westen aussehen?

Betont wird noch einmal die Intention dieser abschließenden Stunde. Es geht um eine
1005 Gesamteinschätzung des Buddhismus und die Frage nach möglichen Perspektiven für den
Buddhismus in modernen westlichen Gesellschaften.

Erarbeitungsphase I
Haben die Lernenden während der Einheit gut mitgearbeitet, ist es ausreichend, ihnen
Matrixvorlagen leer auszuhändigen. Haben die Lernenden Schwierigkeiten, kann die Lehrkraft
1010 Hilfestellung geben, beispielsweise einzelne Pro- oder Kontra-Argumente vorgeben, um die
Diskussion innerhalb der Arbeitsgruppen zu befördern.

Diskussion im Klassenverband
Haben die Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse präsentiert, kann eine vertiefende Diskussion im
Plenum erfolgen. Unter anderem können dabei folgende Fragestellungen vertieft werden:
1015 · Ist der Buddhismus eine frauenfreundliche oder frauenfeindliche Religion?
· In Asien war der Buddhismus oft eine tragende Stütze der staatlichen Macht (beispielsweise
die Buddhokratie in Tibet). In den meisten westlichen Ländern sind Staat und Religion strikt
getrennt. Hat das irgendeinen Einfluss auf die Verbreitung des Buddhismus?
· Welche Auswirkungen hatte der Buddhismus auf die soziale, politische und kulturelle
1020 Entwicklung der Länder, in denen er seit Jahrhunderten die führende Religion ist?
· Wie begründen die verschiedenen Traditionslinien die Authentizität ihrer Lehren?
(Authentizität von Texten im Theravada versus Authentizität charismatischer Lehrer im
Vajrayana-Buddhismus; Überzeugungskraft durch rationales Argumentieren versus Glaube
an ein überweltliches Überlieferungsgeschehen.)
1025 · Warum sind die späteren Schulen (insbesondere der tibetische Buddhismus) im Westen
heute so viel populärer als die frühbuddhistischen Schulen? (Zum Beispiel Aura des

71 RAAbits Ethik/Philosophie Mai 2022


44 von 51 85 II.D Religion  Beitrag 7  Buddhas Leben und Lehre

Magisch-Mystischen, bekannte charismatische Führungsfiguren, stärkerer Appell an Gefühle


im Gegensatz zur strengen Rationalität des frühen Buddhismus.)
· Welchen Stellenwert wird der Buddhismus in den westlichen Ländern in 20 oder 50 Jahren
1030 besitzen?

Erwartungshorizont (M 8)

Gruppe 1: Ist der Buddhismus eine Religion und wenn ja wie viele?

Pro-Argumente Kontra-Argumente Standp


unkt

Der · Mit dem Nirwana (oder · Obwohl sich Vorstellungen


Buddhismus dem Reinen Land) von Geistwesen und
ist eine formuliert der Buddhismus jenseitigen Welten finden,
Religion. ein Heilsziel. bietet zumindest der frühe
· Es gibt buddhistische Buddhismus eine sehr
Gemeinschaften, die diese rationale Erklärung für
„Heilsgüter“ vermitteln. menschliches Leiden, einen
Weg der
· Buddhistinnen und
Leidensüberwindung und
Buddhisten glauben an
einer möglichen
Götter und Geistwesen.
Heilserfahrung.
· Es gibt einen
buddhistischen Kanon. © RAABE
Der · Der Buddhismus ist eine · Philosophien sind 2022

Buddhismus Glaubenslehre ohne Gott. Denksysteme. Wer den


ist eine Seine Götter übernahm er Buddhismus als Philosophie
Philosophie. aus anderen Religionen. begreift, versteht ihn nicht in
· Meditation ist ein Weg, seiner Gänze.
Einsicht aus sich selbst zu · Den Buddhismus prägen
gewinnen, kein Rituale und die Gemeinschaft
Glaubensgebet wie in einer der Glaubenden. Das alles
Religion. sind Kennzeichen einer
Religion.

Der · Mit dem Achtfachen Pfad · Der Buddhismus weist vor


Buddhismus zeigt der Buddhismus, wie allem einen Weg, das
ist eine man gut und richtig lebt. Er leidhafte Dasein zu
Lebenslehre. ist eine Lebenslehre. überwinden. Er verfolgt also
im Kern ein überweltliches
Heilsziel.

Es gibt nicht · Zwischen den rationalen · Alle buddhistischen Schulen


einen Leidens- und teilen bestimmte
Buddhismus Weltüberwindungserklärun Grundüberzeugungen: die
, sondern gen des frühen Vier Edlen Wahrheiten, den
viele. Buddhismus, den Achtfachen Pfad oder den
Glaubenswelten des Reinen Glauben an das Erlösungsziel

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II.D Religion  Beitrag 7  Buddhas Leben und Lehre 45 von 51

Landes, der wortlosen des Nirwana. Alle verehren


Übertragung des Chan/Zen den historischen Buddha
und der Gottheiten-Esoterik Shakyamuni. Sie alle bilden
des tibetischen Buddhismus Ordensgemeinschaften.
liegen lehrdogmatische Daher ist es richtig, von einer
Welten. Eigentlich sind es Religion zu sprechen.
mehrere Religionen.

Gruppe 2: Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit dem Christentum

Gemeinsamkeiten Unterschiede Standpu


nkt

Beziehung zum · Glaube an · Buddhistinnen und


Christentum Erlösung vom Buddhisten glauben an
Leiden der Welt keinen Schöpfergott
· Im ethischen · Erkenntnisgewinnung
Bereich: Handeln erfolgt durch meditative
zum Wohle des Einsicht, nicht durch
© RAABE Nächsten, göttliche Offenbarung wie
2022 niemanden beispielsweise bei Moses
schädigen im Alten Testament
· Es gibt einen · Anders als Christen
Glauben an glauben Buddhisten an
Himmels- und Wiedergeburt
Höllenwelten

Beziehung zum Islam · Ethik eines · Kein Glaube an Allah als


Dienstes am den einzigen Gott und
Nächsten Schöpfer der Welt und an
· Gebefreudigkeit Mohammed, seinen
(dana) ist der Propheten
Zakat vergleichbar · Anstelle einer Wahrheit
· Es gibt gibt es viele
Pilgerfahrten,
wenn auch zu
anderen Orten

Argumente dafür Argumente dagegen Standpu


nkt

Kann man · Letztlich gingen · Jede Religion bildet ein in


Buddhist/Buddhistin alle Religionen aus sich geschlossenes und
und Christ/Christin einem historisch gewachsenes
oder Synkretismus System. Man darf
Muslim/Muslima hervor. Jeder muss Religionen nicht
zugleich sein? seinen eigenen vermischen. So werden ihre
Weg finden. Lehren verfälscht. Die
Niemand ist im Weisheit einer

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46 von 51 II.D Religion  Beitrag 7  Buddhas Leben und Lehre

Alleinbesitz der Gemeinschaft steht immer


höchsten über derjenigen eines
Wahrheit. Letztlich Einzelnen.
sind ethisches und
moralisches
Handeln wichtiger
als Lehrdogmen.

1035 Gruppe 3: Hat der Buddhismus eine Zukunft im Westen?


Argumente dafür Argumente dagegen Standpu
nkt

Der Buddhismus im · Im Buddhismus · Der Buddhismus ist eine


Westen ist auch bei geht es um „asiatische Religion“, die
Nichtbuddhisten überzeitliche nicht zum Westen passt, da
populär. Aussagen über das sie in einem anderen
menschliche kulturellen Umfeld
Dasein: z. B. das entstanden ist.
Leiden und die
Suche nach
Erlösung.

Der Buddhismus hat · Der Buddhismus · Buddhistische Meditation


speziell westlichen ist eine offene oder Achtsamkeitsübungen © RAABE
Menschen etwas zu Religion. Man sind in einen religiösen 2022
sagen. muss ihn nicht „als Erlösungskontext
Ganzes“ nehmen, eingebunden und wirken
man kann auch nur innerhalb dessen.
Aspekte
auswählen.

Der Buddhismus wird · Die Zahl der · Der Buddhismus wird


sich in Zukunft im westlichen zunehmend kritisch
Westen weiter Anhänger nimmt betrachtet. Aufgrund der
ausbreiten. zu. Allein in vielen Skandale wird er
Deutschland sind vielleicht bald wieder
es schon 300.000. verschwinden.

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II.D Religion  Beitrag 7  Buddhas Leben und Lehre 47 von 51

M9
Klausurvorschlag

Aufgaben
1040 1. Kreuzen Sie die richtigen Aussagen an:
a) Der Begründer der buddhistischen Lehre war ein Prinz namens Buddha Shakyamuni.
b) Die Reine-Land-Schule ist um die Lehre des wortlosen Erwachens zentriert.
c) In der Chan-/Zen-Schule wird beständig der Name eines Buddhas rezitiert.
d) Der Vajrayana-Buddhismus ist die größte und älteste buddhistische Richtung.
1045 e) Die Mönche des frühen Buddhismus tragen schwarze Roben.
f) Buddha ging zunächst den Weg der strengen Waldaskese, bevor er auf dem mittleren
Weg jenseits der Extreme die Erleuchtung erlangte.
g) Im Alter von 80 Jahren erreichte Buddha die Erleuchtung.
h) Die Texte des Mahayana-Buddhismus stehen im Pali-Kanon.
1050 i) Im späten Buddhismus dominiert eine rationale Darlegung der Lehre die magisch-
mythischen Inhalte des frühen Buddhismus.

© RAABE 2. Setzen Sie sich mit dem folgenden Text kritisch auseinander.
2022 a) Stellen Sie die Position der Autorin zum westlichen Buddhismus dar.
b) Was sollten westliche Buddhisten nach Meinung der Verfasserin anders machen?
1055 c) Wie beurteilen Sie die Einschätzung der Verfasserin?
d) Wie müsste nach Ihrer Meinung der Buddhismus im Westen aussehen, damit er sich
als Religion dauerhaft neben Christentum und Islam etablieren kann?

Das postkoloniale Erbe


Der Wunsch, den Buddhismus im Westen 1080 die Übernahme des Buddhismus im
1060 heimisch zu machen, ist verständlich, doch Westen. Ein Beispiel sind die gar nicht so
mir scheint, dass dafür kritische seltenen (sexuellen) Machtmissbräuche in
Anstrengungen nötig sind. Die allermeisten buddhistischen Gruppen, die ähnlich unter
der heute verbreiteten Darstellungen der der Decke gehalten werden, wie dies in der
Buddhalehre beziehen sich – in 1085 römisch-katholischen Kirche lange Zeit
1065 unterschiedlicher Weise – auf Diskurse der gang und gäbe war. […]
Kolonialzeit und deren Erbe, die koloniale 2. Rassismus verbindet man mit Buddhis-
bzw. postkoloniale Mentalität. Nach der mus zumeist nicht. Doch war und ist der
Definition von CLACSO (Consejo Rassismus ein Begleiter des buddhistischen
Latinoamerica de Cienca Sociales) zeichnet 1090 Modernismus. Der militante singhalesische
1070 sich koloniale Mentalität aus durch Nationalismus ist die Wurzel, aus der 1983
1. patriarchale Strukturen, 2. Rassismus und bis 2009 in Sri Lanka ein enorm blutiger
3. Universalismus. Bürgerkrieg zwischen der singhalesischen
1. Patriarchale Strukturen sind Teil der Mehrheit und der Minderheit der
traditionellen asiatischen buddhistischen 1095 hinduistischen Tamilen resultierte […]. Im
1075 Kulturen und werden von „westlichen“ April 2012 wurden in Sri Lanka Moscheen
Buddhisten vielfach kritisiert. Doch sind die attackiert, unter Beteiligung von Mönchen,
patriarchalen Strukturen in den die deren Zerstörung forderten. Dies sei ein
Gesellschaften Europas und Nordamerikas Sieg für jene, „die die Rasse lieben,
keineswegs verschwunden und sie prägen 1100 singhalesisches Blut haben und Buddhisten

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sind“, zitierte BBC News am 23.4.2012 postkoloniale Kritik, ein Instrument


einen Mönchssprecher. In Burma kommt es totalitärer Macht. […] Der Anspruch der
seit Juni 2012 zu „ethnischen Säuberungen“ 1130 europäischen Vernunft auf universale
gegen Rohingya-Muslime. Burmesische Gültigkeit schließt immer andere
1105 Beamte, Polizei und buddhistische Mönche Sichtweisen als z. B. „irrational“ aus. […]
organisierten und unterstützten diese
Verbrechen gegen die Menschheit, Fazit
konstatiert Human Rights Watch Der Versuch, den Buddhismus im Westen
(http://www.hrw.org/node/114882). 1135 heimisch zu machen, geschieht unter dem
1110 Buddhistische Gruppen in Europa verharren Vorzeichen postkolonialer Verhältnisse.
zu den Ereignissen in Burma und Sri Lanka Dabei sind „eingebaute“ und
zumeist in unedlem Schweigen. […] Die „mitgeschleppte“ koloniale Strukturen und
Motive sind vielschichtig: Soziales und Mentalitäten wirksam. Andererseits aber
politisches Engagement werden oft mit 1140 verstehen sich die Akteure eines
1115 Skepsis betrachtet – vielleicht weil sie „westlichen Buddhismus“ in der Tradition
bestimmten westlichen Idealbildern des von Humanismus und Menschenrechten. Es
Buddhismus widersprechen; dazu kommen scheint, dass diese widersprüchliche
unterschwellige ethnozentrische Situation meistens nicht erkannt wird und
Vorbehalte aus kolonialen Tagen. So gibt 1145 überkommene koloniale Denk- und
1120 es in Europa z.B. eine weitgehende Verhaltensmuster unreflektiert beibehalten
räumliche und institutionelle Trennung von werden. Welche Ideen und Tendenzen sich
asiatischen und „weißen“ Buddhisten. […] im Prozess der Übernahme des
3. Mit Universalismus wird in der Buddhismus im Westen durchsetzen, wird © RAABE
postkolonialen Debatte der 1150 also von dem Willen zur Selbstreflexion 2022
1125 Herrschaftsanspruch westlicher Theorien und den Entscheidungen der Akteure
gegenüber indigenem Wissen bezeichnet. abhängen.
Das Vernunftideal der Aufklärung ist, so die
Text: https://buddhastiftung.de/die-suche-nach-einem-buddhismus-im-westen-als-postkoloniales-projekt/
[zuletzt geprüft am 25.3.2022].
1155

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Erwartungshorizont (M 9)

Aufg Inhaltliche Anforderungen Punkt Erreich


aben zahl te
Punkte
Nr. 1 Lösung: a und f. 15
Nr. 2 a) Die Darstellung der Buddha-Lehre knüpft an das Erbe 70
der Kolonialzeit ein. Diese kennzeichnen patriarchale Im
Strukturen, die sich beispielsweise in sexuellem Einzeln
Missbrauch manifestieren, Rassismus, der in die en:
Unterdrückung ethnischer Gruppen wie in Sri Lanka
a = 15
und Burma mündet, sowie einen Herrschaftsanspruch,
b = 15
der das eigene Vernunftideal zum Maßstab aller Dinge
macht und alles damit Unvereinbare als „irrational“ c = 20
diffamiert. d = 20
b) Anhänger des Buddhismus im Westen sollten die
widersprüchliche Situation erkennen, in der sie sich
befinden, und ihren universalistischen Machtanspruch
aufgeben. Dazu müssen sie sich einer „kritischen
© RAABE Anstrengung“ unterziehen. Von ihren Entscheidungen
2022 und der Fähigkeit zur Selbstreflexion hängt die
Zukunft des Buddhismus im Westen ab.
c) Pro: Die Verfasserin weist auf Schwächen des
westlichen Buddhismus hin. Sie plädiert dafür, eigene
Denkweisen und Motive kritisch zu reflektieren. Vor
allem der Dialog mit den asiatischen Buddhistinnen
und Buddhisten vor Ort sollte intensiviert werden, um
Missverständnisse abzubauen und gegenseitiges
Vertrauen herzustellen. Die weitere Entwicklung hängt
vor allem von der kritischen Selbstreflexion der
westlichen Anhänger der Buddha-Lehre ab.
Kontra: Die Verfasserin will westliche Buddhisten zum
kritischen Nachdenken anregen, nimmt dabei aber vor
allem Bezug auf nicht westliche Länder. Sie unterstellt
westlichen Anhängerinnen und Anhängern der Lehre
postkoloniales Denken, die Beispiele, welche sie
anführt, haben jedoch direkt gar nicht mit westlichen
Buddhisten zu tun, sondern verweisen auf Rassismus
in asiatischen Ländern (Burma und Sri Lanka).
Weiterhin kritisiert sie den „Universalismus“ als
Ausdruck einer postkolonialen Geisteshaltung. Dabei
geht es doch vor allem um Humanismus und
Menschenrechte, wie sie selbst erklärt, also um Ziele,
für die auch der Buddhismus einsteht. Warum soll das
„postkolonial“ sein?
d) Beispiele:
 Tolerant sein, das heißt Vielfalt zulassen und keine
Dogmen verkünden
 Ethische und moralische Lehren verbreiten, die mit
westlichen Werten nicht im Widerspruch stehen

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 Keine großen Diskrepanzen zwischen verkündeter


Lehre und dem eigenen Handeln entstehen lassen
 Leerstellen der bestehenden Religionen füllen, z. B.
Meditationspraktiken lehren, welche die anderen nicht
kennen
 Inneren Frieden und eine gelassene Geisteshaltung für
das menschliche Zusammenleben und die
Beziehungen zur Natur lehren und praktizieren
 Harmonie mit anderen Religionen und
Weltanschauungen anstreben und nicht die
Differenzen in den Vordergrund stellen
 Sich gesellschaftlich engagieren, z. B. für Arme und
Bedürftige (und nicht allein dem eigenen
Erleuchtungsstreben nachgehen)
 Fälle von Missbrauch schonungslos offenlegen und
keine sektiererische Abkapslung betreiben

© RAABE
2022

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